Tag der Promotion: 15. März.
Inaugural-Dissertation
Zur
Erlangung der Doktorwürde
genehmigt
von der Philosophischen Sakultät
der Zriedrich-Mlhelms-Universität
zu Derlin.
von
Rolf Weber
aus Königsberg i. p.
Zur Entwicklung und Bedeutung des deutschen
Meistergesangs im 15. und 16. Jahrhundert.
Mit einem Anhang
über den Meistergesang in der deutschen Dichtung
des 19. Jahrhunderts.
Heferenten: Prof. Dr. Hoettje und Prof. Dr. Hoediger
Meiner Mutter.
Vorbemerkung.
Papiernot und hohe Druckkosten unserer Zeit haben es not-
wendig gemacht, die Ausführung des im folgenden behandelten
Themas auf weniger als zwei Fünftel des ursprünglichen Um-
fangs zu verkürzen. Daß dabei das spezifische Gewicht einiger
Teile eher gemindert als gemehrt wurde, konnte, wo es sich um
Verarbeitung und Zusammenfassung vieler Einzelgedichte handelte,
der Natur der Zache nach nicht immer vermieden werden. Leider
mußte auch auf den Abdruck zahlreicher Abschriften von Melster-
liedern, die in einem Anhange geplant war, verzichtet werden
Inhalt
Vorwort..........................................Seite 8
Einleitung.
Die materiellen und geistigen Grundlagen des Meistergesangs „ 10
Allgemeine Vorbemerkung über äußere und innere Form . „ 16
Erster Teil. Zur geschichtlichen Entwicklung des Meistergesangs.
1. Kapitel. Das fünfzehnte Jahrhundert.
Mügeln .......................................................„17
Hätzlerin . ........................................... - „17
Muskatblut....................................................„18
Beheim........................................................,19
Kleinere Dichter..............................................„24
Falz...........................................................26
Rückblick..................................................
2. Kapitel. Das sechzehnte Jahrhundert außer Hans Sachs.
Chronologisch fixierbare Dichter...........................
Richt genauer datierbare Dichter...........................
Rückblick..................................................
3. Kapitel. Hans Sachs.
Allgemeine Betrachtung ....................................
Seine Kunstgedichte .......................................
Die Kirchenlieder .........................................
Die Bibeldichtung..........................................
Die Schwänke allgemeinen Inhalts...........................
Die Bearbeitungen aus Gvid............................
Die Bearbeitungen aus Boccaccio ...........................
Die Bearbeitungen geschichtlicher vorlagen ................
Statistik seiner Werke.....................................
Zweiter Teil. Zur Technik und Ökonomik der Meisterlieder.
Allgemeines ... .....................................
Zyklen.....................................................
Gliederung der Bare........................................
Verhältnis von metrischer Ausdehnung und Stoff ....
Der Umfang der Moral..................................
Refrain ...................................................
Länge der Einleitung.......................................
Gliederung der Strophen .............................
Reimschemata ..............................................
Behandlung des Verses und Reimes ..........................
Rückblick..................................................
Anhang. Der Meistergesang in der deutschen Dichtung des
19. Jahrhunderts.
Frühere ...................................................
Richard Wagner ............................................
„ SO
„ 31
„ 38
„ 39
„ 40
„ 45
„ 45
„ 47
„ 50
.. 53
„ 55
58
60
.. 63
.. 64
„ 65
„ 65
„ 66
„ 69
„ 69
„ 70
„ 71
.. 72
„ 74
„ 75
.. 78
Vorwort
Der entscheidende Umschwung, den Luthers Auftreten und
Lehre für die Geschichte der Meisterkunst bedeuten, gewährt für eine
kritische Betrachtung des Meistergesangs im 15. und 16. Jahr-
hundert die fruchtbarsten Unhaltspunkte. Deshalb beschränkt
sich die vorliegende Hrfceit darauf, die allgemeine geschichtliche
und künstlerische Entwicklung der Meisterlyrik innerhalb dieser
wichtigsten Epoche darzulegen, von der formalen Leite des
Meistergesangs: Tabulatur und musikalischer Ausarbeitung,
wurde ebenso abgesehen wie von einer Erörterung der drama-
tischen Produktion der Meisterschulen.
Die gedruckten Duellen, aus denen die Untersuchung schöpft,
fließen spärlich genug, soweit einheitliche Sammlungen von Meister-
liedern in Betracht kommen. Ein Auszug aus der Uolmarer
Liederhandschrift, der zudem fast ausschließlich Erzeugnisse aus
den ältesten Zeiten des Meistergesangs enthält,- die Meister-
gesänge des Hans Holz; ein paar Bände Hans Lachssischer
Dichtungen, zumeist Lchwanklyrik: das ist alles, was an Meister-
liedern in Buchform vorliegt. Hlles Übrige ist in Aufsätzen,
Abhandlungen, Zeitschriften verstreut. Auch Goedekes verdienst-
volle vorarbeiten haben keinerlei wissenschaftlich ergiebige Ein-
zeldarstellungen von Meistersängern angeregt. Die zahlreichen
von Johannes Balte veröffentlichten Meisterlieder sind größten-
teils vom Gesichtspunkte des literar- oder kulturgeschichtlichen
Interesses aus gewählt und daher angetan, zu einseitiger Beurteilung
der Meisterlyrik zu veranlassen. Das Gleiche gilt für die von
Goetze und Dresche.' herausgegebenen Schwanklieder des Hans
Lachs, die doch nur einen Bruchteil der lyrischen Gesamtproduktion
des Dichters ausmachen. Schon aus diesem Grunde schien es
geraten, einige Handschriften heranzuziehen,' es waren dies: für
— 9 —
das 15. Jahrhundert eine Heidelberger (p bei Goedeke Grdr. II2
249), die leider nur geringe Ausbeute gewährte; besonders für
Bereitn gleichfalls eine Heidelberger (Nr. 2 bei Goedeke l2314);
für das i6. Jahrhundert eine Berliner (Cl: II2 251); besonders
für Hans Sachs eine Göttinger (11: II2.252): sie erst gestatteten einen
Einblick in die Hauptbetätigungsart der Meistersinger, die Bibel-
dichtung. Im ganzen belaufen sich die im Nachfolgenden berück-
sichtigten Meisterlieder - von den Schwankgedichten Sachsens ab-
gesehen — auf etwa 125000 Verse, die Zahl der Töne, in denen
diese gedichtet sind, auf etwa 260: Ivagenseil und Grimm zählen
322 Töne auf; im ganzen gab es wahrscheinlich mehr als 400.
Vas einleitende Kapitel schildert, von einer geschichtlichen
Betrachtung der Meisterkunst selber absehend, die kulturellen,
sozialen und materiellen Grundlagen des Meistergesangs. Einige
grundsätzliche Bemerkungen über verstechnische Dinge sollen den
Maßstab der mit der geschichtlichen Darstellung verbundenen
ästhetischen Wertung aufzeigen. Bei der Schilderung des Meister-
gesangs im 15. Jahrhundert kam es lediglich auf Hervorhebung
der wichtigsten Entwicklungsstadien an, und dasselbe gilt für die
Darstellung des 16. Jahrhunderts mit Ausschluß Hans Sachsens.
Doch auch bei Sachs war Beschränkung auf einige charakteristi-
sche Gebiete seiner Meisterdichtung geboten, damit für eine Ver-
gleichung der zugleich in Lied- und Spruchform behandelten
Stoffe Naum gewonnen würde. Ein zweiter, kürzerer haupt-
teil beschäftigt sich mit der Naumtechnik der Meistergesänge und
sucht die Frage nach der Beeinflussung des Stoffes durch die
Form zu beantworten. — Der Anhang behandelt, nach kurzer
Besprechung einiger anderer poetischer Verwertungen des Meister-
gesangs im 19. Jahrhundert, Nichard Wagners „Meistersinger
von Nürnberg" in Hinsicht auf ihr Verhältnis zum geschichtlichen
Meistergesänge.
— 10 —
Einleitung.
1. Die materiellen und geistigen Grundlagen
des Meistergesangs.
Die Stellung des Meistergesangs innerhalb der deutschen
Kulturgeschichte ist in den letzten hundert Jahren, bei aller Ver-
schiedenheit der Ausgangspunkte und der Wertung des Einzelnen,
doch im wesentlichen übereinstimmend beurteilt worden. Jacob
Grimm hat in seiner Schrift vom Jahr 181V) sogleich die haupt-
gesichtspunkte gekennzeichnet, indem er, wenn auch den Zusammen-
hang zwischen beiden Erscheinungen zu stark betonend^), die Her-
kunft des Meistergesangs aus der mittelhochdeutschen Minnelyrik
nachwies und den nationalen und sittlichen Charakter der meister-
singerischen Tätigkeit hervorhob: ist doch der Meistergesang, ab-
gesehen von gewissen formalen Einwirkungen, die er erfuhr, vom
romanischen Kurland unbeeinflußt geblieben- und hat doch an-
drerseits die Bedeutung der Meisterkunst für das moralische
Dasein weiter volkskreise dem Forscher von jeher die Pflicht
auferlegt, den Meistersang im allgemeinen Rahmen der Kultur-
geschichte zu betrachten?) Vielfach hat man sogar die Haupt-
bedeutung des Meistergesangs in den außerkünstlerischen Wir-
kungen, die er erzielte, zu erkennen geglaubt: in seinen Ver-
diensten um Verbreitung und Ausbau der neuhochdeutschen Schrift-
sprache, in dem starken Rückhalt, den er der Reformation bot,
in der Popularisierung des gelehrten Wissens seiner Zeit und
vor allem der Lutherschen Bibelh.
') Iac. Grimm, über den altdeutschen Meistergesang, Gött. 18U,
S. 171. 11. 9.
2) Noethe, Zum dramatischen Aufbau der wagnerschen „Meister-
singer", Sitz.ber. d. preuß. AK. der Miss. 1919, 5. 684.
s) vgl. auch 3ofj. Christoph wagenseil, Vs . . Civitate Noribergensi
Commentatio. Accedi* . . von der Meistersinger Origine . . Altdorfi 1697
S. 559 f.
4) Mar Koch, Meistersinger. Vortrag. Bapreuther ölätter, Bd. 13,
heft 4/5 (1890), 5. 117. vgl. auch Th. Hampe, Spruchsprecher . . , Mit-
teilungen a. d. german. Nat. Museum, Nürnberg 1894, S. 69.
— 11 —
Die eigentlichen Träger der Meisterkunft waren, wenn auch
Schulmeister, Studenten, Anwälte, Notare, Schreiber, ja sogar
Geistliche und Kitter zu den Meistersingern gehört Habens, den-
noch die in Zünfte organisierten Handwerker, unter denen sich
die Schuster, Kürschner und Weber besonders hervortaten^); und
die Entwicklung des Meistergesangs läuft ziemlich genau parallel
mit Aufstreben, Blütezeit und Niedergang des deutschen Hand-
werkerstandesh. Der bürgerlich-handwerkerliche Charakter ihrer
Kunst zeigt sich auch darin, daß die späteren Meister die Tradition
ihrer Kunst verbürgerlicht haben, indem sie den vermeintlichen
Begründern ihrer Kunstübung nachträglich bürgerliche Vornamen
und Berufe beilegten^).
Wie die Minnesinger es gewesen waren, so waren die
Meistersinger des l5. Jahrhunderts fahrende Sänger, die von
ihrer Kunst lebten und ein Handwerk nur etwa nebenher betrieben
Gegen Ausgang des 15. und vollends im 16. Jahrhundert wurden
sie seßhafte Städter, die ihr Handwerk nährte und die die Pflege
der Sangeskunst auf den Feierabend aufsparten; doch weist das
17. Jahrhundert wieder Fahrende auf, und bereits Hans Sachs
scheint um die Mitte des 16. Jahrhunderts sein Handwerk auf-
gegeben zu haben, um sich ganz der poetischen Produktion zu
widmen3). Das erscheint um so natürlicher, als die Ausübung
der Dichtkunst eine gewisse Gelehrsamkeit voraussetzte, deren An-
eignung immerhin geraume Zeit in Anspruch nahm, mochte sie
auch auf ein paar populäre Kompendien zurückgehn wie das
') Schnorr v. Larolsfeld, Zur Gesch. d. deutschen Mstrgsgs., Berlin
1872, $. 22 f,; Frdr. Ueinz, Ñus d. Ñugsburger Mstrsgrschule, Sitz.ber.
d. bair. Ñk. d. wiss., München 1883, S. 156 f.; Hots), zur Gesch. d. Mstrs.
z. Mainz u. Nürnbg., Ztschr. f. Uulturgesch. 3 Bd. (1896) S. 264 f. u. 179
ñnlage II.
tz Goedeke, Grdr. IIa S. 247; Streinz, Der Mstrgsg. i. Mahren,
PBB. Bd. 19 (1894) 5. 145.
3) k)ampe, Benedikt v. Watt, Euphorion Bd. 4 (1897) 5. 37.
4) Schnorr, a. a. ®. S. 15.
6) holtzmann, Germania Bd. 3 (1858, L. 307; dag. hampe, Spruch-
sprecher etc. 5. 35f.; ferner Heinz, ñugsb. Schule. . 5. 153; Nagel,
5tud. z. Gesch. d. Mstrsgr., Langensalza 1909 S. 23 Ñnm.; Gsetze, pusch-
man, Neues Lausitzer Magazin Bd. 53 (1877) S. 64; ñrnold, Sachs' Werke
XXI; hartmann, Deutsche Mstrlieder-hss. i. Ungarn, Festgabe z. Sachs-
Zubiläum, München 1894, S. 78 ff.
12 —
immerhin noch recht umfangreiche Speculum universale des Vincenz
von Veauvais, das vom 13. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts
ein vielgebrauchtes Buch des allgemeinen Wissens war, welches
nicht nur auf Dante, sondern, wenn auch meist wohl nur indirekt
durch Auszüge und Bearbeitungen, ebenso auf die Meistersinger
entscheidenden Einfluß gewann. Erst sehr allmählich wurde die
aristotelisch-scholastische Bildung, die in solchen Werken nieder«
gelegt war und die selbst Hans Lachs noch sichtlich beeinflußt
hath, durch die humanistisch-protestantische Wissenschaft zurück-
gedrängt").
Buch mit der jeweils vorherschenden Kirche hat der Meister-
gesang stets in innigem Zusammenhange gestanden, wenn einige
Forscher behauptet Habens, die Meistersinger seien heimliche Ketzer
gewesen, so geht diese Annahme auf einseitige Auslegung einiger
schlecht verbürgter Nachrichten zurück, vor allem einer Ztelle des
29. Liedes der Llara hätzlerin, wo es heißt, daß der Augsburger
Lingschule präsidiere, „wer übel redt von pfaffen"h. Ln Wirk-
lichkeit sind Opposition und Intrigue niemals Lache des Meister-
gesangs gewesen. Leiner Natur entsprach es vielmehr, die Dinge
an sich herantreten zu lassen und erst nach genauer Prüfung des
Zür und Wider eine Entscheidung zu treffen. Nur so erklärt
sich die Ztellung der Meistersinger und ihres Führers Hans Sachs
') nicht nur in den theologischen Gedichten der ersten Periode, sondern
ebenso in profanwissenschaftlicher Beziehung, z. B. in den Gedichten, die
die NO Flüsse Deutschlands, die 100 Nrten Tiere, die 124 Fische und Meer-
wunder oder Gegenstände des täglichen Lebens aufzählen. Dgl. auch
Schnorr a. a. G. S. 43 ff., Nr. 3.
2) R. v. Liliencron, Üb. d. Inhalt d. allg. Bildg. i. d. 3t. d. Scho-
lastik, Festrede, München 1876.
3) Ludw. Keller, Die Kultgesellschaften der dtschn. Mstrsgr.. Monats-
hefte d. Tomenius-Ges. Bd. II (1902) S. 274 fp S chweitzer, Etüde sur
la vie. . de H. Sachs, Paris 1887, S. 198.
4) Liederbuch der Tiara ffätzlerin, Hrsg. v. Paltaus, (Quedlinburg
u. Lpz. 1840. Doch muß der polemische Charakter des Liedes in Betracht
gezogen werden, der sich aus dem 3usammenhang ergibt, in den es bei
Liliencron, Dolkslieder Bd. 1 S. 41b, Nr. 90 gesetzt ist: es ist eine Ent-
gegnung auf das Nl»est'sche Gedicht „Nugsburger Singschule" (Lil. Nr. 89),
das einen Nngriff der Städte auf Fürsten und Geistlichkeit enthält — cs
handelt sich um den Markgrafenkrieg —, und Nr. 90 ist ein Nngriff der
Gegenpartei auf die Städte.
— .13 —
zur Reformation: in den ersten sturmvollen, von Ausschreitungen
aller Rrt erfüllten Jahren blieb die Stellung der Meistersinger
abwartend, erst dann erfolgte auf Grund ernstlichen Studiums
der Lutherschen Schriften die endgültige Parteinahme für den
Reformator, doch auch jetzt noch ohne radikale Einseitigkeit oder
Unduldsamkeit). von nun ab war die Sache der Reformation
die Sache des Meistergesangs. Ruf Jahrzehnte war fast der
ausschließliche Stoff ihrer Lieder die Luthersche Bibel, die ganz
systematisch, Buch für Buch, Kapitel für Kapitel, Mort für Mort,
in die meisterlichen Strophen und Reimschemata hineingezwängt
ward und somit die weiteste Verbreitung in den bürgerlichen
Kreisen fand, hier hat der Meistergesang aktiv in die Geschichte
der Reformation und somit des deutschen Volkes eingegriffen* 2);
auch Luther wußte den Vorteil, den er durch das popularisierende
Genie eines Hans Sachs für seine Lehre gewann, wohl zu schätzen.
Menn die Meistersinger sich trotz ihrer sozialen Herkunft
oft in bewußten Gegensatz zum Volk und zu allem volkstümlichen
fetzten, so lag das in ihrer hohen Ruffassung der Dichtkunst be-
gründet, die sie, die vermeintlich privilegierten Vertreter der allein
rechten Kunstübung, vor jeder Berührung mit dem profanum
vulgus und seiner Kunst schützen wollten, besonders vor jeder
Berührung mit dem Volksliede, dessen ausgesprochen weltlicher
Eharakter, dessen Individualismus und Raturinnigkeit allerdings
in starkem Gegensatze zu der scholastisch-trockenen Rrt der erbau-
lichen Meisterlieder steht). Die streng exklusive Meinung der
Meister von ihrer Kunst ist ja auch für die Tatsache verantwort-
lich, daß die Veröffentlichung von Meisterliedern durch den Druck
untersagt war. Gleichwohl ist der prinzipielle Gegensatz von
Volks- und Meisterdichtung in der Praxis nicht durchweg gewahrt
geblieben, volksliedmäßige Motive, Meisen wie Bruder Veiten
tz lfampe, Meistergesang u. Reformation, Monatshefte d. Comenius-
Ges. vd. 7 (1898), S. 163f.; Hagel a. a. G. S. 83 ff.; vgl. auch das be-
geisterte Lob Luthers bei Spangenberg, von der Musica u. d. Mstrsgrn.,
Hrsg, durch Rd. v. Keller, Stuttg. 1861, S. 137 f.; ferner Gervinus,
Gesch. d. d. vichtg. II1 (1853) S. 243.
2) Goedeke, Rezension des Schnorrfchen Buches, Gott. gel. Rnz. St. 2V
(1872) S. 1138 ff.
h vgl. z. v. Bragur Bd. 6.5. 162. Über die Rbkehr von der Volks-
dichtung auch Burdach, Reinmar u. Malther, Lpz. 1880, S. 136. 30.
i
— 14
Ton wurden häufig angewandt, und vor allem Hans Sachs, der
auch in dieser Frage eine vermittelnde Stellung einnimmt, hat
Psalmen, Kirchen- und Liebeslieder in gefälligeren Strophenformen
gedichtet, in den sog. hoftönen, die von den eigentlichen Meister-
tönen unterschieden wurdenh.
Vas rezeptive Verhalten des Meistergesangs gegenüber den
jeweiligen Tendenzen der Literatur und der Zeitstimmung über-
haupt hat zur Folge gehabt, daß die große Masse der Meister-
lieder sowohl des 15. wie des 16. Jahrhunderts theologischen In-
halts ist: das 15. Jahrhundert verarbeitet die scholastische Dog-
matik, zu der seit Verbreitung der Drucke Trbauungsschriften
religiöse Allegorien und heiligenlegenden treten; seit dem Ein-
wirken der Reformation tritt die Lutherische Gedankenwelt neben
den bloßen Paraphrasierungen von Bibeltexten in den Vorder-
grund. Daneben spielen aber die weltlichen Dinge eine nicht un-
beträchtliche Rolle: gerade bei Hans Sachs überwiegt sogar die
weltliche Meisterdichtung, und bei Beheim scheint das Gleiche der
Fall zu sein (s. u.) Reben der geistlich gefärbten Moral begegnen
wir auch rein weltlichen Mahnungen an Fürsten und Bauern. Zahl-
reiche Gedichte belehren uns über die Anschauungen von Kunst
und Künstlern, über die Geschichte des Meistergesangs, die Sing-
schule und die poetische Technik. Antike und deutsche Sagen,
geschichtliche Stoffe aus allen Zeiten und Ländern, Parabeln,
Fabeln und Märchen begegnen bereits im 15. Jahrhundert,
während die Ausbeutung der Schwankliteratur in der Haupt-
sache dem 16. Jahrhundert angehört. Dazu kommt die fast un-
übersehbare Menge von Liebesliedern und Lügenfabeln und
schließlich die große Zahl der Gedichte, die sich in Stoff und
Form dem Volksliede nähern. Gerade die Mannigfaltigkeit des
in den Meisterliedern verarbeiteten Stoffes läßt ihren hohen kultur-
historischen Wert erkennen. In der Tat gewähren uns diese
Lieder intimen Einblick in das bürgerliche Leben jener Zeit.
Sie behandeln die zeitgenössischen Ereignisse mit gesunder partei-
h Über den umgekehrten Vorgang: Beeinflussung des Volksliedes durch
den Meistergesang r^l. Ge nee, H. Sachs u. s. Zeit, Lpz. 1894, S. 255'
276f.;lloch, Meistersinger a. a. CD. S. 113; Gervi n us a. a. G. 5. 234f.;
Goedeke, Grdr. I? 5. 247.
15
nähme*), unterrichten uns über die Aufnahme, die jene bei dem
ehrbaren Durschnittsbürger fanden, und ersetzen uns damit die
Kenntnisse, die wir für die jüngere Vergangenheit der — natürlich
weit ausgiebigeren — Tagespresse verdanken. —
von nicht zu unterschätzender Bedeutung war der sittlichende
Einfluß der Meisterkunst auf weite Meise des deutschen Volks.
Zu einer Zeit, da ein durch keinerlei theoretische Weltansicht ge-
rechtfertigtes, durch keinerlei ästhetische Fonnung verschöntes, durch
keine geniale Herausforderung des Schicksals veredeltes physisches
Genießen nahezu alle Stände vom Kaiser und Katsherrn bis
zum Bauern und Soldaten ergriffen hatte, haben die deutschen
Handwerksmeister, nicht sowohl durch ihre Verskünste wie durch
persönliche autoritative Einwirkung, ihre Gesellen und Lehrlinge
veranlaßt, die abendlichen Mußestunden nicht in der Schenke,
der würselstube oder dem Frauenhause, sondern bei ihrem Meister
zuzubringen und von ihm die Singekunst zu erlernen. Sie haben
das Interesse der heranwachsenden Handwerker-Generation auf
eine ernste, ja heilige Sache gerichtet und ihren Ehrgeiz ange-
stachelt, auch auf geistigem Gebiete die würde des Meisters zu
erlangen. In seiner Vereinigung von Gemüt, würdigem Ernst
und freundlicher Beschränktheit stellt ihr Bestreben einen spezifisch
deutschen Tharakterzug dar, dessen späteres verschwinden einen
unzweifelhaften Verlust für die deutsche Volkskultur bedeutet).
Die Frage, ob wir es bei einem Liede mit dem Erzeugnis
eines Meistersingers oder eines nichtzünftigen Dichters zu tun
haben, wird streng genommen allein durch die Feststellung be-
antwortet, ob der Verfasser nachweislich eine Singschule besucht
habe^). Um aber die Grenzen der Betracktung nicht zu eng zu
ziehn, um vor allem nicht alle anonymen Lieder beiseite lassen
zu müssen, dürfte es das Beste sein, überall dort meistersingeri-
schen Ursprung anzunehmen, wo ein Lied in meistersingerischer
Form, also in einem Meistertone vorliegt. Denn die Form ist in
erster Linie Kriterium für den Meistergesang; sie hat überall,
wo sie von nichtzünftigen Dichtern verwendet wurde, deren Er-
zeugnisse im Zinne des Meistergesanges beeinflußt.
y Vgl. Nagel a. a. D. 5. 26 f.
2) S, a. Goed eke-T itt mann, Liederbuch aus dem 16. Iht., Lpz.
1881, S. 322 f.
s) hampe, Spruchsprecher etc. S. 26f.
— 16 -
2. Allgemeine Vorbemerkung über äußere
und innere Form.
wenn einige Forscher dem Meistergesang eine künstlerische
Entwicklung überhaupt abgesprochen^) oder aber sie in einer
absteigenden Bewegung des Verlaufs erkannt Habens, so drängt
sich die Frage auf, in welcher weise sich vom 15. zum 16. Jahr-
hundert die Beziehungen von Inhalt und künstlerischer Sorm
gestaltet haben oder, da ja die poetischen formen im wesent-
lichen die gleichen blieben: welcher der beiden Stoffkreise der
äußeren Form in höherem Maße genügte, von der Antwort
auf diese Frage nach dem Verhältnis von äußerer und innerer
Form wird das relative ästhetische Werturteil über den Meister-
gesang beider Epochen abhängen.
Eins ist von vornherein klar: das feine Taktgefühl für die
Unterschiede und die Bedingtheit der metrischen Formen, wie es
die mittelhochdeutsche Blüteperiode betätigt hatte, war mit dem
absterbenden Mittelalter zugrunde gegangen. Vor allem ist von
einer sicheren Unterscheidung lyrischer und epischer Uusdrucks-
formen nicht mehr die Uede. Dem Meistergesang ist die Wahl
von Strophe oder Ueimpaar nicht mehr Selbstverständlichkeit,
sondern Problem, und die Wechselbeziehungen einerseits zwischen
einfachem, gefühlsmäßigem Inhalt (in der lyrischen Poesie) und
komplizierterer metrischer Gliederung, andrerseits zwischen dem
mehr verstandesmäßigen Inhalt epischer Dichtungen und schlich-
terer sprachlicher Uusdrucksformen werden vielfach verkannt. Be-
sonders die Form der Ballade (im weitesten Sinne) wird häufig
mißbraucht. Ihrer Natur nach eine Mittelgattung zwischen Epik
und Lyrik: dem Stoffe nach epischer Natur, der innern Form,
dem Stimmungsgehalte nach lyrisch, als Ganzes dem volksliede
verwandt, dient ihre Verwendung, zumal in den „Schwänken"
des Hans Sachs, als sicherster Gradmesser künstlerischen Stilgefühls.
y kfampe, Deutsche Kunst u. deutsche Lit. um die Wende des 16. Ihts.,
Vortrag, Nürnberg 1908, 5. 10.
2) Uh 1 and, Schriften z. Gesch. d. vichtg. u. Sage, 2 Bd., Stuttg-
1866. S. 324.
-----------------
— 17 —
Erster Teil.
Zur geschichtlichen Entwicklung
des Meistergesangs.
Erstes Rapitel.
Das fünfzehnte Jahrhundert.
Die erste geschlossene Schule der Meistersinger datiert aus
der Zeit kurz vor 1449. Zunftmüßige Organisation finden wir
seit 1493, die erste Tabulatur aus der Zeit um 1540'). Über
einige ältere Sänger zeigen so nahe Verwandtschaft mit dem
eigentlichen Meistergesänge, daß sie hier wenigstens kurze Er-
wähnung finden mögen.
Heinrich von Mügeln"), der kaiserliche Kat Karls IV.,
der in seinen bilderreichen und zuweilen schwülstigen Marienliedern
auf Zrauenlob zurückweist, zeigt sich andrerseits in der Behand-
lung dogmatischer Dinge und in der Einbeziehung von allerhand
abergläubischen Zeitvorstellungen den Scholastikern der Kalmarer
Handschrift verwandt.
Ebenso stellt das Liederbuch der Clara hätzlerii?) formell
und inhaltlich den Übergang der ritterlichen zur bürgerlichen Dich-
9 uh1 and a. a. <v. S. 297; Plate a. a. <D. S. 161; ® o c t> c fc e I
312; rtagel a. a. (D. S. 40 ff; k) ä tz I e r i n Nr. 29.
9 vgl. üb. ihn Lütcke, Studien z. philos. d. Mstrsgr., Bin. 1911
(palaestra Bd. 107;) Sch r der, Die Dichtgn. Heinr. v. M., Sitz.der. d
pH. hist. CI. d. wiener Nb. d. Miss., 1867, S. 451—520; Zabeln u. Minne-
lieder, Hrsg. v. Wh. Müller. Gött. 1848.
9 Gervinus a. a. (D. S. 187; Geuther, Stud. z. Liederbuch der
C. h., Halle 1899; Map er u. Rietsch, Die Mondsee-Wiener Liederhs.,
Octa Germ., Bin. 1894, Bd. lll 4, S. 158 ff., vgl. auch Kaltaus i, d>
Einltg. S. XXVII «. Roethe, ailg. V. Biogr. XXXI 210,
18 —
hing dar. hier finden wir eine ganz unklassische Verbindung
von Lyrik und Didaktik (Nr. 28), in dem Gedichte ..ctas hus
geschirr“ (35) ganz meisterfingerlich anmutende reichliche Nuf-
zählungen von Geräten, in Nr. 82 eine ähnliche Nuszählung der
Zünden, in der „tagweis von lewsen“ (Nr. 21) eine lustige Pa-
rodie auf das alte Tagelied. Der Charakter der Übergangs-
periode offenbart sich auch in der sprachlichen und metrischen
Unsicherheit vieler Lieder. Die Neime sind nur selten rein (wie
bei Nr. 2, 7, 8, 13), öfter unrein (z. B. 3, 5, 11) oder ganz
verderbt und durch bloße Nssonanz ersetzt (6, 9, 10, 25). Dem
Ztrophenbau mangelt in vielen Liedern die Regelmäßigkeit: die
Ztrophen haben verschiedene Verszahl (Teil l Nr. 9, 113, Teil ll
Nr. 65), oder es finden sich zwischen den einzelnen Ztrophen
Einschübe von geringerer Verszahl (2, 53, 57, 65, 78, 83), oder
der letzten Ztrophe werden noch ein paar Verse angehängt (69).
Nuch der Edelmann MuskatblutI, der in den ersten Jahr-
zehnten des 15. Jahrhunderts dichtete, verleugnet nirgends den Ein-
fluß der zunftmäßig abgeschlossenen Meisterdichtung. Die Poetik,
die Billigung der Tätigkeit des Merkers, die Nnsicht von der
Überlegenheit der vokal- über alle Instrumentalmusik, ja die
Ersetzung der sieben Künste, die Mügeln noch anerkannt hatte,
durch den Gesang, die Betonung der sittlichen Wirkung der Dicht-
kunst — all dies stellt ihn an die Zeite der echten Meistersinger.
Zeine Marienlieder, dogmatisch, reflektierend, klügelnd, singen
das Lob der heiligen Jungfrau in unzähligen Bildern und ver-
gleichen und bemühen sich vor allem um Erklärung des Geheim-
nisses der unbefleckten Empfängnis. Zie haben reichere erotische
Zutaten als die eigentlichen Minnelieder, deren rhetorischer Wort-
schwall sich oster in fade Wort- und Neimspiele auslöst und deren
korrekte platonik nur gelegentlich durch einen Nussall auf die
übertriebenen Forderungen der Damen unterbrochen wird.
Muskatbluts Sprüche, deren lyrische Maße mangelndes me-
trisches Unterscheidungsvermögen verraten, sind größtenteils pole-
9 Keinz, Sitz.ber. d. bair. 6K. d. Miss. 1892 $. 646; uhland a.
a. D. 5. 325; Deltmann, Die polit. Gedichte ITT.s Bonner Diss. 1902;
Gervinus a. a. ©. 5. 191; Mayer u. N i e t s ch a. a. (D. S. 140. Die
ctnsgabe seiner Lieder ist von E. v. Groote, Lötn 1852, besorgt; dazn
wackernagel, Kirchenlied ll Nr. 650. 653f.
-ly-
rischer Natur — beinahe die Hälfte aller Dichtungen sind Mahn-
und Strafgedichte - und richten sich gegen die Ausschreitungen
des Ndels (dessen privilegierte Stellung aber nicht in Frage ge-
zogen wird, wie der Dichter auch die Kirche grundsätzlich in
Schutz nimmt), gegen böse Weiber und Korruption, gegen Juden
und hussiten und die Laster der Hoffart und Trunksucht. Über-
all verrät sich das Bewußtsein, von der Weltordnung eine sitt-
liche Mission erhalten zu haben — ein gegenüber. den Liedern
der hätzlerin durchaus neues Moment. Line Abweichung vom
Meistergesang stellen dagegen die reaktionäre politische Gesinnung
sowie die wiederholte Beziehung auf soziale und geschichtliche Er-
eignisse dar, die wir in einigen Liedern antreffen.
Michel Veheimh (1416 bis ca. 1474) aus Zulzbach in
Schwaben ist nach Stoff, Metrik und Gehalt seiner Dichtungen
durchaus den Meistersingern beizuzählen, obwohl er wahrschein-,
lief) keiner Sckule angehörte; jedenfalls ist auffällig, daß er der
doch bedeutend ältere Zeitgenosse des Hans Folz, lange vor dessen
Streit mit den Mainzern ausschließlich in Tönen eigener Er-
findung dichtete. In der außerordentlich hohen Auffassung, die
er von der Sangeskunst hat"), berührt er sich mit Muskatblut,
ebenso in der heftigen Polemik vieler seiner Gedichte. Er weiß
nicht nur seine Kunst in trefflicher Weise gegen stümperhafte
Dilettanten und persönliche Gegner zu verteidigen'), wobei ihm
das Bewußtsein, stets zur Zufriedenheit selbst des eifrigsten Merkers
die rechte Zilbenzahl gesetzt zu haben, inneren halt gewährt);
er ist zugleich ein unerbittlicher Kritiker seiner Zeit, der vor
y Gervinus a. a. (D. S. 176; fj amp e , Spruchsprecher etc. S. 27 f.;
Kühn, Rhythmik ii. Melodik Beheims, Bonn 1907; wackernagel,
Kirchenlied II Nr. 859—880; Gille, Die hist. u. polit. Ged. B.s Bin.
1910 (palaestra 96); B ü s chi ng , Samlg. f. altdeutsche Lit. u. Kunst, 1. Bd.,
1. Stck., Breslau 1812, S. 37—79; Th. G. v. Karajan, (Quellen u. Forsch,
z. vaterl. Gesch., Lit. u. Kst., Wien 1849, S. 1—66; i)oI|matin, Ger-
mania III (1858) S. 304—328; Balte, 10 Mstrldr. 111. B.s, Prager
deutsche Studien, 8. heft, Prag 1908, S. 401—421; vgl. auch Beheims Buch
v. d. Wienern. Hrsg. v. Karajan, Wien 1843.
2) Büsching Nr. 6, 11. Heidelb. Hs. Bl. 23—24; 220'; 223—223';
268—269; 283'-285.
3) Büsching Nr. 2; hoItzmann 5. 311. 327 f.
y Büsching Nr. 1 u. sonst.
— 20
Keiner Persönlichkeit und keinem Stande halt macht: Kaiser
und Städte, Fürsten und Herren, Bauern, Uichter, Soldaten, die
Weiber und die anmatzlichen Länger müssen sich seinen Tadel
gefallen lassen. Hber wo Muskatblut trotz aller Kritik hoffnungs-
freudig gewesen war, da ist Veheim verbitterter und verbissener
Pessimist, stets unzufrieden und einseitig, stets ohne auch nur be-
schränkte Anerkennung des Guten, ein Mensch, der keines frohen
Uufblicks, selten nur eines lebhafteren Effekts fähig war. Noch
mehr als bei Muskatblut hat bei ihm die Zcheltpoefie die scho-
lastisch-theologische Dichtung, die Minnelieder und die Gedichte
ohne Tendenz zurückgedrängt. Dabei zeigt sein Talent eine
formelle Unausgeglichenheit, die ihn neben temperamentvollen
und auch sprachlich durchaus lesbaren Gedichten die fadesten silben-
zählenden Ueimereien, neben sangbarer Tonsührung in einigen
seiner hauptmelodieen (gekrönte weise, Osterweise) die trockensten
Uecitative schreiben ließ.
Unharmonisch wie seine Dichtung ist auch der Charakter des
Mannes. Ein schwacher Wille bei starkem Talent hat aus ihm
fast im idealen Sinne eine problematische Natur gemacht. Die
Notwendigkeit, fremden Herren zu dienen, auf der einen Seite,
ein starker Freiheitsdrang und ein übertriebenes Selbstbewußtsein
des Künstlers auf der andern haben den launischen, extrem ver-
anlagten, unruhigen und nirgendsauf die Dauer befriedigten Dichter
von Land zu Land, von Hof zu Hof, von Stadt zu Stadt ge-
trieben. wieder und wieder hinderte ihn der Mangel jeglichen
diplomatischen Geschicks daran, sich zu der höfischen Umgebung
der von ihm gelobhudelten hohen Herren in ein erträgliches Ver-
hältnis zu setzen, so daß er stets nach kurzer Zeit in die unerquick-
lichsten Streitereiengeriet, bei denen er schließlich doch den kürzeren
zog. Dabei hatte er sein ursprüngliches Weberhandwerk, und
mit ihm seine persönliche Unabhängigkeit, freiwillig ausgegeben,
da er sich in der Kunst zu hohem berufen fühlte. So ist sein
Leben, das er einer heiligen Sache zu widmen gedachte, un-
befriedigend und qualvoll verlausen, und das Tnde war Menschen-
verachtung und humorlose Nörgelei, die den phantasielosen, aber
an politischen und sozialen Dingen lebhaft Unteil nehmenden
Mann, den zum Bohemien gewordenen Spießbürger, den Dichter,
der selten nur herzlich und gemütvoll, eher einmal grotesk und
21
bizarr zu reden verstand, in dem tragischen Konflikt von Wollen
und Können langsam aufrieben.
Staunenswert ist bei Beheim die Hülle der Produktion und
die Mannigfaltigkeit der Stoffe. Er ist in dieser Beziehung für
das 15. Jahrhundert, was Hans Sachs für das 16. ist. wir
finden bei ihm neben Gedichten über seine eigene Person Sieder
über die Dichtkunst, über Dinge der scholastischen Dogmatik,
ferner Legenden und Parabeln, religiös-didaktische Sieder, all-
gemein Moralisches und Strafgedichte gegen bestimmte Personen
oder Stände, über astronomische Dinge, Scherz- und Spottgedichte,
Schwänke.
Durch Eine Gruppe von Liedern unterscheidet sich Veheim
aber von seinen sämtlichen Zeitgenossen: er hat Paraphrasierungen
von Bibelkapiteln vorgenommen, wörtliche Bearbeitungen der
Schöpfungsgeschichte und der Sebensgeschichte Jesu, wie wir sie
sonst nur bei den protestantischen Meistern des folgenden Jahr-
hunderts antreffen: dadurch wird Beheim als eine einzigartige lite-
rarische Erscheinung der vorreformatorischen Epoche gekennzeichnet.
Mit Hans Sachs trifft er außer in der Hülle seiner Stoffe
noch in einem andern Punkt überein: bei ihm, wie bei jenem
überwiegt die weltliche Meisterdichtung die geistliche und zwar
etwa im selben Verhältnisse: von 353 Meisterliedern Beheims,
wie sie in der Heidelberger Handschrift und in dem gedruckten
Material vorliegen, zähle ich 194 weltliche und 161 geistliche —
wobei die Scheidung freilich nicht immer zweifelsfrei durchzu-
führen war.
Beheims historisches Interesse zeigt sich in einer Reihe von
umfangreichen Gedichten, in denen er etwa das Haus Habsburg,
die Türkenkriege oder die Universität Wien zum Teil mit munterer
Rnschaulichkeit besingt. In seinen Strafgedichten zeigt er Ver-
wandschaft mit Muskatblut, nur daß Beheim geradezu wahllos
alle Stände, Geschlechter und Lebensalter angreift und dabei
seine Polemik gegen einige ausgewählte Laster oder etwa den
jüdischen Glauben mit wütender Gründlichkeit in ausgedehnten
Zyklen niederlegt, die an vintlers ,,Blumen der Tugend" (1411)
und mehr noch an den um hundert Jahre älteren „Renner"
Hugos von Trimberg erinnern.
In seinen Parabeln, in denen er die Torheit und Schlech-
22 —
tigkeit der töett brandmarkt, tritt seine oft zynische Lebensver-
achtung besonders scharf hervor,- hier erscheinen alle Weiber als
erpresserische huren, und der Wolf, der Rffe, der Löwe in der
Eselshaut müssen zur Kennzeichnung des menschlichen Charakters
dienen. Von der Menschenliebe und dem befreienden Humor, die
die stofflich verwandten Gedichte Hans Sachsens erfüllen, findet
sich bei Beheim keine Spur.
von der religiösen Lyrik Beheims erregen die Vibelparaphrasen
das größte geschichtliche Interesse (s. 0.). Sie berühren sich in allen
wesentlichen Zügen mit denen des 16. Jahrhunderts, so in der
sorgfältigen (Quellenangabe, dem engen Rnschluß an den Text, in
der moralischen Schlußbetrachtung und derRusdeutung alttestament-
licher Dinge im christlichen Sinne. Und auch Beheim hat wie
Hans Sachs viele heilige Geschichten mehrmals paraphrasiert, ohne
sich jedoch in einer späteren Bearbeitung wörtlich an die frühere
anzuschließen; vielmehr hat auch er stets wieder den Text heran-
gezogen, d. h. die Vulgata, die er, im Unterschiede zu den pro-
testantischen Meistern späterer Zeit, erst ins Deutsche übersetzen
mußte, wie er selbst einmal in einer Bearbeitung der Schöpfungs-
geschichte angibt. Zur eine Benutzung vorlutherischer Bibelüber-
setzungen findet sich bei Beheim kein Rnhaltspunkt.
Rus dem Riten Testament sind vor allem die Urgeschichte
und die mosaischen zehn Gebote behandelt. Die Hauptmasse der
Paraphrasen betrifft aber die Erzählungen des Neuen Testaments;
besonders die Uindheitsgeschichte Jesu, und die wichtigsten Gleich-
nisse werden wieder und wieder in Verse gebracht. Einmal wird
sogar, wiederum in der Rrt der späteren lutherischen Meistersinger,
die ganze Lebensgeschichte Iesu systematisch in einem Zyklus von
zwanzig Liedern durchgearbeitet.
In einigen Zällen ist der Text durch lange auslegende Be-
trachtungen unterbrochen, die teils banale Erklärungen, teils aus-
malende Zusätze, teils allegorische Deutungen enthalten und zuweilen
vier-und sechsmal so umfangreich sind wieder erläuterte Text selbst.
Eine andre Gruppe bilden die dogmatischen und die religiös-
didaktischen Lieder. Jene haben die bekannten Spitzfindigkeiten
zum Gegenstände, mit denen die Scholastik den Zustand Gottes
vor der Schaffung der Welt, das Problem der Dreieinigkeit, die
Jungfräulichkeit Mariä u. a. aufzuklären suchte. Dabei fehlt es
— 23 —
Keineswegs an legendenhaften Zusätzen (über Engel und Teufel,
über das holz, aus dem das Kreuz Thrisli gefertigt wurde, u. a.).
viele der religiös-didaktischen Gedichte, die oft hymnenartig an-
muten, sind von echter lyrischer Begeisterung getragen und preisen
Gott Vater, Lohn und heiligen Geist als die Geber aller Güter
und die Lrleuchter des dichterischen Genius. Rndre rufen Gott
und Maria um Beistand gegen die Listen des Bösen an; andre
sind rein belehrend und teils mit allegorischem Schmucke versehen,
teils einfach darstellend oder mahnend.
wollten wir den lvert der dichterischen Persönlichkeit Beheims
auf eine kurze Formel bringen, so ließe sich sagen, daß die Un-
zulänglichkeit seiner Kunst aus dem Unvermögen fließt, wichtiges
und Unwichtiges, poetisches und poesiewidriges zu unterscheiden,
daß ihm jedes Empfinden für die Notwendigkeit eines organischen
Verhältnisses zwischen innerer und äußerer Form mangelt, so daß
er keinen Unstotz nahm, religiöse und didaktische Gegenstände in
lyrischen Strophen zu behandeln, deren Verse, etwa in der güldenen
weise, nur ganz wenige Silben enthielten, oder in denen gar,
wie in der hohen güldenen weise, jede einzige Silbe reimte, hier
hört jeder Ernst der Kunstübung auf, und fadeste Künstelei und
Spielerei tritt an ihre Stelle.
Gleichwohl beobachten wir bei demselben Dichter eine kunst-
technische Erscheinung, die auf eine gewisse instinktive Einschätzung
des formell Uichtigen zurückgeht und der wir noch öfter begegnen
werden: in einem fast rein beschreibenden Gedicht über eine Uord-
landsreise (Büsching Ur. lO) gebraucht Beheim eine Strophen-
form, die dem epischen Reimpaar außerordentlich nahe kommt:
xaab; b c c d; d e e f f g; die nächste Strophe beginnt mit g h h i.
praktisch betrachtet sind das Ueimpare, nur der erste Vers des
ersten Bars ist eine Waise; auch der Binnenreim als Verbindung
von Uuf- und Ubgefang beeinträchtigt den epischen Eharakter
des Gefüges kaum. Und etwas sehr Ähnliches finden wir in
seinem „Buch von den wienern", dessen strophische Gliederung
sich von dem Reimpaar nur insofern unterscheidet, als in ihm der
Wechsel von dreifüßigen weiblichen und viersüßigen männlichen
Versen fest geregelt erscheint. Rndrerseits gesteht der Dichter
seine formelle Unsicherheit in der Vorbemerkung zu seinem Epos
zu: „Dises sagt von den wienern vnd stet das man es lesen
- 24 —
mag als ainen Spruch, oder singen als ain liet.“ Bet allem Talent
war Beheim doch kein ganzer Künstler, wie er es als Mensch
bei aller verstandesmäßigen Einsicht in das Richtige doch zu keinem
erträglichen Verhältnisse zu lvelt und Mitmenschen brachte.
Buch unter denjenigen Liedern des 15. Jahrhunderts, die
sich einer größeren Gruppe nicht unterordnen lassen, finden sich
solche, die den Meistergesang selber behandeln. Sie heben den
exklusiven Charakter der Singekunst und ihre Schwierigkeiten
hervor') oder greisen mißliebige Sänger an2); gelegentlich wendet
sich wohl auch ein einzelner gegen die Gesamtheit seiner Kunst-
genossen"). Bm reichhaltigsten ist aber auch unter diesen Liedern
die religiöse Lyrik vertreten: da haben wir logisch-metaphysische
Spekulationen^), theologische Deutung von Erscheinungen der Tier-
welt), selbst Bllegorien aus dem landwirtschaftlichen Leben"). Die
Marienliedet) versteigen sich zum Teil zu geschichtsphilosophi-
schen Konstruktionen, und an erotischen Zutaten fehlt es auch
hier nicht). Bemerkenswert ist eine Paraphrase des Vaterunsers
vom hülzing wegen der Forderung, der Laie solle es in deutscher
Sprache beten, gleichviel ob die Priester die lateinische beibehielten').
Eine Bnzahl von Liedern, die an Bibelstellen anknüpfen,
sind verifizierte predigten, etwa über die zehn Gebote"), den
Bblaß") oder das Bbendmahl"), und haben die Kirchenlehre durch
y Bartsch, Kolm. Hs. Nr. 47. 92. Ferner Bartsch, (Ein Baseler Meister-,
gesangbuch, Beitr. z. (Quellenkunde d. altd. Lit., Straßburg 1886, S. 289 f.,
295 ff.
2) Bartsch, Kolm. Hs. Nr. 168.
s) Docen, Krit. Beschreib, e. Smlg. alter Mstrgsge., Beitr. z. Gesch. u.
Lit., Hrsg. v. Frh.v.Nretin, 9.Bd., München 1807, S. 1147. Linen Einblick in
das Leben der Sänger aus der Zeche gestattet das Lied b. Goedeke-Titt-
m ann, Liederbuch S. 383 ff., Hi. 11.
y So bei Jörg Breitling, wackernagel, a. a. G. Nr. 1045 s.
5) Bartsch, Kolm. Hs. Nr. 34.
6) heidelb. Hs. BI. 144 s.
7) Ebenda BI. 152' —154'. 150- 159'; vgl. auch 157' —159; ferner
156-157'.
8) wackernagel Nr. 1305. 1307.
9) Ebenda Nr. 536; Bartsch Nr. 195.
10) wacker na g e I Nr. 1054; Heidelb. Hs. Bl. 92-94.
*) Wacker nagel Nr. 1303.
") a. a. (V. Nr. 427.
— 25 —
ihreanschaulichen Auslegungen zweifellos dem Volke näher gebracht.
5luch an Polemik fehlt es einigen dieser Lieder nicht. 5o werden
in einem beachtenswerten Gedichte der Heidelberger Handschrift
die schwersten Höllenstrafen allen denen angedroht, die das Abend-
mahl in beiderlei Gestalt nehmen, eine Drohung, die sicher nicht
gegen die Priester, sondern gegen die hussiten gerichtet war.
Recht absonderliche Wege beschritt zuweilen die Legenden-
dichtung: ein sprechendes Marienbild, das einen Juden bekehrt*),
die Heilung eines enthaupteten Mädchens^), wunderbare Er-
zählungen über Rlbertus Magnus^) — Züge, die sich ähnlich aller-
dings auch in didaktischen Gedichten wiederfinden^. Erwähnt
sei auch ein in volkstümlichen Formen gehaltenes sozial gefärbtes
Kampfgespräch zwischen Ritter und Rauer, worin dem Edelmann
der Vorwurf gemacht wird, er lasse sich durch die Arbeit des
Landmanns ernähren^).
Die Liebeslyrik hat eine eigene Kunstform nicht zu ent-
wickeln vermocht, sie lehnt sich an das Minnelied oder an das
Volkslied an^). Dem Volksliede nähern sich auch die Lügendich-
tungen, die andrerseits aber den trocknen scholastischen Rufzäh-
lungen von Dingen aus der biblischen oder antiken Geschichte
oder gar aus der Länderkunde nahe stehnh.
Ein künstlerisches Prinzip, sei es nun bewußter oder unbe-
wußter Rrt, läßt sich in all.diesen kleineren vereinzelten Gedichten
nicht erkennen. Einige weisen eine gewisse Einheit von Stoff
und Form auf, die aber andren, vor allem Gedichten didaktischen
oder epischen Inhalts, wiederum völlig mangelt. Im allgemeinen
YGoedeke-Tittmann 5. 325ff.: Nr. I.
2) Wackernagel Ld. 2, Nr. 1063: hier liegt freilig altes Gut der
Spruchdichtung vor.
8) Körner, hist. Volkslieder, Stuttg. 1840, S. 201 ff.; Ambraser
Liederbuch, Hrsg. v. 3. Bergmann, Stuttg. 1846, Nr. 226.
*) Bartsch Nr. 79.
B) Keinz, Lin Meisters, d. 15. Ihts., Sitz. der. d. bair. Nk. d. IViss.,
1892, $.b53ff.;vgl. das enthusiastische Lied Peter Freps „vom edlenbawman"
5lmbr. Liederbuch Nr. 133.
6) vocen, Krit. Veschreibg. S. 1156; Keinz a. a. G. 5. 650 ff.; ähn-
lich die Lieder §. 661—683. Ganz den Ton des Volksliedes trägt auch das
Liebeslied Wurgenbocks, B r a g ur Bd. 7, Nbt. 2 (Lpz. 1802) S. 89 ff.
7) Bartsch, Tin Baseler Meistergesangbuch usw. 5. 281 ff., 297 ff.
— 26 —
wurden die besten Leistungen dort erzielt, wo der Dichter persön-
lich am meisten an seinem Stoff interessiert war, und wo er, was
grade bei diesen subjektiven Gedichten am häufigsten der Fall
war, sich einer einfachen Form bediente.
Der Meistersinger des l5. Jahrhunderts, der alle seine Zeit-
genossen und Vorgänger bei weitem überragt, ist Hans Folz
(um 1460). 3n ihm tritt uns zum ersten Mal in der Geschichte
des Meistergesangs eine überragende und durch sich selbst inter-
essierende Gestalt entgegen; hier ist das Talent zur dichterischen
Persönlichkeit, der Bohemien zum echten Künstler gesteigert. Nicht
als ob Folz in der Hauptmasse seiner Gedichte sich wesentlich von
seinen Sangesgenossen unterschiede: im Gegenteil, bei ihm tritt
die religiöse Lyrik viel einseitiger hervor als etwa bei Muskatblut
oder Beheim,- der sozial-didaktische Zug, der die Poesie dieser beiden
charakterisiert, mangelt ihm vollständig, und die Art seiner scho-
lastischen Dichtung unterscheidet sich zwar in Tinzelzügen vorteil-
haft von den Erzeugnissen anderer Dichter, sie zeigt aber doch
zugleich die Absurdität dieses ganzen Stoffgebietes mit seltner
Vollständigkeit und erbarmungsloser Schärfe auf. Die Bedeutung
von Folzens Persönlichkeit liegt weder auf dem Gebiete des Stoff-
lichen noch des Formalen, sie liegt im Grundsätzlichen, in der
Vertiefung der Fragestellung, wo es sich um das Wesen des
Meistergesangs handelt. Die entscheidende Tat ist die Stellung
die Folz gegenüber den Meistern der Mainzer Schule einnahm,
als Nestler aus Speyer, der verdienstvolle Schreiber der Kolmarer
Handschrift, es wagte, im Widerspruch zu der bisherigen Ge-
pflogenheit, die streng an der formellen Nachahmung der „zwölf
Meister" festhielt, in einem selbsterfundenen, dem „unbekannten"
Tone zu dichten. Falz trat mit Entschiedenheit aus Nestlers
Seite und beide verließen im Verlaufe des Kampfes die rhei-
nische Hochburg der Meisterkunst. Nestler ging nach Ulm, Folz
nach Nürnberg, und von jetzt ab wird Nürnberg zur wichtig-
sten pflegestätte des Meistergesangs. Die Kampflieder, die Folz
gegen die Mainzer Schule schrieb, überragen an prinzipieller
Bedeutung alles, was der Meistergesang des 16. Jahrhunderts
hervorgebracht hat. Lag bei Beheim stets der Künstler mit dem
Menschen im Streit, so steht uns in Folz eine kraftvolle männ-
liche Dichterpersönlichkeit gegenüber, welche ganz auf die Kunst
— 27
und nur auf die Kunst gegründet ist1).
Holz erblickt, ebenso wie Mügeln, in der Philosophie das
eigentliche Arbeitsfeld des Meistergesangs. Vas „in den Himmel
Zielen", das er freilich den reifen Meistern vorbehalten wissen
will, also die metaphysische Spekulation, die theoretische und prak-
tische Einsicht in die Welt, ist ihm das Ziel, von einer tieferen
Erfassung der Philosophie kann bei ihm freilich nicht die Nede sein.
Er gesteht seine Unkenntnis ein, sucht aber auf eigne Hand den
theologischen Mysterien auf den Grund zu gehn, mit dem Er-
gebnis, daß eine restlose Erkenntnis sich für ihn als unmöglich
herausstellt. Uber weit entfernt, sich hierdurch zum Zweifel an
der Wahrheit der Dogmen verleiten zu lassen, erklärt er vielmehr,
daß das Denken zur Erlassung der letzten Dinge nicht ausreiche,
d. h. doch, daß über dem Denken der Glaube stehe2).
Über die religiöse Lyrik des Hans Holz mögen einige kurze
zusammenfassende Ungaben genügen. Uls Ganzes angesehen zeugt
sie von eingehender Beschäftigung mit den Lehren der Kirche und
von dem Bestreben, diese Lehre nicht nur für die eigene Person
durchzudenken, sondern die Ergebnisse solchen Nachdenkens auch
den Sangesgenossen mitzuteilen, vom ästhetischen Standpunkt
aus steht allerdings der gedankliche und spruchartige Charakter
des Stoffes zu der in formeller Hinsicht rein lyrischen Behand-
lungsart in einem Widerspruch, der nur wieder beweist, wie
wenig selbst den bedeutendsten Meistersingern das Gefühl für die
notwendige Bedingtheit der Horm durch den Stoff eigen war.
Im Vordergründe der Betrachtungen steht auch bei Holz die Jung-
frau Maria und das Dogma von der unbesieckten Empfängnis,
h vgl. über Nestler und Falz Goedeke, Germania XV (1870) 200;
G o e de Ke, Gött. Gel. Nnz. 5t. 24 (1872), 1144; Noch, Meistersinger, Baijr.
Blätter XIII 113; Wertheim, Entstehg. u. verlauf d. d. Mstrgsgs., Progr.
Tilli 1897, s. 16; Mich els, H. Sachs. . , Voss. 3tg., Sonnt. Beil.Nr. 26 (18Y0);
Y am p e, Mstrgsg. und Reform, a. a. <D. S. 159 f.; Lütck e, Studien z. Philos.
d. Mstrsgr. (palaestra Bd. 107), Bin. 1911; Bartsch, Nllg. V. Biogr. XXII
447; Folzens Meisterlieder sind herausgegeben v. Nug. L. Mayer als 12.
Bd. d. Deutschen Texte d. Mittelalters, Hrsg. v. d. Ngl. Pr. Nk. d. Miss.,
Berlin 1408.
2) „Solche und ähnliche Proteste gegen das Denken treten stets auf,
wo sich der selbständige Gedanke im Mittelalter regt. Sie sind ein typisches
pater peccavi": Lütcke S. 14 ff., bes. 5. 22.
— 28 —
das nach allen Leiten gewendet und erläutert und unter Heran-
ziehung gelehrter Literatur, so des Augustinus und selbst der Zoo-
logie, bekräftigt wird. Zuweilen trifft der Dichter wohl auch in
Stoff und Strophe einen echt lyrischen Ton, so in den hpmnen-
artigen Liedern Nr. 54 und 74. Auch die Trinität und die beiden
Naturen in Thristo werden in einer Neihe von Gedichten mit
scholastischer Spitzfindigkeit abgehandelt. Ebenso zieht der Dichter
das Prinzip des Bösen, den Tod und das Jüngste Gericht in
den Kreis seiner Erwägungen. Schließlich sind auch bei Falz
einige Lieder lediglich predigten prosaisch-erbaulichen Tharakters,
sei es über irgend ein theologisches Thema, dessen Ausführung
durch Heranziehung einiger Bibelstellen gestützt wird, sei es über
eine neutestamentliche Stelle oder auch über ein Kapitel des Alten
Testaments, bei dem dann aber eine „christliche" Nuslegung nicht
fehlen darfi): dieser Zug, ebenst) wie die gelegentliche genaue
(Quellenangabe'), scheint bereits das folgende Jahrhundert vor-
auszunehmen.
Weitaus am wertvollsten aber, sowohl in historischer wie
in poetischer Hinsicht, sind die polemischen Lieder über die Meister-
kunst - weniger diejenigen, die sich, meist sehr temperamentvoll,
gegen persönliche Gegner wenden^), als jene Neihe, die den grund-
sätzlichen Fragen der Dichtkunst gewidmet ist. Zunächst sind es
noch die Wormser Meister, vor denen Folz sein Programm ent-
wickelt: wenn die Dichter über verschiedene Gegenstände singen
wollten, so sollten sie auch verschiedene Töne dazu gebrauchen,'
Gott habe auch jedem Vogel seinen besonderen Ton gegeben; es
sollte sogar verboten sein, die alten Töne immer wieder zu
verwenden; auch sei es verkehrt, wenn in den Meisterliedern
immer nur aus Ketzerei gefahndet werde und nicht auch auf
andere Fehler, die das Wesen der Poesie näher beträfen. Und
das 93. Lied hält den Meistern Neidhart von Neuental stoff-
lich und technisch als Muster vor. Die alte Tradition von den
zwölf Meistern fübrt Folz all ubsurcium (Nr. 94), indem er
') Nr. 33. 36. 61. 63.
2) z. B. „Man Hst 2 Regum 5 capitulo", Auch das wörtliche Zitieren
von Kapiteln aus der Bibel kommt vor: s. die Erzählung der Auferstehungs-
geschichte (Nr. 80).
3) Nr. 41. 43 f., 46 f.
— 29
scheinbar anfängt, die Zwölf auszuzählen, dabei aber viele Dutzend
Namen beibringt und schließlich diesen Widerspruch dadurch zu er-
klären sticht, daß es in jeder Generation zwölf Meister gegeben
habe, die aber nach ihrem Tode ständig durch andre ersetzt worden
seien'.) Das eigentliche Nevolutionslied aber ist das neunzigste:
die alten Meister, ruft er, sind überwunden, mancher neuere hat
bessere Gedichte gemacht,- jeder soll singen, wie es ihm der Himmel
eingibt; der wahre Meister ist, wer sowohl weise wie Worte
selbständig erfindet: paßt er seine Worte einem fremden Tone
an, so ist er wie einer, der halb beschuht, halb barfuß geht.
bewundernswert sind an diesen Liedern die persönliche, aus
dem herzen strömende Nede, der Freiheitsdrang und das künst-
lerische Gewissen,- bewundernswert auch die historische Nenntnis
und Erkenntnis, welche die zwölf alten Meister nicht gradezu
leugnet, aber doch mit aller Schärfe die Relatioität jedes künst-
lerischen Maßstabes betont und für die Gegenwart nicht als bin-
dend erachtet, was für die Vergangenheit vielleicht vorbildlich
gewesen war,- höchst bemerkenswert auch die hohen Rnforderungen,
die er in diesen Gedichten an die Dichtkunst stellt: scheint er doch
in der Tat die Notwendigkeit eines inneren Zusammenhanges
von Inhalt und Form zu erkennen; und mit starker Betonung
stellt er die Natur über Convention und Reflexion, die Intuition
über die Tradition, Neidhart über Frauenlob.
wenn Folz seine Ideen nicht überall in die Wirklichkeit
umgesetzt hat, wenn er trotz allem im wesentlichen die ausge-
fahrenen Geleise weiter benutzte, so ist das nicht zu verwundern.
Dennoch darf nicht verkannt werden, daß er mit seiner theore-
tischen Einsicht nicht allein seine Zeitgenossen, sondern auch das
l6. Jahrhundert, einschließlich Hans Sachsens, entschieden überragt.
Die Forderung Nestlers und Folzens, jeder Meistersinger solle
das Recht und die Pflicht haben, eigene Töne zu erfinden, ist
bald Allgemeingut der Sängerschulen geworden. Ein Fortschritt
') 3n der letzten Strophe dieses Liedes bringt §olz, gleichsam im Über-
mut auf seine eigne dichterische Kraft pochend, 18 Reime auf ein Wort, wie
chn auch sonst die Sucht, durch formelle Bravourstücke zu glänzen, wiederholt
zu wenig geschmackvollen Künsteleien und entstellendem Reimzwang ver,
führt hat (Nr. l. Z u. ö.). — Schon die persönlicher Polemik gewidmeten
Lieder waren übrigens in den neuen Tönen eigner Erfindung, dem verborgenen
"n!fftMl?unbekannten Tone, gedichtet und komponiert.
— 30 —
der künstlerischen Leistungen läßt sich für die Zeit nach 1460 aller-
dings nicht feststellen: grade für die zweite Hälfte des 15. Jahr-
hunderts fließen die Quellen des Meistergesangs überaus spärlich,
und im Beginne des sechzehnten riß die kirchliche Keformbewegung
wie alle übrigen kulturellen Betätigungen so auck den Meister-
gesang völlig in ihren Bann, so daß von einer organischen Weiter-
entwicklung der Tendenzen des 15. Jahrhunderts nicht gesprochen
werden kann.
Bei den Meisterliedern des 15. Jahrhunderts haben wir es,
wenn wir von der verhältnismäßig kleinen Anzahl rein erzählender
Gedichte absehen, fast durchweg mit Lyrik zu tun, Gefühls- und
Gedankenlyrik, Lied- und Spruchdichtung. Innerhalb der den
Vordergrund einnehmenden religiösen Poesie repräsentiert die
Mariendichtung die gefühlsmäßige, die dogmatische Dichtung die
verstandesmäßige Lyrik. Die von irdischer Minne und von Kampf
und Wettstreit über künstlerische Gegenstände handelnden Lieder
lassen sich der ersten, die theoretischen Auseinandersetzungen über
Kunst sowie die gesamte Didaktik der zweiten Gruppe anschließen.
Die balladenartigen Schwänke finden gleichfalls innerhalb der
Lyrik ihren Platz. Lyrische Gegenstände werden also in lyrischen
Maßen behandelt, und ein Gegensatz zwischen Inhalt und Form,
wie wir ihn wiederholt feststellen konnten, geht fast stets auf
eine Verwischung der Grenzen zwischen Lied und Spruch zurück,
ein Fehler, der grundsätzlich weit eher zu entschuldigen ist als
etwa ein Übergreifen der Lyrik in die Epik oder umgekehrt.
Buch abgesehen von dieser Formfrage können Männer wie Mus-
katblut, Beheim oder Folz, trotz ihren offensichtlichen Schwächen,
als Künstler Anspruch auf Beachtung erheben, und der Meister-
gesang als Kollektiverscheinung hat dadurch, daß er den neuen
Ideen Nestlers und Folzens den Lieg ermöglichte, seine künst-
lerische und kulturelle Lebensfähigkeit und Existenzberechtigung
erwiesen^).
y Vgl. das etwas überschwängliche Lob des 15. Jahrhunderts beiyoltz-
mann, Germania Bd. 3 (1858) 5. 307.
31
Zweites Kapitel.
Das 16. Jahrhundert außer Hans Lachs.
Die Reformation hat den Meistergesang von Grund aus
umgestaltet. Indem er sich ganz in den Dienst der großen Zache
stellte, verzichtete er daraus, als Selbstzweck zu gelten. Die Kirche,
die den Sängern des 15. Jahrhunderts eine conäitio sine qua non
gewesen war, wird jetzt zur causa efficiens der Sangeskunst.
Die Meisterdichtung erniedrigt sich freiwillig zur Magd der neuen
Theologie und gibt damit alle die Vorteile eines befreiten Indi-
vidualismus auf, die Hans Holz für ihn erstritten hatte.
Nicht minder beträchtlich war die stoffliche Einbuße durch
das verschwinden der Marienlyrik, für die der Psalter mit seiner
fremdartigen Diktion umso weniger Ersatz bot, als hier wie über-
all eine möglichst wörtliche Verwendung der Lutherschen Ueber-
setzung Vorschrift war. Diese Busschaltung jeder freieren Bearbei-
tung einer Vorlage zusammen mit der Prinzipienlosigkeit der
Dichter in der Ñuswahl ihrer Stoffe, die man mit gleicher Be-
reitwilligkeit den erzählenden wie den lyrischen Partien beider
Testamente, den jüdischen Propheten wie den Spruchsammlungen
und Paulinischen Episteln entnahm, ferner die fast durchgehende
Inkongruenz von Thema und Meise, die häufig Ursache wurde,
daß die Schlußmoral die größere Hälfte des Gedichts einnahm,
bloß weil ein zu umfangreiches Gesätz gewählt worden war, -
all dies dürfte bereits zur Genüge andeuten, daß der künstlerische
wert der religiösen Meistergesänge des 16. Jahrhunderts hinter dem
des fünfzehnten zurückbleibt,- und auch die zahlreichen historischen,
didaktischen und schwankhaften Gedichte, die man anfertigte, haben
das künstlerische Durchschnittsnioeau nur wenig gehoben.
Eine Übergangserscheinung besonders bezeichnender Ñrt stellt
Jörg Grasfi) (ca. 1520) dar. Ñus dem Landsknecht und volk-
lieddichter, der mit sicherer Beobachtung und zuweilen ergreifen-
der realistischer Kraft das Leben des Söldners und der Soldaten-
dirne, die Macht des Hellers und das Schicksal der durch Trägheit
y Gskar Schade, Graff u. h. Mitzstat, weim. Iahrb. 4. Bd. (1856)
5. 44 ff.; w ackernagel Bd. 5 Nr. 447-451. 957; Uh land, Volkslieder
Nr. 189.
32 —
und Gleichgültigkeit verkommenen geschildert, der in andern Liedern
alte Motive des Volksliedes künstlerisch verwendet oder die Jung-
frau Maria um Vergebung seiner schweren Sünden angefleht hatte,
wurde ein engbrüstiger Meistersinger und Tendenzdichter, der für
Luther Partei nahm, den katholischen Klerus angriff, den Papst
bekämpfte und Friedrich den Meisen feierte. Vas einzige weltliche
Gedicht aus dieser zweiten Periode ist ein Scheltgedicht gegen
die falschen Zungen.
heftige Polemik gegen die katholische Geistlichkeit wird
überhaupt zur Mode: ein Gedicht') Niclas Manuels, schlecht
gereimt und grob, aber in volkstümlichem Tone gehalten, sei
als Beispiel dieser Gattung genannt. Andere Dichter wie Hans
Gber^) legen in ihren Liedern populär-wissenschaftliche Bbhand-
lungen religiösen Inhalts nieder, aber selten findet sich ein ori-
gineller Zug wie in dem Liede von Pamphilius Gengen dach,
in dem der zweite Schächer am Kreuze dem in der Hölle darbenden
Adam die Erlösung der lvelt berichtet). Nur hin und wieder
gelingt einem Meister ein schlichtes Kirchenlied, wie wir von
Friedrich Zöllner eins besitzen, der auch sonst in religiösen Ge-
dichten die Diktion und metrische Form des Thorals beherrscht).
Das folgende Vierteljahrhundert brachte den Meistersingern
in Nürnberg im Jahr 1540 ein Druckverbot für Meistergesänge,
in Mainz gar von ca. 1536-1562 ein Singeverbot: die die Buf-
sicht führenden städtischen Negierungen sahen wohl aus politischen
Gründen das eifrige Eintreten der Handwerker für die Nefor-
mation nur ungern^); und so sind der sicher datierbaren Meister-
gesänge aus dieser Zeit noch weniger als aus den früheren
Perioden. — Tin typischer Vertreter des Meistergesangs dieser
Jahrzehnte war der in Magdeburg wirkendende Valentin Voigt
0 wackernage! Bö. 3 Nr. 473.
h Ebenda Nr. 567.
3) p. Gengenbach, Hrsg. v. K. Goedeke, Hannover 1856, S. 39 ff-,
541 ff.
4) Neide Lieder find wahrscheinlich aus dem Jahre 1525. Berliner
Hs. 5. 394 ff., 397f.; ein weiteres Lied des Verfassers s. Bert. Hs. 5. 69 ff.
-') Sch norr v. Garolsfeld a. a. (D. S. 31; Noth, Atschr. f. Nulturgesch.
<E. Bö. (1896) S. 267 ff.
— 33 —
aus Themnitzh, der sich durch die Anfertigung der Jenaer Hand-
schrift ohne Zweifel größere Verdienste erworben hat als durch
seine systematischen Versifizierungen der Genesis, des Psalters und
der Evangelien, bei denen die wässrige, wenn nicht geradezu
törichte moralische Nutzanwendung das mangelnde Talent wahr-
lich nicht zu ersetzen vermochte. Kaum besser als diese sklavischen
Paraphrasierungen sind seine gleichfalls von fremden Mustern
abhängigen und großenteils frivolen weltlichen Lieder aus Ge-
schichte, Lage und Schwankliteratur.
Schwankstoffe waren auch der Hauptgegenstand der Meister-
lieder Hans Vogelsh, der, etwa von 1538—1549 tätig, durch
feine meist gegen Weiber und Pfaffen gerichteten Lieder aus die
prosaischen Schwanksammlungen der Folgezeit eingewirkt hat,
während die zu Zyklen zusammengescklossenen Gedichte des etwas
jüngeren Michel vogel'h vorzugsweise von den Volksbüchern
des 15. und 16. Jahrhunderts abhängig sind.
Bereits hier seien die Lieder aus dem letzten viertel des
16. Jahrhunderts, aus deren Hülle leider nur wenig gedruckt ist,
erörtert, damit die Betrachtungen der Hans Sächsischen Dichtung
den Abschluß bilden können.
Der Augsburger Johannes Sprengh, ein Gelehrter, der
h hültze i. d. Geschichtsblättern f. Stadt u. Ld. Magdeburg, 21. Zahrg.
(1886) 5. 59—71; Uh le i. 9. Jahrbuch d. Der. f. Lhemnitzer Gesch. (1897)
S. 159-192.
9 Volte i. Schnorrs Archiv Bd. 127, S. 273 ff.; Uoethe, ctll, D.
Biogr. Bö. 40S. 120; BI ontanus’ Schivankbücher, Hrsg. v. Balte, Mb.1899,
Anhg. Nr. 41 f.
3) Balten Schnorrs Archiv a. a. (D.S.299 ff.; ü) ickrams lvke., Hrsg,
v. Balte u. Scheel, Tiib. 1901 ff., Bö. 1 S. XXXVI ff. - Ivickram selber war,
zwar auch Meistersinger, doch ist kein Bleisterlied von ihm erhalten; einige
andre Lieder sind in seine Romane eingestreut (Bö. 2 S. 66-68; 286 f.;
291 f.; vgl. ebendort S. XIVII). - Andere Schwanklieder aus dieser und
der nächstfolgenden Zeit bei Montanus, Anh. Nr. 28. Im Tone des Volks-
liedes: Ztschr. d. Ver. f. volkskde., 3. Iahrg., Bln. 1891, 5.60 s, abgedruckt
v. Balte; eine Singschule bei hart ma n n, Deutsche Mstrldr.-Hss. i. Ungarn
(s. o.) S. 71 ff.; durch seine Einkleidung interessant das satirische Gedicht
des Hans Sigel von weil. Ivackernagel Bö. 2, Nr. 1306, vgl. Uoethe,
All. D. Biog. Bö. 34, S. 250.
4) Kein3, Sitz.ber. d. Kgl AK. d. wiss., München 1898, (heft 2) 5.153-
200; Uoethe, Alltz. v. Biogr. Bd. 35 S. 288 ff.; Und. Pfeiffer, Vifs.,
Mün chen 1914 (auch als Sonderdruck erschienen).
34
den Vvid, Dergiln, Iosephus, Erasmus und, als erster Deutscher, die
3lias ziemlich fehlerfrei in die heimischen Knittelverse übertrug,
hat als Meistersinger zwar keinen eigenen Ton erfunden,
die von ihm benutzten fremden aber nicht wahllos angewendet,
sondern eine Beziehung zwischen seinem Stoff und dem Namen
des Tones einzuhalten gesucht,- er zeichnet sich vor seinen Zeit-
genossen durch sprachliche Glätte und Gewandtheit aus; fast jeder
Vers ist bei ihm eine Sinneseinheit, von ihm sind einige Schwänke
und eine Schulkunst gedruckt. Die Schwankliteratur dieser Zeit
zeigt zum Teil humanistische Einflüsse^), vernachlässigt aber daneben
auch nicht die einheimische Überlieferung: Hans Weidner be-
arbeitet die Sage der Weiber von Weinsberg^), andre Lieder
zeigen Verwandschaft mit der grobianischen Literatur8), wieder
andre versifizieren Teile der Haustsageh. — Die Ausbreitung
und reiche Tätigkeit der Meistersinger zu dieser Zeit wird uns
u. a. durch das Bestehen von Meisterschulen in Mähren bezeugt?)
Am erfreulichsten wirken die anspruchslosen kurzen Schwank-
gedichte wie Daniel Holzmanns Lied von dem Ehezwist, der
durch die Namen von Meistertönen humoristisch charakterisiert
wird8), oder das Stoßgebet des Voglers, das sich in seltsamer
Mischung aus den Bitten des Vaterunsers und derben Flüchen
zusammensetzt), oder einige Gedichte Hans Deisingers, der um
die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts lebte8).
h z. B. Georg vanbeckhs Lied, Montanus, Nnh. Nr. 15, oder das
folgende Lied.
2) ebenda Nr. 30.
s) ebenda Itr. 27 (üon Iochem Glockenthon), Nr. II.
\ Zwei Lieder Friedrich Beers, Euphorion Bd. 1, 5. 787 f; Bd. 6,
5. 679 ff., abgedruckt von Holte.
s) Ndolf Ritter von wolfskron, Beitr. z. Gefch. d. Nlstrgfgs. i.
Mähren: Schriften der mähr.-schles. Ges. d. Ackerbaus etc., 7. heft, Brünn
1854, 5. 43-54.
e) 1)artmann a. a. (D. Beilage Br. 6. In seiner Schulkunst (Jonas,
Ztschr. d. hist. Ges. f. d. prov. Posen, 2. Zahrg. 1886 S. 20 ff.) zeigt sich holz-
mann als Plagiator an Hans Sachs, vgl. dessen Gedicht bei tvackernagel
Bd. 2 Nr. 1405. Line Bibelparaphrase Holzmanns in der Berliner Hs.
S. 164 f.
7) Festschr. z. h. Sachs-Feier, Weimar 1894 S. 65 f., abgedr. v. Bolte.
") Montanus Nnh.Nr.29; weim. Festschr. 5.62.65; besonders
bemerkenswert die Wendung in dem Gedicht über Luther, wo der Teufel,
nicht Luther, das Tintenfaß an die wand wirft.
35
Deifinger war neben Hans ©beider ((Blöghler)1, Benedikt
von Matt und Georg hager ein Erneuerer der Nürnberger Meister-
schule, die nach Sachsens Tode in starkem verfall begriffen war.
Nun führte man eine Scheidung der lyrischen Meistersinger von
den dramatischen durch und erzeugte durch Sammlung und Nach-
ahmung älterer Lieder eine künstliche Nachblüte. Benedikt von
MatK), eifriger Lutheraner, aber als Dichter krasser Dilettant,
der vor allem die Passionsgeschichte und den Jesus Zirach in Verse
brachte, zeigte, wie schon Michel Vogel, einen sonst seltenen hang
zu zyklischer Dichtung; Karl den Kühnen und Zriny hat er in je
neun, die Tellsage in sechs Liedern behandelt. In feinen Schwänken,
die zumeist von fremden Mustern abhängig sind, bevorzugt er das
Grobianische; an dem Schwank „Bin weib verspott den teuffei mit
eim furtz" interessiert die Zchlußwendung: der Teufel möge sich
zu seinem Herrn dem Papste fortmachen. Die dem Boccaz
entnommene Zweideutigkeit vom entliehenen Mörser entbehrt so-
wohl der witzigen Darstellung wie der satirischen Spitze gegen
den Klerus, die doch sowohl bei der italienischen Vorlage wie
bei Hans Sachs vorhanden ist.
Georg Hägers^) Gedichte zeichnen sich zum Teil dadurch
vorteilhaft aus, daß sie in einfachen, kurzen Strophen abgefaßt
sind und auf persönlichen" Erfahrungen desj Dichters, ebenso
aus Beobachtung des Nürnberger Volkslebens, beruhen; sehr gut
erzählt ist auch der Schwank von dem Bauernsohn, der in der
Stadt studiert hat und dadurch vollends unklug geworden ist.
Um die Hebung der Meisterkunst war Ndam Puschmann be-
sonders eifrig bemüht, „der bemerkenswerteste Vertreter des sinken-
den Meistergesanges"^). Nicht nur daß er die älteste theoretische
') Lin Lied von ihm ist durch Volte abgedruckt i. d. Ztschr. f. ver-
gleich. Lit. gesch. Bd. 7 (1894) S. 452; ein andres Verl. Hs. 5. 190 ff.
h hampe, Venedickt v. lvatt, Cuphorion Vd. 4 (1897) 5. 16 — 38;
S t a i g e r, V. v. 1V., Berl. Biss. 1908; Hiontanus a. a. ®. Nnh. Nr. 43;
lveim. §estschr. S. 61 (Hrsg. v. B o lt e).
3) Volte, 6 Meisterlieder G. Hägers, Alemannia Bd. 22 (1894, 5.159-
184;) weim. Zestschr. 5. 68 f.; L e r l. h s. 5. 399 f.
*j H o c t f) c , 5lllq. D. Biogr.Vd. 26. S. 732 ff., G o e tz e , Monographie
üb. den Mstrsgr. 5ld. Puschmann v. Görlitz, Neues Laus. Mag. Bd. 53 (1877)
S. 59 —157; Botte, Ein Mstrgfg. v. 5L, p. Iahrb. d. ver. f. Niederd. Sprach-
forsch. öd. 22 (1896 S. 150 f.; Martin, Die Mstrgsge. v. 5l. p. auf d.
Stratzb. Münster, h. Sachs-Zorsch., Nürnberg 1894, 5. 382-396; B e r l. h s.
an verschiedenen Drten.
— 36 —
Schrift über den Meistergesang verfaßt hat: er hat auch nahezu die
dreifache Zahl von eigenen Meistertönen erfunden als Hans Lachs.
(Er glaubte durch Schaffung neuer formen den verfall der Kunst
aufhalten zu können. Mit Ausnahme seiner eigenen Töne (die
übrigens fast alle nach Vögeln benannt sind) hat er jeden Meister-
ton nur einmal benutzt) ja er scheint es als seine Aufgabe er-
kannt zu haben, eine möglichst große Anzahl von Tönen durch-
zuprobieren, und bei dieser systematischen Durcharbeitung hat er
sich die Stoffe nach den Tönen, oder vielmehr ihren Namen, aus-
gesucht. Aber so hoch Puschmanns Auffassung vom Meistergesänge
war, so gänzlich unbedeutend sind seine Produktionen. Wort-
getreue Versifizierungen der Lutherschen Bibel, obszöne oder ge-
schmacklose Schwänke, eine in den dreizehn Meistertönen Sachsens
angefertigte genaue Beschreibung des Straßburger Münsters mit
seiner Geschichte'), Aufzählung der Tabulaturregeln in den „Schul-
künsten", dürre religiöse Lieder mit angehängter Marals: all dies
ist wohl geeignet, uns davon zu überzeugen, daß der Meister-
gesang als künstlerische Erscheinung am Ende des 16. Jahrhunderts
im Absterben begriffen war) selten nur, das Puschmann einmal
einen lustigen Schwank zu erzählen weiß wie den von den ..Dörnern
mit dem pfaffen“3), in dem er sogar die Pommern platt sprechen
läßt) doch sticht auch hier die Diskrepanz zwischen epischem Ge-
halt und lyrischer Form in Ghr und Buge. Auf poetische Wirkung
kann höchstens das dritte Gesätz des „Elogium reverendi viri
Johannis Sachsen"4) vom Jahre 1576 Anspruch erheben) die
beiden ersten Gesäße — alle sind in verschiedenen Tönen gedichtet —
enthalten nur Nachdichtungen von autobiographischen Liedern
Sachsens sowie eine Aufzählung der Sächsischen Werke) das letzte
Gesätz in der Traumweise Müglins enthält den Traum, in dem
der Dichter den altersschwachen Hans Sachs, seinen verehrten Lehrer
erblickt - eine gemüt- und liebevolle Schilderung, die aber in die
unbeholfenste Zorm gekleidet ist, zu der der Inhalt in gar keinem
Verhältnisse steht.
Martin a. a. G.
2) © o e a. a. O. Nr. 2. Z. 7. 8. 11. 16. B e r I. ff s. 5. 14 ff., 25 ff..
236 ff., 295-308.
s) Botte a. a. (D.
*j © oetze Nr. 13.
— 37
ÍDenn auch bei den Meistern des 17. Jahrhunderts keinwandel
zum Bessern eintrat, so lag das, abgesehen von dem Mangel an
Dichterperfönlichkeiten, vor allem daran, daß dem Meistergesänge
kein neues Stoffgebiet eröffnet wurde; denn-die Bibelparaphrase
darf höchstens in der Kulturgeschichte, nicht aber in der Geschichte
der Dichtkunst einen Platz beanspruchen, und der künstlerischen
Gestaltung eines Zchwankstoffes zeigen sich doch nur die aller-
wenigsten Dichter gewachsen. Ñus dem Ñnfange des l 7. Jahr-
Hunderts sei nur Ñmbrosius Metzger genannt (etwa von 1623
bis 1633 tätig), von dem wagenseil die „Hreiung" abdruckt,
einen Zyklus von zwölf Baren, versifizierte Prosa, die uns das
handwerksmäßige dieser Kunst so recht zum Bewußtsein bringt.
In der Zchwankdichtung leistet Metzger, der seinen zahlreichen
Tönen die seltsamsten Namen zu geben beliebte, Erträglicheres:
hier schließt er an Sachs an und weiß zuweilen eine lustige Ñnek-
dote lustig zu erzählen^.
Schon diese kurze chronologische Übersicht, die freilich den haupt-
dichter, Hans Sachs, nicht einbezieht, zeigt, daß es eine geschicht-
liche Weiterentwicklung des Meisterliedes im verlause des 16. Jahr-
hunderts nicht gegeben hat. Stoffumfang und künstlerische Ge-
staltung sind zu Beginn des 17. Jahrhunderts genau die gleichen
wie in den ersten Jahren der Keformation. Zu der stofflichen
Umgrenzung der Meisterlyrik des 15. Jahrhunderts, die ja im
wesentlichen theologischer Ñrt war, gesellt sich im 16. Jahrhundert
die textliche Gebundenheit an die Lutherbibel. wobei einem Be-
heim oder Holz bildlicher Ñusdruck und selbst tieferes Nachdenken
l) z. B. Luphorion Bb. 7 (19Q0) S. 225 ff.; EDeim. Festschr. S. 70, beide
Gedichte von Balte abgedruckt. — von sonstigen Uteisterliedern aus
dem Beginn des 17. Jahrhunderts seien noch angeführt: zwei Lieder von
Heinrich lv o l f f über zeitgenössische Ereignisse (die Ermordung tvallensteins
und den Sieg des sächsischen Generals ñrnim bei Liegnitz), abgedr. von
Balte im Liter. Zahrb., Eger 1895, Bd. 5 S. 20 —24; ein anderes Gedicht
desselben Verfassers mutet mit seinen einsilbigen Versen geradezu wie eine
Parodie anwart mann, Deutsche Meisterlieder-lffs. i. Ungarn 5.96); ein
Lied Georg I ch i n g e r s singt in drei Gesätzen und drei verschiedenen
Tönen das Lob der Reformation bei ihrer ersten Zentenarfeier; ein Gedicht
„Die fröhlich Meyenzeitt" enthält in der ersten Strophe eine lyrische Schil-
derung des Frühlings, geht dann aber zu religiösen Betrachtungen über
(S t r e i n z , Zur Gesch. d. Mstrgsgs i. Straßburg, i. Zahrb. f. Gesch. etc.
Els.-Lothr., 9. Iahrg., 1893, S. 76 ff.).
— 38 —
bemerkbar gewesen waren, erblicken wir nur mehr öden Luch-
stabenglauben, der den großen Fortschritt vom dogmatischen Christen-
tum zur verinnerlichten persönlichen Erfahrung, „von Paulus
zu Christus", wie ihn die Deformation in ihren besten Vertretern
gezeitigt hatte, ebenso wenig ahnen läßt wie die rationalistischen
und skeptischen Ideen oder gar den praktischen Ñnarchismus, den
dasselbe äußerlich und innerlich aufgewühlte Zeitalter hervor-
gebracht hatte').
Ñus der Leihe der nicht genauer datierbaren Meisterlieder des
16. Jahrhunderts werden im folgenden nur diejenigen genannt
werden, die in irgend einer Beziehung von der vurchschnittsnorm
abweichen. Unter den religiösen Liedern der Berliner Handschrift,
die sich nicht an einen bestimmten Bibeltext anschließen, ist vor
allem ein inniges, in der ersten Hälfte sogar poetisch schönes
Büßlied bemerkenswert, das eine Steigerung von verzagter Furcht
vor dem Tode zu glaubensfreudiger Todeshoffnung in sich b'rgth.
Ñuch an religiöser Gedankenlyrik in echter Lhoralform fehlte? nicht
ganz"). Die moralischen Ñbschlüsse von Bibelparaphrasen sind
hin und wieder ins Ñktuelle gewandt, so wenn die Obrigkeit einmal
zur pflege der Witwen und Weisen aufgefordert') oder wenn
gegen den Klerus polemisiert wird"). Ñm bedeutsamsten ist aber
ohne Zweifel die zwei Strophen umfassende Moral eines Liedes,
das die Spaltungen in der christlichen Welt beklagt und die Christen
auffordert, sich nicht als Päpstliche, Schwenkselder, Calviuisten,
Zwinglianer oder Wiedertäufer zu fühlen und jeden Ñndersge-
sinnten zu verachten und zu bekämpfen, sondern vielmehr das
Gemeinsame ihrer Konfession, die Religion Christi, zu betonen").
Ein einziges rein weltliches Gedicht, ein Liebeslied, findet
sich in der Berliner Handschrift"), aber es ist jedenfalls
das poetisch bei weitem wertvollste, ja beinahe das einzig wert-
volle der ganzen Sammlung: ein ganz scklichtes Lied von fünf
*) vgl. wh. viIthep, Auffassung u. Analyse des Menschen i. 15. u
16. Iht.,Archiv f.Gesch.d. Philosophie IV 604 ff., V 357 ff., 480ff., VI 60ff.usw.
*, B e r l in c r h a n d s ch r i f t 5. 97 ff.
3) ebenda S. 262 ff.
h 5-51 ff.
°) S. 9. ff.
6) S. 78 ff.
7) S. 398 f.; Verfasser ist Hans Weidner.
— 39 —
kurzen Meisterstrophen, das ein wandernder handwerksbursche,
der das Singen und das Arbeiten als Beruf empfindet, beim
Fortgang aus der Stadt, in der er eine Zeitlang sein Brot ver-
dient hatte, seiner Liebsten zum Abschiede sang.
Die Lieder über den Meistergesang drücken wiederum den
exklusiven Stolz auf die holdselige Kunst aush. Aber auch die
rührend kindliche Bescheidenheit einer Novizen lernen wir kennen")
wie andererseits den Entschluß eines Sängers, der die eigene Un-
zulänglichkeit fühlt, trotz allem Spott seiner Kunst, die ihn be-
seligt. treu zu bleiben^).
Einige Tiersabeln des 16. Jahrhunderts teilt Wilhelm Grimm
mith, während unsere Kenntnis der schwankhaften Liedliteratur
auch für diese Zeit in der Hauptsache auf den Veröffentlichungen
Voltes beruh?).
Die ganze Epoche des 16. Jahrhunderts (außer Hans Sachs),
die doch den Meistergesang von Grund aus umgestaltet hat, bietet
keine einzige starke Dichterpersönlichkeil, die unser Interesse zu
fesseln vermochte; kaum treffen wir hier und da auf ein religiöses
Lied, das einem warmen Herzensbedürfnis entsprang, kaum aus
-ein paar Schwänke, die gut und witzig erzählt und in der Form
nicht allzu verfehlt schienen, nur ganz vereinzelt auf ein Liebes-
lied oder ein Lied über die Meisterkunst, das uns einige Anteil-
nahme abnötigte; überall sonst nur platteste Reimerei, mechanische
Silbenzählung, herzlose Geschwätzigkeit. Die Gründe für diesen
künstlerischen Rückschritt sind bereits dargelegt worden; erschreckend
ist aber der Unterschied zum 15. Jahrhundert. Db das 16. Jahr-
hundert in seiner Gesamtheit vom Ltandvunkte der ästhetischen
Wertung seiner Meisterdichtung mit dem fünfzehnten auf gleiche
Stufe wird gestellt werden können, wird lediglich davon abhängen,
ob die Meisterpoesie des Hans Sachs den ohne ihn gewaltigen
Unterschied auszugleichen vermag.
h" 5767 ff.
h S. 207 ff.
3) S. 163 f.
4) ID. Grimm, Tierfabeln bei den Meistersängern, Nbh. Bd. erl. Hk.
d. wiss.. 1855 — 1856 S. 1-27.
&) B o 11 e in Montanas, flnf). tlr. 38, Schumanns Nachtbüchlein (Tüb.
1893), Nnh. Nr. 8. 9; Forsch, z. Branbenb. u. preuß. Gesch. Bb. 11 (1898)
S. 201—205; Unser Lgerland, 1. Iahrg. (1897) 5.9 s. . Z a r n ck e i. Brants
Narrenschiff (Lpz. 1854) 5. 455 f.: vgl. INones Nnz. Bd. 4 (1857) 5p. 399 f.;
3 i n g e r I e in Germania, 5. Iahrg. (1800) 5. 101—105.
- 40 —
Drittes Kapitel
Hans Sadjs'
Das IDenige, was aus der ungeheuren Nasse der Neister-
lieder des Hans Lachs in zusammenhängenden Sammlungen
‘) 3n dem nachfolgenden Verzeichnis, das die wichtigste Literatur über
Sachsens Meistergesang zusammenfaßt, sind auch die Schriften angeführt, die
erst im zweiten Teil dieser Arbeit herangezogen werden.
Literatur. Ch.Schweitze r Etüde sur la vie et les ouvres de H. S,,
Paris 1887; G enee, h. 5. u. seine Zeit, Lpz. 1894 <vgl. dazu die Rezension
v. Drescher, Euphorion Bd. 1, 5. 801 ff.); W a ck e n r o d er, h. S., in v. d.
Hägens Germania, 1. Bd., Bln. 1836, S. 291 - 294 (eine ausgezeichnete erste
literarhistorische Würdigung des Dichters.; Götze, h. S., Bav\x. Bibi. Bö. 19,
Bambg. 1890; (E. Schmidt, h. S., ein Gedenkblatt, Deutsche Rdsch. Rov. 1894,
5. 233ff.; Goedeke, Grdr. I408 ff.; Goedeke, Gott. Gel. Linz. St. 29
(1872) 5. 1138 ff.; Gervinus, Gesch. d. Rat.litt. d. Deutschen. Bö. 11° S.
693 ff.; Roch. Mstrsgr., vortr., Bapreuther Blätter Bd. 13, heft 4, 5, S.
105 ff.; hampe, Mstrgsg. u. Reform, usw. S. 161 ff.; Lier, Stud. z. Gesch.
d. Rürnb. Fastnachtsspiels, Lpz. Diff. 1889 S. 37 ff.; Michels, h. S. u. die
Rürnb. Singschule, Voss. Ztg. Rr. 26-28; Dr escher, Stud. z. h. 5., 2 Teile,
Bin. u. Marburg 1891; Drescher, Die Spruchbücher des h. S. usw., Rürnb.
Festschr. 1894, 5. 209 ff.; Drescher, h. S. u. Boccaccio, wenn. Festschr. 1894;
G oetze, Reue Mitteil. . ., Schnorrs Archiv Bd. 11 <1882) S. 51 ff.; Go etze,
tffuellen d. h. S.. 26. Bd. der Werke, 5. 167—232; Luther-Bibel v. 1541,
wittenb. bei Hans Lufft; Boccaccio, De Claris mulieribus, übers, v.
Stainhöwel, Hrsg. v. Drescher, Tüb. 1895; Boccaccio, Decameron, übers,
v. Arigo, Hrsg. v. Reller, Stuttg. 1860.
Quellen (außerdem). Hans Sachs, Hrsg. v. Reller u. Goetze, Stuttg.
u. Tüb., 26 Bde.; Sämtl. Fabeln u. Schwänke, Hrsg. v. Goetze u. Drescher
Haller Reudr., 6 Bde., 1803 ff.; h. §., eine Ausw. v. Ioh. Adam G oez,Rürnb.
1829/30, 4 Bdchn.;h. S'. Werke, Hrsg. v. Arnold, Bln. u. Stuttg., s. a. (Kürsch-
ners Rat. litt. Bd. 20); H.S., sein Leben u. s. Dichtg., Hrsg. v. Lützelberberger
u. Frommann, Rürnb. 1891; Rob. Raumann, Ueber einige hff. v. h. S.,
Lpz., Ricolaischule 1843, S. 3ff.; Schumanns Nachtbüchlein, Hrsg. v. Bolte
Tüb. 1893, Anhänge; ein Schwank Hrsg. v. B o 11 e, Forsch, z. Brand, u. preuß.
Gesch. Bd. II (1898) 5. 201 ff.; wickrams wke., Hrsg. v. Bolle u. Scheel,
Bd. 1. Tüb. 1901, S. XVI ff.; Balte, Tuph. Bd. 1 (1894) S. 52 ff.; Bolte,
Ztschr. d. ver. (.Volkskunde Bd. 4 (1894) S. 34 ff.; Geper, Altdeutsche Tisch-
zuchten, progr. d. Frdr.-Gpmn. zu Alienburg 1882, S. 30 ff.; D o c e n s Mis-
cellaneen, 1. Bd. (1807) S. 280 ff.; h e r t e l, Ausführt. Mitteil. . . ., Zwickau
1854, Iahresber. d. Gpmn. 5. 3 ff.; hartmann, Deutsche Mstrldr.-Hss.
i. Ungarn, München 1894, S. 74 ff.; G o e d e k e u. T i t t m a n n , Liederbuch
aus d. 16. Jht. (Deutsche Dichter Bd. 1), 2. Aufl. Lpz. 1881,5. 325 ff ; PH. M.
Körner, histor. Volkslieder, Stuttg. 1840, S. 141 ff.; Fr. S ch n o r r v. Tarols-
feld, 3. Gesch. d. d. Mjtrgsgs., Bin. 1872, S. 43 ff.; Michels, z. Gesch. d
— 41
gedruckt ist, beschränkt sich, abgesehen von dem ersten Bande
seiner von Goedeke und Tittmann ausgewählten Werke, auf die
paar Lände schwankhafter Meistergesänge, die Goetze und Drescher
seit 1893 herausgegeben haben. Die stoffliche Einseitigkeit die-
ser Auswahl läßt uns freilich keinen zutreffenden Gesamteindruck
von der Meisterdichtung Sachsens gewinnen.—
Hans Sachs, der zwar das Größte nicht als Meistersinger
geleistet hat, wurzelt dennoch innerlich ganz und gar in Meister-
sang und Meisterschule. Seiner ganzen Natur nach in der Mitte
zwischen Schule und Volk stehend, fühlte er sich verpflichtet, seine
in ernstem Studium oder durch gelegentliche Lektüre erworbenen
Kenntnisse der Mitwelt zu vermitteln, d. h. in erster Linie den
Zchulgenossen, in zweiter den breiten Dolksmassen. Sein Ziel
wie das Ziel des gesamten Meistergesanges war proclesse et
äelectare: religiöse Erbauung, didaktische Förderung, und Be-
lustigung. Der Eharakter seiner Dichtung als Zweckdichtung ist,
zusammen mit seiner Neigung, die Muse zu kommandieren, da-
für verantwortlich, daß ihre erträglichen Erzeugnisse unter einem
Wust von minderwertigem und totem Material fast verschwinden.
Das liegt weiter aber auch an der Wahllosigkeit, mit der er
seine Stoffe bearbeitete. Er hat den größten Teil seiner Lektüre
in Verse gebracht: die Bibel, den Boccaccio, Üsop, Livius, plutarch,
Josephus, den nordischen Historiker Ulbert Krantz, Volksbücher
und Schwankgedichte. Lernte er ein neues Buch kennen, das
ihm zusagte, so fertigte er zuweilen an einem Tage drei oder
vier Gedichte über den eben gelesenen Stoff an; und hatte er,
seiner meistersingerischen Pflicht eingedenk, zunächst ein Lied ge-
dichtet, so mochte er doch auch weiteren Kreisen die Früchte seiner
Lektüre nicht vorenthalten, und er nahm die Umdichtung in Neim-
paare vorh. Das geschah nicht immer ganz mechanisch; beider
„Wittenbergischen Nachtigall" hat er z. B. das Spruchgedicht auf
Uurnb. Theaters i. 16. Iht., vierteljahrsschr. f. Lit. gefch. Vd. Z. Weimar 1890,
5. 43 ff.; Michels. 6nz. f. d. 61t. Bd. 18 (1842) S. 354; S t i e f e l. Ztfchr.
d. ver. f. Volkskunde, Bd. 10, Bin. 1400, S. 74 f.; ffampe, Ueb. ff. S.'
Traumgedichte, Ztfchr. f. d. d. Unterricht Bd. 10, Lpz. 1840, 5. 616 ff.; Göt-
tinger ffandfchrift; Berliner ffandfchrift.
') Derartiger Doppelbearbeitungen zähle ich 455: von diesen ist bei
821 die Liedfassung, bei 55 die Spruchfassung die ältere; bei 74 liegen beide
bearbeitungen vom gleichen Datum vor und hier ist das Lied stets in einer
der reimpaar-ähnlichen Strophenformen abgefaßt.
— 42 —
700 Zeilen ausgedehnt, während das Lied nur 81 Zeilen
einnimmt: das Lied beschränkt sich aus die allgemeine Tendenz,
der Spruch will breiter ausmalen. Lolche Rücksicht auf die Natur
der Dichtungsgattung ist aber verhältnismäßig selten. Im großen
und ganzen begnügt sich Hans Lachs damit, die Liedweise nach
dem Umfange seines Stoffes zu bestimmen oder aber einen Ton
zu wählen, dessen Namen sich mit dem Inhalt des Gedichts be-
rührt'). Von einer bewußten Ungleichung von Sorm und Inhalt
oder gar von einer gewollten Dissonanz zwischen beiden zum
Zwecke scherzhafter Wirkung kann wohl, trotz Goedeke'), keine
Nede sein, wichtiger ist, daß Hans Lachs von der Zeit ab, da
er sich auch in seinen Meisterliedern der erzählenden Lchwank-
dichtung zuwandte, die einfacheren weisen, vor allem die Lpruch-
weise und den Nosenton, zu bevorzugen beginnt: hierin dürfen
wir wohl eine freilich nur durch poetischen Instinkt veranlaßte
Unnäherung des epischen Gehalts an die Zorm des epischen Ueim-
paars erblicket?).
was die numerische Stärke der verschiedenen Dichtungs-
gattungen bei Hans Lacks betrifft, so zeigt die diesem Kapitel
beigegebene Tabelle, daß Lachs mehr als doppelt soviel Meister-
gesänge wie Ueimpaardichtungen verfaßt hat. Bezeichnend ist auch
die Vorherschaft der weltlichen über die geistlichen Meisterlieder.
Innerhalb der Lyrik, die von 1526—1556 durchweg überwiegt,
*) So werden in der Schlangen- und vrachenweise hilprants nur
Schlangen- und vrachengeschichten erzählt, ohne daß aber alle Vrachener-
zählungen in einer dieser Weisen gedichtet wären: vgl. G o e tz e 13b. 25
Nr. 2254. (Ein Gedicht über dreierlei Nasen ist im Nosenton abgefaßt:
Hertel S. 13 ff., ein Gedicht über Christi Leiden, am Charfreitag 1548
gedichtet, im passionai des Hans Falz: Gott. Hs. Bl. 136f., ein Gedicht
über die Läuseplage in Ägypten mit dem Anfang „Als got straft durch
vii wunder“ in Folzens Strafweise: a.a.G. Bl. 141 f., ein Lied mit dem
Anfang „Mose kam zum perg sinay“ in der überhohen Bergweise: Bl.
189 ff., eins über den Hopfen im Bier in der Hopfenweise IN. Vogels: S ch w ä n-
ke V 706, ein anderes über „die gesamelten engel“ in Hans Vogels
Cngelweise: G 0 e tz e Bd. 25 Nr. 2148, ein weiteres über die keusche Jung-
frau Brasilla im Frauen Ehrenton des Ehrenboten: a. a. C>.Nr. 1365, eines
über den „plutgirig^n Katilina“ in der Blutweise des Hans Falz: a.a.G,
Nr. 1687 u. s. f.
Ä) Goedeke-Cittmann. stusro. S. XXXV.
3) vgl. die Bemerkung über Leheims Buch von den Wienern.
— 43 —
hat die geistliche Dichtung bis zum Jahr 1536 die Oberhand:
dies ist die Zeit der Vibelparaphrase. Nach der Nusschöpfung
dieses Stoffvorrats beginnt das vorwiegen der weltlichen Meister-
dichtung (1536 - 1552, mit einer geringfügigen Schwankung 1540);
in diesen Jahren werden auch die beiden episch gefärbten Töne
erfunden, die jetzt wachsende Bedeutung gewinnen: die Spruch-
weise (1538) und der Nosenton (1541). Im Jahr 1548 erreicht
die Schaffenskraft des Dichters, speziell im Meistergesänge, den
Höhepunkt, von 1553 tritt die geistliche Lyrik wieder in den
Vordergrund, aber zugleich überschreiten die Spruchdichtungen zum
ersten Mal die Zahl 50. Die vorwiegend weltliche Spruchdichtung
löst die weltliche Meisterdichtung ab und erreicht 1562 und 1563
die höchsten Zahlen. Das letzte Lied ist vom 8. Dezember 1567,
der letzte Spruch vom 15. Mai 1573 (vgl. hierzu die statistische
Uebersicht am Schlüsse dieses Kapitels).
Nutzer in 272 Meistertönen hat Hans Sachs in 29 hofweisen')
gedichtet, von denen 16 oder 17 seine eigene Erfindung sind.
Die Lieder dieser Nrt gehören zu seinen besten und ansprechendsten
Gedichten, lvenn Sachs die hofweisen nicht ausgiebiger benutzt
hat, obwohl sie ihm gestattet hätten, sich mit ihnen nicht nur
an die Nürnberger Handwerker, sondern an das ganze Volk
seiner Vaterstadt und darüber hinaus zu wenden, so liegt dies
eben daran, datz auch Sachs das aristokratische Selbstbewutztsein
der Meistersinger teilte, mit dem sie sich über die gemeinen volks-
dichter erhoben, datz auch er zu sehr in den Nnschauungen der
Schule befangen war, um eine häufigere Loslösung von ihr oder
gar eine ernsthafte Kritik an ihrer Kunst als Bedürfnis zu em-
pfinden. Ivo dem Dichter an einer allgemeineren Verbreitung
seiner lyrischen Erzeugnisse lag, blieb ihm zudem stets der Nus-
weg offen, seine Lieder in Sprüche umzuwandeln.
') Daß die dem Volksliede verwandten Fj o f t ö n e von den Meister-
weisen grundsätzlich zu unterscheiden sind, folgt sowohl daraus, daß sie in
den Verzeichnissen der Meistertöne nicht aufgezählt werden, wie auch aus
ihrem Vau selber: er ist fast überall einfacher als der Bau der Mehrzahl der
Meisterstrophen; er hat zuweilen die volksliedartige Wiederholung des
letzten Wortes der Strophe mit „ja"; er ist vor allem in manchen Fällen
nicht dreiteilig, sondern zweiteilig wie die Strophe des Volksliedes; die
veimbildung ist etwa aabb oder aabccb oder aabxb oder auch
ababcdcd (wobei die beiden Strophenhälften genKu gleich gebaut sind).
— 44 —
Auf eine chronologische Besprechung der Sächsischen Meister-
lieder kann verzichtet werden, da alle grundsätzlichen Verschieden-
heiten in den Dichtungen Hans Sachsens rein stofflicher Natur
sind. Diese äußere Entwicklung sei im voraus kurz bezeichnet:
in den ersten sieben Jahren seiner dichterischen Tätigkeit die
herkömmliche scholastisch-theologische Lyrikh, daneben einige Liebes-
lieder; fast gleichzeitig Bearbeitungen aus Boccaccio'"); 1520 —
1523 Studium der Lutherschen Lehre, Aussetzen der poetischen
Produktion; im nächsten Jahrzehnt Versifizierung der Luther-
BibeV); allmähliches hervortreten der Schwankdichtung; 1546 —
1555 Zeit der stärksten Produktion (2461 Meisterlieder); dann
Abnahme der Lied- gegenüber der Spruch-, besonders der Dramen-
Dichtung.
Es ist weder möglich noch nötig, die gesamte Meisterlyrik
Hans Sachsens, auch nur soweit sie gedruckt vorliegt, Lied für
Lied zu behandeln. Es genügt, das Charakteristische heraus-
zugreifen, um Gehalt und Arbeitsweise des Dichters zu erkennen.
Es sollen zunächst Hans Sachsens Ansichten über seine Kunst an
der Hand einiger Gedichte ausgewiesen, sodann seine Kirchenlieder
und Bibeldichtungen, ferner eine Auswahl der Schwänke ohne Nück-
sicht auf den Stoff, dann seine Bearbeitungen aus Dvid und
Boccaccios Decameron und schließlich seine Benutzung historisch-
prosaischer (Quellen behandelt werden. Zur deutlicheren Kenn-
zeichnung des Zusammenhanges von äußerer und innerer Zorm
') Über seinen verehrten Lehrer Lienhard Nunnenbeck, der ihm ein
schwächliches, aber korrektes Vorbild war, vgl. yampe, L. N., llTitteil. d.
Der. f. Gesch. d. Stadt Nürnb. 1895, II. ffeft, S. 173 ff., lvackernagel
Bb. 2 Nr 1402.
2) Das erste religöse Meisterlied stammt aus dem Jahre 1513 die
Liedfassung der Historie von Guiscardo und Gismonda ist von 1516. Sach-
sens Vorbild hat die profane Dichtung der Meistersinger wieder in Auf-
nahme gebracht.
:t) Aus dem Alten Testament hat Sachs den Psalter, den Prediger,
Jesus Sirach, das Buch Nuth (1 Mal), Esther (3 Mal), Hiob (3 Mal), Zona
(6 Mal), Judith (3 Mal), Tobia (3 Mal). Susanna (3 Mal), Maccabäer
Buch 3 (1 Mal) in je einem Bar vollständig versifiziert, aus dem neuen
Testament das Ev. Matthäi in einer großen Nnzahl von Gedichten gleich-
falls vollständig verarbeitet. Die übrigen Bücher Nlten und Neuen Testa-
ments sind zwar nicht vollständig, aber doch zum größten Teil in Liedern
behandelt worden; vgl. das Verzeichnis bei Goetz e Bd. 26, S. 193—230.
— 45 —
wird es, wo angängig, von Nutzen sein, das Verhältnis des
Dichters zu seinen Duellen darzulegen sowie einige charakteristische
Beispiele der Doppelbearbeitung in Lied- und Zpruchform zum
vergleiche heranzuziehen.
Sachsens Gedichte über die Meisterkunst, die noch seiner
vorresormatorischen Periode entstammen^), unterscheiden sich in
wesentlichen Punkten von den späteren^). Bei jenen liegt der
Schwerpunkt der Forderungen an den Sänger in der Menge
des praktischen und theoretischen Wissens: der Dichter soll über
eine umfassende Bildung verfügen, er soll über theologische Dinge,
über die Hierarchie von Kirche und Staat, über das Leben jedes
Standes das Nötige wissen, um jedem Publikum genügen zu
können; und er soll durch poetische Neuschöpfungen sich die Un-
sterblichkeit zu sichern suchen. In den späteren Gedichten über-
wiegt die sittliche Tendenz: der Meistersinger soll Prediger und
Erzieher sein, der das Publikum für die christliche Sittenlehre
empfänglich macht,- aus der Bibel und aus der Geschichte soll er
seine Lieder formen und in ihnen zeigen, was als gut und böse
anzusehen ist; das sei die echte Kunst, die unter dem Schutze der
Musen stehe.
Der Wandel vom ersten Ideal zum zweiten ist charakte-
ristisch für die Entwicklung der Meisterkunst vom 15. zum 16. Jahr-
hundert, zugleich aber für die Entwicklung bei Hans Sachs selbst,
der mit der Hauptmasse seiner Produktionen natürlich der zweiten
Epoche angehört.
In dieser zweiten Periode, d. h. nach seinem Übertritt zum
Protestantismus, hat Hans Sachs eine ganze Nnzahl seiner ka-
tholischen Kirchenlieder „christlich" verändert, indem er etwa
„Christus" statt „Maria" einsetzte und sonst verbesserte, wo der
Sinn es gebov). Den dichterischen wert beeinflussen diese Än-
derungen nicht. Einige wenige haben echt lyrischen Gehalt, so
der Dialog zwischen Christus und einem gläubigen Sünder (wacker-
nagel Bd. 3 Nr. 87) oder der in die Zorm eines Tageliedes ge-
kleidete wachruf zur Nndacht (Nr. 82); hier lassen die Einfachheit
des Versmaßes und die Einfalt der Sprache und der Gedanken
h L ü tz e l b e r g e r - F r o m m a n n, S. 47 ff., 50 ff ; Sch n o r r S. 43ff.
2) Goedeke , ftusro. i S. 80 ff.; Fjertel S 32 f.
3) wackernagel, Bb. 3 Nr. 80 f. 84—87.
46 -
über die Länge und wissenschaftliche Busführlichkeit hinwegsehen.
In andern Liedern macht sick der Drang zur epischen Breite
störend bemerkbar (Nr. 83 und besonders 105). Vas „Teuätscke
Patrem“ (Xtr. 103), das dem Lutherschen Liede (Br. 23) nach-
gebildet ist, läßt den Unterschied der beiden Dichter deutlich er-
kennen: während Luther jeden Brtikel in einer Strophe erledigt,
verwendet Sachs auf jede einzelne Bestimmung eine volle Strophe
und fügt außerdem nach moralisierende Ermahnungen hinzu. Buch
in der Verarbeitung der zehn Gebote (Hans Wachsens Lied Ur. 102,
Luthers zwei Lieder Ur. 22 und 26) steht Sachsens didaktische
Weitschweifigkeit in unerfreulichem Gegensatz zu Luthers bündiger
Sachlichkeit,' wo Luther 20, resp. 48 Zeilen gebraucht und seine
Zusätze aus positive Ermahnungen beschränkt, finden wir in Hans
Sachsens zehn Strophen immer zwei Drittel des Baumes der
Moral und der Betrachtung gewidmet.
Hans Sachsens Bearbeitungen der Psalmen')nehmen sich trotz
wörtlichstem Bnschluß an die Vorlage fast wie Parodien aus.
Das poetische ist abgestreift, der stoffliche Gehalt in gereimte
Prosa verwandelt, vor allem: die Unmöglichkeit, die stilistischen
Eigentümlichkeiten der hebräischen Poesie wörtlich ins Deutsche
zu übertragen, ist dem Dichter nicht klar geworden. Buch Luther
bält sich zumeist ziemlich eng an den biblischen Text, aber bei
ihm ist die Strophe stets logisch gegliedert: der Bbgesang enthält
eine Begründung, Folgerung oder Zusammenfassung (Ur. 5 „Bus
tiefer Bot"); oder das Original wird prägnanter gestaltet und
der Strophensorm angepaßt (Ur. 27, Bearbeitung des 124. Psalms).
Zudem wird die Singbarkeit des Liedes gewahrt, und die Strophe
überschreitet fast nie die Länge von neun Versen, von all
diesen Vorzügen des starken, urwüchsigen dichterischen Talents,
das sich mit einem sicheren, wenn auch unreflektierten künstle-
rischen Taktgefühl verband, ist in Hans Sachsens Psalmliedern
nichts zu finden. Wo er vom Original. abweicht, ist es zum
Schlimmeren: seine Fassung des 15. Psalms (Gott. Hs. Bl. 87' f.)
verwässert die Vorlage auf etwa das Vierfache des Umfangs,
ohne einen neuen Gedanken hinzuzufügen; von einer Gliederung
des Stoffes nach strophischen Gesichtspunkten ist überhaupt nicht
die Bede.
>) ebenda Nr. 88-101.
47
In seiner Vib eldichtung bringt f)ans $acfjs, genau wie
die übrigen Meistersinger, in der Regel ein Kapitel oder einen
Teil eines Kapitels der Bibel so wörtlich wie metrisch möglich
in Verse; der Darbietung des Textes folgt im dritten Gesätz die
Moral. Die Ouelle wird meist nach Titel und Kapitelzahl an-
gegeben; der Dichter tritt hinter den erbaulichen Gegenstand voll-
ständig zurückh. Nur selten finden wir eine freiere Behandlung
des Textes, so wenn der Wortlaut eines Abschnittes aus Jesu^
8irach durch fromme Mahnungen unterbrochen^) oder eine haba-
kuk-Stelle in eine predigt umgewandelt oder eine Weissagung
bei Jesaja durch einen christlichen Hinweis ergänzt wird^). hin
und wieder bemerken wir, daß Auslassungen stattgefunden
habenh oder daß eine summarische Kürzung vorliegt), hu-
manistischen Linfiuß verraten die Zusammenstellungen verwandter
Dinge, meist in Triaden, aus verschiedenen Teilen der Bibel, etwa
der drei Zölle, wo Gott für seinen Sohn zeugt, oder der drei
frömmsten jüdischen Könige oder der drei Hauptfeinde David;*),
hier finden sich auch zuweilen allegorische Buslegungen, die an
die scholastischen Grübeleien des vorhergehenden Jahrhunderts
erinnern: der Berg Sinai bedeutet das Gesetz, die wüste Lin-
öde die Unfruchtbarkeit der menschlichen Werke usw.J
Die Lchluhmoral, die in der Mehrzahl der Lieder allge-
meiner Brt ist, enthält in zahlreichen anderen, in denen Stoffe des
Riten Testaments verarbeitet werden, einen Hinweis auf christ-
liche Verhältnisse: das Opfer Brons wird auf Thristus, die sieb-
zig erleuchteten Juden (4 Mose 11) werden auf die Busgießung
des heiligen Geistes, die zwölf Steine des Josua auf die 12 Junger
gedeutet). Buch ein unmotiviertes hineinziehen christlicher Vor-
stellungen in den alttestamentlichen Text selbst begegnet gelegent-
h Eine Ausnahme Gött. h \. 148'-150, wo Sachs sich gegen die
Beschuldigung des Ivuchers verteidigt.
’) Berl. Hs. S. 4—6
3) Gött. h s. 17—19'; 159'—161'; 136-137.
4) Berl. Hs. 60-62.
r>) ©ött. h s 109'—111'.
e) Gött. Hs. 145-147; 182'-186'; 186'—189.
') ebenda 189-191' ; vgl auch das Lied 127'—129'.
8) ebenda 94-96; 109'—111'; 113-114'; 200-201; 207'-2ll;
229-230'.
— 48 —
ltdjL). In einigen Liedern, bei denen der Inhalt das nahelegte,
nimmt der Schluß die Form eines Gebets arE).
Mehr Interesse bieten die tendenziösen Schlußmoralen, die
eine spezifische, wenn auch nicht ausschließliche Zugabe Hans
Sächsischer Bibelparaphrasen sind. Der babylonische Feind der
Juden oder auch der Pharao wird dem Papste gleichgesetzt, gegen
den der Dichter die Hilfe Gottes anruft. In andern Liedern
werden katholische Vorstellungen bekämpft). Ja, einige Gedichte
aus den Jahren 1548—1552, die ihre Tendenz gegen die „Ty-
rannen" richten, haben direkten Bezug auf Albrecht Klcibiades,
der die Reichsstadt Nürnberg einer schweren Belagerung
unterzog und gegen den Hans Sachs seinen berühmten Klage-
spruch vom l6. Juni 1552 richtete, wie er auch wenige Wochen da-
rauf das 34. Kapitel Jesaja in eine Prophezeihung des Zornes
Gottes und einen geharnischten Protest gegen die Tyrannen um-
dichteteh. vereinzelt ist dagegen die rein weltliche Buslegung
ff ebenda 87'-88'. weit seltner die Deutung einer neutestament-
lichen Erzählung durch parallelstellen aus dem ñlten Testament: Verl,
h l 153 ff.
2) ©ött. Hs. 15'—17; 153'—155; 263-264
ff ebenda 77-78'; 90-91'; 141—142'; 105'—107'; Berl. Hs.
122 -126
ff ©ött. Hs. 241 '—243'; ähnlich 227'—229 und Berl. hs. 187—
190. vgl. auch ©ött. h s. 249'—251. vom 16. 3ult 1554 ist der etwas
blaß allegorisch gehaltene Plassenburg-Dialog datiert, worin Sachs die Zer-
störung der dem Markgrafen gehörigen Burg befürwortet; vgl. Siegfr. w e r -
nicke, Die Prosadialoge des h. 5., Diss. Berlin 1913. hier sei noch der
Schluß eines weltlichen Liedes über einen persischen Tyrannen beigefügt,
©ött. Hs. 51' — 52':
„Wer noch dint aim tirannen recht
Der lonet im zv letz
gleich wie der deuffel seinem Knecht
kumpt er im in sein netz.“
vemerkenswert ist auch der patriotische Schluß zweier anderer weltlicher Lieder
aus den Jahren 1546 und 1547: im ersten wird, nach plutarch, die Ge-
schichte der ñretaphila erzählt, die, von einem Tyrannen zur The gezwungen,
gegen ihn und seinen Nachfolger Verschwörungen anstiftet, mit Mühe der
Folterung entgeht und.ihr Leben im Kloster beschließt: ©ött. Hs. 276' —
278; der Dichter preist sie hoch wegen ihrer Treue und schließt:
„Wer noch trew ist seim vaterlant
Erlangt lob preis vnd Er“.
— 49 —
einer biblischen Geschichte, wie sie dem Bericht über das Gesetz
von der Verfluchung der Ehebrecherin (4 Mose 5) beigefügt ist')-
Der Mangel irgend eines erträglichen Verhältnisses zwischen
dem vorwiegend epischen oder didaktischen Inhalt dieser Gedichte
und ihrer Liedform läßt sie als künstlerisch vollkommen verfehlt
erscheinen. Zuweilen, wie bei der Speisung der Fünftausend'^),
kann man in all dem Keimgeklingel und den metrischen Absätzen
und pausen kaum den Inhalt erkennen^). Auch Weissagungen,
Psalmen, Klagen Ieremiä werden in Versen behandelt, die oft
aus einer einzigen Silbe bestehen^), während die Versifizierung
alttestamentlicher Spruchsammlungen mit ihrem parallelismus
und ihren anaphorischen Wiederholungen sich einem Dichter mit
Formgefühl von vornherein verboten hätte. Sehr vereinzelt
ist der Fall, daß eine Textstelle in wirkliche Lyrik, die den Ton
des Kirchenliedes hat, umgesetzt isV).
In mehreren Fällen ist dagegen der Stoff durch die Form
beschränkt worden. Denn wenn ein Lied über Simson mit der
Blendung abschließt), oder wenn in einer Bearbeitung des Jesus
Sirach zu Beginn der dritten Strophe einige Verse der Vorlage
weggelassen sind'), so gehn diese Kürzungen keineswegs auf poe-
tische Erwägungen, sondern lediglich auf raumtechnische Gründe
zurück. Das geht daraus hervor, daß eine Bearbeitung desselben
Zirachtextes, die zwanzig Jahre später stattfand, keine Lücke
aufweist: zugleich ein Beweis, daß Sachs bei dieser zweiten Be-
Und das andre Lied, das den Kampf des Titus Rlanlius auf der Brücke
erzählt (Livius) Gött. hf. 273'— 275, schließt:
„Wer noch sein leib vnd leben wagt
Für sein vaterlant vnferzagt
dem wirt lob er vnd preis zv reichem solde“,
Auch der Brachen, der das römische Heer unter Regulus schädigte, wird mit
einem Tyrannen verglichen, den man bekämpfen müsse: Goedeke, Rusw. 1
S. 315 f.
1) Gött. Hs. 259'—261.
2) ebenda 21 —22'.
») vgl. auch Gött. Hs. 136-137; 161'—162'; Berl. h s. 119—122.
*) z. B. BcrI. Hs. 135—138; 147—150; 368-370; Gött. Hs. 218'-
220; 221‘-223; 287'—288'.
5) Gött. h s. 158-159'.
b) Gött. h s. 265' - 267.
7) ebenda 100 — 101'.
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arbeitung wieder die Quelle herangezogen hat. Die Schulsinger
hafteten so eng an ihrem Bibeltexte, daß sie lieber einmal etwas
fortließen, als daß sie gewagt hätten, ein paar Sätze zusammen-
zuziehen.
Der wichtigste Unterschied, den wir bei einer Oergleichung
der Schwänke des Dichters beobachten, die zugleich in Lied-
und Spruchfassung vorliegen, betrifft die Ausdehnung der Moral.
Denn während diese im Liede, das in einer Mehrzahl der Fälle
aus nur drei Gesäßen besteht, nicht mehr als den letzten Ub-
gesang oder allenfalls das letzte Gesäß einnimmt, erscheint sie
in der Spruchfassung oft ungeheuer erweitert. Die begrenzte
Form des Liedes gab dem Dichter zwar insoweit freien Spiel-
raum, als er die Darbietung des Stoffes bis zu einer beliebigen
Stelle innerhalb der dritten Strophe ausdehnen konnte, sie wies
aber zugleich der Moral ziemlich enge Schranken. So nimmt
denn die Schlußbetrachtung bald die ganze dritte Stropheh, bald
nur zwei Zeilen ein"). Buch wo ausnahmsweise die Spruchsassung
die ältere ist* 3), läßt sich dieselbe Beobachtung machen.
Die Umarbeitung wurde zur einfachen Umschreibung (die
meist am gleichen Datum erfolgte), wo das Lied in einer der
reimpaar-artigen Weisen: im Uosenton oder in der Spruchweise
Sachsens oder in der Ubenteuerweise Folzens, abgefaßt warff,
nur daß der Dichter im Spruch gern in einem besonderen Ueim-
paar seinen Namen nennt. Uber auch sonst folgte er in seinen
Übertragungen oft wörtlich der Liedvorlageff; selbst die Streckung
der Liedvorlage zu vier Hebungen ist nicht überall erfolgt; so
singt der lateinisch redende Hahn in einem Spruchgedichte:
„Audj, vide et thace
Vis viuere in pace!“<;)
') z. B. Schwanke III Nr. 16.
2) B. Schwänke III Nr. 8; vgl. Schw. II Nr. 222. In der Spruch-
fassung hat die Moral 46 Verse!
3) z. B. III 202, vgl. I 23; III 68, vgl. I 6; II! 3, vgl. ff. Sachs (Werke)
II S. 216 ff.
ff z. B. Schw. III 96: I 52; II! 114: I 59; UI 115: I 60; III 134: I 68,
III 141: I 71; III 11^ —119, 121: I 61 64
ff z. B. III 20: II 282.
ff II 188, v. 79 f„ vgl. III 137 und auch 1 69. vgl. ferner I 79 (aus III
233): I 71 (aus III 141) u. a.
— 51
häufiger freilich ist eine äußerliche, nichts Neues hinzufügende
Verbreiterung des Liedes im Spruche'). Das zeigt sich besonders
bei den Moralen, die im Liede kaum je mehr als zwanzig, im
Spruch aber nicht selten sechzig, ja hundert Verse einnehmen").
Über auch im hauptteil setzt der Spruch häufig an die Stelle
der gedrängten Stossoermittlung des Liedes gegenständliche Rus-
malung; aus einem „alten, armen Manne" macht er einen
„armen Vettelmann mit grauem haar und gebogenem Rücken,
der sich auf Krücken stützen mutz""). Bei andern Gedichten
beweist aber die Rnführung neuer Tatsachen im Spruche, datz
Hans Sachs seine ursprünglichen fuellen wieder zu Rate zogh.
Da nun diese Schwänke fast durchweg rein epischer Natur sind
und da die künstlerische Wirkung, wo sie vorhanden ist, auch
bei den anekdotenhaften Gedichten nicht einer witzigen Schlutz-
pointe, sondern vielmehr der behaglichen Rusmalung des Milieus
verdankt wird, so ist bei weitaus den meisten die Zpruchfassung
höher zu bewerten als die Liedform. Zudem ist aus die strophi-
sche Gliederung entweder überhaupt nicht oder rein mechanisch
Rücksicht genommen"), von einer künstlerischen Überlegenheit des
Liedes ist eigentlich nur da die Rede, wo im Spruche die Moral
gar zu großen Raum einnimmt").
In einigen Gedichten erhebt sich die Liedfassung dadurch über
den Spruch, daß in ihr die Moral nicht vom Dichter ausgesprochen
wird, sondern einer der handelnden Personen in den Mund gelegt
ist7); hier überwiegt im Liede die künstlerische Zorm, im Spruche
der Inhalt. Ruch die eigentliche Handlung ist in einer Rnzahl
von Gedichten in ähnlicher Weise eingekleidet: der Dichter er-
h vgl. Drescher, Studien l 31 f.
' z) z. B. Schm. UI 8 (Lied): II 222 (Spruch) (2 Verse Moral gegen 46);
III 16: II 241 (14 Verse Moral gegen 26); III 19: I 90 (20:30); III 41: II
244 (13:62); III 65: I 47 (14:41); III 68: I 6(20:102); III 72: II 224 (5:22);
III 139: II 221 (14:58); III 158: I 27 (7:48); III 196: II 237 (36:70); III 198:
II 241 (1:12); III 202: I 23 (9:28); III 225: II 207 (8:22).
3) III 57: II 290; vgl. auch III 61: II 248.
4) z. B. III 79: II 211; vgl. Drescher a. a. D. I 30.
*) ío III 65.
c) z. B. III 72: II 224; III 68: I 6.
■) III 7: II 223; vgl. III 32: II 236; hier ahmt der Spruch die Einkleidung
des Liedes nach, hängt dann aber noch eine weitere, breit ausgeführte
Moral an.
52 —
fährt von einem Bauern die drei Dinge, die immer schlimmer
werden, je länger man sie verheimlicht'),- oder ein Doktor ver-
rät ihm den Ursprung der Hffen2); oder ein alter Meßner be-
richtet über die Zchwurfinger des 5t. Nikolaus^); oder einige
Freunde beraten darüber, welches Glied das gefährlichste fei4);
oder der Dichter erzählt nicht dem Publikum, sondern scheinbar
einem Müller die List eines andern Müllers^): in all diesen Fällen
ist die Einkleidung aber nur dem 5pruch eigen; das Lied ver-
zichtet auf sie.
In einer weiteren Gruppe von Umdichtungen übernimmt
Hans Lachs einen Teil der Vorlage wörtlich, ergänzt andere
Teile aber durch Erläuterungen epischen Charakters, die den
Stoff nicht bloß dehnen, sondern sachlich bereichern"). Zuweilen
beginnt die breitere Ausgestaltung sogleich nach den ersten verseng.
In einer Unzahl von Fällen liegt sogar eine vollständig neue
Verarbeitung der Esuelle vor^), und es ist möglich, daß der Dichter
die frühere Fassung überhaupt vergessen hatte.
Zuweilen haben wir drei Fassungen (eine Lied- und zwei
Lpruchfassungen) desselben Stoffes; dann stimmt die erste Lpruch-
bearbeitung meist mit dem Lied überein, und der zweite Lpruch
bringt die üblichen Erweiterungen"). Die Geschichte von Lisabetha
und Lorenzo liegt in einem Lpruch von 15l5, einem Liede von
1519 und einer Tragödie von 1546 vor. Die einzige erhebliche
Änderung der zweiten gegenüber der ersten Fassung betrifft die
Moral, die im Liede sachlicher gehalten ist. Das Drama steht
selbständig neben den älteren Dichtungen und ist mit seiner aus-
führlichen Tharakteristik und Motivierung eine der besten Lchöp-
fungen unseres Dichters"). In der Fabel von der menschlichen
~‘Tlll 48: II 213.
2) III 57: II 290.
3) III 73: II 292; hier macht der Dichter im Spruch sogar einen doppelten
Umweg, da der Pfaffe, der zunächst befragt wird, nicht zu antworten vermag.
4) III 36: Werke III S. 360 ff.
h) III 198: II 241.
*) III 54: II 304; III 91: II 323.
7) III 186: II 307.
8) z. B. III 41: II 244: III 146: II 379; III 196: II 237; III 202: I 23;III 3:
Werke II 5. 216ff.
9) Z. B. III 134: I 68: II 320; III 137: I 69: II ,8s.
'") III 3: Werke II S. 216 ff.: Werke VIII S. 366 ff.
53
Zunge') fehlt, bei sachlicher Verwandtschaft, ein äußerer Zu-
sammenhang zwischen dem Liede und der ersten Spruchfassung;
die zweite Spruchdichtung zeigt sich inhaltlich vom Liede, formell
vom ersten Spruch beeinflußt.
Bei der großen Mehrzahl dieser Doppelbearbeitungen ist
aus den angegebenen Gründen der künstlerische Wert der Spruch-
fassung höher als der des Liedes, ein Urteil, das der zweite
Teil dieser Hrbeit bestätigen wird durch den Nachweis, daß in
den lyrischen Fassungen von irgend welcher Nücksichtnahme auf
die strophische Form, von irgend einer architektonischen Unord-
nung des Stoffes ebenso wenig die Nede sein kann wie über-
haupt von einem lyrischen Charakter der Schwankstoffe.
Unter den Dichtern der Vergangenheit, deren Ausnutzung
sich Hans Lachs angelegen sein ließ, nimmt Gvid einen hervor-
ragenden Platz ein"). Uls Vorlagen dienten eine Uebersetzung
von zehn Historien Ovids durch Bruno von hyrtzweil (1541) und
besonders Wickrams Übersetzung von 1545, aber auch Boccaccios
Werke, die inhaltlich auf Dvid zurückgehn: Oe Claris mulieribu?,
von dem Hans Sachs eine Ausgabe des 15. Jahrhundert benutzte;
Oe casibus virorum ülustrium (deutsch von Ziegler 1545) und
Genealogia deorum, von der keine deutsche Übersetzung be-
kannt ist. Auch ein Werk des päpstlichen Uammerherrn polydorus
diente ihm als (Quelle. Lachs bezeichnete oft Gvid auch dort
als seine Vorlage, wo er aus Boccaccio geschöpft hatte, oder be-
ruft sich gar in einer Strophe auf Gvid, in der nächsten aus
„polidorus^).
Auch bei den Bearbeitungen Gvids durch Hans Sachs machen
wir die Beobachtung, daß der Dichter die Neuerscheinungen der
zeitgenössischen Literatur mit regem Interesse verfolgte und, wenn
ihm ein neues Werk zusagte, dieses sogleich für seine Dichtung
verwertete; die Zieglersche Übersetzung von Boccaccios Viri illustres
war am 22. Februar 1545 ediert worden, am 22. April desselben
') III 36: werke III 360: Schwanken 291.
2) vgl. zum Folgenden besonders Drescher, Studien II.
3) So Drescher, Anhang Nr. 25.
54 —
Jahres fertigte der Nürnberger Handwerksmeister bereits ein Lied
nach diesem Buch an1).
Buch unter den Liedern nach Gvid folgen viele, einschließlich
der Moral-), wörtlich der Vorlage^). Oft aber finden wir Zu-
sätze, die die Vorgänge der Ouelle genauer motivieren sollen,
wenn sie freilich auch nicht immer in den Charakter der Erzählung
hineinpassen^). Zn einigen bezeichnenden Fällen ist die Moral
aber umgedeutet: der rationalistischen Nuslegung von Niobes Ver-
steinerung gegenüber, wie Sachs sie bei Boccaccio fand, geht er
aus die ursprüngliche Zage zurück. Nuch einen $all der schon
früher besprochenen Verkürzung der Vorlage unter dem Zwange
der beschränkenden Liedform finden wir unter diesen Liedern').
Wo wir Doppelbearbeitungen von Dvidischen Erzählungen
in Lied- und Spruchform haben, zeigen sie die gleichen Eigentümlich-
keiten, die wir bei den Schwänken vermischten Inhalts beobachtet
hatten^). häufig stammen solche Doppelfassungen vom selben Tage,
zuweilen liegen sie Jahre oder Jahrzehnte auseinander,' bei diesen
letzteren hat Hans Sachs stets wieder die ursprüngliche Vorlage
herangezogen. Ein Spruchgedicht über Niobe, das neunzehn Jahre
nach dem Liede geschrieben wurdeh, schließt sich enger als dieses
an Voccaz an, verfährt aber in der Moral wie in der Nnführung
von Einzelzügen (Jupiters Ehebruch mit Latona, das Opferfest)
selbständig. Nbe'r auch die ältere Bearbeitung oder ihre Vorlage
') ähnlich verfuhr er mit plutarch, dessen Leben der Griechen und
Nömer in der Nusgabe des Hieronymus Boner sogleich im Jahr ihres Er-
scheinens benutzt wurde {1541); und als zwei Iahre darauf des plinius
„Natürliche hiftory" in der Übersetzung Heinrichs von Eppendorff erschien,
fertigte der Dichter gleich an einem Tage drei Lieder über Stoffe aus die-
sem Buch an.
B) z. B. Vrescher, Nnh. Nr. 17. 19.
s) 3. B. Gott. ij s. BI. 98 f.; vgl. Boccaccio-Stainhöwel,
De. d. mul. Nr. 14, S. 62 ff.
4) Drescher Nr. 17.
6) ebenda Nr. 8. 9; hier berichtet die längere Spruchfassung noch
von Miras Sohn Ndonis, während das Lied mit der Verwandlung des
Mädchens abschloß. -
G) Wörtlich übereinstimmende oder die erwähnten kleineren Nbweichun-
gen aufweisende Fassungen s. bei Drescher Nr. 4:5; 6:7; 19:20.
7) ID etk e VIII 656ff.
— 55
zieht er gelegentlich wieder zu Nute: eine zweite Lpruchsassung
der Geschichte von Krachne, die im allgemeinen auf Wickrams
Gvid beruht, übernimmt einige Eigentümlichkeiten der älteren
voppelfassung als Lied und Spruch, die auf Boccaccio-Ztain-
höwel zurückging. Zelten einmal wird ein Stoff in zweiter
Fassung grundverschieden gestaltet: der soeben erschienene Gvid
Wickrams regte Hans Sachs zu einer längeren Bearbeitung der
Geschichte von Biblis an, obgleich er denselben Gegenstand erst
fünf Monate zuvor in gedrängtester Form behandelt hatteh.
Hans Sachs hat die cturcblewclitinZ frawen des Boccaccio*
Stainhöwel auch zur Nacherzählung anderweitiger geschichtlicher
und sagenhafter Berichte benutzt, wenn es auch meist die Ge-
stalten der Gvidschen Metamorphosen waren, die ihn an diesem
Werk anzogen. Sn einem Gedichts erzählt er z. B. die Schand-
taten der Tullia, die Boccaccio in seinem 46. Kapitel nach Livius
vorgetragen statte; aber hier sind die sechs Seiten der Borlage
zu 57 Versen zusammengezogen: der Meistergesang ist eine ganz
freie, den Hauptinhalt kurz zusammenfassende Bearbeitung. Eben-
so steht es mit dem Liede von den drei Übeln Weibern, deren
erste Medea ist; Boccaccio berichtet fünf Leiten über Medea,
Sachs erledigt sie mit einer Strophe von 17 ¡Seiten3).
Ähnlich wie in der Bearbeitung Gvidischer Zabeln ist Hans
Sachs in seiner Ausbeutung von Boccaccios Becamerone ver-
fahren. Nur selten, wie in der schon angeführten Geschichte von
Lisabetha und Lorenzo, hat er nahezu wörtlich paraphrasierth.
Öfter zwingt ihn die knappe metrische Zorm zu energischer Kon-
zentrierung, ja zur Umsetzung der Schilderung in Handlung'').
Eine bloß anekdotische Erzählung vermag er überhaupt in drei
Gesätzen ohne Schaden für Inhalt und Kunstform recht gut unter-
zubringen, selbst wenn er die Ausführungen seiner Vorlage kürzll').
häufig aber zeigt sich die grundverschiedene Naturanlage des
*) © ö 11. Fj j. BI. 78'—79 ; Drescher. Nnh. Nr. 29.
2) © ö 11. i) j. BI. 50—51'; den Stoff konnte Sachs freilich auch aus
der Bearbeitung des Livius durch Schöferlin und XDittig (1505) gewannen haben.
3) © ü t t. h s. 119—120; vgl. Boccaccio-Stainhäwel Nr. 16,
S. 68-73.
■*) Schwänke Bö. 3, Nr. 3; vgl. Bocc. -Stainh. Buch IV Kap. 5.
h) Schw. III 174: Bocc 16.
h 5 chw. III 238: Bocc. VII 4.
56 —
italienischen Künstlers und Weltmannes und des deutschen Hand-
werkers, so wenn Hans Lachs das sittlich Anstößige sichtlich meidet
und auch für die seine Ironie und die scharfe Satire gegen den
Klerus, die er in seiner Vorlage fand, kein Verständnis hat:
überall schält er lediglich den rauhen, schwankhaften Kern her-
aus, und wo der Italiener Eharakter- und Zeitbilder im engsten
Kähmen malt, begnügt sich der Deutsche damit, eine unschuldige oder
auch grobe Knekdote lustig zu erzählen'). Die berühmte Geschichte
vom Zalkem) berichtet Lachs ganz einfach in dem Keimpaar
seines Kosentons und erweist ihre Wirksamkeit gerade durch die
Schlichtheit des Vortrags und die schöne Schlußsentenz:
,.l)rumb ist nicht alle lieb verloren:
Lieb hat oft lieb durch lieb geporen“;
aber seine skizzenhafte Darstellung erzeugt doch eben nur eine
gemütvolle Kührung, wo die ausführliche Motivierung und selbst
Kleinmalerei Boccaccios, die Knführung der Gespräche, der Wider-
streit der konventionellen Gebundenheit und des herzensbedürnisses
bei Klberigo und Giovanna, die ergreifende Ironie in der
voreiligen Opferung des edlen Vogels beim Hörer eine weit herz-
lichere und tiefere Wirkung erzielen.
Seltner greift Hans Sachs aus einer Novelle des Italieners
eine einzelne Episode heraus wie in dem Schwank von den beiden
Spitzbuben, die die Leiche des Bischofs berauben3); und hier wie
auch sonst verlegt er der Anschaulichkeit halber die Handlung in
heimisches Milieu.
häufig sind die Halle, wo die radikale Kürzung der Vor-
lage an sich die künstlerische Wirkung beeinträchtigte, wenn
Hans Sachs die Erzählung von Gismonda und Guiscardo auf
dreizehn Strophen zusammenstreicht, in denen u. a. von der
langen Kede der Tochter an den Vater fast nichts übrig bleibt4);
oder wenn er in 60 Versen abhandelt, was bei Boccaccio 6, 7
oder 19 Seiten füllte3), so mutzte nicht nur jede feinere Begründung
') Schw. III 22: Bocc. III 8; S dj to. III 70: B o c c. X 2.
*) 5chw. III 149: Bocc. V 9.
s) Schw. III 106,: B oc c. II 5.
4) Schw. III 4: Jo ec. IV 1.
5) Schw. III 153: B o cc. V 3;Schw. III >73: Bocc. X4;Schw.III
190: B oc c. VIII 7.
— 57 —
der Handlungen fortfallen: es konnte kaum noch von einer selbst
beschränkten Lückenlosigkeit der Tatsachenreihen die Uede sein,
und der Eindruck der Brutalität vieler Handlungen bei Boccaccio
wurde durch den des Abenteuerlichen und Unwahrscheinlichen ver-
stärkt. Die Zustutzung der Vorlage auf das trocken Materielle
konnte zudem wahrlich nicht geeignet sein, den Liedcharakter der
Form als berechtigt erscheinen zu lassen.
Buch einige der Schwänke, die Sachs dem Decamerone ent-
nahm, hat er dreifach bearbeitet, und wiederum find die Lied-
und die erste Spruchfassung durchgängig vom gleichen Datum
und die zweite Spruchdichtung beträchtlich jünger. Zum Beispiel
in der Geschichte vom Bruder Zweifelh fassen das Sied und der
ältere Spruch den Stoff ganz knapp zusammen, vor allem werden
auch die satirischen Äußerungen in der Uede des Priesters fort-
gelassen,- nur am Schluß fügt der Dichter polemisch hinzu:
„Des ist Deutschlant mit diesem prauch
Lang zeit worden petrogen auch.
War sagt das alt Sprichwort gemein:
Die weit die will petrogen sein.“
Der jüngere Spruch hat eine stark verlängerte Moral mit heftigen
Ausfällen gegen die frühere klerikale ; die Er-
zählung selbst stimmt in vielen Teilen mit der älteren Fassung
genau überein, zeigt aber durch die größere Ausführlichkeit der
Darstellung, daß der Dichter seinen Boccaccio wieder heran-
gezogen hatte.
Ähnlich verhält es sich mit dem Schwank von der jungen
lvittib und ihren zwei Liebhabern"),- der einzige Unterschied
zwischen den beiden gleichzeitigen Bearbeitungen ist der, daß der
Spruch zum Schluß die Effielle nennt „Thuet Johann Bocacius
schreiben“, während das Lied, bei dem die Efuellenanführung
ungebräuchlich war, an den Inhalt des zuletzt Gesagten anschließt:
«So mag sie wol pey eren pleiben“. Der spätere Spruch zeigt
wieder Zusätze nach der Esuelle, aber auch frei Erfundenes (der
Stein, der das Grab verschließt). Buch die Moral ist hier erweitert.
') 5 chw. III 117: I 61: II 217: 11 0 c c. VI 10.
!)Sd]ro. III 119: 1 63: JI 218: B o c c. IX 1.
— 58
ctls letztes Beispiel sei die Geschichte von dem Koch und den
Kranichen angeführt'). Buch hier besteht der Unterschied zwischen
Lied- und älterer Spruchversion lediglich in den zwei Schlußversen
des Spruchs, in denen der Dichter sich nennt. Der zweite Spruch
ist von doppelter Länge, ohne aber tatsächlich Neues zu bieten,
der Schluß ist schärfer pointiert, die Moral dieselbe, aber aus-
führlicher. Doch lassen auch hier einige Wendungen aus noch-
malige Benutzung der Vorlage schließen!
Bocc.S.388,Z.7-9.
„Wärlich vnd bei got
gibst du mir nicht du
solst meines leibes
nymmer mer keyn
freüd haben.“
Sachs, 1 .Fass.V.18f
„ . . Versagstw mir die
pit,
So sey dein lieb pey
mir schabab.“
Sachs, 2.Fass V.31 ff.
„Seit dw mir die klain
pit versagst,
So wis, das dw auch
fürhin magst
Nit dailhaft werden
meines leibs.“
S. 389, Z. 30s.
„Du hast gancz recht
vnd ich vnrecht“.
V. 120.
„Ich hab vnrecht, vnd
dw hast recht!“
Die Charakterisierung des Kochs läßt übrigens auch hier den
Unterschied beider Dichter deutlich hervortreten: bei Sachs ist er
bestürzt und verwirrt und verbringt eine schlaflose Nacht - eine
lächerliche Possenfigur,- bei Boccaccio zeigt er sich unbefangen
und verwegen, Bedenken kommen ihm erst, als die Gefahr akut
wird; er setzt alles auf eine Karte und gewinnt durch seine
Kühnheit.
Hans Sachsens Bearbeitungen geschichtlicher Vorlagen
unterscheiden sich in keinem Punkte grundsätzlich von seiner Be-
nutzung dichterischer (Huellen. wo er seine Stoffe den Geschichts-
werken eines Livius^) oder Ulbert Krauts) entnimmt, schließt er
sich in vielen Füllen wörtlich seiner Vorlage an, z. B. in der
Geschichte des Valerius Gorvinush:
') Sch w. III 121 I 64: 11247: N o c c. VI 4.
-) Römische Historie vß T i t o l i u i o gezogen. Mentz bei Sohan
Scheffers, 1505.
*) Dänische, schwedische, norwegische Chronik von älbert Rrantz,
Straßburg bei Hans Schotten, 1545.
4) ähnlich Gö t t Hs. 121 -122'; vgl. v ä n. C h r. Bl. 11 ff.; Dött. Hs.
114' — 115'; vgl. vän. Chr. 13 f.
- 59
Gött. Hs. Bl. 1 5 0-1 5 1'.
„Auf sein heim fluege
im ein groser kolschwarzer rab
pald nun der franczos auf in
schluege
Da flog mit vngestum
Der rab gericht
in das angsicht
Dem franczosen mit dem fluglen
zv plenden
Das er nicht künde
gesehen vnd lies auch nit ab
pis in der romer vberwunde
vnd riterlich pracht ueme.“
L i v i u s B 1.6 5:
„Als die nun beyd in angesicht
frund vnnd fynde zvsamen (sic)
tratten I begab sich ein wunderlich
ding /das dem Römer ein Rapp/
dieweil er sich mit dem Frant-
zosen schlug / vff syn heim floug
/vnd der Frantzosz syn schteg
verbringe wolt/Flog er im vor
synem angesicht das er ver-
blendt/vnd sich nit wol gegen
der wer schicken möcht / desz-
halb Marcus valerius in ver-
wund! I vn darnach gar ze tod
schlug.“
i)tn und wieder erlaubt sich Lachs innerhalb der wörtlichen
Paraphrasierung kleine Einschübe4), die sich auch wohl hier durch
strophischen Zwang erklären,- aber nur selten fügt er tatsächliche
Züge hinzu wie in dem Gedicht von Regulus und dem Drachens,
hier stehen 66 Verse gegen 10 Zeilen der Vorlage, und die Be-
schreibung des Ungeheuers ist, abgesehen von der Erwähnung
der Schuppenhaut bei Livius, des Dichters eigne Erfindung^).
häufiger kürzt Hans Sachs die Vorlage. So läßt er in
der Erzählung von Titus Manlius, dem „kempter auf der
pruecken“4), alles historisch-politische geflissentlich weg und behält
nur bei, was zum Verständnis der Anekdote, die er erzählen
will, unbedingt erforderlich ist, schließt sich im übrigen aber seiner
Vorlage wörtlich an. hier wie bei den ähnlichen Bearbeitungen
Boccaccios kommt er oft über die Vermittlung des nackten Tat-
bestandes nicht hinaus, und die herbe nordische Poesie, die manche
Erzählung der Uranßischen Ehronik erfüllt, geht dabei gänzlich
verloren''). Seine Sucht zum Moralisieren verrät sich auch hier,
9 z. B. <B o e 6 e ft e 1 S. 57; vgl. ß i v. BI. 51.
a) GoedekelL. 315f.; vgl. £ i v. BI. 94.
3) Rud) in einem Spruchgedicht liefert Lachs eine Beschreibung dieses
Ungetüms, die aber mit den, £iede keinerlei Übereinstimmung aufweist:
Werke Bd. 8 5. 607; hier ist Lachs außer von £ivius auch von Boccac-
cio abhängig.
9 G ö t t. 6 s. BI. 273' - 275; vgl. £ i v. BI. 63 f.
•') Goedeke Bd. 1 5. 207 f.; vgl. S ch w e d. 2 h r. 5. 71—74. ferner
G o e d e k e 1 232 ff.; vgl. D ä n. 2 h r. S. 256-258. G üt t. h f. Bl. 86-8?';
vgl. U o r w. 2H r. 5. 65 — 68. S. auch W. G o I t h e r s Rufsah i. d. Uürnb.
Feslschr. (1894) 5. 263 ff.
60 -
hasmundus unerwähnt läßt, um guten Gewissens schließen zu
können:
„5olch freuntschaft thuet icz gar erkalten“1).
3n einigen Süllen, wie bei der Geschichte der Tullia, die der
Dichter zweimal bearbeitet hat, einmal als Lied, einmal als
Spruch"), und die sowohl von Boccaccio wie von Livius berichtet
wirdI, ist es nicht möglich zu unterscheiden, welches Werk als
Vorlage gedient hat,- einiges scheint zugunsten des Livius, zahl-
reichere Übereinstimmungen scheinen für Boccaccio zu sprechen,
der dem Dichter zur Zeit der Abfassung des Liedes bedeutend
näher stand als der römische Historiker.
Ohne Zweifel erhebt sich Sachsens dichterische Persönlichkeit
hoch über die übrigen Dichter des l6. Jahrhunderts. Ja durch
die Sülle seiner Begabung und durch die Beinheit seines sittlichen
Lharakters überragt er selbst die Meistersinger des 15. Jahr-
hunderts. Ebenso sicher aber ist ihm ein Mann wie Hans Solz
durch die Kraft seiner künstlerischen Individualität, durch Bein-
heit der Sorm und durch autonome Einsicht in das Wesen der
Poesie überlegen. Letzten Endes war es, wie auf anderen Ge-
bieten des Geisteslebens jener Zeit, so auch in der Geschichte des
Meistergesangs die Luthersche Beformation, die eine organische
Entwicklung der älteren Tendenzen hemmte, wenn nicht unterband.
Statistik über die Werke von i)ans $ad)s.
Nach Goetze Band 26.
Iahr Gesamtzahl der werke Zahl der 5pruch- gedichte Zahl der Meister- gesänge Zahl der Zahl der geistlichen weltlichen Meistergesänge
üs 1523 83 11 72 26 46
1524 15 15 - - -
1525 1 1 - - -
1526 36 6 30 30
1527 64 6 56 52 4
1528 92 8 84 75 9
1529 68 7 61 46 15
9 n o HD. (I t) r. 5. 29 f ; vgl. G ö tt. k) . Bl. 180-182'.
2) werke BÒ. 16 S. 12 f; vgl G ött. h s. Bl. 50-51'.
Boccaccio , De. cl. mul. Nr. 46, S. 168; L i v. Bl. 17
61
Jahr Gesamtzahl Zahl der Spruch- Zahl der Meister- Zahl der geistlichen Zahl der weltlichen
der Werke gedichte gesänge Meistergesänge
1530 63 23 40 33 7
1531 115 43 72 61 11
1532 70 15 55 32 23
1533 31 12 19 8 11
1534 33 24 9 6 3
1535 41 15 26 15 11
1536 53 20 33 5 28
1537 57 9 48 13 35
1538 50 13 37 7 30
1539 65 32 33 11 22
1540 97 28 69 35 34
1541 117 30 87 32 55
1542 58 9 49 18 31
1543 99 23 76 26 60
1544 276 30 246 110 136
1445 351 43 308 114 194
1546 270 22 248 104 144
1547 373 27 346 125 221
1548 451 37 414 146 268
1549 188 25 163 51 112
1550 289 46 243 112 131
1551 236 26 210 82 128
1552 225 29 196 95 101
1553 304 54 250 132 118
1554 327 32 295 127 168
1555 239 42 197 128 69
1556 198 43 155 76 79
1557 98 75 23 21 2
1558 170 152 18 7 11
1559 122 104 18 17 - 1
1560 24 20 4 2 2
1561 13 9 4 — 4
1562 189 189 — — —
1563 221 221 — — —
1564 55 54 1 1 —
1565 76 75 1 1 —
— 62 —
Iahr Gesamtzahl der Merke 3ah! der Spruch- gedichte Zahl der Meister- gesänge Zahl der Zahl der geistlichen weltlichen Meistergesänge
1566 85 85 - - -
1567 32 31 1 1 -
1568 40 40 - - -
1569 31 31 - - —
1570 — - - - —
1571 1 1 - - -
1572 5 5 - - -
1573 3 3 — — —
bis
1576 — — — — -
Sa. 62OO 1903 4297 1983 2314
*=*§*=>-------
— 63 —
Zweiter Teil.
Zur Technik und Ökonomik der Meisterlieder.
Das Meisterlied, das sich ohne Ausnahme aus mehreren
Strophen zusammensetzte, war, wie das Minnelied, zum Gesänge
bestimmt'). Während aber das Minnelied seinen lyrischen Cha-
rakter wahrte und im allgemeinen auch von beschränkter Aus-
dehnung war, gab es unter den Meisterliedern sehr viele, die
mehr als ein Dutzend Strophen umfaßten, und nicht weniger,
deren Natur episch oder halb-episch war. hier mußte also, bei
der Identität der Melodie für alle Strophen, nicht nur er-
müdende Eintönigkeit die Folge sein, es mußte auch ein Wider-
spruch zwischen Form und Inhalt insofern eintreten, als einerzählen-
des Gedicht eine fortschreitende Handlung mit wechselnden Stim-
mungen enthält, für Äderen Interpretation eine wechselnde oder
zumindest eine elastische Form wie das Reimpaar erforderlich wäre.
Wenn ferner fast jedes Lied der mittelhochdeutschen Blüte-
zeit seinen eigenen Ton gehabt hatte, der der Stimmung an-
gepaßt war, so war es den Meistersingern bis auf Nestler und
Folz ausdrücklich verboten, neue Töne zu erfinden. Andrerseits
wurde später durch die Verpflichtung, eine neue Form zu schaffen,
wie sie für jeden Meistersinger bestand, der verkünsteltsten Mani-
riertheit Tür und Tor geöffnet: waren doch die einfachen Stro-
phenformen und Reimmöglichkeiten bald erschöpft, so daß die
Überwindung der^ formalen Schwierigkeiten bald ungebührlich
in den Vordergrund trat. Der Vergewaltigung der Sprache
durch die technischen Anforderungen sollten die Tabulaturen vor-
beugen, deren Regeln lediglich solche Äußerlichkeiten fixierten,
') vgl. zum Folgenden Scherer, Poetik, Berlin 1888; Minor,
NeuhochdeutscheMletrik Stratzburg 1893; Kühn, Rhythmik und Melodik
Michel Beheims, Bonn 1907, S. 128' u. ö.
— 64 —
wie sie von jedem guten Dichter eingehalten werden. Zu tadeln
sind nicht die Tabulaturen, sondern die Meinung vieler Meister-
singer, daß mit der Befolgung der äußeren Begeln zugleich die
Tüte eines Gedichts gewährleistet fei1).
Lin Meisterlied aus mehreren Strophen oder Gesätzen hieß
ein Bar2 3). vereinzelt sind die Iälle, wo mehrere Bare zu einem
Zyklus zusammengesetzt wurden, wie wir sie bei Benedikt von
Matt (s. o.) und bei Hans Holz finden, der mehrmals längere
geistliche Stoffe in je drei Baren (17, resp. 21 Gesätzen) darstellte
(Mayer Nr. 1. 75). Nus dem 16. Jahrhundert haben wir Lieder,
die aus Strophen verschiedener Töne bestehen: Hans Sachs be
handelt einmal die Geschichte von dreizehn verwandelten Zrauen
in seinen dreizehn Meistertöne»?). Zn denselben dreizehn Tönen
beschreibt puschman, um seinen Lehrer zu ehren, das Straß-
burger Münster1), von den fünf Strophen, in denen pusch»nan
zu Neujahr 1571 eine Schulkunst dichtete, sind die ersten vier
in den vier gekrönten Tönen, die letzte in einer Mischung aus
allen vieren geschrieben^). Etwas abweichend verfährt Nmbrosius
Metzger in seiner Hreiung bei wagenseil, ganz mechanisch da-
gegen in seiner Paraphrasierung der Genesis, in der fast jedes
*) Die Organisation der Meistersinger ihre „Verfassung", die strikten
und eindeutigen Regeln ihrer Poetik erkennt schon G. PH. ffarsdörffer
an, der erste Nichtzünftige, der über den Meistergesang geschrieben hat:
Gesprächsspiele, 4. Theil, Nürnberg 1644, S. 12 (Nr. 151, flbf. 6). 3n einer
andern Schrift bezeichnet er sehr abenteuerlich die Meistergesänge als „aper-
ta vestigia“ der bei Tacitus und deutschen Geschichtsschreibern des frühen
Mittelalters genannten Heldenlieder: Zpecimen Philologiae Germanicae,
Norimbergae 1646, S. 175.
2) lvagenseil brachte das Mort mit Barde zusammen, ebenso ffäß -
lein, Bragur J3b. 3 (1794) S. 01; Martin, Die Mstrsgr. von Straßb.,
Straßb. 1882, 5. 9 ff., macht darauf aufmerksam, daß viele Nunstausdrücke
der Meistersinger dem Fechtwesen entnommen seien, so auch Bar von Barant
(parierhieb); vgl. zu Bar auch Grimms Wörterbuch Bd. 1, 2p. 1121.
ferner Plate, Die Nunstausdrücke d. Mstrsgr., Straßb. Stud. Bd. 3, ffeft 2,
S. 180: in dieser Schrift wird nachgewiesen, daß die Nunstausdrücke, was
die äußeren Einrichtungen der Schule betrifft, entweder dem Minnesang
oder den volkstümlichen Bezeichnungen der Handwerker entnommen scnd.
3) bei 5lrnoli> Nr. 18.
ff s. o. und Martini, d. ff. Sachs-Forsch., Nürnb. 1894, S. 382 ff.
ff bei G o e tz e , Laus. Mag. usw. S. 121 ff.
— 65
Gesätz einen neuen Ton hath. Linen Var in drei Tönen bildet
auch Ichinger in seinem Neformationslied von 16172).
Gute innere Gliederung eines Meisterliedes ist überaus selten;
Veheim und Zolz (im 6. Liede) zeigen hin und wieder ein gutes
Verhältnis von Einleitung, hauptteil und Schluß. Ziemlich sche-
malisch ist bereits die Disposition der Schulkunst von Johannes
Sprengt): Vegrüßung, Aufforderung der Meister zum Singen,
Mahnung an die Merker, ihres Amtes zu walten. Ein kunst-
loser Aufbau ließe sich weit reichlicher belegen, sowohl an den
predigtartigen Lehrgedichten, die häufig metrische Gliederung völlig
außer Acht lassenh, wie bei den aufzählenden Gedichten Sachsens'')
; und anderer.
Der Einfluß der Strophenform auf die Ausdehnung des
Stoffes ist bereits verschiedentlich besprochen worden; er ist vor
allem dort ersichtlich, wo etwa puschman oder Sachs verschiedene
Töne durchprobierten, denen sie den Inhalt anpassen mußten.
Fluch von dem stoffverkürzenden Einfluß der Zorm war bereits
die Rede. Nur ein $all sei neu erwähnt: in einem Liedeh läßt
der unbekannte Dichter den Tannhäuser seinen Lebensgang er-
zählen. Im letzten Stollen und Abgesang (l6 Verse) berichtet
er ganz summarisch seine Neue, Nomfahrt, Verfluchung und Hoff-
nung; das Stabwunder fehlt, und Goedeke folgert daraus, diese
Fassung der Sage sei die älteste: sollte aber nicht vielleicht der
durch eine ungeschickte Disposition veranlaßte Raummangel schuld
an der Auslassung sein?
häufiger war der Fall, daß dem Dichter der Stoff zu früh
ausging. Da stellte sich denn den Meistern die nach Belieben
dehnbare Schlußmoral erlösend ein. In der Zabel von dem Mann
ff Uhle im 9. Iahrb. des Vereins f. Chemnitzer Gesch. 1897, S. 181 ff.
2; S t r c i n 3 i. Iahrb. f. Gesch. Cls.-Lothr., 9. Iahrg. 1893, Nr. 4; auch
Hans Vogel und INichel Vogel haben Zyklen von Liedern geschrieben, deren
Strophen in verschiednen Cönen gedichtet sind: Volte i. Schnorrs Nrchiv
vd. 127, S. 296 f., 299 ff.
') K e t n 3 , Sitz.ber., München 1893, S. 196 ff.
ff z. B. w a ck e r n a g e I Bd. 2 Nr. 632 (von Nonrad Harder) oder
5 o l z Nr. 53.
ff bei Arnold Nr. 17.
ff Weimarer Folio-Hs. 418: Germania 38. Iahrg. (1883) S. 38ff.
— 66
im Sqrerlanö1) verwendet Sachs die Hälfte, in einigen biblischen
Gleichnissen gar zwei Drittel des Gedichts auf die Ausnutzung-).
Gr hat sich sogar nicht gescheut, die Betrachtung schon im ersten
Gesätz beginnen zu lassenft.
Eine Moral, die sich über mehr als die letzte Strophe er-
streckt, mochte bei vielstrophigen Liedern entschuldbar sein. In
einem sechzehnstrophigen Gedicht von Joseph VIe gegen Unkeusch-
heit und hurereift nimmt die Ermahnung die beiden letzten
Strophen ein. Sachsens Gedicht über die Zerstörung Jerusalems
(l3 Strophen) hat eine Moral von drei Gesätzenft; Zolzens Er-
zählung von dem unkindlichen Sohne (Nr. 23) läßt den fünf er-
zählenden Strophen gar sechs ermahnende folgen. Berechtigt
erscheint eine solche Ausdehnung der Moral in den allegorischen
und sonstigen Gedichten, in denen die sittliche oder tendenziöse
Ausnutzung die Hauptsache ist: dem Liede der Berliner hand-
schriftft über die Spaltungen in der zeitgenössischen Ehristenheit
wird ein Bericht über die ähnlichen Verhältnisse in der alten
Uorinther Gemeinde gleichsam nur vorausgeschickt. Um der kirchen-
politischen Polemik willen hat Sachs in der Strafweise Molzens
das Lied von der ägyptischen Läuseplage geschriebenft. hierher
gehören auch die alttestamentlichen Lieder mit neutestamentlicher
Deutung.
Gänzlich zerrissen wurde die Stropheneinheit dort, wo der
Dichter in dem Bestreben, die letzte Strophe für die Moral frei-
zuhalten, die (Quellenangabe in den Schluß des vorletzten Ge-
ft Goedeke, Dichtungen des Hans Sachs, Bd. 1, Z. 129ff.
ft Verl, h f. S. 12-14; 249-251; G ö t t. h s.Bl. 58'- 60; 151' —152.
ft Gött. hs. BI. 56'—58; B e r I. h s. 5. 145—147. Ähnlich bei Wolf
Gernolt vor allem in seiner Bearbeitung des 117. Psalms: Beri, h s. S.172
bis 175; 25-25.
ft hundert Thristenliche hausgesenge, Nürmberg, Johann K o I e r,
1569, Teil 2, tir 16; ähnlich in dem 4fttrophigen Liede des Johannes Geise
von Weisungen, Mackernagel Bd. 3, Nr. 1154.
ft W a ck e r n a g e I Nr. 105.
ft B e r I. h s. 78-80; ähnlich 47—49; und Hans Sachs bei Lützel-
berger-Zrommann 5. 66 ff.
ft Gött. Hs. 141-1425
— 67 —
sätzes einfügt1). Nllzu häufig ist die Ausfüllung der dritten
Strophe durch die Moral übrigens nicht. Noch seltner enthält
jeder der drei Teile der letzten Strophe eine besondere Moral').
Buch die Nusdehnung der Betrachtung über den zweiten Stollen
und den Nbgesang des dritten Gefätzes kommt uor1), und auch
hier findet sich einmal eine weitere Einteilung1). Eine Eigentüm-
lichkeit von Hans Sachs scheint die Beschränkung der Betrachtung
auf den letzten Nbgesang zu sein1').
Necht häufig dagegen ist der Schluß kleiner als der letzte
Nbgesang, was eine Zerreißung der strophischen nnd musikalischen
Einheit bedeutet11). Zuweilen beginnt die Moral auch inmitten
des ersten7) oder zweitens Stollens; seltner findet sich die Cfuellen-
angabe gegen Schluß des Nufgesangs11).
Buch die Lieder, die unmittelbar mit der Erzählung selber
abschließen, ohne eine Moral anzufügen, sind nicht selten111). Hans
') z. B. puschman: Götze, Laus. Mag. 5. 120 f.; Haus Lachs bei
G o e z Bö. 2 S. 106 ff.; B e r l. fj f. 222—225 (letzter Vers öer 2. Strophe:
„nun hört den anören Psalmen Explizieren"); 264—271; Gott. ijf.4-5';
105' —107'; 124 - 125'.
2) Sachs beiNrnolö S. 97 ff.; vgl. ebenöa S.69 f.,82 ff.; Drescher,
Stuöien II 84 f.; Bert. f. S. 172 —175; 187—190; © ö 11. fj |. 60—61';
77—78'; 90-91'; 92'—94; 147—148'; 153' —155; 162' —164; 166-167.
3) z. B. D r e s ch e r a. a. G. Nnh. Nr. 10. 24; puschman: G o e tz e a.
a. Q>. 5. 116f.; © ö 11. £) j. 125'-127.
4) Sachs bei Nrnolö 5. 96 f.; Schwänke Bö. 3 Nr. 91.
5) ©ött. ijf. 96-98; 111‘—113; 200—201; 234'-235'.
6I kj. Sachs i. Wickrams Wkn., Hrsg. v. Balte u. Scheel (Tüb.
1901 ff.) Bö. 1 S. XVII ff.; Schumanns Nachtbüchlein a. a. G. S. 367 ff.
(Nnh. Nr. 8);S. 374 ff. (Nnh. Nr. l2);Nrnalö S. 62 ff.; 64 ff.; 67 ff.; 84 ff.;
88 ff.; Drescher, Stuöien II klnh. Nr. 8; B c r I. fj f. 86— 88; 333—343;
341—353 u. ö.; © ö 11. fj f. 85-87'; 101'—103'; 103'—105'; 107' —109';
204—205; 205-207; 211—212 u. ö.
7) z. B. Sachs bei © oez, Bö. 4 S. 72 ff. (hier wirö öie (Duelle im
letzten Verse öes ersten Stollens bezeichnet, öarauf folgt öie Betrachtung);
B e r I. ij l 181—183; 301—304.
8) Schumanns Nachtbüchlein, Nnh. Nr. 14; N a u m a n n, Über einige
kjff. öes fj. Sachs (Lpz. 1843) S. 24 f.; puschman bei © oetze 5. 118 ff.
3) Sachs, Schwänke Bö. 3, Nr. 225.
'°) Wiömann, 3. ©esch. u. Lit. ö. Meisterges. i. Gberöstr. (Wien unö
Lpz. 1885) S. 28 f.; 11 Lieöer Behams Hrsg. v. B ü s ch i n g Nr. 5. 8; Falz
Nr.71; Sachs bei S t i e f e 1.3tschr. ö. Ver. f. volksköe. Bö. 10. (1900) 5. 74 f.5
Sachs bei ct r n o I ö S. 94 f.; Naumann (s. o.) S. 29 f.; Ber 1. kjs. 1—2;
12—14; 27-29; 69-71; 88-90; 91—92; 95—97; 375-376; © ött. hs.
32'—34; 61'-62'.
— 68 —
$std)s hat von seinen Spruchgedichten in manche seiner Lieder
die Gewohnheit übernommen, sich am Schluß zu nennen; aber
auck bei Mols Gernolt und Joseph Vle finden wir diesen Brauch.
Kurzen, sentenzmätzigen Bbschluß haben wir schon bei Holz
(Nr. 20: die Meiber „bunt kurczen mut unct lange cleider“)»
dann aber besonders wieder bei Sachs: ein Unglück kommt
selten allein; keine List über Hrauenlist; ein Narr macht zehn
Narren; unverhofft kommt oft: derartiger Schlüsse sind seine
Gedichtbände ooll1).
Die allegorischen Schlüsse deuten, wo sie nicht das Ulte Testa-
ment durch das Neue erklären, etwa eine Gleichnisrede Jesu in
allen Tinzeilheiten aus-) oder veranschaulichen einen Türkensieg
durch die Erzählung von der Schlangenschlacht oder setzen den
Drachen, der des Negulus Heer schädigte, mit einem modernen
Tyrannen in paralleles.
(Dft ist die Moral Hans Sächsischer Erzählungen nüchtern
oder gar läppisch. Das Ergebnis der Geschichte von hero und
Leander ist:
„Wo noch unelich lieb entprende,
Lest sie nach ihr ein draurig ende“4)
Die Schluß-Sentenz der Gdipus-Geschichte lautet:
„Daraus kumpt ein sprich wort gemein:
Wen reitet ein unglueck,
Dem kumpt ein unglueck nicht allein,
Ein unglueck dregt das ander auf dem rueck“5).
Oder Eirce hat soeben aus Eifersucht die Meerjungfrau Scilla
in eine Klippe verwandelt; da heißt es denn:
„Also in lieb muescht sich viel ungluecks vnder,
Eyffer neid has zoren darpey
Vnd zawberey
Wird mancher mensch noch zv ainem merwunder1'6).
‘) bei Arnold S. 62 ff.; 64 f.; 99 ff. vgl. außerdem wickrams N)ke.
Bd. l S. XVlff.; töött.ijj. 72-73; 243'-244'; Verl. Hs. 341-353
(dieses Lied von Martin Gümpel von Straßburg, welches das ganze Vuch
Esther in verkürzter Gestalt versifiziert, enthält noch eine besondere Schluß-
Sentenz des Abschreibers: „Dises lied ist so falsch das es nit wol zu
Corigiren ¡st, leichter wer ein neues zu machen“).
h z. B. Gött. h s. 127'-129'.
3) Sachs bei Arnold S. 101 f.; 103 f.
4) Drescher, Studien II Anh. Nr. 4.
&) Ebenda Nr. 12.
ß) Gött. hs. 41'—42'.
Die Moral der Geschichte von Ruth läuft darauf hinaus, daß
es doch möglich sei, daß Schwiegertochter und Schwiegermutter
friedlich mit einander auskommen^).
Lin Refrain, der für das Volkslied ja typisch ist, findet sich
naturgemäß selten. R)ir haben ihn bei ^Zörg Grass in zwei
Meisterliederm'), bei Hans Sachs in einigen seiner ältesten Rirchen-
lieber3) und in dem schönen Buhllied Georg hagersh. Bei
hager (Hr. 4) und WitzstaV) finden wir auch die refrainähnliche
Wiederholung des letzten Wortes der Strophe mit „ja". Regele
mäßige Wiederkehr derselben zweiten, fünften und sechsten Zeile
in jeder Strophe liegt in einem Liede Balten Voigts vor3).
Während den Meisterliedern ein Schluß nur selten fehlt,
entbehren die meisten einer besondern Einleitung. Wo eine solche
vorhanden ist, nennt sie in der Regel einfach die Quelle: die
Bibel, „pocacius", plutarchh, und sie sucht wohl auch die Ruf-
merksamkeit durch ein vorangesetztes „hört" zu fesseln. Rber
es gibt auch Linleitungen, die einen Stollen3), eine Strophe3)
und gar zwei Strophen^3) einnehmen. Scherzhaften Eingang
wie auch Schluß hat Sachsens Lied über seine schauspielerische
Tätigkeit"). —
I) © ött £7 f. 167—172'.
*) wackernagel Bb. 3, Nr. 447 f.
B) Ebenda Nr. 85 f.
4) Nlema'nia Bb 22, S. 159 ff., Nr. 6.
-') Schade a. a. (D. S. 454 ff.; so auch in dem Tagelieb des 16. Jahr-
hunderts : Goebeke-Tittmann, Lieberbuch S. 359 ff.
wackernagel Bb. 3 Nr. 1245.
T) vor allem bei Sachs: „Lin buch cento novella heist“ (© 0 eheste
I S. 18), „Her Titus Livius der tut uns sagen“ (e b. S. 57), „Hört, wie
ich in eim buch gemalet fant“ (e b. S. 146); Ähnliches schon vor Sachs:
„In einer kronik ich das las“ (Gvebeke-T ittma nn, Lieberbuch
5. 325), „Uns sagt die gschrift“ (eb. S. 330); „Nun merket jezunt, jung
und alt“ (c b. 5. 363).
8) z. B. Schumanns Nachtbüchlein Hrsg. v. Balte, 5lnh. Nr. 5.
0) puschmans Schulltunst bei Goetze, Laus. Mag. S. 116 f.; ebenso in
dem Babeliebe, bas dem Liebe von Gengen zugeschrieben wird: Germania.
5. Zahrg. S. 215, Hrsg, v.tzoltzmann.
50) Germania a. a. D.; ferner wackernage! Bb. 3 Nr. 1137.
II) MicheIsi. d. vierteljahrsschr. f. Lit.gesch., 3. Bb. (Weimar 1890)
S. 43 ff.
70 —
3m Bar, der fast stets aus einer ungraden Zahl von Ge-
sätzen oder Strophen besteht, ist die Strophe die größte äußere
und innere Einheit. Bber ebenso wenig wie für den Bar als
Ganzes zeigte die Mehrzahl der Meistersinger für eine innere
Gliederung der Strophe Verständnis'). Eine gute Einteilung
wird zuweilen, besonders in Schulkünsten, dadurch erreicht, daß
jeder Strophe ein bestimmter Ltoffabschnitt zugeteilt wirdh. Holz
kennzeichnet in einem Gedicht jede neue Strophe durch Zuführung
einiger lateinischer Worte (Nr. 34), Sachs durch stets erneuten
Hinweis auf die (Quelle^). Buch ein ironischer widerruf des
Gesagten am Ende jedes Gesätzes kann diesem Zwecke dienen').
Bei dialogischen Gedichten lag es nahe, die Partner von Strophe
zu Strophe abwechseln zu lassen '). Die strophische Einheit findet
sich auch dort gewahrt, wo eine bestimmte Bnzahl von Ein-
heiten zu einem Liede zusammengefaßt wurde: die sieben Herz-
leiden Mariä bei wurgenbock') oder bei Sachs die zehn Gebote,
die drei Könige, die nie von Gott abfielen, oder auch drei ver-
schiedne Schwänke, wobei denn zuweilen jede Strophe ihre
eigne Moral hath.
häufiger ist aber eine gänzliche Vernachlässigung der Stro-
pheneinheil vor allem Beheim verfährt oft ohne jede Rück-
sicht auf die Zarin, sowohl in Liedern allgemeinen Inhalts) wie
in politischen und Kirchenliedern^). Hans Zolz (Nr. 12. 23) und
') Lines der seltenen Leispiele solcher Gliederung s. b. 3 i n g e r l e,
Sitz.ber. d. wiener Nk. Vd. 37, heft l (1861) S. 365. vorzüglich gegliedert
ist auch das 2. Gesätz des Liedes „Lob der Nacht" bei G ö r r e s, Volks- u.
Meisterlieder S. 105 ff.; überhaupt bieten die älteren Lieder der Nolmarer
h s. wie auch die Lieder Jörg Graffs und die politischen Gedichte Veheims
mehr Beispiele der Nrt.
widmann a. a. ffi. S. 39 f,; Goetze Laus. Mag. S. 121 ff.
') Verl. Hs. 155-157.
4) in einem Gedicht Hans Sigels bei IVackernagel Vd. 2 Nr. 1306.
'■’) so Schade a. a. (D. 5. 466 ff.; § oIz Nr. 52.
c) wackernagel Bd. 2 Nr. 1028.
") ebenda Vd. 3 Nr. 102; h. Sachs bei Go ez Vd. 2 S. 104ff.;
Drescher, Stud. II S. 85 ff.; Gött. Hs. bl'—62'; 145—147; 182'—186';
211—212.
*) wh. wa ckernagel.NItd.Lesebuch. 5. klufl. (Basel 1873)5p.l414ff
Philipp wackernagel vd. 2 Nr. 854—861. 874 f.
— 71
Hans Sachsh sind zuweilen nicht besser. Lei Benedikt von Watt
finden sich Strophenübergänge wie
„Das weib bald vnuerzaget / /
Den ars zum bet wendet heraus“ oder
................ziehe andechtig / /
Zu dem herr papst . . .“2).
Bet Hans Deisinger:
................nun saget mir, / /
Sol ich in herein zu euch lassen?“ und
„Alhie siehestu hangen / /
Den herren................“3)
Oder in der Göttinger Handschrift (Bl. 4-5'):
„Als nun petrus weit zv dem herren dar / /
Vnd drat aus dem schiff mit pegire .
Bei solcher Nichtachtung der Stropheneinteilung verschob sich
gelegentlich dem Dichter die Übersicht über das versschemah.
hieraus erklären sich wohl auch die Einschübe von halben
Strophen zwischen die einzelnen Gesäße, wie wir sie schon im
Liederbuche der hätzlerin antrafen^),- und sie ist verwandt mit
der späteren Gepflogenheit der Meistersinger, dem Nbgesange noch-
mals einen Stollen folgen zu lassen, was natürlich, besonders
bei dem ohnehin oft übermäßig ausgedehnten Bbgesange, die
Architektonik der dreiteiligen Strophe zerstören mußte^).
In einigen Süllen steht das Versmaß, vor allem die Art
der Beimbindung, der künstlerischen Wirkung im Wege, wenn
Solz (Nr. 6) das Schema a a a b, cccb, ddde gebraucht,
so findet sich die Entsprechung für den Beim e erst jedesmal im
J) Lützelberger-Frommann 5. 62 ff.
2) Festschr. z. h. Sachs-Feier (Weimar 1894) 5.61 (Hrsg. v. Volte).
*) ebenda S. 62. 65.
4) Görres, Volks- u. Meisterlieder 5. 20 ff.; vgl. h e i d. h s. Vl. 107'.
6) so auch bei K e t n 3, Sitz.ber. d. 6K. d. wist., München 1892, 5. 650 f.
651 f.
6) von persönlichem Interesse ist L e s s in g s Meinung, die Dreiteilig-
keit der Meisterstrophen sei auf Einfluß der pindarschen Lieder zurückzu-
führen; vgl. Eschenburg i. d. Denkmälern altdeutscher Dichtkunst, Bremen
1799, S. 344 u. Goedeke-Eittmann, Liederbuch 5. 33o 6nm.
72 —
letzten Verse der beiden folgenden Strophen. In öeheims oft
benutztem Strophenschema
4 a 4 c
4 a 4 c
3 b 3 b
3 d
4 e
4 e
3 d i
steht die ausgesprochen lyrische Neimverschlingung des Nbgesangs
in unorganischem Gegensatze zu der epischen Einfachheit der
Stollen.
N)as die Behandlung des Linzelverses anlangt, so schrieben
die Tabulaturen vor, daß jeder Vers in einem Atem zu singen
und daß nach dem Beim abzusetzen sei'). Der Vers sollte also
eine Einheit bilden. Textlich ist diese Forderung nur ganz selten
durchgeführt worden. Einem Johannes Spreng gestattete wohl
seine Sprachgewandtheit die Erfüllung dieser äußersten Konse-
quenz"), und einige Liebeslieder des 15. Jahrhunderts kommen
ihr gleichfalls nach^).
Zür völlige Nichtachtung der Verseinheit bietet wohl Ne-
heim die reichhaltigsten Beispiele: bei ihm finden sich „und"')
oder ein Artikel7’) wiederholt am versende. Nur ein Beispiel:
„Sein namen tun ick eucb pekand,
der trumm Albreht was er genand,
römischer künig. Yn der
Ungern und in der peham land
der reich er küng waz paider sand.
wider kumm ich enhinder
An herezog leübolcz kinder . . ?).
h vgl. 5 taiger , Benedikt von Watt, Berl. viss. 1908, S. 37.
2) tteinz i. d. Sitz.ber. d. Münch. 5lk. d. wiss. 1893, 5. 196—200.
3) K e i n 3 ebenda 1892, S. 660 f., 683 f.
4, z.B. wackernagel vd. 2 Nr. 895 Sir. 12 D. 1 ; Nr. 862 Str. 2
v. 7; Nr. 880 Str. 2 D. 5; Str. 5 v. 2 u. ö.
3) z. B. wackernagel Bd. 2 Nr. 860 Str. 5 D. 1 ; Nr. 868 Str. 2
V. 12; St. 8 v. 7 u. ö.
°) bei Karajan Nr. l v. 81 ff.; vgl. auch N ü h n a. a. (D. S. 132.
137 s.
— 73 —
Hud) die Teilung eines Wortes auf zwei Verse, die sich
ja schon bei Konrad von Würzburg zeigt, begegnet uns bei Be-
heim: er reimt einmal „her-wider“ auf „sunder“1 2). Ähnlich
beginnt Runnenbeck eins seiner Weihnachtslieder, das im goldnen
Ton Beckmessers abgefaßt ist, mit den Versen:
..0
wer wollt' nicht von Herzen do
fro-
lo-
eken, jubilieren,
der reinen Maid hofieren"3 4 * * 7).
Ihm ist k)ans Sachs ein gelehriger Schüler, der z. B. die mitt-
lere Silbe von ,,entpfa-hen“ in den Reim setzR), und Spätere
machten es auch nicht besser^)
Die Reimkünstelei und -spielerei nimmt in manchen Strophen-
schemata geradezu absurde Maße an. Ruch in dieser Beziehung
hat sich Beheim hervorgetan. Die Reimordnung seiner „gekrönten
Weise" ist diese: a a a a a b, a a a a a b, aaaaaaaaa br').
In seiner „hohen güldnen Weise" steht gar jedes Wort im
Reimes; die 42 Verse seiner „schlecht güldnen Weise" bestehn
aus abwechselnd ein und zwei Hebungen'),' die „slag weis" hat
im Rbgesange neun Reime auf h hinter einander, denen nur nock
einer auf d folgt8). Richt viel anders bei Holz, der die Passion
(Rr. 1) in 17 Gesätzen besingt mit dem Reimschema a a a a a a 5,
c c c c c c b, dddedddeddde-, die natürliche Holge ist ein
ausgedehnter Reimzwang, unter dem z. B. in der letzten Strophe
folgende Worte auf einander reimen: persan, gelan, han, man,
erstan, pan (Bahn), abegan, trän (Thron), kran (Krone);
1) Wackernagel Bb. 2 Nr. 861 Str. 1. v. 4 f.
2) l) a in p e i. b. Ntilt. b. Der. f. Gesch. b. Stabt Nürnb. Fjefi 11 (1895)
S. 180 f.
3) bei Arnold Nr. 3 D. 42 f. ; ähnlich bei Wacker nage! Bb. 2
Nr. 1406 Str. 3.
4) 3. B. Streinz i. Zahrb. f. Gesch. Lls.-Loth., y. Iahrg. (1893)
5. 76 ff.. Nr. 4. -
I Ein Beispiel bei Büsching a. a. D. Nr. 1.
e) ebenda Nr. 9.
7) bei Balte, Prager Studien Pest 8 (1908) S. 406 ff.
8) Wackernagel Bb. 2 Nr. 876.
und das zweite Lied besteht nun gar aus Strophen, deren 29
Verse sämtlich auf einander reimen- außerdem sind die Reime aller
drei Strophen männlich und haben sämtlich den Stammvokal a;
diese Künstelei ist, wie die Überschrift zeigt, aus einer wette
hervorgegangen*).
welches ist nun das Ergebnis unsrer Untersuchungen zur
Poetik der Meistersinger? Lediglich das Eine konnte festgestellt
werden: daß eine von allen anerkannte Regel oder ein be-
stimmtes Maß in der Abgrenzung der Ztrophenzahl oder der
Schlußbetrachtung oder in dem Verhältnis der Strophen und
Ztrophenteile zu einander, in der Einheit des Verses oder der
Bindung der Reime nicht existierte- daß es neben manchem Treff-
lichen, das einem wahren, unreflektierten Gefühl entsprungen
war, viel Unwahres, Natur- und Runstwidriges, Schrullenhaftes
und Überspanntes gab und manches, was mit den Vorschriften
der Tabulaturen in Widerspruch stand: daß in technischer Be-
ziehung von einem grundsätzlichen Unterschiede der Jahrhunderte
ebenso wenig gesprochen werden kann wie von einem solchen
zwischen den einzelnen Dichtern, ja daß mancher Dichter (wie
Beheim und Grast) in seiner Person und Dichtung Widersprüche
vereinte, die uns ein genau fixiertes Urteil unmöglich machen,
die uns aber doch auch zeigen, wie verkehrt es wäre, von einem
die Individualität vernichtenden Regelzwange des Meistergesangs
zu sprechen, da doch wenigstens im Unkünstlerstchen und Ab-
surden eine überaus große Mannigfaltigkeit nicht geleugnet
werden kann.
l) 20 gleiche Heime nach einander hat schon die Strophe des Hanzlers:
v. d. st a g e n s Minnesinger Il394. 13.
75 —
Anhang.
Der Meistergesang inder deutschenDichtung
des 1 9. Iahrhunderts.
Das Interesse der neueren Zeit am Meistergesänge beschränkt
sich säst ganz auf die Gestatt des Hans Zachs. Nach der ersten
Ehrenrettung des in Verunglimpfung Gefallenen durch Zalomon
Kanischh hat vor allem Goethes Gedicht „Hans Zachsens
poetische Zendung" die Erinnerung an den alten Meister neu
geweckt, hier finden wir im Nahmen gleichsam eines Dürer-
schen Holzschnitts Zachs mitten in seine Zeit hineingestellt,' hier
erscheint seine tiefe herzliche Anteilnahme an lvelt und Menschen
und ihre humorvolle Widerspiegelung in seiner Kunst, allum-
fassende Liebe und philosophischer Weitblick und als letzte Nundung
und Vollendung das Glück einer neuen Liebe. Nur Ein wichtiger
Zug fehlt neben der poetischen Zendung: die evangelische Zendung
Sachsens).
Wie Goethe selbst durch Zachs und seine Verskunst ange-
regt wurde - ich erinnere an die „Legende", an „Pater Brey",
„Zatpros", „Urfaust", an kleinere Gedichte und Briefe') - ,so
hat er andrerseits auf den Weimarer Kreis eingewirkt. Wieland
pries den alten Dichter in begeisterten Worten, 5- 3- B er tu cf)
gab Proben des „teutschen Meistersängers" heraus (1778),- häß-
lein folgte mit einer weiteren Auswahl (1781); Büfching ver-
') ÏÏÏ. Sal. R a n t j d), historisch-kritische Lebensbeschreibung Hans
Sachsens, Rltenburg 1765.
*) Entschuldigend Goetze, Goethe u. h. Sachs, Ber. d. Freien deutschen
Hochstifts z. Frkf. a. RI., Neue Folge, 11. Bb. (1895) S. 19* *.
3) Georg Wahl, h. Sachs u. Goethe, Jahresber. üb. d. Stadt. Real-
gymn. z. Loblenz 1892, 5. 3—24; 1893, S. 3—24.
— 76 -
öffentliche 1816-1824 drei Lände Hans Sachsh. vor allem
die Romantiker (Brentano, Ñrnim, í). v. Kleist) ließen sich durch
den Meistergesang anregen^), und 1816 erschien in des Pfarrers
Ñrnold Straßburger Lustspiel „Der Pfingstmontag" in Er-
innerung an die erst kurz zuvor erloschene Straßburger Meister-
kunst eine von prächtigem Humor erfüllte Meistersitzung mit
Wettsingen, Merkern und Preisoerteilung auf der Luhne.
E. T. Ñ. Hoffmann aber hat in seiner Novelle „Meister
Martin der Küfner" (1818) als erster den wirklichen alten Meister-
gesang poetisch verwertet. Ouelle war wagenseil, der auch den
Stoff für das „Fräulein von Scuderi" hergab. Lei ihm fand
hoffmann das Ñlt-Nürnberger Lokalkolorit, das wir dann in
seiner prächtigen, leider Fragment gebliebenen Erzählung „Der
Feind" wiederfinden. Im „Meister Martin" wird ein Freisingen
in der Katharinenkirche vorgeführt, Meisterlieder werden bei
Text und Namen angezogen und gesungen - aber all dies dient
am Ende nur der belustigenden Unterhaltung, dem geselligen
Vergnügens: Hauptsache ist durchaus die Entwicklung der Liebes-
geschichte.
Ñus dem umfangreichen Geschichtsroman Friedrich Für ch a us
„Hans 5achs"h, der als Kunstwerk belanglos und für die Wissen-
schaft zu romanhaft ist und der ganze Fastnachtsspiele, Schwänke,
Kirchenlieder und Tabulaturen in sich birgt, seien hier nur zwei
Irrtümer mitgeteilt, von denen wir wenigstens dem einen später
häufig wieder begegnen sollen: den Meistersingern schon der
Zeit vor Luther wird eine geheime Opposition gegen.die katho-
lische Kirche nachgesagt, und Lachs wird in bewußten Gegensatz
zu der ihm angeblich weit unterlegenen Meisterkunst gesetzt').
*) Dgl. (Emil Welle r. Der Dolksdichter ff. S. u. seine Dichtungen,
eine Bibliographie, Nürnb. 1868; ferner zu den beiden letztgenannten ñus-
gaben, w h. G r i m m, Kl. Schr. Bö. 2 (Berlin 1882) S. 227 ff.; 276 f.
2) Goetze, ff ans Sachs Bö. 26, S. 128 f.; 3 ul. 5 ahr i. d. Ztschr.
f. d. d. Untere , Iahrg. 6 (1892) S 591f. Dgl. z. Folgenden vor allem
Baberadt, ff. Sachs im Andenken der Nachwelt, ffalle 1906, eine Fort-
setzung des vortrefflichen Buches von Ferd. Lichler, Das Nachleben des
ff. Sachs v. 16. bis ins 19. Iht., Lpz. 1904.
ff ff. v. W o l z o g e n i. d. Bayreuther Blätter, Bö. 18 (1895) S. 391 ff.
ff Fr. Fürchau, ff. S. 2 Ñbt. i. 1 Bde. 1819/20; 793 Seilen,
ff Dieser letzte Irrtum hat noch in neuester Zeit im ffirne des be-
geisterten ffanns ff o l z s ch u h e r gradezu übernatürliche Ausdehnung ge-
wonnen: vgl. seine Schrift: ff. Sachs i. s. Bedeutung f. uns. Zeit, Berlin 1906.
77 —
1829 erschien ein anspruchsloser Einakter von Gubitzh, in
dern Hans Lachs die pädagogisch zugespitzte Kolk eines Heirats-
vermittlers spielt. Fluch in dem vieraktigen Drama Deinhard-
steins'), zu dem Goethe einen Prolog schrieb, bleibt die Meister-
kunst im Hintergründe. Wichtig ist außer der Liebesgeschichte,
die sich um die Goldschmiedstochter Kunigunde und ihre beiden
Bewerber, den jugendlichen Hans Sachs und den geckenhaften
Ratsherrn Eoban Runges, dreht, die gegnerische Stellung der
Meister zu Sachs, dessen überragender Genius ihnen verhaßt ist.
Eine Bearbeitung dieses Dramas liegt in Philipp Negers
Textbuch zu Lortzings Gper „Hans Sachs" vor'), hier sorgte zugleich
die Notwendigkeit eines Thors für ein starkes kollektivistisches
Moment; das preissingen zwischen Sachs und seinem Nebenbuhler
Eoban Hesse (sie), das mit der Krönung des letztern durch die
Meister und mit der Huldigung des Volkes für Sachs endet,
zeigt freilich eine Mischung aus geschichtlichen und phantastischen
Zügen.
Fluch Flugust Hagen hat in seiner Novelle „Die Singschule
der Meistersinger"''') ein Bild der meistersingerischen Einrichtungen
entworfen: auch bei ihm finden wir ein Wettsingen, diesmal,
recht anachronistisch, zwischen Beheim, Sachs und Peter Bischer,
die sich im preise Dürers vereinigen.
Zwei Werke der nach-Wagnerischen Literatur, die beide im
Iubiläumsjahr 1894 erschienen, seien bereits hier genannt; es
ist dies das Festspiel von Gutjahr und Geißler, zu dem
Tursch-Bühren die Musik schrieb, und ein Drama von Martin
') $. ED. © u b i tj, h. Sachs ober Dürers Festabend, bramat. Gemälde,
Iahrb. deutscher Bühnenspiele, Hrsg. v. K. v. fjoltei, 8. Iahrg., Berlin 1829,
S. 83—128.
2) Hans Sachs, Wien 1829.
*) Ursprünglich hieß der Gegenspieler Coban Hesse: man hat lange,
aber grundlos eine Anspielung dieses Humanisten auf Nürnberger „indoc-
tissimi idiotae" als eine Verspottung Sachsens angesehen; vgl. Eichler
a. a. (D. S. 3.
4) Heclam Nr. 4488,
B) Nugust Hagen, Norica, das sind Nürnbergische Novellen aus
alter Zeit, 5. Nufl., Lpz. 1876, S. 251—276; schon in der Novelle „Der stör-
rische Schuster" S. 161—179 war Sachs als humorvoller Handwerker auf-
getreten.
— 78 —
Greif. In dem Festspiel) erringt, wie in Wagners Drama, ein
jugendlich-begeisterter Länger den Beifall der anfänglich wider-
strebenden Meister; das Kolorit, das wieder dem Wagenseilfchen
Buch entstammt, ist noch getreuer gewahrt als bei Wagner, nur
die Lieder sind ganz unhistorisch. Wagners Einfluß ist überall,
selbst in Einzelheiten, deutlich zu erkennen.
Ungleich wertvoller ist Greifs Drama „Hans Lachs",
dem schon 1866 ein gleichnamiges, aber weit schwächeres Ltück
(veröffentlicht unter des Dichtes bürgerlichem Namen Hermann
'Zrep) voraufgegangen war. Abgesehen von der Liebesgeschichte
sind die historischen Tatsachen treu verwertet. Lachs bemüht
sich um Hebung und Einigung der Nürnberger Lchule, wird aber
bekämpft. Der junge pogner wird für ein mittelmäßiges Lied ge-
krönt, Sachs verfingt mit einem polemischen, wird bestraft und
verläßt seine undankbare Vaterstadt. Um Lchluß erhält er
Kunigundens Hand und wird von der Bürgerschaft in Ehren auf-
genommen. Der junge Held, auf den der Dichter Ereignisse aus
des historischen Lachs Leben in freier zeitlicher Zusammenstellung
übertragen hat und der plastisch vor unseren Bugen steht, ist
Wagners Lachs als Jünglings; aber auch die übrigen Meister
sind nicht bloße Statisten, sondern lebendige Menschen.
In all diesen Dramen diente der Meistergesang als Mittel
zum Zwecke der Charakterisierung des Helden. Erst Wagners
dramatischer Genius hat auf der Grundlage seiner neuen Kunst-
form den Meistergesang als Kollektiverscheinung dramatisch ge-
staltet, hat das Neben- und Gegeneinander von Individuum und
Masse und ihren Zusammenschluß zu einer höheren Einheit in
großartiger Durchführung dargestellt.
Wagners „Meistersinger", die wie „parsisal" und der „Ning"
eine mehr als zwanzigjährige Entstehungsgeschichte haben, waren
ursprünglich als Satyrspiel zum „Tannhäuser" gedacht, der ja
auch einen Längerstreit um die Hand eines Mädchens zum Ge-
genstand hatte. Aber die polemisch-ironische Grundstimmung des
Dichters nach Vollendung des „Tannhäuser" hätte damals einen
') Emil A. Gutjahr u. Fdr. flfcolf Geißler, £). Sachs i. Leipzig,
Festspiel i. 2 Aufzügen, Lpz. 1894.
2) B a d e r a d t a. a. V. 5. 63 ff.
79 —
tragischen Abschluß des neuen Dramas bedingt). Fünfzehn Jahre
später, als Wagner die alten Entwürfe in dreißig Tagen zu
seinem Versdrama umgestaltetes, hatte er in seinem Wort-Ton-
Drama eine eigene künstlerische Form gefunden und zugleich
in der Philosophie Schopenhauers, in der gewaltigen Schöpfung
des Ning-Zpklus und in dem tragischen Erlebnis mit Mathilde
Wesendonk eine innere Vertiefung erfahren, die ihn nicht nur
all die Wirrnisse während der folgenden Jahre der Ausarbeitung
- von den wiener Tristan-Enttäuschungen (1861) über die Ver-
bannung aus München (1865/66) bis zu Minna Planers Tode
(Anfang 1866) - siegreich überstehen, sondern die ihn auch die
Gemütsphilosophie finden ließen, die für das neue Werk uner-
läßlich war: den Humor.
Wagners Lustspiel zeigt vielfache literarische Beeinflussung
durch seine Vorgänger. Mit hoffmanns „Meister Martin"
hat es den Ritter, der durch Erfüllung besondrer Bedingungen
eine Bürgerstochter gewinnt, und das Nürnberger Bürger- und
Singer-Milieu gemeinsam^), das Wagner auch in der hagenschen
Novelle vorfand. Aus dem Deinhardsteinschen „Hans Sachs"
ließen sich an Einzelheiten das Meditieren unter dem Blüten-
baum, das zeitweilige versagen der dichterischen Kraft bei Sachs
sowie der starre Formalismus der übrigen Meister anführen,
während die Motive der Preisstellung und des Handschriftdieb-
stahls auf desselben Dichters Drama „Salvator Rosa" zurück-
gehn, das seinerseits durch hoffmanns Novelle von „Signor
Formica" angeregt war. In Lortzings „Hans Sachs" haben
wir wie bei Wagner ein zweites Liebespaar (Gorg und Tordula)h,
') Richard Wagner, Ges. Schr. u. Vicht., Lpz. 1871 ff., vd. 4 S. 349 ff.
9 Januar 1862; Richard Wagner, Mein Leben, 2 Bd., München
1911, 5. 714.
3) 3m Tapuzzi des „Signor Formica" von hoffmann finden wir sogar
den Beckmesser-Typus vorgebildet: einen Runstnarren und verliebten Riten,
der selbst der vurchprügelung beim nächtlichen Ständchen mit folgendem
Straßenauflauf nicht entgeht, vgl. außer w o lz o g e n a. a. D. S. 394 noch
Ttt l in g er in Rürfchners R. Wagner-Iahrb. (Stuttgart 1886) Z. 128.
9 Ähnlich 3rmentraut und Georg im „Waffenschmied", der übrigens
auch von hoffmanns „Meister Martin" beeinflußt war; vgl. auch welti,
Lortzing u. Wagner, in Rürfchners R. W.-Iahrb. S. 229—238.
— 80
ferner, wie schon bei Deinhardstein, den Diebstahl eines Manu-
skripts, und weiter einen lächerlichen Nebenbuhler in Liebe und
Poesie, die Begeisterung des Volkes für Lachs, selbst die humor-
volle Auffassung des Zchustergewerbes. Vielleicht kommt sogar
Ferdinand Naimunds „Gefesselte Phantasie" mit ihrem Länger-
kampf um die Hand Hermiones als Cfuelle Wagners in Betracht').
Von wissenschaftlichen Hilfsmitteln hat Wagner, der einmal
die Lelbständigkeit seiner Dichtung betont"), nur Jacob Grimms
Streitschrift über den Meistergesang, Wagenseil und in zweiter
Linie die Darstellung des Meistergesangs bei Gervinus benutzt).
von den äußeren Ereignissen in Sachsens Leben hat Wag-
ner nur wenig in seine Dichtung übernommen: seine verwitwung,
der Tod seiner Mnder werden erwähnt- und bei Wagner wie
') E. v. Komorzpnski nimmt (Euphorion Bd. 8, 1901, 5. 340 ff.)
als die Lluelle für Wagners (Quellen und zugleich für Kleists ..Käthchen
von kfeilbronn" das Lustspiel ,,Liebhaber und Nebenbuhler in einer Person"
(1790) von 5- w. Ziegler an mit seinem Gegensatz und der Verbindung von
kldel und Bürgertum. Auf Kleists Drama führt er auch das wagnerfche
TTtotio zurück, daß Evchen im Bilde des Königs David gleichsam den Kitter
liebt, ehe sie ihn kennt — was ich nicht für notwendig halte: man denke
nur an die ganz ähnlichen Vorgänge bei Senta und Elsa. Der Stammbaum
des wagnerschen Werkes würde sich also, alle Eventualitäten mit einbe-
zogen (von den wissenschaftlichen Quellen ist hier natürlich abgesehen) fol-
gendermaßen ausnehmen:
Ziegler
Zur Eluellengefchichte des wagnerschen Dramas vgl. jetzt besonders K o e t h e,
Sitz.ber. d. Kk. d. Wifs., Berlin !9l9, S. 673 ff.
2i K. wagner, Briefe an !K. Wesendonk, 32. tlufl, Berlin 1908,
Nr. 128. S. 295; s. auch Mein Leben S. 794 f.
3) Mein Leben S. 360. 788.
— 81
in Wirklichkeit ist Sachs ein Lobsprecher des „liebseligen Ehe-
standes". Nber anders als der historische Sachs verzichtet Wag-
ners Held auf einen zweiten Ehebund, wichtiger sind die Ab-
weichungen im Charakter des Meistersingers. Zwar besaß auch
der geschichtliche Sachs (wie Goethes Gedichtheld) Liebe, Welt-
frömmigkeit und Humor, aber er war nicht der naive Dichter,
den „poetische Stimmung, Glieder, leise Melancholie" beherschenh.
Seine intellektuelle und ethische Tiefe, sein Pessimismus, seine
Selbstüberwindung, sein Begriff des Wahnes sind dem Nürn-
berger des 16. Jahrhunderts fremd,' sie entstammen der Lebens-
philosophie Wagners und Schopenhauers und sind an Hans Sachs
ebenso anachronistisch wie die verwandten Eigenschaften von
Wagners Tristan, Wotan und parsifal. Und wie Goethes Helden
so fehlt dem Wagners die religiöse und kirchliche Begeisterung.
Sachsens Stellung zu der Persönlichkeit und der ungezügelten
Naturpoesie eines Stolzing, der, wie einst Holz, wie später Wagner
selbst, durch seine neuen Begriffe von der Kunst das Entsetzen
der berufsmäßigen Kunsthüter hervorrief, ist das des Vermittlers.
Buch der historische Sachs vermittelte zwischen den Parteien
unter den Nürnberger Meistersingern, und durch seine Bevor-
zugung weltlicher Stoffe sowie durch seine Annäherung an Klänge
des Volksliedes trat er der Masse des Volkes näher als die
übrigen Meister und verdiente sich andrerseits die Gegenliebe
seiner Mitbürger.
Die Stellung von Wagners Sachs zur Kunst des Meister-
gesangs ist allerdings geschichtlich nicht ganz getreu: weder in
seinem Mißtrauen gegenüber den anderen Meistern noch in seinem
Appell ans Volk, noch in seiner Krönung der unzünftigen Kunst
Walthers oder gar in seinem Kampfe mit der dichterischen Ein-
gebung, die sich nicht zwingen lassen will. Der historische Sachs
betrieb auch seine Kunst im wesentlichen als Handwerk, und es
fiel ihm nicht ein, sich abseits der übrigen Meistersinger zu stellen.
Wagner stellte seine Hauptfigur aus dramatischen Gründen über
die Masse seiner Dichterkollegen, ohne diese letztern aber allzu-
sehr zu schädigen: es sind wackere, wenn auch beschränkte Leute,
die sich einer Belehrung zum Bessern nicht unzugänglich zeigen.
*) vgl. L. v. 5 ch r e n k, R. Wagner als Dichter, München 1913 5. 165ff.
— 82
Wenn sie sich gegen Sachsens Anrufung des Volkes, wenn Beck-
messer sich gegen seines Nebenbuhlers „Gassenhauer" wendet, so ent-
sprach dies sehr wohl der exklusiven Stellung des Meistergesangs
Die Namen der Meister fand Wagner bei Wagenseil (5. 515)'
und es verschlug ihm nichts, daß Folz und Schwarz in Wirk-
lichkeit durch anderthalb Jahrhunderte getrennt lebten.
Nur in Beckmesser haben wir es vielleicht mit einer histo-
rischen Ungerechtigkeit zu tun. von Belang ist hierbei freilich nicht
ein vergleich mit dem historisch belegten, aber wenig greifbaren
Meistersinger dieses Namens, sondern nur die Frage, ob Beck-
messer als Typus geschichtliche Wahrheit hat. Die Niedrigkeit
seines Charakters kommt für diesen Gesichtspunkt nicht in Be-
tracht' aber birgt seine künstlerische Unzulänglichkeit nicht eine
Ungerechtigkeit? Gewiß sahen viele Meisterlieder des 16. Jahr-
hunderts nicht besser aus als Beckmessers Ständchen oder seine
Parodie des Preisliedes. Besonders kraß und ungerecht wirkt
all dieses und zumal das possenhafte Auftreten des Merkers
auf der Festwiese aber nur deshalb, weil Wagner die übrigen
Meister und an erster Stelle Hans Sachs veredelnd über die ge-
schichtliche Wirklichkeit hinausgehoben hat, während er die künst-
lerische Idealisierung Beckmessers in umgekehrter Richtung vor-
nahm. Die Erklärung für diese gegensätzliche Behandlung liegt
natürlich in dem dramatischen Bedürfnis nach einer Kontrast-
figur zu Hans Lachs.
Das Kolorit von Wagners Drama, dessen Handlung um
die Mitte des 16. Jahrhunderts spielt, ist dem 1697 erschienenen
Buche Wagenseils entnommen. Inwieweit decken sich nun Wagen-
fe'ls Angaben mit den Gebräuchen des 16. Jahrhunderts? Zu-
nächst: von den 41 Meisterweisen, die Wagner anführt, sind
mindestens 19 später entstanden als zur Zeit der Handlung des
Dramash. Was sodann die Katharinenkirche als Schauplatz
der Meisterschule betrifft, so lesen wir in den Protokollen: „Anno
1620 den 19 marcy hat Steffen Angerer das erste mal bei sanct
Katharina singschul gehalten"^. Buch hatte sich die Za.fi der
Merker um eine Person vermehrt. Die sonstigen Abweichungen
9 Das gefyt aus den non Drescher herausgegebenen Nürnberger
NIeistersinger-protokollen von 1575 — 1689 (Tübingen 1897, 2 Bde.) hervor.
h a. a. <B. Bb. 1 S 211.
— 83
Dort den geschichtlichen Gepflogenheiten, die wir bei Wagner be-
merken, waren beabsichtigt: das Gemerk ermangelt bei Wagner
des Tisches und der Bänke, denn er hat, wiederum aus drama-
tischen Gründen, nur einen Merker statt drei oder vier. Den
kanzelartigen Zingstuhl vereinfacht Wagner zu einem erhöhten
Lehnstuhl, vor allem aber vermengt er die Bräuche des Zreisingens
mit denen des Hauptsingens; seine ..Zreiung" ist zwar insofern
historisch getreu, als in ihr ein extraneus auftreten durfte, dem
auch die Wahl zwischen weltlichen und geistlichen Stoffen ge-
lassen wurde; aber die Auslassung des Publikums und die Bei-
behaltung des Merkers sind dem hauptsingen entnommen. Die
gröbste Abweichung von der geschichtlichen Möglichkeit stellt aber
die Behandlung dar, die Walther von den Meistersingern zuteil
wird: nur wenige der vorgeschriebenen fragen werden an ihn ge-
stellt (andere werden in Davids Belehrung an den Bitter ange-
führt), und Walther wird zum Meister gekrönt, ohne die niederen
Stufen dichterischer Kunstübung durchlaufen zu habenh. Sein
Bdel war dagegen kein Hindernis in den Bugen der Meister
(vgl. die Einleitung dieser Schrift). Bn kleineren Bnachronismen
seien das Singen von Meistern auf den Straßen (Beckmesser),
das ja verboten war, sowie das Begleiten der Gesänge aus der
Laute und schließlich die Koloraturen angeführt, die damals in
dieser Sorm noch nicht existierten^).
Die Tabulatur Wagenseils unterscheidet sich zwar in einigen
Dingen von den Tabulaturen Sachsens und puschmans, die
Wagner vielleicht aus chronologischen Gründen hätte bevorzugen
sollen; doch konnte er nie die Bbsicht haben, die seinem Werk
eingefügten Meisterlieder den Vorschriften der Schule genau an-
zupassen. Schon der Vers des l6. Jahrhunderts war einer mo-
dernen Nachahmung unzugänglich,- auch trotz puschmans Forde-
rung, man solle so skandieren, „wie man rett auch sagt vnd
spricht“, wurden überall die Silben nur gezählt), eine Methode,
die Wagner nur in Beckmessers Lied parodistisch anwendet; und
tz w agenseil 5. 542 ff.
h Nagel a. a. CD. S, 209; vgl. Mer). Der Meistergesang in Gesch. u.
liunst, 2. 5lusl. Lpz. 1901, S. 379 flnm.
8) G. Mnnzer, Das Singebuch des ct. puschman, Lpz. 1907, S. 94 f.,
Einl. S. 7.
84 —
wenn Wachsens kritische Worte an Beckmesser „Mich dünkt, 'füllt'
passen Ton und Wort" mangelnde Übereinstimmung von Melodie
und Latzakzent rügen, so hätte ein derartiger Tadel dem Lachs
des l6. Jahrhunderts gewiß ferngelegen^).
von den verstoßen gegen die Tabulatur in den Liedern
des Dramas seien hier nur die genannt, die regelmäßig begangen
werden. Dies sind erstens die „Klebsilben", die Zusammen-
ziehung zweier Wörter, wie sie in den formen „am", „vom",
„zum", „ins" usw. dem Neuhochdeutschen durchaus vertraut sind-
zweitens der Fehler „keine Blumen oder Koloratur", der mit Aus-
nahme des Lchusterliedes und des Ständchens gleichfalls alle Lieder
betrifft; drittens der Fehler „Veränderung der Tone", von dem
mit Ausnahme des Beckmesser-Liedes kein Lied frei ist, d. h.
die beiden Stollen eines Gesäßes oder die einzelnen Gesäße eines
Bars tragen verschiedene Melodien; und endlich „zween Keimen
oder Vers in einem Kthem", d. h. Mangel der pause zwischen
zwei Keimzellen: im Meistergesang bedeutet ja der Keim für
die Melodie stets einen k)alt (s. ob.)').
Zwei Dinge seien noch kurz angemerkt. Die Lieder Walthers,
der sich ja auf seinen Namensvetter von der vogelweide als Lehr-
') fln einzelnen Unstimmigkeiten seien die folgenden angemerkt: .Mei-
stersinger" 5. 24l f. (Ges. Schr. Bd. 7.) wird die Struktur eines Meisterliedes
richtig angegeben, S. 323 aber wird in dem Verse „seht, wie der ganze
Bar gelang" der Terminus „Bar", der das ganze Gedicht bezeichnet, fälschlich
für Desätz, Strophe, gebraucht (ähnlich durch Bothner in seiner Begelver-
lesung). S. 338 steht gar ,vers" für ,,Gesätz", und in den Worten Bothners
(5. 241 f.) „Lin jedes Meistergesanges Bar stell' ordentlich ein Gemäße dar
aus unterschiedlichen Gesetzen, die Beiner soll verletzen" deutet nicht nur die
falsche Schreibung von „Gesätz", sondern auch das Bild des Verletzens auf
eine augenblickliche Verwechslung mit „Gesetz", lex; S. 213, dagegen ist das
Wort richtig geschrieben. Schließlich hat Wagner wie bei den Namen der
Lüne so auch bei den Bezeichnungen der Fehler gegen die Tabulatur eini-
ges Neue erfunden: Nusdrücke wie „falsche Zahl" (S. 246), „Neim am falschen
Grte", „verkehrt" „verstellt", „Schrollen", , Überfall" (S 250) sinden sich bei
Wagenseil nicht vor. Wenn Wagner ferner die Forderung Wagenseils
S. 522: „Zuletzt kommt wieder ein Stoll oder Theil eines Gesätzes, so der
vorhergehenden Stollen Melodie hat" unberücksichtigt ließ, so folgte er hierin
nur der großen Mehrzahl der Meistergesänge selbst, wie er auch bei Grimm
(S. 46) finden konnte.
*) vgl. noch p. Runge, Die Sangesweisen der Bolmarer ffs., Lpz.
1896, S. XII; w a g e n s e i l S. 532.
— 85 —
Meister beruft, sind technisch in der Tat Vertreter des alten Minne-
sangs, insofern ihr Abgesang an Ausdehnung zwischen dem ein-
fachen Stollen und dem gesamten Aufgesange steht; hierdurch
unterscheiden sie sich vorteilhaft von den unverhältmäßig langen
Abgesängen vieler Meisterlieder. Und ferner: Sachs beruft Beck-
messer an vielen Stellen, die wohl Verstöße gegen die moderne
deutsche Prosodie, aber keine solche gegen die Tabulatur der
Meistersinger darstellen; er rügt auch seine Koloraturen, wohl
deshalb, weil sie nicht am Ende des Satzes stehn: doch gestattete
die Tabulatur ihre Unbringung an jeder Stelle des Liedes.
HUe diese lvagnerschen Abweichungen von den Regeln des
16. Jahrhunderts ändern aber nichts an der dramatischen Be-
deutung der eingelegten Lieder: sowohl lvalther mit seinem
„fanget an!" wie Beckmesser mit seinem Ständchen hätten auch
bei genauem Merken nach den alten Vorschriften verjüngen.
Demselben Schicksal wäre aber auch Walther mit seinem Preis-
lied verfallen, dem man zudem vielleicht den Vorwurf der „blinden
Meinung" sowie des Mangels an straffer Disposition gemacht
hättet. Der stärkste Anachronismus besteht aber, wie gesagt,
in der Krönung des nicht zünftigen Walther.
Dagegen hat Wagner das allgemeine historische Kolorit
durchaus getroffen; in sprachlichen Antiquitäten, die er aus der
Lektüre Hans Sachsens und mehr noch Luthers schöpfte, und der
freien Rachschöpsung altertümlicher formen und Wortführungen
zeigt er eine glücklichere Hand als die meisten übrigen Hans
Sachs-Dichter; in den Liedern ist die Weitschichtigkeit und Kurz-
zeiligkeit der alten Meistergesänge gut getroffen, und auch in
musikalischer Beziehung lassen sich nicht nur die Koloraturen (wenn
sie vielleicht auch nicht genau in die Mitte des 16. Jahrhunderts
passen), sondern selbst einzelne Motive fast übereinstimmend in
alten Meistertönen nachweisen^). Und sogar die trocken auf-
') vgl. Cyriacus Spangenberg, von der'Musica und den Bleister-
sängern, Hrsg, durch 5ld. v. K e 11 c r, Stuttg. 1861, S. 165.
2) Lurt ITT e i} a. a. G. S. 379 stnm. Bleys mit unvornehmer Polemik
überreich belastetes Luch hat durch v r e s ch e r i. d. Deutschen Lit.ztg., Iahrg.
23 (1902) Sp. (343—1347 eine scharfe, aber gerechte Ablehnung erfahren;
die Rezension von B(ichard) 8(atka) im Bunstwart, Ld. 14, S.463f. ist
weit milder, übrigens steht mit der angeführten Behauptung Bleys in
Widerspruch Goedekes Bedauern (Gött. gel. 5lnz. St. 29, 1872, S. 1147),
daß B. Wagners Dper kein Motiv aus den Tönen der alten Dichter zu nutzen
gewußt habe.
— 86 —
zählende Tabelle der Meistertöne im ersten 5lkt entspricht, mag
sie dramatisch noch so sehr beanstandet werdenh, trefflich dem
Charakter vieler scholastischer und protestantischer Meisterlieder.
Wagners Drama, das uns zugleich mit Hans Sachs, dem
hervorragendsten Vertreter der Meisterkunst, wie mit dem Durch-
schnitt der Kunstbeflissenen bekannt macht, das in Walther einen
jungen Dichter hinstellt, der die eingerostete alte Kunstübung
zu neuem Leben erweckt, malt das umfassendste poetische Bild des
Meistergesangs, das unsre Literatur besitzt. Und wir lernen
in ihm die Meister nicht nur als Sänger, sondern ebenso in
ihrem Berufe kennen: wir treten in Sachsens Schusterwerkstatt
ein, und wir erblicken ihn und seine Zangesgenossen inmitten
ihrer Zünfte. Auch die sittliche Aufgabe der edlen Kunst, die
Bürger über die kleinen Sorgen des Ultags, über „Kindtauf', Ge-
schäfte, Zwist und Streit" in eine idealere Sphäre zu erheben, in der
sogar die Schranken zwischen Gewerken, Zünften und Parteien
fallenh, wird bei Wagner aufgezeigt; und Sachsens letzte Un-
sprache, halb an das Nürnberger Volk, halb ad spectatores
gerichtet und den Epilogen des Lhrenholds in Hans Sächsischen
Schauspielen vergleichbar^), betont den nationalen und kulturellen
Beruf, für den der Meistergesang — so meint Sachs — vielleicht
dereinst bestimmt sein möchte. Und wie prächtig trifft die Musik
den Charakter des Milieus, von der imposanten Behäbigkeit
des Meistersinger-Marsches bis zur humorvollen Parodie des
Beckmesser-Ständchensh. Das ganze l6. Jahrhundert mit seinem
Idealismus und seiner bürgerlichen Beschränktheit erscheint in
den drei Ukten dieses Lustspiels, das zugleich eines der großen
Kulturdramen unserer Literatur ist.
') Bulthaupt, Dramaturgie der Gper, 2. Ruft., 2. Bd. (Lpz. 1902,
5. 193 f.
z) Diese Auffassung von der Gemeinschaft der Meister als einer Zunft
über den Zünften trat in den ersten Fassungen des Magnerschen Dramas
noch deutlicher hervor: vgl. R. £D a g n e r, Entwürfe zu „Die Meisters, v. R.",
„Tristan und Isolde", „parsifal", Lpz. >907, 5.93.
3) s. Bulthaupt a. a. G. 5. 22l.
4) ebenda 5. 222 u. ö.
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Lebenslaus.
Ich, Kols Felix Weber, wurde am 31. März 1889 zu Königs-
berg i. p. geboren als Lohn des Buchhändlers Max Weber und der
Schriftstellerin Adelheid Weber, geb. Brüß. Ich besuchte das
Bismarck-Gymnasium zu Wilmersdorf bei Berlin, das Groß-
herzogliche Kealgymnasium zu Ludwigslust in Mecklenburg und
das Gymnasium zu Friedenau bei Berlin, von Dstern 1907
bis 1911 studierte ich in Berlin Germanistik, Geschichte, Philo-
sophie und Latein. Ich hörte u. a. Vorlesungen der Professoren
und Dozenten Breysig, Hans Delbrück, Dessoir, Erdmann, Frisch-
eisen-Köhler, harnack, Herrmann, Hirschfeld, Lenz, Eduard Meyer,
Kichard M. Meyer, paulsen, Kiehl, Koediger, Koethe, Dietrich
Schäfer, Schiemann, Erich Schmidt, Schmoller, Tangl, vahlen,
von Wilamowitz-Moellendorf, Wölfflin. Ich nahm teil an Übun-
gen der Herren Delbrück, Erdmann, Krabbo, K. M. Meyer,
Korden, Koediger, Koethe, Koloff, E. Schmidt, van de Wijer.
von 1909-1911 war ich ordentliches Mitglied des Germanischen
' Seminars. Im Sommer 1912 bestand ich das Staatsexamen in
Deutsch, Geschichte und Latein, vom herbst 1912-1913 war
ich als Zeminarkandidat am Kgl. Friedrichs-Gymnasium zu Frank-
furt an der Gder tätig. Die mündliche Doktorprüfung legte ich
am 31. Juli 1913 ab. Zweieinhalb Monate später erhielt ich vom
preußischen Kultusministerium Urlaub, um als Lektor an der
University of Pennsylvania zu Philadelphia in den vereinigten
Staaten Vorlesungen über deutsche Literatur und Stilistik zu halten.
Durch den Krieg in Amerika festgehalten brachte ich die vier
Jahre von 1914-1918 als Dozent des Deutschen am Rice
Institute zu Houston, Texas, zu. Im Januar 1920 kehrte ich
in die Heimat zurück und wurde vom Hpril d. J. ab vom provin-
zial-Schulkollegium als Studienassessor der städtischen Kealschule
in Eberswalde überwiesen.
Für die Anregung zur vorliegenden Arbeit sowie für stete
Förderung während ihrer Ausführung bin ich Herrn Professor
Koethe tief verpflichtet.
291
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n 62 — 1833
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halten des „treuen freundes"
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