Die allgemeine Bedeutung des Mythus 27
werdens, in einen schließlich blut- und seelenlosen
Relativismus; es wird zu nichts anderem als zur bloßen
„Geschichte“. Denn das alsdann herrschende Gesetz
kennt und umfaßt nichts anderes als Erscheinungen.
Die nackten Gegebenheiten in ihrem Vorhandensein
und Wirken rücken in ein Scheinrecht ein, und alle
Geltung veräußerlicht sich zu dem leeren Charakter
eines in seiner Macht verankerten Seins, das sittliche,
ästhetische, religiöse, metaphysische Sinnbeziehungen
und alle Begründungen in einem Absoluten nicht
duldet oder geradezu verschmähen zu dürfen glaubt.
Diese Bewegung des geschichtlichen Lebens, die in
tausend Fällen zu beobachten ist, ist der Weg der Ver-
endlichung und Empirisierung einer Kultur oder einer
Periode: Die wesenhaften Rechtsgründe der geschicht¬
lichen Arbeit geraten mehr und mehr in Vergessenheit.
Es tritt die Zeit ein, in der versucht wird, die Be¬
strebungen und Errungenschaften der Geschichte
durch einen mehr oder minder banalen Pragmatismus
zu beglaubigen und aus Nützlichkeitserwägungen zu
erhärten. Das Leben erhält einen stetig zunehmenden
Zug an Unwirklichkeit und Unwesentlichkeit, es be¬
ginnt, gleichsam in der Luft zu schweben; die Mo¬
mente seiner Wirklichkeit erstarren und veräußerlichen
sich zu selbstgenugsamen Faktizitäten und .Erfolgen4
und zu bloß-zeitlichen Stellen in einem empirischen
Zusammenhang.
Damit aber büßt es seine Substanz ein. Denn die
Substanz des geschichtlichen Lebens besteht in der
Beziehung der Geschichte auf das Absolute. Nur in
dieser Beziehung gewinnt und bewahrt sie ihren Ge¬
halt; nur aus ihrer Beziehung zu dem wahrhaft Wirk¬
lichen gewinnt und bewahrt sie selber eine Wirklich¬
keit. Die ihr aus ihrem notwendig zu postulierenden
Sinn gestellte Aufgabe besteht demnach in dem un-
nachlaßlichen und unermüdlichen Bestreben, die ihr