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Mythus und Kultur
des geschichtlichen Lebens dieser Ewigkeitszug zur
Geltung gelangt, indem das Geschichtliche die Steige¬
rung zum Metaphysischen erfährt, wird das Empi¬
rische und Alltägliche, wird die Erscheinung und das
Durchschnittliche überwachsen und durchtränkt, vom
Bloß-Geschichtlichen erlöst und zu geschichtlicher
Bedeutsamkeit erhoben durch die Kraft des Mythus.
Dabei ist es nebensächlich, ob derselbe in den tra¬
ditionellen Formen eines solchen auftritt oder nicht.
Seine vergleichsweise geistigste und interessanteste
Verwirklichung erlebt eine Zeit oder ein Geschlecht
jedoch immer dann, wenn sich der Mut und die Be¬
gabung zur Metaphysik zeigen und es zur Schöpfung
einer konstruktiven Metaphysik kommt. Wie denn
auch umgekehrt eine Zeit geistig verarmt und dem
seelischen und sittlichen Zusammenbruch rettungslos
entgegentreibt, wenn jene Schöpfung auf die Dauer
ausbleibt oder alle auf sie gerichteten Bemühungen
mißachtet bzw. als ein vergnügliches, aber aussichts¬
loses Spiel hingestellt werden. Metaphysikfreie oder
metaphysikfeindliche Zeiten sind unfruchtbar im
höheren Sinne dieses Begriffes; das Merkmal geistiger
Fadheit ist ihnen unverwischbar aufgeprägt. Denn
sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sich der Geist
nicht zur Freiheit, nicht zum Absoluten durchzu¬
kämpfen vermag, daß die Bürde der Tatsachen ihn
allzu stark bedrückt und fesselt, um in diesen nur:
Symbole eines Ewigen zu erblicken.
Prägt sich im Mythus ganz allgemein die Wendung
des Geistes zum Absoluten aus, so ersteht eine Meta¬
physik dann, wenn diese Wendung sich des Mittels
des Gedankens, also der Form der Erkenntnis und des
Begriffes bedient.
So stellt die Metaphysik den speziellen theoretischen
Versuch der Erfassung des Absoluten dar. Sie ist
m. a. W, der begriffsmäßige, in theoretischer Ent¬