wegungen. Da sich die Arbeitsmarktstrukturen im Saarrevier und im Großherzogtum
allerdings signifikant unterschieden,31 darf angenommen werden, dass auch die Formen
der Zuwanderung differierten. Die Migrationsmuster sollen daher vergleichend analy¬
siert werden. Daran schließt sich die Frage, welche Folgen die Zuwanderung in ihren
unterschiedlichen Ausprägungen für den Prozess der Urbanisierung Neunkirchens und
Düddingens, vor allem aber für die Gruppenbildung der Arbeiterbevölkerungen hat¬
te: Wie wirkte sich die Zuwanderung auf die Gruppenstruktur, die mentalen Disposi¬
tionen und schließlich auf die Organisierbarkeit der Arbeiterschaften aus? In welcher
Weise präfigurierten Migration und Migrationsfolgeerscheinungen Möglichkeiten und
Formen der gesellschaftlichen Partizipation? Mit Blick auf die Verstädterung Neunkir¬
chens und Düddingens stellen sich im Zusammenhang mit der Immigration folgende
Fragen: Wie entwickelten sich die beiden ehedem ländlich geprägten Gemeinden im
Gefolge der Zuwanderung quantitativ und qualitativ? Welche Spuren hinterließ die zu¬
wandernde Arbeiterbevölkerung im jeweiligen Stadtbild, welche Siedlungsstrukturen
wurden ausgebildet und welche Bedeutung kam bei diesem Prozess der unternehmeri¬
schen Siedlungspolitik zu?
c) Forschungsstand
In einem Aufsatz aus dem Jahr 1993 stellte Thomas Welskopp fest, die Arbeiterge¬
schichte scheine „seit geraumer Zeit keine Konjunktur mehr zu haben“, sie befinde sich
„zweifellos in einer Krise“.32 Tatsächlich geriet die allgemeine Arbeiterhistoriographie
in Deutschland spätestens seit den frühen 1990er Jahren ins Hintertreffen, nachdem
31 Das Saarrevier verfügte über eine industrielle Reservearmee im agrarischen Hinterland, während
das bevölkerungsarme Luxemburg den wachsenden Arbeitskräftebedarf der schnell expandierenden
Großindustrie nicht allein decken konnte. Für das Saarrevier vgl. Karbach, Jürgen/THOMES, Paul:
Geschichtliche Landeskunde des Saarlandes. Hrsg, von Hans-Walter Herrmann. Bd. 3: 2. Teil. Die
wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Saarlandes (1792-1918) (Mitteilungen des Historischen
Vereins für die Saargegend, Neue Folge Heft 5), Saarbrücken 1994, S. 114 h Für den Luxemburger Fall
vgl. Trausch, Gilbert: Comment faire d’un état de convention une nation?, in: TraüSCH, Gilbert
(Hrsg.): Histoire du Luxembourg. Le destin européen dün „petit pays“, Toulouse 2003, S. 201-274,
hier S. 229.
12 Welskopp, Thomas: Von der verhinderten Heldengeschichte des Proletariats zur vergleichenden
Sozialgeschichte der Arbeiterschaft - Perspektiven der Arbeitergeschichtsschreibung in den 1990er
Jahren, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 8 (1993), S. 35-53, hier
S. 34. Vorschläge zur Überwindung der Krise nennt Welskopp thesenhaft in Welskopp, Thomas: Ar¬
beitergeschichte im Jahr 2000. Bilanz und Perspektiven, in: Traverse 20 (2000), S. ¡5-30. Ertragreiche
Perspektiven hegen demnach in einer Neubestimmung älterer Konzepte wie des Milieu- oder Klassen-
begriffs sowie in einer Ausbalancierung des Verhältnisses von Struktur- und Akteursgeschichte. Gerade
der zuletzt genannte Punkt, die adäquate Berücksichtigung von Strukturen und Akteuren, soll in der
vorliegenden Studie realisiert werden.
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