daß sich die Vergütung des Titels gegenüber der der Arbeit weitgehend verselbständigt
und die gleiche Tätigkeit unterschiedlich bezahlt wird“.2
Mit einer höheren Position ging aber, ganz unabhängig von der mit der Position ver¬
bundenen genuinen Arbeitsqualifikation, in der Regel ein höherer Lohn einher, sodass
sich ein Aufstieg in der Hierarchie für den Einzelnen allemal lohnte und er einer „in¬
dividuellen Orientierung“3 eher den Vorzug gab gegenüber kollektiven Lösungen: Es
waren „die kleinen ,Karrieren4 5, die aus gewerkschaftlicher Sicht so sehr störten“.4 Denis
Scuto spricht gar von einem „sozialen Wettstreit“ innerhalb der Belegschaften um die
besten Positionen.^ Der soziale Raum der Eisen- und Stahlindustrie erwies sich als hoch
kompetitiv, zwischen den Akteuren entfalteten sich latente Kämpfe, „die auf Erhaltung
bzw. Veränderung der Struktur zielen“.6 * Dies konnte zum Beispiel anhand der heran¬
gezogenen Strafkataloge und anderer betrieblicher Dokumente nachgewiesen werden.
Mit Recht erkannte der DMV in dieser speziellen Arbeits- und Sozialorganisation, die
das Hüttenwesen deutlich abhob vom Bergbau, einen wesentlichen Grund dafür, dass
bis zum Ersten Weltkrieg in der Schwereisenindustrie kaum Organisationserfolge erzielt
werden konnten.
Es wurde weiterhin festgestellt, dass sich die Diversifizierung der Hüttenbelegschaff
mitnichten auf die betriebliche Ebene beschränkte: Die die soziale Welt der Hütten¬
industrie konstituierenden sozialen Handlungsfelder standen in einem reziproken Wir¬
kungsgeflecht, die Positionen der Akteure, mithin die sozialen Relationen, präfigurier-
ten die Verhältnisse in den jeweils anderen Feldern. So profitierten die Arbeiter, je nach
innerbetrieblichem Status und Position auf dem Arbeitsmarkt, in unterschiedlich ho¬
hem Maße von der betrieblichen Sozialpolitik. Wie der Neunkircher Fall zeigte, wurden
die Beschäftigten in der betrieblichen Krankenkasse eingeteilt in verschiedene Katego¬
rien und Klassen, je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit und Höhe des Einkommens.
Einer weitgehend versorgten Stammarbeiterschaft, die sich in erster Linie aus qualifi¬
zierten Facharbeitern und besser angelernten Kräften rekrutierte, stand folgerichtig ein
in stärkerem Maße gefährdetes Segment der Hüttenbelegschaft gegenüber. Es waren
ferner die besser qualifizierten Arbeiter mit einer gewissen Marktmacht und einer ent¬
sprechenden Stellung im Betrieb, welche eher mit gutem, preisgünstigem Wohnraum
ausgestattet wurden.
Es zeigt sich also, dass die bestimmenden Strukturmerkmale der Eisen- und Stahl-
arbeiterschaff sowohl in der betrieblichen Arbeitswelt als auch in der privaten Lebens¬
welt zu suchen sind. Die verschiedenen Ebenen - verstanden als soziale Handlungsfelder
- standen in einem reziproken Wirkungsgeflecht: Vor allem die im Betrieb eingeübten
: Vgl. Bourdieu 1985, S. 15 ff. Zitate ebd. Hervorhebungen im Original.
3 Ames 1989, S. 116.
4 Kocka 1990, S. 434. Hervorhebung im Original.
5 Im französischsprachigen Original ist von „compétition sociale“ die Rede. Siehe Scuto 199z, S. 53.
6 Bourdieu 1985, S. 28.
Vgl. Die Schwereisenindustrie 1912, S. 331 f.
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