Typische Sondermythen
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Kerngedanken, mit denen Kant ein neues Weltbild
gegründet hat, in das zeitlose Inventar des philo¬
sophischen Besitzes einzustellen“, so erwächst hier
ein aus der antihistoristisch gerichteten Einstellung
Simmels und einer in ihm sich verkörpernden ganzen
Zeitströmung gestaltetes Kant-Bild. Diesem eignet
unter den Voraussetzungen seines Geformtwerdens
sachlich und sinnhaft derselbe Wahrheitswert wie
etwa einem Werk über Kant, bei dessen Abfassung die
Philologie und die historische Kritik Pate gestanden
haben. Aus der Relativität und konkreten Gegenständ¬
lichkeit der geschichtlichen Urkunden, wie uns solche
in den einzelnen Werken Kants vorliegen, soll dasjenige,
was an der kritischen Philosophie den Charakter ab¬
soluter Bedeutsamkeit trägt, herausgeschält werden.
Nun könnte diesem Beginnen entgegengehalten
werden: Ist das denn überhaupt möglich und durch¬
führbar ? Kann jene ,Absolutheit4 ein für allemal ein¬
wandfrei und eindeutig festgestellt werden ? Was der
Simmelsehen Auslegung als absolut gilt, kann von
einem anderen Standpunkt aus oder einer anderen
Interessen- und Zeitrichtung als verhältnismäßig
äußerlich und zufällig erscheinen. Diese Einwände be¬
rühren aber nicht das Wesen der Sache. Denn das
Kant-Bild Simmels stellt erstens keine Abschrift
einer geschichtlichen Wirklichkeit dar. Allerdings
würde es als solche auch bereits eine synthetische
Formung bedeuten; es wäre eine Überwindung des
mit allen Zügen der Relativität behafteten Stoffes
als einer in gewissen geschichtlichen Büchern nieder¬
gelegten, unter bestimmten individuellen und ge¬
schichtlichen Umständen ins Leben getretenen Tat¬
sache durch die zeitlosen Kategorien und Methoden
der wissenschaftlichen Erkenntnis, Zweitens erschließt
sich in jener
die deshalb
Interpretation eine Gestalt des Denkens,
ewig ist, weil nicht das, was sie ihre
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