heftigen Auseinandersetzungen mit verschiedenen sozialreformerischen Pastoren der
Saargegend oder mit der Stoecker-Partei zeugen.659 Im Endeffekt scheint es so gewe¬
sen zu sein, dass Stumm zwar tief skeptisch gegenüber allem Katholischem war, generell
aber von seinen Untergebenen eine eskapistische, rein auf die Pflege der Spiritualität
konzentrierte Form der Religiosität verlangte, von den Geistlichen beider Konfessionen
wiederum eine ausschließliche Betätigung als Seelsorger. Arbeiter wie Meister konnten
ihren Glauben pflegen, solange dies nicht mit den gesellschaftspolitischen Konzeptio¬
nen des Firmenchefs kollidierte. Dies bestätigt sich in dem Umstand, dass Stumm auch
als Stifter und Mäzen katholischer Kirchenbauten auftrat.660
Unabhängig von Stumms religionspolitischen Vorstellungen: Festzustellen ist, dass
sich in Neunkirchen ein durchaus reichhaltiges konfessionelles Leben auch außerhalb
des Bereichs der Seelsorge entwickelte. Um 1908 gab es in Neunkirchen allein z6 ka¬
tholische Vereine, darunter der von Hüttenmeister Grenner thematisierte katholische
Gesellenverein, zwei katholische Arbeitervereine, ein katholischer Jünglingsverein so¬
wie ein katholischer Knappenverein für Bergleute.661 Letzterer wurde 1890 von Dechant
Hansen ins Leben gerufen und setzte sich besonders zum Ziel, „das religiös-sittliche Le¬
ben und die herzliche Eintracht der Mitglieder [zu] heben“. In Paragraph 1 wurde die
„Erörterung öffentlicher Angelegenheiten und politischer Gegenstände“ explizit ausge¬
schlossen, „Bekritteleien von Vorgesetzten“ wurden in Paragraph 10 ausdrücklich unter¬
sagt.662 1907 wurde außerdem ein evangelischer Arbeiterverein ins Leben gerufen, die
evangelischen Vereine blieben in ihrer Anzahl allerdings gegenüber den katholischen
Vereinsgründungen zurück. Zwischen 1847 und 1909 wurden lediglich sechs Vereine
dezidiert protestantischer Provenienz gegründet. Katholische Vereinsgründungen gab
es im gleichen Zeitraum immerhin 13, also mehr als doppelt so viele.663 Diese Relation
entspricht den politisch-konfessionellen Gegebenheiten: Die sich latent in der Defensi¬
ve befindlichen Katholiken schlossen sich zur Wahrung ihrer Interessen eher in Vereinen
und ähnlichen Organisationsformen zusammen, sodass sich aus der Position der parti¬
ellen Marginalisierung das katholische Milieu umso fester ab- und zusammenschloss.
bücher, Buchstabe A, 1861-1900; Neunkircher Fremdenbücher, Buchstabe A, 1901-1911; Neunkircher
Fremdenbücher, Buchstabe M, 1861-1900; Neunkircher Fremdenbücher, Buchstabe M, 1901-1911.
6,9 Sehr ausführlich behandelt diese Aspekte Brakelmann, Günter: Carl-Ferdinand Stumm (1836-
1901). Christlicher Unternehmer, Sozialpolitiker, Antisozialist (SWI-Studien, Bd. 13), Bochum 1993,
bes, S. 37-75.
660 So stiftete Stumm für den Neubau der katholischen Pfarrkirche zwischen 1885 und 1887 immerhin
30.000 Mark. Vgl. Stadtverwaltung Neunkirchen (Hrsg.) 1955, S. 186.
661 Vgl. ebd., S. 187; außerdem Pfarr-Kalender der katholischen Kirchengemeinde Neunkirchen (Be¬
zirk Trier) für das Jahr 1908. Gerade die katholischen Arbeitervereine stellten ein Partizipationsangebot
dar, was im weiteren Verlauf der Arbeit, im Zusammenhang mit der Frage nach den Organisationsfor¬
men der Arbeiterschaft, noch zu vertiefen sein wird.
662 Siehe LABOUVIE (Hrsg.), S. 2.51. Alle Zitate ebd.
663 Alle Daten nach: Chronik von Neunkirchen, 5. Jg. Nr. 1, 1913, S. 9-16. Chronik von Neunkirchen,
5-Jg- Nr. 3,1913. S. 17-11.
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