rührerisch zu werden. Die Zustimmung der Mehr¬
heit genügt keineswegs, um ihre Handlungen in allen
Fällen für gesetzmässig zu erklären. Es gibt Taten,
denen nichts Gesetzeskraft verleihen kann. Wenn
irgendeine Behörde eine solche Handlung begeht, so
ist es unwichtig, von welchem Ursprung diese Be¬
hörde ausgegangen ist; es ist unwichtig, ob sie sich
Individuum oder Nation nennt; selbst wenn die ganze
Nation so handelte, mit Ausnahme des einen Bürgers,
den sie unterdrückt, so wäre sie um nichts rechts-
mässiger.
Rousseau hat diese Wahrheit verkannt, und sein
Irrtum hat aus dem «Contrat social», der so oft zu¬
gunsten der Freiheit angerufen wird, das schreck¬
lichste Hilfsmittel für jede Art von Gewaltherrschaft
gemacht. Er legt in dem zwischen der Gesellschaft
und ihren Mitgliedern abgeschlossenen Vertrag fest,
dass sich jedes Einzelwesen mit allen seinen Rechten
vorbehaltlos der Gemeinschaft hinzugeben habe. Da
wir uns aller Teile unseres Daseins zugunsten eines
abstrakten Wesens entäussern, will uns Rousseau
über die Folgen dieses unbedingten Verzichts be¬
ruhigen. Er sagt uns, dass der Souverän, das heisst
der Gesellschaftskörper, weder der Gesamtheit seiner
Glieder noch dem einzelnen Menschen schaden könne;
dass die Bedingung für alle gleich sei, weil jeder sich
ganz hingebe; dass keiner einen Vorteil darin finde,
sie den andern zu erschweren; dass jeder, indem er
sich allen hingebe, sich niemandem hingebe; dass jeder
über seine Genossen die gleichen Rechte erwerbe,
die er ihnen abtrete, und dass er für alles, was er
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