Dieser sozialpolitische „Maßanzug“ (Hans-Christian Herrmann) war in beson¬
derer Weise geeignet, die speziellen regionalen Probleme an der Saar zu lösen und
die gesellschaftlichen und sozialen Probleme der einseitigen Wirtschaftsstruktur
abzufedem. Auf der anderen Seite verschlang das Sozialsystem hohe staatliche
Zuschüsse, trieb damit die Steuern in die Höhe und verstärkte das Strukturgewicht
der Schwerindustrie eher noch zusätzlich. Dies lief der seit einer ersten konjunk¬
turellen Krise 1949/50 von der saarländischen Regierung angestrebten Auf¬
lockerung der Wirtschaftsstruktur zuwider und überforderte außerdem die finan¬
ziellen Möglichkeiten des Landesetats. Denn der Bergbau der Nachkriegszeit war
zwar ein sehr umsatzstarker, aber grundsätzlich relativ ertragsschwacher Wirt¬
schaftszweig. So zahlte der Steinkohlenbergbau als mit Abstand größter Arbeit¬
geber im Saarland kaum Ertragssteuer. Dies lag einerseits an der niedrigen Qualität
der hier geförderten Kohle, die nur geringe Gewinnmargen erzielte, andererseits an
der Regelung der finanzpolitischen Beziehungen mit Frankreich, die an Stelle von
Ertragssteuem lediglich eine an die Produktionsmenge gekoppelte Bergbauabgabe
vorsah. Einen Ausweg aus diesem Dilemma fand die Regierung nicht.
Als grundlegendes Problem des teilautonomen Saarstaates erwies sich auch die
Einbindung seiner regionalen Politik in das von Frankreich vorgegebene nationale
Bezugssystem. Das komplizierte Rechtsverhältnis zwischen der Saar und Frank¬
reich überforderte offensichtlich sogar die Pariser Zentrale als eigentlichen Urheber
der bestehenden politischen Verhältnisse. Koordinations- und Entscheidungspro¬
bleme zwischen politischer und fachlicher Ebene, im Zusammenspiel der verschie¬
denen Ministerien und innerhalb der einzelnen Ressorts hatten bereits in der frühen
Nachkriegszeit die französische Saarpolitik belastet. Ab Anfang der fünfziger Jahre
verstärkten sich diese Probleme und bewirkten immer wieder - sachlich nicht zu
rechtfertigende - Verzögerungen und Fehlentscheidungen. Wünsche von saarländi¬
scher Seite konnten deshalb erst in einem quasi-diplomatischen Verfahren durch¬
gesetzt werden, was eine sachgerechte Lösung regionalpolitischer Probleme deut¬
lich erschwerte. So entspann sich beispielsweise über die angemessene Beteiligung
der Saar an den Mitteln, die Frankreich aus dem Marshall-Plan zuflossen, ein
langwieriger Streit zwischen den zuständigen französischen Fachministerien und
dem Pariser Außenministerium, das an seinen eigenen Leitlinien zur Saarpolitik
festhielt. Der Streit entwickelte sich zu einer regelrechten diplomatischen Krise, die
letztlich zu Ungunsten der aus saarländischer Perspektive berechtigten Ansprüche
bereinigt wurde. Andere Probleme konnten schließlich durch das Eingreifen Gilbert
Grandvals als Hochkommissar und späterem Botschafter gelöst werden. Oft aber
verfolgte das Hochkommissariat auch eigene Vorstellungen, was dann wiederum
im Dreiecksverhältnis zwischen Paris, seiner Saarbrücker Vertretung und der
saarländischen Regierung zu zermürbenden Konflikten führen konnte.
Auch die alltäglichen Erfahrungen im teilautonomen Saarstaat riefen immer
wieder Missverständnisse und Schwierigkeiten hervor. Vielfältige Anpassungs¬
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