schäften gingen die Zahlen sogar noch zurück, die Filialen an den Hüttenstandorten
Burbach und Brebach verschwanden wieder.23 Die Freien Gewerkschaften blieben in der
saarländischen Schwerindustrie ebenfalls hinter ihrer christlich-katholischen Konkur¬
renz zurück. Nach Angaben des DMV wuchs die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder
zwischen 1903 und 1912, zwar von 63 auf 412 Mitglieder im gesamten Revier;24 allerdings
ist auch diese Zahl äußerst bescheiden, zumal über die branchenmäßige Zusammen¬
setzung nichts bekannt ist und es sich zum allergrößten Teil nicht um Hüttenarbeiter
gehandelt haben dürfte. Michael Sander jedenfalls konstatiert, dass „die freien Gewerk¬
schaften auf die Handwerksberufc und das Baugewerbe beschränkt“ blieben.2'’ Unter
den Anhängern des DMV dürften zu dieser Zeit die Beschäftigten kleinerer oder mitt¬
lerer Metallbaufirmen überwogen haben.
Alles in allem lässt sich festhalten, dass das Saarrevier ein Stück weit abgekoppelt
war von der allgemeinen politischen Entwicklung des Deutschen Reichs, wo die Sozial¬
demokratie und die Richtungsgewerkschaften, besonders aber die Freien Gewerkschaf¬
ten, einen stetigen Aufstieg feierten: 1912 stellte die SPD erstmals die stärkste Partei im
Reichstag und die Freien Gewerkschaften zählten 1913 rund 2,5 Millionen Mitglieder.26
Der Kampf um soziale wie politische Emanzipation und Partizipation wurde - wenigs¬
tens auf institutioneller Ebene - lediglich von den Bergleuten in gewissem Umfang,
vor allem zwischen 1889 und 1893, ausgetragen. Die zahlenmäßig so bedeutende Hüt¬
tenarbeiterschaft beteiligte sich daran kaum, sieht man von dem kurzen Intermezzo in
Burbach nach der Jahrhundertwende ab. In diesem Punkt wiederum scheint sich das
Saarrevier aber durchaus im gesamtdeutschen Kontext zu bewegen, hatten doch gerade
die Freien Gewerkschaften auch in anderen Industrieräumen massive Organisationspro¬
bleme in den zentralisierten Großbetrieben der Eisen- und Stahlindustrie.2 Es wäre also
verfehlt, die Absenz politischer Bestrebungen auf den Hütten als regionalspezifisches
Phänomen zu kennzeichnen. Vielmehr handelte es sich um eine Problemstellung, die
den gesamten Industriezweig prägte.
Die Probleme der Arbeiterbewegung an der Saar im Allgemeinen und in der Gro߬
eisenindustrie im Besonderen schienen sich in Neunkirchen brennspiegelartig zu
verdichten. So konnte der Ottweiler Landrat wenige Monate vor dem Ausbruch des
Ersten Weltkriegs vermelden: „Schon seit Jahren ist es hier der Sozialdemokratie nicht
2' Zur Entwicklung des Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereins bis 1914 vgl. ebd., S, 150-155.
24 Vgl. ebd., S. 155-162. Zahlen ebd., S. 161 f.
0 Sander, Michael: Gewerkschaftsbewegung im Montanrevier - Arbeiter und ihre Organisation an
der Saar, in: Herrmann, Hans-Walter (Hrsg.): Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegs¬
ende (1871-1918). Referate eines Kolloquiums in Dillingen am 29./30. September 1988 (Veröffentli¬
chungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, Bd. 18), Saarbrü¬
cken 1990, S. 40-53, hier S. 56.
26 Vgl. Grebing, Helga: Arbeiterbewegung. Sozialer Protest und kollektive Interessenvertretung bis
1914, München 1985, S. 194. Zu den Freien Gewerkschaften vgl. Schönhoven 2002, S. 66.
2 Vgl. Domansky-Davidsohn 1980.
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