Landesherrliches Rechnungswesen im Spätmittelalter
système hinaus auch Rückschlüsse auf den lokalen und den Fernhandel gewonnen
werden (gerade weil sich in den Kirkeler Rechnungen immer wieder Hinweise auf
die Königsstraße von Metz zum Oberrhein finden).
Wenn einmal genügend Rechnungen verschiedener Territorien ediert sein werden,
sollten sich unterschiedliche Steuerarten und ihre vielfältigen territorialtypischen
Bezeichnungen ermitteln und vergleichen lassen. Rechnungen verschiedener Ver¬
waltungsebenen (zentrale, mittlere, lokale Ebene) könnte man vergleichen, was
Form und Inhalt betrifft. Inwieweit finden sich einzelne oder Gruppen von Bu¬
chungen in Rechnungen der jeweils höheren Ebene wieder? Welche Hinweise auf
Funktionen und Kompetenzen der Bediensteten (Burggraf, Amtmann, Keller, Bel-
lis; châtelain, bailli, prévôt, receveur etc.) lassen sieh den Rechnungen entnehmen?
Der nächste Fragenkomplex bezieht sich auf mögliche Unterschiede zwischen
deutsch- und französischsprachigen Baileien und Ämtern. Unterscheiden sich die
Rechnungen nur in der Sprache bei ansonsten gleicher Form oder sind weiter¬
gehende formale und inhaltliche Abweichungen zu erkennen, was, berücksichtigt
man die herrschenden unterschiedlichen Rechtssysteme, durchaus vorstellbar er¬
scheint. Gibt es Unterschiede in der Rechnungslegung (Dauer des Rech¬
nungsjahres, Verfahren bei der Abhörung etc.)?
Sind Unterschiede in der Verbreitung von Naturalleistungen und Geldzahlungen in
französischen bzw. deutschen Herrschaften im Westrich feststellbar? Ist aus den
Rechnungen eine Ablösung von Naturalsteuern durch Geld zu erkennen? Was kann
man über die Verbreitung der Geldwirtschaft auf dem flachen Lande aussagen?
Schließlich wäre es interessant zu erfahren, ob sich der kulturelle Vorsprung West¬
europas auch im territorialen Rechnungswesen des westdeutschen Grenzraums
festmachen läßt, oder zumindest einige Merkmale in den Rechnungen zu finden,
die als konservativ bzw. zukunftsweisend eingestuft werden können. Enthalten die
Rechnungen Hinweise auf die ab dem 15. Jahrhundert aufkommenden Finanzord¬
nungen? Wie ist die Einrichtung der Chambre des Comptes de Lorraine in diesem
Zusammenhang zu sehen? Konnte sie eine Vorbildfunktion auf die kleineren deut¬
schen Territorien ausüben?
Ein Versuch, direkten französischen Einfluß auf die Rechnungslegung mittlerer
kleiner Territorien in Westdeutschland nachzuweisen, erscheint allerdings wenig
erfolgversprechend, zumal - mit Ausnahme des oberlothringischen Raumes - im
14. und 15. Jahrhundert durch die Ausdehnung des burgundischen Staates bis in
die Niederlande eine direkte Grenze mit dem königlichen Frankreich nicht bestand
und der westdeutsche Raum zwischen Obermosel und Mittelrhein - von der Vor¬
bildfunktion des französischen Rittertums einmal abgesehen - sich sozial, wirt¬
schaftlich und kulturell ganz überwiegend am Heiligen Römischen Reich orientier¬
te.
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