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Augenblick der großen Wendung läßt Bircks bereits erwähnte
Aeußerung im Lactantius-Commentar erkennen, die das wichtig¬
ste Zeugnis für'die Beurteilung des Spiels und des Publikums
darstellt. Lactanz lehnt jegliches Theater wegen seiner ver¬
derblichen Wirkung ab, und Birck fügt hinzu: ,,-Mque nescio
qui fiat, quod ne in nostris dramatibus quicquam salvum at¬
que sacrum satis sit. Multo siquidem applausui excipitur,
cum senes Susannam se lavaturam et iam crura sandalibus
induentem speculantur, quam quando ad supplicium accessura
pignoribus valedicit; cum Judith Holopherni libidinosis ge¬
stibus blanditur, quam cum cilicio induta preces ad Dominum
fundit; cum Sara suam marito ancillam permittit, quam cum
de filii sacrificio solicitais pater ad Deum orat; cum Poti-
phari coniunx Josephum de stupro solicitât, quam cum Jacob
annonae penuria premitur. Usque adeo sunt oculi rebus
vanis,, quam seriis spectandis promptiores“180.
Dieser Vorwurf soll ein Publikum treffen, das —
weit davon entfernt, der biblischen Schulkomödie das
gleiche Interesse entgegenzubringen, das es für das geistliche
Spiel stets bereit hatte — vom Theater nichts anderes will,
als die eindeutigen Derbheiten des Fastnachtsspieles. So muß
man Bircks Klage zunächst auffassen, und so mag ihm selbst
unter dem Eindruck der ablehnenden Haltung des Lactanz die
Sache erschienen sein. Schaltet man aber dann einmal den
moralisch-pädagogischen Standpunkt ganz aus, so ergibt sich
aus der Gegenüberstellung von Beispiel und Gegenbeispiel ein
wesentlich anderes Bild, die Antithese: optisch faßbares Spiel —
Monolog. Alan kann also die Forderung des Zuschauers
auch in dieser Richtung deuten: er will Sichtbares, Darstellung,
theatralische Aktion statt langer lateinischer Reden von päda¬
gogischem Gehalt. Daß Birck und die anderen Dramatiker in
der Praxis die Publikumsforderung nach „Theater" oder
wenigstens nach Ausgleich zwischen beiden Bestandteilen der
„Schul-Komödie" als berechtigt anerkannten, beweist der Auf¬
bau ihrer Dramen, die einen ziemlich ausgeglichenen Wechsel
zwischen Sprech- und Handlungsszenen zeigen. Die pädago¬
gischen Tendenzen sind in eine Spielform gekleidet, die auch
dem lateinunkundigen Zuschauer181 die Möglichkeit gibt, die
180. Lactantius VI, 22.
181. Für die Aufführung aller Dramen ist die Einführung deutscher
Arguniente anzunehmen. In einzelnen Fällen weist der lateinische Lext
darauf hin, z. B. Susanna (45) „ . . . Tu planius populo dicas germa-
nice!“ — De v. nob. (Epilog): „.. recita tu illis lingua patria.“