und den vernünftigen Seelenteil. Denn er ermahnt richtig
und zum Guten. Aber die Erfahrung lehrt, daß den
Genannten noch ein anderes Prinzip außer der Vernunft
eingepflanzt ist, das dieser widerstrebt und widerstreitet.
Wie gelähmte Leibesteile, wenn man sie nach rechts be¬
wegen will, umgekehrt sich nach links drehen, so und
nicht anders verhält es sich mit der Seele: die Begierden
des Unenthaltsamen gehen auf das Gegenteil von dem,
was die Vernunft gebietet, nur daß man die Verkehrung
am Leibe sieht, dagegen an der Seele nicht. Trotzdem
mögen wir überzeugt sein, daß auch in der Seele etwas
außer der Vernunft vorhanden ist, was dieser entgegen¬
steht und widerstreitet. Inwieweit dasselbe von der
Vernunft verschieden ist, ist hier gleichgültig. Und doch
scheint es wie gesagt an der Vernunft teilzunehmen.
Es gehorcht ihr ja beim Enthaltsamen. Noch gehor¬
samer aber ist es beim Mäßigen und Starkmütigen, bei
denen alles mit der Vernunft im Einklang steht.
Es erweist sich also auch das unvernünftige Vermögen
als zweifach: das pflanzliche hat gar nichts mit der Ver¬
nunft gemein, das sinnlich begehrende dagegen und über¬
haupt das strebende Vermögen nimmt an ihr in gewisser
Weise teil, insofern es auf sie hört und ihr Folge leistet.
Das wäre also etwa in der Art, wie wir uns in praktischen
Dingen nach dem Rate des Vaters und der Freunde, nicht
wie m der Wissenschaft nach den Sätzen der Mathematik
richten. Daß aber der unvernünftige Teil gewissermaßen
von der Vernunft überredet wird, beweisen auch die Er¬
mahnungen, alle Zurechtweisung und Ermunterung. Soll
man aber diesem Teil ebenfalls Vernunft zuschreiben, so
ist auch das vernünftige Vermögen zweifach: das eine hat
eigentlich Vernunft und hat sie in sich selbst, das andere
hat sie wie ein Kind, das auf seinen Vater hört.
Nach diesem Unterschiede wird auch die Tugend ein¬
geteilt. Von den Tugenden nennen wir die einen diano-
etischeoderVerstandestugenden, die anderen ethi¬
sche oder sittliche Tugenden. Verstandestugenden
sind Weisheit, Verstand und Klugheit, sittliche Tugenden
Freigebigkeit und Mäßigkeit. Denn wenn wir von dem
sittlichen Charakter sprechen, sagen wir nicht, daß einer
weise oder verständig, sondern daß er sanft und mäßig
ist. Wir loben aber auch den Habitus der Weisheit. Ein
lobenswerter Habitus wird aber Tugend genannt.
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