dichtete sich das Eisenbahnnetz sukzessive, wobei besonders die verkehrstechnische An¬
bindung der Industriestandorte forciert wurde.38 Die preußischen Bahnlinien wurden
allesamt von der staatlichen Eisenbahndirektion in Saarbrücken dirigiert.39
Schließlich begründete die Industrialisierung auch in demographischer Hinsicht eine
tiefgreifende Umwälzung. Die blanken Zahlen geben Aufschluss über die Tragweite des
bevölkerungstechnischen Umbruchs: 1818 lebten in der Saargegend rund 151.000 Men¬
schen, 1843 waren es bereits 116.000.1867 wurden für die Saargegend 310.000 Einwohner
gezählt und 1875 353.000. Im Verlauf des folgenden Vierteljahrhunderts wurde die Halbe-
Million-Marke gesprengt: Zur Jahrhundertwende lebten 555.000 Menschen im Saarrevier,
was einer Bevölkerungsdichte von nunmehr 116 Einwohnern pro Quadratkilometer ent¬
sprach. Bis 1910 schließlich war die Zahl auf 700.000 Einwohner gewachsen (277/km2).40
Die Siedlungsschwerpunkte entsprachen der industriellen Entwicklung. So avancierte der
Industriegürtel zwischen Dillingen im Westen und Neunkirchen im Osten auch zum am
dichtesten besiedelten Raum der Saarregion. Die Bevölkerungsverdichtungen resultierten
selbstverständlich aus verstärkten Wanderungsbewegungen. Die Saarindustrie deckte da¬
bei ihren Arbeitskräftebedarf aus den ländlichen Gebieten der Umgegend, profitierte also
zum größten Teil von Binnen- und Nahmigration/*1 Obwohl Fernwanderungen nur eine
sehr untergeordnete Rolle spielten, folgten der Industrialisierung an der Saar einige be¬
merkenswerte soziokulturelle Transformationen. Zu nennen ist hier vor allem ein großes
konfessionelles Revirement in vielen Industriezentren, wo sich die bis dato dominierende
protestantische Bevölkerung angesichts der Zuwanderung katholischer Arbeiter plötzlich
in der Minderheit sah.42 Trotz der Bevölkerungskonzentration in den Industriezentren
blieb die recht verstreute Wohnlage der Industriearbeiter ein Charakteristikum der sich
industrialisierenden Saargegend. Massive Agglomerationen wie im Ruhrgebiet kamen so
nicht zustande.43 Neunkirchen entwickelte sich vor dem hier skizzierten Hintergrund,
ging in mancher Hinsicht aber auch eigene Wege.
38 Charakteristisch sind etwa die sogenannten „Eisenbahngruben“, die entlang der Bahnstrecke ent¬
standen. Die bei Neunkirchen gelegene große Grube Heinitz ist hierfür ein exponiertes Beispiel. Vgl.
Burgard 1010, S. 170.
19 Vgl. Hannig, Jürgen: Der beschleunigte Raum. Industrialisierung und Verkehr im Saarland, in:
Dülmen, Richard van (Hrsg.): Industriekultur an der Saar. Leben und Arbeit in einer Industrieregion
1840-1914, München 1989, S. 27-41, bes. S. 33 ff.
40 Alle Zahlen nach Karbach, Jürgen: Bevölkerungszahlen des Saarlandes 1800-1910, in: Zeitschrift
für die Geschichte der Saargegend 34/35 (1986/87), S. 186-275, Eier S. 193 f.
41 Vgl. Läufer, Wolfgang: Eine Region in Bewegung. Bevölkerung und Siedlung im Prozeß der Indus¬
trialisierung, in: Mallmann, Klaus-Michael/SCHOCK, Ralph/KLiMMT, Reinhard (Hrsgg.): Richtig
daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955, Bonn 1987, S. 21-26, bes. S. 22.
42 Vgl. Mallmann, Klaus-Michael: Die neue Attraktivität des Himmels. Kirche, Religion und in¬
dustrielle Modernisierung, in: Dülmen, Richard van (Hrsg.): Industriekultur an der Saar. Leben und
Arbeit in einer Industrieregion 1840-1914, München 1989, S. 248-257, bes. S. 248.
43 Vgl. Läufer 1987, S. 23 f.
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