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Zur Lehre vom Gemüt.
Beschaffenheit. Wenn wir aber diese beiden Gründe wieder
für die Besonderheit des Bewußtseinsaugenblicks ins Auge
fassen, so wird auch hierdurch nur bestätigt, daß das, was
man gewöhnlich Affekt nennt, nur als ein besonderes
„Gefühl“ begriffen werden darf.
Schon an einer früheren Stelle, die das „Gefühl“ überhaupt
behandelte (s. S. 67 ff.), haben wir bei der in Betreff der Affekte
aufgeworfenen Streitfrage, ob tatsächlich die „Gemütsbewegung“
das Bedingende der nach altem Herkommen ihre „Äußerung“ ge¬
nannten körperlichen Veränderungen sei und nicht vielmehr diese
letzte das „Ursprüngliche“, von dem die „Gemütsbewegung“
ihrerseits „herrühre“, dahin Stellung genommen, daß wir in
erster Linie festgestellt wissen wollten, was unter jenen
körperlichen Veränderungen gedacht sei. Meint man
diejenigen physiologischen Zustände, die zweifellos die be¬
sondere physiologische Bedingung für die „beglei¬
tende“ Körperempfindung des Affekts bilden, so ist es
sicher wahr, daß sie und diese Körperempfindung gegenüber
dem Gefühl im Affekt das „Ursprüngliche“ seien, daß somit
die „Gemütsbewegung“ von ihnen „herrühre“, nämlich in dem
Sinne, daß jene Körperempfindung tatsächlich eine der Be¬
dingungen des Gefühls im Affekte sei. Aber diese „körper¬
lichen Veränderungen“ sind doch ganz andere als diejenigen,
die wir unter dem Namen „Äußerungen der Gemüts¬
bewegungen“ kennen, denn die letzten „rühren“ sicherlich
erst von den Gemütsbewegungen und nicht etwa diese von
jenen „her“. Die „Kopernicanische Revolution in der Lehre
von den Affekten“, wie sie Lehmann lehrt, ist demnach ein
Unternehmen, das nur einen Schein des Rechtes gewinnen
konnte, indem man diejenigen „körperlichen Veränderungen“,
die wrir als „Äußerungen“ d. i. Wirkungen der Gemütsbewe¬
gungen bezeichnen, mit denjenigen, die den als „begleitendes“
Gegenständliches im Affekt sich findenden unklaren Körper¬
empfindungen zugrunde liegen, verwechselt.
Unter „Affekt“ haben wdr also ein starkes „Gefühl“
zu verstehen; wir haben aber den Sinn dieses Wortes dahin
entwickelt, daß wir den Affekt noch als ein starkes beson¬
deres „Gefühl“ gegenüber anderem starken „Gefühl“ kenn¬