sen, begegnet dem überlegenden Blick sofort eine
machtvolle, für jede Entwickelungsstufe maßgebende
und charakteristische dialektische Spannung in dem
geistesgeschichtlichen Gefüge aller Zeiten schlecht¬
hin. Zu den eigenartigsten und erregendsten, sowohl
in ihrer Tatsächlichkeit als auch in ihrer Wichtigkeit
nicht zu verkennenden und ununterbrochen wirksa¬
men Verschlingungen in dem Gewebe des geschicht¬
lichen Lebens und Schaffens gehört nämlich die nie¬
mals zu beseitigende Reibung zwischen den bindenden
Gesetzen der Kontinuität und einer geformten Ent¬
wicklung auf der einen Seite und dein Willen nach
schöpferischer Eigenmächtigkeit des menschlichen
Geistes, des menschlichen Denkens und Vollbringern
auf der anderen. In einem letzten Sinne handelt es
sich um die aus den tiefsten metaphysischen Schich¬
ten unseres Wesens auf steigende Gegensätzlichkeit
der beiden Urerlebnisse und der beiden ursprüngli¬
chen Haltungen der Autonomie und der Autorität.
Sie verkörpern sieh in dem Willen zur Kritik, zur
Selbstgestaltung und Selbstverantwortlichkeit l>ezw. in
der demutvoll gläubigen Hinnahme und in der schlich¬
ten Anerkennung des überlieferten Kulturgutes.
Jede Zeit hat neben ihrer Abhängigkeit von
der Vergangenheit und neben dem Wissen um diese
Abhängigkeit doch auch den inneren Drang, das Zeit¬
alter eines fundamentalen Wandels und einer wur¬
zelhaften Erneuerung sein zu müssen. Dieses Streben
und die mit ihm engverbundene Hoffnung fließen aus
einem notwendigen und schönen Vertrauen zum Le¬
ben und aus einem tiefen moralischen Kraftgefühl
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