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Zur Lehre vom Gemüt.
deren Überwindung und durch diese Verschmelzung erhält
der gesamte Seelenzustand sein eigentümliches Gepräge; daß
wirklich beide Momente vorhanden sind, ist am besten dar¬
aus ersichtlich, daß, wenn die Gefahren und die damit ver¬
bundene Unlust nicht wären, auch von keiner Lust an deren
Überwindung die Rede sein könnte; hört ersteres auf, so fällt
auch letzteres weg; es liegt übrigens in der Natur der Sache
selbst, daß das resultierende Gefühl nur, so lange die Ge¬
fahren sich wirklich überwinden lassen, den Charakter der
Lust erhält; wachsen die Gefahren dagegen bis zu einer
solchen Höhe an, daß die Aussicht eines günstigen Erfolges
gar zu gering wird, so wird auch das Unlustmoment über¬
wiegend werden, darum braucht die Lust aber nicht
völlig aufzuhören; es entsteht dann dieser charakteristische
Zustand, in welchem die Furcht zwar vorherrscht, der Mut
aber doch noch nicht verloren ist, es gibt noch eine gewisse
Entschlossenheit, den Gefahren entgegenzutreten und sich wo¬
möglich mit heiler Haut aus der Lage zu retten. Wenn die
Knaben Räuber und Soldaten spielen, wenn die Spanier sich
an Stiergefechten erfreuen und wenn das Dienstmädchen den
Roman aus einem Leihinstitut mit seinem ganzen Lager
von Verbrechen und Schrecknissen verschlingt, so ist der
Genuß in allen diesen Fällen ein gemischtes Gefühl“ (a. a. 0.
S. 249 f.).
Lehmann führt hierzu aus: „In diesen Beispielen gibt es
ein von wirklichen oder eingebildeten Gefahren herrührendes
Unlustraoment, und die Lust entsteht nur eben durch deren
Überwindung, indem man entweder, wie die spielenden Knaben
selbst Teilnehmer ist, oder auch als Zuschauer eines Stier¬
kampfes oder als Romanleser sich nur betrachtend verhält.“
Ich muß gestehen, daß ich in dem Angeführten nicht Bei¬
spiele für ein angeblich „aus Lust und Unlust gemischtes“
Gefühl finden kann, sondern vielmehr die glatte Bestätigung
meiner Auffassung, daß das besondere Gefühl, d. i. die be¬
sondere zuständliche Bestimmtheitsbesonderheit jedes Bewußt¬
seinsaugenblicks schlechthin einfach, also weder aus gleich¬
artigen noch aus ungleichartigen „Elementargefühlen“ zu¬