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Mythus und Kultur
von dem im Mittelalter als unbedingten Meister ver¬
ehrten Aristoteles abwich, zugleich aber gewisse Mög¬
lichkeiten und Voraussetzungen gab, um als Vertreter
und Verkörperer der eigenen Gedanken und Gefühle
zu erscheinen. Der Prozeß der Deutung und Um¬
deutung Platos und dessen Angleichung an den Ideen-
und Erlebniskreis der Renaissance floß aus einer tiefen
mythologisierenden Quelle. Wie tief diese phantasie-
volle Umdeutung Platos ist, läßt sich aus der halb
romantischen Gesinnung dieser mediceischen Gelehr¬
ten, Dichter, Kleriker und aus dem Charakter ihrer
zur Verehrung Platos veranstalteten Zusammenkünfte
ermessen. Man braucht nur einmal einen Blick in
den Bericht zu werfen, den der Leiter der Platonischen
Akademie, Marsilio Ficino, von einem Gastmahl in
Lorenzo de’ Medicis prachtvollem Landhaus zu Careggi
gibt. Derartige Feste wurden u. a. auch am 7. No¬
vember gefeiert, auf welchen Tag auf Grund einer
kabbalistischen Spielerei Platos Geburts- bzw. Todes¬
tag angesetzt war. Über der Büste Platos, die das
Studierzimmer Ficinos schmückte, brannte eine ewige
Lampe. Die Veranstaltungen glichen durchaus reli¬
giösen Feiern; Platos Ansehen war ganz das eines
Heiligen. So entsprach auch das in den Kreisen dieser
Renaissance-Humanisten geschaffene Bild nicht so¬
wohl der Philosophie Platos als vielmehr einem dy¬
namischen und emanatistischen Pantheismus, der
viel mehr von Plotin und aus der Mystik des Neu¬
platonismus stammte als aus dem Geiste des Schöpfers
die fdeenlehre. Denn in dem Bilde dieses neupla¬
tonisch umstilisierten Platon waren z. B. die Be¬
ziehungen der Ideenlehre zur Mathematik und die
Bedeutung der Dialektik als Wissenschaftslehre bis auf
den letzten Grund getilgt. Hinwiederum zeigt die
Formung, die in den letzten Jahrzehnten mit Platon
etwa von der Marburger Schule vorgenommen wurde,