Im Auftrag der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte
herausgegeben von
Brigitte Kasten
HISTORISCHE BLICKE
AUF DAS LAND
AN DER
SAAR
Im Auftrag der Kommission für Saarländische
Landesgeschichte und Volksforschung
HERAUSGEGEBEN VON BRIGITTE KASTEN
Historische blicke auf das Land an der Saar
60 Jahre Kommission für
Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung
Veröffentlichungen
der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
}
45
Historische Blicke auf das Land an der Saar
60 Jahre Kommission für
Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung
Im Auftrag der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
herausgegeben von
Brigitte Kasten
Saarbrücken 2012
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung e.V.
Bildnachweise Einband:
Alter Turm Mettlach: Foto zur Verfügung gestellt von der Gemeinde Mettlach
Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken (1719-1768), um 1765,
Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, Saarland Museum Saarbrücken
Foto: Carsten Clüsserath, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz
Juliane Henriette Luise Kraemer, geb. Röchling (1805-1874), Gemälde von
Louis Krevel, 1838, Rheinisches Landesmuseum Trier
Foto: ©Rheinisches Landesmuseum Trier, Th. Zühmer
Blick auf das Stumm’sche Stahlwerk in Neunkirchen, Ausschnitt Postkarte,
Landesarchiv Saarbrücken, B 1422/15C
Blick auf das Gelände des Römermuseums Homburg-Schwarzenacker
Foto: Hans Dieter Morche, Römermuseum Schwarzenacker
40er Denkmal und Massengrab auf dem Spicherer Berg, Postkarte,
Landesarchiv Saarbrücken, B 1558/IOC
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im
Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2012 by Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung e.V., Saarbrücken.
Alle Rechte Vorbehalten.
Ohne schriftliche Genehmigung der Kommission für Saarländische
Landesgeschichte und Volksforschung e.V. ist es nicht gestattet, das Werk
unter Verwendung mechanischer, elektronischer und anderer Systeme in
irgendeiner Weise zu verarbeiten und zu verbreiten. Insbesondere Vorbehalten
sind die Rechte der Vervielfältigung - auch von Teilen des Werkes - auf
fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der tontechnischen Wiedergabe, des
Vortrags, der Funk- und Fernsehsendung, der Speicherung in
Datenverarbeitungsanlagen, der Übersetzung und der literarischen oder
anderweitigen Bearbeitung.
Layout und Satz: Peter Gluting
Druck: Bliesdruckerei GmbH
Printed in Germany
ISBN: 978-3-939150-06-0; ISSN: 0454-2533
Grußwort
60 Jahre Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung e.V.
Die Kommission für Saarländische Landesge-
schichte und Volksforschung e.V. ist älter als unser
Bundesland. Als sie im Jahr 1952 gegründet wurde,
befand sich das Saarland noch auf einem „Son-
derweg“, der erst mit der Eingliederung in die Bun-
desrepublik Deutschland 1957 enden sollte. Bereits
in jener Zeit der politischen Teilautonomie, als das
Saarland wirtschaftlich noch zu Frankreich gehörte,
wurde die Kommission auf Initiative des Direktors
im Kultusministerium Eugen Meyer aus der Taufe
gehoben. Sie wurde beauftragt, die Geschichte des
Saarlandes und seiner Nachbarregionen wissen-
schaftlich zu erforschen und die Ergebnisse ihrer
Untersuchungen zu veröffentlichen.
In den 60 Jahren ihres Bestehens konnte die Kommission viele renommierte Wis-
senschaftler gewinnen, die den Gründungsauftrag auf eindrucksvolle Weise um-
setzten. Historiker und Kunsthistoriker, Sprachwissenschaftler und Genealogen,
Wirtschaftswissenschaftler und Juristen haben zahlreiche Publikationen vorgelegt,
die sich im Rahmen der Landes- und Regionalgeschichte mit Aspekten der Verfas-
sungs- und Kirchenhistorie, der Migrations- und Parteienforschung, der Sozial-
und Wirtschaftsgeschichte und vielen anderen geschichtlichen Themen beschäfti-
gen. Mit diesen Publikationen hat die Kommission nicht nur ihren Auftrag mit
großem Engagement erfüllt. Sie hat vor allem auch dazu beigetragen, die
saarländische Geschichte in ihren unterschiedlichsten Facetten nachhaltig in un-
serem kollektiven Gedächtnis zu verankern.
^ ■
Das Saarland hat in den vergangenen Jahrhunderten eine äußerst wechselvolle Ge-
schichte erlebt. Seit der Französischen Revolution musste das Land nicht weniger
als sechs Mal seine staatliche Zugehörigkeit wechseln. Dieser beständige Wechsel
hat die Menschen an der Saar tief geprägt. Erst mit der Rückgliederung von 1957
wurde das Saarland als elftes Bundesland zum damals jüngsten Mitglied im födera-
len Verband der Bundesrepublik Deutschland. Den historischen Prozess, der nach
einem langen Sonderweg zur Bildung eines eigenständigen Bundeslandes führte,
hat die Kommission mit wissenschaftlichen Beiträgen aktiv begleitet. Zu Beginn
der Kommissionsarbeit setzten sich die Autoren häufig mit der Entwicklung des
Saarlandes vom Mittelalter bis hin zur Saarabstimmung von 1955 und der Einglie-
derung von 1957 auseinander. Diese Monographien, Aufsätze und Essays schufen
lebendige Erinnerung, stärkten das Selbstbewusstsein der Saarländerinnen und
Saarländer und leisteten damit einen wichtigen Beitrag zur Identitätsbildung des
Landes.
7
In besonderem Maße richtete die Kommission von Anfang an ihr Augenmerk auf
die Beziehung des Saarlandes zu Frankreich, auf seine Bedeutung innerhalb der
Großregion SaarLorLux und auf seine Rolle im Herzen Europas. Das Saarland ist
ein wichtiges Bindeglied zwischen Deutschland und Frankreich. In keinem anderen
Bundesland werden die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die deutsch-
französischen Kontakte so intensiv gepflegt wie hier bei uns. Allerdings bietet der
Prozess der europäischen Einigung dem Saarland auch besondere Perspektiven: Er
lässt das Land aus einer nationalen Randlage in eine europäische Zentrallage rü-
cken. Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten der Kommission für Saarländische
Landesgeschichte haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit sol-
chen bi-nationalen und europäischen Fragen beschäftigt. Sie alle reflektieren die
besondere Grenzlandsituation des Saarlandes und die daraus resultierenden Her-
ausforderungen. Sie beleuchten aber auch die Chancen, die sich dem Land auf-
grund seiner spezifischen historischen Entwicklung innerhalb Europas bieten.
Ich gratuliere der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volks-
forschung ganz herzlich zu ihrem 60-jährigen Bestehen. Mein Dank gilt allen Au-
torinnen und Autoren, die sich ehrenamtlich und mit großem Engagement um die
Erforschung der saarländischen Geschichte verdient gemacht haben. Nur wenn wir
uns immer wieder von neuem mit unserer Geschichte auseinandersetzen, ist es
möglich, das gemeinsame Wissen um unsere historischen Wurzeln zu mehren und
lebendig zu erhalten. In diesem Sinne wünsche ich der Kommission auch künftig
viel Erfolg bei ihrer Arbeit und ein reges Interesse an neuen Forschungsgegenstän-
den, die die Geschichte des Saarlandes und seiner Nachbarregionen zum Wohle der
hier lebenden Menschen wissenschaftlich beleuchten.
Annegret Kramp-Karrenbauer
Ministerpräsidentin des Saarlandes
8
Vorwort
Jubiläen werden gern genutzt, um Rückschau zu halten und Rechenschaft abzule-
gen. Zum zehnjährigen Bestehen der durch Regierungsverordnung vom 7. Juni
1951 gegründeten Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksfor-
schung zog ihr langjähriger Geschäftsführer Hans Walter Herrmann eine erste Bi-
lanz'. Er stellte fest, dass die Kommission ihrem Auftrag, „die Geschichte, ein-
schließlich der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte [...] des Saarlandes zu erfor-
schen“ durch das Sammeln und Bereitstellen archivalischer Quellen zur saarländi-
schen Geschichte gerecht geworden ist, und sprach die Hoffnung aus auf eine „rüh-
rige Editionstätigkeit“ im zweiten Jahrzehnt.
ln der ausführlichen Bestandsaufnahme nach 25 Jahren waren dann einige Ver-
änderungen zu vermelden1 2. Aus der ursprünglichen staatlichen Stelle für Regional-
geschichtsforschung war ein eingetragener Verein geworden; die Veröffentlichung
von Quellen war mangels der Möglichkeit, Editionsaufträge zu erteilen, hinter die
Publikation von Forschungsarbeiten zurückgetreten. Dennoch konnte die Kommis-
sion eine erfreuliche Bilanz ziehen: Mit damals 16 Publikationen innerhalb ihrer
Schriftenreihe (Bände 1 und 3-10), davon sieben Bände Saarländische Bibliogra-
phie, und fünf Bänden außerhalb der Veröffentlichungsreihe (darunter die Inventa-
re saarländischer Betreffe in der Collection Lorraine der Handschriftenabteilung
der französischen Nationalbibliothek und im Departementalarchiv Nancy) war ein
beachtlicher Leistungsnachweis in einer vergleichsweise finanzschwachen Zeit ge-
lungen.
Ihr 50-jähriges Bestehen nahm die Kommission zum Anlass, Überlegungen zu
der in den Industrieregionen intensiv geführten Debatte um die Zukunft industrie-
kultureller Relikte nach dem Niedergang der Schwerindustrie beizutragen. Auf ei-
ner mehrtägigen internationalen Tagung über „Forschungsaufgabe Industriekultur“
wurden Eigenheiten der Saarregion durch den nationalen und internationalen Ver-
gleich und in der Analyse der Vernetzung mit den Nachbarregionen Lothringen
und Luxemburg herausgearbeitet3.
Nach einem weiteren Jahrzehnt mit einer dankenswerterweise gewachsenen Un-
terstützung durch saarländische Ministerien erinnert nun eine Jubiläumsschrift an
das 60-jährige Bestehen der Kommission, Bezug nehmend auf die konstituierende
Sitzung am 6. November 1952. In ganz überwiegender Anzahl steuern Mitglieder
der Kommission Beiträge aus ihren Forschungsgebieten bei. Gemeinsamer Be-
zugspunkt ist „das Land an der Saar“, dessen Geschichte aus zeitlich verschiedenen
Blickwinkeln, mit vielfältigen methodischen Ansätzen und in interdisziplinärem
Zugriff beleuchtet wird. Aus Geographie, Archäologie, Germanistik, Theologie,
1 Hans-Walter Herrmann, Zehn Jahre Kommission für Saarländische Landesgeschichte,
in: Saarbrücker Hefte 16 (1962), S. 71-76.
2 25 Jahre Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 1952-
1977. Gründung, Aufbau, Tätigkeit, Saarbrücken 1977.
Die Ergebnisse liegen vor im Tagungsband: Forschungsaufgabe Industriekultur. Die
Saarregion im Vergleich, hg. von Hans-Walter Herrmann, Rainer Hudemann und Eva
Kell unter Mitarbeit von Alexander KÖNIG (Veröffentlichungen der Kommission für
Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 37), Saarbrücken 2004.
9
Geschichte, Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Archiv- und Biblio-
thekswesen sowie nicht zuletzt Denkmalpflege werden Schlaglichter auf eine fa-
cettenreiche Region geworfen. Auf diese Weise ist gleichsam ein Lesebuch ent-
standen, das teils in vergangene Ereignisse zurückfuhrt, teils zukunftsweisende
Perspektiven - als pars pro toto sei hier die historische Umweltforschung genannt -
aufweist; und natürlich ist auch die Kommission als Institution Gegenstand der Be-
leuchtung, deren Bedeutung als wissenschaftliches Rückgrat der Saargeschichts-
forschung auch in den im Anhang beigegebenen Verzeichnissen der Mitglieder und
der Veröffentlichungen in der Publikationsreihe der Kommission zu Tage tritt.
Alle Beiträge beruhen selbstverständlich auf Forschungsleistungen und -ergeb-
nissen, doch ist, um den Lesebuch-Charakter zu erhalten, auf eine vereinheitli-
chende Darstellung nach den Vorgaben des Wissenschaftsbetriebs verzichtet wor-
den; eine kommentierte Bibliographie führt ebenso gründlich in den Forschungs-
stand ein wie ein Fußnotenapparat, ein Vortrag beruht genau wie ein Aufsatz auf
wissenschaftlichem Ertrag. Die Beiträge verbindet ein durchgehender gemeinsamer
Tenor. Es ist die Überzeugung, dass sowohl die Ermittlung und Erforschung von
historischem Wissen als auch seine Erhaltung und Vermittlung lohnenswert sind,
um der heutigen Gesellschaft Möglichkeiten zur Identitätsfindung, zur kritischen
Reflexion ihrer Vergangenheit und zur Einsicht in den Zustand ihrer Gegenwart zu
eröffnen. Die Frage, ob aus der Geschichte und der daraus resultierenden Analyse
der Jetztzeit für die Zukunft gelernt werden kann, mag eine jede Leserin und ein
jeder Leser für sich beantworten. In jedem Fall bedeutet die Kenntnis der Vergan-
genheit einen Gewinn für Gegenwart und Zukunft.
Die Kommission dankt auf das Herzlichste für die finanzielle Unterstützung der
Publikation durch die großzügigen Zuwendungen der Aleksandra-Stiftung, die For-
schungen zur Geschichte des Westrichs auf beiden Seiten der deutsch-franzö-
sischen Grenze fordert, des Sparkassenverbands Saar und der Sparkasse Saarbrü-
cken, die sich beide durch ihr kulturelles Engagement auszeichnen, sowie weiterer
Institutionen der saarländischen Wissenschafts- und Kulturforderung für ihre Hilfe.
Sie ermöglichten es, den Band mit zahlreichen Abbildungen auszustatten und in
dieser drucktechnischen Qualität herzustellen. Engagement zeigten neben den Au-
torinnen und Autoren auch zahlreiche andere Mitglieder der Kommission, die alle
zusammen mit ihren Spenden in erheblichem Umfang gleichfalls zum Gelingen der
Jubiläumsschrift beitrugen
Saarbrücken, den 2. Oktober 2012 Brigitte Kasten
10
Inhaltsverzeichnis
Grußwort von Ministerpräsidentin
Annegret Kramp-Karrenbauer
7
Vorwort
9
Inhaltsverzeichnis
Maria Elisabeth Franke
Die Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung e. V. 1951/52 bis 2012
11
15
A. Historisches Wissen: Ermittlung und Erforschung
Vorzeit, Antike und Mittelalter
Jochen Kubiniok und Daniela Brück
Umweltarchäologische Untersuchungen zur Siedlungs- und
Landschaftsentwicklung der Siedlungskammer
Bliesbrück/Reinheim 39
Klaus Kell
Erste Ergebnisse der neuen Ausgrabungen im römerzeitlichen
Schwarzenacker 53
WOLFGANG HAUBRICHS
Romanen und Germanen an den Grenzen der römischen Gallia.
30 Jahre interdisziplinäre Forschung von Archäologen, Historikern,
Geographen und Philologen an der Universität des Saarlandes.
Eine Rede zum 75. Geburtstag von Frauke Stein 59
Brigitte Kasten
Diakon Adalgisel-Grimo (634) und die Saarbrücker
Prekarienforschung (2002-2011) 83
Reinhard Schneider
Erfassung königlicher Ressourcen im früheren Mittelalter 97
Christel Bernard
Glasierte Irdenware des 13. und 14. Jahrhunderts.
Ein Forschungsbericht 109
Hans-Joachim Kühn
Quellen zum landesherrlichen Rechnungswesen an Saar,
Mosel und Rhein im späten Mittelalter 125
Anne Katharina Pfeifer
Eheskandale im Hause der Herren von Lichtenberg (Eisass)? 147
11
Michael Oberweis
Die Grabinschrift des Grafen Karl Siegfried von
Nassau-Saarbrücken (f 1679) in der
Butzbacher Markuskirche 163
Michel Pauly
Mittelalterliche Hospitäler im
Einzugsgebiet der Saar 171
Neuzeit und Zeitgeschichte
Rita Voltmer
Hexenpolitäk im Saarraum? Zu Stand und Perspektiven
landes- und kulturgeschichtlicher Hexenforschung
in einer „passiven Geschichtslandschaft“ 185
WOLFGANG LÄUFER
Verwaltungsalltag in der von der Leyenschen Herrschaft
Blieskastel nach dem Dreißigjährigen Krieg 219
Joachim Conrad
Das evangelische Pfarrhaus. Verwandtschaftliche
Bande in evangelischen Pfarrfamilien der Saargegend
als Garant eines lutherischen Kontinuums 239
Eva Kell
Armeefuhren - Brandschatzung - Exekution.
Die Reichsherrschaft Saarwellingen zwischen
Altem Reich und französischer Republik 273
Farbabblidungen 289
Johannes Schmitt
Anmaßliche Republikaner. Unruhen und Untertanenkonflikte in der
Reichsherrschaft Hüttersdorf-Buprich im 18. Jahrhundert 311
Gabriele B. Clemens
Säulen der Regionalgeschichtsschreibung. Die deutschen
Altertums- und Geschichtsvereine im langen 19. Jahrhundert 333
Rolf Wittenbrock
Dass der alte preußische Geist noch in uns weht.
Die Hundertjahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig
in Saarbrücken (Oktober 1913) 351
Peter Wettmann-Jungblut und Ludwig Linsmayer
Von schwarzen Flüssen und versinkenden Dörfern.
Plädoyer für eine umwelthistorische Erweiterung
der saarländischen Regionalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 371
12
Hans-Walter Herrmann
Die Rundfrage über die Schicksale der saarländischen
Gemeinden und ihrer Bevölkerung im 2. Weltkrieg 395
Michael Sander
Das Landesamt Saar - Vermögenskontrolle 423
Thomas Gergen
Einige Besonderheiten im Zivilrecht des Saarlandes
zwischen 1945 und 1959 437
Margrit Grabas, Uwe Müller und Veit Damm
Die Stunde der Restrukturierung. Die Konjunktur- und
Strukturkrisen der „langen“ 70er Jahre im Saarland 447
JOHANN PETER LÜTH
Alte Völklinger Hütte. Anmerkungen eines Denkmalpflegers
zum heutigen Gebrauch der Hütte und zum Umgang mit einem
Weltkulturerbe 479
B. Historisches Wissen: Erhaltung und Vermittlung
Bärbel Kuhn
Die Saarfrage in deutschen Schulbüchern 1950 bis 2010 503
Hans-Christian Herrmann
Keine Demokratie ohne Archive! - ein Essay zur
Geschichte und Rolle des saarländischen Archivwesens 513
Reinhold W. Weber
Fünfzig Jahre Saarländische Bibliographie 531
Christine van Hoof
Von app bis wiki. - Neue Chancen und Herausforderungen in der
Vermittlung regionalgeschichtlicher Themen 549
WOLFGANG LÄUFER
Eine Lothringen-Exkursion anno 1967. Bildbericht 561
Eduard Hlawitschka
Erinnerungen an meine Assistenten- und Dozentenzeit
an der Universität des Saarlandes 573
Anhang
Wolfgang Müller
Die Vorsitzenden und Stellvertretenden Vorsitzenden der Kommission
für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung
Eine bio-bibliographische Übersicht 589
Mitgliederverzeichnis 619
Publikationsverzeichnis der Kommission 633
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Die Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung e.V. - 1951/52 bis 2012
Maria Elisabeth Franke
Gründung
Zur Erforschung der saarländischen Landesgeschichte existieren im Jahre 2012
mehrere Institutionen, Vereine und Verbände, die auch publizistisch tätig sind: Das
Landesarchiv des Saarlandes, das seit 2005 eine eigene Schriftenreihe herausgibt
{Historische Beiträge des Landesarchivs Saarbrücken, Echolot), der Historische
Verein für die Saargegend e. V. (jährlich Zeitschrift für die Geschichte der Saarge-
gend sowie Einzelveröffentlichungen), das Institut für Landeskunde im Saarland
(seit 1959, Schriftenreihe Veröffentlichungen des Instituts für Landeskunde im
Saarland), die Gesellschaft für Volkskunde im Saarland (seit 1992, bisher drei Ein-
zelpublikationen), der Landesverband der historisch-kulturellen Vereine des Saar-
landes e.V., dem bisher um die 50 lokale Geschichts- und Heimatvereine bei-
getreten sind (Quartalsschrift saargeschichte(n), zusammen mit dem Historischen
Verein für die Saargegend). Auch diverse Lehrstühle verschiedener Fachrich-
tungen der Universität des Saarlandes treten teils regelmäßig, teils sporadisch mit
Veröffentlichungen zur saarländischen Landesgeschichte hervor (Geschichte, Ger-
manistische und Romanistische Sprachwissenschaften, Geographie, Kirchenge-
schichte, Vor- und Frühgeschichte, Archäologie, Wirtschafts- und Sozialgeschich-
te, Mediengeschichte, Rechtsgeschichte und weitere Fächer).
Als die Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung
durch Verordnung der Regierung Hoffmann vom 7. Juni 1951 begründet wurde1,
gab es keine staatliche oder private Einrichtung, die die wissenschaftliche Beschäf-
tigung mit der Geschichte der Saarregion als ihren Daseinszweck erklärt hätte. Die
Universität des Saarlandes bestand als Volluniversität gerade einmal seit knapp
drei Jahren2. Das auf Veranlassung der französischen Militärregierung ebenfalls im
Jahr 1948 gegründete Landesarchiv, zunächst als Referat innerhalb des Informa-
tionsamtes, nahm seine eigentliche fachliche Arbeit erst Anfang der 60er Jahre
auf1. Der „älteste und größte Geschichtsverein an der Saar“, der seit 1839 beste-
hende „Historische Verein für die Saargegend“, der seinen Vereinszweck in der
Vergangenheit hauptsächlich im Sammeln von Überresten der Vor- und Frühge-
schichte der Saarregion und in der Pflege der so entstandenen beeindruckenden
Sammlung gesehen hatte, war unter das allgemeine Vereinsverbot der Alliierten
1 Sie wurde im Amtsblatt des Saarlandes Nr. 29 vom 6. Juli 1951, S. 831-833 veröffent-
licht.
Armin Heinen, Sachzwänge, Politisches Kalkül, konkurrierende Bildungstraditionen.
Die Geschichte der Universität des Saarlandes 1945-1955, in: Universität des Saarlandes
1948-1988, hg. im Auftrag des Universitätspräsidenten von Armin Meinen und Rainer
Hudemann, Saarbrücken 21989, S. 21-62.
Wolfgang Läufer, 50 Jahre Landesarchiv Saarbrücken, in: Der Archivar 51 (1998), Sp.
685-687.
15
gefallen und erst 1950 wieder zugelassen worden. Er musste seine Aufgaben nach
dem Krieg erst wieder neu bestimmen4.
In dieser Situation erhielt das damals teilautonome Saarland, das wirtschaftlich
an Frankreich angeschlossen war, mit der Kommission für Saarländische Landes-
geschichte und Volksforschung eine eigene wissenschaftliche Forschungseinrich-
tung nach dem Vorbild Historischer Kommissionen anderer deutscher Landschaf-
ten, heute an den Bundesländern orientiert. Deren Arbeitsweise kannte der Initiator
und erste Vorsitzende der Kommission, Prof. Dr. Eugen Meyer (Vorsitzender
1952-1965, danach Ehrenvorsitzender), aus eigener Anschauung, hatte er doch der
Historischen Kommission für Westfalen angehört (während seiner Tätigkeit als
Staatsarchivdirektor in Münster 1932-1939) und der Historischen Kommission der
Mark Brandenburg (berufen am 6. März 1942 während seiner Zeit als außerordent-
licher Professor für historische Hilfswissenschaften an der Universität in Berlin)5.
Der im saarländischen Püttlingen am 17. Februar 1893 geborene Eugen Meyer
war die treibende Kraft bei der Gründung der Kommission. Als er im November
1948 an die Universität in Saarbrücken berufen wurde6 *, konnte er schon auf ein er-
folgreiches Berufsleben zurückblicken, das er 1921 im Archivdienst begonnen und
1939 als Universitätslehrer in Berlin fortgesetzt hatte. In Saarbrücken nahm er nach
einem Gastsemester im Winter 1949 mit dem Sommersemester 1950 seine Tätig-
keit als ordentlicher Professor für Geschichte des Mittelalters auf (emeritiert 30.
März 1961). Im Saarland sollte dieser archivarisch-wissenschaftlichen Karriere
noch eine weitere in der saarländischen Kultusverwaltung folgen. In das zweite
Kabinett Hoffmann (14.4.1951-23.12.1952) wurde Eugen Meyer als Direktor des
Ministeriums für Kultus, Unterricht und Volksbildung berufen. Als solcher hatte er
die tatsächliche Verantwortung, während Erwin Müller, der neben dem Justizmi-
4 Vgl. Jahrgang 37 (1989) der Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend, der aus An-
lass seines 150-jährigen Bestehens ganz der Geschichte des Historischen Vereins ge-
widmet ist und in zahlreichen Einzelstudien die Geschichte des Vereins vor allem im 19.
und zu Beginn des 20. Jahrhunderts beleuchtet, sowie im vorliegenden Band den Beitrag
von Gabriele B. Clemens.
Zur Biographie Eugen Meyers vgl. Hans-Walter Herrmann, Eugen Meyer 1893-1972.
Eine biographische Skizze, in: Saarheimat 17 (1973), S. 74-79; Kurt-Ulrich Jäschke,
Die Gründungszeit der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksfor-
schung, in: Forschungsaufgabe Industriekultur. Die Saarregion im Vergleich, hg. von
Hans-Walter Herrmann, Rainer Hudemann und Eva Kell unter Mitarbeit von Alexan-
der König (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung 37), Saarbrücken 2004, S. 24-29 mit stärkerer Berücksichtigung von
Meyers Tätigkeit als Wissenschaftler, gedacht als Ehrenrettung angesichts der „harschen
Kritik“ durch Meyers Saarbrücker Kollegen Walter Mohr.
6 Zu Meyers Beweggründen, sich um die Berufung an die neu gegründete Saarbrücker
Universität zu bemühen vgl. seine Briefe an seinen 1939 nach Amerika emigrierten Stu-
dienfreund und Berliner Kollegen Ernst Posner, erstmals ediert von Wolfgang MÜLLER,
„Eine Pflegestätte des Geistes, der die Enge zu überwinden sucht und nach europäischer
Weite strebt“ - Impressionen zur Geschichte der Universität des Saarlandes, in: „Gren-
zen“ ohne Fächergrenzen: Interdisziplinäre Annäherungen, hg. von Bärbel Kuhn, Marti-
na Prrz und Andreas Schorr (Annales Universitatis Saraviensis, Philosophische Fakul-
täten 26), St. Ingbert 2007, S. 265-302, hier S. 287-299 unter der Überschrift „Einen Weg
zur Überwindung von Grenzen zu finden“ - Die Berufung Eugen Meyers an die Univer-
sität des Saarlandes 1948-1949.
16
nisterium auch das Kultusministerium übernommen hatte, die Kultusbehörde nur
politisch leitete, und Meyer „im Kultusbereich weitgehend freie Hand ließ“7. Auch
dem Übergangskabinett Welsch und der „Heimatbundregierung“ von Hubert Ney
gehörte Eugen Meyer, der zeitlebens parteilos blieb und auch nicht der Nationalso-
zialistischen Arbeiterpartei Deutschlands angehört hatte, als Direktor des Kultus-
ministeriums an. Ab 1955 spielte er als Vertreter des Kultusministers eine wichtige
Rolle bei der Neugründung des Saarländischen Rundfunks. Zeitweise war er des-
sen Geschäftsführer. Von April 1957 bis Herbst 1959 fungierte er als stellvertre-
tender Vorsitzender des Verwaltungsrates. Vom 1. Juli 1959 bis zu seinem Tod am
29. August 1972 war er deutsches Vorstandsmitglied der Europäischen Rundfunk-
und Femseh AG, die den vom Saarland (Berus bei Saarlouis) aus sendenden pri-
vaten französischen Rundfunksender Europa 1 betrieb.
Vielfältig ist auch Eugen Meyers ehrenamtliches Engagement. Dazu gehörten
seine Mitgliedschaften in den Historischen Kommissionen von Westfalen, Bran-
denburg und schließlich des Saarlandes, seine Tätigkeit als Redakteur des Korres-
pondenzblattes der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine (ab Jahrgang 83,
1936, umbenannt in Blätter für deutsche Landesgeschichte) und als Schriftführer
des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, ln seiner Saar-
brücker Zeit zählte er mit zu den Begründern der Vereinigung der Freunde der Uni-
versität des Saarlandes, zeitweise war er ihr Geschäftsführer, und er fand auch noch
Zeit, den Vorsitz der Volkshochschule Saarbrücken zu übernehmen (1956-1960).
Schon unmittelbar nach Aufnahme seiner Lehrtätigkeit in Saarbrücken ließ Eu-
gen Meyer Ministerpräsident Johannes Hoffmann, den er aus der gemeinsamen
Schulzeit am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Trier kannte, eine Denkschrift zu-
kommen Über die Organisation der saarländischen Landes- und Volksforschung .
„Sie zielte auf nichts Geringeres als die staatliche Gründung einer Historischen Kom-
mission und die Schaffung eines saarländischen Staats- und Landesarchivs ... “* 9.
Nur wenige Monate nach Übernahme des Amtes eines Direktors des Ministeriums
für Kultus, Unterricht und Volksbildung erfolgte die Gründung der Kommission
für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung als einer staatlichen Stelle
mit dem Auftrag die Geschichte, einschliesslich der Sozial- und Wirtschaftsge-
schichte, sowie die Volkskunde des Saarlandes wissenschaftlich zu erforschen und
insbesondere die Quellen der Geschichte des Landes und Volkes in einer den For-
derungen der Wissenschaft entsprechenden Weise herauszugeben. Darüber hinaus
erhielt die Kommission die Aufgabe, das nichtstaatliche Archivgut des Landes und
die sonstigen schriftlichen Denkmäler der Landesgeschichte [...] pflegerisch zu be-
treuen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe sollte sie staatliche Vollmachten erhalten10.
Herrmann, Eugen Meyer (wie Anm. 5), S. 77; Heinrich Küppers, Bildungspolitik im
Saarland 1945-1955 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesge-
schichte und Volksforschung 14), Saarbrücken 1984, S. 206 beschreibt Meyers Amtsfüh-
rung als unpolitisch und weniger gestaltend als vielmehr verwaltend „im Geist der stren-
gen und gerechten Maßstäbe, die für ihn ... als Archivbeamter... verbindlich waren“.
* Jäschke, Gründungszeit (wie Anm. 5), S. 23.
9 Ebd. S. 30.
10 Amtsblatt des Saarlandes (wie Anm. 1), S. 831.
17
Organisation: Von der Geschäftsordnung zur Satzung
Die Funktionsweise der neu gegründeten wissenschaftlichen Forschungseinrich-
tung wurde in der Verordnung vom 7. Juni 1951 in elf Paragraphen geregelt, in der
linken Spalte in deutscher, in der rechten in französischer Sprache. Organe der
Kommission sollten ihre Mitglieder und ein Kuratorium sein. Die Mitglieder der
Kommission, nicht mehr als dreißig, sollten fürs erste von der Landesregierung
„aus dem Kreise der wissenschaftlichen Forscher auf dem Gebiete der saarländi-
schen Landesgeschichte und Volkskunde“ berufen, im Weiteren aber von der Ver-
sammlung der Mitglieder selbst auf Vorschlag des Kuratoriums gewählt werden (§
1). Das erstmals von der Landesregierung zu bestellende Kuratorium, bestehend
aus dem Vorsitzenden, dessen Stellvertreter, dem Geschäftsführer und zwei Beisit-
zern, von denen einer ein Vertreter der Landesregierung sein musste, hatte fol-
gende Obliegenheiten: a) die Vorbereitung der Mitgliederversammlung, b) die
Vorschläge für die Neuwahl von Mitgliedern, c) die Bestellung von wissenschaftli-
chen Mitarbeitern, d) die Aufstellung des Arbeitsplanes und seine Bekanntgabe an
die Mitgliederversammlung, e) die Vergebung [!] von Forschungsaufträgen an die
Mitarbeiter, f) die Kontrolle der Arbeiten, g) die Aufstellung eines Haushaltsvor-
anschlages spätestens bis zum 15. Juni. Die Einflussnahme der Regierung war
dadurch gesichert, dass das Ministerium für Kultus, Unterricht und Volksbildung,
dessen Geschäftsbereich die Kommission zugeordnet war, die gewählten Mitglie-
der bestätigte (§ 1), das Kuratorium nach Anhörung der Mitgliederversammlung in
einem dreijährigen Turnus neu bestellte (§ 2) und den vom Kuratorium erstellten
Haushalt genehmigte (§ 3).
Diese Struktur ist auch in der heutigen Organisation noch erkennbar, obwohl
sich die Kommission Anfang der 60er Jahre als eingetragener Verein konstituierte.
Aus dem Kuratorium wurde ein Vorstand, der von der Mitgliederversammlung alle
drei Jahre gewählt wird. Die Mitglieder ergänzen sich selbst unter Berücksichti-
gung der Vorschläge des Vorstands. Einige der genannten Aufgaben des Kurato-
riums sind auch die des heutigen Vorstands (a, b, d, g). Eine Einflussnahme der
Regierung auf die personelle Zusammensetzung der Kommission ist heute nicht
mehr vorgesehen. Da die Kommission einen Zuschuss der Regierung erhält, ist
dieser allerdings Rechenschaft über die Haushaltsführung abzulegen.
Die Umwandlung der Kommission in einen eingetragenen Verein wurde not-
wendig, als 1959 das Institut für Landeskunde gegründet und beim Kultusministe-
rium angesiedelt wurde". Da in der Landesverwaltung nicht zwei Dienststellen mit 11
11 Die näheren Umstände der Gründung einer Einrichtung mit nahezu identischer Ziel-
setzung wären eine eigene Untersuchung wert. Bereits bei Gründung der Kommission
gab es erhebliche Irritationen beim Historischen Verein für die Saargegend und die Be-
fürchtung von Mitgliederüberschneidungen, Doppelarbeit und Zersplitterung der staat-
lichen Zuschüsse, dazu JÄSCHKE, Gründungszeit (wie Anm. 5), S. 33-42. 1959 äußerte
Eugen Meyer dann auch Bedenken hinsichtlich einer Überorganisation auf landesge-
schichtlichem Gebiet, vgl. Herrmann, Eugen Meyer (wie Anm. 5), S. 77. Aber 1959,
wie auch schon 1951, wusste man eine beide Seiten befriedigende Aufgabenteilung zu
finden: Das Institut klammerte bei seinen landeskundlichen Forschungen das Feld der
Historie im engeren Sinn aus und überließ es der Kommission. Zudem kam es zu perso-
nellen Verschränkungen: Der Schweizer Hektor Ammann, von 1957/58 bis 1963 Profes-
sor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Saarbrücken und Direktor
18
gleicher Aufgabenstellung tätig sein sollten oder durften, wurde die Kommission in
den Status eines eingetragenen Vereins überführt. Sie gab sich eine Satzung, die
am 1. Januar 1960 in Kraft trat und seither mehrfach (1973, 1981, 1996 und 2003)
geändert wurde, um neuen Gegebenheiten und Entwicklungen Rechnung zu tra-
gen12. Die wichtigsten Änderungen betreffen dabei die Neubestimmung der Aufga-
ben (1973, 1996), die Feststellung der Gemeinnützigkeit (1981) und die Einsetzung
eines Geschäftsfiihrenden Vorstands (2003). Daneben gibt es einige eher formale
Änderungen bezüglich der Anzahl der Mitglieder (von 40 auf 60) oder der Einbe-
rufungsfristen für die Mitgliederversammlung (von einer über zwei auf drei Wo-
chen). Der Zweck der Kommission wurde 1960 in vier Punkten Umrissen (§ 3), die
die Formulierungen der Geschäftsordnung von 1951 aufgreifen: Zweck der Kom-
mission ist: a) Die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte einschließlich
der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie der Volkskunde des Saarlandes und
der anschließenden Landschaften, b) die Veröffentlichung der Quellen der Landes-
geschichte in einer den Forderungen der Wissenschaft entsprechenden Weise, c)
die pflegerische Betreuung des im Lande befindlichen nichtstaatlichen Archivgutes
und der sonstigen schriftlichen Denkmäler der Landesgeschichte, d) die Zusam-
menarbeit mit anderen Organisationen entsprechender Zielsetzung.
In der geänderten Fassung, wie sie am 22. Juni 1973 von der Mitgliederver-
sammlung beschlossen wurde und am 1. Juli des Jahres in Kraft trat, wurde Punkt c
aus dem Aufgabenkatalog gestrichen, um nicht in Konkurrenz zu dem inzwischen
voll funktionsfähigen Landesarchiv zu treten. Da es für die Kommission aufgrund
der sich verschlechternden finanziellen Lage in den 70er Jahren unmöglich wurde,
mit eigenen Mitarbeitern die Sammlung und Aufbereitung landesgeschichtlicher
Quellen zu betreiben, gewann die Veröffentlichung außerhalb ihres institutioneilen
Rahmens entstandener Untersuchungen größere Bedeutung. Die Satzung von 1973
dehnte folglich die Publikationstätigkeit über Quelleneditionen hinaus auf Dar-
stellungen aus. 1996 schließlich trug man der geübten Praxis dadurch Rechnung,
dass die Veranstaltung von Tagungen, Vorträgen und Studienfahrten als weitere
Aufgabe in die Satzung aufgenommen wurde.
In der am 1. Juli 1981 in Kraft getretenen Satzung wurde erstmals die Gemein-
nützigkeit der Kommission erklärt (§ 1 und § 3 Abs. 2), deren Berechtigung seit-
dem in einem dreijährigen Rhythmus vom Finanzamt Saarbrücken überprüft wird.
In § 15 Abs. 2 der Satzung von 1960 wurde festgeschrieben, dass Vorsitzender
und Geschäftsführer die Kommission im Sinne von § 26 II Bürgerliches Gesetz-
buch gemeinschaftlich vertreten, und dies wurde seitdem in jede Satzung über-
nommen. Des Weiteren enthielt sie die Bestimmung, dass bei Verhinderung des
Vorsitzenden sein Stellvertreter seine Aufgaben wahrnimmt (§ 16 Abs. 3). Diese
Aussage wurde allerdings nicht in die folgenden Satzungen übernommen, so dass
des Instituts für Landeskunde bis zu seinem Tod am 22. Juli 1967, war auch Ordentliches
Mitglied der Kommission (seit 19.12.1958), und umgekehrt war Meyer von 1960 bis
1964 Vorsitzender des Beirates des Instituts. Gleichwohl blieben in der Folge Kompe-
tenzstreitigkeiten nicht aus.
Die Satzungen sind einsehbar in der Registratur der Kommission. Die Satzung von 1973
ist gedruckt in der Broschüre: Hans-Walter Herrmann, 25 Jahre Kommission für Saar-
ländische Landesgeschichte und Volksforschung 1952-1977. Gründung, Aufbau, Tätig-
keit, Saarbrücken 1977, S. 15-19.
19
ab 1973 kein Verfahren dafür vorgesehen war, erst recht nicht für den Fall, dass ei-
ner der beiden während einer Wahlperiode ausscheidet. Wohl aufgrund der langen
Amtsperioden der Vorsitzenden Emst Klein (1970-1984), Ordinarius für Wirt-
schafts- und Sozialgeschichte an der Universität des Saarlandes, und Reinhard
Schneider (1984-1999), Professor für Geschichte des Mittelalters an der Universi-
tät des Saarlandes, und des Geschäftsführers Hans-Walter Herrmann (1960-1999),
der übrigens bereits bei der 2. Ordentlichen Mitgliederversammlung der Kommis-
sion am 13. November 1953 als Gast anwesend war, damals noch als „Cand. phil.“,
fiel dieser Mangel nicht auf. Erst die Satzung von 2003 trifft für diese Fälle Vor-
kehrung, indem sie einen Geschäftsführenden Vorstand einsetzt, der aus Vor-
sitzendem, Stellvertretendem Vorsitzenden und Geschäftsführer besteht, die sich
untereinander vertreten können (§ 16 Abs. 3), so dass die Kommission auch im
Verhinderungsfall eines Funktionsträgers handlungsfähig bleibt. Im Falle des Aus-
scheidens des Vorsitzenden oder des Geschäftsführers ist der übrige Vorstand be-
rechtigt, einen Nachfolger zu bestimmen, der bis zur Wahl eines neuen Vorsitzen-
den beziehungsweise Geschäftsführers durch die Mitglieder auf ihrer nächsten Jah-
resversammlung im Amt bleibt. Der dann Gewählte amtiert bis zur tumusgemäßen
Wahl eines neuen Vorstands (§ 13 Abs. 4).
Mitglieder gestern und heute
Mit der Regierungsverordnung vom 7. Juni 1951 existierte die Kommission für
Saarländische Landesgeschichte erst einmal auf dem Papier. Die Institution musste
mit Leben gefüllt werden, und dabei kam es wesentlich auf Persönlichkeiten an,
die willens waren, ihre Fähigkeiten, ihre Ideen und ihre Zeit einzubringen und die
nicht zuletzt auch der Regierung genehm sein mussten. In etlichen Besprechungen
und Zusammenkünften, die zum Teil auch schon als Mitgliederversammlungen be-
zeichnet wurden, vollzog sich im zweiten Halbjahr des Jahres 1951 und im Laufe
des folgenden Jahres die Herausbildung der Kommission mit Kuratorium und Mit-
gliederbestand, wie es die der Verordnung vom 7. Juni beigegebene Geschäftsord-
nung vorsah. Jäschke, der diese Gründungsphase detailliert schildert, spricht von
einem Gründungsvorgang als gestrecktem Prozess13.
In der Kabinettsitzung der Regierung am 7. März 1952 erfolgte die Bestellung
eines Kuratoriums aufgrund einer vom Ministerium für Kultus, Unterricht und
Volksbildung eingebrachten Vorlage14. Diesem Kuratorium gehörten an: der Grün-
dungsinitiator Prof. Dr. Eugen Meyer, der als einziger bereits im Herbst 1951 in
die Kommission berufen worden war, als Vorsitzender, der Gesandte außer Dienst
Gustaf Braun von Stumm, der heraldische und numismatische Studien betrieb, als
Stellvertretender Vorsitzender, der Klassische Archäologe und Landeskonservator
Dr. Josef Keller als Geschäftsführer, Oberregierungsrat Dr. Hans Groh, damals
13 JÄSCHKE, Gründungszeit (wie Anm. 5), S. 49.
14 Schreiben des Direktors der Präsidialkanzlei, Dr. Franz Schlehofer, unter dem Datum des
9. März 1952 an das Justiz- und das Kultusministerium, abschriftlich in den Akten der
Kommission. Möglicherweise aufgrund des Datums dieses Schreibens wird die Berufung
des Kuratoriums auf den 9. März datiert, so im Geschäftsbericht des ersten Geschäfts-
führers der Kommission Dr. Keller im Protokoll über die 1. Ordentliche Mitgliederver-
sammlung am 6. November 1952, S. [2] und von Herrmann, 25 Jahre Kommission (wie
Anm. 12), S. 8.
20
Hochschulreferent im Kultusministerium, als Beisitzer und gleichzeitig Regie-
rungsvertreter, sowie Oberstudienrat Dr. Aloys Lehnert, ausgewiesen durch seine
sprachwissenschaftlichen Studien, als Beisitzer. Schon vor der Bestellung des Ku-
ratoriums, bereits am 26. Januar 1952 war die Berufung von 23 Mitgliedern in die
Kommission erfolgt. Im Verlauf des Jahres folgten weitere acht ordentliche und
fünf korrespondierende Mitglieder13. Zur 1. Ordentlichen Mitgliederversammlung,
der eigentlichen Konstituierung der Kommission am 6. November 1952, konnte
Eugen Meyer dann 28 Mitglieder in der Jugendherberge in Dreisbach begrüßen.
Von den saarländischen Mitgliedern fehlten lediglich drei, von den auswärtigen
vier15 16. Die konstituierende Sitzung der neuen Institution für Landesgeschichtsfor-
schung fand übrigens auch in der Öffentlichkeit große Beachtung. Gleich vier
Pressevertreter waren anwesend, zwei von der Saarbrücker Zeitung, einer von der
Saarländischen Volkszeitung, dem Organ der Christlichen Volkspartei, und einer
von der Volksstimme, die der sozialdemokratischen Partei nahestand.
Bei den ersten Mitgliedern der Kommission handelte es sich um Professoren der
neugegründeten Universität des Saarlandes: Eugen Meyer selbst, seine Historiker-
Kollegen Walter Mohr, ebenfalls Mediävist mit einem besonderen Lehrauftrag für
lothringische und burgundische Geschichte17, Jean-Baptiste Duroselle, Zeithistori-
ker und Experte für internationale Beziehungen18, Studienrat Heinrich Kuhn, der
seit 1949 landeskundliche Veranstaltungen an der Universität anbot19, und Jacques
Moreau, Inhaber des Lehrstuhls für Alte Geschichte und antike Epigraphik20. Hin-
zu kamen Laurent Champier, Professor für Geographie, der renommierte Ger-
manist und Meister-Eckart-Forscher Josef Quint und der Rechtshistoriker Guillau-
me Cardascia21. Auch Laien, die sich durch ihre landesgeschichtlichen und volks-
kundlichen Forschungen einen Namen gemacht hatten, fanden bei den Berufungen
15 Vgl. das Verzeichnis der Mitglieder 1952-1977 in: Herrmann, 25 Jahre Kommission
(wie Anm. 12), S. 20-29 mit Literatur zu den einzelnen Persönlichkeiten. Ergänzend:
Hans-Walter Herrmann, Nachruf auf Aloys Lehnert, in: Zeitschrift für die Geschichte
der Saargegend 25 (1977), S. 13-16.
16 Pfarrvikar Professor Hilarius Willscheid, Experte für saarländische Kirchengeschichte,
war schon am 21. September 1952 verstorben.
1 Den Hinweis auf den besonderen Lehrauftrag von Professor Mohr verdanke ich dem Lei-
ter des Universitätsarchivs Dr. Wolfgang Müller, AOR. Zu Mohrs Lebensweg und wis-
senschaftlicher Tätigkeit vgl. das Vorwort von Hans-Walter Herrmann zu einer Samm-
lung von Aufsätzen Mohrs aus Anlass seines 90. Geburtstages am 21. Oktober 2000, in:
Studien zur Geistes- und Herrschaftsgeschichte des Mittelalters: eine Auswahl veröffent-
lichter Aufsätze mit einem größeren bisher unveröffentlichten Beitrag, Stuttgart 2001, S. 7-
10.
Ix Wolfgang Müller, „Un des meilleurs ambassadeurs de notre Université à l’extérieure".
Jean-Baptiste Duroselles Wirken an der Universität des Saarlandes 1950-1957, in: Zeit-
schrift für die Geschichte der Saargegend 45 (1997), S. 201-210.
19 Hans-Walter Herrmann, Nachruf auf Heinrich Kuhn, in: Zeitschrift für die Geschichte
der Saargegend 25 (1977), S. 9-11, hier S. 10.
Wolfgang Müller, „Le Maître qui représente si dignement l’humanisme belge à
l’Université Européenne de la Sarre“. Jacques Moreaus Wirken an der Universität des
Saarlandes, in: 50 Jahre Alte Geschichte an der Universität des Saarlandes, hg. von Klaus
Maria Girardet (Universitätsreden 47), Saarbrücken 2001, S. 59-83.
1 Nachruf von Sophie DÉMARE-Lafont, Guillaume Cardascia (1914-2006), in: Revue
d’assyriologie et d’archéologie orientale 101 (2007), S. lf.
21
Berücksichtigung, so die bereits oben erwähnten Gustaf Braun von Stumm und
Aloys Lehnert, weiterhin der Lehrer und Rektor Karl Schwingel, der bereits 1931
Mitglied des Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande in Bonn ge-
worden war, der beruflich in der Bundesbahnverwaltung tätige Kurt Hoppstädter,
der 1960 neben Hans-Walter Herrmann als Mitherausgeber und Autor des ersten
Bandes der Geschichtliche[n] Landeskunde des Saarlandes hervortrat. Desglei-
chen wurden die Leiter der mit landeskundlichen Aufgaben betrauten Behörden
und Institutionen eingebunden, so Landeskonservator Dr. Josef Keller, der Leiter
des Landesarchivs (seit Februar 1949) Dr. Walter Lauer, Prof. Dr. Adolf Blind,
1947-1955 Leiter des städtischen Amtes für Statistik und Wahlen in Saarbrücken
und zusätzlich von 1949-1955 kommissarischer Leiter des Statistischen Landesam-
tes, und der Direktor des Saarlandmuseums, Dr. phil. h. c. Rudolf Bomschein.
Hinzu kamen Fachleute aus dem benachbarten Rheinland und der Pfalz: der
Sprachwissenschaftler und Namenforscher Prof. Adolf Bach, der Volkskundler
Prof. Matthias Zender, beide Universität Bonn, der Direktor des Wiesbadener
Staatsarchivs Georg Wilhelm Sante, ehemals Saarbrücker Stadtarchivar (1929-
1935), der Speyerer Bibliotheksdirektor Hermann Sauter und Hans Eiden, Direktor
des Rheinischen Landesmuseums Trier, um nur einige zu nennen.
Bei seiner Bestellung durch die Regierung wurde das Kuratorium ermächtigt,
mit den wissenschaftlichen Anstalten und Persönlichkeiten des Auslands in Ver-
bindung zu treten, um sie als korrespondierende Institute bezw. [!] als Mitglieder
zu gewinnen. Infolgedessen wurden der Luxemburger Archivdirektor Prof. Dr.
Camille Wampach, Gymnasialprofessor Henri Hiegel aus Saargemünd als Vertre-
ter der lothringischen Landesgeschichte22, und der Leiter des Departementsarchivs
in Metz, Jean Rigault, berufen.
Als einzige Frau gehörte der Kommission in dieser frühen Phase Dr. Edith En-
nen an, geboren 1907 im saarländischen Merzig und Leiterin des Bonner Stadtar-
chivs (1947-1964).
Die ersten Mitglieder der Kommission repräsentierten eine imposante Fächer-
vielfalt. Saarländische, pfälzische und lothringische Landesgeschichte, Alte, Mit-
telalterliche und Neuere Geschichte, Historische Hilfswissenschaften (Heraldik, Ge-
nealogie, Numismatik), Archäologie, Statistik, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte,
Volkskunde, Rechtsgeschichte, Kunstgeschichte, Literatur- und Sprachwissenschaft,
Geographie sowie Bibliotheks- und Archivwissenschaft waren vertreten23.
Bei den Bestellungen spielte allerdings nicht nur die fachliche Qualifikation ei-
ne Rolle, sondern offensichtlich auch politische Rücksichtnahme. Bei einer Zu-
sammenkunft bereits berufener Mitglieder am 27. Januar 1952 wurden auf Meyers
Frage, ob es Ergänzungsvorschläge gebe, die Namen Fritz Hellwig und Ernst
Christmann genannt24. Im Schreiben des Leiters der Präsidialkanzlei Franz Schle-
hofer vom 9. März 1952 heißt es dann: Bei den Einzelmitgliedern sind noch Re-
22 Zu ihm vgl. Wolfgang Freund, Volk, Reich und Westgrenze. Deutschtumswissen-
schaften und Politik in der Pfalz, im Saarland und im annektierten Lothringen 1925-1945
(Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volks-
forschung 39), Saarbrücken 2006, S. 346-348.
2j JÄSCHKE, Gründungszeit (wie Anm. 5), S. 51 bietet eine Zuordnung von Person und
Fachgebiet.
24 Ebd, S. 43.
22
cherchen anzustellen bei Dr. habil. Hellwig, Köln, und Prof. Dr. Christmann, Kai-
serslautern^. Der gebürtige Saarbrücker Fritz Hellwig, Historiker, Industriema-
nager und Abgeordneter der Christlichen Demokratischen Union im Deutschen
Bundestag (1953-1959), wurde nie Kommissionsmitglied, der renommierte Pfälzer
Volkskundler, Namenforscher und Mundartdichter Ernst Christmann erst 1958.
Hellwig, der „vielleicht der kompetenteste ,saarländische4 Landeshistoriker in den
Reihen der Kommissionsmitglieder gewesen [wäre]“* 26, war für die Regierung
Hoffmann untragbar als Streiter für die Rückgliederung des Saarlandes an
Deutschland'7, Christmann als „aktiver Nationalsozialist“, der „in Partei-Gliede-
rungen verantwortliche Posten wahrgenommen hatte4“8. Christmann wurde nach
dem Krieg auf Betreiben der französischen Militärverwaltung von der Universität
Heidelberg, wo er von 1943 bis Kriegsende als Honorarprofessor tätig gewesen
war29 30, entlassen. Das Entnazifizierungsverfahren beendete der Eintritt in den frei-
willigen Ruhestand20,
Betrachtet man das aktuelle Verzeichnis der Mitglieder der Kommission für
Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung (66 Ordentliche, 7 Korres-
pondierende Mitglieder), so stellt man fest, dass die Prinzipien der Gründungs-
phase, nämlich breites Fächerspektrum der Mitglieder sowie Einbeziehung von
landesgeschichtlich ausgewiesenen Persönlichkeiten und Institutionen der benach-
barten Bundesländer und des angrenzenden Auslands, auch die heutige Berufungs-
praxis prägen.
Anders als Anfang der 50er Jahre sind allerdings heute die auf dem Gebiet der
Landes- und Ortsgeschichte forschenden Laien in der Kommission kaum mehr ver-
treten. Bei den Mitgliedern handelt es sich ausschließlich um Wissenschaftler (Pro-
fessoren, wissenschaftliche Mitarbeiter) und Amtsleiter. Das mag daran liegen,
dass sich angesichts der anfangs skizzierten Vielzahl an regional und kommunal
tätigen historischen Vereinen für die Gruppe der Lokal- und Regionalhistorikerin-
nen und -historiker andere Möglichkeiten ergeben, um ihr Interesse und ihre
Kenntnisse einzubringen.
Die Emanzipationsbewegung ging an der Kommission nicht ganz spurlos vor-
bei. in den ersten 25 Jahren ihres Bestehens, also bis 1977, gehörten ihr nur drei
Frauen an: als Ordentliche Mitglieder die oben genannte Edith Ennen, die vom 9.
Juli 1965 bis zum 8. Juli 1966 als Stellvertretende Vorsitzende und vom 8. Juli
1966 bis zum 10. Oktober 1969 gar als Vorsitzende wirkte (verstorben am 28. Juni
1999)31, und die damalige Professorin an der Pädagogischen Hochschule des Saar-
2? Siehe Anm. 14.
26 Jäschke, Gründungszeit (wie Anm. 5), S. 45.
27 Ebd. S. 45-48.
28 Freund, Volk (wie Anm. 22), S. 224.
29 Hans-Walter Herrmann, Nachruf auf Ernst Christmann, in: Zeitschrift für die Geschich-
te der Saargegend 22 (1974), S. 10-13, hier S. 11.
30 Freund, Volk (wie Anm. 22), S. 224-230.
1965-1968 war Edith Ennen, die 1964 als Nachfolgerin von Hektor Ammann auf den
Saarbrücker Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte berufen worden war, auch
Vorsitzende des Historischen Vereins. Nachrufe: Franz Irsigler, Edith Ennen. An-
merkungen zu Werk und Wirkung, in: Mitteleuropäisches Städtewesen in Mittelalter und
Frühneuzeit. Edith Ennen gewidmet, hg. von Wilhelm Janssen und Margret Wensky,
23
iandes Maria Zenner (Mitglied 5. Juni 1970 - 2. März 2010, verstorben), später
Professorin für Didaktik der Geschichte an der Universität Regensburg, Autorin
des dritten Bandes der Kommissionsveröffentlichungen32 *, sowie als Korrespondie-
rendes Mitglied die Kunsthistorikerin Marie-Luise Hauck (Mitglied 3. April 1968 -
28. November 2004, verstorben), ebenfalls Autorin einer Kommissionspublika-
tion". Derzeit zählt die Kommission 13 weibliche Mitglieder, und seit 2005 wird
sie wieder von einer Vorsitzenden geleitet, Dr. Brigitte Kasten, Professorin für Ge-
schichte des Mittelalters an der Universität des Saarlandes (Mitglied seit 23. Sep-
tember 2002). Zum 10-köpfigen Vorstand gehören als Beisitzerinnen die Mittelal-
terarchäologin Dr. Christel Bernard (Mitglied seit 9. Juli 2004, Geschäftsführerin
2008-2011) und die Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere Geschichte und Landes-
geschichte an der Universität des Saarlandes, Dr. Gabriele Clemens (Mitglied seit
13. September 2007, Beisitzerin seit 14. Oktober 2008).
Dem ehrenamtlich tätigen Vorstand gehören weiterhin an: Dr. Rolf Witten-
brock, Leiter des Planungsbüros Europa an der Universität des Saarlandes, als Ge-
schäftsführer (seit 23. September 2011, Mitglied seit 9. Oktober 1998), Dr. Ludwig
Linsmayer, Leiter des Landesarchivs, als Stellvertretender Vorsitzender (seit 15.
Oktober 2010, Regierungsvertreter 1994-2004, Beisitzer 2004-2010), als Beisitzer:
Dr. Wolfgang Haubrichs, Seniorprofessor an der Universität des Saarlandes für
Deutsche Literatur des Mittelalters und deutsche Sprache (Mitglied seit 16. Juni
1978, Stellvertretender Vorsitzender 1987-1999), Dr. Franz Irsigler, emeritierter
Professor für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Trier (Mitglied seit
16. Juni 1978, Beisitzer seit 9. Juli 1993), Dr. Kurt-Ulrich Jäschke, Professor im
Ruhestand für Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften an
der Universität des Saarlandes (Mitglied seit 24. Juni 1982, Vorsitzender 1999-
2005), Prof. Dr. Klaus Keil, Amtsleiter Kultur und Tourismus der Kreisstadt Hom-
burg und Leiter des Römermuseums Schwarzenacker (Mitglied seit 9. Juli 1993,
Geschäftsführer 2002-2008) und der Historiker Dr. Michael Jung als Regierungs-
vertreter (seit 2004).
Tätigkeit der Kommission von 1952 bis 2012
In einer Rundfunkrede am 23. Juni 1951 beschrieb Gründungsinitiator Eugen Mey-
er die Arbeitsziele der neuen staatlichen Forschungsstelle, in Auszügen veröffentlicht
in der Saarbrücker Zeitung Nr. 150 von Montag, dem 2. Juli 1951, S. 4 unter der
Überschrift Forcierung der saarländischen Geschichtsforschung. Die Kommission
für saarländische Geschichts- und Volksforschung wird ins Leben gerufen34.
Als Punkt 1 nannte Meyer eine Bestandsaufnahme und Publikation der saarlän-
dischen Gemeinde- und Kirchenarchive. Bereits im Sommer 1952 nahmen Studen-
ten, denen Meyer in Übungen hilfswissenschaftliche Kenntnisse vermittelte, zeit-
Köln-Weimar-Wien 1999, S. 1-19; Wolfgang Läufer in: Zeitschrift für die Geschichte
der Saargegend 48 (2000), S. 11-13.
32 Maria Zenner, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920-
1935 (Veröffentlichungen der Kommission 3), Saarbrücken 1966.
Marie-Luise Hauck und Wolfgang Läufer, Epitaphienbuch von Heinrich Dors ... (Ver-
öffentlichungen der Kommission 9), Saarbrücken 1983.
j4 Dazu Jäscfike, Gründungszeit (wie Anm. 5), S. 29 mit Anm. 70.
24
weise aber auch archivarische Fachkräfte, die Arbeit auf. In seiner Bestandsauf-
nahme nach zehn Jahren Kommission vermeldete Hans-Walter Herrmann, seit dem
15. Juli 1960 ihr Geschäftsführer und seit dem Frühjahr 1961 Leiter des Lan-
desarchivs, durchaus hoffnungsvoll, dass ein Drittel aller nichtstaatlichen Archive
besucht, die Bestände inventarisiert und in der Geschäftsstelle der Kommission
hinterlegt worden seien'5. Weitere 15 Jahre später, die Kommission bestand nun
bereits seit einem Vierteljahrhundert, waren über 60% der Gemeinde-, Pfarr- und
Privatarchive erfasst, aber die Erwartungen der Anfänge hatten sich nicht erfüllt.
Zahlreiche Archive reichten nicht sehr weit zurück oder hatten einen zu geringen
Umfang. Von den 201 inventarisierten Beständen schienen nur wenige überhaupt
eine Veröffentlichung zu lohnen, so das Archiv der Herrschaft Eppelborn im Besitz
der Familie Weber auf Schloss Buseck in Calmesweiler bei Lebach, das Pfarrar-
chiv St. Wendalinus in St. Wendel und die Archivaliensammlung des Historischen
Vereins für die Saargegend'6. Man begnügte sich schließlich damit, die Inventare
dem Landesarchiv zu übergeben, wo sie der landesgeschichtlichen Forschung zur
Verfügung gestellt wurden. Die Edition des Buseck’schen Inventars, bearbeitet von
Hanns Klein, dem langjährigen Leiter des Stadtarchivs Saarbrücken 1959-1982’7,
und überarbeitet von Hans-Walter Herrmann, ist allerdings in jüngster Zeit wieder
ins Auge gefasst worden.
Zum Bemühen der Anfangsjahre, einen Überblick über das vorhandene Quel-
lenmaterial zur saarländischen Geschichte zu gewinnen, gehörte auch die Suche
nach der das Saarland betreffenden archivalischen Überlieferung in auswärtigen
und ausländischen Archiven und Bibliotheken. Die saarländischen Betreffe in den
Staatsarchiven Koblenz, Speyer, München und Wiesbaden, im Fürstiich-öttingi-
schen Archiv in Wallerstein bei Nördlingen, im Hohenzollern’schen Hausarchiv in
Sigmaringen (Dagstuhler Akten) und im Fürstlich von der Leyen’schen Archiv in
Waal im Allgäu (Blieskasteler Akten) wurden erfasst. Findbücher und einzelne Ar-
chivalien wurden kopiert, saarländische Betreffe exzerpiert und Verzeichnisse er-
stellt. Hans-Walter Herrmann erstellte Inventare der saarländischen Betreffe des
Bestandes Collection de Lorrain in der Handschriftenabteilung der französischen
Nationalbibliothek (1964 hektographiert, DIN A 4) und im Departementsarchiv in
Metz (handschriftliches Exemplar). Fritz Eyer bearbeitete ein Auswahlinventar
saarländischer Betreffe in Beständen des Departementalarchivs in Nancy (1976
hektographiert, DIN A 4)35 * * 38.
Meyers Vorgabe 2, die saarländischen Bau- und Kunstdenkmäler und die vor-
geschichtlichen Denkmäler und Bodenfunde nach wissenschaftlichen Grund-
35 Hans-Walter Hfrrmann, Zehn Jahre Kommission für Saarländische Landesgeschichte,
in: Saarbrücker Hefte 16 (1962), S. 72.
Ders., Die Inventarisierung des nichtstaatlichen Archivgutes, in: 25 Jahre Kommission
(wie Anm. 12), S. 30-33.
Mitglied der Kommission vom 10. Juli 1959 bis zu seinem Tod am 3. November 2001,
kommissarischer Geschäftsführer 31.10.1959-20.05.1960, danach Rechnungsprüfer bis
2001. Nachruf von Hans-Walter Herrmann, Hanns Klein (8. August 1920 - 3. Novem-
ber 2001), in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 50/51 (2002/2003), S. 310-
313.
's Hans-Walter Herrmann, Die Erfassung der Quellen zur Saarländischen Geschichte in
auswärtigen Archiven, in: Herrmann, 25 Jahre Kommission (wie Anm. 12), S. 42-43.
25
Sätzen [...] weiterzuführen und zu ergänzen, wurde nie in Angriff genommen, da
mit dem staatlichen Konservatoramt eine dafür zuständige Behörde existierte.
Eine nachhaltige Wirkung erlangte Punkt 3 des Meyer’schen Aufgabenkatalogs,
nämlich seine Forderung eine systematische und vollständige saarländische Bibli-
ographie, das heißt eine Sammlung aller auf unser Land, seine Geschichte und sein
Volkstum bezüglichen Bücher, Aufsätze und Zeitungsartikel zusammenzustellen.
Auf den Mitgliederversammlungen der Kommission der folgenden Jahre wurde die
Realisierung dieser Forderung diskutiert und die Erstellung sowohl einer retro-
spektiven wie auch einer laufenden Bibliographie beschlossen. Bei der Erarbeitung
einer retrospektiven Bibliographie war zu berücksichtigen, dass die Landesbiblio-
thek Speyer, gefördert von der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissen-
schaften, begonnen hatte, das Schrifttum der Pfalz vom Jahre 192S bis einschließ-
lich 1960 zusammenzustellen, und dabei auch das einschlägige Saar-Schrifttum mit
erfasste. Auch in Köln war ein ähnliches Unternehmen im Gange. Die von Profes-
sor Hermann Cordes, Direktor der Stadt- und Universitätsbibliothek Köln, im Auf-
trag der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde betreute Rheinische Biblio-
graphie sollte auch das den preußischen Teil des Saarlandes betreffende Material
verzeichnen. In Anbetracht dieser laufenden und angeblich kurz vor der Veröffent-
lichung stehenden Arbeiten (Rheinische Bibliographie) verzichtete die Kommis-
sion auf eine eigenständige retrospektive Bibliographie und stellte das von Dr.
Wilhelm Dillinger, dem Leiter des Büchereiamtes, in den 50er Jahren gesammelte
Material der Pfälzischen Landesbibliothek Speyer als saarländischen Beitrag für
eine gemeinsame Bibliographie der Pfalz und des Saarlandes ¡927-1950 zur Ver-
fügung. Aber erst 1977 konnte ein das ortsgeschichtliche Schrifttum enthaltender
Band erscheinen,9.
Seit 1951 erstellte die Pfälzische Landesbibliothek Speyer eine laufende Biblio-
graphie, die auch das neue saarländische Schrifttum einbezog. Nach etlichen Ge-
sprächen mit den Pfalzern und mit der Universitätsbibliothek Saarbrücken konnte
Eugen Meyer erreichen, dass ab 1961 das laufende saarländische Schrifttum nicht
mehr in der Pfälzischen Bibliographie, sondern in einer eigenen, von der Univer-
sitätsbibliothek bearbeiteten saarländischen Bibliographie erfasst wurde. 1964 er-
schien in der Schriftenreihe der Kommission der erste Band dieser Saarländi-
schefnj Bibliographie, umfassend die Jahre 1961 und 1962. Diese Arbeitsteilung
zwischen Kommission (Druck und Vertrieb) und Universitätsbibliothek (Erarbei-
tung) funktionierte bis Mitte der 90er Jahre. 15 Bände, jeweils zwei Berichtsjahre
umfassend, erschienen auf diese Weise, Band 15 für 1989/1990 im Jahre 1992. Die
Universitätsbibliothek, gegründet als „wissenschaftliche Allgemeinbibliothek für
die Literaturversorgung der Universität in Forschung und Lehre“39 40, wuchs durch
diese Tätigkeit in die Funktion einer Landesbibliothek des Saarlandes hinein. Seit
1996 sind auch Herausgabe und Vertrieb der Saarländische[n] Bibliographie Auf-
gaben der Saarländische[n] Universitäts- und Landesbibliothek.
39 Lorenz Drehmann, Initiativen und Aktivitäten zur Erschließung des Saarländischen
Schrifttums, in: Herrmann, 25 Jahre Kommission (wie Anm. 12), S. 33-39. Die Titel
dieser Bibliographie sind seit 2009 als Datenbank in der Rheinland-Pfälzischen Biblio-
graphie des Landesbibliothekszentrums Rheinland-Pfalz im Internet verfügbar.
40 Ebd.S. 37.
26
In seiner Auflistung der Aufgaben einer Historischen Kommission nannte Eu-
gen Meyer als Punkt 4 Quellenveröffentlichungen im engeren Sinne, die er aus-
drücklich als Weiterfuhrung und Neubearbeitung der Regestenwerke von Goerz41 * *
und Jungk4" verstand.
Aufgrund der Einschätzung, dass ein umfassendes saarländisches Urkunden-
buch mit den vorhandenen personellen und finanziellen Kapazitäten in vertretbarer
Zeit nicht zu verwirklichen sein würde, entschied sich der Kommissionsvorstand
für die Herausgabe von Quellen zu einzelnen Sachgebieten, Institutionen oder
Zeitabschnitten. Als erste Veröffentlichung der Kommission überhaupt erschienen
1957-1959 in drei Lieferungen Quellen zur Geschichte der Grafschaft Saanverden
bis 1527, bearbeitet von Hans-Walter Herrmann. 1959 folgte ein Darstellungsband,
der heute vergriffen ist. Herrmann hat seither zahlreiche Nachträge und Ergänzun-
gen ermittelt, dazu ein Orts-, Personen- und Sachregister erstellt, so dass der Druck
eines Abschlussbandes mit Nachträgen und Indices in der Schriftenreihe der
Kommission vorgesehen ist.
ln den 60er Jahren gab der Kommissionsvorstand Materialsammlungen in Auf-
trag mit dem Ziel, Urkundenbücher von Klöstern des deutsch-lothringischen
Grenzraumes zu edieren, so für die Benediktinerabtei St. Sixtus zu Rettel (nordöst-
lich von Thionville, 1431 dem Kartäuserorden übergeben), für die Benediktiner-
abtei Hornbach bei Zweibrücken, für die Benediktinerabtei St. Martin Glandarien-
sis (Longeville-les-Saint-Avold, Lübeln)4' und für die Abtei Neumünster (Benedik-
tinerabtei im nördlichen Bliesgau)44. Daraus entstanden Publikationen und teil-
weise auch Quelleneditionen, die jedoch nicht in allen Fällen in der Schriftenreihe
der Kommission veröffentlicht wurden, im Einzelfall vielleicht wegen ihres Volu-
mens von unter 100 Seiten45.
Ebensowenig erreichte die von Karl Schwingel begonnene Sammlung dörflicher
Rechtsquellen des Saarraumes vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution
aufgrund seines frühen Todes (1963 im Alter von 62 Jahren)46 * * Editionsreife. Die
41 Mittelrheinische Regesten oder chronologische Zusammenstellung des Quellenmaterials
für die Geschichte der Territorien der beiden Regierungsbezirke Coblenz und Trier in
kurzen Auszügen, bearb. und hg. von Adam Goerz, 4 Teile (509-1300), Coblenz 1876-
1886.
4" August Hermann Jungk, Regesten zur Geschichte der ehemaligen Nassau-Saar-
brückischen Lande bis zum Jahre 1381 (Mitteilungen des Historischen Vereins für die
Saargegend 13/14), Saarbrücken 1914/1919.
4’ Stefan Flesch, Die monastische Schriftkultur der Saargegend im Mittelalter (Veröffent-
lichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 20),
Saarbrücken 1991, S. 107.
44 Hans-Walter Herrmann, Quellenveröffentlichungen, in: Ders., 25 Jahre Kommission
(wie Anm. 12), S. 44.
45 In den 80er Jahren veröffentlichte Hartmut Müller, der im Auftrag der Kommission die
Transkription der Urkunden von St. Sixtus in Rettel besorgt hatte, diese unter dem Titel
Quellen und Urkunden zur Geschichte der Benediktinerabtei St. Sixtus in Rettel, in:
Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 10 (1984), S. 1-66 mit 86 Nummern zu den
Jahren 892-1432.
4i’ Der Lehrer und Landeshistoriker war Kommissionsmitglied der ersten Stunde, vgl. das
Verzeichnis der Mitglieder, in: Herrmann 25 Jahre Kommission (wie Anm. 12), S. 26
und Joachim Conrad, Art. „Schwingel Karl“, in: Saarländische Biografien, Zugriff vom
12. Dezember 2011 (http://www.saarland-biografien.de/Schwingel-Karl).
27
von ihm in diesem Rahmen aufgenommenen Weistümer konnte Irmtraud Eder für
ihre Dissertation verwenden47.
Mit der Zusammenstellung von Quellen zur Geschichte des Saarraumes von der
Französischen Revolution bis zur Einrichtung der preußischen und bayerischen
Verwaltung wurde bereits 1957 ein Schüler Eugen Meyers betraut, der aus berufli-
chen Gründen das Projekt allerdings nicht in der gebotenen Weise vorantreiben
konnte4*. Erst im Rahmen der Vorbereitung des 200. Revolutionsjubiläums 1989
kam es zu einer Neubelebung dieses Editionsvorhabens. Die saarländische Landes-
regierung bewilligte der Kommission mit dem Nahziel einer Ausstellung mit Ka-
talog44 eine leider nur kurzzeitige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (Dezember
1989-Dezember 1991 )* 50, deren reichen Ertrag der Mitarbeiter zum Teil in einem
Aufsatz vorgelegt hat51.
Die Bilanz von 50 Jahren Kommissionstätigkeit, die ihr damaliger Vorsitzender
Kurt-Ulrich Jäschke im Jubiläumsjahr 2002 zog, fiel ernüchternd aus: Gründungs-
ziele „wurden gar nicht erst in Angriff genommen, anderen Institutionen überlas-
sen oder aufgegeben“52 * * *.
„Gar nicht erst in Angriff genommen“ wurde aus guten Gründen Meyers Auf-
gabe 2, die Inventarisierung der saarländischen Kunstdenkmäler (vgl. S. 25f.), aber
auch seine Forderung einer kartographischen Bearbeitung der saarländischen
Siedlungs- und Territorialgeschichte'Dies wurde ein Projekt des Instituts für
Landeskunde im Saarland'4, ein Beispiel übrigens für die bereits erwähnte Aufga-
benteilung 5.
„Anderen Institutionen überlassen“ wurde die Herausgabe der Saarländischefn]
Bibliographie, die, wie schon erwähnt, die Saarländische Universitäts- und Lan-
desbibliothek 1996 übernahm. Die Sammlung und Edition Rheinischer Inschriften,
1955 in Köln, 1956 für das Saarland und den Regierungsbezirk Trier in Saarbrü-
4 Herrmann, Sachthematische Quellenpublikationen, in: Ders., 25 Jahre Kommission
(wie Anm. 12), S. 45. Irmtraud Eder, Die saarländischen Weistümer - Dokumente der
Territorialpolitik (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesge-
schichte und Volksforschung 8), Saarbrücken 1978.
J> Herrmann, Quellenveröffentlichungen, in: Ders., 25 Jahre Kommission (wie Anm. 12),
S. 45 und schriftliche Mitteilung von Herrn Herrmann vom 28. Oktober 2010, S. 6, Ak-
ten der Kommission.
44 Die französische Revolution und die Saar. Katalog der Ausstellung des Landesarchivs
Saarbrücken [...] zum zweihundertjährigen Gedenken an den Ausbruch der Französi-
schen Revolution. Saarbrücken. Saarland-Museum 10. Dezember 1989-28. Januar 1990,
hg. von Hans-Walter Herrmann, St. Ingbert 1989.
50 Bericht des Geschäftsführers vom 28. Februar 1993 für das Rechnungsjahr 1992, Akten
der Kommission.
51 Klaus Ries, Neue Quellen zum Revolutionskrieg zwischen Mosel und Oberrhein (1792-
1797), in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 18 (1992), S. 267-301.
Jäschke, Gründungszeit (wie Anm. 5), S. 54.
Saarbrücker Zeitung vom Montag, 2. Juli 1951, S. 4.
4 Geschichtlicher Atlas für das Land an der Saar, umfasst bislang vier Lieferungen mit ins-
gesamt 45 Karten und 12 Erläuterungsheften.
Herrmann, Gründung, Aufbau und Organisation, in: Ders., 25 Jahre Kommission (wie
Anm. 12), S. 1 lf.
28
cken begonnen, kam Mitte der 60er Jahre zum Stillstand Was Hans-Walter Herr-
mann 1977 in seinem Bericht über die bisherige Kommissionsarbeit erhoffte, den
Anschluß an das Akademie-Unternehmen, ist inzwischen verwirklicht. Im institu-
tionellen Rahmen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz er-
fasst und bearbeitet die Mainzer Arbeitsstelle die nachrömischen Inschriften der
Bundesländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland bis ins 17. Jahrhundert56 57 58.
Der Ausbau der von dem bekannten pfälzischen Namenforscher Ernst Christ-
mann begonnenen und 1958 der Kommission übergebenen Flurnamensammlung
ging wider Erwarten nur schleppend voran, da die erhoffte Unterstützung durch die
landesgeschichtlich interessierte Lehrerschaft ausblieb, so dass seitens des Kom-
missionsvorstands Ende der 70er Jahre versucht wurde, einen Saarbrücker Germa-
nisten für dieses Projekt zu interessierenwas schließlich auch gelang. Seit Ende
der 70er Jahre ist die Flurnamensammlung ein Arbeitsschwerpunkt des Lehrstuhls
für ältere deutsche Philologie und Sprachgeschichte an der Universität des Saar-
landes. Unter der Leitung des Lehrstuhlinhabers Wolfgang Haubrichs entstand mit
dem Archiv für Siedlungs- und Flurnamen des Saarlandes und des germanophonen
Lothringen (ASFSL) eine „nach Umfang und Qualität des Materials im deutschen
Sprachraum bedeutende Flur- und Siedlungsnamensammlung“, die inzwischen
auch elektronisch erfasst und abrufbar ist59.
Zu späteren Arbeitsvorhaben, die ins Stocken gerieten oder nicht mit einer Edi-
tion abgeschlossen wurden, gehören die Herausgabe von Zeichnungen aus dem
Nachlass der Architektenfamilie Stengel60 61, der Fragebogen zur Geschichte des 2.
Weltkrieges61 und die handschriftlich überlieferte Schrift des nassau-saarbrücki-
schen Rates Schaller aus dem 2. Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, die als wertvolle
56 Ders., Die Sammlung der mittelalterlichen Inschriften, in: Ders., 25 Jahre Kommission
(wie Anm. 12), S. 53f. Die Mitarbeiterin Dr. Marie-Luise Hauck stieß bei ihrer Suche
nach handschriftlich überlieferten Inschriften im HStA Wiesbaden auf das nassauische
Epitaphienbuch des Malers Henrich Dors, das die überwiegende Zahl der in den 1630er
Jahren noch vorhandenen Grabmäler der Mitglieder des walramischen Zweiges des Hau-
ses Nassau in Zeichnungen mit Erläuterungen enthält, ediert als Band 9 der Schriften-
reihe der Kommission: Epitaphienbuch von Heinrichs Dors (Genealogia oder Stammre-
gister der durchläuchtigen hoch- und wohlgeborenen Fürsten, Grafen und Herren des
Hauses Nassau samt Epitaphien durch Henrich Dorsen), hg. von Marie-Luise Hauck und
Wolfgang Läufer, Saarbrücken 1983, 286 Seiten.
lntemetauftritt der Mainzer Arbeitsstelle der Deutschen Inschriften Kommission auf der
Homepage der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, Zugriff 15. De-
zember 2011 (http://www.inschriften.adwmainz.de/).
58 Hans-Walter Herrmann, Die Flurnamensammlung, in: Ders., 25 Jahre Kommission
(wie Anm. 12), S. 57-61.
59 Ruth Kunz, Anmerkungen zum paradigmatischen Korpus: „Nordwörter“ und „Süd-
wörter“ in Flur- und Siedlungsnamen zwischen Mosel und Saar, Materialgrundlage, in:
Dies, und Maria VÖLLONO, Nordwörter und Südwörter im Saar-Mosel-Raum. Alte Wort-
schichten in Toponymen eines exemplarischen interferenzraumes (Veröffentlichungen
der Kommission für Saarländische Landesgeschichte 42), Saarbrücken 2009, S. 17.
60 Darstellung des Projekts durch die Bearbeiterin Margot Sceimoll gen. Eisenwerth, in:
Herrmann, 25 Jahre Kommission (wie Anm. 12), S. 46-49.
61 Herrmann, ebd. S. 54f'.; vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Hans-Walter Herr-
MANN.
29
Quelle zum landesherrlichen Rechnungswesen und zur inneren Verwaltung der
Grafschaft Saarbrücken anzusehen ist'"2.
Schon der damalige Kommissionsgeschäftsführer Hans-Walter Herrmann hatte
in seiner Rückschau 1977 auf damals 25 Jahre Kommissionsarbeit eingeräumt,
dass der von ihrem Gründer einstmals abgesteckte Rahmen nicht voll ausgefüllt
werden konnte62 63, und auch die Gründe dafür namhaft gemacht: zuerst und vor al-
lem die in der Tat gewaltigen Dimensionen des Vorhabens, denen von Anfang an
eine tragfähige personelle und finanzielle Basis fehlte. Der Kommission standen
nie hauptamtliche wissenschaftliche Mitarbeiter zur Verfügung. Das Unternehmen
wurde und wird bis heute durch ehrenamtliche Arbeit getragen. Das mag bei einem
Vorstand, der mehrfach im Jahr Zusammentritt, um die Arbeitspläne zu besprechen
und die Finanzierung der Projekte sicherzustellen noch hingehen, nicht aber bei der
Durchführung von Forschungsvorhaben, beim mühsamen Sammeln, Auswerten
und Edieren. Angesichts dieser Rahmenbedingungen verwundert es nicht, dass
wissenschaftlich qualifizierte, vor allem hilfswissenschaftlich geschulte Kräfte ihre
Tätigkeit für die Kommission aufgaben, sobald ihnen die Festeinstellung in einem
Brotberuf winkte. Die einzige hauptamtliche Kraft war und ist die in Teilzeit ar-
beitende Kommissionssekretärin.
In realistischer Einschätzung, was mit einer derart bescheidenen personellen und
materiellen Ausstattung geleistet werden kann, beschränkte sich die Kommission
zunehmend auf die Drucklegung andernorts entstandener Forschungsarbeiten. Auf
diese Art und Weise wuchs die Reihe der Veröffentlichungen der Kommission für
Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung auf inzwischen 43 Bände an,
deren besondere Merkmale das breite zeitliche Spektrum64 65, die Vielfalt der The-
men6" und ein Erkenntnisinteresse sind, das vor nationalen Grenzen nicht halt
62 Ders., unter dem Punkt „Quellenveröffentlichungen. Sachthematische Quellenpublika-
tionen“, ebd., S. 45f.
63 Ebd. S. 13.
64 Mittelalter: Wolfgang Haubrichs, Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters (Veröffent-
lichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 15),
Saarbrücken 1986; Lotharingia. Eine europäische Kemlandschaft um das Jahr 1000 (ebd.
26), Saarbrücken 1995. - Frühe Neuzeit: Beiträge zur frühneuzeitlichen Garnisons- und
Festungsstadt (ebd. 13), 1983; Klaus Ries, Obrigkeit und Untertanen. Stadt- und Land-
proteste in Nassau-Saarbrücken im Zeitalter des Reformabsolutismus (ebd. 32), 1997. -
Neuere und Neueste Zeit: Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende
(1871-1918) (ebd. 18), 1991; Dieter Muskalla, NS-Politik an der Saar (ebd. 25), 1995;
Marcus Hahn, Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956-1970 (ebd. 36), 2003;
Das Saarland zwischen Frankreich, Deutschland und Europa 1945-1957, hg. von Rainer
Hudemann und Armin Heinen (ebd. 41), 2007.
65 Es finden sich Veröffentlichungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte: Thomas Her-
zig, Geschichte der Elektrizitätsversorgung des Saarlandes, (Veröffentlichungen der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 17), Saarbrücken
1987; Klaus-Michael Mallmann, Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der Saar
(1848-1904) (ebd. 12), 1981; Hans-Christian Herrmann, Sozialer Besitzstand und ge-
scheiterte Sozialpartnerschaft. Sozialpolitik und Gewerkschaften im Saarland 1945-1955
(ebd. 28), 1996. - Zur Genealogie: Eduard Hlawitschka, Die Anfänge des Hauses
Habsburg-Lothringen (ebd. 4), 1969. - Zur Literatur- und Sprachgeschichte: Stefan Fle-
sch, Die monastische Schrifitkultur der Saargegend im Mittelalter (ebd. 20), 1991; Ruth
Kunz und Maria Vòllono, „Nordwörter“- und „Südwörter“ (wie Anm. 59) (ebd. 42),
30
macht, sondern seine Ergebnisse gerade auch im Vergleich mit den Nachbarlän-
dern Frankreich und Luxemburg gewinnt und profiliert1''1. Seit 2006 vertreibt die
Kommission ihre Veröffentlichungen als eigener Verlag.
Bereits auf der ersten Ordentlichen Mitgliederversammlung der Kommission am
6. November 1952 wurde beschlossen, eine Resolution an die Regierung zu rich-
ten, in der auf die schwere Gefährdung des Ludwigsplatzes und die Notwendigkeit
schneller Sicherungsmaßnahmen an den im Kriege ausgebrannten Gebäuden auf-
merksam gemacht werden sollte66 67 68. Seither hat die Kommission sich immer wieder
mit Resolutionen und Empfehlungen in denkmalpflegerischen und kulturpoliti-
schen Fragen zu Wort gemeldet: 1984 mit einer Resolution zur Erhaltung von In-
dustriedenkmälern, 1988 mit dem Museumsplan Saarb*, 1990 mit der Empfehlung,
die Universitätsbibliothek zu einer Landesbibliothek auszubauen, um das Kultur-
und Wissenschaftsangebot für die saarländische Bevölkerung zu erweitern, 1998
mit dem Eintreten für die Einstellung einer archivarischen Fachkraft des Höheren
Dienstes im Stadtarchiv Saarbrücken, 2000 mit einem eigenen Vorschlag in der
Frage der Umnutzung ehemaliger Industrieflächen als Antwort auf den sogenann-
ten Ganser-Bericht, 2003 mit einer Stellungnahme zum Entwurf für ein neues saar-
ländisches Denkmalschutzgesetz, 2004 mit der Forderung einer schnellen Wieder-
besetzung des Lehrstuhls für neuere Geschichte und Landesgeschichte an der Uni-
versität des Saarlandes und einer Resolution die Weiterführung, angemessene Aus-
stattung und museale Sicherung der archäologischen Arbeit auf der Burgruine Kir-
kel betreffend und zuletzt 2006 mit dem Appell an die Regierung zugunsten der
denkmalgerechten Erhaltung der Bergwerksdirektion in Saarbrücken.
Von Anfang an war die jährliche Mitgliederversammlung mit einem Vortrag
und einer Studienfahrt verbunden69. 1996 wurde die Veranstaltung von Tagungen,
Vorträgen und Studienfahrten gar in der Satzung verankert mit dem Ziel Wissen-
schaft und Forschung, Kunst und Kultur, Denkmalschutz und Heimatverbundenheit
2009; Zwischen Herrschaft und Kunst, Gräfin Elisabeth von Nassau-Saarbrücken (ebd.
44), erscheint 2012. - Zur Kirchengeschichte: Die Alte Diözese Metz (ebd. 19), 1993;
Thomas Trapp, Die Zisterzienserabtei Weiler-Bettnach (Villers-Bettnach) im Hoch- und
Spätmittelalter (ebd. 27), 1996.
66 Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (19. und 20.
Jahrhundert) (ebd. 21), 1991; Stefan Leiner, Migration und Urbanisierung. Binnenwan-
derungsbewegungen, räumlicher und sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar-
Lor-Lux-Raumes 1856-1910 (ebd. 23), 1994; Grenzkultur - Mischkultur? (ebd. 35),
2000; Forschungsaufgabe Industriekultur. Die Saarregion im Vergleich (ebd. 37), 2004.
67 Niederschrift über die 1. Mitgliederversammlung, S. 7, Akten der Kommission.
68 Museumsplan Saar. Verbesserung der Museumssituation im Saarland durch Neugrün-
dungen und Schaffung eines Museumszweckverbandes, vorgelegt von der Kommission
für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung e.V., gez. von Reinhard
Schneider und Hans-Walter Herrmann, in: Saarheimat 32 (1988), S. 146-152; im glei-
chen Heft, S. 131-134, die Entgegnung von Dr. Meinrad Maria Grewenig, zu dieser Zeit
einer der Stellvertretenden Vorsitzenden des Saarländischen Kulturkreises.
69 An die erste Mitgliederversammlung schlossen gleich zwei Vorträge an: zunächst der
von Pfarrer Karl Rüg Zur Siedlungsgeschichte des Köllertals, dann der von Wilhelm
Reusch, Trier, über Die spätrömische Kaiserresidenz Trier im Lichte neuer Ausgra-
bungen und Forschungen. Die anschließende Studienfahrt führte nach Mettlach, Be-
sichtigung des Alten Turmes, zur Cloef, Blick über die Saarschleife, nach Nennig, Römi-
sche Villa und Mosaikfußboden, und zuletzt Perl, Ort und Palais Nell.
31
zu fördern °. Die Satzung trug damit einer schon länger geübten Praxis Rechnung.
Schon vorher hatten Tagungen und Kolloquien stattgefunden, zum Beispiel 1980
die Tagung zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt in
Saarlouis aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums der Stadt. 1988 folgten die Ta-
gungen Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende und eine Veran-
staltung zur Museumssituation im Saarland, für die der renommierte Politiker (Ber-
liner Wissenschaftssenator 2000/2001) und Museumsfachmann (Generaldirektor
des Deutschen Historischen Museums in Berlin 1987-1999) Prof. Dr. Christoph
Stölzl als Referent gewonnen werden konnte. 1994 fand im Saarbrücker Schloss
die Tagung Lotharingia - eine europäische Kernlandschaft um das Jahr 1000 statt.
1995 unterstützte die Kommission das Centre de recherches de Funiversité de
AöWMr/Belgien bei der Durchführung der Tagung Wandlungen der Eisenindustrie
vom 16. Jahrhundert bis 1960 durch die Gewinnung deutschsprachiger Referenten
und die Einladung deutscher Teilnehmer. 1997 folgte aus Anlass des Gedenkens an
das 600. Geburtsjahr Gräfin Elisabeths von Nassau-Saarbrücken eine Tagung Eli-
sabeth von Lothringen, Gräfin von Nassau-Saarbrücken und ihre Bedeutung für
die deutsche Literaturgeschichte, 2002 anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der
Kommission die mehrtägige internationale Tagung Forschungsaufgabe Industrie-
kultur, 2006 Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter
zusammen mit dem Lehrstuhl für die Geschichte des Mittelalters an der Universität
des Saarlandes, anlässlich des 1200. Jahrestages der Divisio regnorum Karls des
Großen, ebenfalls 2006 Zwischen Herrschaft und Kunst. Fürstliche und adlige
Frauen im Zeitalter Elisabeths von Nassau-Saarbrücken in Verbindung mit dem
Lehrstuhl für Deutsche Literatur des Mittelalters an der Universität des Saarlandes,
aus Anlass des 550. Todestages (17. Januar 1456) der Gräfin. 2008 beteiligte sich
die Kommission an der Durchführung der Tagung 1308 und die Folgen. Die Lu-
xemburger auf dem Weg vom kerneuropäischen Grafenhaus zur Herrscherdynastie
von gesamteuropäischer Bedeutung in der Stadt Luxemburg anlässlich der 700.
Wiederkehr des Jahrestages der Wahl des Grafen Heinrich VII. von Luxemburg
zum römisch-deutschen König (27. November 1308).
Es versteht sich von selbst, dass auch in den Vorträgen und Studienfahrten die
Geschichte der Saarregion in ihren verschiedenen Facetten beleuchtet, aber auch
gegenwärtige Probleme des Landes bewusst gemacht werden. Zum Beispiel führte
die Exkursion 1981 zu verschiedenen saarländischen Ortschaften und Städten des
Saartales (Völklingen, Saarlouis, Wallerfangen, St. Barbara, Fremersdorf), um ak-
tuelle Fragen der saarländischen Denkmalpflege und Bodenforschung zu veran-
schaulichen. Vortrag und Exkursion des Jahres 1985 stellten im Rahmen der Dis-
kussion um die Schaffung eines Industriemuseums Industriedenkmäler der Region
in den Focus. Professor Franz Irsigler, Universität Trier, referierte über Eisenerz-
bergbau und Hüttenwesen im Hunsrück und der Südeifel in der frühen Neuzeit.
Entsprechend wurden auf der Exkursion Denkmäler der frühen Hunsrücker Eisen-
industrie besichtigt. Weiterhin schlägt sich auch in den ausgewählten Zielen das
Bestreben des Kommissionsvorstands nach einer grenzüberschreitenden Zusam-
menarbeit mit Historikern, Archivaren und Denkmalpflegern in Lothringen und in
Luxemburg nieder. 1984 referierte der ehemalige Direktor der Archives Départe-
mentales de Bas-Rhin in Straßburg, Francois Himly, über Europäische Aspekte der * 32
0 Satzung vom 1. August 1996, § 3 (Zweck), Abs. 1, Abs. 2c.
32
Straßburger Geschichte. 1987 sprachen Luxemburger Historiker, Jean-Pierre Kun-
nert und Prof. Dr. Jean Schoos, über die Geschichte Luxemburgs in Mittelalter und
Früher Neuzeit beziehungsweise die Geschichte des Großherzogtums im 19. und
20. Jahrhundert. 1995 referierte Prof. Dr. Barbara Scholkmann, Tübingen, über die
Methoden der Mittelalterarchäologie. Die Studienfahrt führte in die Stadt Luxem-
burg, wo Luxemburger Archäologen und Historiker die touristisch ansprechende
Präsentation von Ausgrabungen aus Mittelalter und Neuzeit erläuterten.
Finanzierung der Kommission
Die Kommission für Saarländische Landesgeschichte finanziert sich heute wie zur
Zeit ihrer Gründung im Wesentlichen aus drei Quellen71: dem Zuschuss der saar-
ländischen Landesregierung, dem Erlös aus dem Verkauf ihrer Veröffentlichungen
und den projektabhängigen Zuwendungen staatlicher beziehungsweise privater
Geldgeber.
Mit diesen Haushaltsmitteln müssen finanziert werden: die Herstellung (Satzer-
stellung, Druck) und der Vertrieb der Veröffentlichungen (Kosten der Werbemaß-
nahmen, Gebühren für die Aufnahme in das Verzeichnis lieferbarer Bücher-VLB),
die Teilzeitstelle der hauptamtlich tätigen Sekretärin, Geschäftsbedürfnisse (Büro-
material, Beschaffung und Wartung von Geräten), Portokosten, Reisekosten (Kos-
tenerstattung für das auswärtige Vorstandsmitglied bei seiner Teilnahme an Vor-
standssitzungen und Mitgliederversammlung und für Referenten), der Kauf von
Fachbüchern sowie das Honorar für den Referenten im Rahmen der Jahresver-
sammlung der Mitglieder und die Studienfahrt (nicht jedes Jahr).
Zur Zeit ihrer Gründung im Jahre 1952, in der Zeit der Wirtschafts- und Zoll-
union des Saarlandes mit Frankreich, befand sich die Kommission in der glückli-
chen Lage, dass Mittel für die Durchführung ihrer Aufgaben nach Bedarf von der
Regierung, hier dem Ministerium für Kultus, Unterricht und Volksbildung, zur
Verfügung gestellt wurden, das waren 1952 immerhin 2 Millionen ffrs., umgerech-
net 17.000 DM. Diese wurden wie folgt verausgabt: 4.250 DM für Personalkosten,
der Rest 12.750 DM für Sachkosten: Geschäftsbedürfnisse 82 DM, Unterhaltung
und Ergänzung der Geräte und Ausstattungsgegenstände 935 DM, Bücherei rund
890 DM, Post- und Telefongebühren 34 DM, Reisekosten 2.550 DM, ebensoviel
für Sachverständige, Vermischte Ausgaben rund 1.700 DM und noch einmal 4.250
DM für die Vorbereitung und Durchführung von Veröffentlichungen72. Die Haus-
haltsmittel blieben im Durchschnitt bis 1959 auf diesem Niveau77.
Die Überführung der Kommission in den Status eines eingetragenen Vereins
nach der Gründung des Instituts für Landeskunde 1959 hatte auch finanzielle Kon-
sequenzen. Die Kommission erhielt auch weiterhin Geld von der Landesregierung,
jetzt der Staatskanzlei, aber als freiwillige Zuwendung und in geringerer Höhe als
bisher. Zwischen 1960 bis 1967 konnte die Kommission zur Durchführung ihrer * 2 *
Verordnung vom 7. Juni 1951 (wie Anm. 1), S. 833, § 8.
2 Bericht über die 1. Ordentliche Mitgliederversammlung am 6. November 1952, [S. 3]
und Bericht über die 2. Ordentliche Mitgliederversammlung am 13. und 14. November
1953, [S. 7].
Vgl. die Übersicht bei Herrmann, in: Ders., 25 Jahre Kommission (wie Anm. 12), S.
13.
33
Aufgaben im Mittel über 30.788 DM verfügen. Die erste Rezession der Nach-
kriegszeit hatte auch Folgen für den Kommissionshaushalt. In den Jahren 1967 bis
1969 musste sie mit Haushaltsmitteln in Höhe von nur noch 24.634,24 DM im Mit-
tel auskommen. Im Jahr 1967 wurde der mit 32.000 DM bewilligte Regierungs-
zuschuss per Kabinettsbeschluss auf 20.000 DM zurückgeführt, so dass sich die
damalige Vorsitzende Edith Ennen zu Bittbriefen genötigt sah, um die laufenden
Verpflichtungen erfüllen zu können 4. Derartige Kürzungen aufgrund von Mittel-
sperren, die das Ministerium der Finanzen verhängte, sollten die Realisierung von
Arbeitsvorhaben - ausgenommen in den Jahren 1975 bis 2000 - noch öfter er-
schweren. Die Einnahmen betrugen im Mittel 57.299 DM. Eine erneute Kürzung
der Haushaltsmittel erfolgte 2001, auch hier wieder korrespondierend mit einem
Konjunktureinbruch. Danach konnte die Kommission ihre Veröffentlichungstätig-
keit nur noch mit projektbezogenen Zuwendungen der Landesregierung aufrechter-
halten. Im Zuge der aktuellen Sparmaßnahmen des Landes (sogenannte Schulden-
bremse) fließen aber auch diese Mittel nicht mehr, so dass für die Realisierung
künftiger Projekte und Veröffentlichungen verstärkt Sponsoren angesprochen wer-
den müssen.
Bilanz der Nachhaltigkeit
Nach 60 Jahren darf und muss gefragt werden, was die Kommission für Saarländi-
sche Landesgeschichte und Volksforschung für das Saarland geleistet hat und wel-
che Bedeutung sie künftig für das Land haben kann angesichts der anfangs skiz-
zierten Vielzahl sich landesgeschichtlicher Forschung widmender Institutionen und
Vereine, deren Ziele, wie sie in Satzungen und Informationsblättern formuliert
werden, nahezu identisch sind.
Zweifelsohne hat die Kommission mit ihrer Sammel- und Publikationstätigkeit
die Grundlagen für die historische Erforschung der Geschichte des Saarlandes ge-
schaffen.
ln den Anfangsjahren gab sie durch das Erstellen von Inventaren nichtstaatlicher
Archive, die Erarbeitung und Bereitstellung von Findmitteln saarländischer Be-
treffe in auswärtigen und ausländischen Archiven und die Begründung und Her-
ausgabe der Saarländische[n] Bibliographie der Beschäftigung mit der Geschichte
der Region wichtige Impulse. Auch wenn, wie beschrieben, einige der begonnenen
Großprojekte naturgemäß noch nicht beendet werden konnten (Flurnamensamm-
lung, Sammlung mittelalterlicher Inschriften), so stellen sie doch das Fundament
dar, auf dem andere aufbauen und das sie mit mehr Personal und auf breiterer ma-
terieller Basis fortführen konnten.
Maßstäbe setzt seit jeher die Schriftenreihe der Kommission, deren breites the-
matisches, zeitliches und räumliches Spektrum geschildert wurde. Nur von Fach-
historikem geprüfte und befürwortete Manuskripte werden publiziert, so dass der
wissenschaftliche Ertrag der bislang 43 Bände außerordentlich hoch ist. Gerade die
Schriftenreihe veranlasste Jäschke in seinem kritischen Rückblick auf 50 Jahre
4 In ihrem Schreiben an das Bundeministerium für wissenschaftliche Forschung vom 31.
Mai 1967 erkundigte sie sich nach Möglichkeiten, Mittel von einer Bundesstelle zu be-
kommen und erwähnte verschiedene Bittbriefe an praesumtive (!) Mäzene.
34
Kommission zu dem Urteil, dass die Kommissionstätigkeit auch ohne Verwirkli-
chung von vielen ihrer Gründungsziele eine segensreiche gewesen ist75.
Für die Jahre bis 2020 hat der Vorstand der Kommission weitere Publikationen,
verstärkt auch aus dem Gebiet der Quellenedition, geplant: Nachträge und Indices
zu den Regesten der Grafschaft Saarwerden von Hans-Walter Herrmann, Regesten
des Buseck’schen Archivs in Calmesweiler, Edition und wissenschaftliche Aus-
wertung der landesherrlichen Rechnungen der Kellerei Kirkel aus dem 15. Jahr-
hundert. Darüber hinaus ist beabsichtigt, Forschungs- und Publikationsvorhaben
aus dem Bereich der Zeitgeschichte auf den Weg zu bringen: Das Saarland wäh-
rend des Zweiten Weltkriegs; Die Deportation der Juden aus dem Saarland; Demo-
kratiedefizite und polizeistaatliche Maßnahmen in der Ära Johannes Hoffmann
(1947-1955) und Kulturpolitik in der Ära Röder (1959-1979).
Von Anfang an begleitete die Kommission die kulturelle Entwicklung des Lan-
des mit kritischer Aufmerksamkeit und der Bereitschaft, der Landesregierung in al-
len die Historie des Landes und die Denkmalpflege betreffenden Fragen mit Rat
und Tat zur Seite zu stehen, sei es, dass sie Gemeindewappen begutachtete76, als
Mitglied des Landesdenkmalrats wirkte77 oder Empfehlungen in kulturpoltischen
Fragen aussprach, zum Beispiel den Museumsplan Saar vorlegte, oder Vorschläge
machte zur Vereinbarkeit von sachgerechter Dokumentation und besucherfreundli-
cher Präsentation des Weltkulturerbes Völklinger Hütte.
Die Kommissionsarbeit der Anfangsjahre war dadurch gekennzeichnet, dass sie
Universitätsprofessoren, Leiter von Museen, Archiven, Denkmalpflegebehörden
und Vertreter der Laienforschung (wie Karl Schwingel, Kurt Hoppstädter, Dr. An-
ton Jacob, Aloys Lehnert) zusammenbrachte. Leider sind die historisch forschen-
den Laien im Laufe der Zeit aus dem Blickfeld geraten. Ein Anknüpfen an die Pra-
xis der Gründungszeit könnte beiden Seiten Nutzen bringen, denn die Kommission
verstand sich stets als Mittler zwischen universitärer Forschung und interessierter
Öffentlichkeit. Bei ihren Tagungen mit hochkarätigen Wissenschaftlern, die übri-
gens nicht nur in Saarbrücken, sondern auch in Saarlouis, Dillingen oder Völklin-
gen stattfanden, bei Buchvorstellungen und Vorträgen war und ist auch der interes-
sierte Bürger willkommen.
Seit ihrer Gründung 1951 ist der Kommission am Austausch mit Wissenschaft-
lern und Forschungseinrichtungen in Rheinland-Pfalz und im benachbarten Aus-
land gelegen. Von Anfang an wurden auswärtige 78 und ausländische Mitglieder
75 Jäschke, Gründungszeit (wie Anm. 5), S. 55.
76 Herrmann, 25 Jahre Kommission (wie Anm. 12), S. 61f.
77 Ebd. S. 63
;x In jüngerer Zeit wurden kooptiert: Willi Alter, Präsident der Pfälzischen Gesellschaft zur
Förderung der Wissenschaften (Mitglied 1984-2005); Hans-Hubert Anton, heute eme-
ritierter Professor für Geschichte des Mittelalters, Universität Trier (Mitglied seit 1994);
Franz-Josef Felten, soeben emeritierter Professor für Mittelalterliche Geschichte, Johan-
nes-Gutenberg Universität Mainz (Mitglied seit 2007); Franz-Josef Heyen, Leitender Ar-
chivdirektor außer Dienst, Landeshauptarchiv Koblenz (Mitglied seit 1997); Franz Irsig-
ler, inzwischen emeritierter Professor für Geschichtliche Landeskunde, Universität Trier
(Mitglied seit 1978); Otto Roller, Leitender Museumsdirektor außer Dienst, Historisches
Museum der Pfalz (Mitglied seit 1980); Walter Rummel, Leiter des Landesarchivs Spey-
er (Mitglied seit 2009); Rita Voltmer, Wissenschaftliche Beschäftigte an der Universität
Trier im Fach Geschichte (Mitglied seit 2011).
35
aufgenommen 9. Zahlreiche Veröffentlichungen erfolgten zweisprachig*0. Die Un-
tersuchung eines belgischen Historikers ist gar in dessen Muttersprache erschie-
nen*1. Etliche Bände der Schriftenreihe der Kommission beschäftigen sich aus-
drücklich mit der Grenzlandproblematik* 80 81 82. Die Kommission kann für sich in An-
spruch nehmen, dass sie schon lange, bevor es den Begriff und das dahinterste-
hende politische Wollen gab, zum kulturellen Zusammenwachsen der Großregion
Saarland, Rheinland-Pfalz, Frankreich, Luxemburg, Wallonien beitrug.
So hat die Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksfor-
schung auch im 21. Jahrhundert eine gute Chance, weiterhin das zu bleiben, was
sie seit nunmehr 60 Jahren ist: eine angesehene regionale Forschungseinrichtung,
die die Erforschung der Geschichte der Saarregion auf hohem wissenschaftlichen
Niveau voranbringt und auf verständliche Art vermittelt und damit einen wesentli-
chen Beitrag zur Identitätsbildung eines Landes leistet, das in seiner jüngsten Ge-
schichte mit außergewöhnlichen politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen kon-
frontiert war und ist.
4 Zuletzt: Der Belgier Jean-Marie Yante, Professor für Geschichte des Mittelalters, Uni-
versité catholique de Louvain (Mitglied seit 2002); die Franzosen Michel Parisse, Profes-
sor für Geschichte des Mittelalters, Paris-Sorbonne (Mitglied seit 1988, inzwischen eme-
ritiert); François Roth, Professor für Neueste Geschichte, Universität Nancy (Mitglied
seit 1988); Alfred Wahl, Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Metz
(Mitglied seit 1997); die Luxemburger Jean Schoos, Professor für Geschichte des Mittel-
alters, Universität Bonn (Mitglied 1965-2005, t 2005); Gilbert Trausch, Luxemburgische
Landesgeschichte des 20. Jahrhunderts (Mitglied seit 1994); Michel Pauly, Professor für
Transnationale luxemburgische Geschichte, Universität Luxemburg (Mitglied seit 1997);
Michel Margue, Professor für Geschichte, Universität Luxemburg (Mitglied seit 2006).
80 Zum Beispiel: Die alte Diözese Metz. L’ancien diocèse de Metz. Referate eines Kollo-
quiums in Waldfischbach-Burgalben vom 21-23. März 1990 (Veröffentlichungen der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 19), Saarbrücken
1993; Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (19. und
20. Jahrhundert). Développement urbain dans la région frontalière France-Allemagne-
Luxembourg (XIXe et XXe siècles) (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländi-
sche Landesgeschichte und Volksforschung 21), Saarbrücken 1991.
81 Jean Marie Yante, Le péage lorrain de Sierck-sur-Moselle (1424-1549). Analyse et édi-
tion des comptes (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesge-
schichte und Volksforschung 30), Saarbrücken 1996.
82 Zum Beispiel: Grenzen und Grenzregionen. Frontières et Régions Frontalières. Borders and
Border Régions (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung 22) Saarbrücken 1994; Sprachenpolitik in Grenzregionen (ebd. 29),
Saarbrücken 1996; Grenzkultur - Mischkultur? (ebd. 35), Saarbrücken 2000; Interferenz-
Onomastik. Namen in Grenz- und Begegnungsräumen (ebd. 43), Saarbrücken 2011.
36
r-
rn
Vorstand
ehrenamtlich/derzeit zehn Personen
- Büroorganisation, Buchhaltung
- Betreuung der Publikationen
- Organisation von Veranstaltungen
und Studienfahrten
Abb. 1 : Organigramm
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Umweltarchäologische Untersuchungen
ZUR SlEDLUNGS- UND LANDSCHAFTSENTWICKLUNG
der Siedlungskammer Bliesbruck/Reinheim
Jochen Kubiniok und Daniela Brück
Zusammenfassung
Die Siedlungskammer im Bliestal zwischen Reinheim und Bliesbruck im Südost-
Saarland und Nordost-Lothringen bietet gute Voraussetzungen für eine Rekons-
truktion der holozänen Auenentwicklung. Seit dem Mesolithikum besteht im Be-
reich der Bliesaue bei Reinheim/Bliesbruck Siedlungskontinuität, Veränderungen
der Flusslandschaft durch fluviatile Prozesse sowie anthropogene Überformung
lassen sich anhand der Böden und Sedimente nachweisen. Besonders günstig für
die zeitliche Einordnung der landschaftsformenden Vorgänge im Untersuchungs-
gebiet sind die zahlreichen archäologischen Befunde, anhand derer eine Datierung
der Sedimentschichten möglich ist. Auf dieser Basis lassen sich die geomorpho-
logischen Verhältnisse verschiedener Zeitphasen rekonstruieren und das Ausmaß
des anthropogenen Einflusses auf den Landschaftshaushalt abschätzen. Hieraus
ergibt sich ein Bild der naturräumlichen Veränderungen, welches für das Verständ-
nis der Siedlungsgeschichte und Siedlungsmuster eine wichtige Grundlage dar-
stellt. Die Untersuchungen wurden von der Region Lorraine und der Deutschen
Forschungsgemeinschaft gefördert.
Lage des Untersuchungsgebietes
Das Untersuchungsgebiet gehört als Teil des Bliesgaus zur Südwestdeutschen
Schichtstufenlandschaft. Dieses Gebiet mit landwirtschaftlichen Gunstböden (K.U-
BINlOK 2006) war bereits in römischer Zeit dicht besiedelt. Die untersuchte Sied-
lungskammer war zu diesem Zeitpunkt Teil eines Systems unterschiedlich zentra-
ler Orte, die häufig bereits in prärömischer Zeit angelegt wurden (Abb. 1, S. 289).
Die Blies, deren Tal im Bereich der Siedlungskammer Bliesbruck-Reinheim im
Wesentlichen in Nord-Südrichtung verläuft, beschreibt hier eine markante Schleife
und bildet eine weite Aue, in der die kaltzeitlichen Terrassen deutlich ausgeprägt
sind. Die Blies bildet hier eine ausgedehnte Talweitung, die ideale Möglichkeiten
für größere Ansiedlungen bietet (Abb. 2, S. 290). im Bereich der Bliesaue bei
Reinheim und Bliesbruck stehen quartäre Ablagerungen der Blies an und bilden
dort fruchtbare, leicht zu bearbeitende Böden. Sowohl am Prall- als auch am Gleit-
hang sind Terrassen der Blies nachgewiesen (Weisrock und FRANOUX 1993). Die
Blies selbst hat mittlerweile ihre pleistozänen Ablagerungen teilweise durchschnit-
ten und fließt in Gesteinen des Mittleren Muschelkalkes.
Am Hangfuß und Mittelhang des Bliestals westlich des Ausgrabungsareals ste-
hen die Mergel des Mittleren Muschelkalkes an und bilden dort Quellhorizonte. Im
Hangbereich folgen darüber die Trochitenkalke des Oberen Muschelkalkes. Die
besondere Widerständigkeit der Kalke führt zur Herauspräparierung eines Steilab-
schnittes am Oberhang. Die Hochflächen des Büesgau werden durch die plattigen
Ceratitenkalke des Oberen Muschelkalkes gebildet.
39
Die potenzielle natürliche Vegetation des Untersuchungsgebietes ist ein Kalk-
buchen-Eichen Mischwald an den Hängen und auf den Hochflächen, während in
der Bliesaue ohne Einfluss des Menschen ein Weichholzauewald dominieren wür-
de (Hartz 1988). Die Bliesaue ist heute weitgehend landwirtschaftlich genutzt,
nur in hydromorphen Landschaftseinheiten wachsen ausgedehnte Schilfbestände
und Mädesüß-Brennnessel-Hochstaudenfluren sowie vereinzelt Weichholz-Au-
waldreste. Heute werden im Auebereich im Rahmen ökologischer Ausgleichsmaß-
nahmen Teiche angelegt.
Die Gesamtheit der naturräumlichen Gegebenheiten bietet sehr günstige Bedin-
gungen für eine frühe Besiedlung und Nutzung des Raumes durch den Menschen.
Eine seit dem Mesolithikum ununterbrochene Siedlungskontinuität belegt die na-
turräumliche Gunst des Raumes (Petit 2004; Brück, Petit, Sarateanu-Müller
2007) und ermöglicht die Ergänzung sedimentologischer und geomorphologischer
Aufnahmen durch archäologische Befunde und Datierungen.
Untersuchungsmethoden
In einer durch ein Fließgewässer geprägten Landschaft wie dem Bliestal besteht
ein enger Zusammenhang zwischen Umwelt und anthropogener Nutzung. Die
Überschwemmungssituation und der Zugang zu fruchtbarem Ackerland prägt ganz
entscheidend die Auswahl der Siedlungsplätze. Hierbei spielen Vegetationsent-
wicklung und Klima eine ganz entscheidende Rolle für die geomorphologischen
Formungsprozesse und die Morphodynamik der Flussaue der Blies. Auch anthro-
pogene Aktivitäten wie Rodungen und Ackerbau gewinnen seit der Bronzezeit zu-
nehmend an Einfluss für die Landschaftsentwicklung. Anhand bodenkundlicher
und sedimentologischer Profilaufnahmen an Baggerschürfen im Zuge der archäo-
logischen Ausgrabungstätigkeiten im Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Rein-
heim werden seit 15 Jahren Rückschlüsse zur Landschaftsentwicklung unter Be-
rücksichtigung des anthropogenen Einflusses gezogen. Mit Hilfe von Laboranaly-
sen wurden die Geländebefunde verifiziert und weitergehende Interpretationsmög-
lichkeiten eröffnet. Insbesondere der Kohlenstoff- und Phosphatgehalt der Boden-
proben gibt Hinweise auf das Alter von Ablagerungen und die Intensität des anth-
ropogenen Einflusses.
Eine genaue Aufnahme der Schichtenfolge in den verschiedenen Profilen der
Geländeschnitte mit Erfassung der Höhenlage, archäologischen Befunden und Bo-
denanalysen der einzelnen Bodenhorizonte erlaubt eine Rekonstruktion alter Land-
oberflächen und gibt Aufschluss über die Entwicklungsgeschichte der Landschaft
parallel zur Siedlungsentwicklung. Ergänzend zu den bodenkundlichen Untersu-
chungen wurden Pollenanalysen benachbarter Räume herangezogen, um Informa-
tionen über Klima und Vegetation der entsprechenden Zeitphasen zu erhalten.
Computergestützte Analysen erlaubten eine raumbezogene Verarbeitung der Daten
und die Generierung verschiedener thematischer Karten zur Landschaftsentwick-
lung sowie die Visualisierung der Ergebnisse.
40
Paläolithikum
Zum Ende der Würm-Kaltzeit herrschten im Untersuchungsgebiet im Vergleich
zur Jetztzeit völlig andere Umweltbedingungen. Während der letzten Kaltzeit lag
die Mikroregion im Periglazialbereich und war vermutlich von einer Kaltsteppen-
Tundrenvegetation bedeckt, ln Pollendiagrammen benachbarter Regionen dominie-
ren typische Steppen-Pflanzen wie Artemisia-Arten, Chenopodiaceen und Gräser
neben typischen Tundrenarten. Für die Westpfalz hat Firbas (1952) für diese Phase
Waldlosigkeit nachgewiesen. Die durch die geringe Vegetationsbedeckung nur un-
zureichend stabilisierten Hänge wurden durch Solifluktionsprozesse geformt, in
deren Folge Sand und Gesteinsschutt als Produkte der intensiven Frostverwitterung
den Flüssen zugeführt wurden. Das Flussbett der Blies war - im Gegensatz zum
heutigen Bild - verwildert und durch zahlreiche Seitenarme und Schotterbänke ge-
gliedert. Diese Situation wird dokumentiert in den Bodenprofilen als Basislage mit
würmzeitlichen Terrassenschottern und -sanden. Massenbewegungen, von den
Talhängen ausgehend, prägten die Entwicklung des Flusslaufs.
Sowohl in einem Areal südlich des Homerich zwischen Villa und Vicus als auch
in einem Bereich nordöstlich der Villa Reinheim und südlich Bliesbruck konnten
räumlich begrenzte Rutschungen nachgewiesen werden. Anhand ihres unsortierten
Materials bestehend aus kantigen Kalksteinen in toniger Matrix, zum Teil gemischt
mit gerundeten Terrassenschottern unterscheiden sich diese Schichten deutlich von
den Terrassenablagerungen der Blies, welche aus gerundeten Schottern und Sanden
bestehen. Kennzeichnend für die kaltzeitlichen Schichten sind sehr geringe Nähr-
stoffgehalte. Insbesondere die Phosphatwerte, welche auf organisches Material
hindeuten, liegen unter 1,5 mg P205/100g Boden und damit weit unter den Werten
der kolluvialen Schichten (Abb. 3, auch S. 290).
Schicht A-Horizonte P205 mg/100g Boden Corg g/100g Boden
Ah 29,5 2,15
Ap Kolluvien 70,5 1,80
römisch 10,5 0,70
poströmisch 45,0 0,85
prärömisch natürlicher Unterboden 7,5 0,30
Bv/Sd (85cm) 1,5 0,15
Flussterrasse (120cm) anthropogene Schichten 0,8 0,05
Grabenfüllungen (Abwasser) 68,0 0,40
Latrinen, Kanäle bei Latrinen 98,8 0,65
Hüttenlehm, Fußboden 21,5 0,40
Boden mit Knochen 65,0 0,20
Verfüllungen, Schutt 42,5 0,60
Pfostenlöcher 10,5 0,45
Abb. 3
An den Hängen lassen sich pleistozäne Fließerden und Solifluktionsschutt
nachweisen, welche zum Teil mit dem Terrassenmaterial verzahnt sind. Sie beste-
41
hen aus Lockermaterial der an den Hängen auftretenden Schichten und entstammen
vor allem dem Mittleren und Oberen Muschelkalk. Dazu kommt das Material der
Terrassen (gerundete Schotter und Sande). Neben diesen langsamen Massenbewe-
gungen treten auch Ablagerungen murenartiger Massenbewegungen und Rut-
schungen auf, die sich von den Solifluktionsmassen durch eine räumlich begrenzte
Ausdehnung unterscheiden lassen. Sie reichen zum Beispiel nordöstlich des Vicus
weit in die Aue. Bereits im Spätglazial setzte eine dauerhafte Wiederbewaldung
des Untersuchungsgebietes ein. Firbas zeigt anhand von Pollenprofilen aus Moor-
bereichen im Pfälzer Wald, dass eine Wiederbewaldung der Westpfalz nicht erst in
einer Spätphase der Nacheiszeit begann. Er belegt einen allmählichen Ausklang
der arktischen Elemente und eine Sukzessionsfolge, wie sie heute an der arktischen
Waldgrenze zu beobachten ist. Eine Ausbreitung von Birkenwäldern muss in der
hier vorliegenden geringen Höhenlage (200 bis 350 Meter über Normalnull) schon
früh, zum Ausklang des Glazials, möglich gewesen sein, da die Schneegrenze bei
mindestens 900 Meter über Normalnull lag (Firbas 1952).
Die nachlassende Intensität der physikalischen Verwitterung und die ein-
setzende chemische Verwitterung am Ende der Kaltzeit äußert sich in den Boden-
profilen der Aueböden durch Sandschichten, die auf den Terrassenschottern aufla-
gem. Die zunehmende Vegetationsbedeckung an den Hängen stabilisierte diese
Bereiche, und es kommt zu einer Reduktion der Materialverlagerungen. Vor allem
sandiges Material wird nun sedimentiert und gelegentlich treten kleinere Schotter-
bänder im Profil auf, die eine Überschwemmung der Fläche belegen. Auf die Ter-
rassenschotter folgen im Hangenden im Osten und Südosten der Siedlungskammer
Sandschichten im Wechsel mit Schotterbändern (bis 2 Zentimeter) - hier handelt
es sich vermutlich um einen Strömungsbereich oder eine aktive Sand- beziehungs-
weise Schotterbank. Der Auftrag von Sandschichten (40-50 Zentimeter) auf die
Terrassenschotter belegt weiterhin, dass das Niveau der Blies so hoch lag, dass es
weiterhin zu Überflutungen kommen konnte, wenn auch von einem saisonalen Ge-
schehen ausgegangen werden kann.
Mesolithikum und Neolithikum
Mit der nun dauerhaften, nach-kaltzeitlichen Erwärmung des Klimas sind die Vo-
raussetzungen für eine flächendeckende dichte Bewaldung des Gebietes gegeben.
In Pollendiagrammen (Firbas 1952, Straka 1975, Lang 1994) lässt sich im Bo-
real eine Massenausbreitung von Hasel (Corylus avellana) und in höheren Lagen
von Pinus nachweisen. Gleichzeitig treten bereits Wärme liebende Arten wie Ainus
auf. Die zunehmende Vegetationsbedeckung sowie die deutliche Erwärmung be-
wirken eine nachlassende physikalische Verwitterung und eine verstärkte chemi-
sche Verwitterung, die deutlich feinkörnigeres Material liefern, das nun im Auebe-
reich sedimentiert wird. Die Blies schneidet sich jetzt in ihren Schotterköper ein
und fixiert zunehmend ihr Flussbett. In dieser Phase wird die weitere morpho-
logische Gestaltung der Flussaue entscheidend geprägt, denn Schotterbänke und
Buchten, die nun angelegt werden, bestimmen die weitere Entwicklung des Mikro-
reliefs. Während sich im Bereich der Schotterbänke die veränderten Umweltbedin-
gungen in den Profilen durch konkordant gelagerte Sandschichten auf den Terras-
senschottern äußern, finden sich in den Profilen der ufernahen Zonen und Gelände-
senken mächtigere Sedimentschichten, wobei kleine Schotterbänder auf kurzfris-
tige heftige Überschwemmungsereignisse hindeuten. Aus der gesamten Situation
42
lässt sich schließen, dass das Bliesufer im Bereich der Villa von Reinheim weiter
östlich lag als heute. Statt des kaltzeitlichen, verwilderten Flussbettes mit mehreren
Flussarmen bildet die Blies nur noch einen Hauptarm im Westen der Talweitung
aus. Im Bereich des Reinheimer Allmends reicht die Tiefenerosion bis auf die soli-
den Muschelsandsteine des Unteren Muschelkalk. Hier fehlen im Westen der un-
tersuchten Profile die Terrassenschotter, und es sind alte Uferzonen nachweisbar.
Während des Atlantikums war das Klima wärmer als heute (die Jahresdurch-
schnittstemperaturen lagen im Vergleich zu heute ca. 2°C über den heutigen Mit-
telwerten) und bot damit ideale Bedingungen für einen dichten Eichen-Mischwald
mit zahlreichen Wärme liebenden Baumarten an den Talhängen und auf der Hoch-
fläche. Die Erosion geht durch die stabilisierende Vegetation stark zurück und es
kommt außer im ufernahen Bereich zu einer weitgehenden Formungsruhe mit nur
geringer Sedimentation. Dies wird auch durch Untersuchungen von WEISROCK et
alii (1993) bestätigt. In den untersuchten Aufschlüssen äußert sich dies durch eine
Vergesellschaftung mesolithischer und römerzeitlicher Befunde und Funde. Die
anthropogene Überformung bleibt auf kleine Areale begrenzt. In diese Zeitphase
der relativen Formungsruhe fällt auch die erste nachgewiesene Siedlungstätigkeit
des Menschen im Untersuchungsgebiet. Auf einer ufernahen Schotterbank mit
Sandakkumulation im Flurbereich Reinheimer Allmend sind erste Siedlungsspuren
nachweisbar. Neben Mikrolithen deuten Brandflächen und Gruben auf zumindest
saisonale mesolithische Siedlungen hin (Donie, Erbelding, Rick 2001). Holz-
kohiebänder innerhalb der Sandschichten werden aufgrund der räumlich scharfen
Abgrenzung als anthropogene Feuerstellen gedeutet. Damit vergesellschaftet treten
mesolithische Fundstücke auf. Aus der Lage der Siedlungsplätze kann man folgern,
dass diese Zone der Aue stabil und nicht überflutungsgefahrdet war. In den Sedi-
menten der jüngsten Terrasse findet nach der Kaltzeit eine Bodenbildung statt. In
dieser Schicht, die dem ehemaligen Oberboden in mesolithischer Zeit entspricht,
findet sich Keramik weiterer Siedlungsphasen.
Über den als mesolithische Landoberfläche gedeuteten Schichten folgen im
Westen, also im ufemahen Bereich, im Hangenden 2-5 Zentimeter mächtige Schot-
terbänder mit gerundeten bis kantengerundeten Schottern bis 5 Millimeter Durch-
messer. Der Wechsel aus Sand und Schotterbändern erklärt sich durch die phasen-
haft wechselnde Transportkraft der Blies in Folge jahreszeitlich bedingter unter-
schiedlicher Abflussvolumina. Nach Osten hin dünnen die Schotterbänder aus und
markieren den Uferbereich. Das Ausstreichen der Schotterbänder im flussfernen
Bereich erklärt sich durch die höhere Lage der Terrasse und einer daraus re-
sultierenden geringeren Überflutungshäufigkeit und -intensität. Dies erklärt die
Siedlungsgunst dieses Standortes in Flussnähe (Abb. 6, S. 292).
Als weiterer wichtiger landschaftsprägender Befund im Norden des Vicus Blies-
bruck ist eine spät- oder nacheiszeitliche Massenbewegung mit einem bis in die
Neuzeit aktiven Schwemmfächer nachgewiesen worden. Anthropogene Strukturen
und datierbare Keramik erlauben eine zeitliche Einordnung der Sedimente im Be-
reich des Schwemmfächers. Sie belegen den Beginn des Prozesses mit einer ver-
mutlich murenartigen Massenbewegung (im Gegensatz zu den solifluktionsartigen
Verlagerungen reichen diese Sedimente weit in die Aue hinein und und sind räum-
lich deutlich abgegrenzt) am Ende der letzten Kaltzeit. Die nacheiszeitliche zu-
nehmende Vegetationsbedeckung der Hänge bewirkte eine Stabilisierung, die zur
Folge hatte, dass die Materialverlagerungen endeten und in ein Fließgewässer mit
43
Schwemmfächer übergingen. Im Schichtverlauf nachweisbare verfüllte Rinnen be-
legen eine mehrfache Verlagerung der Achse des Schwemmfächers.
Auch südlich Bliesbruck sind Rutschungen nachgewiesen. Diese datieren vor
die Bronzezeit, denn es findet sich bronzezeitliche Keramik auf diesen Schichten.
Bronzezeit
Für das Subboreal kann man gesichert davon ausgehen, dass in der gesamten Un-
tersuchungsregion eine intensive Bodenbildung stattgefunden hatte. In mehreren
Pollenprofilen (STRAKA 1975, FlRBAS 1952) wurde für die Umenfelderzeit eine
trockene und warme Phase nachgewiesen, in der die Seespiegel allgemein sinken.
Überall werden Seeufer und Flussauen besiedelt.
Im Norden des Reinheimer Allmends kann eine bronzezeitliche Siedlung durch
Gruben mit Artefakten und Pfostenlöcher von Holzgebäuden nachgewiesen wer-
den. Keramikfunde und Pfostenlöcher lassen auf eine ortsfeste Siedlung schließen
(Kraus 2004, Buwen 2005). Die Siedlung ist auf der jüngsten Terrasse der Blies
östlich des Uferbereichs gelegen. Vermutlich hat sich zu dieser Zeit wie in vielen
anderen Gebieten eine Mäanderbildung des Flusses gegenüber dem verwilderten
Flussbett dauerhaft durchgesetzt und die Siedlung lag am Rande einer großen
Flussschlinge an einer natürlichen Furt. Alle vorrömerzeitlichen Schichten fallen
zur Blies hin mit geringer Neigung nach Westen und Norden ein. Die daraus re-
konstruierte Landoberfläche dokumentiert, dass von der Siedlung aus ein leichter
Zugang zum Fluss vorhanden war. Für weitere Bliesarme gibt es in diesem Bereich
keine Belege in den Profilen.
Alte Böden sind im Auebereich im Umfeld der Siedlungen anhand fossiler A-
Horizonte nicht nachweisbar. Die seit 2000 Jahren andauernde Überformung durch
anthropogene Nutzung (vor allem Ackerbau) und fluviatile Prozesse verwischen
hier Horizontmerkmale. Es fallen lediglich erhöhte Phosphatwerte der in die Bron-
zezeit datierten Schichten auf. So liegen die P205-Werte im Mittel bei 7,4mg/100g
Boden und damit signifikant über dem der kaltzeitlichen Sedimente (< 1,5 Milli-
gramm P205/100g Boden).
Während im Bereich der Schotterbank im Allmend seit dem Mesolithikum rela-
tive Formungsruhe herrschte, was durch die Vergesellschaftung mesolithischer und
römerzeitlicher Funde belegt ist, sind dagegen im nördlich angrenzenden Bereich
Erosions- und Akkumulationsphasen nachweisbar. Sandschichten im Wechsel mit
Schotterbändem dokumentieren variierende Transportbedingungen und damit un-
terschiedliche Abflussvolumina des Flusses. Anhand gekappter Schotterbänder in
den Bodenprofilen kann man eine kurzzeitige Verlagerung des Blieslaufs nach Os-
ten belegen, die vor der Umenfelderkultur zu einer Erosion des ehemaligen Blies-
ufers führte. Auslöser dieser Flussverlagerung könnte eine von Nordosten einmün-
dende Erosionskerbe sein, durch welche ein zum Teil rutschungs- und muren-
artiger Massentransport zur Blies hin stattgefunden hat. Dies könnte eine Verdrän-
gung des Flusses verursacht haben. Da Gräber aus der Umenfelderzeit auf der
Schotterschicht liegen, hatte sich der Uferbereich zu dieser Zeit bereits nach Wes-
ten verlagert.
Im Süden des Untersuchungsgebietes konnten diese Schotterschichten nicht
nachgewiesen werden. Hier liegen poströmerzeitliche Sande und Lehme auf Ton-
schichten, welche durch Funde in die Römerzeit datiert wurden. Im Liegenden fin-
den sich weitere Tonschichten, die auf eine vorrömerzeitliche Ruhigwasserzone
44
hindeuten, wie sie auch im Allmend im Norden für die Hallstattzeit nachgewiesen
wurde. Aufgrund der Ausdehnung dieser Tonschichten ist es wahrscheinlich, dass
zur Bronzezeit im Süden der Bliesaue bei Bliesbruck eine - vermutlich episodische
- Stillwasserzone ausgebildet war, welche eine flache Senke zwischen den kalt-
zeitlichen Schotterterrassen ausfiillte. Eine Rekonstruktion der bronzezeitlichen
Landschaft aus diesen Geländebefunden ergibt für die Siedlungszone im Reinhei-
mer Allmend eine Lage auf der vor Überflutungen weitgehend geschützten Ter-
rasse, während sich nördlich und südlich dieser höhergelegenen Zone eine Flach-
und Ruhigwasserzone ausdehnte. Hierbei könnte es sich um sumpfige Senken oder
im Süden um ein seenartiges Areal gehandelt haben.
Eine Zunahme des Ackerbaus im Laufe der Bronzezeit ist allgemein durch ein
vermehrtes Auftreten von Gräserpollen in den Pollendiagrammen nachzuweisen.
Die stetig wachsende Bevölkerung führte zu einer Verknappung des Lebensraumes
und zu veränderten Bewirtschaftungsmethoden (REINHARD 2004). Im Zuge der
intensiven anthropogenen Nutzung des Tales lässt sich am Ende der Bronzezeit ein
Wiedereinsetzen der Erosions- und Sedimentationsprozesse beobachten, ausgelöst
durch die Abholzung der natürlichen Wälder an den Talhängen. Diese Erosions-
prozesse setzen langsam ein und steigern sich deutlich mit Intensivierung der
Landnutzung. Eine verstärkte Erosion an den Talhängen setzt eine Sedimenta-
tionswelle in Gang, die durch Reaktivierung der Schwemmfächer und flächende-
ckende Veränderungen der Bodenprofile gekennzeichnet ist.
Hallstattzeit
Gegen Ende der Urnenfelderzeit äußert sich im Untersuchungsraum der Klima-
wandel im Subboreal durch eine Veränderung der Vegetation. Die Eichen-
Mischwälder gehen in Buchen-Eichen-Mischwälder über, in denen Rotbuche (Fa-
gus sylvatica) und Hainbuche (Carpinus betulus) dominieren. Ursachen sind sin-
kende Temperaturen und eine Zunahme der Niederschläge. Zunehmender Kahl-
schlag und ein regenreicheres Klima sind auch die Ursachen für intensive Erosi-
ons- und Sedimentationsprozesse im Untersuchungsgebiet. Die Klimaveränderun-
gen zusammen mit der immer intensiveren Landnutzung führen zu Veränderungen
im Abflussverhalten der Blies. Eine zumindest zeitweise erhöhte Wasserführung
mit einer durch die Erosionsvorgänge erhöhten Sedimentfracht prägen nun die
Auebereiche. Die tiefer gelegenen Uferzonen und Senken an der Blies sind beson-
ders betroffen.
Als die Hänge im Umfeld der bronzezeitlichen Siedlungszonen auf Grund des
gestiegenen Holzbedarfs intensiv gerodet wurden, setzte eine verstärkte Bodenero-
sion ein. Dabei wurden beträchtliche Mengen an Bodenmaterial verlagert. Zeugen
dafür sind mächtige prärömerzeitliche Kolluvien, wie sie außerhalb des Arbeitsge-
bietes bei Saraltroff nachgewiesen wurden. Am Ende der Bronzezeit lässt sich eine
Phase intensiver Hochwasser-/Erosionsereignisse auch im Bereich der Siedlungs-
fläche westlich der Villa Reinheim mit Hilfe gekappter Reste bronzezeitlicher
Pfostenlöcher nachweisen. Darüber liegende römerzeitliche Pfostenlöcher belegen
eine auf die Erosion folgende Sedimentationsphase. Ein Grab aus der Umenfelder-
zeit liegt 15-20 Zentimeter unter dem Unterbau des Römerweges westlich der Vil-
la. Dies belegt, dass nach der Urnenfelderzeit 15 bis 20 Zentimeter Sediment abge-
lagert wurden, bevor der römerzeitliche Weg anlegt wurde, denn das Grab wurde
durch die Anlage des Weges nicht zerstört (BRÜCK und KUBINIOK 2001).
45
Für die Hallstattzeit sind auch Veränderungen des Flusslaufes dokumentiert.
Der Bliesverlauf verlagerte sich im Allmend weiter nach Westen, und es bildete
sich eine neue Uferzone, die den bronzezeitlichen Uferverlauf weiter westlich
nachzeichnet, ln den Bodenprofden des Reinheimer Allmend und im Bereich süd-
lich der Thermen belegen Tonschichten den Fortbestand der großen seenartigen
Senke mit ausgeprägten Ruhigwasserzonen. Die Tonschichten besitzen ihre größte
Mächtigkeit westlich der heutigen Weiheranlagen und dünnen nach Norden und
Süden hin aus. Im Bereich der mesolithischen Siedlungszone sind die Tonschich-
ten nicht nachzuweisen, dieses höher gelegene Areal blieb weiterhin stabil und
überschwemmungsfrei. Das hallstattzeitliche Ufer verlief somit westlich der Villa
nahe des heutigen Bliesufers und entfernte sich im Norden des Allmends und süd-
lich des Vicus am weitesten nach Osten von der heutigen Blies (Abb. 6).
Im Verlauf der Tonschichten von Ost nach West kann man zwei ehemalige
Uferbereiche identifizieren, die durch ein steiles Abfallen der Tonschicht gekenn-
zeichnet sind. Diese Stufen in der Tonschicht werden als Erosionsspuren im Ufer-
bereich gedeutet. Datierbare Keramik belegt eine Verlagerung der Uferzone nach
Westen.
Am Ende der Hallstattzeit oder in der frühen Römerzeit muss es erneut zu einem
Ausspülen großer Materialmengen aus dem Siedlungsbereich im Allmend gekom-
men sein. In einer Tonschicht („Ton 1“, Abb. 4, S. 291), die mit der Flachwasser-
zone der Blies korreliert, findet man hallstattzeitliches und frührömisches Material
in großer Menge. Da die Keramik kaum Transportspuren aufweist, stammt sie aus
der Siedlungszone auf der höher gelegenen Terrassenzone, welche vermutlich zu
dieser Zeit aufgegeben wurde (KRAUS 2004). Auch diese Schicht zeigt ein Einfal-
len nach Westen und Norden und ein Ausdünnen nach Osten und Süden und folgt
damit der alten Senke. Als Ursachen werden gehäuft auftretende Starkregen ver-
mutet.
Römerzeit
Das Subatlantikum beginnt mit einer warmen und trockenen Phase. Dieses Klima
begünstigt eine relative Formungsruhe der Aue. Buchen dominieren nun die Wäl-
der. In den Pollenprofilen der weiteren Umgebung dokumentiert sich ein sehr star-
ker anthropogener Einfluss. Die höchste Rate an Nichtbaumpollen - darunter vor
allem Getreidepollen und Kulturfolger wie Plantago - wird erreicht. Untersuchun-
gen in einem bliesaufwärts bei Blieskastel gelegenen Modellgebiet weisen römer-
zeitliche Besiedlungsspuren in großer räumlicher Dichte auf. Die Befunde weisen
auf ein dichtes Netz von kleinbäuerlichen Siedlungen und einem damit verbunden
Ackerbau auch in steileren Relieflagen hin (NEUMANN, STINSKY, KUBINiOK 2009).
In der Römerzeit wird die Aue intensiv anthropogen überprägt. Die seenartige
Zone mit natürlicher Furt im Bereich der ehemaligen Siedlungen wird zumindest in
der Frühphase immer noch genutzt. Dies belegen römerzeitliche Pfostenlöcher öst-
lich der bronzezeitlichen Siedlung im Reinheimer Allmend. Geomagnetische Un-
tersuchungen und Luftbildauswertungen deuten auf ein Wegenetz hin, das im Be-
reich westlich der Siedlungsstelle im Allmend in Richtung Bliesufer zusammen-
läuft. Noch heute befindet sich dort eine natürliche Furt, überlagert durch poströ-
mische Sedimente im rezent steilen Uferbereich. Die Villenanlage von Reinheim
wurde in einem weitestgehend überschwemmungssicheren Bereich angelegt, der
46
zudem einen leichten Zugang zum Fluss und eine natürliche Furt geboten hat.
Mögliche Felder auf der Westseite des Bliestals waren somit leicht erreichbar.
Im südlichen Bereich der Bliesaue wurde der Bereich zwischen Vicus und Blies
untersucht, um ehemalige Uferzonen zu lokalisieren und den Zugang vom Vicus
zum Fluss zur Römerzeit zu rekonstruieren. Tonreiche Schichten markieren die al-
ten Landoberflächen. Sie fallen alle leicht zur Blies hin ein. Funde römerzeitlicher
Keramik in den Tonschichten deuten eine syn- oder poströmerzeitliche Entstehung
an (Abb. 5, S. 291). Als früheste römerzeitliche Landoberfläche wurde die Ober-
grenze einer Schicht definiert, welche keine römischen Funde enthält. Zu Beginn
der Römerzeit kann man hier eine flache Uferzone annehmen, in der in der folgen-
den Zeit aus der Siedlung ausgespültes Material abgelagert wurde. Die seenartige
oder sumpfige Senke begünstigte tonige Ablagerungen. Die vorrömerzeitliche
Oberfläche fällt sanft zum Fluss hin ein. Der Zugangsbereich zur Blies war wie im
Norden des Reinheimer Allmends wesentlich flacher als heute und ermöglichte ei-
nen problemlosen Zugang zu den Flächen am Westufer der Blies. Die heutigen
Uferwälle an der Blies waren zur Römerzeit nicht vorhanden.
Mehrere Schichten tonreichen Materials deuten daraufhin, dass die Verfüllung
der Senke bereits zur Römerzeit zu einer deutlichen Verlandung führte. Die seen-
artige Senke wurde zu einem Feuchtgebiet, wie Gehäuse von Landschneckenarten
andeuten.
Im Norden des Vicus bestimmte der weiterhin aktive Schwemmfächer vom Tal
südlich des Homerich die Siedlungsentwicklung. Römerzeitliche Strukturen (Stra-
ße, Fußboden) sind angelegt in Sedimenten des Schwemmfächers, der somit vor
und während der Römerzeit aktiv war und dabei seine Hauptachse verlagert hat. Es
ist anzunehmen, dass durch den Schwemmfächer die Landschaft und ihre Nutzung
signifikant beeinflusst wurden. Die Mächtigkeit des Schwemmfächermaterials und
die darin angelegten anthropogenen Strukturen belegen eine lange Aktivität, die
vermutlich erst durch Anlage des Bahndamms und Verlegung des kleinen Fließ-
gewässers in der Neuzeit vollständig gestoppt wurde.
Das Ausstreichen des Schwemmfächers und geringmächtige kolluviale Schich-
ten im Bereich der römischen Gräber nördlich des Vicus deuten daraufhin, dass
diese Zone höher gelegen war. Hier liegt eine ähnliche Situation vor, wie sie be-
reits im Bereich des Reinheimer Allmends und im Hofareal der Villa Reinheim
nachgewiesen wurde. Die Anlage des Gräberfeldes erfolgte in einer überschwem-
mungsfreien Lage auf einer höher gelegenen Geländestelle am Rande des aktiven
Schwemmfächers.
Die Achse des Schwemmfächers hat sich im Laufe des Holozäns mehrmals ver-
lagert. Unter römerzeitlichen Strukturen in der Gemarkung „Unterer Sand“ an der
Nordgrenze des Vicus finden sich alte Fließrinnen des Schwemmfächers, welche
zur Römerzeit bereits verfällt und inaktiv waren.
Mittelalter und Neuzeit
Gegen Ende der Römerzeit mit Beginn der Völkerwanderungszeit wird das Klima
deutlich kühler und feuchter. Im Laufe der späten Römerzeit oder des Frühmittel-
alters erfolgte eine deutliche geomorphologische Überformung der Bliesaue. Rö-
merzeitliche Pfostenlöcher im Bereich des Allmend sind größtenteils erodiert oder
durch Bearbeitung in den darüber folgenden Horizont übergegangen. Man findet
heute nur noch die Steinverkeilungen am Grund der Pfostenlöcher.
47
Im Allmend tritt in den Bodenprofilen eine als „obere Tonschicht“ (Ton 1) be-
zeichnete tonreiche Lage auf, welche in die späte Römerzeit oder das Frühmittel-
alter datiert. Es findet sich neben römerzeitlicher vor allem hallstattzeitliche Kera-
mik in großer Menge. Gedeutet wird diese Schicht als aus der Siedlung abge-
schwemmtes Hüttenlehmmaterial, wie es während verschiedener Starkregenereig-
nisse aus aufgegebenen Siedlungen abgetragen werden kann. Dafür spricht auch
die Tatsache, dass alle Keramik kaum Transportspuren aufweist (Kraus 2004).
Die mächtigen Sedimentschichten, welche auf den römerzeitlichen Begehungs-
horizonten auflagem, belegen eine intensive Sedimentation im Auebereich. Auch
kleinräumig erfolgen Materialverlagerungen von den höher gelegenen Aueberei-
chen in die Senken.
Hinweise auf Starkregenereignisse, die zu einem erheblichen Materialtransport
aus Siedlungsbereichen führten, gibt es auch in der römischen Siedlung Bliesbruck.
Dort existiert zwischen der Blies und der Thermenanlage, westlich der Siedlung,
ein Schuttfächer aus abgeschwemmtem Siedlungsmateriai. Hinweise auf Überflu-
tungsphasen des Vicus selbst gibt es nicht, die Materialverlagerungen sind die Fol-
ge von Regenereignissen,
Nach Intensivierung der Rodung und Ackernutzung im Einzugsgebiet setzte ei-
ne verstärkte Erosion von Bodenmaterial ein, auch bedingt durch eine Klimaverän-
derung. Heftige Starkregen vor allem im Frühjahr, wenn die Äcker noch nicht
durch Vegetation bedeckt sind, führen zu starker Bodenerosion. Dies zeigt sich in
einer Akkumulation von humusreichem abgespültem Oberbodenmaterial auf der
römerzeitlichen Oberfläche. Über die gesamte Fläche des Talgrundes sind drei
homogene Bodenhorizonte zu verfolgen, die viele der früheren Reliefunterschiede
einebnen. Die erhöhten Gehalte an Phosphat und organischer Substanz legen eine
Deutung als Migrationshorizonte aus verlagertem Oberbodenmaterial nahe. Der
schluffig-lehmige Sand ist dicht, humos mit Holzkohleresten und Ziegelsplittern
angereichert. Die Keramikfunde belegen eine syn- oder poströmerzeitliche Anlage
der Horizonte. Der hohe Schluffanteil und die durch die Bodenbearbeitung ent-
standene Homogenität unterscheidet alle nachrömerzeitlichen Horizonte von den
früheren Schichten.
Die langjährige Ackemutzung des Gebietes äußert sich in einem durchschnitt-
lich 25 Zentimeter mächtigen Pflughorizont, in dem zum Teil bei länger zurücklie-
gender Ackemutzung ein humusreicher und gut durchwurzelter Ah-Horizont an-
gelegt ist. Die beiden oberen Horizonte sind deutlich bindiger als die darunter lie-
genden Schichten (auffallend ist ein signifikant höherer Schluff- und Tonanteil).
Dies wird als Folge der Abholzung und Ackernutzung der Hänge derart interpre-
tiert, dass zunächst häufigere Überschwemmungen sandigeres Material im Auen-
bereich akkumulieren. Zugleich setzt aber auch aufgrund der höheren Wasserfüh-
rung eine Tiefenerosion der Blies ein, die dazu führt, dass die Fließgeschwindig-
keit bei den Überschwemmungen sinkt, da die Fläche nur noch gering überspült
wird. Es lagert sich feineres tonig/schluffiges Material ab. Auch die Herkunft des
akkumulierten Materials aus dem Oberen und Mittleren Muschelkalk an den gero-
deten Hängen bedingt tonreiches Material. Dieses überdeckt auch Teile des römer-
zeitlichen Wegenetzes und Mauerreste der nahegelegenen römischen Villa in
Mächtigkeiten von bis zu 52 Zentimeter auf römerzeitlichen Wegsteinsetzungen.
Diese poströmerzeitlichen Sedimente stellen korrelate Ablagerungen der mittelal-
terlichen und neuzeitlichen Erosionsphasen dar.
48
Die ehemalige Geländesenke mit der seenartigen oder sumpfigen Flachwasser-
zone wurde poströmerzeitlich komplett mit rotem, sandigem Lehm verfullt, sodass
die Geländesenke im aktuellen Relief nicht mehr wahrgenommen werden kann.
Ein Geländeschnitt westlich der Weiheranlagen schließt die mehrere Meter mäch-
tige poströmerzeitliche Verfüllung aus rötlichem sandigem Lehm bis lehmigem
Sand auf. Die wenigen Funde datieren in die Römerzeit. Die Mächtigkeit nimmt
zur Blies hin zu.
Da im Geländeschnitt südlich der Thermen eine entsprechende rote Lehm-
schicht oberhalb der römerzeitlichen Schichten auftritt (Abb. 7, S. 292), kann man
die Ausdehnung dieser Senke abschätzen. Die geringe Mächtigkeit im Süden deu-
tet den Rand der Senke an. Der westliche Siedlungsrand südlich der Thermen lag
also vermutlich am Rande dieser Senke, die einen flachen Zugang zur Blies ermög-
lichte. Die tiefste Zone der Senke lag westlich der Weiheranlagen. Funde belegen,
dass die Verfüllung der Geländeform poströmerzeitlich stattfand. Das heutige steile
Ufer der Blies ist bedingt durch mittelalterliche oder neuzeitliche Ablagerungen.
Heute sind 2-3 Uferwälle im Abstand von 2-25 Meter zur Blies nachweisbar, die
eine weitergehende Westverlagerung der Blies nachzeichnen.
Die fränkische Siedlung Reinheim wurde auf einer höheren Hangverebnung an-
gelegt. Dies könnte mit einer veränderten Überschwemmungssituation in der Aue
Zusammenhängen. In der römischen Siedlung Bliesbruck hingegen gibt es keine
Hinweise auf eine Überschwemmung des römischen Siedlungsbereiches auch in
späterer Zeit.
Im Bereich südwestlich der Thermen findet man Hinweise auf ein ehemaliges
Fließgewässer. Im Bodenprofil ist ein altes Bachbett mit organischer Verfüllung
deutlich zu sehen. Die Schichtung und die Laboranalysen lassen darauf schließen,
dass die Störungszone westlich der Geländekante diesem Bachbett zuzuordnen ist.
Die im Profil lokalisierten Steinsetzungen an der Kante sind möglicherweise als al-
te Uferbefestigung zu deuten und haben die Ausbildung der Geländekante be-
günstigt. Die Struktur liegt in beiden Profilen südlich der Thermen im Niveau über
den römerzeitlichen Schichten, sie ist also jünger.
Synthese
Die Siedlungskammer im Bliestal zwischen Reinheim und Bliesbruck bietet ideale
Bedingungen zur Rekonstruktion des Einflusses des Menschen auf die Relief- und
Landschaftsgeschichte im Verlauf des Holozäns. Seit dem Mesolithikum besteht
im Bereich der Bliesaue bei Reinheim/Bliesbruck Siedlungskontinuität, die es an-
hand der zahlreichen Funde und Befunde erlaubt, die Sedimentations- und Erosi-
onsphasen zu datieren. Anhand der pedologischen und sedimentologischen Befun-
de lässt sich die Landschaftsentwicklung, insbesondere Veränderungen der Fluss-
landschaft und der sie formenden fluviatilen Prozesse rekonstruieren und das Aus-
maß des anthropogenen Einflusses abschätzen.
Zwischen dem Mesolithikum und der Bronzezeit herrschte in der gesamten Aue
der Siedlungskammer weitgehend geomorphologische Formungsruhe. Nur im di-
rekten ufemahen Bereich der Blies konnten größere Veränderungen nachgewiesen
werden. Die Ausbildung einer flachen Furt der Blies war hierbei für das Wegesys-
tem von zentraler Bedeutung. Bis in die Römerzeit bestand im westlichen Bereich
des Reinheimer Allmend und westlich des Vicus Bliesbruck eine Geländesenke
und Furt der Blies, deren Ufer wesentlicher flacher verlief als das heutige Land-
49
schaftsbild ahnen lässt, ln direkter Nähe dieser Furt erfolgten im Zuge einer Kli-
maveränderung mit erhöhtem Niederschlagsaufkommen und kühleren Temperatu-
ren in Verbindung mit einer intensiven Rodung der Talhänge mehrfach Über-
schwemmungsereignisse mit Erosionsprozessen und der Ablagerung neuer Sedi-
mente. Dieses Geschehen beschränkte sich jedoch weitgehend auf die ufemahen
Bereiche. In weiterer Entfernung zur Blies auf der kaltzeitlichen Bliesterrasse ist
dieses Geschehen bis auf kleinere lokale Überflutungen nicht nachzuweisen.
Mit Zunahme der anthropogenen Überformung der Landschaft seit der Bronze-
zeit setzt eine aktivere Phase der Auenentwicklung ein. Abholzungen und Besied-
lung fördern die Erosion und auch der Wasserhaushalt verändert sich. Höhere Ab-
flussspitzen fördern einerseits die Tiefenerosion und andererseits die Hochwasser-
und Überflutungsphasen. Diese Veränderungen fuhren zu einem Verschwinden der
ehemaligen seenartigen Senken und flach geneigten Gleithänge durch Auffüllung
mit Sedimenten bis hin zur Ausbildung von 0,5 Meter hohen Dammuferwällen in
poströmischer Zeit. Lokale Massenbewegungen wie Muren oder Rutschungen fuh-
ren zur Verlagerung des Flusslaufes. Durch diese Verringerung des Retentions-
raumes bei gleichzeitig verändertem Abflussregime (Erhöhung der Abflussspitzen
durch zunehmende Intensivierung der Landnutzung) wird die Überflutungshäufig-
keit in der Aue erhöht.
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51
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Erste Ergebnisse der neuen Ausgrabungen im
RÖMERZEITLICHEN SCHWARZENACKER
Klaus Kell
Ein repräsentatives Anwesen
Bei nahezu jeder Baumaßnahme im Homburger Stadtteil Schwarzenacker, die in
den Boden eingreift, ist erfahrungsgemäß mit römerzeitlichen Funden zu rechnen.
Somit war auch bewusst, dass, als der Bauantrag zum Erweiterungsbau der Pro-
testantischen Kindertagesstätte an der Homburger Straße gestellt wurde, die Gra-
bungsmaßnahme im ehemals dicht besiedelten Bereich des römerzeitlichen Vicus
realisiert werden musste. Der bestehende Kindergarten war 1915 als Schule erbaut
worden. Bei den Aushubarbeiten stieß man seinerzeit auf Mauerreste eines römi-
schen Anwesens. Die eigentliche Sensation aber war der Fund eines Münzdepots,
einer „Urne“ mit 4.811 Silbermünzen, die in das Historische Museum nach Speyer
gelangten1. Homburg war zu dieser Zeit zum Bayerischen Rheinkreis gehörig.
Im Frühsommer des Jahres 2005 begannen die Sondierungsarbeiten im beplan-
ten Gelände, um Klarheit über den archäologischen Befund im Umfeld des Schat-
zes zu erhalten. Mit Hilfe eines Baggers wurde in drei Wochen eine Fläche von ca.
750 Quadratmetern freigelegt, wobei das Haus in seinem Grundriss nicht vollständig
ergraben werden konnte. Einige Räumlichkeiten erstrecken sich noch unberührt in
das nördliche Nachbargrundstück. Das freigelegte Haus ist in seiner Größe bislang
nur mit dem bekannten Haus des Augenarztes im Freilichtmuseum vergleichbar2.
Schon zu Beginn der Arbeiten wurden nur 20 cm unter der Erdoberfläche, die
vorher als Spielwiese des Kindergartens diente, zahlreiche Hypokaustpfeilerchen
gefunden, die belegen, dass das Gelände in diesem Bereich nie tief gepflügt wor-
den war. Überraschend war auch, dass das Haus über zwei sehr große Räume mit
Hypokausten verfügt (Abb. 1; S. 293).
Die Wohn- und Wirtschaftsräume mit der Küche sind um einen rechteckigen
Innenhof angelegt, der eine Fläche von 11,50 m x 9 m umfasst. Von hier aus sind
die beiden Hypokausträume zu betreten, von denen der eine nach Norden, der an-
dere nach Westen ausgerichtet war. Vom Innenhof gelangte man über eine mäch-
tige Treppenanlage in einen großen Kellerraum, der eine Grundfläche von etwa
vier mal vier Metern und einer Höhe von 2,40 Metern aufweist. Damit erreicht er
die „Standardhöhe“ der in der Siedlung ausgegrabenen Keller. Seine Seitenwände
aus schweren Sandsteinblöcken waren unterschiedlich hoch erhalten. Die zentral
an der Nordseite angelegte Kellertreppe, deren Steine ausgeraubt waren, hat eine
Breite von fast zwei Metern, wie anhand großer Sandsteinblöcke, die die Laibung
markierten, feststellbar war. Ein Sandsteinblock der Kellerwestwand wies drei un-
terschiedlich ausgearbeitete Nischen auf, die sicherlich zur Aufnahme von Lämp-
chen dienten (Abb. 2; S. 293). Die oft gestellte Frage, ob hier möglicherweise auch
Alfons Kolling, Die Römerstadt in Homburg-Schwarzenacker. Homburg 1993, S. 44f.
Hier auch ein ausführliches Literaturverzeichnis zu Funden aus Schwarzenacker und der
Region. S. 155-162.
2 Ebd. S. 44f.
53
Kultgegenstände aufgestellt waren, lässt sich nicht beantworten. Zahlreiche Ab-
schnitte des Hauses waren in der Vergangenheit bereits durch größere Raubgra-
bungen und Steinraub zerstört worden. So konnte auch die Baugrube aus dem Jahr
1915 lokalisiert werden.
Lediglich auf der freigelegten Ostseite des Hauses waren kleine, ungestörte Berei-
che anzutreffen. In einer Raumecke standen etliche ganz erhaltene Gefäße, darun-
ter Terra Sigillata. Nicht weit davon entfernt kamen zahlreiche Fragmente von
Gusstiegeln mit Bronze- und Eisenschlacken zum Vorschein.
Es ließen sich für das Haus drei Ausbauphasen feststellen. Auffallend war dabei,
dass die Qualität des Mauerwerkes sich verändert hatte. In der letzten Bauphase, in
der das Haus den Innenhof allseitig umschloss, wurde auch ein zweiter, nur halb-
tief ins Erdreich eingreifender Kelleranbau aus kleinteiligem Mauerwerk errichtet.
Der hier gemachte Fund von über 40, teilweise prägefrischen konstantinischen
Kleinerzen neben einem zerstörten Faltenbecher belegt die intensive Nutzung des
Hauses für das vierte Jahrhundert nach Christus. Zahlreiche weitere spätantike
Fundmünzen aus dem Abraum bestätigen diese Beobachtung.
Von besonderer Bedeutung sind die Einzelfunde einer kleinen Löwenstatuette und
Fragmente eines Pentagon-Dodekaeders, die ebenfalls aus den oberen Abraum-
schichten stammen. Das Fragment des Pentagon-Dodekaeders ist dem bekannten
Exemplar in Größe und Ausformung sehr ähnlich3. Es ist somit der Nachweis von
zwei Exemplaren in Schwarzenacker gesichert4. Die Entdeckung dieses großen
Hauses, der von hier stammende Münzhortfund von 1915 sowie die neuen Frag-
mente des Dodekaeders werfen noch einige Fragen zur Bedeutung der offensicht-
lich repräsentativen Anlage des 4. Jahrhunderts im römischen Vicus von Schwar-
zenacker auf.
Eine innerstädtische Tempelanlage
In der zweiten großen Grabungskampagne in Schwarzenacker untersuchte Alfons
Kolling von 1980 bis 1982 das damalige Wiesengelände, das noch heute von den
barocken Mauern eingefasst ist. In dieser Fläche wurde später der barockisierende
Garten angelegt. Zahlreiche Sondagen belegten sowohl bebaute Abschnitte als
auch solche mit „Baulücken“. Von besonderem Interesse waren dabei die Hinweise
auf ein ummauertes innerstädtisches Heiligtum, wo der Dodekaeder und eine Zie-
gelplatte mit zahlreichen Münzen als Deponierung/Opfer gefunden wurde5.
Mit der Absicht, den Garten mit der Anlage eines Kräutergartens im nordöstli-
chen Areal zu bereichern, wurde 2004 in dem beplanten Bereich eine Flächengra-
bung durchgeführt, um den archäologischen Befund abschließend zu klären.
Nachdem zunächst im östlichen Bereich der Grabungsfläche einige Weihede-
pots entdeckt worden waren, wurden die Fundamente eines kleinen, rechteckigen
3 Ebd. S. 124.
4 Zum Pentagon-Dodekaeder vgl. Robert Nouwen, De Romeinse Pentagon-Dodekaeder:
mythe en enigma (Publikaties van het gallo-romeins museum, Tongeren Nr. 45), Lim-
burg 1993. Michael Guggenberger, Etwas Gewisses hievon zu bestimmen waere ein
Gewagtes, in: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum (45) 2000,
S. 67-84.
5 Kolling, Die Römerstadt (wie Anm. 1), S. 119f.
54
Gebäudes nach Westen hin freigelegt'’. Diese Fläche war von Kolling nicht ausge-
graben worden, sie diente seinerzeit zur Erdlagerung beim Ausheben der Sonda-
gen. Die massive Stickung bestand allseitig aus faust- bis kopfgroßen Sandsteinen,
ln der Mitte der Nordseite war die Stickung aber deutlich reduziert, weswegen für
diese Position der Eingang angenommen wurde. Das bestätigte sich an dieser Stelle
mit dem Fund eines rechteckig bearbeiteten Sandsteins, der sich leicht nach oben
verjüngt. In der Mitte des Steines war eine Ausarbeitung für das Aufstellen eines
Holzpfostens. Derartige Konstruktionen sind typisch für den Bau von Portiken. Es
ist davon auszugehen, dass auf der Eingangsseite des Tempels ein solches Schutz-
dach angebracht war.
Bei den weiteren Ausgrabungen zeigte sich, dass wie auf der Ostseite auch auf
der Westseite des Tempels sechs Opfergruben angelegt waren (Abb. 3, S. 294). In
ihnen waren mehrere Gefäße, davon eines mit jeweils zwei Münzen, und ein Op-
fertier deponiert worden. Die Opfertiere waren nicht geschlachtet worden, sondern
lagen im organischen Verband. Die Münzbestimmung ergab, dass die älteste Mün-
ze aus den Deponierungen von einem augusteischen Münzmeister aus der Zeit von
16-2 vor Christus stammt, die späteste Münze wurde unter Kaiser Theodosius
(379-395) geprägt. Das bedeutet, dass wir mit diesem Tempel das bislang älteste
Gebäude des römerzeitlichen Siedlungshaus in Schwarzenacker belegen können.
Die Funde beweisen auch, dass trotz der Zerstörung von 275/276 eine vierhundert-
jährige Kultkontinuität vor Ort existierte. Dass Menschen im vierten Jahrhundert
wieder hier lebten, hat durch die Grabungen der letzten Jahre immer wieder Bestä-
tigung erfahren.
Von besonderer Bedeutung ist ferner, dass sich der Tempel in seiner Ausrich-
tung am Verlauf des noch bestehenden Straßensystems orientiert. Das heißt, dass
das innerstädtische Tempelareal Teil der Gesamtplanung ist, die sich auf das hip-
podamische System stützt, das die Römer für ihre Stadtplanungen mit Insulen, öf-
fentlichen Plätzen und Streifenhausfassaden prägten6 7. Das bedeutet, dass das römi-
sche Schwarzenacker um die Zeitenwende, vielleicht sogar kurz vorher von den
neuen römischen Herrschern als Siedlung gegründet wurde. Diese war Bestandteil
eines Netzwerkes von Siedlungen mit überregionalem Charakter, die in einer Ent-
fernung eines Tagesmarsches zur Organisation des eroberten Gebietes dienten8.
Auch in der Folgezeit hielt die römische Verwaltung für Schwarzenacker an dem
einmal festgelegten Plan beim weiteren Ausbau der Siedlung fest.
6 Klaus Kell, Homburg. Römermuseum Schwarzenacker (Schnell, Kunstfiihrer Nr. 2692),
Regensburg 2008, S. 25.
7 Zu Streifenhausfassaden vgl. Gundolf Precht, Konstruktion und Aufbau so genannter
Streifenhäuser am Beispiel von Köln (CCAA) und Xanten (CUT), in: Haus und Siedlung
in den römischen Nordwestprovinzen, hg. von Rüdiger Gogräfe und Klaus Kell (For-
schungen im römischen Schwarzenacker 4), Homburg 2002, S. 181-198.
s Helmut Freis, Das Saarland zur Römerzeit (Veröffentlichung des Instituts für Landes-
kunde im Saarland - Saarland-Hefte 1), Saarbrücken 1999; Helmut Bernard, Der römi-
sche Vicus Eisenberg in der Civitas Vangionum und seine Verkehrslage, in: Der römi-
sche Vicus von Eisenberg. Ein Zentrum der Eisengewinnung in der Nordpfalz (Archäo-
logische Denkmäler in der Pfalz 1), hg. von Helmut Bernhard, Amo Braun, Ulrich
HfMMELMANN, Thomas KRECKELund Helmut STICKL, Germersheim 2007, S. 17-22.
55
Neue Ausgrabungen in Haus 5
Im Zuge der geplanten Neubauvorhaben im Freilichtgelände des Römermuseums
wurde im April 2010 mit den Ausgrabungen im Bereich von Haus 5, im Süden der
Gesamtanlage, begonnen4. Vor Erstellen eines neu zu rekonstruierenden Gebäudes
ist es notwendig, den archäologischen Befund bis zum gewachsenen Boden zu klä-
ren. Die bereits vom damaligen Landesarchäologen Alfons Kolling ergrabene Flä-
che wurde erneut und weiterführender untersucht, weil er sich bei seinen Ausgra-
bungen in den 1970er Jahren auf die Freilegung der Grundrisse und das Erreichen
eines ersten Fußbodenniveaus beschränkt hatte. Darüber hinaus legte er in allen
Fällen die zu den Anwesen gehörigen Keller frei. Das bedeutete, dass die unter
diesem Niveau befindlichen Strukturen noch in situ waren und damit als ungestörte
archäologische Schichten galten.
Vor Beginn der eigentlichen Ausgrabungsarbeiten wurde der Ist-Zustand mit der
Dokumentation der Altgrabung abgeglichen (Abb. 4; S. 294). Dabei fiel auf, dass
der Gesamtplan in verschiedenen Abschnitten nicht vollständig steingerecht vor-
lag. Um das Originalmauerwerk zu dokumentieren, war es notwendig, zunächst ei-
nige „moderne“ Mauerkronen, die den bisherigen Grundrissverlauf im Gelände
markierten, zu entfernen.
Nach Abnahme des rekonstruierten Mauerwerks der Nordmauer von Haus 5 und
zwei nordöstlichen gelegenen Räumen wurde deutlich, dass es sich bei der bisher
als Nordmauer von Haus 5 betrachteten Wand um die Südmauer von Haus 4 han-
delt, und dass diese Räumlichkeiten im Nordosten von Haus 5 nachträglich an die
Südmauer von Haus 4 angebaut worden waren. Wenngleich die beschriebene Be-
fundsituation zwei Bauphasen beschreibt, liegen die baulichen Maßnahmen wahr-
scheinlich recht zeitnah zueinander. Sie könnten auch als Ergebnis einer Planände-
rung zu verstehen sein und somit eher eine Baufuge darstellen.
Bei den beiden genannten Räumen im Nordosten von Haus 5 handelt es sich um
zwei mit Fußbodenheizung ausgestattete Zimmer mitsamt ihrer Befeuerungsanlage
(Abb. 5, S. 295). Eine unter dem Praefurnium des größeren Raumes gefundene
Münze des Trajan verweist zumindest den Anbau der hypokaustierten Räume in
die Zeit der Wende vom 1. zum 2. Jahrhundert nach Christus. Die Errichtung der
Südmauer von Haus 4 würde somit in dieselbe Zeit oder ein wenig älter datieren.
Dieser zeitliche Ansatz ist auch für die unter dem Niveau der hypokaustieren
Räume befindlichen Schichten und schichtgebundenen Befunde von großer Wich-
tigkeit, denn diese müssen, weil sie von trajanischen Befunden überlagert werden,
älter sein. Funde und Befunde der tiefer liegenden Schichten repräsentieren somit
Alltag, Siedlungsstruktur und Stadtentwicklung im römischen Vicus von Schwar-
zenacker des 1. Jahrhunderts nach Christus.
Schichten und Befunde legen auch beredtes Zeugnis davon ab, dass sich die rö-
mische Kleinstadt in ständigem Wandel befand. Zwei sehr stark mit Holzkohle und
4 Die Grundlage für die weiterfiihrenden Auswertungen der älteren Grabungsbefunde lie-
fern die vorliegenden Dokumentationen von Alfons Kolling. Für die neuzeitlichen Doku-
mentationen zeichnen der Verfasser und seine Mitarbeiter verantwortlich. An dieser Stel-
le sei Frau Sabine Emser M.A. gedankt, die die derzeitigen Ausgrabungen und die Doku-
mentation an Haus 5 vor Ort betreut und leitet. Ihre umsichtige Art ermöglicht genaueste
Beobachtungen von Veränderungen der Stratigraphien im Befund, die für die strukturel-
len Veränderungen in der Siedlungsentwicklung von großer Wichtigkeit sind.
56
Hüttenlehm angereicherte Brandschichten belegen, dass die Bebauung im Bereich
von Haus 5 zunächst während zweier Bauphasen in Fachwerk ausgeführt war, und
dass eben diese Bebauung durch Brandeinwirkungen zerstört worden war.
Waren die raumbegrenzenden Strukturen innerhalb des Hauses Fachwerkkons-
truktionen, so gibt es nur wenige Hinweise auf die Ausführung der Dachkons-
truktion und des Daches. Zwar deuten die wenigen Dachziegel auf eine Abdeckung
aus Tegulae und Imbrices hin, aber die Anzahl ist zu gering, um einen abschlie-
ßenden Nachweis zu führen. Wahrscheinlich aber wurden die Reste des Ziegel-
schutts, der die eigentliche Brandschicht überdeckt hatte, entfernt und einer Wie-
derverwendung zugeführt. Die Reste der die Zerstörungen belegenden Schichten
hingegen wurden mit einer Sandschicht aufgefüllt, planiert und nivelliert. Darüber
entstand ein neuer Laufhorizont als neue Siedlungsschicht. Vergleichbare Befunde
hatte Kolling auch bei den Haus 5 gegenüberliegenden Streifenhäusern festgestellt
Den beiden Bauphasen der Fachwerkbauphase folgte offenbar eine Mischbau-
weise aus Holz und Stein. Erkennbar wird dies anhand einer Steinpackung, die der
südlichen Begrenzungsmauer von Haus 4 vorgelagert ist. Diese kann als Rest der
bei Anlage der Südmauer von Haus 4 bis auf die Rollierung geschleifte Nordmauer
von Haus 5 interpretiert werden. Ob das Schleifen der einen Mauer zeitgleich oder
wenig später mit dem Errichten der nördlich vorgelagerten Mauer erfolgte, ist bis-
lang noch unklar. Da keine weiteren Mauerzüge erfasst wurden, die in Zusammen-
hang mit der geschleiften Mauer stehen könnten, liegt die Vermutung nahe, dass
die inneren Strukturen im Bereich von Haus 5 während dieser Bauphase aus Holz
bestanden.
Das lässt der Fund von zahlreichen Pfostenlöchern vermuten (Abb. 6, S. 295).
Wie sich die Innenbebauung und die Nutzung des Bereiches von Haus 5 während
dieser ersten drei Bauphasen im Einzelnen gestaltet, muss die Kartierung der Pfos-
tenlöcher, Gruben und Öfen zeigen. Die diesbezügliche Auswertung ist zum jetzi-
gen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Es gibt aber etliche eindeutige Hinweise,
dass hier ein Handwerk betrieben wurde, bei dem Feuer mit sehr hohen Tempera-
turen benötigt wurde.
Ein viertes Mal änderte sich die Bebauung im Bereich von Haus 5, als die Süd-
mauer von Haus 4 errichtet wurde und die hypokaustierten Räume im Norden und
Nordosten (siehe oben) angebaut wurden, ln zeitlichem und funktionalen Zusam-
menhang mit den Baumaßnahmen dieser Zeit steht ein Fundstellenensemble, das
man als Herd- beziehungsweise Kochstellenszenario ansprechen könnte. Dieses
„Küchenensemble“ geht einer im Kollingplan verzeichneten Herdstelle zeitlich vo-
raus. Zwischen der Einrichtung der beiden Kochstellen dürfte keine allzu lange
Zeitspanne liegen.
Problematischer erweist sich die zeitliche Einordnung des bereits während der
Kollinggrabung untersuchten Kellers. Da sich der Kellerabgang zum Herdstellen-
Arrangement hin öffnet, ist es möglich, dass der Keller gleichzeitig beziehungs-
weise zeitnah mit den Erweiterungen im Norden beziehungsweise Nord-Osten von
Haus 5 angelegt wurde. Auf der Ostseite des Kellers, wo die obersten Steine noch
erhalten sind, sind die Ausarbeitungen für Lichtschächte, wie sie in Schwarzen-
acker an nahezu allen Keller anzutreffen sind, erkennbar. Die Ausarbeitung von
Deckenbalkenauflagen an diesen Steinblöcken belegt, dass die Räume über den
Kellern in die Häuser integriert waren.
57
Die besondere Bedeutung des Kellers für dieses Haus lässt sich an der nach-
träglichen Verbreiterung der Kellertreppe erkennen. Sie spricht dafür, dass mögli-
chen veränderten Anforderungen an die Nutzung oder die statische Sicherung des
Kellerraums Rechnung getragen wurde. Er wird wahrscheinlich bis in die bislang
letzte nachzuweisende Bauphase hinein genutzt worden sein. Die Analyse der
Kleinfunde aus den tiefsten Nutzungsschichten, die noch aussteht, wird hierüber
Klarheit bringen.
Die letzte Bauphase von Haus 5 ist in den baulichen Veränderungen im westli-
chen und südlichen Teil des Anwesens erkennbar (Abb. 4, S. 294). West- und Süd-
mauer des Hauses sowie die raumbegrenzenden beziehungsweise unterteilenden
Strukturen der drei Einbauten in der Südwest-Ecke werden durch bearbeitete Sand-
steinblöcke gebildet, deren eingelassene Vertiefungen darauf hindeuten, dass das
aufgehende Mauerwerk als Fachwerkbau errichtet worden war. Diese Spolien sind
der spätesten Nutzungsphase des Gebäudes zuzurechnen.
Ein weiteres Zeugnis dieser letzten Bauphase stellt der Einbau von älteren bear-
beiteten Sandsteinblöcken - Spolien - im größeren hypokaustierten Raum in der
Nordwestecke des Hauses dar; es ist anzunehmen, dass mit diesem Einbau die ei-
gentliche Nutzung des beheizten Raumes endet. Das Haus dürfte, wie die gesamte
Siedlung zu Beginn des 5. Jahrhunderts verlassen worden sein. Es gibt bislang kei-
nerlei Funde, die eine Siedlung des mittleren oder späten Jahrhunderts belegen10.
1(1 Zur römischen Kleinstadt vgl. auch Jean-Paul Petit, Alesia, Bliesbruck et autres sites de
fest de la France. Réflexion sur l'architecture privée, artisanale et domestique dans les
„petites villes“ de Gaule Belgique et des Germanies, in: Haus und Siedlung, hg. von
Gogräfe und Kell (wie Anm. 7), S. 81-132.
58
Romanen und Germanen an den Grenzen der römischen
Gallia.
30 Jahre interdisziplinäre Forschung von Archäologen,
Historikern, Geographen und Philologen an der
Universität des Saarlandes
Wolfgang Haubrichs
Eine Rede zum 75. Geburtstag von Frauke Stein1
Was ist Interdisziplinarität? Wenige werden wohl widersprechen, wenn ich sage:
Der Zusammengang verschiedener Disziplinen und Fächer in der Anstrebung
eines gemeinsamen Zieles. Und das kann man auch ganz wörtlich nehmen!
Imaginieren Sie, verehrtes Publikum, sich einen späten Oktobertag, kalt (5
Grad), stürmisch, regnerisch, am Rande des Französischen Jura, östlich von Lyon,
unweit der Rhône, des Rhodanus, des Rotten (wie man in der Schweiz sagt), in
einer Landschaft, die sich Bugey nennt und vor allem durch einen trockenen, kräf-
tigen Weißwein überzeugt. Vier nicht mehr ganz junge, aber rüstige und zu jedem
Fortschritt entschlossene Repräsentanten verschiedener Disziplinen, ein Flistoriker,
ein Romanist, ein Germanist und eine Archäologin durchforschen schweren,
schwappenden Schrittes das vom Dauerregen sumpfig gewordene Terrain eines
Hochplateaus, erstreben das Ziel einer spätantik-frühmittelalterlichen Hof- und
Villenanlage. Der Wind treibt ihnen die Fetzen grauer, nasser Wolkenschleier ins
Gesicht. Macht nichts: Sie finden die Mauern der Höfe und Häuser, eine Kirche
und Gräber, Sarkophage dazu. Sie tasten und tappen voran, es dunkelt allmählich.
Da reißt der Sturm den Wolkenvorhang auseinander ... Gerade noch rechtzeitig:
Sie stehen an einer 200 Meter senkrecht nach unten abfallenden Felswand, unten
ein grünlicher Sumpf, in der Ferne die ruhig fließende Rhône, davor ein Atom-
kraftwerk - eine typisch französische Landschaft also.
Sie werden sich fragen: Was ist das?
Nun, es ist der seit 30 Jahren sich rituell wiederholende Occursus, Zusammen-
gang verschiedener Disziplinen durch Geschichte und Landschaft, um eine im dar-
auffolgendem Sommer - natürlich bei strahlendem Wetter - in blühenden Land-
schaften, gekrönt von Picknicks im Freien, sur les herbes, stattfindende Exkursion
von Studenten, Mitarbeitern, Professoren und einem comitatus benevolentium bis
ins Detail vorzubereiten - eine Exkursion, die wiederum zu einem im Winterseme-
ster stattfindenden Kolloquium zu „Siedlungsnamen und Siedlungsgeschichte“ ge-
hört, das seit 30 Jahren, seit dem Jahre 1980 nach einem nur wenig gewandelten
Ritus stattfand.
So wurden einem größeren Kreis von Interessierten im interdisziplinären Dialog
im Laufe dieser Jahre nahezu alle Landschaften und Gaue zwischen Gallia und
1 Diese Rede ist am 18. Dezember 2011 aus Anlass des 75. Geburtstags von Frau Kollegin
Prof. Dr. Frauke Stein (Fachrichtung Vor- und Frühgeschichte) in der Universität des
Saarlandes gehalten worden. Der persönliche Ton der Rede ist weitgehend beibehalten
worden. Der Text ist durch Literaturhinweise ergänzt worden.
59
Germania wissenschaftlich erschlossen (vgl. Karte 1) ausgehend vom lotharin-
gisch-saarländischen Kern Oberer und Unterer Saargau, Bliesgau, Niedgau, Pays
Messin und dann nach Süden und Westen ausschweifend, Seillegau, Chaumontois,
Charpeignegau um das antike Scarponna, Toulois, Saintois und Souiossois, Bar-
rois, Omois und wieder nach Norden sich wendend, an der Maas entlang, Verdu-
nois, die Woevre und die Terra Gallica des Bistums Trier mit Arlon, Alzettegau
und der silva Arduenna um Luxemburg, und dann die Mosel abwärts Bitgau,
Mayenfeld und Moselgau, am Rhein entlang Nahegau mit Mainz und Wormsgau,
Speyergau, der Lobdengau um Ladenburg (bei Heidelberg), der Nord- und der
Sundgau des Eisass mit Basel und Kaiseraugst, zwischendurch einmal zum inner-
romanischen Vergleich das Auxerrois und das Poitou, schließlich in letztem
Zugriff die östlichen Teile des alten Burgundenreichs Franche-Comte, Suisse Ro-
mande, Lyonnais, Pays des Dombes, Maconnais und Chalonnais.
Wahrlich ein Langstreckenlauf! Aber die dabei waren, sind nicht müde gewor-
den. Sie sind entschädigt worden durch neue, so nur im „Terrain“, im kleinräumi-
gen Zugriff auf eine historische Siedlungslandschaft zu erreichende Einsichten in
Fragen der Kontinuität von der Spätantike, vom Imperium Romanum hin zum Frü-
hen Mittelalter und seinen von den neuen gentes, in unserem Raum vor allem
Franken, Alamannen und Burgunden mitgenerierten Transformationen und neuen
Formationen. Es ergab sich unter anderem die Einsicht, dass Franzosen und Saar-
länder nicht nur, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 18. Dezember 2011
angesichts einer Asterix-Ausstellung in Völklingen schreibt, Kelten waren, sondern
auch ein bisschen Romanen und Germanen.
Das alljährliche interdisziplinäre Kolloquium, das seinerseits wiederum in
einem Verbund mit dem langjährigen Forschungsschwerpunkt der Philosophischen
Fakultät dieser Universität mit dem programmatischen Titel „Grenzen und Interfe-
renzräume“ stand, gab sich bald einen Aufbau, der im Laufe der Zeiten nur wenig
Wandlung erfuhr.
Man begann mit einem geographischen Überblick zum behandelten Raum, an-
fangs getragen vom allzu früh verstorbenen Saarbrücker Kulturgeographen Martin
Born, später von dessen Schüler Rolf Spang, dann von Karl-Heinz Fiedler, schließ-
lich vom Kollegen Jochen Kubiniok, einem Überblick, der vor allem die Sied-
lungsgunst und die agrarische Qualität der Böden in den Blick nahm. Es folgten
Übersichten über die frühe Global- und Regionalgeschichte, vor allem auch der
kirchlichen Organisation des Raumes, von Anfang an getragen von einem der gro-
ßen Kenner des lotharingisch-moselländisch-saarländischen Raumes, Hans-Walter
Herrmann; später kam dankenswerterweise die Saarbrücker Historikerin Brigitte
Kasten hinzu. Fokus der Betrachtungen war die Zeit des Übergangs von der Spät-
antike ins Frühe Mittelalter, ohne dass der Fortfluss der Geschichte in die Zeit der
Karolinger und Ottonen künstlich abgeschnitten worden wäre.
Grundlage der dann folgenden philologischen Analysen war ein vorweg aus den
Quellen und toponymischen Wörterbüchern erstelltes Siedlungsnamenverzeichnis
der Landschaft, das typologisch nach vorgermanischen und romanischen Namen
und germanischen (hier fränkischen) Namen, etwa den bekannten Namen auf
-heim, -Ingen, -weiler, -hausen, -hofen gegliedert war. So entstand im Laufe der 30
Jahre ein riesiger Thesaurus der Siedlungsnamen im sprachlichem Kontaktraum
zwischen Gallia und Germania, von den Mittelgebirgen der Eifel und der Ardennen
bis zu Jura, Genfer See und der Rhöne-Saöne-Landschaft. Die etymologische und
60
typologische Auswertung, natürlich stets nur demonstriert an ausgewählten Bei-
spielen, lag in den Händen des Romanisten Max Pfister und des germanistischen
Autors dieser Zeilen.
Ich darf wohl für meinen Kollegen und Freund mitsprechen, wenn ich sage, dass
wir beide mit diesen Materialien viel Arbeit gehabt haben, aber es war keine un-
niitziu arebeit, um einen mittelhochdeutschen Dichter aus Alemannien zu zitieren,
sondern wir haben beide bald den großen Nutzen, den Sprach- und Wortge-
schichte, aber dann auch die Siedlungsgeschichte, aus dem früh überlieferten Na-
menmaterial ziehen konnten, erkannt: Wie viele Erstbelege für sonst erst viel spä-
ter belegte Wörter des Französischen konnten vom Romanisten gefunden und in
neuere Arbeiten eingebracht werden! Ja, bedeutsame Lautprozesse der Romania,
wie etwa die Sonorisierung von [p, t, k] zu [b, d, g] - so bei pratum > prado
,Wiese‘ - wie etwa die Palatisierung der Verschlusslaute [k] und [t] vor den pala-
talen Vokalen [i, e], also lateinisch makeria > matzerie > maiziere ,Mauerwerk1
oder kervus ,Hirsch4 >Zerf (Ortsname im Hochwald) > französisch cerf dann de-
kem ,zehn‘ > Detzem (Ortsname bei Trier) konnten mit diesem Material präziser
datiert werden. So zeigte sich, dass solche Prozesse an den Rändern der Romania
später angesetzt werden müssen als im Zentrum (Pfister 1987, 1992; Klei-
ber/Pfister 1992). Für die deutsche Sprachgeschichte konnte gezeigt werden, dass
Teile der sogenannten hochdeutschen Lautverschiebung, das heißt die Verschie-
bung von altem [t] zu [ts] (geschrieben zumeist <z, tz>) in Lothringen, an der Saar
und an der Mosel in vorgermanisch-romanischen Namen nicht durchgeführt wur-
den. Wurde lat. taberna in der Pfalz und im Eisass zu Zabern mit [ts], so blieb es
zwischen Saar und Mosel Tawern, sogar mit romanischem Paenultima-Akzent
(vgl. Karte 2). Oder heißt es an der Nahe für eine Weinpflanzung Pflanzer < lat.
plantarium, so an der Mosel Planier mit erhaltenem [t]; dieses [t] bleibt auch er-
halten in Montenach < Montanacum, Mettlach, Taben, Tholey < *Tegul-eium Zie-
gelhaus ‘, im Gewässernamen Theel etc. etc. Das bedeutet, dass im 6. Jahrhundert,
als die t-Verschiebung sich am Rhein und in Alemannien vollzog, zwischen Saar
und Mosel noch weitgehend Romanisch gesprochen wurde (vgl. Haubrichs 1987,
1992, 1997, 1998b, 2003; Pitz 2000a, 2008; Schorr 2001a, 2011). Weitere Analy-
sen auf der Grundlage der Toponymie haben gezeigt, dass sich der Sprachwechsel
- sicherlich nach einem bilingualen Stadium - erst im 8. Jahrhundert vollzog, im
engeren Raum um Trier erst im 10. Jahrhundert. Und das wiederholt sich in der
Region um Basel, den Sundgau, Solothurn und Kaiseraugst (Haubrichs 2003).
Einen Blick auf diese Reliktromania im Grenzraum Saarland-Lothringen erlaubt
die Karte 3 aus einer Arbeit von Monika Buchmüller, mir und dem Geographen
Rolf Spang über die Geographie vorgermanischer Ortsnamen (1987).
Auf philologischer Seite entstanden einige auf die Typologie von Siedlungs-
und Landschaftsnamen gerichtete Arbeiten (vgl. Bibliographie auf S. 44ff):
• Monika Buchmüller-Pfaff (1990) über die vorgermanischen keltischen und
römischen, aber zum Teil auch noch merowingischen -acww-Namen in der
römischen Provinz Belgica Prima um Trier, Metz, Toul, Verdun, die stets aus
einem Personennamen und dem ursprünglich keltischen Suffix -acum kompo-
niert waren: Also Martiacum aus Martius + Suffix mit der Bedeutung ,Gut des
Martius4, deutsch entwickelt heute Merzig; oder Montaniacum zum Personen-
namen (künftig: PN) Montanius, französisch entwickelt heute Montagny (fast
61
1000 Namen wurden gefunden und analysiert, im später deutschen und im
französischen Sprachgebiet der alten römischen Provinz).
• Martina Pitz (1997) über die spätmerowingischen und karolingischen Namen
auf -weiler, französisch -villers wie Emmersweiler aus Ermbertes-villare (zum
PN Erm-bert) oder Ramber-villers in Lothringen (zum PN Ragin-bert),
zwischen Mosel, Hunsrück und Vogesen (insgesamt ca. 790 Namen). Vgl. auch
Haubrichs 1996; Pitz 2000b.
• Roland Puhl (1997) über Siedlungsnamen, die mit der Bezeichnung der Gaue
und Grafschaften des frühen Mittelalters im Saar-Mosel-Raum versehen sind
(daraus die Karte 1).
• Maria Besse (1995) über „Namenpaare an der Sprachgrenze“, vor allem im bel-
gischen, luxemburgischen und schweizerischen Raum, also zu solchen Fällen
wie Bastogne in der belgischen Provinz Luxembourg, deutsch aber Bastenach
genannt, niederländisch Bastenaken, auch das ein acww-Name. Diese
Mehrfachformen für denselben Ort in verschiedenen Sprachen besitzen einen
hohen Wert für die Erforschung der Chronologie von sprachlicher Kontinuität
und Transformation. So existieren im Schweizer Wallis nebeneinander für den
civitas-Hauptort Sedunum der deutsche Name Sitten und der französisch-roma-
nische Name Sion. Der deutsche Name muss entstanden sein, bevor im 10./11.
Jahrhundert im Französischen der Laut [d] zwischen den Vokalen schwand, aber
auch bevor die oberdeutsche, alamannische Lautverschiebung im frühen 8.
Jahrhundert das stimmhafte [d] zum stimmlosen [t] wandelte. Alamannen haben
also das Wallis noch im 8. Jahrhundert erreicht, zumindest haben sie eine eigene
Sprachform für den civitas-Vorort entwickelt. Zu Namenpaaren und
Sprachgrenzbildung vgl. ferner Haubrichs 1992a/b, 1995, 1998a, 2000, 2004,
2007, 2009; Pitz 2000a, 2001, 2002a/b; Schorr 2001b, 2003.
• Ferner die Arbeit von Christa Jochum-Godglück (1995) über einen eng mit Kö-
nigsgut, frühmittelalterlichem Fiskalgut korrelierten Siedlungsnamen-Typus, die
orientierten Siedlungsnamen wie Nordheim oder Osthofen, Sundhausen zu
germ. *sunpa- ,Süden‘, verbreitet über den gesamten germanischsprachigen
Teil des Merowingerreichs (Weiterentwicklungen dieser Ansätze zur Analyse
fiskaler Siedlung bei Jochum-Godglück 1997, im Druck; Haubrichs 2000, 2006;
Pitz 2004).
Die Teilnehmer des interdisziplinären Kolloquiums trugen auch in mehreren
Anläufen zu Tagungen des Fakultätsschwerpunktes bei, die um den Begriff, die
Funktion und Entwicklung der ,Grenze4 kreisten: zu Problemen von Grenzregio-
nen am Beispiel des Saar-Lor-Lux-Raums (Brücher/Franke 1987), zur Konstitution
der alten Diözese Metz (Herrmann 1993; Haubrichs 1993), zu Grenzen und Grenz-
regionen im gesamteuropäischen Raum (Haubrichs/Schneider 1993), zur Lotharin-
gia als einer frühen europäischen Kernlandschaft (Herrmann/Schneider 1995), zur
Sprachenpolitik in Grenzregionen (Marti 1996), zur Grenzkultur als Mischkultur
(Marti 2000), zu Grenzgängern (Schneider 1998), das Meiste dann in den
Veröffentlichungen der Historischen Kommission erschienen.
Mancherlei Projekte der Deutschen Forschungsgemeinschaft gingen aus diesem
Kreis von Mitarbeitern hervor, die Sammlung der Flurnamen, der Mikrotoponyme
im deutsch-französischen Interferenzgebiet (eine Datenbank von ca. 700.000 Ein-
trägen), darauf aufbauend Arbeiten über romanische Relikte in Flurnamen, über
62
den Nachweis von Wüstungen aus der Toponymie (was auch für die Archäologie
interessant sein könnte), über nördliche, fränkische Elemente, ,Nordwörter4 in der
Mikrotoponymie, die auf die Merowingerzeit zurückweisen, über Interferenz-
Onomastik (unterstützt von internationalen wissenschaftlichen Kolloquien). Zuletzt
entstand daraus ein Projekt, in Zusammenarbeit mit einer unter dem Firmenzei-
chen4 Nomen et gens zusammengeschlossenen Arbeitsgruppe von Historikern und
Philologen (Geuenich/Haubrichs/Jarnut 1997, 2002; Hägermann/Haubrichs/Jarnut
2004; Geuenich/Runge 2006), eingegliedert in ein Schwerpunkt-Programm der
Deutschen Forschungsgemeinschaft über das Thema Integration und Desintegra-
tion4, über die Germanisierung der Personennamengebung, unter weitgehender
Ablösung des römischen Namensystems, im frühmittelalterlichen Europa. Warum
heißen die Eliten ab dem 677. Jahrhundert nicht mehr Remigius, Eucharius, Sido-
nius, sondern Theoderich, Gundulf und Adalbert (vgl. Haubrichs 2008a)?
Eines der Ziele der interdisziplinären Zusammenarbeit im Kolloquium war ne-
ben der völlig neuen Beschreibung und Analyse der Siedlungsnamen nach Typen
(statt der Sammlung und Erklärung in alphabetisch geordneten regionalen Ortsna-
menbüchem) auch der Versuch einer Datierung dieser Typen mit außersprachli-
chen Mitteln, wo die innersprachlichen versagten. Bekannt war zum Beispiel die
Korrelation der onomastischen Typen mit siedlungsgeographischen Gegebenhei-
ten. So liegen etwa die frühen -heim und -/'«ge^-Namen - nehmen wir den Worms-
gau, Speyergau oder auch den hiesigen Bliesgau - durchweg in fruchtbaren Land-
schaften, auch in den Talauen, während die weder-Namen in den eher unfruchtba-
ren oder bergigen Landschaften, auch eher an den Bachoberläufen, also insgesamt
in Ausbaulandschaften, etwa im Hunsrückvorland, am Donnersberg, am Vogesen-
rand und so weiter liegen. Oft gilt das auch für vorgermanische-romanische Relikt-
namen. Bilderbuchhaft kann man das an der Merchinger Muschelkalkplatte bei
Merzig (Karte 4 mit Nr. 33) sehen. Auf dem fruchtbaren Muschelkalkboden finden
sich die Namen auf -heim, -ingen, -dorf, also die fränkischen Siedlungsnamen. Die
vorgermanischen Ortsnamen, Reliktnamen, die Kontinuität anzeigen, findet man
auf den weniger fruchtbaren Buntsandsteinböden. Man wird das sicherlich als das
Resultat eines Aktes fränkischer Dominanz bewerten müssen.
Präzisere Datierung erbrachte die Korrelation mit den Ergebnissen der Vor- und
Frühgeschichte. Und hier kommt die Archäologin Frauke Stein, der diese Rede
gewidmet ist, ins Spiel. Die weitaus größte Last in den Kolloquien dieser 30 Jahre
hat nämlich sie getragen mit exakten und umfassenden Analysen der archäologi-
schen Fundsituation. Sie hat sich nämlich nie damit begnügt, nur die bestehende
archäologische Forschung zu referieren, was freilich meistens wenig genug für
diese Landschaften gewesen wäre. Sie hat die Fundsituation stets von Grund auf
neu katalogisiert und kartiert, vergleichend kartiert. So entstand im Laufe der Zeit
für Lothringen, die Mosel- und Rheinlande, aber auch, soweit es die Literatursitua-
tion zuließ, für die altburgundischen Lande ein unschätzbarer Fundus archäologi-
scher Daten der Spätantike und der Merowingerzeit, die Grundlage für die interdis-
ziplinäre Arbeit des Kolloquiums.
Frauke Stein hat, das sei betont, aus diesem Fundus auch wichtige, ja völlig ini-
tiale Arbeiten zur archäologischen, merowingischen Situation in Lothringen, zum
Verhältnis von Romanen und Franken in diesem Interferenz-Raum geschöpft, die
inzwischen in einem Sammelband zusammengefasst vorliegen (Stein 2011).
63
So gelang denn auch Landschaft für Landschaft eine genauere Datierung zu-
mindest der frühen Siedlungsnamen-Typen. Gezeigt werden konnte zum Beispiel
an Hand der Zuordnung von archäologischen Daten zu bestimmten Siedlungen und
deren Namen, dass die weiler-Namen in Lothringen, im Westen des Interferenzge-
bietes, bereits im 7. Jahrhundert beginnen, und sich allmählich nach Osten aus-
breiteten (Haubrichs 1996; Pitz 1997). Weitere Differenzierungen, auch für lotha-
ringische Münzorte und Monetamamen ergaben sich aus intensiver Zusammenar-
beit mit der zuletzt in Lyon wirkenden, allzu früh verstorbenen Philologin, Germa-
nistin und Romanistin Martina Pitz (vgl. Pitz/Stein 2000, 2008).
In unseren gemeinsamen Kolloquien wurde die potenzielle Frequenz der Sied-
lungsnamen-Typen germanischer oder romanischer Provenienz mit der Frequenz
der bestimmten Orten zuzuordnenden archäologischen Daten (übrigens auch der ja
ebenfalls eine alte Schicht darstellenden Pfarrkirchen) verglichen. Mit wünschens-
werter Prägnanz ließ sich dabei stets die Sonderstellung der vorgermanischen
Siedlungsnamen aufzeigen, die am stärksten mit archäologischen Funden korreliert
waren, deutliches Indiz romanischer Primärkontinuität, an die neue Siedlung an-
knüpfte (vgl. Ament 1992, Haubrichs 1998). Deutlich auch die frühe Stellung der
heim-Namen, die für den Mittelrhein vor allem im Kolloquium über den Worms-
gau, der zugleich eine günstige historische wie auch archäologische Quellensitua-
tion bietet, hervortrat: Etwa 70 % der //e/w-Namen sind mit merowingischen Fun-
den korreliert, die bereits im frühen 6. Jahrhundert beginnen. Da bedeutet der phi-
lologische Befund, dass die mittelrheinischen heim-Namen in beachtlicher Anzahl
romanische und romanisierte germanische Personennamen enthalten (so wie das
auch im Salzburger Raum festzustellen ist), eine Herausforderung zur Interpreta-
tion. Dagegen sind die ingen-Namen durchaus differenziert in ihrer Chronologie zu
betrachten, wie das sich an einer gerade mit Frauke Stein unternommenen Studie zur
Siedlungsgeschichte des Saarbrücker Raumes ablesen lässt (Haubrichs/Stein 1999).
Huldigen wir also ein wenig - hier in Saarbrücken - dem „genius loci“! 1999
ergab sich, anlässlich des 1000-jährigen Stadtjubiläums, in einem breiten ganz we-
sentlich von Frauke Stein getragenen Ansatz die Gelegenheit, die frühmittelalterli-
che Geschichte dieses Raumes nachzuzeichnen, dies auch ganz wesentlich in Kar-
tenbildern (vgl die Karten 5ff.), die ein wenig auch die im Kolloquium angewandte
Methode im Zusammenspiel von Archäologie und Philologie, Onomastik charak-
terisieren. Die Karten enthalten das Gewässersystem, die heutige Waldbedeckung,
andeutend auch Höhenlinien. Die Karte, die erste in einer längeren Folge, stellt die
Namen vorgermanischer Herkunft, zum Beispiel die acww-Namen Hilariacum-St.
Avold, Bolchen an der Blies oder Merten an der Bist dar, und die nach sogenannten
Walen, das heißt dem alten deutschen Ausdruck für Romanen (in Bayern und
Österreich heißen sie Walchen) benannten Orte. Es lässt sich gut zeigen, dass sie
im Wesentlichen am Rande des großen Waldgebiets südlich der mittleren Saar,
südlich von Völklingen und Saarbrücken liegen, typische Reliktlagen, aber zu-
gleich wie man im großräumigen Vergleich noch besser zu erkennen vermöchte, in
der Nähe von Straßen gelegen sind, die von dem bedeutenden römischen Zentrum
Metz ausstrahlten und das dortige Waldgebiet, später Warndt geheißen, südlich
und nördlich umgingen. Der südliche Zweig zielte auf den römischen Vicus und
das römische Kastell bei Saarbrücken, dort wo später am Saarübergang Kirche und
Stift St. Arnual entstanden, am Saarübergang der Straße, die über Kaiserslautern
64
auf den Rhein bei Worms zielte. Der nördliche, weniger bedeutende Zweig zielte
ebenfalls auf einen Saarübergang und im weiteren Verlauf auf Mainz.
Die nächste Karte (Nr. 6) zeigt die merowingischen Reihengräberfunde des 677.
Jahrhunderts, von Frauke Stein erstellt: Wir können erkennen, dass die merowingi-
schen Siedlungen, die durch diese Friedhöfe bezeugt werden, sich im Saartal und
an der großen Straße Metz-Worms, vor allem aber im Bliesgau, dem fruchtbaren
Muschelkalkgebiet im Südosten des Kartenausschnitts, finden. Dort und an der Saar
finden wir auch die ältesten Siedlungen des 6. Jahrhunderts; die Funde an der Straße,
dort, wo die romanischen Reliktortsnamen sich häuften, sind deutlich jünger.
ln der nächsten Karte (Nr. 7) wurden archäologische und onomastische Informa-
tionen zusammengeführt. Man kann sehen, dass Reihengräberfunde der Mero-
wingerzeit, die Siedlungen zugeordnet werden können, sich vor allem bei vorger-
manischen Namen (wie Bliesbolchen, Auersmacher < 777 Auricas Machera), dann
aber in hoher Anzahl bei heim- und mgew-Siedlungsnamen wie (früh!) Güdingen,
Walsheim, Altheim ,Alt-Siedlung‘, Rubenheim aus *Gudingas (Personenname
Gudo), Walahes-heim (Personenname Walah), 1271 Rubenheym, 1330 Robonheim
(Personenname Rubo, Robo) finden, im 7. Jahrhundert auch bei t/o/7-Siedlungsna-
men und sogar vereinzelt bei Namen auf -weder, -viller. Es wird aber auch klar,
dass ganze Felder von -ingen-Namen, etwa südlich von Saarbrücken, zwischen
Rossel, Forbach und Saar keine merowingischen Funde aufweisen. Dies ist sicher-
lich kein Zufall, sondern Indiz dafür, dass die -mgerc-Namen, im Gegensatz zu den
Namen auf -heim, noch lange nach dem Ende der Reihengräberzeit um 700, viel-
leicht bis ins 9. Jahrhundert vergeben wurden.
Die nächsten Karten (Nr. 8ff.) konnten nur noch mit philologischem und histori-
schem Instrumentarium erstellt werden, ihre Objekte sind nach der merowingi-
schen Reihengräberzeit (bis Ende 7. Jahrhundert) zu datieren: Die Masse der wei-
ler-Namen findet sich am Rande der mit älteren Namenschichten gefüllten Gebiete,
auch am Oberlauf der kleinen Bäche, zaghaft bereits im Waldland nördlich von
Saarbrücken. Das sind typische Ausbaulagen. Eine ganze Kolonie von -hofen-Namen
(die östlich des Rheins eine viel ältere Schicht repräsentieren) findet sich nördlich des
seit der Karolingerzeit belegten Königshofes Völklingen, 822 Fulcolingas
(Haubrichs/Herrmann 2010), am Köllerbach im Waldland, dessen Subzentrum
Kölln, 1378 Collen, 1261 Vallis Colonie (mit Martinskirche) einen weit nach Westen
weisenden Namen hat, der aus lateinisch colonia kommt, im Osten unbekannt, aber
in Frankreich mit zahlreichen Namen wie Coulange, Cologne etc. präsent.
Wie bedeutsam für die Erarbeitung einer historisch realistischen Siedlungsge-
schichte die archäologischen und onomastischen Quellen sind, verdeutlicht die
Karte 9. Die urkundliche Überlieferung, wie sie bis zum Jahr 1000 manifestiert
wird, ist extrem von der Überlieferung weniger Klöster und Bistümer, zum Bei-
spiel Metz, St. Denis, St. Avold, Reims etc. abhängig und - von deren gewaltigen
Lücken. Die urkundliche Überlieferung zudem repräsentiert - wie man durch einen
Vergleich mit Karte 8 leicht eruieren kann - durchweg einen älteren Stand der
Siedlungsgeschichte, deswegen weil vorwiegend ältere, bereits mit höherer Be-
deutung versehene Siedlungen (und seltener die Ausbauorte) in der urkundlichen
Überlieferung erscheinen.
Frauke Stein hat in unendlicher Kleinarbeit viele Studien zu den Interferenzge-
bieten zwischen Germania und Romania betrieben, zum Beispiel die wichtige, in-
itiale Übersicht über die Bevölkerung des Saar-Mosel-Raumes am Übergang von
65
der Antike zum Mittelalter (1989), mehrere mit Martina Pitz unternommene inter-
disziplinäre Studien (siehe oben), dann Studien zu den Heiratsbeziehungen zwi-
schen Franken und Romanen (2008), Studien zu den Bevölkerungsverhältnissen im
Saar-Mosel-Raum als Voraussetzung der deutsch-französischen Sprachgrenze (1994)
und und und ... (das meiste davon nun in dem neuen Sammelband Stein 2011).
Springen wir zum letzten Untersuchungsgebiet unseres interdisziplinären, auf
die Grenzgebiete zwischen Gallia und Germania gerichteten Arbeitskreises, die
Regionen Burgunds, der großen Bourgogne zwischen Lyon, Vienne, Grenoble,
Genf, Lausanne, Dijon und Besançon. Man weiß, dass der bedeutende römische
Heermeister Aetius noch vor der Mitte des 5. Jahrhunderts burgundische Gruppen
in die Sapaudia rund um Genf umgesiedelt hat, Burgunden, die ihr regnum, halb
römischer Militärdistrikt, halb gentiles Königreich, im Laufe der nächsten fünfzig
Jahre bis nach Lyon, Vienne, Valence an der Rhône und bis in die nördliche Bour-
gogne und Franche Comté ausbreiteten (vgl. Karte 10). Man weiß, dass der archäo-
logische Nachweis dieser Gruppen auf Grund nur schwach entwickelter Beigaben-
sitte nur schwer möglich ist, dass die frühen Fundstätten im Bereich spätantiker
Siedlungen lagen, vor allem bei Genf, dass es für den Nachweis späterer Aus-
breitung aber wohl noch neuer methodischer Instrumente bedarf. Man weiß auch,
dass mit den Burgunden zumindest im Süden des Gebietes, um Lyon, Vienne,
Briord Fortsetzer der zumeist bestens nach Konsulardaten datierten Grabsteinkultur
aufscheinen, mit zahlreichen, vor allem in den kleineren viel zahlreichen germa-
nischen, oft sicher ostgermanischen, also gewiss burgundischen Personennamen
(Gaillard de Semainville 1993; Martin 1995; Favrod 2002; Haubrichs 2008, 2009,
2010). Nördlich dieser die antike Memorialkultur (genau wie in Trier) fort-
setzenden Zone erscheinen nun in einigen Regionen schwer datierbare (aber doch
belegbar bis ins 6. Jahrhundert zurückreichende) ostgermanische zwgos-Namen
(heute auf -ans, -ens lautende Siedlungsnamen wie Combadens, 1422 Combad-ens
< *Gundobad-ingos zum burgundischen Königsnamen Gundo-bad etc.): sie finden
sich nördlich Lyon gehäuft in dem auf das germanische Wort *dumpa (deutsch
Tümp-el) zurückgehenden ,Pays des Dombes4 (einem wasserreichen Weiher-
gebiet), ca. 659 pagus Dombensis, sie finden sich auch um Besançon nördlich des
Jura in der Franche-Comté, und nördlich des Genfer Sees in dem ebenfalls auf einen
germanischen Begriff, nämlich Wald (vielleicht wie im Langobardischen mit fiskaler
Bedeutung), zurückgehenden Waadt-Land, im Pays de Vaud, dem alten pagus
Waldensis. Frauke Steins beharrlichen, bis in die Fundberichte des 19. Jahrhunderts
zurückgehenden Nachforschungen ist es gelungen, Hinweise dafür zu liefern, dass
die im Waadtland aufscheinenden /Vtgcw-Namen zumindest in frühen Exemplaren auf
eine spätere Phase burgundischer Siedlung weisen. Freilich wird das mgos-Suffix,
obwohl es zahlreiche ostgermanische Personennamen transportiert, später wohl auch
von den Romanen übernommen, denen sich die Burgunden im Laufe des 6.
Jahrhunderts akkulturierten.
Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt dieser durchaus persönlich gefärbten
Betrachtungen, unseren Wanderungen und Exkursionen in Sonne und Nebel, Nebel
und Sonne zurückgekehrt. Noch manches ließe sich davon berichten, wie der ver-
gebliche Gang zur verwunschenen, auf Berges Spitze gelegenen romanischen Kir-
che in Burgund, wie das Erlebnis römischer, von baren Füßen später Nachkommen
der Römer getretener Trauben im Wormsgau, die tatsächlich später zu Wein ge-
führt haben sollen; wie die Erprobung frischer, eigentlich nur mit Unmengen von
66
Muscadet zu bewältigender Meeresfrüchte im Marais Poitevin, im Poitou, wozu als
Instrumente ein Messer und ein Zahnstocher (immerhin geschmückt mit französi-
scher Flagge) gereicht wurden. Aber sparen wir das für später auf...
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Karte t: Gaue zwischen Maas und Rhein
72
73
Karte 3: Siedlungs- und Gewässernamen nichtgermanischer Prägung im Saarraum
74
Karte 4: Die Verteilung der Siedlungstypen im Bereich der Merchinger Muschel-
kalkplatte
75
Karte 5: Namen vorgermanischer Herkunft und Walen-Namen im Saarbrücker
Raum
76
INeunkirchänlQ*^^^
i—> Gräberfeldausschnitt
des 6.-7. Jahrhunderts
Älteste Funde:
+ AM II (±520-560)
▲ AM m (±560-600)
■ 6. Jahrhundert
* JM I (±600-640)
W JM II (±640-680)
# 7. Jahrhundert
ISaaiioLiia
Waldbedeckung
Höhenlinien
O Orientierungsort
iaa'jrücksnIQ
iiüi
|Saarqerntin3l
Entwurf: F. Stein
Zeichnung: R.W.L. Puhl
Karte 6: Reihergräberfundstellen mit archäologischer Datierung im Saarbrücker
Raum
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[Malstatt j
[Heckendalheim|l
¡Saarbrücken ]Q
Merkingen1
[Ommersheim]
Fechingen]
(St.Amual)i
¡Güdingen]
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i Wittersheim]
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I Rubenheim]
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[Herbitzheim
[BÜesbolchen]''
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Entwurf: W. Hnubnchs
Zeichnung- R_W.L. Puhl
Siedlungen mit Reihengräbem
£ auf-heim
^ auf-Ingen
^ auf -darf
n mit vorgerm. Namen
^ sonstige Namentypen
Siedlungsnamen auf
• -heim
Q -ingen
m -dorf
© -sali
□ vorgerm. Namenschicht
Waldbedeckung
Höhenlinien
O Orientierungsort
thofenl Q
^^¡Biesingenl
Karte 7: Germanische Siedlungsnamen mit Kennzeichnung der durch Reihen-
gräber belegten Orte im Saarbrücker Raum
iNeunkirchen)
;Sanrk;msj
Vöiklingen]
(Saärboicken'l
IST Avoid
Siedlungsnamcn auf
A -weder
V -hausen
A -hofen
□ ältere Namenschicht
Waldbedeckung
^ Höhenlinien
O Orientierungsort
Entwurf rt Haubncn»
Zeichnung RWl Puhl
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Karte 8: Siedlungsnamen auf -weder, -hausen und -hofen
iNeunkirchenfCr^**^
^ölklingei
(Saarbrücken!
#|Forbach|
iSaargemüTiHI t Q
# bis zum Jahr 1000 urkundlich belegte Siedlung
□ namentypologisch erschlossene Siedlung
| Waldbedeckung
Waldbedeckung
^ Höhenlinien
O Orientierungsort
— u._
□
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... * LJ)
Entwurf: W. Haubrichs
Zeichnung: HW L. Puhl
Karte 9: Die Besiedlung um 1000 im Saarbrücker Raum
Karte 10: Siedlungsnamen (SN) und Inschriften in der Burgundia
m
Diakon Adalgisel Grimo (634) und die Saarbrücker
Prekarienforschung (2002-2011)
Brigitte Kasten
Die Bedeutung des Diakons Adalgisel, der auch Grimo genannt wurde, für die Ge-
schichte des heutigen Saarlandes ist mit dem Kloster Tholey verbunden, dessen
Anfänge auf diesen geistlichen Grundherrn fränkischer Herkunft aus der Merowin-
gerzeit zurückgehen. Adalgisel Grimo besaß Anfang des 7. Jahrhunderts in Tholey
ein castrum, eine befestigte Niederlassung. Bei der Befestigung handelt es sich
möglicherweise um eine noch während der späten Römerzeit erbaute Mauer, deren
Reste bei archäologischen Grabungen unter dem heutigen Abtshaus entdeckt wur-
den. Dazu gehörten weitere Liegenschaften wie Felder, Wiesen, Wälder, Weiler,
erworbene Häuser und Einkünfte sowie der benachbarte Ort Doma/Domo, dessen
Lage aufgrund der vermuteten Variante des keltischen Wortes dunum für „Sied-
lung in Höhenlage“ in Schaumberg vermutet wird. Tholey lag im 7. Jahrhundert
„in einer Insel relativer romanischer Kontinuität“ (Haubrichs, Abtslisten, 1986, S.
85).
Die Nähe zu den vorbeigehenden Römerstraßen und die vorgermanischen Orts-
namen führten zu der Annahme, dass Tholey eine römische Ansiedlung war, die
um die Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert in den Besitz von Franken kam und so-
mit nahezu kontinuierlich bewohnt wurde. Ob der Besitzwechsel durch fränkische
Eroberer gewaltsam erzwungen wurde oder legal aufgrund der spätrömischen Ein-
quartierungsgesetze stattfand, die eine Aufteilung des Grundbesitzes und seiner
Einnahmen zwischen Romanen und Germanen verordneten, ob die römischen Ei-
gentümer die Ortschaft bereits kurz vor der Ankunft der Franken verlassen hatten
oder ob diese zum Fiskus eingezogen und später durch einen Merowingerkönig an
einen fränkischen Getreuen ausgegeben wurde, bleiben spekulative Alternativen,
von denen wegen der fehlenden Zeugnisse keine zu verifizieren ist. Für die rund
200 Jahre zwischen den beiden in Tholey gefundenen Münzen aus der Regierungs-
zeit Kaiser Valentinians 111. (424-455) und der Erwähnung des Orts im Testament
des Adalgisel Grimo von 634 gibt es keinen Beleg für Tholey.
Ebenso wenig weiß man, wie Adalgisel Grimo in den Besitz Tholeys kam. Si-
cher ist allerdings, dass er es war, der dort eine Kirche bauen ließ und eine geist-
liche Gemeinschaft von Klerikern einrichtete, weil er dies in seinem Testament er-
wähnte, das er am 30. Dezember 634 in Verdun aufrichtete. Er verfügte, dass nach
seinem Tod Tholey mitsamt Kirche und Klerikergemeinschaft der Bischofskirche
von Verdun übertragen werden sollte. Das Dokument, das der Diakon Erchenulf
im Auftrag des Erblassers vielleicht ursprünglich auf Papyrus schrieb, ist wahr-
scheinlich im 10. Jahrhundert in Trier auf einem rund 60 x 42 cm großen Perga-
mentblatt abgeschrieben worden und liegt in dieser Form als einzige Überlieferung
heute vor. Es ist mehrfach ediert worden, wobei Textlücken aufgrund wissen-
schaftlicher Meinungsunterschiede unterschiedlich rekonstruiert wurden. Während
man beispielsweise anfangs meinte, dass die von Grimo erbetenen Kleriker von Bi-
schof Modoald von Trier entsandt worden sein könnten, da dieser als Ortsbischof
die Kirche von Tholey einweihte, glaubt man heute eher, dass sie aus Verdun ka-
83
men, wo der Kirchengründer selbst zum Geistlichen ausgebildet worden war. Bi-
schof Paulus von Verdun sowie einige Diakone unterschrieben dementsprechend
als Zeugen das Testament.
Um die Besitzrechte an der Kirche von Tholey scheint es zu Diskussionen zwi-
schen dem Erblasser sowie den Bischöfen von Trier und Verdun gekommen zu
sein, denn im Zusatz zum Testament bekräftigte Adalgisel Grimo die Eigentums-
rechte Verduns an Tholey in seiner Ganzheit, konzedierte aber dem Trierer eine
Einnahme, die aus seiner geistlichen Befugnis als Ortsbischof herrührte. Das Tauf-
öl mussten die Tholeyer Kleriker jährlich für 31 Goldmünzen von der Trierer Bi-
schofskirche kaufen, doch sollte diese darüber hinaus keine weitere Abgabe von
ihnen erheben dürfen. Andere Vereinbarungen könne künftig lediglich die Bischof-
skirche von Verdun treffen. Hinter dieser rechtlichen Präzisierung standen wohl
weniger Auseinandersetzungen um den kirchlichen oder monastischen Charakter
der Klerikergemeinschaft von Tholey noch um die vermutete kontroverse Haltung
der beiden Bischöfe zur iroschottischen Mission, sondern eher um die Abklärung
kirchenrechtlicher Bestimmungen. Gemäß der spätantiken und merowingischen
Kirchenstruktur hatte der Bischof die unumschränkte geistliche und administrative
Gewalt in seinem Bistum. „Wen und was der Bischof geweiht hat, gehört bleibend
zu seiner Diözese“ (Arnold ANGENENDT, Das Frühmittelalter, 21995, S. 177).
Durch Grimos Schenkung erlitt der Trierer Bischof nicht nur eine Einbuße in sei-
ner Amtshoheit, sondern es ging ihm darüber hinaus Kirchengut verloren. Die Zu-
satzregelung des Testaments stellt also einen Kompromiss zwischen Grimo als
„Eigenkichenherr“ und den beiden beteiligten Bischöfen dar.
Die früher sehr rege geführte Diskussion, ob Tholey von Anfang an eine
Mönchskongregation, unter Umständen halb columbanischer, halb benedikti-
nischer Prägung, oder nur eine Gemeinschaft von Weltklerikem war, ist vor dem
Hintergrund der erweiterten Stiftskirchendefinition von geringerer Bedeutung für
die heutige Forschung geworden. Wichtiger ist es festzuhalten, dass die Kirche in
Tholey, wie am Taufrecht zu erkennen, eine Pfarrkirche sein sollte und dies die
Ansiedlung von mehreren Klerikern, darunter mindestens einem Priester, erfor-
derte, da der Pfarrbezirk in diesen frühen Zeiten des Mittelalters recht groß war.
Die Installierung von mehreren Klerikern spricht im Übrigen für die ansehnliche
Wirtschaftskraft der Ländereien von Tholey, denn die Kleriker mussten von der
Überschussproduktion der landwirtschaftlichen Erträge leben können. Die wertvol-
len Informationen des Testamentes über die landwirtschaftlichen Betriebsstätten
und -formen sind daher dementsprechend von der wirtschaftsgeschichtlichen For-
schung ausgewertet worden. Die Zwischenstellung der im Testament von 634 er-
wähnten agrarischen Organisationseinheiten zwischen der älteren Betriebsform der
spätantiken Gutsherrschaft und der frühmittelalterlichen Grundherrschaft mit ihrem
charakteristischen Villikationssystem hat Franz Irsigler eingehend analysiert.
Ebenso genau wurden die sozialgeschichtlichen Aspekte hervorgehoben, vermach-
te Adalgisel Grimo doch den Löwenanteil seines immobilen Vermögens verschie-
denen Kirchen und Klöstern und davon war wiederum ein guter Teil für die über-
wiegend kirchlich geführten Armenhäuser und -matrikel sowie für Lepro-
senhospitäler gedacht.
Auf der Basis des Testamentes ist der Grundbesitz des Adalgisel Grimo kartiert
worden. Dieser erstreckte sich als typischer Streubesitz frühmittelalterlicher
84
Grundherren über ein großes Gebiet im Viereck zwischen den Bischofsstätten Ver-
dun, Metz, Trier und Maastricht. Dass Adalgisel Grimo zur vermögenden frän-
kischen Oberschicht im östlichen Teil des Frankenreichs, in Austrasien, gehörte, ist
zweifelsfrei. Alle Versuche, ihn genealogisch einzuordnen, bleiben jedoch hypo-
thetisch, da er von seinen Verwandten nur eine bereits verstorbene Schwester Er-
mengundis, seinen Bruder Ado und einen seiner Neffen, einen Herzog Bobo, na-
mentlich erwähnte. Die kombinierte besitz- und personengeschichtliche Unter-
suchungsmethode macht jedoch eine gewisse Nähe zu der später mächtigsten
austrasischen Adelsfamilie, den Arnulfingem-Pippiniden, wahrscheinlich, da das
Namensgut Adalgisel und Grimo(ald) in beiden Familien verwandt wurde und die
Besitznachbarschaft im Lütticher Raum auffallend ist. Es mag daher sein, dass
Grimos Neffe Bobo mit dem gleichnamigen Herzog identisch ist, der die aus-
trasischen Exklaven in der Auvergne verwaltete und der Regentschaftsregierung
für den minderjährigen Mitkönig Sigibert III. in Austrasien angehörte. Eine direkte
Verwandtschaft mit den Vorfahren der Karolinger ist allerdings nicht nachweisbar.
Da Grimo von seinen Verwandten ausschließlich die Neffen mit Legaten be-
dachte und ausdrücklich bestimmte, sie sollten sich damit zufrieden geben, wird
davon ausgegangen, dass sein Testament von 634 den Teil seines Vermögens um-
fasste, den er der gesetzlichen Erbfolge entziehen wollte, also keinesfalls alle Lie-
genschaften benennt. Nach römischem Recht hätte er über maximal drei Viertel
seiner Hinterlassenschaft verfügen dürfen (Lex Falcidia, 40 v. Chr.). Die fränki-
schen Gesetze geben darüber keine Auskunft; aber die Lex Ribuaria aus der ersten
Hälfte des 7. Jahrhunderts, die für die Rheinfranken und wohl auch für diese
austrasische Adelsfamilie galt, betont mehrfach, dass die Kirche nach römischem
Recht lebt (Lex Ribuaria, Titel 61). Die Kenntnis römischer Rechtsgepflogenheiten
zeigt sich schon allein daran, dass Diakon Adalgisel Grimo ein Testament aufrich-
tete und dies unter Anwendung römischer Formen tat.
Ziel seiner sozialen Fürsorge für Arme und Kranke und die Freilassung einer
nicht genannten Anzahl seiner Hörigen war es, eine Opfergabe für die Reinigung
von seinen Sünden zu spenden und damit etwas für sein Seelenheil zu tun. Wie
dies von den Begünstigten zu realisieren war, etwa durch regelmäßige Messfeiern
an seinem Todestag oder durch Fürbitten und Gebete zu seinem Totengedächtnis,
wird nicht konkretisiert. Bischof Bertram von Le Mans, der 616 sein Testament ab-
fasste, erlegte den Freigelassenen die Pflicht auf, sein Jahresgedächtnis zu bege-
hen: Einmal listete er die dazu Bestimmten in großer Anzahl namentlich auf, ein
anderes Mal überließ er es seinem Grablegekloster, die Tüchtigsten aus einem ge-
schenkten Dorf dafür auszuwählen. Vor diesem Hintergrund fallt auf, wie eindring-
lich Grimo mitten zwischen der Aufzählung seiner Legate formulieren ließ: „Auf
jeden Fall will ich, dass volle Kraft behält, wieviele [Hörige] ich durch [namentli-
che Auflistung auf] Tafeln oder durch [Freilassungs-]Briefe oder durch einen be-
liebigen anderen Rechtstitel freigelassen habe und was ich auf schriftliche Weise
heiligen Stätten oder verdienten Personen übertragen oder geschenkt habe“ (Editi-
on Levison S. 76 f., Zeilen 17-19: Omnimodis volo, quantumcumque per tabidas
vel per epistolas seu quolibet titulo ingenuos dimisi, vel quic quid per epistolas
meas ad loca sancta seu merentibus personis contuli aut donavi, firma stabilitate
permaneat.), Das römischrechtliche Freilassungsverfahren mittels der Übergabe
von Tafeln (manumissio per tabulas) war von den frühmittelalterlichen Kirchen
85
aufgegriffen, aber auf Freilassungen in der Kirche bezogen worden (manumissio in
ecclesia), etwa im burgundischen Recht und im ribuarischen Frankenrecht belegt
{Lex Ribuaria, Titel 61). Die Sklaven oder Hörigen wurden zwar freigelassen und
erwarben dadurch einen besseren Rechtsstatus, blieben aber im Besitz der Kirche.
Das Recht der ribuarischen Franken, ungefähr zu der Zeit verschriftet, als Grimo
sein Testament anfertigte, erklärte daher kategorisch, dass die Kirche nach römi-
schem Recht lebe und diejenigen, die per tabulas freigelassen worden waren, von
niemandem und auch nicht auf andere Weise freigelassen werden können, selbst
durch den König zum Beispiel durch Schatzwurf nicht. Dies bekräftigte auch Gri-
mo durch den zitierten Auszug aus seinem Testament. Von der Gültigkeit und Um-
setzung seiner letztwilligen Verfügungen hing das Fortleben seiner Seele nach dem
Jüngsten Gericht ab; die Freilassungen und die Schenkungen waren ein religiös
motivierter Akt.
Doch was verbindet das frühmittelalterliche Testament von 634 mit der Saar-
brücker Prekarienforschung der Gegenwart? Es ist die Tatsache, dass Adalgisel
Grimo eine Prekarie innehatte: „Die villa Iré (bei Longuyon), die meine verstor-
bene (leibliche) Schwester, die Diakonisse Ermengundis, zu ihrem Seelenheil der
Verduner Kirche schenkte und die ich selbst als Prekarie zur Nutznießung besessen
habe, soll nach meinem Tod in unversehrter Ganzheit mit allem, was dazu gehört,
und mit dem, was ich dort vergrößern und (neu) kultivieren konnte, an die oft ge-
nannte Verduner Kirche zurückfallen“ (Edition Herrmann S. 270, Zeilen 43-45;
Villa Hogregia, quem germana mea Ermengundis quondam dyacona pro anime
sue remedium ecclesie Virdunense dedit et ego ispe sub usufructuario per precato-
ria possedi, cum integra soliditate omnibusque ad se pertinentibus cum id quod
ibidem augmentare vel laborare potuero omnia et ex ómnibus post discessum me-
um ad sepedicta ecclesia Virdunense revertat.).
Prekarie ist ein Leihegut, das auf Bitten des Entleihers vom Inhaber ausgegeben
wurde. In diesem Fall war das Gut Eigentum der Ermengundis gewesen, die es zu
Lebzeiten für ihr Seelenheil der Verduner Bischofskirche geschenkt hatte. Nach ih-
rem Tod muss Grimo den Bischof gebeten haben, ihm das Gut seiner Schwester
leihweise zur Nutznießung zu erlassen. Die Vertragslaufzeit war frei auszuhandeln
und wurde auf Grimos Lebenszeit terminiert. Nach seinem Tod sollte es wieder in
die unmittelbare Verfügungsgewalt der Kirche von Verdun übergehen. Dies war
kein ungewöhnlicher Vertrag.
Grimos Testament zeigt die übliche Besitzstruktur des immobilen Vermögens
eines frühmittelalterlichen Adeligen bzw. Großgrundbesitzers auf. Der Grundbesitz
setzte sich (1) aus Erbgütern, die Grimo bei der der gesetzlichen Erbfolge durch
Erbteilung mit seinen Geschwistern zugefallen waren, (2) aus gekauften oder in
anderer Weise, wie beispielsweise durch Tausch, hinzuerworbenen Gütern und (3)
durch Güter, an denen er nur ein Nießbrauchrecht hatte, worunter Prekarien fallen,
zusammen. Für Prekarien und anderen usufruktuarischen Besitz wurde in der Re-
gel, jedoch nicht zwangsläufig ein Jahreszins gezahlt. Eine gewisse Verzinsung er-
hielt der Verleiher auch dadurch, dass, wie in Grimos Fall ersichtlich, die Wert-
steigerung durch Bewirtschaftung, manchmal mit dem Fachbegriff der Melioration,
also der Besserung, bezeichnet, bei Vertragsende dem Eigentümer des Grund und
Bodens zu Gute kam.
86
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Saarbrücker Preka-
rienprojekt untersucht für den Raum Elsass-Lothringen und die Westschweiz die
urkundlich erhaltenen Prekarieverträge, namentlich der Klöster Gorze, Weißenburg
und Sankt Gallen sowie der Bistümer Basel, Straßburg, Metz und anderer loth-
ringischer Bistümer, hinsichtlich der Verwendung dieser Grundstückleihe im so-
zialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Kontext von rund 300 bis 1300. Zeitlich
wird damit das Aufkommen prekarischer Geschäfte in der Spätantike, ihr Höhe-
punkt während des Früh mittel alters zur Karolingerzeit und ihr Abklingen im Spät-
mittelalter, als sie durch Pachtverträge abgelöst wurden, erfasst.
Vom Wortstamm her hängen „Prekarie {precaria)“ und „prekär (precarius, a,
um)“ im Sinne von „ungesichert“ und der politisch-soziologische Begriff „Preka-
riat“, auch als „neue Armut“ benannt, zusammen. Historisch haben die Bittsteller
(precator, precatrix) und Bitten (preces) jedoch nichts Ursächliches mit Armut zu
tun. Das Bittgesuch bewirkte in der Antike ein einfaches Leiheverhältnis. Ein
Buch, ein Sklave und andere bewegliche Dinge konnten zum prekarischen Besitz
erbeten werden, nach heutigem Verständnis „ausgeliehen werden“. Die Leihe war
jederzeit widerruflich. Daher konnte ihre Beendigung den Bittsteller in eine prekä-
re Situation bringen, wenn er nämlich die geliehene Sache noch länger benötigte
und keinen Ersatz dafür hatte oder wenn er nicht in der Lage war, das Leihegut un-
versehrt oder so schnell, wie gewünscht, zurückzugeben. Prekarischer Besitz wur-
de in der Antike auch durch einen Kauf erzeugt, bei dem zwar die gekaufte Ware
schon übergeben, aber der Preis dafür noch nicht oder nur teilweise bezahlt worden
war. Das war die antike Form des modernen Leasings. Prekarischer Besitz war in
Antike und Mittelalter also ein leihweise, durch Bitten zustande gekommener und
widerruflicher Besitz. Darauf den Lebensstandard zu begründen, war unsicher.
Die verschiedenen Möglichkeiten, ein prekarisches Rechtsverhältnis zwischen
Leihgeber und -nehmer zu konstituieren, die das spätrömische Recht kannte, über-
mittelt der westgotische Bischof Isidor von Sevilla am Ende des 6. Jahrhunderts.
Demnach wurde dieses Rechtsinstitut auch im Pfand- und Hypothekenrecht ange-
wandt. Ein Grundbesitzer, der Hof und Land mit einer Art Hypothek belastet hatte,
durfte, nachdem der gesetzte Auslösungstermin verstrichen war, den Pfandinhaber
bitten, ihm die Erträge des Landes weiterhin zur Nutzung zu lassen. Es lag ganz im
Belieben des Leihgebers, ob und wie lange er einer derartigen Bitte stattgab. Hier
wurde ein höchst prekäres Besitzverhältnis errichtet, das den Leihnehmer in wirk-
liche Armut zu bringen vermochte, wenn das Landgut schließlich doch vom Leih-
geber eingezogen oder die vollständige Abgabe der landwirtschaftlichen Erträge
zur Tilgung der Schulden verlangt wurde.
Anfang des 5. Jahrhunderts beschrieb der romanische Geistliche Salvian von
Marseille die Folgen der Verarmung kleinbäuerlicher Grundbesitzer infolge einer
hohen Besteuerung und einer skrupellosen Steuereintreibung für die Provinz Galli-
en. Salvian war ein harscher Gesellschaftskritiker. Die christlichen Römer hätten
ihren politischen Untergang selbst verschuldet, meinte er, weil sie in moralischer
Hinsicht den einfallenden Barbaren unterlegen gewesen seien. Aus der moralischen
folgte unmittelbar die militärische Unterlegenheit, und diese sei schon längst durch
politische Fehlentscheidungen der kaiserlichen Zentrale und Missbräuche der loka-
len und regionalen Staatsbeauftragten vorbereitet worden. Die Steuerflucht der
kleinen und mittleren Eigentümer und die Schutzbedürftigkeit von Sozialschwa-
87
chen führten zur Begründung eines privaten Patronats der einflussreichen Groß-
grundbesitzer. Offensichtlich zahlreiche Angehörige der Unter- und Mittelschicht
verzichteten lieber auf ihr Eigentumsrecht, als weiterhin von Vertretern des Staates
ausgepresst zu werden. Sie ließen ihr Landgut den mächtigen Inhabern der großen
Latifundien auf, um es künftig zu Nießbrauchrecht innezuhaben.
Dies geschah durch usufruktuarische oder prekarische Leihe, wobei im letzt-
genannten Fall eine Bitte vorangegangen sein musste. Der Patron schützte dafür
seinen Klienten, der nun zum Beispiel als Kolone das Land weiterbewirtschaftete,
das ihm vorher gehört hatte. Die Abgaben an den Großgrundbesitzer waren für ihn
um so viel günstiger als die Steuern, dass die Änderung des Rechtstitels vom Ei-
gentum zum Nießbrauch im Vergleich dazu das geringere Übel zu sein schien.
Römische Bauern scheuten im Bemühen um die Bewahrung ihres wirtschaftlichen
Lebensstandards nicht davor zurück, auch Germanen wie Franken, Burgunder, Go-
ten zu ihren Patronen zu wählen, legte Salvian von Marseille offen.
Im politisch-ökonomischen Kontext der Spätantike wurden prekarische Leihe-
verhältnisse so sehr in das Bewusstsein der intellektuell tonangebenden Gesell-
schaft gehoben, dass ihre gedankliche Konstruktion auf theologische Zusammen-
hänge angewandt werden konnten, um sie zu veranschaulichen. So wurde die Stel-
lung des Menschen in Gottes Schöpfung damit verglichen. Wiederum ist Salvian
der Kronzeuge dafür. Die Menschen seien lediglich prekarische Besitzer der Ga-
ben, die ihnen Gott gewährt habe - mit anderen Worten: Sie seien nichts weiter als
Nutznießer auf Zeit und auf Widerruflichkeit, während Gott der wahre Eigentümer
auch der irdischen Güter sei.
Ein weiterer Kontext findet sich in der gallischen Kirche. Bei der Begründung
des Klerikerstandes im Gallien um 400 wurde ein dem prekarischen Besitz ver-
wandtes Rechtskonstrukt benutzt. Kleriker, die von Kirchengütern leben wollten,
sollten zuvor ihre Eigengüter der Kirche urkundlich schenken. Die Kirche könne
ihnen aufgrund dessen den Nießbrauch auf Lebenszeit an den geschenkten Gütern
als eine Wohltat (beneficium) einräumen. Die vorherige Auflassung des eigenen
Besitzes diente der Kirche als Sicherheit für den zu zahlenden Lebensunterhalt für
den Kleriker.
Wir befinden uns damit bereits in der Transformationsphase von der Antike zum
Mittelalter. Die christianisierte, frühmittelalterliche Gesellschaft der Franken, der
Eroberer Galliens, adaptierte das römische Rechtskonstrukt der Prekarie mit ge-
wissen Veränderungen. Die ökonomische Organisation der Bischofskirchen baute
beispielsweise darauf auf.
Davon ist im Testament des Adalgisel Grimo von 634 ein Reflex zu finden.
Grimo erwähnt in dankbarer Erinnerung, dass er seine geistliche Ausbildung an der
Bischofskirche von Verdun erhalten und währenddessen von dieser Kirche Stipen-
dien empfangen habe. Ein Stipendium ist eine Zuwendung zum Lebensunterhalt.
Da Grimo aus keiner armen Familie stammte, mag dies erstaunen. Einen Hinweis
zur Lösung des vermeintlichen Widerspruchs gibt der gallische Romane Prosper
Tiro von Aquitanien (ca. 390 bis etwa 463), der eine Zeit lang in Marseille lebte,
bevor er nach Rom ging, um in päpstliche Dienste einzutreten. Er erlebte die Kon-
stituierung des Klerus als Stand in Gallien um 400. Ihm zufolge sollten Kleriker,
die von Kirchengütern leben wollten, ihre Eigengüter zuvor urkundlich der Kirche
schenken. Diese könne ihnen anschließend das Nießbrauchrecht auf Lebenszeit da-
88
ran gewähren. Durch die Aufteilung der Nutzungsrechte an den Gütern, die von
den reicheren Klerikern der Kirche übertragen wurden, zwischen den Schenkern
und armen Klerikern konnte den letztgenannten ein Unterhalt finanziert werden.
Da die näheren Umstände von Grimos Stipendien in Verdun nicht bekannt sind,
ist lediglich zu mutmaßen, dass seine Ausbildung durch eine Schenkung seiner
Familie an die Bischofskirche von Verdun finanziert wurde, die ihm davon Stipen-
dien gab, oder aber, dass dies nicht ausreichte und er von der Kirche zusätzliche
Unterhaltszahlungen erhielt. Seine Dankbarkeit drückte er 634 jedenfalls durch
mehr als eine erbrechtliche Verfügung zugunsten Verduns aus. In den Zusammen-
hang der Ausbildungsfinanzierung stellte er insbesondere das Legat der villa
Wichimonhiaga im Sprengel von Verdun. Die Abmachungen über den Unterhalt
könnten vertraglich als Prekarie gestaltet worden sein, die in ihrer am häufigsten
angewendeten Form durch Schenkung von Eigenbesitz und Rückleihe desselben
oder eines gleichwertigen anderen Besitzes gekennzeichnet ist. Im Testament von
634 ist allerdings noch eine andere Art des Unterhalts aufgezeigt, nämlich durch
die Anweisung von Naturalien aus einer Liegenschaft, ohne diese ganz zu Nieß-
brauch inne zu haben. Grimo unterstützte so den Trierer Priester Banto auf dessen
Lebenszeit mit (jährlich) 100 Malter Weizen, 10 Schweinen und 40 Käsen, zu lie-
fern vom Abt des Klosters der heiligen Agatha in Longuyon, der von Grimo zum
Haupterben eingesetzten Institution.
Als Bischof Chrodegang von Metz um 755 eine Klerikergemeinschaft an seiner
Kathedralkirche gründete, die mönchsähnlich gemäß dem Postulat der Armut und
in Gemeinschaft leben sollte, knüpfte er für die ökonomische Realisierung seines
Plans direkt an Prosper Tiro von Auqitanien an, nannte das rechtliche Vertrags-
konstrukt nun aber ausdrücklich eine Prekarie.
Der Domkleriker sollte sein immobiles Eigentum an die Bischofskirche schen-
ken, um es danach als Prekarie zur Bedingung des Nießbrauchs auf Lebenszeit
vom Bischof zurückzuerhalten. Dies bedeutete, dass der Kleriker ausschließlich
über die Erträge verfügen, die reale Liegenschaft aber weder mindern noch verkau-
fen noch tauschen durfte. Die Prekarie wandelte zwar die Eigentumsrechte, bedeu-
tete jedoch für den tatsächlichen Umgang des Domklerikers mit seinem Besitz eine
kaum merkliche Änderung. Es war diesem nämlich zeit seines Lebens erlaubt, aus
den Einkünften von Grund und Boden seine materiellen Bedürfnisse zu erfüllen
und sogar Schenkungen nach freiem Willen zu tätigen, doch wurde ihm die Be-
günstigung der Klerikergemeinschaft und der Armen nahegelegt. Über die eine
Hälfte der Erträge durfte der Kleriker auf seinen Todesfall Legate ausstellen,
wenngleich ihm auch hier wieder Stiftungen zu frommen Zwecken und zugunsten
Bedürftiger ans Herz gelegt wurden. Die andere Hälfte fiel nach seinem Tod an
den Domklerus.
Chrodegang erklärte den doppelten Vorteil von Auflassung und prekarischer
Rückieihe der Güter: Zum einen sei auf diese Weise das Armutsgebot erfüllt, da
der Domkleriker sein Eigentum ja verschenkt habe, und zum anderen könnte die
Kirche mit dem so entstandenen Gemeinschaftsgut die Grundbedürfnisse an Nah-
rung und Kleidung von weniger vermögenden Klerikern absichem.
Der Zusammenhang von prekarischer Leihe und Gewährung eines Stipendiums
zum Lebensunterhalt tritt nicht allein bei diesem kirchlichen Beispiel, sondern
auch auf der höchsten politischen Ebene hervor. 751 wurde der letzte König der
89
ersten fränkischen Dynastie der Merowinger abgesetzt. Außer dem wertlos gewor-
denen Königstitel habe dieser vor seiner Absetzung angeblich nur noch ein ein-
ziges Landgut mit geringen Einkünften besessen, so dass ihm der damals zweite
Mann im Staate, der Hausmeier Pippin aus der Familie der Karolinger, ein preka-
risches, will heißen leihweises, widerrufliches und somit ungesichertes Stipendium
zum Lebensunterhalt gewährt habe.
Die Prekarie konnte im frühen Mittelalter des 8. und 9. Jahrhunderts in Lebens-
situationen auftauchen, die denen ähnelten, die mit dem modernen Wort des Preka-
riats angesprochen werden. Verwitwete alleinerziehende Frauen sahen die Siche-
rung ihrer Zukunft darin, Prekatorinnen zu werden. Sie schenkten ihre kleinen
Landgüter an einen kirchlichen Grundherrn, empfingen diese zum Nießbrauch zu-
rück und ließen sich die lebenslange materielle Absicherung durch jährliche Ver-
sorgungsleistungen in Naturalien und Handwerksprodukten zusichern. Die Verträ-
ge gingen bis ins Detail, denn nicht nur die Höhe und die Art der Versorgungs-
güter, sondern auch der Transport wurde regelt. Eine Witwe mit Kindern erwirkte
beispielsweise, dass das Kloster St. Gallen die Naturalien bis zu ihrem Haus lie-
ferte, ja sogar dass sie eine Kuh in den klösterlichen Stall stellen durfte, damit sie
dort gehütet und gemolken wurde. Die Klosterleitung wird außer der karitativen
Verpflichtung ein hohes Interesse am Besitz gerade dieses Landguts gehabt haben,
um einen solchen, für sie recht kostspieligen Vertrag abzuschließen.
Bei Fällen dieser Art war durch den Wegfall des Familienoberhaupts tatsächlich
eine prekäre Lage entstanden. Die Bewirtschaftung des ursprünglich selbständigen
Landguts war nicht mehr in ausreichender Weise möglich. Durch solche Schick-
salsschläge waren bäuerliche Familien nicht nur in ihrem gewohnten wirtschaft-
lichen Lebensstandard, sondern auch in ihrem Rechtsstatus gefährdet, drohte ihnen
doch der Verlust der persönlichen Freiheit. Wohl dem, der noch über ein attrak-
tives Gehöft verfügte, mit dem er eine Prekarie einrichten und dadurch den sozia-
len Abstieg abbremsen oder gar verhindern konnte. Die Prekarie erscheint dabei als
Strategie, die Verarmung aufzuhalten.
Modem mutet es auch an, wenn alte Leute sich mit einer Landschenkung an ein
Kloster eine Versorgung erkauften, wie sie heute derjenigen in einem Seniorenstift
entspräche, mit dem dezidiert geäußerten Ziel, sich von unwilligen oder unvermö-
genden Kindern unabhängig zu machen. Damit die vorhandenen Erben nichts ge-
gen derartige Gütertransaktionen unternahmen, die ihr Erbe zweifellos schmäler-
ten, wurden Teile der Schenkung als prekarische Rückleihe zu Nießbrauch für den
Schenker und seine direkten Erben auf Lebenszeit ausgenommen.
Alle bisher genannten Beispiele sind jedoch selten dokumentierte, vereinzelt
auftretende Fälle. Die Prekarie hat vielmehr in der Art und Weise, wie sie im Mit-
telalter am meisten benutzt wurde, nichts mit Zukunftsangst oder Armut zu tun,
denn nur der Grundeigner ist befähigt, überhaupt ein Prekator zu werden, das heißt
sein Eigentums- in ein Nutzungsrecht umzuwandeln. Die prekarische Leihe kann
somit in der Regel nur von der relativ gutsituierten Schicht der Grundbesitzer in
Anspruch genommen werden.
Die vielen hundert mittelalterlichen Urkunden über Schenkung von Eigengut
und Rückleihe desselben weisen zu einem sehr hohen Prozentsatz eine relativ ver-
mögende Gesellschaftsschicht aus, die sich an diesem Geschäft mit zumeist klös-
terlichen Grundherrschaften beteiligt. Es sind Könige, weibliche Mitglieder der
90
königlichen Familie, namhafte Adelige beiderlei Geschlechts, Grafen, hohe Geist-
liche und weniger bekannte Grundbesitzer, die auf diese Weise „urkunden-kundig“
werden. Die Transaktionen beinhalteten demzufolge keineswegs nur die kleine
bäuerliche Hofstatt samt Acker- und Weideland hier oder den Weinberg dort oder
das Waldstück noch woanders, sondern umfassten durchaus große grundherrliche
Komplexe, ja selbst ganze Klöster inklusive ihrer Grundherrschaft. Sie alle konn-
ten als prekarisches Leihegut auf Zeit vergeben werden.
Worin bestand der Nutzen des Geschäfts? Für die kirchlichen Institutionen liegt
er auf der Hand. Durch das Gesetz, Kirchengut nur dann leihweise auszugeben,
wenn vorher Land geschenkt worden war - bezeugt im alemannischen Recht aus
der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts - akquirierten Kirchen und Klöster durch die
Prekarie mittel- bis langfristig immer mehr Immobilien. Die Leihefrist war indivi-
duell auszuhandeln. Ursprünglich sollte die Prekarie alle fünf Jahre erneuert wer-
den, üblich waren jedoch im Frühmittelalter Vertragslaufzeiten von etlichen Jahr-
zehnten, nämlich auf Lebenszeit des Prekators, seiner Frau, seiner Kinder, manch-
mal mit der Einschränkung auf legitime Kinder, manchmal aber im Gegenteil er-
weitert auf Seitenlinien bis zum Aussterben der Familie. Nach dem Auslaufen der
vereinbarten Leihefrist sollten die Immobilien ohne Widerspruch sofort an die
kirchliche Institution zurückfallen. Bei attraktiven Landgütern mussten jedoch des
Öfteren Prozesse um den Rückfall geführt werden, wodurch allerdings nicht ver-
hindert wurde, dass die Kirche zum größten Grundeigentümer im Mittelalter wurde.
Noch ein paar Details: Der Leihgeber empfing vom Prekator jährliche Zins-
abgaben. Wurde die Vertragslaufzeit verlängert, erhob das Kloster eine Art Ge-
bühr, die der Jahresabgabe einer abhängigen Bauemstelle entsprach. Dabei handelt
es sich - modern ausgedrückt - um die Rendite, die allerdings wegen des kirchen-
rechtlichen Verbots von Zinsgeschäften verschleiert werden musste. Da die Ver-
tragslaufzeiten nicht in Jahren angegeben werden, ist die Höhe der Rendite nicht zu
ermitteln. Je kürzer die Lebenszeit des Prekators, desto höher die Rendite für das
Kloster.
Am Ende der Vertragslaufzeit schöpfte das Kloster außerdem den erzielten
Mehrwert, wie oben bereits erwähnt, dadurch ab, dass es die Meliorationen für sich
beanspruchte; das waren die Investitionen des Prekators in die Mobilien auf dem
Grund und Boden, also Aufbauten wie Wohnhäuser, Scheunen und andere Be-
triebsgebäude. Diese bestanden aus Holz, mussten also durchschnittlich alle sieben
Jahre erneuert werden. Die unfreie menschliche Arbeitskraft galt gleichfalls als
Mobilie und konnte melioriert sein, das heißt in ihrer Arbeitsleistung und Einsatz-
fähigkeit eine Wertsteigerung erfahren haben.
Die Prekarie gut zu bewirtschaften und stetig zu bessern, eben zu meliorieren,
ist eine Standardklausel vieler Verträge zu Lasten des Prekators, insbesondere
dann, wenn längerfristige Verträge abgeschlossen wurden. Die Klausel diente al-
lerdings nördlich der Alpen - etwa im Gegensatz zu Italien - nicht dazu, techni-
sche Innovationen auf dem Land zu befördern oder den Landesausbau durch Kulti-
vierung von bisher unbewirtschafteten Flächen voranzutreiben.
Das Risiko eines solchen Rechtsgeschäfts bestand in seinem Missbrauch. Den
Rückfall der Leihegüter gegen den Willen einflussreicher Adelsfamilien durch-
zusetzen, war kaum möglich. Hinzu kam, dass skrupellose Machthaber Kirchen
und Klöster zur Herausgabe von prekarischem Leihegut zwangen, ohne sich durch
91
eine vorausgehende Landschenkung zur Stellung einer adäquaten Sicherheit bereit-
gefunden zu haben. Dabei handelt es sich um eine verdeckte Enteignung des Klos-
ters, denn des Öfteren wurden weder die Jahresabgaben gezahlt noch nach Be-
endigung der Vertragslaufzeit das Gut zurückerstattet.
Solche Praktiken traten in Zeiten einer schwachen Königsherrschaft und einer
vermehrten Korruption der Inhaber öffentlicher Gewalt gehäuft auf. Das war ein-
mal im 8. Jahrhundert der Fall. Damals kamen die Karolinger selbst mit Hilfe sol-
cher Praktiken an die Macht. Und das andere Mal traten solche Missbräuche um
900 auf, als der staatliche Schutz, den die Karolinger zu gewähren vermochten,
schwächer wurde und ein Machtkampf um die wirtschaftlichen Ressourcen unter
den führenden Adelsfamilien ausbrach. Einige Kirchen und Klöster büßten durch
derartige Zwangsanleihen etwa zwei Drittel ihres Besitzes ein.
Abgesehen von diesen Missbräuchen, galten die Prekarien als grundsätzlich at-
traktives Grundstücksgeschäft. Als der Bischof Aventius von Metz 863 das Kloster
Gorze „evaluierte“, bestätigte er der Klosterleitung und dem Konvent, die getätig-
ten Prekarien seien nutzbringend gewesen. Eine Synode von 845 schuf sogar einen
weiteren Anreiz zur Landschenkung. Wenn die Übertragung sofort, also ohne auf-
schiebende Wirkung etwa auf den Todesfall erfolgte, winkte dem Schenker die
Verdreifachung seines Einsatzes, indem er nicht nur sein eigenes Gut, sondern zu-
sätzlich zwei gleichwertige Kirchengüter als Leihe zurückerhielt. Bei seinem Tod
ging allerdings alles in Kirchenhand über.
Ökonomisches Denken wird dem frühen Mittelalter häufig abgesprochen, doch
wird hier das Gegenteil erwiesen, jedenfalls in Bezug auf das immobile Vermögen.
Welchen Vorteil sah aber der frühmittelalterliche Grundbesitzer darin, sein
Land zu verschenken, um es als Prekarie zum Nießbrauch wieder zurückzuer-
halten? Diese Logik will dem modernen Menschen nicht ganz einleuchten. Der
mittelalterliche Mensch ist jedoch noch keinem säkularisierten Denken unter-
worfen. Er schenkte ohnehin relativ viel an geistliche Institutionen, um damit deren
Gebetsleistung für sein Seelenheil zu erwerben, und zwar so viel, dass Kaiser Karl
der Große die Größenordnung der Transaktionen limitierte: Die Verarmung der
leiblichen Erben wegen der Enterbung durch unverhältnismäßig großzügige Land-
schenkungen der Erblasser an Kirchen und Klöster sollte unterbunden werden. So
viele seien verarmt, dass sie augenfällig die Straßen bevölkerten.
Aus diesem Dilemma bot die Prekarie einen praktischen Ausweg. Es handelt
sich bei ihr um eine Schenkung, die fast immer mit der Auflage verbunden wurde,
die wichtige Gebetsleistung für das Seelenheil des Schenkers und oft auch für das
seiner gesamten Familie zu erbringen. Doch änderte sich für den Schenker und sei-
ne Familie fast nichts im tagtäglichen Umgang mit ihrem Besitz, außer dass nun
ein geringer Jahreszins zu bezahlen war. Die Sorge, die Jahresabgaben nicht frist-
gemäß abliefern zu können, denn wegen der klimatischen Einwirkungen waren
Missernten nicht selten, spiegelt sich in nur wenigen Prekarieurkunden wieder.
Rückständige Jahresabgaben waren in der Regel kein Grund, das Leihegut vor-
zeitig einzuziehen, zumal die Prekatoren durch das Zinsrecht einen gewissen
Schutz erfuhren. Sie durften den Zins bis zu einem Jahr nachzahlen, eine Bürg-
schaft dafür stellen oder eine andere Form des Schadensersatzes anbieten. Ihre
Vertreibung von Grund und Boden konnte vertraglich ausgeschlossen werden. Ge-
legentlich verzichtete der Leihgeber sogar auf jegliche Zinsvereinbarung.
92
Neben der ernstzunehmenden religiösen Motivation sind jedoch auch handfeste
Interessen erkennbar, die einen Grundeigentümer zum Nutznießer werden ließen.
Mit Hilfe der Prekarie konnte er seinen Grundbesitz verdoppeln oder gar verdrei-
fachen oder sein Landstück gegen ein anderes an einem anderen Ort eintauschen.
Dadurch waren Güterarrondierungen bei den durch häufige Erbteilungen zersplit-
terten Besitzverhältnissen auf dem Land möglich. Attraktiv war auch das Partizi-
pieren an wirtschaftlich aufstrebenden Regionen, wie zum Beispiel den Weinan-
baugebieten an der Mosel, den Salzproduktionsstätten im Seillegau oder den Ro-
dungszonen am Rand des Schwarzwaldes. Es wurden ferner künftige Erbteilungen
verhindert, denn der prekarische Besitz blieb so erhalten, wie er geschenkt worden
war.
Auffällig ist, dass die laikalen Grundeigentümer für derlei Immobiliengeschäfte
regelmäßig neuen, erst in der eigenen Generation oder von den Eltern erworbenen
Besitz dafür verwandten, fast nie patrimonialen Erbbesitz, der aus der Großeltern-
generation stammte. Sie spekulierten niemals und schon gar nicht mit ihrem Ge-
samtvermögen.
Die Saarbrücker Prekarienforschung vermag durch diese Ergebnisse einen er-
weiternden Blick auf den frühmittelalterlichen Umgang mit Grund und Boden zu
richten, der weniger statisch war, als bisher angenommen. Sie erfasst die grundbe-
sitzenden Schichten, die an diesem wechselseitigen Leihesystem partizipierten. Sie
kann die - nicht nur in Krisenzeiten - durch Anleihen gestützte frühmittelalterliche
Staatsfinanzierung in einen breiteren ökonomischen Rahmen einordnen. Sie leistet
darüber hinaus einen fundamentalen Beitrag zu der seit 1994 geführten vollkom-
menen Neuorientierung hinsichtlich der Bedeutung des Lehnswesen für den mittel-
alterlichen Staat des Früh- und Hochmittelalters, ist somit auch in der Verfassungs-
geschichte verankert. Das Leihesystem des Lehnswesen zeichnet sich allerdings im
Testament des Diakons Adalgisel Grimo von 634, um auf den Ausgangspunkt die-
ses Beitrags zurückzukommen, noch nicht ab, wohl aber, wie hinreichend erörtert
worden ist, das umfassendere Leihesystems von Prekarie und Usufrukt, aus dem
das später aufkommende Lehnswesen lediglich einen Ausschnitt darstellt.
Bibliographie raisonnée:
A. Adalgisel Grimo und Tholey:
Die Grabungsergebnisse in Tholey publizierte Alfons KOLLING, Grabungen im
römischen und mittelalterlichen Tholey, in: 20. Bericht der staatlichen Denkmal-
pflege im Saarland (Abteilung B), Saarbrücken 1973, S. 5-50 und öfter; zur Bauge-
schichte vgl. auch Franz-Josef REICHERT, Die Baugeschichte der Benediktinerabtei
Tholey (Veröffentlichungen des Instituts für Landeskunde 3), Saarbrücken 1961.
Zu den Äbten von Tholey und zur sprachgeschichtlichen Analyse der Ortsnamen
im Testament des Adalgisel-Grimo vgl. Wolfgang HAUBRICHS, Die Tholeyer Abts-
listen des Mittelalters. Philologische, onomastische und chronologische Untersu-
chung (Veröffentlichungen der Kommission für saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung 15), Saarbrücken 1986, hier S. 81-85; Hans-Walter HERR-
MANN, Das Testament des Adalgisel-Grimo, in: 22. Bericht der staatlichen Denk-
malpflege im Saarland (Abteilung B), Saarbrücken 1975, S. 67-89. Theorien zum
93
Übergang des römischen Tholeys in fränkischen Besitz entwickelten Hans-Walter
HERRMANN, Das Testament des Adalgisel-Grimo. Ein Zeugnis merowinger-
zeitlichen Lebens an Saar, Mosel und Maas, in: Studien und Mitteilungen zur Ge-
schichte des Benediktiner-Ordens und seiner Zweige 96, Heft 1-4 (1985), S. 260-
275, hier S 262 und Franz IRSIGLER, Gesellschaft, Wirtschaft und religiöses Leben
im Obermosel-Saar-Raum zur Zeit des Diakons Adalgisel Grimo, in: Hochwälder
Geschichtsblätter 1 (1989), S. 5-18, Nachdruck in Miscellanea Franz Irsigler. Fest-
gabe zum 65. Geburtstag, hg. von Volker Henn, Rudolf HOLBACH, Michel PAULY
und Wolfgang SCHMID, Trier 2006, S. 247-274, hier S. 259f. Das Testament des
Adalgisel-Grimo ist mehrfach ediert worden: Wilhelm LEVISON, Das Testament
des Diakons Adalgisel-Grimo v. J. 634, in: Trierer Zeitschrift 7 (1932), S. 69-85;
Hans-Walter Herrmann, Testament des Adalgisel Grimo, wie oben (1975) und
(1985) mit deutscher Übersetzung des lateinischen Textes. Den Überlegungen von
Wilhelm LEVISON (1932), S. 71f. zur Überlieferung des Dokuments ist die nach-
folgende Forschung gefolgt. Zur Herkunft der Tholeyer Klerikergemeinschaft aus
Trier vgl. Wilhelm LEVISON (1932), Hans-Walter HERRMANN, Testament des
Adalgisel Grimo, wie oben (1975) und (1985) sowie Wolfgang Haubrichs (1986),
S. 88, zur Herkunft aus Verdun vgl. Franz Staab, Wann beginnt die monastische
Tradition Tholeys? Zu einem neuen Buch von Wolfgang Haubrichs, in: Zeitschrift
für die Geschichte der Saargegend 36 (1988), S. 17-25, hier S. 23 und Franz IRSIG-
LER (2006), S. 266. Neue Überlegungen zu geistlichen Gemeinschaften von Kleri-
kern finden sich im Tagungsband mit dem Titel: Frühformen von Stiftskirchen in
Europa. Funktion und Wandel religiöser Gemeinschaften vom 6. bis zum Ende des
11. Jahrhunderts. Festgabe für Dieter Mertens zum 65. Geburtstag (Schriften zur
südwestdeutschen Landeskunde 54), hg. von Sönke LORENZ und Thomas Zotz,
Leinfelden-Echterdingen 2005, hier zu Tholey (Josef Semmler, S. 16) und zu
Adalgisel-Grimo (Charles Mériaux, S. 256). Zum Pfarrbezirk von Tholey vgl. die
Karte bei Wolfgang HAUBRICHS (1986), S. 86. Zur wirtschafts- und sozialge-
schichtlichen Auswertung des Testamentes von 634 vgl. Franz IRSIGLER (2006), S.
256-264. Karten zum Grundbesitz des Adalgisel Grimo erstellten Hans-Walter
HERRMANN (1985), S. 276; Wolfgang Haubrichs (1986), S. 78; Franz IRSIGLER
(2006), S. 268. Überlegungen zu prosopographischen Einordnung der Familie des
Adalgisel Grimo stellen an Horst EBLING, Prosopographie der Amtsträger des
Merowingerreiches von Chlothar III. (613) bis Karl Martell (741) (Beihefte der
Francia 2), Münschen 1974, S. 30f. (Nr. 5) und S. 86f. (Nr. 86); Ulrich NONN, Zur
Familie des Diakons Adalgisel-Grimo, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesge-
schichte 1 (1975), S. 11-17; Matthias Werner, Der Lütticher Raum in frühkaro-
lingischer Zeit. Untersuchungen zur Geschichte einer karolingischen Stammland-
schaft (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 62), Göttingen
1980, S. 38-47. Zum römischrechtlichen Charakter von Grimos Testament vgl. Ul-
rich NONN, Merowingische Testamente. Studien zum Fortleben einer römischen
Urkundenform im Frankenreich, in: Archiv für Diplomatik 18 (1972), S. 1-129
{Lex Falcidia S. 11-17, zu Grimos Testament S. 30f. und öfter). Zum Verfahren
und den Rechtsfolgen der Freilassungen in der Kirche vgl. Stefan Esders, Die
Formierung der Zensualität. Zur kirchlichen Transformation des spätrömischen
Patronatswesens im früheren Mittelalter (Vorträge und Forschungen. Sonderband
94
54), Ostfildern 2010, hier zur Lex Ribuaria S. 50f. und zum Testament Bertrams
von Le Mans S. 44f.
B. Saarbrücker Prekarienforschung:
Zur Definition der Prekarie und ihre Einteilung in „precaria data“, „precaria ob-
lata“ und „precaria remuneratoria“ vgl. Karl Lamprecht, Deutsches Wirtschafts-
leben im Mittelalter 1, 2, Leipzig 1896, S. 891 und Werner OGRIS, s. v. „precaria“,
Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte 3, Berlin 1984, Sp. 1855f. Zur
Abgrenzung von verwandten Leiheformen wie Pacht, Nießbrauch und Schenkung
unter Vorbehalt vgl. Rudolf Hübner, Die Donationes post obitum und die Schen-
kungen mit Vorbehalt des Niessbrauchs im älteren deutschen Recht, Bresslau 1888
und mehr noch Hans R. Hagemann, Übertragungen mit Nutzungsvorbehalt in ale-
mannischen Formeln und Urkunden, in: Archiv des Historischen Vereins des Kan-
tons Bern 44 (1958), S. 339-358. Grundlegend für mittelalterliche Leihever-
hältnisse ist der oft zu wenig beachtete Beitrag von Wilhelm Ebel, Über den Lei-
hegedanken in der deutschen Rechtsgeschichte, in: Studien zum mittelalterlichen
Lehenswesen (Vorträge und Forschungen 5), Lindau 1960, S. 11-36. Zum antiken
„precarium“ liegen mittlerweile moderne juristische Untersuchungen vor, z. B.
Paola BiAVASCHl, Ricerche sul precarium (Publicazione dell'Istituto di diritto ro-
mano, Università degli studi di Milano), Mailand 2006 und dazu die ausführliche
Rezension von Ulrike BABUSIAUX, in: Deutsche Juristen-Zeitung 125 (2008), S.
804-814, doch sind die älteren Arbeiten, die den Übergang zur frühmittelalter-
lichen „precaria“ untersuchen, von Hans von VOLTELINI, Prekarie und Benefizium,
in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 16 (1922), S. 260-270;
Emst LEVY, Vom römischen Precarium zur germanischen Landleihe, in: Zeitschrift
der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung 66 (1948), S.
1-30; Claudio SÁNCHEZ-ALBORNOZ, El precarium en Occidente durante los pri-
meros siglos medievales, in: Ders., Estudios sobre las instituciones medievales
españolas, Mexico 1965, S. 521-546 und andere weiterhin zu rezipieren. Der Zu-
sammenhang zwischen der prekarischen und der lehnsrechtlichen Landleihe ist
Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Kontroverse zwischen Paul Roth und Georg
Waitz thematisiert und erst vor kurzem wieder aufgegriffen worden, vgl. Jens-
Uwe KRAUSE, Spätantike Patronatsformen im Westen des Römischen Reiches
(Vestigia. Beiträge zur alten Geschichte 38), München 1987, hier S. 254-263; Ste-
phen WEINBERGER, Precariai Grants: Approaches of the Clergy and Lay Aris-
tocracy to Landholding and Time, in: Journal of Medieval History 11 (1985), S.
163-169 mit abweichender Meinung auf S. 164; Cinzio VIOLANTE, Bénéfice vassa-
liques et „livelli“ dans les cours de l'évolution féodale, in: Histoire et société,
Mélanges Georges Duby 2, hg. von Charles-Marie Bourel de la RONCIÈRE, Aix-en-
Provence 1992, S. 123-134; Susan REYNOLDS, Fiefs and vassals, Oxford 1994;
Brigitte Kasten, Beneficium zwischen Landleihe und Lehen - eine alte Frage, neu
gestellt, in: Mönchtum - Kirche - Herrschaft 750-1000, hg. von Dieter R. Bauer,
Rudolf HIESTAND, Brigitte Kasten und Sönke Lorenz, Sigmaringen 1998, S.
243-260 und Brigitte KASTEN, Lehnswesen - Fakt oder Fiktion?, in: Der frühmit-
telalterliche Staat - Europäische Perspektiven, hg. von Walter POHL und Veronika
WlESER (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), Wien 2009, S. 331-353
95
(hier auch zum Zinsrecht der Prekarien). Zur agrarwirtschaftlichen Relevanz der
Prekarie in Bezug auf die Meliorationen vgl. Brigitte Kasten, Agrarische Innova-
tionen durch Prekarien, in: Tätigkeitsfelder und Erfahrungshorizonte des ländli-
chen Menschen in der frühmittelalterlichen Grundherrschaft (bis ca. 1000). Fest-
schrift für Dieter Hägermann (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschafts-
geschichte 184), München 2006, S. 139-154 mit weiterführender Literatur. Die Be-
deutung der Prekarie als Finanzierungsinstrument für den Aufbau des Domklerus
und für die Mission ist ein Forschungsdesiderat, doch vgl. hierzu ansatzweise Bri-
gitte KASTEN, Grundbesitzgeschäfte im Spiegel der kirchlichen Überlieferung. Zu
den materiellen Ressourcen der Missionierung im nördlichen Lotharingen (bis
900), in: L'évangélisation des régions entre Meuse et Moselle et la fondation de
l'abbaye d'Echternach (Ve-IXe siècle), hg. von Michel Polfer (Publications du
CLUDEM 16), Luxemburg 2000, S. 261-300. Eine Monographie über die prekari-
sche Landleihe befindet sich an der Universität des Saarlandes in Vorbereitung;
Teilergebnisse (auch des hiesigen Beitrags) sind veröffentlicht worden von Brigitte
Kasten, Prekariat - historisch gesehen, in: Magazin Forschung 1 (2007), S. 22-27.
Zur Wissenschaftsgeschichte von Auflassungen (Schenkung und Rückleihe) mit
einem Kapitel über Prekarien vgl. Thomas Brückner, Lehnsauftragung (Studien
zur europäischen Rechtsgeschichte. Veröffentlichungen des Max-PIanck-Instituts
für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main 258), Frankfurt am Main
2011.
96
Erfassung königlicher Ressourcen im frühen Mittelalter
Reinhard Schneider
Die Thematik von Gedeih und Verderb des mittelalterlichen römisch-deutschen
Reiches sprechen zwei zeitgenössische Sätze pointiert an. Wann floriert diese res
publica, lautet die eine Frage: „Dann nämlich, wenn Friede und Gerechtigkeit
gleichsam wie Zwillingsschwestem sich recht zärtlich küssen“. Und wann besteht die
Gefahr, dass das regnum untergehe? Wenn die realen Machtmittel und die Res-
sourcen für die Königsherrschaft über ein erträgliches Maß hinaus schrumpfen. Bei-
de Aussagen verdienen eine nähere Betrachtung, vor allem weil diese vertiefte Ein-
blicke in das römisch-deutsche Herrschaftsgefuge bieten könnte und insbesondere
das Thema materieller Ressourcen berührt. Dies ist mehr als die Erörterung der oft
notorischen Armut des Königs, die sich im Hoch- und Spätmittelalter vorzugs-
weise als Geldarmut äußert1, jedoch viel grundsätzlicher betrachtet werden muss.
Der König wird im Mittelalter fast durchweg als Garant von Frieden und Ge-
rechtigkeit angesprochen und empfunden, damit auch in beachtlicher Weise zu
wirkungsvoller Friedenspolitik und zum Streben nach Gerechtigkeit verpflichtet.
Insofern ist die erwähnte Formulierung aus König Rudolfs Diplom nicht isoliert zu
verstehen, wohl aber in ihrer Pointiertheit zu würdigen. Ungewöhnlicher ist dage-
gen das Urteil über den schier ohnmächtigen König, dem die Grundlagen seiner
Herrschaft abhanden kommen, schlimmer noch: der das Reich verschleudere. Die
angeführten Belege sollen etwas näher betrachtet werden.
In der Arenga seines Diploms vom 29. März 1287, mit dem der König den All-
gemeinen Thüringer Landfrieden bestätigte, formuliert die Kanzlei Rudolfs von
Habsburg die Überzeugung: Tune etenim prosperatur respublica, cum se pax et i-
usticia quasi sorores gemine placidius osculantur2. Bezug genommen wurde auf
Psalm 84 (85) 11, der gewiss allgemein bekannt war3, die schwesterliche Bezug-
nahme allerdings ist kaum geläufig, ungewöhnlich auch die Verwendung in Ur-
kunden. Immerhin findet sich die programmatische Aussage „Frieden und Gerech-
tigkeit haben sich geküßt“ verbal und im Bildprogramm in Ottos II. sogenannter
Heiratsurkunde der Theophanu und auch sonst in beachtlicher Fülle4. Die Vorstel-
lung, dass der Herrscher ein rex iustus et pacißcus sein sollte, ist dem Mittelalter
1 Emst Schubert, Probleme der Königsherrschaft im spätmittelalterlichen Reich. Das
Beispiel Ruprechts von der Pfalz (1400-1410), Kapitel 7: Die Armut des Königs, in: Das
spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, hg. von Reinhard SCHNEIDER
(Vorträge und Forschungen 32), Sigmaringen 1987, S. 179ff.
MGH Constitutiones III, hg. von Jakob Schwalm, Hannover 1906, S. 383 (Nr. 399).
Vgl. Oswald Redlich, Rudolf von Habsburg, ND der Ausgabe Innsbruck 1903, Aalen
1965, S. 447.
Klaus Schreiner, „Gerechtigkeit und Frieden haben sich geküßt“ (Ps. 84, 11). Friedens-
stiftung durch symbolisches Handeln, in: Träger und Instrumentarien des Friedens im
Hohen und Späten Mittelalter, hg. von Johannes Fried (Vorträge und Forschungen 43),
Sigmaringen 1996, S. 37-86.
Vgl. Johannes Laudage, Otto der Große (912-973). Eine Biographie, Regensburg 2001,
S. 278.
97
ohnehin vertraut. 972 gilt das Postulat auch der Königin, und in König Rudolfs Ur-
kunde von 1287 ist das ganze Reich gemeint, in dem sich Gerechtigkeit und Frie-
den behutsam entfalten sollen.
So bestechend der Traum vom zärtlichen Wechselspiel von Frieden und Ge-
rechtigkeit im Reiche ist, er bedarf gewiss mancher Ergänzungen. Eine solche fin-
det sich beispielsweise in Brunos Buch vom Sachsenkrieg, das der Magdeburger
Domscholaster etwa 1081/83 beendet hat. Bruno inseriert in seine Darstellung
zahlreiche Briefe, darunter ein Schreiben der aufständischen Sachsen an die römi-
sche Synode von Anfang 1079\ Herausgehoben aus diesem sehr umfangreichen
Schriftstück sei eine einzige Passage, nämlich die der beredten Klage über König
Heinrich IV.: Er „mißachtete diese Verfügungen der heiligen römischen Kirche
wie so viele andere, bemächtigte sich erneut des Reichs, das ihm schon zum zwei-
ten Mal abgesprochen war und vernichtete dasselbe durch derartige Verschleude-
rung, daß man schon gar nicht mehr von einem Reich reden kann, da kaum noch
Reichsgut (nulla paene regalia) übrig ist.“ Im Folgenden wird von regnifacultates
gesprochen, was der Herausgeber des Textes wie regalia als „Reichsgut“ über-
setzt5 6 *. Damit wird in wünschenswerter Weise verdeutlicht: Unter einem bestimm-
ten Maß an (nutzbaren) Reichsrechten kann von einem Reich (regnum) nicht ge-
sprochen werden, denn die Ressourcen des Reiches (regni facultates) genügen
nicht, „Anhänger zu gewinnen“. Anders ausgedrückt heißt dies: Ein Königreich
braucht zwingend ausreichende materielle Grundlagen, ohne entsprechende Res-
sourcen ist Reichspolitik, ja selbst die Erhaltung des Reiches nicht möglich, kann
von einem Reich nicht mehr gesprochen werden.
War aber mittelalterlichen Königen und Kaisern ein solcher Zusammenhang im
Regelfall überhaupt bewusst? Obwohl diese Frage prinzipiell bejaht werden kann,
stellen sich weitere Fragen: Wie viel wussten sie von der materiellen Basis ihrer
Königsherrschaft? Wie konnten sie sich einschlägige und vor allem verlässliche
Kenntnisse verschaffen, um die eigene Politik auch an den ermittelten Daten zu
orientieren?
Aus dem Spätmittelalter gibt es eine präzise Antwort. Der Burgunderherzog
Karl der Kühne jedenfalls war darum bemüht, „las“ er doch regelmäßig am Re-
chentisch den Staatshaushalt, um seinen politischen Schritten die gebotene Sicher-
heit zu geben / Wie aber verhielten sich Herrscher des Früh- und Hochmittelalters?
Wollten sie überhaupt einen entsprechenden Überblick beziehungsweise eine sys-
tematische Erfassung ihrer materiellen und personellen Machtgrundlagen? Vor-
auszusetzen wäre gewiss auch die Verfügung über Erfassungsmöglichkeiten und
hinfuhrende Techniken.
Der Versuch, Antworten zu finden, soll in möglichst deutlicher Abgrenzung von
kirchlichen Erfassungsformen erfolgen, so hilfreich Vergleiche auch sein könnten.
Beispielsweise wäre an Bischof Rather von Verona (um 887-974) zu denken. Er
5 Brunos Buch vom Sachsenkrieg, in: Quellen zur Geschichte Kaiser Heinrichs IV., neu
übers, von Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1963, c. 112, S. 364-371.
6 Ebd. S. 367.
Olivier de la Marche, L'Estât de la maison de Duc Charles de Burgoingue, dit le Hardi
(S. 10f.); vgl. Reinhard Schneider, Vom Klosterhaushalt zum Stadt- und Staatshaushalt.
Der zisterziensische Beitrag (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 38), Stutt-
gart 1994, S. 160.
98
„behauptete, es gehöre zu den Pflichten des Bischofs zu wissen, wieviele Zehent-
leute, wieviel Hufen, wieviel Scheffel Getreide und wieviel Wein man braucht, um
eine bestimmte Anzahl von Geistlichen zu ernähren; unwissend sei der Hirte, dem
nicht bekannt sei, wo die Weiden für seine Schafe liegen“8.
Etwa zeitgleich mit Rather von Verona nimmt Gerhard von Augsburg in seiner
Vita Oudalrici Bezug auf eine (wohl gängige) Erfassungstechnik. Auf seinen Vi-
sitationsreisen habe der Bischof die jeweilige Gemeinde zusammengerufen und
Anweisung gegeben, die pradentioresque et veraciores eidlich zu befragen9. Es
handelt sich mithin um ein Inquisitionsverfahren und ähnelt der späteren Enquête,
auch wenn im konkreten Fall ein Verfahren vor dem kirchlichen Sendgericht nicht
auszuschließen ist10. Mit der spezifisch kirchlichen Inquisition im Sinne der „Ver-
folgung der Ketzerei durch Staat und Kirche“11 haben die gebotenen Beispiele aber
nichts zu tun. Das gilt auch in Gänze für unsere Betrachtung.
Nicht identisch, aber doch eng verzahnt ist die Erfassungsthematik mit dem
Problem der Rechnungslegung und dem Rechnungswesen insgesamt. Für beide ist
in jüngerer Zeit der Forschungsstand erheblich gefördert worden. Auf ihn sei
grundsätzlich verwiesen1“.
Später als etwa in England und Frankreich liegen für das römisch-deutsche
Reich erst zu den Jahren 1242, 1246 und 1303/06 Abrechnungen vor, ehe sich der
Überlieferungsstand mit Heinrich VII. erheblich bessert13. Doch soll die Rech-
nungslegung, unter der „man Entstehung, Anfertigung, Abnahme und Kontrolle
von Rechnungen“ versteht, „als das gesamte System schriftgestützter Rechen-
schaftsleistung und -kontrolle im Rahmen der Verwaltungsorganisation und -tätig-
keit“14 hier nicht näher erörtert werden, sondern den sachlich eher vorgeschalteten
Aspekt der Erfassung von Ressourcen oder materiellen und personellen Grundla-
gen königlicher Herrschaft gilt es näher zu untersuchen. Damit ergibt sich zeitlich
eine Konzentration auf das frühe Mittelalter15.
Mit den bisherigen Beispielen wurde knapp angedeutet, dass die auf Ressour-
cenerfassung zielende Fragestellung mindestens für das Hochmittelalter keines-
wegs anachronistisch ist. In Vorstellung und Praxis sind entsprechende Fragen
durchaus zeitgemäß, ob sie aber auch durchgängig vertraute Verhältnisse betrafen,
Zitiert nach Heinrich Fichtenau, Lebensordnungen des 10. Jahrhunderts. Studien über
Denkart und Existenz im einstigen Karolingerreich, München 1992, S. 272.
9 Gerhard von Augsburg, Vita Sancti Uodalrici. Die älteste Lebensbeschreibung des heili-
gen Ulrich, hg. von Walter BERSCHIN und Angelika HÄSE (Editiones Heidelbergenses
24), Heidelberg 1993,1, c. 6, S. 144.
10 So Hatto Kalifelz in seiner Übersetzung der Vita (Lebensbeschreibungen einiger Bischö-
fe des 10.-12. Jahrhunderts, übers, von Hatto Kallfelz, Darmstadt 1973, S. 81).
11 Adalbert Erler, Art. „Inquisition“, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte
2, Berlin 1978, Sp. 370.
12 Mark Mersiowsky, Römisches Königtum und Rechnungslegung im 13. und frühen 14.
Jahrhundert, in: Deutsches Archiv zur Erforschung des Mittelalters 64 (2008), S. 547-
578.
13 Ebd. S. 551 ff.
14 Ebd. S. 547.
15 Für die etwas spätere Zeit vgl. Reinhard Schneider, Landeserschließung und Raum-
erfassung durch salische Herrscher, in: Die Salier und das Reich, Bd. 1: Salier, Adel und
Reichsverfassung, hg. von Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1991, S. 117-138.
99
muss zunächst ebenso außer Betracht bleiben, wie die Frage nach unmittelbaren Vor-
läufern und Vorbildern. So richtet sich der Blick auf das fränkische und das frühe
römisch-deutsche Reich, beginnend im 6. Jahrhundert. Spätantike Bezüge ergeben
sich zwangsläufig, stehen aber nicht im Mittelpunkt der Betrachtung, die insofern
auch nur sehr bedingt als Beitrag zur Kontinuitätsdebatte von der Spätantike zum
Frühmittelalter anzusehen ist16. Stark verknüpft ist unsere Fragestellung jedoch mit
der nach fortdauernden Strukturen oder auch nur Resten des spätantiken römischen
Steuersystems. Dieser Thematik gilt seit langem ein besonderes Forschungs-
interesse, das freilich nicht identisch ist mit der Frage nach Ressourcen überhaupt
oder präziser: mit der Frage, ob der Herrscher relevante Kenntnisse über materielle
Grundlagen seiner Macht hatte, mindestens bemüht war, solche zu erwerben.
Bevor die Betrachtung mit Chlodwig begonnen werden soll, mahnt eine erheb-
lich frühere Episode, nicht ausschließlich an römische Vorbilder und Erfassungs-
techniken zu denken. In seinem „Gallischen Krieg“ berichtet Caesar von einem
bemerkenswerten Faktum17. Danach hätten die keltischen Helvetier über listenför-
mige Erfassungsunterlagen verfügt, die in Caesars Hände gerieten. Auf diesen ta-
bulae [...] litteris Graecis confectae waren im Sinne militärischer Erfassungsregi-
ster die Daten der Helvetier und weiterer keltischer Stämme (Tulinger, Latobriger,
Rauraker, Boier) verzeichnet18. Es ist beachtlich, dass diese militärischen Erfas-
sungsregister offenbar konsequent die demographischen Gesamtdaten ebenfalls be-
rücksichtigten und entsprechend auswiesen. Dabei waren die Größenordnungen
enorm19. Sie stellen den Erfassern ein beeindruckendes Zeugnis aus, das nicht al-
lein mit Hinweisen auf Massilia (Marseille) und seine Attraktivität für keltische
Oberschichten erklärt werden kann20. Bemerkenswert bleibt jedenfalls, dass für Er-
fassungsfragen nicht ausschließlich auf römische Vorbilder rekurriert werden
muss, sondern auch mit anderen Traditionen gerechnet werden kann.
Spätestens mit dem berühmten Brief des Bischofs Remigius von Reims an
Chlodwig aus dem Jahre 482 ist der Frankenkönig nicht mehr dominant als gallo-
römischer Sprengelkommandant anzusprechen, sondern er übt gewiss eine Kö-
nigsherrschaft im Vollsinne aus. Da Remigius auch berichtet, er habe erfahren,
„daß du die Verwaltung (administratio) der Belgica secunda übernommen hast“21,
16 Von der Spätantike zum frühen Mittelalter: Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und
Befunde, hg. von Theo Kölzer und Rudolf Schieffer (Vorträge und Forschungen 70),
Ostfildern 2009. Darin besonders die Beiträge von Stefan Esders, „öffentliche“ Abgaben
und Leistungen im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter (S. 189-244) und
Reinhold Kaiser, Spätantike und Frühmittelalter - das Problem der Periodenbildung,
Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde.Versuch einer Zusammenfassung
(S. 319-338).
17 C. lulii Caesaris Commentarii, edidit Alfred KLOTZ, vol. 1: Commentarii Belli Gallici
(Leipzig 1952), Buch 1, c. 29, S. 17f.
IX Alexander Demandt, Die Kelten, München 620 0 7, S. 36, spricht von „Bürgerlisten“.
19 Nach Caesar betrug die Gesamtzahl 368.000. Gegliedert wurde nach Waffenfähigen und
Leuten, die auszogen. Die Zurückgekehrten (110.000) gliederten sich nach pueri, senes
und mulieres.
20 Demandt, Kelten (wie Anm, 18).
21 Epistolae Austrasicae 2, ed. Wilhelm Gundlacfi (MGH Epp. 3), Berlin 1957, S. 113.
Vgl. Reinhard SCHNEIDER, König und Königsherrschaft bei den Franken, in: Von Sacer-
100
ist gewiss, dass Chlodwig über einen - wie auch immer gearteten - Verwaltungs-
apparat verfügte. Spuren von diesem gilt hier das Interesse, es sind vor allem sol-
che planmäßiger Erfassung, sei es personeller, materieller oder allgemein umfas-
sender Art. Die Suche nach entsprechenden Zeugnissen wird allerdings dadurch er-
schwert, dass offen bleiben muss, welche Vorstellungen Remigius mit dem Begriff
administratio verknüpfte. So bleibt auch im Hinblick auf Chlodwig eine gewisse
Offenheit bestimmendes Element unserer Spurensuche.
Die „Fränkischen Geschichten“ des Bischofs Gregor von Tours sind für die
fränkische Frühzeit und für unsere spezielle Fragestellung am ergiebigsten. Sehr
schwer zu beurteilen sind aber zunächst die Vorgänge in Limoges 579. Dort wie
auch angeblich in seinem ganzen Teilreich hatte König Chilperich sehr harte Ab-
gaben verlangt, denen sich das Volk von Limoges (Lemovicinus populus) strikt
widersetzte und die Erhebungslisten (libri discriptionum) verbrannte. Der darüber
empörte König sah sich zu härtesten Strafen veranlasst22. In Gregors Bericht bleibt
offen, ob ursprünglich eine reichsweite und korrekte Abgaben- und Steuererhe-
bung tatsächlich geplant war und ob dafür auch gegebenenfalls Erfassungsmaß-
nahmen vorgesehen wurden. Des Königs Verhalten spricht aber für einen extremen
Willkür- und Racheakt.
Die beiden berühmtesten Beispiele betreffen dann Steuererhebungen, denen
aber Erfassungsmaßnahmen voran gehen. Nach Absprache mit dem Bischof der
Stadt schickte König Childebert II. im Jahre 589 qualifizierte hohe Amtsträger
nach Poitiers"3. Diese discriptores sollten den census, der zur Zeit seines Vaters ge-
golten hatte, neu veranlagen unter Berücksichtigung der seither Verstorbenen, der
Witwen und Waisen, deren Abgabenpflicht gemindert wurde. Dabei wurden auch
bisher von Abgaben verschonte Bürger als pflichtig eingestuft (illos quos iustitiae
conditio tributarios dabat publico subdidirunt). In Tours versuchten die discripto-
res dasselbe Verfahren (tributariam functionem infligere vellent) und pochten zu-
sätzlich auf ein librum, das sie in Händen hätten, wonach man zur Zeit der früheren
Könige gezahlt hätte. Doch Gregor, der Bischof der Stadt Tours, trat nach eigenem
Bekunden den königlichen Funktionsträgern entgegen. Er bestritt nicht, dass die
Stadt Tours einst zur Abgabenpflicht veranlagt wurde, doch aus Ehrfurcht vor dem
Hl. Martin habe König Chlothar die libri verbrannt, seine Maßnahmen mithin wi-
derrufen24. Auch als der comes (civitatis) eilfertig Abgaben, und das heißt Geldab-
gaben, auf eigene Faust für den König erheben wollte, habe der König das capitu-
larium, in quo tributa continebantur, ins Feuer geworfen und damit auf jegliche
Schatzung im Fall von Tours verzichtet. Doch die königlichen Erfassungsbe-
auftragten antworteten dem Bischof lakonisch: „Siehe, in unseren Händen ist der
Uber, in dem der census für dieses Volk [von Tours] fixiert ist“. Gregor von Tours
ließ diese Argumentation nicht gelten: „Dieser liber kommt nicht aus dem königli-
chen Schatz und hat so viele Jahre niemals Geltung gehabt“. Nach längeren Aus-
einandersetzungen behauptete sich schließlich des Bischofs Ansicht.
dotium und Regnum. Festschrift für Egon Boshof, hg. von Franz-Reiner Erkens und
Hartmut Wolff, Köln-Weimar-Wien 2002, S. 16f.
Gregor von Tours, Libri historiarum X, ed. Bruno KRUSCH und Wilhelm Levison (MGH
SS rer. Merov. 1), Hannover21951, Buch V, c. 28, S. 234.
23 Gregor von Tours, Buch IX, c. 30, S. 280.
Ebd., auch im Folgenden.
101
Aus den Berichten über die Verhältnisse in Poitiers und Tours 589 geht hervor,
dass es angemessener ist, von Erhebungs- oder Erfassungslisten zu sprechen als
von „Steuerrollen“. Gemeint sind Listen von Personen, die zum census publicus
veranlagt wurden; census publicus aber weist auf königliche Einkünfte oder kö-
nigliche Ressourcen und stellt eine Form des tributum publicum dar, das seinerseits
allgemein und umfassend Abgaben meint. Das Verzeichnis des tributum publicum
wird bei Gregor auch capitularium genannt'2 beziehungsweise capitularium, in
quo tributa continebantur, offenbar in Abschnitte gegliederte libri. Ob die Erfas-
sungen flächendeckend erfolgten, ist ungewiss, angesichts erwähnter Befreiungen
auch prinzipiell nicht sehr wahrscheinlich. Die erfassenden und kassierenden kö-
niglichen Amtsträger werden discriptores genannt, die erfasste Stadt discripta
urbs. Offensichtlich wird die spezielle Tätigkeit als describere/discribere bezeich-
net. Die Listen wurden durch Vorlage beim König legitimiert und im königlichen
Schatzamt (regis thesaurus) aufbewahrt beziehungsweise archiviert, denn auch kö-
nigliche Archive hat es gegeben* 26. Offen bleibt, ob entsprechende Regelungen wie
die für Poitiers und Tours auch für die anderen civitates existierten, so dass man
von flächendeckendem oder reichsweitem Erfassungssystem sprechen könnte.
Die späte Merowinger- und frühe Karolingerzeit geben kaum Hinweise, ob Er-
fassungen größeren Stils zugunsten des Königtums erfolgten. Dieser Sachverhalt
lässt indes keine verallgemeinernden Schlüsse zu, weil die angesprochenen Jahr-
hunderte sehr quellenarm sind und die Überlieferungsformen kein, mindestens kein
zuverlässiges Bild geben. Hier ist es aber angebracht, die eigene Fragestellung
noch einmal zu verdeutlichen. Auch in der Zeit nach Gregor von Tours, also seit
dem ausgehenden 6. Jahrhundert gibt es in der Überlieferung Zeugnisse, die auf
Registrierung und auch Erfassung materieller Werte weisen, allerdings ist nicht das
Königtum Adressat. Zumeist ist die Rede vom describere, und eine Vielzahl von
Belegen gehört in grundherrschaftliche Zusammenhänge. Die königliche Grund-
herrschaft ist davon nicht ausgenommen. Fast immer handelt es sich aber um Teil-
aspekte, um kleinräumige, partielle Erfassungsvorgänge. Das gilt selbst für die so-
genannten Brevium exempla ad describendas res ecclesiasticas et fiscales von 810,
die teilweise sehr deutlich summierenden Charakter haben, jedoch nicht zwingend
erkennen lassen, dass für das Königtum erfassende Leistungsverzeichnisse reichs-
weit beabsichtigt waren'7. Gleichwohl sind die Brevium exempla eindrucksvolle
Zeugnisse einer erfassenden Verwaltungstätigkeit, die sich an den erhobenen Da-
ten orientieren kann, vielleicht auch bewusst Vorbild für das Königsgut sein sollte.
In gewisser Weise gilt dies auch für das berühmte Capitulare de villis (von
792/793 bis Juni 800), das in bestechender Weise auch detaillierte Verfügungen
bietet und als „einmalige Verwaltungsvorschrift“ angesprochen wurde28. Beide
Texte beziehen sich auf grundsätzlich bekanntes Königsgut, das teils minutiös er-
fasst, vor allem kontrolliert und in seiner Wirksamkeit gesteigert werden soll zu-
2:1 Vgl. Esders (wie Anm. 16), S. 214.
26 Reinhard Schneider, Zur rechtlichen Bedeutung der Kapitularientexte, in: Deutsches
Archiv zur Erforschung des Mittelalters 23 (1967) S. 273-295; Ders., Schriftlichkeit und
Mündlichkeit im Bereich der Kapitularien, in: Recht und Schrift im Mittelalter, hg. von
Peter Classen (Vorträge und Forschungen 23), Sigmaringen 1977, S. 257-279.
2 MGH Capitularia I, ed. Alfred Boretius, 1883, Nr. 128, S. 250-256.
28 MGH Capitularia I, Nr. 32, S. 82-91.
102
gunsten des Königs und seines Hofes. Etwas davon abgehoben ist unser vorrangi-
ges Interesse an grundsätzlich pflichtigen Abgaben und Leistungen, die reichsweit
ermittelt und schriftlich erfasst werden sollen. Gewisse Übergänge zwischen bei-
den Modellen sind nicht auszuschließen.
Erwähnenswert ist, dass Ludwig der Fromme im Jahre 831 einen vergleichbaren
Versuch zur Erfassung kirchlichen Besitzes, allerdings in etwas indirekter Form un-
ternommen hat. Die Klöster im Reich sollten „ihm Beschreibungen ihres Besitztums
einschließlich ihres Kirchenschatzes zur Verfügung stellen“29. Einen Sonderfall bil-
den die Vorbereitungen für die Reichsteilung von Verdun 843. Alle drei Brüder soll-
ten ungefähr gleiche Teile in Wertigkeit, Größe und Bedeutung erhalten, weshalb
königliche Amtsträger sorgfältig die Teilungsmaterie zu erfassen (describere, in-
breviare) hatten. Das Churrätische Reichsguturbar gehört in diese Zusammenhänge
- als Glanzlicht innerhalb einer sonst trümmerhaften Überlieferung.
Interessant ist ein Blick auf das karolingische Militär- und Gestellungssystem
mit der sogenannten Heeresreform Karls des Großen. Auf der Grundlage väterli-
cher Verfügungen von Anfang 807 und Anfang 808 hat Ludwig der Fromme im
Jahre 829 den allgemeinen Kriegsdienst nach „persönlicher, genossenschaftlicher
und finanzieller“ Einschätzung geordnet und die Leistungsfähigkeit differenziert
beurteilt: „Wir wünschen und befehlen, daß unsere Missi genau feststellen, wie-
viele freie Leute in den einzelnen Grafschaften leben, die aus eigener Kraft am
Kriegszug teilnehmen können; wieviele ferner von denen [vorhanden sind], deren
einer den anderen unterstützt, ferner von denen, deren zwei einen dritten unterstüt-
zen und ausrüsten, aber auch von denen, deren drei einen vierten, sowie von denen,
deren vier einen fünften unterstützen und ausrüsten, und die alle am Kriegszug
teilnehmen können. Ihre Anzahl sollen sie [die Missi] uns zur Kenntnis bringen“30.
Herausgehoben sei die Schlussforderung, dass dem Kaiser in schriftlicher Form
die Gesamtsumme der erfassten Dienstpflichtigen zu melden sei (eorum summam
ad nostram notitiam deferant). Dies ist eine Neuerung gegenüber früheren Rege-
lungen. Die entsprechende Forderung findet sich auch in dem fast gleichzeitigen
Capitulare missorum, in dem die summa dem Kaiser per brevem mitgeteilt werden
soll31.
Unbeschadet der Tatsache, dass die konkreten und auch reichsweiten Reali-
sierungsmaßnahmen nicht ermittelbar sind, dass sogar innenpolitische Schwierig-
keiten sich seit den 820er Jahren zu häufen begannen, bleibt der äußerst bemer-
kenswerte Versuch des Kaisers, die militärischen Ressourcen in seinem Reich zah-
lenmäßig zu erfassen und eine Heeresmatrikel nach Leistungsfähigkeit zu ver-
langen. Man sollte auch erwähnen, dass die entsprechenden gesetzlichen Maßnah-
men Karls des Großen und Ludwigs des Frommen ganz offenbar von deren jewei-
liger Realisierungsmöglichkeit ausgingen, dass der Staatsapparat samt der Zentrale
auch in verwaltungstechnischer Hinsicht als kompetent angesehen wurden, die
Notwendigkeit ohnehin einsichtig war.
29 R. C. van Caenegem, F. L. Ganshof, Kurze Quellenkunde des Westeuropäischen Mit-
telalters, Göttingen 1964, S. 87 mit Anm. 1.
30 Capitula ab episcopis in placito tractanda, hg. von Alfred Boretius und Victor Krause
(MGH Capitularia II), 1890, Nr. 186, c. 7, S. 7. Die Übersetzung folgt Karl WÜHRER,
Der Deutsche Staat des Mittelalters 1, Jena 1932, S. 319.
11 MGH Capitularia II, Nr. 188, c. 5, S. 10.
103
ln fast paradoxer Weise illustriert ein spezielles Konzentrationsbemühen die
Entwicklung zentraler Erfassung. Im Verlauf der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts
hatten sich die normannischen Übertalle zu einer sehr ernsten Bedrohung der frän-
kischen Teilreiche entwickelt'“1. Da die Abwehrkräfte keine dauerhaften Erfolge
brachten, sahen sich fränkische Herrscher zu schmerzlichen Verhandlungen und in
deren Konsequenz zu immensen Tributzahlungen genötigt. Beispielsweise forder-
ten Dänen 860 vom westfränkischen König Karl dem Kahlen 3.000 Pfund Silber,
und „verleitet durch leere Versprechungen der in der Somme weilenden Dänen ließ
König Karl eine Steuer (exactio) von den Kirchenschätzen und allen Mansen und
allen, selbst den armen Kaufleuten erheben, in der Art, daß man auch ihre Häuser
und allen Hausrat abschätzte und davon einen bestimmten Satz einforderte“32 33.
Karls des Kahlen Verfahren bei der Erhebung des geforderten Tributs setzt nicht
nur voraus, dass die Höhe der Einzelabgaben in Bezug auf den Gesamttribut er-
rechnet werden konnte, sondern auch, dass für solche Berechnungen die erforder-
lichen Grunddaten für den König und seinen Hof verfügbar waren.
In den folgenden Jahren wussten die Normannen ihre Tributforderungen zu stei-
gern und das nahezu ohnmächtige westfränkische Reich hatte zu zahlen. So schloss
Karl der Kahle 866 „mit diesen Normannen ein Abkommen, ihnen eine Summe
von viertausend Pfund Silber zu zahlen, und legte, um diesen Tribut aufzubringen,
eine Abgabepflicht auf sein Reich: von jeder freien Manse wurden sechs Denare
gefordert, von einer unfreien drei, von jedem Beisassen (accola) einer und von je
zwei Häuslern (de duobus hospitiis) auch einer, sowie der Zehnte von allem, was
in den Händen der Kaufleute zu sehen war; aber auch von den Geistlichen wurde,
je nach dem, was jeder besaß, eine Steuer (vectigal) erhoben und von allen Franken
der Heerbannschoß (heribanni) eingezogen. Dann wurde von jeder Manse, der
freien wie der unfreien, ein weiterer Denar erhoben, und endlich mußte zu zwei
Malen jeder der Großen des Reichs je nach dem, was er an Lehen besaß, einen Bei-
trag sowohl in Geld als in Wein leisten, um die Zahlung aufzubringen, die man mit
diesen Normannen ausgemacht hatte (adpensum persolvendum)“'4.
In der Not, fast ständig finanzielle Forderungen normannischer Truppen erfüllen
zu müssen, war es plausibler als sonst, die Abgabelasten jeweils reichsweit umzu-
legen. Das galt auch für das sogenannte Mittelreich. So erhob Lothar II. 864 „in
seinem ganzen Reich von jeder Manse vier Denare und gab die ganze Geldsumme
nebst einer großen Leistung an Mehl, Vieh, Wein und Bier dem Normannen Ru-
dolf [...] und den Seinigen als Tribut, der als eine Art Pacht deklariert war“35.
Die zur Erfüllung normannischer Tributforderungen durchgesetzten Umlagen
sind bereits in den Formen ihrer Abwicklung und der schnellen Durchführung ein-
drucksvoll; sie sind überdies bestechende Beispiele dafür, dass in gegebenenfalls
extremen Notsituationen auch in fränkischen Reichen exzellente Planung und
Durchsetzung administrativer Vorgaben realisierbar waren. In dieser Sehweise gibt
32 Einen Überblick bietet Kurt-Ulrich JÄSC'HKE, Burgenbau und Landesverteidigung um
900, Sigmaringen 1975, S. 33-80 („Die Normannenabwehr im Frankenreich“).
Annales Bertiniani ad 860 (Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 2), bearb. und
übers, von Reinhold Rau, Berlin o. J„ S. 103.
34 Ann. Bert, (wie Anm. 33) ad 866, S. 155.
35 Ebd. S. 129.
104
vor allem die Notlage Auskunft über effektive Formen ihrer Bewältigung be-
ziehungsweise auch über administrative Möglichkeiten der Durchsetzung.
Für die Jahrzehnte seit der Mitte des 9. Jahrhunderts lassen sich keine ein-
schlägigen Belege ermitteln, doch mag eine partielle Erfassungsparallele nachträg-
lich erwähnt werden. Die Fuldaer Annalen berichten zum Jahre 852, König Lud-
wig der Deutsche habe in Minden an der Weser einen allgemeinen Gerichtstag ge-
halten, auf dem er die vorgebrachten Streitigkeiten des Volkes nach gerechter Un-
tersuchung schlichtete. Erstaunlicherweise hat der König sodann eigene rechtliche
Forderungen auf Rückerstattung offenbar eigenen Besitzes gestellt mit dem Ergeb-
nis, „daß er die ihm zustehenden Besitzungen nach dem Urteil der Rechtssach-
verständigen des Volkes zurückerhielt {ad se pertinentes possessiones iuridicorum
gentis decreto recepit)“2,6. - Vielleicht zeigt sich an diesem Beispiel, dass selbst die
Erfassung von Königsgut nicht ganz einfach war.
In einer nicht gleichen, aber doch ähnlichen Situation befand sich Karl der Kah-
le. Die Annalen von St. Bertin berichten zu 869, Karl habe „im ganzen Reich den
Befehl ergehen [lassen], daß die Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen ein Verzeichnis
aller ihrer Lehen (breves de honoribus suis), so viel jedes Mansen hätte, bis zum
nächsten 1. Mai einreichen; die herrschaftlichen Vasallen sollten aber die Lehen
der Grafen (beneßcia) und die Grafen die Lehen der Vasallen (beneficia) verzeich-
nen und auf dem erwähnten Reichstage die Liste der Häuser vorlegen“3Das
Zeugnis lässt erkennen, dass dieser König den Überblick über die Benefizien für
eminent wichtig hielt, offenbar aber partiell verloren hatte. Charakteristisch ist die
Form der Erfassung: Order an die einen, eine entsprechende Aufstellung zu ma-
chen - und dann umgekehrt an die anderen, über ihre Partner eine entsprechende
Aufstellung zu fertigen. Das System der wechselseitigen Erfassung mag einen
Kontrollzweck intendiert haben, ist jedoch relativ einfach. Offen bleibt, ob es eine
dritte Kontrollmöglichkeit etwa am Hofe gegeben hat.
Großflächige, ja reichsweite Erfassungen setzen viel planerisches Geschick vo-
raus, das auch große Räume bereits annähernd kennt, mit Chancen und Schwier-
igkeiten umzugehen weiß. Wenn dann auch die Verschriftung der ermittelten Da-
ten vollauf gelingt, wird man von respektablen Verwaltungsleistungen sprechen
können! In dieser Hinsicht gibt es im großen Frankenreich wie später in frän-
kischen Teilreichen beachtliche Zeugnisse. Es ist aber schwer, die gleichwohl gro-
ßen Lücken zu beurteilen. Überlieferungsverluste wird man immer in Rechnung
stellen, doch wo, wann und wie sie entstanden, bleibt der Spekulation überlassen.
Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, dass Könige im Frühmittelalter Erfassungs-
maßnahmen einleiten und abschließen konnten, wobei letztlich das Terrain für spä-
tere anhaltende Maßnahmen bereitet wurde. Doch es gehört zu den Besonderheiten
der deutschen Geschichte, dass die beispielsweise naheliegendste Konsequenz ei-
ner auf Erfassungen aufbauenden Reichssteuer nicht realisierbar war. So ist es kein
Zufall, dass mit dem Ausgang der Karolingerzeit Zeugnisse erfassender Politik in
reichsweiten Zusammenhängen fehlen, da die Partikulargewalten einer zentralen 36 37
36 Annales Fuldenses ad 852 (Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 3), bearb. von
Reinhold Rau, Darmstadt 1960, S. 45. Vgl. Emst DÜMMLER, Geschichte des Ostfrän-
kischen Reiches, Bd. 1: Ludwig der Deutsche, Leipzig 21887, ND Darmstadt 1960, S. 366.
37 Ann. Bert, (wie Anm. 33) ad 869, S. 187.
105
Erfassungspolitik, in weiten Teilen auch einer Königs- oder Zentralgewalt wider-
standen.
Mit dem letzten Zeugnis aus dem 9. Jahrhundert ist die Reihe nicht sehr zahl-
reicher, aber doch eindrucksvoller Beispiele hier beendet. Für das 10. Jahrhundert
fehlen entsprechende Zeugnisse, und lediglich der sogenannte „Anschlag für ein
Zusatzaufgebot zum Romzug“ (981) wäre zu nennen denn er setzt immerhin eine
Gesamtmatrikel voraus, deren Gewicht in bedrängter Lage ergänzt werden musste.
Hierbei waren Erfassungsmaßnahmen in relevanter Form kaum nötig. Es ist aber
wohl angebracht, die speziellen Erfassungsformen knapp zu rekapitulieren, ehe ein
Ausblick angedeutet werden kann.
Erfassen bedeutet suchen, ermitteln, notieren, schriftlich fixieren, und zwar in
einer Art amtlichen Zugriffs. So enthält lateinisch discribere und describere einen
amtlichen oder mindestens halbamtlichen Ton, in substantivierter Weise dann in-
quisitio. Vor Ort werden vom discriptor die Auskünfte cum sacramento gefordert,
was eine gewisse Strenge anzeigt, zumal gelegentlich, aber ausdrücklich sine sa-
cramento erfasst wird38 39.
Im Normalfall scheint die Bevölkerung der betreffenden Ortschaft zusammen-
geholt worden zu sein, und dann standen einige Bewohner Rede und Antwort. Auf-
talligerweise sprechen manche Quellen von veratiores homines, von meliores ac
veraces oder veraces homines, von veratiores, und bei Gerhard von Augsburg wa-
ren es prudentiores et veraciores. Da solche hervorgehobenen Personen kaum ad
hoc ermittelt wurden, sondern in der jeweiligen Ortschaft bekannt waren, scheint
es, als fasse man in diesem Personenkreis eine Art Gemeinderat und erhalte unver-
muteten Einblick in die Frühphase der Landgemeinde. Dabei sollte man auch fest-
halten, dass die jeweiligen in den Ortschaften herausgehobenen Leute nicht als
„Ältere“ oder „Wohlhabende“ (boni homines etwa) bezeichnet werden. Erfahrung,
Klugheit und Ehrlichkeit erscheinen in diesen Zusammenhängen als Qualifi-
kationsfaktoren.
Nicht unwichtig sind technische Voraussetzungen der Erfassung, die schrift-
lichen Niederschlag fand. Als Beschreibstoff kamen gewiss vorrangig Tafeln aus
Wachs oder Schiefer in Frage. Da es sich hierbei um vergängliches Material han-
delt, sind die Überlieferungsverluste plausibel. Pergament galt im Allgemeinen als
zu teuer und kam eher für zusammenfassende Texte zur Verwendung. Aus der
Karolingerzeit weist ein knappes Verzeichnis in diese Richtung: eine um 805 ver-
fasste Liste von 37 sächsischen Geiseln, die aus Westfalen, Ostfalen und Engem
nach Mainz gebracht werden sollten - mit Angabe ihrer Namen und der bisherigen
Einzelzuordnung an fränkische Große40.
Ein knapper Ausblick erscheint angebracht. Zuallererst ist zu betonen, dass hier
das Interesse der Erfassung königlicher Ressourcen galt, zu deren Umfeld gewiss
auch Grundherrschaftsbereiche und Güterverzeichnisse gehören. Eigens wurden
diese jedoch nicht berücksichtigt, weil es sich um relativ kleinräumige und anders
38 MGH Const. I, hg. von Ludwig Weiland, 1893, Nr. 436, S. 633.
39 Z. B. MGH Capitularia I, S. 130, 300; II, S. 15.
40 Indiculus obsidum Saxonum Moguntiam deducendorum, MGH Capitularia I, Nr. 115, S.
233 f.
106
gelagerte Komplexe handelt und weil eine königliche Perspektive allenfalls indi-
rekt zu erkennen ist.
Die Erfassungsthematik verliert sich in ihrer großräumigen Ausrichtung im We-
sentlichen im Verlauf des Hoch- und Spätmittelalters. Nur einzelne Stränge bleiben
erkennbar. Dazu gehört zunächst die Personenerfassung unter militärischem As-
pekt. Sie war immer bedeutsam und ist ab 981 auch im Reich, freilich in mitunter
großen Sprüngen erkennbar.
Der betont herausgestellte Zusammenhang von Erfassung und Steuerwesen
bleibt offenkundig, wenngleich die zeitlich und sachlich vorgeschaltete Erfas-
sungsthematik eine gesonderte Betrachtung verdient. Diese Bemerkungen gelten
weiträumigen Verhältnissen vorrangig königlichen Zuschnitts, ln anderen Berei-
chen geht das Wissen um erfassende Politik mitunter nicht verloren, wie am Ende
des Mittelalters beispielsweise Volkszählungen belegen, etwa 1444 in Straßburg
und 1449/1450 in Nürnberg41 - erst die deutsche Moderne sieht in ihnen vermeint-
liche Herrschaftsinstrumente unzulässiger Art.
In der Geschichte der französisch-deutschen Grenze gab es aber spätestens seit
1387 sowie 1390 umfangreiche „Inquisitionen“ unter Einschluss der Erfassung und
Befragung von Zeitzeugen. Der französische König hatte sie angeordnet, und die
genaue Erfassung sollte der dauerhaften Festigung der Grenzen dienen42.
Ohnehin gehört an den Schluss der Betrachtung der Hinweis, dass die Enquêtes
in Frankreich eine besondere Entwicklung erfuhren. Zuletzt hat Dietrich Lohrmann
herausgearbeitet, dass es seit dem 13. Jahrhundert in Frankreich der königlichen
Verwaltung gelang, mit Hilfe der Enquêten das Land „administrativ zu erfassen“
und „politisch-rechtlich zu kontrollieren“43. Dieser Entwicklung versagte sich
Deutschland, und erst seit dem 19. Jahrhundert lernte es, die Enquête als parlamen-
tarischen Untersuchungsausschuss zu nutzen.
41 Quellen zur Wirtschafts- und Sozialgeschiehte mittel- und oberdeutscher Städte im Spät-
mittelalter, hg. von Gisela Möncke, Darmstadt 1982, Nr. 98 (Straßburger Volkszählung)
und Nr. 100 (Nürnberger Volkszählung).
4~ Thomas Trapp, Die französischen Enquêtes von 1387 und 1390. Ein Beitrag zur Lineari-
tät mittelalterlicher „Staatsgrenzen“, in: Grenzen erkennen - Begrenzungen überwinden.
Festschrift für Reinhard Schneider, hg. von Wolfgang Haubrichs, Kurt-Ulrich JÄSCHKE
und Michael Oberweis, Sigmaringen 1999, S. 317-332.
43 Dietrich Lohrmann, Raumbewußtsein und Raumerfassung in Frankreich nach Enquêten
der königlichen Verwaltung (13. Jahrhundert), in: Raumerfassung und Raumbewußtsein
im späteren Mittelalter, hg, von Peter Moraw (Vorträge und Forschungen 49), Stuttgart
2002, S. 155-178.
107
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Glasierte Irdenware des 13. und 14. Jahrhunderts.
Ein Forschungsbericht
Christel Bernard
Die Gefäßkeramik des Mittelalters ist für die Saargegend mit Ausnahme einiger
Fundkomplexe1 erst ansatzweise erforscht, und man ist von einem flächendecken-
den Kenntnisstand zu Vorkommen und Verbreitung einzelner Waren und Gefäß-
formen noch weit entfernt. Jedoch hebt sich bereits beim heutigen Forschungsstand
eine besondere keramische Fundgruppe von der Masse ab, die durch ihre außerge-
wöhnliche Gestaltung sofort ins Auge fällt. Während die unglasierte, grau ge-
brannte Irdenware2 spätestens seit dem 11. Jahrhundert den größten Anteil am ke-
ramischen Fundgut der Saarregion einnimmt und das Erscheinungsbild der Kera-
mik bis weit in das 15. Jahrhundert hinein prägt, werden Bruchstücke von glasier-
ter, reich verzierter Irdenware der zweiten Hälfte des 13. und des 14. Jahrhunderts
nur sehr selten gefunden. In vielen archäologischen Fundkomplexen, die in diesen
Zeitraum datieren, ist sie sogar überhaupt nicht vertreten. Dieser Sachverhalt wirft
die Frage auf, warum dieses Geschirr im Gegensatz zur alltäglichen Ware in der
Saargegend eine Sonderstellung einnimmt. Gewiss kann man ein Zusammenspiel
vieler Aspekte als Ursachen dafür heranziehen, die sowohl die Technologie, den
Handel, politische Grenzen als auch die soziale Gliederung der Bevölkerung
betreffen (Abb. 1, S. 296).
Gewöhnliche Irdenware und glasierte Ware im Vergleich
Um den relativen Wert der glasierten und besonders der reich verzierten Keramik
auf dem damaligen Markt einzuschätzen, ist es vorteilhaft, sich vorab den Herstel-
lungsprozess des Alltagsgeschirrs vor Augen zu führen: Das übliche graue Ge-
schirr stellte man aus einer einzigen Tonart her, die die Töpfer aus möglichst in der
Nähe verfügbaren Tonlagern gewonnen und aufbereitet hatten. Auf der fußbetrie-
benen Töpferscheibe wurden sodann Gefäße gedreht und die Gefäßoberflächen
lediglich flüchtig geglättet. Die Gefäße blieben somit mehr oder minder rauwandig,
und die Offenporigkeit und Hitzebeständigkeit sind wesentliche Eigenschaften die-
1 Christel Bernard, Die Keramik im spätmittelalterlichen Kreuzgangbereich des Stiftes St.
Arnual, in: Leben und Sterben in einem mittelalterlichen Kollegiatstift, Archäologische
und baugeschichtliche Untersuchungen im ehemaligen Stift St. Arnual in Saarbrücken,
hg. von Hans-Walter Herrmann und Jan Selmer (Veröffentlichungen des Instituts für
Landeskunde im Saarland 43), Saarbrücken 2007, S. 361-390; Dies., Die Keramikfunde
vom Alten Brühl in Völklingen, in: Wiege einer Stadt - Forschungen zur Martinskirche
im Alten Brühl von Völklingen, hg. von Joachim Conrad, Saarbrücken 2010, S. 149-
190; Edith Peytreman, L'habitat déserté de Gungling à Grosbliederstroff (Moselle), IXe-
début XVIe siècle, in: Archéologie Médiévale, Centre National de Recherche Scientifique
(CNRS) Éditions, 36 (2006), S. 57-113, hier S. 95f, Abb. 33.2.
Als Irdenware bezeichnet man Keramik, deren einzelne Bestandteile nicht miteinander
verschmolzen sind, da sie unterhalb des Sinterpunkts, das heißt bei Temperaturen von ca.
800-1000°C gebrannt wird. Dadurch bleibt der Scherben offenporig und wasserdurch-
lässig.
109
ser Keramikart. Der Gefäßrand wurde während des Drehens häufig unter Zuhilfe-
nahme eines schablonierten Holzes profiliert, und je nach Bedarf wurden an das
frisch gedrehte Gefäß Henkel und Tülle angamiert. Für den Verwendungszweck
als Kochtopf am offenen Feuer, als Vorratsgefäß zur Aufbewahrung von Lebens-
mitteln, das durch Auflegen eines Deckels den Inhalt vor Schädlingen sicherte, und
ebenso gut zum Aufträgen von Speisen und Getränken am Esstisch genügten
schlicht gestaltete keramische Behältnisse vollauf. Zumindest während des Hoch-
mittelalters wurde ein geringes Spektrum an Gefäßformen für vielerlei Zwecke zu-
gleich eingesetzt. Insbesondere dominierten rundlich-gedrungene Töpfe3. Der
überwiegende Teil der Keramik blieb unverziert. Falls man Gefäße dekorierte, so
bestanden die allermeisten Ornamente nur aus horizontalen Rillen, die auf der
schnell drehenden Scheibe mit einem Profilkamm auf dem frisch gedrehten Ge-
fäßkörper angebracht wurden. Sehr selten erfolgte nach dem Drehen eines Gefäßes
eine Verzierung durch Stempel, entweder einzeln eingedrückt oder horizontal
abgerollt, oder durch umlaufend eingeritzte Wellen- oder Zickzacklinien. Ebenso
selten wurden plastische Bänder aufgelegt. Demnach umfasste der gesamte Her-
stellungsprozess bis zum Brennen nur wenige Arbeitsschritte. Solche einfache,
größtenteils unverzierte Keramik wurde vermutlich von vielen kleinen Töpfereien
hergestellt und üblicherweise in den Haushaltungen der nahen Umgebung des Her-
stellungsortes verbraucht4 5 6. Man nimmt an, dass es insbesondere im Hochmittelalter
in kleinen Siedlungen auch Töpferöfen gab, die nur periodisch betrieben wurden,
um den Eigenbedarf der Bewohner an schlichten Gefäßen zu decken , ln diesem
Fall kann man vermuten, dass die Keramikproduktion vielleicht nicht von einem
spezialisierten Töpfer oder einer Töpferin ausgeführt wurde, sondern von Mit-
gliedern der bäuerlichen Gemeinschaft im Rahmen des im Jahreslauf vielfältig an-
fallenden Hauswerks. Bis zum 14. Jahrhundert änderten sich die Gefäßformen
prinzipiell wenig, und auch ihre Multifunktionalität blieb bis dahin bestehen. Zu
einer größeren Formenvielfalt kam es im 14. Jahrhundert, als man anstelle der
universell verwendeten, rundlichen Töpfe spezielle Gefäße für verschiedene
Zwecke entwickelte (Abb. 2, S. 296). Dies könnte mit einem Wandel der Nah-
rungszubereitung und Tischsitten Zusammenhängen''. Insbesondere kamen Krüge
aus grauer Irdenware hinzu, die man gemäß einem Bedürfnis nach schön gestal-
teten Alltagsgegenständen gern mit Ritzungen oder Stempelabrollungen verzierte7.
Es ist anzunehmen, dass sie als Schankgeschirr bei Tisch dienten.
Christel Bernard, Die Gefäßkeramik saarländischer Burgen - ein Forschungsdesiderat.
Erste Einblicke, in: Beiträge zum 1. Saarländischen Burgensymposion, hg. von Hans-
Joachim KÜHN, Saarbrücken/Münster 2009, S. 11-46, hier S. 40, Taf. 2 und Onlinefas-
sung URL: http://www.zeitensprung.de/KeramikBurgenSaar.pdf, S. 40, Taf. 2.
4 Archäologische Untersuchungen über die Verbreitungsmuster von Töpferwaren belegen,
dass im Gegensatz zum hochwertigen Geschirr verschiedener großer Töpferzentren ein-
fache Gebrauchswaren in der Regel nicht weit transportiert, sondern von Kunden im
näheren Umkreis des Herstellungsortes abgenommen wurden.
5 Zum Beispiel ein Töpferofen im Dorf Gungling, 11. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts:
Peytreman, Gungling (wie Anm. 1), S. 74-76.
6 Collectif, „Périodisation et régionalisation de la céramique médiévale en Alsace“, in:
Encyclopédie de l'Alsace 3 (1983), S. 1430-1440.
Bernard, Gefäßkeramik Burgen (wie Anm. 3), S. 41, Taf. 3.
110
Wenn man von der Betrachtung der grauen Irdenware zur glasierten Irdenware
zurückkommt, so unterscheidet sich letztere vom Alltagsgeschirr allein schon da-
durch, dass es sich entgegen dem universell nutzbaren Geschirr aus grauer Irden-
ware bei der glasierten Keramik fast ausschließlich um Schankgeschirr handelte.
Ihre Herstellung erforderte einen höheren Arbeitsaufwand, und zwar allein schon
für das Aufbereiten der verschiedenen Materialien und im Falle der glasierten,
reich verzierten Irdenware zusätzlich für schmückende Applikationen. Es war
schließlich nicht nur eine einzige Tonmasse aufzubereiten, sondern zusätzlich zum
Ton, aus dem man die Gefäße drehte, noch eine oder eventuell sogar zwei weitere
Sorten: Häufig verwendete man nach der Ausformung der Gefäße, jedoch noch vor
dem Anbringen weiterer Verzierungen eine Engobe. Dieser sehr feine Tonschlicker
wurde flächendeckend als dünner Überzug auf die rohen Gefäße aufgetragen, um
eine glattere, oft farblich intensivere Oberfläche zu erzielen. Danach wurden die
Gefäßkörper verziert, zum Beispiel durch umlaufende Rillen auf den Gefäßschul-
tern (Abb. 3, S. 297). Wollte man plastische Dekore anbringen, benötigte man
einen weiteren feinen, möglichst hell brennenden Ton. Ein Teil der Applikationen
wurde zuerst in Modeln geformt, bevor sie angebracht wurden, andere wiederum
wurden erst nach dem Aufbringen gestempelt (Abb. 4, S. 297) oder durch Ein-
kerben modelliert. Darüber hinaus mussten die Glasuren hergestellt werden. Hierzu
wurden neben Quarzsand als Hauptbestandteil und Bleioxid als Flussmittel zur
Herabsetzung des Schmelzpunkts verschiedene färbende Rohstoffe beschafft, denn
die transparenten Bleiglasuren wurden durch Zugabe weiterer Mineralien einge-
fürbt. Die häufig verwendete gelblich-transparente Glasur enthielt zum Beispiel
Bleimennige. Alternativ wurden der Grundmasse zum Beispiel Kupfer-II-Oxid für
eine im oxidierenden Brand grünliche und Eisenoxid für eine braune Färbung zu-
gegeben\ Alle diese Ausgangsstoffe wurden nach bestimmten Rezepturen ver-
wogen, möglichst fein ausgemahlen, gemischt und mit Wasser zu dünnflüssigem
Brei angerührt. Dies war aufgrund der giftigen Bestandteile ein gesundheitsschäd-
licher Arbeitsprozess, denn das Einatmen der bleihaltigen Stäube oder der Haut-
kontakt mit dem Glasurbrei ließen sich gewiss nicht im notwendigen Umfang
vermeiden* 9. Auf die Außenseite der fertig verzierten, trockenen und eventuell
schon einem ersten Brand bei niedrigerer Temperatur, dem so genannten Schrüh-
brand, unterzogenen Gefäße wurde der Glasurbrei dünn und gleichmäßig aufge-
tragen111. Erst nachdem dieser getrocknet war, wanderten die Rohprodukte in den
Karl Herold, Konservierung von archäologischen Bodenfunden. Metall, Keramik, Glas
(Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, Sit-
zungsberichte, 565. Bd.), Wien 1990, S. 88-91; Michael Cardew, Der Pionier Töpfer,
Bonn 1980, S. 140.
9 Bernd PFANNKUCHE, Dumont's Handbuch der Keramikglasur, Köln 1984, S. 215: „[...]
sind eine große Anzahl der keramischen Rohstoffe gesundheitsgefährdend. Über längere
Zeit dauernder unsachgemäßer Umgang mit diesen Stoffen kann zu Hautkrankheiten,
Staublunge, Störungen des Muskel- und Nervensystems und selbst zu Krebs führen. Am
gefährlichsten sind diese Stoffe im staubförmigen Zustand [...] und in Form von Gasen,
die beim Brennprozeß freigesetzt werden. Die Aufnahme kann durch Einatmen, beim
Essen und Trinken und manchmal durch die Haut erfolgen.“
Unter den archäologischen Funden des Töpfereibezirks in Metz-Pontiffroy waren Ge-
fäße, die bereits einmal gebrannt, aber noch unglasiert waren. Sie waren wegen Mängeln
aussortiert und weggeworfen worden. Die Autoren und Autorinnen betonen jedoch, dass
111
Brennofen. Bis die Gefäße schließlich zum Brennen bereit waren, waren folglich
viel mehr Arbeitsschritte, Zeit, Kreativität sowie Investitionen nötig als bei der
üblichen grauen Irdenware (Abb. 5, S. 298).
Die aufwändige Herstellungsweise und höheren Materialkosten mündeten ohne
Zweifel in einen höheren Verkaufspreis, und demnach kann man davon ausgehen,
dass vor allem die besonders schmuckvollen Krüge vermögenderen Haushalten
Vorbehalten blieben. Gewiss beruht die große Seltenheit dieser Gefäße weiterhin
darauf, dass im 13.-14. Jahrhundert noch längst nicht jede Töpferei die Techno-
logie des Glasierens kannte und beherrschte. Sie wurde deshalb wahrscheinlich nur
von verhältnismäßig wenigen Herstellern vertrieben, und wer sich dieses zu seiner
Zeit optisch herausragende Geschirr leisten wollte und konnte, war gegebenenfalls
auf dessen Bezug aus entfernteren Produktionsorten angewiesen.
Die Verbreitung der glasierten, reich verzierten Irdenware und
mögliche Konkurrenzprodukte
Bei der Nachforschung, in welchen Regionen solche Funde bisher archäologisch
nachgewiesen wurden, deutet sich an, dass die glasierte, reich verzierte Irdenware
nicht überall vertreten ist. Dies dürfte eine Forschungslücke sein, und gewiss sind
viele Fundstellen bislang unbekannt. Schließlich warten nicht nur im Saarland in
den archäologischen Funddepots vorhandene Keramikkollektionen aus dem Mittel-
alter noch auf eine wissenschaftliche Auswertung. Insbesondere werden Fragmente
glasierter Irdenware des 13. und 14. Jahrhunderts beim flüchtigen Blick leicht mit
jüngerer glasierter Ware verwechselt, wenn man die Charakteristika der spätmittel-
alterlichen Glasuren nicht kennt* 11. Dies gilt vor allem dann, wenn die gefundenen
Fragmente außer der Glasur keinen typischen Dekor aufweisen. Jedoch zeichnet
sich ab, dass der fehlende Nachweis glasierter Keramik der betreffenden Zeitstel-
lung nicht nur im lückenhaften Forschungsstand begründet ist, sondern dass der-
artige Ware vorrangig in Siedlungshorizonten des nordwesteuropäischen Raumes
rund um Nordsee und Ärmelkanal auftritt. In den Landschaften zwischen Somme
und Ems findet man sie, insbesondere im nördlichen Gebiet des heutigen Frank-
reich und westlich der Schelde in Kronflandem, während sie in anderen Regionen
selten oder überhaupt nicht vorkommt. Vermutlich entstand die glasierte, reich ver-
zierte Irdenware im späten 12. Jahrhundert im südlichen England und ihre Her-
stellung wurde bis gegen Ende des ersten Viertels des 13. Jahrhunderts in vielen
Töpferzentren aufgenommen. In Frankreich verbreitete sich die glasierte, reich
verzierte Irdenware bis ungefähr nördlich der Linie Lyon-Bordeaux im Laufe des
13. Jahrhunderts. In der Ile-de-France, der Champagne und Lothringen wurden an-
scheinend noch im 14. Jahrhundert reich verzierte, glasierte Waren hergestellt,
während sie in den Ursprungsgebieten bereits nicht mehr geläufig waren. Auch in
dieser Befund noch kein Beweis für die stete Durchführung des Schrühbrands darstellt:
Nathalie Dautremont, Daniel Dufournier, Murielle Georges-Leroy und Milan
Milutinovic, La production potière des XIIIe-XVe siècles du quartier du Pontiffroy à
Metz (Moselle): Les fouilles 1987-1988, in: Revue Archéologique de l'Est 51
(2001/2002), S. 361-414, hier S. 380.
11 Zur Charakteristik der jüngeren glasierten Irdenware, deren Herstellung vielerorts im 15.
Jahrhundert begann, siehe Bernard, Gefäßkeramik Burgen (wie Anm. 3), S. 22.
112
den oben genannten Verbreitungsgebieten war glasierte Irdenware nicht häufig,
und vor allem diejenige glasierte Keramik, die zudem noch reich verziert war,
stellte offensichtlich ein teures Gut dar12 *. Konzentriert man den Blick auf die Saar-
gegend und ihre Nachbarn, so stellt man fest, dass die meisten Fundobjekte der
glasierten, reich verzierten Irdenware aus der Saargegend große Ähnlichkeit mit
den Gefäßen aus Lothringen aufweisen. Sie unterscheiden sich jedoch vollkommen
von den Funden beiderseits des Oberrheins, wo man ebenfalls glasierte Keramik
aus spätmittelalterlichen Kulturschichten kennt.
So kommt im Breisgau glasierte Irdenware ab der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts vor11. Auch aus dem Eisass liegt ein schriftlicher Beleg für die Herstel-
lung glasierter Irdenware für 1283 in Schlettstadt (Selestat) vor14. Entsprechende
archäologische Funde aus dem Eisass sind jedoch spärlich publiziert. In der un-
mittelbaren Umgebung eines Töpferofens aus Straßburg, in dem gegen Ende des
14. Jahrhunderts glasierte Irdenware gebrannt worden war15, wurden Fehlbrände
dieser Keramikart geborgen. Weiterhin wurde aus einem Straßburger Siedlungs-
befund eine grün glasierte, mit Nuppen besetzte Flasche bekannt, die vermutlich in
das späte 14. Jahrhundert datiert1'1. Dagegen ist aus den Trierer Grabungsbefunden
solche glasierte, reich verzierte Irdenware nicht bekannt.
Auf der Suche nach den möglichen Gründen für diese unterschiedliche Fund-
dichte kann man, abgesehen von der vorhandenen Forschungslücke, Folgendes in
Erwägung ziehen: So ist es grundsätzlich vorstellbar, dass die glasierte, reich
verzierte Irdenware dort weniger Abnehmer fand, wo man Schankgefäße aus an-
deren Materialien, zum Beispiel Metallkannen, bevorzugte. Da Metall in den sel-
tensten Fällen einer späteren Wiederverwendung durch Einschmelzen entgangen
ist, lässt sich dazu anhand der Sachkultur allein nur schwerlich eine Aussage tref-
fen, und die schriftliche Überlieferung zum 13.-14. Jahrhundert wird in dieser Hin-
sicht vermutlich wenig ergiebig sein. Denkbar wäre zum Beispiel auch die alter-
native Verwendung von Krügen und Kannen aus Steinzeug17. Diese Keramik wird
12 Frans Verhaeghe, Aspects sociaux et économiques de la céramique très décorée.
Quelques réflexions, in: Nathalie Dautremont, Daniel Dufournier, Murielle Georges-
Leroy, Un atelier de potier des XIIIe-XIVe siècles à Metz (Moselle), in: La céramique
très décorée dans l'Europe du Nord-Ouest (Xe-XVe siècle), Actes du colloque de Douai
(7-8 avril 1995), Nord-Ouest Archéologie 7 (1996), S. 233-247, hier S. 233f.
11 Stefan Kaltwasser, Keramik im Breisgau, in: Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Die
Stadt um 1300, Stuttgart 1992, S. 324-326.
14 Yves Henigfeld zitiert die Annalen der Dominikaner von Colmar. Ders., La vaisselle
céramique de l'Alsace du XIVe au XVIe siècle, in: La cuisine et la table dans la France de
la fin du Moyen Âge, hg. von Fabienne RAVOIRE/Anne Dietrich, (Publications du
Centre de Recherches Archéologiques et Historiques Médiévales CRAHM), Caen 2009,
S. 282.
15 Ebd., S. 284.
16 Marie-Dominique Waton, Zur Abortgrube umgebauter Keller, in: Leben im Mittelalter.
30 Jahre Mittelalterarchäologie im Eisass, Katalog, hg. von Meinrad Maria Grewenig,
Speyer 1992, S. 128 und Nr. 1.98 Tonkrug, S. 173f.
Steinzeug wird bei ca. 1200-1300°C gebrannt. Bei diesen hohen Temperaturen kommt es
zu einer Sinterung des Scherbens, das heißt, die Bestandteile der Tonmasse schmelzen
weitgehend auf. Dadurch sind im Bruch kaum noch Magerungspartikel zu erkennen. Nur
bestimmte, bei hoher Hitze noch standfeste Tone eignen sich zur Steinzeugherstellung.
Daher wurde Steinzeug im Gegensatz zur Irdenware nur an wenigen Standorten produ-
113
bei sehr hohen Temperaturen gebrannt und hat dadurch einen versinterten wasser-
undurchlässigen Scherben. Sie ist darüber hinaus sehr stoßfest und somit im Ge-
brauch gewiss robuster als die glasierte Irdenware. Steinzeuggeschirr aus den
großen Töpferzentren am Niederrhein in Siegburg, Raeren und Langerwehe wurde
ab dem 13. Jahrhundert entlang der Wasserwege weithin vertrieben. Es wurde ab
dem frühen 14. Jahrhundert auch im nördlichen Eisass hergestellt18, wenn auch die
dortige Produktion in bescheidenerem Umfang als im Rheinland blieb. Das große
Angebot von niederrheinischem Steinzeug, das moselaufwärts vertrieben wurde,
könnte die Ursache für das Fehlen glasierter Irdenware aus dieser Zeit im Trierer
Land darstellen. Sogar rund 150 km weiter moselaufwärts und somit im Einzugs-
gebiet von Metz lässt sich dieses Phänomen beobachten: An der Fundzusammen-
setzung im Château de l’Avant-Garde in Pompey nahe Nancy zeichnet sich ab, dass
dort die zunächst verwendete, reich verzierte, glasierte Irdenware von jüngerem
Steinzeug als Schank- und Trinkgeschirr abgelöst wurde, das wahrscheinlich eben-
falls von den niederrheinischen Töpferzentren geliefert wurde* 14. Ob allerdings die
These einer Bevorzugung des Steinzeugs gegenüber der glasierten, reich verzierten
Irdenware im Allgemeinen haltbar ist, bedarf einer eingehenden flächendeckenden
Analyse von spätmittelalterlichen Keramikfunden.
Lenkt man den Blick wieder zurück auf die Saargegend, so lässt sich sagen, dass
die Region abseits der hauptsächlichen Verbreitungswege des Steinzeugs gelegen
zu haben scheint, denn soweit es derzeit zu beurteilen ist, wurde hier viel weniger
Steinzeug benutzt als zum Beispiel im Trierer Land.
Inwiefern die Verbreitungsbilder verschiedener, vermutlich importierter Kera-
mikarten, wie zum Beispiel der glasierten, reich verzierten Irdenware und des
Steinzeugs, in der Saargegend eventuell mit politischen Grenzen und Bistumsgren-
zen Zusammenhängen könnten, wäre ebenfalls zu untersuchen.
Metz als Produktionszentrum glasierter, reich verzierter Irden-
ware
Schaut man, wo in nächster Nähe größere Fundvorkommen der glasierten, reich
verzierten Irdenware verzeichnet sind, stößt man zuerst auf Metz, wo eine
umfangreiche Kollektion dieser Gefäße im Musée de la Cour d'Or ausgestellt wird.
Während der 1980er Jahre konnte im nördlichen Metzer Stadtbereich im Pontiffroy
ein Töpfereibezirk ausschnittsweise archäologisch erforscht werden, wo man spä-
testens ab dem letzten Drittel des 13. und im 14. Jahrhundert glasierte, reich ver-
zierte Keramik neben schlichterer glasierter und gewöhnlicher Irdenware herge-
stellt hatte20. Außer den Resten von mehreren Brennöfen fand man Abwurfhalden,
ziert, die sich in der Nähe der entsprechenden Tonlagerstätten ansiedelten.
Ix Yves Henigfeld, La céramique à Strasbourg de la fin du Xe au début du XVIIe siècle,
(Publications du Centre de Recherches Archéologiques et Historiques Médiévales
CRAHM), Caen 2005, S. 216-218, 237-239.
14 Vergleiche die typologischen Tafeln von Agnieszka KoziOL, La céramique commune, S.
168 und Cédric MOULIS, La céramique en grès, S. 198, in: Le Château de l'Avant-Garde à
Pompey. Tome 1: Céramiques et verres du Moyen Âge et de la Renaissance, hg. von
Gérard Giuliato, Nancy 2010.
20 Murielle Georges-Leroy, Pichet très décoré, in: Metz médiéval, Katalog, Metz 1996, S.
73, Nr. 19, Taf. 10.
114
wohin missratene Produkte entsorgt worden waren. Die Untersuchung solcher
Abfallhaufen oder -gruben bei Töpferöfen bietet in aller Regel einen guten
Überblick über die Gesamtheit der hergestellten Gefäße, da es immer wieder ein-
mal vorkam, dass fertige Gefäße direkt nach dem Brand zerbrachen oder wegen
verschiedener Qualitätsmängel aussortiert wurden. Gelegentlich misslang auch
eine ganze Ofenladung, weil die Temperatur zu hoch war und das eingestellte kera-
mische Brenngut sich dadurch verformte. Die Untersuchung der Gefäßfragmente
aus den Ablagerungen im Töpfereibezirk von Metz-Pontiffroy ergab, dass die gla-
sierte, reich verzierte Irdenware nur einen Teil der gesamten Herstellung ausmachte,
und dass es fast ausschließlich Krüge waren, die in dieser besonders aufwändigen Art
hergestellt wurden. Es ließen sich in der Gesamtheit der Gefäße aus glasierter, reich
verzierter Irdenware zwei Gruppen unterscheiden, die sich sowohl in der
Beschaffenheit des Scherbens als auch den Verzierungsarten unterscheiden. Die
Datierung der Befunde kann sich nur auf wenige Anhaltspunkte stützen. Es ergab
sich ein terminus post quem über eine Münze (1249-1277), die in der Verfüllung
eines Brennofens gefunden wurde, und über zwei Reiterfigürchen aus Keramik, die
stilistisch an die Wende des 13. zum 14. Jahrhundert einzuordnen sind. Mit Hilfe
der Archäomagnetik konnte das Nutzungsende eines Ofens zwischen 1360 und
1440 datiert werden“1. Allgemein können die in Metz aufgefundenen Dekorformen
in den Raum Nordfrankreich/Belgien/Niederlande eingeordnet werden.
In den archäologischen Befunden des 13. und 14. Jahrhunderts in der Stadt Metz
ist die genannte Ware der schlichteren und wahrscheinlich jüngeren Gruppe 1
verbreitet, während aus einigen umliegenden Dörfern jeweils noch wenige Scher-
ben dieser Keramik stammen. Dies entspricht den Beobachtungen von Ver-
haeghe, dass die mit großer Sorgfalt hergestellten, reich verzierten Gefäße am
Anfang der Entwicklung standen und mit der Popularisierung die Dekore einfacher
wurden22. Ansonsten sind vereinzelte Funde dieser glasierten, reich verzierten
Keramik vor allem im Einzugsgebiet der Mosel bis in ca. 40-50 km Umkreis von
Metz bekannt geworden, beispielsweise in Pont-ä-Mousson, Nancy, Toul, Vaucou-
leurs, Yutz, Puttelange-les-Thionville sowie in Vic-sur-Seille 23. Soweit zu den
Fundstätten in Lothringen.
1 Vermutlich sind in Metz die Gefäße der Gruppe 1, die auf Hals und Bauch jeweils
einheitliche Stempelauflagen in Form von Beerennuppen, Kreuzen, Kreisen, Spiralen
oder Blumen aufweisen, jünger als diejenigen der aufwändiger verzierten Gruppe 2 mit
kombinierten Dekoren. Letztere sind häufig zweifarbig durch die Verwendung hellen
Tons für die Applikationen sowie durch unterschiedlich gefärbte Glasuren und zeichnen
sich weiterhin durch die Kombination von verschiedenen Stempelauflagen mit frei mo-
dellierten Applikationen aus. Nathalie Dautremont, Daniel Dufournier und Murielle
Georges-Leroy, Un atelier de potier des XIlL-XIV* siècles à Metz (Moselle), in: La
céramique très décorée dans l'Europe du Nord-Ouest (X°-XVe siècle), Actes du colloque
de Douai (7-8 avril 1995), Nord-Ouest Archéologie 7 (1996), S. 26.
22 Verhaeghe, Aspects sociaux (wie Anm. 12), S. 235.
Dautremont, Dufournier, Georges-Leroy, Un atelier de potier (wie Anm. 21), S. 25
Abb. 13, S. 26.
115
Fundorte in der Saargegend
In der Saargegend ähneln viele der bislang bekannt gewordenen Fundstücke der
glasierten, reich verzierten Irdenware den Funden aus dem französischen Raum
und insbesondere denjenigen aus Metz. Aus ihrer geringen Funddichte in der
Saarregion kann man schließen, dass man sich hier an der östlichen Peripherie des
französischen Verbreitungsgebietes der glasierten, reich verzierten Irdenware be-
findet. Drei Fundstellen reihen sich entlang des mittleren Saartals auf:
Im großen keramischen Fundkomplex aus dem Kreuzgang der Stiftskirche St.
Arnual, Saarbrücken, wurden Fragmente eines Kruges entdeckt24 sowie einzelne
Wandscherben von zwei weiteren Gefäßen, davon eine Scherbe mit aufgelegter
Beerennuppe. Die makroskopisch feststellbare Ähnlichkeit des Scherbens und der
Beschaffenheit der Glasur lässt annehmen, dass zumindest eines der Gefäße ein
Metzer Produkt sein könnte.
Auf dem Friedhof an der Alten Martinskirche in Völklingen wurden einige
Scherben von drei oder vier glasierten, reich verzierten Gefäßen nachgewiesen"5.
Dabei handelte es sich um glasierte Krüge. Ein Randfragment ist mit einer in hel-
lerem Ton applizierten Beerennuppe verziert.
Und nicht zu vergessen ist die Wüstung Gungling bei Großblittersdorf, in der
wenige Wandungsscherben glasierter Irdenware, verziert mit Beerennuppen,
gefunden wurden26. Die chemische Analyse eines Fragments aus Gungling ergab,
dass das Gefäß aus demselben Ton gefertigt worden war, wie er in Metz, Pontif-
froy, verwendet wurde27.
Keinesfalls sollte man bei den Aufzählungen der Fundorte außer Acht lassen,
dass diese nur den aktuellen Forschungsstand archäologisch komplett analysierter
Fundkomplexe berücksichtigen. Insbesondere auf Adelssitzen darf man in Schich-
ten des 13. und 14. Jahrhunderts noch weitere Scherben dieser Luxusware erwar-
ten. wie man an den archäologischen Funden von Burg Kirkel erkennen kann,
deren keramischer Fundkomplex sich derzeit in der wissenschaftlichen Bearbei-
tung befindet: Den spärlichen Fundmengen im Saartal steht auf Burg Kirkel eine
Kollektion von mindestens 20 fragmentarischen Krügen gegenüber, von denen
dem Augenschein nach die Mehrzahl ebenfalls aus Metz stammen könnte.
Die glasierte, reich verzierte Irdenware von Burg Kirkel
Fundsituation
Bei der Freilegung eines etwa 5 m tiefen Schachtes auf der Oberburg (Abb. 6, S.
298), der vielleicht ursprünglich als Filterzisterne angelegt worden war und seit
ungefähr dem 11. Jahrhundert als Keller für die benachbarte Küche gedient hatte28,
stieß man auf eine Vielzahl von Keramikscherben von Gefäßen und frühen Ofen-
kacheln, auf Tierknochen, Asche und Holzkohlepartikel, um nur die hauptsäch-
” Bernard, Keramik St. Amual (wie Anm. 1), S. 380, S. 387 Taf. 8A 3, 5.
2 Dies., Keramikfunde Völklingen (wie Anm. 1), S. 173f. Taf. 12.1-4, S. 188.
26 Peytreman, Gungling (wie Anm.l), S. 95f. Abb. 33.11.
2 Dautremont, Dufournier, Georges-Leroy und Milutinovic, La production potière
(wie Anm. 10), S. 378f.
28 Christel Bernard, Burg Kirkel, in: Pfälzisches Burgenlexikon 3 (2005), S. 151 und 157.
116
liehen Objektgruppen zu nennen, die im Laufe der Jahrhunderte hinein geraten
waren-\ Leider war der Keller, der eine Grundfläche von circa 3 m im Quadrat
aufweist, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts partiell schon bis zur Sohle in
circa 5 in Tiefe aufgegraben worden: Zwei annähernd senkrechte Störungen aus
dieser Zeit ließen sich erkennen. Von den ursprünglich vorhandenen Ablagerungen
waren deshalb nur noch geringe Bereiche an den Schachtwänden in situ erhalten
geblieben, an denen man eine stratigrafische Abfolge vom circa 11. Jahrhundert bis
circa zum frühen 15. Jahrhundert erkennen konnte. Anscheinend hatte sich das
Bodenniveau des Schachts allmählich durch die Ablagerungen angehoben. Das
während der Grabung im früheren 20. Jahrhundert ausgehobene Erdmaterial war
nach Beendigung der Maßnahme wieder locker in die beiden Löcher gefüllt
worden, und im eingefüllten Material konnten 1994-1995 während der vollstän-
digen archäologischen Freilegung des Schachtes noch viele Fundstücke entdeckt
werden. Ein Jahr später fanden sich nochmals Erdmassen, die ebenfalls während
der Grabung im 20. Jahrhundert aus dem Schacht gefördert und nach Osten den
Schutthang der Oberburg hinab geworfen worden waren. Auch sie enthielten
weitere Keramikfragmente, die an Scherben anpassten, die zuvor aus dem Schacht
selbst geborgen worden waren. Sämtliche Fragmente der glasierten, reich ver-
zierten Irdenware wurden im Schacht gefunden oder verworfen in dem am Osthang
abgelagerten Aushub gefunden.
Es ließen sich in der Gesamtheit der Keramikfunde mindestens 20 glasierte
Krüge unterscheiden, eventuell sogar einige mehr, denn einige Scherben passten in
ihrer Beschaffenheit nicht zu den identifizierten Gefäßen. Leider waren von
keinem der Krüge sämtliche Bruchstücke gefunden worden, so dass kein einziger
vollständig wieder zusammengesetzt werden konnte. Dennoch gelang die zeichne-
rische Teilrekonstruktion mehrerer Gefäße derart weitgehend, dass gesicherte Aus-
sagen zu Größe und Form der Objekte ablesbar werden. Soweit die Gefaßform er-
sichtlich ist, handelt es sich allgemein um bauchige einhenkelige Krüge mit zylin-
drischem bis leicht konisch erweitertem Hals und meist flachem Standboden. Die
meisten Randlippen sind leicht dreieckig verdickt und zur Innenseite schräg ab-
fallend. Die Henkel mit überwiegend rundlichem bis ovalem Querschnitt setzen
knapp unterhalb der Mündung an und reichen bis zur Schulter herab. Häufig kann
man an der oberen Ansatzstelle der Henkel von der Halsseite her eine Druckmulde
erkennen. Die Glasuren sind meistens durchscheinend und gelb-bräunlich bis
olivgrün eingefarbt. Farblich wirken sie unterschiedlich je nach ihrer Auftragsdicke
sowie nach dem Farbton des Scherbens, auf den sie aufgetragen wurden. Es lassen
sich je nach der Gefäßform, dem Scherben und der Glasur mehrere Gruppen
glasierter Gefäße unterscheiden* 30.
Die sorgfältige Grabung und Befunddokumentation besorgte Alexander Recktenwald.
Eine ausführliche Publikation mit einem Katalog der vielfältigen Funde steht noch aus.
30 Der Scherben wurde im Tageslicht bei zwölffacher Vergrößerung an den Bruchflächen
hinsichtlich seiner Farbe, seiner Konsistenz und der Struktur der Magerungsbestandteile
begutachtet. Bei der Magerungsmenge wurde nach schwach, mittel und stark unter-
schieden und die Körnung der Magerungspartikel mittels Fadenzählerlupe mit 1/10 mm
Skala vermessen.
117
Gruppe 1 (Tafel 1)
Zunächst sind Krüge zu nennen, die einen schlichten Dekor aus horizontal um-
laufenden Rillen und schmalen Leisten auf der Schulter tragen, gelegentlich auch
flache Kanneluren auf der Schulter oder zum Hals hin besitzen (Taf. 1.2, S. 301
und Abb. 3, S. 297). Die fünf Krüge dieser Gruppe wurden reduzierend grau ge-
brannt. Da man gegen Ende der Brenndauer den Eintritt von Frischluft in den Ofen
gewährte, erhielten die Gefaßoberflächen einen rötlichen Anflug durch die mehr
oder weniger kurzfristig eintretende Oxidation des im Scherben enthaltenen Eisens.
Dadurch wurde insbesondere die auf der Außenseite aufgetragene eisenhaltige
Engobe rot gebrannt. Auf der relativ rauen äußeren Gefäßoberfläche sowie teilwei-
se noch im Inneren des Gefäßhalses befindet sich eine olivgrüne bis gelbbräunliche
Glasur, durch die die Magerung des Scherbens körnig hindurch tritt. Die Glasur ist
unterschiedlich dick aufgetragen und nimmt zum Gefäßboden hin ab. Der klingend
hart gebrannte Scherben ist mittelstark gemagert mit gerundeten farblosen und
weißen Quarzkörnchen bis 0,4 mm Größe, seine Bruchflächen sind klüftig und
leicht blasig und dunkelgrau. Charakteristisch ist das Vorkommen von vereinzelten
plattigen Sandsteinchen bis circa 7 mm Länge und einer Stärke von 2 mm.
Gefäße dieser Form und Beschaffenheit sind aus dem Metzer Töpfereibezirk
Pontiffroy bekannt31, wo sie - ebenso wie auf Burg Kirkel - zwar in verschiedenen
Größen gefunden wurden, jedoch stets relativ groß sind, ln Metz konnten Fas-
sungsvermögen von circa 1,5-2,5 Liter ermittelt werden und in einem Fall sogar
von circa 4 Liter. Im Unterschied zu den Metzer Funden gibt es, soweit erhalten,
an den Kirkeler Gefäßen keine Böden mit zungenförmig ausgezogenen Standfüß-
chen, sondern die Böden sind flach ausgebildet.
Gruppe 2 (Tafeln 2 und 3)
Die nächste Gruppe umfasst vier oder fünf Krüge mit reich appliziertem Dekor und
hat ebenfalls Parallelen in Metz. Der Scherben weist zwar die gleichen Magerungs-
bestandteile auf wie derjenige der zuvor genannten Gefäße, ist jedoch gering bis
mittelstark gemagert und im Bruch glatter und weniger blasig als der vorige und
von mittelgrauem Farbton. Am umfangreichsten erhalten ist der Überrest eines
feinwandigen Kruges (Taf. 2.1, S. 302 und Abb. 4, S. 297), der auf Hals und Kör-
per mit vielen Beerennuppen verziert ist. Sie bestehen aus runden bis ovalen Auf-
lagen eines heller brennenden Keramikmaterials, die nach der Applikation auf dem
Gefäß gestempelt wurden. Es fanden sich Bruchstücke von mindestens zwei ähn-
lich verzierten Krügen (Taf. 2.2, 4, S. 302). Sie wurden zunächst reduzierend ge-
brannt mit abschließend oxidierendem Brand. Ihre Außenseiten sind mit Ausnahme
der Applikationen dunkelrot engobiert und schließlich mitsamt den Beerennuppen
glasiert. Eine Wandscherbe (Taf. 2.5, S. 302) eines oxidierend gebrannten Gefäßes
ist mit einer gestempelten Applikation verziert, die ein Kreuz und vier Kreise mit
Punkten zeigt.
Zu dieser Gruppe zählt ein besonders aufwändig verzierter Krug (Taf. 3, S. 303
und Abb. 1, S. 296), von dem ein größeres Bruchstück der Wandung zusammenge-
setzt werden konnte. Darauf befinden sich zwei Applikationen mit unterschied-
31 Dautremont, Dufournier, Georges-Leroy und Milutinovic, La production potière
(wie Anm. 10), S. 382 und 384, Taf. 17.1.
118
liehen Darstellungen von Männergesichtern (Taf. 3.1, 4, S. 303 und Abb. 5, S.
295). An diesen lässt sich ein Detail der Arbeitsweise der Töpfer erkennen: Zur
Herstellung der Verzierungen war die feine helle Tonmasse zunächst in Model
gedrückt worden. Anscheinend noch während sie sich in den Modeln befanden,
waren diese Auflagen an den Gefaßkörper angarniert worden. Über den Gefäß-
körper schlingen sich frei modellierte Blattranken (Taf. 3.2, S. 303). Alle appli-
zierten Teile sind nicht nur aus heller brennendem Ton hergestellt, sondern auch
mit einer gelben Glasur bestrichen, während die eigentliche Gefäßoberfläche auf
dunkelroter Engobe bräunlich glasiert ist. Die Glasur ist auf der Außenseite satt
und gleichmäßig aufgetragen, auch im Inneren des Gefäßes befinden sich eine
tlächendeckende Engobe sowie partielle Glasurflächen und -flecken. In Metz kam
man aufgrund einer Reihe von Beobachtungen zu dem Schluss, dass die Gefäße
mit einem kombinierten Dekor wie das zuletzt Vorgestellte seltener und älter sind
als diejenigen, die nur mit jeweils einer einzigen Art von Stempelauflagen
geschmückt sind'2.
Gruppe 3 (Taf. 4)
Eine Reihe von fünf Krügen unterscheidet sich von den vorangehenden Gruppen
durch die rötlichbraune Glasur mit dunkelbraunen Sprenkeln (Abb. 7, S. 299). Es
fällt auf, dass diese Gefäße kleiner und teilweise schlanker geformt sind. Der
Scherben unterscheidet sich jedoch grundsätzlich nicht in seiner klüftigen, leicht
blasigen Struktur von demjenigen der Gruppe 1. Seine Magerung weist neben
rundlichen Quarzkörnem bis 0,4 mm Größe auch einen geringen Anteil an
hellbraunen ovalen, bis 1,3 mm großen Körnern mit rauer Oberfläche auf. Der Hals
ist, soweit erhalten, durch eine Kante von der Gefaßschulter abgesetzt. Zwei Krüge
sind durch Beerennuppen (Taf. 4.3, S. 304) beziehungsweise Rädchen (Taf. 4.4,
S. 304 und Abb. 8, S. 299) auf Hals und Körper verziert, die nicht in einem hel-
leren Material aufgelegt, sondern direkt auf den Gefaßkörper eingestempelt sind.
Glasierte Krüge verschiedener Machart (Taf. 4 und 5)
Außerdem gibt es auf Burg Kirkel noch mindestens fünf weitere Gefäße, die sich
durch mehrere Merkmale von den vorgestellten Gruppen unterscheiden: Zwei
Randscherben (Taf. 4.6, 7, S. 304) stammen von Krügen, deren Scherben stark und
grobkörnig gemagert war und reduzierend gebrannt wurde. Die Außenseiten tra-
gen eine grünlichgelbe Glasur. Wenn auch gering erhalten, so erinnern diese bei-
den Fragmente an die glasierte Andenner Irdenware, die in den spätmittelalter-
lichen Siedlungsbefunden von Namur auftritt33. Parallelen haben diese Kirkeler
Scherben auch in einem Fragment aus dem Kreuzgang des ehemaligen Stifts St.
Arnual in Saarbrücken34. Ein weiteres Randstück eines Kruges (Taf. 4.8, S. 304)
trägt zwar ebenfalls eine gelbgrünliche Glasur, jedoch auf einem andersartig gema-
gerten, mittelgrau bis hellgrau gebrannten Scherben. * S.
" Ebd. S. 407.
Jean Plumier, Sauvetage de vestiges médiévaux, rue de l’Ange, in: Etudes et Documents
Fouilles 3, Cinq Années d’Archéologie en Province de Namur 1990-1995, Namur 1996,
S. 108-110, hier S. 109, Abbildung einer gelbgrün glasierten Spardose aus dem 14. Jahr-
hundert.
Bernard, Keramik St. Amual (wie Anm. 1 ), S. 364 Abb. E b, c, S. 380, S. 387 Taf. 8A 2.
119
34
Gänzlich davon zu unterscheiden sind die Randscherben (Taf. 5.1, S. 305) eines
Kruges aus dunkelgrauer, dunkelbraun glasierter Irdenware mit einem Dekor aus
eingeritzten Schuppen. Da auch der Boden dieses Kruges erhalten ist (Taf. 5.2,
S. 305), lässt sich abschätzen, dass das Gefäß wohl geringfügig größer als der
weitgehend erhaltene Krug (Taf. 1.2, S. 301) war. Der Scherben weist sehr geringe
sichtbare Magerung in Form von weißem, 0,3-0,6 mm starkem Quarz auf, jedoch
einen starken Anteil an sehr feinem weißem Quarz von weniger als 0,1 mm
Körnung.
Und zuletzt sei noch das Fragment eines Kruges vorgestellt (Taf. 5.3, S. 305 und
Abb. 9, S. 300), dessen Oberteil plastisch als Kopf eines bartlosen Mannes mit
kräftigem Kinn und kinnlanger „Span“-Frisur ausgeformt war. Es wurde zwar fast
das ganze Gesicht aufgefunden, leider jedoch blieb seine Nase bis heute unent-
deckt. Erhalten sind außer zwei Dritteln des Gefäßhalses auch der Schulteransatz
mit der geritzten Andeutung von Gewandfalten sowie der untere Ansatz eines mas-
siven Henkels. Der obere Henkelansatz befand sich wahrscheinlich direkt an der
rückwärtigen Seite der Mündung. Der Gefäßkörper dürfte kugelig gewesen sein.
Der Krug bestand aus zunächst reduzierend und abschließend oxidierend ge-
brannter Irdenware. Im Bruch erkennt man den dunkelgrauen, zu den Außen-
flächen dunkelbraunen Scherben. Er ist klingend hart gebrannt, hat ebenso wie das
schuppenverzierte Gefäß einen mittelstarken Magerungsanteil von weißem, mit
weniger als 0,1 mm Korngröße sehr feinem Quarz und einen geringen Magerungs-
anteil an runden Quarzpartikeln bis 0,6 mm. Bislang blieb die Recherche zur
Herkunft dieses besonders ausgeformten Gefäßes ergebnislos. Das Krugfragment
ist außen und auf der Innenseite des Halses dunkelbraun glasiert. Der dunkelbraun
brennende Scherben könnte aus der Normandie stammen, wo man noch heute
dunkelbraune unglasierte Keramik herstellt.
Zusammenfassung und Überlegungen für künftige Forschungs-
ansätze
Kostbare Schankgefäße aus glasierter, reich verzierter Irdenware kamen ab der
Mitte des 12. Jahrhunderts auf, verbreiteten sich rasch und waren im 13. und 14.
Jahrhundert an den Küsten rund um die südliche Nordsee verbreitet. Auf dem
Kontinent sind insbesondere neben Fundobjekten aus Töpferzentren in den großen
Städten Kronflanderns wie Douai, Gent und Brügge auch aus der Normandie,
Picardie, Ile-de-France und der Champagne archäologische Funde dieses prestige-
trächtigen Geschirrs bekannt. Im Herzogtum Lothringen bestand ebenfalls Nach-
frage nach dieser Ware, und sie wurde folglich auch dort produziert. Dass sich
gerade in Lothringen mit seinen teilweise romanischen, teilweise germanischen
Traditionen eine Schnittmenge kultureller Einflüsse aus verschiedenen europä-
ischen Richtungen herausbildete, wird an Relikten der Sachkultur des späten Mit-
telalters deutlich35. Dort nahm man Sitten und damit verbundene materielle Kul- * 120
35 Ein weiteres Beispiel für diese Durchmischung von Einflüssen aus Ost und West bietet
die Verwendung des Kachelofens: Die Heizung mittels Kachelofen ist eine Errungen-
schaft aus dem süddeutschen Raum. Sie verbreitete sich ab dem Hochmittelalter im
Wesentlichen über den südlichen Bereich des Deutschen Reiches hinaus bis nach Loth-
ringen, dort jedoch kaum bis über die Mosel hinweg. Im französischen Kulturraum be-
120
turgüter sowohl aus dem französischen als auch deutschen Raum an. Vielleicht ist
es insofern kein Zufall, dass in Lothringen der archäologische Nachweis einer
Töpferei, die dieses „französische“ Geschirr herstellte, ausgerechnet im franko-
phonen Metz gelang. Freilich muss dies keinesfalls die einzige Töpferei im Her-
zogtum gewesen sein, denn der archäologische Nachweis bleibt, auf eine ganze
Region bezogen, stets äußerst lückenhaft. Über Lothringen in östlicher Richtung
hinaus fand dieses Schankgeschirr jedoch im Allgemeinen keinen Niederschlag in
archäologischen Fundhorizonten, in der unmittelbaren östlichen Nachbarschaft des
Herzogtums in der Grafschaft Saarbrücken wurden in archäologischen Ausgra-
bungen bislang recht vereinzelt Überreste von Gefäßen der glasierten, reich ver-
zierten Irdenware des 13. und 14. Jahrhunderts gefunden, wie sie vor allem aus
Lothringen bekannt sind. Auf Burg Kirkel gelang es erstmals in der Saargegend,
ungefähr zwanzig derartige Gefäße innerhalb des sehr umfangreichen keramischen
Fundkomplexes zu identifizieren. Möglicherweise erklärt sich dieses verhältnis-
mäßig hohe Aufkommen auf der Reichsfeste Kirkel durch die saarwerdischen Her-
ren und deren engen Bezug zum Herzogtum Lothringen. Jedenfalls gehörten so-
wohl Saarbrücken als auch Saarwerden zum Bistum Metz.
Ein Teil dieses in der Saargegend gefundenen Luxusgeschirrs könnte vielleicht
aus Metz stammen, wo im archäologisch erforschten Töpfereibezirk im heutigen
Stadtteil Pontifffoy36 sehr ähnliche Gefäße ausgegraben wurden. Metz ist jedoch
gewiss nicht der einzige mögliche Ursprungsort für glasierte, reich verzierte Irden-
ware in der Saargegend. Ferner gilt es, auch die Grafschaft Namur als Herkunfts-
region einiger Fundobjekte in der Saargegend in Betracht zu ziehen. In Namur
wurde glasiertes Schankgeschirr hergestellt, das sich jedoch in der Glasurfarbe und
anderen Merkmalen vom Geschirr aus Metz unterscheidet. Einzelne Fragmente
von Gefäßen, die möglicherweise aus der Grafschaft Namur importiert worden
waren, tauchten in den archäologischen Befunden des Kreuzgangs in St. Arnual
auf, und auch auf Burg Kirkel gibt es Bruchstücke zweier oder dreier Gefäße, die
man vielleicht dieser Ware zuordnen kann. Es wurden darüber hinaus auf Burg
Kirkel Reste zweier Gefäße geborgen, deren Provenienz aus der Normandie derzeit
nur aufgrund der makroskopisch erkennbaren Beschaffenheit des Scherbens ange-
nommen werden kann. Um die Vermutungen zur Herkunft der verschiedenen
Gefäße über die rein formalen Vergleiche hinaus zu klären, sind letzten Endes
naturwissenschaftliche Analysen notwendig, wie sie seit Jahren zum Beispiel in
Frankreich an zahlreichen Proben keramischer Funde ergänzend zu den archäo-
logischen Forschungen durchgeführt werden. Derartige Untersuchungen saarlän-
dischen Fundmaterials sollten künftig neben der formenkundlichen Betrachtung
einen tiefer gehenden Vergleich mit den bereits analysierten Keramikarten in
Frankreich und Belgien ermöglichen.
Um den Stellenwert dieser Ware innerhalb der Gesamtheit der Keramik der
spätmittelalterlichen Siedlungsstellen der Saargegend zu erfassen, bedarf es auf
vorzugte man dagegen nach wie vor den offenen Kamin als Wärmequelle. Die Ver-
breitung von Kachelöfen und deren Typen in Lothringen untersuchte Guillaume Huot-
Marchand: La céramique de poêle en Lorraine, au Moyen Âge et au début de l’Époque
Moderne, hg. von Gérard Louis, Esch sur Alzette 2006.
Innerhalb der spätmittelalterlichen Stadtgrenzen im Nordwestteil der Stadt nahe dem
Pont Thiffroy gelegen.
121
jeden Fall weiterer vollständig analysierter Fundkomplexe, deren Gefäße nach
Funktionstypen quantitativ ausgewertet werden sollten. Dieser Ansatz wurde
bereits bei der Auswertung der Keramik aus dem spätmittelalterlichen Kreuzgang-
bereich der Stiftskirche St. Arnual verfolgt’7. Für den Kreuzgangsüdflügel, der am
besten auszuwerten war, ergab die exemplarische Analyse der keramischen Funk-
tionstypen einen Anteil von circa 10 % Krügen aus grauer Irdenware in einer
Gesamtheit von mindestens 118 Gefäßen. Allerdings wurden dort die Fragmente
von lediglich zwei oder drei Krügen aus glasierter, reich verzierter Irdenware
gefunden. Das bedeutet demnach bei vorsichtiger Schätzung ein Verhältnis von
maximal drei glasierten, reich verzierten zu zehn bis zwölf schlichten, grau ge-
brannten Krügen im südlichen Kreuzgangbereich St. Arnual.
Anders sieht es in dieser Beziehung auf Burg Kirkel aus, wo das recht um-
fangreiche keramische Fundgut der bisher untersuchten Bereiche derzeit zeichne-
risch erfasst wird. Eine eingehende typologische und quantitative Auswertung kann
erst nach dieser Materialaufnahme erfolgen, sofern sie nicht klar differenzierbare
und mengenmäßig rasch überschaubare Gruppen wie die hier vorgestellte glasierte
Irdenware betreffen. Es können aus diesem Grund noch keine konkreten Angaben
zu Menge und Funktionstypen der Gefäße gemacht werden. Jedoch scheint der
Anteil an Krügen der glasierten, reich verzierten Irdenware, die sich in den Kultur-
schichten der Oberburg und somit des Burgherrenhaushalts befunden hatten, im
Verhältnis zu Krügen aus grauer Irdenware wesentlich höher zu sein als in
Kreuzgang von St. Arnual. Bei aller Vorsicht hinsichtlich der Interpretation der St.
Arnualer Befunde - man kann die Herkunft der dort deponierten Abfalle nicht so
gut eingrenzen wie auf Burg Kirkel - scheint es doch ein eindeutiges Indiz zu sein,
dass man auf der Burg großen Wert auf prestigeträchtiges Schankgeschirr auf der
Tafel des Burgherrn legte. Es dürften nach flüchtiger Sichtung der konstruktiv
auswertbaren Fragmente an Rändern, Böden und Henkeln der spätmittelalterlichen
grauen Irdenware auf Burg Kirkel eventuell sogar weniger Krüge aus grauer
Irdenware denn aus glasierter, reich verzierter Irdenware vorhanden sein. Dies
könnte das gleiche ausgeprägte Repräsentationsbedürfnis auf Burg Kirkel wider-
spiegeln, wie es sich auch in der materiellen Kultur anderer erforschter Burgen im
archäologischen Kontext manifestierte’8. Ein ähnliches Bild wie Kirkel bietet der
Fundkomplex der Gefäßkeramik des in Pompey in der Nähe von Nancy gelegenen
Château de l'Avant-Garde, bei dem eine verhältnismäßig hohe Anzahl an glasier-
ten, reich verzierten Krügen den einfachen Krügen gegenüber zu stehen scheint ’9. * 38
3 Bernard, Keramik St. Arnual (wie Anm. 1 ), S. 384-388.
38 Norbert GoßLER, Materielle Kultur und soziale Differenz. Beobachtungen am archäo-
logischen Fundstoff aus mittelalterlichen Burgen, in: Archäologie mittelalterlicher Bur-
gen, Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der
Neuzeit 20 (2008), S. 37-43.
Das Château de l'Avant-Garde ist leider unfachmännisch ausgegraben worden, so dass
man keine Sicherheit darüber hat, ob alle Funde zuverlässig und ohne vorherige Auslese
aufgehoben wurden. Dennoch scheint mir die Zahl von fünfzehn identifizierten Gefäßen
innerhalb des Fundkomplexes signifikant: Agnieszka KoziOL, La céramique commune,
S. 116, 125-127, 153-155, 168.
122
In Zusammenhang mit der Frage, wie diese Objekte in die Saargegend gelangt
sein könnten, sind die Femhandelsrouten zu beachten: Die aus der Île-de-France
kommende Straße führte über Metz , Saarbrücken und Kaiserslautern zum Rhein40,
und eine Verbindung von Flandern zur Lombardei verlief durch das mittlere Saar-
tal. Burg Kirkel liegt zwar 25 km abseits des Saartals, jedoch unmittelbar an der
via regalis in ca. 80 Wegkilometern Entfernung zu Metz. Gewiss ist es haupt-
sächlich diese, Westen und Osten verbindende Handelsstraße, die die Fundorte in
der Saargegend mit einem angenommenen Produktionsort Metz verbindet. Interes-
sant wäre insofern zu wissen, ob dieses exklusive Geschirr auch auf anderen
Adelssitzen entlang dieser Route seinen Niederschlag gefunden hat, z. B. in Ober-
homburg (Hombourg-Haut). Man muss in Anbetracht ihrer geringen Zahl ferner
fragen, ob denn die Gefäße überhaupt als Handelsgut in unsere Gegend gelangten.
Vielleicht wurden sie individuell in Metz oder anderenorts erstanden und in die
Saargegend gebracht, oder sie wurden als Geschenke in unsere Region geschickt.
Hier muss der archäologische Befund viele Fragen offen lassen, deren Klärung
vielleicht künftig durch die Auswertung der schriftlichen Überlieferung erfolgen
kann.
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124
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Hans-Joachim Kühn
Das landesherrliche Rechnungswesen ist erst in jüngerer Zeit wieder verstärkt und
erstmalig in Form eines flächendeckenden Überblicks bearbeitet worden. Mark
Mersiowskys Dissertation über die erhaltenen Rechnungen des nordwestdeutschen
Raums aus dem Jahr 2000 gilt inzwischen als Standardwerk1. Parallel dazu und im
Anschluss daran bemüht sich Mersiowsky um einen ähnlichen Überblick über die
Überlieferungslage im Südwesten Deutschlands (heute: Baden-Württemberg)2. Für
den Westen Deutschlands im engeren Sinne (heute: Saarland und Rheinland-Pfalz)
fehlt ein solcher Überblick, so dass für die Region des Westrichs, der Kirkel zuzu-
ordnen ist und die die heutige Westpfalz, die Saarregion und Deutschlothringen
1 Marc Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung im deutschen Nordwes-
ten. Spätmittelalterliche Rechnungen, Verwaltungspraxis, Hof und Territorium (Resi-
denzenforschung 9), Stuttgart 2000; vgl. auch Ders., Rechnungen, in: Höfe und Resi-
denzen im spätmittelalterlichen Reich. Hof und Schrift (Residenzenforschung 15/III), hg.
von Wolfgang Para vicini, bearb. von Jan Hirschbiegel und Jörg Wettlaufer, Ost-
fildern 2007, S. 531-551, hier S. 537: „Erst auf Basis aller erhaltenen Rechnungen kann
man sich ein Bild über den Hof und seine Versorgung machen, wobei man sich immer
bewußt sein muß, daß auch das Erhaltene immer noch Lücken aufweisen kann. Im Be-
reich der Rechnungen verbiete sich fast immer das argumentum e silentio“; ferner Ders.,
Finanzverwaltung und Finanzkontrolle am spätmittelalterlichen Hofe, in: Hofwirtschaft.
Ein ökonomischer Blick auf Hof und Residenz in Spätmittelalter und Früher Neuzeit
(Residenzenforschung 21), hg. von Gerhard Fouquet, Jan Hirschbiegel und Wolfgang
Paravicini, Ostfildern 2008, S. 171-189; für Hessen vgl. Elisabeth Orth, Amtsrech-
nungen als Quelle spätmittelalterlicher Territorial- und Wirtschaftsgeschichte, in: Hessi-
sches Jahrbuch für Landesgeschichte 29 (1979), S. 36-62; Mark Mersiowsky, Die
Rechnungen Heinrichs VI!. als Spitze des Eisberges? Rechnungsüberlieferung und Rech-
nungswesen des Reiches im frühen 14. Jahrhundert, in: Vom luxemburgischen Grafen
zum europäischen Herrscher. Neue Forschungen zu Heinrich VIL, hg. von Ellen Widder
unter Mitarbeit von Wolfgang Krauth (Schriften des CLUDEM 23), Luxemburg 2008,
S. 225-268; Ders., Römisches Königtum und Rechnungslegung im 13. und frühen 14.
Jahrhundert, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 64 (2008), S. 547-
578; Michael Rothmann, „Damit aber wir sovil besser hinder die sach kommen.“ Zen-
trum und Peripherie - Das Rechnungswesen der Landgrafen von Hessen und der Grafen
von Isenburg im Übergang vom 15. und 16. Jahrhundert, in: Adel und Zahl: Studien zum
adligen Rechnen und Haushalten in Spätmittelalter und früher Neuzeit (Pforzheimer Ge-
spräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte 1), hg. von Gerhard FOUQUET und
Harm VON Seggern, Ubstadt-Weiher 2001, S. 42-78.
2 Marc Mersiowsky, Spätmittelalterliche Rechnungen als Quellen zur südwestdeutschen
Burgengeschichte, in: Burgen im Spiegel der Überlieferung (Oberrheinische Studien 13),
hg. von Hermann Ehmer, Sigmaringen 1998, S. 123-162, dort S. 128: „Eine umfassende
Übersicht der südwestdeutschen Territorial- und Herrschaftsrechnungen steht leider nicht
zur Verfügung, ebenso wenig wie eine solche für das ganze mittelalterliche Reich. [...]
Statt schnell auf eine Zusammenstellung oder gar Edition zurückgreifen zu können, ist
man auf umfassende Recherchen in den Archiven der Region angewiesen.“ Der For-
schungsstand ist unverändert geblieben.
125
{Bailliage d’Allemagne) umfasste, diese Arbeit noch aussteht’. Im Grenzbereich zu
Frankreich gelegen empfiehlt es sich, für zukünftige vergleichende Unter-
suchungen das Herzogtum Lothringen nicht ganz außer Acht zu lassen, um ab-
schätzen zu können, ob sich französische Modernisierungstendenzen im 15. Jahr-
hundert bemerkbar machten, zumal es bedeutende Vermittler gab, zum Beispiel
Herzogin Elisabeth von Lothringen, Gräfin von Nassau-Saarbrücken (1429-1456)* 4.
Bevor diese Fragen angegangen werden können, soll als notwendiger erster Schritt
hierzu die Edition und die Auswertung der einzigartig umfangreich erhaltenen
Rechnungen der Kellerei Kirkel aus dem 15. Jahrhundert erfolgen, was ein in sich
abgeschlossenes und sinnvolles Unternehmen von eigenem Wert darstellt. Wäh-
rend der laufenden Arbeit an der Edition der Rechnungen aus Kirkel sind dem Be-
arbeiter weitere landesherrliche Rechnungen aus dem Westrich und angrenzenden
Gebieten bekannt geworden, die in diesem Artikel als wichtige Quelle zur spät-
mittelalterlichen Regionalgeschichte vorgestellt werden sollen.
Zum spätmittelalterlichen Rechnungswesen in Deutschland
Die Zahl erhaltener Rechnungen im deutschsprachigen Raum aus der Zeit vor dem
Jahr 1300 ist verschwindend gering (Passau, Boianden, Katzenelnbogen, Kur-
köln5), was sich für das 14. Jahrhundert nur unwesentlich bessert (Kurtrier, Kur-
mainz, Jülich, Geldern etc.). Es gibt in aller Regel bloß Einzelstücke, ln den nord-
westlichen Landesherrschaften (beispielsweise Holland, Brabant, Hennegau, Bar)
setzt das Rechnungswesen gemäß der heutigen Überlieferung zwar deutlich früher
ein als im sonstigen Reich6 * 8, doch selbst aus dem 15. Jahrhundert sind vielfach nur
Einzelstücke erhalten. Um so höher ist der Kirkeler Rechnungsbestand für die Er-
forschung landesherrlicher Finanzen einzuschätzen, da er nach derzeitigem Kennt-
nisstand als die größte Serie von Rechnungen aus dem 15. Jahrhundert gelten kann,
obgleich auch er Lücken aufweist. Die Kirkeler Kellereirechnungen setzen
1434/35 ein und umfassen bis 1503 29 Hefte mit durchschnittlich je 30 Blättern.
Bei einer geschätzten Überlieferungsquote von lediglich 2 % bei den Kellereirech-
nungen Nordwestdeutschlands5 kommt daher der Kellerei Kirkel eine hohe exem-
plarische Bedeutung für das (lokale) Rechnungswesen einer spätmittelalterlichen
Darauf wies bereits Hans-Walter Herrmann, Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche
Rechnungen als Geschichtsquelle, in: Unsere Archive [Saarland] 5, 1976 (ohne Seiten-
zählung) hin.
4 Zwischen Frankreich und Deutschland - Elisabeth von Lothringen, Gräfin von Nassau-
Saarbrücken, hg. von Wolfgang Haubrichs und Hans-Walter Herrmann (Veröffent-
lichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 34),
St. Ingbert 2002.
Wilhelm Janssen, Die kurkölnischen Territorialrechnungen des Mittelalters, in: Jahrbuch
für westdeutsche Landesgeschichte 6 (1980), S. 97-115.
6 Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1), S. 75-77.
Nicht erst 1436, wie Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie
Anm. 1), S. 63 meint.
8 Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1), S. 261 und 264-
269 (zur Erklärung der Überlieferungsverluste).
126
Landesherrschaft im römisch-deutschen Reich zu4 * * * * 9. Die urkundlichen und historio-
grafischen Zeugnisse zur Rechnungslegung, wie sie Mersiowsky10 * für Nordwest-
deutschland zusammenstellte, sind zudem für das Saarland und Rheinland-Pfalz
bislang nicht systematisch untersucht worden", ganz zu schweigen vom deutsch-
sprachigen Teil des Herzogtums Lothringen, doch kann durchaus an Vorarbeiten -
wenngleich kaum für Kirkel - angeknüpft werden12 *.
Gliedert man die überlieferten Territorialrechnungen mit Mersiowsky1 ’ nach ei-
nem idealisierten Verwaltungsschema, so lässt sich feststellen, dass nur ganz weni-
ge Zentralrechnungen wie Hof- und Landrentmeistereirechnungen vorliegen. Ein
Großteil des erhaltenen Materials ist der Lokalverwaltung zuzuordnen, die im 14.
4 Zu weiteren Kellereirechnungen vgl. Friedhelm Burgard und Johannes MÖTSCH, Die
Rechnung des trierischen Kellners in Mayen aus dem Jahr 1344/45, in: Archiv für Diplo-
matik 39 (1993), S. 273-317; Leo Gillessen (Hg.), Die ältesten Kellnereirechnungen des
Jülicher Amtes Randerath 1465/66 und 1499/1500, Heinsberg 2003; Franz Krüger, Die
Rechnung des Kellers des Oberamts Lichtenberg von 1446/1447, in: Westricher Heimat-
blätter 15 (1984), S. 130-140; Franz Krüger, Aus alten Rechnungen des Oberamts Lich-
tenberg, in: Westricher Heimatblätter 16 (1985), S. 158-160; Melchior Thamm, Bruch-
stücke einer alten Kellereirechnung [von ca. 1376/77], in: Jahresbericht des Kaiser-
Wilhelm-Gymnasiums in Montabaur, Montabaur 1908, S. 3-8; Theresia Zimmer, Kel-
lereirechnung 1397/98 des kurtrierischen Amtes Manderscheid, in: Zeugnisse rheinischer
Geschichte. Urkunden, Akten und Bilder aus der Geschichte der Rheinlande. Festschrift
zum 150. Jahrestag der Einrichtung der staatlichen Archive in Düsseldorf und Koblenz
(Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C:
Quellen und Forschungen 11 = Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschafts-
schutz, Jahrbuch 1982/83), hg. von Franz-Josef Heyen und Wilhelm Janssen, Neuss
1982, S. 202-204 und S. 436f.; Walter Gündacker, Spätmittelalterliches aus dem Dah-
ner Tal. Einige Aussagen der Grafendahner Amtsrechnungen von 1470 bis 1472, in:
Heimatkalender für das Pirmasenser und Zweibrücker Land 1982, S. 155-158; vgl. auch
Andreas Bingener (Bearb.), Territoriale Rechnungsüberlieferung im Spätmittelalter. Die
Siegener Renteirechnungen von 1463/64 bis 1471/72, 2 Teilbände (Sachüberlieferung
und Geschichte. Siegener Abhandlungen zur Entwicklung der materiellen Kultur 26),
Siegen 1998; Johannes MÖTSCH, Die Rechnung des Pastors zu Dierdorf für Erzbischof
Balduin von Trier aus den Jahren 1346 bis 1351, in: Jahrbuch für westdeutsche Landes-
geschichte 23 (1997), S. 105-138 (Quellenedition S. 107-131).
10 Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1 ), S. 169f.
Vereinzelte Hinweise bei Hans-Heinz Gerhard, Das Steuerwesen der Grafschaft Saar-
brücken 1321-1798 (Veröffentlichungen des Instituts für Landeskunde des Saarlandes 1),
Saarbrücken 1960, S. 14-15, 20-24 und 38-66.
Beispielsweise an die Editionen von landesherrlichen Rechnungen durch Hanns Klein,
Beiträge zum Rechnungswesen der Grafschaft Saarbrücken an der Schwelle zur neuzeit-
lichen Verwaltung - Die Rechnung des Saarbrücker Rentmeisters von 1485 und ein
Rechnungsanschlag von 1489, in: Beiträge zur Geschichte von Gewerbe, Industrie und
Verwaltung im Westrich und an der Saar. Für und mit Hanns Klein aus Anlass seines 75.
Geburtstages, hg. von frmtraud Eder-Stein, Fritz Jacoby, Wolfgang Hans Stein und
Claudia Ulbrich, St. Ingbert 1995, S. 17-141; Jean-Marie Yante, Le péage lorrain de
Sierck-sur-Moselle (1424-1549). Analyse et édition des comptes (Veröffentlichungen der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 30), Saarbrücken
1996. Von Hanns Klein (f) existiert des Weiteren ein unveröffentlichtes Manuskript zu
den Kirkeler Kellereirechnungen von 1434/35 und 1438/39 (Landesarchiv Saarbrücken,
Nachlass Klein, Nr. 110), das der Überarbeitung bedarf.
Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1), S. 277f.
127
Jahrhundert eine Differenzierung der Aufgaben zwischen Amtmann und Kellner,
von Ausnahmen abgesehen, in der Regel noch nicht kannte. Davon zu separieren
sind Zollrechnungen. Ein anderer territorialer Rechnungstyp ist im Zusammenhang
mit Fehde und Krieg entstanden; dazu gehören Kriegszugs-, Verlust- und Mann-
schaftsberechnungen. Baurechnungen sind schließlich eine weitere Gruppe. In den
Rechnungen des Kirkeler Kellers finden sich ganze Rubriken, die sich dem Bau-
wesen zuordnen lassen, und vereinzelt auch militärische Betreffe. Bestandteil der
Kirkeler Rechnungen ist ferner der pfalz-zweibrückische Geleitzoll an der Königs-
straße, der in Limbach erhoben wurde.
Ein Großteil spätmittelalterlicher Territorialrechnungen ist auf Burgen entstan-
den. Diese geben Auskunft über den Rechnungsführer und die Besatzung der Burg
beziehungsweise das Personal des Amtes und weisen somit die Burg als zentralen
Ort für Herrschaft, Verwaltung, Personal, Wirtschaft und Kommunikation aus14.
Außerdem enthalten die Rechnungen zahlreiche Informationen zu Fronarbeiten,
Handwerkern und ihren verschiedenen Gewerken, Weinbau, Getreideanbau und -
Verarbeitung, Tierhaltung, Fischzucht, Bau- und Reparaturarbeiten an der Burg und
den herrschaftlichen Weihern, Transportkosten, Tagelohn, Jahresgehältern, Besteu-
erung, Bewaffnung, Wohnkomfort, Boten, Gästen und vielem anderen mehr.
Wie entstanden die Rechnungen? Offensichtlich gab es chronologisch geordnete
Vorlagen, aus denen nachträglich in die entsprechenden Sparten eingetragen wur-
de; denn nur so können Buchungen mit demselben Datum an anderer Stelle in der
Rechnung erklärt werden. Diese Vorlagen bestanden ihrerseits ebenfalls aus Pa-
pierheften, mit Wachs beschichteten Holztafeln oder aus losen oder zusammen-
genähten Zettelsammlungen. Ein Hinweis auf solche Vorlagen ist in der Kirkeler
Formulierung nach Inhalt zinshuchs zu erblicken. Die Korrektheit einer Rechnung
konnte und kann oft nur stichprobenweise überprüft werden. Natürlich sind Betrug,
Unterschlagung und andere Manipulationsmöglichkeiten denkbar, die schon in
zeitgenössischen Quellen erwähnt werden. Dies wurde erleichtert durch die Ver-
mischung verschiedener Getreide- (Roggen und Hafer, aber auch Gerste, Weizen
und Dinkel) oder Getränkearten (Wein und Bier). Die Rechnungsabnahme und
Kontrolle durch den Landesherm oder seine Beauftragten, wie etwa den Land-
rentmeister oder die Räte, erfolgte nach förmlicher Ladung des Rechnungsführers
am Sitz des Amtsinhabers oder in anderen Burgen des Landesherrn. Vorzulegen
war die Rechnung mit Anlagen (quitancie, reces oder zetel), die mittels Kerbholz
und Rechenbrett kontrolliert wurden; letzteres war unabdingbar bei der Ver-
wendung römischer Zahlzeichen und den umständlichen Umrechnungsverfahren
14 Marc Mersiowsky, Zentrale Funktionen der spätmittelalterlichen Burg im Spiegel von
Rechnungen, in: Zentrale Funktionen der Burg (Veröffentlichungen der Deutschen Bur-
genvereinigung, Reihe B: Schriften 6), hg. von Barbara Schock-Werner, Braubach
2001, S. 13-24, hier S. 14, 16 und 18; Ders., Landesherrliche Bauausgaben im Spiegel
der ältesten lippischen Rechnungen, in: Öffentliches Bauen in Mittelalter und früher
Neuzeit. Abrechnungen als Quellen für die Finanz-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte
des Bauwesens, hg. von Ulf Dirlmeier, Rainer S. Elkar und Gerhard Fouquet (Sach-
überlieferung und Geschichte 9), St. Katharinen 1991, S. 116-171; siehe auch Claudia
Feller, Item von erst han ich kawft 18 lerchen flecken - Bauausgaben für die Burg Ro-
denegg im 15. Jahrhundert, in: Burgen und Schlösser. Zeitschrift für Burgenforschung
und Denkmalpflege 51 (2010), S. 181-189.
128
zwischen Gold- und Silberwährungen aus verschiedenen Territorien15. Bei der Re-
chungslegung wurde die Rechnung in feierlicher, zeremonieller Weise vorgelesen
beziehungsweise angehört, danach wurde oft der Rezess (mit Datum und Namen
des Entlasteten) im Rechnungsheft beziehungsweise auf eingehefteten Zetteln oder
Pergamenturkunden vermerkt. Zu den präventiven Maßnahmen gegen Betrug ge-
hörte die Verschriftlichung der Rechnungslegung, die Verpflichtung zur Beifügung
der oben genannten Belege und ab Mitte des 15. Jahrhunderts die zunehmende Re-
gulierung des Rechnungswesens mittels landesherrlicher Verordnungen16. Eine sol-
che Finanz- und Dienstordnung wurde 1443 auch für die Kellerei Kirkel begonnen,
blieb aber in den Anfängen stecken, ohne dass die Gründe hierfür bislang bekannt
sind17 *. Auch in diesem verwaltungs- und herrschaftsorganisatorischen Bereich sind
neue Aufschlüsse aus den Kirkeler Rechnungen zu erhoffen.
Bei seinen für den nordwestdeutschen Raum wegweisenden Forschungen stellt
Mersiowsky1 s fest, dass es durchaus Entwicklungsunterschiede im spätmittelalter-
lichen Rechnungswesen gab; so konnten kleinere Territorien durchaus eine moder-
nere Rechnungslegung mit übersichtlicherer Gliederung der einzelnen Rubriken
und Buchungen und mit Zwischensummen auf jeder Seite praktizieren. Ferner
konnte die Rechnungslegung innerhalb einer Landesherrschaft eine landschaftlich
unterschiedliche Ausprägung erfahren. Festzuhalten bleiben auch enge Verbin-
dungen zwischen dem Organisationsgrad der Verwaltung und dem erhaltenem
Schriftgut. Somit können die Rechnungen als Gradmesser für die Entwicklung der
landesherrlichen Verwaltung dienen und Hinweise auf Interdependenzen zwischen
den Landesherrschaften einer Region geben. Die Edition und wissenschaftliche
Analyse des Kirkeler Bestandes wird vergleichende Forschungen zum Rechnungs-
wesen auch in den westlich angrenzenden Territorien wie dem Bistum Metz (Pays
Messin) und vor allem dem Herzogtum Lothringen zulassen, die beide beiderseits
der Sprachgrenze lagen und als reichsangehörige Landesherrschaften offen für
französische Einflüsse waren. Da die Entwicklung territorialer Rechnungen ab der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kaum untersucht wurde19, kann der Kirkeler
Bestand auch hierzu eine wichtige Grundlage bieten.
Die Quellengattung der Rechnungen erlaubt statistische Auswertungen (zum
Beispiel von Ernteerträgen sowie Einnahmen und Ausgaben einzelner Sparten aus
1 Auch für die historische Region des Westrichs hilfreich ist Frank Wagner, Die Währun-
gen am nördlichen Oberrhein im 15. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Historischen Ver-
eins der Pfalz 99 (2001), S. 105-144.
16 Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1), S. 306-336.
1 Frank Wagner, Die Finanz- und Dienstordnung für das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken-
Simmem und die Grafschaft Veldenz von 1443, in: Kaiserslauterer Jahrbuch für pfäl-
zische Geschichte und Volkskunde 2/3 (2002/2003), S. 21-130, hier S. 23 und S. 36, Edi-
tion S. 85-87. Dazu Mersiowsky, Finanzverwaltung (wie Anm. 1), S. 186: „Auch die
vergleichende Analyse der normativen Satzungen ist bisher nicht geleistet worden. Jede
Darstellung kann beim derzeitigen Stand der Forschung nur vorläufigen Charakter haben.
Ähnlich wie für die Hofordnungen, mit denen sich diese Dokumente durchaus über-
schneiden, ist der Forschungsstand unbefriedigend“.
x Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1), S. 280-282.
1' Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1), S. 535: „Aller-
dings ist die formale Entwicklung der Rechnungen nach 1450 bislang kaum untersucht“.
Er führt seine Untersuchungen in der Regel bis 1450 durch.
129
verschiedenen Rechnungsjahren), was gerade im deutschen Sprachraum aufgrund
der politischen Zersplitterung nur selten möglich ist, und ist somit geeignet, ökono-
mische und soziale Entwicklungen auch grafisch sichtbar zu machen. Dies setzt na-
türlich eine hinreichende Anzahl edierter Rechnungen voraus. Die Quellenbasis
soll mit dem vorliegenden Editionsprojekt erweitert werden. Eine Bewertung der
umfangreichen Kirkeler Rechnungen aus dem 15. Jahrhundert in verwaltungs- be-
ziehungsweise wirtschaftshistorischem Zusammenhang ist angesichts der Masse
der erhaltenen Rechnungsserien bisher nicht einmal ansatzweise erfolgt.
Zur Bedeutung des Rechnungsbestandes der Kellerei Kirkel
Die Rechnungen des Kellers zu Kirkel stellen einen - trotz der vorhandenen zeit-
lichen Lücken - sehr bedeutenden und geschlossenen Bestand dar, der seinesglei-
chen sucht. Aus dem südwestdeutschen Raum wurden bislang keinerlei vergleich-
bare Rechnungen ediert, die von ihrem Umfang her für die spätmittelalterliche und
frühneuzeitliche Territorial Verwaltung und Wirtschaftsgeschichte an die auf der
Burg Kirkel entstandenen Akten heranreichen. Ziel der laufenden Arbeiten am
Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters der Universität des Saarlandes ist es da-
her, diesen einzigartig umfangreichen Rechnungsbestand aus Spätmittelalter und
Frühneuzeit (15. bis 18. Jahrhundert) für den auf das 15. Jahrhundert entfallenden
Teil zu erforschen und durch eine moderne, textkritische Edition weiterer ver-
gleichender Forschung zugänglich zu machen. Gegenstand der in Vorbereitung be-
findlichen Publikation sind die Kellerei- und Amtsrechnungen der ehemaligen
Reichsburg Kirkel (heute Saarpfalzkreis) im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken, deren
wesentlicher Teil aus dem 15. Jahrhundert überliefert ist, nämlich 29 Rechnungs-
hefte aus der Zeit von 1434/35 bis 1503/04. Mit ihrer Erschließung wird eine For-
schungslücke geschlossen, denn das landesherrliche Rechnungswesen im Mittel-
alter ist für die Bundesländer Saarland und Rheinland-Pfalz noch nicht erforscht.
Die 1075 erstmals urkundlich erwähnte Burg Kirkel (Saarpfalzkreis) war eine
Reichsburg, die der Kaiser bis ins 15. Jahrhundert mehrmals als Lehen ausgab. Sie
lag an der auf römische Zeiten zurückgehenden mittelalterlichen Heerstraße (via
regia) zwischen Metz, Saarbrücken und Kaiserslautern und der Vorderpfalz. Dem-
entsprechend besaß sie das Geleitrecht auf dieser wichtigsten Straße im mittelalter-
lichen Westrich. Zunächst im Besitz von verschiedenen Zweigen der früheren
Bliesgaugrafen (Grafen von Kirkel, Homburg, Saarwerden) benannte sich ab der
Mitte des 13. Jahrhunderts eine Seitenlinie des edelfreien Geschlechtes der Herren
von Siersberg, die 1386 erlosch, nach der Burg. Nach mehrfachem Besitzerwechsel
gelangte die Burg schrittweise an die pfälzischen Wittelsbacher und bei der Erbtei-
lung vom 3. Oktober 1410 an die Herzoge von Pfalz-Zweibrücken, die sie als
Verwaltungsmittelpunkt und teilweise auch als Residenz benutzten. Knapp eine
Generation nach der Übernahme durch Pfalz-Zweibrücken (Zufall oder ordnungs-
politischer Gestaltungswille?) setzt 1434/35 die erste, möglicherweise nur rudi-
mentär überlieferte Rechnung ein. Bis zu ihrer Zerstörung in den Expan-
sionskriegen der französischen Monarchie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhun-
derts blieb die Burg Verwaltungsmitteipunkt eines Amtes des Herzogtums Pfalz-
Zweibrücken.
Durch die von Frau Dr. Christel Bernard seit den 1990er Jahren durchgeführten
Ausgrabungen gehört die Burg Kirkel heute zu den archäologisch am besten unter-
130
suchten Burgen des Saarlandes. Insbesondere die nach den neuesten archäolo-
gischen Methoden erarbeitete zeitliche Abfolge der einzelnen Bauphasen sowie die
umfassende Bearbeitung der Keramikfunde als Fundgruppe von zentraler Wichtig-
keit für die Datierung mittelalterlicher Grabungsbefunde zählen zu ihren Verdiens-
ten'0. Dagegen blieben die historischen Arbeiten über die Burg21 hinter ihren Mög-
lichkeiten deutlich zurück, weil eine Edition der Rechnungsserien fehlt. Die Rech-
nungen konnten bisher immer nur in kleinsten Ausschnitten ansatzweise berück-
sichtigt werden, zum Beispiel für die Rekonstruktion einzelner Baumaßnahmen an
der Burg Kirkel. Die geplante Edition des gesamten Rechnungsbestandes aus dem
späten Mittelalter und seine geschichtswissenschaftliche Auswertung soll einerseits
die Grundlagen für eine spätere fachübergreifende Zusammenarbeit mit der Archä-
ologie legen, andererseits zentrale Quellen für die mittelalterliche Wirtschafts-
geschichte und die zunehmend interdisziplinär betriebene Burgenforschung zur
Verfügung stellen. Im letztgenannten Bereich sind die Rechnungen neben ein-
zelnen Urkunden, Inventaren, Burgfriedensverträgen als eine zentrale, eigenstän-
dige Quellengattung zu bewerten.
Von den Kirkeler Kellereirechnungen sind 29 Flefte aus dem 15. Jahrhundert er-
halten, die sich aufgrund ihres Erhaltungszustandes für eine Edition eignen22. Es
handelt sich um halbbrüchige Papierhandschriften in der üblichen Größe für ver-
waltungsinterne Schriftstücke von etwa 9 bis 10 cm in der Breite und 25,5 bis 27
20 Christel Bernard, Ausgrabungen auf der Burg Kirkel (Vorbericht), in: Saarpfalz, Blätter
für Geschichte und Volkskunde 1995, Heft 1, S. 5-24; Dies., Grabungskampagnen 1995
und 1996 auf Burg Kirkel, in: Saarpfalz, Blätter für Geschichte und Volkskunde 1997,
Heft 1, S. 16-33; Dies., Die Grabungen auf der Burg Kirkel, in: Weinpokal und Rosen-
kranz, Archäologisches aus Burgen und Kirchen des Saarlandes, Katalog zur Ausstellung
des Museums für Vor- und Frühgeschichte, hg. von Andrei Miron, Saarbrücken 2000, S.
129-138; Dies., Keramik auf Burg Kirkel, ebd., S. 139-146; Dies., Die Grabungen auf
der Burg Kirkel, in: ebd., S. 129-138; Dies., Kirkel, in: Jürgen Keddigkeit, Karl Sche-
rer, Eckhard Braun, Alexander Thon und Rolf Übel (Hg.): Pfälzisches Burgenlexikon,
Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde (Beiträge zur pfälzischen Geschichte
12,3), Band: 1-N, Kaiserslautern 2005, S. 143-158; Alexander Recktenwald, Die „Zis-
terne“ auf der Burg Kirkel, in: Saarpfalz, Blätter für Geschichte und Volkskunde 1995,
Heft 1, S. 25-26.
_l David Ecker, Kirkel-Neuhäusel und seine Burg, Saarbrücken 1938; Stefan Flesch, Burg
Kirkel, in: Joachim Conrad und Stefan Flesch (Hg.), Burgen und Schlösser an der Saar,
3. erweiterte und neu gestaltete Auflage, Saarbrücken 1993, S. 346-349; Hans-Walter
Herrmann, Zur Geschichte der Burg Kirkel, in: Weinpokal und Rosenkranz (wie vo-
rausgehende Anm.), S. 123-127; Kurt Hoppstädter, Burg Kirkel, in: Kurt Hoppstädter
und Hans-Walter Herrmann (Hg.), Geschichtliche Landeskunde des Saarlandes 1: Vom
Faustkeil zum Förderturm, Mitteilungen des Historischen Vereins für die Saargegend
e.V., Neue Folge, Heft 2, 1969, 21977, 31983, S. 168-172; zur Geschichte der Burg un-
verzichtbar auch Hans-Walter Herrmann, Die Herren von Kirkel, in: Kurt Hoppstäd-
ter, Hans-Walter Herrmann und Hanns Klein (Hg.), Geschichtliche Landeskunde des
Saarlandes 2: Von der fränkischen Landnahme bis zum Ausbruch der französischen Re-
volution, Mitteilungen des Historischen Vereins für die Saargegend e.V., Neue Folge,
Heft 4, Saarbrücken 1977, S. 274-278.
Landesarchiv Speyer, B 3, Nr. 628 bis Nr. 673 (mit Lücken).
131
cm in der Höhe-’. Die Lagenanzahl der Hefte variiert stark. Der Umfang der Rech-
nungshefte schwankt von 15 bis 58 Blatt pro Rechnung, wobei der Durchschnitt
bei 31,8 folia pro Rechnung liegt. Der gesamte aus dem 15. Jahrhundert (1434/35
bis 1503/04) überlieferte Bestand an Rechnungen aus Kirkel umfasst 921 folia.
Darüber hinaus lagern im Landesarchiv Speyer sechs weitere Rechnungshefte, die
infolge von starken, kriegsbedingten Schäden (Wasser, Schimmel etc.) nicht ediert
werden können.
Nr. 628, 1434/35
Nr. 628, 1438/39
Nr. 629, 1444/45
Nr. 631, 1447/48
Nr. 632, 1448/49
Nr. 634, 1451/52
Nr. 635, 1452/53
Nr. 636, 1454/55
Nr. 660, 1456/57
Nr. 637, 1457/58
Nr. 638, 1458/59
Nr. 639, 1462/63
Nr. 640, 1463/64
Nr. 643, 1466/67
Nr. 646, 1468/69
Die Laufzeit der Rechnungen reicht in der Rege! von einem Fastensonntag
(meist Reminiscere oder Invocavit) zum selben Fastensonntag des Folgejahres; so
scheint das Rechnungsjahr an die Jahreszählung nach dem Stil des Bistums Metz
(inxta stilum Metensem) angelehnt zu sein, zu dem ein großer Teil des Herzogtums
Pfalz-Zweibrücken gehörte. Generell werden nicht nur Naturalien (vor allem Rog-
gen (körn), Hafer und Wein), sondern auch Geld vom Keller zu Kirkel abgerech-
net, der dem Amtmann von Zweibrücken unterstand, aber - im Unterschied zu den
pfalz-zweibrückischen Kellern in Nohfelden und Zweibrücken - nicht nur die Na-
turalienrechnung, sondern auch die ansonsten dem Amtmann vorbehaltene Geld-
rechnung führen durfte.
Die Kirkeler Rechnungen gehören zur zweiten Generation spätmittelalterlicher
Territorialrechnungen, die ab dem 14. Jahrhundert bereits differenziertere Text-
blöcke aufweisen und ab den 1340er Jahren in Heftform geführt wurden24. Jede
Buchung beginnt in einer neuen Zeile. Auf dem Titel- beziehungsweise Deckblatt
der meisten Rechnungen wird das in dem betreffenden Jahr in der Burg und in der
Kellerei (Amt) Kirkel ansässige beziehungsweise beschäftigte Personal, teils mit
Namen, teils mit Funktionsbezeichnungen, angegeben; woraus sich die personelle
Entwicklung der landesherrlichen Verwaltung auf der Amtsebene nachvollziehen
lässt. Die Rechnungen wurden von einem Keller (oder Kellner) geführt, der seinen
Amtssitz in der Burg hatte. Der im späten Mittelalter und zu Beginn der frühen
Neuzeit fest etablierte Begriff „Kellerei Kirkel“ wurde in der zweiten Hälfte des
Nr. 648, 1472/73
Nr. 649, 1473/74
Nr. 651, 1476/77
Nr. 652, 1477/78
Nr. 653, 1479/80
Nr. 654, 1479 (Fischrechnung)
Nr. 655, 1481/82
Nr. 657, 1483/84 (Geld)
Nr. 658, 1483/84 (Naturalien)
Nr. 659, 1486/87
Nr. 663, 1488/89
Nr. 667, 1493/94
Nr. 668, 1495/96
Nr. 673, 1503/04
Zur Veranschaulichung vgl. die Kopie einer Seite des Originals und ihre Transkription
im Anhang
'4 Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1), S. 113.
132
16. Jahrhunderts allmählich durch die Bezeichnung „Amt Kirkel“ ersetzt25. Auf-
grund von Beobachtungen zum häufigen Wechsel der Amtsbezeichnungen Keller,
Burggraf und Amtmann in der benachbarten Grafschaft Nassau-Saarbrücken26
muss der Frage nach der genauen Funktion des Kellers und des Amtmanns nach-
gegangen werden, die in regionalen Quellen aus der Saargegend anscheinend alter-
nierend als lokale Amtsträger auftauchen, während am Niederrhein in der 2. Hälfte
des 15. Jahrhunderts der Kellner zusätzlich zum seit Mitte des 14. Jahrhunderts
nachgewiesenen Amtmann hinzutritr7.
Die Rechnungen sind in mittelhochdeutscher Sprachform rheinfränkischer Prä-
gung („hinterpfälzisch“) abgefasst; wiewohl es sich bei den einzelnen Buchungen
zum Teil um stichpunktartige Angaben handelt, sind zahlreiche Rückschlüsse auf
die gesprochene Alltagssprache vor Ort von besonderem sprachwissenschaftlichem
Interesse. Daneben enthalten sie eine beachtliche Anzahl von Maßen, Münzen und
Gewichten (wie zum Beispiel strebe für ein 6-Pfennig-Stück), die in keinem ein-
schlägigen Fachlexikon auftauchen, zudem aber auch Angaben (wie beispielsweise
Metzblancken. englische Stosser, Veldentzer, Postulatsgulden und Hinweise auf
Kölnische Währung), die Rückschlüsse auf den Femhandel zulassen.
Ein bedeutender Aktenfund gelang zudem im Hauptstaatsarchiv in München.
Hier hat sich ein Zinsbuch des Amtes Kirkel erhalten, das mit zahlreichen weiteren
Akten des Herzogtums Pfalz-Zweibrücken auf der Flucht vor den Truppen der
Französischen Revolution schließlich ins Bayerische Hauptstaatsarchiv gelangte2*.
Das Zinsbuch stammt nach erster Durchsicht der inzwischen angefertigten Kopien
aus der Zeit um 1480, ist also gleichzeitig mit den Rechnungen entstanden; mög-
licherweise kann es anhand der darin enthaltenen Namen noch genauer datiert wer-
den. Es führt alle zur Herrschaft beziehungsweise Kellerei Kirkel gehörenden
Haushaltungen mit dem Steuersoll auf, während die Rechnungen die Gesamtsum-
men der Einnahmen des herzoglichen Amtsträgers erkennen lassen. Durch den
ln den späteren Kirkeler Rechnungen werden noch 1573 und 1579 Keller als Aussteller
genannt, während 1564 schon vom Amt Kirkel als territorialer Untergliederung des Her-
zogtums die Rede ist; vgl. Tilemann Stella, Beschreibung der Ämter Zweibrücken und
Kirkel, 1564, hg. von E. Scharf, Zweibrücken 1993.
~f' Karl Rüg, Burg Bucherbach im Köllertal, Püttlingen ohne Jahr (1984), S. 50-54 und 243;
Hans-Joachim KÜHN, Zur Geschichte der Burg Bucherbach im Mittelalter, Bemerkungen
zu Forschungsstand und Quellenlage, Püttlingen 1986, S. 4.
Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1), S. 277 und 346.
Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, Kasten blau Nr. 390/1. Zur komplizierten und
zersplitterten Überlieferung des pfalz-zweibrückischen Archivs und seiner Flucht zur
Zeit der Französischen Revolution vgl. Max Josef Neudegger, Geschichte der bayeri-
schen Archive neuerer Zeit bis zur Hauptorganisation vom Jahre 1799, Bd. 5: Das her-
zogliche Archiv zu Zweibrücken mit seinen Nebenarchiven Veldenz, Sponheim und Rap-
poltstein, München 1896; Walter Jaroschka, Das Bayerische Hauptstaatsarchiv in
München, Zur Geschichte und Struktur seiner pfälzischen Bestände, in: Das Landes-
archiv Speyer, Festschrift zur Übergabe des Neubaues, hg. von Karl Heinz Debus (Ver-
öffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 40), Koblenz 1987, S. 209-
216; Paul Warmbrunn, Spätblüte von Archivwesen und Rechtsgelehrsamkeit in einem
historisch bedeutsamen Kleinterritorium: Das Wirken von Johann Heinrich und Georg
August Bachmann im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken des Ancien Régime und in der
Übergangszeit, Vortragsmanuskript zur Tagung „Umbruch und Aufbruch“, Karlsruhe 18.
September 2003.
133
Vergleich von Zinsbuch und Rechnungen wird es möglich sein, nicht nur zahl-
reiche Orts- und Personennamen zuzuordnen, sondern auch die in den Rechnungen
auftretenden Summen besser zu beurteilen. Die Transkription des Zinsbuchs ist be-
reits abgeschlossen. Es soll in die Edition aufgenommen werden.
Darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass es sich bei den beiden Kirkeler
Rechnungsheften aus dem Jahre 1483/84 (Nr. 657 und 658) nicht um Duplikate
handelt, sondern um zwei separate Rechnungshefte, die die Einnahmen und Aus-
gaben an Geld beziehungsweise an Naturalien (Roggen, Hafer, Wein etc.) enthal-
ten. Die Trennung von Geld und Naturalien hängt möglicherweise mit den unter-
schiedlichen Kompetenzen eines Kellers oder Amtmanns zusammen. Kursorische
Einblicke in andere pfalz-zweibrückische Rechnungen im Landesarchiv Speyer
zeigten, dass die Keller in der Regel nur Naturalien abrechneten, vor allem in Fäl-
len, wo vor Ort auch die Existenz eines Amtmanns nachzuweisen ist, der dann die
Geldrechnung führte; im Fall Kirkel, wo der Keller von Anfang an Rechnung über
Geld und Naturalien legte, scheint somit die Entwicklung zum eigenen Amt vorge-
zeichnet gewesen zu sein.
Fragestellungen, die bereits jetzt für die wissenschaftliche Bearbeitung formu-
liert werden können, sind beispielsweise: Wer hat die Kirkeler Rechnungen gelegt?
Gab es in Kirkel neben dem Keller einen Schreiber oder Notar“’? Wird dieser unter
dem Burgpersonal (husgesinde, Hofgesinde) aufgeführt, oder wurde diese Aufgabe
von einem der nur namentlich ohne nähere Funktionsbezeichnung genannten Ge-
hilfen des Kellers wahrgenommen? Diese Frage ließe sich etwa beantworten, wenn
einzelne Handschriften bestimmten Personen zugewiesen werden könnten. Ließe
sich nachweisen, dass die Rechnungen verschiedener Keller von derselben Hand
stammten, wäre damit die Existenz eines subalternen Schreibbeamten nachgewie-
sen. Als Indiz für einen Schreiber oder aber auch für einen Rechnungsprüfer könn-
te die Umrechnung des Geldwerts in die konkret verwendeten Münzen von anderer
Hand in der Rechnung von 1479/80 interpretiert werden.
Das aus der wittelsbachischen Erbteilung vom 3. Oktober 1410 hervorge-
gangene Herzogtum Pfalz-Zweibrücken stellt ein Sammelsurium unterschiedlicher
Besitzkomplexe und Herrschaftsrechte dar. Inwieweit hat die Neugliederung des
wittelsbachischen Besitzes von 1410 die Entstehung der Rechnungen beeinflusst?
Hängt das Einsetzen der Kirkeler Rechnungen im Jahre 1434 mit einem Ausbau
der Verwaltung durch Herzog Stephan zusammen? Inwieweit haben die Herzoge
durch die Einrichtung von Kellereien beziehungsweise Ämtern eine Homogenisie-
rung der Verwaltung angestrebt oder gefördert? Lassen sich aus den Rechnungen
spätere Verwaltungsneugliederungen ermitteln, die die zwischen 1386 und 1414
schrittweise an die Pfalzgrafen gelangte ursprünglich saarwerdische Herrschaft
Kirkel betrafen?
Wie war der Keller in die adlige Gesellschaft und in die Hierarchie der poli-
tischen Wortführer eingebunden? Welchem Zweck dienten die mehr oder weniger
regelmäßigen Besuche des Vogtes (faut) und anderer Adliger? Stehen sie in Zu-
sammenhang mit administrativen Aufgaben, oder waren sie standesgemäßer Aus-
druck von Lebensfreude und Genuss (Jagd, Fischfang)? In der benachbarten Graf-
schaft Nassau-Saarbrücken wurden die Burgmannen von Bucherbach durch Amt- * 295
24 Vgl. Mersiowsky, Die Anfänge territorialer Rechnungslegung (wie Anm. 1), S. 291 -
295.
134
leute abgelöst; mehrere dieser Funktionsträger tauchen noch im 15. Jahrhundert al-
ternativ als Burggraf oder Amtmann in den Quellen auf; einige werden ausschließ-
lich als Kellner bezeichnet. Sind die Begriffe Burggraf, Amtmann und Kell(n)er zu
dieser Zeit austauschbar? Wie unterscheiden sich im westdeutschen Raum Amtleu-
te und Keller (etwa durch ständische Zugehörigkeit)?
Die lokale Herkunft zahlreicher in den Rechnungen genannter Handwerker be-
schränkt sich keinesfalls auf die im Herzogtum gelegenen Städte Zweibrücken und
Hombach. Gab es im bekanntermaßen städtisch unterentwickelten Westrich ein
weit verbreitetes dörfliches Handwerk?
In den Kirkeler Rechnungen taucht immer wieder der Begriff ritterburg auf, der
wohl statt der Oberburg, die im 15. Jahrhundert zwei Türme und ein Wohngebäude
umfasste, eher die Wohnhäuser von Burghut leistenden niederen Adligen aus dem
14. Jahrhundert auf der mittleren Geländeebene der Burg bezeichnet. Gibt es An-
zeichen dafür, dass auch in pfalz-zweibrückischer Zeit dort noch Burgmannenfami-
lien lebten und Burghut leisteten, oder gehört diese Phase mit dem Einsetzen der
Rechnungen bereits der Vergangenheit an?
Lässt sich eine Entwicklung der einzelnen Rubriken der Rechnungen im Sinne
einer Vervollständigung beziehungsweise der Erlangung größerer innerer Strin-
genz beschreiben? Nach bisheriger kursorischer Durchsicht schrieb jeder Keller die
einzelnen Posten eher nach eigenem Gutdünken auf. Dies steht in deutlichem Ge-
gensatz zu den Beobachtungen Mersiowskys für Nordwestdeutschland, wo es vor
Anfertigung der Reinschrift bereits chronologisch abgefasste Listen von Einzel-
buchungen gegeben hat.
Folgen die Kirkeler Kellereirechnungen den zeitgleich überlieferten Formen an-
derer Landesherrschaften? Hier bietet sich insbesondere der Vergleich mit der ar-
chivalischen Überlieferung territorialer Rechnungen der lokalen Ebene aus der
Grafschaft Nassau-Saarbrücken (Bucherbach) und dem Herzogtum Lothringen
(Saargemünd, Berus, Siersberg) an.
Enthalten die Kirkeler Rechnungen Hinweise auf die Umstände ihrer Überliefe-
rung und auf die Archivierungspraxis im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken?
Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Kirkeler Rechnungen eine einzigartige,
fast serielle Quelle zum spätmittelalterlichen Rechnungswesen der Landesherr-
schaften darstellen. Das Saarland - wie auch die angrenzenden Gebiete der West-
pfalz und des deutschsprachigen Lothringen - weisen bei der Erfassung des Rech-
nungswesens eine Lücke auf. Der überlieferte Rechnungsbestand aus Kirkel ist,
auch weit über die saarpfalzische Region hinaus, vergleichsweise alt und von gera-
dezu einmaligem Umfang.
Zwischen den Anfängen des territorialen Rechnungswesens im Raum zwischen
Saar und Rhein ergeben sich enge inhaltliche Verbindungen zum verwandten For-
schungsbereich der fürstlichen Hof- und Ämterordnungen, da die verwaltungs-
organisatorischen Regelungen zum Rechnungswesen in den Bereich der Hof- und
Ämterordnungen fallen. Für das Großterritorium der drei in Personalunion ver-
einigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg sind in Bezug auf das 15. und 16. Jahr-
hundert bereits mehrere wissenschaftliche Publikationen erschienen'0; die Edition 30
30 Brigitte Kasten, Die Hofhaltung in Jülich und Berg im 15. und beginnenden 16. Jahr-
hundert, in: Territorium und Residenz am Niederrhein (Klever Archiv, 14), hg. von
Klaus Flink und Wilhelm Janssen, Kleve 1993, S. 171-187; Dies., Residenzen und Hof-
135
der Hof- und Ämterordnungen wurde zur Drucklegung eingereicht. Auch für das
Herzogtum Pfalz-Zweibrücken liegt eine Edition der Finanz- und Dienstordnung
aus dem Jahre 1443 vor'1.
Selbstverständlich geben die Rechnungen des späten Mittelalters, die vielfach
auf Burgen entstanden sind, auch über viele Bereiche des alltäglichen Lebens in
der Burg wertvolle Aufschlüsse und stellen somit auch für die Burgenforschung
eine wertvolle Quellengruppe dar, die längst noch nicht ausgeschöpft ist und, was
die regionale Burgenforschung betrifft, noch in den Anfängen steckt’2.
Weitere territoriale Rechnungsbestände
Es gibt Editionen von weiteren Einzelrechnungen kleineren Umfangs: So wurden
aus dem mittelrheinischen Raum Rechnungen aus den kurtrierischen Ämtern be-
ziehungsweise Kellereien Manderscheid1, Mayen'4 und Montabaur’5, aus der
Grafschaft Katzenelnbogen16 und aus der Herrschaft Landskron1 vorgelegt. Für * 280
haltung der Herzoge von Jülich im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert, in: Burg und
Schloß als Lebensorte in Mittelalter und Renaissance, hg. von Wilhelm G. BUSSE, Düs-
seldorf 1995, S. 35-82 (Anhang: Edition der Hofordnungen Herzog Wilhelms IV. von Jü-
lich-Berg von 1479 und 1490); Dies., Überlegungen zu den jülich-(klevisch-)bergischen
„Hofordnungen” des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Höfe und Hofordnungen 1200-1600
(5. Symposium der Residenzenkommission der Akademie der Wissenschaften in Göttin-
gen = Residenzenforschung 10), hg. von Holger Kruse und Werner Para VICINI, Sigma-
ringen 1999, S. 421-455.
jl Wagner, Finanz-und Dienstordnung (wie Anm. 17), S. 21-164.
Hans-Joachim Kühn, Zur Geschichte der Burg Bucherbach im Mittelalter (wie Anm.
26), S. 4; Ders., „Bitsch“, „Bliesmengen“, „Eschweiler“, in: Jürgen Keddigkeit u. a.
(Hg.), Pfälzisches Burgenlexikon, Institut für pfälzische Geschichte und Volkskunde,
Kaiserslautern 1999, 2003, Bd. 1: (Beiträge zur pfälzischen Geschichte 12,1), S. 276-
280, 287-289 und 522-524); Ders. (teils mit Mitautoren), „Hollerburg“, ebd., Bd. 2,
2002, S. 421-423; Ders. (mit Mitautoren), „Lichtenberg“, „Michelsberg“, ebd., Bd. 3,
2005, S. 393-411 und 558-570; Ders. (mit Mitautoren), „Reipoltskirchen“, ebd., Bd. 4,1,
2007, S. 227-240; Ders., Franz von Sickingen an Saar, Mose! und Maas, hg. vom Muse-
um St. Wendel, der Stiftung Dr. Walter Bruch und vom Stadtarchiv St. Wendel, St.
Wendel 2004; Ders., Die Geschichte der Burg in Püttlingen nach archivalischen Quel-
len, in: DERS. (Hg.), Beiträge zum 1. Saarländischen Burgensymposion am 31. März
2007 in Saarbrücken, herausgegeben im Auftrag der Gasthörer/innen - Kulturkreis an der
Universität des Saarlandes e.V., Saarbrücken/Münster 2009, S. 67-83; Ders., Bedeutung
und Umfeld der Neunkircher Hofhaltungsrechnungen aus den Jahren 1687 und 1688, in:
Brigitte Schubert (Hg.), Die Hofhaltung im Alten Schloß zu Neunkirchen 1687 und
1688 (Quellen zur saarländischen Familienkunde 4), Saarbrücken 2010, S. 5-7; Ders.,
Ripplingen - ein bislang unbekannter Adelssitz an der Saar, in: Burgen und Schlösser.
Zeitschrift für Burgenforschung und Denkmalpflege, herausgegeben vom Europäischen
Burgeninstitut der Deutschen Burgenvereinigung e.V., 51. Jg., 2010, Heft 4, S. 233-238.
” Zimmer, Kellereirechnung 1397/98 (wie Anm. 9), S. 202-204.
'4 Burgard/MöTSCH, Die Rechnung des trierischen Kellners in Mayen (wie Anm. 9), S.
273-317.
3i Thamm, Bruchstücke einer alten Kellereirechnung (wie Anm. 8), S. 3-8.
46 Hans-Peter Lachmann, Die älteste Rechnung der Obergrafschaft Katzenelnbogen aus
dem Jahr 1401, in: Archiv für hessische Geschichte, N. F. 31, 1971/72, S. 4-97, dazu
auch Heinrich Maulhardt, Die wirtschaftlichen Grundlagen der Grafschaft Katzeneln-
136
den schwäbisch-württembergischen Raum liegen ein Einkünfteverzeichnis der
Grafschaft Kirchberg* 38 * 40, eine Rechnung des württembergischen Amtes Bracken-
heim1 J und des vorderösterreichischen Landvogts4" vor. An Rechnungseditionen
für den pfälzischen Raum sind ein sehr frühes Fragment aus Boianden41 * 43 und eine
Kellereirechnung des Oberamts Lichtenberg4^ zu nennen. Aus dem Saarland liegt
bislang eine einzige Edition überhaupt vor; Hanns Klein4, hat eine Rechnung des
Rentmeisters der Grafschaft Saarbrücken und einen Etat publiziert. Aus dem an-
grenzenden deutschen Bellistum des Herzogtums Lothringen (Bailliage d’Alle-
magne) sind keine Rechnungseditionen bekannt.
Die Recherchen nach vergleichbaren Archivbeständen zum landesherrlichen
Rechnungswesen im Westen Deutschlands (insbesondere der Saargegend, des
deutschsprachigen Lothringen und der Westpfalz sowie angrenzenden Gebieten)
ergaben, dass vergleichbare Bestände einen wesentlich geringeren Umfang auf-
weisen, in der Regel nur einzelne Rechnungen umfassen und zudem oft viel jün-
geren Datums sind. Die im Folgenden wiedergegebenen Ausführungen stellen eine
erste Übersicht für das späte Mittelalter dar, die sich sicher noch ergänzen lässt.
Kurfürstentum Pfalz
Der im Landesarchiv Speyer erhaltene Bestand an Rechnungen aus der Kurpfalz
(Bestand A 3) stammt ganz überwiegend aus dem 18. Jahrhundert, wenige Stücke
aus dem 17. Jahrhundert und nur eine Rechnung aus dem 16. Jahrhundert, kommt
also für einen Vergleich mit dem Kirkeler Bestand nicht in Betracht.
In Karlsruhe hat sich eine frühe Sonderabrechnung von Militärdiensten der Kur-
pfalz aus dem Jahre 1349/50 erhalten44.
Kurfürstentum Trier
Da es Editionen von Einzelrechnungen kleineren Umfangs aus den kurtrierischen
Ämtern beziehungsweise Kellereien Manderscheid45, Mayen4" und Montabaur4
bogen im 14. und 15. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte
39), Darmstadt 1980.
Theresia Zimmer, Quellen zur Geschichte der Herrschaft Landskron an der Ahr, 2 Bän-
de, Bd. 2: Rechnungen, Inventare, Güter- und Zinsverzeichnisse 1242-1500 (Publikatio-
nen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 56), Bonn 1966.
38 Max Huber, Ein Einkünfteverzeichnis der Grafschaft Kirchberg-Kirchberg von 1379-
1438, in: Ulm und Oberschwaben 40/41 (1973), S. 27-68.
34 Christian Keitel, Eine Brackenheimer Rechnung von 1438. Edition der ältesten würt-
tembergischen Amtsrechnung, in: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 60
(2001), S. 89-138 (Edition S. 117-138).
40 Rolf Köhn, Die Abrechnungen der Landvögte in den österreichischen Vorlanden um
1400. Mit einer Edition des Raitregisters Friedrichs von Hattstatt für 1399-1404, in: Blät-
ter für deutsche Landesgeschichte 128 (1992), S. 117-178.
41 Wolf-Heino Struck, Aus den Anfängen der territorialen Finanzverwaltung. Ein Rech-
nungsfragment der Herren von Boianden um 1258/62, in: Archivalische Zeitschrift 70
? (1974), S.l-21.
4" Krüger, Aus alten Rechnungen (wie Anm. 9), S. 158-160.
43 Klein, Beiträge zum Rechnungswesen (wie Anm. 12), S. 17-141.
44 Generallandesarchiv Karlsruhe, Bestand 43, Nr. 145.
137
gibt, wäre im Landeshauptarchiv Koblenz zu prüfen, ob weitere Rechnungen von
Amtleuten aus dem 14. und 15. Jahrhundert vorliegen. Nach Durchsicht der online
zugänglichen Findmittel des Landeshauptarchivs Koblenz stammt die Masse der
erhaltenen kurtrierischen Finanzakten aus dem 18. Jahrhundert.
Herzogtum Lothringen
Die Überlieferung herzoglich lothringischer Rechnungen aus dem späten Mittelal-
ter kann - gemessen an der allgemein dürftigen Quellenlage - als hervorragend be-
zeichnet werden, vor allem auch deshalb, weil sich hier Originalüberlieferung auf
drei hierarchischen Ebenen erhalten hat:
Die Rechnungen der Generaleinnehmer des Herzogtums Lothringen sind von
1438 bis 1789 (mit kleinen Lücken) erhalten. Das Einsetzen der Rechnungsbe-
stände der Zentralverwaltung im 15. Jahrhundert dürfte mit der damals errichteten
Chambre des Comptes Zusammenhängen, der neben der Finanzaufsicht auch das
Urkundenwesen des Herzogtums oblag4*.
Auch auf der mittleren Administrationsebene der Bellistümer (bailliages) gibt es
Reste originaler Überlieferung: Für den Vogesenbezirk (bailliage des Vosges) lie-
gen Für die Jahre 1424-1427, 1485-1486, 1523-1586 und 1603-1607 Rechnungen
vor45 * * 48 49. Das Deutsche Bellistum (Bailliage d’Allemagne) ist mit Rechnungsserien
aus den Jahren 1480-1518, 1525-1532 und 1585-1586 vertreten50 51. Berücksichtigt
man, dass die bailliages bereits im 13. Jahrhundert etabliert wurden, setzen die er-
haltenen Rechnungen mit einer Verzögerung von zwei Jahrhunderten vergleichs-
weise spät ein.
Von den für die Zeit vom 14. bis zum 18. Jahrhundert für insgesamt 143 lokale
Verwaltungseinheiten vorliegenden 8377 Rechnungsdossiers sind die erhaltenen
Bestände aus dem 15. Jahrhundert beachtlich"1: Es wäre zu prüfen, ob die Rech-
nungen der Ämter, Herrschaften beziehungsweise Propsteien {prévôtés) aus dem
Deutschen Bellistum {Bailliage d'Allemagne) in deutscher oder französischer
Sprache abgefasst sind. Die Sprache der Akten der lokalen Verwaltung im deutsch-
sprachigen Gebiet und die genaue Anzahl der erhaltenen Stücke ließe sich nur in
den Archives Départementales de Meurthe-et-Moselle in Nancy klären. Im Fol-
genden seien nur einige Ämter aufgelistet, die ins heutige Saarland oder in den
45 Theresia Zimmer, Kellereirechnung 1397/98 (wie Anm. 9).
4h Burgard/Mötsch, Die Rechnung des trierischen Kellners in Mayen (wie Anm. 9), S.
273-317.
4 Thamm, Bruchstücke einer alten Kellereirechnung (wie Anm. 9), S. 3-8.
48 Archives Départementales de Meurthe-et-Moselle (im Folgenden abgekürzt AD MM),
Nancy, B 967 - B 1915 (Comptes des receveurs généraux de Lorraine); zu den Beständen
im Departementsarchiv Nancy, das den Kern der schriftlichen Überlieferung des Herzog-
tums Lothringen birgt, siehe Hubert COLLIN, Guide des Archives de Meurthe-et-Moselle,
Première partie: Séries anciennes: B à L (Archives des origines à l’an VIII), Séries mo-
dernes: M à Q, Nancy 1984; bis heute unentbehrlich ist das alte Findbuch von Emile Du-
VERNOY, Archives Départementales de Meurthe-et-Moselle, Répertoire Numérique des
Séries Antérieures à 1790, Nancy 1916.
49 AD MM Nancy, B 1919 - B 1936 (Comptes du receveur du bailliage des Vosges).
50 AD MM Nancy, B 1937 - B 1974 (Comptes du receveur du bailliage d’Allemagne).
51 AD MM Nancy, B 1975 - B 10352.
138
deutschsprachigen Teil des Moseldepartements hineinreichen (die Jahreszahlen
geben die Zeiträume an, aus denen in Nancy Rechnungen vorliegen):
• Boulay (Bolchen) 1490-1669,
• Dieuze (Duß) 1419-1669,
• Sarreguemines (Saargemünd) 1474-1669,
• Sierck 1424-1672,
• Siersberg 1477-166952,
• Vaudrevange (Wallerfangen) 1451-166953.
Daneben gibt es mehrere Rechnungen aus den lothringischen Ämtern Berus und
Saargemünd in unterschiedlichen Beständen des Landesarchivs Saarbrücken:
• die Rechnung des Kellners zu Berus aus dem Jahre 1450/51 (Landesarchiv Saar-
brücken, Bestand „Nassau-Saarbrücken II“, Nr. 6917); hier wäre zu prüfen, ob
es sich um die Rechnung eines nassauischen oder lothringischen Beamten han-
delt (die Herrschaft könnte verpfändet gewesen sein),
• zwei Rechnungen der Herrschaft Berus, 1446-1450 und 1464 (Landesarchiv
Saarbrücken, Bestand „Herzogtum Lothringen“, Nr. 205),
• zwei Rechnungen des Kellners zu Saargemünd (Sarreguemines) aus den Jahren
1451 und 145 754.
Bei den letztgenannten drei Gruppen scheint es sich um Rechnungen zu han-
deln, die entstanden sind, als der Graf von Nassau-Saarbrücken die genannten her-
zoglich-lothringischen Herrschaften verpfändet hatte.
Gemessen an den reichen Archivbeständen, ist es geradezu unverständlich, dass
die französische Forschungsliteratur sich bisher nur ganz vereinzelt mit territori-
alen Rechnungen befasst hat55: Was Lothringen betrifft, so geht Michel Parisse56 * * in
der mehrbändigen Histoire de la Lorraine gerade einmal auf einer halben Seite auf
das mittelalterliche Rechnungswesen ein. Neben zahlreichen, oft älteren, lokalen
Studien existieren keine Spezialuntersuchungen zum mittelalterlichen Rechnungs-
wesen in Lothringern7.
AD MM Nancy, В 9459 - В 9524.
AD MM Nancy, В 10195 - В 10293; für das ganz im heutigen Saarland liegende Amt
Schaumberg liegen Rechnungen erst für die Jahre 1536-1669 vor (Archives Départemen-
tales de Meurthe-et-Moselle, Nancy, В 9295 - В 9350).
54 Landesarchiv Saarbrücken, Bestand „Nassau-Saarbrücken II“, Nr. 3107 und 3108.
55 Die bei Charles Hiegel, Répertoire numérique de la sous-série 29 J, Fonds de l’Évêché
de Metz, Archives Départementales de la Moselle, Metz 1988, S. 46-52, zusammenge-
stellte Orientation bibliographique zur Geschichte des Bistums Metz weist keinerlei rele-
vante Titel auf, die sich mit dem Rechnungswesen beschäftigen; auch die Durchsicht der
Bibliographie lorraine blieb diesbezüglich erfolglos, ebenso Literaturrecherchen im In-
ternet.
56 Encyclopédie illustrée de la Lorraine, Histoire de la Lorraine, herausgegeben von Guy
Cabourdin, L’Époque Médiévale: L’Austrasie, Lotharingie, Lorraine, bearbeitet von
Michel Parisse, Nancy/Metz 1990, S. 184.
Vgl. Hubert Collin, L’administration seigneuriale des villages lorrains et le système fis-
cal de l’assise au début du XIVe siècle, in: Bulletin philologique et historique du Comité
des travaux historiques et scientifiques, 1965 (1968), S. 393-411; Guy Cabourdin, Les
Ducs de Lorraine et la Monnaie (1480-1635), Nancy 1975 (44 Seiten) befasst sich in ers-
ter Linie mit dem Münzwesen.
139
Aber auch im übrigen französischsprachigen Raum sieht es nicht viel besser
aus. Cathérine Goldmann s hat einige Rechnungen einer kleinen Herrschaft in der
Normandie analysiert und wenige Seiten dieser Stücke aus dem Departements-
archiv Calvados publiziert. Die Belgierin Andrée van Nieuwenhuyserf4 hat ausge-
wählte wichtige Dokumente Philipps des Kühnen, Herzogs von Burgund, vorge-
legt. Georges DUBY* 60 hat sich im Rahmen seiner umfassenden Studien zur mittelal-
terlichen Wirtschaftsgeschichte ebenfalls mit Rechnungen befasst, ohne aber in die
Details des territorialen Rechnungswesens einzusteigen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Überlieferungslage zum spät-
mittelalterlichen Rechnungswesen der an unseren Untersuchungsraum westlich an-
grenzenden Territorien in den Archiven in Metz, Nancy und Saarbrücken nicht
schlecht, für das Herzogtum Lothringen sogar vergleichsweise gut ist, der Editions-
und Forschungsstand hingegen nur als dürftig bezeichnet werden kann61.
Herzogtum Luxemburg
Das Nationalarchiv in Luxemburg verwahrt in seinem Bestand A VI (Administra-
tions subalternes et locales) zwar Rechnungen der unteren Verwaltungsebene des
Herzogtums, aber ausschließlich aus neuerer Zeit62. Lediglich von kleineren Terri-
torien im Luxemburger Raum haben sich einige spätmittelalterliche Stücke erhal-
ten, so zum Beispiel
• zwei Rechnungen der Kellerei in der Grafschaft Vianden aus den Jahren 1446
und 146463,
• vier Rechnungen der Herrschaft Zolwer und Differdingen aus den Jahren 1477,
1483, 1499/1500 und 1502/1503 sowie
• 22 Rechnungen der „Herrlichkeit Berns“ aus den Jahren 1551-1577, womit die
Herrschaft Berus (Landkreis Saarlouis) gemeint ist64.
Cathérine Goldmann, La seigneurie de Fontenay-le-Marmion (Calvados): Analyse d'une
comptabilité seigneuriale (1377-1380), in: Seigneurs et seigneuries au Moyen Age. Actes
du 117eme Congrès national des sociétés savantes, Clermont-Ferrand 1992, Comité des
travaux historiques et scientifiques (CTHS), Paris 1993, S. 275-287.
Andrée van Nieuwenhuysen, Documents relatifs à la gestion des finances de Philippe le
Hardi, duc de Bourgogne et comte de Flandre (1384-1404), dans: Bulletin de la Commis-
sion royale d'histoire, Académie royale de Belgique, Bruxelles 1980, S. 69-312.
60 Georges Duby, Guerriers et Paysans, VIF-XIf siècle, premier essor de l'économie euro-
péenne, Paris 1973; Ders, La seigneurie et l'économie paysanne dans les Alpes du Sud
en 1338, in: Études rurales (Paris 1961), S. 5-36, Nachdruck in: Ders., Hommes et struc-
tures du Moyen-Âge 2, Paris 1988, S. 20-40.
61 Das spätmittelalterliche Rechnungswesen ist aber auch in Frankreich als Forschungs-
desiderat längst erkannt; zu einem neuen Projekt an der Universität in Lille vgl.
http://irhis.recherche.univ-lille3.fr/00-Comptabilites/Lille2008.html.
62 Spang, État Général des Fonds conservés aux Archives Nationales du Grand-Duché de
Luxembourg et aux Archives de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducal, Publica-
tions de la Section Historique de l’Institut Grand-Ducal de Luxembourg 112, Luxem-
bourg 1995, S. 257f.
63 Archives Nationales de Luxembourg, 1 A Bestand LV (Comté de Vianden), 550010; vgl.
Spang, État Général des Fonds (wie Anm. 62), S. 389.
140
Im Generalarchiv des Königreichs Belgien in Brüssel finden sich unter den Ak-
ten der Chambre des Comptes de Brabant (III A §3) auch Rechnungen der Gene-
raleinnehmerei (Recette Générale) des Herzogtums Luxemburg und der Grafschaft
Chiny (1383-1741 )64 65.
Herzogtum Pfalz-Zweibrücken
Es liegen auch aus anderen Kellereien und Ämtern des Herzogtums Pfalz-Zwei-
brücken weitere Rechnungen vor. Im einzelnen sind dies
• fünf Zweibrücker Kellereirechnungen aus den Jahren 1464 bis 149766,
• zwölf Landschreiberei-, Amts- und Kellereirechnungen aus Lichtenberg, die
zum Teil auch die dem Amtmann von Lichtenberg unterstehende Kellerei Noh-
felden mit betreffen, aus den Jahren 1444 bis 149 067,
• sechs (davon zwei vermisste) Kellereirechnungen aus Nohfelden aus den Jahren
1469 bis 149068,
• und ein Rechnungsheft von Landsberger Kellereirechnungen aus den Jahren
1461 bis 146969 70; Moscheilandsberg (heute Stadt Obermoschel, Donnersberg-
kreis) gehörte zum pfalz-zweibrückischen Amt Meisenheim u.
Von den im Bestand B 3 im Landesarchiv Speyer erhaltenen 23 Rechnungen
aus dem 15. Jahrhundert würden sich nach Abzug der schwer kriegsbeschädigten
Exemplare etwa 15 Stück für eine Edition eignen.
Grafschaft Nassau-Saarbrücken
Neben der einzigen erhaltenen Rechnung eines Rentmeisters der Grafschaft Saar-
brücken71 existieren
• als Unikum für die ganze Grafschaft die Rechnungen des Amtes Bucherbach
aus den Jahren 1422 bis 1572, wenngleich mit großen Lücken72. Eine genaue
64 Archives Nationales de Luxembourg, 1 A Bestand LXI1I (Fonds de Culenborg), 4036-
4039 und 4078-4099; vgl. Spang, État Général des Fonds (wie Anm. 62), S. 730 und
732.
Spang, État Général des Fonds (wie Anm. 62), S. 738-740.
66 Landesarchiv Speyer, Bestand B 3, Nr. 283-286 und Nr. 647 (früher fälschlich bei Kel-
lereirechnungen Kirkel eingeordnet).
6 Landesarchiv Speyer, Bestand B 3, Nr. 922-924, Nr. 937-939, Nr. 939a, Nr. 940, Nr.
1011 und Nr. 1013-1015 (einige fälschlich als Landschreibereirechnung bezeichnet, teils
stark beschädigt und unbenutzbar wegen Schimmelbefalls); der heimatkundliche Beitrag
von Franz Krüger, Die Rechnung des Kellers des Oberamts Lichtenberg von 1446/1447,
in: Westricher Heimatblätter 15 (1984), S. 130-140 genügt nicht den Kriterien einer wis-
senschaftlichen Edition,
f>K Landesarchiv Speyer, Bestand B 3, Nr. 1137-1143.
69 Landesarchiv Speyer, Bestand B 3, Nr. 1349a.
70 Vgl. auch Frank Wagner, Ernteerträge des nordpfälzischen Getreidebaus im Spätmittel-
alter, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 28 (2002), S. 77-133; Frank Wag-
ner, Der Weinhaushalt der Landsburg im 15. Jahrhundert (Schriften zur Weingeschichte
135), Wiesbaden 2000; beiden Arbeiten liegen die Rechnungen der Kellerei Landsberg
zugrunde.
71 Klein (wie Anm. 12).
141
Auflistung kann nur nach Durchsicht der beiden dicken Folianten im Original
erfolgen; die nachfolgende Aufstellung ergibt sich aus einer von Karl RÜG zu-
sammengestellten Liste der Amtleute73: Danach kämen Für eine Edition in Frage
die 14 Jahrgänge 1422/23 (stark beschädigt)74, 1447/48, 1450, 1456, 1457/58,
1464/65, 1458/59, 1461/62, 1470/71, 1471/72, 1477, 1478/79, 1479/80,
1496/97 \ Die Bucherbacher Rechnungen dürften nach dem einzigartigen
Glücksfall der Überlieferung der Kirkeler Rechnungen den zweitwichtigsten
Bestand an landesherrlichen Rechnungen im Saarland darstellen.
• Rechnungen des Grafen von Nassau-Saarbrücken zu Rollingen (heute Raville in
Lothringen an der Deutschen Nied), geführt durch die Amtmänner Simon von
Hombach, Thiel von Beffort, Caspar Gans von Herbitzheim 1459-1462, 1518
und 157 1 76.
In diesem Zusammenhang sind auch die Auszüge aus älteren, heute nicht mehr
vorhandenen Rechnungen der Grafschaft Saarbrücken mit Verzeichnissen der
Rentmeister, Rechnungsführer und der in den Rechnungen vorkommenden Rubri-
ken aus den Jahren 1448-1700 von Interesse, die der nassau-saarbrückische Rat
Schaller zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus inzwischen verlorenem Archivgut er-
stellt hat77.
Grafschaft Saarwerden
Aus der Grafschaft Saarwerden (westlich des nördlichen Vogesenkamms) ist die
Rechnung der Einnahmen und Ausgaben der Grafschaft aus dem Jahre 1501 über-
liefert, geführt durch den Keller Hans von Drulingen Л
Grafschaft Sponheim
In Koblenz lagern mehrere Rechnungen der Hinteren Grafschaft Sponheim (im öst-
lichen Hunsrück) aus den Jahren 1363 bis 1368 9. 2 * 4 * 6
2 Landesarchiv Saarbrücken, Bestand „Nassau-Saarbrücken II“, Nr. 3032 und 3033; vgl.
Karl Rüg, Burg Bucherbach im Köllertal, Püttlingen ohne Jahr (1984), S. 50 et passim,
und Hans-Joachim KÜHN, Zur Geschichte der Burg Bucherbach im Mittelalter, Bemer-
kungen zu Forschungsstand und Quellenlage, Püttlingen 1986, S. 4.
Karl Rüg, Burg Bucherbach im Köllertal, Püttlingen ohne Jahr (1984), S. 243.
4 Landesarchiv Saarbrücken, Bestand „Nassau-Saarbrücken II“, Nr. 3033.
Landesarchiv Saarbrücken, Bestand „Nassau-Saarbrücken II“, Nr. 3032 umfasst (wegen
des gleiches Formats) die Rechnungshefte ab dem Jahr 1447/48 und alle übrigen bis
1496/97.
6 Landesarchiv Saarbrücken, Bestand „Nassau-Saarbrücken II“, Nr. 3035.
Landesarchiv Saarbrücken, Bestand „Nassau-Saarbrücken II“, Nr. 2457a, S. 1-158
(freundlicher Hinweis von Herrn Professor Dr. Hans-Walter Herrmann).
x Landesarchiv Saarbrücken, Bestand „Archivaliensammlung des Historischen Vereins für
die Saargegend“, Nr. B 101.
4 Landeshauptarchiv Koblenz, Abteilung 33, Nr. 6933; vgl. auch Johannes Mötsch (Be-
arb.), Regesten des Archivs der Grafen von Sponheim 1065-1437. Teil 4: 1426-1437.
Besitzverzeichnisse und Rechnungen, Nachträge und Berichtigungen. Anhang: Die
Sammlung Kremer (Regesten Nr. 4240-4875); Kellereibuch Grevenburg (bei Traben-
Trarbach) von 1362-1368; Manuale der Rechnungslegung sämtlicher Beamten der ver-
einigten Grafschaft Sponheim von 1436 (Veröffentlichungen der Landesarchivverwal-
tung Rheinland-Pfalz 44), Koblenz 1990.
142
Grafschaft Sayn
Im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden gibt es eine Rechnung des Rentmeisters Johannes
von Flammersfeld zu Homburg an der Mark, betreffend den Anteil der Grafschaft
Sayn-Hachenburg aus dem Jahre, 1447-1448*°
Grafschaft Leiningen
Wir wissen, dass sich im fürstlich leiningischen Archiv in Amorbach Rechnungen
aus dem 15. Jahrhundert von der unteren Verwaltungsebene befinden, die zumin-
dest die Hardenburg bei Bad Dürkheim betreffen; diese sind aber weder erschlos-
sen noch derzeit zugänglich.
Herrschaft Kriechingen
Es haben sich einige Rechnungen der Herrschaft Kriechingen (Crichingen, heute
Crehange) in Lothringen aus den Jahren 147! bis 1566 erhalten*1, wobei nur vor
Ort geklärt werden kann, wieviele Stücke davon ins 15. Jahrhundert gehören.
Herrschaft Saarwellingen
Im Landesarchiv Saarbrücken haben sich einige wenige Rechnungen der Herr-
schaft Saarwellingen aus derZeit von 1454 bis 1631 erhalten*2.
Diese Auflistung belegt unzweifelhaft die obige Feststellung, dass der im Lan-
desarchiv Speyer bewahrte Fundus an Kirkeler Kellereirechnungen von seinem Al-
ter und von seinem Umfang her zu den bedeutendsten territorialen Rechnungsbe-
ständen aus dem 15. Jahrhundert im Westen Deutschlands zählt und dass er, einmal
erschlossen, vergleichende Forschungen im westeuropäischen Zusammenhang er-
möglicht.
Fragen nach möglichem französischem Einfluss
Zur Frage der Vergleichbarkeit beziehungsweise möglicher westlicher Einflüsse
bieten sich in erster Linie Vergleiche mit dem Herzogtum Lothringen, ferner auch
mit dem Herzogtum Luxemburg an. In beiden zum Heiligen Römischen Reich ge-
hörigen Territorien war das Französische die Sprache der (zentralen) Verwaltung.
Was Luxemburg betrifft, kann ab dem 15. Jahrhundert von einer generellen Ori-
entierung zu den Niederlanden ausgegangen werden, deren Rechnungswesen laut
Mersiowsky hoch entwickelt war. Unglücklicherweise sind aus dem Herzogtum
Luxemburg aber kaum territoriale Rechnungen im Original erhalten, so dass es für
einen möglichen Vergleich weitgehend ausfällt.
Im Hinblick auf Lothringen gilt es zu berücksichtigen, dass es neben dem Her-
zogtum (mit der Hauptstadt Nancy) noch andere Territorien in dieser Region gab,
wozu die drei Bistümer Metz, Toul und Verdun sowie weitere, vorwiegend im
deutschsprachigen Landesteil gelegene, meist kleinere Grafschaften und Herrschaf-
ten gehörten. Das Herzogtum Lothringen war bis 1766 Bestandteil des Heiligen * 81
Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Abteilung 340, Nr. 4893.
81 Archives Départementales de la Moselle, Metz, 10 F 206.
Landesarchiv Saarbrücken, Bestand „Nassau-Saarbrücken II“, Nr. 3003.
143
Römischen Reiches Deutscher Nation, wenngleich gerade im 13. und 14. Jahrhun-
dert der französische Einfluss bei Hof und in der Verwaltung dominierte*0.
Was vergleichbare Aktenbestände aus dem lothringischen Raum betrifft, haben
wir auf die Überlieferung der kleineren grenznahen Territorien bereits hingewie-
sen. Aus den Temporalia der drei geistlichen Hochstifte Metz, Toul und Verdun
wurde nach dem Westfälischen Frieden die französische Provinz Drei Bistümer
(Trois-Évêchés) geschaffen; leider haben sich aus der früheren Zeit der Fürstbistü-
mer als eigenständige Territorien im späten Mittelalter nach unserem Kenntnis-
stand keine Rechnungen erhalten*4.
Ein Vergleich mit Rechnungen aus herzoglich lothringischen Bellistümern,
Herrschaften und Propsteien (bailliages, seigneuries und prévôtés) kann lohnend
sein, da hier im äußersten Westen unseres Untersuchungsraumes nicht zuletzt
durch die Gemengelage kleinster territorialer Einheiten und die gleiche gemeinsa-
me Umgangsprache im Mittelalter und der frühen Neuzeit ein einheitliches kultu-
relles Umfeld existierte, das erst durch die Expansion der französischen Monarchie
im 17. Jahrhundert erste Einschnitte erfuhr. Die Sprachgrenze verlief regional quer
durch das heutige Moseldepartement und administrativ auf der mittleren Ebene der
Bailliage, das heißt die lokalen Akten sind oft (nicht immer) in deutscher Sprache
abgefasst, die zentrale Korrespondenz mit der Herzoglichen Verwaltung in Nancy
erfolgte in französischer Sprache. Insofern ist es sinnvoll, gerade auf das Deutsche
Bellistum (Bailliage d’Allemagne) des Herzogtums Lothringen ein besonderes Au-
genmerk zu heften, da man sich hier im Grenzbereich zwischen Romania und
Germania befand, wo - bei dem allgemeinen Entwicklungsvorsprung der roma-
nischen Seite — ein französischer Einfluss oder auch Interdependenzen in der Ver-
waltung zu erwarten sind.
Mögliche Vergleiche der Kirkeler Kellereirechnungen mit deutsch- oder franzö-
sischsprachigen Rechnungen grenznaher Territorien sollen sich auf folgende The-
menfelder komparatistischer Studien beziehen beziehungsweise Antwort auf nach-
stehend skizzierte Fragen geben:
Die Verbreitung von Münzen und Währungen im Grenzraum soll untersucht
werden. Daraus können über die Verbreitung territorialer Münzsysteme hinaus
auch Rückschlüsse auf den lokalen und den Fernhandel gewonnen werden (gerade
weil sich in den Kirkeler Rechnungen sich immer wieder Hinweise auf die Königs-
straße von Metz zum Öberrhein finden).
Rechnungen verschiedener Verwaltungsebenen (zentrale, mittlere, lokale Ebe-
ne) sollen verglichen werden, was Form (ganz wichtig die Entwicklung der einzel-
nen Rubriken) und Inhalt betrifft. Inwieweit finden sich einzelne oder Gruppen von
Xj Guy Cabourdin, La Lorraine entre France et Empire Germanique de 1480 à 1648
(L’histoire de la Lorraine 5), Strasbourg 1975; Lothringen. Geschichte eines Grenz-
landes, bearbeitet von einer Gruppe lothringischer Historiker unter Leitung von Michel
PariSSE, deutsche Ausgabe von Hans-Walter Herrmann, Saarbrücken 1984, S. 197f.
In den Archives Départementales de la Moselle, Metz, 29 J 126 existiert eine Rechnung
der Offïcialité de Vic (höchstes kirchliches Gericht des Bistums Metz) aus dem Jahre
1599; alle anderen erhaltenen Rechnungen des Bistums Metz sind jüngeren Datums; vgl.
Charles Hiegel, Répertoire numérique de la sous-série 29 J, Fonds de l’Evêché de Metz,
Archives Départementales de la Moselle, Metz 1988, S. 72; der kleine Bestand 5 F 1
(Évêché de Toul, 1297-1650) in den Archives Départementales de Meurthe-et-Moselle in
Nancy weist keine spätmittelalterlichen landesherrlichen Rechnungen auf.
144
Buchungen in Rechnungen der jeweils höheren Ebene wieder? Welche Hinweise
auf Funktionen, Kompetenzen, Aufgaben der Beamten (Burggraf, Amtmann, Kel-
ler, Bellis; châtelain, bailli, prévôt, receveur etc.) lassen sich den Rechnungen ent-
nehmen?
Aus Rechnungen verschiedener Territorien sollten sich unterschiedliche Steuer-
arten und ihre vielfältigen territorialtypischen Bezeichnungen ermitteln lassen.
Der nächste Fragenkomplex bezieht sich auf mögliche Unterschiede zwischen
deutsch- und französischsprachigen Balleien und Ämtern. Unterscheiden sich die
Rechnungen nur in der Sprache bei ansonsten gleicher Form oder sind weiter-
gehende formale und inhaltliche Abweichungen zu erkennen, was, berücksichtigt
man die herrschenden unterschiedlichen Rechtssysteme, durchaus vorstellbar er-
scheint. Gibt es Unterschiede in der Rechnungslegung (Dauer des Rechnungs-
jahres, Verfahren bei der Abhörung etc.)?
Sind Unterschiede in der Verbreitung von Naturalleistungen und Geldzahlungen
in französischen beziehungsweise deutschen Herrschaften im Westrich feststell-
bar? Ist aus den Rechnungen eine Ablösung von Naturalsteuern durch Geld zu er-
kennen? Was kann man über die Verbreitung der Geldwirtschaft auf dem flachen
Fände aussagen?
Schließlich wäre es interessant, zu erfahren, ob sich der kulturelle Vorsprung
Westeuropas auch im territorialen Rechnungswesen des westdeutschen Grenz-
raums festmachen lässt oder zumindest einige Merkmale in den Rechnungen zu
finden sind, die als konservativ oder im Gegenteil als zukunftsweisend eingestuft
werden können. Enthalten die Rechnungen Hinweise auf die ab dem 15. Jahrhun-
dert aufkommenden Finanzordnungen? Wie ist die Einrichtung der Chambre des
Comptes de Lorraine in diesem Zusammenhang zu sehen? Konnte sie eine Vor-
bildfunktion auf die kleineren deutschen Territorien ausüben?
Ein Versuch, direkten französischen Einfluss (d. h. aus den königlich franzö-
sischen Territorien) auf die Rechnungslegung mittlerer kleiner Territorien an Saar
und Mosel, in der Pfalz, in Hunsrück und Eifel nachzuweisen, erscheint allerdings
wenig erfolgversprechend, zumal - mit Ausnahme des oberlothringischen Raumes
- im 14. und 15. Jahrhundert durch die Ausdehnung des Burgundischen Staates bis
in die Niederlande eine direkte Grenze mit dem königlichen Frankreich nicht be-
stand und der westdeutsche Raum zwischen Obermosel und Mittelrhein — von der
Vorbildfunktion des französischen Rittertums einmal abgesehen - sich sozial, wirt-
schaftlich und kulturell ganz überwiegend am Reich orientierte.
145
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Vßgeben von spynnen
Jt(em) Otilien 10 phont flaschs zu spyne(n) von
ye dem phonde vi d macht 5 s d.
Jt(em) dem meyer von Erbach 40 phont wercks
zu spynne(n) des hait er 10 s d.
Jt(em) dem meyer von geilbach 30 phont wer
ckes zu spynne(n) des hait er auch 10 s d.
Jt(em) Elschin der porteners 10 phont flahszu
spyn(n)en des hait sye 5 s d.
Jt(em) Elchin 10 phont flahs zu spy(n)ne(n) von ye
dem phonde 6 d macht auch 5 s d.
Jt(em) Hans dem meyer von Kirpperg 25
phont werckes zu spy(n)en des hait er 8 s d.
Jt(em) Herma(n)s frauwe von hasel 10 pho(n)t flahs zu
spy(n)nen von ye de(m) phonde 6 d macht 5 s d.
Jt(em) Grede(n) do selbs 20 phont flahs zu spy(n)nen
von ye dem phonde 6 d macht 10 s d.
Jt(em) des alden mans frauwe zu Kirckel x pho(n)t
flahszu spy(n)nen von ye de(m) phonde 6 d macht
auch 5 sd.
Jt(em) Rasen Peters frauwe(n) 10 phont flahs zu
spy(n)nen von yedem phont 6 d macht 5 s d.
Jt(em) Eberharts frauwe 10 phont flahs zu
spy(n) en von ye dem phonde 6 d macht 5 s d.
Jt(em) dem schefer von Obergeilbach an den
scheffen abegetan 5 s d.
Jt(em) dem sloßer zu Limpach von sloßen vnd
slüßeln zu machen ey(n) gulden.
S(um)ma vj gulde(n) viij s d.
Abb. 1: Kirkeler Rechnung aus dem Jahr 1434/35, Landesarchiv Speyer, Bestand
B 3, Nr. 628, f. 15v
146
Eheskandale im Hause der Herren von Lichtenberg
(Elsass)?
Anne Katharina Pfeifer
Das Geschlecht der Herren von Lichtenberg gehörte bis in die zweite Hälfte des
15. Jahrhunderts zu den mächtigsten Familien im Elsass. Betrachtet man die Ge-
schichte dieser Dynastie, stößt man in den Fünfziger Jahren des 14. Jahrhunderts
und noch einmal etwas mehr als hundert Jahre später auf zwei Vorfälle, die auf den
ersten Blick sehr ähnlich anmuten. Ein herausragender Vertreter des einflussrei-
chen Adelsgeschlechts unterhielt eine Liebesbeziehung zu einer Frau, die nicht
dem gleichen Stand angehörte. Den Frauen gelang es, sehr großen Einfluss auf ihre
Gönner zu nehmen und diesen Einfluss zu ihrem Vorteil und ihrer persönlichen
Bereicherung auszunutzen. Dadurch gerieten sie und ihre adligen Beschützer in
den Fokus familiärer Auseinandersetzungen um Macht und Einfluss, die in beiden
Fällen zu Lasten der Frau und ihres Geliebten endeten.
Die Namen Lise von Steinbach und Bärbel von Ottenheim sind im Elsass un-
trennbar mit dem der Lichtenberger Feudalherren verbunden. Nicht nur, dass sie in
der lokalen Sagenwelt ihren festen Platz gefunden haben1 * *, auch in den einschlä-
gigen Werken über Lichtenberg und seine Herren sind ihnen immer einige Zeilen
gewidmet'. Dabei standen die beiden Frauengestalten eher selten im Vordergrund
des wissenschaftlichen Interesses und es gibt keine Forschungsdiskussion im
eigentlichen Sinne. Lediglich Heinrich Lempfrid hat 1914 über Bärbel von Otten-
heim gearbeitet, dabei viele Quellen aus den Archiven von Straßburg und Hagenau
zusammengestellt und erstmals wissenschaftlich ausgewertet’. Ganz den mora-
lischen Vorstellungen seiner Zeit verhaftet, beurteilte er sie als „ein mit körper-
lichen Reizen ausgestattetes, klug berechnendes, zielbewusst handelndes, selbst-
süchtiges Weib, das einen ritterlichen, leutseligen, aber dem Leben wenig ge-
wachsenen Mann voller Widersprüche in seinem Charakter [...] an sich zu fesseln
und zu beherrschen verstand [,..]“4 5. Die Forschung hat Lise von Steinbach kaum
mehr als ein paar Zeilen gewidmet. Um etwas über ihr Leben zu erfahren ist man
auf die historiographischen Quellen - zum Beispiel die Chronik des Jakob Twinger
von Königshofen^ - sowie einige wenige urkundliche Zeugnisse angewiesen. Auch
ihr haftete immer der Ruf des unelich böse wip an, das aus Habgier die Schwäche
eines charakterlich nicht gefestigten, aber im Grunde edlen Mannes ausnutzte6.
Fritz Eyer, Lichtenberg in Sage und Geschichte, Weißenburg 1965, S. 21 f. und S. 27-32.
So z. B. Fritz Eyer, Das Territorium der Herren von Lichtenberg 1202-1480, Straßburg
1938 und Johann G. Lehmann, Urkundliche Geschichte der Grafschaft Hanau-Lichten-
berg, unveränderter Nachdruck der ersten Auflage von 1862, Bd. 1, Pirmasens 1970.
Heinrich Lempfrid, Bärbel von Ottenheim. Sage und Geschichte, in: Jahresberichte des
Hagenauer Altertumsvereins 4/5 (1914), S. 38-99.
4 Ebd. S. 70.
5 Chronik des Jacob Twinger von Königshofen 1400 (1415), in: Die Chroniken der ober-
rheinischen Städte: Straßburg, Bd 1-2, hg. von Karl Hegel (Die Chroniken der deutschen
Städte, Bd. 8 und 9), Leipzig 1870-1871, Bd. 2, S. 499-917 und Lehmann, Urkundliche
Geschichte (wie Anm. 2), S. 57f.
6 Jacob Twinger (wie Anm. 5), S. 803f.
147
Es kann und soll an dieser Stelle nicht geklärt werden, ob Lise und Bärbel
besonders hartherzige Menschen waren, die nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht
waren. Die Persönlichkeit der beiden Frauen tritt aus den Quellen nicht sehr deut-
lich hervor. Aber anhand der zeitnahen Zeugnisse7 * 9 soll möglichst wertneutral dar-
gestellt werden, welche familiären und politischen Interessen im Umkreis dieser
Frauen und ihrer Gönner miteinander in Konflikt gerieten sowie ob und wenn ja,
welche Konsequenzen ihr etwaiges skandalträchtiges Verhalten oder das ihrer adli-
gen Liebhaber tur die Dynastie hatten.
Das Haus Lichtenberg
Über die Herkunft der Lichtenberger besteht Uneinigkeit in der Forschung. Die
jüngsten Ergebnisse verwerfen die beiden bislang konsolidierten Thesen, die Lich-
tenberger entstammten einem Ministerialengeschlecht, das seinen Aufstieg den
Staufern verdankte oder sie kämen eigentlich aus dem rechtsrheinischen Raum,
und wollen belegen, dass diese Familie aus einem unterelsässischen Geschlecht
edelfreier Herkunft hervorgegangen sei'\
Ging man bisher auch davon aus, die Stammburg sei erst in der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts entstanden, verlegt Weber den Zeitpunkt für den Bau der Burg
Lichtenberg in die Jahre vor 1197°. Die enge Verbindung zum politisch starken
Bistum Straßburg - mehrere Mitglieder der Familie waren Domherren des Straß-
burger Stifts und drei wurden sogar zum Bischof gewählt - erklärt, warum die
Lichtenberger ihre Burg unter den Schutz des Bischofs stellten und ihm zu Lehen
auftrugen. Ab 1249 übernahmen die Lichtenberger das Amt des Vogtes in Straß-
burg. Gleichzeitig versuchten sie aber auch, von einer Verbindung mit der stärks-
ten territorialen Macht, dem Bistum Metz, zu profitieren und nahmen um 1260 die
Dörfer Ingweiler und Buchsweiler, die die Grundlage des großen Territorialbe-
sitzes des Geschlechts bildeten, von Metz zu Lehen. Dieses Bistum übertrug ihm
auch die Vogtei über die Abtei Neuweiler. Mehrere Reichslehen, Lehen vom Her-
zogtum Lothringen und dem Bistum Straßburg sowie nicht geringer, durch Kauf
erworbener Allodialbesitz festigten die bedeutsame Stellung der Lichtenberger im
elsässischen Raum10 11. Dynastisch geschickte Eheschließungen trugen ebenfalls zur
Vergrößerung des Familienbesitzes bei". Als das Geschlecht der Landgrafen von
Werd im Mannesstamm auszusterben drohte, bemühten sich die Lichtenberger um
Einheirat in diese Familie, um durch Erbfolge über die weibliche Linie die Land-
grafschaft zu erlangen. Wegen zu naher Verwandschaft und fehlenden päpstlichen
Dispenses mussten sie diese Pläne aber fallenlassen. 1332 allerdings war Landgraf
Friedrich Battenberg und Bernhard Metz, Lichtenberger Urkunden. Regesten zu den
Urkundenbeständen und Kopiaren des Archivs der Grafen und Herren von Lichtenberg
in Darmstadt, Karlsruhe, München, Speyer, Straßburg, Stuttgart und Ludwigsburg 1163
1500, Bde. 1-5, Darmstadt 1994.
* Weber, Peter Karl: Lichtenberg. Eine elsässische Herrschaft auf dem Weg zum Territo-
rialstaat. Soziale Kosten politischer Innovationen, Heidelberg 1993, S. 29.
9 Ebd. S. 30f.
1(1 Eyer, Territorium (wie Anm 2), S. 21 f., auch S. 47-59; Das Reichsland Elsaß-
Lothringen, hg. vom Bureau des Ministeriums für Elsaß-Lothringen, Bd. 2, Straßburg
1901-1903, S. 573; Weber, Elsäsische Herrschaft (wie Anm. 8), S. 32.
11 Dazu vgl. Eyer, Territorium (wie Anm. 2), ab S. 105.
148
Ulrich von Werd aus finanziellen Gründen gezwungen, große Teile seines Besitzes
zu veräußern, so dass die Herren von Lichtenberg auf diesem Weg einen stattlichen
Teil des landgräflichen Territoriums im Hattgau und um Brumath erwerben konn-
ten12 13 14. Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts war es ihnen auch gelungen, wichtige Bur-
gen in der Umgebung Lichtenbergs, wie zum Beispiel Schöneck, Arnsberg, Hohen-
fels und den Herrenstein, unter ihren Einfluss zu bringen und so einen Schutzgürtel
um die Stammburg zu legen. Nachdem die Lichtenberger 1450 gestärkt aus der soge-
nannten Leininger Fehde hervorgegangen waren, die ihnen fast sämtliche Herrschaf-
ten des nördlichen Oberrheins einbrachte, war die Vormachtstellung des Geschlechts
kaum mehr antastbar12. Um 1480 erstreckte sich die Herrschaft von Weissenburg
bis nahe Schlettstadt und von Ulm-Offenburg bis in die Region um Saveme und
war in die elf Ämter Buchsweiler, Ingweiler, Pfaffenhofen, Brumath, Wörth,
Hatten, Oberhofen, Lichtenau, Willstätt, Wolfisheim und Westhofen aufgeteilt. Sie
war zu diesem Zeitpunkt das größte weltliche Territorium im Untereisass und die
stärkste politische Macht neben dem Bistum Straßburg'4.
Anfang des 14. Jahrhunderts hatte sich das Geschlecht der Lichtenberger in drei
Linien aufgeteilt. Nach dem Tod Johanns III. im Jahr 1324 trat dessen Bruder
Ludwig aus dem geistlichen Stand zurück, um das Erbe seiner minderjährigen
Neffen Simunt, Johann und Ludwig (jüngere Linie) gegen seinen Vetter zweiten
Grades Hanneman (ältere Linie) zu verteidigen. Als Ludwig III. dann selbst Nach-
kommen hatte, begründete er den Lichtenauer Zweig des Geschlechts, dessen Be-
sitzungen größtenteils rechts des Rheins lagen15. Um Streitigkeiten zu vermeiden,
setzte man 1335 genau fest, welcher Zweig des Geschlechts mit welchem Besitz
ausgestattet war und in welchem Sinne Ludwig III. die Vormundschaft für seine
Neffen ausüben sollte16. An der Stammburg Lichtenberg hatten alle Zweige Rech-
te. Erstmals regelte 1329 ein Burgfrieden zwischen Hanneman und Ludwig III. die
Aufteilung zwischen den Parteien. 1342 schlossen die Vertreter aller Linien erneut
einen Burgfrieden auf drei Jahre17. Um im Falle des Aussterbens einer oder zweier
Zweige dem Geschlecht den Besitz in seiner Gesamtheit zu erhalten, legte eine
Erbfolgeregelung im Jahr 1362 minutiös fest, was im Erbfall an wen fallen sollte.
Dies gewährleistete nach dem Aussterben der älteren Linie 1390 und dem der
jüngeren Linie 1405 den Vertretern des Lichtenauer Zweigs den ungeschmälerten
Familienbesitz. Ludwig IV. nannte sich seit 1405 einziger Herr zu Lichtenberg18.
Noch einmal im Jahr 1440 teilten seine Söhne Jakob im Bart und Ludwig V. die
Güter untereinander auf. Jakob erhielt die Ämter Buchsweiler, Wörth, Westhofen
und Willstätt und Ludwig Ingweiler, Brumath und Lichtenau mit Oberhofen und
Hatten. Burg Lichtenberg blieb wieder gemeinsamer Besitz19 Mit dem Tod Jakobs
Reichsland (wie Anm. 10), S. 573.
13 Zur Leininger Fehde vgl. Eyer, Territorium (wie Anm. 2), S. 34f.
14 Eyer, Territorium (wie Anm. 3), Karte S. 240f.
15 Ebd. S. 77.
16 Vgl. dazu Ludwig Clemm, Die Lichtenbergische Teilung von 1335, in: Elsaß-
Lothringisches Jahrbuch 20 (1942), S. 57-70, hier S. 58-60.
17 Eyer: Territorium (wie Anm. 2), S. 84.
18 Ebd., S. 89 und 96.
19 Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 2818.; Eyer, Territo-
rium (wie Anm. 2), S. 97-101.
149
erlosch 1480 das Geschlecht der Lichtenberger und fiel an die Schwiegersöhne
Ludwigs V., die Grafen Philipp von Hanau und Simon Wecker von Zweibrücken"0.
Lise von Steinbach
Anfang des 15. Jahrhunderts schrieb der Chronist Jacob Twinger von Königshofen
über einen Zwist in der Familie der Lichtenberger: Do men zalte 1352 jor, do
vermohete her Hanneman von Liehtenberg sine biderbe eliche frowe, und die was
eine von Lyningen, und hing sich an ein unehlich böse wip genant ver Lyse, und
machte mit der vii kint, knaben und döhter [...] dis verdros hem Heinrichen von
Liehtenberg des vorgenanten hern Hannemans sun, und grofe Emichen von
Lyningen der elichen frowen bruoder, und vingent die vorgenante frowe Lyse"'.
Das Jahr 1352 stellte allerdings schon das Ende der hier geschilderten
Ereignisse dar. Johann II. aus der älteren Linie der Lichtenberger, den die Quellen
oft einfach Hannemann nennen, nahm Lise von Steinbach schon etliche Jahre
früher als seine Geliebte zu sich. Urkundlich fassbar wird diese Frau erstmals
1345. Ihr adliger Gönner überschrieb Lise und seinen mit ihr gezeugten unehe-
lichen Töchtern Agnes, Adelheid und Kunigunde je einen Hof in Uttweiler und
Buchsweiler, eine Mühle, sowie den dazugehörigen Zehnten, sämtliche Wiesen,
Äcker und Reben in Hattmat und noch weitere Güter aus dem lichtenbergischen
Besitz* 21 22 *. Bedenkt man die Tatsache, dass Lise Hannemann zu diesem Zeitpunkt
schon drei Töchter geboren hatte - von Söhnen wissen die Quellen nichts - kann
man davon ausgehen, dass sie schon seit einigen Jahren seine Geliebte war. Etwa
ein Jahr nach der Übertragung dieser Güter verbündete sich Heinrich, Hannemanns
Sohn aus der Ehe mit Jutta von Leiningen, mit dem Bruder seiner Mutter, Graf
Emicho von Leiningen, um seinen Vater zu befehden. Im Zuge der Auseinander-
setzungen gelang es diesen beiden, Lise und ihre Kinder gefangenzunehmen.
Über die folgenden Ereignisse berichtet Jacob Twinger: Do wurdent sü erbetten,
das sü sü liessent gon, und dotent sü versweren, das sü niemer me kerne zuo her
Hanneman [...] doch brach sü den eyt [...] und mähte, das die eliche frowe und ir
elichen kint wurdent usgetriben und sü und ir kint alleine bi her Hannemann
blibent. Herumb der vorgenante grofe von Lyningen und her Heinrich von
Liehtenberg fuorent mit iren helfern uf die bürg Liehtenberg, und vingent hern
Hannemann von Liehtenberg und wurfent frowe Lyse zuo eime venster us abe der
bürge zuo tode [...]2i.
Bischof Berthold II. von Straßburg (1328-1353) erreichte eine Aussöhnung der
beiden Parteien. Am 29. Oktober 1346 schlossen Hannemann und Heinrich vor
dem Bischof und weiteren Zeugen, darunter auch die Brüder Johann, Ludwig und
Simunt von Lichtenberg aus der jüngeren Linie und Graf Emicho von Leiningen,
einen Vertrag. Beide gelobten, sich fürderhin gegenseitig nicht zu enterben oder
ihre Besitzungen zu entfremden. Hanneman verpflichtete sich darüber hinaus, die
Gefangennahme von Lise weder heimlich noch öffentlich zu rächen, und übergab
2IJ Eyer: Territorium (wie Anm. 2), S. 97f.; Reichsland (wie Anm. 10), S. 573.
21 Jacob Twinger (wie Anm. 5), S. 803f.
22 Fritz Eyer, Regesten einer Territorialgeschichte der Herren von Lichtenberg, Gilbhaud
1943, Nr. 268. Lehmann, Urkundliche Geschichte (wie Anm. 2), S. 56f.
Jacob Twinger (wie Anm. 5), S. 804.
150
seinem Sohn einige Lehen24. Lise musste Hannemann verlassen. Wer den Vertrag
brechen würde, sollte aller seiner bischöflich-straßburgischen Lehen verlustig
gehen und von den Verwandten der jüngeren Linie mit Waffengewalt zur Raison
gebracht werden. Hannemann ließ jedoch nicht von seiner Geliebten, ln einem
Brief bat er den Vetter Simunt, Geld, das König Karl IV. ihnen beiden schuldete, in
Empfang zu nehmen und Hannemanns Anteil an Lise und ihre Kinder weiterzu-
geben”5. 1352 ging Hannemann sogar soweit, seine Ehefrau Jutta und den Sohn
Heinrich zu verstoßen und von seiner Burg zu vertreiben, um Lise und ihre Kinder
wieder zu sich zu nehmen. Mit vereinigter Macht belagerten darauf Heinrich,
Emicho von Leiningen und die Lichtenberger Vettern den Eidbrüchigen auf seiner
Burg. Hannemann wurde besiegt und von den Verbündeten eingekerkert. Seine
Geliebte Lise stürzten sie aus einem hochgelegenen Fenster der Burg.26 Erst nach
einem Jahr erlangte Hannemann die Freiheit wieder. Den Kindern aus seiner Ver-
bindung mit Lise von Steinbach hatten seine Gegner nichts zuleide getan. Seine
Älteste Agnes konnte Hannemann mit dem Ritter Götz von Grostein vermählen.
Mit dem Einverständnis Heinrichs setzte er ihr eine Mitgift von 700 Pfund Straß-
burger Pfennigen aus27. Kunigunde und Adelheid wurden mit Renten ausgestattet
und als Nonnen im Kloster Stephansfeld aufgenommen”8.
Bärbel von Ottenheim
1. Bärbel von Ottenheim und Graf Jakob im Bart
Im Gegensatz zu Lise von Steinbach, von der wir außer den wenigen, oben bereits
geschilderten Fakten nichts wissen, bleibt Bärbels Herkunft und Gestalt nicht völ-
lig im Dunkeln. Sie wurde zwischen 1430 und 1435 im rechtsrheinischen Otten-
heim geboren, wohl als Tochter eines kleinen Handwerkers. Seit mindestens 1450,
wahrscheinlich aber schon früher, stand sie in den Diensten der Lichtenberger, erst
im Straßburger Hof der Familie in der Brandgasse und später bei Jakobs Verwalter
in Buchsweiler29.
Jakob von Lichtenberg betraute die junge Frau, nachdem seine Ehefrau Walbur-
ga, eine geborene Gräfin von Mörs und Saarwerden im Jahr 1450 gestorben war,
mit der Verwaltung seines eigenen Haushalts.30 * * * Bernhard Hertzog vermerkte dazu
in seinem Chronikon Alsatiae: nach diser Gräffin absterben dieweil! sie ihme keine
Kinder verließ nam er ein Concubinam Bärbel von Ottenheim genant zu sich, mit
deren hielt er zu Buchsweiler [...] Haus Über Bärbels adligen Gönner selbst
wusste der Chronist Specklin Seltsames zu berichten.
^ Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 594.
25 Ebd. Nr. 678; Eyer, Territorialgeschichte (wie Anm. 22), Nr. 324.
J:' Lehmann, Urkundliche Geschichte (wie Anm. 2), S. 59.
2 Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 738.
28 Lehmann, Urkundliche Geschichte (wie Anm. 2), S. 60.
”9 Ernstotto Graf zu Solms-Laubach, Bärbel von Ottenheim, Frankfurt am Main 1936, S.
9 und Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 44f,
Ebd.
Bernhard Hertzog, Chronikon Alsatiae. Edelsasser Chronik und ausführliche Beschrei-
bung des untern Elsases am Rheinstrom, Straßburg 1592, Fünftes Buch, S. 32.
151
In seinen Collectanea schrieb er: Er [Jakob] war ein gelertter herr in astronomia,
auch in negromantia, er kundte vil seltsamer bossen machen, auch hin und wider
faren in lüfften
Jakob war am 5. Mai 1416 als ältester Sohn Ludwigs IV. von Lichtenberg und
der Anna von Baden zur Welt gekommen. 1426 heiratete er Walburga von Mörs-
Saarwerden, deren Vater Friedrich drei Jahre später auch die Vormundschaft für
Jakob und dessen jüngeren Bruder Ludwig übernahm, nachdem beider Vater Lud-
wig IV. die Herrschaft aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt hatte. Jakob, der
nach seiner Mündigkeit seit dem Jahr 1436 als Oberhaupt der lichtenbergischen
Dynastie in Erscheinung trat, hatte auch das Amt des Obervogtes der Bischöfe zu
Straßburg inne und wurde von Kaiser Friedrich III. 1458 in den Grafenstand erho-
ben und zum kaiserlichen Rat ernannt. Obwohl die Brüder oftmals eine konträre
Politik betrieben, stand immer der Erhalt des Familienbesitzes im Vordergrund. In
der sogenannten Leininger Fehde handelten Ludwig und Jakob gemeinsam im
Interesse der Familie. Fritz Eyer versucht in seinen Studien darzulegen, dass Jakob
vor allem in seinen späten Jahren mehr an Alchimie und Astrologie interessiert
gewesen sei als an Politik. Er betont immer wieder die eher intellektuelle Veran-
lagung des ältesten Lichtenbergers, und dass der eigentliche Realpolitiker Jakobs
Bruder Ludwig V. gewesen sei '3. Die vehementen Versuche Jakobs, seinem Bru-
der Einhalt gebieten zu wollen, der immer wieder versuchte, die Machtverhältnisse
innerhalb der Familie zu seinen Gunsten zu verschieben, mögen Anzeichen dafür
sein, dass Jakob sich durchaus nicht auf den Altenteil abschieben lassen und mit
wissenschaftlichen Studien zufrieden geben wollte.
Dass Bärbel dem Grafen nach dem Tod der Ehefrau (t 1450) sowohl emotional
nahestand als auch die Probleme der Haus- und Güterverwaltung von ihm fernhielt,
mag dem in die Jahre kommenden trotzdem recht gewesen sein; vielleicht beson-
ders seit 1463. In einem Brief aus diesem Jahr erwähnt Jakob seine schwindende
Sehkraft. Falls Jakob hier eine reale körperliche Behinderung beschreibt und die
Blindheit nicht nur als metaphorisches Druckmittel dem Adressat Ludwig gegen-
über gebraucht, wird ihm Bärbels verwalterische Tätigkeit eine Entlastung gewe-
sen sein34. Mit Sicherheit aus Verbundenheit, wahrscheinlich aber auch als Aner-
kennung für Bärbels treue Dienste schenkte Jakob seiner Gefährtin am 29. Septem-
ber des Jahres 1460 eine so große Menge an Hausrat, Lebensmitteln und Luxusgü-
tern, dass sie damit bequem ein mit allen Annehmlichkeiten ausgestattetes Haus
einrichten konnte. Die von zwei Hagenauer Schöffen mitbesiegelte Urkunde nennt
unter anderem an die 170 Küchenutensilien aus Metall, 700 Ellen neuen Tuchs, 10
Betten, 8 neue Truhen sowie 100 Viertel Korn, 12 Kühe und 6 Bienenstöcke35.
Jakob folgte mit dieser Übertragung der üblichen Praxis, dass mit Ausfertigung der
Urkunde die genannten Güter nicht sofort den Besitzer wechselten, sondern dass
der Begünstigte selbst sich um die Beschaffung der Gegenstände kümmern musste.
’2 Specklini Collectanea in usum Chronici Argentinensis. Les collectanées de Daniel
Specklin, Chronique strasbourgeoise du seizième siècle, hg. von Rodolphe Reuss,
Straßburg 1890, § 2148, S. 465.
Eyer, Territorium (wie Anm. 2), S. 33-35.
4 Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 3910.
35 Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 47f. und 77f. und Battenberg/Metz, Lichtenberger
Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 3775.
152
Bärbel blieb es überlassen, wann und auf welche Weise sie Maßnahmen zur Ver-
größerung ihres Besitzes in Angriff nahm. Weitere Hilfestellung leistete Jakob
nicht ganz ein Jahr später, indem er den Konvent des Heiliggeist-Spitals in Hage-
nau, dessen Vögte die Herren von Lichtenberg waren, bat, ihm und seiner treuen
Dienerin Bärbel einen Hof in der Stadt zu lebenslanger Nutznießung zu überlassen.
So war schon einmal ein geeigneter Ort zur Unterbringung der Bärbel zugespro-
chenen Habe besorgt. Ludwig von Lichtenberg gab als Mitvogt im Juni 1461
urkundlich seine Zustimmung zu dieser Übertragung’6.
2. Der Buchsweiler Weiberkrieg und seine Folgen
Da Bärbel von Ottenheim schon seit einigen Jahren mit der Verwaltung von Jakobs
Gütern betraut war, ihre administrativen Tätigkeiten aber, abgesehen von der vagen
Formulierung in der oben angeführten Schenkung, in den Quellen keinen Nieder-
schlag gefunden haben, muss es im darauffolgenden Jahr eine einschneidende Ver-
änderung in ihrem Vorgehen gegeben haben. Offensichtlich bemühte sich Bärbel
darum, das zur Beschaffung der geschenkten Mobilien nötige Kapital aus den lich-
tenbergischen Gütern zu erwirtschaften und wandte dabei Methoden an, die Lud-
wig von Lichtenberg Anlass gaben, sich massiv in die Angelegenheiten seines Bru-
ders einzumischen. Er fürchtete wohl durch eine von Bärbel allzu intensiv betrie-
bene Ausschöpfung der liehtenbergischen Ressourcen eine langfristige Schädigung
des Familienbesitzes, der schließlich aufgrund von Jakobs Kinderlosigkeit erst in
sein und nach Ludwigs Tod in das Erbe seiner beiden Töchter Anna und Elisabeth
eingehen sollte’7.
Wie im Folgenden noch ausführlich zu beschreiben sein wird, ist es Ludwig
durch Verbreitung einer schlechten Presse vor allem in Briefen an den Straßburger
Rat nachhaltig gelungen, Bärbel für die Geschehnisse des Jahres 1462 verantwort-
lich zu machen, so dass Bernhard Hertzog etwa hundert Jahre nach den Ereignissen
in seiner Chronik festhielt, wie die Geliebte des Lichtenberger Grafen die Unter-
tanen ihres Gönners hartherzig in die Fron gezwungen haben soll. Dort heißt es:
Dises unehelich weit [...] thet anno 1462 den armen leut viel zu leidt [...] und
mussten die armen leut ir alle woch in der fron arbeiten [...] und wann dann
solches geschähe, gab man ihnen kein kosten [...] und wer ein wort wider sie redet
und sie desselben inen wart, der musste in den thurn. Nun begab sich dass sie zwo
frawen in den thurn legte, gienge die eine mit einem kindt. Das gieng ir in dem
thurn ab. Item sie ließ weiber an das halßeisen stellen, so groß kinds giengen. Was
darauf geschah, beschrieb Hertzog wie folgt: Als sie nun abermalen einen
frontagen gebotte und die von Bußweiler es nimmer gethun mochten, da giengen
sie zusamen unnd wurden zu rhat unnd schichkten zu irem herren und klagten ime
alle noth, wie sie die uneheliche fraw ungebürlich hielte, das kondten sie nicht 36
36 Wir Ludwig herre zu Lichtenberg bekennen uns mit disem briefe, als der meister und
convent des huses zu Steffensfeld unserm lieben bruder Jacoben [...] und Bärbeln von
Ottenheim siner dienerin das huss und den hof gelegen in der stat zu Hagenowe hi den
barßissen irer beider leptagen lang gegeben haben [...] und uswiset, dass das mit unserm
guten willen, wissen und geheile zugegangen ist [...], zitiert nach Lempfrìd, Bärbel (wie
Anm. 3) S. 79 und S. 48 und Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7)
Nr. 3809.
Eyer, Territorium (wie Anm. 2), S. 36 und S. 108.
153
mehr erdulden, sie wollten ehe alle auß der statt gehen. Da ging graf Hans
[Jakob] von ihnen und gab ihnen keine antwort [...] die mann von Bußweiler zogen
miteinander zum herren Ludwigen von Liechtenberg [...] klagten von dem weib
[...] und begehrten, daß er ihr herr und pfleger wolte sein. Da wurde ihnen eine
gute antwort [...] Und als die manen auß bußweiler [fort] waren, da vermeint das
böse weib [...] so mußten die frawen auch hinaus [...] solches wurden die weiber
gewahr, giengen zusammen inn ein hauß, schwuren zusamen einen eyd beyeinan-
der zu bleiben und wolten sich wehren [...] unnd als graff Jacobs von Liechtenberg
ambtmann von Bußweiller kam, gebot den weibern von hauß zu hauß, daß sie mit
ihren kindern sollen auß der statt ziehen, da sprach ein jede sie wolt es thun [...]
die böß fraw name zu sich die burgknecht [...] unnd wolt die frawen mit gewalt
außtreiben, da lieffen die frawen zusamen unnd bracht jede ein gewehr mit ir, eine
nam ein bratspiß, die ander eine hawgabel [...] werten sich hefftig, trieben das bös
weib mit iren helfferen [...] in die bürg und blieben sie in der statt /LJ38.
Die hier geschilderten Ereignisse sollten nicht zuletzt wegen der Überlieferung bei
Hertzog als der sogenannte „Buchsweiler Weiberkrieg“ in die Geschichte eingehen.
Wenn man allerdings die zeitnäheren Quellen, die auf uns gekommen sind, ein-
gehend betrachtet, ergibt sich ein Bild, das weniger die Bewohnerinnen von Buchs-
weiler und mehr Ludwig von Lichtenberg selbst als Bärbels Gegenpart in dieser
Auseinandersetzung zeichnet. Weil eine Beschwerde bei Graf Jakob über die als zu
hart empfundenen Forderungen Bärbels keine Erleichterung der Situation für die
Buchsweiler ünteranen ergaben, wanden sich diese mit ihren Klagen an den Bru-
der ihres Herrn. Welche Gründe diesen dazu bewegt haben mochten, in die Ange-
legenheiten, die das Amt Buchsweiler betrafen, einzugreifen, lassen sich vorsichtig
aus den lichtenberger Urkunden erschließen.
Im November 1461 waren Jakob und Ludwig von Lichtenberg vor Meister und
Rat der Stadt Straßburg erschienen, um Streitigkeiten, die das väterliche Erbe an-
gingen, vor Zeugen zu verhandeln. Seit 1440 der Brüder Vormund, Markgraf
Jakob I. von Baden, das lichtenbergische Gebiet zwischen Jakob und Ludwig auf-
geteilt hatte, waren beide wohl immer wieder mit Forderungen aneinander heran-
getreten. Vor allem Jakob bestand auf einer Revision der Gebietsaufteilung, wurde
allerdings vom Rat bis zu einer endgültigen Entscheidung vertröstet34. Für Ludwig
mochte die Unzufriedenheit der Buchsweiler eine willkommene Einladung gewe-
sen sein, nun den eigenen Einfluss im Lichtenberger Gebiet auf das Jakob unter-
stehende Amt Buchsweiler auszudehnen. Möglicherweise war Bärbel von Otten-
heim dem Bruder ihres Gönners auch persönlich ein Dom im Auge, da die wohl
recht resolute Frau die Verwaltungsaufgaben für Jakob in die Hand nahm und da-
mit ein Anwachsen von Ludwigs Enfluss verhinderte. Weil Ludwig als Bürger von
Straßburg auf die Unterstützung des Stadtrats in dieser Angelegenheit hoffte und
sein Vorgehen auch vor dem Kurfusten Friedrich I. von der Pfalz rechtfertigen
wollte, schlechterdings aber offen zugeben konnte, den Vertrag von 1440 umgehen
zu wollen, begründete er sein Eingreifen mit dem seinem Haus drohenden Schaden
und Jakobs Untätigkeit. Deshalb stellte er Bärbel von Ottenheims schlechten Ein-
fluss und ihr ungebührliches Verhalten ganz in den Vordergrund. Er schrieb an
Friedrich: über das hat er [Jakob] unserm stammen und namen zu grossem laster, * 154
,x Hertzog, Chronikon (wie Anm. 31), Fünftes Buch, S. 32f.
v> Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 2818 und Nr. 3822.
154
schänden und uneren zu besitzlicher huswonunge zu im genommen ein öde gemein
bübin, die ir sin lib und gut mit irer eigenwilligen snöden regierunge zu verwalten
ganz underworfen, dann ouch sin lant und lüte... geswechet und gekrenket hat, in
irem frevelichen regi ment frowen in frowelichen banden gefangen, getürnet und in
gefengnis von ir frucht, etlich unverschult vom leben zum tode broht [...] so hat der
snöden bübin handel ie lenger ie me oberhant genommen. Domit ist nun mins
bruders lib und gut nit klein abgegangen, ouch dadurch min herrschaft zu gründe,
verderbunge und abgang f...]40. Ähnlich argumentierte Ludwig auch noch zwei
Jahre später, 1463, in einem Brief an den lothringischen Herzog René I. von
Anjou. Darin erklärte er nachträglich die Ereignisse des Jahres 1462 und
rechtfertigte, warum er trotz einer vorangegangenen Einigung erneut gegen seinen
Bruder Jakob vorgegangen war41.
Die hier geschilderten Ereignisse, ob sie sich nun genau so zugetragen haben
oder nicht, schienen Ludwig jedenfalls mehr als genug Grund zu geben, sogar mili-
tärisch gegen Bärbel von Ottenheim, vorzugehen. Diese hatte sich mit wenigen
Helfern in das Buchsweiler Schloss zurückgezogen, das Ludwig nun nach Ein-
nahme - oder nach Übergabe durch Jakobs Untertanen - der Stadt belagerte.
Jakob, der persönlich herbeieilte, um seiner Geliebten beizustehen, beschwerte sich
bei Meister und Rat der Stadt Straßburg über das Vorgehen seines Bruders42. Doch
seine Klagen blieben erfolglos, denn schon im Vorfeld hatte Ludwig sich mit
diesen abgesprochen4' und hielt auch während der Belagerung den Briefkontakt
aufrecht. Er schickte Zwischenberichte an die Stadt und bat um Ratschläge, Trup-
pen sowie Feld- und Belagerungsgeschütze, die ihm der Rat auch bereitwillig ge-
währte. Dafür erklärte Ludwig sich einverstanden, keinen Vergleich ohne Straß-
burger Zustimmung in dieser Streitfrage einzugehen44. Dass es längst nicht mehr
um den Anstoß ging, den man am Verhalten Bärbels genommen hatte, sondern da-
rum, Jakobs Machtstellung zu untergraben, kann man aus dem Vorschlag des
Straßburger Rats an seine Bevollmächtigten in Buchsweiler ersehen, der dahingeht,
bei einem Vergleich daraufhinzuarbeiten, Jakob von Lichtenberg zum Verzicht
40 zitiert nach: Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 83.
41 ln dem Brief heißt es: hette min bruder nit noch [...] vor etwie mannigen iaren ein
gemeine landloufige dirne an sich genomen, die sich des regiments, das er von gott und
recht billich gehabt und getragen han solt, underfangen, sin sigel in irem gewalt allzit
gehabt und damit nach irem willen gehandelt und für sich selbs allein gewalticlich das
regiment gefürt hat. und under andern misshandeln [...] so hat si [...] mins bruder
hofgesinde, rete, diener und manschaft [...] etliche kleine kinde undsust manchen fromen
man [...] in turne geleit, ir gut ine abgechatzt, die priester von iren pfrunden verwiset,
alles unverschult und one gericht und recht [...] sie hat ouch [...] mit irer zaubery minen
bruder [...] hart gebunden und geblendet gehalten [...] und als ich ouch befände, an was
striks ine dise verlassene creature fürte ime zu schade an seien, eren, lip und gut [...] und
bin dorumb in dem vergangen iare geruckt vor ein sloss, darin sii b¡einander waren [...],
zitiert nach Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), Anlage Nr. 11, S. 86f.
4^ Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 3851 und Lempfrid,
Bärbel (wie Anm. 3), S. 51.
Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 3843.
44 Ebd. Nr. 3843-3848.
155
auf seine Herrschaft zu bringen und ihn mit einem Schloss und der Ausssicht, dort
bi der hure wohnen zu können, abzufinden4 ;
Bevor Ludwig auch Schloss Buchsweiler einnehmen konnte, kam es am 2. Juni
1462 auf Vermittlung des Grafen Ludwig von Zweibrücken-Bitsch und Georgs von
Ochsenstein tatsächlich zu einem Vergleich zwischen den Lichtenberger Brüdern.
Dabei sollte Jakob zwar in allen seinen Rechten als Herr von Lichtenberg bleiben,
musste aber schwören, ohne Zustimmung Ludwigs nichts aus seiner Herrschaft zu
veräußern. Beider Untertanen sollte im Lichtenberger Gebiet Freizügigkeit gewährt
sein und Jakob musste davon absehen, die Buchsweiler Untertanen für ihr Über-
laufen zu Ludwig zu bestrafen, sondern es wurde ihm im Gegenteil auferlegt, dass
er die Ursachen abstelle. Für den durch seine Geliebte entstandenen Schaden habe
er keinen Anspruch auf Entschädigung. Im Vertrag wurde auch festgehalten, dass
Bärbel von Ottenheim unverzüglich Jakob von Lichtenberg verlassen müsse, sich
nach Speyer begeben solle und auf Lebenszeit dort zu verbleiben hätte. Alle ihr
überschriebenen Güter aus dem Lichtenberger Besitz müsste sie wieder heraus-
geben, nur die beweglichen Güter durften bis zu ihrem Tod bei ihr verbleiben45 46 * 48.
Auf dieser Regelung wird vermutlich Ludwig bestanden haben. Im Gegensatz zu
seinen Straßburger Verbündeten war er nicht bereit, weiter irgendeinen Einfluss
Bärbels auf seinen Bruder zu dulden. Er wollte Bärbel sogar eigentlich haben zu
minen handen noch handel ir sachA . Darauf wollte Jakob sich aber auf gar keinen
Fall einlassen und drohte, Ludwig zu enterben. Die Trennung von der Geliebten
musste er aber doch zugeben. Bärbel begab sich noch im Juli nach Speyer4'". Dass,
wie Lempfrid behauptet49 50 *, schon im Vergleich die völlige Entmachtung und Ab-
dankung Jakobs durchgesetzt werden konnte, belegen die Quellen nicht. Vielmehr
sollte im Folgenden Ludwig den Bruder allmählich aus einigen seiner Ämter und
Schlösser vertreiben"0.
Das Verhältnis zwischen den Brüdern blieb auch nach der Einigung sehr ge-
spannt. Vor allen Dingen Jakob beschuldigte Ludwig wiederholt, den Vertrag vom
Juni 1462 nicht einzuhalten und ihm sein väterliches Erbe vorzuenthalten. Dieser
nutzte nämlich Jakobs geschwächte Position aus, gab Buchsweiler nicht wieder
heraus, hielt mit Hilfe Straßburgs Neuweiler und Wörth besetzt und verwehrte
Jakob auch den Zutritt zur Burg Lichtenberg"1. Deshalb brach auch Jakob im Juli
von Buchsweiler aus auf, um Verbündete zu suchen, die ihm helfen sollten, die von
seinem Bruder okkupierten Gebiete wieder zurückzugewinnen. Er wandte sich an
Pfalzgraf Friedrich I. bei Rhein, und Bischof Ruprecht von Straßburg und forderte
von Ludwig und dem Straßburger Rat, das diese beiden als Schlichter in der Sache
eingeschaltet werden sollten. Anfänglich sah es so aus, als ob der Pfalzgraf sogar
zugunsten Jakobs militärisch gegen Ludwig Vorgehen wollte, aber nachdem Lud-
45 Ebd. Nr. 3850.
46 Ebd. Nr. 3862 und Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 52 und Anlage Nr. 5, S. 80.
4 D. h. sie zu behandeln, gemäß dem, was sie getan hat, siehe Lempfrid, Bärbel (wie Anm.
3), S. 52.
48 Ebd. S. 53.
49 Siehe ebd. S. 53.
50 Z. B. Neuweiler, dazu Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr.
3973.
Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 55 und 57 und Battenberg/ Metz, Lichtenberger
Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 3882, 3982.
156
wig persönlich bei Friedrich vorstellig geworden war, nahm der Fürst diesen sogar
in seine Dienste auf und sah von einem Einschreiten in der Sache ab"2.
In der Zwischenzeit waren Bärbel von Ottenheim und Graf Jakob von Lich-
tenberg wieder miteinander in Kontakt getreten. Da Ludwig seinen Bruder ent-
gegen dem Vertrag vom Juni 1462 in der Ausübung seiner Herrschaft wie oben ge-
schildert behinderte, sah dieser sich auch nicht an die Bärbel betreffende Klausel
gebunden"2. Um ihren angeschlagenen Ruf wiederherzustellen, bestätigte Jakob
1462 und nochmals 1464 urkundlich, dass Bärbel in der Vergangenheit stets mit
seinem Wissen und in seinem Auftrag gehandelt hatte"4. Ebenfalls 1464 über-
schrieb er ihr auch noch die ihm überlassene Hälfte des Stephansfelder Hofes, wo
sie fortan gemeinsam lebten"5. Dies und die Tatsache, dass Jakob mit einigen Ver-
bündeten 1463 versuchte, militärisch gegen seinen Bruder vorzugehen, um seine
verletzte Ehre wiederherzustellen und wieder in seine frühere Herrschaftsstellung
zu gelangen, sah nun Ludwig wiederum als doppelten Vertragsbruch an"6. Erneut
kam es zu kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern.
Die Streitigkeiten zogen sich noch bis zur endgültigen Entmachtung Jakobs im
März 1466 hin. Dabei wurden immer wieder unterschiedliche Schlichter für den
Bruderzwist vorgeschlagen, so unter anderen Kurfürst Friedrich I. von der Pfalz,
Herzog René I. von Lothringen oder die Verwandten, die schon 1462 geschlichtet
hatten. Jakob agierte allerdings nach dem Vergleich von 1462 immer aus der
schwächeren Position heraus, vor allen Dingen nachdem er 1463 wegen mehrerer
Streitfälle in die Reichsacht getan worden war"7. Dies nahmen dann Meister und
Rat der Stadt Straßburg auch mehrfach zum Anlass auf Beschwerdebriefe Jakobs
von Lichtenberg zu antworten, einem Geächteten seien sie in keiner Weise 52 53 * 55 * 57
52 Dazu Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 3870, 3870a,
3873-3881,3888,3889.
53 Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 57.
"4 [...] als uns die ersame Bärbel von Ottenheim in unserm dienst getruwelichen gedient
hat, und ouch als sie in unsern slössern und herrsehaft geregieret und gepflegen, ouch
unser gelt und gut von unserm geheiss und empfelhe verhandelt hat, und nu etliche
sprechen, sie habe ein solichs one unsern wissen und willen geton, dass, was sü do geton,
und wie sich das gemacht [...] mit unserm guten wissen und willen ouch geheiss und
empfehle gehandelt [...] und uns ouch von des regemenz und handeis wegen, sü in unser
herrsehaft von unserm empfehle wegen geton hat, ein ganz vollkommen genügliche
rechnung genügen geben [...], zitiert nach LEMPFRID, Bärbel (wie Anm. 3), S. 57 und
Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 3903 und Nr. 4058.
55 Wir Jacob [...] tun kunt qffelichen [...] das wir umbe soliche getruwe dienste, so uns die
ersame Bärbel von Ottenheim unser dienerin bitzhar geton und bewisen hat [...] und
gebent ouch [...] mit einem halme usser unser hant und gewalt reht [...] der
obengenanten Bärbeln von Ottenheim [...] in ihr hant und gewalt den halben hof mit dem
gehuse, stellen, garten und hofstetten, daran die obgenant Bärbel vor den iiberigen
halben hat, mit allen und iclichen sinen begriffen, witen, rehten und zugehörungen, als
der gelegen ist in der stat Hagenowe [...] und darzu alles das, was wir in dem egenanten
hofe und gehuse habent, es sie husrat, früh/, kleinoter und anders klein und gross [...],
zitiert nach Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 88, ebd. S. 57 und Battenberg/Metz,
Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 4076.
Dazu Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 3973.
57 Ebd. Nr. 3991-4005.
157
Rechenschaft schuldig58 59. Jakob suchte weiter nach Verbündeten, stellte im Sep-
tember 1463 seinen Besitz sogar unter den Schutz des französischen Königs Lud-
wig XI.39, ohne dadurch allerdings einen praktischen Vorteil zu erringen. Endlich
einigten sich die Lichtenberger Brüder Anfang 1466 vertraglich, den Schiedspruch
des Pfalzgrafen anzuerkennen und waren beide bereit, sich in dieser Sache nach
Heidelberg zu begeben60. Am 15. März 1466 bekundete Kurfürst Friedrich I. von
der Pfalz, dass sich die Gebrüder Jakob und Ludwig von Lichtenberg zur Ent-
scheidung ihrer Streitigkeiten auf ihn verwillkürt haben und entschied, dass
Schloss und Flecken Willstätt sowie eine Rente von 1.000 Gulden aus dessen Nut-
zung bei Jakob verbleiben sollten. Ludwig dagegen sollte Lichtenberg mit allen
Schlössern, Städten und Gütern erhalten. Er begründete seine Entscheidung mit der
erwiesenen Unfähigkeit Jakobs zu regieren und seinem ehrenrührigen Verhalten im
Verlauf der Streitigkeiten'1'. Das entsprach einer faktischen Entmachtung des Jakob
von Lichtenberg, der sich daraufhin verbittert nach Willstätt zurückzog und ver-
suchte, wenigstens die Kürzung der ihm zugesprochenen Rente durch seinen Bru-
der zu verhindern'12.
Aus diesem Grund wollte Jakob einen Prozess gegen seinen Bruder beim Kaiser
anstrengen13, doch bevor es dazu kam, söhnten sich die beiden Lichtenberger 1471
kurz vor dem Tode Ludwigs überraschend aus. Sie einigten sich dahingehend, dass
das gesamte Lichtenberger Gebiet wieder unter Jakob vereint sein sollte, nach
Jakobs Ableben aber Ludwigs Töchter Anna und Elisabeth mit ihren Ehemännern,
den Grafen Philipp von Hanau und Simon Wecker von Zweibrücken-Bitsch, erben
sollten. Sollte Jakob noch leibliche Erben bekommen, würde Ludwigs Erben die
Gebietshälfte, die einst dem jüngeren Lichtenberger Bruder unterstand, zustehen64.
3. Bärbels Ende
Nach dem Tode Ludwigs von Lichtenberg im Jahr 1471 kam es zu einer weit-
reichenden Veränderung im Leben der Bärbel von Ottenheim. Graf Jakob im Bart
trennte sich von seiner langjährigen Geliebten. Heinrich Lempfrid sieht die Tren-
nung als moralischen Wendepunkt im Leben Jakobs. Unter dem Eindruck des reu-
igen Todes des Bruders und der vorangegangenen Aussöhnung sei der Lichtenber-
ger nun geläutert und „Ehr- und Selbstgfühl, Tatkraft und Tatendrang [hätten] in
ihm über die bisherige Selbstentwürdigung und Unmännlichkeit wieder die Ober-
hand gewonnen“65. Dass Jakob sich nun als wieder eingesetztes Oberhaupt des
Lichtenberger Geschlechts endlich seiner Verantwortung bewusst geworden sei
und wohl auch die Reize der in die Jahre gekommenen Bärbel ihre Unwidersteh-
lichkeit eingebüßt hätten, habe den 55-jährigen Grafen wieder auf den Pfad der
Tugend zurückgefuhrt66. Die Quellen geben keinen Aufschluss über Jakobs wahre
58 Z. B. ebd. Nr. 4009.
59 Ebd. Nr. 3931.
60 Ebd. Nr. 4130.
61 Ebd. Nr. 4137 und Lempfrid. Bärbel (wie Anm. 3), S. 55f.
62 Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 56.
63 Ebd.
64 Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 4283 und 4284.
65 Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 62f.
66 Ebd.
158
Gründe. Auszuschließen ist ein Auseinanderleben des Paares ja nicht. Möglich
wäre aber auch der Gedanke, dass nach dem Tode Jakobs Bärbel nicht als hinter-
lassene Geliebte dastehen sollte oder wollte, der man alle Verschreibungen ohne
den Schutz ihres Gönners würde streitig machen können. Dafür spräche die baldige
Eheschließung Bärbels mit einem in Hagenau ansässigen Juristen namens Eucha-
rius*1 . Diese Vereinigung war für beide Parteien interessant. Bärbel konnte so auf
rechtlichen Beistand in allen ihren Besitzangelegenheiten zählen, und der Ehemann
heiratete eine der wohlhabensten Frauen der Stadt. Ein anderes Motiv könnte laut
Lempfrid eine mögliche Schwangerschaft Bärbels gewesen sein. Er schließt das
aus dem Bärbels Schwestern nach ihrem Tod anheimfallenden Kinderspielzeug6*.
Sollte das Kind von Jakob gezeugt worden sein, wie Lempfrid annimmt* * 69 *, kann
man davon ausgehen, dass der Graf sich wegen eines Bastardkindes nicht auf
Streitigkeiten mit den Erben seines Bruders Ludwig einlassen wollte. Durch die
Verheiratung Bärbels mit Eucharius festigte er die Position der Frau und sorgte
dafür, dass das Kind ehelich zur Welt kam.
1480 starb Graf Jakob von Lichtenberg und nur vier Jahre später Bärbel von
Ottenheim. Für die Jahre nach ihrer Trennung von Jakob im Bart verschwand des-
sen ehemalige Geliebte weitgehend aus den Quellen. Da aber die Bärbel von dem
Lichtenberger überschriebenen Güter nach ihrem Tod wieder an die Herrschaft
zurückfallen sollten, sind wir über die Umstände ihres Todes gut unterrichtet.
Aus den erhaltenen Briefen zwischen Rat und Meister der Stadt Hagenau und
den Grafen Simon Wecker von Zweibrücken-Bitsch und Philipp von Hanau als den
lichtenbergischen Erben geht hervor, dass Bärbel Ende April beziehungsweise
Anfang Juni 1484 in gefengnis [...] genommen worden war 0. Welcher Vergehen
Bärbel sich schuldig gemacht hatte, lässt sich aus den Quellen nicht erschließen.
Dort erfahren wir nur, dass sie als ein ubeltetige frowe und etlicher Ursachen halb
eingesperrt wurde’1. Lempfrid zitiert in seiner Arbeit einen Gerichtsschluss vom
12. Juli 1484 in dem etwas lymots halb, also üble Nachrede, als Grund angegeben
wurden 2. Es ist wahrscheinlich nicht von der Hand zu weisen, dass Bärbel ob ihrer
Vergangenheit, ihres Reichtums und ihrer Beziehung zum verstorbenen Grafen von
Lichtenberg, dem man alchimistische Experimente und Studien nachsagte, ins Ge-
rede gekommen war. Auf jeden Fall wurde Anklage gegen sie erhoben, und der
Ausgang des Prozesses war ungewiss. Weil nicht klar war, ob Bärbel nicht villicht
vom Leben zum Tode bracht werden möchte, baten die lichtenbergischen Erben den
Rat der Stadt Hagenau darum, achtzugeben, dass nichts von Bärbels Habe in fal-
sche Hände geriete 3. Zu einem Urteilsspruch kam es allerdings im Falle der Bärbel
von Ottenheim gar nicht mehr, da die Angeklagte, wie der Rat den Lichtenbergern
im Juli 1484 mitteilte, sich selbs vom Leben zum Tode umgebracht hatte74. Man
Ebd. S. 64.
Ebd. S. 61 und 75f.
Ebd.
Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 90; Battenberg/ Metz, Lichtenberger Urkunden
(wie Anm 7), Nr. 4921.
Ebd. S. 89 und Nr. 4920.
Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 65f.
Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 4920.
Ebd. Nr. 4935.
159
kann nachvollziehen, dass diese Frau im Gefängnis verzweifelte. Von den miss-
günstigen Bewohnern Hagenaus konnte sie sich keine Unterstützung erhoffen, und
auch ihr Mann hatte ihr keine Hilfe zukommen lassen, sondern im Gegenteil
versucht, möglichst viel von Bärbels Wertsachen in Sicherheit zu bringen75. Wie
genau Bärbel gestorben sein soll, nämlich dass sie sich in solicher gefencknuß er-
hennckt hat, berichtet ein Brief Kaiser Friedrichs III. vom August 1484, in dem er
Hab und Gut der Selbstmörderin von der Stadt Hagenau als dem Reich verfallen
einfordert76 *.
4. Rezeption
Schon früh nach dem Tod der Bärbel von Ottenheim und des Grafen Jakob im Bart
rankten sich Geschichten um das seltsame Paar. Bernhard Hertzog hielt etwa hun-
dert Jahre nach dem Geschehen nicht nur die Ereignisse fest, sondern verlieh mit
einem für die Zeit üblichen Spottvers dem Volksmund Stimme, dem noch die
angeblichen Greueltaten der stolzen Frau gegenüber den Untertanen im Gedächtnis
geblieben waren: ein hur auf einem schloß, ein bettler auf einem roß, ein laus in
einem grind, nicht findt sich stolzers gesind11.
Auch in die lokale Sagenwelt fand die Geschichte der „schönen Bärbel von
Ottenheim“ Eingang. Im Eisass erzählt man sich allerdings bis heute, Jakob habe
Bärbel geheiratet und nach seinem Tod sei die unstandesgemäße Ehefrau den Ver-
leumdungen der adligen Verwandten, die um ihr Erbe fürchteten, zum Opfer gefal-
len und als Hexe auf dem Bastberg verbrannt worden78.
Der niederländische Bildhauer Niclaus van Leyden, der zwischen 1463 und
1467 in Straßburg wirkte und für die Stadt das Portal ihrer Kanzlei mit zahlreichen
Skulpturen ausstatten sollte, schuf unter anderem für diesen Auftrag die Büsten
eines Mannes und einer Frau, die scheinbar wie aus einem Fenster gelehnt in ge-
genseitiger Betrachtung versunken sind. Beim Brand der Kanzlei im Jahre 1686
wurden die Skulpturen schwer beschädigt Die Originalfragmente sowie Kopien
von 1860, kann man im Musee de l’Oeuvre de Notre Dame in Straßburg betrach-
ten. Viele sahen darin eine Abbildung des Grafen Jakob im Bart und seiner schö-
nen Bärbel, aber eine andere kunsthistorische Deutung macht aus dem Paar einen
Propheten und eine Sibylle79.
1966 verarbeitete Hermine Maierheuser den Stoff in ihrem Roman „Bärbel von
Ottenheim“. Ihre Bärbel ist stolz, spöttisch, leidenschaftlich und ehrgeizig. Am Ende
erkennt sie ihre Schuld, bittet um Vergebung für ihre Liebe zu Jakob und für ihr hartes
Lempfrid, Bärbel (wie Anm. 3), S. 67.
76 Battenberg/Metz, Lichtenberger Urkunden (wie Anm. 7), Nr. 4940.
Hertzog, Chronikon (wie Anm. 31), Fünftes Buch, S. 32.
78 Eyer, Sage und Geschichte (wie Anm. 1), S. 31 f. sowie mündlich tradiert, unveröffent-
licht, von M. Robert Weibel, Straßburg. Obwohl wie oben beschrieben aus den Quellen
nicht nachvollziehbar ist, welchen Verbrechens Bärbel angeklagt war, ist sie in der
neuesten Untersuchung zur Hexenverfolgung im Eisass als Betroffene aufgenommen.
Allerdings vermerkt der Autor ihren Selbstmord im Gefängnis: Roehrig, Jaques: L'holo-
causte des sorcières d'Alsace. Un effroyable massacre au coeur de l'Europe humaniste,
Straßburg 2011, S. 238.
79 Heike Ebli, Niclaus van Leyden, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon,
Bd, XVIII, 2001, Sp. 1057-1071.
160
Handeln gegen Untergebene. Sie habe immer nur Pflichten gefordert, die sie sich
selbst auch auferlegt habe. Bärbel gibt sich im Kerker den Tod durch Gift, und ein
Fährmann bringt sie in die andere Welt, wo Jakob von Lichtenberg sie schon erwartet.
In der Umgebung von Ottenheim, Lichtenberg und Hagenau erfreut sich der
Stoff heute immer größerer Beliebtheit. Zahlreiche Laienaufführungen bedienen
ein an der Lokalgeschichte interessiertes Publikum80.
Schluss
Lise von Steinbach und Bärbel von Ottenheim verursachten jede in ihrem Jahrhun-
dert das, was wir heute als Skandal bezeichnen würden. Sie erregten mit ihrem Ver-
halten öffentliches Ärgernis und brachten die Herren von Lichtenberg ins Gerede.
Nur im Fall der Lise von Steinbach würden wir auch vielleicht von einem Ehe-
skandal sprechen. Sie wurde verantwortlich gemacht für die häuslichen Auseinan-
dersetzungen zwischen Hannemann, seiner Gattin und beider ehelichem Sohn. Die
Ereignisse zogen so große Kreise, dass sich der Lehnsherr in die Auseinanderset-
zungen einschaltete. Als Ergebnis der Querelen um Lise von Steinbach verschob
sich die Macht innerhalb der Lichtenberger Familie zugunsten einer anderen Linie.
Bärbel von Ottenheim trat erst in Erscheinung, als Jakob von Lichtenberg schon
verwitwet war. Auch wenn sie deshalb nicht in eine eheliche Gemeinschaft ein-
brach, entspann sich um ihre Person ein Familienzwist, der sich über Jahre hinzog.
Es stellt sich die Frage, ob Bärbel den Bruderzwist verursachte oder nur vertiefte.
Ludwig fürchtete auf jeden Fall die Schmälerung des Besitzes zu ungunsten seiner
Erben, sei es nun aufgrund von Bärbels harschem Regiment oder der grundsätz-
lichen Unfähigkeit zum Regieren, die Ludwig seinem Bruder Jakob gerne unter-
stellte. Wenn man die Erbstreitigkeiten der Lichtenberger Brüder berücksichtigt,
war Bärbel von Ottenheim bestimmt nicht Ursache, sondern allenfalls Auslöser des
Konflikts. Auf jeden Fall war der Anstoß des angeblich durch Bärbel verursachten
„Buchsweiler Weiberkrieges“ so gewaltig, dass die Stadt Straßburg für ihren
Bürger Ludwig von Lichtenberg Partei im Konflikt ergriff. Möglicherweise spielte
dabei auch eine Rolle, dass Jakob von Lichtenberg das Amt des Obervogtes inne-
hatte, und der Stadtrat ihn gerne in einer geschwächten Position gesehen hätte.
Nach dem Ende der Auseinandersetzungen 1466 war die Stellung des Familien-
oberhauptes jedenfalls stark erschüttert, Jakob sogar zeitweise entmachtet. Erst mit
dem Tod einer Partei konnte der Streit beigelegt und der status quo ante wiederher-
gestellt werden. * 161
80
Informationen über Office de Tourisme du Pays de la Petite Pierre, F-67340 Lichtenberg.
161
erstellt nach Schwenmcke: Europ Stammtafeln,
N. F., Bd. XI, Marburg 1986, Tafel 73
Ludwig I. (+1252)
Ludwig II. (+1271)
I
Johann I. (+ 1315)
Heinrich II. (+ 1269)
Konrad I. (1305)
Johann III. {t 1324) Ludwig III. (f1369)
Jüngere Linie
1 Ludwig Joh I ann Simunt
| ausgest. 1405
Lichtenauer Linie
Heinrich iv.
Ludwig IV., Herr von Lichtenberg
Johann II. (Hannemann)(t 1366)
e® Jutta von Leinigen
Ältere Linie
mit Use
v. Steinbach
Agnes Kunigunde Adelheid
Heinrich III. (t 1379)
ausgest. 1390 |
Bärbel v. ottenheimo(o Jakob V. (t 1480) Ludwig V. (f 1471)
Abb. 1: Eheskandale im Haus der Herren von Lichtenberg - Lise von Steinbach
und Bärbel von Ottenheim
162
Die Grabinschrift des Grafen Karl Siegfried von Nassau-
Saarbrücken (t 1679) in der Butzbacher Markuskirche
Michael Oberweis
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde die Stadt Butzbach in der Wetterau vorüber-
gehend zu einem fürstlichen Residenzort. Nach dem Tod des Landgrafen Georg I.
von Hessen-Darmstadl (1567-1596) einigten sich seine Söhne 1602 auf ein Erbsta-
tut, das die Einführung der Primogenitur vorsah. Doch rasch erwies sich, dass der
Erstgeborene, Ludwig V. (1596-1626), seinen jüngeren Brüdern nicht die hohen
Entschädigungssummen zu zahlen vermochte, die vertraglich ausbedungen waren.
Zur Abfindung wurden daher neu begründete Duodezherrschaften vergeben; Lud-
wigs Bruder Philipp (III.) wurde so zum Landgrafen von Hessen-Butzbach (1609-
1643)1.
Der hochgebildete Fürst entfaltete in seiner Residenzstadt nicht nur eine rege
Bautätigkeit, sondern ging auch diversen wissenschaftlichen Interessen nach, ins-
besondere auf dem Gebiet der Astronomie2 *. Zwischen 1620 und 1622 ließ er im
Südchor der Butzbacher Markuskirche eine Gruft errichten, die sich durch ein an-
spruchsvolles künstlerisches und theologisches Programm auszeichnete'. Er selbst,
seine erste4 * und seine zweite’^ Gemahlin fanden dort ihre letzte Ruhestätte.
Wer heute die Butzbacher Markuskirche besucht, wird in unmittelbarer Nähe
der landgräflichen Gruft auf eine hochrechteckige Grabplatte stoßen, die dem An-
denken des jungen Grafen Karl Siegfried aus dem Hause Nassau-Saarbrücken
gewidmet ist6. Aus Lahnmarmor gefertigt, hat sie die beachtlichen Ausmaße von
2,20 m in der Höhe und 1,10 m in der Breite7. In den Ecken des leicht vertieften
Feldes ist je ein bekrönter Wappenschild angebracht; die obere Hälfte des Feldes
Ausführlich dazu Wilhelm Diehl, Philipp, Landgraf von Hessen-Butzbach (Hessische
Volksbücher 5), Darmstadt 1909, S. 12-18; Ludwig HORST, Zur Geschichte Butzbachs.
Vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert, Butzbach 1971, S. 165-177; vgl. auch Karl E.
Demandt, Geschichte des Landes Hessen, Kassel/Basel 21972, S. 300.
Diehl, Philipp (wie Anm. 1), S. 37-52; ders., Landgraf Philipp von Butzbach, seine
Bauten und Studien, Gießen 1922; Horst, Butzbach (wie Anm. 1), S. 177-183.
Zur Butzbacher Markuskirche und insbesondere zur fürstlichen Gruft siehe Rudolf
Adamy, Kunstdenkmäler im Großherzogthum Hessen. Provinz Oberhessen, Kreis Fried-
berg, Darmstadt 1895, S. 22-38; Aus der Geschichte der Evangelischen Gemeinde Butz-
bach. Herausgegeben aus Anlaß der Renovierung der Markuskirche, Butzbach 1967, S.
10-21; Jörg Wiegand, Die Evangelische Markuskirche Butzbach, Butzbach 2007.
Anna Margareta, geb. Gräfin von Diepholz-Bronckhorst (f 1629).
Christina Sophia, geb. Gräfin von Ostfriesland (t 1658).
6 Erwähnt bei Adamy, Kunstdenkmäler (wie Anm. 3), S. 36; Aus der Geschichte (wie
Anm. 3), S. 56; Bodo Heil, Grabsteine in und an der Butzbacher Markuskirche erzählen
Stadtgeschichte, in: Butzbacher Geschichtsblätter Nr. 247 (27. Mai 2010), S. 195f., hier
S. 195.
Vgl. Abb. 1, S. 306 und Abb. 2, S. 307; Fotos: Brunhild Escherich (Akademie der Wi-
ssenschaften und der Literatur Mainz).
163
wird von einem Vollwappen eingenommen, und darunter befindet sich eine quer-
rechteckige Tafel mit der folgenden sechzehnzeiligen* Grabinschrift:
CAROLVS SIEGFRID Comes in NASSAV, SARBRVCKen2 et SARwerden, /
Dominus in LAHR, WISBADEN et IDSTEIN etc. natus Ottovillse die 3. 7bris.
1659 / illustrissimo parente domino JOHANNE LVDOVICO, Comite in
NASSAV, SARBRVCKen11 etc. / et Matre Serenissima dominä DOROTHEÄ
CATHARINÄ natä PR1NCIPISSA PALATINA / ad RHENVM. Annum agens
XIIm venia ipsi per oras exteras peregrinandi dabatur, ubi / Lingvis, aliisq(ue)
Jllustrissimorum Jnsignibus decoratus, quartö post Anno rediit ad Avunculum /
Legionis Alsaticae ducem, eumq(ue) CENTVRJONJS munere fungens, secutus,
variis obsidionibus et / Conflictibus ad= et Interfuit, postea bello, Jmperium Inter et
Galbarum Regem exorto anditisb Avocatoriis / AVGVSTI, altissimé memorati
Regis Partes Relinquens, Patriae Servire maluit, et cum TVRMTi / Copiarum
Marchionis de Grana Praepositus in funestissimá illa cum Gallis pugna prope
Rochersbergc / Fortiter dimicasset, patruumq(ue), qui aliquot globubisd lethaliter
laesuse humi Jacebat, auxiliante manu equo / Restituere vellet, finito Certamine
defatigatus et aestuans frigidae aquae haustu pulmonem vitiavit, / ex cuius
ingrvescente vitio, omni Medicorum etiam peritissima manu in cassum laborante,
Butisbaci / fatalem obiit diem 3. february 1679 / Mortuus est in hac vita vel potius
in hac morte cum Jesv vivit / Parentes moestissimi hoc posüere1 Monumendumg
filio optimo'1
a Das Vin SARBRVCKen ist mit ü-Strichen versehen.
b Sic. Lies auditis.
c Sic. Lies Kochersberg.
d Sic. Wohl versehentlich für globulis.
e laesus über der Zeile nachgetragen.
' Sic. Wohl versehentlich für posuere.
g Sic.
h Die Schlusszeile ist zentriert.
Deutsche Übersetzung:
Karl Siegfried, Graf in Nassau, Saarbrücken und Saarwerden, Herr in Lahr,
Wiesbaden und Idstein usw., geboren zu Ottweiler am 3. September 1659, Sohn
des durchlauchtigsten Herrn Johann Ludwig, Graf in Nassau, Saarbrücken usw.,
und der durchlauchtigsten Herrin Dorothea Katharina, einer geborenen Pfalzgräfin
bei Rhein. Im Alter von 12 Jahren erhielt er die Erlaubnis, fremde Lande zu berei-
sen. Von dort kehrte er vier Jahre später, geziert mit Sprachkenntnissen und ande-
rem Ehrenschmuck der Durchlauchtigsten, zurück zu seinem Onkel mütterlicher-
seits, dem Anführer des Regiments Elsaß. Ihm folgte er im Range eines Haupt-
manns und nahm an verschiedenen Belagerungen und Scharmützeln teil. Als später
der Krieg zwischen dem Reich und dem französischen König ausbrach, hörte er
von dem Abberufungsschreiben des Kaisers, zog es in erhabenster Gesinnung vor,
dem Vaterland zu dienen, und verließ das Herrschaftsgebiet des besagten Königs.
Als Schwadronführer in den Truppen des Marquis de Grana kämpfte er in jener * 164
* Die Zeilenumbrüche sind in der Textwiedergabe jeweils durch Schrägstrich (/) markiert.
164
tieftraurigen Schlacht am Kochersberg gegen die Franzosen und wollte seinen
Onkel väterlicherseits, der, von mehreren Kugeln tödlich verwundet, auf dem
Erdboden lag, mit hilfreicher Hand wieder aufs Pferd setzen. Nach Beendigung des
Gefechts ermattet und erhitzt, verdarb er sich die Lunge durch einen Schluck
kalten Wassers. An diesem sich ständig verschlimmernden Leiden starb er am 3.
Februar 1679 in Butzbach, während alle ärztliche Kunst, selbst die erprobteste, sich
vergeblich mühte.
Er ist in diesem Leben gestorben, oder besser: Er lebt in diesem Tod mit Jesus.
Die tiefbetrübten Eltern haben dem vortrefflichen Sohn dieses Denkmal gesetzt.
Über Veranlassung und ursprüngliche Lage der Grabplatte sind wir dank einem
ausführlichen Eintrag im Butzbacher Kirchenbuch näher unterrichtet. Wie es dort
heißt, war der junge Adelsspross „den 2. Januar [1679] von Weilburg krank hieher
gen Butzbach in Hrn. Balthasar Loos, Zentgraf, Logament gebracht worden, den 4.
Febr. darin gestorben, den 6. Febr. von Bürgermeister u. Rath allhier, uff seines
Vatters begehren, des abends um 7 Uhr in die Sacristey gestellt worden, darin der
gräflich Leichnam über Erden verblieben, biß am 20. 9br, abents zwischen 5 u. 6
Uhr wieder heraus gethan worden und in der Still abermahls von dem Rath allhier
an seine Ruhestatt getragen worden, in die Stadtkirch alhir zwischen die Säul und
einen Grabstein, darin 4 Schild oder Wappen sein [...], diese Grabstatt ist, da man
zwischen den Taufstein u. Herren-Stühlen in den Chor gehet, da die Orgel stehet“9.
Ungeklärt bleibt die Differenz hinsichtlich des Todestages; während die In-
schrift vom 3. Februar spricht, nennt das Kirchenbuch den 4. Februar. Jedenfalls
hat der Leichnam Karl Siegfrieds nicht weniger als neuneinhalb Monate „über
Erden“ verbracht, bevor er am 20. November endlich beigesetzt werden konnte.
Die ausführlichen Angaben des Kirchenbuches ermöglichen es uns, in seltener Ge-
nauigkeit abzuschätzen, wie viel Zeit man im späten 17. Jahrhundert für Herstel-
lung und Transport einer derart aufwendigen Grabplatte veranschlagen musste.
Zweifellos handelt es sich um eine qualitätvolle Arbeit, die nicht nur die Trauer der
Eltern, sondern auch ihr Streben nach standesgemäßer Repräsentation widerspie-
gelt: Die vier Wappen in den Ecken bilden gleichsam die „Ahnenprobe“ des jung
Verstorbenen1 in der heraldisch üblichen Reihenfolge bezeichnen sie die Familien
des Vaters, Johann Ludwig von Nassau-Saarbrücken-Ottweiler11 (oben links), der
Mutter, Dorothea Katharina von Pfalz-Birkenfeld12 (oben rechts), der Großmutter
9 Hier zitiert nach Hanno Müller, Familienbuch Butzbach, Bd. 2. Familien 1626 bis
1692, Butzbach 2004, S. 163.
10 Zu seiner Abstammung siehe Detlev Schwennicke, Europäische Stammtafeln. Neue
Folge, Bd. 1.1: Die fränkischen Könige und die Könige und Kaiser, Stammesherzoge,
Kurfürsten, Markgrafen und Herzoge des Heiligen Römischen Reiches Deutscher
Nation, Frankfurt am Main 1998, Tafel 65.
" Zu Johann Ludwig (f 1690) siehe Friederich Köllner, Geschichte des vormaligen
Nassau-Sarbrück’schen Landes und seiner Regenten, Teil 1, Saarbrücken 1841, S. 337-
341. Blasonierung des Wappens bei Otto Titan von Hefner, J. Siebmacher’s großes und
allgemeines Wappenbuch, in Verbindung mit Mehreren neu herausgegeben und mit
historischen, genealogischen und heraldischen Notizen begleitet. Ersten Bandes erste Ab-
theilung: Die Wappen der Souveraine der deutschen Bundesstaaten, Nürnberg 1856, S.
42 (mit Tafel 90).
12 Zur Blasonierung siehe ebd., S. 16f. (mit Tafel 20).
165
väterlicherseits, Anna Amalia von Baden-Durlach1' (unten links), und der Groß-
mutter mütterlicherseits, Magdalena Katharina von Pfalz-Zweibrücken13 14 (unten
rechts). Karl Siegfrieds eigener Wappenschild ist mit nicht weniger als sieben Hel-
men besonders prunkvoll gestaltet.
Es verwundert, dass das Butzbacher Kirchenbuch die Grabinschrift als „alters-
halben unlesbar“1' charakterisiert. Aus der Perspektive des heutigen Betrachters
lässt sich dieser Eindruck nur schwerlich nachempfinden, handelt es sich doch um
eine recht geläufige Minuskel (Buchstabenhöhe ca. 2 cm) mit kursivem Duktus,
offensichtlich stark von der damaligen Schreibschrift inspiriert. Mühsam zu entzif-
fern sind allenfalls die zum Teil sehr verschnörkelten Versalien, die der Steinmetz
mit einer gewissen Willkür zur Hervorhebung von Namen und Titeln verwendete.
Auffallend ist auch die häufige Benutzung diakritischer Zeichen, die offenbar dem
zeitgenössischen Kanzleigebrauch entlehnt sind: Unterschiedliche Akzente deuten
Vokallängen an, so zum Beispiel bei Ablativ- und Adverb-Endungen (natä, bellö,
altissime) oder in der seltenen Perfektbildung posuere, auch wenn hier - wohl irr-
tümlich - der Zirkumflex auf das u gesetzt ist. Insgesamt weist die vielzeilige In-
schrift nur relativ wenige Fehler auf; ein einziges Wort (laesus) musste nach-
träglich über der Zeile ergänzt werden. Andere Missgriffe des Steinmetzen lassen
sich durch eine schwer lesbare Vorlage erklären; so wurde auditis fälschlich als
anditis wiedergegeben, globulis als globubis, und der Name des Schlachtorts
Kochersberg wurde zu Röckersberg entstellt. Auffallend ist auch die beliebige
Austauschbarkeit von i und j bzw. u und v sowie der entsprechenden Versalbuch-
staben, außerdem irritiert die Tatsache, dass die Minuskeln mit Unterlänge (/‘ g,j,
p, q) fast durchgehend auf der Grundlinie stehen und deshalb teilweise nicht von
Versalien zu unterscheiden sind. Kürzungen werden - mit Ausnahme des enkli-
tischen -que und des Monatsnamens 7bris - nicht eingesetzt.
Wie die ausführliche Grabinschrift beweist, hat Karl Siegfried trotz seines frü-
hen Todes ein bewegtes Leben geführt. In der einschlägigen Literatur ist darüber
kaum etwas zu finden; meist muss sich der Leser mit der Angabe von Todesdatum
und Begräbnisort begnügen. Lapidar vermerkt zum Beispiel Christian Daniel Vo-
gel in seiner „Beschreibung des Herzogthums Nassau“: „Carl Siegfried starb 1679
als Hauptmann in kaiserlichen Diensten.“16 Auch Friederich Köllner teilt lediglich
mit: „Carl Siegfried, geboren den 3. September 1659. Hauptmann im Regiment
Marquis de Grana 1678. Starb 7. [!] Februar 1679“17 *. Bis zum heutigen Tage
scheint die Butzbacher Grabinschrift mit ihren detaillierten Informationen nicht als
Quelle herangezogen worden zu sein. Tatsächlich ist es - aufgrund der material-
bedingten Knappheit der Formulierungen - nicht immer leicht, die angesprochenen
Personen und Ereignisse in den historischen Kontext einzuordnen. Im Folgenden
13 Blasonierung ebd., S. 38 (mit Tafel 77).
14 Blasonierung bei Georg Christian Johannis, Kalenderarbeiten. Die Geschichte des
Herzogthums Zweybrücken betreffend, Zweibrücken 1825, S. 15f.
15 Wie Anm. 9.
16 Christian Daniel Vogel, Beschreibung des Herzogthums Nassau, Wiesbaden 1843, S.
347.
1 KÖLLNER, Geschichte (wie Anm. 11), S. 340.
166
soll daher versucht werden, die wichtigsten Lebensstationen des jungen Grafen
anhand der Inschrift zu rekonstruieren.
Das „Reisen durch fremde Lande“, die sogenannte Kavalierstour, ist in der
adligen Erziehung der Frühen Neuzeit geradezu eine Selbstverständlichkeit1*. Lei-
der spricht die Inschrift nur pauschal von orae exterae, die Karl Siegfried von
seinem 12. bis zum 16. Lebensjahr besucht habe. Nur ein glücklicher Zufall er-
öffnet uns nähere Aufschlüsse: Ein „Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon“ des 18.
Jahrhunderts skizziert den Karriereverlauf des Juristen Georg Siegmund von
Richter (1645-1711) und stellt unter anderem fest, dass dieser „eine Hofmeister-
stelle bey dem Hn. Grafen von Nassau-Sarbrücken, Johann Ludwig, über dessen 2
Söhne, Carl Siegfried und Ludwig, annahm, mit welchen er 1672 nach Frankreich
reiste und zu Paris bis 1675, also ganzer drey Jahre, verweilte“19 20 *. Das Gelehrten-
Lexicon, das seine Kenntnisse aus „dem eignen Aufsatz des Hn. von Richters“
schöpft, will sogar wissen, dass die kleine Reisegruppe bei dem „Chur-Trierischen
und Pfalz-Neuburgischen Präsidenten, Hn. Heirs“211 Logis genommen habe. Hier
jedoch scheinen dem Verfasser gleich mehrere Lesefehler unterlaufen zu sein,
denn der Hauswirt, bei dem die Nassau-Saarbrücker abstiegen, hieß in Wahrheit
Johann Heiss (t 1688); er fungierte auch nicht etwa als „Präsident“, sondern als
kurtrierischer und kurpfälzischer Resident, das heißt als Gesandter, in Paris. Später
trat er in französische Dienste und wurde als Baron von Kogenheim nobilitiert.
Literarische Berühmtheit erlangte er durch eine zweibändige Histoire de 1’Empire,
die er 1684 veröffentlichte'1. In seinem Hause logierte auch der junge Graf Philipp
Willhelm zu Boineburg (t 1717), als er mit seinem Hofmeister Sinoid Schütz Paris
besuchte. Für die Unterkunft hatte er eine jährliche Pension von 1000 Talern zu
entrichten22. In ähnlicher Größenordnung dürften somit auch die Ausgaben Karl
Siegfrieds und seines Bruders Ludwig gelegen haben.
Nachdem Karl Siegfried seinen Paris-Aufenthalt beendet hatte, schloss er sich
zunächst, wie es in der Grabinschrift heißt, seinem avunculus, also seinem Onkel
von mütterlicher Seite, an.
Dessen Name bleibt zwar ungenannt, doch zur Identifizierung genügt der
Hinweis, er sei der Führer der Legio Alsatica gewesen. Gemeint ist das Deutsche
lx Siehe dazu neuerdings die ausführliche Darstellung von Eva Bende, Die Prinzenreise.
Bildungsaufenthalt und Kavalierstour im höfischen Kontext gegen Ende des 17.
Jahrhunderts (Schriften zur Residenzkultur 6), Berlin 2011.
1J Georg Andreas Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon oder Beschreibung aller Nürn-
bergischen Gelehrten beyderley Geschlechtes nach ihrem Leben, Verdiensten und Schrif-
ten, Teil 3, Nümberg/Altdorf 1757, S. 314-317, hier S. 315f. — Der hier erwähnte Ludwig
war ein jüngerer Bruder Karl Siegfrieds, geboren im Jahre 1661; siehe KÖLLNER, Ge-
schichte (wie Anm. 11), S. 340; Schwennicke, Stammtafeln (wie Anm. 10).
20 Ebd. S. 316.
Zu Johann Heiss siehe die biographischen Angaben bei Paul Wiedeburg, Der junge
Leibniz, das Reich und Europa (Historische Forschungen 4), Bd. 1, Teil 2, Wiesbaden
1962, S. 282; vgl. auch Art. „Heiss, John“, in: General Biography or Lives, Critical and
Historical, of the Most Eminent Persons of All Ages, Countries, Conditions and Pro-
fessions, Bd. 5, London 1804, S. 100.
22 Christian Brodbeck, Philipp Wilhelm Reichsgraf zu Boineburg. Kurmainzischer
Statthalter zu Erfurt (1656-1717), Diss. Jena 1927, S. 19, Anm. 6.
167
Infanterie-Regiment Eisass, das auf französischer Seite kämpfte23. Der erste
Oberstinhaber war kein geringerer als der Kardinal Mazarin (t 1661). Ihm folgte
Graf Johann Ludwig von Nassau-Saarbrücken (1661-1667), diesem wiederum
Pfalzgraf Christian II. von Birkenfeld (1667-1696)* 24, der Bruder von Karl Sieg-
frieds Mutter Dorothea Katharina. Unter dessen Kommando diente Karl Siegfried
als centurio, bis er infolge des Holländischen Krieges (1672-1679)*2 in einen Loya-
litätskonflikt geriet: Am 20. August 1673 hatte Kaiser Leopold I. (1658-1705) ein
Mandatum Avocatorium (Abberufungsbefehl) erlassen, in dem alle in franzö-
sischen Diensten befindlichen Deutschen zur sofortigen Rückkehr ins Reich aufge-
fordert wurden. Von diesem in zahlreichen Drucken kursierenden Schreiben 6
muss auch Karl Siegfried Kenntnis erlangt haben. Ganz im Gegensatz zu seinem
Onkel entschied er sich dafür, das Lager zu wechseln und auf deutscher Seite zu
kämpfen. Ob er tatsächlich der kaiserlichen Anordnung so prompt folgte, wie es
die Butzbacher Inschrift wahrhaben will, erscheint allerdings fraglich: Immerhin
datierte das Avocatorium vom Jahre 1673, und Karl Siegfried lebte offenbar bis
1675 in Paris. Möglicherweise hat er tatsächlich erst zu einem späteren Zeitpunkt
von dem kaiserlichen Abberufungsschreiben erfahren.
fortan diente er unter dem Befehl des Marquis Otto de Grana (t 1685), der sich
als kaiserlicher General-Major vor allem in der Schlacht an der Konzer Brücke (11.
August 1675) ausgezeichnet hatte und aufgrund seiner militärischen Verdienste am
17. September 1675 zum Feldmarschall-Lieutenant ernannt worden war7. Seit
1669 war Grana Inhaber eines Infanterie-Regiments; wahrscheinlich bezieht sich
darauf der Ausdruck copiae marchionis de Grana in der Butzbacher Inschrift. Karl
Siegfried hatte nunmehr den Rang eines praepositus turmae inne, was wohl am
ehesten mit „Schwadronführer“ zu übersetzen ist. In dieser Funktion kämpfte er in
der später oft heroisierten Schlacht am Kochersberg (nahe Straßburg)28, die auch
für ihn persönlich ein verhängnisvolles Ende nahm. Im Laufe des Jahres 1677 war
2j K. Engel, Der Regimentsstab des Deutschen Infanterie-Regiments Eisass, in: Zeitschrift
für die Geschichte des Oberrheins N.F. 15 (1900), S. 66-92.
24 Ebd. S. 71.
2:1 Zur Geschichte des Holländischen Krieges siehe John A. Lynn, The Wars of Louis XIV
1667-1714, London/New York 1999, S. 113-157. Zum reichsgeschichtlichen Hinter-
grund John P. Spielman, Leopold I. Zur Macht nicht geboren, Graz-Wien-Köln 1981, S.
72-80; Georg Schmidt, Geschichte des alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen
Neuzeit 1495-1806, München 1999, S. 217-22.
26 Erstdruck unter dem Titel: Der Röm. Kayserl. Majest, AVOCATORIUM oder
MANDAT, worinnen alle in der Cron Franckreich befindliche/so wohl hohe= und
niedrige Officierer als auch gemeine/sich ihrer Kriegs=Diensten begeben und abthun
sollen, o. O. o. J. [1673]. Späterer Nachdruck bei Johann Christian LÜnig, Das Teutsche
Reichs-Archiv. Pars Generalis, Leipzig 1710, S. 686f. - Zu Leopolds Mandatum Avo-
catorium siehe auch Heinz Wenkebach, Bestrebungen zur Erhaltung der Einheit des
Heiligen Römischen Reichs in den Reichsschlüssen von 1663 bis 1806 (Untersuchungen
zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 13), Aalen 1970, S. 128.
2 Biographische Angaben zu Grana bei A. Janke, Die Belagerungen der Stadt Trier in den
Jahren 1673 bis 1675 und die Schlacht an der Conzer Brücke am 11. August 1675, Trier
1890, S. 22 und 67, Anm. 21.
28 Zur geographischen Lage und zur militärischen Bedeutung des Kochersbergs siehe Joelle
Burnouf (Hg.), Le Kochersberg. Histoire et Paysages, Strasbourg 1980, S. 61-77.
168
es Herzog Johann Georg 1. von Sachsen-Eisenach (t 1686) gelungen, ins Elsaß
vorzudringerr9. Dort jedoch wurde er von französischen Truppen zurückgeworfen
und auf einer Rheininsel eingeschlossen. Zu seinem Entsatz eilte Herzog Karl V.
von Lothringen (t 1690) herbei, der aber seinerseits am 7. Oktober bei Kochers-
berg,n vom Marschall de Crequi (t 1687) überfallen und zum Rückzug gezwungen
wurde. Nicht ohne Grund spricht die Butzbacher Inschrift von funestissima illa
pugna, denn die Niederlage der Kaiserlichen hatte weitreichende Folgen: Crequi
konnte danach ungehindert den Rhein überschreiten und die Stadt Freiburg er-
obern. Die Reichstruppen waren zu schwach, um Widerstand zu leisten, und zogen
sich in ihre Winterquartiere zurück.
Berühmtheit erlangte die Schlacht am Kochersberg freilich vor allem durch den
Tod des Grafen Gustav Adolf von Nassau-Saarbrücken. Zwar konnte er noch
lebend geborgen werden, erlag jedoch zwei Tage später in Straßburg seinen schwe-
ren Schussverletzungen". Sein Leichnam wurde einbalsamiert und bis 1990 in der
Straßburger St. Thomas-Kirche in einem verglasten Sarg zur Schau gestellt. 1998
wurden die sterblichen Überreste nach Saarbrücken überfuhrt und, der testamen-
tarischen Verfügung Gustav Adolfs entsprechend, in der Schlosskirche beigesetzt.
Schon im Jahr 1700 war in der Schlosskirche ein Grabdenkmal Für Gustav Adolf
und seine Gemahlin Eleonore Klara errichtet worden. Ausdrücklich nimmt die
Inschrift auf den Heldentod des in Vollfigur dargestellten Grafen Bezug: QUI ...
VULNERE PRO IMPERATORE ET 1MPERIO IN CONFLICTU AD COCHARI
MONTEM IN ALSAT1A ACCEPTO OBIIT DIE IX. MENS. OCTOBRE AN.
MDCLXXVII32. Erst mit der Rückführung der Gebeine konnte das imposante
Monument seiner eigentlichen Bestimmung gerecht werden. Anlässlich der Um-
bettung wurde sogar eine Autopsie des Leichnams durchgeführt, die ein Geschoss
zutage förderte33. Der Butzbacher Inschrift zufolge müssen es freilich mehrere
Kugeln (globubis, wohl irrtümlich für globulis) gewesen sein, die den Körper des
Gefallenen durchbohrt hatten. * 11
29 Über die militärischen Operationen des Jahres 1677 informiert von Schaumburg,
Kriege Ludwig’s XIV., in: Handbuch der gesamten Militärwissenschaften, Bd. 5,
Bielefeld-Leipzig 1878, S. 300-313, hier S. 307.
11 Zur Schlacht am Kochersberg liegt der zeitgenössische Bericht eines Augenzeugen vor:
Mémoires du Maréchal de Villars, hg. von Charles-Jean-Melchior DE Voguë, Bd. 1, S.
43-47. Zum Schlachtverlauf siehe auch Paul Wentzcke, Feldherr des Kaisers. Leben
und Taten Herzog Karls V. von Lothringen, Leipzig 1943, S. 132f.; Pierre Bachoffner,
Des Croates au Kochersberg en 1677, in: Kocherschbari 26 (1992), S. 30-37; Karl Heinz
Schmidt, Fragen zur Schlacht am Kochersberg, in: Kocherschbari 40 (1999), S. 29-31.
11 Pierre Bachoffner, Un destin sarrois au Kochersberg en 1677. Le comte Gustave-
Adolphe de Nassau-Sarrebruck, in: Kocherschbari 40 (1999), S. 22-28. Gustav Adolph
von Nassau-Saarbrücken: Heimkehr nach 320 Jahren. Eine Dokumentation, hg. vom
Freundeskreis „Erbprinz Heinrich“, Saarbrücken o. J. [1999], S. 6f.
'2 Die Inschrift ist ediert bei Walter Zimmermann, Die Kunstdenkmäler der Stadt und des
Landkreises Saarbrücken, Saarbrücken 1932, S. 82. Ebd., S. 83, eine Abbildung des
Grabmals. Vgl. auch Horst Heydt, Die Grabdenkmäler, in: ders. (Hg.), Die Schloß-
kirche zu Alt-Saarbrücken und die Glasfenster von Georg Meistermann, Saarbrücken
1993, S. 24-42, hier S. 25-27.
Gustav Adolph (wie Anm. 31), S. 12.
169
Gustav Adolf war jener patruus, auf den die Butzbacher Inschrift anspielt. Un-
verkennbar versucht sie, zwischen dem heroischen Ende des Onkels und dem
frühen Tod des Neffen eine gedankliche Verbindung herzustellen: Angeblich hatte
Karl Siegfried noch versucht (vellet), dem Schwerverletzten wieder in den Sattel zu
helfen, und unmittelbar nach der Schlacht soll er sich aus Erschöpfung jenes
Lungenleiden zugezogen haben, an dem er zwei Jahre später verstarb. Warum ihn
gerade in Butzbach der Tod ereilte, ist aus den Quellen nicht zu erschließen. Auch
das Kirchenbuch weiß lediglich, dass er „von Weilburg krank hieher“ kam. Als
nassauische Residenz könnte Weilburg dem chronisch Kranken als Erholungsort
gedient haben; warum er aber von dort in Richtung Butzbach aufbrach, muss
letztlich offen bleiben.
Die Grabinschrift, die die trauernden Eltern ihrem früh verstorbenen Sohn
setzen ließen, verdient es, dem Vergessen entrissen zu werden. Sie ist ein ein-
drucksvolles Zeugnis dynastischen Selbstverständnisses, zugleich aber auch ein
menschlich bewegendes Dokument, das schlaglichtartig verdeutlicht, wie in einer
Zeit gespaltener Loyalitäten selbst engste Verwandte zu Feinden werden konnten.
170
Mittelalterliche Hospitäler im Einzugsgebiet der Saar
Michel Pauly
Papst Innozenz III. definierte 1210 das Metzer St.-Nikolaus-Hospital als peregri-
norum et pauperum ac aliorum inde transeuntium fore receptaculum'. Damit nann-
te er die zwei wohl zahlreichsten Kategorien von Insassen mittelalterlicher Hospi-
täler: Pilger und Arme. Die Quellen gebrauchen häufig auch das Begriffspaar pau-
peres et infirmi. Wirtschaftliche, physische, aber auch soziale oder rechtliche
Schwäche konnte Armut bedeuten und verlangte in den Augen der christlichen
Moral nach Unterstützung, nach Fürsorge. Häufig kumulierten Arme mehrere die-
ser Merkmale: So waren Pilger nicht nur Fremde, sondern oft auch Kranke auf der
Suche nach Heilung, kinderlose Alte waren in den Städten zunehmend isolierte
Menschen, Arme waren häufig unterwegs auf der Suche nach Nahrung oder einer
neuen Existenz. Nur selten waren Hospitäler im Mittelalter Krankenhäuser. Außer
den Leprosenhäusern, die im Folgenden ausgeklammert bleiben, gab es kaum Hos-
pitäler, die sich auf Krankenpflege spezialisiert hatten, auch wenn die im Saarland
allerdings nicht nachgewiesenen Antoniter eine erfolgreiche Therapie zur Behand-
lung des Antonius-Feuers, des Ergotismus, entwickelt hatten. Als Hospital wird im
Folgenden eine Institution umschrieben, die ursprünglich verschiedene Arten von
Schwachen in einem dazu eingerichteten Gebäude aufnahm und pflegte. Je nach
Art der aufgenommenen Pflegebedürftigen und nach Dauer der Pflege, aber auch
nach Trägerinstitution und Standort, kann man durchaus verschiedene Typen von
Hospitälern unterscheiden.
Diese Definition beruht auf meiner 2007 erschienen Habilitationsschrift über
Hospitäler zwischen Maas und Rhein vom 6. bis ins frühe 16. Jahrhundert2. Reich-
te mein damaliger Untersuchungsraum mit einer Fläche von 75.625 km“ vom west-
lichsten Maasknie bis zum östlichsten Rheinbogen und von Aachen im Norden bis
Mulhouse im Süden, so beschränkt sich der vorliegende Beitrag auf mehr oder we-
niger denselben, die heutige Staatsgrenzen überschreitenden Raum, den Hans-
Walter Herrmann 1990 in seinem verdienstvollen Beitrag über Städte im Einzugs-
bereich der Saar bis 1500 bearbeitet hat'. Hatte ich im Gesamtuntersuchungsraum
528 Institutionen der sozialen Sicherung erfasst (ohne Leprosorien), so werden im
1 Archives départementales de la Moselle [künftig: AD Moselle], 1H Al (24.6.1210).
Michel PAULY, Peregrinorum, pauperum ac aliorum transeuntium receptaculum. Hospi-
täler zwischen Maas und Rhein im Mittelalter (VSWG-Beiheft 190), Stuttgart 2007. Die
dazu gehörige Karte und eine Zusammenfassung der Ergebnisse ist im Internet-Atlas der
Großregion http://gr-atlas.uni.lu öffentlich zugänglich.
Hans-Walter Herrmann, Städte im Einzugsbereich der Saar bis 1400, in: Les petites
villes en Lotharingie/Die kleinen Städte in Lotharingien. Actes des 6es Journées Lotha-
ringiennes, 25-27 octobre 1990, hg. von Michel Pauly (PSH, 108; Publ. du CLUDEM,
4), Luxembourg 1992, S. 225-317. Die zugehörige Karte im Schuber ist insofern zu kor-
rigieren, dass das für Wallerfangen verzeichnete Hospital erst 1523 erstmals belegt ist,
für Merzig hingegen das nach seinen Angaben „kurz vor 1443“ gestiftete Hospital nach-
zutragen ist. Ebenso fehlt bei Herrmann ein Hinweis auf das Hospital in Boulay (siehe
unten Anm. 57).
171
eben definierten Saargebiet nur 27 berücksichtigt4. Das sind immerhin noch zwölf
Hospitäler mehr als Hans-Walter Herrmann erfasst hat, doch hatte dieser sich auf
städtische Institutionen beschränkt. So sehr ein Hospital auch zur Grundausstattung
einer mittelalterlichen Stadt gehörte5, so wenig darf man aber das mittelalterliche
Hospitalwesen auf die Städte reduzieren. Die Bedeutung beider Typen lässt sich in
der Saargegend dies- und jenseits der heutigen Staatsgrenzen leicht verdeutlichen.
Obschon die älteste Urkunde aus dem Rhein-Maas-Mosel-Raum, das Testament
von Adalgisel Grimo vom 30. Dezember 6346, ganz zentral auch die Saargegend
betrifft und in dem Text 13 der 26 Bestimmungen die Armenfürsorge betreffen,
liegen die beschenkten Institutionen der sozialen Sicherung alle außerhalb des hier
untersuchten Raums, oder anders ausgedrückt: bei der von Adalgisel Grimo ge-
gründeten Kommunität in Tholey wird trotz der ausführlichen Zugehörigkeitsan-
gaben weder im Testament noch in einer späteren Quelle ein Hospiz oder ein In-
firmarium erwähnt.
Im Untersuchungsraum ist das 1123 genannte Infirmarium des am Oberlauf der
Saar liegenden von der Abtei Marmoutier abhängigen Priorats Saint-Quirin die äl-
teste nachweisbare Institution7 *. Es muss aber auch für Passanten offen gestanden
haben, denn noch 1278 und 1326 sorgten die jeweiligen Metzer Bischöfe für eine
Aufbesserung der Einnahmen durch Vereinigung des St.-Nikolaus-Hospitals mit
dem Priorat*. Grund für die starke Frequentierung des Hospitals war eine nahe ge-
legene Wunderquelle.
Von den Grafen Folmar von Saarwerden (1131-1166) und Dietrich von Hom-
burg (1120-1155) wurde das Hospiz in Vogelbach gestiftet, einer von der Zister-
4 Nicht behandelt werden in diesem Beitrag - wie bei Herrmann - die Hospitäler an der
oberen Seille, auch wenn sie auf dem Kartenausschnitt eingetragen sind.
Michel Pauly, Hospitäler im Mittelalter - wo und ab wann gehörte das Hospital zur
Stadt?, in: Was machte im Mittelalter zur Stadt? Selbstverständnis, Außensicht und Er-
scheinungsbilder mittelalterlicher Städte. Vorträge zum gleichnamigen Symposium vom
30. März bis 2. April 2006 in Heilbronn, hg. von Kurt-Ulrich JÄSCHKE und Christhard
Schrenk (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn, 18), Heilbronn
2007, S. 245-269.
6 Zum Testament siehe den lateinischen Wortlaut bei Wilhelm Levison, Das Testament
des Diakons Adalgisel-Grimo vom Jahr 634, in: Trierer Zeitschrift 7 (1932), S. 69-85;
Camille Wampach, Urkunden- und Quellenbuch zur Geschichte der altluxemburgischen
Territorien bis zur burgundischen Zeit [künftig: UQBL], 10 Bde., Luxemburg 1935-55,
hier UQBL I, Text Nr. 4; Neuedition mit Übersetzung bei Hans-Walter Herrmann, Das
Testament des fränkischen Adligen Adalgisel Grimo. Ein Zeugnis merowingerzeitlichen
Lebens an Saar, Mosel und Maas, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Bene-
diktinerordens 96 (1985), S. 264-276; zur neuesten Textrekonstruktion und Interpretation
Franz Irsigler, Gesellschaft, Wirtschaft und religiöses Leben im Obermosel-Saar-Raum
zur Zeit des Diakons Adalgisel Grimo, in: Hochwälder Geschichtsblätter 1 (1989), S. 5-
18. Vgl. dazu in diesem Band den Beitrag von Brigitte Kasten.
Actes des princes lorrains, 2e série: Princes ecclésiastiques, I. Les évêques de Metz, B.
Étienne de Bar 1120-1162, éd. p. Michel Parisse, Nancy, s. d., Text Nr. 8.
x Memorandum zur Abteigeschichte aus dem 17. Jh. in AD Meurthe-et-Moselle, H 303;
vgl. Henri Lepage, L’ancien diocèse de Metz et pouillés de ce diocèse, Nancy 1872, S.
124.
172
zienserabtei Wörschweiler abhängigen Grangie9. Das Hospiz dürfte vornehmlich
von Pilgern aufgesucht worden sein, die auf der Geleitstraße Metz-Worms oder
nach Trier, Echternach, Aachen oder Maastricht unterwegs waren10 11.
An derselben Straße lag in westlicher Richtung im frühen 13. Jahrhundert das
nächste Hospital in Spittel, heute L’Hôpital (wenn man absieht vom Hl. Kreuz-
Hospital in Saarbrücken dessen Gründung im Jahr 1219 nicht gesichert ist"). Um
1210 schenkten Graf Heinrich von Zweibrücken und Gräfin [Liutgard] von Saar-
brücken der Zisterzienserabtei Weiler-Bettnach ein Hospital bei deren Gehöft Mer-
le in Warando „zur Ehre Gottes und Notdurft der Armen“, einschließlich des er-
forderlichen Brennholzes, unter der Bedingung, dass der Wald nicht verwüstet
wird12 13. Das Hospiz lag mitten im Warndtforst. Westlich davon, in Narbéfontaine
(Memersbronn) schenkte 1264 Johann von Warsberg der Deutschherrenkommende
in Metz acht Morgen Land zwischen Straße und Fluss ad hospitale in villa Mei-
mersburnen ... in puram elemosinam^. Ob das Hospital schon 1245 der Kom-
mende gehörte, als deren Besitz zum ersten Mal am selben Ort belegt ist14, lässt
sich nicht mehr feststellen.
9 Alfons Kolling, Ein Hospiz und die Brücken der Geleitstrasse im Raum Homburg/Saar,
in: Zwischen Saar und Mosel. Festschrift für Hans-Walter Herrmann zum 65. Geburtstag,
hg. von Wolfgang Haubrichs, Wolfgang Läufer, Reinhold Schneider (Veröffentlich-
ungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, 24),
Saarbrücken 1995, S. 233-268, hier S. 244; Hans-Walter Herrmann, Geschichte der
Grafschaft Saarwerden bis zum Jahre 1527 (Veröffentlichungen der Kommission für
Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, 1), Bd. 1: Quellen, Saarbrücken
1957, Nr. 93. Hanns Klein, Das Saarbrücker Spitalwesen bis zum Ende des 18. Jahrhun-
derts, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 1 (1975), S. 177-214, hier S. 189,
datiert die Stiftung auf vor 1163. Die Datierung ist problematisch, da Graf Ludwig III.
von Saarwerden 1212 das Hospital als von seinem Großvater Folmar und von Graf Diet-
rich von Homburg gestiftet bezeichnet, beide aber nicht gleichzeitig lebten; vgl. Stamm-
tafel bei Hans-Walter Herrmann, Geschichte der Grafschaft Saarwerden bis zum Jahre
1527 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung, 1), Bd. 2: Darstellung, Saarbrücken 1959, S. 50.
10 Kolling, Ein Hospiz und die Brücken (wie Anm. 9), S. 235-240.
11 Siehe unten zu Anm. 67.
12 August Hermann Jungk, Regesten zur Geschichte der ehemaligen Nassau-Saarbrück-
ischen Lande (bis zum Jahre 1381), (Mitteilungen des Historischen Vereins für die Saar-
gegend, 13 u. 14), Saarbrücken 1914/1919, Nr. 197; Carl Pöhlmann, Regesten der Gra-
fen von Zweibrücken aus der Linie Zweibrücken, bearb. von Anton Doll, Speyer 1962,
Nr. 38; Thomas Trapp, Die Zisterzienserabtei Weiler-Bettnach (Villers-Bettnach) im
Hoch- und Spätmittelalter (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Lan-
desgeschichte und Volksforschung, 27), Saarbrücken 1996, S. 167 und 305.
13 Codex diplomaticus ordinis sanctae Mariae Theutonicoram. Urkundenbuch des Deut-
schen Ordens, insbesondere der Baileien Coblenz, Altenbiesen, Westphalen und Loth-
ringen, hg. von Johannes Heinrich Hennes, 2 Bde., Mainz 1845/1861, Text Nr. 178; vgl.
Jean Schneider, La ville de Metz aux XIIIe et XIVe siècles, Nancy 1950, S. 20; Karl
Schwingel, Die Verfassung des Großen Hofes der Vogtei St. Nabor (St. Avold), in:
Rheinische Vierteljahrsblätter 22 (1957), S. 213-249, hier S. 217 und 222.
14 Rüdiger Schmidt, Die Deutschordenskommenden Trier und Beckingen 1242-1794
(Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 9), Marburg 1979, S. 10,
nach Hennes, UB Dt. Orden II, Nr. 69.
173
An der neueren, den Warndtwald südlich umgehenden Parallelstraße gab es
Hospitäler bei der Abtei von Longeville, in Sankt Avold und in Hombourg-Bas15 *.
Für das Kloster St.-Martin-de-Glandieres bei Longeville-lez-Saint-Avold (Lübeln)
ist die Gründungsurkunde des hospitale pauperum cristi von 1220 sogar überlie-
fert; der Abt nennt unumwunden einen Ministerialen als Urheber der Stiftung, der
dem Konvent Betten, Bettzeug und Leichentücher sowie Eigenbesitz im Umkreis
von einer Meile hinzufugte10. Als sich 1303 Abt und Konvent über die Zuweisung
verschiedener Einkünfte an das Hospital stritten, wird es zwar als Infirmarium be-
zeichnet17, es scheint jedoch von Anfang an ein regelrechtes Hospital gewesen zu
sein, das schon 1223 in der päpstlichen Bestätigungsbulle als solches bezeichnet
wurde18, wie auch die zahlreichen Schenkungen zu seinen Gunsten zeigen19 20. Bei
der benachbarten Abtei von Saint-Avold (Sankt Nabor) wurde das Hospital erst
1313 durch Abt Johann gegründet, in einem Haus, das er zu diesem Zweck von den
Testamentsvollstreckern eines kürzlich verstorbenen Bürgers gekauft hatte*9’. Diese
Umstände lassen keinen Zweifel daran, dass vorher keine entsprechende Anstalt
bestand, obschon der Abt in der Arenga betonte, dass Armenfürsorge zu den
Mönchspflichten gehöre. Trotzdem verschwand das Hospital schon gegen Mitte
des Jahrhunderts nach seiner Zerstörung bei der Belagerung durch die Grafen von
Salm-Rodenmacher im Kampf gegen den Bischof von Metz21. Dafür wurde 1427
von einem Händlerehepaar ein neues gegründet, das dank zusätzlicher Immobilien-
schenkungen von Seiten anderer Stadtbürger sehr schnell einen ansehnlichen
Grundbesitz ansammelte und Kredite vergeben konnte22, aber wohl nicht wie alle
bisher genannten Institutionen in erster Linie Reisenden diente. Die späte Grün-
15 Zu Hombourg-Bas siehe unten zu Anm. 61.
Bibliothèque nationale de France [künftig: BnF], ms. lat. 10030, fol. XXXVHIbis, col. 2
- fol. XXVIII1, col. 1. Henri Tribout de Morembert, Le temporel de l’abbaye de Lon-
geville-lès-Saint-Avold au Moyen Age, in: Annuaire de la Société historique et archéolo-
gique de Lorraine 77 (1977), S. 73-94, hier S. 83, nennt irrtümlicherweise 1215 als
Gründungsjahr.
1 AD Moselle H 1028: Kartular des 17. Jh., S. 279f. (super censibus assignatis in-
ßrmariae).
!s 26.5.1223: Honorius III. bestätigt abbati et conventui monasterii s. Martini Glanderiensis
ecclesiam de Helimere (...) et hospitale de Longavilla cum pertinent iis suis sicut ea om-
nia canonice et pacifice possidetis (AD Moselle, Hl 123; Wolfram, Ungedruckte Kai-
ser-Urkunden der Metzer Archive, in: Annuaire de la Société historique et archéologique
de Lorraine 1 (1888-89), S. 149-161, Nr. 51; Clément Schmitt, Le Bullaire de l’abbaye
Saint-Martin-des-Glandières à Longeville-lès-Saint-Avold (1163-1756), in: Les Cahiers
Lorrains 1988, S. 379-386, Nr. 7); 28.9.1223: ebenso nur fürs Hospital (BnF, ms. lat.
10030, P 3v°; Schmitt, Bullaire, Nr. 8).
19 BnF, ms. lat. 10030; AD Moselle H 1025: rotes Kartular, Anfang 15. Jh.; AD Moselle H
1028: Kartular aus dem 17. Jh.
20 AD Moselle, H 4684/1 (7.7.1313); vgl. Hans-Walter Herrmann, Réflexions sur le déve-
loppement urbain de la ville de Saint-Avold, in: Les Cahiers Lorrains 2004/3, S. 167-
185, hier S. 183; Pascal Flaus, Assistance et santé à Saint-Avold des origines à la guerre
de Trente Ans, in: Annales de l’Est 1997, S. 3-29, hier S. 4; Herrmann, Städte im Ein-
zugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 309. Klein, Das Saarbrücker Spitalwesen (wie
Anm. 9), S. 180, Anm. 10, schreibt das 1313 erstmals belegte Hospital der Stadt zu.
21 Flaus, Assistance et santé à Saint-Avold (wie Anm. 20), S. 4.
22 Ebd. S. 5f.
174
düng der beiden Hospitäler bestätigt, dass die Straßenführung südlich um den
Warndtwald jüngeren Datums ist.
Älteren Datums war das Marienhospital bei der 1135 gegründeten Prämonstra-
tenserabtei Wadgassen, dem Hauskloster der Saarbrücker Grafen an der Straße von
Straßburg über Saarbrücken nach Luxemburg. Die Annalen des Klosters schreiben
laut Michael Tritz dem Abt Wolfram (1135-58) den Bau des Hospitals zu23. Seine
erste sichere Nennung erfolgt in einer undatierten, nur abschriftlich überlieferten
Urkunde, mit der Heinrich, Graf von Zweibrücken, und (seine Frau) Hedwig (von
Lothringen), (sein Bruder) Albert, Propst von St. Paulin/Trier, (ihr Neffe) Simon
(111.), Graf von Saarbrücken, und dessen Mutter Gräfin Liutgard (von Leiningen)
zur Zeit von Abt Peregrinus (1207-1218) und des Spitalverwalters Heinrich Hazen
„in Ansehnung seiner ärmlichen Einkünfte“ dem Hospital ein Stück Land am Fuß
des Pützbergs schenkten'4. Aufgrund der Lebensdaten der genannten Personen ist
die Schenkung in die Zeit 1207-1210 zu datieren221 *.
An der oberen Saar sind zwei weitere Hospitäler in isolierter Lage belegt: Her-
bitzheim und Mitterswald. Im Kloster Herbitzheim handelte es sich wahrscheinlich
nur um ein Infirmarium, dem 1275 der Metzer Bischof die Pfarrkirche von Vol-
munster inkorporierte, um die Kosten zu decken'6. Wie im Warndtwald lag ein St.-
Nikolaus-Hospital auch mitten im Mitterswald (zwischen Mittersheim und Féné-
trange); es findet 1259 dank einer Schenkung erstmals Erwähnung27. Sein späteres
Schicksal ist ungewiss: nach Johann-Heinrich Hennes wurde es der Deutschor-
denskommende in Sarrebourg unterstellt28 *, doch einer im Archiv des Département
de la Moselle überlieferten Urkunde zufolge inkorporierte der Bischof von Metz
1326 coenobium seu hospitale S. Nicolai de Capelia situm in sylva dicta Metors-
wald der Abtei St. Quirin24.
Zu Klöstern gehörten des Weiteren die Hospitäler in Hornbach und Neumünster
bei Ottweiler. Als Abt Eberhard 1225 aus dem Trierer Kloster St.Matthias nach
Hornbach berufen wurde, fand er weder Zellen für die Mönche noch ein Infirma-
Michael Tritz, Geschichte der Abtei Wadgassen, zugleich Kultur- und Kriegsgeschichte
der Saargegend, Wadgassen 1901 (ND Saarbrücken o. D.), S. 32.
24 Heinrich Beyer, Leopold Eltester, Adam Goerz, Urkundenbuch zur Geschichte der
jetzt die Preußischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelrheinischen
Territorien [künftig: MRUB], 3 Bde., Coblenz 1860-74, hier Bd. II, Nr. 279 (undatiert;
1208-1211) = III, Nr. 165 (undatiert; vor 1221); Jungk, Regesten zur Geschichte der
ehemaligen Nassau-Saarbrückischen Lande, Nr. 195; Pohlmann, Regesten der Grafen
von Zweibrücken, Nr. 37 und 1029; Regesten der Prämonstratenser-Abtei Wadgassen bis
zum Jahre 1571, hg. von Josef Burg, Saarbrücken 1980, Nr. 56 (die Datierung auf 1160
in Regest Nr. 16 ist falsch).
Burg, Regesten der Prämonstratenser-Abtei Wadgassen, Nr. 56; Franz-Josef Heyen, Das
Stift St. Paulin vor Trier (Germania Sacra, N. F. 6; Die Bistümer der Kirchenprovinz
Trier: Das Erzbistum Trier, 1), Berlin/New York 1972, S. 581; Tritz, Geschichte der
Abtei Wadgassen (wie Anm. 23), S. 35.
J‘ Joseph Levy, Geschichte des Klosters, der Vogtei und Pfarrei Herbitzheim, Straßburg
1892, S. 15f.
' Hennes, UB Dt. Orden II (wie Anm. 13), Nr. 147.
Joh. Heinr. Hennes, Commenden des deutschen Ordens in den Balleien Coblenz, Alten-
biesen, Westphalen, Lothringen, Österreich und Hessen, Mainz 1878, S. 202.
AD Meurthe-et-Moselle H 303.
175
rium vor, das er daraufhin schnellstens bauen ließ’0. Zu diesem Zweck inkorpo-
rierte der Metzer Bischof Johann von Apremont dem Kloster noch im selben Jahr
die Pfarrei Pirmasens30 31. Am 3. Februar 1277 schenkte dessen Nachfolger Lauren-
tius von Lichtenberg dem Nonnenkloster Neumünster zur Unterhaltung eines
Krankenhauses die Pfarrkirche von Varize (Waibelskirchen) in Lothringen32. Beide
Abteien lagen an der alten Römerstraße, die von Straßburg über Hagenau, Bitsch,
Hombach und Tholey nach Trier führte.
Wenn auch im Einzugsgebiet der Saar Hospitäler an Klöstern offensichtlich
recht zahlreich vorhanden waren, bestätigt doch die späte Installation entsprechen-
der Infrastrukturen in Hombach und Neumünster die allgemein im Raum zwischen
Rhein und Maas festgestellte Vernachlässigung der schon von Benedikt von Nursia
in seiner Klosterregel zur Pflicht gemachten Aufnahme von Fremden, die in zahl-
reichen Kapitularien und Konzilsdekreten in Erinnerung gerufen wurde, und damit
das Auseinanderklaffen von Norm und Praxis '3.
Die bisher untersuchten Hospitäler dienten eindeutig der Aufnahme von Pilgern
und Reisenden und lagen an Straßen, oft unabhängig von Siedlungen, eher an klös-
terliche Einrichtungen gebunden. Doch Hospitäler bei Klöstern waren nicht unbe-
dingt nur für Passanten bestimmt, wie das Beispiel Wörschweiler zeigt: Am 3. Au-
gust 1258 vermachten Graf Gerlach von Veldenz und seine Frau Elisabeth ihre Gü-
ter zu Osterna und Ohmbach und das Patronatsrecht an letzterem Ort der genann-
ten Zisterzienserabtei, wo sie ihre letzte Ruhestätte wählten, unter der Bedingung,
dass unter anderem sechs Kranke und Lahme im Siechenhaus des Klosters mit
Fleisch, Eiern, Weißbrot und Wein versorgt würden und dass 50 Arme, die an die
Klosterpforte klopften, täglich Almosen bekämen34. Derart frühe Belege für Kran-
kenpflege in Hospitälern sind im Untersuchungsraum eher selten anzutreffen.
Das älteste städtische Hospital im Saarraum stand im heute lothringischen Sar-
rebourg, der bedeutendsten Stadt an der Straße, die von Metz und den Salinen der
Seille nach Straßburg führte, und in welcher der Bischof von Metz Stadtherr war35.
Vom Juli 1173 stammt eine heute nicht mehr erhaltene Urkunde, in der Friedrich
von Pluvoyse als Elekt von Metz am Stadttor ein Hospiz mit Kapelle gründete, in
dem Reisende einen Tag übernachten konnten; er schenkte der Einrichtung etliche
Güter und übertrug die Leitung dem Ortspfarrer36. Am 13.1.1209 gewährte Papst
30 A[ndreas] Neubauer, Regesten des ehemaligen Benediktiner-Klosters Hombach (Mittei-
lungen des Historischen Vereins der Pfalz, 27), Speier 1904, Nr. 66.
31 Ebd. Nr. 64f.
32 Jungk, Regesten Nassau-Saarbrücken (wie Anm. 12), Nr. 559.
Pauly, Peregrinorum (wie Anm. 2), S. 80-105.
j4 Andreas Neubauer, Regesten des Klosters Werschweiler, Speyer 1921, Nr. 187.
Jean-Luc Fray, Sarrebourg und der obere Saargau im Lichte der Zentralitätsforschung.
Ein Beitrag zur Geschichte der mittelgroßen lothringischen Städte im Mittelalter, in: Die
alte Diözese Metz/L’ancien diocèse de Metz. Referate eines Kolloquiums in Wald-
fischbach-Burgalben vom 21. bis 23. März 1990, hg. von Hans-Walter Herrmann (Ver-
öffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksfor-
schung, 19), Saarbrücken 1993, S. 147-163; Herrmann, Städte im Einzugsbereich der
Saar (wie Anm. 3), S. 300-305.
’6 Actes des princes lorrains, 2e série: Princes ecclésiastiques, I. Les évêques de Metz, C.
Thierri III, Ferri, Thierri IV 1163-1179, éd. p. Michel Parisse, Nancy 1977, Nr. 40
176
Innozenz III. den Spitalbrüdern den Schutz des Heiligen Stuhls37. Er antwortete
damit auf eine Bitte der Brüder et nobilis comitis meten(sis) fundatoris hospitalis.
Somit wäre der „edele Graf von Metz“ - das waren die Grafen von Dabo (Dags-
burg) - der ursprüngliche Hospitalgründer gewesen. Am 14.8.1222 übertrugen die
Bürger hospitale eiusdem ville quam iamdudum construximus de elemosinis nostris
dem Deutschherrenorden38 *. Damit erheben die Stadtbürger als dritte Personen-
gruppe den Anspruch, Hospitalgründer gewesen zu sein. Statt wie die bisherige
Historiographie™ etwas undifferenziert von einem Zusammenwirken der Grafen
von Dabo, des Bischofs von Metz und der Bürger von Sarrebourg bei der Grün-
dung des Hospitals zu reden, ist wohl davon auszugehen, dass die Gründung tat-
sächlich auf Bischof Friedrich zurückging, der Metzer Bischof aber zu Beginn des
13. Jahrhunderts im abgelegenen, oberen Saartal seinen Einfluss zugunsten seines
Vogts, Graf Albert von Dabo, verlor40, der sich prompt beim Papst für die Saarbur-
ger Gründung einsetzte, um sich in der bischöflichen Landstadt beliebt zu machen.
Aus demselben Beweggrund heraus befreite er 1211 die Saarburger Stadtgemein-
de41. Doch die Bürger hatten verstanden, dass es mit diesem Rechtsakt nicht getan
war und dass sie, um ihrer neuen Freiheit Inhalt zu geben, auch eigene Initiativen
ergreifen mussten: Das Hospital war eine Institution, die sie an sich ziehen konn-
ten, ohne den Stadtherrn frontal anzugreifen. Das aus ihren Stiftungen herrührende
Kapital - Nachrichten vom wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt stammen aus
denselben ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts42 - erlaubte ihnen bald, von „ih-
rem“ Hospital zu reden. Das wurde ihnen nach 1225 dadurch erleichtert, dass das
Haus Dabo ausstarb und der Metzer Bischof wieder Stadtherr wurde. Dieser erneu-
erte das Stadtprivileg (1229), förderte tatkräftig die Ausstattung des Ortes mit
kirchlichen Zentralfunktionen und band ihn dank Verstärkung der Stadtmauer in
die Landesverteidigung ein43. Es dürfte insofern auch kein Zufall sein, dass die Ur-
kunde von 1222, mit der die Bürger über ihr Hospital verfügten, die älteste ist, in
der die Stadtbewohner als burgenses bezeichnet werden, die von nos burgenses de
sarburc ausgestellt wurde und an die sie ihr eigenes Siegel hingen. Wenngleich das
Hospital 1222 in die Hand des Deutschen Ordens kam, so ließ die Stadtgemeinde
den Orden doch nicht einfach schalten und walten. Als die Kommende 1294 wegen
häufiger Hochwasserschäden in ein neu erworbenes Haus vor dem zum Weiher
führenden Osttor verlegt werden musste44, wurde das Hospital am alten Ort, ultra
Saram, nach gemeinsamer Bestandsaufnahme zwecks Trennung der Spitalgüter
(Regest); Jean FRANCOis/Nicolas Tabouillot, Histoire de Metz, 7 Bde., Paris 1974 (ND
der Ausgabe Metz 1769-1781), Bd. II, S. 295f.
37 AD Moselle, H 4687; vgl. HENNES, UB Dt. Orden II (wie Anm. 13), Nr. 1.
38 AD Moselle, H 4688; vgl. Hennes, UB Dt. Orden II (wie Anm. 13), Nr. 19.
Eugen Ewig, Die Deutschordenskommende Saarburg, in: Elsaß-Lothringisches Jahrbuch
21 (1943), S. 81-126, hier S. 82 und 91f.; Herrmann, Städte im Einzugsbereich der Saar
(wie Anm. 3), S. 302f,; Fray, Sarrebourg (wie Anm. 35), S. 152f.
411 Fray, Sarrebourg (wie Anm. 35), S. 152.
4' Herrmann, Städte im Einzugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 300 (§ 3.2).
4~ Fray, Sarrebourg (wie Anm. 35), S. 152f.
43 Ebd. S. 153f.
44 AD Moselle, H 4689; vgl. Hennes, UB Dt. Orden II (wie Anm. 13), Nr. 322.
177
vom Besitz der Kommende wieder von der Stadt übernommen45. Die Bürger be-
fürchteten wohl, dass trotz der bischöflichen Auflage, wonach einer der Brüder
weiterhin in der alten Hospitalkapelle den Sonntagsgottesdienst halten müsse46, die
Deutschherren ihre Hospitalpflichten vernachlässigen würden. Möglicherweise war
auch mitentscheidend, dass am Osttor ein geringeres Verkehrsaufkommen zu er-
warten war47. Schon am 23.12.1301 übertrug die Stadtgemeinde das alte Hospital
den Deutschherren erneut unter denselben Bedingungen, wie sie es besessen hat-
ten48. Komtur und Ordensbrüder hatten zuvor versprochen, auch ins alte Hospital
zurückzukehren und dort die Kranken zu versorgen49. Auf die städtische Fürsorge
für das Hospital weist auch die Tatsache hin, dass es über die Einnahmen aus der
Stadtwaage und vom Eichmaß verfügen konnte50. Zum selben Zeitpunkt wie die
Metzer, zu Anfang des 13. Jahrhunderts, hatten die Saarburger Bürger es fertig ge-
bracht, den Bischof bzw. dessen Vogt, den Grafen von Metz, aus der Hospitalver-
waltung hinauszudrängen. Das Hospital war für sie Einsatz und Mittel gewesen,
stadtherrliche Ansprüche zurückzuschrauben und eigene Kompetenzen zu entwi-
ckeln. Wie das St.-Nikolaus-Hospital in Metz war das Saarburger Bürgerhospital
zum Kristallisationspunkt städtischer Identitätsfindung geworden51 52 *. Nicht zu Un-
recht nannte Karl von Trier, der Komtur des Deutschen Ordens für die Provinz
Lothringen, das Haus ' 1301 Hospitale burgensium dicti loci de sarburch. Dieses
Hospital ist nicht zu verwechseln mit einer Eiendenherberge, die nur einmal im
Jahr 1412 belegt ist, als es heißt: ausswendig des fürburgs über Sarn bey der eilen-
den capellen. Ihre archäologischen Reste wurden beim Bahnbau südlich des Bahn-
hofs entdeckt, so dass die Institution nicht mit dem alten Hospital ultra Saram
identisch gewesen sein kann5’.
Das Hospital zu Bouquenom (Bockenheim) taucht erstmals im Testament Graf
Friedrichs II. von Saarwerden vom 28. August 1342 auf, als er ihm 31 Pfund
Tumosen zudachte54. Seine Gründung ist eindeutig in den Kontext der vom Grafen
geförderten Stadtwerdung von Bockenheim zu stellen: Friedrich II. hatte 1328 der
Stadt einen Freiheitsbrief ausgestellt, der die Stadtverwaltung den Schöffen und
Geschworenen übertrug. In derselben Urkunde werden Zoll und Verkaufsbänke
erwähnt, von 1330 ist das Stadtsiegel erstmals überliefert und 1346 wird eine Ge-
leitstelle genannt55. 1488 bestimmte Graf Johann III. von Mörs-Saarwerden, dass
der Altar im Spital dem St. Blasius-Stift zu Saarwerden zufallen sollte56 * *.
45 AD Moselle, H 4755/9 (12.12.1295) = Hennes, UB Dt. Orden II (wie Anm. 13), Nr. 327.
46 wie Anm. 44.
4 Pauly, Peregrinorum (wie Anm. 2), S. 391.
48 AD Moselle, H 4755/11; vgl. Hennes, UB Dt. Orden il (wie Anm. 13), Nr. 506; vgl.
nächste Anm.
44 AD Moselle H 4703/1: Vidimus vom 11.1.1335 der Urkunde vom 18.12.1301 (fehlt bei
Hennes, UB Dt. Orden).
50 AD Moselle H 4703/1.
51 Zu Metz vgl. Pauly, Peregrinorum (wie Anm. 2), S. 163-171.
52 AD Moselle H 4703/1 (18.12.1301).
Herrmann, Städte im Einzugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 303.
54 Herrmann, Grafschaft Saarwerden I (wie Anm. 9), Nr. 333, S. 159.
5? Herrmann, Städte im Einzugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 275f.; ders., Grafschaft
Saarwerden I (wie Anm. 9), Beilage VIII, S. 650f.
'6 Herrmann, Grafschaft Saarwerden 1 (wie Anm. 9), Nr. 1412; vgl. Nr. 1663 von 1511.
178
Ähnliches ist für das weiter nördlich liegende Boulay (Bolchen) anzunehmen,
für das der erste Hospitalbeleg aus dem Jahr 1327 stammt^7. Der Ort hatte 1322
von Johann von Bolchen Stadtrecht erhalten und in derselben Urkunde werden
auch Wochen- und Jahrmarkt erwähnt58.
Recht früh, nämlich 1253, ist dank einer Zehntübertragung an die Abtei von
Glandieres/Longeville ein Hospital in der Kleinstadt Morhange (Mörchingen) an
der Straße Metz-Sarrebourg-Straßburg belegt59 60. Es scheint auf eine Initiative des
Pfarrers von Oron zurückzugehen, der weiterhin hospitali nostro de Morhenges
zehn Quarten Getreide zahlen soll, und ist fast 100 Jahre älter als die Freiheitsver-
leihung an den Ort611.
Aus Hombourg-Bas ist die Gründungsurkunde des Hospitals überliefert. Am 3.
April 1279 verordneten der Dekan und die Kapläne des Stefansstifts im bischöfli-
chen Städtchen Hombourg-Haut den Bau eines Hospitals in der Unterstadt (apud
homburch in villa inferiori iuxta pontem in platea vacna in parochia nostra de Be-
ananges [Bening]) für Arme und Kranke, von wo immer sie kommen (Hospitale
seu domus dei pro pauperibus et infirmis undecumque venientibus perpetuo hos-
pitandis), und behielten sich die Ernennung des Provisors vor61. Alles deutet darauf
hin, dass Reyner und Aleydis, die als erste das Amt bekleideten, die eigentlichen
Initiatoren der Hospitalgründung gewesen waren, denn 1302 wird die noch allein
lebende Aleydis als primaria fundatrix bezeichnet. 1254 hatte der Bischof von
Metz den Ort befreit und ummauert; bei der Bestätigung von 1283 werden auch
Markt und Halle erwähnt, so dass auch in diesem Ort die Hospitalgründung in den
Prozess der Stadtwerdung einzuordnen ist. 1301 überließ der Dekan des Stefans-
stifts dem Metzer Bischof seine Rechte in hospitali ... sito in aliqua villa juxta
Homboureh, inklusive der Bestellung des Hospitalmeisters62.
Klein, Das Saarbrücker Spitalwesen (wie Anm. 9), S. 185. Der Beleg fehlt bei Herr-
mann, Städte im Einzugsbereich der Saar (wie Anm. 3), und in meiner Habilitations-
schrift (wie Anm. 2).
Herrmann, Städte im Einzugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 277.
f AD Moselle H 1177 = BnF, ms. lat. 10030, fol. VIII col. 1; vgl. Monique Arveiler-
Ferry, Catalogue des actes de Jacques de Lorraine. Evêque de Metz (1239-1260) (An-
nales de l’Est. Mémoires n° 20), Nancy 1957, Nr. 203 und 315.
60 Herrmann, Städte im Einzugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 288f.
61 AD Moselle (Grand Séminaire St-Simon, Metz), G 1120/1. Damit scheidet die von Jean-
Luc Fray, Villes et bourgs de Lorraine. Réseaux urbains et centralité au Moyen Âge,
Clermont-Ferrand 2006, Anhang s. v. Hombourg-Haut (Nr, 138), gemachte Gleichstel-
lung mit L'Hôpital aus, da dieses schon 1210 belegt ist. Korrekt dagegen bei Klein, Das
Saarbrücker Spitalwesen (wie Anm. 9), S. 185, Anm. 39, und Herrmann, Städte im Ein-
zugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 29 lf.
62 Paul Marichal, Cartulaire de l’évêché de Metz (Mettensia IV und V), Paris 1903-05 und
1906-08, Text Nr. 97; vgl. PAULY, Peregrinorum (wie Anm. 2), S. 99f.
179
Im heutigen Saarland ist das älteste Hospital auf Stadtgebiet6, das erst 1290 in
Saarbrücken belegte Deutschherrenhospital63 64 65, das aber möglicherweise älter ist,
denn Graf Simon III. von Saarbrücken schenkte dem Orden schon 1227 den Bau-
grund66 und nach Hanns Klein weisen auch Erkenntnisse der Baudenkmalfor-
schung daraufhin, dass das Schiff der vor 1248 erbauten St.-Elisabeth-Kapelle ur-
sprünglich der Krankensaal war66. Nach 1300 ist allerdings keine Hospitaltätigkeit
mehr nachgewiesen. Hanns Klein zufolge hat Graf Simon III. (1207-1245) auch
das Heilig-Kreuz-Hospital außerhalb der westlichen Vorstadt Saarbrückens gestif-
tet67, obschon ein urkundlicher Beleg erst für 1440 vorliegt. Einer Urkunde von
1466 zufolge wurde das Hospital von der Hofgesindebruderschaft St. Georg getra-
gen, die sich unter dem Vorsitz des Grafen von Saarbrücken aus Hof- und Lehns-
leuten zusammensetzte68. Es lag an der Straße nach Saint-Avold und Metz, an der
etliche der vorgenannten Hospitäler sich in isolierter Lage aufreihten. Weil sich
dieses Hospital zur Versorgungsanstalt der Gesindebruderschaft und anderer wohl-
habender Bürger entwickelt habe, meint Hanns Klein, stiftete 1424 der Bürger
Eschberges Hensel ein weiteres Hospital in der Saarbrücker Neugasse: zu eyme
spidal und allen pilgerynen und armen luden, die des noitdurftig sint, zu einer
hirbirgen. Die Stiftung wurde 1463 von Graf Johann III. von Nassau-Saarbrücken
bestätigt69. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Hospitalgründung eine
Reaktion auf die Verpfründung des Hl.-Kreuz-Spitals darstellte, das zunehmend
besser gestellten Bürgern als „Seniorenheim“ diente, während Arme und Passanten
dort nicht (mehr) aufgenommen wurden. Eine solche Entwicklung lässt sich
vielerorts im 15. Jahrhundert beobachten70 * * * *.
Ähnlich lautete die Begründung, als am 19. August 1455 Junker Johann von
Oppenheim und Tryne ihr Haus mit Scheuern, Höfen und Begriff der Kirche und
Stadt St. Wendel als Spital übertrugen, so wie sie das schon begonnen hatten zu
tun: zu eyme ewigen spital und herberg armer elender lüde ... zu husen und zu her-
63 Nicht aufgenommen wurde in meine Liste ein Hospital beim Kollegiatstift St. Arnual.
Klein, Das Saarbrücker Spitalwesen (wie Anm. 9), S. 181f., nennt zwar eine ganze Rei-
he logischer Gründe, warum er die frühe Existenz eines solchen dort annimmt, doch den
Quellenbeleg bleibt er nach eigenen Aussagen wegen der „tristen Quellenlage“ schuldig.
64 BURG, Regesten Wadgassen (wie Anm. 24), Nr. 251. Der Beleg wurde übersehen bei
Klein, Das Saarbrücker Spitalwesen (wie Anm. 9), S. 183, und Herrmann, Städte im
Einzugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 296, die den Erstbeleg auf 1296 datieren.
65 MRUB III, Nr. 334; Hennes, UB Dt. Orden II (wie Anm. 13), Nr. 30.
66 Klein, Das Saarbrücker Spitalwesen (wie Anm. 9), S. 183.
67 Ebd. S. 188-189. In den Augen von Kurt-Ulrich JÄSCHKE, Saarbrücken im Hochmittel-
alter, in: Geschichte der Stadt Saarbrücken. Von den Anfängen zum industriellen Auf-
bruch (1860), Bd. 1, hg. von Rolf Wittenbrock, Saarbrücken 1999, S. 159-198, hier S.
194, ist in einer undatierten Urkunde aus dem Zeitraum 1200-1236 sowie in einer von
1219 die Hospitalkapelle gemeint.
68 Klein, Das Saarbrücker Spitalwesen (wie Anm. 9), S. 186f.
69 Klein, Das Saarbrücker Spitalwesen (wie Anm. 9), S. 190f.
11 Michel Pauly, Von der Fremdenherberge zum Seniorenheim: Funktionswandel in mit-
telalterlichen Hospitälern an ausgewählten Beispielen aus dem Maas-Mosel-Rhein-
Raum, in: Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicher Hospitäler im europä-
ischen Vergleich, hg. von Michael Matheus (Geschichtliche Landeskunde, 56), Stuttgart
2005, S. 101-116.
180
bergen als wir elüdt zu dieser zyt angefangen hain zu dhon1]. Bis dahin existierte
in St. Wendel nur eine Pilgerherberge vor der untersten Stadtpforte, die seit 1295
im sogenannten Wendalinshaus belegt ist72.
Das Hospital in Saarburg wurde wahrscheinlich im 14. Jahrhundert errichtet.
Den Bauplatz in der Saarburger Unterstadt am Saarufer schenkte Peter von Man-
dern an die St. Laurentius-Kirche 3, die im Mittelalter nie Pfarrkirche wurde, doch
der Zeitpunkt ist nicht bekannt. Dafür erfahren wir an diesem Beispiel etwas mehr
von einer Funktion, die häufiger von Hospitälern ausgeübt wurde74. Viele verfüg-
ten nämlich über mehr oder weniger umfangreichen Güterbesitz und zogen Renten
ein. Ein derartiges Güter- und Rentenverzeichnis ist im Falle des Saarburger Hos-
pitals von 1411 überliefert und stellt den ältesten Beleg für seine Existenz dar75.
Ein weiteres Register, das 1469 einsetzt, zählt nicht nur die Geld- und Immobilien-
schenkungen auf, sondern auch die Renteneinkünfte und es enthält eine Liste der
von 1489-1514 gewährten Kredite76.
Vom Hospital in Merzig erfahren wir erst 1443, als Erzbischof Jakob V. von
Trier einen Streit zwischen der Gemeinde Merzig und dem Propst der Prämonstra-
tenser schlichten musste wegen der Verteilung des Opfergeldes aus der Hospitals-
kapelle77. Die Gemeinde des Dorfes Merzig betonte, dass sie Gott, der hl. Dreifal-
tigkeit, Unserer Lieben Frau, St. Elisabeth Wittib und allen Heiligen zu Ehren und
armen und kranken Leuten und Pilgern zu Hilfe und Trost ein Hospital und einen
Altar zum Gottesdienst mit Messen hatte weihen lassen, das also offenbar jüngeren
Datums war, weswegen die Prämonstratenser, die die Seelsorge in Merzig ausüb-
ten, dagegen opponierten.
Sehr spät ist auch die Hospitalgründung in Zweibrücken erfolgt. Erst 1480
wandten sich Bürgermeister und Gemeinde an Herzog Ludwig von Pfalz-Zweibrü-
cken, um seine Unterstützung zur Errichtung eines Hospitals zu erhalten, zur not-
turff armen lüde vnd elender mentschen, die by yne zü vnd abe wandelent. Der ge-
währte ihnen denn auch am 12. Mai 1480 eine Almosensammlung und machte ei-
1 Franz J. GRÄFF, Das Hospital St. Wendel - eine Stiftung aus dem Jahr 1455, in: St. Wen-
del. 650 Jahre Stadt, St. Wendel 1982, S. 63-67; 500 Jahre Hospital St. Wendel 1455-
1955, Sankt-Wendel 1955. Bei der Datierung auf 1415 durch Herrmann, Städte im Ein-
zugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 311, handelt es sich wohl um eine Verschreibung.
500 Jahre Hospital St. Wendel (wie Anm. 71), S. 8.
Fritz Beisel, Geschichte der Stadt Saarburg von den Anfängen bis zum Ausgang des 18.
Jahrhunderts, in: Saarburg. Geschichte einer Stadt, Bd. I: Im Strom der Zeiten, Saarburg
1991, S. 17-165, hier S. 75.
So unter anderem auch das Bürgerspital in Saint-Avold; vgl. oben zu Anm. 20.
Nikolaus Ritzler, Burg und Kreisstadt Saarburg Bez. Trier und geschichtliche Nachrich-
ten über adelige Familien, Burgen und Ortschaften im Kreise, Saarburg 1912, S. 81-89,
hier S. 83f.
76 Eduard Lichter, Das Register des Hospitals zu Saarburg (1469-1514), in: 1000 Jahre
Saarburg 964-1964, Saarburg 1964, S. 33-43; Beisel, Geschichte der Stadt Saarburg
(wie Anm. 73), S. 76.
Wilhelm Laubenthal, Merzigs St. Elisabethenhospital, in: Festschrift aus Anlaß der
Restaurierung der Propstei- und Pfarrkirche St. Peter Merzig, Merzig 1966, S. 53-57.
181
nen Aufruf an alle Pfarrer, ihren Untertanen die Boten zu empfehlen 8. Es wurde in
der späteren Spitalsgasse an der Ringmauer errichtet.
Und erst von 1523 datiert der Erstbeleg für eine der hl. Anna geweihte Hospi-
talkapelle in Wallerfangen 9.
Die zeitliche Verteilung der Erstbelege für Hospitäler im Einzugsbereich der
Saar entspricht durchaus der Phasenverteilung, die im Gesamtraum zwischen Maas
und Rhein beobachtet werden konnte78 * 80:
Erstbeleg Saargebiet Rhein-Maas-Raum
bis 1179 3 11,1% 78 14,4%
1180-1349 16 59,3% 274 51,9%
1350-1500 8 29,6% 178 33,7%
Ungewöhnlich ist nur die große Lücke zwischen 1342 und 1411, während der
kein neues Hospital in den Quellen auftaucht. Das im Eisass beobachtete Grün-
dungshoch im zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts lässt sich im Saargebiet nicht
feststellen.
Im Überblick zeichnet sich die Hospitälerlandschaft des Saarlandes dadurch aus,
dass sie von isoliert liegenden Hospitälern oder Klosterhospizen dominiert wurde
(mindestens elf Hospitäler, vier weitere vor einer Stadt), die zum Teil schon im
12., vor allem aber im 13. Jahrhundert nachzuweisen sind, während städtische Hos-
pitäler eher selten und spät gegründet wurden, so dass nicht einmal alle Kleinstädte
des Raumes damit ausgestattet waren. Von den 27 berücksichtigten Einrichtungen
wurden zehn von Klöstern getragen, fünf von einer Deutschordenskommende und
nur zwei sicher von einer Stadtgemeinde.
Gerade die Hospitäler, die vom Deutschen Orden verwaltet (nicht gegründet)
wurden, häufen sich im Untersuchungsraum, dem man die benachbarten Häuser in
Metz und Einsiedel bei Kaiserslautern noch hinzuzählen muss. Entlang der Straße
von Metz nach Worms standen sie in Metz, Narbefontaine, Saarbrücken, Einsiedel
bei Kaiserslautern und an der Straße von Metz nach Straßburg außer in Metz noch
in Mitterswald (?) und Sarrebourg81, Das sind immerhin sechs der zehn zwischen
Rhein und Maas lokalisierten Deutschherrenhospitäler82.
Hervorzuheben ist des Weiteren die Rolle des Adels im Saargebiet, insbeson-
dere der Grafen von Saarbrücken, von Saarwerden und von Zweibrücken, als Stif-
78 Urkundenbuch zur Geschichte der ehemals Pfalzbayerischen Residenzstadt Zweibrücken,
hg. von Ludwig Molitor, Zweibrücken 1888 (ND Osnabrück 1974), Nr. 54 (12.5.1480);
vgl. Karl Baas, Mittelalterliche Gesundheitspflege im Gebiet der heutigen Rheinpfalz,
in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 88 (1936), S. 72-102, hier S. 86.
9 Herrmann, Städte im Einzugsbereich der Saar (wie Anm. 3), S. 314.
80 Siehe Pauly, Peregrinorum (wie Anm. 2), S. 41-50, auch zur Begründung der Phasen-
einteilung.
81 Pauly, Peregrinorum (wie Anm. 2), S. 300; Klein, Das Saarbrücker Spitalwesen (wie
Anm. 9), S. 183f.; vgl. Karl Schwingel, Die Bedeutung der Straße Metz-Mainz im nas-
sau-saarbrückischen Reichsgeleit, in: Aus Geschichte und Landeskunde. Forschungen
und Darstellungen Franz Steinbach zum 65. Geburtstag gewidmet von seinen Freunden
und Schülern, Bonn 1960, S. 561-579.
82 Pauly, Peregrinorum (wie Anm. 2), S. 104; den dort genannten neun Einrichtungen ist
jene im Mitterswald mit einem Fragezeichen (siehe Anm. 28 und 29) hinzuzufügen.
182
ter und als Schenkgeber*3. Sie waren eindeutig im Hospitalwesen stärker engagiert
als die Stadtbürger der Region. In den Kleinterritorien an der Saar war die Grün-
dung eines Hospitals ein Mittel der Territorialpolitik, insbesondere der Ausstattung
und Förderung von (Klein)städten. Nur im lothringischen Sarrebourg spielten die
Bürger eine aktivere Rolle; sie nutzten das usprünglich bischöfliche Hospital, um
ihre Verwaltungskompetenz und ihr soziales Engagement unter Beweis zu stellen
und damit ihre Forderung nach Autonomie zu legitimieren. Sowohl für die adligen
wie für die bürgerlichen Stifter waren die Hospitäler - bei aller Betonung der
christlichen Caritas und der davon erhofften Fürsprache für das eigene Seelenheil -
ein Mittel zu politischen Zwecken.
Abb. 1: Hospitäler im Einzugsbereich der Saar (bis 1500), siehe S. 308.
Vgl. Michel Pauly, Adlige Hospitalstiftungen zwischen Rhein und Maas im Mittelalter.
Vortrag bei der Tagung „Adlige Armentürsorge zwischen herrschaftlicher Verpflichtung,
politischer Notwendigkeit und persönlichem Seelenheil“ am 20.-22. Oktober 2011 in
Trier (in Druckvorbereitung).
183
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In memoriam Sänke Lorenz, 30.6.1944 - 8.8.2012
Hexenpoutik im Saarraum? Zu Stand und Perspektiven
LANDES- UND KULTURGESCHICHTLICHER HEXENFORSCHUNG IN
EINER „PASSIVEN GESCHICHTSLANDSCHAFT“
Rita Voltmer
I. Wie die Landesgeschichte zur Hexenforschung kam
Die 2005 erfolgte Schließung des 1920 gegründeten „Instituts für Geschichtliche
Landeskunde der Rheinlande“ in Bonn provozierte eine Fülle von Fragen nach
dem Stand, den Perspektiven und den zukünftigen Betätigungsfeldern einer deut-
schen Landesgeschichtsforschung, gebündelt auf der 2006 veranstalteten Tagung
„Landesgeschichte auf dem Prüfstand“1. Die Diskussion um die Daseinsberechti-
gung von Landesgeschichte oder Geschichtlicher Landeskunde als universitärer
Disziplin reicht zurück bis in die 1970er Jahre, verschärfte sich aber angesichts der
notwendigen Aufarbeitung eine politisch instrumentalisierten „Westforschung“2.
Weiter befördert vom Generationenwechsel auf den Lehrstühlen, vom Aufstieg der
Historischen Sozialwissenschaften, von bildungspolitisch bedingten Umstrukturie-
rungen (unter anderem ausgelöst durch den so genannten „Bologna-Prozess“) und
von chronisch leeren Kassen, wurde mehr und mehr das Konzept einer traditionell
mit Schwerpunkt in der Mediävistik angesiedelten Landesgeschichte hinterfragt.
Immerhin, die wenig fruchtbaren Grabenkämpfe der 1990er Jahre zwischen einer
Regionalgeschichte westdeutscher Prägung und der Landesgeschichte schlechthin,
scheinen beendet, wenn man Werner Buchholz folgt3. In ihrer kritischen Würdi-
gung der bundesdeutschen Frühneuzeitforschung nach 1945 hat Jaana Eichhorn
zwischen Regional- und Landesgeschichte jedenfalls keinen Unterschied gemacht4.
Angesichts dieser Debatten und drohender Umwidmung oder Nichtbesetzung
fragte noch am 5. September 2007 das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zei-
1 Vgl. Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Traditionen - Entwicklungen -
Perspektiven, hg. von Manfred Groten und Andreas Rutz, Bonn 2007.
2 Vgl. Matthias Werner, Die deutsche Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert.
Aufbrüche, Umbrüche, Perspektiven, in: Landesgeschichte (wie Anm. 1), S. 157-178;
Stephan Laux, Rheinische Frühneuzeitforschung. Traditionen - Stand - Perspektiven, in:
ebd., S. 197-231; Christoph Monn, Was ist und zu welchem Zweck betreibt man Landes-
zeitgeschichte? Zu Problemen und Perspektiven einer Landesgeschichte der Moderne, in:
ebd., S. 233-250.
Werner Buchholz, Vergleichende Landesgeschichte und Konzepte der Regionalge-
schichte von Karl Lamprecht bis zur Wiedervereinigung im Jahre 1990, in: Landesge-
schichte in Deutschland. Bestandsaufnahme - Analyse - Perspektiven, hg. von Dems.,
Paderborn und anderswo 1998, S. 11-60, hier S. 48f.
4 Jaana Eichhorn, Geschichtswissenschaft zwischen Tradition und Innovation. Diskurse,
Institutionen und Machtstrukturen der bundesdeutschen Frühneuzeitforschung, Freiburg
im Breisgau 2006, S. 280-283.
185
tung: „Wie steht es um die Landesgeschichte?“5 Dabei hatte die universitär veran-
kerte Landesgeschichte - zumindest an den drei Lehrstühlen in Saarbrücken, Trier
und Tübingen - bereits seit den 1980er Jahren ein weites und zukunftweisendes
Forschungsfeld von öffentlichkeitswirksamer Brisanz entdeckt: die Geschichte der
spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen6.
Insgesamt war die deutschsprachige Hexenforschung damit einem international
zu beobachtenden Trend gefolgt; denn bereits nach den 1970er Jahren hatte sich
die internationale Hexenforschung in regionalen Schwerpunkten organisiert. Ent-
sprechende, heute zum Teil nicht mehr existierende Gruppen bildeten sich in den
Niederlanden, in Österreich, in Ungarn, dann in der Schweiz, in Schottland und in
Norwegen sowie in Lemgo. Als eine Art Dachverband der nationalen wie interna-
tionalen Arbeitsgruppen zur Hexenforschung kann der 1985 gegründete Arbeits-
kreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) gelten, der institutionell an die
Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und an das Institut für Geschichtliche
Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen - auch
nach der Emeritierung von Gründungsvater Sönke Lorenz - angebunden ist7. Mit
seinen über 200 Mitgliedern - vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum, aber
auch aus anderen europäischen Ländern und den USA - vereint der AKIH Fach-
leute aus der Rechts-, Medizin-, Pharmazie-, Sozial-, Wirtschafts- und Kunstge-
schichte, der allgemeinen Geistes- und Landesgeschichte, der historischen Anthro-
pologie, Ethnologie, Theologie und Religionswissenschaft. Auf den jährlichen Ar-
beitstreffen in Stuttgart-Hohenheim und den regelmäßigen großen öffentlichen
Akademie-Tagungen in Weingarten werden aktuelle Trends der Hexenforschung
diskutiert sowie laufende Arbeiten und Projekte vorgestellt, ferner Tagungsbeiträge
s Oliver Jungen, Heimatliche Orchideen. NRW als Beispiel: Wie steht es um die Landes-
geschichte?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 206, 5. September 2007, S. N 3.
6 Als Einführung in die komplexe Thematik der spätmittelalterlichen und frühneuzeit-
lichen Hexenverfolgungen vgl. Walter Rummel und Rita Voltmer, Hexen und Hexen-
verfolgungen in der Frühen Neuzeit, 2. bibliographisch erweiterte Auflage Darmstadt
2012; Rita Voltmer, Hexen. Wissen was stimmt, Freiburg im Breisgau 2008. - Zur For-
schungsgeschichte vgl. darüber hinaus Wolfgang Behringer, Geschichte der Hexenfor-
schung, in: Wider alle Hexerei und Teufelswerk. Die europäische Hexen Verfolgung und
ihre Auswirkungen auf Süddeutschland, hg. von Sönke Lorenz und Jürgen-Michael
Schmidt, Ostfildern 2004, S. 485-668; Eichhorn, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 4),
S. 251-310; Rita Voltmer, Netzwerk, Denkkollektiv oder Dschungel? Moderne Hexen-
forschung zwischen „global history“ und Regionalgeschichte, Populärhistorie und
Grundlagenforschung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 34 (2007), S. 467-507;
Dies., Mythen, Phantasien und Paradigmen - Zu Deutungen der Hexenverfolgungen, in:
Hexen. Mythos und Wirklichkeit, hg. vom Historischen Museum der Pfalz Speyer, Spey-
er 2009, S. 189-199.
Vgl. für das Folgende Sönke Lorenz und Dieter R. Bauer, „Hexenforschung“ - eine
Einführung zur Reihe, in: Das Ende der Hexenverfolgung, hg. von DENS., Stuttgart 1995,
S. IX-XVI.
186
und Dissertationen in der wissenschaftlichen Buchreihe „Hexenforschung“ (bis-
lang 13 Bände) veröffentlicht*.
Im Jahr 1987 gründete Franz Irsigler, der den Lehrstuhl für Geschichtliche Lan-
deskunde an der Universität Trier bis 2008 innehatte, gemeinsam mit dem damali-
gen Direktor der Stadtbibliothek Trier, Günther Franz, die grenzüberschreitende
„Arbeitsgemeinschaft Hexenprozesse im Trierer Land und in Luxemburg“, welche
sich mit den quellenmäßig außerordentlich gut dokumentierten Hexenverfolgungen
im Westen des Reiches befasste. Zwei am Lehrstuhl Geschichtliche Landeskunde
angesiedelte, zwischen 1997 und 2002 sowie 2003 bis 2008 von der Deutschen
Forschungsgemeinschaft und der Stiftung Stadt Wittlich geförderte Projekte zur
Erforschung der Zauberei- und Hexenprozesse im Maas-Rhein-Mosel-Raum waren
personell eng mit der inzwischen nur noch nominell bestehenden Arbeitsgemein-
schaft verknüpft* 9. Gerade in der Konzeption eines, die aktuellen Grenzen nach
Frankreich, Luxemburg und Belgien überschreitenden Untersuchungsraumes blieb
Franz Irsigler der Methodik und dem Anspruch einer regional bezogenen, multi-
disziplinären Landesgeschichte10 verpflichtet. Neben der wissenschaftlichen Erfor-
schung der Hexenverfolgungen in diesem Raum - publiziert in der Reihe „Trierer
Hexenprozesse - Quellen und Darstellungen“ (bislang acht Bände)11 12 - hat man in
Trier großen Wert auf Transfer, öffentliche Breitenwirkung und Popularisierung
der Forschungsergebnisse gelegt, wozu die enge Vernetzung mit lokalen wie über-
regionalen Kultur- und Bildungseinrichtungen (auch in Luxemburg) sowie Tagun-
gen, die wissenschaftliche Beratung und Unterstützung von mehreren Ausstellun-
gen1' und ein Dokumentarfilm gehörten. Auch nach der Emeritierung von Franz
Eine Liste der Bände kann unter der Rubrik „Veröffentlichungen“ auf der homepage des
Arbeitskreises interdisziplinäre Hexenforschung (AK1H) (http://www.uni-tuebingen.de/
ifgl/akih/akih.htm) eingesehen werden.
9 Vgl. dazu Rita Voltmer, Hexenverfolgungen im Maas-Rhein-Mosel-Raum - Ergebnisse
und Perspektiven, in: Zwischen Maas und Rhein - Beziehungen, Begegnungen und Kon-
flikte in einem europäischen Kemraum von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert. Ver-
such einer Bilanz, hg. von Franz IRSIGLER, Trier 2006, S. 153-187.
10 Vgl. nur Franz Irsigler, Landesgeschichte als regional bestimmte multidisziplinäre Wis-
senschaft, in: Brandenburgische Landesgeschichte heute, hg. von Lieselott Enders und
Klaus Neitmann, Potsdam 1999, S. 9-22, sowie Franz Irsigler, Zentrum, Grenze und
Achse als Elemente einer historischen Raumtypologie, in: Irsigler, Maas und Rhein
(wie Anm. 9), S. 11-26. - Zur Definition und Konzeption des Untersuchungsraumes
„Rhein-Maas“ oder „Rhein-Maas-Mosel“ vgl. Voltmer, Hexenverfolgungen (wie Anm.
9), S. 153-160.
11 Vgl. http://www.uni-trier.de/index.php?id= 16272.
12 Incubi Succubi. Hexen und ihre Henker bis heute. Ein historisches Lesebuch zur Ausstel-
lung, hg. von Rita Voltmer und Franz Irsigler, Luxemburg 2000; Incubi Succubi. Les
sorcières et leurs bourreaux, hier et aujourd’hui. Contribution historique accompagnant
l’exposition, éd. Rita Voltmer et Franz Irsigler, Luxemburg 2000; Hexenwahn. Ängs-
te der Neuzeit, hg. von Rosmarie Beier-de Haan, Rita Voltmer und Franz Irsigler,
Berlin 2002; Unrecht und Recht. Kriminalität und Gesellschaft im Wandel, 1500-2000.
Gemeinsame Landesausstellung der rheinland-pfälzischen und saarländischen Archive,
hg. von Heinz-Günther BORCK, Koblenz 2002; Hexen. Mythos und Wirklichkeit, hg.
vom Historischen Museum der Pfalz Speyer, Speyer 2009.
187
Irsigler existiert der Forschungsschwerpunkt „Hexenverfolgungen“ am Fach Ge-
schichte weiter13.
Mit dem Blick nach Tübingen und Trier wird jedoch allzu leicht vergessen, dass
auch Richard van Dülmen (Saarbrücken), als er die Professur für die Geschichte
der Frühen Neuzeit mit besonderer Berücksichtigung der Landesgeschichte14 * an
der Universität des Saarlandes innehatte, die Ansätze der historischen Anthropolo-
gie mit der Methodik der „klassischen“ Landesgeschichte so programmatisch wie
erfolgreich zu verbinden vermochte. Deutlich wird dies unter anderem an der von
ihm initiierten Saarbrücker Ausstellung „Hexenwelten. Magie und Imagination
vom 16.-20. Jahrhundert“ des Jahres 1987, an deren Begleitband auch seine beiden
Schüler Eva Labouvie und Wolfgang Behringer mitwirkten". Im gleichen Jahr er-
schien Wolfgang Behringers Dissertation zu den Hexenverfolgungen in Südost-
deutschland (vorzugsweise zum Herzogtum Bayern), welche die richtungweisende
Darstellung von H. C. Erik Midelfort zu den Hexenjagden in Südwestdeutschland
wesentlich ergänzen und eine lange Reihe nachfolgender Regionalstudien anführen
sollte16.
Landesgeschichte und internationale Hexenforschung gingen damit eine überaus
fruchtbare Symbiose ein. Dieser erfolgreiche Paradigmenwechsel war nicht zuletzt
durch das gestiegene öffentliche Interesse am Thema initiiert worden, getragen von
der Frauen- und Studentenbewegung, der Auseinandersetzung mit dem Justizun-
recht der NS-Diktatur sowie der Beschäftigung mit Menschenrechts- und Toleranz-
fragen 7.
Auch wenn es landesgeschichtliche Lehrstühle waren, die der professionellen
Hexenforschung eine erste universitäre Heimat boten, so wird dieses Faktum wis-
13 Die internationale Zusammenarbeit wird weiterhin groß geschrieben; verwiesen sei hier
nur - neben meiner Publikationsliste (http://www.uni-trier.de/index.php?id:=24020) - auf
die gemeinsam mit dem an der Université du Luxembourg angesiedelten Projekt „Histo-
rische Wortbildung des moselfränkisch-luxemburgischen Raumes“ (Heinz Sieburg, Brit-
ta Weimann) veranstaltete Tagung „Wissenstransfer - Interdisziplinäre Zugänge zur
Vermittlung von Magie- und Zauberei-Imaginationen“ (13.-15. Oktober 2011) sowie den
Forschungsaufenthalt von Liv Helene Willumsen (Universität Tromso) von August bis
Dezember 2011 in Trier zur Vorbereitung eines gemeinsamen Projekt- und Publika-
tionsvorhabens.
14 So laut Protokoll der offiziellen Gedenkfeier zum Tode Richard van Dülmens; vgl.
http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/93172/. Wolfgang Behringer spricht in sei-
nem Nachruf von einer Abteilung Landeskunde des Lehrstuhls Frühe Neuzeit; vgl.
http://www.uni-saarland.de/fak3/behringer/HP/nachruf_rvd.html.
1 Hexenwelten. Magie und Imagination, hg. von Richard van Dülmen, Frankfurt am Main
1987.
16 In einem Überblick zum Stand der frühneuzeitlich orientierten Landesgeschichte Altbay-
erns wird die Dissertation Behringers unter dem Stichwort „Lebensformen“ eindeutig als
regional- beziehungsweise landesgeschichtliche Arbeit im besten Sinne eingestuft; Ma-
ximilian Lanzinner, Patient Landesgeschichte? Neuere Forschungen zur Geschichte
(Alt-)Bayerns in der Frühen Neuzeit, in: Buchholz, Landesgeschichte (wie Anm. 1), S.
133-144, hierS. 139f.
1 So Eichhorn, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 4), S. 256-268.
188
senschaftshistorisch gelegentlich bei der „Regionalgeschichte“ verbucht18, gele-
gentlich nicht zur Kenntnis genommen1'1, im Allgemeinen aber doch als Gewinn
für die gesamte Frühneuzeitforschung gewertet20.
Mit Blick auf die Erforschung der so genannten saarländischen Hexenverfol-
gungen müssen besonders die Arbeiten von Eva Labouvie hervorgehoben werden,
welche gemeinsam mit Richard van Dülmen das breite Themenfeld um Zauberei-
prozesse, Hexenverfolgungen und Magieglauben an der Universität des Saarlandes
generell verankert hat21. Dort ist es auch noch heute am Lehrstuhl für Frühe Neu-
zeit präsent und wird von Wolfgang Behringer und seinem Schülerkreis sowohl in
global-kulturhistorischer wie auch landesgeschichtlich-regionaler Perspektive er-
forscht. Immerhin über 20 Jahre, nachdem Eva Labouvie den ersten (1991) und
den zweiten Teil (1992) ihrer Dissertation zur Volksmagie, zum ländlichen Aber-
glauben und zu den Hexenverfolgungen im „Saarraum“publiziert hat, scheint es
liv So Axel Flügel, Der Ort der Landesgeschichte in der neuzeitlichen Geschichte, in: Kul-
tur und Staat in der Provinz. Perspektiven und Erträge der Regionalgeschichte, hg. von
Stefan Brakensiek, Axel Flügel und Werner Freitag, Bielefeld 1992, S. 25f. - Auch
Eva Labouvie stellt die Ergebnisse der neueren, auf einen Untersuchungsraum mittlerer
Größe bezogenen Hexenforschung (darunter ihre eigenen Arbeiten) in den Kontext einer
neueren Regionalgeschichte und grenzt sie damit ab von Regionalstudien „älteren Typs“,
die mit der „Dokumentation von Hexenprozessen [...] gewissermaßen eine Ergänzung
der Heimat- oder Landesgeschichte“ geleistet hätten; Eva Labouvie, Hexenforschung als
Regionalgeschichte. Probleme, Grenzen und neue Perspektiven, in: Hexenverfolgung
und Regionalgeschichte. Die Grafschaft Lippe im Vergleich, hg. von Gisela Wilbertz,
Gerd Schwerhoff und Jürgen Scheffler, Bielefeld 1994, S. 45-60, hier S. 46.
11 Keine Erwähnung als landesgeschichtliches Betätigungsfeld findet die Hexenforschung
bei Laux, Frühneuzeitforschung (wie Anm. 2).
20 Vgl. dazu besonders Eichhorn, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 4), S. 279-286;
Voltmer, Netzwerk (wie Anm. 6), S. 470f.; Dies., Hexenforschung und Landesge-
schichte. Eine vorläufige Bilanz mit besonderer Berücksichtigung der Tiroler Hexenfor-
schung, in: Storicamente, E-Journal del Dipartimento di Discipline storiche deU’Uni-
versitä di Bologna 4 (2008), http://www.storicarnente.org/05_studi ricerche/streghe/
voltmer.htm; Dies., Mythen (wie Anm. 6), S. 199. - Vgl. auch die demnächst erschei-
nende, um weitere Beiträge vermehrte Publikation der Tagung „Europäische Hexenfor-
schung und Landesgeschichte - Methoden, Regionen, Vergleiche“, mit der vom 14. bis
16. September 2007 die Trierer Arbeitsgemeinschaft ihr 20-jähriges Bestehen feiern
konnte.
Eva Labouvie, Die „soziale Logik“ der Hexenprozesse. Herrschaften im Saarraum als
Beispiel. Zulassungsarbeit Saarbrücken 1983 (so zitiert bei Wolfgang Behringer, He-
xenverfolgung in Bayern. Volksmagie, Glaubenseifer und Staatsräson in der Frühen
Neuzeit, München 1987, S. 497). Labouvies Dissertation wurde 1989 abgeschlossen; vgl.
Eichhorn, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 4), S. 271.
Eva Labouvie, Zauberei und Hexenwerk. Ländlicher Hexenglaube in der frühen Neu-
zeit, Frankfurt am Main 1991 (1. Teil der Dissertation); Dies., Verbotene Künste.
Volksmagie und ländlicher Aberglaube in den Dorfgemeinden des Saarraumes (16.-19.
Jahrhundert), St. Ingbert 1992 (2. Teil der Dissertation). - Der erste Teil beschäftigt sich
mit der Ausbildung des ländlichen Hexenglaubens und den Hexenprozessen des 16. und
17. Jahrhunderts, während sich der zweite Teil auf die Konjunkturen und Veränderungen
189
geboten, Stand und Perspektiven der einschlägigen landesgeschichtlichen For-
schungen im Raum um Mosel und Saar, Prims, Blies und Nahe erneut unter die
Lupe zu nehmen21.
II. Stand der Hexenforschung im „Saarraum“
Seitdem sich Regionalstudien - ausgestattet mit einem sozial- und landesge-
schichtlichen Methodenarsenal - den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen
Hexenverfolgungen widmen, bleiben die besonderen Schwierigkeiten virulent, ei-
nen adäquaten Untersuchungsraum zu etablieren. Gemäß landesgeschichtlich-
methodischen Prämissen sollte es sich um eine „überschaubare Raumtype mittlerer
Größe“ handeln, die einen intra- wie interräumlichen Vergleich erlaubt-4. Diese, als
Land, Kulturraum, Region, Geschichtslandschaft oder historische Landschaft zu
bezeichnende Größe bildet gleichsam die Basisstruktur, auf welcher die anderen
Untersuchungsfelder (Politik, Recht, Konfession, Sprache, Siedlung etc.) referenti-
ell aufbauen. Mithin bestimmt die kluge Wahl und Begrenzung des Untersu-
chungsraumes das weitere Vorgehen und letztendlich auch das Ergebnis. Gerade
bei komplexen herrschaftlichen Gemengelagen und sich ändernden territorialen
Zugehörigkeiten in den politisch zersplitterten Räumen des späten Mittelalters und
der Frühen Neuzeit bleibt es naturgemäß schwierig, eine sinnvolle Abgrenzung zu
wählen, die zudem auch noch arbeitsökonomisch zu bewältigen ist.
Da sowohl das Vorbringen von Hexereibeschimpfungen oder -beschuldigungen
wie auch die genuinen Hexenprozesse und Verfahren wegen anderer magischer
Delikte in ihrer überwiegenden Mehrheit vor weltlichen Gerichten geführt wurden,
bedeutet die Festlegung eines Untersuchungsraumes zunächst die Erfassung der
herrschaftlich definierten Raumeinheiten-" verbunden mit der Frage nach Organi-
sation und Funktion von Ämtern, Propsteien und Hochgerichten; denn an den auf
diesen Ebenen angesiedelten Gerichten reichten Ausschüsse und Privatkläger ihre
Beschuldigungen gegen vermeintliche Hexen ein, hier eröffneten Amtleute und
Schultheißen vor den lokalen Schöffengremien ex officio die Verfahren. Eine ein-
schlägige regionalgeschichtliche Untersuchung sollte demnach nicht nur den histo-
rischen Grenzziehungen einzelner Leit-Territorien folgen, sondern muss sich, un-
terhalb der Ebene der großen Landesherrschaften, auf die personell und gerichts-
rechtlich verflochtenen Ämter, Propsteien {prévôtés), bailliages, Unter- und Mik-
roherrschaften sowie Kondominien konzentrieren. Eine Orientierung an modernen
Grenzziehungen oder allein an in staatlichen Archiven systematisch zusammenge- * 24 25
des volksmagischen Denkens und Handelns im dörflichen Milieu bis ins 19. Jahrhundert
konzentriert.
2-' Vgl. auch Rita VOLTMER, Saar Region, in: Encyclopedia of witchcraft. The western tra-
dition, hg. von Richard M. Golden, St. Barbara 2006, Bd. 4, S. 985-987; Rita Voltmer,
Nassau-Saarbrücken, County of, in: ebd., Bd. 3, S. 802-803; Dies., Pfalz-Zweibrücken,
Duchy of, in: ebd., Bd. 3, S. 896-898.
24 Irsigler, Landesgeschichte (wie Anm. 10), S. 14.
25 Zur Diskussion von Raumkonzepten vgl. besonders ebd., S. 16f. und generell Irsigler,
Zentrum (wie Anm. 10). - Zum Konstruktcharakter von Untersuchungsräumen vgl. be-
sonders ebd., S. 20f.
190
führten Beständen sollte sich eigentlich verbieten; denn sobald man den schwan-
kenden Boden der oft kaum durchschaubaren Herrschaftsverhältnisse des Ancien
Régime verlässt, begibt man sich in die ungleich größere Gefahr, durch eine rück-
wärts gewandte Projektion die historisch gewachsenen, also hoheits- und gerichts-
rechtlichen Räume und Strukturen erkenntnishemmend zu durchtrennen26. In glei-
cher Weise fordert eine landesgeschichtliche, im Sinne Irsiglers „multiperpekti-
vische“ Herangehensweise, neben der Erfassung, Transkription und Auswertung
genuiner Hexenprozessakten und verwandter Gerichtsquellen auch Weistümer,
Rüge-, Sendgerichts- und Visitationsakten, Mirakelberichte, Injurienprozesse, Peti-
tionen, Supplikationen, Rechnungen, weitere Strafgerichtsakten (insbesondere zu
Unzuchtsdelikten) sowie jenes Aktenmaterial aus dem Umfeld von Hexereiverfah-
ren, welches an übergeordneten Instanzen entstanden war, heranzuziehen. Gleich-
falls sind einschlägige obrigkeitliche Verordnungen, Policeygesetzgebungen und
kirchliche Bestimmungen, flankiert von zeitnaher Kommentierung in Erzeugnissen
der Publizistik, in Traktaten und Predigten zu benutzen.
Grundsätzlich stand und steht auch die landes- und kulturgeschichtliche Erfor-
schung der „saarländischen“ Hexenverfolgungen vor dem Problem einer solcherart
adäquaten Definition ihres Untersuchungsraumes. Der so genannte „Saarraum“
(wahlweise auch als Saarregion oder Saargegend betitelt) kann sicher nicht als ein
historisch gewachsener Kulturraum bezeichnet werden. Vielmehr handelt es sich
um ein politisches Konstrukt, um ein „Kunstprodukt“2 mit variierenden Grenzen,
welches 1920 zunächst als Saargebiet aus den Abmachungen des Versailler Vertra-
ges erwächst, 1935 eingegliedert wird in das Deutsche Reich, zwischen 1940 und
1945 zum Gau Westmark zählt, 1947 Frankreich zugeschlagen und erst 1957 als
11. Bundesland unter dem Namen „Saarland“ mit der Bundesrepublik vereinigt
wird"8. Wie schwierig es bleibt, „die Gebiete an Saar, Blies und Prims“ als einen
aktiv gewachsenen historischen Raum zu beschreiben, hat Hans-Walter Herrmann
schon 1977 eindrucksvoll dargelegt und deshalb von einer „passiven Geschichts-
landschaft“ gesprochen, der es an gestalterischen „politischen Kräften“ gefehlt ha-
be29. 1998 schließlich hat er sich ausdrücklich gegen eine landesgeschichtliche
Forschung ausgesprochen, die allein auf die Grenzen eines Bundeslandes oder auf
eine Region im Sinne französischer Verwaltungssprache bezogen bleibt und klar * So
J' Zu diskutierende Untersuchungsräume benutzen zum Beispiel: Ronald FüSSEL, Die He-
xenverfolgungen im Thüringer Raum, Hamburg 2003; Manfred Wilde, Die Zauberei-
und Hexenprozesse in Kursachsen, Köln und anderswo 2003; Hansjörg Rabanser, He-
xenwahn. Schicksale und Hintergründe. Die Tiroler Hexenprozesse, Innsbruck und Wien
2006; Christian Roos, Hexenverfolgung und Hexenprozesse im alten Hessen, Hamburg
2008. - Vgl. dazu auch Rummel/Voltmer, Hexen (wie Anm. 6), S. 75.
So Peter Dausend, anlässlich der Landtagswahl am 25. März 2012, in: Die Zeit 22. März
2012, S. 6.
Zur Geschichte des Bundeslandes vgl. Hans-Walter Herrmann und Georg Wilhelm
Sante, Geschichte des Saarlandes, Würzburg 1972; Wolfgang Behringer und Gabriele
Clemens, Geschichte des Saarlandes, München 2009.
Geschichtliche Landeskunde des Saarlandes. Band 2: Von der fränkischen Landnahme
bis zum Ausbruch der französischen Revolution, hg. von Kurz Hoppstädter (t) und
Hans-Walter Herrmann, Saarbrücken 1977, S. 524-545, hier S. 540 (auch Zitate).
191
für grenzüberschreitende Forschungen in der Großregion Lothringen-Luxemburg-
Saarland plädiert. Politisch-administrative Homogenität habe dieses Gebiet besten-
falls im lotharingischen Zwischenreich oder auf der Ebene der Trierer Kirchenpro-
vinz mit ihren drei Suffraganbistümern gehabt. Zur Zeit des Ancien Régime jedoch
- und mithin auch für die uns hier interessierende „Epoche“ der Hexenverfolgun-
gen im 16. und 17. Jahrhundert - wies diese „Geschichtslandschaft“ eine Vielzahl
politisch-herrschaftlicher Einheiten unterschiedlichster Größe und Konfession auf,
die quer zur romanisch-germanischen Sprachgrenze lagen30 31. Darüber hinaus vari-
ierten Siedlungs- und Wirtschaftsformen ebenso wie Gerichtspraxis und Rechtsset-
zung. Damit treffen auf den „Saarraum“ die Charakteristika zu, die allgemein jene
breite Zone zwischen dem Alten Reich und Frankreich, vom westlichen Ober-
italien nach Nordfrankreich reichend, kennzeichnen. Die Dauphiné, das Aosta-Tal,
das Herzogtum Savoyen, das Waadtland, das Fürstbistum Lausanne, das Wallis,
das Val Leventina, das Berner Oberland, die Freigrafschaft Burgund, das Eisass,
die Herzogtümer Lothringen, Bar, Luxemburg und Bouillon, das Fürstbistum Lüt-
tich und die anderen herrschaftlich stark zersplitterten Regionen innerhalb des Hei-
ligen Römischen Reiches deutscher Nation zeigten sich ebenso wie die peripheren
Regionen Frankreichs ausgesprochen anfällig für Hexenverfolgungen'1.
Über eine bewusste und begründete Etablierung eines tragfähigen Untersu-
chungsraumes machten sich die ersten, eher sammelnd-beschreibenden als analy-
sierenden Bestandsaufnahmen der Hexenverfolgungen wenig Gedanken; sie sie-
delten ihre Suche vielmehr auf der Ebene der einzelnen Territorien beziehungs-
weise Herrschaftseinheiten an. So hielt 1896 August Hermann Jungk'2, der „sich
wohl als erster eingehender mit den Hexenprozessen in der Grafschaft Saarbrücken
befaßt“" hat, einen Vortrag vor dem Historischen Verein für die Saargegend, in
dem er über zwei Hexereiverfahren berichtete, deren Akten nicht mehr aufzufinden
waren und über die nur sehr diffuse Nachrichten Vorlagen'4. Umfangreichere Ak-
30 Hans-Walter Herrmann, Kooperierende landesgeschichtliche Forschung im interna-
tionalen Schnittpunkt Saarland-Lothringen-Luxemburg, in: Buchholz, Landesgeschichte
(wie Anm. 1), S. 383-397, hier S. 383.
31 Vgl. knapp Rita Voltmer, Die politischen Funktionen der frühneuzeitlichen Hexenver-
folgungen. Machtdemonstration, Kontrolle und Herrschaftsverdichtung im Rhein-Maas-
Raum, in: Chasses aux sorcières et démonologie. Entre discours et pratiques (XIVe-XVIf
siècles). Textes réunis par Martine Ostorero, Georg Modestin et Kathrin Utz Tremp,
Florenz 2010, S. 89-115, hier S. 91 f.
" Jungk (1838-1918) gab zwischen 1914-1918 die Regesten der Grafschaft Saarbrücken
heraus (Angaben nach http://www.saarland-biografien.de).
Vgl. Kurt Hoppstädter, Die Hexenverfolgungen im saarländischen Raum, in: Zeit-
schrift für die Geschichte der Saargegend 9 (1959), S. 210-267, hier S. 239.
,4 Jungk bezog sich dabei auf die Hinweise von Köllner ( 1865), der sich wiederum auf eine
handschriftliche Aufzeichnung seines Großvaters (um 1800) stützte; Hoppstädter, He-
xenverfolgungen (wie Anm. 33), S. 238f., 253. - Eine ausführliche Liste der bis 1961
vorliegenden größeren und kleineren Abhandlungen zu den Hexenprozessen im „Saar-
aum“ liefert Henri Hiegel, Le bailliage d’Allemagne de 1600 à 1632. Tome 1:
L’Administration, la Justice, les Finances et l’Organisation militaire, Sarreguemines
1961, S. 220-222.
192
tenstücke konnte hingegen Anton Jacob3' bearbeiten, der sich - gestützt auf Ar-
chivrecherchen in den damaligen Archives Départementales de Nancy - intensiv
mit den Verfolgungen im Saargau auseinandersetzte und eine erste Liste der „Op-
fer des Hexenwahns im Kreise Merzig“ vorlegte30. Fast zeitgleich beschäftigte sich
auch der Lokalhistoriker Rudolf Rehanek mit diesem Thema und publizierte Ak-
tenfunde zu den Hexenprozessen aus dem Gebiet der Abtei Fraulautern (Schwar-
zenholz)35 * 37. Beide erklärten die Hexereiverfahren als Folgen von „Massenpsychose“
(Jacob) und „Hexenwahn“ (Rehanek). Auch Wolfgang Krämer folgte diesem in-
zwischen längst überholten Erklärungsmuster38. Ein Jahr vor Rehanek publizierte
er ebenfalls in den von Adolf Raskin39 herausgegebenen Heimatblättern der „süd-
westdeutschen Grenzmark“ Hinweise auf Hexereiverfahren im Amt Blieskastel,
wobei er die Ereignisse als „unseligen Hexenwahn“ und „Trauerspiel“40 wertete.
Das Interesse an den lokalen Hexenprozessen zwischen 1928 und 1930 war wohl
einem allgemein angestiegenen Bedarf an politisch instrumentalisierbarer „Heimat-
forschung“ geschuldet41.
Die Nationalsozialisten sollten ein ganz besonderes Interesse an den Hexenver-
folgungen entwickeln. Im Jahr 1935 gründete Heinrich Himmler eine Arbeitsgrup-
pe mit dem Decknamen H-Sonderauftrag (das heißt Hexen-Sonderauftrag), welche
systematisch Daten zu den historischen Hexenverfolgungen im gesamten deut-
35 Anton Jacob (1891-1962) aus Mondorf war Mitarbeiter im Verein für Heimatkunde im
Kreis Merzig. 1952 berief man ihn zum Mitglied der Kommission für Saarländische
Landesgeschichte und Volksforschung
(Angaben nach http://www.saarland-biografien.de).
f’ Anton Jacob, Die Hexenprozesse in Merzig und Umgebung. Ein Beitrag zur Kultur- und
Sittengeschichte des Saarlandes, in: Jahrbuch des Vereins für Heimatkunde im Kreis
Merzig 2 (1930), S. 29-72. - Vgl. auch Ders., Ein interessantes Dokument aus der He-
xenzeit a. d. Saar, in: Trierische Heimat 6 (1929/1930), S. 133f. (zu einem Prozess aus
Fraulautem); Ders., Über Hexenprozesse im Hochgericht Merzig-Saargau, in: Trierische
Heimat 6 (1929/30), S. 35f.
Rudolf Rehanek, Die Hexen von Schwarzenholz. Hexenprozesse im Gebiet der ehemali-
gen adeligen Frauenabtei Fraulautern, in: Südwestdeutsche Heimatblätter. Beiträge zur
Heimatforschung in der südwestdeutschen Grenzmark 3 (1929), S. 9-12, 17-21. Er griff
das Thema noch einmal knapp 50 Jahre später auf; R. Rudolf Rehanek, Fraulautem. Ge-
schichte der Hochadeligen Abtei und des Dorfes, Saarlouis 1978, S. 95, 299f. - Zu
Rehanek gibt es noch keinen Eintrag in den „Saarländischen Biografien“; vgl. zu ihm Jo-
hannes Djllinger, Eine erfundene Tradition. Zum Kaltenstein auf dem Hoxberg, in:
Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 53/54 (2005/2006), S. 23-34, hier S. 24f.
Vgl. dazu unten Anm. 160.
',9 Der Journalist und Runkfunkpionier Raskin wurde 1934 von Joseph Goebbels als Leiter
der Saarkampfzentrale des deutschen Rundfunks in Frankfurt am Main eingesetzt. Schon
zuvor hatte er sich bei der Gleichschaltung der Rundfunkanstalten einen Namen gemacht;
Birgit Bernard, Adolf Raskin, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 31
(2010), Sp. 1091-1095.
Wolfgang Krämer, Eine Hexenverbrennung im Amt Blieskastel am 30. Januar 1599.
Ein Beitrag zur Kulturgeschichte unserer Heimat, in: Südwestdeutsche Heimatblätter.
Beiträge zur Heimatforschung in der südwestdeutschen Grenzmark 2 (1928), S. 42-44.
41 Herrmann, Forschung (wie Anm. 30), S. 385.
193
sehen Sprachraum sammeln sollte4 . Bis 1944 suchten die elf Mitarbeiter, allesamt
Mitglieder der SS, in über 260 Archiven und Bibliotheken nach den Spuren der
Hexenprozesse, werteten dabei sowohl Akten als auch Forschungsliteratur aus und
füllten mehr als 33.000 Karteiblätter. Diese „Hexenforscher“ gingen stets getarnt
zu Werke, gaben sich bei den Archivbesuchen als „harmlose“ Heimatforscher,
Studenten oder Promovenden aus. Vertreter des Sonderauftrages kamen übrigens
im Sommer 1936 auch in das damalige Staatsarchiv Koblenz, in das Stadtarchiv
Trier und in das Bistumsarchiv Trier42 43, wo sie auf die dort lagernden Akten von
Hexenprozessen, die den „Saarraum“ betreffen, gestoßen sein müssen. Nach Ger-
hard Schormann, der als erster auf die Meta-Quelle der Hexenkartothek hinge-
wiesen hat, scheinen sie aber nicht viel Material gefunden zu haben44 *.
Dies korrespondiert mit den seit dem Ende des 19. Jahrhunderts laut geworde-
nen Klagen: Von den vielen vermuteten Hexereiverfahren waren nur mehr wenige
Akten erhalten geblieben. Herrschaftliche Zersplitterung, die den „Saarraum“ be-
sonders hart treffenden Verwüstungen des 30-jährigen Krieges, nachfolgende Wir-
ren wie auch absichtliche Kassation hatten die genuinen Hexenprozessakten offen-
sichtlich bis auf wenige Exemplare vernichtet^.
Erst 1959 gelang Kurt Hoppstädter eine erste Gesamtsicht der „Hexenverfol-
gungen im saarländischen Raum“46. Zu diesem Zeitpunkt war der Mitbegründer
der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde im Historischen Verein
für die Saargegend bereits als Mitglied in die Kommission für Saarländische Lan-
desgeschichte und Volksforschung berufen worden (1951), schon mehrere Jahre
korrespondierendes Mitglied der Section d’histoire de Luxembourg und seit 1955
Geschäftsführer des Historischen Vereins für die Saargegend. Im Jahr 1959 sollte
er außerdem in den Beirat des Instituts für Landeskunde des Saarlandes berufen
werden47. Mit Akribie machte Hoppstädter sich an die Zusammenstellung der aus
Archiven und älterer Literatur auffindbaren Hinweise auf Hexereiverfahren. Seinen
Untersuchungsraum gliederte er dabei nach den „saarländischen Territorien“, be-
42 Vgl. dazu die Beiträge in: Himmlers Hexenkartothek. Das Interesse des Nationalsozialis-
mus an der Hexenverfolgung, hg. von Sönke Lorenz, Dieter R. Bauer, Wolfgang Beh-
rigner und Jürgen Michael Schmidt, Bielefeld 1999.
4' Walter Rummel, Die Erforschung der sponheimischen und kurtrierischen Hexenpro-
zeßakten durch Mitglieder des „H-Sonderauftrags“. Anspruch und Wirklichkeit, in: Lo-
renz und andere, Hexenkartothek (wie Anm. 42), S. 143-164, hier S. 15 lf.
44 Gerhard Schormann, Hexenprozesse in Deutschland, Göttingen 1981, hier 2. Autl.
1986, S. 69.
43 Zur Quellenlage vgl. auch Eva Labouvie, „Gott zu Ehr, den Unschuldigen zu Trost und
Rettung ...“. Hexenverfolgungen im Saarraum und in den angrenzenden Gebieten, in:
Hexenglaube und Hexenprozesse im Raum Rhein-Mosel-Saar, Trier 1995, S. 389-403,
hier S. 39lf.
46 Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie Anm. 33). Ein Jahr später erschien der Aufsatz
noch einmal in gekürzter und überarbeiteter Form: Kurt Hoppstädter, Hexenwahn und
Hexenprozesse, in: Geschichtliche Landeskunde des Saarlandes. Vom Faustkeil zum
Förderturm, Bd. 1, hg. von Kurt Hoppstädter und Hans-Walter Herrmann, Saar-
brücken 1960, S. 214-228, 333-334.
4 Angaben nach http://www.saarland-biografien.de.
194
ginnend mit dem „lothringischen Raum im Saarland“, gefolgt von den in den
„Saarraum“ reichenden Ämtern Kurtriers, dem Kondominium Merzig-Saargau, der
Grafschaft Saarbrücken, dem Herzogtum Pfalz-Zweibrücken, der Herrschaft Blies-
kastel, der Criechingischen Besitzungen und sonstigen Hochgerichten (Schwarzen-
holz, Merchingen, Haustadt, Düppenweiler, Honzrath, Neunkirchen/Nahe, Uchtel-
fangen, Dagstuhl, Schwarzenburg und Weierweiler)48 49 50. Ergänzt wurde diese raum-
bezogene Darstellung von mehreren Listen zu 1. den Hingerichteten in saarländi-
schen Hexenprozessen, 2. ungeständigen Hexen und Zauberern, 3. im Gefängnis
verstorbenen Personen, 4. nicht zum Tode verurteilten Geständigen, 5. unsicheren
Hexereiprozessen, 6. Prozessen mit unbekanntem Ausgang und 7. zu lediglich Ver-
dächtigten40. Bis auf Liste Nr. 7 gab Hoppstädter in den chronologisch geführten
Verzeichnissen überdies neben dem Namen (sofern bekannt) auch den Wohnort,
den Hochgerichtsort und die Fundstelle im Archiv an. Wenngleich immer noch im
„Hexenwahn“-Stereotyp verfangen, hatte er damit eine erste wichtige Arbeits-
grundlage geschaffen, auf der nachfolgende Forschungen fußen konnten. Zwischen
1540 und 1679 zählte er 501 Personen, die in den unterschiedlichen Territorien in
Prozesse verwickelt worden waren'0. Darüber hinaus verwies Hoppstädter auf das
Wirken so genannter Hexenausschüsse, die im Auftrag ihrer Dorfgemeinden ver-
dächtige Personen vor die herrschaftlichen Gerichte brachten. Die Brisanz dieses
Fundes blieb Hoppstädter - wie im übrigen allen Vertretern der älteren Hexen-
forschung - allerdings verborgen'1. Zwar verzichtete Hoppstädter 1960 auf die
Wiedergabe der erstellten Listen, setzte sie aber in eine lediglich das Flußsystem
Mosel-Saar-Prims-Blies wiedergebende Karte zu den Herkunftsorten der in He-
xenprozesse verwickelten Personen und in ein Diagramm zur zeitlichen Verteilung
um'2. Ebenfalls im Jahr 1959 befasste Wolfgang Krämer sich erneut mit dem The-
ma der Hexenverfolgung und publizierte - gemeinsam mit weiteren Stücken aus
kurtrierisehen Ämtern - die bereits 1928 wiedergegebenen Aktenfragmente ge-
meinsam mit zwei weiteren Quellen zu den einschlägigen Vorgängen im Amt
Blieskastel. Unverändert bewertete Krämer die Vorgänge als „ungeheuerliche
Geisteskrankheit“53. Georg Colesie, der sich besonders um die Erforschung der Ge-
schichte des Nalbacher Tales verdient gemacht hat, sollte sich auch mit den dorti-
Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie Anm. 33), S. 232-248.
49 Ebd., 256-267.
50 Hoppstädter, Hexenwahn (wie Anm. 46), S. 228.
51 Vgl, zusammenfassend Rita Voltmer, Monopole, Ausschüsse, Formalparteien: Vorbe-
reitung, Finanzierung und Manipulation von Hexenprozessen durch private Klagekon-
sortien, in: Hexenprozesse und Gerichtspraxis, hg. von Herbert Eiden und Rita Volt-
mer, Trier 2002, S. 5-67, hier S. 9-13; Rita Voltmer, „Furchtbare Justizmorde“? - Zur
Historiographie der Hexenverfolgungen im Herzogtum Luxemburg, in: Hémecht. Revue
d’Histoire Luxembourgeoise. Zeitschrift für Luxemburger Geschichte 3/4 (2008), S. 329-
342, hier S. 332-336.
52 Hoppstädter, Hexenwahn (wie Anm. 46), S. 226f.
53 Wolfgang Krämer, Kurtrierische Hexenprozesse im 16. und 17. Jahrhundert, vornehm-
lich an der unteren Mosel. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte, München 1959, Zitat S. 104.
195
gen Hexenprozessen beschäftigen, wobei er 1969 Hoppstädters Forschungen er-
54
ganzte .
Der Archivar und Landeshistoriker Henri Hiegel* 55 56 57 58 stützte - darin Kurt Hopp-
städter vergleichbar - sein materialreiches zweibändigen Werk zur Bailliage
d’Allemagne (erschienen 1961 und 1968) ebenfalls auf intensive Archivrecher-
chen. Mitglied im Historischen Verein für die Saargegend sowie zwischen 1952
und 1985 regelmäßiger Teilnehmer an den Sitzungen der Kommission für saarlän-
dische Landesgeschichte und Volksforschung, hat er sich dann auch mit den ein-
schlägigen Hexenverfolgungen beschäftigt, die bis dahin schon vorliegenden For-
schungen (darunter Hoppstädter und Delcambre76) resümiert und für die Zeit nach
1600 zahlreiche Ergänzungen aus den reichhaltigen, jedoch disparaten Beständen
in den Archives départementales de Meurthe-et-Moselle gemacht. Es gelang ihm
damit eine erste Zusammenstellung der Verfahren aus den zu Lothringen gehören-
den offices (zum Beispiel Sierck, Schaumberg, Siersberg, Wallerfangen) bezie-
hungsweise den mitverwalteten Kondominien (zum Beispiel Merzig-Saargau) oder
lothringischer Souveränität unterstellten Gebieten (zum Beispiel das Nalbacher
Tal)5 . Wenn auch übersichtliche Tabellen mit Daten, Namen und Archivbelegen
zu den jeweiligen Amtsbezirken fehlen, so lieferte Hiegel doch zumindest mit den
Bestandsangaben die für weitergehende Forschungen so wichtigen archivalischen
Fundstellen mit. Insgesamt ermittelte er 484 Hinrichtungen (darunter 337 Frauen).
Nach seiner Einschätzung zählten die Ämter Sierck (31), Siersberg (18) und
Schaumberg (39) wie auch der Saargau (16) zu denjenigen Regionen, in denen die
Hinrichtungsquote - bezogen auf die räumliche Ausdehnung der Gerichtsbezirke -
vergleichsweise schwach ausgefallen zu sein schien. Lediglich in Wallerfangen
(Vaudrevange), dem Hauptort der bailliage, ergaben seine Recherchen 55 Hin-
richtungen'8. Er bezeichnete die Verfolgungen als eine „crise démonopathique“,
die vor dem Hintergrund schwerer politischer, religiöser, ökonomischer und sozi-
aler Probleme zu verstehen sei. AufSeiten der konkret Verantwortlichen benannte
4 Georg Colesie, Hexenprozesse am Hochgericht Nalbach, in: Zeitschrift für die Ge-
schichte der Saargegend 17/18 (3 969/70), S. 229-237. - Colesie (1915-2000) wurde 1988
mit dem Kulturpreis für Heimatpflege und Heimatforschung des Landkreises Saarlouis
ausgezeichnet (Angaben nach http://www.saarland-biografien.de).
55 Zu seiner Biographie vgl. Eugène Voltz, Henri Hiegel (1910-2001), in: Mémoires de
l'Académie nationale de Metz 41 (2002), S. 41-59.
56 Etienne Delcambre, Le concept de la sorcellerie dans le duché de Lorraine aux XVIe et
XVIIe siècles, 3 Bde., Nancy 1948, 1949, 1951; Ders., Les procès de sorcellerie en Lor-
raine. Psychologie des juges, in: Revue d’histoire du Droit 21 (1953), S. 389-419; Ders.,
La psychologie des inculpés lorrains de sorcellerie, in: Revue historique du droit français
et étranger 32 (1954), S. 383-403, 508-526. - Der 1961 verstorbene Direktor der Archi-
ves départementales Meurthe-et-Moselle lieferte leider weder eine verwertbare Auflis-
tung der von ihm konsultierten Prozessakten noch den Versuch einer tiefergehenden In-
terpretation; vgl. Robin Briggs, The Witches of Lorraine, Oxford 2007, S. 2f.
57 Hiegel, Bailliage d’Allemagne (wie Anm. 34), S. 188-222.
58 Ebd., S. 218.
196
Hiegel den Change de Nancy, den Generalprokurator Nicolas Rémy, verschiedene
besonders motivierte capitaines (Amtleute) sowie einzelne Pfarrer59 *.
Sieht man von einigen rechtshistorischen, den „Saarraum“ nicht betreffenden
Dissertationen ab''9, so wurde das Thema „Hexenverfolgungen“ bis in die 1970er
Jahre vorzugsweise von Archivaren und Mitgliedern der verschiedenen Vereine für
Landesgeschichte, Heimat- und Volkskunde aufgegriffen. Erst nach 1980 fand es
größere Beachtung in der deutschen universitären Forschungslandschaft. Gerhard
Schormann, der 1981 die erste Gesamtschau der Verfolgungen in „Deutschland“
versuchte und dafür schon „die Hauptmasse der Literatur [...] auf landesgeschicht-
licher Ebene“61 fand, machte darauf aufmerksam, dass sich „zwischen Kurtrier, den
naussauischen Grafschaften und der französischen Grenze“ ein Gebiet erstreckte,
„das innerhalb der Hexenprozeßforschung den größten zusammenhängenden wei-
ßen Fleck auf der Landkarte bildet - von einer Untersuchung über die Saarbrücker
Gegend abgesehen, gibt es nur wenige lokalgeschichtliche Beiträge“62. Eindeutig
verwies er dabei auf die Kärrner-Arbeit von Hoppstädter, dessen Ergebnisse er al-
lerdings viel zu eng nur auf den Saarbrücker Raum bezog. Die Untersuchungen
von Hiegel zur Bailliage d'Allemagne kannte Schormann nicht, sondern beließ es
bei einem allgemeinen Verweis auf Delcambre63.
Schormanns Appell inspirierte möglicherweise Achim R. Baumgarten, der 1986
an der Universität Mainz, bei Konrad Fuchs64, über die Hexenverfolgungen im Na-
Ebd.,S. 220.
611 Vgl. zum Beispiel Johann Arnold Clemens JOERRES, Die Verordnung Margarethas, ge-
fürsteter Gräfin zu Arenberg, über die Verfolgung und Bestrafung von Zauberei, Hexen,
Teufelsfängem, Wahrsagern und Wiederherstellung eines religiösen Lebens in der Graf-
schaft Arenberg vom 30. November 1593, Diss. jur. Bonn 1950; Heribert Breiden, Die
Hexenprozesse der Grafschaft Blankenheim von 1589-1643, Diss. jur. Bonn 1954; Fried-
rich Wilhelm SiEBEL, Die Hexenverfolgung in Köln, Diss. jur. Bonn 1959; Heinz Peter
Geilen, Die Auswirkungen der Cautio Criminalis von Friedrich von Spee auf den He-
xenprozess in Deutschland, Diss. jur. Bonn 1963; Heinz Jürgen Stebel, Die Osnabrücker
Hexenprozesse, Diss. jur. Bonn 1968.
61 Schormann, Hexenprozesse (wie Anm. 44), S. 127.
62 Ebd., S. 69.
63 Ebd., S. 66.
64 Konrad Fuchs hatte bis 1993 den Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Geschichtliche Lan-
deskunde und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Mainz inne. - Im
Fachbereich Katholische Theologie der Universität Osnabrück (bei Friedhelm Jürgens-
meier) entstand 1987/1988 die Dissertation von Herbert Pohl zu den Hexenverfolgungen
in Kurmainz. Der offensichtlich landesgeschichtlich geprägte Zugang ließ Alois Gerlich
die Arbeit in die Reihe „Geschichtliche Landeskunde“ als Band Nr. 32 aufnehmen; vgl.
Herbert Pohl, Hexenglaube und Hexenverfolgung im Kurfürstentum Mainz. Ein Beitrag
zur Hexenfrage im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert, Stuttgart 1988. - Die überar-
beitete und erweiterte zweite Auflage wurde dann (ebenfalls beim Steiner Verlag) in der
neuen, von Sönke Lorenz und anderen herausgegebenen Reihe „Hexenforschung“ als
Band Nr. 3 publiziert; vgl. Herbert Pohl, Zauberglaube und Hexenangst im Kurfürsten-
tum Mainz. Ein Beitrag zur Hexenfrage im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert, Stutt-
gart 1998.
197
heraum promovierte^. Die sich als Beitrag zur Sozial- und Kulturgeschichte ver-
stehende Arbeit versuchte im „festumrissenen“ Gebiet des Naheraums und seiner
Territorien eine „vollständige Bestandsaufnahme des noch vorhandenen Quel-
lenmaterials zum Hexenwahn“ zu bewerkstelligen. So behandelte Baumgarten
auch die Hexenprozesse am Hochgericht Neunkirchen/Nahe und edierte die ver-
meintlich einzige überlieferte Prozessakte des Hochgerichts aus dem Bistumsar-
chiv Trier06. Ebenfalls den nördlichen Teil des „Saarraumes“ mit den Hochgerich-
ten der späteren Reichsherrschaft Dagstuhl und dem kurtrierischen Amt Grimburg
behandelte Dittmar Lauer, Mitglied der Trierer Arbeitsgruppe, in einer 1988 publi-
zierten ersten Zusammenstellung der Verfahren aus dem Hochwald17.
Eva Labouvie wollte ebenfalls aus den Hinweisen Schormanns eine Anregung
zur Beschäftigung mit den Hexenverfolgungen im „Saarraum“ genommen haben,
ging aber in ihren Forschungsfragen weiter: „Es geht jedoch nicht um die Ausfül-
lung des von Schormann beschriebenen ,weißen Fleck(s) auf der Landkarte4.
Vielmehr ergibt sich [...] die Möglichkeit, über die reine Analyse des Prozeß- und
Verfolgungsgeschehens hinausgehend, der Frage nach dem dörflichen Hexenglau-
ben, nach der Verfolgungs- und Aussagebereitschaft der Bevölkerung sowie nach
dem funktionalen Stellenwert jenes auf Deutungen und Interpretationen, aber auch
auf praktischen Maßnahmen basierenden Phänomens ländlicher Hexenverfolgun-
gen nachzuspüren“65 66 * 68. Auch stand nicht „die Darstellung eines geistesgeschichtli-
chen Phänomens [...] im Mittelpunkt des Interesses, sondern die sozialanthropolo-
gische Analyse der Funktion und alltagspraktischen Relevanz jenes Glaubens an
Hexenkräfte, Schadenzauber und an die unumgängliche Vernichtung überführter
,Zauberscher4 durch den Tod auf dem Scheiterhaufen“69. Beeinflusst von den An-
sätzen der anglo-amerikanischen und französischen, sozial- und mentalitätsge-
schichtlich geprägten Hexenforschung zwischen 1968 und 197270 suchte Labouvie
65 So legt es zumindest eine Formulierung im Vorwort nahe: „Bei der Auswahl des Gebie-
tes fiel die Wahl auf den Naheraum, um damit den noch immer bestehenden weißen
Fleck auf der Karte der Hexenprozeßforschung zwischen Kurtrier, den nassauischen
Grafschaften und Frankreich zumindest zu verkleinern.“; Achim R. Baumgarten, He-
xenwahn und Hexenverfolgung im Naheraum. Ein Beitrag zur Sozial- und Kultur-
geschichte, Frankfurt am Main 1987, S. V.
66 Ebd., S. V, 43-55; Teil III, S. 4-22. - Laut Ausweis des Literaturverzeichnisses hatte
Baumgarten nicht Hoppstädters Aufsatz aus dem Jahr 1959 zur Kenntnis genommen, wo
ausführlich der Prozessverlauf gegen Engel Anthes aus Gonnesweiler nach der Akte im
Bestand 38 (Dagstuhl) des damaligen Staatsarchivs Koblenz beschrieben wird; vgl.
Hoppstädter, Hexenverfolgung (wie Anm. 33), S. 227-232.
Dittmar Lauer, Hexenverfolgung im Hochwald, in: Hochwälderhefte zur Heimatge-
schichte 23/24 (1988), S. 5-168; Ders., Der Hexenprozeß des Matthias Barten aus Nos-
wendel, in: Hochwälder Geschichtsblätter 8 (1997), S. 67-74. - Vgl. jetzt auch Rita
VOLTMER, Die Hexenverfolgungen im Hunsrücker Raum, in: Zwischen Tradition und
Aufbruch. Frauen-Geschichte der Hunsrück Region, hg. vom Projekt Frauenforum,
Simmem 2009, S. 109-126.
M Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 14.
69 Ebd.
70 Ebd., S. 9 mit Anm. 2. Diese Forschungsgenese bezweifelt Eichhorn, Geschichtswissen-
schaft (wie Anm. 4), S. 273f.
198
in ihrer Regionalstudie nach der „Dorfhexe“, nach den Ausprägungen ländlicher
Volksmagie und nach der „Verfolgung von unten“. Sie definierte einen „Saar-
raum“ von ca. 5.000 Quadratkilometern Umfang, der sich über die Grenzen des
heutigen Saarlandes hinaus erstreckte'1. Trotz aller Aktenverluste konnte sie auf 69
Prozessprotokolle zurückgreifen'2 * 4, angesichts der insgesamt nur mehr fragmentari-
schen Überlieferung in ganz Kurtrier eine gute Ausgangsbasis73. Darüber hinaus
erweiterte Labouvie ihre Quellenbasis erheblich, ganz gemäß der ganzheitlichen
landes- und kulturgeschichtlichen Perspektive und zur Beantwortung ihrer eher so-
zial-anthropologisch ausgerichteten Fragen nach dem „Sitz im Leben“ von Hexen-
glaube und Volksmagie, nach der (sich verändernden) „Innensicht“ der Bevölke-
rung auf Magie, Zauberei und Hexenabwehr. Visitationsprotokollen kam dabei ein
hoher Stellenwert zu74. Den Überblick zu den bis dahin erschienenen Aufarbeitun-
gen der Hexenverfolgungen im „Saarraum“ gestaltet Labouvie denkbar knapp mit
dem Verweis auf nur einen „fundierten Aufsatz“ (gemeint war Hoppstädter) und
den dadurch bedingten intensiven Rekurs auf die relevanten Archivbestände75.
Labouvie begriff die sich im „Saarraum“ präsentierende Vielfalt an Territorien,
Konfessionen, Sprachen, Rechtsnormen, Siedlungs- und Wirtschaftsformen als
Chance zum intra-räumlichen Vergleich, der gleichzeitig auch die Möglichkeit
1 Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 13, 68. - Aus naheliegenden Gründen fiel auch
ihr eine einheitliche Bezeichnung ihres Untersuchungsraumes schwer. 1992 heisst es,
dass ihr geographisch begrenztes Untersuchungsgebiet „weder eine gegenwärtig gültige
Landeseinheit, noch ein frühneuzeitliches, geschlossenes Territorialgebilde umfaßt“.
Auch deshalb setzte sie zunächst den Saarraum in Anführungszeichen; Labouvie, Küns-
te (wie Anm. 22), S. 25. An anderer Stelle bezog sie sich auf „den Saarraum, das Herzog-
tum Pfalz-Zweibrücken, Teile Kurtriers und die lothringische Bailliage d’Allemagne“;
Dies., Hexenforschung (wie Anm. 18), S. 48. Dann ist die Rede von „Saar-Pfalz-Raum
und die lothringische Bailliage d’Allemagne“; Eva Labouvie, Rekonstruktion einer Ver-
folgung. Hexenprozesse und ihr Verlauf im Saar-Pfalz-Raum und der Bailliage d’Alle-
magne (1520-1690), in: Hexenprozesse und deren Gegner im trierisch-lothringischen
Raum, hg. von Gunther Franz und Franz Irsigler, Weimar 1997, S. 43-58, hier S. 43.
Auch bezieht sie sich auf einen „saarländischen Raum“, der das heutige Bundesland so-
wie „angrenzende Regionen in einer Entfernung bis zu 50 Kilometern umfassen soll“;
Labouvie, Gott zu Ehr (wie Anm. 45), S. 389; Dies., Künste (wie Anm. 22), S. 25.
Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 103.
Zur Quellenlage vgl. Voltmer, Hexenverfolgungen (wie Anm. 9), S. 160-170.
4 Dies wird besonders im zweiten Teil ihrer Dissertation deutlich; Labouvie, Künste (wie
Anm. 22), S. 30, 392-402 (Quellenverzeichnis). - Zum Umgang mit den Quellen vgl.
auch Labouvie, Hexenforschung (wie Anm. 18), S. 50-54.
Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 14, mit Anm. 7 ohne Verweis auf Hiegel. - Etwas
ausführlicher wird an anderer Stelle herausstellt, dass es den bis dahin erschienenen
„heimatkundlichen Beiträgen [...] nicht um Analyse- und Erklärungsansätze, sondern um
die zumeist unkommentierte Veröffentlichung eines Prozeßauszuges“ gegangen sei.
Wieder hebt sie Hoppstädters Aufsatz hervor, weist ihm jedoch methodische Fehler nach.
Hiegels Zusammenstellung zur bailliage d’allemagne wird hinsichtlich des lothrin-
gischen Prozess- und Konfiskationsrechtes bei Hexereiiällen herangezogen; Labouvie,
Gott zu Ehr (wie Anm. 45), S. 39 lf., 396, 401.
199
zum überregionalen, inter-räumlichen Vergleich eröffnete Allerdings fehlte eine
kartographische Darstellung des Untersuchungsraumes wie auch eine entspre-
chende zeichnerische Umsetzung der Ergebnisse, obwohl Hiegel die detaillierte
Karte „Le bailliage d’Allemagne en 1630“ vorgelegt hatte und der zweite Band der
„Geschichtlichen Landeskunde des Saarlandes“ eine Übersichtskarte zur territori-
alen Gliederung der Saargegend im Jahr 1789 bereithält. Zwar zeigt diese Karte
nur unzureichend die herrschaftliche Gemengelage des 16. Jahrhunderts, dank
Wilhelm Fabricius bleibt sie allerdings bis heute die einzige zuverlässige kartogra-
phische Grundlage.
Auch verzichtete Labouvie auf eine detaillierte Auflistung wenigstens der Hin-
gerichteten nach dem Vorbild Hoppstädters und Hiegels, wohl im Vertrauen auf
diese älteren Zusammenstellungen und weil der Publikationsort des ersten Teils ih-
rer Dissertation - ein Taschenbuch des Fischer-Verlags - weder dafür noch für ge-
legntlichen Feinnachweis der archivalischen Fundstellen Raum geboten hat'7. Im-
merhin lieferte sie 1997 einen quantitativen Überblick zur Verteilung der Hexen-
78
prozesse .
Die Recherchen von Labouvie in über 20 Archiven 1 haben den Befund von
Hoppstädter korrigiert. Sie konnte mindestens 591 Prozesse wegen vermeintlicher
Hexerei nachweisen (darin 467 sichere Hinrichtungen), wobei sie die Verfolgun-
gen in sechs Phasen gliederte (1500-1569, 1569-1586, 1587-1605, 1609-1623,
1626-1634 und 1646-1700). Das relativ frühe Einsetzen der Verfolgungen in den
1520er und 1530er Jahren korrespondierte mit ähnlich frühen Hexenjagden im be-
nachbarten Lothringen, Luxemburg und Kurtrier, wobei die Hauptphase zwischen
1587 und 1634 lag. Es zeigte sich, dass in katholischen Gebieten der Verfolgungs-
eifer größer ausfiel: In den unter lothringischer Landeshoheit stehenden Ämtern
und Hochgerichten (Siersberg, Schaumburg, Wallerfangen, Criechingen-Püttlin-
gen, Criechingen-Saarwellingen, Beckingen) kam es zu insgesamt 222 Verfahren
(mit 192 sicheren Hinrichtungen), in den unter kurtrierischer Landeshoheit stehen-
den Ämtern und Hochgerichten (St. Wendel, Blieskastel, Dagstuhl/Wadern,
Schwarzenburg, Perl, Mandern, Liebenburg, Thalfang) zu insgesamt 165 Verfah-
ren. Dagegen verzeichneten die Gebiete des Herzogtums Pfalz-Zweibrücken im
Saar-Raum lediglich 54, die Gebiete der Grafschaft Nassau-Saarbrücken nur 52
Verfahren. Im Kondominium Merzig-Saargau konnten 44 Prozesse, im Nalbacher
Tal 29 Verurteilungen gezählt werden. Diese Ergebnisse müssen freilich immer
vor dem Hintergrund eines flächendeckenden Aktenschwundes gesehen werden,
der insbesondere die kurtrierischen Ämter betrifft*0. 76 * 78 * 80
76 Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 12-14; Dies., Gott zu Ehr (wie Anm. 45), S. 389-
391.
' „Aus Platzgründen wird auf Einzelbelege der Quellen verzichtet.“; Labouvie, Zauberei
(wie Anm. 22), S. 275, Anm. 129. - Zum Publikationsort der Dissertation vgl. auch
Eichhorn, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 4), S, 302.
78 Labouvie, Rekonstruktion (wie Anm. 71 ), S. 56f.
g Die beeindruckenden Listen der konsultierten Archivbestände vgl. bei Labouvie, Zaube-
rei (wie Anm. 22), S. 291-294, Dies., Künste (wie Anm. 22), S. 392-402.
80 Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 68f.; Dies., Rekonstruktion (wie Anm. 71), S. 43-
52, 56f. (Tabellen); Dies., Gott zu Ehr (wie Anm. 45), S. 394.
200
Eindeutiger als Hoppstädter konnte Labouvie die Gemeinden als „Initiatoren
und Betreiber der ländlichen Hexenverfolgungen“ benennen, wobei die spezifische
ländliche Hexenvorstellung ein Motor der Hexenjagden bis ins 17. Jahrhundert
blieb81. Die gleichzeitig erschienene Dissertation von Walter Rummel zu kurtrieri-
schen Kondominien und zur Hinteren Grafschaft Sponheim vermochte auf einer
weitaus günstigeren Quellenlage, das Bild der dörflichen Hexenjäger wesentlich zu
akzentuieren und die politische wie gesellschaftliche Brisanz der Ausschüsse her-
auszuarbeiten: Die lediglich eine durchsetzungstähige Gruppe (oft von „Aufstei-
gern“) innerhalb der Dorfgemeinschaft repräsentierenden Ausschussmitglieder
nutzten ihre Machtposition und ihre gewonnene lokale Autonomie zum Ausfechten
innerdörflicher Feindschaften und zur Befriedigung eigennütziger Interessen.
Rummel betonte außerdem, dass die Hexenausschüsse mit den lokalen Hochge-
richtsherren und Amtleuten oft ein fatales Bündnis eingingen82 83. Labouvie unter-
strich überdies das finanzielle Interesse der Hochgerichtsherren an möglichen Kon-
fiskationen82.
Aus der Fülle ihrer Forschungen publizierte Eva Labouvie nachgehend eine hier
nicht zu referierende Vielzahl an Zeitschriften- und Buchbeiträgen, in denen vor
allen Dingen die „soziale Logik“ des dörflichen Hexenglaubens und die Multi-
funktionalität der Hexereibeschimpfung beziehungsweise der Ausgrenzung und
Vernichtung bestimmter Dorfgenossen als „Hexen“ mitsamt den genderspezifi-
schen Konnotationen herausgestellt wurden. Vor dem Hintergrund der bekannten
Krisen des 16. und 17. Jahrhunderts erhielt der zunächst obrigkeitlich propagierte
neue Hexenglaube, rezipiert, eingepasst und modifiziert im Rahmen der ländlichen
Magievorstellungen, eine Anklagen und Prozesse auslösende Relevanz. Zugleich
räumten Labouvie wie Rummel und andere Vertreter der modernen Hexenfor-
schung dezidiert mit den alten Vorstellungen vom „Hexenwahn“ auf.
Damit schien die Erforschung der Hexenverfolgungen im „Saarraum“ abge-
schlossen, zumal neue, ungesichtete Quellen kaum zu erwarten blieben84. Aller-
81 Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 260-265.
Seine bahnbrechenden Beobachtungen übertrug er auf das Kurfürstentum Trier, wo der
allgemeine Aktenverlust eine gründliche Analyse der Hexenverfolgung ungemein er-
schwert; vgl. unter anderem Walter Rummel, Bauern, Herren und Hexen. Studien zur
Sozialgeschichte sponheimischer und kurtrierischer Hexenprozesse 1574-1664, Göt-
tingen 1991; Ders., Phasen und Träger kurtrierischer und sponheimischer Hexenverfol-
gungen, in: Hexenglaube und Hexenprozesse im Raum Rhein-Mosel-Saar, hg. von Gün-
ther Franz und Franz Irsiüler, Trier 21996, S. 255-331; Walter Rummel, Das .unge-
stüme Umherlaufen1 der Untertanen. Zum Verhältnis von religiöser Ideologie, sozialem
Interesse und Staatsräson in den Hexenverfolgungen im Rheinland, in: Rheinische Vier-
teljahrsblätter 67 (2003), S. 121-161, sowie Ders., So mögte auch eine darzu kommen, so
mich belädiget. Zur sozialen Motivation und Nutzung von Hexereianklagen, in: Hexen-
verfolgung und Herrschaftspraxis, hg. von Rita Voltmer, Trier 2005, S. 205-227.
83 Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 151-154.
84 Selbst die neuesten, in heimatkundlichen Zeitschriften erscheinenden Aufsätze beziehen
sich in der Regel nur auf das schon bereitgestellte Material; vgl. Joachim Conrad, He-
xenverfolgung an der Saar, in: Zur Geschichte des Warndts 2 (2010), S. 17-25; Ludwig
Hoffmann, Hexenprozesse im kurtrierischen Amt Blieskastel 1570 und 1593, in:
201
dings ging die Forschung in den benachbarten Räumen weiter, wobei es teilweise
zu Überschneidungen kam. So publizierte Johannes Dillinger 1999 seine im Jahr
zuvor abgeschlossene Dissertation zu den Hexenverfolgungen in Kurtrier und in
Schwäbisch-Österreich* 82 * * *. Zu den genuin kurtrierischen Ämtern im „Saarraum“
konnte er keine wesentlich neuen Ergebnisse vorweisen. Dies lag am Quellen-
schwund, aber auch daran, dass Labouvies Qurisdiktionelle Definition der Unter-
suchungsgebiete“ abwich von jener, die Dillinger selbst getroffen hatte. So konnte
er ihre Angaben zu Prozessen in Blieskastel und St. Wendel „nicht näher spe-
zifizieren“86. Zu Blieskastel griff Dillinger auf das von Wolfgang Krämer publi-
zierte Prozessfragment zurück87. Schon Hoppstädter hatte die Überlieferungslü-
cken für das Amt Saarburg beklagt und nur auf eine Hinrichtung verweisen kön-
nen88. Dillinger machte deshalb hier nur wenige Ergänzungen89. Bezüglich des
Amtes Grimburg stützte er sich auf die statistischen Angaben von Dittmar Lauer90.
Robin Briggs, englischer Spezialist für die lothringischen Hexenverfolgungen,
führte die Ergebnisse von Hiegel und Labouvie für den östlichen, deutschsprachi-
gen Rand des Herzogtums (die bailliage d’Allemagne sowie das Kondominium
Merzig-Saargau) als Vergleichsmaterial an91. Da seine Forschungen kaum die
deutschsprachigen Gebiete Lothringens berührten, obwohl das office Vaudrevange
(Amt Wallerfangen) neben Blämont und St. Die zu den verfolgungsintensivsten
Ämtern gehörte, kam es zu keinen Überschneidungen92. Immerhin regte Briggs
Saarpfalz. Blätter für Geschichte und Volkskunde 94 (2007), S. 52-56. - Eine Ausnahme
ist der Beitrag von Elmar Schmitt, Ein Primsweiler Hexenprozess aus dem Jahre 1614,
in: Schmelzer Heimathefte 16 (2004), S. 39-71; hier wird ein bislang nur am Rande er-
wähntes Verfahren zur Kenntnis gebracht. Schmitt (S. 48 und 51) hängt dem inzwischen
enttarnten Mythos um die angeblichen „Keltensteine“ auf dem Hoxberg an; vgl. grund-
sätzlich Dillinger, Tradition (wie Anm. 37).
82 Johannes DILLINGER, „Böse Leute“. Hexenverfotgungen in Schwäbisch-Österreich und
Kurtrier im Vergleich, Trier 1999. - Die Arbeit wurde betreut von Helga Schnabel-
Schüfe und Franz Irsigler; Dillinger, dem das Archiv des Trierer Arbeitskreises mit den
bis dahin erstellten Transkriptionen der Trierer und Maximiner Hexenprozesse zur Ver-
fügung gestellt wurde, ist auch gleichzeitig Mitglied im AKIH.
88 Dillinger, Leute (wie Anm 85), S. 100, besonders Anm. 7,
87 Ebd., S. 111, Anm. 25. Es handelt sich dabei nicht um ein „fast vollständig überliefertes
Prozessprotokoll“, sondern lediglich um das protokollierte Verhör unter der Folter. Alle
anderen Teile fehlen, es liegt noch nicht einmal ein Urteil vor.
88 Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie Anm. 33), S. 237.
89 Zu Hexereiverfahren im Amt Saarburg vgl. auch Gerhard Martini, Etliche weiber von
Greimerath der zauberey berüchtiget, in: Hochwälder Geschichtsblätter 5 (1993), S. 43-45.
911 Dillinger, Leute (wie Anm. 85), S. 100, Anm. 7. - Während Labouvie für das Hochge-
richt Dagstuhl/Wadem 48 und für Schwarzenburg (!) 47 Prozesse zählte, gab Lauer ins-
gesamt 99 Prozesse für die Hochgerichte von Dagstuhl an, darunter 56 für Schwarzen-
berg-Weierweiler, 41 für Dagstuhl-Wadern und zwei im Hochgericht Lockweiler; La-
bouvie, Rekonstruktion (wie Anm. 71), S. 56, Dittmar Lauer, Hexenprozesse im Hoch-
wald, in: Franz und andere, Hexenprozesse (wie Anm. 71), S. 59-68, hier S. 61.
91 Als einen gelungenen Überblick zum Stand der Hexenforschung in Lothringen vgl.
Briggs, Witches (wie Anm. 56), S. 1-5.
92 Vgl. die Karte zur relativen Verfolgungsdichte in Lothringen:
202
vertiefende, noch ausstehende Forschungen für die deutschsprachigen Gebiete der
bailliage d’Allemagne an* 93. So weisen hier beispielsweise die Hexerei-Imaginatio-
nen große Unterschiede im Vergleich zu den französischsprachigen Teilen Loth-
ringens auf4.
Elisabeth Biesel legte mit ihrer 1994 abgeschlossenen und 1997 publizierten
Dissertation zum lothringisehen Amt Dieuze und zur Bischofsstadt Toul eine wei-
tere wichtige Untersuchung zur Geschichte der lothringischen Hexenverfolgungen
vor’5 96. Ausdrücklich wies sie daraufhin, dass der lothringische Herzog die in Hexe-
reiverfahren vorgeschriebene Pflicht zur Aktenversendung an den Change de
Nancy nicht nur in den unstrittigen Amtsbezirken benutzte, sondern auch in lehns-
abhängigen Gebieten, in denen er Souveränitätsrechte behauptete, um sie damit
enger in seine Herrschaft einzubinden. Dies betraf insbesondere Herrschaften in
der bailliage d'Allemagne. Wie in der Herrschaft Eppelborn, in der Deutschor-
denskommende Beckingen oder in der Herrschaft Püttlingen-Criechingen konnte
dies zu Jurisdiktionskonflikten bei Strafprozessen, insbesondere bei Hexereiverfah-
ren, führen46.
III. Untersuchungsräume und Datensamples
Würde man versuchen, die Untersuchungsräume von Biesel, Briggs, Dillinger,
Lauer oder Baumgarten - situiert in der Peripherie des von Hoppstädter und La-
bouvie etablierten, an den Rändern jedoch diffus bleibenden „Saarraums“ - zu kar-
tieren, so ließen sich „Überschneidungsräume“ aufzeigen, in denen besonders in-
tensiv geforscht worden ist und wo die Geschichte der Hexenjagden zumindest in
ihren grundlegenden Fakten (archivalisch nachweisbare Zahl der Verfahren, Na-
men der involvierten Personen, beteiligte Hochgerichte und Ämter) geklärt sein
müsste. Leider ist das Gegenteil der Fall. Ein Blick in das kurtrierische Amt Grim-
burg mag das verdeutlichen: Hoppstädter trennte unscharf zwischen den Hochge-
richten des Amtes Grimburg und der Herrschaft Dagstuhl und kam auf mindestens
37 hingerichtete Personen97. Labouvie zählte für Grimburg 16 Prozesse98 (wohl nur
bezogen auf den „saarländischen“ Teil des Amtes), während Lauer insgesamt 47
Verfahren in allen Hochgerichten des Amtes feststellte, darunter 18 des kondomi-
URL: http://www.history.ox.ac.uk/staff/robinbriggs/pdf7Map%202%20copy.pdf,
sowie Briggs, Witches (wie Anm. 56), S. 53.
93 Ebd., S. 3f. - Briggs hat das von ihm in jahrelanger, gründlicher Recherche gesammelte
Material zum Herzogtum Lothringen in einer Internet-Datenbank zur Verfügung gestellt:
http://www.history.ox.ac.uk/staff/robinbriggs/index.html.
94 So William Monter, Review of Briggs, Robin, The Witches of Lorraine, in: H-HRE, H-
Net Reviews. May (2009).
URL: http://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=24608. <20. 03. 2012>.
9:1 Elisabeth BIESEL, Hexenjustiz, Volksmagie und soziale Konflikte im lothringischen
Raum, Trier 1997. - Franz Irsigler war Betreuer und Erstgutachter dieser Dissertation.
96 Elisabeth Biesel, Aktenversendung und Instanzenzug. Die Rolle der Hexenverfolgungen
im Herzogtum Lothringen, in: Voltmer, Hexenverfolgung (wie Anm. 82), S. 229-265,
hier S. 243-261.
97 Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie Anm. 33), S. 258-262.
w Labouvie, Rekonstruktion (wie Anm. 71), S. 56.
203
niai verwalteten Hochgerichts Mandern-Niederkell00. Welche Grimburger Prozesse
in die Liste der kurtrierischen Verfahren bei Dillinger eingeflossen sind, lässt sich
nicht nachvollziehen, weil dort weder Hochgerichte noch Ämter oder Namen ge-
nannt werden99 100. Höchst unsicher bleiben die statistischen Angaben allemal, da
auch aus dem Amt Grimburg kein einziges Hexenprozessprotokoll überliefert ist
und die bekannten Verfahren nur aus den Akten verschiedener Hoheitsstreitigkei-
ten erschlossen werden konnten101. Ähnlich unübersichtlich gestaltet sich die Klä-
rung der „nackten“ Verfolgungsdaten für die spätere Reichsherrschaft Dagstuhl102.
Auch für das Herzogtum Lothringen mit der bailliage d’Allemagne und den be-
anspruchten Gebieten im „Saarraum“ fehlt es trotz zahlreicher verdienstvoller Ar-
beiten an einer neueren Darstellung103, deren klare Zuordnung der Verfahren nach
Datum, Namen, Hochgerichten, Ämtern und Archivnachweisen eine Grundlage für
weitere, vergleichende Forschungen bieten könnte104. Als Beispiel sei hier nur auf
das verfolgungsintensive office Vaudrevange hingewiesen. Hoppstädter zählte für
dieses Hochgericht zwischen 1581 und 1632 mindestens 42 Hinrichtungen, zuzüg-
lich sieben weitere unsichere Verfahren105. Hiegel sprach hingegen von 55 Hinrich-
tungen bei insgesamt 74 angeklagten Personen106. Labouvie konnte für das gesamte
Amt Wallerfangen 100 Verfahren (gegen 70 Frauen, 14 Männer und 16 nicht spe-
zifizierte Personen) ermitteln; davon entfielen auf Einwohner aus Wallerfangen
selbst 36 Hexenprozesse, von denen allein 25 zwischen 1587 und 1605 geführt
wurden107. Eine detaillierte vergleichende Zusammenführung und Abwägung die-
ser Ergebnisse bleibt allerdings unmöglich: Hoppstädter führt zwar die von ihm ge-
fundenen Wallerfanger Verfahren mit Wohnort, Name und Archivsignatur an,
Hiegel liefert auch eine (vollständige?) Aufzählung der Namen, gefunden in der
Sekundärliteratur und in den Archives départementales de Meurthe-et-Moselle, al-
99 Lauer, Hexenprozesse (wie Anm. 90), S. 61.
100 Dillinger, Leute (wie Anm. 85), S. 97-99.
11,1 Lauer, Hexenprozesse {wie Anm. 90), S. 63.
102 Vgl. hier Anm. 90.
I(b Als Zusammenfassungen des bisherigen Kenntnisstandes vgl. Elisabeth Biesel, Lothrin-
gen - Hexenverfolgungen. Aus: Lexikon zur Geschichte der Hexenverfolgung, hg. von
Gudrun Gersmann, Katrin Moeller und Jürgen Michael Schmidt, in: historicum.net,
URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/1623/ <17. 03. 2012>;
William Monter, Lorraine, duchy of, in: Golden, Encyclopedia (wie Anm. 23), Bd. 3,
S. 667-669.
104 Jacques Rœhrig stellt zwar in seiner knappen Gesamtdarstellung eine Übersichtskarte mit
den Verfolgungsverdichtungen sowie ein alphabetisch aufgebautes „mémorial des sorci-
ères4 de Lorraine“ zur Verfügung, in dem Name, Herkunftsort, Alter, Prozessjahr und
Verhandlungsort genannt werden, gleichwohl mangelt es leider neben den exakten Ar-
chivnachweisen an einem erschließenden Register; Jacques Rœhrig, À mort, la sorcière!
Sorcellerie et répression en Lorraine, XVf-XVIf siècles, Strasbourg 2007. Das mémori-
al wird als breite Fusszeile über die gesamten Seiten des Textes geführt.
105 Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie Anm. 33), S. 257-264. - Einige Aktenstücke zu
den Hexenprozessen in Wallerfangen liefert auch Theodor Liebertz, Wallerfängen und
seine Geschichte, Wallerfängen 1953, S. 134-141.
106 HlEGEL, Bailliage d’Allemagne (wie Anm. 34), S. 218.
107 Labouvie, Rekonstruktion (wie Anm. 71), S. 50, 56.
204
lerdings nicht mit spezifischer Zuweisung der Fundstellen108, während Labouvie es
bei zusammenfassenden statistischen Angaben belässt. Robin Briggs hingegen be-
fasst sich kaum mit dem Amt Wallerfangen109.
Diese exemplarischen Befunde zeigen einmal mehr, dass die landes- und kultur-
geschichtliche Erforschung der Hexenverfolgungen - neben einem klar auf dama-
lige herrschaftliche Einheiten bezogenen, am besten auch kartographisch visuali-
sierten Untersuchungsraum - unbedingt eine transparente Präsentation der auf die-
ser räumlichen Grundlage erfassten Daten zur Prozessstruktur braucht. Ohne über-
sichtliche Listen, wie Robin Briggs sie vorbildlich für die von ihm untersuchten
lothringischen Herrschaftseinheiten erstellt hat, in denen die Namen, Herkunfts-
orte, Hochgerichte und Ämter der jeweils justifizierten Personen (soweit zu er-
mitteln) mitsamt den archivalischen Fundstellen verzeichnet sind, bleibt weitere,
vor allem vergleichende Forschung, die nicht wieder bei „Null“ anfangen möchte,
nur schwer möglich.
Basierend auf den von Eva Labouvie erstellten Übersichten zu den Prozesszah-
len im „Saarraum“ fallen Verfolgungsverdichtungen nur in bestimmten Hochge-
richten auf110. Das von ihr als Motor der „saarländischen“ Verfolgungen ausge-
machte Ausschusswesen kann allerdings nicht (allein) für diese Verschiebungen
verantwortlich sein, denn es war bei weitem nicht in allen Herrschaftsbereichen
verbreitet und fehlte beispielsweise im lothringischen Amt Wallerfangen. Selbst in
den nicht unter lothringischem Einfluss stehenden „saarländischen“ Gebieten
konnte eine neuere Studie nur in gut einem Drittel aller untersuchten Fälle eine
eindeutige Ausschussklage feststellen111. Vor dem Hintergrund der auch im „Saar-
raum“ herrschenden, allgemeinen Krise des 16. und 17. Jahrhunderts bleibt daher
immer noch zu erklären, warum Hexenprozesse sich in ihrer Masse nur an be-
stimmten Gerichtsorten häuften und eben nicht flächendeckend den „Saarraum“
Hiegel, Bailliage d’Allemagne (wie Anm. 34), S. 198f.
109 Es findet sich noch nicht einmal ein Eintrag im allgemeinen Index; nur in einer Über-
sichtstabelle zu den Hexereiverfahren in den einzelnen lothringischen bailliages werden
16 Prozesse in Wallerfangen fur den Zeitraum von 1571-1630 genannt; Briggs, Witches
(wie Anm. 56), S. 404 und 54. - 16 Hinrichtungen im Amtssitz Wallerfangen zwischen
1591 und 1593 nennt William Monter, A bewitched Duchy. Lorraine and its Dukes
1477-1736, Genf 2007, S. 82.
110 Labouvie, Rekonstruktion (wie Anm. 71), S. 45, konstatiert diesen Befund in Bezug auf
Nassau-Saarbrücken: „Wie in den kurtrierischen und lothringischen Besitzungen kon-
zentrierte sich auch hier die Prozeßhäufigkeit zu über 50 % auf wenige Gerichtsstätten
[...]“.
111 Darauf macht aufmerksam Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 85f. mit Anm. 164. -
Vgl. auch Sandra Quint, Hexenverfolgung „von unten“. Das Wirken autonomer Hexen-
ausschüsse in den ländlichen Gemeinden der Saargegend des 16. Jahrhunderts, Zulas-
sungsarbeit Universität des Saarlandes 2007 (Erstkorrektor Wolfgang Behringer). Quint
untersuchte aus dem Zeitraum zwischen 1535 bis 1630 insgesamt 52 Prozessakten bzw.
-teile aus der „Saargegend“ (dabei jedoch keine Bestände der Archives départementales
de Meurthe et Moselle). In 34,7 % wurde das Verfahren durch eine Ausschussklage, in
28,6 % ex officio eingeleitet; bei den restlichen Verfahren ließ sich die Einleitung nicht
zuordnen; Quint, Hexenverfolgung, S. 53-56. - Ich danke Frau Quint herzlich für die
gewährte Benutzung ihrer ungedruckten Staatsexamensarbeit.
205
überrollten. Diese Auffälligkeiten müssen daher - unter Bezug auf die neuesten
Forschungen zur herrschaftlichen „Hexenpolitik“1und zum Ausschusswesen im
Rhein-Maas-Raum112 113 - abschließend thesenartig beleuchtet werden.
IV. Hexenpolitik - Thesen und Ausblick
Europäische Hexenjagden konzentrierten sich auffällig häufig in kleineren bis mitt-
leren geistlichen, kleinadeligen und städtischen Herrschaftseinheiten. Seit den
1980er Jahren hat man die Korrelation zwischen einer als im weitesten Sinne kon-
fliktträchtig wahrgenommenen herrschaftspolitischen Situation - meist verbunden
mit religiösen und/oder wirtschaftlichen Krisenszenarien - und einer gesteigerten
Durchführung von Hexere¡verfahren erkannt114. In diesem Zusammenhang wird in-
zwischen von einer politischen Nutzung, ja Instrumentalisierung von Hexereiver-
fahren im Rahmen dezidierter „Hexenpolitik“ gesprochen. Mithin muss die fatale
Verquickung demonstrativer Herrschafts- und Gerichtspraxis mit der Jagd nach
112 Zur Prägung des Begriffs, den Gudrun Gersmann in die Hexenforschung eingeführt hat,
vgl. Voltmer, Funktionen (wie Anm. 31), S. 100. - Zum herrschaftspolitischen Para-
digma vgl. außerdem Rita Voltmer, Hochgerichte und Hexenprozesse. Zur herrschaft-
lich-politischen Instrumentalisierung von Hexenverfolgungen, in: Hexenprozesse und
Gerichtspraxis, hg. von Herbert Eiden und Rita Voltmer. Trier 2002, S. 475-525; Dies.,
Hexenverfolgung und Herrschaftspraxis - Einführung und Ergebnisse, in: Hexenver-
folgung und Herrschaftspraxis, hg. von Rita Voltmer, Trier 2005, S. 1-22; Dies., Hexe-
reiverfahren und herrschaftspolitische Interessen: Die Prozesse Eisenschmitt (1592, 1595
und 1600), in: Erich Gerten, Eisenschmitt. Von der mittelalterlichen Eisenhütte zum Ei-
feler Wohn- und Erholungsort, Wittlich 2006, S, 327-336, 442-443; Rita VOLTMER, „He-
xendorf1 Schmidtheim? Erste Überlegungen zu den Verfolgungen unter Reinhard d. J.
und Bertram Beissel von Gymnich (1597-1635), in: Schmidtheim. 500 Jahre Beissel von
Gymnich und Dorfgemeinde, Dahlem 2011, S. 387-403.
113 Vgl die grundlegenden Untersuchungen von Walter Rummel zu Kurtrier, kurtrierischen
Kondominien und zur Hinteren Grafschaft Sponheim (hier Anm. 82). - Zu St. Maximin,
ausgewählten Eifelherrschaften, Luxemburg, der Stadt Trier sowie einer vergleichenden
Gesamtsicht des Phänomens Voltmer, Monopole (wie Anm. 51); Dies., Zwischen Herr-
schaftskrise, Wirtschaftsdepression und Jesuitenpropaganda. Hexenverfolgungen in der
Stadt Trier (15.-17. Jahrhundert), in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 27
(2001), S. 37-107, hier S. 87f.; Dies., ... ce tant exécrable et détestable crime de sorti-
lège. Der Bürgerkrieg1 gegen Hexen und Hexenmeister im Herzogtum Luxemburg (16.
und 17. Jahrhundert), in: Hémecht. Revue d’Histoire Luxembourgeoise. Zeitschrift für
Luxemburger Geschichte 56 (2004), S. 57-92, hier S. 75-85; Dies., Konspiration gegen
Herrschaft und Staat? Überlegungen zur Rolle gemeindlicher Klagekonsortien in den
Hexenverfolgungen des Rhein-Maas-Mosel-Raumes, in: Staatsbildung und Hexen-
prozess, hg. von Johannes Dillinger und Jürgen Michael Schmidt, Bielefeld 2008, S.
213-244. - Johannes Dillinger hat das Ausschusswesen in Kurtrier untersucht, insgesamt
aber deren angeblich kommunalistischen Bestrebungen stark übertrieben dargestellt;
Dillinger, Leute (wie Anm. 85), S. 305-317.
114 Vgl. nur Schormann, Hexenprozesse (wie Anm. 44), S. 65; Wolfgang Behringer, ,Er-
hob sich das ganze Land zu ihrer Ausrottung...1. Hexenprozesse und Hexenverfolgung in
Europa, in: van Dülmen, Hexenwelten (wie Anm. 15), S. 131-69, hier S. 163.
206
vermeintlichen Hexen - neben anderen strukturellen Elementen115 - geradezu als
Konstitutivum der Verfolgungen in kleinen und mittleren, kommunal wie feudal
organisierten Herrschaftseinheiten gelten: Während auf Seiten adliger Lokalge-
walten die politische Funktion der Hexereiverfahren in ihrer Inszenierung zum
Zweck der Macht- und Kompetenzdemonstration bestand, wohnte landesherrlicher
Hexenpolitik oft genug die in ihrer Zielrichtung völlig entgegengesetzte politische
Funktion der obrigkeitlichen Kontrolle von Verfolgungen inne"6. Auch im „Saar-
raum“ lässt sich diese Hexenpolitik nachweisen.
So scheinen in den Hochgerichten der späteren Reichsherrschaft Dagstuhl wie
im benachbarten Amt Grimburg besonders viele Hexereiprozesse geführt worden
zu sein. Ein Grund dafür mag in der konfliktreichen, herrschaftlichen Gemengelage
zu finden sein; so stehen im Mittelpunkt mancher Hoheitsstreitigkeiten zwischen
Dagstuhl und Grimburg, aber auch zwischen den einzelnen Herren der Ganerben-
burg nicht zufällig Hexereiverfahren117 * *. Wie eine Vielzahl vergleichbarer Fälle so-
wohl aus der herrschaftlich zersplitterten Eifel und auch aus dem Hunsrück zeigen,
konnten Hexenprozesse zum Zweck der herrschaftlichen Provokation, Durchset-
zung und Legitimation genutzt, ja sogar bewusst inszeniert werden. Gerade kon-
kurrierende Herren in einem Kondominium oder einer Gemeinherrschaft nutzten
Hexereiverfahren, um sich gegenseitig Hochgerichtsrechte streitig zu machen. Die
Schaffung von Präzedenzfällen spielte dabei eine entscheidende Rolle. Nicht selten
wurden dann (angebliche) Hexereiverdächtige geradezu gekidnappt und vor das
eigene Gericht gestellt1 l8. In diesem Kontext sind besonders die Verfahren in der
Doppelgemeinde Mandern-Niederkell interessant. Die dortigen Hochgerichtsrechte
teilten sich nach den Besitzanteilen der vier Herrschaften Kurtrier, St. Matthias, St.
Maximin und die Herren von Sötern zu Dagstuhl. Ganz sicher standen die Offizi-
anten der Abtei St. Matthias den Hexenverfolgungen eher fordernd gegenüber, wie
die einschlägigen Vorkommnisse in den anderen abteilichen Hochgerichten zei-
gen114. Im Territorium der Abtei St. Maximin sind zeitgleich die wohl schwersten
115 Grundsätzlich ist eine monokausale Erklärung sowohl von Einzelprozessen wie auch von
ausgemachten Verfolgungen abzulehnen. Es bedurfte immer das Zusammenspiel mehre-
rer Faktoren, um Hexenjagden auszulösen und durchzuführen; vgl. zusammenfassend
Rummel/Voltmer, Hexen (wie Anm. 6), S. 86.
116 Vgl. generell die Literaturangaben in Anm. 112.
11 Seit 1600 lässt sich die Oberhoheit Triers bei Dagstuhl nachweisen; die Herren von Fle-
ckenstein, von Rollingen, von Kriechingen und von Brucken teilten sich die Rechte;
Lauer, Hexenprozesse (wie Anm. 90), S. 62.
Ils Beispiele bei: Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie Anm. 33), S. 236f.; Lauer, He-
xenprozesse (wie Anm. 90), S. 62.
M,Zu Hexenprozessen in den Hochgerichten von St. Matthias vgl. Rita Voltmer, Ein-
leitung, in: Dies., Karl Weisenstein, Das Hexenregister des Claudius Musiel. Ein Ver-
zeichnis von hingerichteten und besagten Personen aus dem Trierer Land (1586-1594),
Trier 1996, S. 9*-104*, hier S. 33*; Voltmer, Monopole (wie Anm. 51), S. 27, 34 (mit
Anm. 134), Dies., Herrschaftskrise (wie Anm. 113), S. 91.
207
europäischen Verfolgungen überhaupt festzustellen1“0. Der kurtrierisehe Amtmann
auf der Grimburg, Johann Zandt von Merl, gleichzeitig auch Trierer Statthalter und
Amtmann in Pfalzel, muss ebenfalls als ein engagierter Hexenverfolger bezeichnet
werden1'1. Vertreter der Familie von Sötern finden sich immer wieder involviert in
die Hexenjagden im „Saarraum“, so beispielsweise als lokale Gerichtsherren am
Hochgericht Neunkirchen/Nahe oder als Amtleute in kurtrierischen und lothringi-
schen Diensten120 121 122. Im Hochgericht Mandern-Niederkell konnten die nachweisbaren
Hexenausschüsse demnach mit den offenen Ohren aller vier Herren (und ihrer Ver-
treter) rechnen, wenn es galt, angeblich landschädliche Hexen zu verfolgen und
damit auch noch herrschaftliches Prestige zu gewinnen.
Ein ähnlicher Hintergrund ist im Amt Blieskastel anzunehmen, das von 1553 bis
1634 an Nassau-Saarbrücken verpfändet war. Innerhalb des Amtes besaßen auch
noch andere Herren Rechte, so beispielsweise am fünf Ortschaften umfassenden
Hof Wölferdingen die Junker von Heimstatt und die Grafen von der Leyen (Bann-
rechte) sowie die Grafen von Eberstein (Vogteirechte)123. Die Überlieferung eines
Hexenprozesses gegen vier Frauen aus Wustweiler (Weiler) 1599 verdankt sich ei-
nem hier angesiedelten herrschaftlichen Kompetenzstreit in Strafsachen, und es
liegt nahe, schon die Zulassung der Hexereiverfahren im herrschaftlich-politischen
Konfliktfeld zu sehen, wie im übrigen auch die Fragmente zu Hexereiverfahren aus
Blickweiler (1570), Reinheim (1593) und Glanmünchweiler (1594)124. Ob alle von
Labouvie angeführten 20 Verfahren12" im eigentlich nassau-saarbrückisch und
nicht kurtrierisch zu nennenden Amt Blieskastel einen solche Hintergrund haben,
müsste noch näher untersucht werden.
Gerade für das Kondominium Merzig-Saargau und das Nalbacher Tal zeichnet
sich ab, dass auch hier die Grenzlage beziehungsweise die herrschaftliche Gemen-
gelage einen möglichen Hintergrund der Verfolgungsverdichtung ausmachte. Vor
allem spielten Konflikte zwischen Lothringen und Kurtrier eine Rolle120. Ähnliches
ist für die Abteien Wadgassen und Fraulautern zu vermuten, wo es Streitigkeiten
zwischen den Saarbrücker Grafen und Lothringen um die Landeshoheit gab. 15S1
trat Graf Philipp III. von Nassau-Saarbrücken unter anderem die Hoheitsrechte an
120 Zu den Vorgängen in St. Maximin vgl. Voltmer, Einleitung (wie Anm. 119); Dies., St.
Maximin, Prince-abbey of, in: Golden, Encyclopedia (wie Anm. 23), Bd. 4, S. 1082-
1083.
121 Zu Zandts Rolle in den Hexenjagden der Stadt Trier wie auch der Ämter Grimburg und
Pfalzel vgl. Voltmer, Herrschaftskrise (wie Anm. 113); Dies., Konspiration (wie Anm.
113), S. 236-238; Dillinger, Leute (wie Anm. 85), S. 319-322.
122 Vgl. Hiegel, Bailliage d’Allemagne (wie Anm. 34), S. 194; Hoppstädter, Hexenver-
folgungen (wie Anm. 33), S. 241; Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 127f., 143.
123 Krämer, Hexenverbrennung (wie Anm. 40), S. 41.
124 Krämer, Hexenprozesse (wie Anm. 53), S. 79-103.
2" Labouvie, Rekonstruktion (wie Anm. 71), S. 56.
12(1 Vgl. Rita Voltmer, Die Hexenverfolgungen im Raum des Erzbistums (15.-17. Jahrhun-
dert), in: Geschichte des Bistums Trier Bd. 3: Kirchenreform und Konfessionsstaat 1500-
1801, hg. von Bernhard Schneider, Trier 2010, S. 709-749, hier S. 735-737.
Fraulautern12 an Lothringen ab, wohingegen der Herzog neben anderen Abma-
chungen auf seine Souveränität über die Abtei Wadgassen verzichtete1“8. In Wad-
gassen hatte der lothringische Herzog zuvor noch den Abt gezwungen, die zur Füh-
rung von Kriminal- und Hexenprozessen notwendigen Advise beim Change de
Nancy einzuholen. Hier zielte die landesherrliche Hexenpolitik dahin, durch die
Etablierung eines festen Instanzenzuges und der Aktenversendung die Abtei in den
lothringischen Herrschaftsverband einzugliedern* 129 * * * * 134.
Beide Abteien konnten allerdings ein nicht geringes Maß an Autonomie errei-
chen; Wadgassen begann sich über vom Reichskammergericht zuerkannte Ho-
heiten von Nassau-Saarbrücken zu lösen10. Fraulautern erlangte für seine Herr-
schaft Schwarzenholz sogar die Reichsunmittelbarkeit1Ohne Zweifel hatten hier
Hexenprozesse einen politischen Zweck erfüllt. So konnte - unbemerkt vom loth-
ringischen Herzog - Fraulautern Hexereiverfahren im auf deutschem Reichsgebiet
liegenden Hochgericht Schwarzenholz führen, ohne in Nancy um Advise anzufra-
gen, nämlich mit Hilfe eines eigenen Oberhofes132. Hier ließ die Äbtissin als
Hochgerichtsherrin immerhin zwischen 1597 und 1612 mindestens 22 Personen als
vermeintliche Hexen hinrichten13’. Offensichtlich waren die lothringischen Souve-
ränitätsrechte hier nicht so klar durchgesetzt wie im Fall des Ortes Fraulautern
selbst; denn die dort verurteilten vermeintlichen Hexen wurden allesamt in Waller-
fangen hingerichtet1’4. Insgesamt scheint das Kloster eine offensive Hexenpolitik
geführt zu haben, vergleichbar derjenigen von St. Maximin, wo hunderte Hexerei-
verfahren und die dabei angewandte Konsultation eines eigenen Oberhofs eindeu-
tig der Demonstration souveräner Qualitäten im Kampf mit Kurtrier um die
Reichsunmittelbarkeit dienten.
In der ansonsten verfolgungsarmen Grafschaft Nassau-Saarbrücken ist es be-
sonders das Amt (oder auch die Herrschaft) Ottweiler, das durch eine zweistellige,
12 Zu den Besitzungen des Klosters sowie den verwickelten Herrschaftsverhältnissen vgl.
Rehanek, Fraulautern (wie Anm. 37), S. 22-81.
,2* Hoppstädter/Herrmann, Geschichtliche Landeskunde (wie Anm. 29), S. 310.
129 Für Wadgassen liegen widersprüchliche Angaben vor: Hoppstädter, Hexenverfol-
gungen (wie Anm. 33), S, 233f, summiert die Abtei unter die lothringischen Besitzungen
und führt die Adviseinholung aus Nancy an. Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 51,
betont den mit militärischer Bedrohung durchgesetzten Zwang zur Adviseinholung; 1593
sollen allein sechs Hinrichtungen der insgesamt nachweisbaren neun Anklagen stattge-
funden habe (S. 72). Diese Informationen korrespondieren mit Hoppstädter, Hexenver-
folgungen (wie Anm. 33), S. 257-262. - Aufgelistet unter der Grafschaft Nassau-Saar-
brücken werden an anderer Stelle für Wadgassen 19 Prozesse gezählt; Labouvie, Re-
konstruktion (wie Anm. 71), S. 57. Möglicherweise handelt es sich nur um einen
Schreibfehler. - Zum Advisenzwang vgl. ausführlich BiESEL, Aktenversendung (wie
Anm. 96), S. 249-261.
Lvtl Hoppstädter/Herrmann, Geschichtliche Landeskunde (wie Anm. 29), S. 314.
14 Rehanek, Fraulautern (wie Anm. 37), S. 30f.
1 “ BiESEL, Aktenversendung (wie Anm. 96), S. 235, Anm. 26.
u' Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie Anm. 33), S. 243. Rehanek, Fraulautern (wie
Anm. 37), S. 35, spricht von 60 angeklagten Personen.
134 LlEBERTZ, Wallerfangen (wie Anm. 105), S. 141.
209
wenngleich immer noch geringe Prozessanzahl (13) auffällt135, wie auch die Herr-
schaft Uchtelfangen (7 Verfahren). Zumindest in Uchtelfangen waren die Gerichts-
rechte zwischen den Grafen, den Herren von Löwenstein und denjenigen von Ha-
gen geteilt. Offensichtlich gab es auch hier Streitigkeiten um die Ausübung der
Hochgerichtsbarkeit wie auch um die Begleichung von Prozesskosten bei Hexerei-
verfahren 1 '6.
Grundsätzlich lassen sich in den genuinen Ämtern der calvinistischen Grafschaft
Pfalz-Zweibrücken kaum Hexereiverfahren ausmachen, was bereits Baumgarten
aufgefallen ist137. Ganz dem herrschaftspolitischen Paradigma entsprechend liegt
jedoch eine aktenmäßig gute Überlieferung vor für Verfahren in Bliesransbach
(früher Ransbach), wo dem 1558 von Pfalz-Zweibrücken aufgelösten Kloster
Hornbach die Blutgerichtsbarkeit zugestanden hatte. Nachfolgend kam es jedoch
zu Jurisdiktionsstreitigkeiten zwischen Lothringen und Pfalz-Zweibrücken, in de-
ren Kontext der Praxis der in Bliesransbach durchgeführten Hexenprozesse beson-
deres Gewicht zugesprochen wurde138. Auch im Hochgericht Neunkirchen/Nahe,
das nur aus den vier Orten Neunkirchen, Selbach sowie Teilen von Eckelhausen
und Gonnesweiler bestand, fanden überproportional viele Hexereiverfahren statt139.
Lehnsrechtlich abhängig von Pfalz-Zweibrücken traten hier schon seit 1400 die
Familien von Sötern und von Grohe als Afterlehnsherren auf. Während der Sötem-
sche Anteil als Mannlehen in der Familie blieb, wanderte der Grohe’sche Anteil als
Erblehen häufig in unterschiedliche Hände, darunter an die Familien Zandt von
Merl und Braun von Schmidtburg. Offensichtlich sind die Hexenverfolgungen der
Jahre 1589-1599 und 1619-1631 zurückzuführen auf die fördernde Hexenpolitik
135 Sowohl zu den verwickelten Herrschaftsverhältnissen in der Grafschaft Nassau-Saar-
brücken, wo es durch ein Fehlen der Primogenitur bis ins 18. Jahrhundert immer wieder
zu Erbteilungen kam, wie auch zur konkreten Durchsetzung der Landeshoheit in den
(Teil-)Grafschaften fehlen immer noch detailliertere Untersuchungen; Hoppstädter/
Herrmann, Geschichtliche Landeskunde (wie Anm. 29), S. 304.
136 Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie Anm. 33), S. 239, 245; Labouvie, Zauberei
(wie Anm. 22), S. 85, 89, 127, 137f.
137 Baumgarten, Hexenwahn (wie Anm. 65), S. 87-90.
13x Der Jurisdiktionskonflikt zwischen Lothringen und Pfalz-Zweibrücken wegen Hombach,
insbesondere wegen der dem Kloster in Bliesransbach zustehenden Hochgerichtsbarkeit,
wurde in drei, insgesamt 426 Folios umfassenden Bänden festgehalten. Darin finden sich
auch Hexenprozessakten; Baumgarten, Hexenwahn (wie Anm. 65), S. 88f., mit Anm.
95 und 96. Während Baumgarten namentlich fünf Hinrichtungen (darunter eine zuvor
freigelassene, dann wieder angeklagte Frau) zwischen 1576 und 1580, sowie vier Freilas-
sungen, einen Selbstmord und zwei unbekannte Prozessausgänge nennt, hat Labouvie,
Zauberei (wie Anm. 22), S. 72, dreizehn im Jahre 1580 in Bliesransbach hingerichtete
Frauen gezählt. - Durch wiederholte Schwangerschaften und dadurch bedingte Freilas-
sungen konnte sich eine Frau aus Bliesransbach zwischen 1580 und 1617 verschiedenen
Anklagen wegen Hexerei entziehen; Eva Labouvie, Andere Umstände. Eine Kulturge-
schichte der Geburt, Köln und anderswo 1998. S. 80f.
1,9 Labouvie, Rekonstruktion (wie Anm. 71), S. 57, zählte 36 Verfahren.
210
dieser nachgeordneten Herren, während der Pfalz-Zweibrückische Lehnsherr eine
ablehnende Haltung gegenüber den Verfolgungen einnahm140.
In den buchstäblichen Brennpunkten der „saarländischen“ Hexenverfolgungen
spielten demnach die lokalen Hochgerichtsherren eine entscheidende Rolle. Dabei
traf die Hexenpolitik der „kleinen“ Herren auf ein dezidiertes Verfolgungsdrängen
auf Seiten der Bevölkerung. Ohne Zweifel gaben Petitionen und Supplikationen
„pro Hexenjagd“ einen wichtigen Impuls zur Aufnahme von Verfahren141. Hexen-
ausschüsse besorgten darüber hinaus - nicht selten in Anmaßung obrigkeitlicher
Prärogativen - einen Großteil der Voruntersuchung durch das Beibringen von An-
klagen, (vermeintlichen) Indizien, Besagungen und Zeugenaussagen. Ihre Vor-
absprachen gewährleisteten eine Finanzierung der Verfahren; bei der Verhaftung
und Bewachung der Verdächtigen dienten sie als Büttel, deren polizeiliche Funkti-
onen nicht selten vom Zender übertragen worden waren. Jedoch repräsentierten
Ausschüsse und Supplikationen im Namen der gesamten Gemeinde tatsächlich
immer nur bestimmte Interessen- und Akteursgruppen. Der nach außen und nach
oben unisono artikulierte Aufruf zur Hexenverfolgung wurde trotz gegenteiliger
Behauptungen nie von der „gesamten“ Bevölkerung getragen, sondern nur von
durchsetzungsfähigen und interessengeleiteten Gruppierungen, die sich das
Schweigen und das Mitlaufen der Mehrheit zunutze machten. Die soziale Veror-
tung der Ausschussmitglieder und ihre konkreten Aktionen fassen sich jedoch ge-
rade für den „Saarraum“ nur schwer ausmachen, da die erhaltenen Prozessakten
dazu nur wenige Informationen bieten142.
Die kommunale Beteiligung an den Hexenjagden trat in vielfältigen Erschei-
nungsformen auf. Generell funktionierte das Ausschusswesen in den Herrschaften
und Territorien im Maas-Rhein-Mosel-Saar-Raum zwar ähnlich, aber nicht gleich-
förmig. Es wäre irreführend, es als ein festgefügtes, stets den gleichen Regeln fol-
gendes gemeindliches Instrument kommunalistischer Prägung anzusehen.
Die zugeschriebenen oder usurpierten Kompetenzen der Ausschussmitglieder
blieben jedoch stets abhängig von zwei Faktoren: erstens von der Akzeptanz im ei-
genen lokalen, dörflichen oder städtischen, sozialen Milieu sowie von der Legiti-
mation, welche die Ausschussmitglieder aus der jeweiligen politischen Verfasstheit
ihrer Gemeinden zogen. Dieses konstitutive Moment der Ausschussbildung ist ins-
gesamt noch zu wenig erforscht. Neben der gewohnheitsrechtlich und meist genos-
senschaftlich begründbaren Basis der Ausschüsse blieb zweitens der politisch-ge-
richtsrechtliche Spielraum entscheidend, den ihnen die Obrigkeit einräumte. Lo-
i4il Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie Anm. 33), S. 24lf.; Labouvie, Zauberei (wie
Anm, 22), S. 276, Anm. 134.
141 Vgl. Rita Voltmer und Shigeko Kobayashi, Supplikationen und Hexereiverfahren im
Westen des Alten Reichs - Stand und Perspektiven der Forschung, in: Kurtrierisches
^ Jahrbuch 51 (2011), S. 247-269, besonders S. 253-256, 266f.
I4‘ Quint, Hexenverfolgungen (wie Anm. 111), S. 11.- Während in Kurtrier die nur frag-
mentarisch überlieferten Quellen ähnlich schweigen wie für den „Saarraum“, lassen sich
für die Mitglieder der Hexenausschüsse und Monopole in den kurtrierischen Kondomi-
nien, in St. Maximin oder in Luxemburg aufgrund der sehr guten Überlieferungslage de-
tailliertere Angaben machen; vgl. generell Rummel, Bauern (wie Anm. 82). S. 276-294;
Voltmer, Monopole (wie Anm. 51), S. 38-55.
211
kale Klagekonsortien profitierten in der Regel von herrschaftlichen Konkurrenzsi-
tuationen oder von der Protektion durch Amtleute und Hochgerichtsherren143. Oh-
ne dass diese und lokale Herren ihre Gerichte zur Verfügung stellten, konnten kei-
ne Hexenprozesse geführt werden. Eine im Sinne der Hexenjäger erfolgreiche Pro-
zessführung setzte demnach die Zusammenarbeit zwischen Ausschüssen und loka-
ler Gerichtsobrigkeit voraus. Wenig überraschend funktionierte diese Zusam-
menarbeit in den kleinen, manchmal vielherrigen, weltlichen wie geistlichen Herr-
schaften des „Saarraumes“ genauso reibungslos wie in den Hochgerichten der Ab-
tei St. Maximin, in den kurtrierischen beziehungsweise sponheimischen Kondomi-
nien oder in den Luxemburger Unterherrschaften.
Im „Saarraum“ trafen - vergleichbar der Provinz Luxemburg - zwei unter-
schiedliche Rechts- und Sprachräume aufeinander. So lassen sich offen agierende
Hexenausschüsse nicht in den lothringischen Ämtern Siersberg, Schaumburg und
Wallerfangen auffmden. Dagegen traten sie aber im Kondominium Merzig-Saar-
gau sowie in Gebieten des lothringischen Grenzbereiches auf, wo der Herzog le-
diglich Souveränitätsrechte beanspruchte, wie beispielsweise in der Deutschor-
denskommende Beckingen, in Schwarzenholz (Hochgericht der Abtei Fraulautern),
in Düppenweiler (Hochgericht der Herren Hagen zu Büschfeld), in Honzrath (ge-
teilte Gerichtsbarkeit zwischen den Freiherren Braubach zu Dillingen und Zandt
von Merl)144 oder in Merchingen14" (geteilte Gerichtsbarkeit zwischen den Herr-
schaften Meinsberg-Montclair, Warsberg und Felsberg). Offensichtlich waren es
auch hier entweder die „kleinen“ Herren oder die kondominiale Gemengelage,
welche den Dorfgemeinden beziehungsweise den dominierenden Aktionsgruppen
entsprechende Agitationsfreiheit zur Bildung lokaler Klagekonsortien ließ.
Das generelle Interesse lothringischer Amtleute an der Durchführung von Hexe-
reiverfahren lieferte möglicherweise einen Grund, warum hier ein Verfolgungs-
drängen „von unten“ nur schwach ausgeprägt scheint146. Darüber hinaus bleibt zu
beachten, dass, auch wenn es keine dezidierten lothringischen Verbote gegen die
Bildung von Ausschüssen (monopoles) gegeben hat, in der Praxis solche conspira-
tions hart bestraft worden sind. Dies zeigen Hinweise aus den französischsprachi-
gen offices auf die verdeckte Tätigkeit von lokalen Klagekonsortien hinter dem
Rücken eines als Privatkläger auftretenden Strohmanns147. Wenn auch nur verein-
zelt, so konnte Biesel inzwischen auch Petitionen nachweisen, in denen lothringi-
sche Einwohner um die Durchführung von Hexereiverfahren baten148 * *. Labouvie
143 Dazu grundlegend Voltmer, Konspiration (wie Anm. 113), S. 217-225, 241f,
144 Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 85; Hoppstädter, Hexenverfolgungen (wie
Anm. 33), S. 244.
145 Zu Merchingen, das den Ämtern Wallerfangen und Siersberg unterstand, vgl. den von
Josef Bohr, Wolfgang Reget und dem dortigen Heimatverein bearbeiteten Band: Die
Merchinger Hexenprozesse. Eine Dokumentation, Merchingen 2004 (mit Edition).
146 So Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 85f.
14 Voltmer, Monopole (wie Anm. 51), S. 61, mit den von Robin Briggs gefundenen
Nachweisen.
14S Elisabeth Biesel, „Les pauvres remonstrants ont eu crainte et terreur“. Lothringische
Hexenverfolgungen im Spannungsfeld von Zentralitätsbemühungen und lokalen Interes-
sen, in: Ostorero und andere, Chasse (wie Anm. 31); S. 67-88, hier S. 67-69.
vermutete, diese doch eher „passive Haltung der Untertanen“ sei durch die klar ge-
regelte Güterkonfiskation in Lothringen bedingt gewesen, die zwar der landes-
herrlichen Kasse, den Hochgerichtsherren und Amtleuten einen Anteil versprach,
nicht aber potentiellen gemeindlichen Klagekonsortien 144. Diese Erklärung ist nicht
von der Hand zu weisen. Die faktische Unterbindung kommunaler Eingriffe in lan-
desherrliche Gerichtsprärogativen reiht sich letztlich jedoch ein in die herzogliche
Monopolisierung der Strafgerichtsbarkeit, die darüber hinaus mit Hilfe von Akten-
versendung und Instanzenzug dazu diente, die lothringischen Unterherren der lan-
deshoheitlichen Souveränität zu unterwerfen"0, Gerade die Hexenprozesse, die ge-
häufter auftraten als andere Fälle der Ausübung von Blutgerichtsbarkeit, boten da-
für eine gute Möglichkeit, wie die Forschungen von Elisabeth Biesel gezeigt ha-
ben"1. In Lothringen führte die landesherrlich supervisionierende „Hexenpolitik“
deshalb nicht zu einer Unterbindung der Verfolgung, sondern lediglich zu einer
größeren Kontrolle und Bürokratisierung der Strafprozesse. Gelegentlich konnten
die Prozesswünsche der Untertanen und die landesherrliche Bereitschaft zur judizi-
alen Unterstützung der Verfolgungen auch auf Widerstand bei den mittleren In-
stanzen stoßen"2. Warum im Amtsort Wallerfangen die Prozesszahlen so explosiv
in die Höhe geschnellt sind, findet auch in diesem Kontext eine mögliche Erklä-
rung: So beschwerten sich 1592 - mitten in der ersten Verdichtungsphase lothrin-
gischer Hexereiprozesse - die Adligen und Prälaten der bailliage d’Allemagne bei
ihrer Zusammenkunft in Wallerfangen über den bailli, der die Durchsetzung her-
zoglicher Rechte zu Ungunsten ihrer eigenen Prärogativen betrieb. Solche Klagen
wiederholten sich 1626* 152 153 *. Für die adeligen Amtleute in der bailliage d’Allemagne
bedeutete daher wohl auch die Führung von Hexereiprozessen die demonstrative
Durchsetzung herzoglicher Souveränität. Die Grenzlage der Ämter Wallerfangen,
Siersberg und Schaumburg, fern vom herzoglichen Machtzentrum, mag diese
Maßnahmen noch verschärft haben. Mit Robin Briggs und William Monter bleibt
daher weiter zu fordern, gerade den östlichen lothringischen Grenzraum genauer zu
untersuchen. Unterschiede bei den Hexereiimaginationen und der Verfolgungs-
struktur scheinen durch die Sprachgrenze sowie durch divergierende Rechtsge-
wohnheiten geprägt gewesen zu sein. Ähnliche, durch Sprach- und Rechtsgrenzen
hervorgerufene Unterschiede zwischen einem französisch- und einem deutschspra-
chigen Teil zeigen sich im Luxemburger Raum und legen einen Vergleich nahe"4.
Anders als in Lothringen hatte die landesherrliche „Hexenpolitik“ in Nassau-
Saarbrücken und in Pfalz-Zweibrücken die Kontrolle und letztlich Unterdrückung
der Verfolgungen zur Folge. Mithilfe einer obrigkeitlich verordneten Kostenrege-
lung bei Hexereiprozessen gelang es den seit 1575 lutherischen Grafen von Nas-
sau-Saarbrücken, Exzesse und Ausweitung der Hexenjagden zu verhindern, wenn-
gleich sie nicht grundsätzlich verfolgungsfeindlich eingestellt waren und bei der
Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 15!.
"(> Schon Labouvie verwies auf diese „Verstaatlichung der Hexenverfolgungen“; ebd., S. 46.
IM Zusammenfassend Biesel, Akten Versendung (wie Anm. 96).
152 Exemplarisch Biesel, Pauvres (wie Anm. 148).
Biesel, Hexenjustiz (wie Anm. 95), S. 71.
"4 Vgl. nur Voltmer, Bürgerkrieg (wie Anm. 113), S. 71.
213
Durchsetzung ihrer Gerichtsmaximen auch im Hexenprozess eine gewisse Strenge
zeigten155. Noch dezidierter drang der Herzog von Pfalz-Zweibrücken auf die
Durchsetzung der Carolina. Zwar gab es im Herzogtum keine spezifischen Hexen-
prozessordnungen oder Mandate mit Anweisungen, wie Hexenprozesse zu führen
seien, jedoch war für alle Strafverfahren ein fester Instanzenzug vorgeschrieben.
Die herzogliche Kanzlei erließ Rechtsgutachten zu Verhaftung, Verhör und Folter,
zum Teil mit ausführlich vorgegebenen Fragekatalogen. Insgesamt verhielten sich
die Juristen der Kanzlei abwartend gegenüber Hexereibezichtigungen und forderten
die lokalen Amtleute zur Mäßigung auf. Die Durchsetzung des Reichsrechts stieß je-
doch besonders bei kleinen Hochgerichtsträgem auf größten Widerstand156 157 158 159. Ähnlich
gelagerte Konflikte zwischen Unterherrschaften und Provinzialregierung lassen sich
während der Hexenverfolgungen in Luxemburg und Kurtrier nachweisen'Ä
Offensichtlich wurde im „Saarraum“ mit Hexereiverfahren kalkulierte Politik
betrieben. Gleichwohl bedurfte es einer weiteren, gewissermaßen zwischen den
landesherrlichen, hochgerichtlichen und lokalen Ebenen vermittelnden „Akteurs-
gruppe“: der Notare und Gerichtsschreiber. In den einzelnen lokalen Verfolgungs-
milieus kam diesen juristischen Spezialisten eine Schlüsselrolle zu. Ihr formalju-
ristisches Know-How wurde von den Ausschüssen und Monopolen benötigt, um
die gerichtsrelevanten Klageschriften aufsetzen zu können. Darüber hinaus haben
sich manche Juristen und Schreiber den interessierten Ausschüssen angedient und
ihnen die benötigten relevanten Informationen zu Aufbau und Inhalt einschlägiger
Hexereianklagen bereitgestellt1 ^ Notare begründeten darüber hinaus Haft- und
Folterbefehle, führten Zeugenverhöre durch, berieten lokale Schöffenkollegien, lei-
teten auch die Verhöre der Angeklagten, mussten zudem das gesamte Verfahren
protokollieren und beglaubigen. Als Hüter der Prozessakten waren sie stets die ers-
te Stelle, an die sich private Kläger und Klagekonsortien wandten, wenn Extrakte
aus Geständnissen und Besagungen benötigt wurden. Die Namen der in den Ver-
folgungen aktiven Notare und Schreiber, ihre „Dienstorte“ und ihren Aktionsradius
zu ermitteln, dürfte Erklärungen dafür bieten, warum und wie einschlägige Hexe-
rei-Imaginationen gewandert sind. Ihren „gestalterischen“ Kräften sollte darüber
hinaus noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Längst wird generell Ge-
richtsakten mehr quellenkritische Vorsicht entgegengebracht. Ob sie sich weiterhin
als tragfähige Quellen für die Erforschung von „Volksglauben“ erweisen, steht im
Mittelpunkt aktueller interdisziplinärer Diskussionen179.
155 Labouvie, Zauberei (wie Anm. 22), S. 47-49, 142f., 153f.
156 Ebd., S. 46f.
157 Voltmer, Bürgerkrieg (wie Anm. 113), S. 75-91, Dies., Kurtrier zwischen Konsoli-
dierung und Auflösung (16.-18. Jahrhundert), in: Schneider, Geschichte (wie Anm.
126), S. 38-54, hier S. 48.
158 Zusammenfassend Rummel/Voltmer, Hexen (wie Anm. 6), S. 110-113. - Labouvie,
Zauberei (wie Anm. 22), S. 97, 115-117, verweist ebenfalls auf die Rolle der Notare, be-
sonders bei der Vermittlung gelehrter dämonologischer Konzepte.
159 Vgl. Norbert Schindler, Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur in der frühen
Neuzeit, Frankfurt am Main 1992, S. 260-262; Rummel/Voltmer, Hexen (wie Anm. 6),
S. 14-17; Voltmer, Netzwerk (wie Anm. 6), S. 502-504; Dies., Behind the „Veil of me-
214
Mit Blick auf die „Hexenpolitik“ zeigt sich die Geschichtslandschaft „Saar-
raum“ daher alles andere als passiv. Auf Seiten der großen und mittleren Landes-
herrschaften wie Kurtrier, Lothringen, Nassau-Saarbrücken und Pfalz-Zweibrücken
wurde - allerdings mit sehr unterschiedlichem Erfolg - eine Zentralisierung der
Kriminaljurisdiktion angestrebt. Grundsätzlich galt es dabei nicht, Hexereiverfah-
ren abzuschaffen, sondern sie landeshoheitlicher Kontrolle zu unterstellen und ihre
Führung den landesherrlichen Vorgaben anzupassen. Auf der Ebene der Mikro-
und Unterherrschaften beziehungsweise der Kondominien diente die herrschafts-
politische Inszenierung und Nutzung von Hexenprozessen dem Autonomiestreben
wie dem Lösen von Jurisdiktions- und Hoheitskonflikten. Es ist daher kein Zufall,
dass sich auch für den „Saarraum“ Prozessakten vorzugsweise dort erhalten haben,
wo Gerichts- und Herrschaftsrechte strittig waren oder werden konnten. Strafpro-
zessakten wurden hier als potentielle Beweismittel aufbewahrt. Verfolgungszentren
und Überlieferungsdichte bedingten sich demnach gegenseitig. Geradezu unerheb-
lich bleibt dabei, ob der einzelne Hexenprozess obrigkeitlich nur geduldet, geför-
dert oder regelrecht inszeniert worden ist; denn unabhängig vom Ursprung wurde
er - einmal gerichtlich verankert - im politischen Umfeld als Herrschaftsinstru-
ment angewandt und konserviert.
Duldung, Förderung, ja Inszenierung, aber auch Kontrolle, Erschwerung und
Verbot von Hexereiprozessen sowohl auf mikro- wie auf landesherrschaftlicher
Ebene waren Teil eines politischen Willensbildungs- und Durchsetzungsprozesses.
Adelige Herrschaftsträger nahmen die verschiedenen Optionen in ihren unter-
schiedlichen herrschaftlichen Verbänden beziehungsweise Kontexten in unter-
schiedlicher Weise wahr. Deshalb sollte man sich endlich davon verabschieden, die
Hexenverfolgungen als „Wahn“ zu bezeichnen, sondern vielmehr vom Konzept der
„Handlungsoption Hexenverfolgung“'60 ausgehen, die für Akteure und Akteurs-
gruppen Angebote sowohl auf sozialer wie auf politischer Ebene machte. Intensität
und Härte, mit denen gegen vermeintliche Hexen vorgegangen werden konnte, er-
klären sich eben erst aus der Verbindung eines religiös-existentiell definierten
Kampfes gegen Hexerei mit konkreten sozialen, ökonomischen und politischen In-
teressen160 161. Einzelne Hexereiverfahren wie ausgemachte „Verfolgungen“162 sind
demnach im Handlungsdreieck zwischen Gemeinde, lokaler Gerichtseinheit und
Landesherrschaft, verwoben sowohl mit den Netzwerken (klein-)adeliger Familien
wie auch mit dem innergemeindlichen Klientelsystem, zu betrachten. Als Mediato-
mory“: About the Limitations of Narratives, in: Magic, Ritual and Witchcraft 5 (2010),
S. 96-102; Dies., Volkskultur, in: Enzyklopädie der Neuzeit 13 (2011), Sp. 414-421.
160 Zur „Handlungsoption“ vgl. begriffsprägend Rummel/Voltmer, Hexen (wie Anm. 6), S.
96-113, sowie - die Argumente gegen eine Verwendung der Bezeichnung „Hexenwahn“
zusammenfassend - Voltmer, Hexen (wie Anm. 6), S. 80-85.
161 Das duale Verhältnis (hier die aktive Verfolgung „von unten“, dort die passive Haltung
der fernen Landesherren in Trier und Lothringen), wie es noch Labouvie, Rekon-
struktion (wie Anm. 71), S. 51, feststellt, muss demnach modifiziert werden.
162 Zu unterschiedlichen Modellen, zwischen Einzelverfahren und so genannten Hexenpani-
ken, Massenverfolgungen oder Kettenprozessen zu unterscheiden, vgl. grundlegend
Rummel/Voltmer, Hexen (wie Anm. 6), S. 74-77.
215
ren zwischen allen Ebenen dienten insbesonders reisende Juristen (Kommissare),
Notare und Gerichtsschreiber163.
Die konstatierte „Hexenpolitik“ ist mithin ein deutliches Indiz für die raumbil-
dende Kraft des „menschlichen Handelns“164 * - auch im „Saarraum“. Hier zeigten
sich Adelsfamilien wie die Zandt von Merl, von der Leyen, von Eltz oder von Sö-
tern als politisch ausgesprochen aktiv, sowohl als „kleine“ Herren wie auch als
Amtleute im Dienst der großen und mittleren Landesherrschaften - und dies oft in
Personalunion zur Quasi-Arrondierung ihrer Herrschaften. Nicht weniger wendig
gaben sich dabei geistliche Institutionen wie die Abtei Fraulautern oder die
Deutschordenskommende Beckingen. Die von adeligen Familien vorangetriebene
Herrschaftskonsolidierung und mithin der Aufstieg ihres Familien- und Klientel-
verbandes bediente sich - neben anderen Instrumenten - eben auch der Hexerei-
verfahren mit ihren nach innen wie nach außen gerichteten Ritualen der Macht-
und Obrigkeitsdemonstration166. Bislang fehlen jedoch Untersuchungen, welche
die Netzwerke dieser Kleindynastien und ihr regionenübergreifendes Spiel um den
Ausbau von Macht, um Besitzgewinn und -erhalt und um Herrschaftsmelioration
unter Einschluss der jeweiligen Hexenpolitik in den Blick nehmen166. Dieser For-
schungsansatz führt Überlegungen von Alfred Heit und Franz Irsigler16 fort, nach
denen historische Räume generell durch menschliches Handeln, durch Kommuni-
kation und Interaktion, insbesondere durch eine bis in die Frühe Neuzeit noch als
personengebunden determinierte Herrschaftspraxis etabliert wurden.
Darüber hinaus müsste die gesamte Strafgerichtspraxis untersucht werden168,
um den Stellenwert der Hexenprozesse, die Netzwerke der beteiligten Amtleute,
Hochgerichtsherren und Notare oder Schreiber zu ermitteln und um festzustellen,
ob und mit welchen anderen herrschaftspolitischen Methoden die „Hexenpolitik“
flankiert wurde.
I6j So schon Voltmer, Konspiration (wie Anm. 113), S. 232.
164 Irsigler, Zentrum (wie Anm. 10), S. 24.
1(0 Besonderen Stellenwert hatten hier demonstrative Hinrichtungen, damit verbundene
Kämpfe um die Errichtung, Nutzung und Verwüstung von Galgenplätzen sowie die Kar-
tierung von Hinrichtungsstätten; vgl. Voltmer, Hochgerichte (wie Anm. 112), S. 480-
485, 501-517. Zur Kartierung als Mittel der Raumerfassung vgl. auch Voltmer, Auflö-
sung (wie Anm. 157), S. 52.
166 Erste Ansätze zu einer Adelsgeschichte (allerdings vornehmlich im 18. Jahrhundert) des
„Saarraums“ liefert: Adel an der Grenze. Höfische Kultur und Lebenswelt im SaarLor-
Lux-Raum (1697-1815), hg. von Eva Labouvje, Saarbrücken 2009. - Vgl. auch: Adelige
Lebenswelten im Rheinland. Kommentierte Quellen der Frühen Neuzeit, hg. von Gudrun
Gersmann und Hans-Werner Langbrandtner, Köln und anderswo 2009.
16 Irsigler, Zentrum (wie Anm. 10), S. 24f.
lhS Mittlerweile sprechen sich viele Vertreter der modernen Hexenforschung dafür aus, die
a-historische Separierung der Hexen- von der übrigen Kriminaljustiz zu beenden. Vor-
bildlich hier schon Elisabeth Biesel, Hexerei und andere Verbrechen. Gerichtspraxis in
der Stadt Toul um 1570-1630, in: Eiden/Voltmer, Hexenprozesse (wie Anm. 51), S.
123-169, sowie inzwischen Robert Zagolla, Folter und Hexenprozess. Die strafrechtli-
che Spruchpraxis der Juristenfakultät Rostock im 17. Jahrhundert, Bielefeld 2007; Mari-
anne Sauter, Hexenprozess und Folter. Die strafrechtliche Spruchpraxis der Juristenfa-
kultät Tübingen im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert, Bielefeld 2010.
216
Allein, die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges beendeten zunächst die
Ambitionen der großen und kleinen Herren im „Saarraum“ - und damit auch die
Hexenverfolgungen. Für einige Zeit wurde das Land an Saar, Prims und Blies dann
tatsächlich zu einer „passiven Geschichtslandschaft“ degradiert. Unter Anwendung
des herrschaftspolitischen Paradigmas aber kann die moderne Hexenforschung so-
wohl in die Herrschaftsgeschichte als klassisches Feld der Landesgeschichte169 wie
auch in die neueren Ansätze einer „Kulturgeschichte des Politischen“ eingebunden
werden170.
169 Vgl. dazu Werner, Landesgeschichtsforschung (wie Anm. 2), S. 169.
170 Zu den Debatten um eine „Kulturgeschichte des Politischen“ vgl. nur die Sammelrezen-
sion von Gerd Schwerhoff,
URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-021 .pdf,
sowie Andreas Rödder, Klios neue Kleider: Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte
der Politik in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 283 (2006), S. 657-688; Frank
Bösch und Norman Domeier, Cultural history of politics: concepts and debates, in: Eu-
ropean Review od History 15 (2008), S. 577-586. - Meine seit längerem angekündigte
Studie zu den Hexenverfolgungen in den kleinen und mittleren Herrschaften des Rhein-
Maas-Raumes, auf deren Teil-Ergebnisse der vorliegende Aufsatz schon zurückgreift,
siedelt sich methodisch an zwischen landeskundlicher Herrschaftsgeschichte und einer
Kulturgeschichte des Politischen.
217
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Verwaltungsalltag in der von der Leyenschen Herr-
schaft Blieskastel nach dem Dreibigjährigen Krieg
Wolfgang Läufer
1660 konnte die moselländisch-rheinische Familie von der Leyen, deren Stammsitz
damals das Wasserschloss Adendorf bei Bonn war, das kurtrierische Amt Blies-
kastel als Lehen erwerben* 1. Die Familie war schon seit 1456 in der Bliesgegend be-
gütert, und auf dem Blieskasteler Burgberg besaß sie ein eigenes Haus. Dort be-
fanden sich auch der kurtrierische Amtssitz und das Haus von Eltz. Alle Gebäude
waren in den voraufgehenden Kriegsjahrzehnten sehr heruntergekommen2. Herr von
Eltz lebte dort bis zu seinem Wegzug im Herbst 1661 in ärmlichen Verhältnissen.
Von der Leyen war in den nachfolgenden Jahren mit Erfolg bemüht, im Umland
weitere Besitzungen und Rechte hinzuzuerwerben. Zunächst ging es darum, dem
damiederliegenden Land wieder aufzuhelfen, das als sehr ödt, verwüst und be-
wachsen geschildert wird. Treibende Kraft war Karl Kaspar von der Leyen, Kur-
fürst und Erzbischof von Trier, der in der Folgezeit die Verwaltung der Neuerwer-
bung allerdings seinem Bruder überließ, Damian Hartard von der Leyen, Dom-
propst in Trier und später Kurfürst von Mainz. Karl Kaspar entsandte seinen Rat
und Kammerdirektor Linden an die Blies, der den Wiederaufbau energisch in An-
griff nehmen sollte. Wiesen sollten instandgesetzt, Weiher angelegt, Scheunen
neuerrichtet und Mühlen in Betrieb genommen werden. Auf dem Blieskasteler
Burgberg sollten 300 Schafe eingestellt werden, in Medelsheim eine Schäferei für
1000 Tiere entstehen, in Lautzkirchen eine Schweizerei, für die man Schweizer
Einwanderer heranzog. Die Wiederbesiedelung wurde auch sonst gefordert1. Der
Kurfürst hoffte anfangs, die Zahl der Untertanen von 300 auf 800 erhöhen zu kön-
nen. Für sie wurden Kirchen und Schulen erbaut oder wiederhergestellt.
Karl Kaspar begann auf dem Blieskasteler Burgberg sofort mit verschiedenen
Baumaßnahmen, die er in der Folgezeit energisch vorantrieb; die nicht unerhebli-
chen Geldmittel dazu vermochte er immer wieder aufzubringen. Das kurtrierische
Amtshaus wurde wiederhergestellt und im Bereich des alten leyenschen Berings im
Südosten des Areals mit einem ersten Bau begonnen, der 1663 vollendet war.
Die hauptsächlich hier herangezogenen Quellen aus dem Landesarchiv Saarbrücken, Be-
stand von der Leyen (LA Sb vdL), Nr. 2660/61 und 2662 (vgl. auch Anm. 13), werden
nachfolgend in den Anmerkungen kurz mit „a“ und „b“ bezeichnet.
1 Hermann Peter Barth, Die Erwerbung des Amtes Blieskastel durch das Haus von der
Leyen, in: Zeitschrift für saarländische Heimatkunde 5 (1955), S. 25-32.
Der elende Zustand des erzstiftischen Hauses (Kellerei) wird in einem Bericht für das
Trierer Domkapitel vom 22.11.1659 geschildert (Abdruck bei Barth, Erwerbung, wie
Anm. 1, S. 25).
Am 15.12.1661 berichtete Buchholtz dem Freiherrn, er habe dessen Dekret ad valvas
ecclesiae affigirt. Danach hatten alle, die sich im Amt niederlassen wollten, ihren Los-
brief vorzuweisen (Freizügigkeit). Auf 6 Goldgulden Frevel wurde bestimmt, dass nie-
mand in der Jurisdiktion oder Botmäßigkeit des Freiherrn heiraten dürfe, es sei denn, er
habe sich mit der auswärtigen Herrschaft abgefunden und in Blieskastel den Freizugs-
brief vorgelegt (a).
219
Schon 1662 hatte man den Grundstein für einen ergänzenden zweiten Bau gelegt,
den Neuen Bau, der 1665 abgeschlossen wurde. Aber erst im Frühjahr 1663 - nach
dem vollständigen Erwerb des von Eltzischen Besitzes - konnte die grundlegende
Neugestaltung des gesamten Burgberges in Angriff genommen werden. In den
Folgejahren entstand hier ein großangelegtes neues Schloss mit einem ausgedehn-
ten Garten. Architekt war der Kapuziner Bonitius. Diesen Bau konnte die Familie
von der Leyen dann ein Jahrhundert später als neue Residenz beziehen, als sie
1773 von Koblenz nach Blieskastel übersiedelte. Im Gefolge der Französischen
Revolution wurde das Schloss Anfang des 19. Jahrhunderts bis auf die Orangerie
abgetragen4.
Im Verlauf des Jahres 1660 wurde der Kellner Thomas Buchholtz in Blieskastel
eingestellt5; er stammte aus Irsch bei Saarburg('. Der Kurfürst selbst hatte ihn sei-
nem Bruder empfohlen und dabei auf den Vater Buchholtz verwiesen, der ebenfalls
in leyenschen Diensten stand. Freiherr Damian Hartard bot ihm jährlich 32
Reichstaler, dazu freie Kost und Logis, allerdings keine Kleidung1. Das Amt Blies-
kastel war bis zu dieser Zeit sowohl von einem Amtmann als auch einem Kellner
verwaltet worden. Amtmann Augustinus Schrämbgen (Schrembgen) hatte seinen
Abschied genommen5, war dann Meier in Wölferdingen. Amtskellner war Johann
Werner Gardun (Cardun) gewesen4 * * *. Beide unterstützten in der Folgezeit den neuen
Kellner. Schrämbgen stand ab Herbst 1664 allerdings nicht mehr zur Verfügung,
weil er seine väterlichen Güter zu Wallerfangen bewohnen wollte10. Zu denjenigen,
die Buchholtz unterstützten, gehörte auch der in den Quellen als vielfältig tätiger
4 Den Schlossbauten habe ich mehrere Studien gewidmet, zuletzt zusammenfassend:
Wolfgang Läufer, Neue Forschungen zur frühen Baugeschichte des Blieskasteler
Schlosses (17. Jh.), in: Saarpfalz. Blätter für Geschichte und Volkskunde, Homburg
2009, H. 2, S. 5-59; ders..das Schloß, Zierde Blieskastels. Die letzten Jahre des von
der Leyenschen Residenzschlosses Blieskastel in französischer Zeit, in: Saarpfalz 2011,
H. 1,S. 28-55.
5 Ob er mit dem Kerl identisch war, der die Haushaltung [in Blieskastel] fiihren soll, wie
der Kurfürst seinem Bruder Damian Hartard am 23.5.1660 mitteilte, muss offenbleiben
(Landeshauptarchiv Koblenz, Best. 48, Nr. 780) (LHA Ko 48). Buchholtz war Ende 1666
im siebten Jahr im Dienst (Der genannte Archivalienband, der die Schreiben des Kurfürs-
ten an den Freiherm in Regensburg enthält, schließt etwas die Lücke von 1663 in den
Kellnerberichten).
6 Die Eheleute Buchholtz reisten an Pfingsten 1665 für acht Tage nach Irsch, in den Hei-
matort des Kellners (Bericht Buchholtz vom 7.5.1665, a). - Einige Hinweise zu Buch-
holtz bei Wolfgang Läufer, Der Blieskasteler Schloßbau des späten 17. Jahrhunderts, in:
Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 32 (1984), S. 21-37, hier S. 23.
Hinweise im Schreiben des Kurfürsten an seinen Bruder in Adendorf vom 26.11.1659
(LHA Ko 48, Nr. 778). Auch dieser Korrespondenzband füllt etwas die erwähnte Lücke.
s Die Umstände schilderte sein Bruder Nikolaus Schrämbgen, Mönch in Wadgassen, 1661
bei einem Zeugenverhör (Hermann Peter Barth, Eine von der römischen Kurie ange-
ordnete Untersuchung zur Belehnung der Herren von der Leyen mit dem kurtrierischen
Amt Blieskastel, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 15 (1965), S. 166-180,
hier S. 177); Wolfgang Krämer, Die Blieskasteler Amtmänner im 16. und 17. Jahrhun-
dert, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 9 (1959), S. 287f.
4 Tritt ebenfalls als Zeuge auf (Barth, Untersuchung, wie Anm. 8, S. 179).
10 Bericht Buchholtz vom 2.10.1664 (a).
220
Handelsmann und Unternehmer erscheinende Bernhard Bruch"; er war wohl als
Blieskasteler Kellner Vorgänger von Gardun. Auch die örtlichen Meier und
Schultheißen dürften von Buchholtz zu Verwaltungsaufgaben herangezogen wor-
den sein; die hier benutzten Quellen geben dazu allerdings keine Auskunft, ln den
nachfolgenden Jahren waren - sozusagen als obere Verwaltungsinstanzen - der
erwähnte Kammerdirektor Linden zuständig für die allgemeine Verwaltung und
der kurtrierische Landrentmeister Georg Raderus1“ für die Finanzierung des Blies-
kasteler Bauwesens. Um die Jahreswende 1661/62 begann Buchholtz, regelmäßig
seinem meist auswärts weilenden Herrn ausführlich zu berichten. Die dichte, aber
nicht ganz vollständige Reihe der Schreiben - im Jahr 1663 weilte Damian Hartard
als kurtrierischer Gesandter in Regensburg - reicht bis Ende 1666, als Buchholtz
wegen Differenzen mit dem Dompropsten seinen Dienst quittierte. Für die Zeit ab
Ende 1665 kommen auch ergänzende Berichte seines Vertreters hinzu, des Aufse-
hers Matthias Lommert11 12 13, dann auch einzelne Berichte ihrer Nachfolger. Damian
Hartard ließ sich übrigens mit voller Absicht aus Blieskastel sowohl von Kellner
als auch Aufseher berichten, denn damit wollte er möglichen Unregelmäßigkeiten,
wenn nicht sogar Betrügereien auf die Spur kommen14. Nach seiner Anstellung
Ende 1665 beteuerte Lommert ausdrücklich, wahrhaftig berichten zu wollen15.
Buchholtz stand vor einer nicht einfachen Aufgabe. Neben dem Amt Blieskastel
hatte er das Unteramt (Glan-)Münchweiler mit Otterbach zu betreuen. Engstens zu-
sammenzuarbeiten war auch mit dem Amt Burrweiler an der Weinstraße, aus dem
das Blieskasteler Land jahrhundertelang mit Wein versorgt wurde. Überblickt man
die Fülle der Aufgaben, so hatte sich der Kellner um die Landesverteidigung zu
kümmern, die auswärtigen Beziehungen zu pflegen, die Bereiche Justiz, Polizei,
Steuern, Wirtschaft und die allgemeine Verwaltung zu handhaben und insgesamt
die Rechte seines Herrn zu wahren. Vor allem hatte er in den ersten Jahren den
Wiederaufbau des Blieskasteler Landes voranzutreiben und in seiner gesamten
Dienstzeit musste er mit den zahlreichen Anforderungen zurechtzukommen, die
sich durch die umfangreichen jahrelangen Bauarbeiten auf dem Schlossberg erga-
ben. Hier hatte er sich neben der Organisation des Fuhrwesens vor allem um die
11 Einige Hinweise bei Ernst-Jacob MOHR, Hofgut Neuweiler in Nassau-Saarbrücken,
Neuweiler 1997, S. 2f. Bruch stand 1662-1664 auch mit dem Trierer Kurfürsten in Ge-
schäftsbeziehungen; so lieferte er große Mengen Fassdauben und Steinkohlen nach Trier
(LA Sb vdL, Nr. 6823). Vgl. auch Krämer, Amtmänner (wie Anm. 8), S. 288.
12 Er war wohl im Ehrenamt Zunftmeister der Trierer Wollweber (Barth, Untersuchung,
wie Anm. 8, S. 180).
" Die Berichte finden sich in zwei Aktenbänden des Bestandes von der Leyen im Lan-
desarchiv Saarbrücken (Nr. 2660/61 = a und 2662 = b). Sie wurden von mir bereits für
die erwähnten baugeschichtlichen und andere Beiträge benutzt. Die Bände enthalten
nicht die Konzepte der Schreiben des Freiherrn; relativ selten sind seine Randglossen auf
den Berichten.
14 Ende 1665 waren dem Freiherm unterschiedliche Zahlen aufgefallen: Kellner Buchholtz
hatte von neun Schafen berichtet, die von Wölfen schwer verletzt und in der Küche ge-
schlachtet worden waren, Lommert jedoch nur von acht (fünf weitere waren vollständig
zerrissen worden) (Berichte Lommert vom 1. u. 28.11.1665, b). Eine weitere Unrichtig-
keit war Damian Hartard damals bezüglich der Zahlen über Weinlieferungen aus Burr-
weiler aufgefallen (Bericht Lommert vom 3.12.1665, b).
15 Bericht vom 28.11.1665 (b).
221
nötigen Baugelder zu kümmern, die Raderus beim Kurfürsten zu beschaffen16 und
die Buchholtz immer wieder in Trier abzuholen und den Bauleuten auszuzahlen
hatte. Mitte 1663 - als auch das Bauwesen in einer kritischen Phase stand1 -
musste auch Kurfürst Karl Kaspar nicht nur die außerordentliche Belastung der
Untertanen erkennen, sondern auch feststellen, dem Kellner fallet zu viel, auf alles
Aufsicht zu haben. So sollte Linden wie bisher in Blieskastel in allem gute Anstalt
machen 8 19. Man überlegte, einen Amtmann einzustellen, der vor allem die Jurisdic-
tionalia beobachten sollte - hatte auch bereits einen Kandidaten aber dann siegte
doch die Sparsamkeit oder eher der Geiz der Brüder von der Leyen: Da Damian
Hartard öfter als bisher in Blieskastel weilen werde - wie Karl Kaspar hoffte
könne dieser die dortigen Jurisdictionalia selbst handhaben.
Im Grunde gab es für Buchholtz in all diesen Jahren keinen normalen Verwal-
tungsalltag. Im Gegensatz zu den 1670er Jahren14 waren es allerdings Friedens-
jahre, auch wenn kriegerische Auseinandersetzungen das Land immer wieder be-
rührten. Im Folgenden soll versucht werden, aus den erwähnten Berichten einen
solchen Verwaltungsalltag in seinen einzelnen Facetten lebendig werden zu las-
sen20. Das wird dadurch erleichtert, dass die Nachrichten über das Bauwesen hier
weitgehend ausgeklammert bleiben können, ebenso über die erwähnte Weinversor-
gung des Landes21. In beide Bereiche war Buchholtz - wie schon gesagt - eben-
falls sehr stark eingespannt. In den ersten Jahren wurde er unterstützt durch den
Aufseher und Schreiber Hans Velten (Valentin)22, dann ab Herbst 1665 durch sei-
16 Buchholtz berichtete am 20.11.1664, dringend benötigte 600 Reichstaler bei Raderus an-
gefordert zu haben (a). Am 16.8.1665 (a) bat er den Freiherm, über Raderus 200 Reichs-
taler schicken zu lassen, was auch geschah (Bericht Buchholtz vom 19.9.1665, a); damals
hatte Raderus auch Nägel besorgt (Bericht Buchholtz vom 17.9.1665, a ).
1 Läufer, Neue Forschungen (wie Anm. 4), S. 25-27.
IS Kurfürst an den Freiherm am 1.7. und 12.8.1663 (LHA Ko 48, Nr. 780). Hier auch das
Nachfolgende. - Einige Schreiben Lindens an den Freiherm vom Sommer 1666 in a.
19 Hinweise auf die schwierige Situation auf dem Blieskasteler Schlossberg während des
Holländischen Krieges, mit denen der leyensche Amtmann Johann Simon Rosinus (t
1710) fertig werden musste, bei Wolfgang Läufer, „...stehet über alle Maßen royall und
sehen ...“. Neue Forschungen zur Baugeschichte der Orangerie in Blieskastel, in:
Saarpfalz 2008, H. 1, S. 23-33, hier S. 23f.). Die zahlreichen Berichte von Rosinus befin-
den sich im LA Sb vdL, Nr. 2969a. Vgl. die knappen Hinweise zu seiner Biographie bei
Krämer, Amtmänner (wie Anm. 8), S. 288.
211 Vergleichsarbeiten scheinen für unseren Raum selten zu sein. Zu verweisen wäre etwa
auf die Beiträge von Eduard Ludwig Seibert, Die Amtskeller von Nohfelden, in: Hei-
matbuch Kreis St. Wendel 5 (1953/54), S. 92-97, und Ders., Die Kellerei-Rechnungen
des Amtes Nohfelden, in: Heimatbuch Kreis St. Wendel 6 (1955/56), S. 151-159.
21 Zum Bauwesen vgl. Anm. 4; zur Weinversorgung vgl. Wolfgang Läufer, Pfälzer Wein
in der von der Leyenschen Herrschaft Blieskastel im 17. und 18. Jahrhundert, in: Mittei-
lungen des Historischen Vereins der Pfalz 100 (2002), S. 281-302; DERS., Pfälzer Wein in
der Leyen-Herrschaft Blieskastel im 17./18. Jahrhundert, in: Saarpfalz, Sonderheft 2007,
S. 27-40.
22 Erwähnt im Bericht des Kellners vom 23.9.1664 (a); hier werden auch seine verschie-
denen Tätigkeiten genannt, ferner im Bericht vom 17.9.1665 (a): Valentin wolle sich
bald auf Reise begeben. - Der Aufseher erscheint in den Quellen auch als Haus- und Kel-
lereischreiber. Ein Rest der zeitgenössischen Blieskasteler Hausschreibereirechnungen
im LHA Ko 48, Nr. 1289.
222
nen Bruder Mattheis Lommert. Als dieser im Sommer 1666 seine Absicht be-
kundete, geistlich werden zu wollen, quittierte Linden dies gegenüber dem Frei-
herrn mit Genugtuung; allerdings nicht, weil der junge Mann einen „frommen“ Le-
bensweg einschlagen wollte, sondern weil für den Adressaten dann keine Ausga-
ben für Weib und Kinder anfallen würden23. Offensichtlich beschäftigte Damian
Hartard auch sonst bevorzugt junge Geistliche; sein Trierer Domizil ließ er wäh-
rend seiner häufigen Abwesenheit von einem dortigen Domaltaristen verwalten24.
Das ausgeprägte Kostenbewusstsein der Herrschaft wird bei vielen Gelegenheiten
deutlich.
Was die Größe des Blieskasteler Schlosshaushalts betrifft, so ist zunächst zu
vermerken, dass außer dem Kellner selbst seine Frau im Haus beschäftigt war. Als
sie 1664 niederkommen sollte, rief er - mit Erlaubnis des Freiherrn - seine
Schwiegermutter zu Hilfe25, vor einer Reise nach Irsch 1665 auch einmal die St.
Wendeier Schwester seiner Frau. Buchholz hatte offensichtlich nur bei der Ein-
stellung von Knechten und Mägden einigermaßen freie Hand, ansonsten behielt
sich Damian Hartard eine Anstellung vor, schickte hin und wieder einen neueinge-
stellten Diener nach Blieskastel. Beschäftigt wurden jeweils vier Knechte und
Mägde, die durchweg für ein Jahr gedingt wurden; der Wechsel fand am Jahres-
ende statt. In der Erwartung, bald gute neue Bedienstete anstellen zu können, war
der Kellner Ende 1664 entschlossen, alle Knechte und Mägde wegzuschicken26 *. Im
Jahr darauf, im November 1665, berichtete er, nur eine Magd und die Viehmagd
würden bleiben, zwei Mägde seien bereits neu gedingt worden. Die Knechte
schickten sich, gestalt ich mit Schlagen zum Fleiß sie bracht21, Zwei Knechte, star-
ke und getreue Fuhrknechte, erhielten Ende 1665 sogar eine Lohnerhöhung von 1
‘/2 bzw. 1 Reichstaler, nachdem sie damit gedroht hatten, den Dienst zu verlassen.
Die beiden neuen, die Lommert in Saarbrücken gedingt hatte, erhielten jeweils 20
Reichstaler Jahreslohn. Gesinde, das etwas wert sei - so der Aufseher damals -, sei
nur schwer zu bekommen. Nach dem Verdingnis wurden die vier Knechte auf Kos-
ten der Herrschaft im Wirtshaus mit 5 Maß Wein traktiert; der Schmied leistete
Gesellschaft28 *.
Die Bediensteten traten der Herrschaft durchaus mit Selbstbewusstsein entge-
gen. Anfang 1666 forderte Knecht Thomas für alle Sonn- und Feiertage einen
Trunk Wein und brachte damit Unruhe unter die anderen, die auch so fleißig, treu
in der Arbeit sind und ihre Pferde handhaben, wie es geziemt29 Die Personaleng-
pässe bestanden wohl noch lange Zeit. Ende 1667 klagte der neue Aufseher Johann
Linden am 8,7,1666 an den Freiherm (a).
Einige wenige Schreiben des Dompropstes von 1665 an Caspar Stephani, Altaristen des
Hohen Domstifts Trier, in LHA Ko 48, Nr. 4269.
Bericht Buchholtz vom 24.12.1664 (a). - Die Beschäftigung von Verwandten war offen-
bar nicht selten. Am 28.1.1670 berichtete Aufseher Falckenstein, die Frau Kellnerin
(Zeppenfelt) habe die Tochter ihrer Schwester zu sich vorne in die Küche genommen (a).
j6 Bericht Buchholtz vom 24.12.1664 (a).
‘ Bericht Buchholtz vom 6.11.1665 (a).
j8 Bericht Lommert vom 29.12.1665 (b).
Bericht Lommert vom 22.1.1666 (b).
223
Georg Falckenstein, Nachfolger von Lommert, Kanonikus von St. Paulin in Trier30 31 32 33 * * 36 37 *,
nicht einige, der Haushaltung erfahrene Mägde zu bekommen Der neue Kellner
Baur bestätigte dies; er sei mit dem Personal übel darahn. Es fehlte damals nicht
nur ein Koch, sondern auch eine Bock- oder Viehmagd. Die Knechte wollten blei-
ben, doch einer verlange mehr Lohn '“.
Der Dienst vor allem der Fuhrknechte muss zumindest zeitweilig sehr schwer
gewesen sein. Im April (?) 1670 berichtete Falckenstein seinem Herrn nach Trier:
Hans Jakob Knöcht, der von I. Gn. hier gelassen, um den Sabellkarren [Sandkar-
ren] zu führen, ist nächtens mit noch einem hiesigen Fuhrknecht durchgegangen.
Es wurde ihnen nachgeschickt, aber nichts zu erfahren, wohin sie sich wandten; an
seine Stelle anderer gesetzt '. Höchst ungnädig reagierte der Kurfürst auf einen nur
angekündigten Weggang von bewährten Knechten: Als Jörg und Benedikt, die bei-
de bei den täglichen Steinfuhren eingesetzt wurden, die Absicht äußerten, sich an-
dernorts niederzulassen, sollten sie nach dem Willen Karl Kaspars Ende April 1662
zur Compagnie geschickt werden, sofern Ersatz vorhanden wäre’4.
Eine außerordentliche Herausforderung in all den Jahren bedeutete für Buch-
holtz - wie erwähnt - die Organisation des Fuhrwesens. Nicht nur für die Bauma-
terialien und die Hofwirtschaft fielen zahlreiche Transporte an, sondern auch für
die regelmäßigen Weinfuhren nach Burrweiler, die Salzfahrten nach Bernkastel,
später nach Lothringen, und die Viktualienfahrten für den domherrlichen Haushalt
in Trier. Hinzu kamen Sondertransporte, etwa von Fischsetzlingen (Setzkarpfen)
aus Hingsingen und Kastanienbäumchen aus Burrweiler. Mitte 1666, als der Fuh-
renmangel besonders gravierend war, liefen allein im Schlossbereich sechs Wagen
für das Bauwesen: Drei fuhren Sand, einer Hausteine, einer Wasser zur Löschung
des Kalks, einer Wasen für die Gartenarbeiten des Friesen ”. Herangezogen wurden
zu den Ferntransporten auch regelmäßig Fronwagen und gedingte Fuhren. Für die
umfangreichen Holztransporte aus den Neunkircher Waldungen und sonstige Mas-
sentransporte wie etwa von Leien vom Saarbrücker Hafen konnten auch die Un-
tertanen der Nachbarterritorien gegen Bezahlung herangezogen werden, Pfalz-
Zweibrücker und Nassau-Saarbrücker. Alle erhielten üblicherweise ein Mittages-
sen: Fleisch, Gemüse, dazu Bier und Wein’6. In späteren Jahren wurden auch kur-
trierische Soldaten bei Hilfsarbeiten beschäftigt, so in den Gartenanlagen3 .
Hinweise in den Quellen auf die Größe des freiherrlichen Haushalts in Blies-
kastel sind selten. Die Zahlen werden wohl geschwankt haben. Am 30. April 1662
teilte der Kellner seinem Herrn mit, bei der Schafschur am 27. seien mit denen, die
täglich hier sind, 60 Personen gespeist worden. Kurz zuvor habe man an die 42
Fröner gehabt. Jetzt seien täglich 20 Personen zu speisen, wobei etwaß uffgehet.
0 Als solcher erscheint er noch Ende 1685 als leyenscher Bedienter in Blieskastel (Her-
mann Peter Barth, Das Stiftungsbuch der hl. Kreuzkapelle zu Blieskastel, in: Zeitschrift
für die Geschichte der Saargegend 14(1964), S. 123-142, hier S. 140, Nr. 270).
31 Bericht vom 4.11.1667 (a).
32 Bericht Baur vom 15.12.1666 (LA Sb vdL, Nr. 2777).
33 a.
’4 Bericht Buchholtz vom 30.4.1662 (a).
Bericht Buchholtz vom 6.6.1666 (b).
36 Berichte Buchholtz und Lommert vom 28.2.1666 (b).
37 So im Herbst 1667 (LHA Ko 48, Nr. 1289). Einige Hinweise bei Läufer, Neue For-
schungen (wie Anm. 4), S. 39-41.
224
Das gehe so den ganzen Sommer über, weshalb der Adressat die Komversorgung
bald geschehen lassen möge''8. Ob und in welchem Umfang auch Bauhandwerker
mitversorgt wurden, muss offenbleiben. Zum Haushalt gehörten jedoch zwei Ka-
puziner, die während ihrer monatelangen Anwesenheit in Blieskastel besondere
Anforderungen an Küche und Keller stellten: Der bereits erwähnte, vom Kurfürs-
ten sehr geschätzte Baumeister Bruder Bonitius und sein Begleiter, Pater Corne-
lius, der auch in der Seelsorge aushalf30. Hin und wieder waren auch weitere be-
sondere Gäste zu bewirten, wozu mitunter der örtliche Pfarrer hinzugeladen wur-
de* 40.
Vom eigentlichen Hauspersonal über die erwähnten Knechte und Mägde hinaus
erfahren wir aus den Quellen auffallend wenig. Das erklärt sich aus der Tatsache,
dass die Blieskasteler Diener dem Freiherm nur über diejenigen Dinge berichteten,
die diesen interessierten oder wo er Rechenschaft erwartete. Als der Kellner im
April 1662 hörte, in St. Wendel sei eine Köchin zu bekommen, schickte er sofort
den Einspännigen Hans dorthin41. Ende 1667 hoffte der neue Kellner Baur, in Trier
einen neuen Koch anwerben zu können42. Erwähnt wird 1666 ein Biermacher, der
zugleich Branntwein herstellte43. Deutlicher tritt in den Quellen der Bäcker hervor.
Anfang Juli 1665 traf in Blieskastel der von Damian Hartard geschickte neue Bä-
cker und Jäger ein, der auch gleich drei Stäuberhuntgen mitbrachte44. Sowohl Kell-
,s Der Kellner hatte deswegen auch schon zweimal dem Kurfürsten geschrieben (Bericht
Buchholtz vom 30.4.1662, a).
y> Zu ihnen einige Hinweise für 1666 bei Wolfgang Läufer, Neue Baunachrichten zum
Blieskasteler Schloßbau durch Damian Hartard von der Leyen aus den Jahren 1661-1666,
in: Florilegium Artis. Festschrift für Wolfgang Götz, hg. von Michael Berens, Claudia
Maas und Franz Ronig, Saarbrücken 1984, S. 83-90, hier S. 84, mit Anm. 15, S. 90.
40 So der Domdechant von Speyer, der Trierer Domschotaster und ein Herr Horst, die ge-
hofft hatten, in Blieskastel den Freiherrn anzutreffen. Ihnen wurde nach Möglichkeit auf-
gewartet, so Buchholtz in seinem Bericht vom 3.9.1665 (a). Als man Herren aus Metz
erwartete, wohl hohe Geistliche, die hier in der Sache des Pastors von Reinheim tätig
wurden, wurde ein junges Schaf in der Küche geschlachtet (Bericht Lommert vom
7.7.1666 (b).
41 Bericht Buchholtz vom 30.4.1662 (a).
4" Bericht Baur vom 15.12.1667 (LA Sb vdL, Nr. 2777).
43 Er hatte aus dem Fass mit abgefallenen rahnen Wein 6 Maß Branntwein gebrannt, die
Maß zu 2 Kopfstück. Der Branntwein wurde dem Wirt im Flecken und dem Biermacher
zum Verzapfen übergeben (Bericht Lommert vom 28.2,1666, hier auch weitere Angaben
zum Branntwein, b).
44 Bericht Buchholtz vom 5.7.1665 (a). - Gut ausgebildete Jagdhunde hatten offenbar einen
erheblichen Wert. Am 24.12.1664 (a) berichtete der Kellner, der Feldhühnerhund sei
wiedergekommen (Gott sei Lob). Ende 1665 hatte der Jäger zu Gersheim den Hund bei
sich. Beim Anmarsch von Kriegsvölkem salvierte er ihn nach Reinheim (Bericht Buch-
holtz vom 29.11.1665, a). Im Sommer des Jahres hatte sich Buchholtz als magischer
Heilkundiger betätigt: Als die drei Schlosshunde nachts von einem fremden Hund ge-
bissen worden waren, ließ er sie in der Blies schwimmen, gab ihnen gesegnetes Wachs
mit einigen Zettelchen ein - wohl mit Segenssprüchen — und brannte sie mit dem eigens
aus St. Wendel geholten Hubertusschlüssel; dann sperrte er die Hunde ein, um die Fol-
gen der Bisse abzuwarten (Bericht Buchholtz vom 5.7.1665, a). Der Freiherr lehnte diese
magischen Praktiken durchaus nicht ab, glaubte vielmehr ebenfalls an sie. - Einen mög-
licherweise mittelalterlichen Hubertusschlüssel aus Nonnweiler stellte Theo Schmidt vor
225
ner wie Aufseher stellten ihm Ende des Jahres jedoch kein gutes Zeugnis aus. Ob-
wohl er ihm bereits zwei Hemden, drei Halstücher, ein Paar wollene Strümpfe, ei-
nen Hut, ein rotes wollenes Hemd und zwei Paar Schuhe habe kaufen oder machen
lassen, wolle er noch mehr haben. Sein Begehren und Habenwollen übertrifft aber
seinen Fleiß, wozu er will getrieben sein, wie auch beschieß. Auch der neue Bä-
cker, der Böhme, zeigte sich ebenfalls durchaus selbstbewusst. Als er bei einem Eng-
pass aufgefordert wurde, die ausgesetzte Hammel zu weiden, weigerte er sich* 46.
Etwas mehr erfahren wir vom Jäger. Am 5. Januar 1666 übersandte der Kellner
eine ganze Anzahl Vögel, die der neugedingte Jäger Anton gefangen hatte47. Er
war von Damian Hartard zu ebendiesem Zweck eingestellt worden. Bald forderte
er Quartier auf dem Schloss. Der Kellner hoffte, ihn auch in anderen Bereichen
einsetzen zu können, so - wenn er lesen und schreiben könne - beispielsweise als
Amtsbote. Er könne durch das Amt geschickt werden, die säumigen Schulder zur
Zahlung zu treiben, daneben auch dem kleinen Webwerk nachgehen48 49. Am 28. Feb-
ruar 1666 übersandte der Kellner weiteres Wildbret, das der neue Jäger geliefert
hatte. Bei dieser Gelegenheit, teilte er mit, dieser habe neue Schuhe gefordert. Buch-
holtz händigte ihm 2 Reichstaler für Strümpfe auf seinen Jahrlohn aus und erwartete
vom Freiherm weitere Befehle46. Wenig später berichtete der Kellner seinem Herrn,
der Jäger habe bis jetzt nur zwei Hasen geschossen. Er gehe zwar fleißig aus, trifft
auch ziemlich an, doch weil er nicht schießen kann, was liegenbleibt, vermeint, es
sei ihme was Böses geschehen50 51; er glaubte sich also verhext. Ende Oktober deute-
te der Jäger an, im nächsten Jahr nicht bleiben zu wollen"1, ln der Hoffnung, mehr
Glück im Waidwerk zu haben, ging er am Jahresende nach Burrweiler. Wildbret
lieferten auch die herrschaftlichen Schützen in den einzelnen Orten. Sie hatten dort
zugleich den Weinschank, der ganz in der Hand des Freiherm lag.
Ein Gärtner wird nur gelegentlich erwähnt, allerdings nur als Briefbote"2. Als
solcher wurde auch der Pförtner eingesetzt'"3.
Die Herrschaft beschäftigte auch einen Fischer bzw. Forellenfänger. Im No-
vember 1665 fing dieser im Bebelsheimer Bach 200 Forellen, die alle in den
Wecklinger Weiher gesetzt wurden"4. Ende des Monats waren es 353 Forellen aus
dem St. Ingberter Bach, die teilweise in den dortigen Weiher eingesetzt wurden.
Ein weiterer Teil wurde eingesalzen zum freiherrlichen Hof in Trier gesandt; wei-
tere sollten mit Essig eingemacht werden. Man schickte dem Forellenfänger täglich
Fleisch, Käse und Brot hinaus; dennoch war er unzufrieden und forderte noch ei-
(Kleinodien des rheinischen Hubertuskults, in: Heimatbuch Kreis St. Wendel 5
(1953/54), S. 79-85).
4" Bericht Buchholtz vom 29.11.1665 (a) und Bericht Lommert vom 29.12.1665 (b). Am
13.1.1666 schickte der Kellner dem Freiherm eine Spezifikation der seit der Anwesenheit
des Bäckers am 26.6. angefertigten Kleidung (b).
46 Berichte Buchholtz vom 28.4. und 16.5.(7)1666 (b).
4 Bericht Buchholtz vom 5.1.1666 (b).
Bericht Buchholtz vom 21.1.1666 (b).
49 Bericht Buchholtz vom 28.2.1666 (b).
5l} Bericht Buchholtz vom 16.5.(7) 1666 (b).
51 Bericht Lommert vom 20.10.1666 (b)
"2 So in den Berichten von Buchholtz vom 20.11.1664 (a) und 6.11,1665 (a).
Bericht Buchholtz vom 14.9.1662 (a).
4 Bericht Buchholtz vom 6.11.1665 (a).
226
nen Schoppen Wein '5. Fische lieferte auch der Müller6. Im Frühjahr 1666 hoffte
der Kellner, im leyenschen Otterbach Krebse zu erhalten, die in den Medelsheimer
Weiher gesetzt werden sollten, in dem noch alte Mauern stünden67. Die Aufsicht
über die herrschaftlichen Weiher hatten örtliche Untertanen, denen die Fronden er-
lassen wurden. Dem Niederwürzbacher Aufseher genügte dies nicht; Anfang 1664
wollte er nur weiter tätig bleiben gegen zwei Malter Korn und ein Paar Schuhe* 56 * 58.
Auch hier treffen wir also auf Selbstbewusstsein und das Wissen um den Wert der
Arbeitskraft.
Eine besondere Rolle spielte der Schmied Nicola, ein Franzose, allerdings of-
fenbar nicht so sehr in seinem Handwerk, sondern vielmehr als Dolmetscher. Als
Ende 1664 die Kriegsgefahr anstieg, schickte der Kellner ihn nach Burrweiler, um
dem dortigen Amtmann Christoffel mit der Sprache und allem sonst beizusprin-
gen59. Unentbehrlich waren seine Sprachkünste auch im Verkehr mit dem Metzer
Generalvikariat, vor allem im Streit wegen des Reinheimer Pfarrers. Die Kirchen-
behörde beharrte zudem darauf, dass der Schriftverkehr nur in französischer Spra-
che erfolgte60. Aus diesen und anderen Hinweisen gewinnt man den Eindruck, dass
Französischkenntnisse im Westrich damals nicht sehr verbreitet waren61.
Wendet man sich der Tätigkeit des Kellners in seinen einzelnen Verantwor-
tungsbereichen zu, so ist zuächst die Landesverteidigung anzuführen. Anfang 1664
hatten lothringische Völker in Erfweiler, Wittersheim und Bebelsheim mit der An-
drohung von Sengen, Brennen, Rauben und Plündern Kontributionen gefordert und
eine Frist von zwei Tagen gesetzt. Buchholtz bot daraufhin das ganze Amt auf und
wartete mit den Mannschaften62 in den Dörfern Bebelsheim und Reinheim auf die
Rückkehr der Soldaten; aber es erschien niemand. Der Kellner ritt daraufhin per-
sönlich zum lothringischen Kommandanten, um wegen des Vorfalls zu protestie-
ren62. Ende 1664, beim teilweisen Rückmarsch der Lothringer von ihrem Einsatz in
Erfurt, erkundigte sich der Kellner zusammen mit Schrämbgen persönlich im
Bericht Buchholtz vom 29.11.1665 (a).
56 Berichte Buchholtz vom 6. und 29.11.1665 (a). Der Müller opponierte gegen die bisheri-
ge Verpflichtung, der Herrschaft zwei Drittel des täglichen Fangs zu überlassen.
Bericht Buchholtz vom 28.4.1666 (b).
58 Bericht Buchholtz vom 24.1.1664 (a). Zur Fischzucht in Blieskastel vgl. Wolfgang Läu-
fer, Wildpret für Damian Hartard von der Leyen, Dompropst in Trier. Zum Wirtschafts-
leben in der Herrschaft Blieskastel in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Kurtrieri-
sches Jahrbuch 36 (1996), S. 193-205, hier S. 200f. (dortige Karte hier übernommen)
59 Bericht Buchholtz vom 24.12.1664 (a). - Der welsche Schmied nahm später an einem
Kriegszug teil. 1673 wurde ihm vor Maastricht beim Sensendengeln durch eine Kano-
nenkugel der Kopf abgerissen (Bericht des Blieskasteler Amtmanns Rosinus vom
6.7.1673, LA Sb vdL, Nr. 2669a).
60 Bericht Buchholtz vom 28.2,1666 (b).
Der Pastor von Blieskastel (Philipp Lassart) hatte die französisch abgefasste Metzer Vor-
ladung in Sachen des Pfarrers von Reinheim nicht lesen können und sie deshalb dem Prior
von Gräfintal geschickt, worüber der Termin verfiel! (Bericht Buchholtz vom 13.1.66, b).
Die Stärke ist kaum zu schätzen. Als Graf Gustav Adolf von Nassau-Saarbrücken in den
heftigen Auseinandersetzungen mit von der Leyen bzw. Kurtrier einen militärischen Zu-
sammenstoß erwartete, hatte er um die Jahreswende 1669/70 etwa 150 Mann im Köller-
tal zusammengezogen (Bübingen, ein Dorf im Alten Reich, hg. von Wolfgang Läufer,
Saarbrücken 1989, S. 151).
Bericht Buchholtz vom 24.1.1664 (a).
227
Homburg über Stärke und Weg der Truppen. Die Lage entspannte sich, als die
Lothringer wegen des großen Blieshochwassers ihren Weg nicht durch das Amt
Blieskastel nehmen konnten, sondern das Bitscher Land passieren mussten. So
konnte Buchholtz auch den vorsorglich nach Medelsheim geschickten Wein, den er
den Offizieren hatte anbieten wollen, wieder zurückholen. Für diesmal, so stellte er
fest, also kein Schaden noch Kosten*4. Vor allem in der zweiten Jahreshälfte 1665
häuften sich die Truppendurchmärsche von Lothringern und Franzosen05. Als ein-
mal Bier und Brot gefordert wurden, musste der Kellner dies wegen der großen
Zahl abschlagen. Jedem Soldaten der Leibkompagnie zu Fuß hatte er zuvor ein
halbes Maß Bier und ein Stück Brot gereicht06. Als Buchholtz Ende Oktober mit
dem Saarbrücker Grafen wegen des dortigen Hafenzolls verhandelte, schlug dieser
vor, sich bei Durchmärschen gegenseitig zu Hilfe zu kommen67. Ende 1665 kam es
zu einer gefährlichen Situation, die wiederum auch den persönlichen Mut des Kell-
ners erforderte. Zunächst verlief der Durchzug der Lothringer ohne Zwischenfalle.
Der Kellner bot am 22. November abends Oberst Duplessi, der mit 200 Reitern
Blieskastel passierte, einen Trunk Wein an. In der Nacht wurde Buchholtz jedoch
von zwei Reinheimer Untertanen alarmiert, die berichteten, ein lothringischer Rei-
ter der Leibgarde fordere unter Drohungen Geld. Der Kellner ritt mit ihnen zurück
nach Reinheim und stellte den Übeltäter zur Rede. Er bot ihm Fleisch, Brot und
Pferdefutter an, verweigerte aber das Geld, worauf der Soldat unter Morddrohun-
gen davonritt. Buchholtz blieb noch bis zum Ende des Durchmarsches am 25. No-
vember im Ort. Zur Erleichterung des Kellners wurden dabei die leyenschen Dör-
fer geschont, die benachbarten lothringischen aber von den eigenen Truppen gahr
ruiniert68. Die üblicherweise den leyenschen Gemeinden übergebenen Schutz-
briefe04 waren offenbar nicht ohne Wirkung geblieben. Die Beispiele zeigen, dass
der durch den Landesherm gewährte „Schirm“, für den die Untertanen Abgaben
leisteten, durchaus nicht nur auf dem Papier stand. Als die Lothringer im Sommer
1666 zu Habkirchen und Wustweiler Steur und Unterhalt suchten, griff der Kur-
fürst selbst ein: Er schickte fünf Soldaten und einen Einspännigen dorthin, die Sau-
vegarde zu manuteniren0. Offenbar war dies eine ausreichend starke Truppe, um
der Situation Herr zu werden.
Die Zerrissenheit der Grenzen und der Flickenteppich der Territorien und Rech-
te im Westrich erklären die Tatsache, dass immer wieder nachbarliche Strei-
tigkeiten zu klären waren. Der Kellner hatte deswegen nicht nur Korrespondenzen
zu führen, sondern auch persönlich mit den benachbarten Herrschaften und ihren
Beamten zu konferieren. Mitunter sah er sich auch Drohungen gegenüber, so Ende
1661 als der lothringische Amtmann von Saargemünd ultimativ von jedem Haus-
halt des Bebelsheimer Tals zwei Fass Schirmhafer und ein Huhn forderte, wovon * 65 66 67 * 69 70
04 Bericht Buchholtz vom 20.11.1664 (a).
65 Vor allem die lothringischen Durchmärsche in Richtung Pfalz schilderte Buchholtz aus-
führlich am 25.8. und 3.9.1665 (a).
66 Er erbat Anweisungen des Freiherm (Bericht Buchholtz vom 3.9.1665, a).
67 Bericht Buchholtz vom 26.10.1665 (a).
Schilderung der Ereignisse durch Buchholtz am 29.11.1665 (a).
69 Dazu Details im Bericht Buchholtz vom 16.5.(7)1666 (b).
70 Bericht Linden an den Freiherm vom 9.7.1666 (a).
228
die Untertanen jedoch nichts wussten71. Im März 1665 meldete Buchholtz, der
Landschreiber von Zweibrücken habe Gelder einbehalten, weil der Admodiator zu
Wecklingen den Erbzins vom Herbitzheimer Fischwasser nicht entrichtet habe72.
Anfang Juli desselben Jahres ritt der Kellner nach Frauenberg. Die Gräfin von
Eberstein hatte durch ihren dortigen Amtmann vier Untertanen von Habkirchen,
deren Weiber zu Frauenberg leibeigen sein sollen, aufgefordert, binnen drei Mo-
naten ihre dortigen Güter wieder zu beziehen, sonst würden diese eingezogen73.
Öfters hatte der Kellner mit den lothringischen Festungskommandanten von Hom-
burg und Bitsch zu verhandeln, so mit letzterem wegen langanhaltender Zollstrei-
tigkeiten betreffend Medelsheim. Er musste sich vom Freiherm Ende 1666 jedoch
vorwerfen lassen, die Sache nicht energisch genug betrieben zu haben74.
Mehrere Streitfragen mit Nassau-Saarbrücken standen an, so 1665 um den St.
Ingberter Bann. Hier war eine Bannbegehung geplant. Deshalb wollte Buchholtz
den kurtrierischen Schultheißen von St. Wendel beiziehen78, der auch sonst tätig
wurde, wenn größere Kompetenz, Erfahrung und Gewicht in Verhandlungen ein-
zubringen waren. Zur selben Zeit wurde auch um Eschringen gestritten, für das
Nassau die Landesherrschaft beanspruchte. Der Kellner schlug dem Grafen Gustav
Adolf eine dortige Zusammenkunft der vier Herren vor79, die am 19. Februar statt-
fand, aber ergebnislos endete. Um Ostern sollte ein Jahrgeding gehalten und ein
Schöffenweistum eröffnet werden, um die Abgaben festzulegen77. Weit über die
Möglichkeiten auch des neuen Kellners hinaus ging der außerordentlich schwere
Streit mit Nassau-Saarbrücken, der nach der Erwerbung des hohenzollerisch-
hechingischen Besitzes durch von der Leyen 1667 ausbrach und der erst 1670 mit
dem Austausch von Bübingen und Rösseln gegen Gersheim sein Ende fand. Hier
war nicht nur das persönliche Eingreifen Damian Hartards gefragt, sondern vor al-
lem die Machtmittel des Kurfürsten selbst 8. Den Höhepunkt markierte die Visita-
tion des Westrich durch den neuen Metzer Bischof D'Aubusson im Sommer 1669
auf Betreiben Karl Kaspars79.
Bei wichtigen Vorhaben benannte von der Leyen auch besondere Beauftragte,
so als es um den Bezug von lothringischem Salz ging. Bis 1666 hatte sich das Amt
Blieskastel mit niederländischem Salz versorgt, das über Köln, Bemkastel und St.
Berichte Buchholtz vom 29. und 31.12.1661 (a).
Bericht vom 11.3.1665 (a).
Bericht Buchholtz vom 5.7.1665 (a).
4 Berichte Buchholtz vom 28.2., 28.4., 3. und 17.11.1666 (b), auch Bericht Lommert vom
3.11.1666 (b).
Berichte Buchholtz vom 29.11. und 26.12.1665 (a). Über St, Ingbert wollte man am 4.3.
in Eschringen verhandeln (Bericht Buchholtz vom 17.2.1666; hier auch Auskünfte über
die hochrangige Zusammensetzung der Delegationen, b).
76 Bericht Buchholtz vom 26.12.1665 (a).
77 Bericht Buchholtz vom 27.2.1666 (b).
8 Schilderung der Ereignisse in: Läufer, Bübingen (wie Anm. 62), S. 146-153.
9 Wolfgang Läufer, Die erste Visitation des Metzer Bischofs im östlichen Teil der Diöze-
se Metz nach dem Westfälischen Frieden, in: Die alte Diözese Metz. Referate eines Kol-
loquiums in Waldfischbach-Burgalben vom 21. bis 23. März 1990, hg. von Hans-Walter
Herrmann (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung 19), Saarbrücken 1993, S. 225-249.
229
Wendel bezogen wurde80. Der Gedanke, wie einige Nachbarn künftig lothringi-
sches Salz einzukaufen, erscheint erstmals im Bericht des Kellners vom 10. März
166681 *. Schon am 15. März gab Damian Hartard einem Herrn Moseler Instruktio-
nen für Verhandlungen, zunächst mit dem lothringischen Generalprokurator in
Wallerfangen87. Von der Leyen wurde dann schnell mit Lothringen einig, auch
weil sich der Kurfürst wegen des Zolls eingeschaltet hatte. Bereits am 6. April hat-
te Moseler in der Saline Rozieres einen Vertrag ausgehandelt83, und fortan konnten
die vor allem von Medelsheim ausgehenden leyenschen Fuhren regelmäßig in
Dieuze Salz abholen84.
Was die Handhabung von Justiz und Polizei anging, so ist zu vermerken, dass
der Kellner ein Frevelregister führte. Frevel und Strafen wurden bei der jeweiligen
Anwesenheit des Freiherrn in Blieskastel examiniert und taxiert, bei dessen Abwe-
senheit hin und wieder auch mit Hilfe des Blieskasteler Gerichts85. Mitunter fielen
größere Aktionen an: Am 23. September 1664 berichtete Buchholtz, er habe auf-
tragsgemäß in Münchweiler den dortigen Schultheißen Johannes Schmit vorm gan-
zen Gericht und Münchweiler Gemeinde abgesetzt und ad interim Hans Nickel von
Gries an dessen Stelle gesetzt. Schmit erhielt drei Wochen Zeit, die angesetzten
Frevel zu zahlen86. Anfang 1666 legte der Kellner dem Freiherm die Ehebruchsa-
che (delictum adulterii) des Schultheißen von Medelsheim zur Entscheidung in
foro fori vor. Geklagt hatte Hermann von Sauweiler87.
Hin und wieder wird in den Quellen auch etwas von jener Alltagsdelinquenz
sichtbar, die sich aus der Zusammenballung einer zahlreichen Handwerkerschaft
unterschiedlicher Nationalität und auch Konfession ergab. Beim Wein in der Blies-
kasteler Wirtschaft entstanden immer wieder Auseinandersetzungen. Auffallend ist
die häufige Beteiligung des trinkfreudigen Meisters Franz, was auch daran gelegen
haben mag, dass Buchholtz wegen seiner Feindschaft mit Franz dessen Delikte be-
sonders hervorhob. So berichtete er Anfang Februar 166 688, der Schütze Hans von
Ormesheim sei durch Meister Franz und andere dergestalt beängstigt worden we-
gen seines mit ihm gehabten Streits, dass er sich bis heute nicht nach Hause ge-
traut, sondern sich continuierlich im Wald verberge. Näheres teilte der Kellner we-
nig später mit89: Der Schütze und Meister Franz seien beim Wein [...] in Zanck ge-
rathen. Ersterer habe mit Totschießen gedroht und sei dann aus Furcht vor dem
80 Bericht Buchholtz vom 30.4.1662 (a).
81 Bericht Buchholtz (b).
87 b (hier auch weitere Akten).
83 Kopie in b. - Moseler verpflichtete sich, 100 Muids Salz zu 5 Dukaten pro Muid vor Ort
abzunehmen.
84 Im Juni 1666 holten vier Fuhren 11 Mutten Salz in Dieuze ab (1 Mutte zu 28 1/3 Fass,
pro Fass 4 Kopfstück Verkaufspreis in Blieskastel). Zehrung, Laderlohn, Zoll, Wegegeld
und Jura beliefen sich für die vier Wagen auf 13 Reichstaler (Bericht Buchholtz vom
25.6.1666, b). - Lommert berichtete am 20.10.1666 auch über die Wege, die die Fuhren
genommen hatten (b).
85 Bericht Buchholtz vom 11.3.1665 (a).
86 a. - Am 2.10.1664 teilte Buchholz mit, der amovirte Schultheiß wolle wegen der Frevel
zum Freiherm nach Trier reisen (a).
87 Bericht vom 27.2.1666 (b).
XK Bericht Buchholtz vom 6.2.1666 (b).
89 Bericht Buchholtz vom 28.2.1666 (b).
Turm geflohen. Nun sage der Schütze, er wisse von allem nichts mehr, sei sehr be-
rauscht gewesen, biete aber Satisfaktion an. Auch der neue Aufseher Johann Georg
Falckenstein musste über schwere Vorfälle berichten00: Am 30. Oktober 1667 sei
unter den Steinhauern im Wirtshaus eine Schlägerei entstanden, so dass der Wirt
die Glocke gestürmt habe und alle Bürger und Einwohner des Fleckens mit ge-
wehrter Hand erschienen seien. Die Auctores, Meister Franz und Meister Peter,
hätten die Bürgerschaft jedoch wüst beschimpft, so dass Falckenstein sie auß
Gudtduncken der Herren Patrum durch den Amtsboten auf das Schloss fuhren las-
sen wollte; im Tumult war aber niemand zu fassen gewesen. Am nächsten Tag sei
im Bihrhaus neuer Handel und Schlägerei durch Meister Franz und den Müller
entstanden. Ersterer habe letzerem ein Glas Wein ins Gesicht geschlagen, worauf
der Müller ihm mit einer Kanne Bier an den Kopf geschlagen und verletzt habe.
Über einen Wirtshausstreit zwischen einem calvinistischen Schweizer Zimmer-
mann und dem wohl katholischen Blieskasteler Zieglermeister berichten die Quel-
len des Jahres 1670. Offenbar wollte der Ziegler, schon etwas beweint oder trun-
ken, den Schweizer mit blasphemischen Reden über die Gottesmutter provozie-
ren01. Bei schweren Vergehen verhängte die Blieskasteler Justiz nicht nur Geldstra-
fen oder Kerkerhaft, sondern verfügte auch die Landesverweisung.
Einen breiten Raum nimmt in den Kellnerberichten die langwierige Sache des
Pastors Niclas von Reinheim ein, über dessen Magd sich die Pfarrkinder Ende
1665 beklagt hatten. Auf die Geschichte bin ich an anderer Stelle ausführlich ein-
gegangen* * 92 *. Anfang Juli 1666 wünschte Linden, die Angelegenheit ginge endlich
voran, womit der vermessener Gesell [Pastor Niclas] dermalen eins gezüchtiget
werde92,. Endgültig klärte wohl der Metzer Bischof die Sache im Verlauf seiner Vi-
sitation im Westrich 1669.
Der Kellner trug nicht nur Verfehlungen einzelner Untertanen in das Frevelre-
gister ein, sondern auch diejenigen von Gemeinden; er führte also die Aufsicht
über sie. So notierte er im November 1664, die Gemeinde St. Ingbert habe ohne
sein Wissen 14 Schweine von Nachbarorten in ihre Herde aufgenommen94. Am 11.
März 1665 berichtete er dem Freiherrn, Kaufherr Cornelius Zimmermann habe im
Ormesheimer Gemeindewald etwa 100 Stämme für 100 Reichstaler gekauft und
gleich mit dem Fällen begonnen. Als er, Kellner, davon erfahren habe, habe er die
Arbeiter durch den Amtsboten aus dem Wald weisen lassen. Die Gemeinde erbitte
nun die Genehmigung des Freiherrn; sie brauche Geld für das Hirtenhaus und zur
Abzahlung von Schulden. Für diese Verfehlung drohte sowohl der Gemeinde als
auch dem Käufer eine Strafe95. Hier begegnen wir also dem regen Holländerholz-
911 Bericht vom 4.11.1667 (a).
M Der Ziegler war in das pfälz-zweibrückische, benachbarte Webenheim geflohen; als man
ihn dort nicht mehr haben wollte, schlich er sich wieder nach Blieskastel. Wegen der
großen Kälte wollte der Kellner ihn nicht in den Karzer sperren; so konnte er erneut flie-
hen. Reste seiner Untersuchungsakte in LA Sb vdL, Nr. 2777. Hier auch Belege für das
Nachfolgende. Zum Gefängnisturm auf dem Blieskasteler Burgberg vgl. Läufer, Neue
Forschungen (wie Anm. 4), S. 31-33.
9l1 Läufer, Visitation (wie Anm. 79), S. 244f., mit Anm. 112.
0 Sein Schreiben an den Freiherm vom 6.7.1666 (a). - Auf weitere Einzelnachweise aus
den Kellnerberichten verzichte ich hier.
M Bericht Buchholtz vom 20.11.1664 (a).
95
231
handel,6. Wegen der Medelsheimer Obligationes [habe er] der Pfar vorgehalten
und - wie befohlen - Anforderung getan, meldete der Kellner seinem Herrn am 17.
September 1665 in einer anderen, nicht näher erläuterten Sache. Die Untertanen
hätten daraufhin erklärt, bei „Ihren Gnaden“ Abbitte zu tun47. Mitunter musste
Buchholtz auch von Fronverweigerung durch die Untertanen berichten, so im Ja-
nuar 1666, als die Rubenheimer dem Friesen beim Weiherbau hatten helfen sol-
len48. Zur selben Zeit weigerten sich diejenigen von Ballweiler und Biesingen, we-
der die anteiligen Kosten der Reparatur des Blieskasteler Schulhauses zu über-
nehmen, noch für dessen Unterhalt beizusteuern96 97 98 99.
ln vielfältiger Weise war Buchholtz auch sonst für die Herrschaft tätig. Am 1.
Dezember 1661 ritt er zusammen mit Schrämbgen und dem Wölferdinger Schwei-
zer Hans Jakob in das benachbarte Wustweiler, um dort die Möglichkeit zu erkun-
den, die Hauptschweizerei einzurichten100. Auch bei Erwerbungen wurde der Kell-
ner eingeschaltet. So tätigte er Anfang November 1664 vor Meier und Gericht zu
St. Ingbert einen Kauf von Gütern des ehemaligen Meiers. Später stellte sich her-
aus, dass der Meier sich herrschaftliche Güter angeeignet hatte, was der Kellner
untersuchen sollte101 102 103. Anfang Mai 1665 besichtigte er im Auftrag von Linden in
Wustweiler ein Gut, das eine Petronella aus Niederösterreich für 420 Taler verkau-
fen wollte. Er berichtete dem Freiherrn, auf dem Hofplatz sei nun eine Dornenhe-
cke gewachsen, die Güter seien wie andere verwachsen und verwüstet und zu die-
sen Zeiten schwerlich 50 Th[aler] wertU)2. Dies gibt einen Einblick in den Zustand
des Landes lange nach dem großen Krieg und in den Verfall der Vermögen.
Einen großen Teil der Arbeitskraft des Kellners nahm die Verwaltung des Steu-
erwesens ein. Buchholtz hatte jeweils im Herbst Schaftgelder und Früchte zu re-
partieren und beizutreiben10 ’. Dabei wurde durchaus auf die wirtschaftliche Situa-
tion der Untertanen Rücksicht genommen. So fragte er am 8. Oktober 1666 an, wie
es mit der Erhebung des Zehnten an denjenigen Orten gehalten werden solle, an
denen das Wetter großen Schaden angerichtet habe104. Einige Wochen später äu-
ßerte er, obwohl das Amt durch die Soldaten und das Gewitter Schaden gelitten
habe und schwerlich das wiederzubekommen [sei], was voriges Jahr umbgelegt.
96 Uwe Eduard Schmidt, Der Holländerholzhandel auf der Saar, in: Zeitschrift für die Ge-
schichte der Saargegend 46 (1998), S. 67-98. S. 74f. Hinweise auf die Holzhändler Bruch
und Huhn.
97 a.
98 Bericht Buchholtz vom 20. L1666 (b).
99 Der Kellner hatte die Kosten für das neue Dach auf alle Dorfschaften umgelegt, die von
der Blieskasteler Pfarrkirche - wie es heißt - vor langen und mehr als hundert Jahren den
Dienst hatten (Bericht Buchholtz vom 20.1.1666, b). - Einige Hinweise zum Schul- und
Kirchenbau vgl. Läufer, Neue Baunachrichten (wie Anm. 39), S. 90, Anm. 24.
"Kl Bericht Buchholtz vom 15.12.1661 (a).
101 Verkäufer war der Schwiegersohn des Meiers, Johann Fritsch von Boppard. Kaufpreis
200 Reichstaler. Weitere Einzelheiten in den Berichten von Buchholtz vom 12. und
20.11.1664 (a).
102 Bericht Buchholtz vom 7.5.1665 (a).
103 Bericht Buchholtz vom 20.11.1664 (a).
104 b. - Weil Ende 1667 Untertanen in Mengen, Bolchen und Brücken durch lothringische
Einquartierung alles verloren hatten, schlug Kellner Baur dem Freiherrn am 15.12.1667
vor, die dortigen Fronden zu mindern (LA Sb vdL, Nr. 2777).
232
arbeite er jetzt an der Reparation. Ausgenommen sei die Hälfte des Hafers an Or-
ten, die das Gewitter getroffen habe105. Auch im leyenschen Unteramt Münchwei-
ler legte er 1666 selbst die Renten um; der Termin war zuvor auf der Kanzel be-
kanntgegeben worden106. Säumige Zahler wurden nicht nur von Zeit zu Zeit durch
den Amtsboten an ihre Rückstände erinnert, der Kellner selbst ritt durch das Amt,
um die Leute zur Zahlung oder zur Arbeit anzuhalten, so Anfang Januar 1666107.
Damals stellte er fest - wie bereits im November des Vorjahres die (Schaft-)
früchte würden ziemlichermaßen geliefert, aber Geld lasse sich schwerlich bei-
bringen. Zwei Untertanen aus Reinheim hätten ihre Schuld mit vier gemästeten
Schweinen beglichen108. Andere erhielten die Möglichkeit, ihre Schatzungsschuld
abzuarbeiten, wobei täglich 10 Albus angerechnet wurden109. Bei der Anlage des
Weihers von Rubenheim durch einen Friesen hatte ein Untertan, der 14 Albus 3
Pfennig Schatzung schuldete, Anfang Januar 1666 alle Hecken zu roden110 Ande-
re Schuldner beseitigten im selben Monat die kleinen Hecken im Blieskasteler
Tiergarten. Er, Kellner, treibe ohne Nachlass die Säumigen zur Arbeit, könne dazu
aber keine weniger als die Wölferdinger bringen11'. Bei vielen Untertanen sei auch
durch Exekutionen nichts zu holen. Manche erboten sich, nach und nach im Jahr,
wenn sie etwas aus Vieh oder sonsten lösen könnten, zu zahlen112.
Eine große Last war für den Kellner die regelmäßige Erstellung der Rechnun-
gen. Sie waren für das vorangehende Jahr bald im Frühling dem Dompropsten vor-
zulegen und wurden bis zum Herbst von ihm abgehört. Wenn der Freiherr nicht in
Blieskastel weilte, musste Buchholtz dazu nach Trier kommen. Mitunter sprang
auch Linden als Prüfer ein, so im Herbst 1663113. Die von den Bauleuten erstellten
Rechnungen, mit denen der Kellner nichts zu tun hatte, wurden von Raderus ge-
prüft114 115 * *. Mehr als einmal musste Buchholtz um Fristverlängerung bitten. So sollte
er Anfang Januar 1666 binnen 14 Tagen bei Damian Hartard erscheinen, erbat
dann aber Verlängerung bis in die Fastnacht115. Schon am 20. Januar konnte er die
Wein- und Salzrechnung übersenden. Was in recessu an Wein und Salz er schuldig
geblieben, habe er (dem Aufseher) Mattheis überliefert116 Die Einsendung der an-
105 Die Reinheimer und Wittersheimer, die keinen Hafer behalten hätten, wollten auch kei-
nen geben (Bericht Buchholtz vom 20.10.1666, b).
106 Bericht Buchholtz vom 17.11.1666 (b).
107 Bericht Buchholtz vom 7.1.1666 (b).
I(IS Bericht Buchholtz vom 29.11.1665 (a ).
109 So den Arbeitern im Tiergarten; sie erhielten aber keine Kost (Bericht Buchhholtz vom
28.2.1666, b).
110 Bericht Buchholtz vom 5.1.1666 (b).
111 Das belegt das offenbar besonders ausgeprägte Selbstbewusstsein der dortigen Bauern
(Bericht Buchholtz vom 20.1.66, b).
112 Bericht Buchholtz vom 8.12.1666 (LA Sb vdL, Nr. 2777.).
1 Mitteilung des Kurfürsten Karl Kaspar an Damian Hartard in Regensburg vom 17.9.1663
(LHA Ko 48, Nr. 780). - Über eine Korrektur der Weinrechung durch Linden vgl. Be-
richt Buchholtz vom 25.8.1665 (a).
114 Buchholtz legte ihm die Rechnung des Meisters Marx vor (Bericht Buchholtz vom
29.11.1665, a).
115 Bericht Buchholtz vom 7.1.1666 (b). Sehr breit entschuldigte er sich auch im Bericht
vom 27.2.1666 (b).
110 Bericht Buchholtz vom 20.1.1666 (b).
233
deren Rechnungen verzögerte sich jedoch weiter. Im Oktober 1666 hätte der Kell-
ner gerne, wegen der in diesem Jahr gefährlichen Contagionszeiten, eine schriftli-
che Stellungnahme des Freiherm erhalten117.
Es lag nahe, dass Buchholtz nach der Einstellung seines Bruders Mattheis als
Aufseher mit diesem die Geschäfte teilte. Am Neujahrstag 1666 sollte Lommert
mit der Hilfe Gottes die ihm vom Freiherm übertragenen Wein-, Salz-, Küchen-
und Speicherrechnungen übernehmen1 damit auch die Verwaltung der betreffen-
den Einrichtungen. Kellner Buchholtz glaubte jedoch, die Salz- und Branntwein-
rechnungen weiter führen zu können, weil er die eingehenden, offenbar nicht uner-
heblichen Gelder weiter für das Bauwesen verwenden wollte. Wütend setzte
Damian Hartard auf den Rand seines Berichts: NB: Waß ist das vor ein Zumuth-
ung, waß hätte der Keiner dergestalt zu thun119 Buchholtz versicherte bei dersel-
ben Gelegenheit, getreu auf die Sachen des Mattheis Aufsicht zu halten, dass er
aber dafür stehen solle, könne der Freiherr ihm nicht zumuten, gestalt nicht gut, für
ein eigenen Bruder zu stehen. Lommert berichtete in der Folgezeit von den Wein-
fuhren und dem Weinabsatz bei den Wirten, dem Branntweinabsatz, den Salzfuh-
ren und dem Salzverkauf, auch über den Zustand der Schweizereien und Schäfe-
reien im Land und den jeweiligen Viehbestand. Hier liegen wertvolle und interes-
sante statistische Angaben vor.
Über die herrschaftliche Wirtschaftstätigkeit im Amt Blieskastel, die von Buch-
holtz ebenfalls energisch zu betreiben war, bin ich an anderer Stelle etwas einge-
gangen* * 120, so dass ich mich hier auf wenige Hinweise beschränken kann. Die er-
wähnten Schweizereien befanden sich im Blieskasteler Schloss und im nahegele-
genen Lautzkirchen, seit 1664 auch in Modenbach/Amt Burrweiler und seit 1672
in Wustweiler. Möglicherweise gab es auch in Wölferdingen eine Schweizerei. Im
Herbst 1666 standen auf dem Schloss 40 Rinder, in Lautzkirchen 72 Stück, darun-
ter 34 Melkkühe. Schäfereien gab es auf dem Schloss, in Medelsheim, seit 1668
auch in Wecklingen. Im Frühjahr 1666 wurden in Blieskastel 288 Schafe, in
Medelsheim 614 Stück gehalten. Die Herrschaft betrieb einen intensiven Wollhan-
del, auch mit Saarbrücker Wollwebern und Hutmachern121. Zur Wirtschaftstätig-
keit gehörte auch die ausgedehnte Fischzucht. Blieskastel belieferte beispielsweise
auch den Trierer Markt mit Karpfen, wie etwa im Oktober 1665122. Nicht weiter
eingegangen wird auch auf die leyenschen Zollstellen, aus denen ebenfalls Ein-
nahmen flössen. Bedeutung hatten die Wasserzollstellen zu Wölferdingen an der
Saar und in Blieskastel an der Blies, die von Holländerholz passiert wurden. Mit
einigen großen Holzhändlem - darunter auch Wiedertäufer - gab es wegen des
Zolls Streit. Kellner Buchholtz wollte deren Flöße sogar in Trier aufhalten lassen,
um die Händler zur Zahlung zu zwingen. Saargemünder Kaufleute, die Kauf-
11 Bericht Buchholtz vom 8.10.1666 (b).
,lx Bericht Lommert vom 29.12.1665 (b). - Bei der Speicherverwaltung wurden übrigens
noch Kerbstöcke verwendet (Bericht Buchholtz vom 28.2.1666, b).
1 w Bericht Buchholtz vom 7.1.1666 (b), ebenso vom selben Tag Bericht Lommert (b).
120 Läufer, Wildpret (wie Anm. 58).
121 Bericht Lommert vom 8.10.1666 (b). An sie wurde alle Wolle (Mai- und Herbstwolle, 8
Zentner, 18 Pfund) für 18 Reichstaler pro Zentner verkauft. Käufer war auch der Hut-
macher von St. Wendel (Bericht Lommert vom 31.10.1666, b). Ein früher Versuch, die
Wolle in Trier abzusetzen, war gescheitert.
122 Bericht Buchholtz vom 26.10.1665 (a).
234
mannsware durch Wölferdingen führten, weigerten sich, dort Zoll zu entrichten,
weil sie schon in Saargemünd zollpflichtig seien123.
Für das Ausscheiden des Kellners Buchholtz am Jahreswechsel 1666/67 war ei-
ne ganze Reihe von Gründen verantwortlich. Beim Kellner selbst hatten im Laufe
der Zeit verschiedene Misshelligkeiten für tiefe Unzufriedenheit gesorgt, und auf
Seiten des Freiherrn scheint sich der Unmut über die Amtsführung immer weiter
verstärkt zu haben. Der jahrelange Streit mit dem auf dem Blieskasteler Burgberg
tätigen Bauunternehmer Franz Kuckeisen von Wittlich scheint dabei eine nicht un-
erhebliche Rolle gespielt zu haben. Meister Franz, noch jung und mit einem
schwierigen Charakter ausgestattet, wurde von den Brüdern von der Leyen sehr ge-
schätzt124. Gegen ihn kam der Kellner offensichtlich nicht an. In seinem Bericht
vom 23. September 1664 klagte er125, der Meister habe ihn in Burrweiler und St.
Wendel und allerorts diffamirt und ehrenletzlich durchgezogen, daß jedermann
von ihm zu reden habe. Die Specialia wolle er articulatim uffsetzen und dem Dom-
propsten bei dessen Ankunft in lihello übergeben in der Hoffnung, der Adressat
werde ihm gnedige Satisfaction und Restitution honoris widerfahren laßen. Im
Sommer 1665 geriet Buchholtz in den Verdacht, er habe seine eigene, verendete
Kuh dem Freiherrn uffrechnen wollen. Vor allem Meister Franz tue sich in der üb-
len Nachrede hervor. Hier läge angeblich auch die Ursache der scharfen Examinie-
rung seiner Rechnung. Buchholtz beteuerte seine Unschuld. Er habe unterdessen I.
Gn. große Ungnade gespürt. Er bitte, den primum denunciatem, Meister Franz, ab-
zustrafen. Dann bat er um seine Entlassung aus dem Amt. Damian Hartard ging auf
das Gesuch jedoch nicht ein. Schon Ende November 1665 hatte der Kellner erneut
Grund, sich über den Meister bitter zu beklagen126. Der Bauunternehmer warf ihm
vor, nicht genügend Baufuhren zur Verfügung zu stellen und ihn damit in seiner
Arbeit zu behindern. Buchholtz antwortete darauf mit einem umfangreichen Be-
richt über den Einsatz der Wagen in der Vergangenheit und mit Gegenvorwürfen.
Um die Jahreswende 1665/66 kam es - wie bereits geschildert - zu den Misshel-
ligkeiten bei der neuen Geschäftsverteilung. Anfang Februar 1666 berichtete
Buchholtz seinem Herrn — wie ebenfalls bereits dargestellt - von dem Wirtshaus-
streit des Meisters mit dem Schützen von Ormesheim, und nebenbei erwähnte er
auch den Streit von Franz mit dem alten Schweizer im Flecken {nur quisquilien).
In Rat Linden hatte der Kellner offenbar keine Stütze mehr, denn im Sommer gab
er ihm die Schuld am Verenden eines Maultieres127. Sozusagen das Maß voll
machten im November des Jahres die bereits erwähnten freiherrlichen Vorwürfe,
am Misserfolg der Verhandlungen mit Lothringen im Medelsheimer Streit mit-
schuldig zu sein.
123 Bericht Buchholtz vom 23.9.1664 (a). Die Holzherren, Hun aus Saarbrücken, Zimmer-
mann und Scherff, flößten Wagenschott und Klopholtz (Mengenangaben!) durch beide
Wasserzollstätten.
I“4 Einige Hinweise zu seiner Person und Tätigkeit vgl. Läufer, Neue Baunachrichten (wie
Anm. 39), S. 84f.; ferner - auch zu den Auseinandersetzungen: Läufer, Blieskasteler
Schlossbau (wie Anm. 6), S. 24f., 29f., 32.
125 a.
26 Bericht Buchholtz vom 29.11.1665 (a). Mit 11 lA Seiten einer der umfangreichsten Be-
richte des Kellners!
Bericht Linden an den Freiherrn vom 9.7.1666 (a).
235
Im Dezember 1666 bemühte sich Buchholtz, noch herrschaftliche Rückstände
im Land einzutreiben. Am Ende seines Berichts vom 8. Dezember an den Freiherrn
bat er, um die Liebe Gottes die ihm gegenüber gehegte große Ungnad gnädig fallen
zu lassen 28 Er verwies auf seine nun im siebten Jahr treuen und nach Möglichkeit
fleißigen Dienste. Letzte Amtshandlung war wohl die Einreichung seiner Rech-
nung Anfang 1667. Der Abschied von Blieskastel wurde ihm vielleicht dadurch er-
leichtert, dass er zur selben Zeit in St. Wendel das umfangreiche Erbe der gerade
verstorbenen Großmutter seiner Frau antreten konnte, Haus und Güter samt Ge-
sinde. 1688 wird Buchholtz als kurtrierischer Kellner des Amtes Grimburg er-
wähnt1 y>. Die Nachfolger von Buchholtz und Lommert wurden bereits genannt:
1667 Kellner Baur13ü, später Caspar Zeppenfelt. Auf Lommert folgte der Trierer
Geistliche Johann Georg Falckenstein.
12X LA Sb vdL, Nr. 2777; hier auch das Nachfolgende.
129 Barth, Stiftungsbuch (wie Anm. 30), S. 135, Nr. 172. Zur selben Zeit war Georg Victor
Buchholtz leyenscher Amtmann zu Forbach (a. a. O. S. 129, Nr. 38). Buchholtz war da-
mals verheiratet mit Maria Margaretha Schrämbgen (Wolfgang Läufer, Die Sozialstruk-
tur der Stadt Trier in der frühen Neuzeit (Rheinisches Archiv 86), Bonn 1973, S. 278,
Stammtafel Dräger).
130 Von ihm ein Bericht vom 15.12.1667 (LA Sb vdL, Nr. 2777). Von den beiden nachfol-
gend Genannten sind ebenfalls Berichte vorhanden: Von Falckenstein von November
1667 bis September 1668, dann weitere vereinzelte Berichte aus den Jahren 1669/70, von
Zeppenfelt ab Januar 1670 (beide a).
236
Lage der Herrschaft Blieskastel
Abb. 1: Aus: Läufer, Wiidpret (wie Anm. 58), S. 197.
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Das evangelische Pfarrhaus.
Verwandtschaftliche Bande in evangelischen
Pfarrfamilien der Saargegend als Garant eines
LUTHERISCHEN KONTINUUMS
Joachim Conrad
L Einleitung
In seinem Büchlein „Pfarrerskinder“ hatte Martin Greiffenhagen vor rund dreißig
Jahren festgehalten: „Jahrhunderte lang hat das evangelische Pfarrhaus auf die
deutsche Kultur bedeutenden Einfluß gehabt. Pfarrerskinder waren es zum großen
Teil, welche die spezifische Variante deutschen Geisteslebens, einer Kultur des
Wortes und seiner Auslegung, geprägt haben. Was Friedrich Nietzsche und
Gottfried Benn, Hermann Hesse, C. G. Jung und Albert Schweitzer verbindet, ist
das väterliche Thema: Protestantismus als Beruf. Welchen Beruf Pfarrerskinder
auch ergriffen, die väterliche Berufung wurde für viele Herausforderung, Anspruch
und Maßstab zur Bewährung in einer Welt, die über sich hinausweist“1. Dabei ist
es unstrittig, dass aus der häufig doch großen Kinderschar im evangelischen Pfarr-
haus mindestens ein Sohn Pfarrer wurde, und nicht selten ehelichte eine Tochter
einen anderen Pfarrer. So garantierte das Pfarrhaus selbst den Pfarmachwuchs und
erwies sich dem katholischen Zölibat gegenüber an dieser Stelle überlegen. In
Schwaben beispielsweise kann die Theologenfamilie Weismann Porträtbilder der
Sippe vorweisen, die bis ins 17. Jahrhundert zurückgehen und durch die jeweilige
Haartracht das Jahrhundert anzeigen. Ansonsten verbindet alle das weiße Beffchen
des lutherischen Predigers. Und die Familie nennt selbst Bücher des 16. Jahrhun-
derts, darunter eine Vulgata-Ausgabe erster Hand, als ungebrochen im Familienbe-
sitz, - woraus sich übrigens ein wichtiger Vemunftgrund für diese Tradition findet:
Bücher waren teuer, und eine „Kirche des Wortes“ war auf Bücher angewiesen.
Was für Württemberg gilt, muss für die Saargegend jedoch nicht zwingend gel-
ten, allemal die zahllosen Kriege ja auch tief in die Entwicklung der Geschlechter
eingeschnitten haben. Es bedarf also einer Prüfung, ob gleiches auch für die
Region an Saar und Blies ausgesagt werden kann.
1 Martin Greiffenhagen, Pfarrerskinder. Autobiographisches zu einem protestantischen
Thema, Stuttgart 1982, S. 7.
239
2. Von der Einführung der Reformation bis zum Dreißigjährigen
Krieg
2.1 Die Familie Stephani
Für das 16. Jahrhundert sei als erstes Beispiel die führende Gestalt der Reformation
gewählt: Laurentius Stephani', faktisch der Generalsuperintendent der Nassau-
Saarbrückischen Landeskirche. Seine Familie kann als Prototyp des evangelischen
Pfarrhauses an der Saar verstanden werden. Um 1535 in Reichelsheim/Wetterau
geboren, wo sein Vater Jakob Stephani' (1500-1584) schon als Pfarrer wirkte, kam
er in die Saargegend, als die Grafen Philipp III. und Albrecht das lutherische Be-
kenntnis einführten. In erster Ehe mit Sara Scheffer* 4 5 verheiratet, wurden ihm
sieben Kinder6 geboren, von denen drei Pfarrer wurden. In zweiter Ehe war er mit
Margaretha Aulenhäuser6 verbunden; sie gebar ihm weitere zehn Kinder7, mindes-
tens einer wurde Pfarrer.
: Vgl. Martin Sinemus, Hofprediger und Superintendent Laurentius Stephani 1573 bis
1616, in: Monatshefte für Rheinische Kirchengeschichte (künftig: MRKG) 25 (1931), S.
351-352 (dort auch der Nachtrag von W. Rothscheidt); Adolf Klein, Der Superintendent
Laurentius Stephani, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 23/24
(1975/1976), S. 94-113; Joachim CONRAD, Art. Stephani, Laurentius (1535-1616), in:
Bio-bibliographisches Kirchenlexikon (künftig: BBKL) 23 (2004), Sp. 1434-1440.
Jakob Stephani war in die Abtei Rommersdorf eingetreten und lebte als Mönch in der
dieser Abtei zugehörigen Propstei in Dolar. Nachdem Jakob Stephani das lutherische Be-
kenntnis angenommen hatte, studierte er in Straßburg und Wittenberg Theologie, ln
Wittenberg wurde er von Philipp Melanchthon ordiniert. Am 18. Juni 1532 trat er die
Pfarrstelle in Reichelsheim an, die ihm sein Vorgänger Georg Lenick unter dem Vorbe-
halt übergeben hatte, dass die Abtei Fulda dem zustimmte, da sie in Reichelsheim die
Kollatur inne hatte. Abt Johannes von Fulda genehmigte den Tausch mit Vertrag vom 24.
August 1532; Reichelsheim wurde lutherisch. Jakob Stephani vermählte sich daraufhin
mit Anna Stoll, der Tochter des Bingenheimer Amtsschreibers Johannes Stoll und dessen
Ehefrau Guda. Acht Kinder wurden den Eheleuten geschenkt; Laurentius war der zweite
Sohn. Vgl. Klein, Laurentius Stephani (wie Anm. 2), S. 96f.
4 Sara Scheffer war die Tochter des Pfarrers Johannes Scheffer (gest. 1537) und der Mar-
garetha Chun (gest, 1541); Vgl. Klein, Laurentius Stephani (wie Anm. 2), S. 94-113,
hier S. 99. Sara Scheffer starb am 31. Juli 1579; für sie ließ Stephani einen Grabstein er-
richten, der im ev. Gemeindehaus in Ottweiler besichtigt werden kann.
5 Namentlich Johannes (1561-1570); Christiane (geb. 1564), Johannes Magnus (1566-
1629), Anna (geb. 1569), Jakob (1573-vor 1639), Martin (1576-1646), Katharina (1578-
1583).
6 Margaretha Aulenhäuser war die Tochter des Weilburger Kirchenschaffners Kaspar
Avlenhäuser und seiner Frau Anna; Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden 166/67 Nr,
1520. Margaretha Aulenhäuser starb 1596.
Namentlich Laurentius (1581-1585), Elisabeth (geb. 1582), Johann Wilhelm (1584-
1627), Albert (geb./gest. 1585), Johann Kasimir (geb. 1587), Anna Ottilia (geb. 1589),
Johann Laurentius (geb. 1590), Gottfried (1591-1638), Jost (geb./gest. 1593) und Anna
(geb. 1593).
240
Laurentius Stephani besuchte zuerst die Lateinschule in Usingen's und dann das
Pädagogium in Halle. Von seinem sich anschließenden Theologiestudium in Jena
ist bekannt, dass er Vorlesungen bei dem württembergischen Reformator Erhard
Schnepf (1495-1558), dem gemäßigten Lutheraner Viktor Striegel (1524-1569) be-
suchte, aber auch bei dem Lutherschüler und Führer der Gnesiolutheraner Matthias
Flacius Illyrius (1520-1575). Am 13. August 1556 schrieb sich Stephani in die
Matrikel der Universität Wittenberg ein* 9. Nun hörte er Philipp Melanchthon (1497-
1560) selbst, aber auch Paul Eber (1511-1569), Georg Major (1502-1574) und
Kaspar Peucer (1525-1602), der Melanchthons Schwiegersohn war, ein Mathema-
tiker und Mediziner. Nachdem den jungen Stephani der Ruf seines Vaters erreicht
hatte, legte er am 14. September 1559 das Examen ab und wurde am 1. Januar
1560 in Wittenberg ordiniert10. Die Urkunde trägt die Unterschriften Melanch-
thons, Ebers und Majors sowie der drei Stadtpfarrer Sebastian Freschel (1497-
1570), Johannes Stöhr (1525-1562) und Peter Etzelius (1488-1570).
Nach Reichelsheim zurückgekehrt, wollte Stephani seinem Vater behilflich sein,
wurde aber auf Veranlassung des Grafen Albrecht von Nassau-Weilburg zum Pfar-
rer von Rod am Berg und Hausen berufen. Am 10. Juni 1560 der Gemeinde vorge-
stellt, wurde der 25-jährige bereits am 5. Oktober des gleichen Jahres nach
Krofdorf-Gleiberg geschickt. Es entspann sich ein zermürbender Streit um die
Rechtmäßigkeit dieser Berufung11. Stephani kapitulierte und bat um Versetzung;
ihm wurde am 18. März 1566 die Pfarrei seines Vaters übertragen, allerdings erst
nach dessen Tod12.
1568 bestimmte Graf Albrecht Laurentius Stephani zum Feldprediger seines
Heeres, das in den Freiheitskrieg der Niederlande eingreifen sollte. Graf Albrecht,
durch die Ehe mit Anna von Nassau-Dillenburg mit Wilhelm von Oranien ver-
schwägert, rüstete sich angesichts des heranziehenden spanischen Heeres unter
Herzog Alba. Als Ludwig von Nassau, der Bruder des Oraniers, eine empfindliche
Niederlage hatte einstecken müssen, wurden die protestantischen Heeresverbände
durch die Champagne und Lothringen nach dem elsässischen Zabern geführt und
aufgelöst. Für die Kosten haftete unter anderem Albrecht von Nassau-Weilburg. Mit
ihm kehrte Stephani 1570 zurück; der Graf übertrug Stephani noch im selben Jahr die
Aufsicht über die Ämter Hüttenberg, Roßbach und Reichelsheim - eine schwierige
Aufgabe angesichts der zwischen Hessen und Nassau geteilten Herrschaft13.
Am 8. Juni 1573 wurde Stephani vom Weilburger Konvent formal in das Super-
intendentenamt gewählt und eingeführt14. Als dann am 23. November 1574 Graf
Johann IV. von Nassau-Saarbrücken starb, erbten die Grafen Philipp III. und Al-
brecht von Nassau-Weilburg auf der Grundlage der Erbeinigung von 1491 und Jo-
Nikolaus Ludwig Eichhoff, Die Kirchenreformation in Weilburg im sechzehnten
Jahrhundert, Bd. I, Weilburg 1832, S. 108.
9 Vgl. Wilhelm Rotscheidt, Nachtrag, in: MRKG 25 (1931), S. 352.
10 Vgl. Klein, Laurentius Stephani (wie Anm. 2), S. 98.
Max Ziemer, Aus dem Leben des Laurentius Stephani bis zum Antritt der Weilburger
Superintendentur, in: MRKG 27 ( 1933), S. 339-348, hier S. 341.
Zentralarchiv der Ev. Kirche in Hessen und Nassau Darmstadt, Reichelsheim Nr. 5.
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Nr. 166/67, Nr. 1562,2.
14 Karl Menzel, Geschichte von Nassau, Bd. 6, Wiesbaden 1884, S. 352.
241
hanns Testament von 1563, das Kaiser Maximilian 11. am 9. Oktober 1570 bestätigt
hatte, Saarbrücken und Ottweiler. Nach der Homburger Erbteilung nahm Albrecht
seinen Sitz in Ottweiler und Philipp III. in Saarbrücken. Die Einführung des
Augsburger Bekenntnisses traf die Grafschaft nicht überraschend; schon lange
waren evangelische Geistliche in der Region tätig.
Graf Albrecht beauftragte Superintendent Stephani mit der Visitation in Ottwei-
ler, Magister Gebhard Beilstein tat gleiches in Saarbrücken. Die jungen Grafen för-
derten den Übergang zum Luthertum, indem sie 1576 eine Kirchenordnung samt
Agende vorlegten, die sich stark an der theologisch von Martin Bucer geprägten
hessischen Ordnung orientierte. So gab es in Nassau-Saarbrücken von Anfang an
eine Konfirmation. Graf Albrecht wies seinem Superintendenten das Benediktine-
rinnenkloster Neumünster als Wohnsitz an. Ihm fielen aber auch Aufgaben in den
rechtsrheinischen Besitzungen des Grafen zu. So hielt er jährlich die Synoden in
Weilburg ab. Als Hofprediger taufte er 1577 das elfte Kind des Grafen, Johann
Kasimir, traute die Gräfin Anna Amalia 1581, hielt im gleichen Jahr die Leichen-
feier für die Gräfin Juliane.
Die Arbeit des Superintendenten fand bald die Anerkennung seines Herrn: Graf
Albrecht belehnte Stephani und seine Frau am 23. Juli 1593 mit einem Stadthaus in
Ottweiler* 1 \ Im selben Jahr starb der Graf und wurde am 25. November 1593 in der
Abteikirche Neumünster beigesetzt; Superintendent Stephani hielt die Traueran-
sprache, die in Straßburg in Druck gegeben wurde16. Der Tod des Grafen war für
Stephani ein Einschnitt; Trotz der Belehnung in Ottweiler, die die jungen Grafen
Ludwig, Wilhelm und Johann Kasimir bestätigten, zog sich Stephani nach Weil-
burg zurück. Die dortige Pfarrerschaft begrüßte die Rückkehr des Superintendenten.
Am 12. März 1602 starb in Saarbrücken Albrechts Bruder Graf Philipp III. ohne
legitime Nachkommen; Albrechts Sohn Ludwig erbte nun auch die Grafschaft
seines Saarbrücker Onkels und wurde durch Erbfolge nach und nach in den Besitz
sämtlicher Länder des walram’schen Stammes des Hauses Nassau versetzt. Graf
Ludwig griff auf den bewährten Laurentius Stephani zurück, der fortan in der
Funktion eines Generalsuperintendenten dem Kirchenwesen Vorstand. Nach 43
Jahren visitierte Stephani erstmals wieder die zu Saarbrücken gehörende Graf-
schaft Saarwerden; in diesem entlegenen Teil der Herrschaft gehörten die welschen
Dörfer mit Duldung des Grafen dem reformierten Bekenntnis an17. 1609 ließ Graf
Ludwig die Nassau-Saarbrückische Kirchenordnung neu drucken und empfahl
Stephani, die Kirchenordnung regelmäßig von der Kanzel verkündigen zu lassen.
Laurentius Stephani war alt geworden; sein Sohn Martin assistierte ihm bei
vielen Amtsgeschäften18. Am 22. Februar 1615 wandte sich der Generalsuperinten-
dent an seinen Grafen mit der Bitte, von seinen Pflichten entbunden zu werden,
15 Bistumsarchiv Trier. Best. 71, 55 Nr. 10. Abschrift von Johann Anton Hansen, S. 189-
191.
|fl Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 130 II Herzoglich-Nassauisches Haus-
archiv Nr. 1891.
1 Johann Gustav Matthis, Die Leiden der Evangelischen in der Grafschaft Saarwerden,
Straßburg 1888, S. 30-32. Landesarchiv Saarbrücken. Best. ArchSlgHV B Nr. 50
Abschrift des Visitationsprotokolls von 1603.
IX Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. 150 Nr. 3828.
242
weil sein Gehör und Gesicht nachgelassen und er an Verstand zu einem Kind ge-
worden9 sei. Der Graf ordnete an, Stephani weiter zu entlasten. Als am 12.
Februar 1616 die Grafenwitwe Anna von Nassau-Dillenburg starb, mit der
Stephani in bestem Verhältnis stand, war er nicht mehr in der Lage, die Begräbnis-
feier zu leiten; die Traueransprache für die ehemalige Landesherrin hielt der Weil-
burger Pfarrer Philipp Adam Beutler20. Am 14. August 1616 starb schließlich der
alte Generalsuperintendent, nachdem er seinem Sohn Martin gegenüber öfter von
seinem nahe Tode gesprochen hatte. 56 Jahre hatte er als Pfarrer Dienst getan, 45
Jahre hatte er die Nassauische Landeskirche geleitet21. Als gemäßigter Lutheraner
hatte er die Reformation in Nassau-Saarbrücken theologisch begleitet und stets für
Ausgleich gesorgt; als Superintendent hat er die Gemeinden visitiert und mit siche-
rer Hand die notwendigen Reformen umgesetzt. Laurentius Stephani gehört zu den
bedeutendsten Gestalten der Reformationsgeschichte im südwestdeutschen Raum.
Von den Söhnen studierten Johann Magnus, Martin22 und Jakob in Wittenberg23,
Johannes Magnus zuvor auch in Marburg24. Johann Magnus war derjenige, der im
Ottweilerschen dem Vater die nötige Unterstützung verschaffte. Um 1566 in Krof-
dorf geboren, hatte er 1579 die Schule in Hornbach besucht und nach seinem Stu-
dium die Pfarrstelle in Wiebelskirchen von 1590 bis 1594 geführt. Dann wechselte
er auf die Stelle nach Ottweiler, wo er 1629 starb. Er hatte als Inspektor der Syno-
de von 1594 bis 1629 gedient. Sein Sohn Johann Lorenz2^ wurde ebenfalls Pfarrer
in Ottweiler; seine Tochter Anna Margarethe heiratete den Ottweiler Pfarrer Lam-
bertus Schellenberger.
2.2 Die Familie Keller
Nach Stephani war die nächste zentrale Gestalt der Nassau-Saarbrückischen
Kirchengeschichte in der zweiten Pfarrergeneration Johann Georg Keller der
Ältere26, der als Superintendent der Landeskirche von 1614 bis 1632 Vorstand. Um
211 Katalog der Fürstlich Stolberg-Stolbergschen Leichenpredigten-Sammlung, Bd. 111,
Leipzig 1930, S. 178.
21 Vgl. Menzel, Nassau (wie Anm. 14), S. 434.
Martin Stephani war von 1628 bis 1640 Pfarrer in Krofdorf; vgl. Sinemus, Stephani (wie
Anm. 2), S. 352.
23 Eintrag 28. April 1589 Johannes Magnus Stephani, Gleiburgensis Hassus; Eintrag 2.
Oktober 1595 Martinus Stephani, Rhenanus; Eintrag 16. Oktober 1595 Jacobus Stephani,
Weilburgensis Rhenanus; vgl. Rotscheidt, Nachtrag (wie Anm, 9), S. 352.
"4 Eintrag 5. Dezember 1586 Joannes Magnus Stephani, Leipergensis; vgl. Rotscheidt,
Nachtrag (wie Anm. 9), S. 352.
Johann Lorenz, geb. ca. 1590 in Wiebelskirchen, Studium 1610 in Gießen, 1615 Ordina-
tion in Saarbrücken, 1615 bis 1619 Pfarrer in Ottweiler, 1620-1629 in Schiffweiler, 1629
angeblich auch in Dörrenbach, 1639 bis zum Tod Morschheim/Pfalz; vgl. Georg Biundo,
Die evangelischen Geistlichen der Pfalz seit der Reformation - pfälzisches Pfarrerbuch
(Genealogie und Landesgeschichte 15), Neustadt an der Aisch 1968, Nr. 5543.
26 Vgl. Hans BÖRST/Fritz KiRCHNER/Karl Rüg, Die evangelischen Geistlichen in und aus
der Grafschaft Nassau-Saarbrücken von Beginn der reformatorisehen Bewegung bis zum
Jahre 1635, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend. 23/24 (1975/65), S. 39-93,
hier S. 60f.
243
1550 in Saarbrücken27 geboren, sind nähere Angaben zu den Eltern nicht möglich.
1575/76 Pfarrer in Entzheim bei Strasbourg wechselte er als zweiter Pfarrer nach
Bockenheim und war zugleich Pfarrer in Rimsdorf und Schopperten. 1584 kam er
als erster Pfarrer in die Residenzstadt Saarwerden und ging 1591 nach Saarbrü-
cken, wo er bis 1614 zweiter Pfarrer war.
In 1. Ehe ehelichte er Anna Koch, die Tochter des Kantengießers Primus
Koch28. Sie gebar ihm sechs Kinder29 30, von denen die Söhne Johann Georg der
Jüngere, Philipp, Andreas und Johannes Pfarrer'0 wurden, die Tochter Maria aber
in erster Ehe den Pfarrer Philipp Dudler31 ehelichte32. In zweiter Ehe heiratete der
alte Superintendent Anna Sybilla Römer3 ’, zu deren Leben bisher noch nichts be-
kannt ist. Superintendent Keller starb am 17. März 163234 * *.
Sein Sohn Johann Georg Keller der Jüngere " wurde ca. 1585 in Saarbrücken
geboren. Bei der Gründung des Saarbrücker Gymnasiums aus der alten Latein-
schule im Jahre 1604 war er Schüler der 1. Klasse '6. Sein erster Studienort ist nicht
bekannt; am 28. Juli 1608 jedenfalls immatrikuliert er sich in Gießen37. Von 1609
bis 1612 war er Diakon’8 in Saarbrücken und zugleich Lehrer am Saarbrücker
Gymnasium'9. 1612 wurde er Pfarrer von St. Johann, wo er am 17. März 1628 43-
jährig noch vor seinem Vater starb40. In erster Ehe war er mit Anna Güntzel (gest.
1614)41 verheiratet, der Witwe des Stadtschreibers Hans Dudler von Saarwerden42 * *.
Sie war die Tochter des Kammerschreibers Conrad Güntzel und dessen Frau Eli-
sabeth Schwarz4’. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Keller 1615 ein zwei-
2 Vgl. Marie Joseph Bopp, Die evangelischen Geistlichen und Theologen in Elsaß und
Lothringen von der Reformation bis zur Gegenwart, Neustadt/Aisch 1959, Nr, 2671.
28 Stadtarchiv Saarbrücken. Gemeinsames Stadtgericht Saarbrücken-St. Johann, Prot.
1599/1603 Bl. 145 R (27. April 1601).
29 Namentlich Johann Georg II (ca. 1585-1628), Philipp (ca. 1590), Andreas, Johannes
(geb. um 1595) und Maria.
30 Johann Matthias wurde Verwaltungsbeamter.
Jl LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 2407 Bl. 148 R (28. Mai 1654).
j2 In zweiter Ehe heiratete sie den Ochsenwirt Johannes Müller; LA Saarbrücken Best.
Nassau-Saarbrücken II Nr. 3691.
JJ LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 2405 Bl. 341 (7. August 1633).
j4 Vgl. Albert Rosenkranz, Das Evangelische Rheinland. Ein rheinisches Gemeinde- und
Pfarrerbuch, Bd. 2 Die Pfarrer, Düsseldorf 1958, S. 251; Bopp, Die evangelischen Geist-
lichen (wie Anm. 27), Nr, 2671.
Vgl. Borst u.a., Die evangelischen Geistlichen (wie Anm. 26), S. 61.
Vgl. Albert Ruppersberg, Geschichte des Ludwigsgymnasiums zu Saarbrücken 1604-
1904, Saarbrücken 1904 (ND St. Ingbert 1977), S. 18.
37 Vgl. Emst KLEWITZ/Karl Ebel, Matrikel der Universität Gießen, Teil 1 (1608-1707),
Gießen 1898, S. 174 Nr. 152.
jX Vgl. Rosenkranz, Rheinland (wie Anm. 34), S. 251.
’9 Vgl. Ruppersberg, Ludwigsgymnasium (wie Anm. 36), S. 18.
40 Wilhelm LlCHNOCK, Geschichte der Evangelischen Gemeinde St. Johann an der Saar, St.
Johann 1907, S. 31.
41 LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 2401 Bl. 166 (27, März 1615).
42 LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 2403 Bl. 344 (22. November 1625).
4’’ Die Tochter Anna Margaretha wurde mit Theobert Jungk aus Ottweiler verheiratet; LA
Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 2408 S. 31 (21. Februar 1661).
244
tes Mal: Magdalena Rüdinger (gest. vor 1636), die Tochter des Pfarrers Johannes
Rüdinger44 von St. Arnual und seiner Frau Elisabeth. Aus dieser Ehe sind fünf
Kinder bekannt45.
Vermutlich wurde der zweite Sohn des älteren Keller, Philipp Keller46, um 1590
in Saarbrücken geboren. Wo er studiert hat, ist bisher nicht bekannt. 1612/13 wird
er als Präzeptor der 5. Klasse am Saarbrücker Gymnasium erwähnt47. Am 29. De-
zember 1613 wurde er als Pfarrer der Pfarreien Güdingen und Bübingen ordi-
niert48 *. Er starb bereits im Juni 161940.
Der dritte Sohn aus dem Hause Keller, Johannes50, ist wohl um 1595 geboren.
1613 am Saarbrücker Gymnasium51 bezeugt, immatrikulierte er sich am 27. Sep-
tember 1614 in Gießen52. 1619 übernahm er die durch den Tod seines Bruders
Philipp vakante Pfarrstelle in Güdingen und Bübingen und wurde 1622 Diakon in
Saarbrücken"1. Johannes Keller wohnte in einem Haus vor der Marktpforte; dieses
Haus wurde durch das Stift St. Arnual von einem Käufer ausgelöst"4. 1627 war er
wohl schon verstorben. Die Frau von Johannes Keller hieß Marie; sie gebar ihm
drei Kinder, die in Saarbrücken getauft wurden55.
Vom vierten Kellersohn Andreas56 ist am wenigsten bekannt. Er wird für die
Jahre 1623 bis 1628 als Pfarrer von Malstatt bezeugt und wechselte dann nach St.
Arnual"7. Das Todesdatum 21. Juni 1634 - von Rosenkranz und Ruppersberg in
Anlehnung an Wilhelm Lichnock überliefert"8 - muss ein Irrtum sein, wird
Andreas Keller doch noch am 8. Februar 1636 für die unmündigen Kinder seines
verstorbenen Bruders Georg als Vormund eingesetzt"0. Dass er an der Pest
44 Vgl. BÖRST u.a., Die evangelischen Geistlichen (wie Anm. 26), S. 76-77.
4" Namentlich Johannes Michael Keller, Georg Keller, Philipp Keller, Johannes Matthias
Keller und Ludwig Keller.
45 Vgl. Borst u.a., Die evangelischen Geistlichen (wie Anm. 26), S. 62.
4 Vgl. Ruppersberg, Ludwigsgymnasium (wie Anm. 36), S. 41.
48 LHA Koblenz Nr. 56/1224.
44 Vgl. Rosenkranz, Rheinland (wie Anm. 34), S. 252.
50 Vgl. Borst u.a., Die evangelischen Geistlichen (wie Anm. 26), S. 62.
51 Vgl. Ruppersberg, Ludwigsgymnasium (wie Anm. 36), S. 42.
52 Klewitz/Ebel, Matrikel (wie Anm. 37), S. 196 Nr. 79.
Vgl. Rosenkranz, Rheinland (wie Anm. 34), S. 251.
4 LA Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 2402 Bl. 453 (13. Juni 1622).
"" Johann Heinrich, getauft am 7. Januar 1624 in Saarbrücken (Stadtarchiv Saarbrücken
Best. Ev. Kirchenbücher, Bd. I, S. 28 Nr. 110); Georg Bartholomäus, getauft am 19.
Januar 1625 in Saarbrücken (ebd. Bd. 1, S. 46 Nr. 197) und Anna Maria, getauft am 24.
Januar 1627 in Saarbrücken (ebd. Bd. 1, S. 68 Nr. 302).
56 Vgl. BÖRST u.a., Die evangelischen Geistlichen (wie Anm. 26), S. 62; vgl. auch Joachim
Conrad, Die evangelischen Pfarrer in Gersweiler/Saar. Teil 1, in: Monatshefte für
Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes (künftig: MEKGR) 54 (2005), S. 225-
^ 243, hier S. 230.
Vgl. Rosenkranz, Rheinland (wie Anm. 34), S. 251.
"s Vgl. Lichnock, St. Johann (wie Anm. 40), S. 42; dann: Vgl. Rosenkranz, Rheinland
(wie Anm. 34), S. 251; Albert Ruppersberg, St. Arnual. Geschichte des Stiftes und des
Dorfes, Essen 1930, S. 98.
Stadtarchiv Saarbrücken. Best. Gemeinsames Stadtgericht Saarbrücken-St. Johann Prot.
1935/36 Bl. 39 R.
245
gestorben ist, ist allerdings nicht auszuschließen. Er hatte Anna Lahr, die andere
Tochter des St. Johanner Viehtreibers Anton Lahr (oder Lohr) und der Johannette
Weißgerber zur Frau und war also mit seinem Vorgänger in Malstatt Gebhard
Dolbier verschwägert1’0. Aus der Ehe sind zwei Töchter, Maria Agnes und
Magdalena, urkundlich erwähnt, über deren Verbleib nichts weiter bekannt ist60 61.
Die Familie Keller ist ein Musterbeispiel dafür, wie die Söhne dem Vater im
Amt folgen und wie auch die Töchter mit Pfarrern verheiratet sind; eine Beson-
derheit ist die Tatsache, dass die Söhne im Inspektionskreis des Vaters eingesetzt
sind und sich in dem Güdinger Fall sogar „beerben“.
3. Das 18. Jahrhundert
3.1 Familie Rollé
Die prägende Theologenpersönlichkeit der Barockzeit in der Nassau-Saar-
brückischen Landeskirche war Thomas Balthasar Rollé62, der als Superintendent
und Hofprediger tätig war63. Die Wurzeln der Familie Rollé werden in Rhoda/Thü-
ringen vermutet. Dort lebte der Großvater von Thomas Balthasar, Johannes Rollé,
als Kaufmann und Ratsherr. Dessen Sohn Magister Georg Andreas Rollé findet
sich schließlich im westfalischen Unna als Diakon und Rektor der dortigen Latein-
schule, wo er nach Auskunft seines Epitaphs 42 Jahre im Dienst gestanden hatte64.
Dort in Unna wurde am 22. Dezember 1695 sein Sohn Thomas Balthasar geboren.
Dessen älterer Bruder Dr. Reinhard Heinrich Rollé (1683-1768) wirkte als Profes-
sor an der Universität Gießen und als Superintendent in Marburg.
Thomas Balthasar Rollé studierte zuerst in Leipzig Theologie, wo er 1719
Bekanntschaft mit Gotthilf August Francke (1663-1727), dem Sohn von August
Hermann Francke, machte. Von 1721 bis 1722 wirkte Rollé als Magister legens an
der Universität in Wittenberg und wurde dort am 17. Oktober 1721 zum Magister
der Philosophie promoviert65. Nach seinen Studien übernahm er 1726 den Dienst
eines Hauspredigers bei Familie Düngein in Dahlhausen. Dort erhielt er seine
Berufung als Pfarrer nach Menzerath (Monschau/ Eifel), wo er Anfang Dezember
1728 ordiniert wurde66. Die Gemeinde war sehr arm und konnte nur ein kleines
Pfarrgehalt bieten. Als dann in Mülheim an der Ruhr eine Pfarrstelle zu besetzen
und die Besetzung unter den Beteiligten strittig war, schlug Inspektor Arnold
60 LA Saarbrücken. Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 2403 Bl. 204 R.
61 Ebd. II Nr. 2407 Bl. 123.
62 Vgl. Albert Ruppersberg, Geschichte der Evangelischen Gemeinde Alt-Saarbrücken
(Unsere Saarheimat Bd. 6), Saarbrücken 1924, bes. S. 50-59; Joachim Conrad, Art.
Rollé, Thomas Balthasar (1695-1780), in: BBKL 28 (2007), Sp. 1336-1343.
63 Vgl. Helmuth KIEFER, Aus dem Leben, von Herkunft und Hinterlassenschaft und Nach-
kommen des Saarbrücker Superintendenten M. Thomas Balthasar Rollé, in: Zeitschrift
für die Geschichte der Saargegend 8 (1958), S. 149-156.
64 Rektor Mag. Georg Andreas Rollé war mit Margarethe Elisabeth Rumpf verheiratet.
Album academiae Vitebergensis (1710-1812), bearb. von Fritz JüNTKE, Jüngere Reihe
Teil 3, Halle 1966, S. 383.
66 Vgl. Walter Scheibler, Geschichte der Evangelischen Gemeinde Monschau 1320-1939,
Aachen 1939, S. 229.
246
Wüsthoff dem Grafen Carl Reinhard von Leiningen mit Schreiben vom 12. April
1734 Rollé vor. Nachdem der Graf dem Vorschlag gefolgt war, berichtete der In-
spektor am 27. April über Rollé, er sei gelehrt, seine Stimme sei stark und durch-
dringend, sein Lebenswandel sei tadellos61. In Mülheim heiratete Rollé 1738 Chris-
tiane Maria Stutz (1715-1743), die selbst aus einem alten Pfarrer- und Juristen-
geschlecht stammte67 68. Sie schenkte ihm drei Kinder, doch starb sie bereits 1743.
Da Thomas Balthasar Rollé offenbar das Vertrauen der Fürsten von Leiningen be-
saß, findet er sich in den Jahren 1741 und 1742 schließlich als Inspektor und Hof-
prediger in Kolgenstein/Pfalz wieder.
Am 19. Juli 1742 hielt Thomas Balthasar Rollé in der Saarbrücker Schlosskir-
che seine Antrittspredigt. Er war der erste Saarbrücker Superintendent seit fast ein-
hundert Jahren, seit Magister Abraham Staymle69 70 (1592-1653) in den Wirren des
Dreißigjährigen Krieges mit der gräflichen Familie nach Metz geflohen war. Super-
intendent Thomas Balthasar Rollé nahm rasch seine Arbeit auf und erkannte bald die
Defizite der Nassau-Saarbrückischen Landeskirche. Noch hatte er Unterstützung in
Dr. Johann Christian Lange 0 (1669-1756), der seit 1723 als Generalsuperintendent
von Idstein aus die Geschäfte leitete. Mit ihm zusammen ging Rollé das Projekt
eines eigenen Gesangbuches für Nassau-Saarbrücken an, das 1746 in der Knoch-
und Eßlingerischen Buchhandlung in Frankfurt/Main verlegt werden konnte71.
Aus der studentischen Freundschaft zu Gotthilf August Francke haben sich
einige Briefe erhalten, die sich überwiegend mit Missions- und Spendenfragen
beschäftigen 2. In einem Brief vom 3. April 1765 empfahl Thomas Balthasar Rollé
67 Vgl. Hermann Richter, Kurze Chronik der evang.-lutherischen Gemeinde in Mülheim
a.d. Ruhr, Mülheim/Ruhr 1882, S. 67-76.
Vgl. Drei Kinder sind bezeugt: 1. Carl Johann Reinhard Rollé (1739-1808), 2. Johann
Friedrich Rollé, 3. Sophie Dorothee Rollé (f 1767). In zweiter Ehe war Thomas Baltasar
Rollé am 9. August 1746 in Saarbrücken mit Anna Caritas geb. Lautz (f 1774) getraut
worden.
69 Vgl. Joachim Conrad, Art. Staymle, Abraham (1592-1660), in: BBKL 28 (2007), Sp.
1477-1481.
70 Vgl. Ders., Art. Lange, Johann Christian (1669-1756), in: BBKL 27 (2006), Sp. 984-
1003.
1 Thomas Balthasar Rollé (Hg.), Nassau-Saarbrückisches Gesang-Buch, worinnen | Des
sei. Lutheri und anderer erleuchteter Männer geistreiche Gesänge enthalten, Mit beyge-
fügtem Gebet=Büchlein Wie auch denen Sonn- und Festtäglichen Evangelien und Epis-
teln, Der Geschichte vom Leiden Jesu Christi, Der Zerstörung Jerusalems und dem Cate-
chismo Lutheri, auf Hoch=Fürstl. Landes Herrschaftl. sonderbahren gnädigen Befehl,
Zum Behuf des öffentlichen Gottesdienstes in denen Fürstlich-Nassau-Saarbrückischen
Landen, ausgefertigt Mit Fürstlicher] Special-Privilegio [...] Franckfurt am Mayn ] In
Verlegung der Knoch- und Eßlingerischen Buchhandlung 1746 [Stadtbibi. Saarbrücken
D 2912-2914], 2. Aufl. In Verlegung des neuen Hospitals, Saarbrücken: Bemh. Gottfr.
Hofer [1750] [Landesbibi. Wiesbaden Gr. 550]; vgl. auch Joachim Conrad, „Da unter
deinen Töchtern unser Saarbrückisches Zion bishero kein eigenes Gesang-Buch gehabt
...“. Die nassau-saarbrückischen Gesangbücher von 1746 und 1779, in: Jahrbuch für
Liturgik und Hymnologie 38 (1999), S. 227-241.
Archiv der Franckeschen Stiftungen Halle/Dänisch-Hallesche Mission. M 3 Briefe von
Thomas Balthasar Rollé an Gotthilf August Francke H 29: 57 vom 9. September 1746; H
247
Francke den Saarbrücker Studenten Wilhelm Christian Friedrich Schwendler.
Auch mit Johann Anastasius Freylinghausen (1670-1739), der 1771 Direktor des
Halleschen Waisenhauses wurde, korrespondierte Rollé7’. Schließlich ist ein Brief
an Nikolaus Ernst Wild überliefert74. Wild war der Faktor der Filiale der
Buchhandlung des Waisenhauses in Frankfurt/Main.
Auf die Ordnung innerhalb des ministerium ecclesiasticum achtete Rollé ganz
besonders; zahlreiche Rundschreiben haben sich erhalten \ Als sich etwa Johann
Caspar Streccius, der von 1757 bis 1771 als Oberpfarrer und Inspektor der Synode
Ottweiler in der Nachfolge von Georg Christian Woytt6 gewirkt hatte, zum zwei-
ten Male als Pfarrer in das Dorf Völklingen begab (er war dort bereits 1743 bis
1751 tätig), wurde ihm der Titel des Oberpfarrers belassen, aber Rollé legte Wert
darauf festzustellen, dass Streccius keine kirchenleitende Funktion mehr wahr-
nehmen durfte. Die zukünftigen Pfarrer der Grafschaft wiederum wurden stets vor
dem Pfarrkonvent unter Vorsitz des Superintendenten examiniert, bevor sie durch
die Ordination in den Gemeinden installiert werden konnten.
Rollés Amtszeit in Saarbrücken war geschmückt mit hervorragenden Ereig-
nissen: Nicht nur, dass der Neubau des Gymnasiums, das Graf Ludwig 1604 ge-
gründet hatte, 1752 in Dienst gestellt wurde, vielmehr konnte 1775 die Ludwigs-
kirche mit einer Einweihungskantate als neue Residenzkirche in Gebrauch genom-
men werden. Beides, das neue Gymnasialgebäude und die prachtvolle Ludwigs-
kirche, waren Werke des Generalbaudirektors Friedrich Joachim Stengel. 1755
schließlich, zur 200. Wiederkehr des Augsburger Religionsfriedens, wurde in Saar-
brücken ein Dankfest abgehalten, wobei der Superintendent die Gestaltung des Ta-
ges mit Predigttext und Gesängen genau festgelegt hatte. Ein ganz anderer Tag
schließlich war die Rückkehr des Erbprinzen Ludwig (1745-1794) nach sieben-
jähriger Abwesenheit und sein Einzug mit seiner jungen Ehefrau Wilhelmina von
Schwarzburg-Rudolstadt (1751-1780) im Dezember 1766 in Saarbrücken. Superin-
tendent Rolle vertrat die Geistlichkeit aller dreyen Religionen.
1775 wurde Thomas Balthasar Rollé, nunmehr 80-jährig, in den Ruhestand
versetzt. Da seine zweite Gemahlin im Jahr zuvor bereits verstorben war, musste
der greise Superintendent eine andere Lösung für seinen Ruhestand finden. Er
schloss im Januar 1779 einen Vertrag mit seinem Sohn, dem Regierungsrat Johann
Friedrich Rollé, der gegen Zahlungen aus dem Pfarrgefälle Wohnung und Unter-
halt garantierte. Im Jahre 1780 trug der Saarbrücker Pfarrer Johann Friedrich Röch- * 4
30: 153 vom 31. März 1747; H 67: 80 vom 3. April 1765.; H 75: 53 vom 20. März 1769;
M 3 H 67: 81.
Archiv der Franckeschen Stiftungen Halle/Dänisch-Hallesche Mission. Brief von
Thomas Balthasar Rollé an Gottlieb Anastasius Freylinghausen vom 2. April 1774
4 Archiv der Franckeschen Stiftungen Halle/Dänisch-Hallesche Mission. Brief von Tho-
mas Balthasar Rollé an Nicolaus Ernst Wild vom 3. September 1765 (dort ein Siegel
Rollés); M 3 H 69: 70.
LA Saarbrücken: Archivaliensammlung des Historischen Vereins für die Saargegend A
353 Rundschreiben des Superintendenten Thomas Balthasar Rollé aus den Jahren 1742
bis 1773.
76 Vgl. Joachim Conrad, Art. Woytt, Georg Christian (1694-1764), in: BBKL 23 (2004),
Sp. 1581-1585.
248
ling7 in das Kirchenbuch ein: Obiit dysent et marasma [Ruhr und Altersschwä-
che], den 13., Sepultus d. 15. October, als ich meine Antrittspredigt gehalten hatte,
aetate 84 Jahr 9 Monate 22 Tage, Johann Balthasar Rollé, Consistorialrat und
Superintendent.
Nach dem jähen Tod des Völklinger Pfarrers Johann Conrad Seidels, der wäh-
rend der Emtedankfestpredigt in der Martinskirche einen Schlaganfall erlitt und
starb, installierte Thomas Balthasar Rolle seinen Sohn Karl Johann Reinhard als
Pfarrer in Völklingen, Dieser war am 29. April 1739 in Mülheim/Ruhr getauft wor-
den. Wo er studiert hat, ist bisher nicht bekannt, vielleicht in Gießen, wo sein
Onkel Dr. Reinhard Heinrich Rolle als Professor lehrte. 1764 übernahm er die vier-
te Pfarrstelle in Saarbrücken und folgte dann Pfarrer Seidel in Völklingen. Was ihn
bewog, 1771 die Prorektorenstelle des Saarbrücker Gymnasiums anzutreten, ist
noch unklar. Die Völklinger Pfarrstelle übernahm einstweilen Johann Caspar Strec-
cius, der schon von 1743 bis 1751 in Völklingen gewirkt hatte. 1774 kehrte Karl
Johann Reinhard Rollé nach Völklingen zurück und blieb bis zu seiner Emeritie-
rung 1803 - also insgesamt rund 35 Jahre. Er verantasste dann den Neubau eines
evangelischen Pfarrhauses im Alten Brühl in Völklingen; die Pläne stammten vom
Nassau-Saarbrückischen Baudirektor Balthasar Wilhelm Stengel78.
Am 18. Februar 1767 hatte Rolle in Birkenfeld Karolina Sophia Maria Rumpel
geheiratet, die Tochter des Trabener Pfarrers Johann Friedrich Rumpel. Den Ehe-
leuten wurden neun Kinder geschenkt 9. Schon früh erlitt Rolle einen Schlaganfall
und wurde von Vikaren unterstützt80. Für die schweren Revolutionsjahre werden
von 1796 bis 1801 Johann Konrad Wagner, von 1801 an bis zur Emeritierung 1803
Carl Friedrich Zickwolff der Ältere genannt, der Rollé als Pfarrer nachfolgen sol-
lte. Über die Zeit vom 15. Oktober 1793 bis 19. Januar 1794 berichtete Rollé im
Kirchenbuch: Nachdem mich im Pfarr Hauß die Franzosen 6 mahl geplündert
haben, da ich ihnen sehr viele Lieferungen habe geben müssen, auch Pferd, Vieh,
alles Feder Vieh, Brandschazung, Geld habe geben müssen. Nachdem sie wie
jedesmahl Geld haben wollen Nachts von 10 bis 12 Uhr mir einer Pistol auf die
Brust gehalten und einen Säbel mir an den Halß um Geld zu bekommen, gehalten.
Darauf ich mich, so gut ich konnte mich reterirte, da sie hernach mich rein
ausplünderten, Comode und Sch[r]änke verschlugen, so mußte ich mich hierauf
Vgl. Ders., Art. Röchling, Johann Friedrich (1736-1814), in: BBKL 26 (2006), Sp.
1254-1260.
Best. Nassau-Saarbrücken II Nr. 4045 Bau eines neuen Pfarrhauses zu Völklingen.
Es waren dies: 1.) Thomas Friedrich Karl (geb. 10. Oktober 1768); - 2.) Christiane
Karoline Caritas (geb. 1. September 1770); - 3.) Karl Johannes Casimir (geb. 27.
Oktober 1773); - 4.) Caritas Johanna Karolina (geb. 2. Oktober 1774); - 5.) Karl Thomas
Friedrich (geb. 10. Mai 1777); - 6.) Friedrich Sophie Christiane Henriette (geb. 18. Mai
1779); - 7.) Katharina Wilhelmine Christina (geb. 9. September 1781); - 8.) Eleonora
Philippine Luise (geb. 16. September 1784); - 9.) Johann Wilhelm Ludwig (geb. 11.
April 1790).
Das waren: 1780-1781 N. Heitz, 1781-1782 Ludwig Heinrich Drach, 1782 N. Hild und
ebenfalls 1782 Johann Karl Rebenack.
249
von hier fortmachen und meine Leute ohne Geld zu geben wenn ich fort wäre,
wollen sich allein durchhelfen \
Pfarrer Rollé starb am 28. Dezember 1808. Von Rollé und seiner Frau haben
sich womöglich Porträtbilder erhalten*2.
4. Das 19. Jahrhundert
4.1 Familie Zimmermann
Neben der großen lutherischen Kirche in Saarbrücken gab es seit dem 18. Jahrhun-
dert eine reformierte Gemeinde, die Fürstin Charlotte Amalie von Nassau-Usingen,
eine geborene von Nassau-Dillenburg, als Vormünderin von Saarbrücken gegrün-
det hatte. Für sie entwarf Baumeister Stengel die heutige Friedenskirche. 1801 soll-
te in dieser Gemeinde Carl Ludwig Alexander Zimmermann*3 seinen Dienst antre-
ten. Am 19. Mai 1770 im elsässischen Altweiler, Oberamt Harskirchen, als Sohn
des reformierten Pfarrers Johann Philipp Zimmermann (1736-1801) und seiner
Frau Anna Philippine Balbier (1741-1815) geboren, wurde Zimmermann als Pfar-
rer, Konsistorialpräsident, Superintendent, Rektor des Saarbrücker Gymnasiums
und zwischenzeitlich Oberbürgermeister in Saarbrücken durch die Unbill der Ge-
schichte bestimmt, die Geschicke der Region im Umbruch vom Ancien Regime
über die Revolution zur preußischen Restauration zu lenken.
Carl Ludwig Alexander Zimmermann*4 wuchs in Saarbrücken heran und be-
suchte das Saarbrücker Gymnasium. Wie später auch sein jüngerer Bruder Philipp
Jakob** (1772-1840) studierte er Theologie. Während Philipp Jakob zuerst im loth-
ringischen Lixheim, dann im ehemals nassau-saarbrückischen Ludweiler (seit
1810) als reformierter Prediger Dienst tat, ging Carl Ludwig Zimmermann 1801 an
die reformierte Saarbrücker Gemeinde. Seit 1804 war er zugleich dritter Lehrer am 81 82 * 84 85
81 Ev. Pfarrarchiv Völklingen. Best. K 1-1,3 Drittes Kirchenbuch, S. 148-149. Eintrag von
Pfarrer Rollé im Sterberegister nach dem 17. September 1793 und vor dem 9. November.
82 Das Porträt (Öl auf Leinwand, 35x 30 cm) von Karl Johann Reinhard Rollé befindet sich
im Saarland-Museum Depot B, Inventarnummer 1843 und wird auf 1759 datiert. Es ist
verzeichnet mit dem Namen seines Vaters, des Superintendenten Thomas Balthasar Rollé
(1695-1780). Es ist also - wenn die Datierung stimmt - die Frage, ob es sich um den 64-
jährigen Thomas Balthasar Rollé handelt oder (eher) um seinen zwanzigjährigen Sohn.
Das Porträt der Karolina Sophia Maria Rollé geb. Rumpel zeigt eine alte Frau in Standes-
tracht.
8j Vgl. Hanns Klein, Kurzbiographien der Bürgermeister (Alt-) Saarbrückens, St. Johanns,
Malstatt-Burbachs und der Großstadt Saarbrücken. Anhang: Beigeordnetenkollegium
und Stadtratsmitglieder, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 19 (1971), S.
510-538, hier S. 514; Joachim Conrad, Art. Zimmermann, Karl Ludwig Alexander
(1770-1835), in: BBKL 29 (2008), Sp. 1590-1593.
84 Vgl. Klein, Kurzbiographien (wie Anm. 83).
85 Philipp Jakob Zimmermann wurde am 21. oder 23. Februar 1772 in Altweiler, Oberamt
Harskirchen, geboren. Von 1794 bis zu seinem Tod am 19. Dezember 1840 war er Pfar-
rer von Ludweiler, er trat also seinen Dienst mit 22 Jahren ab. Er war mit Johannette
Charlotte Haldy aus Saarbrücken verheiratet. Mit dem Übertritt zur Saarbrücker Union
übernahm er auch die Leitung der ehemals lutherischen Gemeinde in Karlsbrunn. Philipp
Jacob Zimmermann ist in Ludweiler beerdigt.
250
Saarbrücker Gymnasium. Von 1808 bis 1834 hatte Zimmermann auch die Leitung
des Gymnasiums in seinen Händen.
Die französischen Revolutionstruppen hatten 1793 nicht nur den Fürsten
Ludwig von Nassau-Saarbrücken vertrieben, sondern auch die alte Nassau-Saar-
brückische Landeskirche zerschlagen. Seit 1800 gab es das Arrondissement de
Sarrebruck mit den Kantonen Saarbrücken, St. Arnual, Lebach, Ottweiler, St. Wen-
del und Waldmohr. Die evangelischen Gemeinden des Departements wurden ge-
mäß der Organischen Artikel vom 8. April 1802 verwaltungsmäßig in vier Lokal-
konsistorien zusammengefasst, nämlich in drei lutherische (Saarbrücken, St.
Johann und Ottweiler) und in ein reformiertes (Saarbrücken). Carl Ludwig Zim-
mermann übernahm mit dem Titel eines Konsistorialpräsidenten die Leitung des
reformierten Konsistoriums.
Mit dem Wiener Kongress 1815 fiel das Rheinland an das Königreich Preußen;
Saarbrücken lag im Oberpräsidium Koblenz und gehörte zum Regierungsbezirk
Trier. Zimmermann muss soviel Reputation besessen haben, dass ihm der außeror-
dentliche Kommissar des Generalgouvemeurs der russischen Besatzungsarmee,
Regierungsrat Schnetzler, mehr zutraute als nur die kirchlichen Amtsgeschäfte.
Am 23. Juli 1815 erfolgte seine Ernennung zum Oberbürgermeister von Saar-
brücken. Doch war die Belastung offenbar zu hoch, denn im September 1816 ver-
zichtete Zimmermann mit Billigung der Regierung in Trier zugunsten seines Pfarr-
kollegen Johann Friedrich Köllners<’ aus Malstatt, der bisher das Amt des Beige-
ordneten wahrgenommen hatte.
Auf Anordnung des Königlichen Konsistoriums in Koblenz vom 2. Februar
1817 wurden in den evangelischen Gemeinden an der Saar Presbyterien gebildet.
Die lutherischen Lokalkonsistorien im neuen Landkreis Saarbrücken wurden am
25. Februar zu einer Kreissynode zusammengefasst, während die beiden reformier-
ten Gemeinden in Saarbrücken und Ludweiler mit Stillschweigen übergangen wur-
den. Am 27. August 1817 erging in Saarbrücken der Aufruf zur Saarbrücker Uni-
on. Die Formulierung zur Unionsurkunde stammte wohl vom dem St. Johanner
Konsistorialpräsidenten Philipp Friedrich Gottlieb. Sie hielt fest, dass die ehemals
lutherischen oder reformierten Gemeinden solange Bestand haben sollten, solange
ihre Pfarrstellen besetzt waren. Bei Vakanzen aber war zu prüfen, welche Pfarrei
womöglich aufgehoben werden konnte. Fortan sollten sich die ehemals reformier-
ten und lutherischen Pfarrer bei den Abendmahlsfeiern gegenseitig assistieren und
alles thun, was sie thun können, um das Band der Vereinigung immer fester zu
knüpfen*1.
Im Dezember 1817 wurden die bisherigen Konsistorialpräsidenten zu Superin-
tendenten ernannt; sie führten das Amt alternierend bis zum Ausscheiden oder bis
zum Tod. Durch den Tod der Kollegen versah der vormals reformierte Superinten-
dent Zimmermann das Amt bis zuletzt und berief die erste Kreissynode auf der
Grundlage der neuen Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung auf den 13. Mai
1835. Diese erste Kreissynodaltagung im Gebäude des Gymnasiums in Saarbrü-
Vgl. Joachim Conrad, Art. Köllner, Johann Friedrich (1764-1853), in: BBKL 23 (2004),
Sp. 829-837.
Vgl. Ders. (Hg.), Die Protokolle der alten Kreissynode Saarbrücken 1835-1897, Bd. 1
(Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 160,1), Bonn 2002, S. 198.
251
cken diente dazu, dass sich die Gemeinden und die Pfarrerschaft an die neue Kir-
chenordnung gewöhnen sollten. So wurde etwa über die kirchlichen Feiertage be-
raten, und es sollten, die bisher im ehemaligen Nassauischen Lande üblichen mo-
natlichen Buß- u. Bettage in Zukunft abgeschafft u. dafür der allg. schon in an-
deren Provinzen bestimmte Bußtag nach dem Sonntag Jubilate im hiesigen Kreise
eingeführt werden88, Und weil die Kreissynode feststellen musste, wie wenig hie u.
da, besonders von Seiten der Katholiken, das hohe Fest des Charfreitag, als sol-
ches betrachtet u. geheiligt werde, so trägt die Kreissynode dahin an, die Provin-
zialkirche wolle bei der höheren Staatsbehörde erwirken, daß der genannte Tag als
ein gesetzlicher Feiertag explizirt u. dadurch diejenigen, welche an diesem Tage
gewöhnliche Arbeiten verrichten, durch die Gerichte von Ähnlichem abgehalten
werden89 Daneben beschäftigte man sich mit dem Konfirmationsalter, der Kir-
chenzucht und der konfessionell gemischten Ehe. Am Ende der Tagung dankte die
Kreissynode Saarbrücken für Kirchenordnung und Agende - das von Bischof Wil-
helm Roß initiierte Junktim fiel also auch in Saarbrücken auf fruchtbaren Boden.
Carl Ludwig Zimmermann starb noch im selben Jahr am 17. September; die
Amtsgeschäfte führte bis zur Synode des Jahres 1836 der Synodalassessor Dr.
Gottlieb Ernst Follenius. Nicht aber er, sondern der Dudweiler Pfarrer Carl Ludwig
Römer wurde zum neuen Superintendenten der Kreissynode Saarbrücken gewählt.
Superintendent Zimmermanns Sohn Karl wurde Pfarrer in Wiebelskirchen.
Geboren am 19. März 1810 in Saarbrücken, liegen über sein Studium bisher keine
Angaben vor. Von 1834 bis 1835 fungierte er als Hilfsprediger in Wiebelskirchen,
wo er auch die Pfarrstelle übernahm. Er hielt am 1. September 1878 seine Ab-
schiedspredigt und starb hochbetagt am 4. Juni 1896 in Neunkirchen. Am 7. Juni
wurde er in seiner alten Pfarrgemeinde beigesetzt. 35 Jahre lang war Pfarrer Karl
Zimmermann auch Kreisschulinspektor.
4.2 Die Familie Zickwolff
Besonders interessant ist die Situation der Pfarrer Zickwolff in Völklingen. Carl
Friedrich Zickwolff der Ältere wirkte bereits am Ende der langen Amtszeit seines
Vorgängers Rollé als Vikar in Völklingen. Am 4. März 1781 in Saarbrücken als
Sohn des gleichnamigen Lehrers Carl Friedrich Zickwolff und seiner Frau Maria
Elisabeth Pabst geboren, hatte er das dortige Gymnasium besucht und dann in
Halle Theologie studiert. 45 Jahre lang sollte er der Völklinger Gemeinde vor-
stehen - wohl die längste Amtszeit am Ort. Zickwolff wirkte in der Synode Saar-
brücken ehrenamtlich als Rendant der Saarbrücker Pfarrwitwenkasse. Am 17. Juli
1806 heiratete er in Ottweiler die Pfarrerstochter Christine Sophie Luise Drach;
Pfarrarchiv Kölln. Best. 72 Synodalprotokolle. Protokoll der Tagung der Kreissynode
Saarbrücken vom 13. Mai 1835; vgl. Joachim Conrad, Die konstituierende Sitzung der
alten Kreissynode Saarbrücken am 13. Mai 1835, in: MEKGR 57 (2008), S. 257-262,
hier S. 260.
252
fünf Kinder0 wurden den Eheleuten geschenkt, von denen Eduard und Karl Fried-
rich der Jüngere Pfarrer wurden.
Die Amtszeit des älteren Zickwolff in Völklingen war anfangs geprägt von den
Napoleonischen Kriegen und dem Übergang des Saarraums an das Königreich
Preußen nach dem Wiener Kongress. Das kirchliche Binnenklima wurde bestimmt
durch den Zusammenschluss der Lokalkonsistorien zur neuen Synode Saarbrücken
und dem Übergang zur Saarbrücker Union am 24. Oktober 1817, deren Urkunde
der ältere Zickwolff unterschrieben hat.
In Völklingen belastete das Simultanverhältnis die Beziehungen zwischen der
evangelischen und der katholischen Gemeinde. Das war auch höheren Ortes be-
kannt. Und so schrieb die Königlich-preußische Regierung an das Rheinische Kon-
sistorium am 29. September 1842: Die Pfarrer sprachen sich für die Aufhebung
des Simultaneums und den Neubau einer katholischen Kirche in Völklingen aus,
wogegen den Evangelischen die bisherige Kirche allein zu übertragen sei, welche
Ansicht die Einwohner dieses Dorfes um so mehr theilen, als durch die Erbauung
einer Filialkirche, worauf die Einwohner jenseits der Saar antragen, in Geislautern,
den Handel und Verkehr in Völklingen leiden würden \ Dem älteren Zickwolff war
es aber nicht mehr vergönnt, die Aufhebung des Simultanverhältnisses in seiner
Amtszeit zu erleben. Sie erfolgte wenige Jahre nach seiner Emeritierung.
Die Tatsache, dass die Pensionierung eines Pfarrers für den Nachfolger erheb-
liche Gehaltseinbußen bedeutete, lässt die initiative des älteren Zickwolff, der
seinen gleichnamigen Sohn als Nachfolger empfahl, vielleicht in einem andere
Lichte erscheinen: Schon seit geraumer Zeit fühle ich, wie nun schon nach fast
sechs und vierzig jähriger Amtsführung, sowohl meine körperlichen wie geistigen
Kräfte in zunehmender Abnahme begriffen sind, die es mir mehr und mehr zu
schwer macht, den Pflichten meines Amtes in der Ausdehnung zu genügen, wie es
dasselbe immer und noch mehr bei den schweren und verhängnisvollen Verhält-
nissen der gegenwärtigen Zeit erfordert. Meinen Gedanken an eine Pensionierung
kam entgegen der vielfach in der Pfarrei laut werdende Wunsch, meinen jüngsten
Sohn, Carl Friedrich, den Candidaten der Theologie, als meinen Nachfolger hier
zu sehen’2. Superintendent Dr. Gottlieb Follenius versammelte die Völklinger Ge-
meinde und nahm zur Kenntnis, dass die Nachfolge des jüngeren Zickwolff auf
große Akzeptanz stieß. Das Presbyterium votierte am 1. März 1849 in die gleiche
Richtung, so dass das Koblenzer Konsistorium im Juli 1849 zustimmte.
Es sind dies 1.) Eduard, geb. 31. März 1807 in Völklingen, von 1840 bis 1890 Pfarrer in
Saarbrücken. Er lebte als Emeritus in Riegelsberg und starb am 5. März 1898; - 2.)
Adolf, geb. am 21. Januar 1810 in Völklingen; - 3.) Luise Auguste Sophie, geb. am 23.
Mai 1813 in Völklingen; -4.) Henriette Amalie Withelmine, geb. 27. Februar 1815 in
Völklingen; - 5.) Karl Friedrich d. J., geb. 27. Januar 1822 in Völklingen, wo er auch als
Pfarrer wirkte.
n AEKR 10B 008 Best. 41 Ortsakten Völklingen. Acta betr. Kirchen-, Pfarrhaus- und
sonstige Bauangelegenheiten 1842-1926. Brief der Königlich-preußischen Regierung.
Abteilung des Innern an das Rheinische Konsistorium vom 29. September 1842.
n AEKR lOB 008 Best. 41 Ortsakten Völklingen. Acta betr. die Pfarrstelle der evang. Ge-
meinde zu Völklingen 1849-1900. Brief von Pfarrer Carl Friedrich Zickwolff d. Ä. an
das Konsistorium 24. Februar 1849.
253
Dem Nachfolger von Dr. Follenius, dem Saarbrücker Superintendenten Johann
Gottfried Schirmer, war der jüngere Zickwolff nicht unbekannt; er trug selbst der
Synode vor: Von den beiden in der Synode befindlichen Predigtamts-Candidaten
legte der Candidat pro licentia concionandi Carl Friedrich Zickwolff aus Völk-
lingen vom 27. bis zum 30. April c. sein Examen pro ministerio ab, und erhielt das
Prädikat: , sehr gut bestanden m.
Auf der 28. Tagung der Saarbrücker Kreissynode am 5. Oktober 1864 infor-
mierte der Superintendent die Pfarrkollegen über den Tod des Emeritus: Auch aus
unserem engem Synodalkreise ist ein Amtsbruder durch den Tod geschieden, der
hochbetagte Pfarrer emer. Herr Carl Friedrich Zickwolff senior, welcher am 19.
September v. J., 82 Jahre alt, im Herrn entschlafen ist. Seit 1849 in den Ruhestand
getreten, war es ihm vergönnt, noch 14 Jahre lang einen stillen Feierabend zu ge-
nießen am Orte seines langen treuen gesegneten Wirkens. Als vieljähriger Rechner
unserer Saarbrücker Pfarr-Wittwen-Kasse hat er sich durch sorgfältige Verwal-
tung dieses wohlthätigen Fonds ein besonderes Verdienst erworben. Eine Zahl von
Amtsbrüdern, unter ihnen seine beiden Söhne, geleiteten die Leiche zum Grabe.
Die Predigt hielt Herr Pfarrer [Gustav] Ilse über den von dem Verewigten selbst
gewählten Text 1. Mos. 31,10. In den ewigen Ruhestand versetzt, ist der treue
Knecht eingegangen zu seines Herrn Freude* 94. Der Tod des älteren Zickwolff kam
unerwartet der evangelischen Gemeindearbeit zugute, denn eine Tochter, Auguste
Zickwolff, begründete das Zickwolffsche Legat. Rupp berichtet: Fräulein Auguste
Zickwolff vermachte der Armenkasse unserer Gemeinde 800 Mark zur Erinnerung
an ihre Eltern, die aus Demut keinen Grabstein gewünscht hatten. Die Zinsen sind
zur Hälfte für alleinstehende alte Frauen und Jungfrauen und zur Hälfte für
Zwecke der inneren Mission bestimmt95.
Im Juli 1849 war also Karl Friedrich Zickwolff der Jüngere seinem Vater im
Völklinger Pfarramt gefolgt. Obwohl das fünfte Kind der Völklinger Pfarrersleute,
hatte er doch 1840 Abitur am Saarbrücker Gymnasium machen und das Studium
der Theologie in Bonn und Berlin aufnehmen können. Bereits 1844 legte er das
Examen pro licentia concionandi ab. Vom 27. bis 30. April folgte das Examen pro
ministerio, das er mit dem Prädikat sehr gut bestanden absolvierte. Am 18. Januar
1850 heiratete Karl Friedrich Zickwolff der Jüngere die 22-jährige Juliane Mathil-
de Kehr; den Eheleuten wurden zwölf Kinder geboren96.
9j Bericht von Superintendent Johann Gottfried Schirmer auf der 10. Tagung der Saar-
brücker Kreissynode am 21. Oktober 1846, in: Conrad, Protokolle (wie Anm. 87), S.
289. Im selben Bericht kommt auch eine Gehaltserhöhung um 50 Thaler für den Vater
Zickwolff zur Sprache.
94 AEKR 10B 008 Best. 41 Ortsakten Völklingen. Acta betr. die Pfarrsteile der evang. Ge-
meinde zu Völklingen 1849-1900. Brief von Superintendent Johann Gottfried Schirmer
an das Konsistorium 24. September 1863.
95 Pfarrarchiv Völklingen Best. 10 Karl Rupp, Geschichte der Pfarrei Völklingen (maschi-
nenschriftlich, 14 Seiten), S. 12.
96 1.) Maria Magdalena (geb. am 16. Januar 1851); -2.) Karl Friedrich (geb. 9. Juli 1852);
- 3.) Gustav Adolf (geb. 30. Dezember 1853); -4.) Mathilde (*/f 1855); - 5.) Hermann
Gisbert, (geb. 23. September 1856); - 6.) Elisabeth (*/f 1858); - 7.) Anna Helene Berta
(geb. 1. Januar 1860); - 8.) Johann Friedrich (geb. 6. Juli 1861); - 9.) Therese (1862-
254
Der jüngere Zickwolff bemühte sich wie schon sein Vater um die Auflösung des
Simultanverhältnisses in einer spannungsreichen Zeit; sie erfolgte am 30. Mai
1849. In diesem Zusammenhang kam es 1852 zu Renovierungsmaßnahmen an der
Kirche, die aus Mitteln der Zivilgemeinde finanziert wurden* 9 * 97. Im Jahre 1855 er-
reichte Pfarrer Zickwolff der Ruf, die Stelle eines Oberpfarrers in Ottweiler und
Schulinspektors anzutreten. Am 7. Oktober 1855 wurde er in Ottweiler eingeführt,
wo er bis zu seiner Emeritierung 1892 verblieb. Dort wirkte er auch literarisch98 99.
Ausgezeichnet mit dem Roten Adlerorden 4. Klasse wurde der jüngere Zickwolff
am 15. September 1892 in den Ruhestand versetzt. Zwei Jahre später, am 18. Juli
1894, starb er in Kreuznach".
4.3 Die Familie Zillessen
ln Malstatt und Gersweiler hatte nach der Emeritierung des bedeutenden Pfarrers
Friedrich Köllners 1837 Wilhelm Heinrich Zillessen das Pfarramt übernommen.
Zillessen, am 13. März 1797 als Sohn eines Landwirtes in Jüchen geboren, wech-
selte anfangs rasch die Pfarrstellen100. Unter Zillessens Leitung wurde die Gemein-
de Gersweiler, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts pfarramtlich mit Malstatt ver-
bunden war, am 23. Juni 1844 wieder selbstständig. Zillessen selbst wurde 1871
emeritiert und starb am 7. November 1881. Zwei seiner Söhne waren auch in den
Pfarrdienst gegangen: Hermann Friedrich Zillessen, Pfarrer in Enkirch und später
in Ludweiler, und Gustav Adolph Zillessen, Pfarrer in Völklingen und dann in St.
Arnual. Dieser war seit 1878 Superintendent in Saarbrücken.
Gustav Adolph Zillessen folgte den Zickwolffs in Völklingen. Am 13. Juni 1830
in Züsch geboren, machte er 1849 am Saarbrücker Gymnasium Abitur und studier-
te dann in Bonn und Berlin. Vom 7. bis 9. April 1853 legte er das Examen pro
licentia concionandi in Koblenz ab und arbeitete dann in der Pastoralgehilfenan-
stalt in Duisburg. Nach dem Examen pro ministerio im Herbst 1854 kam er als
Synodalvikar nach Saarbrücken und vertrat den kranken Pfarrer Friedrich Peter-
1863); - 10.) Paul Emanuel (geb. 25. Juli 1864); -11.) Lydia (geb. 5. Januar 1866); -
12.) Otto (geb. 10. Mai 1867).
9 Bericht von Superintendent Johann Gottfried Schirmer auf der 16. Tagung der Saarbrü-
cker Kreissynode am 28. Juli 1952, in: Conrad, Protokolle (wie Anm. 87), S. 351.
9S Offene Antwort auf die Denkschrift des Hochwürdigen evangelischen Oberkirchenrathes
vom 18. Februar 1867, Saarbrücken. Druckerei Christian Möllinger; „Christus oder Ba-
rabbas“. Eine schwer verklagte Karfreitagspredigt 1873, Saarbrücken. Druckerei
Christian Möllinger.
99 Ein letzter Zickwolff gleichen Namens wurde 1927 Pfarrer in Dillingen. Am 8. Februar
1895 in Sulzbach als Sohn des Grubengärtners und Kaufmanns Otto Zickwolff und der
Charlotte Weingard geboren, studierte er in Greifswald, Bonn und Heidelberg. Nach den
Examina vor dem Konsistorium in Koblenz am 25. April 1923 bzw. am 29. Oktober
1924 und dem Vikariat in Neunkirchen wurde er am 7. Dezember 1924 durch Super-
intendent D. Hubert Nold ordiniert und in den Hilfsdienst nach Dillingen geschickt. Zick-
wolff war von 1948 bis zur Pensionierung 1964 der erste Superintendent des neu gegrün-
deten Kirchenkreises Völklingen. Er starb am 23. September 1965 in Dillingen; vgl.
AEKR 1 OB 009 PA 51 Zickwolff 037.
100 1824-1827 Thalfang, 1827-1833 Züsch, 1833-1838 Sensweiler; vgl. Rosenkranz,
Rheinland (wie Anm. 34), S. 584.
255
sen101 102 103 in St. Johann. Am 22. Oktober 1855 wurde Zillessen durch Superintendent
Johann Gottfried Schirmer in der väterlichen Kirche in Malstatt ordiniert. Am 27.
Mai 1856 erfolgte die Ernennung zum Pfarrer von Völklingen und am 15. Juni
wurde er in sein Amt eingetiihrt.
Am 4. Juni 1857 heiratete Adolph Zillessen seine Frau Auguste Karoline Johan-
na (1834-1896) aus der Pfarrerdynastie Fauth; neun Kinder10' wurden den Ehe-
leuten geschenkt, unter denen Oskar10’ und Julius104 wieder Pfarrer wurden. Aus
Zillessens Amtszeit hat sich ein ausführlicher Visitationsbericht vom 12. Juli 1863
erhalten, der einen kleinen Einblick in die Situation der Gemeinde bietet105 * *.
Adolph Zillessen zeigte sich in vielfältiger Hinsicht als engagierter Pfarrer.
Probleme, die schon lange anstanden und deren Abhilfe nicht einfach zu ermög-
lichen war, ging er an. So stellte er 1866 einen Antrag an die Kreissynode auf eine
neue Zirkumskription der Pfarrei Völklingen, der als elftes Proponendum der Sy-
node vorgelegt wurde. Hochwürdige Synode wolle die Erklärung abgeben, daß zur
Pfarrei Völklingen keine im Kreise Saarlouis liegenden Ortschaften gehören, even-
tuell eine neue Circumscription der Pfarrei zu beschließen. Motive: Irrthümlicher
Weiße sind in der Nachweisung der Amtsverrichtungen des Pfarrers mehrere im
Kreise Saarlouis liegende Ortschaften so aufgeführt, als wenn sie Theile der Pfar-
rei wären. Wie unangenehm solche Verhältnisse später werden können, haben die
langwierigen Verhandlungen der Umpfarrung der Einwohner Clarenthals gezeigt;
ebenso die Verhandlungen wegen Aufbringung von Kosten zur Bestreitung kirch-
101 AEKR 1 OB 010 (Kirchenkreis Saarbrücken) Nr. 8 Bd. 1 (1846-1894); vgl. auch Will-
helm Wegener, Friedrich Petersen. Erster Pfarrer in St. Johann-Saarbrücken. Eine bio-
graphische Skizze, in: Zwischen Mosel und Saar. Festschrift Hans-Walter Herrmann, hg.
von Wolfgang Läufer u. a. (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Lan-
desgeschichte und Volksforschung 24), Saarbrücken 1995, S. 351-366.
102 1.) Wilhelm Oskar (geb. 16. Mai 1858); - 2.) Oskar Adolf Karl (geb. 31. August 1859),
Pfarrer in Ludweiler; - 3.) Julius Adolf (geb. 24. Oktober 1860), Pfarrer in Altenwald; -
4.) Friedrich Franz (geb. 13. September 1862); - 5.) Wilhelm (geb. 4. April 1864); - 6.)
Hermann (geb. 29. Januar 1866); - 7.) Heinrich (geb. 22. Januar 1868); - 8.) Otto Jakob
Benjamin (geb. 2. Januar 1870); - 9.) Auguste Ida Klara Luise (geb. 14. November
1871).
103 Oskar Adolf Karl Zillessen, geb. am 31. August 1859 in Völklingen, Studium in Tü-
bingen, Berlin und Bonn, Ostern 1884 Prüfung pro lic. concionandi zu Koblenz, 11.
Januar 1886 Ordination in St. Amual, im Dienste der rheinisch-westfälischen Pastoral-
hilfsgesellschaft, 1887-1916 Pfarrer in Ludweiler, 1916 emeritiert, gest. 11. April 1941.
014 Julius Adolf Zillessen, 24. Oktober 1860 in Völklingen geboren, Besuch der Schule in
Sarreguemines; 5. August 1882 Abitur; 1882-1885 Studium in Bonn, Marburg und
Berlin, 1883-1884 Militärdienst, 14. Oktober 1889 Licentia concionandi, Examen 28.
Oktober 1891 pro ministerio, 1892 Hilfsdienst in Kölln, 15. Januar 1893 Ernennung zum
Synodalvikar, 2. Februar 1893 Ordination in St. Amual, 1. Juni 1894 Ernennung zum
Pfarrvikar in Altenwald, 21. August 1894 Heirat mit Maria Franz (* 1865); Kinder: 1.)
Klara Maria Elisabeth (geb. 4. August 1895); 2.) Dorothea Sophie Maria (geb. 15. Febru-
ar 1897); 3.) Maria Sibylla (geb. 20. März 1901), 1927 emeritiert, |26. Oktober 1944 in
Maybach.
1115 Bericht von Superintendent Johann Gottfried Schirmer auf der 27. Tagung der Saar-
brücker Kreissynode am 22. Juli 1863, in: Conrad, Protokolle (wie Anm. 87), S. 618.
256
licher Bedürfnisse {)t. Die Synode beschloss, die Vorgesetzten Behörden um eine
Korrektur der Gemeindegrenzen zu bitten.
Zillessen blieb bis Ende 1871 in Völklingen; am 21. Januar 1872 hielt er in der
Stiftskirche in St. Arnual seine Antrittspredigt. Dort verblieb er bis zur Emeritie-
rung am 1. April 1913. Nachdem er von 1875 bis 1878 das Amt des Synodalasses-
sors bekleidet hatte, wurde er am 24. Juli 1878 zum Nachfolger des verstorbenen
Superintendenten Johann Gottfried Schirmer gewählt und am 7. November 1878
durch Generalsuperintendent Dr. Friedrich Nieden eingeführt. Als Superintendent
betrieb Adolph Zillessen die Teilung der Synode Saarbrücken, die fast das ganz
heutige Saarland umfasste - ausgenommen den Saar-Pfalz-Kreis und die Gemein-
den Dörrenbach, Niederlinxweiler und St. Wendel, aber einschließlich Saarburg.
1897 entstanden die Synoden Saarbrücken und St. Johann, ln Saarbrücken führte
Zillessen die Geschäfte weiter und feierte am 22. Oktober 1905 sein Goldenes
Dienstjubiläum. Mit fast 83 Jahren trat er in den Ruhestand. Er schrieb: Bei den
großen Veränderungen in den Verhältnissen der Pfarrgemeinde St. Arnual, die die
letzten Jahre durch ausgedehnte Ansiedlungen infolge zahlreicher Neubauten in
ihrem Bereiche gebracht haben, sehe ich mich nicht mehr imstande, den Anforde-
rungen, die heut zutage an den evangelischen Geistlichen durch sein Amt nicht nur
gestellt werden, sondern auch gestellt werden müssen, zu genügen. Nach reiflicher
Überlegung sehe ich mich daher um des Gewissens willen genötigt, das Amt, das
ich 57 Jahre geführt habe, niederzulegen, und bitte das Königliche Konsistorium
meine Emeritierung zum ersten April kommenden Jahre zu verfügen 07. Zillessen
starb am Morgen des 28. Januar 1925 in Saarbrücken, fast 95 Jahre alt.
4.4 Die Familie Fauth
Zu den angesehenen Saarbrücker Bürgerfamilienl(№ zählte die Familie Fauth. Der
Bankier Johann Philipp Fauth* 109 war Mitbesitzer der Saarbrücker Kolonialwaren-
großhandlung Palm & Fauth; er stammte aus einem kurpfälzischen Patrizierge-
schlecht und genoss als furstlich-nassauischer Kammerrat hohes Ansehen in der
Stadt110. Während sein ältester Sohn Matthias Christian Wilhelm Fauth111 als Husa-
,0<1 Elftes Proponendum auf der 30. Tagung der Saarbrücker Kreissynode am 31. Oktober
1866, ebd., S. 750.
10 AEKR 1 OB 008 (Kirchengemeinde St. Arnual) Nr. 5 Bd. 1 (1861-1927). Brief von
Gustav Adolph Zillessen an das Königliche Konsistorium zu Koblenz 25. November
1912.
I0,s Das Handelshaus Palm & Fauth besaß in der Saarbrücker Ludwigskirche eine eigene
Loge mit Wappen; diese Loge ging später in den Besitz des Geheimrates Dr. h.c. Karl
Lohmeyer über; vgl. Dieter Heinz, Ludwigskirche zu Saarbrücken, 2. Aull, Saarbrücken
1979, S. 44 Anm. 41a.
109 Johann Philipp Fauth, geb. 28. August 1754, gest. 5. November 1836 in Saarbrücken;
vgl. Carl Büch, Von der alten Saarbrücker Familie Fauth und ihren Nachkommen, in: In
Deinen Händen 1960, S. 110.
1111 Johann Philipp Fauth gehörte zu den Vertrauensleuten der Saarbrücker Bürgerschaft, die
dem geflohenen Landesherrn, Fürst Ludwig von Nassau-Saarbrücken, durch Geldzu-
schüsse den Lebensunterhalt ermöglichten; Fauth weilte in dieser Funktion oft in Baden-
Baden. Durch Verrat kam es zur Plünderung des Fauthschen Besitzes durch den republi-
257
renoffizier mit 19 Jahren tödlich verunglückte, studierte Heinrich Ludwig Theo-
logie. Ludwig, der 1825 am Königlichen Gymnasium in Saarbrücken Abitur ge-
macht hatte111 112 113 114 115' wohnte um 1830 als Predigtkandidat in der Stadt, wo er sich durch
Unterricht in Latein, Griechisch, Hebräisch und Französisch den Lebensunterhalt
aufbesserte, bevor er als Pfarrer in Schauren tätig wurde. Dort wurde ihm auch sein
Sohn Adolf Ludwig geboren112. Im Jahre 1840 wechselte Fauth als Pfarrer nach
Dudweiler, wo er nach nur vierjährigem Wirken an den Folgen eines Leberleidens
am 10. November 1844 verstarb. Luise Fauth, seine Witwe, zog daraufhin mit
ihren fünf noch lebenden Kindern"4, es waren drei Söhne und zwei Töchter, nach
Saarbrücken und wohnte in einem der Palais am Ludwigsplatz.
Adolf Ludwig Fauth besuchte das Königliche Gymnasium in Saarbrücken"5. In
Saarbrücken wurde er von Pfarrer Eduard Zickwolff in der Ludwigskirche konfir-
miert"6. Nachdem er seine Reifeprüfung im Jahre 1857 abgelegt hatte"7, studierte
er von 1858 bis 1861 Theologie in Heidelberg, Berlin und Bonn. In seiner Bonner
Zeit lernte er durch einen Verbindungsbruder dessen Schwester, Martha van Erns-
ter aus Xanten, kennen, die 1866 Fauths Frau werden sollte. Im Frühjahr 1863
übernahm Fauth zuerst die Vertretung für den erkrankten Ludweiler Pfarrer Philipp
Franz Hügel, nach dessen Tod dann die Vakanzverwaltung. Am 15. Dezember
1863 wurde der junge Predigtamtskandidat vom Königlichen Konsistorium in
Koblenz zum Pfarrer von Ludweiler ernannt; der Saarbrücker Superintendent
Johann Gottfried Schirmer ordinierte ihn am 10. Februar 1864 in der Ludweiler
Hugenottenkirche und führte ihn zugleich in sein neues Amt ein"H. Fauth führte
bald den „Evangelischen Katechismus der Provinzialsynode“ ein, der den Ludwei-
kanischen Pöbel; Fauth musste fliehen und trat in preußischen Staatsdienst ein. Als sich
in Saarbrücken die Verhältnisse beruhigten, kehrte er zurück und wurde bald in diploma-
tischer Funktion der Saarbrücker Bürgerschaft nach Mainz geschickt, wo er nach Be-
kanntwerden des ersten Pariser Friedens 1814 bei Justus Grüner, dem Generalgouvemeur
des Mittelrheins, einen günstigeren Bescheid für die Saarbrücker erwirken sollte. 1815
gehörte Fauth mit Heinrich Böcking zu einer Delegation, die dem preußischen Staats-
kanzler Karl August Fürst von Hardenberg die Anschlusswünsche der Saarbrücker vor-
trug. Der Wunsch ging durch den zweiten Pariser Frieden in Erfüllung. Vgl. Adolf
KÖLLNER, Geschichte der Städte Saarbrücken und St. Johann, Bd. 1, Saarbrücken 1865
(ND Saarbrücken 1981), S. 539; BÜCH, Familie Fauth (wie Anm. 109), S. 108.
111 Matthias Christian Wilhelm Fauth, geb. 6. Januar 1798 in Schweinfurt, gest. um 1817 in
Saarbrücken; vgl. BÜCH, Familie Fauth (wie Anm. 109), S. 110.
112 Vgl. RUPPERSBERG, Ludwigsgymnasium (wie Anm. 36), S. 143.
113 Vgl. Joachim Conrad, Art. Fauth, Adolf Ludwig (1836-1912), in: BBKL 23 (2004), Sp.
356-375.
114 Auguste Karoline Johanna (1834-1896), Adolf Ludwig Wilhelm (1836-1912), Johann
Maximilian (1837-1900), Luise Karoline Lisette (1839-1841), Franz Friedrich Christian
(1841-1905), Marie Karoline Luise (1843-1913)
115 Vgl. Ruppersberg, Ludwigsgymnasium (wie Anm. 36), S. 143.
Ilh Robert JÜNGST, Pfarrer em. Ad. Fauth gestorben, in: Evangelisches Wochenblatt 39
(1912), S. 37.
11 Vgl. Ruppersberg, Ludwigsgymnasium (wie Anm. 36), S. 144.
Ils Vgl. Kurt W. Pick, Adolph Ludwig Fauth, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde
Ludweiler/Warndt und Initiator des Kreditvereines des Warndt, in: Geschichte des
Warndt 64(1986), S. 5.
258
ler Sonderkatechismus ablöste; damit setzte er erste Akzente114. In Ludweiler wur-
den die beiden ersten Söhne Franz und Carl geboren120. 1868 initiierte Adolf Lud-
wig Fauth die Gründung eines „Kreditvereins des Warndts“ und stellte sich auch
als 1. Rechner zur Verfügung121. Ludweiler war seit Mitte des 19. Jahrhunderts ge-
waltig gewachsen, und mit der Bevölkerungszahl stiegen auch die sozialen Proble-
me. Hier sollte der Kreditverein Abhilfe schaffen und den Arbeitern ermöglichen,
sich einen kleinen Wohlstand zu erwirtschaften.
Am 25. Februar 1872 hatte Pfarrer Julius Fechner122 in Gersweiler seine Ab-
schiedspredigt gehalten und war nach Malstatt gegangen. Schon am 2. Juni wurde
in Gersweiler die Repräsentation gehört, ob sie gegen den zu Fechners Nachfolger
designierten Ludweiler Pfarrer Adolf Ludwig Fauth etwas einzuwenden habe, was
nicht der Fall war. So verabschiedete sich Fauth im Oktober 1872 von seiner Lud-
weiler Gemeinde und trat den Dienst in Gersweiler an. Am 27. Oktober führte ihn
der Saarbrücker Superintendent Johann Gottfried Schirmer in der barocken Laute-
mannkirche in sein Amt ein. Die Söhne Adolf und Heinrich Florentin sollten dem
Ehepaar in Gersweiler geboren werden123, über dreißig Jahre sollte er der Gemein-
de als Pfarrer, Homöopath und Schriftsteller dienen.
Gersweiler war eine arme Gemeinde, woran auch Fauth nichts änderte. Die
Lage verbesserte sich leicht, als das Stift St. Arnual seine Rechte am Pfarrdotalgut
an die Gemeinden abtrat: Der Verwaltungsrat des Stiftes St. Arnual beschloss, auf
die nuda proprietas an sämmtlichen Pfarrdotationsgrundstücken, soweit sie dem
Stift zusteht, zu verzichten und den betr. Gemeinden die Grundstücke als volles und
ausschließliches Eigentum zur Pfarrdotation zu übergeben 24. Zur jungen katho-
lischen Gemeinde in Gersweiler wahrte Fauth argwöhnischen Abstand; mit Mitteln
der Kirchenzucht griff das Presbyterium immer wieder durch, wenn es zu uner-
wünschten Grenzüberschreitungen kam. Im Blick auf die Gemeindearbeit brachte
Fauth einiges voran. Er ordnete das Procedere1 25 der Begräbnisfeiern und der Trau-
ungen neu und forderte die Ortspolizeibehörde auf, jede Übertretung der Gesetze
über Sonntagsheiligung unnachsichtig zu bestrafen, insonderheit die Erntearbeiten
am Sonntag nur in dringenden Notfällen zu erlauben1"6. In Fauths Amtszeit wurde
die Kirchenmusik gefordert: 1881 beschloss das Presbyterium, das alte Nassau-
120 Franz Fauth, geh. 20. Januar 1868 in Ludweiler, gest. 30. August 1931, Apotheker; Carl
Fauth, geb. 14. Juli 1870 in Ludweiler, gest. 24. April 1932 in Gersweiler, Dr. med.,
Arzt; vgl. BÜCH, Familie Fauth (wie Anm. 109), S. 111.
121 Vgl. Pick, Fauth (wie Anm. 118), S. 5.
'"'Julius Fechner, geb. am 22. November 1827 in Heimbach, Studium der Theologie in
Bonn, Synodalvikar in Eitorf, 1864-1872 Pfarrer in Gersweiler, 1872-1898 in Malstatt,
1898 emeritiert, gest. 13. Mai 1903; vgl. Joachim Conrad, Die evangelischen Pfarrer
von Gersweiler von der Reformation bis zur Gegenwart. Festschrift für Adolf Conrad,
Saarbrücken 1989, S. 29.
123 Adolf Fauth, geb. 20. Januar 1873, gest. 29. August 1959; Dr. phil. Dr. ehern, pharm.;
Heinrich Florentin Fauth, geb. 7. September 1877, gest. 14. Mai 1963, Kaufmann; vgl.
Büch, Familie Fauth (wie Anm. 109), S. 111.
124 Pfarrarchiv Gersweiler Best. Lagerbuch II Abt. A, S. 18.
125 Ebd. S. 13 und S. 14.
126 Ebd. S. 16.
259
Saarbrückische Gesangbuch aufzugeben und stattdessen das Elberfelder Gesang-
buch anzuschaffen12'. Am 24. Februar 1884 beschloss das Presbyterium, die
Orgelbaufirma Stumm in Rhaunen-Sulzbach mit dem Neubau einer Orgel zu
beauftragen.
Als Adolf Ludwig Fauth am 24. Oktober 1897 sein 25-jähriges Ortsjubiläum
beging, war im „Evangelischen Wochenblatt“ ein ausführliches Lob zu lesen* 128 * 130 131 132 * * * *
Seit 1898 war Fauth in die Herausgabe des Wochenblattes einbezogen und ver-
öffentliche zahllose Beiträge1 ^ zum Gesundheitsbereich, zur Arbeiterfrage und
Gedichte1 0 zum Kirchenjahr. Die Beiträge zu Gesundheitsfragen ergaben sich aus
seiner Nebentätigkeit als Arzt, Apotheker und Homöopath. Durch seine Artikel zur
Arbeiterfrage wurde er in den „Patriotenkrieg“ verwickelt, die lange Auseinander-
setzung zwischen Carl Ferdinand von Stumm und der evangelischen Kirche. Es ist
bezeichnend - und wohl das Ergebnis einer Initiative des Freiherrn von Stumm
dass der 1887 verfasste Artikel „Notschrei aus der Tiefe“, worin Adolf Ludwig
Fauth Missstände im Untertagebau anprangerte, kurz vor der Drucklegung der
Zensur zum Opfer fiel. Pfarrer Max Lentze erwähnte diesen unerhörten Vorgang
auf der Saarbrücker Pfarrkonferenz am 12. März 1896: Selbst als die Ueberzeu-
gung eine ziemlich allgemeine geworden war, daß große Mißstände in den
Verhältnissen der Grubenarbeiter eingerissen seien, wurde ein vom Herrn Kolle-
gen Fauth verfaßter Artikel aus dem Jahre 1887 [...] noch einmal im letzten
Augenblick zurückgehalten 2I. Fauth selbst gründete in seiner Gersweiler Amtszeit
1885 den ersten evangelischen Arbeiterverein an der Saar122, der immerhin gleich
sechzig Mitglieder zählte.
Durch Verfügung des Königlichen Konsistoriums zu Koblenz vom 25. Juli 1903
wurde Adolf Ludwig Fauth - nach 39 Jahren unermüdlichen Pfarrdienstes - mit
Wirkung vom 1. Oktober 1903 in den Ruhestand versetzt12’. Fauth bezog eine
Wohnung im neu erbauten Haus seines Sohnes Carl in der Gersweiler Hauptstraße,
wo dieser sich als erster praktischer Arzt der Gemeinde niedergelassen hatte. Im
Ebd. S. 17.
128 Aus Nah und Fern, in: Evangelisches Wochenblatt 24 (1897), S. 350.
124 Ein vollständiges Werkverzeichnis ist publiziert bei Joachim Conrad, Adolf Ludwig
Fauth (1836-1912). Pfarrer - Homöopath - Volksschriftsteller, in: Zeitschrift für die Ge-
schichte der Saargegend. 44 (1996), S. 174-206.
130 Die Gedichte sind publiziert in: Joachim Conrad (Hg.), „Komm zu uns, lieber heil’ger
Christ“. Adolf Ludwig Fauth als Dichter, Saarbrücken 1993.
131 Zitiert nach Klaus Michael Mallmann, Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der
Saar 1848-1904, Saarbrücken 1981, S. 95. Verweisquelle fehlerhaft angegeben.
132 Vgl. Rudolf Saam, Die evangelische Kirche an der Saar in den Jahrzehnten sozialer
Veränderungen, in; Die evangelische Kirche an der Saar gestern und heute, hg. von den
Kirchenkreisen Ottweiler, Saarbrücken und Völklingen, Saarbrücken 1975, S. 229-246,
hier S. 238.
1 ” Pfarrarchiv Gersweiler. Best. Protokollbuch des Presbyteriums 1890-1917, Reg. Prot. 8a;
Protokoll vom 19. August 1903; die Information 1. November ist demnach falsch. Vgl.
Robert Jüngst, Pfarrer em. Ad[olf] Fauth gestorben, in: Evangelisches Wochenblatt 39
(1912), S. 37.
260
Oktober 1911 erlitt Adolf Ludwig Fauth einen Schlaganfall, am 26. Januar 1912
starb er nach längerem Leiden134.
4.5 Die beiden Pfarrer Schneider - Onkel und Neffe
Zwei Pfarrer Schneider, Onkel und Neffe, die zusammen von 1791 bis 1877 als
Pfarrer in Heusweiler wirkten, prägten das 19. Jahrhundert in der großen Köllertal-
gemeinde nachhaltig. Ludwig Heinrich Schneider war am 26. Oktober 1748 in
Großbundenbach/Pfalz als Sohn des dortigen Pfarrers Philipp Christian Schneider
des Älteren und seiner Frau Luise Sperber geboren worden. Nach dem Studium
war er von 1784 bis 1791 Pfarrer in Karlsbrunn, bevor ihn sein Weg nach Heus-
weiler führte, wo er am 7. Juli 1828 mit fast achtzig Jahren verstarb. Schneider war
wohl eine eher ungewöhnliche Persönlichkeit: Zwischen dem letztgenannten Pfar-
rer [Ludwig Heinrich] Schneider und dem trierischen Bischof [Josef] von Hommer
fand einmal, als letzterer sich auf einer Firmungsreise in Heus weiler aufhielt, eine
recht rührende Szene statt. Dem Kirchenfürsten wurde damals die Mitteilung ge-
macht, daß Pfarrer Schneider es von Herzen bedauere, dem Bischof seine persön-
liche Aufwartung wegen Krankheit und Alter nicht geben zu können. Kaum war
dies dem humanen Bischöfe zu Ohren gekommen, so eilte er auch schon ins luthe-
rische Pfarrhaus, um den steinalten und bettlägerischen Pfarrer Schneider mit
seinen Besuch zu erfreuen. Dabei fielen sich die beiden Greise um den Hals und
umarmten sieh. Pfarrer Schneider dankte den hohen Besucher unter Tränen der
Rührung für dieses herablassende und freundliche Wohlwollen. Übrigens pflegte
dieser geistliche Oberhirt auf seinen amtlichen Rundreisen protestantische Predi-
ger, die ihn begrüßten, mit einem Rückbesuche zu beehren 35.
Als die Truppen der französischen Revolutionsarmee im Jahre 1793 das Pfarr-
haus zu Heusweiler plünderten, wurde der Kirchenschrank mit Flintenkolben zer-
schlagen 36. Pfarrer Schneider legte als Ersatz für den Verlust des Taufregisters ein
Verzeichnis von 95 zu seiner Amtszeit lebenden evangelischen Familien an und
schrieb dazu: Da das Register der Getauften der Pfarrei Heußweiler und Wahl-
schied durch die Krieges-Unruhen entkommen war, so habe ich Unterschriebener,
von dem Herrn Sousprefect Bordé beauftragt, gegenwärtiges nach Angabe der
Haußväter besorg f'1.
Auf Ludwig Heinrich Schneider folgte der Neffe Philipp Christian Schneider,
ebenfalls - anno 1798 - in Großbundenbach geboren. Seine Eltern hießen Karl
Schneider und Wilhelmine Wild. Nach seinem Studium diente er seinem greisen
Onkel Ludwig Heinrich Schneider als Adjunkt, übernahm nach dessen Tod die
Heusweiler Pfarrstelle und verblieb dort bis zu seinem Tod am 28. März 1877. Im
Gegensatz zu seinem alten Onkel trat Philipp Christian Schneider mit Katharina
Charlotte Merling in den Ehestand; zwölf Kinder138 wurden den Eheleuten ge-
1,5 Vgl. Hans-Peter Buchleitner, Geschichte des Warndts, Saarbrücken 1924, S. 55.
" Pfarrarchiv Heusweiler, Best. 1492 Lagerbuch, S. 7.
Ebd., Best. 24 Familienregister von Ludwig Heinrich Schneider.
138 Vgl. 1.) Karl (Obersteiger in Heiligenwald); 2.) Theodor Hermann (Steiger in Bietschied
bei Heusweiler); 3.) Albrecht (Steiger in Heiligenwald); 4.) Fritz (Steiger auf Reden bei
261
schenkt. In die Amtszeit Schneiders fällt die Absicht der Pfarreien vor Ort, das
Heusweiler Simultanverhältnis aufzulösen, was am 21. Juni 1864 durch Genehmi-
gung des Generalvikariates Trier auch geschah. Im Synodalbericht ist vermerkt: In
der Pfarrei Heusweiler hat das bisher bestandene Simultaneum aufgehört, indem
der kath. Kirchenrath am 5. Juni pr. sein Simultanrecht an der evang. Kirche, der
evangelischen Gemeinde durch Urkunde, welche im evangelischen Pfarrarchiv
daselbst deponiert ist, definitiv überlassen hat'"'9. Grund für die Ablösung der
Rechte war die Tatsache, dass die Kirche für das Wachstum der katholischen
Gemeinde zu klein geworden war.
Als Pfarrer Philipp Christian Schneider am 28. März 1877 in Heusweiler nach
einer fast fünfzigjährigen Amtszeit verstarb, sorgte seine Witwe Katharina Char-
lotte Merling für den zweiten Verlust im Archivwesen seit der französischen Revo-
lution. Gustav Weber notierte im Lagerbuch: Es ist noch zu bemerken, daß als die
Pfarrwittwe Schneider das Pfarrhaus verließ, das ganze Pfarrarchiv dem Feuer
überliefert worden ist, infolge dessen dem zeitigen Pfarrer viel Unannehmlich-
keiten und Schwierigkeiten bis auf diese Stunde erwachsen wurden'40. Den Um-
stand beschrieb Weber näher in einem undatierten Brief an Superintendent Adolph
Zillessen: Am Begräbnistag des Pfarrers Schneider am 28. May 1877 machte ein
Mitglied des Presbyteriums den damaligen Superintendenten Schirmer aufmerk-
sam, dem Presbyterium die Kirchensachen u. Schriften zu übergeben. Herr Schir-
mer lehnte dies mit den Worten ab, daß von den Schriften nichts abhanden kommen
würde, da die alleinstehende Frau Pfarrer Schneider das Zimmer, in welchem die
Sachen sich befänden, gar nicht mehr gebrauchte. [...] Ebenso wenig wie Herr
Superintendent Schirmer konnte ich ahnen, daß Akten abhanden kommen könnten.
Von dem Auszuge der Frau Pfarrer aus dem Pfarrhause erfuhr ich erst tags nach-
her. [...] Eine nähere Untersuchung ergab jedoch, daß sämtliche Schriften, die im
Pfarrhause vorhanden waren, theilweise an Kinder verschenkt, theilweise durch
Feuer vernichtet worden waren. Es schien mir, als habe jede Spur des verstor-
benen Pfarrers verwischt werden sollen. Nur einzelne Jahrgänge von gehefteten
Amtsblättern sind erhalten geblieben 41. * 25
Landsweiler); 5.) Gustav (Werkmeister in Essen); 6.) Heinrich Albert (geb. 20. Februar
1840; früh gest.); 7.) Klara Katharina Charlotte (geb. 8. Januar 1842, verh. mit N.N.
Klein, Wirt in Heiligenwald); 8.) Friedrich Wilhelm (geb. 31. Januar 1844; Steiger in
Walpershofen); 9.) Luise Wilhelmine Emilie (geb. 10, Januar 1846); 10.) Karl Christian
Agathon (geb. 15. Februar 1849; Kaufmann); 11.) Charlotte Julie (* 28. August 1850;
verh. mit N.N. Ziervogel, Steiger in Merchweiler) und 12.) Katharina Wilhelmine (geb.
25. Mai 1853; gest. 1869).
1,4 Bericht von Superintendent Johann Gottfried Schirmer auf der 27. Tagung der
Saarbrücker Kreissynode am 23. Juli 1863, in: Conrad, Protokolle (wie Anm. 87), S.
618.
140 Pfarrarchiv Heusweiler, Best. 1492 Lagerbuch, S. 8.
141 Ebd., Best. 38 Konzept zu einem Schreiben betr. den Verlust von Archivalien.
262
5. Fazit
Wie für andere Regionen, so lässt sich auch für die Saargegend festhalten, dass be-
stimmte Familien über zwei, drei Generationen weg das Bild des lutherischen Pfar-
rers an der Saar prägten. Dass dabei bisweilen Vater und Sohn oder sogar Onkel
und Neffe in derselben Gemeinde einander folgten, ergänzt die eingangs genannten
Gründe für die Bildung von Pfarrerdynastien um einen Aspekt: Die Pfarrer waren
verhältnismäßig arm, es gab keine Pensionskassen, und sie waren nach vierzig-
oder fünfzigjähriger Amtszeit vor Ort aufgrund unabweislicher Altersgebrechen
genötigt, sich Hilfe zu suchen, die sie oft genug in Söhnen fanden, die ebenfalls die
geistliche Laufbahn eingeschlagen hatten. Die Pfarrstelle anders als durch den Tod
zu räumen, hatte das, was man heute Altersarmut nennt, zur Folge, und als es dann
ein Versorgungsmodell gab, wodurch dem Ruheständler noch Anteile am Pfarrdo-
talgut für seine Versorgung verblieben, waren die nachkommenden Pfarrer mit
ihren Familien benachteiligt, denn ihre Einkünfte waren gemindert, solange der
Vorgänger noch lebte. Da war die Amtsübergabe vom Vater auf den Sohn wirt-
schaftlich für beide Seiten deutlich verträglicher. Dasselbe Phänomen lässt sich
übrigens problemlos auch für die Lehrer im 18. und 19. Jahrhundert nachweisen.
Die Bildung von Pfarrerdynastien über Generationen hinweg hatte neben der theo-
logischen Traditionsbildung schlicht wirtschaftliche Gründe. Andere Faktoren tre-
ten daneben eher zurück.
263
Anhang 1: Genealogische Tafeln
Stephani
In Auswahl:
r~
Stephani
Jakob
(1573-vor 1639)
Pfarrer
Keller
Keller
Johann Georg d.J.
(um 1585-1628)
Pfarrer
in St. Johann
<*> 1. Ehe
Anna Günt2e!
(gest. 1614)
00 2. Ehe
Magdalena Rüdinger
(gest. vor 1636)
Tochter des Pfarrers
Rüdinger
Johannes
(1545-1622)
von St. Arnual
Stephani
Jakob
(1500-1581)
Pfarrer
in Reichelsheim
Anna Stoll
(gest. 1563)
I
Stephani
Laurentius
(um 1535-1616)
Generalsuperintendent
in Saarbrücken
Stephani
Martin
(1576-1646)
Pfarrer
1. Sara Scheffer (gest. 1579)
2. Margaretha Aulenhäuser (gest. 1596)
T
Stephani
Johann Magnus
(1566-1629)
Pfarrer
in Wiebelskirchen
1
Stephani
Gottfried
(1591-1638)
Generalsuperintendent
in Weilburg
Katharina Gratwohl
i
1
Stephani
Johann Lorenz
(* ca. 1590)
Pfarrer
in Ottweiler
Stephani
Anna Margarethe
Schellenberger
Lambert
(1592/94-1642)
Pfarrer
in Ottweiler
Keller » Anna Koch
Johann Georg d.Ä.
(um 1550-1632)
Superintendent
in Saarbrücken
T ^
Keller Keller
Philipp Andreas
(um 1590-1619) (...)
Pfarrer in Pfarrer
Güdingen
Keller Keller
Johannes Maria
(um 1595-1627) ■»
Pfarrer Dudler Philipp
in Güdingen (gest. 1609)
Pfarrer in Saarbrücken
1
Dudler
Johann Bartholomäus
(ca. 1605-1644)
Pfarrer in Malstatt
264
Rollé
Rollé
Georg Andreas
(um 1550-1632)
Rektor in Unna
Rolle
Reinhard Heinrich
(1683-1768)
Professor
in Gießen
Rolle
Carl Johann Reinhard
(1739-1808)
Pfarrer in Völklingen
Rumpel
Karolina Sophia Maria
neun Kinder
Rumpf
Margarethe Elisabeth
“ 1. Ehe
Stutz
Christiane Maria
(1715-1743)
▼
Rollé
Johann Friedrich
Regierungsrat
Rollé
Thomas Balthasar
(1695-1780)
Superintendent
in Saarbrücken
Rollé
Sophie Dorothee
(+ 1767)
00 2. Ehe
Lautz
Anna Caritas
(+ 1774)
Zimmermann
Zimmermann
Johann Philipp
(1736-1801)
Pfarrer
Balbier
Anna Philippine
(1741-1815)
t
Zimmermann
Philipp Jakob
(1772-1840)
Pfarrer
in Ludweiler
Zimmermann
Karl
(1810-1896)
Pfarrer in Wiebelskirchen
Schmidt <*■ Zimmermann
Sophie Maria Carl Ludwig Alexander
(1770-1835)
Superintendent
in Saarbrücken
Haldy
Johannette Charlotte
265
Zickwolff
Förtsch
Heinrich Ludwig
Oberpfarrer in Harskirehen
Pabst
Maria Elisabeth
Drach
Ludwig Heinrich
(1757-1817)
Inspektor in Ottweiler
Hopper Christiane Dorothea
I
Förtsch
Christiane Luise Regine
Zickwolff Karl Friedrich ° (1781-1864) Pfarrer in Völklingen > Christine Sophie Luise Drach
J J J 1
Zickwolff
Eduard
(1807-1898)
Pfarrer
in Saarbrücken
Zickwolff
Adolf
(* 1810)
Zickwolff
Luise Auguste Sophie
(* 1813)
Zickwolff
Henriette
Amalie
Wilhelmine
(*1815)
Zickwolff
Karl Friedrich
(1822-1894)
Pfarrer in Völklingen
und Ottweiler
Mathilde Kehr
I
Zwölf Kinder, darunter
Zickwolff
Otto
(* 1867)
Weingard
Charlotte
I
Zickwolff
Karl Friedrich
(1895-1964)
Pfarrer in Dillingen
Superintendent in Völklingen
266
Fauth
Fauth Johann Philipp
(1754-1836)
Kaufmann
Haybach
Louise Henriette
(1773-1818)
Fauth Matthias Christian Wilhelm
Fauth Heinrich Ludwig
Meckel Luise Freiin von
(1798-1817) (1804-1844) Pfarrer in Dudweiler (1804-1864)
r Fauth ~r Fauth T Fauth i Fauth Fauth l Fauth
Auguste Karoline Adolf Ludwig Johann Luise Karoline Dr. Franz Marie Karoline
(1834-1896) Wilhelm Maximilian (1839-1841) Friedrich (1843-1913)
oo (1836-1912) (1837-1900) Christian OO
Zillessen
Gustav Adolph
(1830-1925)
Superintendent
in Saarbrücken
Siehe dort
Pfarrer
in Gersweiler
Ernster
Martha van
(gest. 1899)
Fauth
Franz
(1868-1931)
(1841-190S)
Vikar
Kempe
Karl Friedrich
l
Fauth
Dr. Karl
(1870-1932)
v
Fauth Karl
Pfarrer in Deutz
Fauth
Dr. Dr. Adolf
(1873-1959)
Fauth
Heinrich Florentin
(1877-1963)
Herrlich Elisabeth
(1883-1969)
I
Fauth Florentin
(1905-1986)
Pfarrer in Jägersfreude
Zillessen
Lieselotte
(1904-1994)
267
Zillessen
Herrmann
Philipp Christian
(1771-1839)
Pfarrer in St. Arnual
Juliane Conrad
ï
Zillessen « Wilhelm Heinrich (1797-1881) Pfarrer in Malstatt Herrmann Luise Dorothea Juliane Herrmann (* 1798) ♦ Herrmann Carl Ludwig (1801-1879) Pfarrer in Kölln
Zillessen Zillessen 1 Zillessen Zillessen
Gustav Adolph Friedrich Hermann Ida Luise Heinrich Ludwig
(1830-1925) Superintendent in Saarbrücken (1832-1879) Pfarrer in Ludweiler (*1833) (* 1835)
Wilhelmine Elisabeth Völcker
Fauth
Auguste Karoline (1834-1896)
(1835-1907)
J I î ï ï I ï ï 1
Zillessen Zillessen Zillessen Zillessen
Wilhelm Oskar Adolf Julius Adolf Friedrich
Oskar (1859-1941) (1860-1944) Franz
(* 1858) Pfarrer in Ludweiler Pfarrer in Altenwald Maria Franz (* 1865) (* 1862)
Zillessen Zillessen Zillessen Zillessen Zillessen
Wilhelm Hermann Heinrich Otto Auguste
(* 1864) (* 1866) (*1868) Jakob (* 1870) (1871-1969)
Margraf
Karl
Pfarrer
in
Berschweiler
268
Anhang 2: Abbildungen
Abb. 1: Pfarrer Karl Johann Reinhard Rollé aus Völklingen
Abb, 2: Pfarrer Carl Friedrich der Ältere Zickwolff (1781-1864) aus Völklingen
269
Abb. 3: Pfarrer Karl Friedrich der Jüngere Zickwolff (1822-1894) aus Völklingen
bzw. Ottweiler
mm
Abb. 4: Pfarrer Eduard Zickwolff (1807-1898) aus Saarbrücken
270
Abb. 5: Superintendent Gustav Adolph Zillessen (1830-1925) aus St. Arnual
Abb. 6: Pfarrer Heinrich Ludwig Fauth (1804-1844) aus Dudweiler
271
Abb. 7: Pfarrer Adolf Ludwig Fauth (1836-1912) aus Gersweiler
Abb. 8: Superintendent Karl Friedrich Zickwolff (1895-1964)
272
Armeefuhren - Brandschatzung - Exekution
Die Reichsherrschaft Saarwellingen zwischen Altem
Reich und Französischer Republik
Eva Kell
In den Revolutionskriegen zwischen 1792 und 1797 verfolgten das revolutionäre
Frankreich und die Mächte des Alten Reiches politische und militärische Ziele,
seien es die Wiederherstellung der absolutistischen Macht oder die Überwindung
der Krise der Revolution oder gar die expansion révolutionnaire. Das Kriegsge-
schehen wirkte sich vor allem in der linksrheinischen Grenzregion von Herbst
1792 bis Herbst 1796 unmittelbar in der Saargegend aus, mit mehrmonatigen Un-
terbrechungen lag das Gebiet im Operationsbereich der gegnerischen Heere. Zwar
kam es hier nicht zu kriegsbestimmendem Militärgeschehen, aber Gefechte, Schar-
mützel, Ausfälle aus der Festung Saarlouis, Patrouillen und Artillerieduelle häuften
sich1. Dazu kamen Einquartierungen, Plünderungen, Brandschatzungen und Ar-
meelieferungen oder Fuhrdienste, Flucht, Misshandlungen und Gewalt, die den
Krieg für die Bevölkerung zum bitteren Alltag machten.
Das Dorf Saarwellingen war seit 1659 eine ungeteilte Reichsherrschaft, die zur
Grafschaft Kriechingen gehörte. Dieses Geschlecht erlosch 1681 im Mannes-
stamm, so dass sie durch die weibliche Erbfolge zunächst an Ostfriesland und dann
an die Grafen von Wied-Runkel fiel. Amtssitz der Grafschaft blieb der Hauptort
Kriechingen, der wie die meisten der im Streubesitz liegenden Ortschaften der
Grafschaft in Lothringen lag. Insofern war der Herrschaftssitz stets fern vom Dorf
gelegen und die Saarwellinger Einwohner, teils begüterte Bauern, da der Dorfbann
über große Flächen an Wald-, Weide- und Ackerland verfügte, hatten ein hohes
Maß an kommunalem Selbstbewusstsein entwickelt.
Nicht zuletzt aufgrund der zeitweisen Einrichtung der province de la sarre als
Teil der Expansionspolitik Louis XIV. war daraus eine permanente Widerstandsbe-
wegung gegen obrigkeitliche Bevormundung im 18. Jahrhundert entstanden, die
sich bis ins Vorfeld der Französischen Revolution nachweisen lässt. Die Gemein-
derechnungen der Reichsherrschaft Saarwellingen von 1794 bis 1798, die ohne
herrschaftliche Einwirkungen erstellt wurden, legen exemplarisch Zeugnis von der
Kriegsbelastung und den Veränderungen der administrativen Strukturen infolge der
Französischen Revolution ab. Ein Rechnungsbuch der Gemeinde Oberlinxweiler,
das für die Jahre 1788 bis 1799 ediert ist, wird zum Vergleich herangezogen2.
1 Hans-Walter Herrmann, Erfahrungen mit der Französischen Republik als Besatzungs-
macht. Die Saargegend in den Koalitionskriegen, in: Die Französische Revolution und
die Saar. Katalog der Ausstellung des Landesarchivs Saarbrücken ... zum zweihundert-
jährigen Gedenken an den Ausbruch der Französischen Revolution, Saarbrücken Saar-
land-Museum 10. Dezember 1989 - 28. Januar 1990, hg. von Hans-Walter Herrmann,
St. Ingbert 1989, S. 119.
Die fünf Original-Akten befinden sich im Privatbesitz von Klaus Mayer, Saarwellingen,
der eine Transkription als Quelienbasis für diesen Aufsatz zur Verfügung gestellt hat. Im
Folgenden wie folgt zitiert: Mayer, Gemeinderechnungen A 1 - A 5, Nr. Zur Herr-
schaftssituation und zur Ertragslage des Dorfes: Klaus Mayer, Die Einwohner von Saar-
273
Saarwellingen lag allerdings im Gegensatz zum nahe bei St. Wendel gelegenen Nas-
sau-Saarbrückischen Ort Oberlinxweiler in unmittelbarer Nähe zur französischen
Festung Saarlouis und damit stets im Aufmarschgebiet der Truppenkontingente.
Zunächst soll daher (1) der Verlauf des Kriegsgeschehens in und um den Ort
Saarwellingen dargestellt werden. Im Folgenden (2) wird anhand der Gemeinde-
rechnungen zum einen das Ausmaß der Kriegsbelastungen ausgelotet einschließ-
lich der wirtschaftlichen Entscheidungen, die in diesen Jahren getroffen wurden,
um die Anforderungen zu überstehen. Zum anderen (3) geben die Rechnungen
Aufschluss darüber, wie versucht wurde, die kommunalen Aufgaben unter Kriegs-
bedingungen und administrativen Veränderungen fortzuführen, zeitweise ohne
herrschaftliche Amtsträger und vor dem Hintergrund permanenter Unsicherheit
über den Ausgang dieses Krieges, der über weit mehr entschied als über die territo-
riale Zugehörigkeit'. Inwieweit die Bevölkerung in dieser Zeit politisiert war, geht
aus dem nüchternen Quellenkorpus der Rechnungen nicht hervor.
(1) Eine zusammenhängende Darstellung des Kriegsgeschehens in der Saarre-
gion fehlt bisher, jedoch hat Johannes Schmitt sowohl den Feldzug der Moselar-
mee zur Eroberung Triers 1792 als auch den Kriegsverlauf 1793/94 für den Norden
der Saarregion detailliert analysiert und die Problematik der expansion révolution-
naire und der Politisierung der Bevölkerung aufgegriffen, Hans-Walter Herrmann
gibt einen knappen Abriss zu den Militäroperationen in der Saarregion, Wolfgang
Läufer beschreibt die Lage in der von der Leyenschen Herrschaft Blieskastel und
Klaus Mayer hat den Kriegsverlauf für Saarwellingen in Stichworten festgehalten* 4.
wellingen vor 1815, Quellen zur Genealogie im Landkreis Saarlouis und angrenzenden
Gebieten, Band 8, Saarlouis 1995, S. 21-32, siehe auch: Klaus Mayer (Hg.), Dé-
nombrement Saarwellingens von 1781. Übertragung und Erläuterungen, Saarwellingen
2003, zum Widerstand: Eva Kell, Irrungen und Mishelligkeiten. Untertanenkonflikte in
der Herrschaft Saarwellingen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Ge-
schichte der Saargegend 59, 2011, S. 11-31. Zu Oberlinxweiler: Heinrich Schwingel,
Spurensuche zur Französischen Revolution - Eine Quelle aus Oberlinxweiler, in:
Gerhard Heckmann und Michael Landau (Hg.), Friede den Hütten und Krieg den Ty-
rannen und Despoten. Beiträge zur Geschichte der Französischen Revolution und ihrer
Folgen im Raum St. Wendel. Veröffentlichungen des Adolf-Bender-Zentrums e.V., St.
Wendel 1989, S. 159-230, jedoch ohne editorische Informationen. Die Originalquelle
wurde inzwischen vom Autor dem Landesarchiv übergeben.
Wolfgang Hans Stein, Vom eroberten Land zum Departement. Eingliederung in den
Französischen Staat, in: Die Französische Revolution und die Saar. Katalog der Ausstel-
lung des Landesarchivs Saarbrücken ... zum zweihundertjährigen Gedenken an den Aus-
bruch der Französischen Revolution, Saarbrücken Saarland - Museum 10. Dezember
1989 - 28. Januar 1990, hg. von Hans-Walter Herrmann, St. Ingbert 1989, S. 179.
4 Johannes Schmitt, Eroberung oder Befreiung? Der Feldzug der Moselarmee zur Erobe-
rung Triers (1792), in: Ders., Revolutionäre Saarregion 1789-1850. Gesammelte Auf-
sätze (Geschichte, Politik & Gesellschaft. Schriftenreihe der Stiftung Demokratie Saar-
land, Bd. 7), St. Ingbert 2005, S. 143-180. Ders., Revolutionskrieg im Norden der Saar-
region 1793-94, in: ebd., S. 207-240. Ders., L'expansion révolutionnaire? Das revoluti-
onäre Saarlouis und die Westsaarregion des Alten Reiches (1792), in: ebd., S. 99-142.
Eine knappe Wiedergabe des Kriegsgeschehens auch bei Herrmann, Erfahrungen (wie
Anm. 1), S. 120-128. Wolfgang Läufer, Munizipalisierung und Reunionsgesuch. Die
von der Leyensche Residenz und Herrschaft Blieskastel in den ersten Jahren der Franzö-
274
Die Reichsherrschaft Saarweilingen konnte bereits nach der französischen
Kriegserklärung im Sommer 1792, noch während des preußischen Vorstoßes, an-
gesichts einer drohenden Belagerung von Saarlouis von Kriegshandlungen betrof-
fen sein, da französische Truppen, verstärkt durch Nationalgarden, von Saarlouis
aus Vorstöße in die benachbarten Reichsgebiete tätigten und dabei plünderten. Au-
ßerdem wechselten etliche der in Saarlouis stationierten Truppen, vor allem die
Fremdenregimenter, die Seiten, darunter Infantriegeneral Wurmser, der bei Wad-
gassen mit einem Teil seiner Soldaten emigrierte, was die Lage noch unübersichtli-
cher machte5.
Belegt sind französische Vorstöße im September 1792 nach Dillingen, in das
Nalbacher Tal sowie nach Merzig. Österreichische Truppen und Patrouillen preu-
ßischer Husaren plünderten währenddessen in den französischen Dörfern links der
Saar und den Saarlouis umliegenden Ortschaften6. Beim Überfall der Franzosen
auf Merzig am 9. September 1792 blieben Saarweilingen und das Oberamt
Schaumburg jedoch verschont, während der heute eingemeindete Nachbarort
Schwarzenholz, der zum Stift Fraulautem gehörte, von 400 Nationalbanditen ge-
plündert wurde, insbesondere das wohlhabende Haus Blass, wo Möbel der ge-
flüchteten Stiftsdamen deponiert waren. Eine Beschwerde des Schwarzenholzer
Meiers in Saarlouis führte immerhin zur offiziellen Missbilligung und einer Ent-
schuldigung für den Vorfall, jedoch flüchteten viele Einwohner der Region vor
weiteren befürchteten Plünderungen .
Die französischen Truppen zeigten Präsenz in Saarweilingen, als sie am 9. No-
vember 1792 einen Freiheitsbaum setzten, der, wie der Pfalz-zweibrückische
Amtmann Moser berichtete, ohne Zuthun der bäuerlichen Bevölkerung aufgestellt
wurde. Am 11. November seien dann die Insignien der kriechingischen Herrschaft
von französischen Grenadiers abgebrochen worden: Galgen, Halseisen und die
Herrschaftswappen. Diese Aktion könnte mit den Reunionsgesuchen der französi-
schen Enklaven der Grafschaft Kriechingen in Verbindung stehen und steht wo-
möglich im Zusammenhang mit dem Gedanken der expansion révolutionnaire*.
Der Vorstoß der Moselarmee im Winter auf Trier ging ebenfalls von Saariouis
aus. Sie kampierte und kantonierte in der Saarlouiser Region und sollte nach und
sischen Revolution, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 35, 2009, S. 325-
374; Mayer, Einwohner (wie Anm. 2), S. 73f.
Johannes Schmitt, Krise und Aufbruch. Saarlouis und seine Umgebung in der Französi-
schen Revolution, in: Ders., Revolutionäre Saarregion 1789-1850. Gesammelte Aufsätze
(Geschichte, Politik & Gesellschaft. Schriftenreihe der Stiftung Demokratie Saarland,
Bd. 7), St. Ingbert 2005, S. 88-90.
6 Schmitt, Expansion révolutionnaire? (wie Anm. 4), S. 108-115.
' Ebd. S. 114f.
s Ebd. S. 130. Vgl. Claudia Ulbrich, l’Impact de la Révolution française dans le comté de
Créhange, pays enclavé en Lorraine, in: Ministère de l’Education Nationale, de la Jeu-
nesse et des Sports, Comité des Travaux Historiques et scientifiques (Hg.), Actes du 113e
Congrès national des Sociétés savantes, Section d'histoire moderne et contemporaine,
Paris 1991,425-435,
http://www.geschku!t.fu-berlin.de/e/fmi/arbeitsbereiche/ab_ulbrich/media/Ulbrich_-
LJmpact_de_la_Revolution_francaise.pdf (27.11.2011).
275
nach durch zulaufende Bataillone und Schwadronen verstärkt werdenRequisitio-
nen zur Versorgung sollten vor allem aus den Fürstentümern Nassau-Saarbrücken
und Pfalz-Zweibrücken erfolgen, aber die Ausrüstungsmängel waren so eklatant,
dass von den umliegenden Bauern Kontributionen gefordert wurden, dazu kam es
zu Übergriffen von Deserteuren und Marodeuren beim Durchmarsch, die das Prin-
zip der liberté des peuples konterkarierten. Derlen und andere Orte auf dem rech-
ten Saarufer gehörten zu den Opfern9 10.
Nach dem gescheiterten Vorstoß der Moselarmee im Dezember 1792 und der
Aufgabe von Mainz 1793 verschob sich das militärische Gleichgewicht vorüberge-
hend zugunsten der alliierten Truppen. Trotzdem hatten die Franzosen mit Hilfe
des Militärs versucht, etwa im Oberamt Schaumburg im März eine eigene Ver-
waltung unter französischen Kommissaren einzurichten11. Französische Kontin-
gente blieben in der Region präsent, bis sie sich 1794 mit der Eroberung Triers
endgültig durchsetzten12 13. Der Rückzug von französischen Truppen aus Mainz be-
traf wiederum das Umfeld von Saarwellingen, da ein Hauptquartier am 4. August
1793 bei Lebach/Knorscheid eingerichtet war. Bis zum 19. August blieben Vor-
posten der Festung Saarlouis in der Gegend von Saarwellingen und bis Heusweiler
präsent, gleichzeitig patrouillierten bereits Spähtrupps der österreichischen Kaval-
lerie der Wurmser Husaren bis Fraulautern. Am 20. August legten diese den Frei-
heitsbaum in Saarwellingen um, ungehindert, da die französischen Vorwachen
nachts in die Festung Saarlouis zurückgenommen wurden12.
Saarlouis erwartete eine Belagerung und flutete die Schleusen. Im September
1793, nach der levée en masse in Frankreich, war noch fraglich, ob die Koalitions-
armee über die Pfalz nach Frankreich vorstoßen würde, jedoch war das Nalbacher
Tal von einem massiven Ausfall der Franzosen aus der Festung Saarlouis gegen ös-
terreichische Vorposten betroffen, an dem 4-500 Mann Kavallerie sowie ebenso
viele Infanteristen teilnahmen, dazu kamen drei Kanonen. Schwarzenholz wurde
erneut geplündert, die Franzosen stießen bis Hüttersdorf, sogar bis Lebach vor. Die
Bauern im Nalbacher Tal seien mit Hab und Gut geflüchtet und die Franzosen hät-
ten in den Ortschaften das geplündert, was zurückgeblieben sei, berichtete der St.
Wendeier Amtmann Gattermann, AufSeiten der Franzosen hätten mit Spießen be-
waffnete Bauern mitgekämpft, die von Wurmser Husaren zurückgeschlagen wor-
den seien, während auf kaiserlicher Seite die Hüttersdorfer Bauern den Soldaten
beigestanden hätten14.
Da die kaiserlichen Truppen ihre Stellungen verstärkten, zogen sich die Franzo-
sen zurück und die Wurmser Husaren streiften erneut bis Saarwellingen. Sie grif-
fen dort plündernde Franzosen an, von denen mehrere getötet oder gefangen ge-
9 Schmitt, Moselarmee (wie Anm. 4), S. 146-148.
10 Ebd. S. 151, 155.
11 Schmitt, Revolutionskrieg (wie Anm. 4), S 208. Herrmann, Erfahrungen (wie Anm.l),
S. 125. In Saarwellingen ist 1794 ein Besatzungskommissar im Ort belegt, Mayer, Ge-
meinderechnungen (wie Anm. 2) A 1, S. 3, Nr. 15, 17.
12 Herrmann, Erfahrungen (wie Anm. 1), S. 121; Schmitt, Revolutionskrieg (wie Anm.
4), S. 207.
13 Schmitt, Revolutionskrieg (wie Anm. 4), S. 209f.
14 Ebd. S. 211 mit Angabe der Quelle Anm 2; Herrmann (wie Anm. 1), S. 122f.
276
nommen wurden15. Zu einer Belagerung von Saarlouis kam es aber nicht, da beide
Seiten ihre Winterquartiere bezogen. Erneut startete jedoch die Moselarmee einen
Winterangriff. Am 17. November 1793 bezogen die Franzosen mit 8000 Mann ein
Lager zwischen Lebach und Saarwellingen auf dem Hoxberg, während die kaiser-
lichen Truppen sich über Tholey nach Weiskirchen zurückzogen. Während dieses
Vorstoßes kam es zu etlichen Plünderungen, dem Raub von Lebensmitteln und Vieh
im Oberamt Schaumburg und benachbarten Ortschaften. Derartige Überfalle hielten
bis Weihnachten an. Es gab auch Patrouillen in Richtung Nalbach und Diliingen16 *.
Anfang 1794 konnten die französischen Truppen der Moselarmee weiträumig in
die Saarregion vorrücken, da sich die Österreicher in den Raum Trier zurückzogen
und die Preußen sich in Richtung Mainz bewegten. Berichte aus der Sicht der alten
Amtsträger verlauten, dass alles unter der Macht der Franzosen stehe und unsere
ganze Gegend [...] von deutschen Truppen entblößt (sei), mithin dem Greuel der
Verwüstung ausgesetzt]1. St. Wendel und andere Ortschaften wurden geplündert,
so dass sich teilweise wiederum Bauernkontingente an der Abwehr der Franzosen
beteiligten18.
Im Frühjahr 1794 waren die militärischen Stellungen erneut annähernd in der-
selben Position wie 1793. Das bedeutete für Saarwellingen und seine Umgebung,
dass es Ausfälle der Franzosen ins Nassau-Saarbrückische Gebiet und gegen Le-
bach hin gab. Zugleich rückten wiederum kaiserliche und preußische Truppen vor,
so dass es erneut zu Geplänkeln und Überfällen von Truppenteilen auch an der
Prims und im Nalbacher Tal kam. Plündernde Patrouillen gab es auf beiden Seiten.
Im Mai 1794 standen französische Truppen auf dem Geländeriegel des Hoxberges
bei Saarwellingen. Sie verbarrikadierten im Umfeld der Festung Saarlouis alle Zu-
gangswege oder zerstörten die Trassen, um feindliches Vorrücken zu verhindern.
Als preußische Truppen ab Ende Mai die Region beherrschten, da sich die Franzo-
sen nach Saarlouis zurückgezogen hatten, wurden dann die Bauern der umliegen-
den Dörfer angehalten, die Wege wiederherzustellen und Verhaue abzubauen. Jetzt
waren es preußische und sächsische Spähtrupps, welche bis Fraulautern und Saar-
wellingen patrouillierten, während gleichzeitig französische Reiter ebenfalls in
Saarwellingen, am Hoxberg und bei Lebach aktiv waren.
Als sich im Juli französische Kontingente um Saarlouis und Thionville zusam-
menzogen, wendete sich das Blatt erneut und die preußischen Truppen zogen ab.
Am 9. August 1794 wurde Trier von den Franzosen erobert. Die Franzosen blieben
Herr der Lage, die Saarregion wurde seit 1795 als Pays Conquis entre Rhin et Mo-
selle von französischen Beamten verwaltet. Diese standen in enger Verbindung mit
den Militärkommandos, da die Versorgung der Armeen und die Eintreibung der an
die Stelle der Steuern getretenen Kriegskontributionen Priorität hatten und von den
zivilen Kommissaren der Regierung mit weitreichenden Kompetenzen durchge-
fuhrt wurden.
Im Januar 1798 wurde die französische Verwaltung auf das linksrheinische Ge-
biet übertragen und am 19.2.1798 (1. Ventose VI) die Zentralverwaltung des Saar-
5 Schmitt, Revolutionskrieg (wie Anm. 4), S. 212.
16 Ebd. S. 220-222,
1 Quellenzitat nach Schmitt, Revolutionskrieg (wie Anm. 4), S. 223.
18 Zum Folgenden vgl. ebd. S. 223-229.
277
departements in ihr Amt eingeführt, das bis 1814 Bestand hatte und zu dem der
größte Teil des heutigen Saarlandes zählte19. Obwohl die Saarregion seit 1794
überwiegend französisch kontrolliert war, trugen die Einwohner auch in Zeiten ge-
ringerer militärischer Aktivität weiter die Lasten des Krieges. Saarwellingen lag
während der entscheidenden Kriegsjahre unmittelbar im Aufmarschgebiet der
Franzosen, die von Saarlouis aus operierten, ebenso bezogen sich Kriegshandlun-
gen der Alliierten auf die Festung.
(2) Die Gemeinderechnungen in Saarwellingen, erhalten für die Jahre 1794 bis
1798 mit einer Unterbrechung von Februar bis Juli 1795, wobei auch Belange von
1793 noch eine Rolle spielen, spiegeln die Kriegsbedingungen wider. Die Rech-
nungslegung war, wie in den Zeiten des Alten Reiches, Aufgabe des Hameiers20.
Dieses Amt wurde jährlich durch Wahl der Gemeindemitglieder vergeben und von
der Herrschaft bestätigt. Ob dies zur Revolutionszeit geschah, lässt sich nicht fest-
stellen, Kontakte zur alten Herrschaft sind darin nicht nachweisbar. Zu den Amts-
geschäften gehörte die Kontrolle der Banngrenzen, die Überwachung von Abgaben
und Zehntzahlungen; die Freigabe der Feldflur, die Besoldung der Gemeindehirten
und vor allem die jährlich offengelegte Gemeinderechnung mit Einnahmen und
Ausgaben.
Zwischen 1794 und 1798 wiesen die Gemeinderechnungen fünf unterschiedli-
che Personen für das Amt des Hameiers aus: 5.3.1794-18.2.1795 Johannes Kessler,
24.6.1795-25.12.1795 Michael Müller, 25.12.1795-24.6.1796 Nikolaus Puhl, ge-
nannt Kläß, 1797 der Schmied Peter Müller, 1798 Heinrich Schäfer. Die Rechnun-
gen wurden vom Meier der Gemeinde, den die Herrschaft eingesetzt hatte, und von
den Gemeindeschöffen gegengezeichnet, gelegentlich noch mit Handzeichen, in
der Regel aber mit eigenhändiger Unterschrift.
Die erhaltenen Rechnungen von 1794/95 bis 1798 liegen in der Schnittstelle
zum Übergang in die französische Herrschaft und Verwaltung, und sie sind von
den Kriegsbedingungen geprägt, umso mehr, als sie kein persönliches Zeugnis dar-
stellen und daher nicht von subjektiven Erlebnissen, Erinnerungen und Deutungen
beeinflusst sind, sondern nüchtern tabellarisch subsummieren. Sie erfassen num-
meriert fortlaufend, getrennt nach Einnahmen und Ausgaben, alle finanziellen Akte
der Gemeinde, ohne Datum und nicht in Sachgebiete unterteilt, allerdings wurde
1794/95 eine zusätzliche Rubrik Sonderkasse wegen der Besatzung geführt, welche
Einnahmen und Ausgaben wegen Asiege (Belagerung) auflistete.
Mit den in dieser Sonderkasse aufgeführten Posten wird die kriegsbedingte wirt-
schaftliche Verklammerung mit der französischen Festung Saarlouis unmittelbar
deutlich. Insgesamt 1000 Livres Einnahmen für nach Saarlibre geliefertes Korn
werden aufgeführt, dazu 300 Livres für Fuhren nach Trier, die im Auftrag des
|y STEIN, Eingliederung (wie Anm. 3), S. 180f, 192-199 mit Abbildungen von Briefköpfen
der französischen Verwaltung.
211 Zum Folgenden vgl. Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 1 - A 5, Transkrip-
tion, Vorbemerkungen, S. 1. Oberlinxweiler folgte gleichfalls dieser Praxis bis 1793, sie-
he Schwingel (wie Anm. 2), S. 162-178, 161 und 224 Abbildung des Originals. Erste
Posten der Rechnung, die auf den Krieg hinweisen, finden sich dort ab 1793 vereinzelt
für Armeefuhren, Abgaben an preußische und sächsische Kriegstruppen oder als Tage-
lohnauszahlungen für Gemeindemitglieder für Dienste an Militärs, ebd. S. 178-181.
278
Canditer-Wirt(s) von Lautern ausgeführt worden waren21. Die Ausgaben von A si-
ege betrugen 1152 Livres und standen ausnahmslos mit dem Kriegsgeschehen in
Verbindung22 *, Es zeigt sich, dass auch in Saarwellingen ein französischer Kom-
missar bereits tätig geworden war, für dessen persönliche Lebenshaltung die Ge-
meinde aufkam. Darüber hinaus und nicht von dessen privaten Bedürfnissen ge-
trennt stellte Saarwellingen Lieferungen für die Armee, wenn etwa vermerkt wird,
dass 323 Livres von dem gelieferten Vieh, von Wein, Baumöl, für Käse, Schreib-
papier, Schnupftabak, ein Gebiß für einen Stangenzaun, seine Wäscherei gezahlt
wurden. Es zeichnet sich ab, dass die französische Verwaltung bereits Hoheitsauf-
gaben der Alten Herrschaft übernommen hatte, wenn es etwa um Holzschlag,
Grundstücksangelegenheiten oder die Zehntversteigerungen ging, allerdings war
dies nicht Aufgabe des Kommissars, sondern der Saarlouiser Behörden22.
Zur Rechnungslegung infolge der Asiege kam die eigentliche Gemeinde-
rechnung. 1794 hatte die Gemeinde 4278 Livres Ausgaben und 4442 Livres an
Einnahmen. Die dort summierten Ausgaben zeigen, wie wechselhaft und unsicher
die militärische Lage sich für die Einwohner darstellte, auch wenn letztlich die
Franzosen das Feld beherrschten. Auch in dieser Rechnung wurden Armee-Fuhren
nach Saarlibre zu Lasten der Gemeinde sowie Zahlungen für die zahlreichen Bo-
tengänge dorthin vermerkt24. Die hier gelisteten Ausgaben an den französischen
Kommissar betrafen überwiegend gelieferte Spirituosen25. Ganz erheblich schlugen
allerdings Kosten zu Buche, die auf Vieh-Lieferungen der Gemeinde an die Armee
zurückgingen und die nur zum geringen Teil in Assignaten vergütet wurden. Die
Ausgaben dafür betrugen insgesamt 1044 Livres und gingen an vierzehn nament-
lich aufgeführte Gemeindemitglieder, wobei der höchste Einzelposten 168 Livres
ausmachte, der niedrigste 30 Livres. Die Reichsherrschaft mit ihrem ausgedehnten
Gemeindebann hatte im Alten Reich über außerordentlich hohe Viehbestände ver-
fügt26 *.
Waren die Ausgaben für Vieh dem aktuellen Rechnungsjahr anzulasten, so
schleppte die Gemeinde zusätzlich Schulden aus den vorangegangenen Kriegsjah-
ren mit, wegen der Brandschatzung, die nach und nach bezahlt wurden. Das Geld
Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 1 S. !, Nr. 1 und 2.
22 Ebd. A 1, S. 8, Nr. 1-18. Für Oberlinxweiler werden 1795 Assignaten erwähnt vor ein
Gang nach Saarlieber, wie er daß Pabbiere-Geld mit gebracht, siehe SCHWINGEL (wie
Anm. 2), S. 193.
Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 1 S. 4, Nr. 29, 34, 36, 38, 47. Ein Bei-
spiel: Nr. 14 Nikolaus Müller und Hans Nickel Becker, beide nach Saarlibre auf das Dis-
trikt und Munizipat wegen unserer Jung-Coupen am Rodener Bann.
24 Ebd. A 1, S. 3, Nr. 3-7; S. 4, Nr. 29; S. 5, Nr. 34, 35, 42, 47; S. 6, Nr. 55, 58.
25 Ebd. A 1, S. 3, Nr. 12, 13, 15, 17; S. 4, Nr. 22; S, 5, Nr. 37; S. 7, Nr. 63, 65. In Ober-
linxweiler wurden insgesamt nur geringe Ausgaben für Futterage zu denen Franzosen
gezahlt, einige Schoppen Branntwein, dazu an Johannes Creutz ein Ausgleich für eine
verlorene Fuhre sowie an Peter Schneider für ein abgegebenes Pferd; siehe Schwingel
(wie Anm. 2), S. 181-183.
”6 Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 1, S. 6, Nr. 56; zum Viehbestand der Ge-
meinde vgl. Eva Kell, Saarwellingen - ein Dorf im 18. Jahrhundert, http://www.edition-
schaumberg. de/fileadmin/user jjpload/Bilder/saargeschichten/pdf.-Dateien/SG_4_10_
Did.pdf (27,11,2011) und in: saargeschichte/n, 4/2010, S. 42f.
279
hatten zum einen Teil begüterte Gemeindemitglieder aufgebracht, aber es gab auch
kleinere Beiträge, was für eine Solidarisierung angesichts der aufgebürdeten Lasten
spricht (in Livres): Johannes Schröder 366, Johannes Jochem 244, Johannes Poth
492, Johannes Krämer 36, Nikolaus Schäfer 360, Johannes Altmeyer 48, unserem
Herrn Meier (Peter Ziegler) 72, insgesamt 1984 Livres. Als weitere Einzelposten
an Rückzahlungen gingen 24 Livres an Matthias Planta und wiederum an Nikolaus
Schäfer mit 316 Livres27.
Obwohl die Gemeindemitglieder somit großzügig Kredit gewährt hatten, reich-
ten die eigenen Rücklagen angesichts der Kriegsbelastung nicht aus und man hatte
nach weiteren Geldquellen gesucht. Nach Lebach etwa wurde ein Kredit von 100
Louis d'or zur Hälfte abgegolten28. Die laufenden Belastungen einschließlich der
Rückzahlungen ließen sich nur mit neuen Krediten stemmen, so dass die Schulden-
aufnahme die Summe der Rückzahlungen bei Weitem überstieg. Insbesondere Ni-
ckel (Nikolaus) Schäfer sprang erneut mit 1200 Livres ein, ansonsten suchte man
sowohl in den umliegenden Gemeinden als auch in der entfernteren Region bis
nach Trier nach neuen Geldgebern. 1795 lieh Jakob Strasser aus Lebach der Ge-
meinde immerhin 2400 livres, wobei die Kreditbeschaffung sowohl Aufgabe des
Hameiers als auch ganzer Deputiertengruppen der Gemeinde war9.
Es lässt sich nicht klären, ob die Kriegsausgaben und Brandschatzungen von
Saarwellingen 1793-95 vorwiegend an die Franzosen gingen. Vieles spricht jedoch
dafür, vor allem, weil Kosten für alliierte Militärkontingente in den Rechnungen
gesondert aufgelistet wurden. Hier wird die zeitweise Präsenz österreichischer,
preußischer oder sächsischer Patrouillen bis in jedes Dorf hinein bestätigt, die per-
manente Unsicherheit der Bevölkerung über den Ausgang des Krieges implizierte.
In Saarwellingen hatte man 1795 den preußischen Patrouillen nach und nach ge-
ben müßen an Branntwein und Brot für 13 Livres30. Eine Politisierung der Bevöl-
kerung zugunsten der französischen liberté wurde dadurch erschwert, ebenso wie
durch die permanenten französischen Forderungen und Belastungen, es sei denn,
eine lokale politische Konstellation wie im Oberamt Schaumburg oder in Blieskas-
tel forderte eine dezidierte Entscheidung. Dies war in Saarwellingen trotz einer das
gesamte 18. Jahrhundert andauernden Widerstandstradition, die ihre Wurzeln in
der province de la Sarre hatte, nicht der Fall31.
2' Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 1, S. 6, Nr. 57, 59, 60. In Oberlinxweiler
hatte die Gemeinde erst 1795 bei Petter Creutz einen Kredit von 100 Florenen zur Be-
zahlung allerhand Kriegsunkosten aufgenommen; siehe Schwingel (wie Anm. 2), S.
195. Zugleich wurde ein Kredit an Conrad Schwingel zurückgezahlt.
2H Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 1, S. 7, Nr. 62.
29 Ebd. A 1, S. 1, Nr. 5; S. 4, Nr. 27; ein Botengang führte den Hameier nach Nalbach mit
etlichen Deputierten wegen Geld in Trier zu leihen.
30 Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 1, S. 4, Nr. 24, vgl. auch S. 6, Nr. 51:
dem Matthias Kallenborn Butter für den General, welcher bei Johannes Krämer gelogie-
ret, abgekauft für 9 Livres. In Oberlinxweiler waren lediglich 1793 Abgaben an preußi-
sche und sächsische Kriegstruppen verbucht worden, ansonsten sind Angaben über die
Herkunft durchziehender Truppen eher unpräzise; siehe Schwingel (wie Anm. 2), S.
180.
11 Eva Kell, Irrungen (wie Anm. 2), S. 11, Johannes Schmitt, Die Freiheits- und Reuni-
onsbewegung im Oberamt Schaumburg, in: Ders., Revolutionäre Saarregion 1789-1850.
280
Kaum beziffern lassen sich die Schäden, die angesichts der Durchzüge des Mi-
litärs in der Gemeinde, der Feld- und der Waldflur angerichtet wurden. Dass sie
erheblich waren, geht aus den Gemeinderechnungen nur bruchstückhaft hervor,
wenn beispielsweise dem Soldat, welcher auf dem Sehloßdach bei der Feuers-
brunst war, 6 Livres für sein beherztes Löschen gezahlt wurden '2.
Das Rechnungsbuch für das erste Halbjahr 1795 fehlt, jedoch zeigt sich, dass in
der zweiten Jahreshälfte keine neuen Schulden aufgenommen wurden, da die Ein-
nahmen nur 382 Livres betrugen. Die Sonderkasse für die Asiege entfiel, allerdings
leistete man weiter Zahlungen an den französischen Kriegskommissar, die jedoch
weniger umfangreich ausfielen. Inzwischen war die Verwaltung französisch, so
dass etliche Botengänge wegen ausstehender Zahlungen, Kriegslieferungen, Fuh-
ren nach Saarlouis, Merzig, Losheim, Tholey oder Saarburg führten33. Ein beson-
deres Anliegen war der französischen Verwaltung zur Konsolidierung ihrer An-
sprüche die Feststellung der ehemals gezahlten Abgaben, die jetzt an die neue
Herrschaft abgeführt werden sollten. Dazu wurden mit viel Aufwand Aufstellun-
gen angefertigt, die sich in den Rechnungen als Schreibgebühren niederschlugen.
Mit ebenso viel Aufwand trug die Gemeinde ihre Kriegsbelastung schriftlich zu-
sammen, wegen der Forderung, welche die Franzosen aufs ganze Land gemacht,
deswegen die Kriegsbeschwerden lassen aufschreiben deswegen eine Vorstellung
an Kantons-Verwalter machen lassen34, wohl um eine geringere Abgabenlast zu
begründen.
Militäroperationen mit Kosten für die Gemeinde fanden nach wie vor statt: bei
dem letzten Durchmarsch der Franzosen ist an Wein und Branntwein und Brot, un-
ter solchen sind besonders die Kranken und Blessierten zu verstehen, denselben
mußten wir darbieten für 18 Livres. Anscheinend hatte es seit 1795 vorübergehend
ein Militärspital in Saarwellingen gegeben, da noch 1796 darauf bezogene Posten * 12
Gesammelte Aufsätze (Geschichte, Politik & Gesellschaft. Schriftenreihe der Stiftung
Demokratie Saarland, Bd. 7), St. Ingbert 2005, S. 144-167. Läufer, Blieskastel (wie
Anm. 4), S. 357, 370-372.
Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 1, S. 3, Nr. 16. Dieser Brand wurde von
der Bevölkerung womöglich im Nachhinein mit der Vertreibung eines Pfarrers in Ver-
bindung gebracht, der einen entsprechenden Fluch ausgesprochen haben soll. Dazu Clau-
dia Ulbrich, Frauen und Kleriker, in: Bea Lundt und Helma Reimöller (Hg.), Von
Aufbruch und Utopie. Perspektiven einer neuen Gesellschaftsgeschichte des Mittelalters.
Für und mit Ferdinand Seibt aus Anlaß seines 65. Geburtstages, Köln 1992, S. 155-177,
wieder abgedruckt in: Richard van Dülmen und Reinhard Klimmt (Hg.), Saarländische
Geschichte. Eine Anthologie, Saarbrücken 1995, S. 155-157. Hier ging es um einen Kon-
flikt mit den geistlichen Autoritäten um eine Kindstötung, der das Wertesystem der Ge-
meinde berührte.
Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 2, S.10, Nr. 4; S. 12, Nr. 25 nach Mer-
zig; S.l 1, Nr. 20 nach Losheim; S. 12, Nr. 28 nach Tholey; Nr. 36 nach Saarlibre; S. 13,
Nr. 49 nach Saarburg: Abschriften der herrschaftlichen Einkünfte A 2, S. 14f., Nr. 63; S.
12, Nr. 31 Abschrift der Kriegsbeschwerden durch den Schulmeister, Nr. 33 neuerliche
Abschrift, Nr. 34 Verordnung zu den Kriegsbeschwerden, ln Oberlinxweiler wurden
1795 Kornlieferungen nach Tholey geleistet, außerdem war es zu Hausdurchsuchungen
wegen Korns gekommen; siehe Schwingel (wie Anm. 2), S. 193, 195.
14 Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 2, S.l2, Nr. 37. Eine entsprechende Auf-
stellung leistete Oberlinxweiler erst 1797; siehe Schwingel (wie Anm. 2), S. 210.
281
in den Gemeinderechnungen erschienen' . Einzelnen Gemeindemitgliedern wurde,
um Billette und Fourage auszuteilen, weitere 21 Livres bezahlt'6. Patrouillen des
Koalitionsheeres waren trotz der französischen Militärpräsenz und -dominanz noch
immer in Saarwellingen präsent und zeigen, dass aus der Sicht der Bevölkerung
womöglich auch jetzt noch keine Klarheit über den Ausgang des Krieges herrschte.
Sowohl eine Patrouille von den grünen Dragonern als auch Schambener (?) Husa-
ren und von grüne(n) Chasseurs waren mit Wein und Branntwein zu verköstigen 7.
Ganz ohne neue Schulden ging es auch 1795 nicht, da abschließend bei der Rech-
nungslegung dem Hameier Michael Müller 127 Livres an gesteigertem Holz gegen
219 Livres an Gemeindeschulden verrechnet wurden. Dass in diesem Jahr Kredite
zurückgezahlt wurden, weist die Rechnung nicht aus.
Im ersten Halbjahr 1796 liefen erstmals wieder mehr Einnahmen in die Ge-
meindekasse. Man nahm von der Judenschaft auf Abschlag einen Anteil Kriegs-
kosten, insgesamt 275 Livres'8. Dazu gingen von den Franzosen Zahlungen von
Kriegskosten als Einnahmen in die Rechnung ein, aus Auflagen vom 3. Februar
und vom 27. Mai insgesamt 700 Livres, so dass die Aufstellungen des Vorjahres
einen finanziellen Niederschlag hatten. Nennenswerte Beträge kamen außerdem
aus der herrschaftlichen Land-Versteigerung auf Wingen-Flur und der Alten-
Schloß-FluF\ Neue Schulden wurden beim Herrn Pastor, Franz Geradin, aufge-
nommen36 * * 39 40 41, so dass sich die Einnahmen auf insgesamt 3312 Livres beliefen.
Wie stark immer noch unmittelbare Militärlasten die Gemeinde bedrückten,
zeigte sich in der Präsenz von Exekutionskommandos, die Lebensmittel für die
Truppen forderten, etwa als den vier Husaren, welche hier wegen gefordertem
Korn auf Exekution, bis nach Merzig ihre Tageskosten bezahlt wurden, einem je-
den in zwei Tagen 30 Livres, beläuft sich auf 120 Livres. Hinzu kamen Exekutions-
Kosten und Zehrung von insgesamt 149 Livres, wobei ein Schoppen Branntwein
mit 1 Livre beziffert wurde. Weitere Husaren, die zehn Säcke Hafer forderten,
wurden mit 9 Livres abgewiesen, ein andermal, im März 1796 schlug eine Husa-
ren-Exekution mit 49 Livres zu Buche, und es gab weitere derartige Aktionen so-
wie etliche Botengänge zu den französischen Militärverwaltungen . Die ständigen
Armeefuhren und Fourageleistungen schlugen sich als Schreibgebühren in den
Gemeinderechnungen für Visiten, Quittungen, Lieferscheine etc. nieder42, so dass
der Eindruck entsteht, dass die Belastungen keineswegs abnahmen. Im Gegenteil,
mit einer funktionierenden französischen Verwaltungsstruktur war eine planvolle
Ausnutzung der lokalen Ressourcen für die Kriegsführung wesentlich effektiver als
MAyer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 3, S. 17, Nr. 20.
36 Ebd. A2, S. 11, Nr. 24; S. 12, Nr. 25.
Ebd. A 2, S. 12, Nr. 35, 38; S. 13, Nr. 42. ln Oberlinxweiler wurden Ausgaben für eine
Hollaner Batteroll fällig; siehe Schwingel (wie Anm. 2), S. 196.
3S Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 3, S. 16, Nr. 11, 12. Eva Kell, Saar-
wellingen (wie Anm. 26), S. 42. ln Saarwellingen gab es eine jüdische Gemeinde, die
1781 aus 25 Haushaltungen bestand.
39 Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 3, S. 17, Nr. 22, 25, 28, 32.
40 Ebd. A3, S. 17, Nr. 29.
41 Ebd. A3, S. 18, Nr. 10, 11; S. 19, Nr. 19; S. 21, Nr. 53; S. 23, Nr. 78, 82; S. 24, Nr. 95,
97,99; S. 25, Nr. 107, 108, 114.
42 Ebd. A 3, beispielsweise S. 19, Nr. 17, 26, S. 20, Nr. 50; S. 26f.
282
zu Zeiten wechselvoller militärischer Aktionen. Wiederholt finden sich in der Ge-
meinderechnung daher Abrechnungen einer Vorstellung an den Kantonsverwalter
wegen der allzu vielen Kriegskosten42 *. Die Höhe der tatsächlichen Naturalleistun-
gen der Gemeinde an das französische Militär lässt sich nur punktuell feststellen,
wenn zusätzlich zu den anfallenden Schreibgebühren Angaben gemacht werden,
beispielsweise 75 Pfund Heu oder zwei Pferde44.
An den Kantonsverwalter ergingen gegen Quittung große Summen an Geld und
für Lebenskosten insgesamt 657 Livres, ebenso an den Commandanten zu Schwar-
zenholz (225 Livres). Dabei handelte es sich wohl auch um Bestechungsgelder, wie
im Fall des Comis aus dem Trierischen Magazin, der wegen 15 geforderten Fuhren
mit Fourage auf Trier, von den unsrigen zu fahren, mit 144 Livres abgespeiset
wurde45. Die Ausgaben der Rechnung von 1796 überstiegen mit 3988 Livres die
Einnahmen von 3312 Livres um ein Beträchtliches. Dem Hameier Kläß Puhl blieb
die Gemeinde 553 Livres schuldig. Zudem wurden die Rechnungen seitdem außer
von den Schöffen und dem Meier zusätzlich von dem örtlichen Agenten, Johannes
Kessler, unterzeichnet. Hier greift einerseits nach Jahren der relativen Autonomie
verstärkt herrschaftliche Kontrolle in die Belange der Gemeinde ein, andererseits
wurde zumindest von diesem Agenten Bestechungen zum Vorteil der Gemeinde,
die sogar aktenkundig waren, ohne Weiteres akzeptiert, womöglich, weil er selber
Gemeindemitglied war. Johannes Kessler, ein Sohn des Illinger Maiers, hatte sich
1785 nach Saarwellingen verheiratet46.
Die Umstellung auf die intensive und räumlich nahe französische Verwaltung
mit ihren Steuerforderungen und den nach wie vor an das Militär zu leistenden
Abgaben und Diensten belasteten die Gemeindefinanzen in den Jahren 1797/98 er-
heblich47. Einerseits kam es zwar nicht mehr zu unmittelbaren Kriegshandlungen,
andererseits hatten Verwaltung und Armee jetzt ungehinderten Zugriff auf die Res-
sourcen der Gemeinden in den pays conquis, einschließlich der Machtmittel, sie
durchzusetzen, vornehmlich mittels Einquartierungen und durch Militärkomman-
dos. Die Wied-Runkelsche Herrschaft mit Sitz der Grafschaft in Kriechingen wäh-
rend des Alten Reiches hatte keineswegs über vergleichbare Druckmittel verfügt4*.
Die Rechnungen geben das Spektrum der Leistungen der ehemaligen Reichsherr-
schaft an die französischen Machthaber wieder: Fouragelieferungen, Contributi-
ons-Gelder, Kopfgelder, dazu Fuhrdienste, Botengänge oder Schanzarbeiten bis
hin nach Trier mussten geleistet werden, weiterhin die Verpflegung durchreisenden
Militärs. Einquartierungen oder die Nutzung örtlicher Handwerksbetriebe wie der
45 Ebd. A 3, S. 22, Nr. 65, 68, 71. Für Oberlinxweiler ergibt sich ein ähnliches Bild. Dort
wurde ein erzwungenes Anlehen aufgenommen, außerdem gab es Exekutionsgelder,
Schanzgebühren, Zahlungen an den Kommissar in Ottweiler, Lieferungen von Nah-
rungsmitteln an Offiziere und allgemeine Kriegskosten; siehe Schwingel (wie Anm, 2),
S. 198-204.
44 Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 3, S. 25, 110; S. 26, Nr. 123, 125; S. 27,
Nr. 135, 137.
45 Ebd. A 3, S. 27, Nr. 128 Schwarzenholzer Commandant, Nr. 129-132 Saarburg, 133
Trier.
46 Mayer, Einwohner (wie Anm. 2), S. 28, Nr, 441.
1 Vgl. Herrmann, Erfahrungen (wie Anm. 1), S. 125-127.
4X Eva Kell, Irrungen (wie Anm. 2), S. 25.
283
Schmiede des vormaligen Hameiers Peter Müller durch Truppenteile zum Beschla-
gen der Kavalleriepferde vervollständigen das Bild44 * * * * 49. Wiederholt geriet die Ge-
meinde kurzfristig mit den geforderten Leistungen in Rückstand und musste dann
mit den Behörden verhandeln.
Noch 1797 leisteten die Saarwellinger aktiven Widerstand gegen die Forderun-
gen der französischen Besatzer. Sie verweigerten eine Sonderabgabe von Klafter-
holz aus ihrem Wald, die sie selbst mit 40 Arbeitern erbringen sollten. Daraufhin
erhielten sie Einquartierung von fünf Soldaten unter Korporal Roger, die so lange
bei dem Gastwirt Johannes Krämer logieren sollten, bis die Forderungen des Gene-
ralunternehmers für die Forsten in den eroberten Ländern, Franz Luc, erfüllt seien.
Neben Kostgeld für die Soldaten von 30 Sols täglich musste die Gemeinde eben-
falls 30 Sols pro Tag für jeden Arbeiter zahlen, der nicht zum Holzschlagen er-
schien. Schließlich drohte Luc mit der Entsendung weiterer 30 Soldaten binnen 24
Stunden. Am 13. und 14. August schlugen die Arbeiter, allerdings nur 10 bis 15,
das geforderte Brennholz in den Gemeindewäldern. Die Kosten der Einquartierung
bezifferte Gastwirt Krämer mit 134 Livres50.
Die Gemeinde Saarwellingen reagierte auf die permanenten Anforderungen der
französischen Armee, indem sie die Amtslast des Hameiers aufteilte und das Amt
eines Kriegs-Hameiers einführte, das 1797 Nickel Kunz und 1798 Wilhelm Thönes
inne hatten, ohne dass sich jedoch die Inhalte der Gemeinderechnungen des regulä-
ren Hameiers dadurch änderten51. Zinszahlungen für die geleisteten Kredite und
Rückzahlungen gestundeter Beträge an Gemeindemitglieder, die für die Bedürf-
nisse der Armee in Vorlage getreten waren oder Einquartierungen gehabt hatten,
44 Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 4/A 5, einige Beispiele: A 4 (1797), S.
31, Nr. 1,3, 15, 17, 18; S. 37, Nr. 100; A 5 (1798), S. 39, Nr. 7 an den Kommandant von
den Dragoner, welche am 27. November hier angekommen sind, ein Pfund Käse und ein
Pfund Zucker müßen geben. Zum Datieren wurde in Saarwellingen ausschließlich der
christliche Kalender verwendet, in Oberlinxweiler vermischen sich 1799 christliche und
revolutionäre Datierung. Die Gemeinderechnung von Oberlinxweiler wies seit 1797 ver-
gleichbare Belastungen aus: Zwangsanleihe, Lieferungen an Offiziere, Armeelieferun-
gen, Exekutionsgebühren, Einquartierungen, Fourage, Schmiedearbeiten, Zahlungen an
Justizbeamte, Botengänge, meist nach Ottweiler, aber auch nach Bitsch, weiterhin
Kriegskosten, die auf Bann und Güter erhoben wurden, und bereits Steuerleistungen und
Zehntzahlungen an die französische Administration; siehe Schwingel (wie Anm. 2), S.
205-217. Die dort erhaltene Rechnung von 1799 dokumentiert die Übernahme in die
französische Verwaltung mit ihren hohen Steueranforderungen: Grundsteuer, Mobiliar-
und Personalsteuer, Zahlungen für die Waldddomänen, Fenster-Geld, Abgaben an die
Munizipalverwaltung in St. Wendel, Bürger-Exekution, Gemeinde-Exekution, Säumnis-
gelder, Schanzgelder, Suadisionel (?), Schatzung sowie diverse Lieferungen und
Schreibarbeiten; siehe Schwingel (wie Anm. 2), S. 220-223.
50 Mayer, Einwohner (wie Anm, 2), S. 73.
51 Ebd. A 4, S. 36, Nr. 29; A 5, S. 40, Nr. 19 dem Kriegs-Hameier Nickel Kunz gegeben für
Papiere an die Soldaten oder Dragoner zu liefern 6 Livres. Die genaue Funktion dieses
Amtes erschließt sich nicht. In Oberlinxweiler war die Gemeinde der zunehmenden Be-
lastung des Hameieramtes dadurch begegnet, dass ab 1793 der Inhaber vierteljährlich
wechselte und damit das persönliche Risiko des Amtsinhabers sich verringerte; siehe
Schwingel (wie Anm. 2), S. 178-230.
284
machen zusätzlich einige Posten der Gemeinderechnungen von 1797/98 aus'2, so
dass nach wie vor ein Großteil der Einträge von Kriegseinwirkungen bestimmt
wurde.
Immerhin wurden vor allem 1798 wieder Kredite und Forderungen zurückge-
zahlt, da der Saldo deutlich positiver ausfiel als in den vergangenen Jahren. Für
1797 ergab sich ein Überschuss von 273 Livres, 1798 betrug das Defizit des
Flameiers 91 Livres, die er der Gemeinde schuldig blieb. Bis 1796 war jeweils die
Gemeinde den Hameiem Geld schuldig geblieben, wobei die Summen zwischen
219 und 553 Livres betrugen. Die Verantwortung für das Amt des Hameiers
schloss demnach die persönliche Haftung für Verluste mit ein* 53.
(3) Kriegswirtschaft und Zugriffe von Militär oder Besatzern sowie letztendlich
die französische Verwaltungsintensivierung zeigen nur eine Seite der Gemeinde-
rechnungen. Die Arbeit des Hameiers legt zugleich Zeugnis ab von kommunaler
Selbstverwaltung und ihren Zuständigkeiten und Spielräumen und damit von ei-
nem Anteil an Autonomie sowohl gegenüber den alten wie den neuen Machtha-
bern. Bereits in den ständigen Verhandlungen mit den wechselnden Kriegsparteien,
den Botengängen, der Schuldenaufnahme, der Gemeinde internen Verteilung von
Lasten und Leistungen während des Krieges hatte kein herrschaftlicher Ansprech-
partner zur Verfügung gestanden und die Gemeinde war auf sich gestellt. Dieser
Verantwortung waren der Meier, die Schöffen und der jeweilige Hameier stets ge-
recht geworden, indem zugleich mit der Abzeichnung der Rechnung eine Kontrolle
stattfand. Zugleich mit den kriegsbedingten Anforderungen kam der Hameier aber
auch seinen hergebrachten Aufgaben nach, wiederum ein Bereich kommunaler
Selbstbestimmung, sozusagen der Exekutive. Dazu zählten die Überwachung der
Banngrenzen, die Durchführung von Flur- und Holzversteigerungen, die Einnahme
von Abgaben, zum Beispiel das Weidegeld der Juden oder Heiratsgelder (bis
1795), die Lohnauszahlungen an die Gemeindehirten, die Durchführung von Repa-
raturen am Schulhaus, den Hirtenhäusem, der Kirchenuhr, an Brücken und Wegen,
die Ausführung oder Vergabe von Schreibarbeiten, die Auszahlungen an Gemein-
dearme, die Bezahlung von sakralen Gegenständen wie Hostien, Krisam oder Os-
terkerzen oder auch einmal die Veranlassung, ein verendetes Pferd begraben zu
lassen54.
Mit den Entscheidungen, die Juden an den Kriegslasten zu beteiligen, das Amt
eines Kriegs-Hameiers einzuführen oder die Versteigerung von ehemals herrschaft-
lichem Grundbesitz durchzuführen, übernahm die Gemeinde auch legislative Auf-
gaben. Keineswegs herrschte ein kriegsbedingtes Chaos oder ein administratives
Vakuum, sondern zum einen ein verantwortungsvoller und weitgehend solidari-
scher Umgang mit den Anforderungen des Militärs. Zum anderen blieb ein Groß-
teil der traditionalen Lebensbereiche und des Wirtschaftslebens trotz des Krieges
intakt, vor allem der existenzielle agrarische Jahreszyklus, die Verwaltung der Res-
Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 5, S. 41/42, Nr. 37-40, 43, 45, 49, 50, 57.
53 Ebd. A 2, S. 15; A 3, S. 28; A 4, S. 37; A 5, S. 43.
54 Ebd, A 1 - A 5. Hier keine Einzelnachweise. Entsprechendes gilt für die Rechnungen von
Oberlinxweiler; siehe SCHWiNGEL (wie Anm. 2); Mayer, Einwohner (wie Anm. 4). Ei-
nen Schulmeister bestallte die Gemeinde bereits seit 1638. Zwischen 1779 und 1816 hat-
te der aus Roden stammende Peter Weisgerber die Schulmeistersteile inne, S. 91.
285
sourcen, insbesondere des Waldes und des Kapitals an Holz. Aber auch die Dorf-
schule wurde weitergeführt und kirchliche Feste nach wie vor begangen. Bereits
die vorliegende Rechnungslegung des Hameiers dokumentiert diese Kontinuität
und Stabilität.
Darüber hinaus tätigte die Gemeinde 1797 erstmals seit Kriegsbeginn eine grö-
ßere Investition: die Anschaffung einer neuen Kirchenglocke, die am 9. Thermidor
des Jahres V in Metz bezahlt wurde55. Die dortige Glockengießerei hatte den Bür-
gern Johannes Eisenhart und Wilhelm Thönes den Empfang von 1275 Francs für
eine Glocke, die sie gekauft haben und die 1275 Pfund wiegt, Markengewicht f
quittiert. In Saarwellingen war die Summe durch Spenden, die zum Teil namhaft
belegt sind, aufgebracht worden, insgesamt 1342 Livres. Davon stammten 152 Liv-
res aus anonymen Spenden im August 1797, 75 Livres aus Kirchengeldem, 288
Livres vom Pastor, Franz Geradin; der größere Teil der Gesamtsumme in Beträgen
zwischen 120 und 168 Livres von Mathias Mahler, Johannes Krämer, Mathias
Krämer, dem Schöffen, Johannes Kessler (dem Agenten?), dem Sägemüller und
dem Oberen Müller.
Die Glocke war zudem eine Angelegenheit, die eine Vielzahl von Gemeinde-
mitgliedem direkt oder indirekt betraf, als sie im Spätsommer 1797 installiert wur-
de, wie die Gemeinderechnungen belegen: Klöppel und Glockenseil, Aufhän-
gungsseile, Schmiede- und Sattlerarbeiten, Transport, die Reise nach Metz, ein-
schließlich der Bezahlung eines Dolmetschers, und schließlich die Ausgabe von
Branntwein und Bier für die Helfer beim Aufhängen schlugen zu Buche56. Das Pro-
jekt erforderte ein Höchstmaß an kommunaler Solidarität. Im gleichen Jahr wies
die Gemeinderechnung Kosten für eine Prozession aus: die Überfahrt mit der Pro-
zession zu Nalbach bezahlt das Kreuz nach Mettlach zu tragen, bezahlt den Chor-
sängern ihre Fuhre bezahlt'1. Spekulativ könnte man mit beiden religiös geprägten
Aktionen einen Zusammenhang mit den bevorstehenden Friedensschlüssen ver-
knüpfen. Die Aktion zeigt zudem, dass die christliche Volksfrömmigkeit ausge-
prägt war und der Revolutionskult daher kaum Fuß fasste. Pastor Franz Geradin,
der zwischen 1789 und 1803 in Saarwellingen Pfarrer war, hatte den revolutionä-
ren Verfassungseid verweigert. Er war in der Gemeinde hoch angesehen und die
Saarwellinger versteckten ihn vor Verfolgung. Seine seelsorgerischen Bemühungen
wurden auch von den benachbarten französischen Pfarreien in Anspruch genom-
men, von denen entweder die Pfarrer von den Republikanern vertrieben waren,
oder wo sich abgefallene Priester befanden, denen die Rechtgläubigen kein Zu-
trauen schenken wollten. Namentlich finden sich in seinen Kirchenregistern sehr
viele Trauungen und Taufen von Auswärtigen. Selbst Kinder aus Saarlouis wurden
ihm übergeben, um sie auf den Empfang der Kommunion vorzubereiten5*. * 56 57
Vgl. zum Folgenden: Mayer, Gemeinderechnungen (wie Anm. 2), A 4, S. 30, Nr. 96.
Die übersetzte Abschrift der Quittung ist der einzige Beleg für die Verwendung des Re-
volutionskalenders.
56 Ebd. A 4, S. 35, Nr. 67, 68, 69, 72; S. 36, Nr. 85-88, 97; S. 37.
57 Ebd. A4, S. 34,Nr. 55.
K Mayer, Einwohner (wie Anm. 2), S. 67 Pfarrchronik, Bericht des Pastors Jakob Antoine
über die Revolutionszeit. Das Kirchenbuch verzeichnet 60 Trauungen und 400 Kindstau-
fen von Ortsfemden, darunter 124 aus Saarlibre.
286
Fazit: Der Weg der Saarwellinger Gemeindemitglieder in diesen entscheidenden
Umbruchsjahren war stets von erheblichen materiellen Forderungen der Kriegs-
parteien begleitet. Der kriegsbedingte politisch-gesellschaftliche Wandel führte
vom Untertan im kleinstaatlich- absolutistischen Alten Reich zum postulierten be-
freiten Individuum bzw. Patrioten der französischen Republik aufgrund des Befrei-
ungsdekrets, je nach der Kriegslage zum Dasein eines von Plünderungen bedrohten
potentiellen Flüchtlings, dann zum von den Ausleerungskommissionen traktierten,
zum Teil arg gebeutelten Bewohner der pays conquis bis zum französischen admi-
nistré und Steuerzahler in den neu geschaffenen Departements.
Eine eigenständige politische Positionsbeziehung wie etwa im Reunionsgesuch
des Oberamts Schaumburg trug den ökonomischen Faktoren ebenso Rechnung wie
deren Fehlen in Saarwellingen, wo man mittels erprobter kommunaler Strukturen
und Solidarität den Zeitläufen trotzte. Exekutive und legislative Aufgaben wurden
wahrgenommen sowie Investitionen und die anfallenden administrativen Maßnah-
men getätigt. Der Rückgriff auf autonome Strukturen und kommunale Selbstbe-
stimmung hatte in Saarwellingen wie in anderen kleinherrschaftlich geprägten
Gemeinden eine lange Tradition. Bis unmittelbar vor der Französischen Revolution
und seit den Tagen der province de la sarre und der dort genossenen Freiheit hat-
ten die Saarwellinger Widerstand einerseits gegen hergebrachte Abgaben und
Dienste geleistet, aber auch gegen eine Herrschaftsintensivierung und eine Öko-
nomisierung der örtlichen Ressourcen durch die Herrschaft. Insofern war die in den
Revolutionskriegen gewählte Strategie einer eigenständigen Krisenbewältigung
eingeübte Praxis59. Zugleich markiert das Jahr 1798 mit der dauerhaften Einrich-
tung der französischen Verwaltung aber auch das Ende dieser De-Facto-Autono-
mie, während das französische Rechtssystem und die neue Eigentumsordnung, die
für das Land an der Saar die eigentliche Revolution bedeuteten, ihre Wirkung erst
nach dem hier behandelten Zeitraum entfalteten60.
Karten siehe Abbildungsteil S. 309, 310.
Kf.ll, Irrungen (wie Anm. 2), S. 29-31.
60 Stein, Eingliederung (wie Anm. 3), S. 184.
287
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Farbabbildungen
Umweltarchäologische Untersuchungen zur Siedlungs-
und Landschaftsentwicklung der Siedlungskammer
Bliesbruck/Reinheim
Jochen Kubiniok und Daniela Brück
Legend
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Abb. 1: Lage und Umfeld des Untersuchungsgebietes im deutsch-französischen
Grenzraum
289
Villa
Reinheim
Allmend
Bliesbruck
„Bickelsrech“
Gersheim
„Horres“
Reinheim
„Furtweg“
Homerich
Vicus
Bliesbruck
Abb. 2: Räumliche Übersicht ausgewählter Untersuchungsstellen (Satellitenauf-
nähme der Siedlungskammer Reinheim/Bliesbruck - Google Earth 2012)
Schicht A-Horizonte P205 mg/lOOg Boden Corg g/100g Boden
Ah 29,5 2,15
Ap Kolluvien 70,5 1,80
römisch 10,5 0,70
poströmisch 45,0 0,85
prärömisch natürlicher Unterboden 7,5 0,30
Bv/Sd (85cm) 1,5 0,15
Flussterrasse (120cm) anthropogene Schichten 0,8 0,05
GrabenfülJungen (Abwasser) 68,0 0,40
Latrinen, Kanäle bei Latrinen 98,8 0,65
Hüttenlehm, Fußboden 21,5 0,40
Boden mit Knochen 65,0 0,20
Verfüllungen, Schutt 42,5 0,60
Pfostenlöcher 10,5 0,45
Abb. 3: Phosphat- und Kohlenstoffgehalt von Substraten unterschiedlicher
Genese im Untersuchungsgebiet
290
Abb. 4: Tonschichten (Ton 1 und Ton 2) im Bodenprofil im westlichen Allmend,
„Ton 2“ sind Tonsedimente einer hallstattzeitlichen Flachwasserzone,
„Ton 1“ enthält frührömerzeitliche Keramik, im Hangenden: neuzeitliche
Kolluvien und der aktuelle Ackerhorizont. (BRÜCK 2004)
Abb. 5: Schematische Darstellung des Schichtverlaufs zwischen Vicus und Blies.
Die römerzeitlichen Landoberflächen (rot und blau) bildeten eine flache
seenartige oder sumpfige Senke zum Fluss hin
291
Alte Fiießgewässer
• Rutschungen / Mure
' Uferlinie zui Hallstattzeit
Uferlinie zwischen Ende
der letzten Kalkzeit und
Bronzezeit
Abb. 6: Alte Uferlinien der Blies und der Verlauf von Schwemmfächern und
Rutschungen
Horizont
-II
-12
- 112
—113
- 1V1
- IV5
- IV3
Abb. 7: Geländeschnitt südlich der Thermen - West-Ende. Man erkennt deutlich
die rote Farbe der poströmerzeitlichen Verfüllung der Senke (112) und die
darunter folgenden Tonschichten (IV), Schicht 113 ist ein fossiler A-
Horizont, Schicht II entspricht dem rezenten Ackerhorizont
292
Abb. 1:
Abb. 2:
Erste Ergebnisse der neuen Ausgrabungen im
RÖMERZEITLICHEN SCHWARZENACKER
Klaus Kell
Blick von Süden auf den Raum mit den Hypokaustpfeilerchen. Im Vor-
dergrund das gut erhaltene Präfurnium
Blick von Norden auf den Keller. Sandsteinblöcke mit den Nischen für
Lämpchen
293
Abb. 3: Opfergrube am innerstädtischen Tempel, heute im Barockgarten
Abb. 4: Blick von Westen auf Haus 5 vor der Ausgrabung.
294
Abb. 5: Blick von Westen auf die späteren Räume in der Nordostecke von Haus 5
Abb. 6: Südprofil im Innenhofbereich von Haus 5 mit Pfostenlöchern späterer
Einbauten
295
Glasierte Irdenware des 13. und 14. Jahrhunderts.
Ein Forschungsbericht
Christel Bernard
Abb. 1: Zerscherbter Krug der glasierten, reich verzierten Irdenware, Burg
Kirkel. Foto J. Selmer.
Abb. 2: Fragmentierter Krug aus grauer Irdenware. Alte Burg Püttlingen, spätes
14. / frühes 15. Jahrhundert. Foto J. Selmer.
296
Abb. 3: Glasierter Krug mit Rillendekor auf der Schulter. Teilweise mit Gips
ergänzt, Fundort Burg Kirkel. Foto J. Seltner.
Abb. 4: Der Krug war mit zahlreichen Beerennuppen verziert. Burg Kirkel. Foto
J. Seltner.
297
Abb. 5: Detail einer Applikation in Form eines männlichen Gesichts, Fundort
Burg Kirkel. Foto J. Selmer.
Abb. 6: Auf der Oberburg barg ein Schacht, der Jahrhunderte lang als Keller
gedient hatte, zahlreiche Funde aus der Bestandzeit der Burg Kirkel,
unter anderem die Fragmente von Gefäßen glasierter, reich verzierter
Irdenware. Foto C. Bernard.
298
Abb. 7: Krugfragment mit rötlichbrauner Glasur, Fundort Burg Kirkel. Foto J.
Selmer.
Abb. 8: Verzierung mit einem Rädchenstempel, der direkt in den noch weichen
Gefäßkörper gedrückt wurde. Rand- und Schulterfragmente eines
Kruges, Fundort Kirkel. Foto J. Selmer.
299
Abb. 9: Fragmentarisches Oberteil eines Kruges, als Kopf eines Mannes ausge-
bildet, Fundort Burg Kirkel. Foto J. Selmer.
300
3
Tafel 1: Gruppe 1, mit Rillen und Kanneluren verziert
1. Krugrand Z Kl690; — 2. Krug Z K7, ergänzt; — 3. Krug Oberteil Z Kl683; —
4. Krugrand Z Kl689, wahrscheinlich zu Nr. 6; — 5. Boden Z K310; — 6. Boden Z 1681,
wahrscheinlich zu Nr. 4.
301
6
Tafe! 2: Gruppe 2, reich mit Applikationen verziert
1. Krug Oberteil ZK 10; — 2. Wandscherbe Z K 320; — 3. Krugrand Z K 306; — 4.
Krugrand Z K305; — 5. Wandscherbe Z K 304, wahrscheinlich zu Nr. 6; — 6. Boden Z
K319, wahrscheinlich zu Nr. 5.
302
Tafel 3: Krug mit kombiniertem reichem Dekor
1. obere Gesichtsapplikation; — 2. nicht anpassende Scherbe der Geiaßschulter mit
modellierter Blattranke; — 3. Fragment Z K8 mit aufgelegten Ranken und Gesichtem; — 4.
untere Gesichtsapplikation; — 5. Boden Z K 1868, wahrscheinlich zum Krug Z K 8
gehörend.
303
■ ■MM Mer»
Tafel 4: Gruppe 3 rötlich-braun glasierte Gefäße mit Stempeldekor; Waren mit
gelb-grünlicher Glasur
1. Henkel-Rand-Fragment Z K1684; — 2. Krug Z K1 Oa; — 3. Krug Oberteil Z K313, — 4.
Krugrand Z K315.
Gelb-grünlich glasierte Waren: 5. Krugrand Z Kl685; — 6. Krugrand Z K 317; —
7,Krugrand Z K318 mit Rillen.
304
1
2
Tafel 5: Dunkelbraun glasierte Keramik
1. Krugrand Z K 308, eingeritzte Schuppen; — 2. Boden Z K 307, wahrscheinlich zu Nr. 1;
— 3. Krug Z K 322, Oberteil und Henkelansatz, modelliert und geritzt.
Alle Zeichnungen C. Bernard
305
Die Grabinschrift des Grafen Karl Siegfried von Nassau-
Saarbrücken (f 1679) in der Butzbacher Markuskirche
Michael Oberweis
Abb. 1:
Grabplatte des Grafen Karl Siegfried von Nassau-Saarbrücken in der
Butzbacher Markuskirche
306
Mittelalterliche Hospitäler im Einzugsgebiet der Saar
Michel Pauly
Hospitäler im Einzugsbereich der Saar (bis 1500)
Entwurf Michel Pauly
Kartographie: Martin Uhrmacher
Abb. 1 : Hospitäler im Einzugsbereich der Saar (bis 1500)
308
Armeefuhren - Brandschatzung - Exekution
Die Reichsherrschaft Saarwellingen zwischen Altem
Reich und französischer Republik
Eva FCell
Abb. 1: Historische Karte aus Mayer, Einwohner (wie Anm. 2), S. 21
309
Deutsches Reich
| Herzogtum Lusemburg
| Kurfürstentum Tner
| Kurfürstentum Platz
I 1 Herzogtum P+elz •
1----1 Zweibrücker
m Lendgr«fsch«ft Hessen Dar mstadt
■ Markgrafschaft Baden
H Grafschaft Lemtngen Hardenburg
fy//Ä Grafschaft Nassau-Saarbrücken
Grafschaft Nassau-Werfburg
W Ad-und Rhemgratschaft
r~~] Urne Grumbach
\’//A Herrschaft Oberkechen
| Rerchsherrschaft Oberstem
/S'; J Re*chsherrschaft Reipoltskirchen
Re*chsherrschaft Winneburg
I I Rerchsrdterschaft
-----1 (Geschlossene Besitzungen
Besitzungen von Klöstern
unid Stiften
Frankreich
im p,o*»nz Drei Bmtümer
1 | Ptovmz Elsaß
IM Provinz Lothringen
@ TRIER Skz emer Regierung
0 Saarbg Srtz eines Oberamies oder Amtes
o Rosport Herrschaft. Meieret. Schuhherftorei etc
■ Reichsgrenze
-Grenzen der Verwaltungsbezirke
Abb. 2: Die Herrschaftsgebiete von 1789, erstellt von Günther Volz und bearbeitet
von Raimund Zimmermann, in: Geschichtlicher Atlas für das Land an der
Saar, hg. vom Institut für Landeskunde des Saarlandes, Saarbrücken 1971.
310
ANMAßLICHE REPUBLICANER.
Unruhen und Untertanenkonflikte
in der Reichsherrschaft
Hüttersdorf-Buprich im 18. Jahrhundert
Johannes Schmitt
Hinführung
Als im Jahre 1745 der Anwalt des Freiherm von Hagen in einem Prozess am Reichs-
kammergericht in Wetzlar die Untertanen des Freiherm in Hüttersdorf-Buprich als
anmaßliche Republicaner qualifizierte1, traf er wohl auf den Punkt genau die
Intentionen der Einwohner der beiden Dörfer, die diese Reichsherrschaft bildeten:
Denn seit Jahren zeigten sich dort anhaltende Unruhen und Konflikte, die letztlich
darauf hinausliefen, Adelsherrschaft im durchgesetzten absolutistischen Sinne
einzuschränken, sich sogar mit der Herrschaft zu parifizieren, gleichzusetzen, und
ihre Lebenswelt weitestgehend selbst und genossenschaftlich zu gestalten2.
Ihren Ausgangspunkt hatten diese Konflikte in den Verboten der Herrschaften,
dass ihre Untertanen auf die Jagd gingen, fischten und den Wald nach eigenem
Gutdünken nutzten. Als diese sich nicht um diese Verbote scherten und die Herr-
schaften sogar renitente Untertanen gefangen setzen ließen, schlossen sie einen
Pakt, aus Sicht der Herrschaften allerdings eine Rebellion, und wandten sich an das
Reichskammergericht, um dort ihr Recht zu bekommen, ln mehreren Prozessen
versuchte dieses Gericht, die Konflikte zu lösen beziehungsweise gewissermaßen
zu kanalisieren. Allerdings gingen diese vor Ort doch weiter, kulminierten sogar
1722 in einer so genannten Rebellion, als fast alle Einwohner der beiden Dörfer
den Herrn von Hagen, also unmittelbar ihre Herrschaft - was wohl im Alten Reich
einmalig war - angriffen, mit Steinen bewarfen und ihn mit seiner Jagdgesellschaft
aus dem Dorf vertrieben.
Seit den frühen 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sind diese Unruhen
und Untertanenkonflikte in einer Reihe von Aufsätzen aufgearbeitet worden, aller- * 18
1 Johannes Schmitt, Die „anmaßliehen Republicaner“ von Hüttersdorf und Buprich. Pro-
zesse, Untertanenkonflikte und Unruhen in der Reichsherrschaft Hüttersdorf/Buprich im
18. Jahrhundert (Teil I), in: Schmelzer Heimathefte 11 (1999), S. 13-30, hier S. 21.
Diese wurden von mir dargestellt: Johannes Schmitt, „Sie tun zur Zeit so, als wären sie
eine Repulik,..“. Zur „Rebellion“ in Hüttersdorf-Buprich im Jahre 1722, in: Schmelzer
Heimathefte 4 (1992), S. 5-61; Johannes Schmitt, Um Jagd, Fischen und Waldnutzung:
Unruhen und Untertanenkonflikte in der Reichsherrschaft Hüttersdorf/Buprich in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Teil I), in: Schmelzer Heimathefte 6 (1994), S. 57-86
(= Jagd I); (Teil II), in: Schmelzer Heimathefte 7 (1995), S. 5-30 (= Jagd II); (Teil 111),
in: Schmelzer Heimathefte 8 (1996), S. 53-80 (= Jagd III); (Teil IV), in: Schmelzer
Heimathefte 9 (1997), S. 5-52 (= Jagd IV); Johannes Schmitt, Die „anmaßliehen Repu-
blicaner“ von Hüttersdorf und Buprich. Prozesse, Untertanenkonflikte und Unruhen in
der Reichsherrschaft Hüttersdorf/Buprich im 18. Jahrhundert (Teil I), in: Schmelzer Hei-
mathefte 11 (1999), S. 13-30; (Teil II), in: Schmelzer Heimathefte 12 (2000), S. 53-69.
311
dings weitgehend unbeachtet durch die „Unruheforschung“3. Neuerdings gelang es
sogar, den „Kontext“ für diese Unruhen zu rekonstruieren: Als Ludwig XIV. nach
1680 an der Ostgrenze Frankreichs die „Province de la Sarre“ etablierte, wurden
die Einwohner weitgehend von der Leibeigenschaft befreit. Nach der Auflösung
der Saarprovinz (1697) wurden den Herrschaften ihre Rechte restituiert, und in die-
sem Zusammenhang erwuchsen in der Saarregion - in Wadern-Dagstuhl, in Hüt-
tersdorf-Buprich, in Illingen und in Saarwellingen - Konflikte, weil sich die Unter-
tanen in unterschiedlichen Formen dagegen wehrten, dass ihnen verliehene Rechte
wieder genommen wurden4. Die Saarregion war gewissermaßen in mehreren Herr-
schaften zu einer „Unruheregion“ geworden. Im Folgenden soll an dem heraus-
ragenden Beispiel der Reichsherrschaft Hüttersdorf-Buprich in der Jubiläums-
schrift der „Kommission für saarländische Landesgeschichte und Volksforschung“
die „Unruhesituation“ zusammenfassend dargestellt werden .
Die Reichsherrschaft Hüttersdorf-Buprich im 18. Jahrhundert:
Verfassung, Recht, Gesellschaft, Wirtschaft
Doch bevor die Untertanenkonflikte in ihrem Ablauf erörtert werden, ist der recht-
liche und gesellschaftlich-wirtschaftliche Kontext vorzustellen, in den diese Kon-
flikte einzuordnen sind, das heißt Verfassung, Recht, Gesellschaft und Wirtschaft,
auch ansatzweise die Kultur der Reichsherrschaft Hüttersdorf-Buprich im 18. Jahr-
hundert zu skizzieren.
Seit der Ausbildung des frühneuzeitlichen Territorialstaates hatten sich in der
Saarregion, das heißt etwa in dem Gebiet des heutigen Saarlandes, gewissermaßen
in einer Konkurrenzzone und einem Herrschafts- beziehungsweise Mächtedreieck
zwischen dem Kurfürstentum Trier, dem Herzogtum Lothringen und der Graf-
schaft Saarbrücken noch kleinere Reichsherrschaften halten können, insbesondere
an der Prims und an der Theel. Zu ihnen gehörten die beiden Dörfer Hüttersdorf
und Buprich. Diese, an der mittleren Prims gelegen, umfassten eine Fläche von
rund 17 Quadratkilometern und hatten im Jahre 1720, grob geschätzt, etwa 250
Einwohner. Um 1700 waren Hüttersdorf und Buprich gemeinsamer Besitz der
Vögte (Freiherren, später Grafen) von Hunolstein und der Freiherren von Hagen,
beide Reichsritter in der Niederrheinischen Ritterschaft, und sie bildeten zusam-
men die unmittelbare Reichsherrschaft oder „Pflege“ Hüttersdorf-Buprich. Der
Herrschaftsanteil der Hunolsteiner Linie lässt sich bis ins späte Mittelalter verfol-
gen, der der Freiherren von Hagen mag auch schon mittelalterlichen Ursprungs
sein, aber erst seit den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts war die Herrschaft bis zu
ihrem Ende 1797/98 infolge der Französischen Revolution zweiherrisch. Die Her-
lm Einzelnen aufgeführt bei Johannes Schmitt, Französische Freiheiten? Herrschafts-
konflikte in Dagstuhl, Hüttersdorf/Buprich, Illingen und Saarwellingen, in: Zeitschrift für
die Geschichte der Saargegend 56/57 (2008/2009), S. 150f., Anm. 19.
4 Schmitt, Französische Freiheiten? (wie Anm. 3), S. 141-143; neuerdings dazu auch Eva
Kell, „Irrungen und Mishelligkeiten“. Untertanenkonflikte in der Herrschaft Saarwel-
lingen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 59
(2011), S. 77-98.
Die Zusammenfassung beruht überwiegend auf Schmitt, Jagd I-IV (wie Anm. 1). Zur
Entlastung des Anmerkungsapparates werden lediglich die Zitate nachgewiesen.
312
ren von Hagen nahmen ihren Teil als Lehen von Kurtrier, die Vögte von Hunol-
stein hingegen standen in Lehnsabhängigkeit von Nassau-Saarbrücken.
Im Jahre 1574 setzten die Herren der Herrschaft Hüttersdorf-Buprich eine Ge-
meyne Ordnung in Kraft, die oft bis ins Detail das dörfliche Leben reglementierte
und Grundlage für die Rechtsordnung und das Gemeindeleben wurde und bis zu
ihrem Ende infolge der Französischen Revolution blieb.
Die Gemeyne Ordnung war eine Grundlage für die Gerichtsordnung bezie-
hungsweise -Verfassung: In der Herrschaft existierte ein Hochgericht, das allein
dem Freiherren von Hunolstein zustand, der dafür den Hochgerichtsschultheiß aus
seinen Untertanen auswählte. Der Schultheiß führte die Verhandlungen und fand
mit den sieben Schöffen das Urteil, das vom Hochgerichtsherren bestätigt werden
musste. Bei den sieben Schöffen stellten die Hunolsteiner Untertanen vier, die
Hagener drei. Zur Neuwahl der Schöffen hatte die Gerichtsgemeinde das Recht,
drei Kandidaten zu präsentieren, aus denen die Herrschaft dann einen bestimmen
durfte. Neben dem Hochgericht urteilte noch das Gericht in civilibus, wie es im 18.
Jahrhundert genannt wurde, in allen Fällen, die nicht an „Leib und Leben“ gingen,
also etwa bei Beleidigungen und Erbstreitigkeiten. Vorsitzender dieses Gerichts
war ursprünglich ein Meier, der nach den Herrschaftsverträgen alternative, also
abwechselnd aus den Leibeigenen der beiden Gerichtsherren ausgewählt wurde.
Bis zum 18. Jahrhundert war aber eine grundsätzliche Neuregelung in der Ge-
richtsorganisation eingeführt worden: Dem Hochgericht und dem Zivilgericht wur-
de von Seiten der Herrschaften je ein Amtmann - Judex genannt - beigegeben, die
mit zu Gericht saßen und schließlich, im Hochgericht der hunolsteinische Amtmann
allein und im Zivilgericht mit dem hagenischen Amtmann zusammen, das Urteil
fällten. Appellationsgericht der Herrschaft war, wenn die entsprechende Streitsumme
von 400 Reichstalern erreicht war, das Reichskammergericht in Wetzlar.
Neben der Gerichtsherrschaft besaßen die Freiherren von Hagen und Hunolstein
auch die Grundherrschaft und die Leibherrschaft in Hüttersdorf und Buprich. Die
jeweiligen leibeigenen Untertanen saßen größtenteils auf dem Grund und Boden
der Herrschaft, auf den sogenannten Schaftgütem oder Vogteien, für die sie ge-
ringe Dienste und vor allem Abgaben leisten mussten. Als Leistungen, die aus der
Leibeigenschaft herrührten, galten insbesondere noch im frühen 18. Jahrhundert im
Bezug auf den Herren von Hagen: das Abzugsgeld, das fällig wurde, wenn ein
Leibeigener außerhalb der Herrschaft heiratete oder wegzog, sogar auswanderte -
vorausgesetzt, er hatte die Zustimmung der Herrschaft; Wachldienste am Schloss
Motten bei Lebach; Weinfuhren von der Mosel nach Lebach; Gesindezwangs-
dienste in dem Herrenschloss; Jagdfronen und ungemessene Baufronen.
Für die erbliche Nutzung der herrschaftlichen Schaftgüter hatten die Untertanen
Schaftkorn und Schaftgeld, für die Hausplätze sogenannte Fastnachtshühner zu
entrichten. Anlaufstelle und Vermittler des hagenischen Grundherren war ein herr-
schaftlicher Grundmeier für die beiden Gemeinden, der auch die anfallenden
Dienste anzusagen hatte.
Das Gemeinderecht in den beiden Gemeinden, die unabhängig von einander ge-
wisse Gemeindeorgane ausbildeten, hatten nur die Besitzer ganzer Häuser, aber
nur, wenn sie drei „Ruthen“ Land besaßen; nur sie hatten den Genuss der Erb-
schaftsländereien, der Stock- oder Schaftgüter. Im Jahre 1722 besaßen 36 Gemein-
deleute, Hausväter, das volle Gemeinderecht. 1756 waren es 82 und im Jahre 1781
schließlich 83.
313
Die sogenannten Einspännigen, mancherorts auch Hintersassen genannt, hatten
nur ein vermindertes Gemeinderecht, oft nur partielle Rechte an Wasser, Wald und
Weide, die von der Gemeinde erkauft werden konnten. Die Gemeinde als Korpo-
ration hatte die Nutzung und Verwaltung eigener Güter, vor allem einen umfang-
reichen eigenen Wald, in dessen Genuss - Bau-, Brenn- und Nutzholz - in der Re-
gel nur die Gemeindemitglieder kamen. Diese Gemeindegüter konnten von der
Gemeinde verkauft, vertauscht und auch verpfändet werden - aus der Sicht der
Gemeinden ohne herrschaftlichen Konsens, auch ohne, wie sonst üblich, die Ab-
gabe eines Drittels des Kauferlöses, „des Dritten Pfennigs“, den die Herrschaft
beim Verkauf der Schaftgüter für sich reklamierte.
Genossenschaftlich bestimmtes Organ der jeweiligen Gemeinde war der Heim-
meier oder Zender (auch Zenner), den die Gemeindemitglieder aus ihrer Mitte für
ein Jahr wählten. Er vertrat die Gemeinde gegenüber den Herrschaften und auch
juristisch nach außen, und er legte für die Ausgaben und Einnahmen der Gemein-
degelderjährlich Rechnung.
Über die demographische Entwicklung in den beiden Dörfern lassen sich für die
erste Hälfte des 18. Jahrhunderts nur sehr ungenaue und pauschale Angaben ma-
chen: Hüttersdorf und Buprich hatten wohl wie viele Gemeinden der Region in den
beiden letzten Jahrzehnten des Dreißigjährigen Krieges erhebliche Bevölkerungs-
verluste durch Krieg, Seuchen und Vertreibung hinzunehmen. Verwandtschaftliche
Verbindungen und Kontinuitäten zu Einwohnern vor dem verheerenden Krieg sind
nur sehr schwer festzustellen. 1680 aber schien die Bevölkerung schon derart zu-
genommen zu haben, dass eine Bannrenovation, eine Art Flurbereinigung, durch-
geführt wurde, durch die die Anteile an den Schaftgütern erneut festgelegt wurden.
Kann man so annehmen, dass sich die Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen
Kriegs zu Beginn des 18. Jahrhunderts ausgeglichen hatten, so lässt sich die Be-
völkerungszahl zu diesem Zeitpunkt auf 200-250 schätzen.
Genaue Zahlen jedoch sind für die zweite Hälfte des 18. und die erste Hälfte des
19. Jahrhunderts überliefert. So stellt ein Familienregister, das Pfarrer Johannes
Bracken für alle Einwohner im Juni 1781 anlegte, für Hüttersdorf 370, für Buprich
256, insgesamt also 626 Einwohner zusammen. Eine von Pfarrer Theobald zu Be-
ginn des Jahres 1810 angelegte Liste führt insgesamt 812 Einwohner an.
Damit wird deutlich, dass sich in Hüttersdorf-Buprich - was wohl auch für die
Saarregion insgesamt angenommen werden kann - die Bevölkerung im 18. Jahr-
hundert annähernd verdreifacht hat, wobei das wohl stärkere Wachstum in der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zu verzeichnen sein mag. Dies hatte sicherlich
erhebliche Folgen für die Dorfgesellschaft des 18. Jahrhunderts, da wohl überpro-
portional - und das lässt sich in Analogie zu anderen Dörfern erschließen - die
Dorfarmut und somit die Zahl der Tagelöhner und Kleinstellenbesitzer anwuchs,
zumal in den Dörfern, in denen infolge der Realteilung die Schaftgüter - und das
trifft auch auf Hüttersdorf-Buprich zu - unter gleichnahen Erben aufgeteilt werden
konnten. So gibt das 1781 von Pfarrer Johannes Bracken angelegte und heute im
Hüttersdorfer Pfarrarchiv aufbewahrte Einwohnerverzeichnis die Besitzverhält-
nisse der insgesamt 116 Haushalte an: 31 Haushalte besaßen nicht das Gemeinde-
recht, 18 davon waren, wohl überwiegend Dorfhandwerker und (oder) Tagelöhner,
ohne jeden Grundbesitz. 45 Haushalte, rund 40 %, bewirtschafteten einen Grund-
besitz von 3-8 Ruthen. Über den größten Grundbesitz (27-35 Ruthen) verfügten
nur 3 Familien.
314
Mit der Gemeinde Primsweiler, zur Herrschaft Dagstuhl gehörig, bildeten
Buprich und Hüttersdorf seit dem Mittelalter eine Kirchengemeinde. Ihr Kollatur-
herr mit dem Recht, den Priester zu präsentieren, war der Freiherr von Hagen. Die-
ser hatte auch den Anspruch auf zwei Drittel des Kirchenzehnten, während dem
Pfarrer nur ein Drittel davon zufloss.
Schon diese knappe Skizze der Verfassung, des Rechts, der ökonomischen und
gesellschaftlichen Zusammenhänge kann verdeutlichen, dass die Herrschaft Hüt-
tersdorf-Buprich noch im 18. Jahrhundert gewissermaßen Grundzüge einer sozial-
ökonomischen und politisch-rechtlichen Ordnung aufwies, die ihre Wurzeln weit
im Mittelalter hatte und gewissermaßen noch „archaische“ Formen der Grund-,
Leib-, Gerichts- und Kirchenherrschaft erhalten und bewahrt hatte, also auch kaum
von rechtlichen Neuerungen berührt wurde, auch nicht von der allmählichen Büro-
kratisierung und partiellen Modernisierung, die sich in größeren frühneuzeitlichen
„Staaten“ rundum allenthalben schon kräftig bemerkbar gemacht hatten.
Symptomatisch für diesen noch urtümlichen Zustand der Gemeinden ist wohl
auch das Nebeneinander beziehungsweise Ineinander von herrschaftlichen Mo-
menten, insbesondere in Verfassung und Recht, und genossenschaftlich-gemeindli-
chen Elementen, die sich vor allem in der Ressourcennutzung und in der Regelung
sozialökonomischer Belange innerhalb der Gemeinde artikulieren konnten.
Kontext und Ursachen der Herrschaftskonflikte
Seit dem Jahre 1680 schuf Ludwig XIV. an der Ostgrenze seines Königreichs,
durch militärische Erfolge begünstigt und rechtlich dubios durch die so genannten
„Reunionen“ legitimiert, die „Province de la Sarre“6. Diese bildete ein der französi-
schen Souveränität unterworfenes, in sich geschlossenes Herrschaftsgebiet, das
etwa 35.000 Einwohner besaß und von der oberen Mosel über die Saar bis weit in
die Pfalz reichte. Das gesamte heutige Saarland mit seinen damals unterschiedlich
großen Herrschaften gehörte dazu, auch die kleine Reichsherrschaft Hüttersdorf-
Buprich an der Prims. ln der neuen Provinz verloren die Herrschaften nicht nur alle
staatlichen Hoheitsrechte, wurden gewissermaßen mediatisiert, sondern auch ihre
Untertanen erhielten im Gegenzug fundamentale Rechte zugesprochen: Die Leib-
eigenschaft wurde dadurch aufgehoben, dass bei Heirat oder Wegzug keine Ablö-
segelder mehr erhoben und dass die gezwungenen Knechts- und Magddienste nicht
mehr verlangt werden durften. Alle ungemessenen Fronen waren beseitigt, die ge-
messenen auf nur wenige Tage im Jahr begrenzt, konnten zudem abgelöst werden.
Im Friede von Rijswijk verlor Frankreich indes 1697 die Province de la Sarre, die
„alten“ Herrschaften sollten nun wieder in ihre alten Rechte restituiert werden, die
Untertanen hingegen ihre „Freiheiten“ wieder verlieren, was in der Folgezeit in der
Saarregion, im Einzelnen in Saarwellingen, Illingen und Dagstuhl zu teilweise er-
bitterten Auseinandersetzungen und Konflikten mit den „alten“ Herrschaften
führte.
Auch in Hüttersdorf-Buprich zeigten sich diese lang anhaltend und sehr inten-
siv, denn seit dem Jahre 1716 erwuchsen in der mittleren Primsregion, in der un-
Dazu ausführlicher Johannes SCHMITT, Province de la Sarre (1680-1697) - Laboratorium
der Moderne?, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 53/54 (2005/2006), S.
35-47.
315
mittelbaren Reichsherrschaft Hüttersdorf-Buprich, Unruhen und Rechtsstreitigkei-
ten, die in dieser Form und auch in Dauer und Ausmaß einzigartig für die Saarre-
gion in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu sein scheinen.
Beginn der Konflikte
Seit dem Herbst 1714 vertrat Theodor von Oberhausen, mit einer Hunolsteinerin
verheiratet und am Ort selbst residierend, die Rechte der Herrschaft in Hüttersdorf-
Buprich, ausdrücklich mit der Absicht und dem Ziel, auch Maßnahmen anzuwen-
den, um durch die Untertanen usurpierte Rechte erneut zur Geltung und die Unter-
tanen zum Gehorsam zu bringen. Vor allem sollte die 1574 aufgerichtete „Gemeine
Ordnung“ wieder zur Anwendung gelangen und vornehmlich wurde den Unterta-
nen das Jagen und Fischen, ausgewiesener Maßen Herrenrechte, bei Androhung ri-
goroser Strafen verboten. Dagegen wandten sich die beiden Gemeinden mit einer
Bitt und Declaration direkt an den Lehnsherrn des Hunolsteiners, den Grafen von
Saarbrücken, um sich dort ihre althergebrachten Rechte, das Jagen, das Fischen
und die uneingeschränkte Nutzung des Gemeindwaldes, wie bisher ausgeübt, be-
stätigen zu lassen.
Als jedoch die Herrschaften vor Ort durch ihre Beamten im Juli 1717 verlang-
ten, dass die Hüttersdorfer und Bupricher ihre vermeintlichen Rechte durch Titel
und Dokumente nachweisen und belegen sollten, diese sich indes nur pauschal auf
ein altes, von ihnen seit unerdenklichen Zeiten praktiziertes Recht, also keineswegs
auf Urkunden berufen konnten, setzte der Graf von Saarbrücken im August 1717
eine Kommission ein, um den Streit zwischen den örtlichen Herrschaften und den
Untertanen zu schlichten. Dabei beharrten diese bei ihrer eingenommenen Position,
und der Graf von Saarbrücken ließ dann nach abgeschlossener Kommission die
Gemeinden auffordern, sich der Ordnung von 1574 zu fügen und diese anzuerken-
nen. Er setzte diese ausdrücklich durch ein im September erlassenes Mandat erneut
in Kraft und verbot eigens den beiden Dörfern die Jagd, das Fischen und die Wald-
nutzung, wie sie von den Untertanen gefordert und praktiziert worden seien.
Aber diese zeigten sich weiter renitent, scherten sich weder um Gebot noch
Verbot, so dass die Amtleute der Herrschaften im März 1718 in einem Jahrgeding,
der jährlichen Gerichtssitzung, mehrere Untertanen in Abwesenheit der Angeklag-
ten rigoros bestraften, weil sie trotz eines Verbots weiterhin gejagt und gefischt
hätten. Sonntag Müller, den die Herrschaften wohl zu diesem Zeitpunkt schon als
„Rädelsführer“ ansahen, wurde dabei bezichtigt, in öffentlich und verächtlicher
Weiß von allen Fürsten und Herren geredet zu haben, auch dass nur die Untertanen
die Gerechtigkeit zu fischen hätten7. Er erhielt dafür die Strafe von zwei
Goldgulden.
Als auch die Untertanen weiterhin bei ihrer Renitenz blieben, erwogen die Herr-
schaften sogar eine militärische Aktion der Lehnsherren, des Kurfürsten von Trier
und des Grafen von Saarbrücken, gegen diese, wie nun die Formulierung schon
lautete, Rebellion. Doch dazu kam es nicht, sondern die Freifrau von Hagen ließ
bei Abwesenheit ihres Mannes, vier ihrer Untertanen, unter ihnen auch den ver-
meintlichen „Rädelsführer“ Sonntag Müller, unter einem Vorwand nach dem
Schloss Motten bei Lebach kommen, um sie dort in Haft zu nehmen und gefangen
7 Schmitt, Jagd I (wie Anm. 1), S. 67.
316
zu halten. Anlass dafür war wohl die ihr zugekommene Nachricht, in Hüttersdorf
und Buprich hätten die Untertanen förmlich ein Bündnis, einen Pakt, geschlossen,
zusammenzuhalten und ihre Rechte geschlossen gegen die Obrigkeit zu verteidigen.
Als der Herr von Oberhausen bei dem Versuch scheiterte, ebenfalls widerstän-
dige hunolsteinische Untertanen in Hüttersdorf arretieren zu lassen, dabei sogar bei
einem Handgemenge tätlich angegriffen und verletzt wurde, wandte er sich in ei-
nem Hilferuf gegen die „Rebellen“ an den Nassau-Saarbrücker Lehnsherren. Die-
ser ließ deshalb einige Tage später zwölf Untertanen der Hunolsteiner durch eine
militärische Aktion gefangen setzen und nach Ottweiler ins Gefängnis überfuhren.
Die beiden Gemeinden ihrerseits riefen gegen diese Gefangennahmen den loth-
ringischen Herzog, ihren Schirm- und Schutzherrn, an. Aber eine Intervention des
lothringischen Amtmannes, eine Freilassung der Untertanen in Lebach und Ott-
weiler zu erreichen, scheiterte. Deshalb ließen die beiden Gemeinden von einem
Losheimer Notar ein Dokument verfassen, mit dem sie sich an das Reichskammer-
gericht in Wetzlar wandten.
In diesem für die Geschichte der Reichsherrschaft Hüttersdorf-Buprich bedeut-
samen Zeugnis dokumentierten die Untertanen zum ersten Male in der Öffentlich-
keit ausführlich einen grundlegenden Konflikt mit den beiden Herren der unmittel-
baren Reichsherrschaft Hüttersdorf-Buprich8 9: Sie schilderten die Gebote und Ver-
bote der Herrschaften, die den Gemeindemitgliedern ein uhralte(s), unerdenkli-
che(s), ihnen zustehendes Recht genommen, das sie bis zu diesem Zeitpunkt stets
ruhigh ausgeübt hätten, und stellen die Gefangennahme von Gemeindegenossen
dar. Diese Einkäerckerungh dauere nun schon sieben oder acht Wochen und ziele
auf den Ruin der Landleute, da dies gerade in die Zeit falle, in der die bäuerliche
Bevölkerung wegen der Ernte die meiste Arbeit habe. Weil ihnen so durch Zwang
ihre Gerechtigkeitt genommen werden solle, bleibe den Untertanen nur der Weg
zum Reichskammergericht in Wetzlar - die Zuflucht in der Hoffnung, dort in der
Gerechtigkeitt Hüelff zu erlangen. Zu diesem Zweck hätten sie einen gegenseitigen
Eid geschworen und damit einen Pactum geschlossen, zusammenzustehen und
sammenter Hand beim höchsten Reichsgericht ihr Recht zu suchen, sogar mit
Handt undt Mündt die gegenseitige Treue versprochen, dabei auch gelobt, künftig
zusammenzuhalten und sich nicht scheiden zu lassen.
Anrufen des Reichskammergerichts
Matthias Schommer von Hüttersdorf und Philipp Müller von Buprich wurden in
diesem Zusammenhang von den Gemeinden mit Gewaldt und Vollmacht ausge-
stattet, um sich als deren Vertreter unverzüglich nach Wetzlar zu begeben und dort
einen Anwalt zu beauftragen, beim Reichskammergericht alle Rechtsgewohnheit-
ten und Rechtsmittellen anzuwenden, das heißt letztlich einen Prozess anzustren-
gen, der ihnen zu ihrem Alten Recht verhelfen sollte>.
Mit diesem herausragenden Dokument eines starken bäuerlichen Rechtsempfin-
dens und zugleich hartnäckigen Widerstandswillens, das aber ebenso auch die
Hoffnung widerspiegelt, im Vertrauen auf Kaiser und Reich gegen ihre Landes-
herrschaft Recht zu bekommen, wurde ein prozessualer Konflikt in Gang gesetzt,
8 Ebd. S. 57f.
9 Ebd. S. 57.
317
der für die Saarregion einzigartig zu sein scheint: Bis in die 70er Jahre des 18.
Jahrhunderts dauerten die rechtlichen Auseinandersetzungen der Untertanen mit
den beiden Herrschaften am Reichskammergericht in Wetzlar und so auch die
Konflikte und Unruhen vor Ort.
Am 17. August reichte der von den Gemeindedeputierten beauftragte Wetzlarer
Anwalt Johann Peter Thonet einen Antrag in Form einer Bittschrift für ein Mandat,
also - modern formuliert - eine einstweilige Verfügung, beim Reichskammerge-
richt ein, nach der die Herrschaften die Gefangenen freilassen und die Untertanen
nicht in ihren Rechten beeinträchtigen sollten. Ende August erweiterte er diesen
Antrag, denn inzwischen hatten die Herrschaften vor Ort das Gericht, Meier und
Schöffen, als „Rebellen“ absetzen und einigen Gemeindemitgliedern Schafe und
Mobilien pfänden und versteigern lassen.
Aber das Reichskammergericht verlangte zunächst lediglich einen „ausführli-
chen Bericht“ der Herrschaften zu den Vorkommnissen und forderte sie auf, die
Gefangenen gegen Kaution unverzüglich freizulassen, wenn die Arretierungen mit
dem Recht des Fischens und der Anrufung des Reichskammergerichts zusammen-
hingen. Wohl bis Mitte Oktober waren alle Gefangenen außer dem Hochgerichts-
meier freigelassen, und sie protestierten alle gegen eine von ihnen erzwungene Er-
klärung über den Verzicht aller Rechte am Fischen. Erst ein Mandat des Reichs-
kammergerichts gegen den Grafen von Nassau-Saarbrücken (Februar 1719) er-
zwang gewissermaßen die Freilassung des Hochgerichtsmeiers.
Aber schon vorher hatten die Herrschaften in einem „Bericht“ (Oktober 1718)
und die Untertanen darauf in einem „Gegenbericht“ (Dezember 1718) dem Reichs-
kammergerichts schriftlich ihre Argumente und Gegenargumente in der Rechtsan-
gelegenheit zukommen lassen: Die Herrschaften pochten darauf, dass die Unterta-
nen das Jagen und Fischen, eigentlich Regalien, die nur dem Adel zustünden, wäh-
rend des über 40-jährigen Krieges mit Frankreich usurpiert hätten; die Untertanen
reklamierten sie indes als ihr „altes“ Recht, das sie zudem mit Zeugnissen benach-
barter Gemeinden nachzuweisen suchten.
Beginn und Verlauf des Prozesses
Als sich schließlich der Konflikt vor Ort dadurch erweiterte und verschärfte, dass
die Amtleute auch die Nutzung des Gemeindewaldes durch die Untertanen auf-
grund der Gemeindeordnung von 1574 bestrafen ließen und Anwalt Thonet diesen
Klagepunkt in einen erneuten Antrag aufnahm, beschloss das Reichskammerge-
richt am 7. Februar (erweitert am 28. Februar), die Herrschaften zum Prozess nach
Wetzlar zu laden, also eine Chatio ad videndum: Gegenstand des Prozesses sollten
sein: das Jagen und Fischen, die Waldnutzung, die Gültigkeit der Gemeindeord-
nung von 1574, die Absetzung des Gerichts, die Pfändung von Schafen und Mobi-
lien und schließlich die von den Gefangenen abgezwungene Verzichtserklärung.
Am 6. Mai 1719 indes gingen die Herrschaften selbst gewissermaßen in die pro-
zessuale Offensive, denn sie erhielten vom Reichskammergericht zu diesem Zeit-
punkt ihrerseits ein Mandat gegen die beiden Gemeinden. Darin wurden diese auf-
gefordert, den Herrschaften während des nun laufenden Prozesses den schuldigen
Gehorsahmb zu leisten111, denn, so die Begründung tur den Mandatsantrag, die Ein- 10
10 Schmitt, Jagd II (wie Anm. I), S. 5f.
318
wohner der Reichsherrschaft hielten sich weiterhin nicht mehr an Gebot und Ver-
bot, sondern jagten, fischten und nutzten den Wald nach Gutdünken.
Vom Februar 1719, der Einleitung des Prozesses, bis zum Januar 1722, der so-
genannten Rebellion der Untertanen, die einen neuen Abschnitt in den Auseinander-
setzungen zwischen den Herrschaften und ihren Untertanen in Hüttersdorf-Buprich
markierte, waren es vor allem zwei Ebenen, auf denen der Konflikt um die Jagd, das
Fischen und die Waldnutzung ausgetragen wurde: Der Schwerpunkt lag eindeutig in
den grundlegenden Schriften der Anwälte, die diese am Reichskammergericht vor-
legten, und den beigefügten Dokumenten, vor allem Zeugenaussagen. Daneben aber
zeigte sich vor Ort, also in Hüttersdorf-Buprich selber, dass der Streit nicht nur nach
der Freilassung der Gefangenen latent weiter fortbestand, sondern dass der Wider-
stand der Untertanen gegen Forderungen und Maßnahmen, vor allem des Herrn
von Hagen, allmählich auch in der kleinen Reichsherrschaft sich aufschaukelte, bis
er sich in der „Rebellion“ im Januar 1722 erneut gewaltsam entlud.
Aus der Reihe der Anwaltsschriften bis zur Triplik des Anwalts Thonet im Feb-
ruar 1721 schälten sich nach und nach drei wesentliche Rechtskomplexe heraus,
die im weiteren Verlauf des Prozesses eine zentrale Rolle spielen sollten: Der erste
Bereich umfasste das Jagdrecht, das Recht zu fischen und die Nutzung des Ge-
meindewaldes, wenn man so will, den Ausgangspunkt des gesamten Konfliktes.
Während sich die Gemeinden dabei auf ein althergebrachtes, von ihren Vorfahren
seit undenklichen Zeiten ausgeübtes Recht beriefen, also auf das Alte Recht, das sie
zugleich mit weit zurückreichenden Zeugnissen von Nachbarn, vor allem der Ge-
meinde Bettingen, zu belegen hofften, zielte die Argumentation der Herrschaften
und ihres Anwalts in eine ganz andere Richtung. Sie rechneten die Jagd und die Fi-
scherei grundsätzlich zu den Regalien, die prinzipiell nur dem Adel zustünden oder
an „Private“ durch vorweisbare Urkunden verliehen werden könnten. Da diese
Zeugnisse aber fehlten, könnten die Gemeinden die Rechte auch nicht beanspru-
chen. Angel- und Hebelpunkt dieser Argumentation mit gewissermaßen strategi-
scher Funktion wurde in diesem Zusammenhang die Gemeindeordnung von 1574.
Sie diente den Herrschaften dazu, immer wieder aufzuzeigen, dass die Hüttersdor-
fer und Bupricher danach ständig, auch bis in die jüngste Vergangenheit, abgese-
hen von der „Reunionszeit“, bestraft worden seien, wenn sie sich die Jagd ange-
maßt oder das Fischen an verbotenen Orten ausgeübt hätten. Die Untertanen und in
ihrem Namen Anwalt Thonet bestritten überhaupt die Existenz dieser Ordnung,
damit natürlich auch ihre rechtliche Geltung.
Bezüglich der Nutzung des Waldes war der Anspruch der Herrschaften diffe-
renzierter: Zwar gestanden sie den Gemeinden zu, dass diese über ihren eigenen
Wald verfügen dürften, allerdings, und hier pochten sie auf ihre patriarchalisch-
paternalistische Herrschaftsauffassung, nur unter ihrer Aufsicht und Kontrolle, die
auch auf eine Forst- und Waldordnung hinausliefen, wie sie schon im Kern in der
Gemeindeordnung von 1574 ausgebildet war.
Der zweite Rechtskomplex bezog sich auf die Funktion des Meiers und der
Schöffen im Gericht. Die Gemeinden verfochten durch ihren Anwalt den An-
spruch, dass Meier und Schöffen, modern formuliert, konstitutives Element des
Gerichts und der Herrschaft überhaupt seien. Dabei sollten sie aber nicht nur zum
Abfassen von Urteilen, zum Erlass von Ordnungen und Gesetzen, sondern auch
zum Festlegen der Herrschaftsgrenzen mit den Nachbargemeinden unbedingt da-
zugezogen werden, damit dies alles Rechtskraft erhalten könnte. Begründet wurde
319
diese Position auch damit, dass die Gemeinden in den Reichsmatrikeln dadurch
angeschlagen seien, dass sie die Rittergelder an die Niederrheinische Ritterschaft
in Koblenz abführten, ln diesem Anspruch auf gewissermaßen „ständische“ Mitre-
gierung, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, sah der Anwalt der Herrschaften zurecht
die Intention der Untertanen, sich der Herrschaft gleichzustellen, zu parifizieren,
ein Ansinnen, das schroff dadurch zurückgewiesen wurde, dass man Meier und
Schöffen allenfalls als unbedeutenden Beistand bei Gericht ansah, während allein
die Herrschaft durch ihre beiden Beamten Recht sprach und allein aufgrund des jus
territorii, der Landesherrschaft, das Recht besaß, Gesetze und Ordnungen in der
Reichsherrschaft zu erlassen, auch die Landes- und Reichsgrenzen zu weisen und
zu markieren.
Auch die aus dem dritten Rechtskomplex erhobenen Ansprüche wurden von
dem Herrschaftsanwalt am Reichskammergericht energisch zurückgewiesen, dass
nämlich die Untertanen der Reichsherrschaft keine Leibeigenen, sondern frei seien.
Anwalt Thonet leitete dies ebenfalls aus der Tatsache her, dass ja die Untertanen
die Rittergelder in Koblenz bei der Niederrheinischen Ritterschaft erlegten, auch
daraus, dass sie über Regalien wie Jagd und Fischen verfügten und eigene Wälder
besäßen. Damit waren durch eine derartige Argumentation alle drei beim Kammer-
gericht verhandelten Rechtsbereiche auf eigentümliche Weise miteinander, gleich-
sam rechtslogisch, verknüpft und verbunden, so dass, und dies sollte in dieser
Form später auch zutreffen, diese Beweiskonstellation insgesamt zusammenbrach,
wenn es der Gegenseite gelang, bildlich gesprochen, einen Stein herauszulösen.
Durch diese ganze Argumentationskette des Anwalts Thonet und der Gemein-
den scheint beziehungsweise schimmert eine Vorstellung durch, die die Lebens-
und Rechtswelt in der Reichsherrschaft Hüttersdorf-Buprich auf eigentümliche
Weise charakterisiert: die Vorstellung von einer „freien Gemeinde“, die in ihrem
Rahmen ihre Lebenswelt, Recht/Verfassung Ökonomie und Gesellschaft, autonom
bestimmt, die allenfalls der Herrschaft parifiziert sein möchte, die letztlich ihre
Legitimation im Alten Recht hat, im Verständnis der Einwohner seit undenklichen
Zeiten.
Dieses Bewusstsein lenkte und bestimmte wohl auch das Verhalten der Unterta-
nen gegenüber der Herrschaft und deren Beamten, zumal nachdem das Reichs-
kammergericht die Herrschaften zum Prozess geladen hatte. Darin sahen die Ge-
meinden auch schon in gewisser Weise eine gerichtliche Bestätigung ihrer eigenen
Position, denn, wie es aus den Aussagen der Beamten hervorging, folgten sie seit-
dem keinen Befehlen der Herrschaft mehr, es sei denn, sie kämen unmittelbar vom
Reichskammergericht selber. Im Dezember 1718 schon weigerten sie sich, auf dem
Schloss Motten zu erscheinen, um den Vortrag der Herrschaft zu vernehmen. Sie
jagten, fischten weiter, nutzten den Wald auf vielfältige Weise wie vorher, küm-
merten sich auch nicht weiter um Verbote der Herrschaft, als diese im Mai 1719
ein Mandat vom Kammergericht zugesprochen erhielt und die Untertanen darin
aufgefordert wurden, der Herrschaft Gehorsam zu erweisen. Schon im Jahr 1718
lehnte es Sonntag Müller aus Buprich, ein hagenischer Untertan, wohl als erster
aus den Gemeinden ab, seinen Sohn zum Gesindezwangsdienst zu stellen. In die-
sem Zusammenhang wurde er als Haupträdelsführer der rebellischen Untertanen
bezeichnet.
Aber auch die Herrschaft ihrerseits schien den Einwohnern der Reichsherrschaft
zeigen zu wollen, was ihre Kompetenz und Herrschaftsbefugnis sei, als sie im Au-
320
gust 1719 eine neue, nur von ihr konzipierte Polizeiordnung in der jährlichen Ge-
richtsversammlung verlesen ließ und die Gemeindemitglieder zum Gehorsam ver-
pflichten wollte. Die Untertanen lehnten dies mit dem gleichen Nachdruck ab, mit
dem sie sich auch weigerten, die nun von der hagenischen Herrschaft geforderten
Weinfuhren und die Wachen am Schloss Motten, die vorher in Geld abgelöst wer-
den konnten, zu leisten. Dies alles dokumentiert, dass sich am Ende des Jahres
1721 nicht nur in ihren Rechtspositionen die Gemeinden und die Herrschaft unver-
söhnlich einander gegenüberstanden, sondern dass auch das Konfliktpotential der-
art angewachsen schien, dass es sich bei gegebener Gelegenheit auch gewaltsam
entladen konnte.
Die „Rebellion44 vom 7. Januar 1722
Die Ereignisse und Zusammenhänge vom 7. Januar 1722, in denen dies geschah
und die in den Quellen als Rebellion bezeichnet wurden, sind gut bezeugt11: Denn
unmittelbar danach ließ der Herr von Hagen Zeugenaussagen von Teilnehmern,
auch seine eigene, zu Protokoll nehmen. Im Juli 1727 führte der Amtmann Emst
von Koppenstein im Auftrag des Reichskammergerichts eine Kommission durch,
um die Vorfälle zu untersuchen. Dabei hatten beide Seiten, die Untertanen und die
Herrschaften, die Möglichkeit, Zeugen nach von ihnen formulierten Fragen ver-
nehmen zu lassen. Aus diesen Aussagen lässt sich in notwendig behutsamer Re-
konstruktion in groben Umrissen der Ereigniskomplex des 7. Januars beschreibend
darstellen: Dieser 7. Januar war ein Mittwoch, ein regnerischer Tag, nach dem
Dreikönigsfest, als der Herr von Hagen und der Herr von Oberhausen mit Jagern
und aufgebotenen Untertanen, aus Hüttersdorf-Buprich selbst der Schmied Johan-
nes Schmitt und der Müller Nikolaus Leidinger, auf die Jagd in den Hüttersdorfer
Wald ziehen wollten. Es waren insgesamt 15 oder 16 Personen, teilweise mit Flin-
ten und Pistolen bewaffnet. Allerdings, und dies wird erst später durch die Kom-
missionsuntersuchung deutlich, war die Jagd nur ein Vorwand, um die Holzfäller
zu pfänden, die im Auftrag von Holzhändlern im Gemeindewald Holländerholz
zum Schiffsbau hieben, das die Gemeinde ihnen verkauft hatte. Wohl gezielt
suchte die Jagdgesellschaft die Stelle auf, und der Herr von Hagen sprach die
Holzhauer an und befragte sie, wer ihnen den Auftrag gegeben habe, das Holz zu
schlagen, ohne die Erlaubnis der Herrschaft dafür einzuholen. Er erhielt von den
Arbeitern, zum Teil Bauern aus den beiden Gemeinden, zur Antwort, dass die Ge-
meinden Hüttersdorf und Buprich diese Eichenbäume verkauft hätten und sie ihrer-
seits vom Holzhändler beauftragt seien, die Bäume zu fällen. Daraufhin befahlen
der Herr von Hagen und der Herr von Oberhausen - nach einer anderen Version
der hagenische Beamte Krebs - ihrer Jagdgesellschaft, den Holzhauern die Äxte
und das übrige Geschirr abzunehmen und zu pfänden. Während der Pfändung lie-
fen andere Bauern aus den beiden Gemeinden, die wohl ebenfalls im Wald beim
Holzmachen waren, dazu, nachdem Hans Nikolaus Oster laut gerufen hatte: Her-
bei, herbei! Etwa 30 Bauern waren schließlich im Wald zusammengekommen, die
teilweise Äxte bei sich hatten, teilweise sich mit Äxten große Brugelen gehauen
hatten. Nun kam es im Wald zu einem Handgemenge, bei dem der herrschaftliche
Jäger Hauschild mit dem Hirschfänger Streiche gegeben haben soll. Nach der
Zum folgenden Abschnitt vgl. Schmitt, Jagd II (wie Anm. 1), S. 21-23.
321
Pfändung folgten die Bauern der Jagdgesellschaft bis zum Ort Buprich. Zwei Bau-
ern liefen indes voraus, einer nach Hüttersdorf, der andere, Matthias Oster nach
Buprich. Nahe dem Ort Buprich soll Nikolaus Michaeli laut herbey, ihr Nachbarn
geschrien haben. Einwohner der beiden Dörfer, Männer und Frauen, jung und alt,
etwa 200 Personen, nach anderer Aussage 300, versammelten sich vor dem Ort
Buprich, mit Äxten, Prügeln, Heu- und Mistgabeln, Stangen und Steinen versehen.
Sonntag Müller soll die Troupen mit einem Prügel angeführt haben. Sie griffen nun
die Pfandträger an, um ihnen die im Wald gepfändeten Gegenstände wieder abzu-
nehmen. Es entstand ein Tumult, und dabei kam es auch zur Anwendung von Ge-
walt, zu Schlägen und Steinwürfen. Der Herr von Oberhausen, zu Fuß, wurde an
den Haaren zu Boden gerissen und insbesondere, wie auch die spätere medizini-
sche Begutachtung ergab, auf Kopf und Schultern geschlagen. Sonntag Müller hieb
mit einem Prügel auf den Herrn von Oberhausen ein, Stoffel Backes und der Kühe-
hirt Nikolaus Egler hielten diesen bei den Haaren. Auch nach dem Herrn von Ha-
gen wurde mit Steinen geworfen. Matthias Schommer, die übrigen ließen sich
nicht ermitteln, soll den ersten Steinwurf getätigt haben. Ein Stein flog dem Herrn
von Hagen durch die Perücke, ein anderer auf die Flinte, einer auf den Sattel, einer
wäre ihm auf den Rücken gefahren. In dem Tumult soll der Herr von Hagen seine
Flinte gespannt haben, wie er angegriffen gewesen, um die Leute zu schrecken. Er
hätte sich einmal verstellet, als wollte er schießen; er habe gespannet, aber nicht
Ioßgebrannt, sagten Zeugen aus. Darüber hinaus soll der Herr von Hagen einem
bei der Jagdgesellschaft befindlichen Meier befohlen haben, dieser solle Feuer ge-
ben, und auf dessen Weigerung sogar diesem zugerufen haben, er werde ihm bei
nochmaligem Versagen eine Kugel vor den Kopff schießen. Ein Zeuge gab zu, dass
der Herr von Hagen durch offteres Anspornen des Pferdes die Unterthanen hart
überrennen wollte. In diesem Zusammenhang wohl schlug Matthias Oster mit ei-
ner großen Stange nach dem Freiherrn von Hagen. Dieser wehrte jedoch den
Schlag mit der Flinte ab, der Hieb traf so auf den Kopf des Pferdes, dass dieses mit
den Vorderbeinen in die Knie ging und sich zu Boden senkte.
Während des Tumultes kam es auch zu einem Wortwechsel, in dem Gemeinde-
mitglieder ihren Herrn auf ihre Rechte am Wald hinwiesen und ihn baten, doch den
in Wetzlar beim Reichskammergericht anhängigen Prozess abzuwarten. Darauf soll
dieser geantwortet haben, das wolle er, wundere sich aber, dass seine Unterthanen
so vermessen seien, sich gegen ihn aufzuwerffen und ihn so übel zu tractiren.
Die Herren und ihre Bedienten ergriffen nun die Flucht, wurden von den Dorf-
bewohnern von Buprich bis Hüttersdorf und noch über die Prims in Richtung Le-
bach verfolgt.
Nach der „Rebellion“ kamen Gemeindemitglieder zu dem Schmied und Jäger
Johannes Schmitt, der bei der Pfändung beteiligt war, gewaffenet in dessen Haus,
sie löschten ihm das Herdfeuer, nahmen einen Topf als Pfand und entzogen ihm
alle Gemeinderechte mit der Bemerkung, sie wollten ihn als Anhänger der Herr-
schaft länger nit in der Gemeindt leiden.
Am Abend und bis in die Nacht hinein hielten die Gemeindemänner mit ihren
Weibern ein Jubelfest, wie ein Zeuge aussagte und hätten sich mit Weib und Kin-
dern im Wirtshaus [...] erlustiget.
Sonntag Müller wurde als der Führer in der „Rebellion“ bezeichnet. Sie lebten alle
unter seiner Direction, dieser und sein Sohn seien die Führer und Rathgeber, was
er den Gemeinsleuthen anrathet, solches thäten sie gemeiniglich folgen und voll-
322
ziehen. Sonntag Müller galt auch ein Anschlag des Herrn von Hagen, denn dieser
befahl nach der „Rebellion“ mehreren Bediensteten, Sonntag Müller als den Rä-
delsführer und Rebeller gefangenzunehmen und in den Turm zu werfen. Sein Haus
sollte gestürmt werden, um ihn zu ergreifen. Aber die Gemeindeleute hielten bey
Feuer ordentlich Wacht und verhinderten so die Gefangennahme.
Ende Januar ging ein ausführlicher Bericht der beiden Herrschaften mit detail-
lierter Schilderung der Ereignisse an den Herzog von Lothringen, den Schirmherrn
der Herrschaft Hüttersdorf-Buprich. Dieser Bericht gipfelte sogar in dem Vorwurf,
die beiden Gemeinden täten zurzeit so, als wären sie eine Republik. Sie rühmten
sich des vermeintlichen Sieges über ihre Herren, hätten sogar erklärt, den Baron
von Hagen in seinem Schloß anzugreifen. Von den Gemeinden selbst ist zu diesem
Zeitpunkt nur eine sehr knapp gehaltene Darstellung überliefert, ebenfalls an den
lothringischen Schirmherr adressiert, bei der jedoch auffallt, dass der klagende Be-
richt sich ausführlicher auf die Ereignisse der Pfändung im Wald bezieht, die ge-
waltsame Rücknahme der Pfänder beim Dorf - die eigentliche „Rebellion” aus der
Sicht der Herrschaft - blieb allerdings unerwähnt.
Im Mai 1727 - die Chronologie der „Rebellion“ sei hier fortgeführt - sandte das
Reichskammergericht den Amtmann der Grafschaft Sponheim als Kommissar nach
Hüttersdorf-Buprich, um die Ereignisse der „Rebellion“ durch Zeugenbefragung
der beiden Parteien zu untersuchen und darüber dem Reichskammergericht zu be-
richten. Sein Bericht, der die Ereignisse so schilderte, wie sie oben dargestellt wur-
den, war die Grundlage für das Urteil des Reichskammergericht im September
1733, nachdem die Anwälte für ihre Mandanten ausführlich in mehreren Prozess-
schriften plädiert hatten. Es verurteilte die beiden Gemeinden zu einer Geldstrafe
von 500 Gulden, die an den Herrn von Hagen zu zahlen waren, und Sonntag Mül-
ler und Matthias Oster zu einer vierwöchigen Turmstrafe. Beide Gemeinden hatten
zudem die Kommissionskosten zu tragen. Der Herr von Hagen sollte das Urteil
vollstrecken, aber erst vier Jahre später versuchte er, nachdem er beide Verurteilten
vergeblich aufgefordert hatte, ihre Strafe anzutreten, Matthias Oster in Hüttersdorf
durch herrschaftliche Jäger gefangen zu nehmen. Dabei kam es zu einem erneuten
Tumult, als Dorfbewohner die Arretierung Osters verhinderten und die Bedienten
des Herrn von Hagen aus dem Ort vertrieben. Schriften der Anwälte stellten auf
Grund von Zeugenaussagen die Ereignisse für das Reichskammergericht unter-
schiedlich dar, aber weder Sonntag Müller noch Matthias Oster mussten ihre Strafe
verbüßen, denn der Herr von Hagen besaß keine Machtmittel, um seinerseits das
Urteil zu vollstrecken.
Die Urteile des Reichskammergerichts vom 8. Mai 1722
Die Ereignisse und Zusammenhänge der „Rebellion“ vom 7. Januar 1722 bewogen
wohl das Reichskammergericht, die beiden eingeleiteten, seit fast drei Jahren an-
hängigen Verfahren zu beschleunigen und in beiden eine vorläufige Entscheidung
in Form eines Urteils zu fallen, vielleicht auch in der Intention, einer weiteren ge-
walttätigen Eskalation vorzubeugen12.
Am 8. Mai entschied das Gericht in dem Mandatsprozess der Herrschaften ge-
gen die Untertanen eher allgemein und ziemlich pauschal, dass die Untertanen in
12
Schmitt, Jagd II (wie Anm. 1), S. 23f.
323
Hüttersdorf-Buprich Gehorsam leisten sollten, dem ergangenen Mandat würklich
nachleben und ihrer Obrigkeit allen schuldigen Respect und Gehorsamb, wie Un-
terthanen gebührt, jedesmahl erzeigen müssten.
Deutlicher, weil detaillierter und nuancenreicher, gestaltete sich das erste Urteil
im Prozess um die Jagd, das Fischen und die Waldnutzung, das ebenfalls am 8.
Mai abgesetzt wurde und das sich, wie es der hagenische Amtmann Krebs bei der
Überstellung des Urteils aus der Sicht der Herrschaften anmerkte, als sehr
favorabel für die Bauern darstelle: Das Urteil bestätigte zunächst den beiden
Gemeinden die Possession vel quasi des Fischens in der Bach, die Brems genant,
ahn den Orten, darinnen sie solches herbracht, dann auch das Jagdrecht und
schließlich auch das Recht, in den eigenen Waldungen Holz zu fällen und auch zu
verkaufen. Allerdings, und dies war eine fundamentale Einschränkung, die den
rechtlichen Spielraum der Herrschaft, wie sich noch zeigen sollte, weit öffnen
konnte, sollte diese Nutzung des Fischens, der Jagd und auch des Waldes pfleglich
[...] ohne Ruinirung geschehen. Es wurde sogar ausdrücklich in das Benehmen der
beklagten Herrschaften gestellt, zu Abwendung solchen Ruins obrigkeitliche Ob-
sicht walten zu lassen, damit die Möglichkeit angedeutet, die Rechte der Unterta-
nen durch Verordnungen zu regeln. An die Adresse der Herrschaften gerichtet, ge-
bot das Urteil den Beklagten, künftig sich aller Turbation zu enthalten, und es er-
klärte die erpreste Verzichtleistung der inhaftierten Untertanen auf ihre Rechte und
auch das Urteil vom 28. März 1718 für null und nichtig. Zudem forderte es die
Herrschaften und damit auch ihre Amtleute auf, die abgesetzten Schöffen und den
Meier in ihre vorige Ämbter bey dem Hochgericht zu Heydersdorff wieder einzu-
setzen, und schließlich wurden die Beklagten verurteilt, den Untertanen auch die
gepfändeten Sachen zurückzugeben oder im Wert zu ersetzen.
Schien das Kammergerichtsurteil bis zu diesem Passus in der Tat auf dem ersten
Blick favorabel, günstig, für die Untertanen in Hüttersdorf-Buprich, da es bis dahin
in allen Klagepunkten ihre Rechtsposition zu stützen schien, so wird zugleich im
weiteren Tenor seine Vorläufigkeit dadurch deutlich, dass den beklagten Herr-
schaften ausdrücklich ihr weiterer Rechtsanspruch, ihr Recht in petitorio, das sich
namentlich auf die Geltung der Gemeindeordnung von 1574 bezog, Vorbehalten
blieb und weiter verfochten werden konnte. Damit waren auch der Prozess um die
Jagd, das Fischen und die Waldnutzung und die damit verbundenen Konflikte, wie
weiter zu zeigen sein wird, noch lange nicht beendet.
Weiterer Prozessverlauf und weitere Urteile
Auf mehrere Ebenen und Felder verlagerten sich nach dem ersten Urteil des
Reichskammergerichts von 1722 die Konflikte und Auseinandersetzungen der
Gemeinden mit ihren Herrschaften: Die Gemeinden gingen zunächst massiv gegen
einige der vier Mitglieder vor, die im Prozess nicht zu ihnen standen, sondern
weiter zu den Herrschaften hielten. Sie versagten ihnen Gemeinderessourcen, vor
allem das Recht, den Gemeindewald zu nutzen. Als die Abweichler jedoch deshalb
das Herrschaftsgericht anriefen, reagierten die Gemeinden nicht, ja erschienen
nicht einmal vor dem Gericht.
Daneben folgten die hagenischen Untertanen nicht mehr dem Aufgebot der
Herrschaft und ihres Meiers, Baufronen am Schloss Motten zu erbringen, bezie-
hungsweise wiesen diese zurück wie auch die Forderung, Weinfuhren durchzufüh-
324
ren, ihre Söhne und Töchter zum gezwungenen Dienstjahr zu schicken und am
Schloss Motten Wachen zu stellen. Diese Renitenz ging sogar so weit, dass weder
einzelne geforderte Untertanen noch der Hochgerichtsmeier bereit waren, auf dem
Schloss Motten zu erscheinen und Aufträge von der Herrschaft entgegenzunehmen.
Die Herrschaft selbst besaß keinerlei Zwangsmittel, um der Leistungsverweige-
rung und dem Widerstand der Untertanen zu begegnen; sie ließ das renitente Ver-
halten der Widerspenstigen in Notariatsinstrumenten dokumentieren und brachte
diese beim Reichskammergericht ein.
Auch die im Urteil von 1722 verlangte Wiedereinsetzung der Schöffen führte
nicht zu einer Konfliktbereinigung: Die „alten“, nun wieder eingeführten Schöffen
verweigerten Sitz und Stelle im Hochgericht, weil die von den Herrschaften ohne
Mitwirkung der Gemeinden neu bestellten zwei Schöffen weiterhin im Gericht
verblieben und sie deshalb solange nicht bereit seien, im Hochgericht mitzuwirken,
bis das Gericht wie von alters her besetzt sei. Diese Position nahmen auch die Ge-
meinden ein, denn sie boykottierten das Hochgericht, erschienen nicht mehr als
Kläger, Beklagte oder Zeugen und verhinderten so auf Jahre die Rechtsprechung in
der Herrschaft.
Die Herrschaften hingegen versuchten ihrerseits, die im Urteil von 1722 enthal-
tene rechtliche Möglichkeit auszuschöpfen, indem sie im August 1722 eine Wald-,
Forst-, Jagd- und Fischereiordnung verfugten, um die Nutzung dieser Gemeinde-
ressourcen zu reglementieren, da ihnen, wie das Urteil ja formuliert hatte, obrig-
keitliche Obsicht zugestanden war. Diese Ordnungen stießen auf den einhelligen
Widerstand der Gemeinden, da sie nach deren Verständnis gerade das ihnen raub-
ten, was das Reichskammergericht ihnen zugestanden habe, vor allem den Zugriff
auf den Wald nach ihrem Willen, ohne jegliche herrschaftliche Beschränkung.
Die Konflikte vor Ort profilierten auch die weiteren Prozessschriften der An-
wälte am Reichskammergericht. In ihnen warfen die Anwälte jeweils der Gegen-
seite vor, das Urteil von 1722 zu missachten und verlangten für ihre Mandanten ein
schärferes Vorgehen gegen den Kontrahenten. Dabei insistierten sie weiterhin auf
ihren je eigenen Rechtspositionen, die sie zudem ausbauten: Der Gemeindenanwalt
Thonet beharrte auf dem grundlegenden Anspruch, dass die Untertanen in Hütters-
dorf und Buprich freie Reichsbauern seien, Wald, Jagd und Fischerei nutzen bezie-
hungsweise frei ausüben könnten, Meier und Schöffen einen konstitutiven Teil des
Gerichts, ja der Herrschaft selbst darstellten. Der Herrschaftsanwalt Flender setzte
dem entgegen, dass die Untertanen allesamt leibeigen seien, dass es den Herr-
schaften zukomme, aufgrund der Landeshoheit die Ressourcennutzung zu ordnen
und zu regeln, dass Meier und Schöffen nicht zum Herrschaftsgericht gehörten, vor
allem aber, dass die Gemeine Ordnung von 1574 uneingeschränkte Gültigkeit be-
sessen habe und noch besitze.
Im Mai 1727 versuchte das Reichskammergericht erneut regulierend die Kon-
flikte zu kanalisieren und auch den entstandenen Dissens zu bereinigen: Es verur-
teilte die Aktionen der Gemeinden gegen die „Abweichler“ und verlangte von
Meier und Schöffen, ihre Stellen am Gericht einzunehmen, und von den Unterta-
nen, am Hochgericht zu erscheinen und dort ihr Recht zu suchen. Die klagenden
Gemeinden sollten ihre Einwände verdeutlichen und präzisieren, warum nach ihrer
Rechtsauffassung die von den Herrschaften erlassenen Ordnungen gegen das Urteil
vom 8. Mai 1722 verstießen.
325
Der Gemeindenanwalt Thonet beharrte indes weiter auf dem grundlegenden An-
spruch, dass die Untertanen in Hüttersdorf und Buprich freie Reichsbauem seien,
Wald, Jagd und Fischerei nutzen beziehungsweise frei ausüben könnten, Meier und
Schöffen einen konstitutiven Teil des Gerichts, ja der Herrschaft selbst darstellten.
Der Herrschaftsanwalt Flender setzte dem entgegen, dass die Untertanen allesamt
leibeigen seien, dass es den Herrschaften zukomme, aufgrund der Landeshoheit die
Ressourcennutzung zu ordnen und zu regeln, dass Meier und Schöffen nicht zum
Herrschaftsgericht gehörten, vor allem aber, dass die Gemeine Ordnung von 1574
uneingeschränkte Gültigkeit besessen habe und noch besitze.
Die Gemeinden weigerten sich indes vor dem Gericht zu erscheinen, bis der
„Schöffenstuhl“ nach dem Herkommen besetzt sei; die wieder eingesetzten Schöf-
fen aber wollten ihre Sitze so lange vakant belassen, wie sie im August 1722 be-
kundeten, bis die Herrschaften die neu berufenen Schöffen aus dem Gericht ent-
fernt hätten.
Seit September 1727 vertrat Maximilian Brack die Belange der Gemeinden am
Reichskammergericht und Ende des Jahres legte er eine ausführliche Erklährung
dort vor, in der er vor allem die erlassene Forstordnung der Herrschaften kritisierte,
die Rechte von Meier und Schöffen pointiert herausstellte und für die „Freiheit“
seiner Mandanten plädierte. Auf diese Schrift reagierte erst zwei Jahre später
(Oktober 1729) der Herrschaftsanwalt Deuren mit der Herausstellung der Gegen-
position. Weitere Schriften folgten bis zum Urteil des Reichskammergerichts im
September 1733.
Der Tenor des Teils des Spruches, der die Funktion und die Stellung der Schöf-
fen innerhalb des Hochgerichts ordnete, kam den Untertanen kaum entgegen, son-
dern stützte die Position der Herrschaften. Zwar beließ man die von den Herr-
schaften berufenen Schöffen, die von den Gemeinden energisch abgelehnt worden
waren, im Gericht, künftig aber sollten die Gemeinden die Berechtigung unbe-
nommen sein, bei Neubesetzung einer Schöffenstelle drei Kandidaten empfehlen
zu dürfen, aus denen die Herrschaften dann einen bestimmen konnten, der nach
Vereidigung in die Stelle eingeführt werden sollte. Zur Abfassung der Urteile im
Hochgericht konnte die Gemeinden ihre Position nicht durchsetzen13: ln strittigen
Rechtssachen - so wurde unmissverständlich formuliert - stand den Schöffen bei
Schluß undt Abfassung einer Urtheil nur eine Beratung, das Votum consultativum,
zu; das Votum decisivum - also die eigentliche Entscheidung - blieb den herr-
schaftlichen Beamten allein Vorbehalten, wie diese auch weiterhin für die Verwah-
rung der Gerichtsprotokolle zu sorgen hatten. Auch das Begehren der Gemeinden,
die Grenzen des Gerichts ohne ßeysein der Herrschafft zu beziehen, wurde abge-
schlagen und ihnen verboten, künftig solche Gräntzbeziehungen fernerhin vorzu-
nehmen. Das Reichskammergericht machte im letzten Teil des Urteils den Herr-
schaften zur Auflage, das Gericht mit tauglichen erfahrenen Beamten und einem
besonderen Gerichtsschreiber zu besetzen, die Untertanen wurden in diesem Zu-
sammenhang deutlich ersucht, auff Erforderen jedesmahlen vor Gericht zu er-
scheinen und daselbst Recht zu nehmen.
Nach diesem Urteil blieb dem Reichskammergericht noch die Entscheidung be-
züglich der Geltung der 1574 erlassenen Gemeindeordnung und des Komplexes
,J Schmitt, Jagd IV (wie Anm. 1), S. 32f.
326
der Leibeigenschaft. Schriften und Gegenschriften der Anwälte wiederholten die
schon lange gewissermaßen festgezurrten Positionen.
Damit war das Reichskammergericht gezwungen, mit dem Urteil von 1750 in
den eigentlichen Rechtskem des Prozesses vorzudringen, nachdem alle Zwischen-
urteile keine Remedur schufen. Es bestätigte zuletzt den Herrschaften die Gültig-
keit der Gemeinen Ordnung von 1574, einer Art Grundgesetz für die Reichsherr-
schaft, damit auch die in dieser Ordnung vorgesehene restriktive Regelung des Fi-
schens, das Verbot des Jagens und die von den Herrschaften erlassene Forstord-
nung. Die Untertanen des Freiherrn von Hagen schließlich wurden zu Leibeigenen
erklärt und aufgefordert, die daraus resultierenden Abgaben und Dienste zu erbrin-
gen beziehungsweise zu leisten, obwohl diese nur sehr summarisch genannt waren.
Aber die hagenischen Untertanen leisteten weiter Widerstand und weigerten
sich bis in die 70er Jahre hinein, gewisse Fronen und Dienste zu leisten. Gerade
diese indes waren nun Gegenstand weiteren Prozessierens. Erst 1771 ließ der Frei-
herr von Hagen, jetzt der Reichshofratspräsident Hugo von Hagen, in einem letzten
Prozessdokument den Nachweis für diese Fronen fuhren, und diese Einlassung ist
zugleich das letzte Dokument dieses Jahrzehnte dauernden Prozesses. Denn ein
Endurteil ist nicht überliefert.
Schlussbetrachtung
Als im März 1718 Sonntag Müller, später vom Anwalt der Herrschaften als Rä-
delsführer in den Hüttersdorf-Bupricher Unruhen bezeichnet, im Herrschaftsgericht
beschuldigt und verurteilt wurde, weil er in verächtlicher Weise von allen Fürsten
und Herren geredet und sogar geäußert habe, dass nur die Untertanen in den beiden
Dörfern die Gerechtigkeit zu fischen hätten und sie weder Fürst noch Grafen ach-
teten, so trifft diese Äußerung, wenn sie auch von dem Beschuldigten zurückge-
nommen beziehungsweise heruntergespielt wurde, den Kern der Einstellung und
der Haltung der Einwohner der beiden Gemeinden in der reichsunmittelbaren Herr-
schaft Hüttersdorf-Buprich gegenüber ihren beiden Herrschaften, dem Freiherrn
von Hagen und dem Grafen von Hunolstein und an dessen Stelle gegenüber dem
Herrn von Oberhausen. Unbeirrt, hartnäckig, widerspenstig, dabei auch vor der
Anwendung von Gewalt nicht zurückschreckend, wenn es um den Erhalt und die
Sicherung ihrer Rechte ging, reklamierten sie in einem mehrere Jahrzehnte des 18.
Jahrhunderts dauernden Konflikt für sich das Recht, jagen, fischen und ihren Wald
nach Gutdünken, ohne jeden herrschaftlichen Einspruch und jede Genehmigung
nutzen zu dürfen. Dabei beriefen sie sich immer wieder auf ein ihnen zustehendes
Herkommen, das „alte“ Recht, das sie seit unvordenklichen Zeiten von ihren Eltern
und Voreltern gleichsam ererbt hätten. Urkunden und Privilegien hatten sie, wie es
die Herrschaften verlangten, dafür nicht vorzuzeigen. Ihre Nachbarn aus Bettingen
und Außen, auch deren Pastor, bezeugten indes, dass sie diese Rechte seit den 70er
Jahren des 17. Jahrhunderts, also schon über 50 Jahre, unbehindert von den Herr-
schaften, ausgeübt hätten. Beim Jagen, Fischen und bei der Waldnutzung hatten
sich die beiden Gemeinden so einen gewissermaßen herrschaftsfreien Bereich in
einem Teil ihres Lebensraums und bei wichtigen Ressourcennutzungen geschaffen,
in dem die Herrschaften nichts zu sagen, in dem die Gemeinden ihre Freiheit be-
wahrt hatten, in dem sie - herrschaftsfrei - selbst ihre Angelegenheiten genossen-
327
schaftlich-gemeindlich regelten. So hatten sie ein Stück der Utopie einer freien
Gemeinde realisiert.
Konträr dazu die Position der beiden Herrschaften: Aus ihrer Sicht und absolu-
tistischen Perspektive konnte ein solcher herrschaftsfreier Raum nur Unordnung
bedeuten, gegen die sie mit allen Mitteln rigoros Vorgehen müssten. Die Gemein-
den hätten sich, so ihre Begründung, die wohl auch nicht ganz von der Hand zu
weisen ist, diese Rechte während der heute so genannten Reunionszeit usurpiert,
und sie bezogen sich ihrerseits auf die Gemeine Ordnung des Jahres 1574, in der
diese Ressourcennutzungen sehr restriktiv eingeengt, ja teilweise verboten war,
und sie ließen sich diese Gemeine Ordnung von dem Lehnsherren, dem Grafen von
Nassau-Saarbrücken, erneut bestätigen und straften die Gemeindemitglieder, die
auch danach noch durch Jagen, Fischen und die Waldnutzung die Ordnung über-
traten, als Frevler rigoros ab.
Als sich die beiden Dörfer daraufhin in einem Pakt gegen die Herrschaften ver-
bündeten, war das in deren Verständnis eine offene „Rebellion“. Die anschließende
Reaktion der Herrschaften eskalierte den Konflikt entschieden: lm Juni 1718 war-
fen der Hagener vier Untertanen, der Hunolsteiner zwölf „Rebellen“ ins Gefängnis,
damit fast die Hälfte der Gemeindeleute. Im August wandten sich die übrigen an
das Reichskammergericht, um dort Hilfe zu erhalten, auch im Vertrauen, dort, am
höchsten Reichsgericht, ihre Rechtsposition bestätigt zu bekommen.
Mit dem Gang zum Reichskammergericht begann eine über fünfzig Jahre dau-
ernde prozessuale Auseinandersetzung. Der Gegensatz von genossenschaftlich ge-
gen herrschaftlich bestimmter Ressourcennutzung wurde von den Anwälten der
Streitparteien zu zwei völlig konträren, zwar in sich rechtslogisch konsistenten,
aber nicht miteinander zu vereinbarenden Rechtsdiskursen ausgebaut und profi-
liert: Die Gemeindenanwälte gingen für ihre Mandanten, die Einwohner von Hüt-
tersdorf und Buprich, von der persönlichen Freiheit aus, von dem grundlegenden
Postulat, die Hüttersdorfer und Bupricher seien freie Reichsbauern, die eigene Gü-
ter, vor allem eigene Wälder innehätten, keine Fronen leisten müssten, unter
Schutz und Schirm des lothringischen Herzogs stünden, selbst in die Reichsmatri-
kel veranschlagt seien und deren Meier und Schöffen schließlich im Herrschaftsge-
richt mitbestimmen und mitwirken könnten, auch beim Erlass von Ordnungen und
Gesetzen und bei der Weisung der Herrschaftsgrenzen. In der Tat konnten die
Herrschaften und ihre Anwälte in dieser Position nur den Versuch erblicken, dass
die Untertanen sich mit den Herrschaften gleichstellen wollten, parißzieren, wie
sie sich ausdrückten. Sie hingegen pochten nach wie vor auf ihre souveräne, von
Gott übertragene, in einem absolutistischem Verständnis wurzelnde Herrschafts-
gewalt, da allein sie die Befugnis hätten, regelnd und regulierend, oft bis ins Ein-
zelne, die Lebensverhältnisse der leibeigenen Untertanen zu bestimmen, dazu auch
Verordnungen zu erlassen und die Übertreter dieser Ordnungen allein durch ihre
Beamten abzuurteilen. In diesem Rechtsdiskurs hatten Meier und Schöffen nur
untergeordnete, von der Herrschaft übertragene Hilfsfunktionen. Dieser Diskurs
erhielt zudem eine religiöse Legitimation und Omamentierung dadurch, dass die
Herrschaften von Gott als Pflegeväter autorisiert seien, das gemeine Beste für ihre
Untertanen zu verwirklichen.
Im Gang und Verlauf des Prozesses zeigte sich indes, dass das Reichskammer-
gericht in seinem ersten Urteil von 1722 den beiden Gemeinden weit entgegenzu-
kommen schien, indem es diesen die grundlegenden, aber angefochtenen Rechte
328
bestätigte, aber auch den Herrschaften zugestand und gestattete, durch obrigkeitli-
che Obsicht das Jagen, das Fischen und die Waldnutzung reglementieren zu kön-
nen. Durch diesen Kompromiss jedoch ließ sich der fundamentale Konflikt nicht
bereinigen: Die beiden Gemeinden gingen nämlich ihrerseits rigoros gegen die we-
nigen Abweichler in den beiden Dörfern vor, da diese nicht zu ihnen, sondern
weiter zu den Herrschaften hielten. Meier und Schöffen weigerten sich zunächst,
ihren Sitz im Hochgericht wieder einzunehmen, weil die neu ernannten Schöffen
gegen das Herkommen bestimmt worden seien. Die Untertanen schließlich er-
schienen aus demselben Grund nicht mehr vor Gericht, weder als Zeugen, Beklagte
noch Kläger. Mehr als 20 Jahre war so das Herrschaftsgericht blockiert, die
Reichsherrschaft gewissermaßen ein rechtsfreier Raum, in dem das Gericht lahm-
gelegt war. Die Herrschaften ihrerseits versuchten durch verschiedene Ordnungen
ihre Rechtsposition umzusetzen, stießen damit jedoch auf den fast geschlossenen
Widerstand der Untertanen, die ihnen gerade diesen Anspruch bestritten und zu-
dem auch die von dem Herrn von Hagen eingeforderten Fronen und Dienste grund-
sätzlich verweigerten.
So war das Reichskammergericht schließlich gezwungen, in den eigentlichen
Rechtskem des Prozesses vorzudringen, nachdem alle Zwischenurteile keine
Remedur schufen. Es bestätigte zuletzt den Herrschaften die Gültigkeit der Gemei-
nen Ordnung von 1574, einer Art Grundgesetz für die Reichsherrschaft, damit auch
die in dieser Ordnung vorgesehene restriktive Regelung des Fischens, das Verbot
des Jagens und die von den Herrschaften erlassene Forstordnung. Meier und
Schöffen hingegen wurden von der Urteilsabfassung im Hochgericht ausgeschlos-
sen, ganz zu schweigen von dem Erlass von Gesetzen und Verordnungen. Die Un-
tertanen des Freiherrn von Hagen schließlich wurden zu Leibeigenen erklärt, ob-
wohl auch sie bis in die 70er Jahre hinein immer noch widerstanden, gewisse Fro-
nen und Dienste zu leisten.
Am Ende hatten die Gemeinden nach und nach alles verloren; die Position der
Herrschaften war anerkannt und bestätigt, ihr Recht grundsätzlich gutgeheißen, in
das Gemeindeleben von oben und außen regelnd, disziplinierend und strafend ein-
zugreifen. Die Berufung auf den Besitz eines uralten, unerdenklichen Rechts hatte
den Gemeinden nichts geholfen. Die Utopie der herrschaftsfreien Gemeinde, die
ihre eigene Lebenswelt von innen und von unten selbst bestimmt, konnte trotz be-
harrlichen Widerstands nicht umgesetzt werden, damit auch nicht die Vorstellung
von einer Republik, wie die Herrschaften einmal die Gemeinden bezeichnet hatten,
nicht realisiert werden. Vielmehr hatte sich in Hüttersdorf-Buprich wie rundum in
den größeren, modernisierenden und bürokratisierenden Herrschaften zunächst und
bis zur Französischen Revolution der gewöhnliche Absolutismus durchgesetzt.
Der bäuerliche Traum von der freien Gemeinde, die kommunalistische Utopie,
die durch das bäuerliche Oppositionshandeln und den lang anhaltenden Widerstand
durchschimmerte, schien so zerstoben und scheiterte letztlich, und dies mag para-
dox erscheinen, an dem „alten“ Recht, das die Herrschaften dadurch belegen
konnten, dass sie sich auch auf das Herkommen beriefen und dies mit Dokumenten
aus ihren Archiven, zurückreichend bis weit ins 16. Jahrhundert, ausweisen konn-
ten, während das seit unvordenklichen Zeiten geltende Recht, auf das sich die Ge-
meinde bezog, allenfalls in die gewissermaßen herrschaftsfreien, beziehungsweise
-dünnen Verhältnisse der französischen Reunionszeit zurückreichte und auch das
329
wohl richtige Zeugnis umliegender Gemeinden dadurch keine durchschlagende
Beweiskraft erhielt.
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Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 56 (Reichskammergericht) Nr. 1130 (Prozess
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Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 56 (Reichskammergericht) Nr. 1131 (Prozess
der Gemeinden Hüttersdorf und Buprich gegen die Herren von Hagen und Hu-
nolstein wegen Jagd, Fischerei und Waldnutzung).
Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 56 (Reichskammergericht) Nr. 1133 (Prozess
der „Eingesessenen“ von Hüttersdorf und Buprich gegen den Freiherm von Ha-
gen).
Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 56 (Reichskammergericht) Nr. 2029 (Prozess
der Gemeinden Hüttersdorf und Buprich gegen den Freiherm von Hagen wegen
Weidegerechtigkeiten).
331
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Säulen der Regionalgeschichtsschreirung.
Die deutschen Altertums- und Geschichtsvereine
im langen 19.Jahrhundert
Gabriele B. Clemens
Zu einem Zeitpunkt als die Geschichtswissenschaft, die Archäologie und das Mu-
seumswesen noch weitgehend in den Kinderschuhen steckten, übernahmen die
deutschen Geschichts- und Altertumsvereine Forschungs-, Publikations- und In-
ventarisierungsarbeiten, die heute alle von öffentlichen Institutionen getragen wer-
den1. Der Sekretär des Hamburger Geschichtsvereins, Karl Koppmann, beschrieb
die selbst gesteckten Ziele und Aufgaben wie folgt: Die Aufgaben des Hamburgi-
schen Geschiehtsvereins, der eine Gelehrtengesellschaft weder sein kann noch sein
will, gehen im Allgemeinen nach drei Richtungen hin: er will sammeln und erhal-
ten, will veröffentlichen, erforschen und darstellen, will Liebe zur Geschichte der
Heimat und damit zur Heimat selbst wecken, nähren und pflegen. Diese Aufgaben
stehen einander ebenbürtig zur Seite2. Mit diesen Worten umriss er kurz und bün-
dig die wesentlichen Tätigkeitsbereiche. Sie wurden aber nicht in allen Vereinen
gleich behandelt, da diese durchaus unterschiedliche Schwerpunktsetzungen Vor-
nahmen. Neben diesen praktischen Aufgaben wurden die Vereine von Anfang an
bewusst oder unbewusst implizit oder explizit von den regierenden Fürsten und den
staatstragenden Eliten dazu benutzt, historische Identitäten zu schaffen. Als Motiva-
tion nennen die Protagonisten unisono: ihren sanctus amor patriae. Monarchen, Be-
amte und Bürger sahen in den historischen Gesellschaften ein geeignetes Mittel,
die Geschichtsforschung in ihrem Sinne - traditionalistisch und oft monarchistisch
- zu fördern, und hofften, dass sie auch dazu beitragen würden, nationale bezie-
hungsweise regionale Identitäten und Loyalitäten zu kreieren und zu befestigen.
In Deutschland wurden seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts die ersten Ge-
schichtsgesellschaften gegründet3, ihre Anzahl stieg dann in den 30er Jahren rasch
1 Die Bezeichnung Geschichts- und/oder Altertumsverein können für den Betrachtungs-
zeitraum synonym verwandt werden, weil sie von den Akteuren ebenfalls synonym be-
nutzt wurden. Eine sich auf den ersten Blick anbietende Differenzierung, gemäß der die
Geschichtsvereine sich auf die Historiographie und die Alterumsvereine sich auf die Ar-
chäologie oder Sammlungen konzentrierten, greift nicht, da sich die Aufgabenbereiche
meist überschnitten. Darüber hinaus entwickelten sich auch die Alterumsvereine, die sich
zunächst nur der Bodendenkmalpflege widmeten, im Laufe des Jahrhunderts auch zu Ge-
schichtsvereinen.
2 Karl Koppmann, Der Verein für Hamburgische Geschichte nach seinen Aufgaben, Leis-
tungen und Wünschen, Hamburg 1884, S. 4. Zu diesem Verein allgemein: Sebastian
Husen, Vaterstädtische Geschichte im republikanischen Stadtstaat. Studien zur Entwick-
lung des Vereins für Hamburgische Geschichte (1839-1914), Hamburg 1999.
Zum Vereinswesen siehe den immer noch grundlegenden Aufsatz von Thomas NiPPER-
dey, Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhun-
dert, in: Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert, Göttingen 1972,
S. 1-44.
333
an, so dass 1840 rund 60 Vereine existierten4. Auch in Saarbrücken und in der Um-
gebung fanden sehr frühe Vereinsgründungen statt. So etablierte der Landrat Eras-
mus Theodor Engelmann in St. Wendel 1836 den ersten antiquarischen Verein,
1839 folgte der Historische Verein für die Saargegend, dann jene in Birkenfeld
(1843) und Ottweiler (1847)5. Im benachbarten Trier bestand seit 1802 die „Gesell-
schaft für nützliche Forschungen“, die seit ihrer Gründung auch geschichtliche und
archäologische Arbeitsfelder pflegte, sich aber erst im Laufe der Zeit zu einem Ge-
schichtsverein im engeren Sinn entwickelte6. Um 1900 hatte dann jede deutsche
Stadt mindestens einen historischen Verein7. - Im folgenden Beitrag soll zunächst
gefragt werden, welche Mitglieder die Vereine anzogen, welche Aufgaben sie
übernahmen und was sie ihren Mitgliedern boten. Danach ist zu erörtern, welches
Geschichtsverständnis die Gesellschaften prägten und welche Geschichtsbilder
durch sie vermittelt wurden, und schließlich was wir über ihre Adressaten und die
Rezeption wissen.
Die Funktionsweisen kollektiven Erinnerns, dessen Bedeutung für die Konstruk-
tion von Gruppenidentitäten sowie die kulturellen Formen des Bewahrens und Tra-
dierens von Erinnerung gewinnen in den historisch arbeitenden Wissenschaften als
neue oder besser wieder entdeckte Fragestellungen mehr und mehr an Bedeutung.
Kollektives Gedächtnis bildet sich im sozialen Raum. Es wird in einem konkreten
gesellschaftlichen Umfeld gedacht, entwickelt, formuliert, rezipiert beziehungs-
weise popularisiert und umgreift die gesamte kulturelle Existenz der darin leben-
4 Zur Entwicklung der deutschen Geschichtsvereine vgl. ders., Akademien, gelehrte Ge-
sellschaften und wissenschaftliche Vereine in Deutschland, 1750-1850, in: Sociabilité et
Société bourgeoise en France, en Allemagne et en Suisse, 1750-1850, hg. von Etienne
François, Paris 1987, S. 149-166. Für England und Frankreich liegen schon seit einigen
Jahren profunde Arbeiten über die Entwicklung der Geschichtsvereine vor; vgl. Philippa
Levine, The Amateur and the Professional. Antiquarians, Historians and Archaeologists
in Victorian England, 1838-1886, Cambridge 1986; für Frankreich seien nur die umfas-
senden Studien von Jean-Pierre Chaline genannt: Sociétés savantes et académies de
province en France dans la première moitié du XIXe siècle, in: Sociabilité et Société
bourgeoise en France, en Allemagne et en Suisse, 1750-1850, hg. von Etienne François,
Paris 1987, S. 169-180; DERS., Sociabilité et érudition: les sociétés savantes en France,
Paris 1995.
5 Alfons Rolling, Die archäologischen Forschungen, Funde und Sammlungen des Ver-
eins, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 37 (1989), S. 37-63, hier S. 38f. Eine
systematische Analyse der regionalen Geschichtskultur ist derzeit noch ein Desiderat.
6 In einschlägigen Darstellungen zum deutschen Vereinswesen wird die Gesellschaft für
nützliche Forschungen als einer der ersten Geschichtsvereine hervorgehoben, so etwa die
Erwähnung der Gesellschaft in dem bis heute noch in weiten Teilen instruktiven Aufsatz
von Hermann Heimpel, Geschichtsvereine einst und jetzt, in: Geschichtswissenschaft
und Vereinswesen im 19. Jahrhundert, Göttingen 1972, S. 45-74, hier S. 48; zur Trierer
Gesellschaft vgl. ferner Gabriele B. Clemens, Von der französischen Provinzakademie
zum deutschen Geschichtsverein, Die Gesellschaft für nützliche Forschungen im überre-
gionalen Vergleich, in: Kurtrierisches Jahrbuch 40 (2000), S. 391-409.
Klaus Pabst, Historische Vereine und Kommissionen in Deutschland bis 1914, in: Ver-
einswesen und Geschichtspflege in den böhmischen Ländern, hg. von Ferdinand Seibt,
München 1986, S. 13-39; Georg Kunz, Verortete Geschichte. Regionales Geschichtsbe-
wusstsein in den deutschen Historischen Vereinen des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000;
Gabriele B. Clemens, Sanctus Amor Patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen
und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert, Tübingen 2004.
334
den Menschen. Die Geschichtsvereine bilden in diesem Zusammenhang einen adä-
quaten Gegenstand, um wesentliche Elemente des kulturellen Gedächtnisses zu
analysieren. Man trifft dort auf eine Gruppe mit einem ausgeprägten „Wir-Gefühl“,
die mehr oder weniger explizit formulierte Erinnerungsfiguren und Wissensbestän-
de tradiert und durch Texte in einer von Riten organisierten Bildungseinrichtung
vermittelt*.
Wenden wir uns zunächst den Akteuren zu. Mitglied in diesen Vereinen konnte
nicht jeder werden und auch lange nicht auf eigene Initiative. Zahlreiche Vereine
behielten sich die Kooptation vor oder erschwerten den Zugang durch ausgeklügel-
te Aufnahmesysteme, die an Auswahlmechanismen des 18. Jahrhunderts erinnern.
Dabei war es zweitrangig, ob sich die Zahl der ordentlichen Mitglieder auf wenige
Dutzend beschränkte oder sich auf mehrere Hundert erstreckte. Ein kurzer Blick in
die Vereinssatzungen etwa des Historischen Vereins in Münster bezeugt dieses
auffallende Bemühen um Exklusivität4. Aber auch die anderen historischen Gesell-
schaften sprachen nur gehobene bürgerliche Kreise und Adlige an. Dass man in
Deutschland auf die Reputation des Vereins und seiner Mitglieder achtete, belegen
unter anderem die überlieferten Vorstandsprotokolle8 9 10. Zudem waren die Vereins-
beiträge so hoch, dass sie allein von Angehörigen der Oberschichten aufgebracht
werden konnten. Ein bis vier Taler in Berlin, Köln und Dresden oder gar mehr als
zwei Gulden in Stuttgart jährlich waren für viele Zeitgenossen eine beträchtliche
Summe11. Zu den hohen Mitgliedsbeiträgen kam der finanzielle Aufwand für teure
Abendessen und Ausflüge12. Genauso wirksam, wenn nicht sogar noch effektiver
war aber die Bildungsbarriere. Was in den deutschen Geschichtsvereinen an Vor-
trägen und Publikationen angeboten wurde, war ohne eine vorangegangene Ausbil-
dung auf einem Gymnasium oder vergleichbaren höheren Schulen nicht oder nur in
Teilen zu genießen. Zudem scheinen sich in den Vereinen wiederum jene gesell-
schaftlichen Zirkel getroffen zu haben, die sich bereits aus Verwandtschaftskrei-
sen, der Schule, der Universität sowie aus der beruflichen Sphäre kannten und die -
auch das ist ein nicht zu vernachlässigender Aspekt - sich ebenfalls in anderen ka-
ritativen, geselligen oder weiteren „gelehrten“ Assoziationen trafen. Die Vereine
bewahrten so bis zum Ersten Weltkrieg ihren exklusiven Charakter. Diese Koopta-
tionsverfahren ermöglichten es der in den Vereinen engagierten Notablengesell-
8 Vgl. Jan Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Kultur und Ge-
dächtnis, hg. von ders. und Tonio Hölscher, Frankfurt am Main 1988, S. 9-17; Aleida
Assmann, Arbeit am nationalen Gedächtnis. Eine kurze Geschichte der deutschen Bil-
dungsidee, Frankfurt am Main 1991; Erinnerung, Geschichte, Identität. 3, Identitäten, hg.
von dies, und Heidrun Friese, Frankfurt am Main 1998.
9 Vgl. Bernd Mütter und Robert Meyer, Geschichtswissenschaft und historische Bil-
dung. Zur Entwicklung der Geschichtsvereine in Westfalen während des 19. Jahrhun-
derts, in: Westfälische Forschungen 39 (1989), S. 57-82, hier S. 71.
10 Clemens, Sanctus Amor Patriae (wie Anm. 7), S. 31-43.
11 Ebd., auch die Mitgliederbeiträge für die französischen Geschichtsvereine schlossen je-
den Interessierten mit einem bescheideneren Einkommen aus, sie lagen fast nie unter 20
Francs, teilweise sogar bei 50 Frans; vgl. Chaline, Sociétés (wie Anm. 4), S. 177.
12 Zur kulturellen Ausgrenzung aufgrund der hohen finanziellen Belastung durch Beiträge
und Abendveranstaltungen vgl. auch Christoph Popp, Der Mannheimer Altertumsverein
1859-1949. Regionale Forschungen, Sozialstruktur und Geschichtsbild eines Histori-
schen Vereins, Mannheim 1995, S. 136.
335
Schaft, sich über die kulturelle Praxis zu reproduzieren. Die neu aufzunehmenden
Mitglieder wurden nach Herkunft, Ausbildung, beruflicher Position, Status und
Auftreten, also in der Terminologie Bourdieus nach ihrem Habitus, beurteilt13.
Von Interesse für das Vereinsprofil ist weiterhin, welchen Berufen die Vereins-
mitglieder nachgingen und welchen nicht. Wobei es schwierig ist, generalisierende
Ergebnisse über die Mitgliedschaft zu formulieren. In jedem Verein dominierten
andere Gruppen abhängig von den gesellschaftlichen Strukturen der einzelnen
Städte. An der Spitze standen in den zahlreichen deutschen Residenzstädten die
Verwaltungs- und Justizbeamten, wobei sie etwa in München, Dresden oder Stutt-
gart bis zu einem Drittel der Mitglieder stellten. Dabei handelte es sich häufig um
Exponenten der hohen Beamtenschaft; Minister und Ministerialbeamte lassen sich
gleich dutzendweise nachweisen. Auch in Saarbrücken versammelten sich die ton-
angebenden Justiz- und Verwaltungsbeamten, genannt seien hier nur der Landrat,
der Landgerichtspräsident, der Öberbergrat sowie der Bürgermeister14. In der
Gründungsphase von Gesellschaften in den deutschen Residenzstädten waren je-
weils große Teile des Kabinetts vertreten, so dass man sich fragt, ob hier wirklich
das Interesse an der Landesgeschichte oder die Staatsräson den entscheidenden Im-
puls für diese auffallend homogene Beteiligung bildete. Problematisch erscheint es
deshalb, diese Beamten aufgrund ihres Ausbildungsweges einfach dem Bildungs-
bürgertum zuzurechnen, ein gängiges Verfahren in der Bürgertumsforschung15,
waren sie doch häutig adliger Herkunft und standen der Monarchie sehr nah.
Stellt man weiterhin die Frage, inwieweit sich Fachleute in den Vereinen enga-
gierten, so sind Hochschuldozenten, Archivare, Bibliothekare und Museumsmitar-
beiter von besonderem Interesse. Sie waren in allen Vereinen in führenden Positio-
nen sehr gut vertreten und dies auch während des gesamten 19. Jahrhunderts, so
dass von zunehmender Professionalisierung nur insofern die Rede sein kann, als
die Amtsinhaber im ausgehenden Jahrhundert eine fachgerechtere Universitätsaus-
bildung durchlaufen hatten. Bemerkenswert ist das große Engagement des Adels
sowie des Klerus in zahlreichen Geschichtsvereinen, wobei letzterer sich vermehrt
in vornehmlich katholischen Regionen wie im Kölner Raum und Bayern engagier-
te, wo er zwischen annähernd 30 bis 40 Prozent aller Mitglieder stellte. Dieses
überproportionale Vorkommen einer Berufsgruppe in einem Verein ist ein starkes
Indiz für deren hohe Steuerungskompetenz. Frauen spielten hingegen - wie in an-
deren wissenschaftlich ausgerichteten Gesellschaften - kaum eine Rolle. Die Ver-
einsprotagonisten hielten Geschichte für Männersache, und Frauen waren - wenn
überhaupt - nur als inaktive, aber zahlende Mitglieder zugelassen. Sie wurden al-
lerdings bei den Vereinen nicht völlig ausgeschlossen. Gerne gesehen waren sie als
Zuhörerinnen, beispielsweise auch als Nichtmitglieder bei den wissenschaftlichen
Vorträgen. Zudem galten Ehefrauen und Töchter als „Dekor“ bei den geselligen
13 Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede, Frankfurt am Main 1988.
14 Zur Dominanz der Saarbrücker Honoratiorenkreise vgl. Elisabeth Fehrenbach, Die
Gründung des Saarbrücker Historischen Vereins 1839 im Rahmen der allgemeinen Ver-
einsgeschichte, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 37 (1989), S. 13-21,
hier S. 19.
15 Vgl. zu dieser Problematik: Jürgen Kocka, Bürgertum und Sonderweg, in: Sozial- und
Kulturgeschichte des Bürgertums: eine Bilanz des Bielefelder Sonderforschungsberei-
ches (1986-1997), hg. von Peter Lundgreen, Göttingen 2000, S. 93-110, hier S. 105.
336
Veranstaltungen, denen sie doch erst den rechten Glanz verliehen. Als ordentliche
Mitglieder finden sie sich vereinzelt nach 1900 auf den Mitgliederlisten16.
Von den elitären Mitgliedern waren jedoch nur sehr wenige wirklich aktiv. Man
kann es auf die simple Formel bringen: Der Vorstand ist der Verein. Der Kreis der
Arbeiter im Weinberg der rheinischen Geschichte ist meist nicht allzu groß gewe-
sen11. Mit dieser Aussage beschreibt der Neffe von Alexander Schnütgen, dem
langjährigen Vizepräsidenten des Historischen Vereins für den Niederrhein, tref-
fend die Situation des eigenen, aber auch die der anderen historischen Vereine18.
Gegenüber einer Handvoll Aktivisten stand die Masse der passiven ordentlichen
Mitglieder. Vollversammlungen zählten häufig nur zwei Dutzend Anwesende. Die
praktische Vereinsarbeit und die Publikationen bestritt in allen historischen Gesell-
schaften meist der Vorstand selbst. Aufgebaut war dieses Vereinsgremium jeweils
nach demselben Schema. An der Spitze stand der Präsident - der je nach Verein
und Zeitpunkt auch Direktor, erster Vorstand oder erster Vorsitzender heißen
konnte ihm folgte zunächst sein Stellvertreter, und dann schlossen sich der Sek-
retär, der wissenschaftliche Ausschuss sowie je nach Ausstattung und Ziel der Ge-
sellschaft Bibliothekare, Museumsbeauftragte und Vereinsarchivare an. Die wich-
tigsten Personen für die Repräsentation nach außen stellten die Vorsitzenden dar,
für die Veröffentlichungen und das Vereinsleben waren meist die Sekretäre ver-
antwortlich.
ln stark monarchisch geprägten Vereinen der Residenzstädte nahmen, wenn
nicht Mitglieder des Königshauses und des mit ihm verwandten Adels, doch min-
destens Beamte Führungspositionen ein, die ebenfalls häufig Aristokraten waren.
Dies änderte sich erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts. Nun kamen mehr
historisch ausgebildete Fachleute zum Zuge, Dilettanten wurden aber auch weiter-
hin an die Vereinsspitze gewählt. Für die Vizepräsidenten lassen sich ähnliche Be-
obachtungen machen. Die Frage, inwieweit sich Universitätsprofessoren in den
Geschichtsvereinen engagierten, ist nicht pauschal zu beantworten. Im Kölner Ver-
ein waren Bonner Professoren sehr stark vertreten, auch als (Vize-)Präsidenten.
Ebenfalls waren im Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg prominente
Universitätsprofessoren unter den ersten Vorsitzenden. Gewiss hing ein eventuelles
Engagement zum einen vom jeweiligen Vereinsprofil, zum anderen aber davon ab,
inwieweit einzelne Wissenschaftler historische Vereinsarbeit überhaupt für sinn-
voll erachteten. So war von Georg Waitz, einem der angesehendsten Mediävisten
im 19. Jahrhundert bekannt, dass er in Vereinen, mit denen er Berührung hatte, mit
„energischer und etwas kalter“ Hand für wissenschaftliche Ordnung sorgte - zu- * 1
16 Frauen waren in allen untersuchten Geschichtsvereinen als Zuhörerinnen zugelassen, als
unbeantwortet offen lässt dies hingegen Sobania in seinen Ausführungen zu Frauen in den
Vereinen, vgl. Michael Sobania, Vereinsleben. Regeln und Formen bürgerlicher Assozia-
tionen im 19. Jahrhundert, in: Bürgerkultur im 19. Jahrhundert. Bildung, Kunst und Le-
benswelt, hg. von Dieter Hein und Andreas Schulz, München 1996, S. 170-191, S. 182.
1 Alexander Schnütgen, Fünfundsiebzig Jahre Historischer Verein für den Niederrhein,
in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 115 (1929), S. 5-37, hier S. 30.
IK Vgl. zum Kölner Verein: Gabriele B. Clemens, Katholische Traditionsbilder und Ge-
schichtskultur. Der Historische Verein für den Niederrhein im preußischen König- und
deutschen Kaiserreich, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 207
(2004), S. 81-124.
337
mindest hat er dies versucht14. Andere Professoren äußerten sich kritisch bis ab-
wertend, so etwa der Berliner Althistoriker Theodor Mommsen: Er betrachtete die
archäologischen Aktivitäten von pensionierten Landpredigern und Kreisphysikern,
die oft mehr zerstörten als zu Tage brachten, mit großem Argwohn19 20 21 22 23. Und gewiss
ist es richtig, dass eine Reihe von Professoren keinerlei Interesse daran zeigte, die
„Dilettanten“ in den historischen Vereinen in irgendeiner Weise zu unterstützen.
Nahmen die gewählten Präsidenten die ihnen angetragene ehrenvolle Aufgabe
auch gerne an, so haben sie ihrem Amt - abgesehen vom Titel - nicht unbedingt
die größte Bedeutung zugemessen. Folglich blieben meist die Sekretäre diejenigen,
die den Verein leiteten und wissenschaftlich betreuten. Vor allem Archivare und
Bibliothekare übernahmen dieses arbeitsintensive, aber weniger ehrenvolle Amt,
gefolgt von Juristen und Lehrern.
Die Aufgaben und Arbeitsfelder der Geschichts- und Altertumsvereine boten im
19. Jahrhundert noch ein recht buntes Bild. Am Beginn stand meist die Gründung
einer Zeitschrift. Der Vorstand entschied, was publiziert wurde. Die Herausgabe
der Zeitschriften oblag meist einem aus den Reihen der Mitglieder gewählten wis-
senschaftlichen Ausschuss. Die Vertreter des Vorstandes, zu denen meist der Aus-
schuss gehörte, haben im Prinzip dann auch den Inhalt der Zeitschrift bestritten.
Gehörten die Autoren nicht diesen Gremien an, so handelte es sich doch fast aus-
schließlich um Vereinsmitglieder. Auffallend ist weiterhin, wie klein die Anzahl
der Autoren überhaupt war. Der Vereinszeitschrift kommt in den Geschichtsverei-
nen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Zugespitzt könnte man sogar be-
haupten, dass viele Vereine nur bestanden oder bestehen, um ihre Zeitschrift
und/oder ihre Monographien zu finanzieren. In einigen Fällen wurde nicht die Zeit-
schrift für den Verein, sondern der Verein zur Herausgabe einer Zeitschrift ge-
gründet. Wenn Vereine existierten, die keine Zeitschrift herausgaben, wurden sie
von den Schwestergesellschaften kaum wahrgenommen. Ohne Zeitschrift fehlte
den Vereinen nicht nur ein Publikationsorgan für die eigenen Forschungsergebnis-
se, sondern ein wichtiges Tauschmittel für den Aufbau ihrer Bibliotheken. Deut-
sche Geschichtsgesellschaften unterhielten Tauschkontakte mit bis zu über 100 Ge-
sellschaften, wobei die so eingegangenen Zeitschriften den wichtigsten Grundstein
für die vereinseigenen Bibliotheken bildeten-1.
Darüber hinaus konnten deutsche und französische Vereine für sich in Anspruch
nehmen, Ausgangspunkt für die beginnende Denkmalpflege ihrer Länder gewesen zu
sein. Weil die Ur- und Frühgeschichtsforschung sowie die römische Provinzial-
archäologie noch in den Kinderschuhen steckten und zudem immer wieder die Hoff-
nung keimte, sagenhafte und sagenumwobene Schätze zu heben, übten privat organi-
sierte Ausgrabungen einen ganz besonderen Reiz auf interessierte Kreise inner- und
außerhalb der Geschichtsvereine aus. Für die Altertumsvereine in Bonn-- und
Saarbrücken führten die archäologischen Interessen sogar zur Vereinsgründung-1.
19 Heimpel, Geschichtsvereine (wie Anm. 6), S. 63.
2(1 Zur Bewertung der Mommsen’schen Urteile über die nicht an der Universität angesiedel-
te Provinzialarchäologie: Gerhard Wirth, 150 Jahre Bonner Jahrbücher des Vereins der
Altertumsfreunde im Rheinlande, in: Bonner Jahrbücher 191 (1991), S. 1-26, hier S. 16.
21 Hierzu ausführlicher: Clemens, Sanctus Amor Patriae (wie Anm. 7), S. 129-135.
22 Gabriele John, 150 Jahre Verein von Altertumsfreunden im Rheinlande, Köln 1991.
23 §1 des Historischen Vereins für die Städte Saarbrücken und St. Johann und Umgebung
lautet dann auch wie folgt: Um die in hiesiger Gegend vorkommenden Überreste der rö-
338
Diese Unternehmungen — heute würden sie als Raubgrabungen eingestuft -
scheinen vor allem in der ersten Hälfte des 19, Jahrhunderts gang und gäbe gewe-
sen zu sein. Das „Grabungsfieber“ trieb vielerorts die seltsamsten Blüten. So ver-
dankte man die Entdeckung des ersten Stückes Mörtelmauer am rätischen Limes
der forschen Frau Siebentritt von Gundelshalm. Umwohnende Bauern schlossen
sich bisweilen spontan zu Ausgrabungen am Limes zusammen, ein Förster gründe-
te zu diesem Zweck einen Privatverein, und im Sodental gehörte es zum Sport für
die Badegäste, ein Grab bloß zu legen. Der Verein für die Geschichte Berlins kün-
digte 1884 für einen der üblichen Sommerausflüge den Programmpunkt: Ausgra-
bung eines Umenfeldes in der Nähe des Schlosses Hubertusstock, vorbereitet
durch den Schlosskastelfan, an. Auch der Hessische Verein beteiligte sich an derar-
tigen Aktionen. Großherzog Ludwig III. finanzierte für den Verein die Ausgrabun-
gen der Burgruine Tannenberg bei Jugenheim. Weiterhin stritt sich der Darmstäd-
ter Verein mit dem Oberhessischen Verein für Landesgeschichte um die Grabungs-
rechte an der Kapersburg. Die Einladungskarte zum Ausflug des Historischen Ver-
eins zum Weilerhügel bildete gleich ein Vereinsmitglied mit Spaten ab, ein weite-
res skizzierte die Befunde24.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert unternahmen die Vereine dann kaum noch
Ausgrabungen, und sie gaben ihre Sammlungen ab. Zu dieser Schwerpunktverlage-
rung kam es nicht zuletzt, weil den Geschichtsvereinen in Deutschland durch staat-
liche Initiativen in den Bereichen Denkmalpflege und Museumsfinanzierung wich-
tige Betätigungsfelder aus der Hand genommen wurden. Zudem waren ihre anti-
quarischen Sammlungen so groß geworden, dass ihnen Unterhalt und Pflege über
den Kopf wuchs. Sie bilden aber bis zum heutigen Tag einen wichtigen Bestandteil
bestehender Sammlungen in Museen. Um 1900 lag dann auch bei der Mehrzahl al-
ler Geschichtsvereine das Hauptaugenmerk eindeutig auf der Historiographie. Hat-
ten die untersuchten Geschichtsgesellschaften bei ihrer Gründung verschiedene
Ausgangs- und Schwerpunkte, so konzentrierten sie sich zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts alle auf die Geschichtsschreibung25.
Nun haben die Vereine aber nicht nur geforscht, sie haben auch gefeiert. Die
Mehrzahl der deutschen Geschichtsgesellschaften bot ihren Mitgliedern zumindest
seit den 1870er und 80er Jahren, teilweise schon früher, regelmäßige Vorträge,
Festessen und Exkursionen. Wissenschaftliche Vorträge oder Gespräche sowie
gemeinsamer Kunstgenuß waren, solange sie sich im Rahmen des Vereins vollzo-
misch und celtisch-germanischen Vorzeit, soweit es thunlich ist und dieselben dazu ge-
eignet sind, in eine Sammlung zu vereinigen, die gefundenen Gegenstände aller Art, so-
bald sie eine besonderes Interesse bieten, durch Beschreibungen und Zeichnungen zu er-
läutern, durch planmäßige geordnete Ausgrabungen, Umfang und Ausdehung der vor-
handenen Niederlassungen römischen und celtisch-germanischen Ursprungs zu erfor-
schen, zufällig gemachte Entdeckungen wahrzunehmen und für den angegebenen Zweck
auszubeuten, um auf diese und jede andere dazu dienliche Weise Materialien zu einer
Topographie und Geschichte des alten Saarbrückens und seiner Umgebung vorzuberei-
ten, haben die Unterzeichneten einen Verein gestiftet. Die Statuten wurden abgedruckt
in: Johannes Kirchmeier, Die Satzungen des Historischen Vereins, in: Zeitschrift für die
Geschichte der Saargegend 37 (1989), S. 22-37, hier S. 31-33.
Die Hessen und ihre Geschichte, Wege-Weiser durch die hessische Landes- und Regio-
naigeschichte, hg. von Bernd Heidenreich und Eckhart G. Franz . Wiesbaden 1999.
Clemens, Sanctus Amor Patriae (wie Anm. 7), S. 402f.
339
gen, ein bewusst wahrgenommener Akt, in dem sich soziale Verkehrskreise aufs
Neue bestätigten und festigten. Mit ihren häufigen Feiern folgten die Geschichts-
gesellschaften dann nach der Reichsgründung einem Trend allgemeiner kaiserzeit-
licher Festkultur. Mit dem steigenden Wohlstand hatte sich die Geselligkeit der
deutschen Geschichtsvereine von den Stammtischen des Vormärz hin zu durch-
dacht inszenierten Festveranstaltungen mit großem Prunk um 1900 verlagert. Voll-
versammlungen und Vereinsausflüge fanden ihren krönenden Abschluss in feierli-
chen Festmählern, ln Berlin führte diese ausgeprägte Festkultur sogar zu Unstim-
migkeiten innerhalb des Vereins. Man sah durch die zahlreichen Vereinsfeste und
Wanderfahrten die wissenschaftliche Arbeit bedroht, denn es sei bei den Festen zu
Entgleisungen gekommen. Es ist anzunehmen, dass hier auf einen beträchtlichen
Alkoholkonsum angespielt wird, worüber sich die ebenfalls anwesenden Damen
beklagten. Den monatlichen Zusammenkünften des Vereins wurde vorgeworfen,
dass bei ihnen die Annehmlichkeiten geselligen Zusammenseins die Hauptsache
sei und die Wissenschaft bei ihnen keinen Gewinn erobere26.
Die Mitgliederstrukturen und die Zusammensetzung des Vorstands wirkten sich
ganz entscheidend auf die von ihnen tradierten und präferierten Geschichtsbilder
aus. Das späte 19. Jahrhundert ist mit provokantem Unterton als das Zeitalter der
„Traditionserfindung“ bezeichnet worden"7. Ob und inwiefern ein Geschichtsver-
ein nationale oder regionale beziehungsweise lokale Traditionen schuf, hing ganz
entscheidend von den jeweiligen Geschichtskonzepten und seinen Beziehungen zu
den regierenden Häusern ab. Die Forschung hat bei ihrer oftmals einseitigen Suche
nach nationalen Identitäten in den letzten Jahren übersehen, dass in der Provinz er-
hebliche Gegengewichte aufgebaut wurden und partikulare Geschichtserzählungen
entweder in Ergänzung, aber auch in Konkurrenz zur nationalen Geschichtsschrei-
bung entstanden sind.
In verschiedenen deutschen Ländern gab es recht unterschiedliche Versuche, die
Geschichtsvereine für die Schaffung patriotischer Haltungen zu instrumentalisie-
ren28 29. Besonders ausgeprägt war dies in Bayern, wo derartige Sozietäten stärker als
anderenorts in die staatsintegrativen Zwecke der bayerischen Kulturpolitik einbe-
zogen waren"9. Ein flächendeckend über das Land gezogenes Netz von Geschichts-
vereinen wurde in den 30er Jahren eigens mit dem Ziel gegründet, eine bayerische
Nationalität zu schaffen. Ihre regionalen Forschungsgebiete wurden durch die
Kreiseinteilung vorgegeben. Die versuchte Instrumentalisierung der Vereine lässt
sich allein schon an den vorgegebenen Zielsetzungen und Aufgabenfeldem der
Vereinssatzungen festmachen. Ludwig I., geschichtsbewusster Herrscher und Er-
bauer der Walhalla - jener im Stil eines griechischen Tempels errichteten Gedenk-
stätte, in der Bildnisbüsten berühmter Deutscher ausgestellt wurden sowie der bay-
erischen Ruhmeshalle war in einem ganz besonderen Maße an der Schaffung ei-
ner bayerischen Identität für sein erst durch die napoleonischen Umwälzungen we-
sentlich vergrößertes Königreich interessiert. In einem Kabinettsbefehl aus dem
Jahr 1827 an das Innenministerium bezüglich des Wertes der Denkmalpflege äu-
26 Zu diesem allgemeinen Trend: Pabst, Historische Vereine (wie Anm. 7), S. 31.
2 The Invention of Tradition, hg. von Eric J. Hobsbwam, Cambridge 1983.
28 Vgl. Winfried Speitkamp, Die Verwaltung der Geschichte. Denkmalpflege und Staat in
Deutschland 1871-1933, Göttingen 1996, S. 114-116.
29 Vgl. Kunz, Verortete Geschichte (wie Anm. 7), S. 78.
340
ßerte er sich wie folgt: Wir [erachten G. C.] aber die Erhaltung solcher Denkmale
zur Belebung des Nationalgeistes, zum Studium der vaterländischen Geschichte
und zur Verbreitung der Kunde derselben unter dem Volke als vorzüglich wichtig
[...J30. Hohe Funktionsträger des Königreichs stimmten da mit ihrem Herrscher
überein, der Zweck der historischen Vereine sollte nicht allein in Sammlungen ge-
schichtlicher Monumente bestehen, sondern vorrangig darauf gerichtet sein, Liebe
für historische Forschungen zu wecken und somit treue Anhänglichkeit an den va-
terländischen Boden zu erzeugen. Ohnehin war Ludwig I. der Auffassung, dass es
kein kräftigeres Bindungsmittel zwischen Volk und Dynastie gebe, als eine recht
nationale Geschichte, die außerdem ein spezifisches Gegengift wider revolutionäre
Neuerungen und wider ungeduldigem Experimentieren sei31. Verwundern mag hier
der Begriff „national“, der nicht als Synonym für die Nation im heutigen Ver-
ständnis zu interpretieren ist, gemeint ist die bayerische Nation’ 2. Aber auch ande-
renorts - etwa in Sachsen oder im Rheinland - oszillieren die Begriffe Nation oder
Vaterland im 19. Jahrhundert zwischen sehr enger städtischer und regionaler Kon-
notation und der Nationsidee beziehungsweise dem geeinten Nationalstaat, dies
aber erst zunehmend im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert’3.
Selbst in Vereinen, in denen die Monarchen weniger programmatisch und ge-
zielt versuchten, mittels Geschichte Loyalitäten zu schaffen, war man gleichfalls
der Überzeugung, dass durch das Erinnern an Historie die Anhänglichkeit des Vol-
kes an das Herrscherhaus zu steigern sei. Entsprechend äußerte sich Staatsminister
von Metzsch in Dresden, als er die Glückwünsche der königlichen Regierung in
Vertretung des Prinzen Johann anlässlich der Jubelfeier zum 75-jährigen Vereins-
bestehen im Jahr 1900 überbrachte: [...] in Würdigung und Erkenntnis der tiefen
Wahrheit, dass die Erforschung der Geschichte eines Volkes [...] für die Vertiefung
der Vaterlandsliebe und für die Befestigung des loyalen Sinnes im Volke einen
mächtigen Einfluß zu üben wohlgeeignet ist. Doch sogar Vereine, die von Beam-
ten ohne Einwirken des Monarchen gegründet worden waren, blieben vor Versu-
chen staatlicher Instrumentalisierung nicht verschont. So ersuchte etwa der preußi-
sche Innenminister 1845 den Bonner Verein der Altertumsfreunde im Rheinland
nachdrücklich, [...] dass man in populär verfaßten und ansprechenden Schriften
die Bedeutung jener Alterthümer entwickle und dadurch das Volk zur lebhafteren
Teilnahme für sie gewinne und ein eigentliches nationales Interesse für sie hervor-
30 Vgl. den Kabinettsbefehl, abgedruckt bei Gertrud Steuer, Die Entwicklung der Histori-
schen Vereine in Bayern bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, München 1963, S. 82.
31 Ebd. S. 27.
Zum Begriff „bayerische Nation“ vgl. Manfred Hanisch, Für Fürst und Vaterland: Legi-
timitätsstiftung in Bayern zwischen Revolution 1848 und deutscher Einheit, München
1991, S. 20-29.
Zum Begriff der Nation vgl. Otto Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland 1770-
1900, München 1993, S.l I.
Vgl. Hubert Ermisch, Das fünfundsiebzigjährige Jubiläum des Königlichen Sächsischen
Altertumsvereins. Ein Erinnerungsblatt, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte und
Altertumskunde 22 (1901), S. 1-20, hier S. 18. Eckhart G. Franz, „Im Verein pulsiert
das Leben ...“. Vereinsgeschichte und Geschichtsvereine in Wetzlar, in: Mitteilungen
des Wetzlarer Geschichtsvereins 43 (2007), S. 43-56, hier S. 49.
341
rufe'\ Hier bestand nur das grundsätzliche Problem, wie man die vornehmlich rö-
mischen Ausgrabungsfunde für das nationale Interesse vereinnahmen sollte'6.
Geschichtsvereine wurden also instrumentalisiert, um historisch begründete
Identitäten zu schaffen. Zum einen wurde dazu von staatlicher Seite auf sie einge-
wirkt, zum anderen waren sie auch ohne Aufforderung nur zu bereit, derartige Pro-
zesse zu unterstützen. Es drängt sich die Frage auf, ob und inwieweit sich die in
den Geschichtsvereinen engagierten Honoratioren am Prozess der Nationalstaats-
bildung beteiligt haben. Georg Kunz hat in seiner Arbeit gezeigt, wie die von ihm
bearbeiteten Geschichtsgesellschaften alle ihren regionalen Bezugsrahmen histori-
scher Forschungen in ein Skalenkontinuum von der lokalen bis zur nationalen
Ebene einbetteten. Lokale, regionale und nationale Bezugsräume historischer Erin-
nerung und Forschung wurden so alternierend oder simultan zur Identitätsbildung
herangezogen. Der nach 1870/71 entstehende Nationalstaat wurde meist akzeptiert,
mitunter entwickelte sich sogar ein regelrechter „regionaler Borrussianismus“17.
Die Vereinshistoriker anderer Geschichtsgesellschaften haben hingegen aus-
schließlich lokale Identitäten gepflegt. Nehmen wir als Beispiel die Metropole
Hamburg, so ergibt sich nämlich ein völlig anderes Bild. Nicht der Nationalstaat
oder das Kaiserhaus dienten als mögliche Identifizierungsmuster im Verein, son-
dern hier prägten noch immer die mittelalterlichen stadtrepublikanischen Traditio-
nen und der Status Hamburgs als Handelsmetropole das Bewusstsein - und darüber
wurde auch geforscht. Erst die revolutionären Auseinandersetzungen von 1848
führten in einem jahrelangen Ringen zu einer weitergehenden Veränderung des
oligarchischen Regierungssystems, das aber immer noch weit davon entfernt war,
demokratisch zu sein. Die führenden Patriziergeschlechter klammerten sich so lan-
ge wie möglich an ihre Vormachtstellung und gaben nur widerwillig und schritt-
weise Herrschaftsfunktionen ab *. Der Geschichtsverein trug das Seinige dazu bei,
die frühneuzeitliche Verfassung von 1528 als die weiseste aller möglichen politi-
schen Ordnungen zu präsentieren, die ihren Bürgern immer Wohlstand, Glück und
Ordnung gebracht habe und auch weiterhin bringen werde. Die ersten 30 Jahre sei-
ner Existenz prägte der Vorsitzende Johann Martin Lappenberg in einem ganz ent-
scheidenden Maße den Verein; und sein Geschichts- und Politikverständnis war
dezidiert konservativ. Bereits gut ein Jahrzehnt vor der Vereinsgründung hatte er
im Auftrag des Rates eine Jubiläumsschrift für die Dreihundertjahrfeier der bürger-
lichen Verfassung Hamburgs von 1528 geschrieben. Dieses Programm zur dritten * 16
35 Zitat aus einem Brief des Preußischen Kultusministers an den Vorstand des Vereins vom
25.1.1845, abgedruckt in: John, 150 Jahre Verein (wie Anm. 22), S. 27.
16 Auch in Westfalen erhoffte sich die Regierung durch die Förderung antiquarischer Stu-
dien, eine politisch genehme Landesgeschichte zu erzeugen; vgl. Mütter/Meyer, Ge-
schichtswissenschaft (wie Anm. 9), S. 62.
Er konzentriert sich in seiner Arbeit auf die folgenden Vereine: den Historischen Verein
von Oberfranken, den Historischen Verein von Bamberg, den Verein für Thüringische
Geschichte und Altertumskunde, den Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg,
den Bergischen Geschichtsverein und die Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Ge-
schichte; vgl. KUNZ, Verortete Geschichte (wie Anm. 7), S. 325.
,K Vgl. Gerhard Ahrens, Von der Franzosenzeit bis zur Verabschiedung der neuen Verfas-
sung 1806-1860, in: Hamburg: Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner, 2 Bde., hg. von
Werner Jochmann und Hans Dieter Loose, Hamburg 1982, 1. Bd., S. 415-491, hier S.
484.
342
Säkularfeier kann als Programm für Lappenbergs eigene Arbeiten gelesen werden.
Deutlich wird schon hier, dass die Rechts- und Verfassungsgeschichte der Stadt
Hamburg neben der Hansegeschichte für ihn der eigentliche Gegenstand seiner
Forschungen waren. Seine Aufgabe als Historiker sah er darin, der Bevölkerung
den Konservatismus nahe zu bringen. Politik ist seiner Meinung nach nur demjeni-
gen verständlich, der sich mit den historischen Verfassungen auskennt, am besten
vermittelt durch die Überlieferung der Geschichte der ehemals für die Politik der
Hansestadt verantwortlichen Vorfahren. Nur so sind die Zeitgenossen vor Verände-
rungen durch unreife Demokraten zu schützen. Ansonsten droht der Untergang der
freien Hansestadt'9.
Die Mehrheit der im Verein vertretenen Patrizier hörte wohl nur zu gerne Lap-
penbergs Lobreden auf die gute alte Verfassung und stemmte sich mit ihm gegen
Reformen. Auch nach Lappenbergs Tod 1865 änderte sich an Inhalt und Tenor der
Publikationen zur Stadtgeschichte wenig. Senat und Bürgerschaft hatten diesen
Verein immer großzügig unterstützt, ihre Vertreter gehörten dutzendweise dem
Verein an und die dort tonangebenden Geschichtsschreiber boten die erwünschte
stadtaffirmative Historiographie. Der Präsident Theodor Schräder versicherte den
anwesenden Honoratioren 1889 anlässlich des fünfzigjährigen Stiftungsfestes, dass
der Verein gewillt war, auf dem Ackerfeld, welches Lappenberg und andere ver-
diente Männer uns angewiesen haben weiter zu säen und zu ernten40. Themen der
nationalen Geschichtsschreibung fanden keinen Eingang in die Vereinspublikatio-
nen, vielmehr galt es die eigenen lokalen Traditionen zu erforschen und zu feiern.
Der Stolz auf die eigene selbständige stadtrepublikanische Vergangenheit ließ sich
nicht mit der Einbindung und Unterordnung Hamburgs in einen Territorialstaat
verbinden.
Andere Vereine haben eine dezidiert regionale Geschichtsschreibung verfolgt.
Es war ja auch ihr in den Satzungen erklärtes Ziel, die Liebe zum Vaterland zu we-
cken und die eigene Vergangenheit zu erforschen, wobei mit Vaterland nicht der
Nationalstaat gemeint war. Nationale Geschichtsschreibung war im 19. Jahrhundert
ohnehin die Domäne der Universitätsprofessoren und der Historischen Kommissi-
onen. In den Vereinspublikationen hatte eine wie auch immer geartete nationale
Geschichte keinen oder kaum Platz. Die Nationalstaatsgründung wurde selbstver-
ständlich in Vereinsreden begrüßt, bei Feierlichkeiten galt der erste Toast dem Kai-
ser, aber dies führte zu keinem Perspektivwechsel in den konkreten Forschungsar-
beiten. Die überwiegende Mehrzahl der in den Vereinen engagierten Mitglieder
kam aus den traditionellen Oberschichten, und diese hatten einen oft über Jahrhun-
derte gewachsenen traditionellen Stolz auf ihr Gemeinwesen entwickelt, und das
wirkte sich entscheidend auf ihr Geschichtsbewusstsein und ihre Geschichtsschrei-
bung aus. Dem neuen Nationalstaat standen sie häufig distanziert, reserviert bis
vorsichtig bejahend gegenüber. Ernest Renan hat in seinem Buch über die Nation
geschrieben, was sie denn ausmachte. Dazu gehörte der Mythos des Uralten, der
j9 Siehe hierzu die ausführliche und instruktive Arbeit über Lappenberg von Rainer Pos-
tel, Johann Martin Lappenberg. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaft
im 19. Jahrhundert, Lübeck-Hamburg 1972, S. 58-60.
4,) Vgl. Theodor Schräder, Das fünzigjährige Stiftungsfest des Vereins für Hamburgische
Geschichte, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 9 (1890), S. 1-51,
S. 13.
343
stets die Vorstellungen von Nation beglaubigt, der „gemeinsame Besitz eines rei-
chen Erbes an Erinnerungen“41 42 *, das Renan zum Fundament einer jeden Nation
rechnet. Diesen gemeinsamen Besitz gab es für die regionalen Geschichtsvereine
aber nur in ihrem eigenen Land. An der Konstruktion einer nationalen Geschichte
haben die Gesellschaften nur bedingt mitgewirkt. Für die historischen Vereine in
Dresden, München und Stuttgart bildeten das eigene Herrscherhaus, der regionale
Adel und die regionale Kirchengeschichte die Säulen ihres Geschichtsbewusst-
seins. Diese Vereine haben keine nationale, sondern regionale Geschichte ge-
schrieben, und diese stilisiert beziehungsweise idealisiert4-.
Deutlich wird dies anhand einer Analyse der schwerpunktmäßig behandelten
Themen. In diesen konservativ etatistischen Gesellschaften wurde weiterhin Ge-
schichte nach dem Motto geschrieben: große Männer machen Geschichte, seien es
nun Adlige, Senatoren, Bischöfe, Fürsten oder Könige. Ihnen setzten die Ver-
einshistoriker eindrucksvolle literarische Denkmäler. Besonders zahlreich waren
die Publikationen zu den Herrscherhäusern. Jene Geschichtsvereine, die in den Re-
sidenzstädten angesiedelt waren, erfreuten sich alle der Protektion des Herrscher-
hauses. Diese Förderung konnte sehr eng und persönlich sein. Sie haben in ihren
Schriften, Reden und Feiern ihr Möglichstes dazu beigetragen, ihren jeweiligen
Monarchen und überhaupt das regierende Haus und seine Vergangenheit zu glori-
fizieren. Das Herrscherhaus bildete den ersten Bezugspunkt für die kollektive Er-
innerung und Identitätsbildung. Kritische Töne sucht man hier vergeblich. In den
Vereinspublikationen und Reden werden zum einen eher persönliche Facetten der
jeweiligen Monarchen dargestellt, zum anderen findet man zahlreiche Darstellun-
gen und Vorträge über wichtige politische Maßnahmen der Herrscher, kriegeri-
schen Mut und Fortune, die Leistungen für den Aufbau eines starken Staates etc.
Besonders in München griff man mit zahlreichen Beiträgen gerne ins Mittelalter
zurück. Die Vereinshistoriker waren in der bayerischen Residenzstadt überaus stolz
darauf, vom ältesten deutschen Herrschergeschlecht regiert zu werden und wurden
nicht müde, dies zu betonen, ln Übereinstimmung mit der Haltung in anderen Ver-
einen gebührte der königlichen Familie schon fast kultische Verehrung. Besondere
Aufmerksamkeit galt selbstredend Ludwig dem Bayern, dem einzigen Wittelsba-
cher, der im Mittelalter die Königs- und Kaiserwürde erlangte4’. Auch im Dresdner
Altertumsverein erfreute sich das Herrscherhaus großer Popularität. Im ausgehen-
den 19. Jahrhundert handelten durchschnittlich zwei bis drei von sechs insgesamt
gehaltenen Wintervorträgen über den Monarchen und seine Familie. Prinzen des
hohen Hauses leiteten den Verein nicht nur formell, sondern tatkräftig; sie schrie-
41 Emest Renan, Was ist eine Nation? Rede am 11. März 1882 an der Sorbonne. Mit einem
Essay von Walter Euchner, Hamburg 1996, S. 34.
42 Clemens, Sanctus Amor Patriae (wie Anm. 7), S 328-335. Vgl. diesbezüglich auch Cath-
rin Friedrich, Die Konstituierung der Regionalgeschichte in Sachsen und der Bretagne
und ihre Rolle für regionale Identifikationen, in: Comparativ 10 (2000), S. 93-107;
Abigail Green, „Fatherlands“. State-building and Nationhood in Nineteenth-Century
Germany, Cambridge 2001.
4'’ Clemens, Sanctus Amor Patriae (wie Anm. 7), S 260.
344
ben unterstützt vom Haus- und Hofarchivar und Vorsitzenden des Vereins, Hubert
Ermisch, an ihrer eigenen Geschichte44.
Daneben gab es aber wiederum andere Vereine, denen das Herrscherhaus unter
dessen Regierung sie arbeiteten, keine oder kaum Möglichkeiten einer positiven
Identifikation bot. In den Publikationen des Historischen Vereins für den Nieder-
rhein sucht man vergeblich Hagiographisches über die Hohenzollem. Nach der
Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde eine gemeinsame Sicht auf die Ver-
gangenheit propagiert, allen voran schrieb Heinrich von Treitschke seine berühmte
„Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert“ aus dezidiert preußischer und protestan-
tischer Sicht. Der Historische Verein für den Niederrhein konnte derartigen Ge-
schichtsinterpretationen wohl wenig abgewinnen, stand er doch dem katholischen
Milieu sehr nah, mit einer gewissen Vorsicht kann man ihn als Teil des Milieus be-
zeichnen45. Rund 37 Prozent seiner Mitglieder waren Geistliche. Als Präsidenten
folgten aufeinander der Pfarrer Hubert Mooren (1855-1881), die Theologieprofes-
soren Hermann Hüffer (1881-1903) und Heinrich Schrörs (1904-1926), in der
Hochphase des Kulturkampfes wurden als Vizepräsidenten gewählt: der Theolo-
giepofessor Heinrich Floß (1870-1881) sowie die Domkapitulare Karl Theodor
Dumont (1881-1885) und Alexander Schnütgen (1885-1904). Weiterhin ernannte
der Verein Johannes Janssen, den katholischen Reformationshistoriker, zum Eh-
renmitglied des Vereins. Dieser sah in der Reformation den Niedergang des Heili-
gen Römischen Reiches Deutscher Nation vorbereitet, wohingegen aus protestanti-
scher Sicht die Reformation die Befreiung von ultramontanen Fesseln bedeutete46.
Die Historiker des Niederrheinischen Vereins wandten sich denn auch folglich
den Themen der regionalen und lokalen Geschichte zu, die ihnen angemessene
Identitfikationsmöglichkeiten boten: der Geschichte der Kirche, der des nieder-
rheinischen Adels und der der bedeutendsten rheinischen Städte, allen voran natür-
lich Köln. Wurde in der Erinnerungskultur Westfalens im 19. Jahrhundert der hei-
lige Ludgerus vom katholischen Milieu benutzt, um die regionale Identität zu stär-
ken47, so übernahm in Köln der heilige Anno diese sinnstiftende Funktion. Hinzu
kamen zahlreiche Beiträge zur ehemals reichen Klosterlandschaft. Um diese For-
schungen auch durch sinnliche Eindrücke zu verstärken, begab der Verein sich bei
den jährlich stattfindenden Wanderversammlungen gerne in Klöster, vor allem in
der Hochzeit des Kulturkampfes. 1877 traf sich die Gesellschaft in Werden, wo
man als krönenden Abschluss die prächtige Abteikirche und die Grabstätte des hei-
44 Vgl. Ermisch, Das fünfundsiebzigjährige Jubiläum (wie Anm. 34); Jana Lehmann, Hu-
bert Ermisch. Ein Beitrag zur Geschichte der sächischen Landesforschung, Köln-
Weimar-Wien 2001.
Josef Mooser, Das katholische Milieu in der bürgerlichen Gesellschaft. Zum Vereinswe-
sen des Katholizismus im späten Deutschen Kaiserreich, in: Religion in Geschichte und
Gesellschaft. Sozialhistorische Perspektiven für die vergleichende Erforschung religiöser
Mentalitäten und Milieus, hg. von Olaf Blaschke und Frank-Michael Kuhlemann, Gü-
tersloh 1996, S. 59-92; zur Rolle der Priester im Vereinswesen: Olaf Blaschke, Die Ko-
lonialisierung der Laienwelt. Priester als Milieumanager und die Kanäle klerikaler Kura-
tel, in: ebd., S. 93-136; sowie Clemens, Katholische Traditionsbilder (wie Anm 18).
46 Holger Gräf, Reich, Nation und Kirche in der groß- und kleindeutschen Historiographie,
in: Historisches Jahrbuch 116 (1996), S. 367-394.
4 Vgl. Uta Rasche, Erinnerungskultur im katholischen Milieu: Die Ludgerus-Verehrung
im Bistum Münster (1840-1910), in: Westfälische Forschungen 51 (2001), S. 235-255.
345
ligen Ludgerus aufsuchte4*. Neben Ausführungen zu einzelnen Pfarreien, diese
aber in eher kleiner Zahl, lässt sich noch ein weiterer Themenblock ausmachen:
Fromme Frauen und heilige Männer. In diesen Beiträgen werden meist die Quell-
engrundlagen für die Viten etwa der heiligen Irmgardis oder der heiligen Ursula
auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, an der prinzipiellen Verehrungswürdigkeit der
als heilig Erachteten, ihren guten Taten und ihrem Opfertod wird hingegen nicht
gerührt. Allen gemeinsam war die Standhaftigkeit der Rechtgläubigen gegenüber
den Heiden. Die Mehrzahl derartiger Beiträge wurde wiederum in der Hochphase
des Kulturkampfes publiziert. Die Leser konnten derartige Vorbilder und Verhal-
tensmuster der Standhaftigkeit mit wenig Phantasie auf die eigene Situation im
Kaiserreich übertragen. Hauptautor war der Vizepräsident Joseph Heinrich Floß,
der als ordentlicher Professor für Moraltheologie an der Bonner Universität auch
Kirchengeschichte las. Nach dem Vatikanischen Konzil blieb er als einziger Ordi-
narius in der Theologischen Fakultät und trug die Hauptlast der theologischen Vor-
lesungen. Sein Forschungsinteresse galt vor allem der Erzdiözese Köln, er veröf-
fentlichte zahlreiche Arbeiten nicht nur zu den Kölner Erzbischöfen sondern auch
zur Hagiographie44. Floß und weitere Autoren boten den geneigten Lesern Artikel,
mit deren Hilfe sie die Erinnerungskultur des katholischen Milieus - etwa Glanz,
Macht und Einheit der Kirche im Mittelalter - untermauerten.
Darüber hinaus wandte man sich in Köln - wie anderenorts - nur zu gern der
versunkenen Welt des Rittertums zu. Genealogie und Heraldik erfreuten sich wäh-
rend des gesamten Untersuchungszeitraums großer Beliebtheit. Je weiter die
Stammbäume ins Mittelalter zurückreichten - umso besser. Vor allem Vertreter der
Aristokratie, aber auch Bürgerliche betrieben mit Feuereifer adlige Familienkunde,
um so die Bedeutung der einflussreichsten Familien in der Vergangenheit zu be-
weisen und daraus häufig ihre Befähigung für Leitungsfunktionen im 19. Jahrhun-
dert abzuleiten. Kritischer Umgang mit den Herrschenden war in den untersuchten
Geschichtsvereinen die Ausnahme, die Historiographie war in einem hohen Maße
personalisiert"0. Georg Kunz beschreibt in seinem Buch über die Geschichtsvereine
und deren Publikationen, dass gegen Ende des 19. Jahrhunderts die bisherige Fixie-
rung auf den Staat und die Dynastie zunehmend von einer Geschichtsschreibung
abgelöst wurde, die sich volkskundlichen und ethnographischen Themen öffnete"1.
Die Geschichtsvereine in den Residenzstädten schienen gegen derartige Ansätze
weitgehend immun gewesen zu sein.
Allgemein dominierte in der Vereinslandschaft eine positivistische Geschichts-
konzeption. Dabei gingen die Autoren davon aus, dass der Fortschritt in der Histo-
riographie in der Publikation von Quellen liege. In diesem Zusammenhang gilt es
zu bedenken, dass erst einmal eine solide Quellenbasis geschaffen werden musste,
um anschließend darstellende und interpretierende Arbeiten anzugehen. Die Vor- * 49 50 51
4K Vgl. den Bericht in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 32 (1877), S,
139-141.
49 Zur Person und den Arbeiten von Floß vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 48, S. 61 Of.
und Neue Deutsche Biographie 5, S. 255f.
50 Vgl. dazu Gabriele B. Clemens, Obenbleiben mittels Historiographie: Adeligkeit als
Habitus, in: Hochkultur als Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im lan-
gen 19. Jahrhundert, hg. von Ders., Malte König und Marco Meriggi, Berlin 2011,
S. 189-211.
51 Kunz, Verortete Geschichte (wie Anm. 7).
346
Wörter der Editionsbände wurden aber häufig dazu genutzt, direkte und indirekte
Aussagen zum eigenen Geschichtsverständnis zu machen. Darüber hinaus erlaubt
die jeweilige Quellenauswahl Rückschlüsse auf die vorherrschende Geschichtsauf-
fassung. Sehr deutlich wird insgesamt, wie stark sich Mitgliederstrukturen auf die
Auswahl der Themen auswirkten. Gesellschaften mit einem hohen Klerikeranteil
hatten einen starken kirchengeschichtlichen Schwerpunkt. Vereine in denen, wie in
Dresden oder München, der Adel dominierte, legten besonders viele Arbeiten über
die Geschichte der regionalen Aristokratie vor.
Im Geschichtsverständnis dieser Vereine herrschte sowohl in Deutschland, als
auch in Frankreich, England oder Italien Übereinstimmung bezüglich der bevor-
zugten Epoche. Ihre Mitglieder beschäftigten sich fast ausschließlich mit dem Mit-
telalter und der Frühen Neuzeit, dabei konzentrierten sie sich auf jene Zeiträume,
in denen die eigene Stadt oder Region eine herausragende Rolle spielte. Neben den
zentralen Epochen der größten Macht- und Prachtentfaltung schufen die Vereine
lokale Identitäten ebenfalls, indem die berühmten Taten bedeutender Persönlich-
keiten, eigentlich immer Männer, erzählt, gefeiert und verklärt wurden. Es darf
aber nicht der Eindruck entstehen, dass sie in der Mehrheit den neuen Nationalstaa-
ten gegenüber völlig ablehnend gegenüber gestanden hätten, dezidierte Partikula-
risten lassen sich nach dem jetzigen Forschungsstand nur vereinzelt nachweiserf2.
Wenn die Vereine sich auch ganz bewusst auf die Erforschung ihrer regionalen
Geschichte konzentrierten, haben sie doch in den letzten Jahrzehnten des 19. und
zu Beginn des 20. Jahrhunderts zumindest versucht, die eigene Geschichte in eine
nationale einzubinden. Dies geschah nach folgenden Mustern: Erstens wurde im-
mer wieder betont, dass ohne eine gründliche Erforschung der regionalen Ge-
schichte überhaupt keine nationale geschrieben werden könne, und zweitens wurde
herausgestellt, dass die eigene regionale Vergangenheit besonders wichtige Bau-
steine zur nationalen Geschichte geliefert hätte. Zudem habe man ohnehin im di-
rekten Vergleich zu den Nachbarstaaten mehr und Besseres für das Vaterland ge-
leistet. Beide Argumentationsmuster verfolgten ein Ziel, nämlich die eigene parti-
kulare Bedeutung der Region zu stärken und zumindest in der Kulturpolitik gegen-
über dem übermächtigen Preußen eigene markante Profile und Identitäten aufzu-
bauen. Dabei wurden im Kaiserreich aufgrund der föderalistischen Grundstruktur,
wo Kulturpolitik Ländersache war, kulturelle Differenzen nicht abgebaut sondern
gefördert. So unterstützten in den deutschen Ländern die regierenden Landesfürs-
ten kulturelle Autonomiebestrebungen besonders nachdrücklich^3.
Kommen wir zum ersten Interpretationsmuster, demzufolge ohne eine grundle-
gende Erforschung der kleineren Einheiten überhaupt keine Geschichte des Vater-
landes geschrieben werden könne. Die deutschen Vereinshistoriker sind sich in
diesem Punkt mit denen anderer europäischer Regionen einig. Zitiert sei Hubert
Ermisch, der 1894 behauptete, dass nur derjenige Verständnis für die allgemeine * 19
Da wäre etwa der Archivar Otto Beneke aus dem Hamburger Verein zu nennen, der aus
seinem Partikularismus keinen Hehl machte; vgl. Joist Grolle, Das Hamburgbild in der
Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, in: „Heil über dir, Hammonia“: Hamburg im
19. Jahrhundert. Kultur, Geschichte, Politik, hg. von Inge Stephan und Hans-Gert Win-
ter, Hamburg 1992, S. 17-47, S. 28f.
Vgl. zum teilweise erheblichen Erfolg, mit dem sich die deutschen Einzelstaaten kulturell
zu behaupten vermochten: Dieter Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat
in Deutschland und Europa, München 2000, S. 73.
347
Geschichte habe, der mit warmem Anteil die Geschichte der Einzelstaaten verfol-
ge^4. Im Tenor vergleichbar äußerte sich der Metzer Archivdirektor Dr. Wolfram
auf der Tagung des Gesamtverbandes in Dresden im Jahr 1900: Aber keine Vater-
landsliebe ohne Heimatgefiihl. Nur als Sachsen, als Preussen oder Baiern sind wir
Deutsche^. Die Gesellschaften betrachteten Geschichtswissenschaft als Dienst am
Vaterland; aber was verstanden sie unter Vaterland? Auf jeden Fall ist dieser Be-
griff nicht als Synonym für Nation zu verstehen, sondern oszilliert zwischen sehr
enger städtischer und regionaler Konnotation und der Nationsidee beziehungsweise
dem geeinten Nationalstaat, dies vor allem im ausgehenden 19. und beginnenden
20. Jahrhundert. Die Vereinshistoriker verstanden darunter eindeutig die Geschich-
te ihrer Stadt, des städtischen Umfelds und der Region. Für die Berliner war der
Bezugspunkt der Herrschaftsbereich des Hauses Hohenzollem und für den Dresd-
ner Verein blieb es das Königreich Sachsen. Sie wollten und konnten keine natio-
nale Geschichte schreiben - das geschah außerhalb der Vereine. Die räumliche
Dimension ihrer Arbeiten beschränkte sich folglich auf den sui generis gewählten
Gegenstand. Wie eminent wichtig dann die eigene Geschichte wiederum für die
gesamtstaatliche Entwicklung war, wurde von den Vereinshistorikern aber immer
wieder geradezu gebetsmühlenartig betont. Oft gingen sie sogar so weit, die lokale
Geschichte mit einer sogenannten nationalen gleichzusetzen.
Abschließend sei nun die Frage erörtert, ob mit Geschichtsvereinen und den von
ihnen vorgelegten Arbeiten überhaupt - wie intendiert - Identitäten geschaffen
werden konnten. Damit sind wir bei der Rezeptionsproblematik angekommen. Wer
hat die von den Vereinshistorikern vorgelegten Arbeiten überhaupt gelesen? Hier
sei nur kurz daraufhingewiesen, dass viele Vereine in ihren Organen häufig Quel-
lentexte publiziert haben und zwar in der Originalsprache. Die Autoren von histo-
riographischen Arbeiten versuchten selten, über den engeren Kreis der Gelehrten
hinaus zu dringen. Die akademischen Schriften litten nach ihrer Ansicht unter dem
Fluch, nicht gelesen zu werden54 * 56, und sie waren sich durchaus bewusst, dass sie
ohnehin nur die gebildeten Schichten erreichen konnten. Der anspruchsvolleren
Lektüre historisch wissenschaftlicher Texte unterzog sich demgegenüber nur eine
kleinere Zahl von Rezipienten. Auf die Ausbildung lokaler und regionaler Identitä-
ten in weiteren Teilen des Volkes übten die Vereine, wenn überhaupt, nur einen
sehr indirekten Einfluss aus. Vielleicht haben noch am ehesten die mehr oder we-
niger zahlreich involvierten Pfarrer und Lehrer das von den Vereinen geprägte Ge-
schichtsbild an breitere Schichten herangetragen.
Adressat war also die kleine Gruppe historisch interessierter Adliger und Bür-
gerlicher - politisch meist konservativ oder konservativ-liberal ausgerichtet die
ohnehin schon loyal war. Diesem Adressatenkreis boten sie mit ihren Publikatio-
nen Identifikationsmöglichkeiten und beeinflussten seine kulturellen und vielleicht
auch seine politischen Interessen. Diese Gruppen waren darüber hinaus bereit,
staatliche Loyalitäten mittels der Geschichtswissenschaft zu fördern, selbst ohne
54 Hubert Ermisch, Die sächsische Geschichtsforschung in den letzten dreissig Jahren, in:
Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde 15 (1894), S. 1-26.
Ders., Das fünfundsiebzigjährige Jubiläum (wie Anm. 34), S. 10.
56 So Hermann Hüffer, Bonner Professor und Präsident des Historischen Verein für den
Niederrhein; vgl. Hermann Hüffer, Lebenserinnerungen, hg. von Ernst Sieper, Berlin
1914, S.316.
348
königlichen Befehl, aber von den Herrscherhäusern wohlwollend unterstützt. So
entstand etwa 1822 aus dem Finanzministerium heraus in Stuttgart ein „Verein für
Vaterlandskunde“. In den Württembergischen Jahrbüchern, dem Organ des Statis-
tisch-topographischen Bureaus, heißt es zu dieser Gründung und ihren Zielen, dass
das Wissen über das neue Vaterland die staatsbürgerlichen Tugenden hervorbringe,
die das Konglomerat benötige. Diesem Wissen wurde eine große Wirkung zuge-
schrieben: mit ihm werde aus Alt- und Neuwürttembergern, aus Hohenlohern, Ell-
wangern, Vorderösterreichern, Reichsstädtern und so weiter das württembergische
Volk erschaffen. Bedeutsame Sparte dieses Wissens sei die Geschichte, durch sie
erhalte der Patriotismus seine wichtigste Stütze57. Auf die in derartigen Vereinen
engagierten Staatsdiener brauchte man nicht mehr einzuwirken. Wollten die Herr-
scher breitere Bevölkerungsgruppen ansprechen, dann mussten andere Wege be-
schritten werden. Zumindest Maximilian II. hatte erkannt, dass mit akademischer
Gelehrsamkeit das Volk nicht zu gewinnen war58.
Vgl. zu dieser Gründung und ihren Zielen: Friedrich Pietsch, Die Archivreisen des Ge-
heimen Archivars Lotter, in: Neue Beiträge zur westdeutschen Landesgeschichte. Fest-
schrift Max Miller, Stuttgart 1962, S. 333-354, hier S. 338.
Hanisch, Für Fürst und Vaterland (wie Anm. 32), S. 342.
349
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Dass der alte preussische Geist noch in uns lebt-
Die Jahrhundertfeier der Völkerschlacht bei Leipzig in
Saarbrücken (Oktober 1913)
Rolf Wittenbrock
Erinnerung contra Geschichte?
In Territorien, um deren staatliche Zugehörigkeit über mehrere Jahrhunderte hin-
weg gekämpft und gestritten wurde, ist die Deutung der jeweiligen regionalen Ge-
schichte immer auch ein politisches Konfliktfeld gewesen, das abhängig von den
wechselnden machtpolitischen Konjunkturen oft zu ganz gegensätzlichen Wahr-
nehmungen und Wertungen führte. Die Arbeit der Historiker wurde in ihren For-
schungsthemen und Erkenntniszielen wesentlich bestimmt von übergeordneten na-
tionalpolitischen Interessen. Geschichte und ihre Deutung wurde immer auch in-
strumentalisiert für zukunftsgerichtete politische Argumentationsstrategien. So
dauerte die Kontroverse in der Saarregion über die Deutung der Französischen Re-
volution und die Herrschaft Napoleons letztlich mehr als 150 Jahre1. Dabei ver-
wandelte der Kampf um die historische Deutungshoheit die regionale Geschichte
schon zeitweise in ein regelrechtes „Schlachtfeld der Erinnerung“2 *.
Ein bevorzugtes Instrument historischer Sinnstiftung und politischer Identitäts-
konstruktion waren dabei immer auch nationale Jahrestage und Jubiläen, deren
Funktionen und Rituale ja inzwischen in den Blickpunkt der neueren Forschung
gekommen sind1. Eine Untersuchung der politischen Festkultur verspricht gerade
auch in Grenzregionen Aufschlüsse darüber, wie rivalisierende kollektive Gedächt-
niskonstruktionen ihre jeweilige Deutungshoheit erkämpft, ausgebaut und auch an
nachfolgende Generationen tradiert haben. Diese Fragestellung soll hier am Bei-
spiel der Jahrhundertfeier der Völkerschlacht bei Leipzig in Saarbrücken unter-
sucht werden.
Überall im Deutschen Reich waren 1913 diese Jahrhundertfeiern ja Kulminati-
onspunkte der patriotischen Begeisterung, die zugleich einer mentalen Mobilma-
chung angesichts wachsender Kriegsgefahr dienten. Dabei ist zu fragen, welche
Bedeutung die reale Lage Saarbrückens und seiner Bewohner im Jahr 1813 für die
Festtagsrhetorik bei der Jahrhundertfeier hatte. Kann es sein, dass hier 1913 eine
lokale „Eigengeschichte“ konstruiert wurde, die kaum noch etwas mit den sachge-
schichtlichen Fakten des Jahres 1813 zu tun hatte? Erfolgte hier eine Erinnerungs-
konstruktion, die im Grunde ein importiertes reichsdeutsches Gedächtnis in die
kollektive Erinnerung der Saarbrücker implantierte?
1 Vgl, Peter Burg, Saarbrücken im revolutionären Wandel (1789-1815), in: Geschichte der
Stadt Saarbrücken, hg. von Rolf Wittenbrock, Bd. 1, Saarbrücken 1999, S. 517f. sowie
Peter Burg, Saarbrücken 1789-1860. Von der Residenzstadt zum Industriezentrum,
Blieskastel 2000.
Zu Erinnerungskonflikten auf europäischer Ebene siehe Claus Leggewie, Der Kampf um
die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt, München 2011.
Grundlegend dazu Winfried MÜLLER, Das historische Jubiläum. Zur Geschichte einer
Zeitkonstruktion, in: Das historische Jubiläum. Genese, Ordnungsleistung und Inszenie-
rungsgeschichte eines institutionellen Mechanismus, Münster 2004, S. 1-8.
351
Um diese Fragen zu beantworten, sind zunächst die Grundlinien der Wahrneh-
mung und Deutung der Völkerschlacht in den Saarstädten im 19. Jahrhundert
nachzuzeichnen. Dabei ist auch der 50. Jahrestag der Schlacht im Jahr 1863 von
Interesse, um mögliche Kontinuitäten oder auch Zäsuren in der lokalen Erinne-
rungskultur aufzudecken. Dann ist die Rolle und Zielsetzung der wichtigsten Ak-
teure der Jahrhundertfeier von 1913 zu analysieren, also der Protagonisten sowie
der Medien und der verschiedenen sozialen Gruppen und Vereine bei der Vorbe-
reitung und Durchführung der Feiern. Im Mittelpunkt stehen dabei die Rituale und
Symbole bei der Inszenierung des Jubiläums sowie die Festtagsrhetorik und die In-
strumentalisierung der lokalen Geschichte für nationalpolitische Zwecke.
Die Völkerschlacht bei Leipzig und die lokale Erinnerung der
Saarbrücker im 19. Jahrhundert
ln den beiden Nachbarstädten Saarbrücken und St. Johann wohnten 1815 etwa
6000 Einwohner. Sie lebten in einer Stadt, die 1793 von französischen Truppen be-
setzt worden war und seit dem Jahr 1801 staatsrechtlich zu Frankreich gehörte.
Saarbrücken war die südlichste Stadt des französischen Saardepartements, der Prä-
fekt hatte seinen Sitz in Trier, in Saarbrücken gab es nur einen Unterpräfekten, der
das Arrondissement Saarbrücken leitete.
Von der entscheidenden militärischen Niederlage Napoleons in Leipzig gegen
die verbündeten Heere aus Preußen, Österreich, Russland und Schweden erfuhren
die Bewohner der Saarstädte erst mit einiger Verspätung. Zunächst wurde die
Nachricht verbreitet, der französische Kaiser habe einen Sieg davongetragen4 *. Erst
mit der Rückkehr der besiegten Armeen verbreitete sich die Erkenntnis, dass Na-
poleon tatsächlich entscheidend besiegt worden war. Zahlreiche Quellen belegen,
dass sich die meisten Bürger mit der französischen Herrschaft arrangiert hatten.
Bei seinen insgesamt sieben Durchzügen durch die Städte war Napoleon mit Tri-
umpfbögen und Vivatrufen empfangen und als Friedensstifter geehrt worden . Wie
im ganzen Saar-Departement hatten die Männer wohl auch - mit deutlich größerer
Bereitschaft als in den meisten Departements im Innern Frankreichs - ihre Dienst-
pflicht in der französischen Armee erfüllt und waren für den Kaiser in den Krieg
gezogen6. Es gab es viele Indizien dafür, dass die Integration der Bevölkerung der
Saarstädte in den französischen Staatsverband schon recht weit fortgeschritten war,
bot die Zugehörigkeit zu einem mächtigen und in vielerlei Hinsicht fortschrittli-
4 Wilhelm Schmitz, Politische Zustände und Personen in Saarbrücken in den Jahren 1813,
1814 und 1815. Saarbrücken 1865, S. 5.
Burg, Saarbrücken im revolutionären Wandel (wie Anm. 1) S. 476. Noch am 13. No-
vember 1812 schrieb der Präfekt des Saar-Departements an den Innenminister in seinem
Bericht über die Berufung zum Militärdienst des Jahrgangs 1813: Ces heureux résultats
donneront à votre Excellence, je suis persuadé, la certitude du zèle de tous les fonction-
naires publics de ce département pour le service de l'Empereur et du dévouement des
habitants à la personne de Sa Majesté, zitiert nach Calixte Hudemann-Simon, Réfrac-
taires et déserteurs de la Grande Armée en Sarre (1802-1813), in: Revue historique 277
(1987), S. 11-45 (hier S. 39).
6 Hudemann-Simon (wie Anm. 5).
352
chen Staatsverband doch auch zahlreiche wirtschaftliche Vorteile7. Dabei ist aller-
dings auch in Rechnung zu stellen, dass es während der Napoleonischen Herrschaft
in den Saarstädten wegen der strikten obrigkeitlichen Kontrollen kaum möglich
war, abweichende nationalpolitische Meinungen in die Öffentlichkeit zu tragen.
Als dann aber im Frühjahr 1814 das Ende der napoleonischen Vorherrschaft in
Europa absehbar war und preußische und russische Truppen auf dem Weg nach Pa-
ris in Saarbrücken einzogen, zeigte sich, dass die Einwohner in ihren nationalpoli-
tischen Präferenzen durchaus gespalten waren. Die aus Frankreich zugezogenen
Beamten und Kaufleute verließen fluchtartig die Stadt. Der langjährige Bürger-
meister Sebastian Bruch, der das Vertrauen der französischen Verwaltung gehabt
hatte, wurde abgesetzt und durch Heinrich Böcking, den Führer der Deutsch-Patri-
oten, ersetzt. Als wider Erwarten der Pariser Friedensschluss am 30. Mai 1814 fest-
legte, dass Saarbrücken weiterhin zu Frankreich gehören sollte, gerieten die
Deutsch-Patrioten in die Defensive. Nun kehrten die französischen Beamten zu-
rück, und den Deutsch-Patrioten drohte ein Prozess vor dem Metzer Kriegsgericht.
Abhängig von der übergeordneten militärischen Lage in Europa in den Jahren
1814/15 gab es somit für alle Bürger der Saarstädte einige Monate großer politi-
scher Unsicherheit. Das eindeutige Engagement zugunsten einer nationalen Partei
konnte gravierende Folgen nicht nur für die Familie und wirtschaftliche Existenz,
sondern für das eigene Leben haben.
Schließlich brachte der zweite Pariser Frieden vom 20. November 1815 die Los-
lösung von Frankreich: beide Saarstädte wurden Teil der preußischen Rhein-
provinz. Später wurde das Engagement der Deutsch-Patrioten immer wieder gefei-
ert, aber lange Zeit gab es in den zwei Städten auch noch Gruppen, die aus ihrer
profranzösischen Haltung kein Hehl machten. In Auseinandersetzungen mit der
preußischen Obrigkeit kam es im Vormärz mehrfach zu Protesten, bei denen libe-
rale Bürger den preußisch gesinnten Bürgermeister provozierten, indem sie die
Marseillaise sangen8. Die Gegensätze zwischen dem preußischen Obrigkeitsstaat
und den Führern der liberalen Bewegung an der Saar im Revolutionsjahr 1848
zeigten ebenfalls, dass die meisten Bewohner der Saarstädte im Grund noch keine
emotionalen Bindungen zur Hohenzollemmonarchie aufgebaut hatten.
Als 1863 der 50. Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig nahte, war die Be-
richterstattung in den Saarbrücker Zeitungen sehr dürftig. Auch die Verwaltungen
der beiden Saarstädte verhielten sich passiv. Allerdings trafen sich wenige Tage
vor dem Jubiläum Vorstandsmitglieder der verschiedenen in beiden Städten beste-
henden Turn-, Schützen- und Gesangvereine, um über eine gemeinsame Begehung
Schon 1805 berichtete der Präfekt des Saardepartements in einem Schreiben an den In-
nenminister: Persuadés que leur destinée est irrévocablement fixée [...] (les indigènes)
regardent la France comme leur patrie [...]. S’il en est encore qui nourissent une ar-
rière-pensée, leur nombre est petit et leur opinion sans imitateurs, zitiert in: Hudemann-
Simon (wie Anm. 5), S. 39.
N Peter BURG, Saarbrücken im Aufstieg zum Zentrum einer preußischen Industrieregion
(1815-60), in: Geschichte der Stadt Saarbrücken, hg. von Rolf Wittenbrock, Bd. 1,
Saarbrücken 1999, S. 520f. und S. 533-544. Zur nationalpolitischen Haltung der Saar-
brücker Bürger siehe auch Hans-Walter Herrmann, Auswirkungen der Revolution, in:
Die französische Revolution und die Saar, Katalog der Ausstellung des Landesarchivs
Saarbrücken, St. Ingbert 1989, S. 230-264.
353
der Feier des 18. Oktober sich zu besprechen*. Erst in der Nachberichterstattung
der Presse erfolgte dann die genauere Beschreibung des Gedenktages: In den Kir-
chen fand des Vormittags besonderer Festgottesdienst statt, um in gemeinsamer
Andacht beim Gedenken jener verhängnisschweren Zeit dem Allmächtigen für den
Sieg der deutschen Waffen und die hieraus erblühende Unabhängigkeit des Vater-
landes zu danken0. Am Abend loderten dann bei hereinbrechender Dunkelheit auf
den Höhen von Saarbrücken und St. Johann mächtige Feuersäulen zum Himmel ,
und anschließend versammelten sich die Mitglieder der Vereine im Plager4sehen
Saale, wo es Festreden und patriotische Gesänge gab.
Mit den Höhenfeuem, den Festgottesdiensten und den patriotischen Reden wur-
den bereits die wichtigen Komponenten für das standardisierte Festritual genutzt,
die auch bei späteren nationalen Feiern immer wieder eingesetzt wurden. Aller-
dings fällt auf, dass es sich hier nicht um eine Veranstaltung städtischer oder mili-
tärischer Eliten handelte, wichtige Akteure waren vielmehr bürgerliche Vereine12,
die zum Teil schon im Revolutionsjahr 1848 auf lokaler Ebene eine wichtige Rolle
gespielt hatten. Den Vorsitz der Festveranstaltung hatte übrigens Dr. Jordan, der
bereits im Revolutionsjahr einer der Wortführer der liberalen Bewegung in den
Saarstädten gewesen war. Es fallt auch auf, dass das preußische Herrscherhaus in
dem Pressebericht über die Jubiläumsfeier überhaupt nicht erwähnt wurde. Im Mit-
telpunkt stand offensichtlich die Erinnerung an die Befreiung des deutschen Vater-
landes. Letztlich diente die pathetische Beschwörung der großen Zeit von Deutsch-
lands Erhebung und ihrer Männer und Helden wohl vor allem der Mobilisierung
der Zuhörer, sich weiterhin für die Schaffung der nationalen Einheit Deutschlands
einzusetzen. Dass die preußische Monarchie dabei ein entscheidender Akteur sein
könnte, war zu diesem Zeitpunkt noch mehr als ungewiss. Im Übrigen gab es in
den Berichten weder Hinweise auf die besondere Lage der Saarstädte im Jahr 1813
noch präzise Informationen zu den Hauptakteuren der Völkerschlacht. Das Fest
stand, wenn man den kurzen Pressenotizen vertrauen darf, ganz im Bann der noch
nicht erreichten nationalen Einheit.
Wie umstritten die kollektive Erinnerung an die Zeit der Angliederung an Preu-
ßen im Jahr 1815 in den Saarstädten war, zeigte sich auch noch 1865 bei der 50.
Wiederkehr dieses Jahrestages. Den Stadtverordnetenversammlungen beider Städte
sollte eine umfangreiche Petition zur Beschlussfassung vorgefegt werden, in der
die Angliederung an Preußen in deutschpatriotischer Perspektive detailliert be-
schrieben und gewürdigt wurde13. Gleichzeitig sollte nun eine aktive Erinnerungs-
9
10
u
12
13
Saarbrücker Zeitung vom 15. Oktober 1863
Saarbrücker Zeitung vom 19. Oktober 1863.
Ebd.
Auch in Kaiserslautern lag die Gestaltung der Jubiläumsfeier im Jahr 1863 in den Hän-
den bürgerlicher Vereine, siehe Evelyn WEISS, Nationale Festkultur im Linksrheinischen.
Die Gedenkfeiern zur Leipziger Völkerschlacht in Kaiserslautern 1814/1863/1913, in:
Müller (wie Anm. 3), S. 187-271.
Der 11. und 27. Juli 1815 und 1865. Ein Antrag der Bürger und ein Beschluss der verei-
nigten Gemeinderäte von Saarbrücken und St. Johann, Saarbrücken 1865, 26 Seiten. Vgl.
Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand Bürgermeisterei (BGM) Alt-Saarbrücken, Nr. 2074
sowie Bestand BGM St. Johann, Nr. 1130. Die Stadtverordneten Gustav Bruch und Fer-
dinand Dietzsch wurden mit der Umsetzung der im Antrag formulierten Beschlüsse be-
auftragt.
354
arbeit beginnen, damit diese historischen Ereignisse nicht dem kollektiven Verges-
sen anheimfallen und die heldenhaften und patriotischen Aktionen der Saarbrücker
Bürger im Jahr 1815 auch den nachfolgenden Generationen vermittelt werden.
Diese in Druckfassung vorliegende Petition sollte nachträglich auch noch anderen
Bürgern zur Unterschrift vorgelegt werden. Allerdings brachte diese Aktion den
Initiatoren eine große Enttäuschung. So schrieb einer der Akteure: Die Gesin-
nungen, denen der Antrag Ausdruck geben sollte, scheinen nicht die Gesinnungen
der großen Mehrheit der Bürger dieser Städte zu sein. Ich habe Grund zu bezwei-
feln, dass die 50 offengelegten Exemplare auch nur 50 aufmerksame Leser gefun-
den haben14 Er beteuerte, dass er seinen Antrag aus Liebe zum deutschen Vater-
lande [und] in der Treue gegen die eigene Geschichte gestellt habe. Jetzt aber
stellte er resignierend fest, dass die Mehrheit der Bürger offensichtlich kein oder
ein anderes Vaterland habe als er.
Nach 1860 änderten sich infolge der Industrialisierung und Urbanisierung die
Rahmenbedingungen für das kulturelle und politische Leben in den Saarstädten
grundlegend. Infolge des Ausbaus zu einem Montanzentrum kam es in der Zeit von
1860 bis 1905 zu einem explosionsartigen Bevölkerungswachstum, wobei sich die
Einwohnerzahl von 15.000 auf 84.000 vervielfachte. Die Zuwanderer in den Ver-
waltungen, die akademischen Führungskräfte in den Industrieunternehmen sowie
die Mitglieder der Offizierskorps stammten vielfach aus anderen Teilen Preußens,
aber nach und nach reduzierten sich die Gegensätze zwischen der einheimischen
Führungsschicht und den zugezogenen neuen Eliten^. Der Prozess der sich be-
schleunigenden Annäherung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen dauerte je-
doch noch mehrere Jahrzehnte. Erst 1887 öffnete die exklusive Saarbrücker Casi-
nogesellschaft ihre Tore für Offiziere der Garnison, worauf das gesamte Offi-
zierskorps Mitglied der Gesellschaft wurde. Damit war der lokale Schulterschluss
zwischen den militärischen und zivilen Eliten aus Verwaltung, Industrie und Kul-
tur eindrucksvoll vollzogen.
Der immer stärker werdenden Dominanz der deutsch-preußischen Gesinnung
entsprach ein Bedeutungsverlust der frankophilen Bevölkerungsgruppen, die sich
im öffentlichen Leben, in den Vereinen und der Presse kaum noch artikulierten.
Unter diesen Bedingungen wurde eine noch bis zur Jahrhundertmitte erkennbare
profranzösische Erinnerungskultur völlig überlagert. Die beiden Saarstädte wurden
zu einem Sozialraum, in dem zum Teil importierte Erinnerungen preußisch-deut-
scher Provenienz ein Deutungsmonopol erwarben14 15 16. Auch über mehrere Generatio-
14 StA Saarbrücken, Bestand BGM Alt-Saarbrücken, Nr. 2074, Schreiben an den Bürger-
meister Schmidtborn vom 20. November 1865.
15 Vgl. Jürgen Hannig, Im Schatten von Spichern: Militarismus und Nationalismus im
Saarrevier vor dem Ersten Weltkrieg, in: Richard van Dülmen und Reinhard Klimmt
(Hg.), Saarländische Geschichte. Eine Anthologie, St. Ingbert 1995, S. 263-72.
16 Zahlreiche wichtige Akteure für den Aufbau einer lokalen Erinnerungskultur stammten
aus Preußen, wie zum Beispiel Albert Ruppersberg, geb. in Marburg, der 1913 den zwei-
ten Band seiner Geschichte der Stadt Saarbrücken publizierte. Mangold, der Oberbürger-
meister der Großstadt Saarbrücken, stammte aus Düsseldorf, da sich die rivalisierenden
Stadtverordnetenversammlungen von Saarbrücken und St. Johann nicht auf einen ein-
heimischen Kandidaten verständigen konnten. Das galt auch für andere führende Bei-
geordnete. Hans Weszkalnys, der wichtigste Akteur bei der Gestaltung der Jahrhun-
dertfeier von 1913, stammte aus Ostpreußen.
355
nen in den Saarstädten ansässige Familien übernahmen diese deutsch-preußische
Erinnerungskultur, weil sie ganz offensichtlich auch für die zukünftig erwartete po-
litische Entwicklung der Saarregion einen großen Nutzen versprach: wenn sich die
preußische Gesinnung der Saarbrücker Bürger schon in der napoleonischen Zeit
belegen ließ, dann konnte man daraus ja auch das moralische Recht auf ein wech-
selseitiges Treuebekenntnis zwischen preußischer Herrschaft und den Saarstädten
ableiten. Eine solche Erinnerungskonstruktion brachte also einen Bedeutungs-
gewinn für das Saarbrücker Bürgertum in einer Gegenwart und Zukunft, die aus
seiner Sicht eindeutig preußisch geprägt war und sein würde. Letztlich handelte es
sich bei dieser Umdeutung der lokalen Geschichte um einen Assimilierungspro-
zess, der mehrere Jahrzehnte andauerte und der im Wesentlichen aus einer Anpas-
sungsleistung der alteingesessenen Saarbrücker Bevölkerung an die Wertsysteme
und Erinnerungskulturen preußischer Herkunft bestand17.
Bezüge zur preußischen, heldenhaft verklärten Geschichte prägten dann auch
das Stadtbild: Da konnte man in der Luisenanlage spazieren gehen, da gab es zahl-
reiche neue Straßen, die nach preußischen Generälen benannt wurden, aus Preußen
stammende Architekten errichteten herrschaftliche Bauten wie die Bergwerksdi-
rektion oder später auch Denkmäler zu Ehren Bismarcks und des ersten Kaisers aus
der Hohenzollemdynastie.
Dieser Triumph der preußisch-deutschen Mentalität und Loyalität wurde freilich
entscheidend gefördert und gesichert durch ein militärisches Ereignis, das 1870 di-
rekt vor den Toren der beiden Saarstädte stattfand: die blutige, aber letztlich doch
erfolgreiche Schlacht bei den Spicherer Höhen war das entscheidende Schlüssel-
erlebnis, das die Bürger endgültig zu glühenden Verehrern des preußischen Macht-
staates machte18. Dank des großen Einsatzes der deutschen Regimenter waren die
Städte aus der Hand der französischen Besatzer befreit worden und zusätzlich hatte
der Krieg von 1870/71 den Deutschen ja die langersehnte Einheit und die Grün-
dung eines neuen Reiches ermöglicht. Dabei war es für viele Bürger besonders
wichtig, dass dieser glorreiche Krieg vor den Toren der Saarstädte begonnen hatte,
die Wiege des neuen Reiches gleichsam unmittelbar vor Saarbrücken stand, und so
war es selbstverständlich, dass von nun an die Erinnerung an diese Schlacht in den
Mittelpunkt der lokalen Erinnerungskultur gestellt wurde.
Die Vorbereitung der Jahrhundertfeier - Akteure und Strategien
Nach dem Zusammenschluss der drei Saarstädte zur Großstadt Saarbrücken im
Jahr 1909 wurde die Stadt im Gefolge des allgemeinen mitteleuropäischen Wett-
rüstens zu einem wichtigen preußischen Gamisonsstandort ausgebaut. Im Jahr
1912 nahm das neugebildete stellvertretende Generalkommando des XXL Armee-
korps seinen Sitz in Saarbrücken, das damit eine bedeutende strategische Funktion
1 In diesem Sinn ist die Deutung, dass hier „Missionare“ am Werk waren, die die „Einge-
borenen Mores lehren“ wollten, für die Bevölkerung der Saarstädte sicher nicht zutref-
fend, vgl. Klaus-Michael Mallmann u.a., Die heilige Borussia. Das Saarrevier als preu-
ßische Industriekolonie, in: Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul, Ralph SCHOCK
und Reinhart Klimmt (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saar-
revier 1815-1955, Berlin/Bonn 1987, S. 17.
Is Rolf Wittenbrock, Die Schlacht bei Spichem in den Erinnerungskulturen beiderseits
der Grenze, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 58 (2010), S. 89-101.
356
im Rahmen eines möglichen Krieges gegen Frankreich erhielt. Nun waren 171 Of-
fiziere, 104 Militärbeamte und 3553 „Gemeine“ in der Stadt stationiert. Die militä-
rischen Rituale wie Ausritte, Fahnenappelle, Zapfenstreiche und Konzerte der ver-
schiedenen Regimenter prägten immer stärker auch das Leben der städtischen Zi-
vilbevölkerung.
In standesgemäßer Abgrenzung pflegte die Führungsschicht des Saarbrücker
Bürgertums aus Verwaltung, Wirtschaft und Kultur einen immer vertrauteren Um-
gang mit der in der Stadt stationierten Militäraristokratie19 * 21. Ein bevorzugter Anlass
waren dabei nationale oder auch lokale Jubiläen und Feste. Eine solche Gelegen-
heit bot sich am 10. März 1913 anlässlich der vor hundert Jahren erfolgten glor-
reichen Erhebung der Nation und der Stiftung des Eisernen Kreuzes. Zur Vorbe-
reitung eines gemeinsamen Festessens im städtischen Saalbau mit ca. 500 (aus-
schließlich männlichen) Teilnehmern hatte der kommandierende General des XXI.
Armee-Korps von Below die Zustimmung der Spitzen der hiesigen Behörden, ins-
besondere des Herrn Eisenbahndirektionspräsidenten, des Herrn Oberbergrats
Fuchs, des Herrn Landrat von Miquel2i) usw. eingeholt. Die Einladung zu der Ver-
anstaltung wurde dann auch unterzeichnet von dem Kommandierenden General,
dem Präsidenten der Königlichen Eisenbahndirektion Schwering und dem Ober-
bürgermeister Mangold. Es folgten mehrere Besprechungen eines eigens ge-
bildeten Festausschusses. Dabei wurde geplant, dass alle Festgäste an kleinen Ti-
schen (6-19 Personen) Platz nehmen, wobei nach Möglichkeit auch jeweils ein
Stadtverordneter und ein Vertreter der Militärbehörden an jedem der Tische sitzen
sollte. Besonders heikel war offensichtlich die Belegung des Spitzentisches, so
dass man zu diesem Zweck noch eine Unterkommission des Festausschusses21 bil-
dete. Dieses Gremium bestimmte die Spitzen der Tische: für 23 Tische wurde die
Spitze durch ein Tandem aus einem führenden Repräsentanten der zivilen Elite
(zumeist Stadtverordnete) und einem Offizier der Garnison gebildet. An 21 weite-
ren Tischen übernahm ein hoher Zivilbeamter allein den Vorsitz, weil es of-
fensichtlich nicht genug hohe Offiziere gab. Einen Platz an der Ehrentafel erhielten
53 Männer: Generäle und leitende Offiziere besetzten die Plätze 1-14, es folgten
die leitenden Beamten (Positionen 15-30) staatlicher Verwaltungen, dann folgten
die Leiter lokaler Banken und Industriebetriebe, die Spitzen der städtischen Ver-
waltung sowie zwei Pfarrer. Einen Vertreter der Arbeiterschaft gab es nicht, wohl
aber einen Gärtner22.
Im Mittelpunkt der Ehrentafel saß der kommandierende General, zu seiner Linken
der Oberbürgermeister und zu seiner Rechten der Leiter der Eisenbahndirektion23.
Paul Burgard und Ludwig Linsmayer, Von der Vereinigung der Saarstädte zum Ab-
stimmungskampf (1909-35), in: Rolf Wittenbrock (Hg.), Geschichte der Stadt Saar-
brücken, Bd. 2, Saarbrücken 1999, S. 132-242.
StA Saarbrücken, Bestand Großstadt (G), Nr. 330, Schreiben vom 21. Februar 1913.
21 Ebd., Sitzung am 6. März 1913.
ln der gedruckten Erläuterung hatte es dazu geheißen: An der Ehrentafel nehmen Vertre-
ter der Behörden und aller Stände teil, insbesondere Inhaber des Eisernen Kreuzes [...].
Im übrigen wird bemerkt, dass es für wünschenswert erachtet wurde, mit Rücksicht auf
den volkstümlichen Charakter der Feier eine möglichste Vermischung aller Stände, Be-
rufe und Behörden eintreten zu lassen, ebd.
23
Ebd. ln der Akte finden sich mehrere Entwürfe zur Besetzung der Ehrentafel.
357
Das von einer Militärkapelle gespielte Musikprogramm enthielt unter anderem
die Jubel-Ouvertüre von Weber, mehrere Stücke von Wagner und endete mit dem
Triumphmarsch von Verdi. Die bei diesem Festessen dokumentierte Allianz der zivi-
len und militärischen Eliten bildete dann auch das personale und konzeptionelle Fun-
dament für die weiteren patriotischen Feiern am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
Als nächstes Großereignis im patriotischen Jubiläumskaiender stand die Jahr-
hundertfeier der Völkerschlacht bei Leipzig an, die ja in allen Teilen des Wilhel-
minischen Reiches für das Wochenende vom 18. und 19. Oktober 1913 geplant
war. Glanzpunkt der Erinnerungsfeiem sollte die Einweihung des nun endlich fer-
tig gestellten monumentalen Völkerschlachtdenkmals auf dem ehemaligen
Schlachtfeld sein. Auch in Saarbrücken hatte der Verkehrsverein schon im Juli ein
Programm für diese Jahrhundertfeier vorbereitet und dem 2. Vorsitzenden des
Verkehrsvereins, dem Architekten Hans Weszkalnys, die Oberleitung übertragen.
Die konstituierende Sitzung des dann gebildeten Arbeitsausschusses fand am 4.
August im Hotel Monopol statt. Diesem Ausschuss gehörten neben dem Vorsit-
zenden Weszkalnys folgende Herren an:
• Ernst Schilde, Hauptmann a. D., Vorsitzender des Kriegervereines für
Saarbrücken und St. Johann,
• Dr. Karl Bretschneider, Vorsitzender des Ausschusses der Männergesang-
vereine für Saarbrücken und Umgebung,
• Hubert Hasser, Hotelbesitzer,
• Ludwig Münning, Kaufmann.
Dieser aus wichtigen Multiplikatoren gebildete Ausschuss richtete in den Räu-
men des Verkehrsvereins in der Kaiserstraße eine eigene Geschäftsstelle ein, ver-
fügte über einen eigenen Briefkopf und entwickelte in den folgenden Wochen eine
sehr effektive Tätigkeit zur Vorbereitung der Jubiläumsfeiern. Am 8. August er-
hielt die Stadtverwaltung den Programmentwurf, der im Grunde schon alle Kom-
ponenten der geplanten Feier enthielt. Um die gesamte städtische Öffentlichkeit zu
mobilisieren, bemühte sich der Arbeitsausschuss einen Monat vor dem Fest um ei-
ne sehr viel größere Unterstützung bei allen militärischen und zivilen Funktionsträ-
gem. In einem Schreiben an 67 Honoratioren vom 16. September wurden alle Spit-
zen der Verwaltungen zur Mitwirkung in einem Ehrenausschuss eingeladen24. Die
hier in Auszügen abgedruckte Adressenliste spiegelte in der gewählten Rangfolge
nicht nur die Bedeutung der Funktionsträger für die Unterstützung der Jubi-
läumsfeier, sondern sie dokumentierte vermutlich auch die soziale Hierarchie in-
nerhalb der militärischen und zivilen Eliten in der Stadt aus der Perspektive des
Arbeitsausschusses:
Positionen Persönlichkeiten
1-10 1 General-Inspekteur und General Oberst Eichhorn 2 Kommandierender General von Below 3-10 weitere führende Offiziere
11 Eisenbahn-Direktionspräsident Schwering
12-15 Landgerichtspräsidenten und Justizräte
16 Landrat von Miquel
24 Ebd. 358
33
34
35-67
17-20
21-26
27-32
Superintendenten und Pfarrer
Direktoren der Gymnasien
Redakteure der lokalen Zeitungen, u.a. Saarbrücker Zeitung,
Saarbrücker Lokal-Anzeiger, Saar-Post, Saarbrücker Volkszei-
tung, Bergmannsfreund
Oberbürgermeister Mangold
Beigeordneter Dr. Bauer
Vertreter der Jugendpflege, Jungdeutschlandbund u.a.
Fabrikbesitzer, Kaufleute, weitere Pfarrer, Stadtschulinspekto-
ren, Lehrer, Ärzte (nachträglich ergänzt)
Einige dieser Honoratioren nahmen auch an den folgenden Sitzungen des Ar-
beitsausschusses teil, der nun 22 Mitglieder umfasste. Dazu gehörten neben dem
Redakteur der Saarbrücker Zeitung, Richard Posselt, auch ein Oberleutnant, ein
Stadtschulinspektor und ein Tuminspektor. In dieser Zusammensetzung wurde of-
fenbar, dass für die weiteren operativen Planungen neben dem Militär auch die
Presse ein wichtiger Partner war, ebenso wie die Schulen und Turnvereine. Man
verfügte somit im Arbeitsausschuss über alle nötigen Transmissionsriemen, um die
wichtigen Zielgruppen für eine große Jubelfeier zu erreichen.
Am 24. September wurde dann der Ehrenausschuss konstituiert: den Vorsitz
führte Hans Weszkalnys, der weiterhin auch den Arbeitsausschuss leitete. Ehren-
vorsitzender war Oberbürgermeister Mangold" , ln den folgenden Wochen lud der
Arbeitsausschuss auch noch zu öffentlichen Versammlungen ein sowie zu Bespre-
chungen mit den Vorständen der beteiligten Vereine.
Die Liste der Mitglieder des Ehrenausschusses wie auch des Arbeitsausschusses wurde in
alphabetischer Reihenfolge abgedruckt in der Saarbrücker Zeitung vom 1. Oktober 1913.
359
Insgesamt sagten 47 Vereine ihre Teiinahme zu:
St. Johann Alt-Saarbrücken Malstatt-Burbach
Turnvereine St. J. Tumerschaft Turnverein
Kriegervereine Kriegerverein SB-SJ Verein ehemal. 30er Kriegerverein SB- SJ Kriegerverein
Gesangvereine Sängerbund Männergesangverein der Fa. Dingler & Kar- cher Männerverein Konkordia, Män- nergesangverein SB, Gesangverein Germania, Ge- sangverein Froh- sinn Gesangverein Euphonia, Ge- sangverein Lie- derkranz, Ge- sangverein Ein- tracht, Sänger- bund SB-B
Arbeitervereine Evang. Arbeiterverein Kath. Arbeiterver- ein Ev. Arbeiterverein Kath. Arbeiter- verein Ev. Arbeiterver- ein
andere Saarwald verein Evang. Männer- und Jünglingsverein Oberrealschule Verein ehern. 30er CVJM Kavallerieverein, Verein ehern. 70er, Gardeverein, Kgl. Gymnasium, kath. Lehrlingsverein, kath. Jünglingsver- ein Kath. Jünglings- verein Burbacher Hüt- tenverein (1000 Teilnehmer), ev. Jugendbund, kath. Zöglingsverein, Artillerieverein MB, ev. Jugend- verein,
Es fällt auf, dass sich die Vereine beider großer Konfessionen in gleicher Weise
beteiligten. Damit waren bereits 4000-5000 Personen für den geplanten Festumzug
angemeldet, der somit zu einer Heerschau ganz unterschiedlicher Sozialgruppen
wurde, die einmütig ihre patriotische Gesinnung bei klingendem Spiel und unter
preußischen und deutschen Fahnen zur Schau stellen wollten. Dazu kamen noch die
drei oberen Klassen der Volksschulen, der höheren Schulen sowie die Pfadfinder.
Die Stadtverwaltung hielt sich bei der Planung eher im Hintergrund. Zwar be-
willigte die Stadtverordnetenversammlung 2000 Mark für die Gestaltung der Fei-
erlichkeiten, außerdem übernahm die Stadt die Ausschmückung des Landwehrplat-
zes, auf dem die Schlussfeier am Sonntag stattfinden sollte. Ansonsten beschränkte
sie sich darauf, auf eine Angleichung der Zeitpläne für das Abbrennen der Freu-
denfeuer in der Saarregion und anderen Städten in der Umgebung hinzuwirken.
Am 20. September hatte der Bürgermeister von Ottweiler in einem Schreiben an
seinen Saarbrücker Kollegen angeregt, die geplanten Freudenfeuer in den Saar-
städten und den pfälzischen Nachbarkreisen zeitgleich zu entfachen. Die Saarbrü-
cker Verwaltung nahm diesen Vorschlag auf und sandte entsprechende Anschrei-
ben an die Bürgermeister. Dabei waren zunächst auch Briefe an die Stadtverwal-
tungen in Lothringen geplant, die dann jedoch nicht abgesendet wurden. Offen-
sichtlich war nicht allen Mitarbeitern der Saarbrücker Stadtverwaltung klar, dass es
360
für die Nachbarstädte in Lothringen kaum Gründe gab, eine Jahrhundertfeier zur
Erinnerung an die Völkerschlacht durchzuführen26.
Der wichtigste Partner des Arbeitsausschusses für die Mobilisierung der Bürger-
schaft war ohne Zweifel die lokale Presse. Mit der Berufung des Redakteurs der
Saarbrücker Zeitung wurde sichergestellt, dass alle vorn Ausschuss formulierten
Aufrufe, Mitteilungen und Appelle an bevorzugter Stelle und zum gewünschten
Zeitpunkt von der führenden Lokalzeitung abgedruckt wurden. Je näher das Jubi-
läum rückte, desto umfangreicher und emotionaler wurde die Berichterstattung.
Auch die lokalen Inserenten wirkten in diese Richtung, wenn zum Beispiel Restau-
rants und Cafés damit warben, dass sie in ihren Räumlichkeiten die beste Aussicht
auf das geplante abendliche Feuerwerk auf dem Winterberg zu bieten hätten. Ein-
deutig konzentrierten sich die Berichte bis zum 18. Oktober auf die lokale Jubel-
feier. Da gab es auch Hinweise, in welchen Geschäften Lampen zur Illumination
der Häuser und Geschäfte vorrätig waren sowie Angaben zu den Fahrplänen der
Sonderzüge, die bereit gestellt wurden, um die Besucher aus der Umgebung zur
Feier nach Saarbrücken zu bringen. Allerdings wurde auch ein mehrseitiger Artikel
über die zentrale Jubiläumsfeier in Leipzig mit der Einweihung des neuen Denk-
mals publiziert. Durch diese „Medienpartnerschaft“ wurde in dramaturgisch ge-
schickter Weise bei den Lesern eine wachsende Spannung aufgebaut, die sicher
entscheidend dazu beitrug, dass schließlich weit über hunderttausend Besucher an
den Feierlichkeiten in Saarbrücken teilnahmen.
Andere lokale Tageszeitungen wie zum Beispiel die zentrumsnahe Saarbrücker
Volkszeitung oder die ebenfalls der katholischen Kirche nahestehende Saarpost
bemühten sich, der führenden Saarbrücker Zeitung nachzueifern. Auch sie druck-
ten offensichtlich bereitwillig die vom Arbeitsausschuss erarbeiteten Aufrufe und
Programme ab. Allerdings war in mehreren Beiträgen schon erkennbar, dass die
Redakteure weniger in die Festvorbereitung involviert waren und in mehreren Ar-
tikeln auch besonders über die Erinnerungsarbeit lokaler katholischer Vereine be-
richteten.
Schließlich fällt auf, dass die Akteure im Arbeitsausschuss in kurzer Zeit eine
komplexe Planungsaufgabe mit großer militärischer Präzision auf den Weg brach-
ten. So gab es zum Beispiel detaillierte Bestimmungen über das Abbrennen der
Freudenfeuer, die auch in der Saarbrücker Zeitung abgedruckt wurden: Es werden
8 Feuer abgebrannt, die am Abend des 18. Okt. Punkt 9 Uhr angeziindet werden
[...]. Das Signal zum Anzünden wird durch zwei Kanonenschläge und 3 Leuchtra-
keten gegeben, die von der Zinne des Winterberg-Denkmals Punkt 9 Uhr steigen.
Die Fackelzüge haben ihren Abmarsch von den Sammelplätzen so festzusetzen,
6 In Metz gab es am 19. Oktober nur zwei besondere Gottesdienste sowie am Nachmittag
Musikaufführungen auf öffentlichen Plätzen, siehe Lothringer Zeitung vom 17. Oktober
1913. Am 18. Oktober schrieb die gleiche Zeitung: Der Gedenktag der Jahrhundertfeier
wird hier fast nur durch einige militärische Veranstaltungen bemerkbar, und nur hier
und da deutet Flaggenschmuck auf den Festtag hin. Dazu schrieb die deutschkritische
Zeitung Le Lorrain am 16. Oktober: Jusqu 'ici nous n ’avons pas eu connaissance que des
fêtes spéciales aient été prévues à Metz pour célébrer le centenaire de Leipzig. On y aura
sans doute renoncé par égard pour la population indigène et, s 'il en est ainsi, il faut
rendre hommage à ce sentiment de délicatesse. A Thionvillepar contre [...] le centenaire
sera célébré solennellement. [...]. Il n ’est pas nécessaire d’ajouter qu 'aucun véritable
Thionvillois ne se montrera à cette séance.
361
dass sie kurz vor 9 Uhr in den Feuerstellen eintreffen11. Eine ähnlich general-
stabsmäßige Planung erforderte auch der große Festzug am Sonntagnachmittag.
Hier war schon zuvor durch Los festgelegt wurden, in welcher Reihenfolge die
Vereine und Gruppen aus den verschiedenen Stadtteilen aufzumarschieren hatten.
Da immer auch Militärkapellen, Kriegervereine und paramilitärische Verbände am
Festzug beteiligt waren, kann man wohl davon ausgehen, dass die Planer Wert da-
rauf legten, dass es bei der Aufstellung des Festzugs zu einer Symbiose von zivil-
gesellschaftlichen Gruppen und militärischen Formationen kam. Es sollte eine pat-
riotische Heerschau werden, die die untrennbare Verschmelzung von Militär- und
Zivilgesellschaft dokumentierte.
Angesichts dieses allseits erkennbaren ehrenamtlichen Engagements und der
Einmütigkeit aller Akteure erübrigt sich im Grund der Hinweis, dass es in den
Monaten vor der Jahrhundertfeier keinerlei Kritik oder Widerstand gab. In der
Stadtverordnetenversammlung dominierte die Fraktion der Nationalliberalen, Ver-
treter der SPD waren aufgrund des ungleichen Wahlrechts dort nicht vertreten. Lo-
kale Führer des Zentrums hatten zwar immer wieder gegen die nationalliberale
Mehrheit aufbegehrt, aber offensichtlich war niemand bereit, eine patriotische Ju-
belfeier kritisch zu bewerten und sich damit dem Verdacht nationaler Unzuverläs-
sigkeit auszusetzen. Dabei hätte ein Blick in die Tageszeitungen in diesen Wochen
gereicht, um zu erkennen, dass politische Konflikte, Hochrüstung und die Verlän-
gerung der Wehrpflicht den Frieden in Europa in hohem Maß bedrohten und ein
großer Krieg jederzeit möglich war.
Das Festprogramm und Grundlinien der kollektiven Gedächt-
niskonstruktion
Am 18. September sandte der Arbeitsausschuss folgenden Aufruf an die Saarbrü-
cker Bürgerschaft an alle lokalen Zeitungen, der dann auch am folgenden Tag zum
Beispiel in der Saarbrücker Zeitung auf der ersten Seite abgedruckt wurde:
Am 18. Oktober werden 100 Jahre vergangen sein, seit das gewaltige Ringen der
Völker um die Befreiung vom französischen Joch auf Leipzigs Schlachtfeldern ei-
nen Höhepunkt erreichte. Auch den Saarbrücker Landen ging auf Leipzigs blutge-
tränkten Gefilden ein neues Morgenrot auf neu wurde die Hoffnung belebt auf
baldige Erlösung von der hier länger als auf anderen deutschen Landen schwer
und drückend lastenden, nur widerwillig ertragenen Fremdherrschaft. Zwar gin-
gen die Wünsche der stets deutsch gebliebenen Saarbrücker erst im Jahre 1815 in
Erfüllung, aber die Tage von Leipzig im Jahre 1813 gaben ihnen die Kraft und das
Vertrauen zu weiterem Ausharren in ihren deutsch-patriotischen Bestrebungen,
trotz der ihnen dadurch drohenden Gefahren. Daher sollen die Erinnerungstage an
die Völkerschlacht bei Leipzig, die in allen deutschen Gauen festlich begangen
werden, gerade hier bei uns in Saarbrücken zu Vaterländischen Festtagen, zu ech-
ten deutschen volkstümlichen Feiertagen würdig gestaltet werden.
Wenn am Abend des 18. Oktober auf Saarbrückens Höhen in weitem Kranze die
Feuer zum Himmel lodern, wenn Saarbrückens Flammenzeichen hinaus leuchten
weit in die Lande, am fernen Horizont andere deutsche Freudenfeuer grüßend,
dann soll auch eine frohe heilige Begeisterung aufflammen in den Herzen von alt
27 Saarbrücker Zeitung vom 5. Oktober 1913.
362
und jung, neue Begeisterung für die Ideale, deren Pflege vor WO Jahren unser
Volk nach schweren Zeiten wieder zu stolzer Höhe emporhob.
Nicht zuletzt soll unsere Saarbrücker Feier gewidmet sein der Jugend; gerade ihr
sollen diese zur Erinnerung an die großen patriotischen Taten und Ereignisse ge-
weihten Tage ein Bild geben von dem, was die Liebe zum Vaterlande vermag, die
das Unmöglich-Erscheinende zur Verwirklichung schuf. Mit beredten Zungen wird
ihr im Angesichte der leuchtenden Flammen die Liebe zum Vaterlande, zu Kaiser
und Reich ans empfängliche Herz gelegt werden und unauslöschlich soll sie die
Erinnerung an die Eindrücke der Feier ins Mannesalter begleiten und dazu beitra-
gen, sie als Männer zu finden, wenn das Vaterland einst rufen sollte, würdig ihrer
Vorfahren von ¡813.
Die hier geschlagene Brücke von einer Vergangenheitskonstruktion, die die
Komplexität der lokalen Geschichte völlig ausblendete, hin zu einer daraus abge-
leiteten zukunftsorientierten Selbstverpflichtung nachwachsender Generationen
enthielt im Grunde bereits die zentrale Botschaft, die im Rahmen der Feiern mit al-
len Registern emotionaler Mobilisierung allen Bürgern vermittelt werden sollte.
Eine mächtige patriotische Klammer sollte alle Stände in der Stadt sowie alle Ge-
nerationen untrennbar in ihrem Einsatz für Volk und Vaterland vereinen.
Abb. I
Zu diesem Zweck wurde zwei Wochen vor Beginn der Feiern auch noch eine Fest-
Postkarte in Auftrag gegeben, die von dem Saarbrücker Maler Otto Selig gestaltet
wurde und für 10 Pfennig zu erwerben war. Sie zeigte im Hintergrund links das
neue Denkmal von Leipzig und auf der rechten Seite das im Maßstab deutlich zu
groß geratene Winterbergdenkmal. Die Verbindung zwischen beiden Monumenten
bildete ein mächtiger und sehr grimmig blickender Adler. Er war offensichtlich
von Leipzig aus in westliche Richtung gestartet. Möglicherweise brachte er den
Jahrhunderi-Feier
DER VÖLKERSCHLACHT BEI LEIPZIG
Saarbrücken OklSbCT
363
Saarbrückern von der Völkerschlacht 1813 eine symbolische Botschaft mi-
litärischer Kampfbereitschaft und Stärke. Aber man konnte die Postkarte auch so
interpretieren, dass der preußische Adler auf seinem Weg nach Westen direkt Kurs
auf das feindliche Frankreich nahm. Auch die dominierenden Grautöne der Karte
verstärkten den Eindruck, dass die bevorstehende Jahrhundertfeier schon ganz im
Zeichen eines neuen bevorstehenden Krieges stehen würde.
Ein letzter beschwörender Appell erschien in der Saarbrücker Zeitung unmittel-
bar am Tag der großen Feier28:
So soll nun auch in die Bevölkerung an der Saar, die trotz nimmer rastender Tätig-
keit sich stets einen idealen Patriotismus bewahrt hat, die rechte Feierstimmung
einziehen, damit diese vaterländischen Festtage echte, volkstümliche Feiertage
werden, an denen in Saarbrücken Alt und Jung, Reich und Arm, Bürger und Sol-
daten von einem Geiste beseelt, von einer Begeisterung getrieben, eine von echtem
deutschen Einheitsgefühl getragene Feier begehen wollen. Bald werden die heili-
gen Flammenzeichen auflodern, bald werden es die Glocken hinaus tönen weit in
die Lande, dass wir treu und dankbar unserer Väter Taten gedenken.
Gerade hier in Saarbrücken wollen wir zeigen, dass der alte preußische Geist noch
in uns lebt und dann recht zum Ausdruck kommt, wenn es sich darum handelt, je-
ner Männer zu gedenken, die uns die Wege zur deutschen Einheit gebahnt, und
dass uns noch die gleichen Empfindungen beseelen, wie unsere Helden vor 100
Jahren.
Das Festprogramm29 in Auszügen:
Samstag 18. Oktober
10.00 Uhr
11.00 Uhr
19.10 Uhr
20.30 Uhr
21.00 Uhr
Gottesdienst für die evangelischen und katholischen Mannschaf-
ten. Dazu sämtliche Offiziere und Militärbeamten; in der evan-
gelischen Ludwigskirche mit dem altdeutschen Schlachtgesang
„Kein schön’rer Tod ist in der Welt“
große Parole für verschiedene Truppenteile auf dem Ludwigs-
platz
großer Zapfenstreich, unter anderem vor dem Rathaus St. Johann
und Gebet
Fackelzüge aus den einzelnen Stadtteilen zu den Festfeuem, be-
gleitet von den Musikkorps verschiedener Regimenter
Entzünden der Feuer - Musikprogramm an der Feuerstelle:
Schülerchor „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“
Festrede
Männerchöre „Die Wacht am Rhein“
Nach Rückkehr in die Stadtteile „Deutschland, Deutschland über
alles“
____________________________________ \
28 Saarbrücker Zeitung vom 18. Oktober sowie Saarbrücker Volkszeitung vom gleichen
Tag'
29 Saarbrücker Zeitung vom 17. Oktober 1913.
364
Sonntag 19. Oktober
07.00 Uhr
10.00 Uhr
13.30 Uhr
14.00 Uhr
15.00 Uhr
17.00 Uhr
19.00 Uhr
19.30 Uhr
Großes Wecken durch Musikkorps in verschiedenen Stadtteilen
Festgottesdienst in allen Kirchen
Aufstellung des Festzuges auf dem Neumarkt
Marsch durch die Stadt zum Landwehrplatz
Patriotische Feier auf dem Landwehrplatz
Schülerchor (2000 Kinder) „O Deutschland hoch in Ehren“
Männerchor „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“
Festrede gehalten von Prof. Dr. Königsbeck
Sämtliche Musikkapellen „Heil Dir im Siegerkranz“
Männerchor „Steh fest, du deutscher Eichenwald“
Schlussgesang „Deutschland, Deutschland über alles“ mit Mu-
sikbegleitung, Glockengeläute
Nationale Ballonwettfahrt im Volksgarten mit 15-20 Freiballons
W interbergbeleuchtung
Brillant-Feuerwerk an der Saar mit 64 verschiedenen Raketen,
unter anderem Schluss-Apotheose „Gute Nacht“
ab 19 Uhr Bootskorso auf der Saar
18-20 Uhr Promenadenkonzert am Staden
20-21 Uhr Illumination der Hauptstraßen
Schon einen Tag nach der Feier berichtete die Saarbrücker Zeitung in euphori-
scher Rückblende über das Fest. Die erste Seite gehörte dabei ganz der zentralen
Feier in Leipzig, aber direkt danach erfolgte auf drei dicht bedruckten Spalten die
Würdigung von Saarbrückens Völkerfeier30. Offensichtlich gab es schon am ersten
Tag eine große Begeisterung: viele Geschäfte hatten für eine besondere Dekoration
der Schaufenster gesorgt, es gab ein Meer von Fahnen in deutschen, preußischen
und Saarbrücker Farben. Die weiteren Veranstaltungen am Abend steigerten dieses
patriotische Hochgefühl, und Tausende von Menschen säumten die Straßen, als die
Fackelzüge zu den Freudenfeuem auf den umliegenden Höhen marschierten. So
folgerte die größte Lokalzeitung, die ja einen erheblichen Anteil an dieser Mobili-
sierung hatte und sich damit auch selbst feierte: Der Glanz, der bei dieser Ge-
denkfeier dank der opferwilligen Begeisterung unserer Mitbürger zur Entfaltung
kam, sei unserem König und Kaiser ein Zeichen, dass Saarbrücken sich wohl fühlt
unter Preußens und des Reiches Aar, dessen Wacht ihm Größe und Gedeihen,
Wohlfahrt und Wohlstand, Sicherheit und Ruhe gebracht hat.
Zu den Feiern am Sonntag kamen noch mehr Besucher aus der Umgebung und
der Zuzug von auswärts steigerte sich ins Ungeheure mit der Ankunft der Nach-
mittagszüge. Schwarz von Menschen waren die Straßen. Der Festzug mit 80 Ab-
teilungen zog dann am Nachmittag zur zentralen Kundgebung zum festlich ge-
schmückten Landwehrplatz. Hier hielt Gymnasialprofessor Dr. Königsbeck, Lehrer
am Ludwigsgymnasium, die Festrede, die auch im Wortlaut in der Zeitung nach-
gedruckt wurde. Er wandte sich mit nationalem Pathos besonders an die jüngeren
Zuhörer: Wollen wir der Ahnen und ihrer Opfer ganz wert sein, dann gilt es am
heutigen Tage besonders auch für Euch liebe Kinder, denen ja diese Feier nicht
30
Saarbrücker Zeitung vom 20. Oktober 1913.
365
zuletzt gewidmet ist, denen sie eine unauslöschliche Erinnerung fürs Lehen werden
soll, heiliger Begeisterung voll, tief in Eure Herzen zu prägen als das höchste aller
Ideale das Wort: ,Das Vaterland über alles!' (Original gesperrt).
Allerdings trübten einige wenige Missgeschicke dann doch die allgemeine Eu-
phorie: so konnte ausgerechnet der Freiluftballon Saarbrücken wegen eines zu spät
entdeckten Defekts nicht an dem Wettflug teilnehmen. Zudem zog am Abend über
den Höhen starker Nebel auf, so dass die Beleuchtung des Winterbergs aus dem
Tal gar nicht mehr sichtbar war. Das änderte aber nichts an dem überschwängli-
chen Lob für den Festausschuss und alle Stadtbewohner. Nach Einschätzung der
Saarbrücker Zeitung war ein Fest zustande gekommen, wie es in dieser Bedeutung
wohl selten hier gefeiert wurde, ein Fest, an dem die Bürgerschaft der Stadt und
unserer Nachbargemeinden einhellig teilnahmen. Man kann wohl sagen, dass die
Saarbrücker Jahrhundertfeier mit zu den schönsten und imposantesten Feiern der
Gedenktage vor hundert Jahren im ganzen Deutschen Reiche gehört/1
Ergebnisse
Die Jahrhundertfeier in Saarbrücken war eine sehr gelungene Inszenierung, die den
Mythos einer harmonischen, unter dem Banner von Preußen und Deutschland ge-
einten Volksgemeinschaft zelebrierte. Als Bühne diente dazu mit Saarbrücken eine
Stadt, die gerade erst ihren Status als Großstadt erworben hatte und in der tatsäch-
lich große Bevölkerungsteile unterschiedlicher Herkunft und berufsständischer Zu-
gehörigkeit sowie unterschiedlicher Konfessionen sich in einem partiellen Assimi-
lationsprozess einander genähert hatten.
Da gab es die Allianz zwischen einheimischen und zugewanderten Funktions-
eliten in Wirtschaft, Verwaltung und Kultur. Sie hatten seit der Reichsgründung
immer enger kooperiert und waren wesentliche Träger der wirtschaftlichen und po-
litischen Dynamik während des stürmischen Städtewachstums und der Metro-
polenbildung in Saarbrücken. Der zweite Schulterschluss betraf die führenden Re-
präsentanten der Zivilgesellschaft mit den Offizieren der hier stationierten Garni-
son. Auch diese Allianz war schon seit vielen Jahren erprobt, und sie beruhte auf
einer weitgehenden sozialen Homogenität und dem gleichen Interesse am Fortbe-
stand des sozialen und politischen Status quo.
Die Jahrhundertfeier profitierte zudem von der aktiven Mitwirkung beider gro-
ßer Konfessionen. Zwar blieben die Protestanten in der Wahrnehmung der meisten
Bewohner die wirklich staatstragende Konfession auch an der Saar. Aber das Prin-
zip der Allianz von Thron und Altar galt auch für die Mehrheit der Katholiken. Sie
gestalteten ebenfalls Festgottesdienste und vereinsinterne Feiern, und ihre Pfarrer
waren gefragte Redner bei zahlreichen Veranstaltungen. Freilich war nicht zu
übersehen, dass es bei diesen spezifisch katholischen Jubiläumsfeiern andere Ak-
zentsetzungen gab: der Sieg in der Völkerschlacht war nicht der (protestantischen) 31
31 Ebd. In anderen lokalen Zeitungen war die Nachberichterstattung deutlich kürzer. Die
Saarbrücker Volkszeitung vom 20. Oktober berichtete vor allem über die Festrede. Aller-
dings gab es hinsichtlich der abendlichen Bewölkung eine ganz andere Einschätzung:
Glücklicherweise war der Abend fast nebelfrei, so dass die wundervolle Lichtwirkung in
der Dunkelheit voll zur Geltung kam. Die Saar-Post verzichtete ganz auf eine Nachbe-
richterstattung über die Jahrhundertfeier.
366
Hohenzollemmonarchie zu danken, sondern das Werk einer gnädigen göttlichen
Fügung32.
Der Verlauf der Feier zeigte auch, dass die Bürger angesichts der sehr hohen
Mobilisierung durch die Presse und Vereine sich dem damit verbundenen sozialen
Druck kaum entziehen konnten. Wenn man zum Beispiel ein Geschäft in einer der
Hauptstraßen Saarbrückens besaß, hätte der Verzicht auf eine besondere Gestal-
tung der Schaufenster oder auf die Illumination aller Fenster ohne Zweifel kritische
Bemerkungen der Nachbarn oder auch geschäftliche Einbußen zur Folge haben
können.
Vermutlich haben auch zahlreiche Arbeiter zumindest als Zuschauer an den
Veranstaltungen teilgenommen. Möglicherweise fühlten sie sich auch von der
ständeübergreifenden Verbrüderungsrhetorik mancher Festredner angezogen oder
ganz einfach von den spektakulären Darbietungen zu Wasser und in der Luft. In
jedem Fall waren sie ja mit ihren Familien in das Festgeschehen einbezogen, so-
fern sie Kinder in den entsprechenden Schulklassen hatten oder Mitglied in einem
der vielen beteiligten Vereine waren. Allerdings gab es in Saarbrücken keine ar-
beitemahe politische Gruppierung, die bedeutend und mutig genug war, ihre Oppo-
sition gegen die Jahrhundertfeier wahrnehmbar zu artikulieren ’3.
Hinsichtlich der erinnerungspolitischen Strategien wurde erkennbar, dass die
sachgeschichtlichen Fakten der militärischen Ereignisse von 1813 bei der Jahrhun-
dertfeier in Saarbrücken nur fragmentarisch und zum Teil auch bewusst verzerrt
Eingang in die Aufrufe und Festreden gefunden haben. So ist es sehr verwunder-
lich, dass es in Saarbrücken gar keinen Hinweis darauf gab, dass auch noch andere
Nationen gemeinsam mit den preußischen Heeren maßgeblichen Anteil an dem
Sieg gegen Napoleon hatten. Natürlich kann man Verständnis dafür haben, dass die
preußischen Heere bei einer Jahrhundertfeier in den Mittelpunkt des Sieges gerückt
wurden, aber das rechtfertigte nicht diese Form absichtsvollen Vergessens34.
'2 Mehrere Artikel der zentrumsnahen Saarbrücker Volkszeitung zeigen, dass auch bei den
Katholiken die Völkerschlacht einen hohen Stellenwert hatte. Zu dieser heilsgeschicht-
lichen Verklärung vgl. zum Beispiel den Leitartikel zur Völkerschlacht in der Saar-
brücker Volkszeitung am 18. Oktober: Das war ein Tag, den Gott gemacht, als vor den
Toren Leipzigs der entfesselte Völkergrimm den furchtbaren korsischen Bedrücker zu
Boden zwang. Es war ein dornenvoller Weg gewesen für das preußische Volk, der Weg
von Jena nach Leipzig, aber es war ein Weg, den Gott gewiesen hat und den ein Cherub
mit flammendem Schwerte den Preußen offenhielt. [...]. In dem lebendigen Gefühle, dass
Gott die Geschicke unseres Volkes durch 100 Jahre gnädig geleitet hat, stehen wir jetzt
vor dem gewaltigen Monumente, das deutsche Dankbarkeit und Stolz dem Gedächtnis
der Völkerschlacht vor 100 Jahren auf dem Gelände hei Leipzig errichtet haben. ,Gott
mit uns ’ soll auch heute noch der Kampfruf des deutschen Volkes sein, wenn Gott es wie-
der zu den Waffen rufen sollte, zum Kampf um Ehre und Freiheit.
Vgl. im Gegensatz dazu die Lage in Kaiserslautem, wo der Stadtrat mit seiner SPD-
Mehrheit die Beteiligung an der Jahrhundertfeier ablehnte, siehe Evelyn Weiss (wie
Anm. 12 ), S. 249f. Zu Saarbrücken Klaus-Michael Mallmann, „Das Gebiet ist bis jetzt
eine vollständige terra incognita“. Die verspätete SPD im Saarrevier, in: Mallmann u. a.
(wie Anm. 17), S. 70.
4 Ute Planert hat daraufhingewiesen, dass der Mythos der heroischen Völkerschlacht das
Ergebnis eines langwierigen Prozesses war: „Bis aus pluralen Interpretationen ein veri-
tabler Mythos entsteht, ist viel Konstruktionsarbeit nötig - viel Umdeutung und Re-
interpretation, viel zielgerichtetes Erinnern und noch mehr absichtsvolles Vergessen.“
367
Auch auf die Lokalgeschichte der Saarstädte im Jahr 1813 wurde bestenfalls in
nebulösen, zum Teil auch irreführenden oder verfälschenden Formulierungen Be-
zug genommen. Mehrfach wurde suggeriert, dass die Saarbrücker 1813 auch schon
auf der Seite der siegreichen Preußen gestanden hatten (Gerade hier in Saarbrü-
cken wollen wir zeigen, dass der alte preußische Geist noch in uns lebt; dass wir
treu und dankbar unserer Väter Taten gedenken). Offensichtlich gab es im Rah-
men der Festtagsrhetorik überhaupt keinen Platz für konkurrierende Deutungs-
muster. Es wurde eine heroische Eigengeschichte der Saarstädte konstruiert, die
sich nahtlos einfügen konnte in die dominierende Gemütslage des Jahres 1913, die
beseelt war von der nationalen Mission Preußens und dem Streben, Deutschland zu
einer Weltmacht zu machen. Da war es wichtig, in der lokalen Geschichte Konti-
nuitätslinien aufzuzeigen, die die unverbrüchliche Treue der Saarstädte zu Preußen
über ein ganzes Jahrhundert hinweg betonten. Da fiel es nicht mehr schwer, aus der
legitimatorisch aufgewerteten lokalen Vergangenheit eine Erinnerungspflicht für
die nachwachsenden Generationen zu konstruieren. Mit dieser Gedenkfeierrhetorik
des Jahres 1913 konnte man nahtlos anschließen an die Rituale und Symbole des
Spichemkults, den man allerdings noch dadurch übertraf, dass man mit der Völker-
schlachtfeier die Ursprünge der preußischen Gesinnung und Loyalität in den Saar-
städten über ein ganzes Jahrhundert hinweg feiern konnte. Eine so weit in die Ver-
gangenheit reichende emotionale Bindung an Preußen und Deutschland wiederum
verstärkte die aus dieser Kontinuität erwachsende Verpflichtung für zukünftige
Generationen, auch weiterhin - wie schon die Vorfahren - treu und opferbereit
dem Vaterland zu dienen. So wurden emotional tief verankerte Loyalitäten und ei-
ne Opferbereitschaft für Kaiser und Reich verstärkt, die jede Art von kritischer
Distanzierung und intellektueller Autonomie ausschlossen* 35.
Es bleibt die Frage, ob die an der Feier beteiligten Akteure nicht wissen konnten
oder wollten, dass diese Art der Erinnerungskonstruktion und heroischen Verklä-
rung vergangener Kriege letztlich die jugendlichen Teilnehmer manipulierte und
entmündigte, da es für sie - angesichts dieser massiven Indoktrination - keine Al-
ternative zu einer bedingungslosen Übernahme der so propagierten nationalen
Pflichten gab. Allerdings war diese mentale Mobilisierung ja gerade das zentrale
Ziel solcher Feiern - vor allem angesichts der ständig wachsenden Gefahr eines
großen Krieges in Europa. Aber hier ist die Frage zu stellen, ob die Akteure der
Saarbrücker Jahrhundertfeier eine solche Perspektive überhaupt als eine Bedro-
Siehe Ute Planert, Auf dem Weg zum Befreiungskrieg: das Jubiläum als Mythen Stifter.
Die Re-lnterpretation der napoleonischen Zeit in den Rheinbundstaaten, in: MÜLLER (wie
Anm. 3), S. 195-217, hier S. 198.
35 Hinsichtlich der strategischen Funktion der Jubiläumsrhetorik ist jedoch auch hervor-
zuheben, dass das Nachbarland Frankreich zwar als Bedrücker und Besatzer zur Zeit Na-
poleons genannt wurde, aber ansonsten fanden sich in den Appellen und Reden kaum an-
tifranzösische Elemente. Es fehlten denkbare Hinweise auf einen vermeintlichen „Erb-
feind“ oder andere Formulierungen zum Aufbau von Feindbildern gegenüber den westli-
chen Nachbarn. Ein möglicher Grund war vielleicht die Rücksichtnahme auf die zahl-
reichen Verflechtungen, die es ja in den vergangenen Jahrhunderten zwischen den Saar-
städten und Frankreich in der Politik, in Wirtschaft und Kultur gegeben hatte. Hier im
Südwesten der preußischen Monarchie verzichtete man wohl bewusst auf vulgärnationa-
listische Parolen zur mentalen Mobilmachung. Auch in Kaiserslautem gab es kaum anti-
französische Parolen bei den Jahrhundertfeiern, siehe WEISS (wie Anm. 12), S. 257f.
368
hung und Gefahr für die Menschen wahrnahmen. Für sie war ein Krieg wohl im-
mer noch ein legitimes Instrument der Politik. Sie konnten zwar nicht wissen, dass
schon zehn Monate später in Europa ein großer Krieg ausbrechen würde. Letztlich
aber leisteten sie wie viele andere einen Beitrag zu der verhängnisvollen Eskalation
der Spannungen, denn mit ihrer Art patriotischer und suggestiver Einvernahme al-
ler Teilnehmer ebneten auch sie den Weg, auf dem sich dann wenig später sehr
viele junge Männer voller Begeisterung in diesen Krieg stürzten, der schließlich
über 17 Millionen Menschen nicht nur in Europa das Leben kostete.
369
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Von schwarzen Flüssen und versinkenden Dörfern.
Plädoyer für eine umwelthistorische Erweiterung der
saarländischen Regionalgeschichte
des 19. und 20. Jahrhunderts
Peter Wettmann-Jungblut und Ludwig Linsmayer
1. Umweltgeschichte: Zur Genese eines jungen Forschungsfeldes
Seit den 1980er-Jahren hat die deutsche Geschichtswissenschaft - mit immer noch
steigender Tendenz - eine Vielzahl von Arbeiten hervorgebracht, die an amerika-
nische Pionierstudien der 1960er-Jahre anknüpften und der Disziplin Historische
Umweltforschung oder Umweltgeschichte zugerechnet werden. Der sehr stark in-
terdisziplinär ausgerichteten Disziplin mangelt es, trotz des scheinbar eindeutigen
Präfixes „Umwelt“, nach wie vor an einem exakt definierten Forschungsgegen-
stand. Da sich fast „alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens [...] aus umwelthisto-
rischer Perspektive analysieren“ lassen1, scheint das fehlende thematische und me-
thodische Profil zumindest einen Teil der Attraktivität dieses Forschungszweiges
auszumachen. Umweltgeschichte untersucht auf lokaler, regionaler oder globaler
Ebene die Geschichte der Natur - Klima, Wetter, Flora und Fauna oder „Naturka-
tastrophen“ -, die von Epoche zu Epoche differierenden gesellschaftlichen Natur-
bilder, die Beziehungen zwischen dem Mensch und seiner Umwelt oder die norma-
tiven Regelungen des Umgangs mit der Natur qua Umweltrecht und -politik, aber
auch soziale Konflikte um „Umweltgüter“ oder die Geschichte der jüngeren Um-
weltbewegungen selbst, die in den politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen
um Natur- und Umweltschutz geboren wurden. Umweltgeschichte ordnet sich nach
Joachim Radkaus Definition aus dem Jahr 1990 ein „in die Erforschung der langfris-
tigen Entwicklung der menschlichen Lebens- und Reproduktionsbedingungen.“ Sie
untersucht einerseits, wie der Mensch in der Vergangenheit durch seine natürliche
Umwelt beeinflusst wurde, anderseits, wie und mit welchen Folgen der Mensch
selbst diese Umwelt beeinflusst hat. „Dabei gilt ihre spezifische Aufmerksamkeit un-
beabsichtigten Langzeitwirkungen menschlichen Handelns, bei denen synergetische
Effekte und Kettenreaktionen mit Naturprozessen zum Tragen kommen“2.
Uwe Luebken, Undiszipliniert: Ein Forschungsbericht zur Umweltgeschichte, in: H-Soz-
u-Kult, 14.07.2010, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2010-07-001.
Joachim Radkau, Was ist Umweltgeschichte?, in: Umweltgeschichte. Umweltverträgli-
ches Wirtschaften in historischer Perspektive. Acht Beiträge (Geschichte und Gesell-
schaft, Sonderheft 15: Umweltgeschichte), hg. von Werner Abelshauser, Göttingen
1994, S. 11-28, hier S. 20. Vgl. ferner aus der Vielzahl wichtiger Veröffentlichungen:
The Ends of the Earth. Perspectives on Modern Environmental History, hg. von Donald
Worster, Cambridge-New York 1988; Umweltbewältigung. Die historische Perspekti-
ve, hg. von Gerhard Jaritz und Verena Winiwarter, Bielefeld 1994; Umweltgeschichte
heute: Neue Themen und Ansätze der Geschichtswissenschaft - Beiträge lur die Umwelt-
Wissenschaft (Environmental History Newsletter, Special Issue Nr. 1), hg. von Christian
Simon, Mannheim 1993; The Silent Countdown. Essays in European Environmental His-
tory, hg. von Peter Brimblecombe und Christian Pfister, Berlin-Heidelberg 1990;
Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher, Blauer Himmel über der Ruhr.
371
Im anglo-amerikanischen Raum gewann die die Umweltgeschichte relativ früh
eine feste institutioneile Basis: 1975 hielt die „American Society for Environmen-
tal History“ ihr erstes Treffen ab und gründete ein Jahr später das Publikationsor-
gan „Environmental Review“, das seit 1989 in Zusammenarbeit mit der „Forest
History Society“ unter dem Titel „Environmental History“ geführt wird. Das erste
europäische Institut für Umweltgeschichte wurde 1991 an der schottischen Univer-
sität von St. Andrews gegründet, dem 1999 die Gründung des „Arts and Humani-
ties Research Council (AHRC)“ an der Universität von Stirling folgte. Im selben
Jahr konstituierte sich die „European Society for Environmental History“ (ESEH),
die seit 2001 große internationale Konferenzen im zweijährigen Turnus durchführt.
Trotz der großen Anzahl erstklassiger Studien zur Umweltgeschichte und trotz
der enormen gesellschaftlichen Relevanz, die das Thema „Umwelt“ seit den
1970er-Jahren gewonnen hat, lassen sich eine vergleichbare Institutionalisierung
und Wertschätzung in Deutschland nur ansatzweise beobachten. Die Umweltge-
schichte fristet noch immer eine eher unscheinbare Randexistenz als Teil- oder
Subdisziplin der Geschichtswissenschaft, wenngleich in der letzten Dekade ein
Umschwung erkennbar ist. So ist Umweltgeschichte mittlerweile an zwei Universi-
täten, der Ruhr-Universität Bochum und der Technischen Universität Darmstadt,
Bestandteil von Lehrstuhldenominationen; seit 2004 besteht in Göttingen das vor-
erst noch bis 2013 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geforderte Gradu-
iertenkolleg „Interdisziplinäre Umweltgeschichte - Naturale Umwelt und gesell-
schaftliches Handeln in Mitteleuropa“, und 2009 wurde an der Ludwig-
Maximilians-Universiät München das „Rachel Carson Center for Environment and
Society“ gegründet. Doch Umweltgeschichte ist alles andere als historiographi-
scher Mainstream: In den „Leitdebatten der Zeitgeschichtsforschung“ sind umwelt-
historische Fragestellungen von geringer Bedeutung und die Aufnahme der „Um-
weltzeitgeschichte in den ,Kanon4 zeithistorischer Forschung steht noch aus“3, ob-
gleich mehr als evident ist, dass die Geschichte des 20. Jahrhunderts ohne Berück-
sichtigung der ungeheuren Intensität seiner fundamentalen ökologischen Verände-
rungen kaum geschrieben werden kann.
Geschichte der Umwelt im Ruhrgebiet, Essen 1992; Mensch und Umwelt in der Ge-
schichte, hg. von Jörg Calliess, Jörn Rüsen und Meinfried Striegnitz, Pfaffenweiler
1989; Arne Andersen, Umweltgeschichte. Forschungsstand und Perspektiven, in: Ar-
chiv für Sozialgeschichte 33 (1993), S. 672-701; Historische Umweltforschung. Wissen-
schaftliche Neuorientierung - Aktuelle Fragestellungen (Bensberger Protokolle 71), mit
Beiträgen von Arne Andersen, Claudia Bruch und anderen, Bensberg 1992; Umwelt-
geschichte. Themen und Perspektiven, hg. von Wolfram Siemann, München 2003; Um-
welt-Geschichte. Arbeitsfelder, Forschungsansätze, Perspektiven, hg. von Sylvia Hahn
und Reinhold Reith, München 2001; Joachim Radkau, Natur und Macht: Eine Weltge-
schichte der Umwelt, München 2000; Rolf Peter Sieferle, Rückblick auf die Natur. Eine
Geschichte des Menschen und seiner Umwelt, München 1997; John R. McNeill, Some-
thing New under the Sun: An Environmental History of the Twentieth-Century World,
New York 2000; The Frontiers of Environmental History/Umweltgeschichte in der Er-
weiterung, hg. von Frank UekÖtter, Köln 2004 (Historical Social Research 29,3); Frank
Uekötter, Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007.
Jens Ivo Engels, Umweltgeschichte als Zeitgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschich-
te 56,13 (2006), S. 32-38, hier S. 32.
372
Der Mensch begann nicht erst im 20. Jahrhundert, seine Umwelt zu beeinflussen
und zu gestalten, und die Vorstellung einer bis an die Schwelle der Moderne unbe-
schädigten Natur entspringt allenfalls romantischem Wunschdenken4. Dennoch
liegt der Schwerpunkt der Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, in denen
technische und demographische Entwicklungen Industrialisierungs- und Urbanisie-
rungsprozesse initialisierten, die eine nie dagewesene Dynamik entfalteten und
massivste Umweltveränderungen hervorriefen. Angesichts dieser naheliegenden
Fokussierung ist es umso unverständlicher, warum die saarländische Regionalge-
schichte die Thematik bisher fast völlig ignoriert hat5, stieg doch die Region an
Saar und Blies bis zum Ersten Weltkrieg zu einem der vier wichtigsten deutschen
Schwerindustriereviere auf. Der von der Körher-Stiftung getragene „Geschichts-
wettbewerb des Bundespräsidenten“, der 1986/87 wenige Monate nach der Reak-
torkatastrophe von Tschernobyl unter dem Titel „Umwelt hat Geschichte“ ausge-
schrieben wurde, löste andernorts auch außerhalb der Schulen einen kleinen Boom
der Umweltgeschichte aus, von dem in der saarländischen Geschichtslandschaft
nichts zu spüren war6. Dies gilt weitgehend auch für die historische Forschung und
Lehre an der Universität des Saarlandes; wenn das Thema aufgegriffen wurde,
dann geschah dies meist mit außersaarländischen Bezügen7.
Über die Gründe für dieses fast vollständige Fehlen von Forschungen zur saar-
ländischen Umweltgeschichte kann man allenfalls Vermutungen anstellen. Eine
naheliegende Erklärung scheint die strukturelle Schwäche der ökologischen Bewe-
gung im kleinsten deutschen Flächenstaat zu bieten: Bündnis 90/Die Grünen
schafften erstmals 1994 den Einzug in den saarländischen Landtag, womit man der
(west)deutschen Entwicklung etwa 10-15 Jahre hinterherhinkte. 1999 scheiterten
sie wiederum deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde, die bei den Landtagswahlen der
Jahre 2004, 2009 und 2012 nur jeweils knapp genommen werden konnte. Hinge-
gen scheidet eine schlechte Quellenlage als Ursache dieses Forschungsdesiderats
aus, denn sowohl das Landesarchiv als auch saarländische Kommunal- und Wirt-
schaftsarchive halten eine Fülle bislang ungenutzter einschlägiger Archivalien be-
reit. Im Folgenden soll das Potenzial des Quellenmaterials anhand zweier Fallbei-
spiele exemplarisch veranschaulicht werden. Das erste ausführlichere Beispiel do-
kumentiert verschiedene Phasen aus mehr als einem Jahrhundert der Nutzung und
Vgl. zuletzt als Überblicksdarstellung für die vorindustrielle Zeit: Reinhold Reith, Um-
weltgeschichte der Frühen Neuzeit, München 2011; Df.rs., Art. „Umwelt“, in: Enzyklo-
pädie der Neuzeit, hg. von Friedrich Jaeger, Bd. 13, Stuttgart 2011, Sp. 905-921.
5 Einige wenige Aufsätze befassen sich am Beispiel der Saar mit der Wasserproblematik,
so etwa Jo Leinen und Dietmar Schmitz, Der ausgenutzte Fluß, in: Richtig daheim wa-
ren wir nie. Entdeckungsreisen im Saarrevier 1815-1955, hg. von Klaus-Michael Mall-
mann und anderen, Berlin 1988, S. 123-127, und die Beiträge in: Die Saar. Geschichte
eines Flusses, hg. von Richard van Dülmen und Eva Labouvie, St. Ingbert 1992.
Der parallel dazu publizierte Leitfaden: Von „Abwasser“ bis „Wandern“. Ein Wegweiser
zur Umweltgeschichte, hg. von Wolf Schmidt, Hamburg 1986, wurde mehrmals nach-
gedruckt und einer der ersten „Bestseller“ der jungen Umweltgeschichte.
So in Wolfgang Behringers Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globa-
len Erwärmung, München 2007, oder in Christian Mathieus Dissertation: Inselstadt Ve-
nedig. Umweltgeschichte eines Mythos in der Frühen Neuzeit, Köln 2007, Letzterer bot
allerdings mit Antje Fuchs im WS 2004/2005 ein Proseminar „Von ,Stinkhütten1 und
Bergschäden - Die Umweltgeschichte der Saarregion im 19. Jahrhundert“ an.
373
Verschmutzung der Blies, bei denen das Neunkircher Eisenwerk eine exponierte
Rolle spielte. Das andere greift Auseinandersetzungen um Schädigungen auf, die
von der zweiten saarländischen Leitindustrie, dem Steinkohlebergbau, verursacht
wurden, und macht deutlich, dass sich Kohlenabbau und Bergschäden nicht erst im
21. Jahrhundert politisch instrumentalisieren ließen.
2. „Unser Schwarzes Flüsschen“: Wasserkonflikte und Wasser-
verschmutzung im Raum Neunkirchen vom frühen 19. Jahr-
hundert bis zur Rückgliederung des Saargebietes in das Deut-
sche Reich
Der Reiselust des gerade einundzwanzigjährigen Studenten Johann Wolfgang Goe-
the ist die erste Beschreibung der „Industriekultur“ zwischen Saar und Blies zu
verdanken. Im Sommer 1770 wanderte Goethe mit zwei Kommilitonen von Saar-
brücken durch das Sulzbachtal nach Neunkirchen und besichtigte unterwegs unter
anderem die Dudweiler Alaun- und die Friedrichsthaler Glashütte. Gegen Abend
gelangten sie nach Neunkirchen, wo ihnen die funkenwerfenden Essen ihr lustiges
Feuerwerk entgegenspielten. Wir betraten bei tiefer Nacht die im Talgrunde lie-
gende Schmelzhütten, und vergnügten uns an dem seltsamen Halbdunkel dieser
Bretterhöhlen, die nur durch des glühenden Ofens geringe Öffnung kümmerlich er-
leuchtet werden. Das Geräusch des Wassers und der von ihm getriebenen Blase-
bälge, das fürchterliche Sausen und Pfeifen des Windstroms, der, in das geschmol-
zene Erz wütend, die Ohren betäubt und die Sinne verwirrt, trieb uns endlich hin-
weg, um in Neunkirchen einzukehren, das an den Berg hinaufgebaut ist* *.
Goethes Schilderung lässt erahnen, dass der Besuch der Hütte für den jungen
Studenten eine durchaus ambivalente Erfahrung war: Auf der einen Seite schildert
er mit fast kindlicher Begeisterung das vergnügliche Erlebnis des Feuerwerks der
Funken und den Kontrast zwischen dem Dunkel der Nacht und dem Glühen des
Schmelzofens. Auf der anderen Seite scheint ihn die damit verbundene Geräusch-
kulisse fast ein wenig zu ängstigen, so dass er betäubt und verwirrt die Sicherheit
des angrenzenden Ortes Neunkirchen sucht. Goethe stand dem beginnenden In-
dustrie- und „heraufdämmemden Maschinenzeitalter“ mit sichtbarer Skepsis ge-
genüber, er huldigte nicht dem technischen Fortschritt und der Velofizierung, „der
allumfassenden Beschleunigung des Lebens“9. Jener Talgrund der Blies war zur
s Johann Wolfgang GOETHE, Dichtung und Wahrheit, 2. Teil, 10. Buch, in: Ders., Sämtli-
che Werke, Bd. 8, München 1977, S. 459; zit. nach: Armin Schmitt, Literarhistorische
Anmerkungen, in: Neunkircher Stadtbuch, hg. im Auftrag der Kreisstadt Neunkirchen
von Rainer Knauf und Christof Trepesch, Ottweiler 2005, S. 661-674, hier S. 66If.
* Vgl. dazu Schmitt, Literarhistorische Anmerkungen {wie Anm. 8), S. 661. - Goethes
Kritik der Beschleunigung findet sich im Übrigen in den Schriften Paul Virilios wieder,
der die Geschwindigkeit als das Macht- und Verwüstungsinstrument der Moderne identi-
fiziert, da jedwede technologische Entwicklung letztlich immer der Beschleunigung
dient. Virilio diagnostiziert den „rasenden Stillstand“ einer Gesellschaft, die zwar Raum
und Zeit mit hochtechnologischer Präzision beherrscht, aber an ihrer eigenen Auslö-
schung arbeitet, da die Erhöhung der Geschwindigkeit immer auch ein Akt der Gewalt
ist. Vgl. Paul Virilio, Revolutionen der Geschwindigkeit, Berlin 1993, und Ders,, Ra-
sender Stillstand, Frankfurt/Main 41997.
374
Zeit seines Besuches — trotz der von ihm als ohrenbetäubend empfundenen Geräu-
sche - noch ein vergleichsweise idyllischer Ort, und es lässt sich trefflich darüber
spekulieren, welche Eindrücke Goethe gewonnen hätte, hätte er den gleichen Ort
ein Jahrhundert später besucht. 1770 störte das eher an eine Manufaktur denn an
eine Fabrik erinnernde Ensemble aus Schmelzhütte, Ofen und Hammerwerk mit
zwei, drei Dutzend Arbeitern den noch sehr ländlichen Eindruck ebenso wenig,
wie es am Kohlwald die obere Schmelzhütte tat; Nieder- und Oberneunkirchen wa-
ren kleine Dörfer mit einer nur nach Hunderten zählenden Einwohnerschaft. Sechs
Jahre nach Goethes Stippvisite an der Blies sollte dann die Blaupause für den Auf-
stieg der industrielf-kaptitalistischen Wirtschaftsweise und ihren weltweiten Sie-
geszug erscheinen, Adam Smiths Abhandlung „The Wealth of Nations“, die zu-
gleich ein neuartiges Naturverständnis propagierte.
Der erste Theoretiker des Kapitalismus versprach, dass die technologische Be-
herrschung der Erde allen ein besseres, rationaleres und effizienteres Leben ermög-
lichen würde, konnte oder wollte die lokalen und globalen Schattenseite dieser
Herrschaft allerdings (noch) nicht sehen. Heute ermöglicht insbesondere der reich-
haltige Aktenbestand des ehemaligen Neunkircher Eisenwerkes zum einen die Re-
konstruktion der im frühen 19. Jahrhundert einsetzenden Belastung der Blies mit
Schadstoffen, die den Fluss von Neunkirchen abwärts im Lauf von etwa hundert
Jahren zur stinkenden Kloake werden ließen. Zum andern kann dieser Bestand
schlaglichtartig einige der - meist erfolglosen - Protest- und Widerstandsaktionen
der Bliesanlieger gegen die drohende Zerstörung ihrer landwirtschaftlichen Nutz-
flächen und ihrer Gesundheit beleuchten. Die Empörung der Menschen an den
Ufern der Blies, die jahrzehntelang mit nie eingelösten Versprechungen einer um-
fassenden Verbesserung vertröstet worden waren, entlud sich schließlich in den
sogenannten „Blies-Prozessen“, die in den Jahren 1928-1934 vor dem Landgericht
Saarbrücken und dem Obersten Gerichtshof des Saargebiets in Saarlouis gegen das
Neunkircher Eisenwerk, die Stadt Neunkirchen und die die Bergwerksverwaltung
als Hauptverursacher der Verschmutzung angestrengt wurden.
Zurück zur Entwicklung der Neunkircher Hütte: Im Jahre 1806 erwarben die
Gebrüder Stumm von der französischen Regierung das Eisenwerk10. Entscheidend
10 Die Darstellung der industriellen Entwicklungsgeschichte und der Neunkircher Stadtge-
schichte stützt sich im wesentlichen auf: Heinz Gillenberg, Neunkirchen - vom Meyer-
hof zur Stadtkern-Erweiterung, Neunkirchen o. J.; Ders., Spurensuche. Unterwegs durch
das alte Hüttengelände, Neunkirchen 1995; DERS., Technikgeschichte der Neunkircher
Hütte, in: Neunkircher Stadtbuch (wie Anm. 8), S. 127-146; Fünfviertel Jahrhundert
Neunkircher Eisenwerk und Gebrüder Stumm, Mannheim 1935; 400 Jahre Eisen und
Stahl aus Neunkirchen, hg. von der DHS - Dillinger Hütte Saarstahl AG, Dillingen
1993; Helmut Frühauf, Eisenindustrie und Steinkohlebergbau im Raum Neunkir-
chen/Saar, Trier 1980; Neunkirchens Geschichtszahlen, in: Saarheimat 2,1 (1958), S. 14-
17; Ludwig Martin, Neunkirchens Siedlungsraum und der Gang der Besiedlung, in: Un-
sere Heimat. Blätter für saarländisch-pfälzisches Volkstum, Jg. 1936/37, Heft 7, S. 198-
203; Bernhard Krajewski, Geschichte und Entwicklung Neunkirchens, in: 700 Jahre
Neunkirchen. Ein geschichtlicher Rückblick aus Anlass der 700jährigen Wiederkehr der
urkundlichen Erstnennung Neunkirchens 1281, hg. vom Organisationsausschuss für
das Stadtfest, Neunkirchen 1981, S. 3-53; Helmut Frühauf, Neunkirchens Siedlungs-
entwicklung in der Industrialisierung, in: Neunkircher Stadtbuch (wie Anm. 8), S. 95-
118; Joachim Jacob, Auf dem Weg zur Stadt. Neunkirchen im Industriezeitalter, in:
375
für die Standortwahl war der Faktor Wasserkraft, die der in der in Nähe des Blies-
knies gelegene „große Weiher“ lieferte, dessen ganzjährig verfügbare Staukraft
ausreichte, um mit Wasserrädern die Blasebälge zu bewegen und die Schmelztem-
peratur in den Öfen so hoch zu halten, dass das Eisen verflüssigt und gegossen
werden konnte. Mit der Übernahme durch die Familiengesellschaft der Stumms,
die im Hunsrück bereits im 18. Jahrhundert ein kleines Imperium von Hütten und
Hämmern geschaffen hatten, begann in Neunkirchen die „Eisenzeit“, wenngleich
die Hütte zunächst nur 46 Arbeiter beschäftigte. Allerdings blieb die Produktion
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch relativ „bodenständig“: sie nutzte die in
den nahen Wäldern gewonnene Holzkohle als Brennmaterial, das Wasser der Bä-
che und Weiher Neunkirchens als Antriebskraft und die in der Umgebung der Hüt-
te geschürften Erze als Rohmaterial.
1824 fanden bereits 65 Schmelzer, Former, Gießer, Hammerschmiede und sons-
tige Tagelöhner Beschäftigung; die preußische Verwaltung beklagte allerdings den
Umstand, dass seit sechs bis acht Jahren keine Produktionssteigerung zu verzeich-
nen sei, da das Werk wegen der französischen Zölle [...] nicht den möglichen und
wünschenswerten Absatz habe". Wenige Jahre später genehmigte die erste Permis-
sions-Urkunde für das Hüttenwerk, ausgestellt vom Preußischen Oberbergamt zu
Bonn am 11. April 1828, auf der Ober- und Unterschmelz jeweils den Betrieb von
einem Hochofen, einem Erz- und Schlackenpochwerk, einem Kalksteinhammer
und zwei Röstöfen; auf der Unterschmelz standen zudem drei Hämmer sowie eine
Sägemühle11 12. Die Industrialisierung Neunkirchens schritt unaufhaltsam voran:
1841 hatte das Eisenwerk 350 Arbeiter, deren Zahl bis 1854 auf 950 stieg13, und
suchte 1845 beziehungsweise 1846 um die Genehmigung zur Errichtung des zwei-
ten und dritten Hochofens auf der Unterschmelz nach. Die sich darin andeutende
gesteigerte Produktivität im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts wurde vor allem
durch den Einsatz von Steinkohle als Brennmaterial im Hochofenprozess, durch
die Einführung des Puddlingsverfahrens und die Verwendung von Dampfmaschi-
nen anstelle der alten Wasserräder ermöglicht.
Die Bevölkerungsentwicklung Neunkirchens ging in dieser Periode vergleichs-
weise moderat vonstatten. Die Einwohnerzahl Neunkirchens und Niederneunkir-
chens (wo die Hütte lag) verdoppelte sich zwischen 1809 und 1840 von etwa 1.600
auf etwa 3.100. Der Ort war trotz der Expansion der Hütte und der Gruben noch
ländlich geprägt, das Leben seiner Einwohner wurde noch eher von agrarischen als
von industriellen Erwerbsformen dominiert. Die landwirtschaftliche Nutzung der
Blieswiesen führte wahrscheinlich auch zu jener ersten aktenkundig gewordenen
Auseinandersetzung zwischen einigen Bewohnern Neunkirchens und der Familie
Stumm. Einem Gutachten des Saarbrücker Kammerpräsidenten Röchling aus dem
Stumm in Neunkirchen. Unternehmerschaft und Arbeiterleben im 19. Jahrhundert. Bilder
und Skizzen aus einer Industriegemeinde, hg. von Richard van Dülmen und Dems., St.
Ingbert 1993, S. 115-137.
11 Vgl. Stadtarchiv Neunkirchen (künftig: StAN), Abteilung AI, Nr. 395 (Fabriken und
Hüttenwerke 1805-1858), S. 11-13 und 21-23.
12 Vgl. StAN/Depositum Saarstahl AG (künftig: Dep), Bestand Akten, 1/2/28/66 (Permissi-
on 1828), Art. 2.
13 Vgl. StAN, Abteilung AI, Nr. 395, S. 145-147.
376
Jahr 182314 15 ist zu entnehmen, dass die Wiesenhesitzer von Neunkirchen mit einer
Klage gegen die Besitzer dasigen Eisenwerks deswegen auftretten wollen, weil das
große Wasser ihre Wiesen überschwammt und dabey nebst Sand und Dreck auch
gepochte Eisenschlacken darauf geführt habe. Ob es tatsächlich zum Prozess ge-
gen die Gebrüder Stumm kam, entzieht sich unserer Kenntnis; interessant ist aller-
dings die teilweise naturrechtlich anmutende Argumentation des Kammerpräsiden-
ten Röchling, der die Position der Hüttenbesitzer vertrat.
Röchling erkannte zwar den Grundsatz an, daß ein jeder mit seinem Eigenthum
so zu schalten und zu walten habe, daß daraus keine Handlung dem anderen ein
Schaden zugefügt werde; zugleich verwies er aber darauf, dass die Eigentümer das
Werk schon lange genug besäßen, um gegen die Guthsbesitzer das Recht, ihre
Schlacken bey allgemeiner Überschwemmung aufnehmen zu müssen, geltend ma-
chen zu können. Sie könnten ferner Vorbringen, daß die Fabrication des Eisens von
allgemeinem Nutzen der Gegend und des Landes sey und sich gar auf auctoritate
publica stützen, da der ehemalige Fürst des Landes der langjährige Besitzer des Ei-
senwerkes und der Schlackenpoche gewesen sei. Alle diese Umstände begründeten
daher eine Ausnahme von obiger Rechtsregel und folglich das Recht der Hüttenbe-
sitzer. Mit einer unübersehbaren Wendung ins Metaphysische fügte Röchling ge-
gen Ende hinzu, dass bei solchen Sachen, so wie überhaupt im gemeinen Leben,
manchmal jemand, wie man sagt, in die Mitte käme, worin er sich wie in die Er-
gebnisse des Himmels fügen müsse. Dies sollten die Wiesenbesitzer reiflich erwä-
gen und sich entschliessen, den ihnen vom Himmel beschärten Dreck mit der Zu-
gabe von Schlacken immerfort aus der Wiese zu karren, so wie es ihre Ureltern
schon gethan haben und es thun mußten'.
Freilich war der Dreck zu Zeiten der Ureltern - so möchte man anmerken -
wohl noch in kleineren Mengen angefallen, und zudem stellte sich die Rechtslage
im Jahre 1823 komplexer dar, als die Aussagen des Kammerpräsidenten vermuten
lassen. Neunkirchen war Teil des französischen Rechtsgebietes: In den preußischen
Rheinprovinzen galten nicht nur wasserrechtliche Regelungen des Code Civil von
1808 und des Rheinischen Ruralgesetzes vom 28. September 179116, sondern auch
die Vorgaben des französischen Gesetzes von 16. September 1807. Diese rechtli-
chen Vorgaben betrachteten, über das von Kammerpräsident Röchling thematisier-
te Verhältnis der verschiedenen Eigentumsrechte hinausgehend, Gewässerschutz
bereits als eine öffentliche Aufgabe17.
Allem Anschein nach veranlasste der Streit zwischen Hütten- und Wiesenbesit-
zem, dessen Ausgang unbekannt bleibt, die zuständigen Behörden zumindest, beim
Entwurf der bereits erwähnten ersten Permission für das Eisenwerk auch die Inte-
ressen letzterer zu berücksichtigen. In einem Schreiben vom 15. August 1827 be-
schwerten sich die Gebrüder Stumm beim Preußischen Bergamt Saarbrücken dar-
über, dass der Artikel 5 des Entwurfes bestimme, dass die Schlacken auf Halden
verstürzt werden sollen, obwohl dem Bergamt bekannt sein müsse, daß auf allen
Hütten hiesiger Gegend und so auch auf dem Neunkircher Werk die Hochofen-
StAN/Dep, Bestand Akten, 1/2/23/66.
15 Alle Zitate in: StAN/Dep, Bestand Akten, 1/2/23/66, o. S.
k' Harald Seiler, Die Gewässerbenutzungen und ihre Rechtsgrundlagen im Verlauf der Ge-
schichte des Wasserrechts, Bonn 1976, S. 46.
17 Vgl. Seiler (wie Anm. 16), S. 54f.
377
schlacken gepocht und dann den Fluthen des vorbei fließenden Baches übergeben
werden, u. zwar schon so lange als die Erinnerung und die Nachrichten reichen.
Die Stumms wollten auf dieses Recht nicht verzichten und ersuchten daher gefäl-
ligst darauf anzutragen, daß der Art. 5 annullirt werde oder allenfalls auf die
Frischschlacken Anwendung finden dürfe.
In den nächsten Monaten entspann sich ein reger Briefwechsel zwischen den
Gebrüdern Stumm, dem Bergamt Saarbrücken und dem Oberbergamt in Bonn, um
eine Minderung des großen Vorteils des Eisenwerks weitgehend auszuschließen.
Das Oberbergamt hielt die Forderung der Stumms für berechtigt und vertrat die
Meinung, dass die Aufnahme einer Verpflichtung, alle Schlacken des Werkes auf-
stürzen zu lassen, eine sehr große Belästigung des Etablissements sein würde. Am
17. März 1828 konnte das Bergamt Saarbrücken den Stumms schließlich mitteilen,
dass das königliche Oberbergamt die Absicht habe, Art. 3 und 5 des Projekts zur
Permissions-Urkunde für das Neunkircher Eisenwerk zu modifizieren18. Die Hütte
konnte weiterhin ihre Produktionsabfälle möglichst einfach und kostengünstig ent-
sorgen, denn die endgültige Fassung des Art. 5 der Permission lautete: Die Schla-
cken des Eisenwerks sind, soweit solche nicht verpocht und dadurch weggeschafft
werden, durch die Permissionaire in der Art verstürzen zu lassen, daß solche durch
den hohen Wasserstand der Blies nicht erreicht und nicht fortgeschwemmt werden
können9.
Dass es den Stumms gelang, das Königliche Oberbergamt zu einer für sie güns-
tigen Revision der ursprünglichen Bestimmungen zu bewegen, dürfte in erster Li-
nie ein Verdienst des Bergamtes Saarbrücken und gerade deshalb kein Zufall ge-
wesen sein. Die Korrespondenz des Bergamts trägt die Unterschrift Heinrich Bö-
ckings (1785-1862), der seit 1816 als Assessor und Leiter des Finanzwesens ange-
stellt war. Böcking „entstammte einer weit verzweigten rheinischen Unternehmer-
familie, deren Ursprung im Hunsrück lag“. Sein Vater Adolf Böcking hatte zur
gleichen Zeit wie Friedrich Philipp Stumm das Gymnasium in Trarbach besucht, er
selbst hatte 1809 dessen Tochter Charlotte Henriette Stumm geheiratet sowie vor
1811 für kurze Zeit im Neunkircher Eisenwerk gearbeitet. So liegt die Vermutung
nahe, dass Böcking, der 1814 und 1832-1838 Bürgermeister von Saarbrücken war
und 1844 als Oberbergrat aus dem preußischen Staatsdienst schied, sich die Forde-
rung der Familie seines Schwiegervaters nicht allein aufgrund ihrer Rechtmäßig-
keit oder Billigkeit zu eigen machte; schon 1814/15, als er sich für den Anschluss
des Saargebietes an Preußen stark gemacht hatte, war „seine patriotische Begeiste-
rung angezweifelt worden mit der Unterstellung, daß er im Dienste der Stumm-
schen Interessen stände“* 19 20.
Trotz der Proteste der Wiesenbesitzer scheint sich zwei Jahrzehnte lang nichts
an der Art der Schlackenentsorgung der Hütte geändert zu haben, worauf eine Re-
monstration einiger Grundbesitzer hindeutet, die diese am 16. August 1845 gegen
das Stummsche Permissions Gesuch zur Anlage eines vierten Hochofens an das
Bergamt zu Saarbrücken richteten. Sie beklagten den Umstand, dass seit vielen
Jahren die vom Hüttenwerk in die Blies geworfenen Schlacken bei Hochwasser ih-
1K Alle Zitate aus: StAN/Dep, Bestand Akten, 1/2/24/20, o.S.
19 StAN/Dep, Bestand Akten, 1/2/28/66, o. S.
20 Vgl. dazu Fritz Hellwig, Heinrich Böcking, in: Saarländische Lebensbilder, Bd. 2, hg.
von Peter Neumann, Saarbrücken 1984, S. 117-159, Zitate S. 117 und 139.
378
re Wiesen derart versandet hätten, dass mancher der Wiesenbesitzer 30 bis 40 Wa-
gen voll Schlacken aus seinem Eigenthum wegschaffen müsse. Während in frühe-
rer Zeit seitens des Hüttenwerks nach Umständen Entschädigungen gereicht wor-
den wären, hätte man ihnen diese in der letzten Zeit durch das Werk versagt. Die
jetzt bereits enormen Schäden würden jedoch fraglos zunehmen, wenn dieses Hüt-
tenwerk durch die beabsichtigte Anlage vergrößert würde, und sich für die bemitt-
lerte Klasse wohl um das Dreifache erhöhen. Die ärmere Klasse dagegen, der hier
gar keine materielle Mittel zur Wegräumung dieser Schlacken- Versandung zu Ge-
bote stehen, würde sich am Ende gar keiner oder einer nur sehr geringen Heuernd-
te zu erfreuen haben.
Die Klagen der Grundbesitzer sollten nicht ohne Konsequenzen bleiben, denn
das Verfahren zur Vergabe von „Permissionen“ hatte in diesem Jahr eine grundle-
gende Neuregelung erfahren: Am 17. Januar 1845 war die Allgemeine Gewerbe-
ordnung in den preußischen Staaten in Kraft getreten. Neben der Aufhebung ver-
schiedener Einschränkungen der Gewerbefreiheit war mit dieser gesetzlichen Neu-
regelung ein Genehmigungsverfahren für verschiedene gewerbliche Anlagen ge-
schaffen worden21. Um eine Genehmigung war bei der Regierung nachzusuchen;
unzulässige Gesuche, also solche, bei denen die beabsichtigte Anlage nach dem
Ermessen der Regierung mit [...] erheblichen Nachhteilen, Gefahren oder Belästi-
gungen für die Nachbarn oder für das Publikum überhaupt verbunden ist21, waren
sogleich zurückzuweisen, die übrigen im Amtsblatt zur öffentlichen Kenntnis zu
bringen, mit der Aufforderung, etwaige Einwendungen gegen die neue Anlage bin-
nen vier Wochen anzumeldenn.
Dieses Antrags- und Einwendungsverfahren wie auch die Benennung eines Ka-
talogs von genehmigungsbedürftigen Anlagen stellen sich als sehr modern dar.
Wesentliche Elemente dieses Verfahrens haben sich bis heute erhalten: Das Bun-
des-Immissionsschutzgesetz, das erst im Jahre 1974 einschlägige Abschnitte der
Gewerbeordnung von 1869 ablöste, gestaltet auch heute noch die Einleitung des
Genehmigungsverfahrens, Bekanntmachungen, Einwendungen und Erörterungs-
termin in vergleichbarer Weise aus24. Das Vorbringen der Grundbesitzer musste al-
so bereits im Jahre 1845 im Rahmen eines Erörterungstermins geprüft werden.
Zweck dieses Verfahrens war eine Prüfung des Antrags und der Einwendungen
durch die Regierung, die die Aufgabe hatte, nach dem Befunde die Genehmigung
entweder zu versagen, oder unbedingt zu ertheilen, oder endlich bei Ertheilung
Vgl. Allgemeine preußische Gewerbe-Ordnung nebst dem Entschädigungsgesetz: vom
17. Januar 1845, Elberfeld 1845, Titel II: Bedingungen des Gewerbebetriebs, S. 6ff. Vgl.
dazu auch Günter Heine, Umweltschutzrecht aus historischer Sicht - Vom Beginn der
Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert, in: Von der Angst zur Ausbeutung. Umwelterfahrung
zwischen Mittelalter und Neuzeit, hg. von Ernst Schubert und Bernd Herrmann,
Frankfurt/Main 1994, S. 157-183.
“ Allgemeine Gewerbe-Ordnung (wie Anm. 21), § 29, S. 10.
Allgemeine Gewerbe-Ordnung (wie Anm. 21), § 30, S. 11.
4 ^gf § 10 Abs. 1 und 3-6 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Gesetz zum Schutz vor
schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütte-
rungen und ähnliche Vorgänge vom 15.3.1974),
URL: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/bimschg/gesamt.pdf.
379
derselben diejenigen Vorkehrungen und Einrichtungen vorzuschreiben, welche zur
Abhülfe geeignet sind1'.
Da die Wiesenbesitzer voraussahen, dass die von ihnen angeführten Einwände
wohl genügten, um eine völlige Remonstration zu begründen, baten sie darum, der
Hütte die Verpflichtung aufzuerlegen, entweder die Reinigung der versandeten
Grundstücke zu bewirken oder zumindest den durch die Wegräumung etc. verur-
sachten Schaden zu bezahlen. Denkbar wäre allerdings auch, das Hüttenwerk an
eine ähnliche Vorschrift zu binden, wie solche auf der obern Schmelz bestehe,
nämlich die Schlacken an einen dazu bestimmten Platz abfahren zu lassen"6. Durch
den Einspruch der Neunkircher Bürger zog sich das Genehmigungsverfahren für
den vierten Hochofen bis Mitte 1846 hin. Das Königliche Oberbergamt für die
Rheinprovinz vertrat die Auffassung der Gebrüder Stumm, dass nämlich die Er-
weiterung des Schlackenpochwerks nicht wegen der großem Menge der zu verpo-
chenden Schlacken, sondern wegen der bessern Benutzung der Wasserkraft projec-
tirt worden sei. Die Einwendungen wollte es nur insofern berücksichtigt wissen,
dass die Verpflichtung zur Entschädigung in die Permissions-Urkunde aufgenom-
men werden sollte27. Auch der Neunkircher Bürgermeister Carl Bartz plädierte für
die Erteilung der Konzession. Er verwies dabei auf die positive Haltung des Ober-
bergamtes und versäumte nicht, pflichtgemäß zu bemerken, daß das hiesige Hüt-
tenwerk für die Eingesessenen dahier und der Umgegend in manichfacher Hinsicht
zu sehr erheblichem Vortheile gereiche. Seine Vergrößerung sei daher für das all-
gemeine Interesse durchaus wünschenswerth, was sich besonders in der gegenwär-
tigen bedrängten Zeit recht merklich herausstellen werde"8.
Die preußische Bergwerksadministration ging dennoch zumindest teilweise auf
die Einwendungen der Wiesenbesitzer ein. Sie versagte den Stumms zwar erwar-
tungsgemäß nicht den Ausbau des Werkes, nahm aber entsprechend den Vorschlä-
gen des Oberbergamtes folgende Bestimmung in Artikel 7 der Permissions-
Urkunde „für die Vergrößerung des Neunkircher Eisenhüttenwerkes durch Anlage
eines vierten Hochofens“ vom 23. Juli 1846 auf: Der Permissionair ist im Allge-
meinen für den durch den Betrieb der Anlage entstehenden Schaden Entschädi-
gung zu gewähren verpflichtet, und hat sich, der Behörde gegenüber, in allen Stü-
cken nach den gegenwärtigen und zukünftigen Gesetzen und Instruktionen für die
Berg- und Hüttenwerke zu richten und zu verhalten^.
Ohne die wohlwollende Protektion des mittlerweile in den Ruhestand versetzten
Heinrich Böckings schienen die Neunkircher Hüttenbesitzer nicht mehr in der Lage
zu sein, ihren Forderungen bei den Behörden den notwendigen Rückhalt zu si-
chern. Ein gutes Jahr später, am 8. November 1847, stellte das Oberbergamt Bonn
den Gebrüdern Stumm den Entwurf zur beantragten Genehmigung der Umände-
rung und Vergrößerung des Puddlingswerkes zu, dessen Artikel 6 jenen Artikel 7
der obigen Permission im Wortlaut übernommen hatte. Das Eisenwerk war mit * 26 27 28 29
So die Formulierungen des § 32 der Allgemeinen Gewerbe-Ordnung. Eine vergleichbare
Regelung findet sich heute in § 12 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.
26 StAN/Dep, Bestand Akten, 1/2/45/22 (Einspruch wegen Schlackenentfall zur Genehmi-
gung des 4. Hochofens, 1845), o. S.
27 StAN, Abteilung AI, Nr. 395, S. 212f.
28 Ebd., S. 215f.
29 StAN/Dep, Bestand Konzessionen, Mappe 13, Nr. 7, o. S.
380
dem Entwurf einverstanden, monierte allerdings die Bestimmung von Artikel 6
und bat darum, ihn zu streichen. Denn obwohl das Puddlingswerk sowohl seiner
Natur, als seiner Lage nach wohl Niemand Schaden bringen wird, könne eine sol-
che Bestimmung doch mancherlei Auslegung erleiden, und namentlich zu mancher-
lei Streitigkeiten und Schikanen benachbarter Grundbesitzer Anlaß geben, wenn
auch vielleicht erst in späterer Zeit, wo die Ausdehnung des Dorfes in diese Rich-
tung statt finden könnte, und schon allein der Rauch u.s.w. Ursache genug zur Ent-
schädigungsklage geben dürfte.
Doch der Bescheid des Bergamtes vom 18. Dezember war in kühlem Ton gehal-
ten; man erwiderte, jeder Hüttenbesitzer könne vorkommenden Falles entstehenden
Schadens, welcher durch hüttenmännische Anlage veranlaßt worden ist, zu vergü-
ten nöthigenfalls auf gerichtlichem Wege angehalten werden. Man könne deshalb
die Abänderung des zurückfolgenden Entwurfes der gewünschten Weise höhern
Ortes nicht unterstützen'0. Die Firma musste wohl oder übel den Passus zu mögli-
chen Entschädigungsansprüchen akzeptieren und schickte dem Bergamt am 30.
Dezember ihre Submissionserklärung zu, so dass Artikel 6 der Permissionsurkunde
vom 23. Februar 1848 gemäß dem Entwurf formuliert werden konnte ’1.
1858 trat Karl Ferdinand Stumm in die Leitung des Neunkircher Eisenwerks
ein, das er von 1871 bis zu seinem Tode im Jahr 1901 allein leitete, ln der Ära
Stumm entstand jener Industriekomplex aus Süd- und Nordwerk mit Hochofen-
gruppe, Stahl- und Walzwerk und Kokerei, der Neunkirchen in fast unveränderter
Form bis 1983 prägen sollte. Die Belegschaft des Werkes wuchs von rund 2.000
Arbeitern und Beamten im Jahr 1874 über 4.500 im Jahr 1905 auf etwa 5.200 am
Vorabend des Ersten Weltkriegs an, die Bevölkerung Neunkirchens vermehrte sich
- vor allem auch dank des starken Personalbedarfes der Gruben Heinitz, Dechen,
König und Wellesweiler- in dem halben Jahrhundert zwischen 1860 und 1910 von
knapp 5.000 auf über 36.000 Einwohner. Der rasante Bevölkerungsanstieg sorgte
im Verbund mit der Expansion von Hütte und Gruben dafür, dass häusliche, ge-
werbliche und vor allem industrielle Einleitungen die Blies und ihre Nebenflüsse
Schritt für Schritt in reine Abzugskanäle für Schmutzwasser um funktionierten. Der
Sinnerbach etwa war bereits 1886 durch Grubenwasser derart verunreinigt, dass
sein Wasser selbst für die Betriebszwecke des Eisenwerkes nahezu unbrauchbar
war. Per Vertrag verpflichtete sich die Bergwerksdirektion Saarbrücken, der Hütte
eine einmalige Entschädigungssumme in Höhe von 80.000 Mark zu zahlen,
wodurch die durch Einführung der aus den fiskalischen Grubenbauen herriihren-
den Grubenwasser in den Sinnerthalbach zugefügten Nachtheile abgegolten wer-
den sollten32.
Für viele Bewohner des unteren Bliestales bedeutete die sich binnen einer oder
zweier Generationen vollziehende Metamorphose der Blies zu einem schwarzen 30 * *
30 Alle Zitate aus: StAN/Dep, 1/2/28/12 (Verschiedene Permissionen mit Schriftverkehr,
1828-1850), o. S.
Vgl. StAN/Dep, Bestand Konzessionen, Mappe 25, Nr. 3.
StAN/Dep, o. Nr. (Beiakten zum Parkweiher-Prozess): Vertrag über Leistung einer Was-
serentschädigung seitens der Königlichen Bergwerksdirektion in Saarbrücken an die
Firma Gebrüder Stumm in Neunkirchen vom 29. Juni 1886.
381
Flüßchensowohl eine ernste Bedrohung ihrer Subsistenzgrundlage als auch die
radikale Zerstörung eines Teiles ihrer natürlichen Umwelt, der sie in ihrer Kindheit
oder Jugend noch völlig anders begegnet waren. Die Auswirkungen dieser Ent-
wicklung zeigten sich zunächst im Rückgang beziehungsweise völligen Ver-
schwinden der einst reichen Fischbestände in der Blies, so dass die Blies im Raum
Neunkirchen spätestens um die Jahrhundertwende ein toter Fluss war. Im August
1900 stellte der Gemeinderat Wellesweiler fest, daß sich kaum oder nur sehr weni-
ge Fische wegen Einmündung schlechter Wasser in die Blies mehr aufhalten kön-
nen. Zugleich räumte man dem Fischereipächter Karl aus Neunkirchen das Recht
ein, nach Ablauf des ersten Pachtjahres die Fischerei zu kündigen. Eine Rückzah-
lung des schon gezahlten Pachtzinses für das 1 Jahr wird von der Vertretung nicht
genehmigt. Pächter möge sich an diejenigen Personen wenden, die Schuld sind,
daß keine Fische mehr in der Blies sind34 Zehn Jahre später klagte dasselbe Gre-
mium: Durch die Einläufe schlechten Wassers der industriellen Werke der Gebrü-
der Stumm und Bergfiskus in die Blies sind die Fische krepiert und mußte die Ge-
meinde dem Pächter die schon erhobene Pacht von 60,- M wieder zurückerstatten,
weil keine lebenden Fische mehr vorhanden waren und bis jetzt auch nicht vor-
handen sind''.
Die Klagen des Wellesweiler Gemeinderates machen deutlich, dass sich das
Problem der Wasserverschmutzung langsam flußabwärts verlagerte, ohne dass in
Neunkirchen selbst eine Besserung eingetreten wäre. Verantwortlich dafür war
auch der Beschluss der Gemeinde Neunkirchen zur Bliesbegradigung: In mehreren
Etappen - 1899-1902, 1907/08, 1919/20 und schließlich 1935 - wurde der kurven-
reiche Verlauf der Blies im Sinne der veränderten kommunalen Bedürfnisse zu-
nächst innerhalb des Neunkirchener Stadtgebietes und schließlich bis nach Wel-
lesweiler begradigt und kanalisiert. Begründet wurden die Maßnahmen zum einen
mit der dadurch erhofften Beseitigung der alljährlichen Überschwemmungen der
flussnahen Wiesen durch das Hochwasser der Blies. Zum andern sollten sie
Neunkirchens Bürger vor dem verschmutzten Wasser der Blies schützen, indem
die Fließgeschwindigkeit des Flusses innerhalb des Stadtgebiets erhöht wurde.
Ferner benötigte die gerade um die Jahrhundertwende expandierende Gemeinde
neues Bauland, das bislang in den Talauen nicht zur Verfügung gestanden hatte.
Und schließlich feierte das nationalsozialistische Regime wenige Monate nach der
Rückkehr des Saargebietes ins Deutsche Reich die Baumaßnahmen des Jahres
1935 als größte Arbeitsbeschaffung im Saarland, mit deren Hilfe Arbeit und Brot * 34 35 *
So K. Wildberger, Die Blies in Neunkirchen, Heimatkundliche Betrachtungen über un-
ser schwarzes Flüßchen, in: Saarländische Tageszeitung vom 29. November, 2., 6., 13.
und 20. Dezember 1941. Wildberger beklagte keineswegs die Verschmutzung der Blies,
sondern wollte sie verlegt sehen, damit eine Reihe weiterer Nebensächlichkeiten, wie of-
fene industrielle Einläufe, die auch unsichtbar der Blies zugeführt werden können, ferner
die einen unästhetischen Anblick bietenden, auf der Blies schwimmenden braunen und
weißen Schaumgebilde [...] dann verschwinden werden.
34 StAN, Beschlussbuch des Gemeinderates Wellesweiler, 4.7.1891-7.3.1905, Eintrag vom
4. August 1900, S. 240.
35 Beschlussbuch des Gemeinderates Wellesweiler vom 5.3.1910, zit. nach: Ellen Lore,
Die Blies in Neunkirchen. Betrachtungen zur Geschichte eines Flusses, in: Unsere Um-
welt- Mitteilungen für die Schützer von Natur und Landschaft, H. 3+4 (1987), S. 10.
382
gespendet und die Bevölkerung für den Nationalsozialismus gewonnen werden
sollte36.
ln den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts führten vor allem die Mitglieder der
Wässereigenossenschaft Wellesweiler einen verzweifelten Kampf mit den Vertre-
tern von Politik und Industrie um die Reinhaltung der Blies. Viele Wellesweiler
Bürger, die als typische „Arbeiterbauem“ in Hütte oder Gruben beschäftigt und
zugleich Nebenerwerbslandwirte waren, befanden sich sicher in einer ambivalen-
ten Position, denn wer klagt schon gerne gegen seinen Arbeitgeber? Die geringfü-
gigen Entschädigungen, die sie für den Minderertrag ihrer Wiesen erhielten, waren
kaum der Rede und stets mit dem Vorwurf gekoppelt, sie würden es bei ihren Wie-
sen an der nötigen Pflege fehlen lassen37. Die Hauptschädiger - Eisenwerk, Gru-
ben und Stadt - stritten untereinander über die Höhe des je eigenen Anteils an der
zunehmenden Wasserverschmutzung und blockierten durch ihre Konflikte weitrei-
chende Besserungsmaßnahmen; die Stadt Neunkirchen verstieg sich gar zu der -
gutachtlich abgesicherten - Behauptung, dass ihre Abwässer nur düngend wirken
und daher nützen, nicht aber schaden™.
Die Auseinandersetzung wurde zusehends zum Gutachterkrieg. So gab die Bür-
germeisterei Neunkirchen 1901 bei der Versuchsstation des landwirtschaftlichen
Vereins für Rheinpreußen in Bonn ein Gutachten zu den Schädigungen der Wel-
lesweiler Wiesen in Auftrag. Nach einer Stauung der Blies im Jahr 1899 hatten vie-
le Wiesen in Flussnähe im Mai 1900 wie verbrannt ausgesehen, der Graswuchs
fehlte entweder völlig oder war nur äußerst spärlich. Bei einer Begehung der Wel-
lesweiler Wiesen durch den Vorsteher der Versuchsstation erwiesen sich grosse
Flächen Gras durch einen weissen bis roten Ueberzug zusammengeklebt oder
schwarz verschlemmt, an den Bachrändern der Blies war streckenweise jegliche
Vegetation abgestorben. Als ursächlich für die Beschädigungen des Grases erach-
tete er primär Algen, Infusorien, Eisen- und sonstigen Schlamm [...], welche in
Blies und Wässerungsgraben im Laufe der Jahre sich angereichert haben und bei
der Bewässerung über die Wiesen geschwemmt wurden. Schließlich führte er die
Verfilzung des Wiesenbodens primär auf das nach seinem Gehalte an Salzen spe-
ziell Schwefelsäure zur Wässerung ungeeignete Blieswasser zurück, welches im
Laufe der Jahre zur Degeneration des Bodens geführt habe 7.
In den nächsten Jahren wurden noch weitere Gutachten erstellt, die teilweise das
genaue Gegenteil des oben zitierten behaupteten, so etwa durch die Chemische Ab-
teilung der Emschergenossenschaft in Essen, die 1909 im Auftrag des Wasserwirt-
schaftlichen Verbandes für die Firma Gebrüder Stumm die Verwendbarkeit des
Blieswassers zum Berieseln von Wiesen anhand von drei durch das Eisenwerk ent-
nommenen Proben untersuchte. Die Experten der Emschergenossenschaft kamen
zu dem Schluss, dass das Blieswasser aufgrund seiner chemischen Zusammenset-
zung zur Wiesenberieselung durchaus geeignet sei, vorausgesetzt, dass es stets den
eingesandten Proben entspreche. Das Wasser sei nicht nur recht arm an Kochsalz, * 38 39
Vgl. Lore, Die Blies in Neunkirchen, S. 3-8.
Schreiben des Bürgermeisters der Stadt Neunkirchen an den Abgeordneten Herrn Gene-
ralleutnant a. D. von Schubert, 5. Mai 1909, in: StAN/Dep, 1/4/02/34 (Entschädigungen
für die Wässereigenossenschaft Wellesweiler 1902-1934), o. S.
38 Ebd.,o. S.
39 StAN/Dep, 1/6/29/12 (Prozessakten und Gutachten Gewässerverunreinigung 1902-1931).
383
sondern besitze überhaupt in seinen gelösten Bestandteilen keinerlei Stoffe in sol-
chen Mengen, dass man daraus irgend einen schädlichen Einfluss für den Pflan-
zenwuchs herleiten könne40.
Ob die Widersprüchlichkeit der Gutachten unterschiedlichster Provenienz dazu
beitrug, gezielte Verbesserungsmaßnahmen weiterhin zu blockieren, ist fraglich.
Es mangelte wohl vor allem am politischen Willen, die Proteste des „niederen
Volkes“ ernst zu nehmen, obwohl gerade um die Jahrhundertwende das Problem
der (städtischen) Abwasserbeseitigung und Wasserverschmutzung ausgiebig disku-
tiert wurde41 und die Kommunen aufgrund der nur in Teilbereichen gegebenen
staatlichen Gesetzgebung (wie etwa der preußischen Gewerbeordnung) die Mög-
lichkeit einer eigenständigen aktiven Umwelt(schutz)politik besaßen42. Daran än-
derte auch die Tatsache nichts, dass Bartholomäus Koßmann, der seit 1912 den
Wahlkreis Ottweiler als Abgeordneter des Zentrums im Deutschen Reichstag ver-
trat, die Verunreinigung der Blies in der Reichstagssitzung vom 1. Februar 1913
zur Rede brachte. Koßmann stellte heraus, dass die Abwässer des Eisenwerks, der
Bergwerke und der Gemeinde Neunkirchen den Fluss in einer Weise belasteten,
daß eigentlich die Regierung bezw. die Gesundheitspolizei schon längst hätte ein-
40 StAN/Dep, 1/4/02/34, o. S.
41 Vgl. etwa Hermann Salomon, Die städtische Abwässerbeseitigung in Deutschland. Wör-
terbuchartig angeordnete Nachrichten und Beschreibungen städtischer Kanalisations- und
Kläranlagen in deutschen Wohnplätzen (Abwässer-Lexikon), Jena 1906; Heinrich ZELL-
ner, Die Verunreinigung der deutschen Flüsse durch Abwässer der Städte und Indust-
rien, Berlin 1914; Josef König, Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Flüsse, Berlin
1903; Georg Bonne, Deutsche Flüsse oder deutsche Kloaken? Eine ernste Mahnung in
letzter Stunde an unsere Regierungen und an unser Volk, Hamburg 1907; F. GUTH, R.
Häuser und A. Zitek, Die Ergebnisse von Untersuchungen der Saar auf der Strecke von
Güdingen bis Völklingen und die Reinhaltung des Flusses im Gebiete der Stadt Saarbrü-
cken bzw. im Saarindustriegebiet, in: Gesundheits-Ingenieur. Zeitschrift für die gesamte
Städtehygiene 41 (1918), Nr. 33, S. 293-302, Nr. 34, S. 305-313, Nr. 35, S. 317-319. -
Auch die Forschung hat sich dieses Themas intensiv angenommen: Ulrike Klein, Die
Gewässerverschmutzung durch den Steinkohlebergbau im Emschergebiet, in: Westfalens
Wirtschaft am Beginn des Industriezeitalters, hg. von Hans-Jürgen Teuteberg, Dort-
mund 1988, S. 337-358; Johann Paul, Die Rheinverschmutzung in Köln und Leverkusen
im 19. und 20. Jahrhundert, in: Die Alte Stadt 18 (1991), S. 385-402; ders., Flußverun-
reinigung und Gewässeraufsicht im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel der Sieg im
Landkreis Altenkirchen, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 17 (1991), S.
227-239; John von Simpson, Die Flußverunreinigungsfrage im 19. Jahrhundert, in: Vier-
teljahrschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 65 (1978), S. 370-290; Jürgen BÜ-
SCHENFELD, Flüsse und Kloaken. Umweltfragen im Zeitalter der Industrialisierung (1870-
1918), Stuttgart 1997; Günter Heine, Ökologie und Recht in historischer Sicht, in: Öko-
logische Probleme im kulturellen Wandel, hg. von Hermann Lübbe und Elisabeth STRÖ-
ker, o. O. 1986, S. 116-134; Thomas Rommelspacher, Das natürliche Recht auf Was-
serverschmutzung. Geschichte des Wassers im 19. und 20. Jahrhundert, in: Besiegte Na-
tur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Franz-Josef BrÜGGE-
meier und Thomas Rommelspacher, München 1987, S. 42-63.
42 Vgl. Engelbert Schramm, Kommunaler Umweltschutz in Preußen (1900-1933). Veren-
gung auf Vollzug durch wissenschaftliche Beratung?, in: Stadt und Gesundheit. Zum
Wandel von „Volksgesundheit“ und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und frühen
20. Jahrhundert, hg. Von Jürgen Reulecke und Adelheid Gräfin zu Castell Rüden-
hausen, Stuttgart 1991, S. 77-89.
greifen müssen. Durch diese Verunreinigung der Blies entstehen gesundheitliche
Schäden für die Anwohner und ferner in erheblichem Maße auch wirtschaftliche
Schäden für diejenigen Landwirtschafttreibenden, die am Bliesbett ihre Wiesen
haben. Besonders trifft dies für zahlreiche Bewohner aus der Bergmanns- und
kleinlandwirtschaftlichen Gemeinde Wellesweiler zu. Dort führe man seit 1902 er-
folglos Klagen gegen die Missstände, sei es bei Behörden des Kreises, des Regie-
rungsbezirkes Trier oder der Berliner Regierung. Die Petenten seien der Ansicht,
daß den Beschwerden deshalb nicht stattgegeben wird, weil man an gewissen Stel-
len die Meinung zu haben scheint, daß die meist kleinen Leute, um die es sich hier
handelt, gegen die Großindustriellen und gegen den Bergfiskus, auf dem Rechts-
wege, auf den es schließlich ankommt, doch nichts ausrichten können, weil ihnen
die Mittel dazu fehlen^.
Das Bestreben der Geschädigten, gegen die zunehmende Verunreinigung der
Blies doch etwas auszurichten, intensivierte sich schließlich in den späten 1920er-
Jahren und nahm zugleich andere Formen an. Im Sommer 1927 schlossen sich
zahlreiche Vertreter von Kommunen des saarpfalzischen Bliestales - Limbach,
Blieskastel, Niederbexbach. Limbach, Schwarzenacker - und des Bezirkamtes
Homburg zu einer Interessenvereinigung zusammen, die entschlossen war, den
Prozessweg zu beschreiten, ln einer Resolution wies man nochmals darauf hin,
dass sich die Verunreinigung gerade im Sommer als jeder Hygiene spottendefrj
Zustand für die Gesamtbevölkerung der anliegenden Bliesdörfer durch pestilenzar-
tigen Gestank besonders bemerkbar mache und verlieh der Erwartung Ausdruck,
daß die Regierungskommission neben dem heute in die Wege geleiteten Zivilprozeß
baldigst auf dem Verwaltungsweg für Abhilfe sorgen werde* 44. In den nächsten Jah-
ren kam es zu weiteren Protestversammlungen und Eingaben, und der Ton der
Presse verschärfte sich. Die kommunistische „Arbeiterzeitung“ erschien im Sep-
tember 1929 mit einem Artikel zur Pest über Neunkirchen und gab klar zu verste-
hen, dass kein NOTRUF zu Kreis und Regierung, sondern nur der Kampf der pro-
letarischen Klasse helfen werde45. Etwas moderater berichtete die sozialdemokrati-
sche „Volksstimme“ unter dem Titel Die Blies als Verpesterin der Landschaft über
die Bürgerproteste in Wellesweiler. Sie unterstützte nachdrücklich den nur zu be-
rechtigten Notschrei der betroffenen Bevölkerung, wagte aber kaum die Hoffnung
auszusprechen, daß er baldigen Erfolg haben wird, da der Industrie-Kapitalismus
für seine traditionell guten Beziehungen zu kommunalen und staatlichen Instanzen
bekannt sei, das Wohl der Bevölkerung aber als Nebensache betrachte46.
Anfang des Jahres 1928 wurde die Ankündigung der Bliesanlieger, den Rechts-
weg zu beschreiten, in die Tat umgesetzt. Der Limbacher Landwirt Friedrich
Schleppi reichte am 25. Januar des Jahres bei der 5. Zivilkammer des Landgerichts
Saarbrücken Klage gegen die Stadt Neunkirchen, die Administration des Mines
Domaniales Françaises du Bassin de la Sarre und die Neunkircher Eisenwerk AG
auf Schadensersatz ein, da das verschmutzte Blieswasser den Grasaufwuchs seines
Wiesengrundstückes fast völlig vernichtet hatte. Zeitgleich reichte Karl Weber,
Sitzungsbericht der 103. Sitzung des Deutschen Reichstags vom 1. Februar 1913, in:
Neunkirchener Zeitung, 20. Jg., Nr. 27, 3. Februar 1913.
w Saar- und Blies-Zeitung Nr. 178, 3. August 1927, S. 3.
Pest über Neunkirchen, in: Arbeiterzeitung, 14. September 1929.
Die Blies als Verpesterin der Landschaft, in: Volksstimme, 18. September 1929.
385
Besitzer der Limbacher Mühle, gegen die Obengenannten Klage ein, da das
Blieswasser die Turbine und die Wehre seiner Mühle zerstört hatte. Beide klagten
gemeinsam mit der Zivilgemeinde Limbach gegen dieselben Beklagten wegen Un-
terlassung: Sie stellten den Antrag, die Beklagten dahingehend zu verurteilen, es
künftig zu unterlassen, Flüssigkeiten und andere Stoffe irgendwelcher Art in die
Blies zu leiten, welche geeignet sind, das Wasser und das Bachhett dieses Flusses
zu verunreinigen, und ferner den durch die bisherigen Verunreinigungen im Bach-
bett der Blies befindlichen Schlamm aus dem Bachbett zu entfernen. Ein knappes
Jahr später, am 10. Januar 1929, erhob schließlich auch der Kriegsinvalide Christi-
an Lawall aus Bierbach, der die dortigen Fischereirechte gepachtet hatte, Klage
wegen Schadensersatzes, da die Abwassereinleitungen der Beklagten seit langem
den Fisch- und Krebsbestand der Blies dezimiert und infolge des Flochwassers
vom Juli 1927 fast vollständig vernichtet hatten47.
Die Beweisaufnahme zog sich über zweieinhalb Jahre hin - auch deshalb, weil
die Beklagten die Eignung der vom Gericht bestellten Gutachter ständig in Zweifel
zogen und eigene Gutachten vorlegten. Als Hauptgutachter fungierte der Direktor
des staatlichen agrikulturchemischen Instituts in Weihenstephan, Prof. Dr. Niklas,
Spezialgutachten wurden unter anderem von der bayerischen Landesstelle für Ge-
wässerkunde, von der bayerischen Landessaatzuchtanstalt in Weihenstephan, von
Medizinalrat Dr. Ammon und der Chemisch-Technischen Untersuchungsanstalt
der Regierungskommission des Saargebietes erstellt. Alle Gutachten betonten den
katastrophalen Zustand der Blies und ihren ursächlichen Zusammenhang mit den
Abwassereinleitungen der drei Beklagten, sie errechneten ferner ihren ungefähren
Anteil an den unterschiedlichen Schadensformen48.
In seinem am 23. Juli 1930 verkündeten Teil- und Zwischenurteil wies das
Landgericht Saarbrücken zwar den Klageantrag wegen Unterlassung ab, verurteilte
die Beklagten jedoch, hinsichtlich der Einleitung ihrer Abwässer in die Blies sol-
che Vorkehrungen zu treffen, welche verhindern, dass durch die Einleitung Schä-
digungen der Kläger in dem Fischereirecht, an den Wiesen und Maschinenanlagen
auftreten, sowie den durch die bisherigen Verunreinigungen im Bette der Blies be-
findlichen Schlamm auf der Strecke von Neunkirchen bis zur Banngrenze der Bür-
germeisterei Limbach nach Homburg zu entfernen. In ihrer Begründung stellte die
5. Zivilkammer heraus, dass die Behauptungen der Kläger, dass die Beklagten die
Blies in unerlaubter Weise verunreinigen, richtig seien. Daher falle ihnen zwar
nicht der Anspruch zu, den Beklagten die Einleitung von Abwässern zu untersagen,
weil die Beklagten hierzu gemäß §§ 25 und 379 des preußischen Wassergesetzes
von 1913 berechtigt seien, wohl aber der, dass die eingetretenen Schäden beseitigt
werden (Verschlammung und Geldersatz, soweit Naturalrestitution nicht möglich
ist) und dass Vorkehrungen getroffen werden, Schäden in Zukunft zu verhüten. Die
Argumente der Kläger seien - trotz ausführlicher Einwendungen der Beklagten ge-
gen die Sachverständigen - durch die Gutachten und Spezialgutachten in vollem
Umfange bestätigt worden. Für ihre Richtigkeit spreche zudem Tatsache, dass sich
47 StAN/Dep, o. Nr. (Akten der Bliesprozesse), o. S.
48 Vgl. StAN/Dep, 1/6/29/12 (Prozessakten und Gutachten zur Gewässerverunreinigung), o.
S.
386
aus allen Bevölkerungskreisen, die von den Verunreinigungen belästigt werden,
seit Jahren immer wiederholende und stärker werdende Proteste erhoben hätten49.
Friedrich Schleppi, Karl Weber und die Gemeinde Limbach konnten sich indes
ihres „Sieges“ nicht langen freuen. Ende August/Anfang September 1930 legten
die Beklagten Berufung beim Obersten Gerichtshof des Saargebietes in Saarlouis
ein und beantragten, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage kosten-
fällig abzuweisen; im Februar 1931 wurden die drei anhängigen Prozesse zur ge-
meinschaftlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz zusammengelegt. Per Ur-
teilsspruch änderte der Oberste Gerichtshof schließlich am 15. März 1933 das Teil-
und Zwischenurteil des Landgerichts Saarbrücken dahingehend ab, dass die Klage
in vollem Umfang abgewiesen wurde und die Kläger die Kosten beider Instanzen
zu tragen hatten. Begründet wurde diese Kehrtwendung vor allem mit dem Argu-
ment, dass die Richter des Landgerichts den Begriff des „Gemeingebrauchs“ mit
dem Begriff des „Gemeinüblichen“ verwechselt hätten. So hätten die Beklagten
das Recht, entgegen dem Gemeingebrauch ihre schmutzigen Abwässer in die Blies
zu leiten, dürften dabei aber nicht über das Gemeinübliche hinausgehen.
Für letzteren Begriff sei entscheidend, ob nach den Anschauungen und dem zu
vermutenden Willen der Allgemeinheit der Anwohner und Grundeigentümer eine
Zuführung von Abwässern als eine allgemeine zu duldende anzusehen sei. Von Be-
deutung für die Beurteilung der Grenzen des Gemeinüblichen sei ferner der Zeit-
punkt, den der Oberste Gerichtshof abstruserweise mit dem Zeitpunkt des Inkraft-
tretens des Wassergesetzes, also dem Frühjahr 1913, setzte. Damals wie heute sei
Neunkirchen eine ausgesprochene Industriegegend gewesen, dessen Bevölkerung
größtenteils in den Bergwerken, auf dem Hüttenwerk oder in sonstigen industriel-
len Unternehmungen beschäftigt war und vermutlich nichts gegen die Zuführung
von Abwässern hatte. Da das Jahr 1913 für die Industrie eine Zeit der Hochkon-
junktur war, müsse für dieses Jahr als gemeinüblich angesehen werden, daß die
Beklagten ein sehr weitgehendes Recht zur Verunreinigung der Blies hatten, das
auch heute noch bestehe.
Die Richter des Obersten Gerichtshofes bemängelten auch den Umstand, dass
die Gutachten die Frage, inwieweit auch andere industrielle Unternehmungen und
Gemeinden [...] als Verunreiniger in Betracht kommen, nicht genügend geprüft
hätten. Selbst wenn die Beklagten als Hauptbeschmutzer in Frage kommen, seien
für den schlechten Zustand der Blies noch viele andere Industrien und Ortschaften
verantwortlich, ferner gewisse Eigenschaften der Blies selbst, wie z.B. das geringe
Gefälle und die Wasserarmut im Sommer. Zuletzt hielten sie auch die Ansprüche
der Kläger für unbegründet, weil diese entweder keinen oder keinen über das
„Gemeinübliche“ hinausgehenden Schaden erlitten hätten: Der Mangel an Fischen
sei nicht, wie die Gemeinde Limbach behaupte, auf eine übermäßige Ausnützung
der klägerischen Rechte zurückzuführen, denn alle Gewässer, die durch industrie-
reiche Gegenden und durch größere Städte fließen, seien als fischarm bekannt. Für
völlig unmöglich hielt man die Behauptung des Mühlenbesitzers Weber, dass seine
Mühlenanlage durch das unreine Wasser der Blies beschädigt worden sei. Und dem
Landwirt Schleppi wurde mehr oder weniger implizit unterstellt, die mangelnde
Quantität und Qualität seines Grases seien nicht primär den im Wasser der Blies
vorhandenen schädlichen Stoffen, sondern seiner ungenügenden Pflege geschuldet.
StAN/Dep, o. Nr. (Akten der Bliesprozesse), o. S.
387
Die Richter erkannten abschließend an, daß der Zustand der Blies seit vielen
Jahren zu berechtigten Klagen der Anlieger Anlaß gegeben habe, hielten aber den
Beklagten zugute, dass sie allein gar nicht in der Lage wären, eine wesentliche
Besserung der Zustände herbeizufiihren, auch deshalb, weil sie nicht die einzigen
sind, die ihre Abwässer in die Blies leiten. Abhilfe könne aber die Bildung einer
Wassergenossenschaft nach dem Vorbild der Emscher Genossenschaft bieten, bei
der nicht einzelne Betriebe, Ortschaften und Städte, sondern alle Beteiligten her-
anzuziehen wären50. Im November 1933 beziehungsweise im Februar 1934 wurde
dann auch die Klage des Fischereipächters Christian Lawall auf Schadensersatz
abgewiesen - zunächst vom Landgericht Saarbrücken, danach im Berufungsver-
fahren vom Obersten Gerichtshof des Saargebietes. Die Flauptverursacher der
Bliesverschmutzung - Eisenwerk, Gruben und Stadt - wurden noch einmal ge-
richtlich exkulpiert und durften weiterhin ihre teils hochgiftigen Abwässer in die
Blies leiten. Der Bau von Kläranlagen oder die Bildung einer Wassergenossen-
schaft wurde niemals ernsthaft ins Auge gefasst; da weiterhin ein jeder Schädiger
den andern die Schuld zuschieben konnte, blieb die Blies - entgegen dem frommen
Wunsch des Gerichtes - für weitere vier Jahrzehnte eine stinkende Kloake.
3. „Die Zerstörung Schnappachs“: Bergschäden als Politikum in
der Zeit der Völkerbundsregierung
Die „Bliesprozesse“ waren nicht die einzigen gerichtlichen Auseinandersetzungen,
in denen in den späten Jahren der Völkerbundsregierung um ein akzeptables Maß
industriebedingter Umweltveränderungen oder um die Kompensation individueller
Schäden gestritten wurde. In Schnappach formierten sich seit Mitte der 3920er-
Jahre Proteste gegen erhebliche Grubensenkungen, die die ehemals bayerische
Grube St. Ingbert durch den Abbau von Steinkohle direkt unter dem Ort hervorrief.
Schnappach hatte lange von seinen beiden Glashütten gelebt, von der bereits 1784
von Gräfin Marianne von der Leyen gegründeten Mariannenthaler Hütte und der
1809 von Carl Philipp Vopelius errichteten Glashütte. Hinzu kam der Umstand,
dass Schnappach, wo das nördliche Mundloch der Grube St. Ingbert lag, als Orts-
teil der Stadt St. Ingbert zwischen 1816 und 1919 eine bayerische Enklave im
preußischen Sulzbachtal bildete; erst durch die Gebietsreform 1974 kam der kleine
Ort zur Stadt Sulzbach. Das vergleichsweise billige bayerische Bier zog die preußi-
schen Bergleute aus Sulzbach und Friedrichsthal wohl magisch an, so dass
Schnappach um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine ungewöhnlich hohe
Dichte von Wirtshäusern aufwies.
Kein anderer Industriezweig hat die saarländische Kultur- und Naturlandschaft
in den letzten eineinhalb Jahrhunderten stärker verändert als der Steinkohleberg-
bau. Wo der frühneuzeitliche, meist oberflächennah und im schrägen Stollenbau
betriebene Bergbau nur relativ kleine Pingen - runde oder linienförmige Einsturz-
felder von Stollen oder Schächten - hinterließ, prägte der moderne, mit immer tie-
feren Schächten betriebene Bergbau das Weichbild saarländischer Städte und Dör-
fer überirdisch durch riesige Bergehalden und Absinkweiher und schuf unterirdisch
gigantische Hohlräume, die bei mangelhafter Verfüllung ganze Landstriche absin-
ken ließen oder zumindest Bergschäden in Form von Rissen an Gebäuden, Straßen
50 StAN/Dep, o. Nr. (Akten der Bliesprozesse), o. S.
388
und Eisenbahnlinien verursachten. Seit den 1860er/1870er-Jahren häuften sich
nicht nur die Entschädigungszahlungen für Hausbesitzer, sondern auch die Ge-
richtsverfahren wegen verweigerter oder ungenügender Kompensationen51, und das
Sulzbachtal mit seinen zahlreichen Gruben bildete dabei keine Ausnahme.
Im Februar 1911 etwa wandten sich die Haus- und Grundbesitzer des Sulzbach-
tals mit einer Petition auf Abänderung des allgemeinen Berggesetzes für den preu-
ßischen Staat an den Preußischen Landtag. Sie machten geltend, dass es bei der
Kohlengewinnung bis zu Tiefen von WOG Metern und darüber und dem intensiven
Abbau der vorhandenen Kohlelager selbstverständlich sei, daß die schädlichen
Einwirkungen auf die Erdoberfläche und die aufstehenden Gebäude in weit stärke-
rem Maße auflreten, und sich auf größere Flächen erstrecken, als dies bei der Be-
ratung des Allgemeinen Berggesetzes von 1865 ins Auge gefaßt werden konnte.
Vor allem die §§ 150 und 151 des Berggesetzes bedürften einer Überarbeitung, da
sie den Bergbautreibenden erlaubten, alle Ersatzansprüche abzuweisen, bezie-
hungsweise den gerichtlichen Klageweg bereits drei Jahre nach Auftreten der
Schäden unmöglich machten5". Auch das Ende der Glasproduktion in Schnappach
stand in unmittelbarem Zusammenhang mit Bergbauschäden: Beide Schnappacher
Glashütten, die unrentabel arbeiteten, wurden kurz vor oder nach dem Ersten Welt-
krieg stillgelegt und an den bayerischen Staat verkauft, die Fabrikgebäude wurden
wegen Bergschäden größtenteils abgerissen. Die ehemalige Vopeliussche Glashüt-
te ging im Zuge des Konzentrationsprozesses in der saarländischen Glasindustrie in
der Vereinigten Vopeliusschen & Wentzelschen Glashütten GmbH auf. Bis 1914
hatten die beiden Familien Vopelius und Wentzel ihre Immobilien in Friedrichsthal
und Sulzbach an die Bergwerksverwaltung verkauft und vertraglich auf Ersatzan-
sprüche wegen Bergschäden verzichtet. Ihre neue gemeinsame Glashütte wurde
1918 in St. Ingbert fertiggestellt, wo keine Bergschäden zu erwarten waren.
Die wirtschaftliche Zukunft Schnappachs sah also um 1920 nicht sehr rosig aus,
und gleiches galt für den Zustand seiner Häuser. Das Volksschulgebäude musste
bereits 1918 geräumt werden und fiel in den 1920er-Jahren zusehends in sich zu-
sammen, andere Gebäude wurden gesperrt oder nur durch massive Stützmaßnah-
men weiterhin bewohn- und nutzbar gehalten53 *. Es bildete sich ein „Haus- und
Grundbesitzer-Verein e.V. Schnappach“, dessen Mitglieder versuchten, von der
verhassten französischen Grubenverwaltung möglichst hohe Entschädigungen zu
erhalten oder ihren bereits geschädigten Besitz an die Bergwerksverwaltung zu
verkaufen. Es blieb umstritten, ob die neuen französischen Herren der Gruben den
Abbau unter Schnappach rücksichtsloser betrieben als die alten bayerischen. In je-
dem Fall gab es - auch in den Medien - genügend Stimmen, die behaupteten, dass
für den Fall eines weiterhin unter Schnappach vorangetriebenen Abbaus man in
zwei Jahren von Schnappach nichts mehr sieht5,4. Ähnlich äußerte sich ein Gutach-
ten der bayerischen Generaldirektion der Berg-, Hütten- und Salzwerke vom 9.
Vgl. dazu vor allem die einschlägigen Akten in LA SB (Landesarchiv Saarbrücken), Be-
stand Bergwerksdirektion.
" Vgl. LA SB, Bestand Bergwerksdirektion, Nr. 1242, S. 70-78.
Vgl. die genaue Beschreibung der Schäden an einzelnen Anwesen in Schnappach in: LA
SB, Bestand LRA.IGB, Nr. 1083.
St. Ingberter Anzeiger, 7. Mai 1925, S. 2; vgl. auch: „Die Zerstörung Schnappachs vor
dem bayerischen Landtag“, in: Saarbrücker Zeitung, 13. März 1925.
389
Mai 1925: Da die französische Verwaltung gegenwärtig die bis zu 20 m mächtigen
Flöze unter Schnappach mit trockenem Versatz in höchstens 100 m Tiefe abbaue,
müsse damit gerechnet werden, dass ein Niederziehen der Oberfläche von 10 m
eintritt. Wenn auch dieses Absenken der Oberfläche nur allmählich und nach ge-
wissen Plänen stattfindet, so wird u. E. die Ortschaft Schnappach hierbei vernich-
tet werden55.
Die vorhergesagte Vernichtung Schnappachs trat unter der französischen Berg-
werksverwaltung nicht ein. Bis zum Ende der Völkerbundsregierung entspann sich
allerdings ein Kleinkrieg zwischen Bergwerksverwaltung und lokalen Behörden,
die ihre jeweilige Sicht der Dinge hartnäckig durchzusetzen suchten. So schrieben
die Mines Domaniales Françaises de la Sarre dem St. Ingberter Landrat im August
1929: Wie wir in Erfahrung gebracht haben, sollte am 25. August eine Kirmes in
Schnappach stattfinden. 8 Tage vorher, und zwar am 17. August, wurde aber an 2
Eingängen des Dorfes (Richtung Altenwald sowie Richtung Sulzbach) je ein Schild
angebracht mit der Aufschrift: , Vorsicht! Einsturzgefahr. Gezeichnet Bürgermeis-
tereiAufgrund dieser öffentlichen Anschläge fand die Kirmes nicht wie üblich
statt, und kein Schausteller oder Marktverkäufer erhielt eine Genehmigung, in
Schnappach seinen Stand aufzuschlagen. Diese Maßnahme, so die Bergwerksver-
waltung, sollte sicher die Schnappacher Bevölkerung davon überzeugen, daß der
Grubenbau die öffentliche Sicherheit gefährde, was gar nicht zutrifft, da die Gru-
benverwaltung alle notwendigen Vorkehrungen getroffen hat, sodaß ein Einsturz
der Häuser ausgeschlossen ist56 * 58.
Nicht nur diese relativ banale Episode lässt erkennen, dass die Bergschäden in
der kleinen Ortschaft, die 1949 aus insgesamt 71 Wohngebäuden bestand, niemals
derart stark in der Öffentlichkeit thematisiert und derart stark gebrandmarkt wur-
den wie in der Zeit der Völkerbundsregierung^7, waren sie doch geeignet, die fran-
zösischen „Besatzer“, die aus reiner Profitgier die deutsche Kulturlandschaft zer-
störten, zu diskreditieren. Zwischen 1925 und 1931 führten insgesamt 51 Hausbe-
sitzer lS Prozesse gegen die französische Administration des Mines; diese Prozesse
waren politisch gewollt und wurden - sicherlich nicht aus reiner Menschenfreund-
lichkeit - von den ehemaligen „Landesherren“ Preußen und Bayern finanziert. Die
bayerische Staatskanzlei stellte dem Haus- und Grundbesitzer-Verein Schnappach
in den Jahren 1925-1927 insgesamt 11.000 Reichsmark als Darlehen zur Durchfüh-
rung der Prozesse gegen den französischen Bergfiskus zur Verfügung, und zwar
aus dem Haushaltstitel „Vollzug des Friedensvertrages“; Bayern erhielt vom Deut-
schen Reich 5.500 Reichsmark zurückerstattet, die aus Mitteln des Ministeriums
für die besetzten Gebiete flössen. 1935 beziehungsweise 1937 mussten sowohl die
bayerische Staatskanzlei als auch das Reichsministerium des Innern die Darlehen
als „verloren“ erklären und den Versuch, eine Rückzahlung zu erwirken, aufgeben.
Dafür, dass die ursprünglichen Darlehen zu staatlichen Geschenken wurden,
gibt es zumindest zwei Gründe. Im Februar 1935 teilte der Bürgermeister von St.
55 LA SB, Bestand NL Peter Scheuer, Nr. 397, o. S.
56 LA SB, Bestand LRA.IGB, Nr. 4234, o. S.
Vgl. für die unmittelbare Nachkriegs- und Saarstaatszeit LA SB, Bestand Staatskanzlei,
Nr. 630.
58 Vgl. die Auflistung der Klageführenden in: LA SB, Best. LRA.WND, Nr. 378 (Gruben-
schäden in Schnappach, 1931-1937), o. S.
390
Ingbert mit, dass der im Jahre 1932 unternommene Versuche, einen Teil der Gelder
zurückzuerlangen, gescheitert sei, da sämtliche Darlehensempfänger, von zwei o-
der drei Ausnahmen abgesehen, völlig verarmt seien. Kein einziger Prozess war in
1. und 2. Instanz vollständig gewonnen worden, die Kläger selbst mussten meist
für ein oder zwei Drittel der Prozesskosten aufkommen und die den einzelnen
Hausbesitzern zugesprochenen Entschädigungen deckten oft nicht einmal die Kos-
ten. Neben der Armut der Darlehensnehmer gilt es aber auch, das politische Rän-
kespiel saarländischer Politiker und Vertreter der bayerischen Regierung zu beach-
ten, in dem Peter Scheuer, Chefredakteur der in St. Ingbert erscheinenden „West-
pfälzischen Zeitung“ und von 1924-32 (stellvertretender) Präsident des Landesra-
tes, eine wichtige Rolle spielte>9. Scheuer hatte die Kontakte zwischen dem Haus-
besitzerverein und der bayerischen Regierung hergestellt, ihm waren, wie Regie-
rungsrat Binder von der Bezirksamtsaußenstelle Waldmohr dem Pfalzkommissariat
im Juni 1932 berichtete, die Zuschüsse zur weiteren Verteilung übergeben worden.
Mitte der 1930er-Jahre konnte nicht mehr exakt geklärt werden, wofür die voll-
ständige Darlehenssumme verwendet worden war; 6.000 Reichsmark waren an die
Saarbrücker Rechtsanwälte Steegmann für die Vertretung in insgesamt 17 Prozes-
sen und 1308 Reichsmark an einen Gutachter geflossen, 2753 Reichsmark waren
für Gerichtskosten aufgewendet worden. Jedenfalls stieß die Rückzahlung auf gro-
ße Schwierigkeiten: Der St. Ingberter Bürgermeister Dr. Schier verhandelte mit
dem Hausbesitzerverein und dessen Vorsitzenden Thiery, der eine Rückzahlung
kategorisch verweigerte. Thiery behauptete, man habe 1925 bei einer Besprechung
mit dem bayrischen Regierungsrat Jolas die ganze Sache als politische Angelegen-
heit betrachtet. die Geldbeträge wären als politische Gelder bezahlt worden und
seien ein Geschenk des bayerischen Staates gewesen. Peter Scheuer habe zudem
die bei Vertretern des Hausbesitzervereins weitverbreitete Meinung, dass sie die
Gelder nicht zurückzahlen müssten, immer unwidersprochen stehen gelassen. Auch
andere Aussagen Thierys machen die eindeutig politische Stoßrichtung der Prozes-
se deutlich: Er selbst habe keinerlei Interesse an einem Prozess gehabt, sondern
habe im Gegenteil furchten müssen, dass die Bergwerksdirektion dadurch ver-
schnupft werde und zu einer freiwilligen Übernahme seines Anwesens nicht mehr
bereit sein würde - sein Haus in Schnappach verkaufte er später im Übrigen für
67.000 Reichsmark an die französische Bergwerksdirektion. Bei allen Besprechun-
gen seien die Münchner Herren jedoch der Ansicht gewesen, daß man unbedingt
klagen müsse, weswegen er sich hierzu bereit erklärt habe60.
4. Ökologie und Geschichte: Das industrielle Erbe als umkämpf-
ter Erinnerungsort
Zahlreiche Studien zur Um Weltgeschichte haben darauf hingewiesen, dass die
Problematisierung der beziehungsweise die Sensibilisierung für die Gefahren und
möglichen Schäden der Gewässerverschmutzung, die durch die Entstehung städti-
scher Ballungszentren und die Zunahme gewerblicher und industrieller Produkti-
Vgl. zu Peter Scheuer: Peter Wettmann-Jungblut, Peter Scheuer: Katholisches Kredo
und nationale Kommunitas, in: Der 13. Januar. Die Saar im Blickpunkt der Geschichte,
hg. von Ludwig Linsmayer, Saarbrücken 2005, S. 248-261.
LA SB, Best. LRA.WND, Nr. 378 (Grubenschäden in Schnappach, 1931-1937), o. S.
391
onsbetriebe hervorgerufen wurden, keineswegs auf die letzten 50 Jahre beschränkt
sind, sondern bereits seit der Früh- und Hochindustrialisierung sowohl im wissen-
schaftlichen Diskurs*’1 als auch in weiten Teilen der Bevölkerung thematisiert wur-
den. Zugleich hat sich der Gebrauch der „Natur“ im Laufe des 19. und 20. Jahr-
hunderts ebenso grundlegend geändert wie die Wahrnehmung von Störungen im
Mensch-Umwelt-System durch betroffene Gruppen oder staatliche und kommunale
Institutionen. Bereits um 1900, aber erst recht in der heutigen Zeit der flächende-
ckenden zentralen Wasserversorgung, erscheint eine Klage wie diejenige, die meh-
rere Neunkirchener Bürger 1842 gegen die Errichtung einer Leimsiederei vor-
brachten, „unvernünftig“ und aus einer anderen Welt zu stammen: Das Wasser der
Blies, so deren Befürchtung, würde durch deren Anlage der art verunreinigt, daß
es zu den verschiedenen Zwecken, namentlich zum Waschen, zum Tränken des Vie-
hes, zum Bierbrauen und und selbst zum Kochen, wozu es bedürfend sei, nicht
mehr gebraucht werden könnebl. Die Bedürfnisse einer noch weitgehend von der
Landwirtschaft lebenden Gesellschaft sind eben grundlegend verschieden von de-
nen der (post)moderner Gesellschaften, und die Menschen kämpfen selten für eine
wie auch immer geartete „Natur an sich“, sondern meist für eine Natur, in die sie
„eigene Bedürfnisse“ projizieren63. An die Stelle der 1842 spürbaren Angst vor der
Verschmutzung ist im Zeitalter der Ökologie die Angst vor der Vergiftung getre-
ten, die als unvorhersehbare und unsichtbare Kontamination wenn nicht im Fluss-,
so doch im Leitungswasser lauert und durch den Genuss „quellfrischen“ Mineral-
wassers vermieden werden kann.
Gewässerschutz hat einen festen Platz in der Entwicklung des Umweltschutzes
und das Wasserrecht war von Anbeginn ein zentraler Bereich des sich ausbilden-
den Umweltrechts. Auf dem Gebiet des Gewässerschutzes kam es nun in den ver-
gangenen vier Jahrzehnten, insbesondere auf Druck der Umwelt- und Naturschutz-
bewegungen und mehrfach angestoßen durch spektakuläre Fälle von Fischsterben,
die wiederum nicht unerheblich zur Steigerung des Umweltbewusstseins der Be-
völkerung beitrugen, zu gewichtigen Erfolgen: Die kommunale Abwasserreinigung
wurde ebenso eingeführt wie eine weitreichende Klärung von industriellen Einlei-
tungen, Flüsse und Bäche wurden „renaturiert“, Begradigungen und Kanalisierun-
gen rückgängig gemacht und die nach Schmutzfrachten bemessenen Abwasserab-
gaben haben nachgerade einen Vorbildcharakter für umweltbezogene Lenkungsab-
gaben gewonnen. An den Standorten Rhein, Ruhr und Saar war es aber vor allem
auch der Niedergang der Schwerindustrie, der zur Entlastung von Flüssen und Bä-
chen beitrug.
Ein anschauliches Beispiel für diese Entwicklung bietet die Blies, die mit etwa
120 Kilometern der längste Nebenfluss der Saar ist und fast 700 Quadratkilometer
(über 27% der Fläche des Saarlandes) entwässert. Noch Anfang der 1960er Jahre
galt der Bliesabschnitt zwischen Neunkirchen und Homburg - zusammen mit dem 61 62 63
61 Die wissenschaftliche Literatur zur Wasserverschmutzung lässt im Übrigen bereits im
19. Jahrhundert eine scharfe Dichotomie zwischen Pessimisten und Optimisten erkennen,
also zwischen jenen Wissenschaftlern und Kommentatoren, die Flüsse für irreparabel be-
schädigt halten, und denjenigen, die an die Möglichkeit seiner Reinigung und die Wie-
derherstellung des Status-quo-ante glauben.
62 StAN, AI, Nr. 395, S. 180-182.
63 Vgl. Radk.au, Was ist Umweltgeschichte? (wie Anm. 2), S. 15.
392
im Stadtgebiet von Neunkirchen in die Blies mündenden Sinnerbach und der Ros-
sel - als das am stärksten verschmutzte saarländische Gewässer, wobei der Anteil
der Industrie, also der Gruben und des Hüttenwerks, an der Verschmutzung bei et-
wa 70% lag64. Das Neunkircher Eisenwerk leitete täglich rund 80.000 m' in die
Blies; selbst das werkseigene Labor bezeichnete im März 1953 eine dem Kanal der
Sauerstoffanlage beim Einlauf in den unteren Hammergraben entnommene Was-
serprobe als außerordentlich stark belastet, wies sie doch 45,72 g/L mechanische
Verunreinigungen mit unter anderem sehr hohen Gehalten an Öl, Chloriden und
Cyaniden auf’5 66. Erst seit Mitte der 1970er-Jahre ließ sich dann eine spürbare Ver-
besserung der Wasserqualität der Blies unterhalb Neunkirchens feststellen, die zum
Teil auf die Inbetriebnahme von Kläranlagen in Neunkirchen-Wellesweiler (1974),
Limbach (1975) und Homburg (1978) zurückzuführen war; von entscheidender
Bedeutung hierbei war jedoch die drastische Verringerung der industriellen Einlei-
tungen im Raum Neunkirchen infolge der stufenweisen Stilllegung des Eisenwerkes
bis zum Jahr 1983 sowie der Schließung der meisten Kohlengruben im Raum
Neunkirchenbb.
Der seit Jahrzehnten anhaltende Strukturwandel des Saarlandes, der mit dem für
2012 festgesetzten Ende des Steinkohlebergbaus sein vorläufiges Ende finden
wird, hat neben gravierenden wirtschaftlichen Problemen nicht zuletzt die Frage
aufgeworfen, wie und zu welchen Zwecken das Erbe des Industriezeitalters be-
wahrt und erinnert werden soll. Kohle- und Stahlindustrie haben eine Reihe von
„umkämpften“ Erinnerungsorten hinterlassen, in denen sich die historische Einma-
ligkeit einer Epoche widerspiegelt, und zwar nicht allein mit Blick auf die gut er-
forschte Geschichte von Auseinandersetzungen um gewerkschaftliche Organisation
und von Arbeitskonflikten, sondern auch hinsichtlich der seit beinahe zwei Jahr-
hunderten auftretenden industriebedingten Umweltveränderungen und -Schäden. Es
wäre fahrlässig, die Erforschung letzterer weiterhin zu vernachlässigen, denn die
Umweltgeschichte kann durchaus einen „zentralen Zugang zur Geschichte“ bieten,
„von dem aus sich vieles andere erschließen lässt“67.
Gerade der Bergbau war auf der einen Seite das identitätsstiftende Element der
Region und nicht nur aufgrund der Beschäftigtenzahlen der wichtigste Sektor der
saarländischen Industriegesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts. Auf der andern
64 Vgl. Bericht zur Tagung des Wasserwirtschaftsamtes des Saarlandes vom 17.3.1961, in:
StAN/Dep, 1/8/53/57 (Wasserwirtschaft 1953-1970), o. S.
65 Vgl. Abwasser der Sauerstoffanlage, in: ebd., o. S. - Die Abwässer der Sauerstoffanlage
gelangten hauptsächlich direkt in die städtische Kanalisation und nur zu einem geringen
Teil in den Hammergraben. Um das „Problem“ zu lösen, empfahl das Labor im Übrigen
keine ausreichende Klärung des Abwassers, sondern sprach sich für eine Verlegung des
gesamten Abflusses in den Werkskanal aus, damit im Sinne eines reibungslosen Produk-
tionsablaufes das als Kühlwasser benutzte Wasser des unteren Hammergrabens nicht
mehr verunreinigt würde.
66 Gewässergütebericht Blies 1989, hg. vom Minister für Umwelt des Saarlandes,
Saarbrücken 1989, S. 20f.; vgl. ferner Bäche und Flüsse immer sauberer, hg. vom Minis-
terium für Umwelt, Energie und Verkehr des Saarlandes, Saarbrücken 1997, S.
20-27.
6 „Ich wollte meinen eigenen Weg gehen“. Ein Gespräch mit Joachim Radkau, in: Zeithis-
torische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 9 (2012), H. 1,
URL: http://www.zeithistorische-forschungen.de/16126041 -Radkau-1 -2012.
393
Seite hat der Bergbau das Gesicht der Region am stärksten verändert und ihre
Menschen geprägt. Seine immensen Eingriffe in Landschaft und Natur werfen ver-
schiedene Fragen auf, denen ein umwelthistorischer Ansatz nachgehen sollte: Wie
änderten sich Raumnutzung und Raumerfahrung? Wie reagierte die Gesellschaft
auf Veränderungen und Zerstörungen von Natur und Kultur (Emissionen in Luft
und Wasser, Lärm, Erschütterungen, Bergehalden, Absinkweiher, Bergschäden,
Grundwasserveränderungen etc.)? Wie wurden die enormen Risiken und Gefahren
des Bergbaus verarbeitet? Wirkten sich Arbeitsumfeld und -weise auf das (Sozi-
al)verhalten der Bergleute aus, oder mit anderen Worten: wurde die „Natur“ des
(saarländischen) Menschen von seiner Umwelt geprägt?
394
Die Rundfrage über die Schicksale der saarländischen
Gemeinden und ihrer Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg
Hans-Walter Herrmann
Das Saarland, vornehmlich seine auf dem linken Saarufer gelegenen Teile, gehört
zu den wenigen Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches, die im Zweiten
Weltkrieg von den ersten Septembertagen des Jahres 1939 bis zum Sommer 1940
und dann wieder von Herbst 1944 bis Frühjahr 1945 Schauplatz eines Stellungs-
krieges waren und deren Bevölkerung teilweise in das Reichsinnere evakuiert wor-
den war.
In den frühen Nachkriegsjahren ergab sich, dass einschlägiges Schriftgut über
Kampfhandlungen und über die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den tatsäch-
lichen oder eventuellen Kampfzonen durch direkte Kriegseinwirkung vernichtet
war, anderes von den Besatzungsmächten beschlagnahmt, anderes wiederum sei-
tens der Wehrmacht, der NSDAP und deutscher Zivilverwaltungen vor dem Zu-
griff der Besatzungsmacht verbrannt worden war. Ob überhaupt und/oder wann
historisch aussagekräftiges Schriftgut deutscher Provenienz in alliiertem Gewahr-
sam deutscher Forschung zugänglich würde, war in den frühen Nachkriegsjahren
unbestimmt.
Bei dieser Sachlage unternahm die Kommission für Saarländische Landesge-
schichte und Volksforschung im Jahr 1955, drei Jahre nach ihrer Gründung durch
die Regierung des Saarlandes und ein Jahrzehnt nach Kriegsende, also zu einem
Zeitpunkt, als bei vielen Ortsansässigen das Erleben des Krieges und seiner Wir-
kung auf ihre Umwelt noch lebendig war, den Versuch, Lücken im Quellengut
durch Befragung von Zeitzeugen teilweise zu schließen, indem sie einen detaillier-
ten vierseitigen Fragebogen1 mit 65 Fragen über Befestigungen, Erdkämpfe, Luft-
angriffe, Kriegschäden, Lager (siehe Anlage) in alle Orte des Saarlandes versandte.
Um einen Maßstab zur Bewertung, eventuell auch zur Vervollständigung der ein-
zelnen Beantwortung zu haben, wurden in jeder Gemeinde die kommunale Ver-
waltungsspitze (Bürgermeister, Ortsvorsteher) und die Schulleiter angeschrieben,
letztere deshalb, weil in den fünfziger Jahren in der Lehrerschaft, vornehmlich der
Volksschulen, mehr Interesse an ortsgeschichtlichen Belangen als heute bestand,
nicht zuletzt wegen des Unterrichtsfaches „Heimatkunde“.
So wurden Mitte Juli 1955 937 Fragebogen über die Landratsämter und Kreis-
schulämter verschickt und als Rücksendetermin der 1. Oktober 1955 angesetzt. Der
Rücklauf zog sich jedoch viel länger hin als erwartet. Nicht wenige Bürgermeister
und Ortsvorsteher baten um Aufschub bis nach dem Referendum (23. Oktober
1955). Manche Schulleiter wollten vor der Beantwortung eine Befragung der Orts-
bevölkerung vornehmen. In Landwirtschaft treibenden Gemeinden blieb in den
Erntemonaten August, September und Oktober wenig Zeit für solche Erhebungen.
Einige Schulleiter, vornehmlich in den Städten, teilten mit, dass größere Teile ihres
Lehrkörpers während des Krieges in einer anderen Gemeinde ansässig gewesen
Kurzer Bericht von Hans-Walter Herrmann, Zehn Jahre Kommission für Saarländische
Landesgeschichte, in: Saarbrücker Hefte 16 (1962) S. 71-76, zum Fragebogen S. 74.
395
seien oder Wehrdienst geleistet hätten und daher keine Angaben über Verhältnisse
und Vorgänge in ihrem jetzigen Dienstort machen könnten.
Bis zur Jahresversammlung der Kommission am 15. November 1955 waren erst
30 % beantworteter Fragebogen2 3 eingegangen. Ein Jahr später hatte der Beantwor-
tungsgrad immerhin 82 % erreicht1. Im folgenden Jahr gingen Antworten von
Nachzüglern ein, sodass schließlich von 93 % der saarländischen Gemeinden ein
ausgefüllter Fragebogen an die Geschäftsstelle der Kommission zurückgelaufen
war. Aus diesen Zahlen ergibt sich, dass beim Rücklauf keine Vollständigkeit er-
reicht wurde. Die Gründe dafür sind heute nicht mehr feststellbar.
Die Beantwortung erfolgte in unterschiedlichem Umfang und Ausführlichkeit.
Sie reicht von kurzen stichwortartigen handschriftlichen Eintragungen in den Fra-
gebogen bis zu mehrseitigen maschinenschriftlichen Antworten, basierend auf per-
sönlichen Erlebnissen, Erinnerungen und Befragung von Zeitzeugen. Ausführliche-
re Beantwortungen (mehr als 5 Seiten) sind in der nachstehenden Liste mit * ge-
kennzeichnet. Inwieweit Akten aus der Kriegszeit bei der Beantwortung verwendet
wurden, ist nicht ersichtlich. Vermutlich dürfte dies nur selten erfolgt sein, weil
bekanntlich bei Kriegsende in nicht geringem Maß Akten auf Anweisung von oben
oder aus freiem Entschluss der damaligen Amtsinhaber vernichtet worden waren.
Bei den Beantwortungen lässt sich durchweg ein Streben nach Genauigkeit erken-
nen. In manchen Orten erfolgte die Beantwortung nach vorheriger Befragung kun-
diger Einzelpersonen oder Personengruppen, hin und wieder in Gemeinschaftsar-
beit der kommunalen Verwaltung mit Personen aus dem Lehrkörper der örtlichen
Schule. Die Schulsysteme der 1950er Jahre waren nicht dieselben wie während des
Krieges; denn im Saarland war 1937 die „Gemeinschaftsschule“ eingeführt wor-
den, bei der Neuorganisation nach dem Krieg aber wieder die Konfessionsschule.
Daraus resultiert, dass für manche Orte Antworten von zwei, seltener sogar von
drei Schulen vorliegen (in der Liste durch SS gekennzeichnet). Bei der Beantwor-
tung wurde manchmal daraufhingewiesen, dass kein Mitglied des Lehrkörpers der
späten 1950er Jahre schon während des Krieges an dieser Schule tätig gewesen sei4
und/oder mit Wehrdienst oder Versetzung oder Neueinstellung mangelnde Kennt-
nis des örtlichen Geschehens begründet. Gelegentlich wurden Ruhestandsbeamte
oder sachkundige Privatleute (in der Liste mit P gekennzeichnet) mit der Beant-
wortung beauftragt. Hin und wieder erscheinen auch am Ort tätige Geistliche als
Auskunftspersonen oder Gewährsmänner,
In einigen Fällen wurden Kartenskizzen über Lage von Bunkern und Unterstän-
den beigefügt, teils Handzeichnungen, teils Eintragungen in für andere Zwecke an-
gefertigte Karten.
Nicht abgefragt wurde die Stimmung der Bevölkerung zum Ablauf der bekann-
termaßen sehr unterschiedlich verlaufenen militärischen Operationen, der immer
deutlicher werdenden Luftüberlegenheit der Alliierten, der immer spürbarer wer-
denden kriegswirtschaftlich bedingten Einschränkungen im Alltagsleben. Einige
Angaben dazu finden sich in den von Klaus Oldenhage veröffentlichten Berichtern
2 Niederschrift der Jahresversammlung der Kommission 1955, S. 1 lf.
3 Ebd. 1956, S. 10.
4 Zum Beispiel bei Güdingen.
Klaus Oldenhage, Die Pfalz und das Saarland während des Krieges (1940-1945). Aus
den Lageberichten des Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwaltes in
396
des Oberlandesgerichtspräsidenten und des Generalstaatsanwaltes in Zweibrücken,
sie enthalten unter anderem Hinweise auf Unzufriedenheiten mit dem staatlich ge-
lenkten Wiederaufbau nach der ersten Evakuierung (1939/40), Schwierigkeiten bei
der Räumung der im ersten Kriegsjahr in Grenznähe gelegten Minenfeldern, Plün-
derungen in den von der Zivilbevölkerung geräumten Dörfern, in den folgenden
Jahren dann Angaben zu alliierten Luftangriffen, Umgang mit Kriegsgefangenen,
Einsatz von ausländischen Zivilarbeitern* 6.
An eine zusammenfassende Veröffentlichung der Antworten auf die Rundfrage
der Kommission war nicht gedacht. Die Antworten sollten Material zu örtlichen
Verhältnissen und Ereignissen während des Zweiten Weltkrieges, Erleben und Er-
leiden des Krieges durch die Ortsbevölkerung sein, weil einschlägige Akten ein
Jahrzehnt nach Kriegsende nicht mehr oder noch nicht zugänglich waren. So wurde
versucht, mit dem Ergebnis der Rundfrage Aktenverluste wenigstens teilweise aus-
zugleichen. Es stand von vornherein fest, dass der Quellenwert der beantworteten
Fragebogen unter dem Aussagewert zeitgenössischer Akten liegen würde, aber die-
se waren, wie gesagt, lückenhaft oder gar nicht überliefert7.
Die Beantwortungen der „Rundfrage“ werden im Landesarchiv Saarbrücken im
Bestand „Depositum Kommission für Saarländische Landesgeschichte“ unter den
Nrr. 4-53 aufbewahrt und sind gemäß der Benutzerordnung einsehbar. In manchen
Fällen ergeben sich Ergänzungen aus erhalten gebliebenem Schriftgut der Wehr-
macht, das im Bundesarchiv Abteilung Militärarchiv in Freiburg/Breisgau ver-
wahrt wird.
Zur schnellen Übersicht, für welche Orte Antworten auf die „Rundfrage“ vor-
liegen, erscheint mir die alphabetische Auflistung nach den im Versandjahr 1955
bestehenden selbständigen Gemeinden am besten geeignet. Abgelegt sind die Ant-
worten auf die Rundfrage aber nicht nach der damaligen kommunalen Gliederung
des Saarlandes, sondern unter dem Namen der jeweiligen aus der Gebietsreform
des Jahres 1973 hervorgegangenen Großgemeinde, zum Beispiel Ensheim unter
Saarbrücken oder Besseringen unter Merzig.
Zweibrücken, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 5 (1979), S. 303-356 und
6(1980), S. 343-398.
6 Hier werden auch 750 Spanier genannt, die im Saarbergbau im Dezember 1941 einge-
setzt wurden und deren Behandlung Anlass zu kritischen Rückfragen der spanischen Re-
gierung gab (Oldenhage, wie Anm 5, 6 (1980), S. 358f.)- ein Faktum, das meines Wis-
sens in der regionalen Literatur über „Fremdarbeiter“ in der NS-Zeit noch nicht erwähnt
wurde.
Mit der archivalischen Überlieferung des Westwallbaus befassten sich die rheinland-
pfälzischen und saarländischen Archivarinnen und Archivare auf ihrer 10. Fachtagung
am 28. Oktober 1978, vgl. das Ergebnisprotokoll in der Kleinen Reihe.
397
Abkürzungen:
beantwortende Stelle K
S
K/S
= Kommunalverwaltung
= Schule
= gemeinschaftliche Beantwortung
von Verwaltung und Schule
= Privatperson
= ausführliche Beantwortung
Beilagen Signatur L = Lageskizze Ortsname beantwortende Stelle Beilagen
40 Alschbach bei Blieskastel S
18 Altenkesse! K und S L
26 Altenwald S
36 Altforweiler S L
40 Altheim K
9 Altland S
43 Altstadt* K und S
29 Aschbach S
40 Aßweiler (Saarpfalzkreis) S
46 Asweiler (Kreis St. Wendel) K
22 Auersmacher S
34 Aussen s
5 Bachem Pastor
7 Ballern, Rech, Ripplingen S
40 Ballweiler S
48 Baltersweiler S
9 Bardenbach-Biehl S (?)
44 Bebelsheim K und S L
38 Bedersdorf K und S
42 Beeden S
5 Bergen K
53 Bergweiler K
11 Berschweiler (Kreis Ottweiler) K und S
21 36 Berschweiler bei Heusweiler Berus K
7 Besseringen S L
40 Bettingen siehe Aussen Bierbach K
50 Bierfeld K
40 Biesingen K L
7 Bietzen K
20 Bietschied s L
19 Bildstock sss
30 Bilsdorf K und S
31 Biringen K/S
18 Bischmisheim SS
398
36
40
41
40
44
40
8
49
35
18
5
6
52
11
18
6
8
9
9
9
28
38
28
21
11
13
29
34
7
18
14
38
49
8
29
31
42
49
48
46
49
35
17
35
18
11
41
18
Bisten S L
Blickweiler* K
Bliesdalheim K
Blieskastel KundS
Bliesmengen-Bolchen* K/S
Böckweiler K
Borg K
Bosen s
Bous* s L
Brebach K L
Britten K/S
Brotdorf ohne Angabe
Bubach im Ostertal K
Bubach-Calmesweiler K und S
Bübingen SS
Büdingen K und S
Büschdorf K
Büschfeld K und S
Buweiler-Rathen K
Dagstuhl K und S
Diefflen K L
Differten K und S
Dillingen SSS L
Dilsburg S
Dirmingen K und SS
Dörrenbach S
Dörsdorf K und S
Dorf S (mit Hinweis auf Schulchronik)
Dreisbach P
Dudweiler K* und SSS L
Düppenweiler Düren K
Eckelhausen S L
Eft-Hellendorf S
Eidenbom K und S
Eimersdorf K
Einöd K
Eisen K und S L
Eisweiler K und S
Eitzweiler K und S
Eiweiler (Kreis. St. Wendel) K
Elm K und S L
Elversberg S
Ensdorf K und S L
Ensheim S
Eppelborn K und S L
Erfweiler-Ehlingen K
Eschringen s
399
7 Faha K und S
29 Falscheid K und S
18 Fechingen SS
38 Felsberg S
24 Fischbach K und S
6 Fitten K und S
39 Frankenholz K und SS
32 Fraulautern S*8
46 Freisen K und S
31 Fremersdorf S
19 Friedrichsthal K und SSS
37 Friedrichsweiler K und S
27 Fürstenhausen S
15 Fürth K und SS
31 Fürweiler K und S
48 Furschweiler S
9 Gehweiler (Kreis Merzig-Wadem) K
48 Gehweiler (Kreis. St. Wendel) K
31 Gerlfangen K und S
41 Gersheim K*
18 Gersweiler K*
38 Gisingen K und S
24 Göttelborn K
49 Gonnesweiler nicht gezeii
29 Gresaubach S
51 Gronig K
46 Grügelbom K
18 Güdingen S
11 Habach K und S
44 Habkirchen K/S
14 Hangard K und S
4 Hargarten S und P
6 Harlingen K*
53 Hasborn-Dautweiler K und S
45 Hassel S
46 Haupersweiler K/S
5 Hausbach s
7 44 Haustadt Heckendalheim K/S
16 Heiligenwald K
14 Heinitz s
48 Heisterberg K
31 Hemmersdorf s
21 Herrensohr Heusweiler s
L
L
L
L
L
x beiliegend Kopie des Berichtes des US-Leutnants Samuel D. Tobin über die Eroberung
der Pfarrkirche Saarlouis-Roden (deutsch)
400
11 Hierscheid K und S
6 Hilbringen, Rech, Ripplingen K/S
25 Hilschbach s
48 Hirstein K
12 Hirzweiler s
39 Höchen K
48 Hofeld-Mauschbach s
21 Holz SS
4 Honzrath s
52 Hoof p
37 Hostenbach K und S
26 Hühnerfeld S
35 Hülzweiler K und S
34 Hüttersdorf K und S
12 Hüttigweiler K
11 Humes K
38 Ihn K und S
12 Illingen S
38 Ittersdorf K und S
42 Jägersburg (mit Altenbreiten-
felderhof) S
18 Jägers freude S
38 Kerlingen K und S
43 Kirkei-Neuhäusel K
42 Kirrberg S
18 Klarenthal SS
22 Kleinblittersdorf K und S
39 Kleinottweiler K und S
29 Knorscheid K
23 Köllerbach K und S
30 Körprich Pastor
10 Konfeld S
9 Kostenbach Krettnich siehe Lockweiler K
21 Kutzhof-Lummerschied s
16 Landsweiler-Reden K und SS
29 Landsweiler bei Lebach K und S
15 Lautenbach K
27 Lauterbach s
29 Lebach K und S
38 Leidingen K und S
52 Leitersweiler K
43 Limbach (Kreis Homburg) K/S*
34 Limbach (Kreis Saarlouis) S
53 Lindscheid p
33 Lisdorf s
9 Lockweiler-Krettnich s
5 Losheim s
401
27 Ludweiler SS
39 Ludwigsthal, Ortsteil von Bexbach SS
11 Macherbach K und S
50 Mariahütte P
47 Marpingen K und S
19 Maybach SS
6 Mechern S
41 Medelsheim s
6 Menningen K
6 Merchingen s
13 Merchweiler K/S
6 Merzig s
7 Mettlach K/S
34 Michelbach s
40 Mimbach K
5 Mitlosheim s
39 Mittelbexbach s
6 Mondorf K und S
9 Morscholz K und S
49 Mosberg-Richweiler S
9 Münchweiler K
14 Münchwies K und S
8 Münzingen K
30 Nalbach S
48 Nambom s
53 Neipel K und S
40 Neualtheim K
18 Neufechingen s
32 Neuforweiler s
49 Neunkirchen/Nahe K
14 Neunkirchen/Saar K* und S
14 Neunkirchen-Kohlhof S
26 Neuweiler s
31 Niedaltdorf K
39 Niederbexbach K und S
41 Niedergailbach s
52 Niederlinxweiler S
9 Niederlöstern K(?)
5 Niederlosheim K/S
29 Niedersaubach K und S
40 Niederwürzbach K und S
49 Nohfelden K und S
7 Nohn S
50 Nonnweiler S*
9 Noswendel S
9 Nunkirchen s
39 Oberbexbach K und S
31 Oberesch K
402
46 Oberkirchen K
8 Oberleuken K
38 Oberlimberg s
9 Oberlöstern s
8 Oberperl p
51 Oberthal s
45 Oberwürzbach K
44 Ommersheim K*
44 Ormesheim K
7 Orscholz K
52 Osterbrücken s
15 Ottweiler K
50 Otzenhausen K
28 Pachten s
8 Perl s*
32 Picard s
30 Piesbach S/Pastor
50 Primstal K
34 Primsweiler K und S
23 Püttlingen K*
24 Quierschied K und SS'
38 Rammelfangen K und S
10 Rappweiler mit Zwalbach S
Rech siehe Ballern S
31 Rehlingen S
33 Reisbach K
41 Reinheim K
42 Reiskirchen s
46 Reitscheid K
52 Remmesweiler s
45 Rentrisch s
25 Riegelsberg s
22 Rilchingen-Hanweiler Kund S
5 Rimlingen S
Ripplingen siehe Ballern S
5 Rissenthal S
32 Roden s*
45 Rohrbach s
29 Rümmelbach K
52 Saal p
18 Saarbrücken 10
Amulfschule s
beiliegend Auflistung der von August 1944 bis März 1945 einquartierten Mannschaften
und Pferde
beantwortet vom Statistischen Amt und vom Wahlamt der Stadt Saarbrücken, 19 ma-
schinenschriftliche Seiten, unter anderem Daten der Luftangriffe, Zahl und Art der be-
schädigten Gebäude, untergliedert nach total-, schwer- und leichtbeschädigten.
403
7
32
33
21
38
45
52
37
5
18
53
16
35
50
33
46
6
40
8
49
41
31
6
8
50
49
53
17
15
9
51
16
26
8
10
29
53
53
7
49
12
36
10
53
47
52
41
Füllengartenschule
Saarhölzbach
Saarlouis
Saarwellingen
Salbach
St. Barbara
St. Ingbert
St. Wendel
Schaffhausen
Scheiden
Scheidt
Scheuern
Schiffweiler
Schwalbach
Schwarzenbach
Schwarzenholz
Schwarzerden
Schwemlingen
Seelbach-Niederwürzbach
Sehndorf
Selbach
Seyweiler
Siersburg
Silwingen
Sinz
Sitzerath
Sötern
Sotzweiler
Spiesen
Steinbach bei Ottweiler
Steinberg (Kreis Merzig-Wadern)
Steinberg-Deckenhard
Stennweiler
Sulzbach
Tettingen-Butzdorf
Thailen
Thalexweiler
Theley
Tholey
Tünsdorf
Türkismühle
Uchtelfangen
Uberherrn
Überlosheim
Überroth-Niederhofen
Urexweiler
Urweiler
Utweiler
S
K und S
S
S
S
K
s
SS
K und S
S
S
K und S
S
S
S
S
K
K und S
S
K
K und S
S
S
K
K
K
K und S
S
K und S
K und SS
S
S
S
K und S
kath. Pfarramt
S
S
K
K
K (Ruhestandsbeamter)
K und S
K*
S
S
K und S
K
K
S
L
L
L
L
L
27 Völklingen SS
18 Von der Heydt Schulleiter außer Dienst
9 Wadern Kund S
37 Wadgassen K/S
9 Wadrill s
5 Wahlen nicht gezeichnet
21 Wahlschied SS
5 Waldhölzbach s
49 Walhausen s
38 Wallerfangen K und S
25 Walpershofen SS
41 Walsheim S
40 Webenheim S
9 Wedem S
7 Wehingen-Bethingen K
27 Wehrden K
10 Weierweiler s
6 Weiler s
10 Weiskirchen K und SS
7 Weiten K und S
6 Wellingen K
12 Welschbach S
13 Wemmetsweiler K/S
37 Werbeln K und S
14 Wiebelskirchen K/S
11 Wiesbach K/S
44 Wittersheim K
8 Wochem K
42 Wörschweiler s
40 Wolfersheim K
49 Wolfersweiler K und S
12 Wustweiler s
10 Seit dem Zwalbach siehe Rappweiler Versand des Fragebogens vor rund sechs Jahrzehnten sind einige
ienpublikationen und eine Reihe größerer und kleinerer Abhandlungen zur Ge-
schichte des Saarlandes und einzelner Orte im Zweiten Weltkrieg in Buch- oder
Aufsatzform erschienen. Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges werden in orts-
geschichtlichen Veröffentlichungen angesprochen, aber in unterschiedlicher Aus-
führlichkeit dargestellt. Nur selten wird das Geschehen der Jahre 1939 bis 1945 in
einer der Rundfrage in etwa adäquaten Breite behandelt.
Stichprobenweise Vergleiche zwischen Ergebnis der Rundfrage und Darstellung
derselben Thematik in der jeweiligen ortsgeschichtlichen Literatur ließen erken-
nen; dass die „Rundfrage“-Ergebnisse zwar für einzelne saarländische Orte ausge-
wertet wurden, aber nicht systematisch für überörtliche Untersuchungen. Dies
dürfte nicht zuletzt an dem geringen Bekanntheitsgrad der Rundfrage liegen, was
mich zu dem vorliegenden Beitrag veranlasst hat.
405
Die Ergebnisse der Rundfrage werden, teilweise in größerem Maß, ergänzt
durch Quelleneditionen und Abhandlung von Einzelthemen in Buch- und Aufsatz-
form, die nach der Rundfrage-Aktion erschienen sind, inzwischen zugänglich ge-
wordene Akten und/oder Erlebnisberichte einzelner Ortsbewohner auswertet. Die
Beschreibung der Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges auf einen einzelnen Ort,
auf einen Landkreis und/oder das gesamte Saarland sollte aufbauen auf den Quel-
leneditionen, der Sekundärliteratur und den Rundfrage-Ergebnissen.
Als Handreichung für ein solches Verfahren ist die nachstehende Auflistung von
Literatur zu verstehen; in ihrer Systematik folgt sie den Gruppen der Rundfrage.
Sie lässt Schwerpunkte und Defizite der bisherigen Forschungen auf Ortsebene er-
kennen. Vollständigkeit wurde bewusst nicht angestrebt. Kleinere Beiträge (unter 8
Druckseiten) wurden von mir nicht aufgenommen, ebenso nicht Einzelartikel in
den Tageszeitungen, es sei denn, sie enthielten mir besonders interessant erschei-
nende Details. Zur vollständigen Erfassung einschlägiger Literatur verweise ich auf
die „Saarländische Bibliographie“, deren Entstehung ja eng mit der Kommission
für Saarländische Landesgeschichte verbunden ist.
Allgemeine Darstellungen und Quelleneditionen
Erich MURAWSKI, Der deutsche Wehrmachtsbericht 1939-1945, Boppard 1962.
Andreas Hillgruber, Walther Hubatsch, Hans Adolf Jacobsen und Percy Emst
SCHRAMM, Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, München
1982, 8 Bde.
Doris SECK, Es begann vor 40 Jahren. Saarländische Kriegsjahre [Zusammenfas-
sung von Beiträgen in verschiedenen Nummern der Saarbrücker Zeitung 1979],
3. Auflage Saarbrücken 1980.
H. M. COLE, United States Army in World War II, Bd. V: The Lorrain Campaign
Washington D.C. 1950
Walton H. WALKER, Capture of Saar - Moselle Triangle and Trier, XX. Corps US-
Army
Arbeiten über örtliches Geschehen
Angaben über Verlauf und Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges finden sich in
fast allen Veröffentlichungen, die die Geschichte einer Stadt oder eines Dorfes in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts behandeln. Im Folgenden sind nur die auf
den Zweiten Weltkrieg ausgerichteten erwähnt.
Aßweiler und der Zweite Weltkrieg, hg. vom Arbeitskreis Heimatgeschichte Aß-
weiler, Blieskastel-Aßweiler 1990.
Susanne SCHROETER, Kriegsende in einem saarländischen Grenzdorf: Berus
1944/45.
Edgar Mais, Ende und Anfang 1945: die Kriegs- und Nachkriegszeit des Jahres
1945 im Kreis Birkenfeld, Birkenfeld 1985 (Mitteilungen des Vereins für Hei-
matkunde im Landkreis Birkenfeld, Sonderheft 48).
Walter WEBER, Bliesdalheim im 2. Weltkrieg: eine Dokumentation, Blieskastel
2001.
Bliesmengen-Bolchen und der Zweite Weltkrieg: das Dorf an der Front, Berichte,
hg. vom Verein für Dorfgeschichte Bliesmengen-Bolchen 1997.
406
Armin JOST, Dillingen im Zweiten Weltkrieg - eine Dokumentation der Dillinger
Geschichtswerkstatt, Dillingen 2002.
Rudolf SAAM, Unmittelbare Vorkriegszeit und Zweiter Weltkrieg in Dudweiler,
Saarbrücken 1979, auch in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 26
(1978), S. 165-178.
Achim Wagner, Die letzten Kriegsmonate und die unmittelbare Nachkriegszeit in
Dudweiler, in: Historische Beiträge aus der Arbeit der Dudweiler Geschichts-
werkstatt, Dudweiler 11 (2010), S. 102-118.
Roland Schmitt: „Keiner wusste, wie es weitergehen sollte“: die Eschringer
Kriegsjahre 1939-1945. Aufzeichnungen und Gesprächsprotokolle von Zeitzeu-
gen, Saarbrücken-Eschringen 2000.
Der 2. Weltkrieg 1939 bis 1945 von Dorfleuten erlebt und erzählt, Fremersdorf
[1994]
Volkmar SCHOMMER, Bewegte Jahre Band II: Der Zweite Weltkrieg im Haustadt-
er Tal und in den angrenzenden Gebieten an der mittleren Saar, Beckingen
1997.
Rebekka KLEIN, Der Krieg ist aus - 50 Jahre Kriegsende in Illingen. Untersu-
chungsergebnisse zum 50. Jahrestag des Kriegsendes in Illingen, Illingen 1995.
Joachim KÜHN, Ursula Briel und Hans Dommermuth, Nationalsozialismus im
Köllertal. Katalog zur Ausstellung der Geschichtswerkstatt Püttlingen der
Volkshochschulen des Stadtverbandes Saarbrücken, Saarbrücken 1990.
Elmar MAYER, So erlebte Heusweiler den 2. Weltkrieg, Heusweiler 1982.
H. Balzert, Kriegsende 1945, Püttlingen,
P. LERMEN, Die Pfarrei ULF Püttlingen im Kriege, Püttlingen 1988.
Paul Sperling und Michael MÜLLER, Die Kriegsereignisse 1939/1945 im Raum
Püttlingen-Köllerbach, Püttlingen 1998, 586 S. und 32 Bildseiten (Beiträge zur
Geschichte des Köllertals 7).
Susanne Neis, Neunkirchen im Zweiten Weltkrieg. Erinnerungen zum 50. Jahres-
tag der Zerstörung einer Stadt, Neunkirchen 1996.
Hans A. Thiel, Zeit ohne Heimat: die letzten Kriegsmonate zwischen Obermosel
und Saar, Trier 2008.
Bernhard Becker, Tagebücher und Erlebnisberichte aus dem Zweiten Weltkrieg,
Ormesheim 1995.
Dieter Bettinger, Die Kriegs- und Soldatenchronik der Stadt Ottweiler, Ottweiler
2005.
Erich Schneider, Kriegsjahre in Saarbrücken: Erinnerungen, in: Kaiserslautemer
Jahrbuch für pfälzische Geschichte und Volkskunde 8/9 (2008/2009), S. 499-
538.
Hans Trautes, Erinnerungen an Saarbrücken während des Zweiten Weltkrieges
1939-1945, 2. Auflage Saarbrücken 1982.
Manfred Lang, Es war im Winter 1944 und im Frühjahr 1945, in: Saarbrücker
Hefte 56 (1984), S. 5-23.
Kurt Harer (Hg.), Völklingen im 2. Weltkrieg, Völklingen 1995 [darstellende
Texte, Reproduktionen zeitgenössischer Druckschriften, Bilder].
Helmut UHL, Der Warndt im 2. Weltkrieg, Dillingen 1980.
Ders., Kriegschronik 1939-1945: Ludweiler-Warndt, ein Grenzlandschicksal
[1978].
407
Edwin ROUGET, Zeitzeugen der Geschehnisse des letzten Krieges in Lauterbach,
in: Zur Geschichte des Warndts 2007, 4, S. 5-14.
Paul BLATT, Das Ende, das ein Anfang war: das Kriegsende 1945 in Winterbach.
Winterbach 1995.
Hubert ORTH und Rainer Ludwig, Kriegstagebuch, in: Jahrbücher des Landkreises
Trier-Saarburg 1974-76.
Veröffentlichungen über einzelne Sachbereiche, aufgelistet nach
der Systematik der Rundfrage
Militärische Anlagen (Fragen 1-13)
Doris SECK, Unternehmen Westwall, Saarbrücken 2. Auflage 1981.
Wir bauen des Reiches Sicherheit. Mythos und Realität des Westwalls 1938-1945,
Berlin 1992, darin S. 87-101 Beitrag von Bernd SlNTERHAUF, Ortstermin: Der
Westwall im Saarland.
Dieter BETTINGER und Martin Büren, Der Westwall. Die Geschichte der deut-
schen Westbefestigung im Dritten Reich, 2 Bde., Osnabrück 1990.
Dieter BETTINGER, Hans Josef Hansen und Daniel LoiS , Der Westwall von Kleve
bis Basel. Auf den Spuren deutscher Geschichte, Wölfersheim-Berstadt 2002.
Dieter BETTINGER, Der Orscholzriegel: Planung, Aufbau, Kämpfe (Merzig-
Wademer Geschichtshefte 1,2000).
Martin BÜREN, Das B-Werk Besseringen, eine bemerkenswerte Befestigungsanla-
ge des Westwalls im Saarland, in: Bericht der Staatlichen Denkmalpflege im
Saarland, Abteilung Kunstdenkmalpflege 25/26 (1978/79), S. 83-97.
Helmut LAUER, Zweibrücken am Westwall, eine Dokumentation zum Westwall
um Zweibrücken, Homburg, Pirmasens, Zweibrücken 1989 (Reihe heimathistori-
scher Dokumentationen 5).
Heinrich MEUREN, 50 Jahre Westwall, in: Unsere Heimat 15 (1990), S. 2-9 und 54-
67.
Rudolf MÜLLER, Westwallbau 1938/39 und Freimachung der Roten Zone im Kreis
Saarburg, in: Hochwälder Geschichtsblätter 2 (1989), S. 20-31.
Pierre RHODE, Die B-Werke des Westwalls, in: Dokufest Nachrichten 5 (1983),
Heft 2, S. 1-6,(1984), Heft 1,S. 10-15.
Georg STEIGNER, Westwall und der große Bluff vom Frieden: vor 50 Jahren in un-
serem Grenzland, Aufsatzfolge in: Pfälzischer Merkur 1988, Nr. 23 lf., 234-237,
239, 242f., 245, 247, 249, 25lf., 254, 256, 259, 264, 267, 269, 271, 273, 275.
Frage 4: Schutzunterstände für die Bevölkerung
Agnes GROß, Letzte Zufluchtsstätte: Der Felsenstollen Rosenthal: das Kriegsende
in Lisdorf, Saarlouis 2002.
Frage 5: Minenfelder.
Alois FOLLMAR, Die heimtückischen Minenfelder um Bliesransbach: Erinne-
rung an die Minenopfer von 1945 bis 1947, in: Bliesransbach - heimatkundliches
Jahrbuch 2002, S. 41-49.
Der dem saarländischen Innenministerium unterstehende Kampfmittelräum-
dienst hat, vornehmlich in den 1980er Jahren, die Lage ehemaliger Befestigungsan-
lagen, Minenfelder und Kriegszerstörungen durch Bombenabwürfe der gegneri-
408
sehen Luftstreitkräfte aufgenommen und in 24 Blättern der topographischen Karte
Maßstab ! :25.000 eingetragen; das Ergebnis erschien 1990 in einer abschließenden
Ausgabe; eine Serie wird im Landesarchiv verwahrt. Die kriegsgeschichtlichen
Aussagen des Kartenwerks haben nach meiner Ansicht bisher nicht die angemes-
sene Beachtung gefunden.
Erdkampf (Fragen 14-27)
Kriegsjahr 1939/40
SCHARF, Unteroffizier, Wir durchbrechen die Maginotlinie, Saarbrücken 1941
[schildert den Einsatz des Infanterieregimentes Nr. 70].
E. GEHRING, Von der Saar bis an die Mosel. Marsch, Kampf und Sieg einer Infan-
terie-Division im Westen [212. Division], München ohne Jahr [1941?] [Einsatz-
raum: Saarabschnitt Völklingen bis Dillingen].
Krieg an der Saar-ein Divisionserinnerungsbuch, Nancy 1941.
Leo Freiherr Geyr von Schweppenburg [General der Panzertruppen XXIV.
Korps], Saar 1939, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 15 (1965),
S. 220-242.
Dieter BETTINGER, Der Einsatz der 93. Infanterie-Division im Westen 1939-1940,
in: Unsere Heimat 10 (1985), S. 44-63 und 85-138.
Hans-Jochen Pflanz, Geschichte der 258. Infanterie-Division Teil 1: 1939-1940,
Kemmenau 1985 [darin S. 40-48 Stellungskrieg im Westwall und in seinem
Vorfeld zwischen Warndt und Forbach November 1939 bis April 1940].
Franz SCHMIDT, Ein weiter Weg - aus der Chronik des saarländischen Grenzinfan-
terieregimentes 125, Saarbrücken [1982].
Klaus Weiter, Geschichte des Grenz-Pionierbataillons 74 [...], Dillingen 1981.
Dieter BETTINGER, Beiträge zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges im Bereich
des heutigen Saarlandes, Teil 1, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saarge-
gend 26 (1978), S. 179-240; Teil 2, ebenda 27 (1979), S. 103-207; Teil 3, eben-
da 28 (1980), S. 149-233.
Ders., Kriegsereignisse 1939/40 im Bereich des heutigen Saarlandes, in: Saarpfalz
S. 28-43.
Hans-Jochen PFLANZ und Dieter BETTINGER, Der Angriff gegen die Maginotlinie,
in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 23/24 (1975), S. 194-199.
Manfred Diehl, Der Beginn des 2. Weltkrieges, in: Jahrbuch Walpershofen 2
(2005), S. 84-115.
Sepp Allgayer und Günther WOLTER, Unser Grenzland zu Beginn des Krieges.
Damals im Herbst 1939, in: Pfälzischer Merkur 1979, Nt. 222, 227 und 246.
Hans Neis, Vorfeldkämpfe auf dem Gau, in: Unsere Heimat 4 (1979), S. 99-103.
Norbert ETRINGER, Das Kriegsgeschehen in der Dreiländerecke 1939/40, Luxem-
burg 1983.
Kriegsjahr 1944/45
Dieter BETTINGER, Die Geschichte der Heeresgruppe G: Mai 1944 bis Mai 1945,
Aachen 2010.
Edgar CHRISTOFFEL, Der Endkampf zwischen Mosel, Saar und Ruwer 1944/45,
Trier 1985.
409
Ders., Krieg am Westwall 1944/45 - Das Grenzland zwischen Aachen und Saar-
brücken in den letzten Kriegsmonaten, Trier 1989, 556 S. [bisher ausführlichste
Darstellung der Kämpfe im letzten Kriegsjahr in dem genannten Abschnitt, we-
nig über die Kämpfe östlich von Saarbrücken im heutigen Saarpfalz-Kreis und
über Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung].
Dieter Bettinger, Der Rückzug der deutschen Truppen im Westen in den Jahren
1944 und 1945 aus deutscher Sicht unter besonderer Berücksichtigung der
Kämpfe im Bereich der Heeresgruppe C, in: Vortragssammlung der Arbeitsge-
meinschaft für Landeskunde [...] 1995, S. 59-70.
[Erich] SPIWOKS und H[ans] STÖBER, Endkampf zwischen Mosel und Inn. - 13.
SS-Armeekorps, Osnabrück 1976 [Rückzugskämpfe im Saarland auf S. 96-168].
H. RlTGEN, Panzer-Lehr-Division im Westen 1944/45, 1979 und 1998.
Kriegstagebuch Götz von Berlichingen: die letzten 110 Tage des 2. Weltkrieges in
unserer Heimat. Grenzlandschicksal zwischen Maginotlinie und Westwall; letz-
ter Akt, 2. Auflage Bliesdalheim [1995].
Hans Stöber, Die Sturmflut und das Ende: Die Geschichte der 17. Panzergrena-
dierdivision „Götz von Berlichingen“, Bd. 2: Die Deiche brechen, Osnabrück
1987.
W. TRIERENBERG, Divisionsbericht der 347. ID (Inf.Division) vom 15.11.1944 bis
24.3.1945, Mosebeck 1948.
Jürgen KEDDlGKEIT, Die militärische Besetzung des südlichen Rheinland-Pfalz und
des Saarlandes im März des Jahres 1945, in: Jahrbuch für westdeutsche Landes-
geschichte 10 (1984), S. 319-366 [detaillierte Darstellung der Kämpfe unter
Verwendung der Vemehmungsprotokolle kriegsgefangener deutscher Offiziere
durch die US-Army].
Stefan Haas, „dann kommt der Krieg zu Dir“. Das Kriegsende im Saarland. Bil-
der, Ereignisse und Zusammenhänge vom Ende des 2. Weltkrieges im Land an
der Saar.
Claus Speth, Die Verteidigung der „Zitadelle von Saarlautern“ 1944/45: Auszüge
aus dem Kriegstagebuch des Gefreiten Richard Große. Ergänzungen und Kom-
mentar, in: Unsere Heimat 18 (1993), S. 26-33.
Heinrich MEUREN und Rolf A. BAUER, Der Sturm auf den Westwall 1944. Die
Brückenköpfe der US-Army in Saarlouis und Dillingen, in: Unsere Heimat 5
(1980), S. 45-89.
Martha TRENZ, Die letzten Kriegstage von Geislautern: November 1944 bis März
1945, in: Schloßjoumal Geislauterner Geschichten 2000, 10, S. 4-18.
Manfred Lang, Es war im Winter 1944 und im Frühjahr 1945, in: Saarbrücker
Hefte 56 (1984), S. 5-24.
L. JACOBI, La bataille de Forbach 1944/45.
Helmut JUNG, Der Angriff auf den Westwall im Raum Ommersheim-
Oberwürzbach, in: Saarpfalz 13 (1987), S. 54-63, 14 (1987), S. 54-62.
DERS., Der Einsatz der US-Panzer beim Angriff auf den Westwall im Raum Ens-
heim-Heckendalheim - Ommersheim - Oberwürzbach, in: Saarpfalz 1999, 1, S.
42-55.
Matthias THÖNNES, „Die Amis kommen“. Die Eroberung des Saar-Hunsrück-
Raumes durch die Amerikaner 1944/45, Aachen 2001.
410
Edgar MAIS, Die Kämpfe auf dem Hunsrück und an der Nahe 10.- 20. März 1945,
Birkenfeld 1986 (Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde im Landkreis Bir-
kenfeld, Sonderheft 50).
Roland Geiger, Der Vormarsch der amerikanischen Truppen im Westen im Be-
reich des heutigen Saarlandes im März 1945: aus diversen Quellen zusammen-
gesucht, gewürzt mit ein bißchen Kombination und ganz, ganz wenig Phantasie,
2. Auflage St. Wendel 1995.
DERS., Die Besetzung des Kreises St. Wendel durch die Amerikaner - ein Nach-
trag in Wort und Bild, in: Heimatbuch des Landkreises St. Wendel 26
(1995/96), S. 235-244.
Reimund Benoist, Die Amis kommen - eine Dokumentation zum Kriegsende im
Landkreis St. Wendel, St. Wendel 1995.
Doris SECK und Paul PETERS, Die Stunde Null - das Kriegsende an der Saar, Saar-
brücken 1981 und 1986.
Stefan Haas, „...dann kommt der Krieg auch zu Dir!“: das Kriegsende 1945 im
Saarland; Bilder, Ereignisse und Zusammenhänge vom Ende des Zweiten Welt-
krieges im Land an der Saar, Saarbrücken 2008.
Manfred STEINMETZ, St. Wendel zum Kriegsende und unter US-Besatzung: der
März 1945 im militärhistorischen Gesamtzusammenhang, in: Heimatbuch des
Landkreises St. Wendel 23 (2004/06), S. 128-137.
Vor Vierzig Jahren ging in unserer Region der Zweite Weltkrieg zu Ende, Serie in
Saarbrücker Zeitung Ausgabe Lebach, Schmelz, Eppelborn, Wadem Nr. 61 vom
13.03., Nr. 67 vom 27.03., Nr. 79 vom 03.04., Nr. 83 vom 10.04., Nr. 89 vom
17.04., Nr.101 vom 01./02.05., Nr. 112 vom 15.05. 1985.
Cornelia Hoffmann, Das Kriegsende in Schmelz, in: Schmelzer Heimathefte 7
(1995), S. 67-108.
Willy SACHS, Die „Stunde Null“ in Homburg: Notizen und Erinnerungen, Hom-
burg 1990 (Homburger Hefte).
Rudi BRILL, Tagebuch 1944/45 [Bexbach 1979, betr. vornehmlich die Ereignisse
in diesem Ort]
Luftkampf (Fragen 28-33)
Horst Wilhelm, Luftkrieg über der Saar 1939-1945. Die Bombenangriffe der alli-
ierten Luftflotten auf Städte und Gemeinden des Saarlandes und die Flugzeug-
abstürze der beteiligten Luftstreitkräfte im Saarraum - eine Dokumentation, 4.
Auflage Merchweiler 2011
[Auflistung der Bombenangriffe und Flugzeugabstürze im Saarland].
Aloysius SCHOLTES, Fliegerangriffe auf den Raum Eppelborn im Zweiten Welt-
krieg, in: Eppelborner Heimathefte 6 (1993), S. 89-102.
Bernhard Becker, Luftangriffe auf den Landkreis Homburg in den Jahren
1939/45, in: Saarpfalz 2007, 4, S. 21-36.
Horst Wilhelm unter Mitarbeit von Werner Raber und Manfred Licht, Die Re-
gion Neunkirchen im Luftkrieg 1939-1945. Teil I: Die Bombenangriffe der alli-
ierten Luftflotten auf die Stadt Neunkirchen und die Gemeinden Schiffweiler,
Landsweiler-Reden,
Werner Eckel, Saarbrücken im Luftkrieg 1939-1945, Saarbrücken 1985.
411
Dieter GRAEBNER, Über uns Feuer und Verderben. Der Bombenkrieg an der Saar,
Blieskastel 2004 [behandelt schwerpunktmäßig den Angriff auf Saarbrücken am
5. Oktober 1944].
Doris SECK, Die Nacht als Saarbrücken unterging: 5. Oktober 1944; deutsche Städ-
te im Bombenkrieg, Gudensberg-Gleichen 2004.
Emst Itschert, Marcel REUCHER, Gerd SCHUSTER und Hans STIFF, „Feuer frei -
Kinder!“, Saarbrücken 1984 [Einsatz von Saarbrücker Schülern als Luftwaffen-
helfer].
Heinrich MEUREN, Saarlautem - das Ausweichziel am 4. Oktober 1943, in: Unsere
Heimat 18 (1993), S. 93-103.
Kurt Friemond, 11. Mai 1944: In Wehrden fielen Bomben, in: Geschichte des
Warndts 1999, S. 1-19.
Wemmetsweiler und Friedrichsthal im Zweiten Weltkriege. Eine Dokumentation,
Wemmetsweiler 1998, Teil II: CRASH '44: Nach den Bomben die Bomber. Ei-
ne Dokumentation, Wemmetsweiler 1998.
Reimond BENOIST, Der Absturz eines US-Bombers bei Fürth 1944 und ein
Freundschaftstreffen 52 Jahre danach, in: Heimatbuch des Landkreises St. Wen-
del 27 (1998), S. 75-86.
Roland GEIGER, Die Fliegende Festung vom Hahnenwald: Dokumentation über
den Absturz eines amerikanischen Bombers und das Schicksal seiner Besatzung
zwischen Hüttersdorf und Primstal am 3. August 1944, in: Schmelzer Heimat-
hefte 10(1998), S. 75-100.
Klaus ZIMMER, Bomberabstürze im Zweiten Weltkrieg im Bereich des Stadtver-
bandes Saarbrücken, in: 50 Jahre Arbeitsgemeinschaft für Landeskunde im His-
torischen Verein für die Saargegend 1949-1999, Ottweiler [2000], S. 204-232.
Ders., Die fliegende Festung „Bombo“: abgestürzt am 13. September 1944 bei
Fürth, in: Westricher Heimatblätter 28 (1997), S. 51-77.
DERS., Die „Fliegende Festung“ bei Bebelsheim: abgestürzt am 13. September
1944, in: Saarpfalz 1998, 2, S. 34-57.
Ders., Flugzeugabstürze zwischen Rhein und Hunsrück am 29. Januar 1944, in:
Westricher Heimatblätter 30 (1999), S. 51-95.
DERS., Bomberabstürze im Zweiten Weltkrieg, in: Saarpfalz 1999, 3, S. 11-45.
DERS., Jagdfliegerabstürze im Saarpfalz-Kreis im Zweiten Weltkrieg (1939-1945),
in: Saarpfalz 2004, 2, S. 5-38.
Einquartierungen (Fragen 34-37)
Über Einsatz des Volkssturms (Frage 36) einige Angaben bei Christoffel, Krieg
am Westwall (siehe oben).
Kriegsschäden und Kriegsverluste (Fragen 38-50)
Karl GRAF, Land am Westwall - kriegszerstörte westmärkische Grenzdörfer, Kai-
serslautern 1941.
DERS., Zwischen Westwall und Maginotlinie - kriegszerstörte westmärkische
Grenzdörfer, Kaiserslautern 1941.
Überblick über die Kriegsschäden 1939-1945 in der Stadt Neunkirchen (Saar),
Neunkirchen 1948.
Werner SCHERER, Bilder der Zerstörung Gersweilers, Zaltbommel/Niederlande
1990.
412
Uwe Mai, Ländlicher Wiederaufbau in der „Westmark“ im Zweiten Weltkrieg,
Kaiserslautern 1993 (Beiträge zur pfälzischen Geschichte).
Schicksale der Bevölkerung während der Evakuierung (Fragen 51-59)
Bei der Rückführung der Zivilbevölkerung aus der Kampfzone in rückwärtige
Gebiete sind zeitlich und organisatorisch drei Phasen zu unterscheiden:
1) die schon vor Kriegsbeginn geplante und vorbereitete Rückführung der Zivil-
bevölkerung aus dem Gebietsstreifen zwischen Reichsgrenze und Hauptkampflinie
des Westwalls, sogenannte „Rote Zone“,
2) die weniger gut organisierte Rückführung der Zivilbevölkerung aus der
Kampfzone im Herbst 1944 und Frühjahr 1945 durch deutsche Behörden,
3) die Rückführung deutscher Zivilisten aus der Kampfzone durch die US-Army
zwischen November 1944 und Februar 1945.
Phase 1 ist von der Forschung am besten aufgearbeitet:
Günther RUMLER und Otto Holzmann, Freigemachtes Grenzland, Erlebnisberich-
te, Berlin 1942 [will den Einsatz der Schutzpolizei in den evakuierten Gebieten
im ersten Kriegsjahr würdigen].
Maria CROON, Aus der Evakuierung 1939/40. Ein Erlebnisbericht, in: Heimatbuch
des Kreises Merzig-Wadern 1966, S. 265-279.
Dies., Aus unserer ersten Evakuierung 1939-40. Ein Erlebnisbericht, in: Heimat-
und Volkskalender 1970, S. 67-76.
Irmgard PELLER-SEGUY, Von „Adventskranz“ bis „Hinterhaus“. Die politischen
und militärischen Hintergründe der ersten Evakuierung der Saar 1939, in: Saar-
heimat 13 (1969), S. 205-209.
Hans-Walter HERRMANN, Die Freimachung der Roten Zone 1939/40. Ablauf und
Quellenlage, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 32 (1984), S. 64-89.
Fritz JACOBY, Quellen zur ersten Evakuierung 1939/40 im Stadtarchiv Saarbrü-
cken, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 32 (1984), S. 107-110.
Gustav A. NÄHER, Scheidt 1939: nach der Mobilmachung die Evakuierungen
[Saarbrücken-Scheidt] 1987.
Arbeitskreis Dorfgeschichte [Ommersheim] (Hg.), Zeitzeugen II. Weltkrieg -
Ommersheimer Zivilpersonen erzählen, Ommersheim 2009.
Joachim Kermann, Kriegsausbruch und Räumung der „Roten Zone“ im Gau
Saarpfalz (September 1939), zeitgenössische Stimmungsberichte aus dem Jus-
tizbereich, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 97 (1999), S.
555-649.
Heinrich LESSEL, Vor 50 Jahren begann die erste Evakuierung, in: Saarbrücker
Zeitung- Saarlouiser Rundschau Nr. 201-204 (30.08.- 03.09.1989).
Karl Lillig, „Räumung“ der „Parr“ vor 70 Jahren: persönliche Erinnerungen, in:
Saarpfalz 2009,3, S. 58-63 [betr. Medelsheim].
Alfred Saam, Die Evakuierung der Familien aus Hassel [...] zu Beginn des Zwei-
ten Weltkrieges, in: Saarpfalz 2003, 1, S. 36-53.
Ferdinand Schickel, Die Kriegsjahre im Grenzland. Es begann vor 50 Jahren mit
der Räumung der Roten Zone, in: Pilgerkalender 68 (1989), S. 74-91.
[Manfred SCHMELZER], Vor 50 Jahren brach der 2. Weltkrieg aus, [Artikelfolge]
in Saarbrücker Zeitung/St. Ingberter Zeitung 25.08., 28.08., 01.09., 02./03.09.,
05.09., 08.09 1989.
413
Vor 60 Jahren: Erinnerung an die Evakuierung der Roten Zone zu Beginn des
Zweiten Weltkrieges 1939/40 - Ausstellung im Landesarchiv Saarbrücken
1999.
Wie ich den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und die erste Evakuierung erlebte,
2. Auflage Merzig 1995 [Erinnerungen von Senioren].
Was ich bei der zweiten Evakuierung und bei Kriegsende erlebte, 2. Auflage Mer-
zig 1995 [Erinnerungen von Senioren].
Karl GRAF, Zwischen Westwall und Maginotlinie: kriegszerstörte westmärkische
Grenzdörfer, Kaiserslautern 1941.
DERS., Land am Westwall: kriegszerstörte westmärkische Grenzdörfer, Kaiserslau-
tern 1941.
Uwe MAI, Ländlicher Wiederaufbau in der „Westmark“ im Zweiten Weltkrieg,
Kaiserslautern 1993 (Beiträge zur Pfälzischen Geschichte Bd. 6 ) [betr. auch Or-
te im Saarland]
Phase 2
Der Vormarsch der US-Truppen durch Nordfrankreich, Belgien und Luxemburg
bedingte, dass im Herbst 1944 zunächst das Gebiet zwischen Saar und Mosel in
den Bereich militärischer Aktionen geriet. Die Bevölkerung einiger Dörfer nahe
der Grenze zum heute französischen Moseldepartement wurde in den Nahe-
Hunsrück-Raum zurückgeführt. Die heute sogenannte „Dreiländerecke“ gehörte
nach damaliger Verwaltungseinteilung nicht zum Saarland, sondern zum Regie-
rungsbezirk Trier, parteiamtlich nicht zum Gau Westmark, sondern zum Gau Mo-
selland.
Die links der Saar gelegenen Teile des Saarlandes wurden in der zweiten No-
vemberhälfte Kampfgebiet. Eine Evakuierung der Bevölkerung wurde eingeleitet,
aber nicht streng durchgeführt, so dass Teile der Ortsbevölkerung - auch von Saar-
louis - sich „überrollen“ ließen, das heißt mehr oder weniger versteckt den Ein-
marsch der US-Truppen abwarteten.
Im November wurde mit der Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den Städten
und Dörfern auf dem rechten Saarufer begonnen, aber nicht mit dem hohen Wir-
kungsgrad wie in den ersten Septembertagen 1939. Dementsprechend variiert die
Antwort auf die diesbezügliche Frage „freiwillig“ oder „zwangsweise“. Die Ant-
worten aus den Dörfern im südlichen Bliesgau lauten ähnlich und zeigen, dass
auch hier ein Verbleiben am Ort durchaus möglich war.
In der Literatur wird diese Phase weniger ausführlich als Phase 1 behandelt.
Ottilie SCHMIDT, Rückkehr aus der Zweiten Evakuierung 1945, in: Unsere Heimat
15 (1990), S. 96-98.
Phase 3
Die US-Army war bestrebt, die bei der Besetzung von Dörfern auf dem linken
Saarufer noch angetroffenen Bewohner nicht in ihren Dörfern zu belassen, sondern
an einigen wenigen Auffangorten zu konzentrieren, als solche werden in den Ant-
worten auf die Rundfrage Niedaltdorf als Aufnahmestelle von etwa 2.500 Men-
schen aus Dörfern des Saargaus genannt, Großrosseln und Lauterbach für Bewoh-
ner der Wamdtdörfer. Bewacht wurden sie teilweise von französischen Hilfskräf-
ten. Einzelnen gelang es, dieser Konzentrierung zu entgehen und wochenlang im
Heimatdorf versteckt zu leben. Die Rückkehr in die heimischen Dörfer wurde ge-
nerell erst Ende März 1945 erlaubt, zog sich aber je nach den örtlichen Verhältnis-
414
sen (Zerstörungsgrad des Wohnraumes, Betriebsfahigkeit von Versorgungseinrich-
tungen) bis in die Sommermonate hin.
Anders verfuhren die zuständigen US-Offiziere im Fall Utweiler. Der Ort war
am 22. Dezember 1944 von US-Truppen eingenommen worden. Als sie sich schon
zwei Tage später infolge eines deutschen Gegenangriffs zurückziehen mussten,
nahmen sie die im Ort verbliebenen deutschen Zivilisten mit. Als Zivilinternierte
wurden sie in einem ehemaligen Schloß bei Chalon-sur-Saône untergebracht und
durften erst im Herbst 1945 wieder zurückkehren. Das ist der einzige mir bekannt
gewordene eindeutige Fall einer Internierung saarländischer Ortsbevölkerung in
Innerfrankreich. Bei der Verbringung von deutschen Männern aus den Auffangla-
gern im Warndt Mitte Januar 1945 nach Poitiers könnte es sich um desertierte
deutsche Soldaten und nicht um Zivilisten gehandelt haben.
Der Versuch einer zusammenfassenden Darstellung des Umganges der US-
Army mit der saarländischen Zivilbevölkerung in der Kampfzone beziehungsweise
der Rückführung hinter die Front wurde meines Wissens bisher noch nicht unter-
nommen.
Die Evakuierungen im deutsch-französischen Grenzraum während des Zweiten
Weltkrieges sind seit Herbst 2010 Teil eines gemeinsam von der Universität des
Saarlandes, der Université Paris-Sorbonne und der Ruhr-Universität Bochum ge-
tragenen überregionalen Forschungsprojektes11. Die Evakuierung der Saarbevölke-
rung soll in Form vergleichender Untersuchungen in einen breiten europäischen
Kontext eingebettet werden.
Frage 60: Kriegsgefangenen-, Ausländer- oder Konzentrationslager
Bernd Eichmann, Versteinert, verharmlost, vergessen: KZ-Gedenkstätten in der
Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main 1985, S. 111-120.
Hermann VOLK, Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes
und der Verfolgung 1933-1945, Bd. 4: Saarland, Köln 1990.
Hans-Henning Krämer und Inge Plettenberg, Feind schafft mit. Ausländische
Arbeitskräfte im Saarland während des Zweiten Weltkrieges, Ottweiler 1992.
Hans-Henning KRÄMER, Der Feind als Kollege - Kriegsgefangene und ausländi-
sche ZwangsarbeiterINNEN, Saarbrücken 1993 (Beiträge zur Regionalgeschich-
te 15).
Fabian LEMMES, Zwangsarbeit in Saarbrücken. Ausländische Zivilarbeiter und
Kriegsgefangene 1940-1945, St. Ingbert 2004.
Inge PLETTENBERG, Ausländische Zwangsarbeiter im Saarland während des Zwei-
ten Weltkrieges, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus
an der Saar 1935-1945. Katalog zur Ausstellung des regionalgeschichtlichen
Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988, S. 236-252.
Dies., Die Wandinschriften in der Gestapo-Zelle [im Keller des Saarbrücker
Schlosses], in: ebenda S. 253-265.
Raja Bernard und Dietmar Renger, Neue Bremm. Ein KZ in Saarbrücken,
Frankfurt am Main 1984, 3. Auflage Heusweiler 1989.
11 Vorgestellt wurde das Projekt in einem Internationalen Workshop im Juni 2011. Dabei re-
ferierte Fabian Lemmes (Bochum) über „Die Evakuierungen im deutsch-französischen
Grenzraum während des Zweiten Weltkrieges, Stand der Forschung, Konzepte und Per-
spektiven“.
415
Dietmar RENGER, Das KZ „Neue Bremm“ in Saarbrücken, in: Zehn statt Tausend
Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar 1935-1945. Katalog zur
Ausstellung des regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß,
Saarbrücken 1988, S. 225- 235.
Bernd EICHMANN, Saarbrücken Hungerlager am Löschwasserteich, in: Bernd
ElCHMANN, Versteinert, verharmlost, vergessen: KZ-Gedenkstätten in der Bun-
desrepublik Deutschland Frankfurt am Main 1985, S. 111-120.
Karl Heinz JANSON, Arbeiten und Sterben für den totalen Krieg. Ostarbeiter und
Ostarbeiterinnen in Heusweiler 1942 bis 1945 (Beiträge zur Regionalgeschichte
9), [hg. vom ] Verein für Industriekultur und Geschichte Heusweiler-Dilsburg
e.V., Heusweiler 2010
Elisabeth THALHOFER, Neue Bremm - Terrorstätte der Gestapo. Ein Erweitertes
Polizeigefängnis und seine Täter 1943-1944, 3. Auflage St. Ingbert 2004.
Dies., „Sadisten oder vorsätzliche Mörder? „Die Täter des Saarbrücker Polizeige-
fängnisses Neue Bremm, in: Saarbrücker Hefte 87 (2002), S. 46-55.
Dies., Vergessenes Leid - die Frauenabteilung des Gestapo-Lagers Neue Bremm,
in: Eckstein 2003, Nr. 10, S. 30-43.
DIES., Dachau in Rastatt. Der Prozeß gegen das Personal des Gestapo-Lagers Neue
Bremm vor dem Tribunal Général de la Zone Française in Rastatt, in: Ludwig
Eiber und Robert SIEGEL (Hgg.), Dachauer Prozesse. NS-Verbrechen vor ame-
rikanischen Militärgerichten in Dachau 1945-1948. Verfahren, Ergebnisse,
Nachwirkungen, Göttingen 2007, S. 192-209.
Dieselbe weitere Arbeiten zu demselben Lager.
416
Rundfrage
über die Schicksale der saarländischen Gemeinden
und ihrer Bevölkerung im 2. Weltkrieg
Militärische Anlagen
1. Lagen innerhalb der Gemarkung Westwallbunker? Wenn ja: Angabe der Zahl
und des Lageortes, wenn möglich mit Kartenskizze.
2. Befanden sich innerhalb der Gemarkung Höckerlinien? Wenn ja: Angabe des
Verlaufs und ungefähre Länge, (wenn möglich mit Kartenskizze).
3. Gab es innerhalb der Gemarkung weitere für den Erdkampf angelegte Befesti-
gungen (Unterstände, Laufgräben, Panzergräben, Drahtverhaue, Straßensper-
ren usw.)? Wenn ja: Wo? Welche? Wann angelegt? (Wenn möglich mit Kar-
tenskizze).
4. Gab es innerhalb der Gemarkung bereits vorhandene oder von der Bevölke-
rung selbst angelegte Schutzunterstände? Wenn ja: Wo? Wieviele? Wann an-
gelegt?
5. Gab es innerhalb der Gemarkung Minenfelder? Wenn ja: Angabe der Lage, der
Ausdehnung und der Zeit der Verminung.
6. Befand sich innerhalb der Gemarkung ein Flugplatz? Wenn ja: Wo? Wann an-
gelegt?
7. Befanden sich innerhalb der Gemarkung Stellungen der Flak oder sonstiger
Luftabwehrverbände? Wenn ja: Angabe des Ortes, der Zeit der Anlage bzw.
Benutzung und der Art der Waffen (Vierlingsflak, 8,8 cm Geschütze, Schein-
werferbatterien, Eisenbahnflak).
8. Befanden sich in dem Luftraum über der Gemarkung Ballonsperren? Wenn ja:
Wie lange? ungefähre Anzahl der Ballons?
9. Befanden sich innerhalb der Gemarkung Abschußplätze von V 1- oder V 2-
Geschossen? Wenn ja: Wo? Wie lange in Benutzung?
10. Befanden sich innerhalb der Gemarkung größere Munitionslager? Wenn ja:
Wo? Ungefähre Größe?
11. Befanden sich innerhalb der Gemarkung Stellungen von Fernkampfbatterien
oder Eisenbahngeschützen? Wenn ja: Wo?
12. War die Gemeinde zu Beginn des Krieges Truppenstandort?
13. Befanden sich innerhalb der Gemarkung irgendwelche andere militärischen
Anlagen?
Militärische Anlagen
14. Fanden Kampfhandlungen innerhalb der Gemarkung statt?
a) im Kriegsjahr 1939/1940:
b) im Kriegsjahr 1944/1945:
417
15. Welcher Art waren diese Kämpfe? (Artillerieduelle, Panzerkämpfe, gegensei-
tige Stoßtrupptätigkeit usw.)
16. Waren sämtliche unter Frage 1 und 3 genannten Stellungen besetzt?
17. Legten die alliierten Truppen innerhalb der Gemarkung Befestigungen an?
Wenn ja: Wann? Wo? Welche?
18. Fanden innerhalb des Ortes Straßenkämpfe statt?
19. Wo hielten sich die Einwohner, soweit sie nicht evakuiert waren, während der
Kampfhandlungen auf?
20. Lag der Ort unter Artilleriebeschuß?
21. Wann wurde der Ort endgültig von deutschen Truppen verlassen?
22. In welcher Richtung zogen sich die deutschen Truppen zurück?
23. Wann drangen alliierte Truppen erstmals in den Ort ein?
24. Aus welcher Richtung kamen die alliierten Truppen?
25. Machten die deutschen Truppen nach ihrer Räumung des Ortes Versuche zur
Rückeroberung?
26. Traten die Volkssturmeinheiten des Ortes bei den Kampfhandlungen in Akti-
on?
27. Wo wurden die bei den Kampfhandlungen innerhalb der Gemarkung Gefalle-
nen beigesetzt? Wo beerdigt? Gegebenenfalls wohin umgebettet?
a) deutsche Soldaten:
b) alliierte Soldaten:
c) Bevölkerung:
Befinden sich heute auf dem Gemeindegebiet Gefallenenfriedhöfe?
Luftkampf
28. Wann wurden gegen den Ort Bombenangriffe durchgeführt?
(Nach Möglichkeit ist die Tageszeit anzugeben, wenn dies nicht mehr möglich
ist, bitten wir um Unterscheidung zwischen Tag- und Nachtangriffen).
29. Wann begann die Jagdfliegertätigkeit über dem Gemeindegebiet?
30. Spielten sich im Luftraum über der Gemarkung Luftkämpfe ab? Wenn ja:
Wann?
31. Stürzten innerhalb der Gemarkung Flugzeuge ab oder mußten Flugzeuge not-
landen? Wenn ja: Wann? Wo? Deutsche oder Alliierte?
32. Richteten sich die Luftangriffe deutlich gegen bestimmte Ziele innerhalb des
Gemeindegebietes, gegen Industrieanlagen, gegen Verkehrsmittel, gegen
Truppen oder gegen die Bevölkerung, oder waren die Ziele nicht klar erkenn-
bar?
33. Stürzten innerhalb der Gemarkung V 1- oder V 2-Geschosse ab? Wenn ja:
Wann?
418
Einquartierungen
34. Wann und wie lange waren deutsche Truppen im Orte einquartiert? Welche?
35. Lag im Ort eine deutsche militärische Dienststelle (Stäbe, Feldlazarett, Nach-
richtendienststelle usw.)? Wenn ja: Welche? Wie lange?
36. Bestand im Orte eine Volkssturmeinheit? Wenn ja: Einzelheiten über Stärke,
Bewaffnung, Ausrüstung usw. angeben.
37. Seit wann und wie lange waren alliierte Truppen im Orte einquartiert? Welche
(Französische oder Amerikanische)?
Kriegsschäden und Kriegsverluste der Gemeinde und ihrer Be-
völkerung
38. Wieviele männliche Einwohner der Gemeinde standen im Wehrdienst?
a) am 1. Januar 1940:
b) am 1. Januar 1944:
39. Wieviele weibliche Einwohner der Gemeinde waren im Wehrdienst? (Nach-
richtenhelferinnen, Flakhelferinnen, Lazarettdienst usw.)
40. Wieviele der im Wehrdienst stehenden Personen fanden den Tod als Teilneh-
mer an Kämpfen?
a) zu Lande:
b) zur See:
c) in Luftkämpfen:
Waren darunter weibliche Personen? Wenn ja: Wieviele?
41. Wieviele militärisch nicht Ausgebildete nahmen an den Kampfhandlungen teil
(Flakhelfer, Volkssturm)?
42. Wieviele der nicht im Wehrdienst stehenden Gemeindeangehörigen verloren
infolge von direkten Kriegseinwirkungen das Leben?
a) infolge von Luftkämpfen (Angabe möglichst nach Luftangriffen getrennt):
b) infolge von Erdkämpfen (Angabe möglichst nach den Kriegsjahren
1939/1940 und 1944/1945 getrennt):
c) auf andere Weise:
43. Wieviele der im Wehrdienst befindlichen Personen kamen in Kriegsgefangen-
schaft?
44. Wieviele davon werden heute noch vermißt?
45. Wieviele davon sind nachweislich in Kriegsgefangenschaft verstorben?
46. Wieviele nicht im Wehrdienst stehenden Personen wurden unter Anschuldi-
gung von Kriegs vergehen oder politischen Vergehen in Haft genommen, ver-
urteilt, hingerichtet?
a) von deutscher Seite:
b) von alliierter Seite:
47. Wieviele Gebäude fielen den Luftangriffen ganz oder zum großen Teil zum
Opfer?
(Wenn eine Ermittlung der Zahl der zerstörten Gebäude zu große Schwierig-
keiten verursacht, bitten wir um Angabe des Prozentsatzes).
419
48. Wieviele Gebäude fielen den Erd kämpfen zum Opfer?
a) im Kriegsjahr 1939/1940:
b) im Kriegsjahr 1944/1945:
49. Welche Brücken, Stege, Tunnels usw. wurden im Laufe der Kampfhandlungen
gesprengt?
a) im Kriegsjahr 1939/1040:
b) im Kriegsjahr 1944/1945:
50. Welche Flur- und Walddistrikte erlitten bei den Kriegshandlungen größere
Schäden? Wodurch wurden diese Schäden hervorgerufen?
Schicksale der Bevölkerung während der Evakuierung
51. Wann und wie lange wurde die Bevölkerung evakuiert?
a) im Kriegsjahr 1939/1940:
b) im Kriegsjahr 1944/1945:
52. Wohin wurde die Hauptmasse der Bevölkerung evakuiert? I
a) im Kriegsjahr 1930/1940:
b) im Kriegsjahr 1944/1945:
53. Erfolgte die Evakuierung freiwillig oder zwangsweise?
a) im Kriegsjahr 1939/1940:
b) im Kriegsjahr 1944/1945:
54. Welche Behörden und öffentliche Betriebe arbeiteten während der Evakuie-
rung in der Heimat weiter?
a) im Kriegsjahr 1939/1940:
b) im Kriegsjahr 1944/1945:
55. Blieben trotz der Evakuierung kleine oder größere Teile der Bevölkerung frei-
willig in der Heimat zurück?
a) im Kriegsjahr 1939/1940:
b) im Kriegsjahr 1944/1945:
56. Welche Verluste und 5chäden sind bei den evakuierten Teilen der Bevöl-
kerung eingetreten?
a) durch natürlichen Abgang infolge von Todesfällen:
b) durch Kriegshandlungen:
c) durch Verschleppung usw. während der Okkupation;
57. Blieben im Bergungsgebiet noch Reste des Gemeindelebens erhalten (Seelsor-
ge, Vereine usw.)?
58. Blieben die von den evakuierten Gemeindegliedern in der Heimat zurückgelas-
senen Vermögenswerte ausreichend gesichert?
59. Welches Schicksal erlitt der Großviehbestand der Landgemeinden während der
Evakuierung?
60. Befanden sich im Gemeindegebiet Kriegsgefangenen-, Ausländer- oder Kon-
zentrationslager während des Krieges und der ersten Nachkriegsjahre? Wenn
ja; Wo? Wann? Wie stark durchschnittlich belegt?
420
61. Sind nach der Okkupation Flüchtlinge in die Gemeinde aufgenommen wor-
den? Wenn ja: Wieviele? Woher?
62. Sind nach Kriegsende fremdsprachige Ausländer (Franzosen, Italiener) in der
Gemeinde dauernd ansässig geworden?
63. Ist nach Ihrer persönlichen Meinung die Gemeinde durch den Krieg und
seine Folgeerscheinungen in ihrem Wesen und ihrer Struktur verändert worden
oder hat sie heute wiederum wesentlich den gleichen Charakter und das glei-
che äußere Bild wie in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg?
64. Gibt es innerhalb der Gemeinde chronikalische Aufzeichnungen, Bild- und
Kartenmaterial, die die hier erfragte Zeit betreffen? Wenn ja: In wessen Hand
befindet sich dieses Material?
65. Name, Beruf und Anschrift dessen, der diesen vorliegenden Fragebogen be-
antwortet.
Wir sind dankbar für alle weiteren Ergänzungen und Zusätze, die zu dem
Thema der Rundfrage Material liefern.
Die Beantwortung der Fragen bitten wir auf dem beiliegenden Papier vorzu-
nehmen unter Angabe der Nummer der betreffenden Frage.
421
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Das Landesamt Saar-Vermögenskontrolle
Michael Sander
Das Gesetz Nr. 52 hat bisher im Saargebiet nur vereinzelt Anwendung gefunden.
Jetzt soll es allgemein zur Durchführung kommen. Zu diesem Zweck hat die Mili-
tärregierung diese Stelle eingerichtet, die den Namen „Landesamt Saar - Vermö-
genskontrolle führen wird.
Bei dem gewaltigen Umfang, indem die nationalsozialistische Idee von dem deut-
schen Volk Besitz ergriffen hat und bei der Tiefe, bis zu der dieser Geist in den
Volkskörper eingedrungen ist, konnte es nicht ausbleiben, dass die Gegenwirkung
weitgreifend und einschneidend ist. Das Gesetz Nr. 52 ist zu vergleichen einer Arz-
nei - einer bitteren Arznei - die einen schwer erkrankten Körper von gefährlichen
Giftstoffen befreien und jeden Rückfall in den Geist und die Methoden des ver-
derblichen Systems im Keime ersticken soll.
Wer irgendwie mit der Durchführung der hierauf bezüglichen Vorschriften beauf-
tragt oder beschäftigt ist, hat die strenge Pflicht, sich mit den Bestimmungen des
Gesetzes und aller zu seiner Anwendung erlassenen Verordnungen oder sonstigen
Bestimmungen vertraut zu machen und in Zweifelsfällen sich bei dem Leiter der
Stelle oder dem zu seiner Vertretung bestimmten Vorgesetzten zu erkundigen, da-
mit die strikte Durchführung des Gesetzes gegenüber der Militärregierung ge-
währleistet wird.
Es wird zur Erleichterung ihrer Aufgabe dienen, wenn Sie sich mit dem Gedanken
erfüllen, dass das von der Militärregierung erlassene Gesetz in einem höheren
Sinne der Gerechtigkeit entspricht und letzten Endes der Wiederherstellung des
Friedens unter den Völkern dient. Wer mit innerem Widerstreben sich an die ihm
zugeteilte Arbeit begibt, ist kein geeigneter Mitarbeiter.
Im Hinblick auf die strengen Strafbestimmungen des Artikels VIII des Gesetzes
halte ich es, auch in Ihrem Interesse, für meine Pflicht darauf hinzuweisen, dass
vollkommene Verschwiegenheit über dienstliche Angelegenheiten zu üben ist, dass
jede direkte oder indirekte ausserdienstliche Verbindung mit den vom Gesetz Be-
troffenen oder mit anderen, in welcher Form sie auch immer sich vollzieht, unter-
sagt ist, und jeder Versuch Dritter, eine solche Verbindung herzustellen, unver-
züglich zu melden ist.
Die Tätigkeit der Stelle wird, wenn sie in diesem Geiste geübt wird, bald beim
Publikum den Ruf der restlosen Sauberkeit gewinnen, und dies wird der beste Schutz
sein gegen Versuchungen, die an den einen oder anderen herantreten könnten.
Keiner soll, wenn er im Falle der Beschwerde eines Betroffenen oder einer amtlichen
Nachprüfung seines Verhaltens Rede und Antwort zu stehen hat, erröten müssen.
Saarbrücken, den 23. November 1946
gez. Schlachter
Generaldirektor
Landesarchiv Saarbrücken (= LA.SB), Bestand „Landesamt Saar“ (= LAS) 2341
1 Die französische Überlieferung zur „Contröle des Biens“ war mir in der zur Verfügung
stehenden Zeit nicht zugänglich, da dieser Teil der Akten des Hohen Kommissariats
423
Im Amtsblatt der Verwaltungskommission des Saarlandes vom 5. Dezember
1946 wurde die „Verfügung Nr. 1 des Gouverneurs de la Sarre über die Errichtung
des Landesamtes Saar - Vermögenskontrolle - vom 7. November 1946“ veröf-
fentlicht* 2. Artikel 1 definierte die Aufgabe des neu errichteten Amtes, nämlich fol-
gende Vermögen, die durch das Gesetz Nr. 52 des Alliierten Oberkommandos ge-
sperrt worden waren, unter Kontrolle zu stellen:
- Vermögen des Reiches,
- Vermögen der Wehrmacht (ausgenommen Kriegsbeute),
- Vermögen abwesender Deutscher,
- im Stich gelassene Vermögen,
- Vermögen von deutschen Personen und Organisationen, die infolge Schädi-
gungshandlungen diesen entzogen worden sind (biens spoliés),
- Vermögen der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände,
- Vermögen von Organisationen, Vereinen und anderen Vereinigungen, die
durch die Militärregierung verboten oder aufgelöst sind,
- Vermögen der durch die Ordre Général Nr. 1 betroffenen und auf Anordnung
der Militärregierung inhaftierten Personen,
- Vermögen der in der Kriegsverbrecherliste aufgeführten Personen,
- Vermögen von Personen, deren Namen durch die Militärregierung veröffent-
licht, oder durch ein anderes Verfahren bekannt gegeben werden,
- alle anderen Vermögen, deren Kontrolle die Militärregierung dem Landesamt
Saar überträgt.
Nach Artikel 2 hatte das Landesamt dabei folgende Befugnisse,
- die Vermögen festzustellen, zu erfassen und zu registrieren,
- die Stellung unter Kontrolle auszusprechen,
die Zwangsverwalter zu ernennen und gegebenenfalls abzuberufen,
- die Geschäftsführung der Verwalter zu überwachen,
- die Aufhebung der Kontrolle auszusprechen,
- zu gegebener Zeit die Uebertragung bezw. Verwertung der Vermögen nach den
von der Militärregierung herausgegebenen Vorschriften vorzunehmen.
Die Verwaltungskommission des Saarlandes wurde in Artikel 4 ermächtigt, in
einem Erlass3, der am 22. November 1946 von ihr beschlossen wurde, die
Organisation und Tätigkeit des Landesamtes Saar - Vermögenskontrolle - zu re-
geln. Artikel IV dieses Erlasses legte die Organisation des Amtes fest: ln seiner
Zentrale sollte es eine juristische Abteilung, eine Vermögensabrechnungsstelle,
eine Ermittlungsabteilung, sowie verschiedene Fachabteilungen, die der Art der
verwalteten Vermögen entsprechen, vor allem auf dem Gebiet der Industrie und
des Handels geben. Außerdem sollten als örtliche Dienststellen Außenstellen mit
einer festzulegenden gebietsmäßigen Zuständigkeit geschaffen werden.
nicht in Form von Mikrofilmen im Historischen Institut der Universität des Saarlandes
vorliegt.
2 Amtsblatt der Verwaltungskommission des Saarlandes, ab 17. Dez. 1947 Amtsblatt des
Saarlandes (= AB1.SAL) 1946, S. 234
3 AB1.SAL, S. 235
424
In Artikel VI wurden folgende Grundlagen festgestellt: Das Landesamt Saar hat
behördlichen Charakter und besitzt verwaltungsmäßige und finanzielle Selbstän-
digkeit. Sein Haushalt, der getrennt von dem der Landesverwaltung des Saarlandes
geführt wird, setzt sich in der Einnahmeseite aus Eingängen zusammen, die aus
Erträgen oder aus dem Guthaben der durch das Landesamt Saar kontrollierten
Vermögen entnommen werden. Die Ausgaben setzen sich zusammen aus Personal-
und Sachausgaben des Landesamtes Saar. Die Vergütung der Verwalter wird
direkt aus den Eingängen oder Guthaben der von ihnen verwalteten Vermögen
bestritten und zwar nach einem Tarif, der von dem Generaldirektor des
Landesamtes Saar festgelegt wird. Die folgenden Artikel VII bis XVI11 regelten
die Haushalts- und Rechnungsführung. Im Dezember 1946 folgte die
Bekanntmachung4 der eingerichteten Außenstellen in Saarbrücken, St. Ingbert -
auch für den Kreis Homburg -, Ottweiler - auch für den Kreis St. Wendel -,
Saarlouis, Merzig und Saarburg.
In derselben Sitzung der Verwaltungskommission vom 22. November 1946
wurde Frédérique Schlachter zum Generaldirektor ernannt5. Sowohl der Text des
Erlasses der Verwaltungskommission als auch die Ernennung Schlachters waren in
einem Schreiben des Militärgouvemeurs Grandval vom 7. November 1946 ange-
ordnet worden6. Grandval wies dabei ausdrücklich auf die ständige Aufsicht der zu-
ständigen Mitglieder der französischen Militärregierung über die neue saarländi-
sche Verwaltungsbehörde in allen einzelnen Entscheidungen hin.
Friedrich Wilhelm Schlachter wurde am 19. November 1892 in Kirn geboren7.
Er war jüdischen Glaubens. Er besuchte die Gymnasien in Kirn und Birkenfeld.
1910 kam Friedrich Schlachter nach Saarbrücken. 1911 und 1912 absolvierte er die
Ausbildung als kaufmännischer Lehrling bei der Gebr. Röchling Bank. Von 1913
bis zum 1. August 1914 war er kaufmännischer Angestellter bei dieser Bank. Nach
dem Wehr- und Kriegsdienst als Vizefeldwebel vom 2. August 1914 bis Ende 1918
nahm er 1919 seine Tätigkeit bei der Gebr. Röchling Bank als Prokurist und Fili-
alleiter wieder auf. Ab 1920 arbeitete er als Bankier und Direktor bei der Saar-
Handelsbank AG Saarbrücken, einer schwedischen Bank. Gleichzeitig war er
Mitinhaber dieser Bank. Außerdem gehörten ihm Anteile der Pfälzischen Putz- und
Poliermaterialienfabrik St, Ingbert und der Firma Ferd. Garelly AG Saarbrücken,
daneben ein Anteil des Websweiler Hofes in Jägersburg. Wegen seines Judentums
und wegen seiner Aktivitäten für die Einheitsfront an der Saar emigrierte er am 22.
Februar 1935 nach Frankreich. Nachdem er sich zuerst in Straßburg - wo er eine
kleine Privatbank betrieb - und Paris aufgehalten hatte, begab er sich 1938 nach
Südfrankreich in die Gegend von Montauban. Am 4. Juli 1934 hatte er bereits die
französische Staatsangehörigkeit erworben. Nach der deutschen Besetzung musste
er sich an mehreren Orten in Südfrankreich versteckt halten, da ihn die Gestapo
nicht nur als Juden, sondern auch aus politischen Gründen suchte. Am 23. August
1945 kehrte er an die Saar zurück. Am 1. Dezember 1957 trat er als Oberregie-
rungsrat und Generaldirektor der Saarländischen Vermögensverwaltung in den Ru-
4 AB1.SAL, S. 262
5 AB1.SAL, S. 236
LA.SB, Bestand „Verwaltungskommission“ (= VK) 53
LA.SB, Bestand „Landesentschädigungsamt“ (= LEA) 5993 und 8187. Eine Personalakte
ist im Landesarchiv nicht vorhanden.
425
bestand. Er starb am 26. April 1965 in Bressols im Departement Tarn et Garonne,
dem Ort seiner früheren Emigration in Südfrankreich.
Bereits ab 1. Mai 1946 arbeitete Frédérique Schlachter bei der Vermögenskon-
trolle. Erst am 22. November 1946 wurde das Landesamt Saar - Vermögenskon-
trolle - eingerichtet und Schlachter zu seinem Generaldirektor ernannt. Einen Tag
nach seiner Ernennung formulierte er die Aufgaben des neuen Amtes mit den die-
sem Artikel vorangestellten Worten.
Die Rechtsgrundlage der Vermögenskontrolle, das Gesetz Nr. 52 des Alliierten
Oberkommandos, war bereits Ende 1944 während der Besetzung Deutschlands er-
lassen worden. Es trat in der amerikanischen Besatzungszone am 14. Juli 1945 in
Kraft. Zusammen mit der Allgemeinen Anordnung (Ordre Général) Nr. 1, die die
betroffenen Leiter und Mitarbeiter von Behörden, der Wehrmacht, von NS-Organi-
sationen und von Unternehmen aufzählte, deren Vermögen unter Kontrolle zu
stellen war, war sie im Amtsblatt der Militärregierung Deutschland, Amerikanische
Zone, am 1. Juni 1946 veröffentlicht worden. In der Französischen Zone wurden
die beiden Rechtsvorschriften erst am 6. März 1947 im Journal Officiel du Com-
mandement en Chef Français en Allemagne veröffentlicht*.
Durch das Gesetz Nr. 2 des Alliierten Kontrollrates vom 10. Oktober 1945* 9 10 über
„Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen“ wurde in Art. II über das Ver-
mögen dieser Einrichtungen verfugt: Jegliche Immobilien, Einrichtungen, Fonds,
Konten, Archive, Akten und alles andere Eigentum der durch vorliegendes Gesetz
aufgelösten Organisationen sind beschlagnahmt. Die Beschlagnahme wird durch
die Militärbefehlsstellen vorgenommen; allgemeine Richtlinien über die Verteilung
des beschlagnahmten Eigentums werden durch den Kontrollrat gegeben.
Am 8. Dezember 1945 erließ der Generalverwalter Lafffon für die Französische
Besatzungszone die Verfügung Nr. 2410 betreffend Ausplünderungsmaßnahmen ge-
gen Personen, auch Deutsche, wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse oder eine
Weltanschauung. Artikel I verfügte: Alle physischen und juristischen Personen je-
der Staatsangehörigkeit, auch diejenigen deutscher Staatsangehörigkeit, deren
Vermögen, Rechte oder Interessen, sei es auch unter ihrer eigenen Mitwirkung,
von Massnahmen betroffen worden sind, die auf Grund der in Deutschland nach
dem 30. Januar 1933 erlassenen Ausnahmebestimmungen durchgeführt wurden,
desgleichen ihre Rechtsnachfolger, haben über die Ausplünderungen, deren Opfer
sie wegen ihrer Abstammung oder ihrer weltanschaulichen oder politischen An-
schauung geworden sind, eine ausführliche Meldung zu erstatten. Das Gleiche galt
nach Artikel 2 für physische und juristische Personen, die - aus irgendeinem
Rechtsgrund und in irgendeiner Eigenschaft - im Bereich des französischen Besat-
zungsgebietes in Deutschland Vermögensobjekte, Rechte oder Interessen im Besitz
haben, die Personen irgendwelcher - sei es auch deutscher - Nationalität gehören
oder gehört haben, die Opfer von Ausplünderungsmassnahmen im Sinne des Arti-
kels 1 dieser Verfügung geworden sind. Als dritte Gruppe waren Personen, die
Kenntnis derartiger Ausplünderungsmaßnahmen hatten, zur Berichterstattung ver-
pflichtet.
* Journal Officiel du Commandement en Chef Français en Allemagne, S. 586 und 589
9 LA.SB, LAS 21
10 LA.SB, LAS 22, AB1.SAL, S. 10
426
Wie man aus diesen Informationen sehen kann, umfasste die Vermögenskon-
trolle sehr verschiedene Aufgaben. Es ging darum, aus verschiedenen Gründen her-
renlos gewordenes Gut zu verwalten und zu kontrollieren. Einmal handelte es da-
bei darum, das entzogene Eigentum von rassisch und politisch Verfolgten zu si-
chern, um es den Eigentümern zurückzugeben. Dasselbe galt von Vereinen, Ver-
bänden und sonstigen Einrichtungen, deren Eigentum durch nationalsozialistische
Einrichtungen übernommen worden war und die nun - neu gegründet - das Ei-
gentum ihrer Vorgänger zurückforderten. Auch das übrige Eigentum nationalsozi-
alistischer Organisationen, aber auch das Vermögen des nationalsozialistischen
Staates vom Reich bis zu den Gemeinden wurde unter Kontrolle gestellt. Das
Eigentum der Aktivisten des nationalsozialistischen Regimes wurde ebenfalls so
behandelt, bis die Entnazifizierung endgültige Entscheidungen traf.
Was das Eigentum von Privatpersonen betraf, so hatte die französische Militär-
regierung des Saarlandes bereits am 24. August 1945 die erste „blocage-Liste“ mit
235 Namen zusammengestellt11. Bis zum 2. Juni 1949 wurden insgesamt 42 Listen
mit 3.908 Namen erstellt. Die meisten Unterkontrollsteilungen erfolgten 1945 mit
1.200 Fällen und 1946 mit 1.799 Fällen, Im August 1946 wurde das Vermögen von
153 Häftlingen erfasst. Ab der Liste 24 vom 31. Dezember 1946 war das Landes-
amt Saar federführend. Mit der Liste 35 vom 25. November 1947 mit 219 Namen
erfolgte unmittelbar vor dem Inkrafttreten der Verfassung des Saarlandes nochmals
die Blockierung des Vermögens von zahlreichen Personen. Im Jahre 1947 waren es
insgesamt nur 739 Fälle. 1948 und 1949 folgten nochmals insgesamt 170 Personen.
Außerdem war auch das Eigentum des deutschen Reiches, der Länder und der
Kommunen - also der Kreise, Städte und Gemeinden die aufgrund der bedin-
gungslosen Kapitulation unter alliierter Herrschaft standen, unter Kontrolle gestellt
worden. Weiterhin galt dies natürlich für das Eigentum der NSDAP und aller ihrer
Gliederungen und der von ihr kontrollierten Organisationen.
Am 10. Januar 19461 “ wies die Militärregierung des Saargebietes, Abteilung für
Wiedergutmachung, Zurückerstattung und Vermögensüberwachung den Regie-
rungspräsidenten an, wie bei der Verwaltung der reichs-, kreis- und gemeindeeige-
nen Vermögen vorzugehen sei. Es war dies die Dienstanweisung Nr. 1, der noch
weitere folgen sollten. Nicht betroffen von dieser Anweisung war neben den Ver-
mögen der Wehrmacht, der technischen Verwaltungen, wie Reichsbahn und -post,
und der Bau- und Bodenbank vor allem das Vermögen der NSDAP. Jede Ver-
wechslung zwischen den beiden Arten von Vermögen müsste als ein Versuch der
Verdunkelung nationalsozialistischer Vermögen betrachtet werden. Die Finanz-
ämter sollten die Vermögen des Reiches, der Länder und des Saargebietes verwal-
ten - auch wenn diese wegen der Kriegsereignisse bisher durch Landräte oder Ge-
meinden verwaltet worden waren. Landräte und Städte und Gemeinden übernah-
men wieder die Verwaltung der Kreis- und Gemeindevermögen. Aufgrund der
Blockierung dieser Vermögen durch das Gesetz Nr. 52 galt, dass ohne die Geneh-
migung der Militärregierung diese Vermögen weder getauscht, noch verkauft,
noch vermietet, noch belastet, noch zerstört usw. werden dürfen. Jedoch können
Miet- und Pachtverträge für die Dauer bis zu einem Jahr ohne Genehmigung der
Militärregierung abgeschlossen werden, soweit es sich um Wohnhäuser und land- * 12
" LA.SB, LAS 26
12 LA.SB, LAS 20
427
wirtschaftliche Grundstücke handelt. Sämtliche Einnahmen und Ausgaben hieraus
sind wie bisher im Haushaltsetat einzutragen und zu verrechnen. Die Oberaufsicht
der Militärregierung erforderte es, dass die deutsche Verwaltung diese jederzeit
über die Zusammensetzung der Vermögen und über die Einnahmen und Ausgaben
unterrichten könne. Zu diesem Zweck hatte sie auch mit aller Beschleunigung und
mit der größten Sorgfalt Aktensammlungen anzulegen, aus welchen für jedes ein-
zelne Vermögen sofort Auskünfte an die Militärregierung über Ursprung, Zweck-
bestimmung usw. eines jeden einzelnen Vermögens erteilt werden können.
Am selben Tage erging auch die Dienstanweisung Nr. 213, die die Verwaltung
jüdischen Vermögens betraf, soweit es sich um alle unter dem nationalsozialisti-
schen Regime beschlagnahmten und vor der Besetzung durch die Finanzämter
noch verwalteten Vermögen handelte. Deren Verwaltung sollten die Finanzämter
unter der Oberaufsicht des Regierungspräsidenten wieder übernehmen. Durch be-
sondere Bestimmungen wurden die Buchführung, die Behandlung der Einnahmen
und die Berechtigung zu Ausgaben geregelt. Beträge bis zu 100 RM und alle Steu-
ern waren sofort zu begleichen. Laufende Unterhaltungsausgaben in Höhe von 100
RM bis 250 RM waren durch den Referenten der jüdischen Vermögen beim Fi-
nanzamt nach Abzeichnung des Ausgabebeleges durch den Kreiskontrolloffizier für
Vermögen abzuwickeln. Bei allen übrigen Ausgaben war vor Veranlassung der Ar-
beiten der französische Kreiskontrolloffizier mit einem ausführlichen Kostenvor-
anschlag zu informieren. Monatlich war über Tageseinnahmen und -ausgaben dem
Kreiskontrolloffizier zu berichten. Aktensammlungen waren anzulegen. Zum
Schluss wurde auf die Blockierung dieser Vermögen aufgrund des Gesetzes Nr. 52
hingewiesen. Der Chef der Abteilung Liegenschaften des Finanzamtes muss sich
als Sequester eines jeden Vermögens für sich [...] betrachten.
ln der Dienstanweisung Nr. 314 15 vom 16. März 1946 wurde die Erfassung und
Verwaltung des Wehrmachtsvermögens geregelt. Dazu gehörten nicht Kriegsmate-
rial und abmontierbare, alleinstehende Baracken. Die Erfassung der Vermögen
sollte zum möglichst kürzesten Zeitpunkt begonnen werden. Eine Einzelaufstellung
aller Grundstücke über 100 ar war anzulegen. Für alle anderen Vermögen der
Wehrmacht waren Gruppen zu bilden. Besonders war das Vermögen der alten
Wehrmacht (1918-1933) zu erfassen, auch wenn es von der neuen Wehrmacht
(1933-1945) genutzt worden war. Für das Saargebiet machte diese Unterscheidung
Schwierigkeiten. Was die Vermögen anbelangt, die durch die französischen
Dienststellen belegt sind (durch Truppen oder durch Militärregierung), ist in der
Aufstellung einfach anzugeben, dass sie belegt sind. Aber es dürfen bei diesen
Dienststellen keine näheren Nachforschungen gemacht werden. Die Verwaltung
der Vermögen durch die Finanzämter wurde in entsprechender Weise wie bei den
jüdischen Vermögen geregelt.
Am 16. Juli 1946 übersandte Gouverneur Grandval dem Regierungspräsidenten
eine Liste der am 2. Juli 1946 aus dem Saargebiet ausgewiesenen Familien1 \ Es
handelt sich nur um Familien, die nicht aus dem Saargebiet stammen, und wo we-
nigstens ein Mitglied nationalsozialistisch belastet ist, oder durch pangermanisti-
sches [sic!] Verhalten seinen persönlichen Aufenthalt wie den seiner Familie im
13 LA.SB, Bestand „Wirtschaftsministerium“ (= MfW) 658
14 LA.SB, LAS 20
15 Ebd. Die Liste fehlt.
428
Saargebiet unmöglich macht. Die ausgewiesenen Personen wurden nach Württem-
berg dirigiert, wo sie sich nach ihren Kenntnissen und Berufen Arbeit suchen kön-
nen. Ich gebe Ihnen bekannt, dass die betroffenen Personen berechtigt sind WO kg
Gepäck sowie ihr ganzes Geld mitzunehmen. Die Massnahmen der Ausweisungen
stellen uns vor zwei Probleme: I) eine gewisse Anzahl Wohnungen wurden zum
Teil oder ganz frei. 2) Die Betroffenen konnten nicht ihren Gesamtbesitz mitneh-
men. Wir haben Anordnungen getroffen, ihre finanziellen Interessen zu wahren. In-
folgedessen wurde die Anwendung der Vorschriften der Wohnraumkontrolle auf
die vollkommen und auf die nur teilweise freigewordenen Wohnungen angeordnet.
Industrielle Unternehmen, kaufmännische und landwirtschaftliche, deren Besitzer
unter die Massnahmen der Ausweisungen fallen, waren unter Sequester zu stellen.
Bei Schwierigkeiten einer Trennung beider Vermögensteile galt dies auch für das
Privatvermögen der Ausgewiesenen. Im Übrigen war beim Privatvermögen zwi-
schen den Personen, die unter das Gesetz Nr. 52 fielen, und den übrigen zu unter-
scheiden. Bei letzteren war der Hausbesitz unter Sequester zu stellen, aber die re-
gelmässig vorgelegten Verträge der Besitzer (ausgewiesenen) sind zu respektieren.
Diese Hausbesitze können später verkauft oder öffentlich versteigert werden. Über
ihre Bankkonten konnten diese Ausgewiesenen verfügen und die Beträge über die
Reichsbank an eine Bank in ihrer Nähe überweisen lassen. Von ihren Möbeln war
ein Verzeichnis anzulegen und durch eine in jedem Kreis zu berufende Kommis-
sion von fünf Personen über das weitere Verfahren zu entscheiden. Die Möbel sind
aus den Wohnungen der Ausgewiesenen zu entfernen, mit Sorgfalt und voller Ver-
antwortung in das angegebene Depot des Kreises zu transportieren. Die Landräte
und Ortsbürgermeister haben sich mit dem Delegierten des Kreises darüber zu be-
sprechen. In den Fällen, wo die Wohnung noch mit anderen Untermietern geteilt
wurde, können diese über die Möbel verfügen. Sie können ihnen aber auch teil-
weise entzogen werden, wenn sie sie nicht alle benötigen. Alle Möbel sind zu ver-
sichern. Möbel aus den Depots können bei Bedarf an andere Personen ausgeliehen
werden. Der Brief schloss mit dem Hinweis Grandvals: Es ist wichtig, dass den
Anordnungen in kürzester Zeit Folge geleistet wird.
Mit der Einrichtung des Landesamtes Saar - Vermögenskontrolle - zum Jahres-
ende 1946 wurde die Aufgabe der Vermögenskontrolle systematisiert und in dieser
Behörde innerhalb der deutschen Verwaltung des Saarlandes konzentriert. Am 19.
Dezember 1946 erließ Generaldirektor Schlachter die Anweisung Nr. 1 für die
Vermögenskontrolle'6. Im Gegensatz zu den folgenden Anweisungen war diese
noch nicht gedruckt, sondern sie wurde als Abzug einer Schreibmaschinenfassung
verteilt. Die Anweisung enthielt zuerst eine Liste der anzuwendenden Rechtstexte.
Dann wurde nach den unter Kontrolle gestellten Vermögen und den nur gesperrten
Vermögen unterschieden. Zu den letzteren gehörten a) Vermögen der Kreise und
Gemeinden, b) Vermögen, die irgendwelchen Einrichtungen gehören, die einem
öffentlichen Kultus, der Wohltätigkeit, der Erziehung, der Kunst und Wissenschaft
dienen, c) Kunstwerke von kulturellem oder bedeutendem Wert, ohne Rücksicht auf
den Besitzer. [...] Die Sperre hat den Zweck, den Status quo aufrecht zu erhalten.
Sie schließt jede Befugnis aus, das gesperrte Vermögen zu verwalten oder künftig
darüber zu verfügen. [...] Die Stellung unter Kontrolle hat den Zweck, dem Eigen-
tümer eines Vermögens, dessen Besitzer oder demjenigen, in dessen Gewahrsam 16
16 Ebd.
429
oder Verwaltung es sich befindet, den Besitz, die Leitung oder die Verwaltung zu
entziehen. Es folgten nähere Erläuterungen zu beiden Formen. Das Landesamt ist
berechtigt eine Sperre teilweise oder vollständig aufzuheben, wenn der Grund der
Sperre entfallen ist. Das Landesamt ist zur Unterkontrollsteilung berechtigt. Es hat
danach einen Zwangsverwalter zu bestellen, eine Veröffentlichung der Unterkon-
trollstellung vorzunehmen und eine Bestandsaufnahme des Vermögens. Der
Zwangsverwalter hat dem Landesamt Bericht zu erstatten; die Einzelheiten seiner
Geschäftsführung werden genau beschrieben. Die Kontrolle kann, wie die Sperre,
durch das Landesamt bei Wegfall der Gründe aufgehoben werden. Die Tätigkeit
der Zwangsverwalter wird vom Landesamt kontrolliert und geprüft. Die
Militärregierung (Direction des Finances - Contröle des Biens) behält sich vor,
Sonderprüfungen jeder Art durchführen zu lassen.
Gegenstand der Anweisung Nr. 2 vom 20. Mai 1947 war die Zwangsverwaltung
von privaten Vermögen, sowie kleineren Gewerbebetrieben und Grundbesitz, die
nicht unter Anweisung Nr. 3 fallen. Der Text der Anweisung umfasste 9 Drucksei-
ten; hinzu kam der Abdruck von fünf Formularen. Anweisung Nr. 3 vom 10. März
1947 betraf die Zwangsverwaltung von Industrie-, Handels- und Gewerbebetrieben.
Anweisung Nr. 4 und Nr. 5 vom 1. Okt. 1947 wandten sich an die Eigentümer der
beiden unterschiedenen Vermögensgruppen. Da es sich um kleinere Vermögen han-
delte, war vorerst auf die Bestellung eines Zwangsverwalters verzichtet worden.
Am 26. September 1947 erließ die Verwaltungskommission des Saarlandes eine
Rechtsanordnung zur Ergänzung des Erlasses über die Organisation und die Tä-
tigkeit des Landesamtes Saar - Vermögenskontrolle - vom 22. Nov. 1946 (ABI. S.
235)11. § 1 lautete: Bei der Verwaltungskommission des Saarlandes wird mit sofor-
tiger Wirkung eine Dienststelle zur Ueberwachung der Anmeldung von Ver-
mögenswerten des Reiches, der Wehrmacht, der NSDAP sowie anderer öffentlich-
rechtlicher Verbände und Einrichtungen, deren Vermögen unter das Gesetz Nr. 52
der Militärregierung fällt, errichtet. Aus den Akten* 18 19 geht nicht hervor, was dieser
Paragraph der auf Betreiben des Generaldirektors Schlachter und des Militärgou-
vemeurs Grandval erlassenen Rechtsanordnung bedeutet, da bereits das Landesamt
Saar mit diesen Aufgaben betraut war. Es gibt auch keine Regelungen, wo in der
Verwaltung des Saarlandes diese neue Stelle eingerichtet werden sollte. Die An-
meldung der Vermögen sollte innerhalb eines Monates ab Inkrafttreten der Rechts-
anordnung, also bis zum 7. Dezember 1947, erfolgen.
Auch nach dem Inkrafttreten der Verfassung des Saarlandes am 15. Dezember
1947 blieb die führende Rolle des französischen Hohen Kommissariats erhalten.
Am 25. März 1948 ordnete der Hohe Kommissar die Errichtung einer beratenden
Sequester-Kommission an14. Die gemischte Kommission bestand aus drei Franzo-
sen und drei Saarländern, wobei bei Stimmengleichheit der vom französischen Ho-
hen Kommissar bestimmte Vorsitzende den Ausschlag gab. Das Sekretariat der
Kommission wurde beim Hohen Kommissariat geführt. Ihre Aufgabe wurde in
Artikel 4 beschrieben: Die Kommission wird die Aktenstücke der saarländischen
Unternehmen untersuchen, die unter Sequester gestellt sind, mit Ausnahme derje-
nigen, die im Nachweis der zu Reparationszwecken bestimmten Fabriken aufge-
u AB1.SAL, S. 538
18 LA.SB, VK 138
19 AB1.SAL, S. 347
430
führt sind. Sie ist weiter zuständig, um die Aufhebung des Sequesters oder die
Maßnahmen vorzuschlagen, die zur Wiedereinsetzung der Unternehmen in eine
normale Rechtslage erforderlich sind, nämlich: die Rückerstattung, die Uebertra-
gung, die Liquidation oder die Abtretung, je nach der Art der Güter und gemäß der
Lage des Eigentümers bzw. der Eigentümer, vorbehaltlich der nachstehenden Be-
stimmung: die Kommission ist durch die allgemeinen Bestimmungen, durch die
Anweisungen und Richtlinien, die in dieser Beziehung erlassen werden, insbeson-
dere aber durch die Richtlinie Nr. 50 des Interalliierten Kontrollrats gebunden. Im
übrigen darf die Kommission jede Maßnahme vorschlagen, die zur Besserung und
Beschleunigung des gegen die Eigentümer der unter Sequester gestellten Unter-
nehmen laufenden Verfahrens für geeignet erachtet wird. Tagesordnung und Ver-
fahren bestimmte der französische Vorsitzende. Die Arbeit der Kommission war
bis zum 31. Dezember 1948 abzuschließen.
Am 28. Juni 1949 regelte der Hohe Kommissar die Zuweisung der Vermögens-
werte, die den nationalsozialistischen Organisationen und militärähnlichen Ver-
bänden des ehemaligen Deutschen Reiches angehört haben2(). In Art. 1 wurden
diese Organisationen und Verbände definiert. Art. 2 regelte die Vorgehensweise:
Das Eigentum an Vermögenswerten, die bis zur Uebernahme durch eine der in Ar-
tikel 1 bezeichneten Organisationen einer Berufsvereinigung, politischen Partei
oder sonstigen demokratischen Organisation selbstlosen Charakters zu Zwecken
der Fürsorge, der Wohlfahrtspflege, der religiösen, sozialen oder kulturellen Tä-
tigkeit angehörten, ist gemäss nachstehendem Artikel 9 an die besagte demokrati-
sche Organisation, politische Partei oder Berufsvereinigung zurückzuübertragen,
soweit dieselbe gesetzlich wieder errichtet worden ist. Gibt es keine wiedererrich-
tete Organisation, sind die Vermögenswerte nach Art. 3 an eine oder mehrere Or-
ganisationen mit ähnlichen Zwecken zu übertragen. Art. 4 regelte das Verfahren
bei gewerblichen Unternehmen: Die gewerblichen Unternehmen, die von einer der
in Artikel I bezeichneten Organisationen betrieben oder kontrolliert wurden, kön-
nen gemäss nachstehendem Artikel 9 an Gesellschaften oder Vereinigungen abge-
treten werden, deren Tätigkeit sich als identisch mit der Tätigkeit der früheren
Unternehmen hinstellt. Solche Abtretungen, welche sowohl Uebertragung der Ak-
tiva wie Uebernahme der Passiva zur Folge haben, erfolgen entgeltlich, und zwar
gegen Auszahlung eines Preises in Höhe des Wertes des in der letzten Bilanz fest-
gestellten Nettobetrags der Aktiva. Der Verkaufserlös ist an die durch Artikel 8 er-
richtete Kasse zu entrichten. Nach Art. 5 waren alle Vermögenswerte, die von die-
sen Regelungen nicht erfasst wurden, öffentlich zu versteigern und der Ertrag
ebenfalls der nach Art. 8 zu bildenden Kasse zu überweisen, deren Erträge an den
„Fonds zur Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus“ abzuführen war.
Nach Art. 9 waren alle diese Vermögen der Regierung des Saarlandes zur Durch-
führung der vorgesehenen Maßnahmen zu übergeben. Im Amtsblatt des Saarlandes
wurden bis zum 20. Oktober 1955 16 Anordnungen der Regierung des Saarlandes
über die Zuweisung der Vermögenswerte veröffentlicht.
Am 15. September 1949 regelte der Hohe Kommissar den Anfall der Vermö-
genswerte der ehemaligen Verbände2\ Bei diesen Verbänden handelte es sich um
Vereine, die durch die Nationalsozialisten gleichgeschaltet worden waren. Nach 20 21
20 AB1.SAL, S. 611
21 AB1.SAL, S. 934
431
1945 war ihre Wiedergründung möglich geworden. Teilweise erfolgte aber die
Neugründung auch in neuen Formen. Die Kommission bestand aus zwei vom Ho-
hen Kommissar eingesetzten Mitgliedern, darunter dem Vorsitzenden, außerdem
dem „Délégué de District“, der für den Sitz des antragstellenden Vereins zuständig
war, dazu je einem Vertreter des saarländischen Ministers für Kultus, Unterricht
und Volksbildung und des Ministers des Innern. In Artikel 1 hieß es in Abs. 2: Der
Hohe Kommissar bestimmt durch Anordnung, im Anschluss an die besagte Stel-
lungnahme der Kommission, welchem Verband das Eigentum an den Vermögens-
werten übertragen werden soll, sowie die Modalitäten dieser Übertragung. Zwi-
schen 15. März 1950 und 17. Juni 1953 wurden jeweils die Empfehlungen der
Kommission und anschließend die Beschlüsse des Hohen Kommissars im Amts-
blatt veröffentlicht. Betroffen waren 921 Vereine. Ab Februar 1951 erfolgte die
Veröffentlichung der Entscheidungen anonym: Es gab eine nicht gezeichnete Be-
kanntmachung, deren Text begann mit Durch Verordnung vom 2. Februar 1951
wurde beschlossen. Es war nicht ersichtlich, wer der Verordnungsgeber war. Die
letzte Entscheidung lag auf jeden Fall bei der französischen Seite.
In einem Schreiben vom 14. Oktober 1949~~ an den Wirtschaftsminister wegen
Überprüfung der Stellenpläne schilderte der Generaldirektor des Landesamtes Saar
- Vermögenskontrolle - die vielseitigen Aufgaben seines Amtes: Diese bezogen
sich auf Reichsvermögen und Vermögen öffentlich-rechtlicher Körperschaften, auf
Wehrmachts- und Parteivermögen, auf Vermögen politisch Belasteter, auf spoli-
iertes und auf alliiertes Vermögen. Der Vielfalt der verschiedenen Vermögensarten
entsprechend sind zahlreiche Ausführungsbestimmungen und Einzelanweisungen
ergangen, deren Durchführung das LAS teilweise vor schwierige Aufgaben stellt.
Da durch Art. II des Gesetzes Nr. 52 jedes Rechtsgeschäft über gesperrte Ver-
mögen - private und öffentliche - der Genehmigungspflicht unterworfen ist, so hat
das LAS zu den verschiedenartigsten privatrechtlichen, öffentlichrechtlichen und
wirtschaftlichen Fragen Stellung zu nehmen und Entscheidungen zu treffen.
Ferner hat in zahlreichen, durch die politische Entwicklung steckengebliebenen
Verfahren nationalsozialistischen Rechts, wie Neuordnungsbauten, landwirtschaft-
liche Entschuldung, Siedlungsverfahren und anderen Maßnahmen, zu deren
Durchführung öffentliche Mittel bereitgestellt waren, das LAS bei der Abwicklung
mitzuwirken, um die Rückzahlung der öffentlichen Gelder zu sichern.
Auf dem Gebiet der alliierten und spoliierten Vermögen obliegt dem LAS neben
den üblichen Sicherungsmaßnahmen insbesondere die Durchführung oft langwie-
riger und umfangreicher Ermittlungen über Besitz- und Eigentumsrechte, Erb-
schaftsverhältnisse und andere wichtigen Daten, die für die Ermittlung und Wie-
dereinsetzung der Berechtigten in ihr altes Eigentum von Bedeutung sind.
Neben diese Arbeiten, die sich statistisch nicht erfassen lassen, treten die lau-
fenden Arbeiten der Vermögenskotrolle wie:
1) Anordnung und Aufhebung von Sicherungsmaßnahmen, einschließlich
Vermögensaufstellungen und Übergabeverhandlungen,
2) Einsetzung und Abberufung von Zwangsverwaltern, sowie Überwachung
ihrer Tätigkeit,
LA.SB, Bestand „Staatskanzlei“ (=StK) 3189
432
3) Bearbeitung von Freigabeanträgen, insbesondere Unterhaltsgenehmigungen
und Sondergenehmigungen für Instandsetzungen, Anschaffungen u. dgl. m.,
4) Transportgenehmigungen,
5) Genehmigungen für grundbuchamtliehe Eintragungen und Zwangsversteige-
rungen zwecks Aufhebung einer Gemeinschaft gemäß Verordnung vom 31.
Mai 1949 (ABI S. 588),
6) Genehmigung von Kauf-, Miet- und Pachtverträgen über Mobilien und Im-
mobilien privater und öffentlicher Vermögensträger,
7) Überwachung der zwangsverwalteten und kontrollierten Betriebe, Durchfüh-
rung von Revisionen, Behandlung betriebswirtschaftlicher und arbeitsrecht-
licher Fragen,
8) Veranlagung d zu der gemäß Verordnung vom 3. 8. 1948 (ABI. S. 1106) zu
erhebenden Verwaltungsabgabe, sowie Entscheidung über Beschwerden ge-
gen Festsetzungsbescheide.
Die Vielseitigkeit der anfallenden Arbeiten bedingt naturgemäß auch einen um-
fangreichen Verkehr mit den Dienststellen des Flohen Kommissariats, den saarlän-
dischen Behörden und den Kreditinstituten, bei denen die Sperrkonten geführt
werden. Für die Aufhebung der Sperrmaßnahmen wurden sechs Verordnungen
erlassen, nach denen das LAS sich zu richten hatte. Die Aufhebung hängt jedoch
vielfach von der Mitwirkung anderer Dienststellen ab.
So wird die Freistellung der Vermögen politisch Belasteter durch das Arbeits-
tempo der Epurationsinstanzen, die Freigabe spoliierter Vermögen durch die Ar-
beitsweise der Restitutionskammer bestimmt. Die Freigabe des Parteivermögens
hängt von der Mitwirkung der Regierung ab, die über die Zuweisungsanträge der
politischen Parteien, Gewerkschaften und anderen demokratischen Organisationen
zu entscheiden hat.
Besondere Schwierigkeiten bereitet die Freigabe von Vermögen, hinsichtlich
derer noch eine Auseinandersetzung zwischen dem Saarland und den westdeut-
schen Ländern (z. B. über die Heimstätte GmbH, die Bayrische Bauernsiedlung
etc. oder zwischen dem Saarland und dem französischen Staat wie im Falle Berg-
werksverwaltung Kleinrosseln, Lothringer Mobiliarverwaltung u. a.) durchzufüh-
ren ist.
Demgegenüber wird in allen Fällen, in denen die gesetzlichen Voraussetzungen
erfüllt sind, die Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen durch das LAS in kürzester
Frist durchgeführt, sobald die Aufhebungsbescheide durch die Section Contröle
des Biens bestätigt sind.
Eine Bilanz der Arbeitsentwicklung bis zum 30. September 1949 ergab folgen-
des: „Eine Verringerung des Arbeitsanfalls ergab sich insbesondere
a) durch den Abschluß der Generalerfassung aller dem Gesetz Nr. 52 un-
terliegenden Vermögen,
b) durch die Aufhebung der Sperre über das Vermögen der Kreise und Gemein-
den,
c) durch die Freigabe der Vermögen von Italienern, Ungarn, Rumänen, Bulga-
ren und Finnen,
d) durch den Wegfall der Prozeßgenehmigungen gemäß , Verordnung über die
Durchführung des Gesetzes Nr. 52 auf dem Gebiete der Rechtspflege ’ vom
433
12. 5. 1948, die durch die Verordnung vom 31. 5. 1949 aufgehoben worden
ist,
e) durch die laufend durchgeführten Aufhebungen aufgrund der oben erwähnten
Ermächtigungsverordnungen.
Eine Statistik über die erfolgten Arbeiten 1948 und in den ersten neun Monaten
1949 ergab folgendes:
1948 1949, bis 30. Sept.
Aufhebungsanträge 2.083 1.571
Unterhaltsgenehmigungen 2.481 883
Freigabeanträge für besondere Ausgaben 824 320
Genehmigungen für Verfahren der strei- tigen und freiwilligen Gerichtsbarkeit 855 1.056
Genehmigungen für grundbuchamtliche Eintragungen 857 319
T ransportgenehmigungen 566 527
Veranlagungen zur Verwaltungsabgabe 5.378 6.036
Nach Ansicht des Generaldirektors Schlachter bedeutete diese Statistik zwar,
dass die Arbeiten auf einzelnen Gebieten zurückgehen würden, aber auch dass
durch die stärker einsetzende Abwicklung - wie Übergabe des Parteivermögens,
Rückgabe des Vereinsvermögens usw. - mit einem wesentlich stärkeren Arbeits-
anfall zu rechnen ist. Entsprechend war die Beschäftigtenzahl von 125 zu Beginn
des Jahres 1948 auf 86 im Stellenplan 1949 zurückgegangen. Bis zum 30. Septem-
ber 1949 waren davon 30 Stellen eingespart worden, so dass nur noch 56 Stellen
besetzt waren. Dieser straffe Abbau war naturgemäß nur durch eine restlose Aus-
lastung der verbliebenen Arbeitskräfte möglich. Die bevorstehenden Abwicklungs-
arbeiten auf dem Gebiet des Partei- und Vereinsvermögens, die Aufhebung der Si-
cherungsmaßnahmen für die etwa 6.000 zur Zeit noch gesperrten Vermögen aller
Gruppen sowie die Vorbereitungsarbeiten für die Übertragung des Reichs- und
Wehrmachtsvermögens, deren gesetzliche Regelung ebenfalls noch zu erwarten ist,
werden weitere erhöhte Anforderungen an alle Angestellten stellen. Daraus schloss
der Generaldirektor, dass die Lage der Angestellten verbessert werden müsse, de-
ren Verträge auf Zeit abgeschlossen seien und alle zum 31. Dezember 1949 auslie-
fen. Neu einzustellende Angestellte sollten nicht in niedrigere Gehaltsstufen zu-
rückgestuft werden.
Zum 31. Dezember 1951 wurde das Landesamt Saar aufgelöst23. Eine Abwick-
lungsstelle im Wirtschaftsministerium erledigte die restlichen Aufgaben.
LA.SB, LAS 151
434
Übernahme der Akten ins Landesarchiv
Am 1. April 1965 wurde das Landesarchiv davon verständigt, dass das sogenannte
„Weiße Haus“ in Saarbrücken in der Bismarckstraße 11-13, bis 1958 Sitz des Mi-
nisterpräsidenten, ab 1. Mai 1965 abgerissen werden sollte24. In den Kellern des
Gebäudes lagerten noch Akten des Wirtschaftsministeriums, und zwar solche der
Abteilungen 2 - Energieversorgung - und 4 - Verkehr - und der ehemaligen saar-
ländischen Sequesterverwaltung. Die Generalakten der Sequesterverwaltung wur-
den als archivwürdig betrachtet. Dagegen besteht aus historischen Gründen kein
Interesse an der A ufbewahrung der Spezialakten über die Verwaltung eines kleinen
sequestrierten Vermögens. Es ist zu vermuten, dass sich aber auch Unterlagen
über die Verwaltung großer sequestrierter Objekte, z. B. Neunkircher Eisenwerk,
Röchling 'sehe Eisen- und Stahlwerke, Röchling-Bank unter den Akten der Gruppe
3 finden. Aufgrund der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit wurde vereinbart,
dass Gefangene die Akten aus dem Keller ins Erdgeschoss transportieren sollten,
wo dann Personal des Landesarchivs die Ermittlung der archivwürdigen Akten
vornehmen sollte.
Dies erfolgte in der Zeit vom 20. bis 22. April 19652\ Es wurden ins Landesar-
chiv übernommen II laufende Meter Akten des ehemaligen Landesamtes Saar für
Vermögensverwaltung (Sequesterverwaltung). Die große Masse der Akten dieser
Behörde wurden für den Einstampf freigegeben. [...] Die Auswahl der Akten des
ehemaligen Landesamtes für Vermögensverwaltung erfolgte, [...], nur nach histo-
rischer Bedeutung. Übernommen wurden Generalakten über die Einrichtung und
Organisation des Landesamtes für Vermögensverwaltung, [außerdem] von jeder
Aktengruppe ein Beispiel, und zwar PL - Sequestrierung des Vermögens von poli-
tischen Leitern, MSS dito von Mitgliedern der SS, MSA dito von Mitgliedern der
SA, IH dito von inhaftierten Personen, KV dito von Kriegsverbrechern, DN dito
von durch Entnazifizierung Betroffenen, A g dito von Ausgewiesenen, P Sequestrie-
rung von Parteivermögen, R von Reichsvermögen, W von Wehrmachtsvermögen,
AB von Judenvermögen, SPL ehemals lothringischer ins Saarland geflüchteter
Vermögen, OG Sequestrierung auf Grund des Ordre Général Nr. 1 des Kontroll-
rates [richtig: Alliierten Oberkommandos], Prüfungsberichte über sequestrierte
Wirtschaftsunternehmen, Sequestrierungsakten von Vermögen bekannter Persön-
lichkeiten, z. B. Freiherr von Gemmingen-Hornberg (— Schwiegersohn Hermann
Röchlings), Gebrüder Braun von Stumm, Sequestrierungsakten des Vermögens von
Kreisleitern und Gauamtsleitern.
Der Aktenbestand im Keller des „Weißen Hauses“ in Saarbrücken bestand aus
Akten der Hauptstelle des Landesamtes und aus Akten einiger Außenstellen. Die
meisten erhaltenen Generalakten stammen von den Außenstellen. Vor allem die
Auflösung des Landesamtes ist nicht dokumentiert. Bei den Verfahrensakten sind
in mehreren Fällen sowohl die Akten der Hauptstelle als auch die Akte der zustän-
digen Außenstelle vorhanden. Eine Kassation wurde bei der Verzeichnung nicht
vorgenommen, da verschiedene Schriftstücke nur in einer dieser Akten vorhanden
waren. Sequesterakten über die oben erwähnten wichtigen Unternehmen des Saar-
landes liegen nicht vor. Unterlagen der Abwicklungsstelle im Wirtschaftsministe-
Vermerk Dr. Herrmann vom 2. April 1965, Registratur des Landesarchivs
Vermerk Dr. Herrmann vom 29. April 1965, ebd.
435
rium sind nicht ins Landesarchiv gelangt. Da kein Nachweis über die kassierten
Akten vorhanden ist, ist es nicht möglich, einzuschätzen, welchen Anteil an den
Akten überhaupt der erhaltene Teil umfasst.
Bei den vom Finanzministerium 1965 angeforderten Akten könnte es sich um
die für das Landesentschädigungsamt angeforderten Akten handeln, die das Ver-
mögen von Ausgewiesenen betrafen, die einen Entschädigungsantrag auf Grund
des Gesetzes über die Wiedergutmachung der von Personen deutscher Staatsange-
hörigkeit im Saargebiet erlittenen Schäden (WGG) gestellt hatten. Diese Akten
wurden vom Landesversorgungsamt dem Landesarchiv abgegeben und innerhalb
des Bestandes „Landesamt Saar - Vermögensverwaltung verzeichnet. Die we-
nigen Beispiele zeigen die Folgen der Ausweisungen der französischen Militärre-
gierung vor allem 1946. Es handelte sich sowohl um Kreisleiter und Blockleiter
der NSDAP, aber auch um Personen in führenden Stellungen, die denunziert wor-
den waren, sich in der NS-Zeit aber nichts hatten zuschulden kommen lassen.
Zusammenfassung
Die Akten des Landesamtes Saar - Sequesterverwaltung - zeigen einen Aspekt der
praktischen Entnazifizierung, der wahrscheinlich neben der Internierung für die
Betroffenen weit wesentlicher war als die oft milden Entscheidungen der Epurati-
onsbehörden. Mit der Verfügung über das Vermögen wurden den Betroffenen auch
die Lebensgrundlagen entzogen oder zumindest die Finanzierung des Lebens er-
schwert, wenn sie auch vielfach Unterhaltsbeiträge aus dem gesperrten Vermögen
erhielten.
436
Die Familienzulage als Besonderheit im Recht
des Saarlandes zwischen 1947 und 1959
Thomas Gergen
I. «Tag X“ und das besondere Recht des Saarlandes seit
Kriegsende
Die Eingliederung in das Wirtschafts- und Währungssystem der Bundesrepublik
Deutschland im Jahre 1959 („Tag X“ am 5. Juli 1959) schloss die politische und
damit staats- und völkerrechtliche Entwicklung des Saarlandes entscheidend ab.
Das Gesetz zur Einführung von Bundesrecht im Saarland vom 30. Juni 1959 hatte
diesen Beitritt vorbereitet* 1. Mit dem 1. Januar 1957 war das Saarland bereits Land
der Bundesrepublik geworden; die durch die wirtschaftliche Überleitung bedingten
Unterschiede gegenüber der Rechtsstellung der anderen Bundesländer sollten da-
nach ausgeglichen werden2. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem „Saar-
urteil“ vom 4. Mai 1955 klargestellt, dass das Saarland trotz der faktischen Tren-
nung vom übrigen Deutschland und ungeachtet des deutsch-französischen Saarab-
kommens vom 23. Oktober 1954 ein Teil des Deutschen Reiches sei und ferner,
dass die saarländischen Gerichte auch deutsche Gerichte seien3. Saarländische Ge-
richte zitierten auch bundesdeutsche Entscheidungen. Das spezielle Publikations-
organ aller Gerichtszweige im Saarland war die „Saarländische Rechts-und Steuer-
zeitschrift“ (SRuStZ), die ab August 1957 als „Justizblatt des Saarlandes“ (JB1S)
weitergeführt wurde und Ende 1967 ihr Erscheinen einstellte. An die Stelle des
Justizblattes trat sodann das Gemeinsame Ministerialblatt Saarland, in welchem
fast ausschließlich amtliche Texte veröffentlicht wurden. In der Zeitschrift „Saar-
Wirtschaft“ erschienen von 1949 bis Februar 1956 ebenfalls Artikel zum Recht des
Saarlandes.
Auf vielen Rechtsgebieten bestand besonderes saarländisches Recht, das zwar
den heute tätigen Juristen wegen Verstreichens von Übergangsfristen nicht mehr
interessiert, gleichwohl für die juristische Zeitgeschichte des Landes und damit
auch für die deutsche und europäische Rechtsgeschichte von Belang sein sollte.
Viel geschrieben wurde im Bereich des Staats- und Völkerrechts, des Staatsange-
hörigkeits- und Personenstandsrechts sowie zum allgemeinen Verwaltungs- und
Verwaltungsstreitverfahrensrecht. Neben dem Kulturrecht finden sich Beiträge
zum Recht der Gebietskörperschaften, Bau-, Jagd-, Spoliationsrecht, sodann etli-
ches zum Finanz-, Steuer-, Zoll- und Steuerstrafrecht. Auch fanden Gewerbe- und
Arbeitsrecht, das Recht des öffentlichen Dienstes oder das Gerichtsverfassungs-
recht speziellen Nachhall im Schrifttum. Wohnbewirtschaftungs- und Mietrege-
' BGBl. I S. 313, 644, T-Blatt „Saarland“.
Thomas Gergen, Von der Saarprovinz zum Saarland. Die Vorgängerorganisationen des
Saarlandes bis zu den Volksabstimmungen von 1935 und 1955, in: Saarländische Kom-
munalzeitschrift (SKZ) 9/2005, S. 211-230, S. 222.
Neue Juristische Wochenschrift (künftig: NJW) 1955, 865; BVerfG v. 6. Oktober 1955 -
1 BvR 85/55, in: Betriebs-Berater (künftig: BB) 1955, 909.
437
lungsrecht, aber auch Bilanz- und Buchführungsrecht, sogar das Urheberrecht mit
den verwandten Schutzrechten sowie das Recht der Wertsicherungsklauseln ver-
dienen Erwähnung4 * 6.
Wer sich mit dem Bürgerlichen Recht beschäftigt, wird ebenfalls reichlich fün-
dig, insbesondere wenn es um das in das SozialversicherungsrechÜ hineinragende
Familienzulagerecht geht, das bereits als Kennzeichen einer sehr erfolgreichen So-
zialpolitik der Regierung von Johannes Hoffmann charakterisiert wurde. Diese
zeichnete sich dadurch aus, dass das Saarland nicht von der deutschen Sozialversi-
cherungstradition abgekoppelt wurde, wie dies 1920 der Fall gewesen war. Das
Absenken des Rentenalters auf 60 Jahre, hohe Witwenrenten und die erstmalige
Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten in Rentensachen zählen gleichfalls
dazu0. Untersuchungen zur Gewerkschaftsgeschichte an der Saar und zur staatli-
chen Sozialpolitik haben die Familienzulage, und dabei vor allem das „Frauen-
geld“ bereits unterstrichen7 *, das einen überparteilichen Konsens genoss, denn die
Regierungskoalition aus CVP und SPS wie auch die Gewerkschaften akzeptieren
dieses der deutschen Sozialpolitik fremde Element, das wohl im Ergebnis einer
Annäherung an das französische Lohnsystem entsprach^. Ende der 1950er Jahre
wurde problematisiert, ob der saarländische Sonderfall der Familienzulage wegen
seines Erfolges fortgeführt werden würde9. Rechtshistorisch allerdings wurde diese
Form der Familienfürsorge, soweit ersichtlich, bislang noch nicht gewürdigt; dies
sei im Folgenden unternommen.
4 Flans-Emst Folz, Bibliographie zum Recht des Saarlandes seit 1945, in: Annales Uni-
versitatis Saraviensis, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften/Droit-Economie, hg. von
der Universität des Saarlandes, Bd. VII, fase. 1, Saarbrücken 1959, S. 39-79.
Nikolaus Fery, Zehn Jahre Sozialversicherung im Zeichen der Saarautonomie, in: Das
Saarland. Ein Beitrag zur Entwicklung des jüngsten Bundeslandes in Politik, Kultur und
Wirtschaft, hg. von Klaus ALTMEYER7Jakob StlSZKA/Wemer VEAUTHIER/Peter WEIANT,
Saarbrücken 1958, S. 726; Joachim Gräff, Die Grundzüge der sozialen Sicherheit
Frankreichs im Vergleich zur Sozialversicherung der deutschen Bundesrepublik und der
Einfluß beider Rechtsordnungen auf die Entwicklung der Sozialversicherung des Saar-
landes seit dem 1. Juli 1947, Diss. Köln 1954; Alex Jungfleisch, Das saarländisch-
französische Abkommen über soziale Sicherheit, in: Die Saar-Wirtschaft 1949, Heft 5, S.
8. Ferner der Überblicksartikel ohne Verfasser: Die Sozialversicherung. Organisatori-
scher Aufbau und Neuordnung im Saarland, in: Die Saar-Wirtschaft 1950, Heft 4, S. 11
sowie 1955, Hefte 16 und 17, S. 7.
6 Wolfgang BEHRINGER/Gabriele CLEMENS, Geschichte des Saarlandes, München 2009, S.
111-112.
Wilfried Busemann, Kleine Geschichte der saarländischen Gewerkschaften nach 1945,
hg. von der Arbeitskammer des Saarlandes, Saarbrücken 2005, S. 46.
* Hans-Christian Herrmann, Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft.
Sozialpolitik und Gewerkschaften im Saarland 1945 bis 1955 (Veröffentlichungen der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 28), Saarbrücken
1996, S. 95 und S. 100-101; Thomas Gergen, Gewerkschaften in der deutschen Rechts-
geschichte, in: Arbeit und Recht (AuR). Zeitschrift für Arbeitsrechtspraxis 9 (2006), S.
307-313.
4 Norbert Engel, Die Familienzulagen im Saarland und ihre Erhaltung, Saarbrücken 1959
(Arbeitskammer des Saarlandes).
438
II. Sozialrecht und Familienfürsorge
Die Familienzulage gehört zum Familienlastenausgleich. Sie hat zum Ziel, dass
Kinder nicht zu einem finanziellen Nachteil für Familien werden. Es gibt viele ver-
schiedene Arten der Familienzulage. Am bekanntesten in Deutschland ist das Kin-
dergeld, das es für das erste Kind erst seit 1975 gibt. Daneben existieren aber noch
andere Ausprägungen, wie zum Beispiel Geburtsprämien und Ausstattungsbeihil-
fen für die Eltern von Neugeborenen und auch Zulagen für nicht berufstätige Ehe-
partner von Arbeitnehmern.
Die erste Familienzulage überhaupt wurde erstmals in Frankreich im Jahr 1860
eingeführt10 11. Sie wurde vom damaligen Marineministerium allen eingeschriebenen
Seemännern mit Familie gewährt und betrug 0,10 Franc für jedes Kind. Nach und
nach wurden dann in Frankreich Familienkassen von den Arbeitgebern eingerich-
tet. Man sah ein, dass die Löhne dem Preisniveau angepasst werden mussten. Das
Pflichtversicherungsgesetz von 1932 verpflichtete die Unternehmen, Familienaus-
gleichskassen beizutreten, die bereits einer ministeriellen Genehmigungspflicht un-
terlagen, deren Verwaltung wie Beitrags- und Leistungshöhe sich allerdings noch
in Untemehmerhand befanden. Ab 1939 wurde das System in Frankreich verein-
heitlicht und gänzlich in staatliche Kontrolle überführt. Über die nächsten Jahr-
zehnte wurde die Gesetzgebung mehrmals reformiert und der Kreis der An-
spruchsberechtigten und Verpflichteten weiter ausgedehnt". Bis zum heutigen Ta-
ge können Familien in Frankreich von diesem Lastenausgleich profitieren. Der
deutschen Sozial- und Familienpolitik waren Familienzulagen fremd, auch nach
dem II. Weltkrieg waren Diskussionen darüber nicht erwünscht: So diskreditierte
sich derjenige politisch, der Kindergeld oder Familienlohn einforderte und auf die
für die Sozialversicherung ungünstige Bevölkerungsentwicklung hinwies12.
III. Die Einführung der Familienzulage zum 20. November 1947
im Saarland
Die Familienzulage wurde zum 20. November 1947 durch Verfügung des „Gou-
verneur de la Sarre“ Gilbert Grandval nach französischen Muster im Saarland ein-
geführt. Am 2. März 1948 verabschiedete der Landtag die „Verordnung über Fami-
lienzulagen“ und machte so aus der Verfügung des Gouverneurs ein saarländisches
Gesetz, das rückwirkend zum 20. November des Vorjahres in Kraft gesetzt wurde.
Das saarländische Parlament erfüllte mit dem Gesetz auch den Auftrag der saar-
ländischen Verfassung aus Artikel 22, Ehe und Familie zu schützen und zu for-
10 Die Familienzulagen, hg. von Internationale Vereinigung für soziale Sicherheit, Genf
1954, S. 176.
11 Herrmann (wie Anm. 8), S. 97-98.
12 Oswald von Nell-Breun ING, Der Beitrag des Sozialkatholizismus zur Sozialpolitik der
Nachkriegszeit, in: Katholizismus, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik 1945-1963, Pa-
derborn 1980, S. 120; Irene Martin, Zur Frage des Kindergeldes, Diss. Marburg 1959,
S. 18. In gewisser Weise hat sich diesbezüglich bis in die heutigen Tage in der bundesre-
publikanischen Politik nichts geändert.
439
dem13. Wie nach dem I. Weltkrieg waren gerade die Familien auch nach dem II.
Weltkrieg durch stark gestiegene Lebenshaltungskosten belastet14. Hintergrund des
Gesetzes war es mithin, die Löhne im Saarland an die der französischen Arbeit-
nehmer anzugleichen und so die Wirtschaftsunion zwischen beiden Ländern voran
zu treiben 15. Doch betont die Denkschrift auch die Uneinheitlichkeit des Lohn- und
Tarifwesens bei Familienlasten16:
Von der in der Sozialversicherung versicherten Bevölkerung war das Fehlen
einheitlicher Bestimmungen auf dem Gebiete des Lohn- und Tarifwesens über die
Zahlung eines Lastenausgleiches für verheiratete Arbeitnehmer und Familienväter
als erheblicher Mangel empfunden worden. Zwar kennt man die Zahlung von Fa-
milienzulagen seit einer Reihe von Jahren, ist diese Leistung doch in einer Anzahl
von Tarifverträgen - insbesondere im Bergbau und in der Hüttenindustrie - veran-
kert gewesen. Der größere Teil der arbeitenden Bevölkerung erhielt jedoch bisher
keine Familienzulagen. Aus diesem Grunde und da die Grenze für die Hilfe der
Familien nunmehr viel weiter gezogen ist, wodurch die Leistungen auch einen viel
höheren sozialen Wert haben, kann die Einführung dieser Leistung als sozialer
Fortschritt bezeichnet werden.
Die Leistung der Familienzulage bestand aus zwei Komponenten, dem Unter-
haltsgeld gemäß § 28 der Verordnung über die Familienzulagen17, auch „Frauen-
geld“ genannt, und dem Kindergeld gemäß § 29. Zunächst wird auf einige allge-
meine Regelungen der Verordnung eingegangen.
1. Die Anspruchsberechtigten
Zum Kreis des Anspruchsberechtigten gehörten nach § 18 Abs. 1 alle jene, die
aufgrund der Reichsversicherungsordnung, des Angestelltenversicherungsgesetzes
oder des Reichsknappschaftsgesetzes in der Kranken- und Rentenversicherung ver-
sichert waren. Damit waren fast alle Arbeitnehmer und Angestellten anspruchsbe-
rechtigt. Ausgenommen waren nach § 25 die Beschäftigen der „Saarländischen Ei-
senbahnen“ und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, sowie der Kranken-,
Heil- und Pflegeanstalten. Für Beamte wurde ein Familienlastenausgleich über die
Besoldung gewährt. Nach § 18 Abs. 2 wurde die Familienzulage auch weiter ge-
währt, wenn der Anspruchsberechtigte arbeitsunfähig war. Allerdings mussten
dann auch die Voraussetzungen für die Gewährung des Krankengelds der Kran-
kenversicherung vorliegen. Bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit wurde die Familien-
zulage, gemäß § 18 Abs. 4, für ein halbes Jahr nach Ende des Arbeitsverhältnisses,
13 Rudolph Brosig, Die Verfassung des Saarlandes. Entstehung und Entwicklung (Annales
Universitatis Saraviensis, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Abteilung 131),
Saarbrücken 2001, S. 134-135.
14 Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neu-
ordnung 1945-1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen franzö-
sischer Besatzungspolitik, Mainz 1988, S. 128.
15 Herrmann (wie Anm. 8), S. 95 und 100.
16 Denkschrift, in: Landtag des Saarlandes, Drucksache Abt. II Nr. 15, ausgegeben am
10.3.1948, S. 12.
1 Im Folgenden sind alle Paragraphen ohne Gesetzesangabe solche der Verordnung über
Familienzulagen.
440
weiter bewilligt. Die Leistungen wurden gemäß § 31 nur auf Antrag bei der Kreis-
versicherungsanstalt gewährt und nach § 22 nach jedem abgelaufenen Monat an
den Berechtigten ausgezahlt.
2. Die Beitragszahler
Die Beitragspflichtigen der Familienzulage waren allein die Arbeitgeber, deren
Bedienstete der Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten- oder knappschaftli-
chen Rentenversicherung unterlagen (§ 8). Ausgenommen von dieser Pflicht waren
die „Saarländischen Eisenbahnen“ und Arbeitgeber, deren Personal Vergütungen
nach besonderen Tarifbestimmungen im öffentlichen Dienst sowie der Tariford-
nung für Kranken-, Heil- und Pflegeanstalten des Staates, der Gemeinden und der
Versicherungsträger bezog. Die Ausnahmebestimmung in § 9 sollte aber restriktiv
ausgelegt werden, um der Kasse nicht durch zu viele beitragsbefreite Ausnahmen
die Leistungs- und Handlungsfähigkeit zu entziehen18.
Die Höhe der Beiträge bemaß sich, gemäß § 10, auf 13 vom Hundert des Grund-
lohnes bis zu einem Plafond von 17.000 Francs. Auch ein eingegrenzter Kreis von
Selbstständigen war nicht von dieser Pflicht ausgenommen. Nach § 10 mussten
auch selbstständige Lehrer, Erzieher, Musiker, Hebammen und Pflegekräfte Bei-
träge, in Höhe von 5 vom Hundert des Grundlohnes leisten, sofern sie keine weite-
ren Angestellten in ihrem Betrieb beschäftigten. Weder das Gesetz selbst noch die
Denkschrift zu selbigem geben Auskunft darüber, warum dieser Kreis von Selbst-
ständigen nicht davon ausgenommen wurde.
Was den Grundlohn betraf, so verwies die Verordnung in § 11 auf die entspre-
chenden Regelungen zur Krankenversicherung. Nach § 12 hatten die Verpflichteten
die Beiträge zusammen mit denen der Kranken- und Rentenversicherung zu entrich-
ten. Die Regelung über Fälligkeit und Säumnis, in § 13, verweisen wiederum auf die
Regelung zur Krankenversicherung oder der Reichsversicherungsordnung.
Auf französische Gesetze verweist die Verordnung nicht, wohl weil die Rege-
lungen der Reichsversicherungsordnung schon seit langem in Kraft waren und es
auch keine Bemühen gab, auf das französische System umzustellen.
3. Die Kasse für Familienzulagen
Die Kasse für Familienzulagen war gemäß § 1 bis zum 1.10.1951 eine Abteilung
der Landesversicherungsanstalt (LVA) für das Saarland, die auch der Träger der
Familienzulagen war. Allerdings wurde nach § 2 das Vermögen der Kasse für Fa-
milienzulagen getrennt von dem der Landesversicherungsanstalt verwaltet. Der
Grund hierfür war, dass die Familienzulagen nicht als Bestandteil der Sozialversi-
cherung im eigentlichen Sinne angesehen werden konnten. Ab 1.10.1951 wurde
die Kasse für Familienzulagen zu einer selbstständigen Körperschaft des öffentli-
chen Rechts19.
Denkschrift, in: Landtag des Saarlandes, Drucksache Abt. II Nr. 15, ausgegeben am
10.3.1948, S. 13.
Landtag des Saarlandes, Drucksache Abt. II Nr. 15, ausgegeben am 10.3.1948, S. 1. Zum
Streit um die Familienzulagekasse zwischen CVP einerseits und SPS und Hohem Kom-
441
4. Die Frauenzulage
Die Frauenzulage wurde jedem Arbeitnehmer oder Angestellten gezahlt, der eine
Frau zu versorgen hatte, die selbst nicht berufstätig war (§ 28 Abs. 1). Der Berechtig-
te musste also überwiegend alleine für die Versorgung seiner Ehefrau aufkommen.
ln Abs. 2 des § 28 geht die Verordnung sogar noch einen Schritt weiter und ge-
währt das „Frauengeld“ auch dann, wenn die Ehefrau gestorben oder die Ehe ge-
schieden war. Voraussetzung war dann aber, dass eine Verwandte der aufsteigen-
den oder absteigenden Linie, eine Verwandte der Seitenlinie bis zum dritten Grade
oder eine Verschwägerte bis zum gleichen Grade ausschließlich den Haushalt des
Berechtigten fuhrt und von ihm ganz oder überwiegend unterhalten wurde. Nach §
30 Abs. 2 betrug das Frauengeld monatlich 300 Francs, was bei Zugrundelegung
des vereinfachten Umrechnungskurses von 1:100 (DM zu Francs) damals 3 DM
waren20. Diese Vorschrift war eine Erweiterung des französischen Familienzulage-
rechts durch den saarländischen Gesetzgeber21.
Eine Anspruch auf die Frauenzulage bestand indes nicht, wenn die Ehefrau be-
rufstätig war und mehr als 2.500 Saarfranken verdiente (siehe § 28 Abs. 3).
5. Das Kindergeld
Das Kindergeld wurde jedem Arbeitnehmer oder Angestellten ab dem ersten Kind
gezahlt (§ 29). Für das erste Kind erhielt der Berechtigte monatlich 300 Francs,
nach § 30 Abs. 2 a), für jedes weitere Kind, nach § 20 Abs. 2 b), 600 Francs.
Kümmerte sich der Berechtigte um ein elternloses Kind, so bekam er hierfür ge-
mäß § 30 Abs. 3 sogar 600 Francs.
Als Kinder im Sinne der Verordnung galten alle ehelichen, adoptierten, nicht
ehelichen Kinder von Berechtigten sowie Stiefkinder, Enkel und Pflegekinder, die
der Berechtigte unentgeltlich versorgte. Modern erscheint bei diesem Paragraphen
die Tatsache, dass auch uneheliche Kinder eines Berechtigten darunter fallen. Be-
sonders wenn man bedenkt, dass die Gleichstellung von ehelichen und unehelichen
Kindern in der Bundesrepublik erst ab 1998 verwirklicht wurde. Hier kam es ein-
zig und allein darauf an, dass der Berechtigte für den Unterhalt des Kindes über-
wiegend selbst aufkam; auch machte die Bestimmung keinen Unterscheid zwi-
schen Männern und Frauen22. Man kann also schlussfolgern, dass unverheiratete
missariat andererseits, siehe ausführlich Herrmann (wie Anm. 8), S. 102-104; Klaus
Steinhauer, Das neue Gesetz über Familienzulagen vom 11. Juli 1951, in: Saar-
Wirtschaft 1951, Heft 18, S. 6; Ders., Gesetz über die Familienzulagen, Durchführungs-
bestimmungen, Erlasse und Bescheide. Mit Erläuterungen, Recht des Saarlandes, Saar-
brücken 1952.
211 Siehe dazu das Gesetz Nr. 47-2158 vom 15. November 1947 zur Einführung der franzö-
sischen Währung im Saarland sowie den dazu gehörigen Erlass Nr. 47-2170 über den
Währungsumtausch im Saarland.
21 Herrmann (wie Anm. 8), S. 188.
22 Schneider, Unterhalt und Familienzulage, in: SRuStZ 1949, S. 52; Klaus Steinhauer,
Unterhalt und Familienzulagen, in: SRuStZ 1949, S. 74; Ders., Die Familienzulage, in:
Saar-Wirtschaft 1949, Heft 12, S. 9 sowie jeweils ohne Verfasser in verschiedenen Aus-
442
berufstätige Frauen auch Kindergeld bekamen. Für die vierziger und fünfziger Jah-
re des vorhergehenden Jahrhunderts ist diese Vorschrift sehr fortschrittlich.
Unter die Bestimmung fielen auch noch Stiefkinder, Enkel und Pflegekinder.
Dies ist wohl eine direkte Reaktion auf die gesellschaftliche Situation im Saarland
der Nachkriegsjahre. Zahllose Familien waren durch den Krieg auseinander geris-
sen worden. Viele Familienväter waren gefallen, ein Teil der Bevölkerung bei
Bombenangriffen gestorben. Oftmals musste ein Geschwister oder die Großeltern
eines Kindes dieses aufnehmen und versorgen. Viele Witwen heirateten auch wie-
der, und die Kinder aus den vorhergegangenen Ehen mussten versorgt werden. Der
Gesetzgeber konnte so sicher stellen, dass für viele Kinder gesorgt wurde und sie
nicht in Pflegeheimen Unterkommen mussten, da sie eventuell als zu große Belas-
tung angesehen wurden.
Daneben sah § 29 vor, dass Kindergeld für Kinder über das 15. Lebensjahr hin-
aus gezahlt wurde, wenn diese sich in Schul- oder Berufsausbildung befanden oder
infolge körperlicher oder geistiger Behinderung nicht selbst unterhalten konnten.
Die Denkschrift kündigt noch für die nicht geregelten Fälle Bestimmungen an: bei
Entziehung der väterlichen Gewalt (heute elterliche Sorge), Vormundschaft sowie
für den Fall, dass das Kind Dritten anvertraut wird, etwa bei Unterbringung in ei-
nem Kinderheim, einem Waisenhaus oder einer Erziehungsanstalt sowie für die
Fälle, in denen die Ehe geschieden ist, die Eltern getrennt oder bereits in Schei-
dung leben2’.
Ein Erlass vom 9. April 1948 sah eine „Frauenzulage“ in Höhe von 500 Francs
vor, wenn zusätzlich Kindergeld gezahlt wurde. Er erhöhte das Kindergeld für das
erste Kind auf 500 Francs, für jedes weitere 1.200 Francs und für jedes elternlose
Kind 1.200 Francs24.
IV. Hintergrund der Familienzulage
Das Familienzulagenrecht hat, wie schon erwähnt, seine Wurzeln in Frankreich.
Die katholische Soziallehre hatte ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf die
Einführung einer solchen Regelung. Nach dem Subsidiaritätsprinzip der katholi-
schen Gesellschaftslehre sollten einzelne gesellschaftliche Gruppen zunächst selbst
versuchen, sich untereinander zu helfen, bevor diese Aufgaben an den Staat fielen;
dies war hier der Arbeitgeber. Impulse für einen Familienlohn gingen bereits von
der Sozialenzyklika „Rerum Novarum“ von 1891 aus, die forderte, dass der Lohn
nicht nur aus der Leistung resultiere, sondern auch den Bedürfnissen der Arbeit-
nehmer und ihrer Familien gerecht werden müsse25.
Nach dem II. Weltkrieg erwies sich die Familienzulage als sehr nützliches Mit-
tel, die Probleme zu bekämpfen, die durch eine rückläufige Bevölkerungsentwick-
lung entstanden waren. Der zweite Weltkrieg hinterließ eine Altersstruktur der Be-
gaben der Saar-Wirtschaft von 1949 bis 1954, siehe dazu im Einzelnen die Nachweise
bei Folz (wie Anm. 4), S. 73.
Denkschrift, in: Landtag des Saarlandes, Drucksache Abt. 11 Nr.15, ausgegeben am
10.3.1948, S. 15.
"4 Busemann (wie Anm. 7), S. 46.
25 Herrmann (wie Anm. 8), S. 102.
443
völkerung, die nicht mehr der einer klassischen Alterspyramide, mit vielen Bei-
tragzahlern im erwerbsfähigen Alter und weniger Beitragsempfangern, entsprach.
Daneben hatte Frankreich schon lange mit einem Arbeitskräftemangel zu kämp-
fen26. Alle Mittel, die Geburtenrate zu steigern, waren somit probat. Durch die Fa-
milienzulagen konnten sich auch einkommensschwächere Familien mehr Kinder
leisten. Neben dem Kindergeld wurden dann auch noch Ausstattungsbeihilfen für
Neugeborene gezahlt, sowie Stillprämien27 28.
Im Saarland war die Steigerung der Geburtenrate nicht der Grund für die Ein-
führung der Familienzulagen, sondern eher die Lohnangleichung und Wirtschafts-
union mit Frankreich. Allerdings waren auch dort rückläufige Geburtenraten zu
verzeichnen. Dazu kam, dass das Heiratsalter sehr hoch war und die Menschen
dementsprechend spät Kinder bekamen und somit für weitere Nachkömmlinge
dann schon zu alt sein konnten-8.
Im Saarland fand die Einführung der Verordnung bei allen Parteien großen Zu-
spruch und Unterstützung. Bei den Christdemokraten der CVP fand die Familien-
zulage Anklang, weil sie ganz im Sinne der katholischen Soziallehre, kinderreiche
Familien unterstützte und dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe entsprach29 30. Auch fand
das Gesetz Beifall, weil für Arbeitgeber kein Grund mehr bestand, kinderreiche
Familienväter nicht einzustellen. Denn die Abgabe mussten sie ohnehin zahlen.
Die saarländischen Sozialdemokraten und die Gewerkschaften schließlich befür-
worteten die Familienzulage, weil sie eine alleinige Abgabe der Arbeitgeber war
und somit keine Belastung für Arbeitnehmer darstellte'0.
Im Gegensatz zu Frankreich herrschte in der Bundesrepublik kein Arbeitskräf-
temangel; ganz im Gegenteil, es gab eine hohe Arbeitslosenquote. Familienzulagen
waren dem deutschen Sozialversicherungssystem fremd; lediglich einige große Un-
ternehmen, wie Siemens, versuchten die finanzielle Situation, ihrer Arbeitnehmer
mit Kindern, zu verbessern. Auch andere Branchen hatten Familienkassen, jedoch
wurden diese wegen der Inflation in den zwanziger Jahren wieder abgeschafft. Die
Einführung einer Familienzulage auf breiter Ebene konnte sich auch später nicht
durchsetzen31; nur bei der Beamtenbesoldung war die Familienzulage vom Staat
vorgesehen.
In der Ära Adenauer bestanden unterschiedliche Ansichten zum Familienaus-
gleich. Während die SPD durchaus für die Einführung einer Familienzulage war,
stand die CDU auf dem Standpunkt, eine Regelung der Familienzulagen der Wirt-
schaft selbst zu überlassen'2. Nach dem Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik
wollten viele die Familienzulage erhalten und sogar in der Bundesrepublik einfüh-
ren33. Allerdings kam es dazu nicht, da, wie oben schon angemerkt, die regierende
CDU einen anderen Standpunkt vertrat; auch der katholische Flügel der CDU
26 Ebd. (wie Anm. 8), S. 34 und 96.
2 Die Familienzulagen (wie Anm. 10), S. 178.
28 Ebd. S. 171-172.
29 Herrmann (wie Anm. 8), S. 101 und Seite 189.
30 Ebd. S. 101.
31 Ebd. S. 96-98.
,2 Die Familienzulagen (wie Anm. 10), S. 164.
33 Herrmann (wie Anm. 8), S. 210.
444
konnte sich in dieser Hinsicht nicht durchsetzen. So wurden die Familienzulagen
bei der Wiedereingliederung abgeschafft. Erst 1964 wurde dann das Kindergeldge-
setz verabschiedet. Kindergeld zahlte der Staat demnach aber nur an Erwerbstätige,
ab dem dritten Kind und für jedes weitere Kind34. Seit 1975 wird das Kindergeld ab
dem ersten Kind gezahlt. In Deutschland favorisierte der Gesetzgeber schon immer
die Variante der Entlastung über die Steuern und entsprechender Frei betrage35.
V. Zusammenfassung und Bewertung
Das Gesetz vom 30. Juni 1959 zur Einführung von Bundesrecht und Außerkraft-
setzung von saarländischen Rechtsnormen auf den Gebieten der Arbeitsbedingungen
und des Familienlastenausgleiches im Saarland36 trat zum „Tag X“ in Kraft, sodass
die Besonderheit des saarländischen Familienzulagesystems ebenfalls endete.
Die Besonderheiten der saarländischen Familienzulage waren durchweg fort-
schrittlich, insbesondere die Voraussetzungen für die Beantragung von Kindergeld
und dessen Zahlung ab dem ersten Kind. Das „Frauengeld“ in diesem Umfang war
eine saarländische Eigenheit; selbst zur damaligen Zeit existierte es in Frankreich
nicht in dieser Form.
Klagen zum Familienzulagesystem kamen nicht vor die Verwaltungsgerichte,
ebensowenig vor das Landessozialgericht, das erst 1959 eingeführt wurde37. Viel-
mehr sollten nach § 33 Streitigkeiten über Leistungen auf Antrag in erster Instanz
das Oberversicherungsamt für das Saarland mit den entsprechenden Verfahrens-
vorschriften über das Spruchverfahren in Sachen der Krankenversicherung ent-
scheiden. Der Rekurs gegen Urteile des Oberversicherungsamtes war dann beim
Landesversicherungsamt einzulegen. Allerdings waren die Rekursmöglichkeiten in
§ 34 sehr begrenzt, denn der Rekurs war von vorneherein ausgeschlossen, wenn es
sich um Höhe, Beginn und Ende des Frauen- und Kindergeldes sowie für einen
Bezug der Leistungen von weniger als sechs Monaten drehte.
Der saarländische Gesetzgeber machte sich im Ergebnis durchaus eigene Ge-
danken über die Ausgestaltung seiner Gesetze und übernahm nicht blind alles, was
Frankreich ihm vorlegte. Bei der Einführung der „Frauenzulage“ ging es damals
vielleicht nicht unbedingt nur darum, wie viele meinen, die Frau an das Heim zu
binden und die Arbeitsplätze für Männer zu sichern, sondern vielmehr um die in
der saarländischen Verfassung geschützte Familie als Ganzes.
Heinrich Krebs, Bundeskindergeldgesetz, Berlin 1966, S. 16.
35 Herrmann (wie Anm. 8), S. 98 und 100.
36 BGBl. I S. 361; siehe auch Bitz, Zur Neuregelung der Arbeitsbedingungen und des Fa-
milienlastenausgleiches im Saarland, in: BB 1959, 889; Kurt Pfeifer, 50 Jahre Arbeits-
gerichtsbarkeit, in: 50 Jahre saarländische Arbeitsgerichtsbarkeit 1947-1997. Festschrift,
hg. vom Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Saarland, Saarbrücken 1997, S. 3-28, hier
S. 19.
Karl-Heinz Friese, Aus den Nachkriegswirren ins dritte Jahrtausend - Die Geschichte
der saarländischen Verwaltungsgerichtsbarkeit moderner Prägung, in: Verwaltungsge-
richtsbarkeit im Saarland, Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Oberverwaltungsge-
richts und des Verwaltungsgerichts in Saarlouis, hg. von Karl-Heinz FRIESE, Saarbrücken
2002, S. 17-68, hier S. 39.
445
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Die Stunde der Restrukturierung. Die Konjunktur- und
Strukturkrisen der „langen“ 1970er Jahre im Saarland
Margrit Grabas, Uwe Müller und Veit Damm
1. Einleitung
Die Rezessionen von 1966/67, 1974/75 und 1981/82 - in denen in der Bundesre-
publik das Bruttoinlandsprodukt preisbereinigt gegenüber den jeweiligen Vorjah-
ren um 0,3% (1967), 0,9% (1975) und um 0,4% (1982) sank1 - markieren als her-
ausragende Zäsuren das Ende der Europäischen Nachkriegsprosperität2 *, das mit
einem weltweiten Einbrechen standardisierter Massenproduktion einherging und
eine Rückkehr der Massenarbeitslosigkeit bewirkte1. Ein regionaler Kristallisa-
tionspunkt dieser Entwicklungen war das saarländische Montanrevier, in dem die
Arbeitslosenquote 1967 im Vorjahresvergleich um mehr als das Vierfache anstieg
und sich bis 1977 nochmals fast verdoppelte4. Hintergrund bildeten hier bereits seit
längerem vorhandene und in Krisen mündende strukturelle Probleme, die sich
zunächst — seit den späten 1950er Jahren - im Steinkohlenbergbau, dann aber —
spätestens mit den massiven Produktionseinbrüchen von 1975 - vor allem in der
Stahlindustrie zeigten. Dabei handelte es sich um international übergreifende, die
Montanindustrien aller westeuropäischen Länder betreffende Strukturkrisen5, die
das Saarland aufgrund seiner historisch im 19. Jahrhundert wurzelnden - durch
Kohle und Eisen geprägten — Industriestruktur vor große Herausforderungen stell-
ten und sich mit den genannten konjunkturellen Abschwüngen überlagerten.
Ziel der nachfolgenden Ausführungen ist es, auf der Grundlage ausgewählter
Indikatoren Verlauf, Ursachen und Folgewirkungen der wirtschaftlichen Entwick-
Vgl. Norbert R.ÄTH, Rezessionen in historischer Betrachtung, in: Statistisches Bundesamt
Deutschland (Hg.), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen. Wirtschaft und Statistik
(2009/3), S. 203-208, S. 204.
Vgl. Hartmut Kaelble (Hg.), Der Boom 1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaft-
liche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa, Opladen 1992; Margrit
Grabas, Der Nachkriegsboom der 1950er und 1960er Jahre in Mittel- und Westeuropa -
Modellcharakter für eine gesamteuropäische Prosperität im „postsocialist Century“?, in:
Internationale Wissenschaftliche Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik (IWVWW)
- Berichte 148 (2004), S. 8-27.
Vgl. stellvertretend Werner Abelshauser, Strukturelle Arbeitslosigkeit. Eine Diagnose
aus historischer Perspektive, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2009/2), S. 249-
262, S. 258f.; Thomas Raithel (Hg.), Die Rückkehr der Arbeitslosigkeit. Die Bundes-
republik Deutschland im europäischen Kontext 1973 bis 1989, München 2009; Jeremy
Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Neue Konzepte für das 21. Jahrhundert,
Frankfurt/Main 2004.
Vgl. hierzu näher Abschnitt 2.5.
Vgl. Uwe Röndigs, Globalisierung und europäische Integration. Der Strukturwandel des
Energiesektors und die Politik der Montanunion 1952-1962, Baden-Baden 2000; Sebas-
tian Kerz, Bewältigung der Stahlkrisen in den USA, Japan und der Europäischen Ge-
meinschaft, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1991, S. 8-97.
447
lung des Saarlandes im Zeitraum der krisenhaften „langen“ 1970er Jahre6 * * empi-
risch herauszuarbeiten und zu bestimmen . Die historische Untersuchung der
Konjunktur- und Strukturkrisen soll dabei sowohl aus makro- als auch aus mikro-
ökonomischer Perspektive erfolgen. Im Mittelpunkt des ersten Teils steht eine
Konjunktur- und Strukturanalyse auf gesamtwirtschaftlicher Ebene und für ein-
zelne Branchen, wobei die in der einschlägigen Literatur aufgestellte These zu
überprüfen ist, dass die jeweiligen Wirtschaftskrisen an der Saar im Vergleich zu
anderen Regionen besonders gravierende Spuren hinterlassen hätten und nur
partiell bewältigt worden wären*. Um die Spezifik von Wachstum, Konjunktur und
Strukturwandel der saarländischen Wirtschaft einerseits, die Auswirkungen der je-
weiligen Krisen auf einzelne Industriezweige sowie den Arbeitsmarkt andererseits
transparent zu machen, werden als Vergleichsmaßstab die analogen Daten für die
Bundesrepublik insgesamt herangezogen. Daran anschließend - in Abschnitt 3 -
werden einzelne Unternehmen in den Blick genommen, die von den damaligen
Turbulenzen besonders betroffen waren und im Zentrum des Strukturwandels
standen. In diesem Zusammenhang interessiert vor allem die Frage, ob sich unter-
nehmensspezifische Verlaufsmuster nachweisen lassen, die in einem Prozess posi-
tiver oder negativer Rückkopplungen jenes der sozioökonomischen Entwicklung
beeinflussten. In einem letzten Teil, der die bisherigen Ergebnisse zusammenfasst
und weiterführende Forschungen umreißt, soll vor allem auf die Bedeutung der
Wirtschaftspolitik für die krisenbedingte Restrukturierung der saarländischen Wirt-
schaft verwiesen werden.
2. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Saarland 1965
bis 1984 - Überlagerung von Konjunktur- und Struktur-
krisen9
Zunächst ist eine knappe kontextbezogene Klärung der Begriffe notwendig.
„Strukturwandel“ beschreibt allgemein eine „Veränderung der Produktionsstruktur
einer Volkswirtschaft, die sich als marktwirtschaftliche Konsequenz von dauerhaf-
6 Der Untersuchungszeitraum des Aufsatzes umfasst die Jahre von 1965 bis 1984 - geht
also über die gängige Datierung der „langen“ 1970er Jahre von 1968/69-1982/83
(Konrad Jarausch) hinaus, um auch die Ausgangspunkte vor der Rezession 1966/67 und
die Entwicklung nach der Rezession von 1981/82 aufzuzeigen.
Die Darstellung basiert auf ersten Untersuchungsergebnissen eines mehrjährigen For-
schungsprojekts, das am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität
des Saarlandes zum Thema „Die Konjunktur- und Strukturkrisen der „langen“ siebziger
Jahre. Verlauf, Wahrnehmung und Bewältigung im Saarland 1966-1982“ seit Oktober
2010 durchgeführt und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird. Vgl.
zur Auswahl und Auswertung konjunkturreagibler Indikatoren: Margrit Grabas, Kon-
junktur und Wachstum in Deutschland, Berlin 1992, S. 80-96.
* Vgl. unter anderen Karl Lauschke, Die halbe Macht. Mitbestimmung in der Eisen- und
Stahlindustrie 1945 bis 1989, Essen 2007, S. 259; François Reitel, Krise und Zukunft
des Montandreiecks Saar-Lor-Lux, Frankfurt/Main 1980; Guy Schmit, Der Saar-Lor-
Lux-Raum. Strukturen, Probleme und Entwicklungen in einer altindustrialisierten Grenz-
region, Köln 1989.
9 Wir bedanken uns bei Dominik Steinmann und Michael Emser für die Unterstützung bei
der Datenrecherche und den graphischen Darstellungen.
448
ten Veränderungen der Nachfragestrukturen, der Konkurrenzverhältnisse, auf den
Weltmärkten und des technischen Fortschritts ergeben“10 11. Die westdeutsche Volks-
wirtschaft der „langen“ 1970er Jahre war - ähnlich wie andere westeuropäische
Volkswirtschaften auch - sowohl durch eine zunehmende Bedeutung von Dienst-
leistungen zu Lasten des verarbeitenden Gewerbes als auch durch Gewichtsver-
schiebungen innerhalb des sekundären und tertiären Sektors gekennzeichnet".
Dieser säkulare Strukturwandel, der durch eine Destabilisierung der die Nach-
kriegsprosperität prägenden Produktionsfunktion zugleich eine mittelfristige
Bestimmungskomponente besaß12, verlief bei raschem Bedeutungsverlust und
regionaler Konzentration bestimmter Wirtschaftszweige mitunter äußerst krisen-
haft. ln diesem Zusammenhang ist die konjunkturhistorische Erkenntnis zu berück-
sichtigen, dass das zyklische Bewegungsmuster marktwirtschaftlicher Entwicklung
immer auch zugleich eine strukturelle Komponente aufweist beziehungsweise mit
den im Raum und in der Zeit ungleichmäßig verlaufenden Strukturwandlungspro-
zessen wechselseitig miteinander verbunden ist13. Die regional ganz unterschied-
lich in Erscheinung tretenden branchenspezifischen Strukturkrisen - so die Hypo-
these - wurden insofern in ihrem Ausprägungsgrad durch die damaligen konjunk-
turellen Abschwungsbewegungen des Wirtschaftswachstums verschärft. Unter
„Konjunktur“ sollen dabei - ganz allgemein - relativ regelmäßig wiederkehrende
Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivitäten verstanden werden. Inwieweit es
sich dabei um systemimmanente Phänomene des Industriekapitalismus oder statt
dessen eher um exogen verursachte Störungen von zum Gleichgewicht tendie-
renden Marktprozessen handelt, ist nach wie vor umstritten und kann an dieser
Stelle nicht diskutiert werden14. Offensichtlich ist lediglich, dass einige Rezes-
sionen der Konjunkturgeschichte, wie etwa die Weltwirtschaftskrisen von 1873/79
oder von 1929/32, aber auch die rezente Globalisierungsrezession von 2008/09 la-
tent vorhandene Strukturkrisen zum Ausbruch brachten, sich mit ihnen überla-
gerten und den Strukturwandel beschleunigten beziehungsweise beschleunigen".
Die sich in der Regel zunächst als konjunktureller Abschwung manifestierenden
Strukturkrisen bilden demnach einen integralen Baustein längerfristiger Ent-
10 Karl-Heinz Paqué, Structural Unemployment in Europe, in: The Kiel Institute of World
Economics, Working Paper No. 756, Kiel 1996, S. 3.
11 Zur Tertiarisierungsproblematik vgl. unter anderen Karl Georg Zinn, Die Wirtschafts-
krise. Wachstum oder Stagnation. Zum ökonomischen Grundproblem reifer Volkswirt-
schaften, Mannheim 1994, S. 86-95.
12 Vgl. Margrit Grabas, Einige methodologische Reflexionen zur konjunktur- und wachs-
tumshistorischen Erforschung der Europäischen Nachkriegsprosperität (1948-1973) -
Dargestellt an der deutsch-deutschen Wirtschaftsgeschichte, in: Internationale Wissen-
schaftliche Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik (IWVWW) - Berichte 180/181
, (2008), S. 8-28, S. 23-25.
13 Stellvertretend Volker Bornschier, Westliche Gesellschaft im Wandel, Frankfurt 1988;
Joseph A. Schumpeter, Business Cycles. A Theoretical, Historical, and Statistical Ana-
lysis of the Capitalist Process, New York 1939.
14 Vgl. hierzu ausführlich Grabas, Konjunktur (wie Anm. 7), Kap. I.
Vgl. zusammenfassend dies., Die Gründerkrise von 1873/79 - Fiktion oder Realität?
Einige Überlegungen im Kontext der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09, in:
Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte: Konjunkturen und Krisen in der neueren Geschichte
(2011/1), S. 69-96.
449
Wicklung10 - sie sind „ein zentrales Moment des ökonomischen Struktur-
wandels“16 17.
Eine ähnlich transformatorische Wirkungsdimension kann auch den Struktur-
und Konjunkturkrisen der „langen“ 1970er Jahre zugewiesen werden. Akzeleriert
durch die beiden Ölpreisschocks von 1973 und 1979 und verstärkt durch den Zu-
sammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods im Jahre 1971,
konstituierten sie durch ihre im Zeitablauf variierenden Überlagerungsdynamiken
überall in Europa ein Jahrzehnt systemübergreifender - transnationaler - Wirt-
schaftskrisen von zäsursetzender Entwicklungsrelevanz.
Wie verliefen nun im Saarland Konjunktur und Wachstum während des Zeit-
raums der „langen“ 1970er Jahre insgesamt sowie in den einzelnen Industriebran-
chen? Wie gestaltete sich der strukturelle Wandel und welche Auswirkungen hat-
ten die Krisen insbesondere auf dem Arbeitsmarkt?
2.1 Konjunktur und Wachstum in der BRD und im Saarland
Die wirtschaftliche Entwicklung in ihrer Einheit von Konjunktur und Wachstum
lässt sich durch die Berechnung von jährlichen Wachstumsraten des Sozialpro-
dukts abbilden, wenngleich diese im Unterschied zu anderen Diagnoseverfahren
gerade die konjunkturellen Umkehrprozesse früher anzeigen. Bei dem hier vorge-
nommenen Vergleich zwischen der BRD und dem Saarland ist vor allem die unter-
schiedliche Struktur der Grundgesamtheiten zu beachten. Dies erklärt mitunter eine
stärkere Schwankungsintensität der Wachstumsraten im Saarland (siehe Abb. 1).
Vor diesem Hintergrund scheint es - wie eingangs erwähnt - durchaus plausibel,
den Wirtschaftskrisen im Saarland einen im bundesdeutschen Vergleich stärkeren
Ausprägungsgrad (Länge, Tiefe und Schärfe)18 zuzuschreiben. Dieses Bild
relativiert sich jedoch bei näherer Betrachtung: So folgte die saarländische Kon-
junktur im Untersuchungszeitraum zwar dem allgemeinen Muster der Bundes-
republik, im Einzelnen ergeben sich allerdings durchaus einige Verlaufsspezifika:
1. Die Rezession von 1966/67 im Saarland war - verglichen mit der volks-
wirtschaftlichen Krisendynamik - sowohl schärfer als auch tiefer.
2. Die Rezession von 1974/75 war dagegen weniger scharf und tief als im
bundesdeutschen Durchschnitt.
3. Allerdings folgte dieser Rezession im Saarland im Vergleich zur
Bundesrepublik ein bemerkenswert instabiler Aufschwung, wenngleich
auch die Wachstumsraten des bundesdeutschen Bruttoinlandsprodukts
16 Zum Krisenbegriff vgl. ausführlich Margrit Grabas, Wirtschaftskrisen in soziokul-
tureller Perspektive. Plädoyer für eine kulturalistisch erweiterte Konjunktur(geschichts)-
forschung, in: Geschichte und Gesellschaft. Sonderhefte, Heft 24: Wirtschaftskulturen -
Kulturen der Weltwirtschaft, hrsg. v. Werner Abelshauser, Andreas Leutzsch und
David Gilgen, Göttingen 2012, S. 261-283.
1 Werner Plumpe, Wirtschaftskrisen. Geschichte und Gegenwart, München 2010, S. 116.
lx Bemessungsgrundlage sind die jeweiligen konjunkturellen Wendepunkte, wobei unter
„Tiefe“ der Krise der prozentuale Rückgang der untersuchten Indikatorreihe und unter
„Schärfe“ dessen Geschwindigkeit verstanden wird. Vgl. Grabas, Konjunktur (wie
Anm. 7), S. 116-118.
450
(künftig: BIP) bis zum Erreichen des konjunkturellen Höhepunkts 1979
temporär rückläufig waren.
4. Die dem zweiten Ölpreisschock folgende Rezession von 1981/2 wurde im
Saarland offensichtlich durch besondere Effekte beeinflusst, da 1981 das
BIP noch einmal - nach einem kräftigen Rückgang 1980 - deutlich
wuchs, um dann aber im Jahre 1982 auffallend stark zurückzugehen. Die
Erholung wiederum, wenngleich von einem niedrigeren Wendepunkt aus,
erfolgte im Saarland zielstrebiger.
5. Die von einigen Autoren vertretene Auffassung, dass die Wirtschaftskri-
sen im Saarland aufgrund der montanindustriellen Prägung wesentlich
gravierender gewesen wären als im sonstigen Bundesgebiet19, trifft also
auf die Rezessionsjahre 1967 und 1982, jedoch nicht auf die Krise von
1974/75 zu.
Abb. 1: Wachstums raten des Bruttoinlandsproduktes in Bundesrepublik und
Saarland von 1965-1984
'65 '66 '67 '68 '69 '70 '7! '72 '73 '74 '75 '76 '77 '78 '79 '80 '81 '82 '83 '84
Quellen: Saarland 1965-1970: Statistisches Amt des Saarlandes (Hg.), Statistisches Hand-
buch für das Saarland 1976, Saarbrücken 1976, S. 390; Bundesrepublik 1965-1970: Räth,
Rezessionen (wie Anm. 1), S. 204; Saarland und Bundesrepublik 1971-1984: Volkswirt-
schaftliche Gesamtrechnungen der Länder.
Die partiell in ihrem konjunkturellen Muster von jenem der westdeutschen
Wirtschaft abweichende Entwicklung des Saarlandes dürfte vor allem auf die spe-
zifische industrielle Branchenstruktur zurückzuführen sein. Wahrscheinlich ist et-
wa die Schwäche des 1976 einsetzenden Aufschwungs Ausdruck des zeitlich ver-
zögerten, dafür aber mehrjährigen Einbruchs der Stahlindustrie. Zur Verifizierung
Vgl. Anm. 8.
451
dieser These wurden die Daten zur Beschäftigung und Produktion der einzelnen
Branchen erhoben, die in den folgenden Abschnitten ausgewertet werden.
Die regionalwirtschaftliche Entwicklung zeigte aber nicht nur hinsichtlich der
Zyklizität, sondern ebenso in der Dynamik des Wachstums gewisse Auffällig-
keiten. So erwirtschaftete das Saarland 1970 mit nur 78,6% des bundesdeutschen
Durchschnitts (incl. Westberlin) im Ländervergleich das niedrigste Bruttosozial-
produkt (künftig: BSP) pro Einwohner20. In den siebziger Jahren kam es dann in
allen Ländern mit niedrigem Ausgangsniveau, also neben dem Saarland vor allem
auch in Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, zu einem überdurchschnitt-
lichen Wachstum des BSP je Einwohner. Das saarländische Pro-Kopf-Einkommen
betrug daher 1982 bereits 88% des Bundesdurchschnitts. Damit stand man zwar
immer noch auf dem letzten Platz, hatte allerdings beinahe das Niveau von
Schleswig-Holstein und Niedersachsen erreicht. Inwiefern diese Entwicklung
primär auf ein produktivitätsinduziertes Wachstum oder aber auf die während des
Untersuchungszeitraumes infolge von Abwanderung gesunkene Einwohnerzahl'1
zurückzufuhren ist, kann vorerst noch nicht geklärt werden.
Immerhin relativiert sich die beeindruckend wirkende Aufholleistung der saar-
ländischen Wirtschaft bei Zugrundelegung der durchschnittlichen Wachstumsraten
des jeweiligen BIP, die zwischen 1965 und 1984 im Saarland um 0,4 Prozent-
punkte niedriger als auf volkswirtschaftlicher Ebene war22 23. Berücksichtigt man
allerdings einerseits den überdurchschnittlichen Ausprägungsgrad der Rezession
von 1966/7 im Saarland, andererseits die während der 1970er Jahre temporär be-
trächtlich höheren Wachstumsraten des saarländischen BIP pro Erwerbstätigen'3,
so spricht der vorläufige Befund für einen zyklusdifferenten und in seinen sozio-
ökonomischen Folgewirkungen ambivalenten Catching-up-Prozess: Die saarlän-
dische Wirtschaft hatte offensichtlich einen Arbeitskräfte freisetzenden, durch
Rationalisierung gekennzeichneten Modernisierungsprozess durchlaufen, der vor
allem mit der ersten Nachkriegsrezession von 1966/7 im Zusammenhang stand.
Diese Aussage kann erhärtet werden, wenn man sich den Entwicklungsvorlauf der
besonders konjunkturreagiblen Anlageinvestitionen anschaut, die ihre prinzipiellen
Modernisierungseffekte in der Regel erst mit einem gewissen Timelag entfalten.
Als unmittelbare Reaktion auf den Konjunkturrückgang von 1966/7 sind die
211 Kurt Geppert, Die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesländer in den siebziger und
achtziger Jahren. Eine vergleichende Analyse, Berlin 1987, S. 42.
21 Vgl. die relevanten Zahlen zur Abwanderung: Statistisches Landesamt des Saarlandes
(Hg.), Statistisches Handbuch für das Saarland 1996, Saarbrücken 1997.
'2 In laufenden Preisen, berechnet nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der
Länder (künftig: VGRdL) auf der Basis der statistischen Ämter und der Länder
(http://www.vgrdl.de/Arbeitskreis_VGR/tbes/RZabo2.asp) sowie Statistisches Amt des
Saarlandes (Hg.), Statistisches Handbuch für das Saarland 1976, Saarbrücken 1976, S.
390; Statistisches Amt des Saarlandes (Hg.), Statistisches Handbuch für das Saarland
1988, Saarbrücken 1989, S. 322. Die jährliche Wachstumsrate des bundesdeutschen BIP
im Durchschnitt der Jahre 1965 bis 1984 belief sich auf 7,6 %, wohingegen der
Vergleichswert an der Saar lediglich bei 7,2 % lag.
23 Berechnet von 1971 bis 1982 in preisbereinigten Werten ist das Verhältnis 2,4 % zu
2,6 %, die Wachstumsrate im Saarland ist also sogar höher. Vgl. VGRdL auf der Basis
der statistischen Ämter und der Länder.
URL: (http://www.vgrdl.de/Arbeitskreis_VGR/tbes/RZabo2.asp).
452
Investitionen der saarländischen Industrie (im Verarbeitenden Gewerbe) förmlich
explodiert24. Wenngleich diese zu Beginn der 1970er Jahre wieder rückläufig
wurden, verblieben sie dennoch auf einem höheren Niveau als vor 1966/7. Bevor
auf die damit verbundene - beschäftigungspolitisch brisante - Arbeitsmarktprob-
lematik näher eingegangen wird, soll zunächst untersucht werden, ob sich die bis-
her betrachteten Entwicklungen auf den Strukturwandel auswirkten beziehungs-
weise wie sie durch ihn transparent wurden.
2.2 Der Strukturwandel
2.2.1 Der intersektorale Strukturwandel
Unter dem intersektoralen Strukturwandel versteht man die so genannte
Deindustrialisierung beziehungsweise Tertiarisierung, also den Rückgang der
Bedeutung des sekundären Sektors bei gleichzeitiger Zunahme des Stellenwertes
des tertiären Sektors. Dieser Prozess setzte in der Bundesrepublik - nach einem
letzten, im internationalen Vergleich eher außergewöhnlichen Industrialisierungs-
schub in den fünfziger und sechziger Jahren - um 1970 ein und wird in der Regel
durch die Anteile der einzelnen Sektoren an der volkswirtschaftlichen Wert-
schöpfung und der Beschäftigung gemessen25.
Grafik 2 zeigt, dass im Saarland des Jahres 1960 der sekundäre Sektor ein um
immerhin acht Prozentpunkte höheres Gewicht besaß als in der Bundesrepublik.
Hier setzte dann aber bereits in den sechziger Jahren eine deutliche Deindustriali-
sierung ein, so dass das Saarland im Jahre 1970 trotz seiner montanindustriellen
Prägung nicht stärker industrialisiert war als die Bundesrepublik insgesamt, der
tertiäre Sektor expandierte sogar bis 1970 schneller als im Bundesdurchschnitt.
Nach 1970 wuchs dann der tertiäre Sektor im Saarland langsamer als in der Bun-
desrepublik. Während im Saarland die Zahl der Beschäftigten im tertiären Sektor
von 1970 bis 1987 um 32% zunahm, lag ihr Anstieg im Bundesdurchschnitt bei
42%26. Diese Differenz resultierte vor allem aus unterschiedlichen Entwicklungen
im Handel. Während hier die Beschäftigtenzahl im Saarland um 4% zurückging, ist
sie im gesamten Bundesgebiet um 8% gewachsen. * 23
“4 Vgl. Norbert Bettinger, Struktur und Entwicklung der Investitionstätigkeit im Verarbei-
tenden Gewerbe des Saarlandes 1964 bis 1982, in: Statistische Nachrichten. Vierteljahrs-
schrift des Statistischen Landesamtes 3 (1984), S. 30-35, vgl. dazu auch Igor Hirsch,
Konjunkturgeschichte des Saarlandes 1967 bis 1982. Eine wirtschaftshistorische Analyse
aus soziokultureller Perspektive, Magisterarbeit Saarbrücken 2011, S. 42.
23 Vgl. Gerold Ambrosius, Sektoraler Wandel und internationale Verflechtung: Die bundes-
deutsche Wirtschaft im Übergang zu einem neuen Strukturmuster, in: Thomas Raithel,
Andreas Rödder und Andreas Wirsching (Hg.), Auf dem Weg in die Moderne? Die
Bundesrepublik Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren, München 2009, S.
17-30; Werner Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte seit 1945, Bonn 2004, S.
302-314.
2(1 Vgl. Franz-Josef Bade, Die Stellung des Saarlandes im wirtschaftlichen Strukturwandel
der Bundesrepublik Deutschland, in: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie 34 (1990), S.
200.
453
Abb. 2: Anteil der Sektoren an der Wertschöpfung in Bundesrepublik und Saar-
land (1960-1990)
Quelle: Gesa Miehe-Nordmeyer, Ökonomische Anpassung an Schocks. Das Beispiel der
Regionen Saarland, Lothringen und Luxemburg, Frankfurt/Main u.a. 2001, S. 32.
Auch bei den untemehmensnahen Dienstleistungen hinkte die saarländische
Entwicklung hinterher. Dies hing mit den Verlusten im Waren produzierenden
Gewerbe zusammen, denn gerade auf regionaler Ebene sind Veränderungen des
Verhältnisses zwischen sekundärem und tertiärem Sektor eher keine Substitutions-
prozesse, sondern durch Parallelität gekennzeichnet27. Das Strukturproblem des
Saarlandes bestand also nicht allein in der seit Beginn der 1970er Jahre relativ
langsameren Entwicklung des tertiären Sektors. Schließlich lässt sich „die gesamt-
wirtschaftliche Bedeutung der Industrie nicht nur an ihrem abnehmenden institu-
tioneilen Wertschöpfungs- und Erwerbstätigenanteil messen, sondern auch an ihrer
Bedeutung als Produzent von internen Dienstleistungen und als Nachfrager nach
externen Dienstleistungen“28.
2.2.2 Der intraindustrielle Strukturwandel
Unter dem intraindustriellen Strukturwandel versteht man Gewichtsverschiebungen
innerhalb des sekundären Sektors. So entstanden im Untersuchungszeitraum neue
Industriezweige, wie etwa die Mikroelektronik. Gleichzeitig konnten gerade in
Deutschland viele in der zweiten Industrialisierungsphase (1873-1914) entstandene
Industriezweige, wie die Chemische und die Elektroindustrie, aber auch der Ma-
schinen- und Fahrzeugbau, ihre Stellung als Leitsektoren behaupten. Andere Bran-
chen, die seit der Take-off-Phase der deutschen Industrialisierung (ca. 1850-1873) 11
11 Vgl. ebd. S. 202.
2X Ambrosius, Sektoraler Wandel (wie Anm. 25), S. 21.
454
das Wachstum bestimmt hatten, wie der Bergbau, die Eisen- und Stahlindustrie so-
wie - wenngleich weniger stark - die Textil-, Bekleidungs- und Lederindustrie,
aber auch der seit den 1890er Jahren wachstumsrelevante Schiffbau29 verloren da-
gegen nicht nur relativ, sondern auch absolut an Beschäftigung und mitunter sogar
an Wertschöpfung20. Neben dem Schiffbau wiesen auch der Bergbau und die Stahl-
industrie eine hohe räumliche Konzentration auf, so dass die entsprechenden Struk-
turkrisen gravierende regionalwirtschaftliche Effekte hatten’1. Im Saarland erwirt-
schafteten 1961 der Bergbau sowie die Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie
noch beinahe zwei Drittel (63,6%) des Industrieumsatzes (vgl. Abb. 3). Bis 1982
fiel dieser Anteil - trotz eines nach den Ölpreisschocks vorübergehend wieder ge-
stiegenen Umsatzes des Steinkohlebergbaus - auf 46,4%. Er lag damit aber noch
immer deutlich über dem Bundesdurchschnitt, so dass sich der Strukturwandel
auch in den achtziger und neunziger Jahren fortsetzte.
Abb. 3: Anteil der einzelnen Gruppen am Gesamtumsatz der saarländischen
Industrie (1961-1982)
Quelle: Christian Augustin u.a., Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Grenz-
raum Saar-Lor-Lux, Saarbrücken 1978, S. 540-543; Statistisches Amt des Saarlandes (Hg.),
Statistische Berichte 1982, Saarbrücken 1983, P II -m 12/82, S. 2.
Die im Saarland traditionell eher schwache Verbrauchsgüterindustrie und
speziell die Nahrungs- und Genussmittelindustrie verloren im Untersuchungszeit-
raum ebenfalls Anteile am Industrieumsatz. Innerhalb des sekundären Sektors er-
langte also im Zuge des - zwischen 1968 und 1975 besonders rasch verlaufenden - * 30 31
Vgl. Grabas, Konjunktur (wie Anm. 7), S. 193f.
30 Vgl. Ambrosius, Sektoraler Wandel (wie Anm. 25), S. 22.
31 Vgl. Rainer Schulze, Industrieregionen im Umbruch. Historische Voraussetzungen und
Verlaufsmuster des regionalen Strukturwandels im europäischen Vergleich, Essen 1993.
455
Strukturwandels allein die Investitionsgüterindustrie einen deutlich zunehmenden
Stellenwert32.
Die Verschiebungen zwischen den einzelnen Industriegruppen, aber auch
konjunkturelle Einflüsse werden durch die Jahresdaten zur Beschäftigung noch
besser deutlich (vgl. Abb. 4). Insgesamt zeugen die Daten von starken Struktur-
veränderungen. So macht die Grafik deutlich, dass die Beschäftigtenzahl des
Bergbaus bereits seit Anfang der sechziger Jahre rapide zurückging und sich nur
dank des Ölpreisschocks stabilisieren konnte.
Abb. 4: Beschäftigte im Saarland nach Industriegruppen (1965-1984)
Quelle: Saarland in Zahlen, verschiedene Jahrgänge.
Die Beschäftigtenzahl in den Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien erleb-
te in Folge der Rezession von 1966/7 einen ersten Einbruch und ging dann nach
der 1975 beginnenden Stahlkrise rasant zurück. Weder die Herstellung von indus-
triellen Konsumgütern noch die Nahrungs- und Genussmittelindustrie konnten
diese Verluste kompensieren, da auch hier die Beschäftigtenzahlen langfristig san-
ken oder bestenfalls stagnierten. Allein die Investitionsgüterindustrie verzeichnete
- allerdings bei den hier typischen konjunkturellen Schwankungen - eine Zunahme
ihrer Beschäftigtenzahl. Um das Ausmaß der regionalwirtschaftlichen Krisen-
konstellation und den Fortgang des Strukturwandels genauer zu kennzeichnen, ist
eine detailliertere Betrachtung der Entwicklung des Steinkohlebergbaus und der
Stahlindustrie einerseits sowie der expandierenden Zweige innerhalb der Investi-
tionsgüterindustrien andererseits vorzunehmen. * S.
Vgl. hierzu auch Industrie- und Handelskammer des Saarlandes (Hg.), Die Saarwirtschaft
im Rückblick und Vorschau, Teil I, Dillingen 1980; Bettinger, Struktur (wie Anm. 24),
S. 35.
456
2.3 Die Strukturkrisen in der saarländischen Montanindustrie -
Niedergang des Steinkohlebergbaus und Produktionsein-
brüche in der Stahlerzeugung
Im Saarland befand sich das zweitwichtigste Montanrevier der Bundesrepublik. Im
Vergleich zum größeren Revier an der Ruhr existierten allerdings einige Nachteile.
Nachdem das Saargebiet direkt nach 1945 noch von der französischen Besatzung
profitiert hatte, verlor es seit Anfang der fünfziger Jahre im Vergleich zur Bundes-
republik der Wirtschaftswunderzeit an wirtschaftlicher Dynamik’1. Angesichts der
unsicheren politischen Zukunft gab es nur noch wenige französische Investitionen,
so dass sich die saarländische Montanindustrie nach der wirtschaftlichen Einglie-
derung in die Bundesrepublik im Jahre 1959 mit ihrer nicht immer wettbewerbs-
fähigen technologischen Basis auf einem durch die Konkurrenz von der Ruhr be-
reits beherrschten Markt nur schwer etablieren konnte33 34. Nachteilig wirkten sich
zudem verkehrsgeographische Faktoren aus. Die Region war über die Eisenbahn
nur unzureichend an das Bundesgebiet angebunden. Immerhin transportierte die
Bundesbahn jedoch saarländische Massengüter zu einem ermäßigten Tarif, wo-
durch der fehlende Wasserstraßenanschluss kompensiert werden sollte. Nach dem
1966 beendeten Ausbau der Mosel zu einer leistungsfähigen Wasserstraße und
letztlich ergebnislosen Debatten über den Bau eines Saar-Pfalz-Kanals wurde erst
1973 beschlossen, auch die Saar zu kanalisieren '5.
Für den saarländischen Steinkohlebergbau kam hinzu, dass zeitgleich mit der
Eingliederung des Saargebietes in die Bundesrepublik in ganz West- und Mittel-
europa eine Strukturkrise einsetzte, in deren Folge Produktion und Beschäftigung
drastisch reduziert wurden’6. Nachdem die Beschäftigtenzahl im saarländischen
Steinkohlebergbau im Jahre 1959 mit 55.752 einen Höhepunkt erreicht hatte, ging
sie bis 1974 auf 21.411 zurück. Sie sank also innerhalb von nur 15 Jahren auf 38%
des Ausgangsniveaus37.
33 Vgl. Heinz MÜLLER, Probleme der Wirtschaftsstruktur des Saarlandes, Luxemburg 1967,
S. 16f.; Armin Heinen, Saarjahre. Politik und Wirtschaft im Saarland 1945-1955,
Stuttgart 1996, S. 499-502.
'4 Vgl. Hans-Walter Herrmann, Wirtschaftliche und soziale Entwicklung 1918-1959, in:
Ders. (Hg.), Das Saarland. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung, Saar-
brücken 1990, S. 75-79; Marcus Hahn, Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956-
1970. Regionale Politik zwischen Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland und
Kohlekrise, Saarbrücken 2003, S. 84-88, 175-182.
35 Vgl. Karl Mathias (Hg.), Wirtschaftsgeographie des Saarlandes, Saarbrücken 1980, S.
23 5 f.
36 Vgl. Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 25), S. 200-214.
’7 Vgl. Abb. 4 sowie Arnold KÜnzer, Die Auswirkungen der Montanindustrie auf die Struk-
tur und Entwicklung der saarländischen Wirtschaft, in: Statistische Nachrichten 3 (1991),
S. 21.
457
Abb. 5: Steinkohleförderung im Saarland (1965-1984; Nettoproduktion in 1000
Tonnen)
15.000
14.000
13.000
12.000
11.000
10.000
9.000
8.000
'65 '66 '67 '68 '69 '70 '71 '72 '73 '74 '75 '76 '11 '78 '79 '80 '81 '82 '83 '84
Quellen: Christian Augustin u.a., Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Grenz-
raum Saar-Lor-Lux, Saarbrücken 1978, S. 552; Statistisches Amt des Saarlandes (Hg.), Sta-
tistisches Handbuch für das Saarland 1984, Saarbrücken 1985, S. 128; Statistisches Amt des
Saarlandes (Hg.), Statistisches Handbuch für das Saarland 1988, Saarbrücken 1989, S. 134.
Die Produktion von Steinkohle und Koks ging ebenfalls zurück, sank allerdings
weniger stark als die Beschäftigung, da die Saarbergwerke AG durch verschiedene
Rationalisierungsmaßnahmen, vor allem durch die Stilllegung der unrentabelsten
Gruben, Kosten senkte38. Infolge der Ölpreisschocks von 1973/79 nahmen die Pro-
duktion und sogar auch die Beschäftigung (vgl. Abb. 4 und 5) noch einmal zu,
erreichten aber nicht mehr annähernd das Niveau der frühen sechziger Jahre. Der
Rückgang der Produktion im Jahre 1983 offenbarte zudem, dass die Steinkohleför-
derung - ungeachtet ihres in den späten 1950er Jahren einsetzenden strukturellen
Niedergangs - auch weiterhin anfällig auf mittelfristige Konjunkturschwankungen
reagierte.
Im Gegensatz zur Steinkohleförderung wies die Stahlproduktion noch bis 1974
einen langfristigen - strukturellen - Wachstumstrend auf, und sie war bei weitem
stärker mit der allgemeinen Konjunktur korreliert. So war mit der Rezession von
1966/7 ein Rückgang der Stahlproduktion verbunden und das darauf folgende star-
ke Wachstum ist 1970/1 unterbrochen worden. Dennoch lassen sich auch hier Ver-
laufsspezifika feststellen; Der danach einsetzende starke Anstieg der Stahlpro-
duktion erreichte ausgerechnet im Krisenjahr 1974 seinen Höhepunkt, so dass die
Wachstumsrate des saarländischen BIP aufgrund des strukturellen Gewichts der
>8 Vgl. Mathias, Wirtschaftsgeographie (wie Anm. 35), S. 133-138.
458
Stahlindustrie in diesem Jahr über dem bundesdeutschen Durchschnitt lag (vgl.
Abb. 1).
Abb. 6: Produktion von Rohstahl und Walzstahlerzeugnissen im Saarland (1965-
1984)
Quelle: 1967-1975: Statistisches Amt des Saarlandes (Hg.), Statistisches Handbuch für das
Saarland 1976, Saarbrücken 1977, S. 186; 1976-1982: Statistisches Amt des Saarlandes
(Hg.), Statistisches Handbuch für das Saarland 1984, Saarbrücken 1985, S. 128.
Die dann 1975 ausbrechende, mehrere Jahre andauernde Stahlkrisey) lässt sich
grundsätzlich auf die gesunkene Nachfrage der Investitionsgüterindustrie nach der
weltweiten Rezession von 1974/5, die zunehmende Substitution von Stahl durch
andere Werkstoffe und vor allem auf weit reichende Veränderungen der Wettbe-
werbssituation innerhalb der Branche, damit aber letztlich auf eine Überlagerung
von konjunkturellen und strukturellen Bestimmungsfaktoren zurückführen. Die
Massenstahlproduktion basierte mittlerweile auf einer ausgereiften und standardi-
sierten Technologie, so dass die Sowjetunion, ostmitteleuropäische Volkswirt-
schaften und zahlreiche Schwellenländer, in denen die Lohnkosten wesentlich
niedriger waren, als Konkurrenten auf dem sich rasant globalisierenden Stahlmarkt
auftraten. In den traditionellen westeuropäischen Montanrevieren an Ruhr und Saar
sowie in Belgien und Lothringen gestalteten sich auch die Produktionskosten un-
günstiger als in erz- und energiereichen Entwicklungsländern oder an Küsten-
standorten. Da gleichzeitig die Transportkosten zurückgingen, verlagerten viele
europäische Stahlkonzerne die Stahlproduktion in andere Kontinente und
konzentrierten sich an den traditionellen Standorten auf Weiterverarbeitung und
Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 3.
459
Spezialproduktion. Veraltete und beschäftigungsintensive Anlagen wurden häufig
geschlossen40.
Die saarländische Stahlindustrie war von der Krise besonders stark betroffen41.
Sie hatte zum Zeitpunkt der Wiedereingliederung in die Bundesrepublik gegenüber
den anderen deutschen Revieren einen Rückstand in Bezug auf Betriebsgröße,
Konzentrationsgrad und technologische Entwicklung. Dieser konnte zwar im Laufe
der 1960er Jahre etwas verringert werden. Doch reichten die bisherigen Investi-
tionsentscheidungen und organisatorischen Veränderungen offenbar nicht aus,
langfristig entstandene und verfestigte Wettbewerbsnachteile zu kompensieren.
Nur die Dillinger Hütte hatte sich modernisiert und auf Flachstahl spezialisiert.
Dadurch konnte sie sich - wie noch gezeigt wird - wesentlich besser in der Krise
behaupten als die Werke in Völklingen, Neunkirchen und Burbach42.
2.4 Der regionalwirtschaftliche Aufstieg von Fahrzeugbau und
Elektroindustrie
Die in den Abbildungen 3 und 4 dargestellten Entwicklungen der saarländischen
Industrie zeigen, dass in den „langen“ 1970er Jahren sowohl hinsichtlich der Be-
schäftigung als auch beim Umsatz nur die Investitionsgüterindustrie einen deutlich
positiven Trend aufwies. Dafür waren vor allem die Automobilindustrie, deren
Produkte nicht (mehr) im eigentlichen Sinne als Investitionsgüter bezeichnet wer-
den können, sowie deren Zulieferer verantwortlich. Eine Analyse der Umsätze in
den der Investitionsgüterindustrie zugerechneten Branchen zeigt, neben einer allge-
meinen Zunahme, eine weit überdurchschnittliche Steigerung der Bedeutung des
Fahrzeugbaus seit den späten sechziger Jahren. Dort arbeiteten und arbeiten aber
nur ein Drittel der in der saarländischen Fahrzeugindustrie Beschäftigten. Die über-
wiegende Mehrheit stellt in kleinen und mittelständischen Unternehmen Kfz-Teile,
Motor- oder Karosserieelemente her oder ist in Reparatur- und Lackierbetrieben
tätig. Wenn man weitere Zulieferer aus den Bereichen der Gummiverarbeitung, der
Herstellung von Gesenkschmiede- und Gussteilen, dem Maschinenbau und der
Elektrotechnik, der Textilindustrie und Kunststoffwarenherstellung hinzunimmt,
40 Vgl. Folker Fröbel, Jürgen Heinrichs und Otto Kreye, Die neue internationale Arbeits-
teilung. Strukturelle Arbeitslosigkeit in den Industrieländern und die Industrialisierung
der Entwicklungsländer, Reinbek 1977; Ame Gieseck, Krisenmanagement in der
Stahlindustrie. Eine theoretische und empirische Analyse der europäischen Stahlpolitik
1975 bis 1988, Berlin 1995, S. 27-35; Kerz, Bewältigung (wie Anm. 5), S. 8-19.
41 Vgl. dazu den ausführlichen Abschnitt in 3.
42 Vgl. Wolfgang BrOcher, Struktur- und Standortveränderungen der saarländischen
Eisen- und Stahlindustrie unter dem Druck der Krise, in: Ders. (Hg.), Das Saarland. Be-
harrung und Wandel in einem peripheren Grenzraum (Bd. 1), Saarbrücken 1989; S. 227-
242; Josef Esser, Krisenregulierung und Gewerkschaften - Das Beispiel der saarlän-
dischen Stahlindustrie, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1978/12, S. 65-68; Eva
Kirchdörfer, Keynesianismus und seine wirtschaftspolitische Umsetzung im Saarland
1966-1982 - Eine rezeptionshistorische Betrachtung, Magisterarbeit Saarbücken 1999, S.
89-92.
460
erkennt man, dass „im Saarland reichlich ein Fünftel der Industriebeschäftigten
direkt oder indirekt von der Automobilproduktion abhängen“43.
Tabelle 1: Umsatzentwicklung einzelner Branchen innerhalb der Investitionsgüter-
industrie
Umsatz in Mill. DM Anteil am Gesamtumsatz (%)
1961 1968 1975 1961 1968 1975
Investitionsgüter- industrie insgesamt 831 1301 4611 100,0 100,0 100,0
Stahl- und Leichtme- tallbau 168 280 578 20,2 21,5 12,5
Maschinenbau 275 380 878 33,1 29,2 19,0
Straßenfahrzeugbau 27 158 1918 3,2 12,1 41,6
Elektrotechnische Industrie 103 207 590 12,4 15,9 12,8
Feinmechanische, op- tische und Uhrenin- dustrie 2 2 4 0,2 0,2 0,1
Stahlverformung 159 163 426 19,1 12,5 9,2
Eisen-, Blech- und Metallwarenindustrie 97 112 218 11,7 8,6 4,7
Quelle: Saarland in Zahlen, verschiedene Jahrgänge.
Hier erfolgte also ein geradezu klassischer Strukturwandel, der in den 1990er
Jahren einen gewissen Abschluss erlebte. Allerdings konnten die Beschäftigungs-
gewinne in der Automobilindustrie zu keinem Zeitpunkt die Arbeitsplatzverluste
im Montansektor vollständig kompensieren44. Der saarländische Arbeitsmarkt ent-
wickelte sich deshalb auch, verstärkt durch konjunkturelle Einflüsse, während des
Untersuchungszeitraums besonders krisenhaft.
2.5 Die Entwicklung des Arbeitsmarktes
Neben dem BIP stellt die Entwicklung der Arbeitslosenquote einen wesentlichen
Indikator für die Überlagerung von Struktur- und Konjunkturkrise(n) im Saarland
dar (vgl. Abb. 7). Die Arbeitslosenquote ist nämlich nicht nur ein „Spätindikator“
des Konjunkturverlaufs, sie verdeutlicht auch besser als Produktionsdaten die
sozio-ökonomische Dramatik der Strukturkrise, die ja mit einer massiven Rationa-
lisierung und der damit verbundenen „Freisetzung“ von Arbeitskräften verbunden
43 Kurt Remus, Automobilindustrie im Saarland: Entwicklung und aktuelle Bedeutung, in:
AK-Beiträge (1992), S. 1-14, S. 11.
44 Vgl. ebd. S. 13.
461
war. Auch hier können Besonderheiten des Saarlandes durch einen Vergleich zu
den Daten für die BRD deutlich gemacht werden. Signifikant sind folgende
Tendenzen:
1. Aufgrund der Bergbaukrise lag die Arbeitslosenquote schon am Beginn
der Untersuchungsperiode deutlich über dem Bundesdurchschnitt, war
1967 mit 3,5% immerhin doppelt so hoch wie in der BRD (1,7%).
2. Im folgenden Aufschwung sank die Arbeitslosenquote im Saarland jedoch
noch einmal und erreichte 1970 mit 1,1% ein Minimum.
3. Im Gegensatz zur sonstigen Entwicklung in der BRD nahm im Saarland
die Arbeitslosigkeit während des hier ohnehin deutlich schwächeren Auf-
schwungs von 1976 bis 1978 kontinuierlich zu und auch 1979/80 nur mar-
ginal ab, so dass - anders als noch 1970/71 - im Aufschwung der späten
siebziger Jahre keine Vollbeschäftigung erreicht werden konnte. Im Saar-
land entstand also schon nach der Rezession von 1974/75 eine strukturell
bedingte Arbeitslosigkeit, da hier weder die Investitionsgüterindustrie
noch der tertiäre Sektor die Arbeitsplatzverluste der „alten“ Industrien
ausgleichen konnten. In den meisten anderen Regionen der Bundes-
republik bildete sich diese „Sockelarbeitslosigkeit“ erst nach der Rezes-
sion von 1982/83 heraus45 46 47.
Die vergleichsweise hohe Arbeitslosigkeit in der Mitte der sechziger Jahre kann
sicher auf die Bergbaukrise zurückgeführt werden. Die unterschiedliche Entwick-
lung der Arbeitslosenquoten nach den Rezessionen von 1967 sowie 1974/75 könn-
te die These bestätigen, dass die Neuansiedlung von Industrien in den späten sech-
ziger Jahren erfolgreicher war als in den späten Siebzigern. In einer zeitgenös-
sischen Untersuchung zur Arbeitsmarktentwicklung heißt es dazu: Während der
Kohlekrise gab es noch alternative Arbeitsplätze, in der Stahlkrise war das nicht
mehr der Fall46. Allerdings reicht der Indikator „Arbeitslosenquote“ nicht aus, um
die Probleme auf dem saarländischen Arbeitsmarkt in seiner Komplexität widerzu-
spiegeln. Dieser wies einige Besonderheiten auf, die wiederum aus der spezifi-
schen Industriestruktur sowie der Art des Strukturwandels resultierten. Zunächst
fällt die im bundesdeutschen Vergleich einzigartig niedrige Erwerbsquote auf. Die-
se lag in den 1970er Jahren im Saarland zwischen 36,3 und 38 %, in der BRD je-
doch zwischen 43,7 und 44 %47. Der wichtigste Grund dafür war die traditionell
geringe Erwerbsquote der Frauen, die in der Regel auf die montanindustrielle
Prägung der Region und mitunter auch auf die hohe Wohneigentumsquote zurück-
geführt wird. Die weibliche Erwerbsquote betrug 1976-78 zwischen 22 und 23 %
45 Vgl. Abelshauser, Deutsche Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 25), S. 309-314.
46 Vgl. Christoph Albrecht, Wirtschaftsstruktur, Bevölkerungsstruktur, Struktur der
Arbeitslosigkeit im Saarland, Berlin 1980, Zusammenfassung.
47 Ebd. S. 8-12. - Wie beträchtlich hier eine Differenz von 6 bis 7 Prozentpunkten ist, wird
unter anderem dadurch verdeutlicht, dass sich die Erwerbsquote seit der Industrialisie-
rung nur unwesentlich verändert hat. Vgl. Toni Pierenkemper, Beschäftigung und Ar-
beitsmarkt, in: Gerold Ambrosius, Dietmar Petzina und Werner Plumpe (Hg.),
Moderne Wirtschaftsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen, Mün-
chen 1996, S. 249.
462
und lag damit um 9 Prozentpunkte unter den bundesdeutschen Werten.48 * Bei der
männlichen Bevölkerung des Saarlandes lag die Erwerbsquote insgesamt nur
knapp unter dem Bundesdurchschnitt.
Abb. 7: Die Entwicklung der Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik und im
Saarland (1965-1984)
Quellen: Saarland 1967-1969: Statistisches Amt des Saarlandes (Hg.), Statistisches Hand-
buch für das Saarland 1982, Saarbrücken 1983, S. 78; BRD 1967-1969: Sachverständigenrat
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Hg.), Wachstum, Beschäfti-
gung, Währungsunion - Orientierung für die Zukunft. Jahresgutachten 1997/98, Wiesbaden
1997, S. 317; BRD und Saarland 1970-1982: Statistisches Amt des Saarlandes (Hg.): Volks-
wirtschaftliche Gesamtrechnung, Entstehung des Bruttoinlandsprodukts. Revidierte Ergeb-
nisse für das Saarland 1970 bis 1991, Saarbrücken 1993, S. 43.
Die größten Abweichungen gab es hier in der Altersgruppe der Überfünfzig-
jährigen, da viele Erwerbstätige aufgrund der manuell schweren Arbeit in Bergbau
und Stahlindustrie relativ früh aus dem Berufsleben ausschieden. Der bereits grob
skizzierte Strukturwandel hat diesen Trend aufgrund der Stilllegung von Zechen
und des Arbeitsplatzabbaus in der Stahlindustrie zunächst noch verschärft und erst
in jüngster Zeit stoppen können. Da man zudem zunächst vorrangig auf die An-
siedlung von Investitionsgüterindustrien setzte, entstanden anfangs auch kaum Ar-
beitsplätze für die auf den Arbeitsmarkt drängenden Frauen. Unternehmen der
Textil- und Bekleidungsindustrie, die ein hohes Beschäftigungspotenzial für weib-
48
Vgl. Albrecht, Wirtschaftsstruktur (wie Anm. 46), S. 8.
463
liehe Arbeitskräfte darstellen, gehörten zu den Branchen, deren dauerhafte Ansied-
lung im Saarland nur in seltenen Fällen gelang49.
Neue Jobs für Frauen entstanden daher fast ausnahmslos im tertiären Sektor.
Gerade weil also die Beschäftigungsmöglichkeiten für ältere männliche und gene-
rell für weibliche Erwerbslose so schlecht waren, wurde ein großer Teil dieser
Gruppen von vornherein vom Arbeitsmarkt fern gehalten und taucht deshalb gar
nicht in der Arbeitslosenstatistik auf. Außerdem hat die seit den 1960er Jahren zu-
nehmende, wenngleich prozyklische Abwanderung30 aus dem Saarland einen noch
stärkeren Anstieg der Arbeitslosenquote verhindert.
Angesichts dieser vielfältigen Krisensymptome wäre es nicht verwunderlich,
wenn die saarländische Bevölkerung das damalige Krisenjahrzehnt als viel gravie-
render wahrgenommen hätte als dies die Entwicklung der Arbeitslosigkeit wider-
spiegelt. Ohne diese soziokulturellen, unmittelbar praxisrelevanten Folgeeffekte zu
vertiefen, sei bereits an dieser Stelle - die bisherigen Ausführungen zusam-
menfassend - zumindest auf den großen Handlungsdruck verwiesen, der während
des Untersuchungszeitraums auf der saarländischen Gesellschaft lastete. Bevor auf
diese Herausforderung vor allem unter wirtschaftspolitischem Aspekt noch einmal
im letzten Abschnitt zurückzukommen sein wird, soll zunächst der Fokus auf
einzelne Unternehmen gerichtet werden.
3. Die Konjunktur- und Strukturkrisen der „langen“ 1970er
Jahre in den saarländischen Unternehmen der Stahlindustrie
Die vorstehende Analyse hat verdeutlicht, dass die regionalwirtschaftliche Ent-
wicklung an der Saar in den „langen“ 1970er Jahren - neben der Kohlekrise - ins-
besondere durch die Krise der Stahlindustrie geprägt war. Deshalb konzentriert
sich nachfolgende untemehmenshistorische Betrachtung vor allem auf ausgewählte
Stahlunternehmen. Dabei geht es um die Herausarbeitung sowohl unternehmens-
übergreifender als auch -spezifischer Bestimmungsfaktoren und Erscheinungs-
merkmale der damaligen Krisenprozesse, die einerseits aus der besonderen Kon-
junkturreagibilität der Branche, andererseits aber aus langfristig gewachsenen
Strukturveränderungen des Stahlmarktes resultieren und im Saarland - wie überall
in Westeuropa - eine Restrukturierung der Stahlindustrie erforderlich machten.
3.1 Die besondere Konjunkturreagibilität der Eisen- und Stahl-
branche
Die Stahlbranche war - wie schon im 19. Jahrhundert - innerhalb der bundes-
deutschen Wirtschaft ein Zweig mit überdurchschnittlich hoher Konjunkturreagi-
bilität* 51, die aufgrund ihrer sozioökonomischen Folgewirkungen zugleich eine
4y Vgl. Christian Augustin und andere, Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung im
Grenzraum Saar-Lor-Lux, Saarbrücken 1978, S. 118-120; Albrecht, Wirtschaftsstruktur
(wie Anm. 46), S. 25-32.
>ü Vgl. Geppert, Wirtschaftliche Entwicklung (wie Anm. 20), S. 42.
51 Vgl. Werner Plumpe, Krisen in der Stahlindustrie der Bundesrepublik Deutschland, in:
Friedrich-Wilhelm Henning (Hg.), Krisen und Krisenbewältigung vom 19. Jahrhundert
bis heute, Frankfurt/Main 1998, S. 70-91.
464
gesellschaftliche Brisanz implizierte: Einerseits brach bei Rezessionsängsten sowie
bei internationalen Konjunkturkrisen sehr schnell die Stahlnachfrage ein, anderer-
seits profitierte die Branche - ungeachtet ihrer im Untersuchungszeitraum zuneh-
menden Kapitalintensität - zum Beispiel aufgrund der nach wie vor großen be-
schäftigungspolitischen Bedeutung überdurchschnittlich stark von staatlichen Kon-
junkturprogrammen. Dieser starken Abhängigkeit von Konjunkturschwankungen
waren sich die Manager der westdeutschen Stahlunternehmen durchaus bewusst -
sie versuchten sie unter anderem durch das Auffullen der Lager in Krisenzeiten
und den Verkauf in Boomzeiten auszugleichen.
Die einschlägige Literatur"2 datiert den branchenspezifischen Konjunkturverlauf
- partiell abweichend von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - wie folgt:
Eine deutliche Abschwächung der Stahlnachfrage erfolgte nach der Rezession in
den USA 1969/70 3 und den immer gravierender werdenden weltweiten Währungs-
und Inflationsproblemen"4. Die darauf folgende Stahl-Baisse hielt von 1969 bis
1971 an und trieb viele Hersteller in die Verlustzone. Auch nach der weltweiten
Wirtschaftskrise der Jahre 1974/75 kam es zu einem Einbruch: Die westdeutsche
Stahlproduktion war 1975 um knapp 20 Prozent rückläufig. Ein weiteres Tief der
Stahl nach frage folgte aufgrund der rezessiven Tendenzen nach der zweiten Öl-
preiskrise am Anfang der 1980er Jahre. Problematisch w irkte sich seit den 1960er
Jahren die zunehmende Marktpräsenz von Stahlunternehmen aus Japan sowie aus
Brasilien, Südafrika oder Australien aus, die rasch zu Überangeboten und daraus
resultierenden Preisstürzen auf dem Stahlmarkt - nicht selten an den Rand der
Produktionskosten - führten. Viele westdeutsche Unternehmen gerieten daher in
den „langen“ 1970er Jahren in die roten Zahlen"5.
Im Saarland, in dem vor allem Massenstahl hergestellt wurde, war die neue
Konkurrenz auf dem Weltmarkt besonders spürbar, weil die expandierenden japa-
nischen, brasilianischen, südafrikanischen und australischen Unternehmen gerade
im Massenstahlbereich Preisvorteile besaßen und sich in diesem Segment Markt-
vorteile erkämpfen wollten. Insofern wirkten sich die krisenhaften „langen“ 1970er
Jahren im Saarland vergleichsweise stark aus, zumal der technologische Struktur-
wandel hier langsamer als in den anderen bundesdeutschen Stahlregionen erfolgt
war. Tabelle 2 zeigt beispielhaft die relative Rückständigkeit des Saarlands in Hin-
blick auf die Umstellung der Stahlherstellung von dem traditionellen Thomas- und
Siemens-Martin-Verfahren auf die - unter der Voraussetzung steigender Arbeits- 52 * * *
52 Vgl. ebd. S. 70, 89; Lauschke, Die halbe Macht (wieAnm. 8); Yves Meny, Vincent
WRiGHT(Hg.): The Politics of Steel: Western Europe and the Steel Industry in the Crisis
Years (1974-1984), Berlin 1987.
Vgl. Allan H. Meltzer, A History of the Federal Reserve, Bd. 2.2, 1970-1986, Chicago
2009, S. 741 f.
"4 Vgl. Veit Damm, Währungsturbulenzen und Arbeitsmarkt in Europa in den 1970er Jah-
ren. Zur Änderung der Parität von D-Mark und Franc und den Folgen für den grenzüber-
greifenden deutsch-französisch-luxemburgischen Arbeitsmarkt, in: Internationale Wis-
senschaftliche Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik (1WVWW) - Berichte
192/193 (2011), S. 95-105.
Vgl. Plumpe, Krisen in der Stahlindustrie (wie Anm. 51), S. 84.
465
kosten und sinkender Importerz-Frachtraten - langfristig wesentlich effizienteren
Elektro- und Sauerstoff-Verfahren76.
Tabelle 2: Stahlproduktions-Technologien in Saarland und Bundesrepublik 1960-
1973*
Verfahren Saarland Bundesrepublik
1960 1970 1973
Thomas 74,3% 54,2% 3,0%
Siemens-Martin 22,7% 14,6% 18,0%
Sauerstoff 0,9% 22,9% 67,0%
Elektrisch 2,1% 8,3% 12,0%
’"Angaben in Prozent der regionalen Gesamtkapazität. Quelle: David BüRTENSHAW, Prob-
lem Regions of Europe: Saar-Lorraine, Oxford 1976, S. 17.
Das spezifische Konjunkturmuster der saarländischen Stahlbranche, das sich
anhand verschiedener Indikatoren herausarbeiten und zwecks besserer Vergleich-
barkeit auf der Grundlage indizierter Werte empirisch verifizieren lässt, zeigte sich
mehr oder weniger in allen Stahluntemehmen der Region. So geriet zum Beispiel
das Völklinger Unternehmen „Röchling‘sche Eisen- und Stahlwerke GmbH“
(Röchling) 7 während der deutschen Rezession von 1966/67, nach der weltweiten
Rezession 1974/75 sowie während der Krise von 1981/82 in die roten Zahlen78
Zudem traten die jeweiligen Krisen bei Röchling - ähnlich wie beim luxem-
burgischen Stahlriesen ARBED79 - in der Entwicklung der Rohstahlproduktion in
Erscheinung (siehe Abb. 8). 56 57
56 Die Umstellung auf das Sauerstoff-Verfahren verlief im Saarland allerdings auch deshalb
so langsam, da sie mit sehr hohen Investitionskosten verbunden war. Vgl. hierzu auch
Hans-Walter Herrmann, Von der Thomasbirne zum Oxygenblasstahlwerk. Bemer-
kungen zum Modernisierungsgrad der Saarhütten zwischen 1890 und 1980, in: Ders.,
Rainer Hudemann und Eva Kell (Hg.), Forschungsaufgabe Industriekultur. Die Saar-
region im Vergleich, Saarbrücken 2004, S. 107-147.
57 Der Firmenname des seit dem späten 19. Jahrhundert am Standort Völklingen ansässigen
Unternehmens war von 1896-1971 „Röchling‘sche Eisen- und Stahlwerke GmbH“, von
1971-1982 „Stahlwerke Röchling-Burbach GmbH“, von 1982-1986 „ARBED-Saarstahl
GmbH“ und 1986 „Saarstahl Völklingen GmbH“. Im Folgenden wird der Name Röch-
ling verwendet. Vgl. Gerhard Seibold, Röchling. Kontinuität im Wandel, Stuttgart 2001.
8 Vgl. die Berichte über das Geschäftsjahr der Röchling‘schen Eisen- und Stahlwerke
GmbH 1969-1970; Geschäftsberichte der Stahlwerke Röchling-Burbach GmbH 1971,
1975 und 1982.
5y Die ARBED musste 1965/66 einen Rohstahl-Produktionsrückgang von 3 Indexpunkten
hinnehmen. Dazu kamen Minderungen in den Jahren 1970/71 um 5 Indexpunkte, 1974
bis 1977 um 44 Indexpunkte und 1980 bis 1983 um 30 Indexpunkte. Vgl. zur Geschichte
der ARBED übergreifend: Charles Barthel und Josée Kirps (Hg.), Terresrouges.
Histoire de la sidérurgie luxembourgeoise, 2 Bde., Luxembourg 2009-2010; Denis
Scuto, Christophe Knebeler, Belval. Passé, Présent et avenir d’un site luxembourgeois
466
Abb. 8: Rohstahlproduktion der Röchling‘schen Eisen- und Stahlwerke und Folge-
unternehmen sowie der ARBED S.A. (Durchschnitt 1965-1983 = 100)
Quellen: Berichte über das Geschäftsjahr der Röchling'schen Eisen- und Stahlwerke GmbH
1969-1970; Geschäftsberichte der Stahlwerke Röchling-Burbach GmbH 1971-1982;
Geschäftsberichte der ARBED-Saarstahl AG 1982-1983; Berichte über das Geschäftsjahr
der ARBED S.A. 1964-1983.
Sie war 1966/7 um 5 indexpunkte rückläufig, fiel von 1974 - mit einer kurzen
Unterbrechung - bis 1977 um 49 Indexpunkte und von 1980 bis 1983 erneut um 40
Indexpunkte. Während der internationalen Stahlbaisse von 1969 bis 1971 war das
Produktionsergebnis nur deshalb nicht rückläufig, da es 1971 zu einer Fusion von
Röchling mit der „Burbacher Hütte“ - einem saarländischen Tochter-Werk des
luxemburgischen Konzerns ARBED S.A. - und zur Zusammenrechnung der Pro-
duktionsergebnisse gekommen war, so dass sich die Produktionszahlen während
der Krise rechnerisch sogar erhöhten. Dennoch schrieb das neufusionierte Unter-
nehmen - das fortan unter dem Namen „Stahlwerke Röchling-Burbach GmbH“
firmierte - in den Jahren 1971 und 1972 rote Zahlen* 60.
Auch in der Aktiengesellschaft der Dillinger Hüttenwerke61 zeigten sich die
Konjunkturprobleme im Rückgang der Produktionszahlen (siehe Abb. 9):
exceptionnel (1911-2011), Esch-sur-Alzette 2010; Berichte über das Geschäftsjahr der
ARBED S.A. 1964-1983.
60 Vgl. Geschäftsberichte der Stahlwerke Röchling-Burbach GmbH 1971, 1972.
Zum Unternehmen vgl. 325 Jahre Dillinger Hütte, 3 Bde., herausgegeben von der AG der
Dillinger Hüttenwerke, Dillingen 2010; Geschäftsberichte der Aktiengesellschaft der
Dillinger Hüttenwerke 1964-1986.
467
Abb. 9: Rohstahlproduktion der AG der Dillinger Hüttenwerke (Durchschnitt
1965-1984 = 100)
Quelle: Geschäftsberichte der Aktiengesellschaft der Dillinger Hüttenwerke 1965-1984.
Die Rohstahlproduktion sank 1966/7 um 5 Indexpunkte, 1970/1 um 9 Index-
punkte, 1974/5 um 25 Indexpunkte und 1979 bis 1983 - mit einer kleinen Ver-
schnaufpause 1981 - um 25 Indexpunkte. Jedoch zeigten sich die vergleichsweise
geringeren, wenngleich ebenso krisenhaften Einbrüche weniger stark in den Ge-
schäftsergebnissen. So geriet die Dillinger Hütte in den genannten Jahren nicht in
die roten Zahlen, lediglich 1977 und 198 3 62. Im Vergleich zu ARBED und Röch-
ling unterschied sich die Dillinger Hütte durch eine geringere Untemehmensgröße
sowie niedrigere Beschäftigtenzahl und dadurch prinzipiell höhere Entscheidungs-
flexibilität. Inwiefern sie diese im Sinne eines bewussten Krisenmanagements im
Zusammenspiel mit einer adäquaten Preisgestaltung einerseits, mit produktivitäts-
erhöhenden innovativen organisatorischen und technologischen Strategien anderer-
seits, auch einsetzte und dadurch relativ glimpflich die Krise durchlief, bedarf noch
weiterer Untersuchungen.
Ein ähnliches Profil hatte die kleine, allerdings weit weniger produktionsstarke
Haiberger Hütte im saarländischen Brebach, die von 1971 bis 1980 nicht in die
roten Zahlen geriet' 3, obwohl die Produktion sowohl 1968 sowie 1971 als auch von
der Mitte der 1970er Jahre - nur kurz 1978 unterbrochen - bis 198 1 64 rückläufig
62 Vgl. Geschäftsberichte der Aktiengesellschaft der Dillinger Hüttenwerke 1966-1983.
63 Vgl. Peter Wettmann-Jungblut, Vom Haiberger Werck zu Saint-Gobain Gussrohr. 250
Jahre Eisen- und Gussproduktion in Brebach 1756-2006, Saarbrücken 2006; Geschäfts-
berichte Haiberger Hütte GmbH Brebach 1971-1988.
64 Für 1966/67 liegen noch keine veröffentlichten Daten vor. Erst seit 1968 existieren
öffentlich zugängliche Geschäftsberichte, da 1969 eine Publizitätspflicht für die Ge-
468
war (siehe Abb. 10). Aber auch hier sind zwecks konjunkturhistorischer Interpre-
tation weitere Untersuchungen notwendig.
Abb. 10: Roheisenproduktion der Haiberger Hütte (Durchschnitt 1968-1984 =
100)
Quelle: Geschäftsberichte Haiberger Hütte GmbH Brebach 1971-1988.
Die damaligen Krisenprozesse in der Stahlbranche wirkten sich besonders dra-
matisch auf die Beschäftigungsentwicklung aus. Das Unternehmen Röchling, das
mit 21.984 Beschäftigten im Jahr 1971 eine rund viermal höhere Belegschaft als
die Dillinger Hütte (5.577 Beschäftigte) bzw. eine fast fünfmal höhere Belegschaft
als die Haiberger Hütte (4.584 Beschäftigte) besaß* 65, reduzierte die Belegschaft be-
reits bis 1977 um 4.144 auf 17.840 Beschäftigte (siehe auch Abb. 14). Die Dillin-
ger Hütte hingegen legte Kurzarbeit ein, so dass der Beschäftigtenabbau mit einer
Reduzierung um 130 auf 5.447 Beschäftigte bis 1977 eher moderat verlief, und
auch die Haiberger Hütte reduzierte die Belegschaft bis 1977 lediglich um 269 auf
4.315 Beschäftigte. Die Neunkircher Eisenwerks AG, vorm. Gebrüder Stumm
hingegen - eines der traditionsreichsten saarländischen Unternehmen reduzierte
die Belegschaft seit 1966 sogar von 11.211 auf 6.984 Beschäftigte im Jahr 1978
(siehe Abb. 11)66, dies aber entspricht einem Rückgang um 44 Indexpunkte67.
schäftsberichte der meisten großen Unternehmen in der Bundesrepublik eingeführt
wurde.
65 Bericht über das Geschäftsjahr der Röchling‘schen Eisen- und Stahlwerke GmbH 1969;
Geschäftsbericht der Aktiengesellschaft der Dillinger Hüttenwerke 1970; Geschäftsbe-
richt Haiberger Hütte GmbH Brebach 1971.
66 Berichte über das Geschäftsjahr der Neunkircher Eisenwerks AG, vormals Gebrüder
Stumm 1966, 1971, 1975, 1978.
469
Abb. 11 : Beschäftigte der Neunkircher Eisenwerks AG (1964-1978)
Quelle: Berichte über das Geschäftsjahr der Neunkircher Eisenwerks AG, vormals Gebrüder
Stumm 1964-1978.
Den Hintergrund bildete der zyklisch jeweils zunehmende Rückgang der Pro-
duktion, der sich nach temporärer Erholung bis 1977 fortsetzte (siehe Abb. 12).
Die krisenbedingten Produktionseinbrüche waren so drastisch, dass das Werk
schon 1976 vom Bankrott bedroht wurde. Schließlich ging das Unternehmen 1978
in den Besitz des luxemburgischen ARBED-Konzems über.
Insgesamt ist festzustellen, dass die konjunkturellen Einbrüche von 1966/7,
1969/70, 1974/5 und zu Beginn der 1980er Jahre die Erträge der saarländischen
Stahluntemehmen stark beeinflussten. Aufgrund dieser starken Konjunkturreagi-
bilität einerseits, der während des Untersuchungszeitraumes noch immer vorhan-
denen volkswirtschaftlichen Bedeutung der Stahlindustrie andererseits, verzeich-
nete denn auch — wie Abb. 13 verdeutlicht - die sonstige Industrie ein ganz ähn-
liches Konjunkturmuster, zumindest hinsichtlich der Ertragslage und bezogen auf
die jeweiligen Wendepunkte. Die Abbildung 13 zeigt aber zugleich, dass die je-
weiligen Auf- und Abschwungsamplituden der Stahlbranche, analog zu jenen der
vorstehend betrachteten Unternehmen, überdurchschnittlich groß waren. 67
67 Grundlage der Indexberechnung bildet der Durchschnitt der Beschäftigtenzahl von 1964
bis 1978.
470
Abb. 12: Rohstahlproduktion des Neunkircher Eisenwerks (Durchschnitt 1964-
1978 = 100)
Quelle: Berichte über das Geschäftsjahr der Neunkircher Eisenwerks AG, vormals Gebrüder
Stumm 1964-1978.
Betrachtet man die Ertragslage aller saarländischen Industrieunternehmen ohne
die eisenschaffende Industrie bzw. die Stahlindustrie, fallen nämlich die Ausschlä-
ge in den Rezessionsjahren 1974/5 und 1981/2, aber auch die Ertragszuwächse in
den Jahren 1972-1974 wesentlich schwächer aus.
471
Abb. 13: Ertragszuwächse aller saarländischen Industrieunternehmen (1971-
1984)
40
30
20
10
0
-10
%
-20
-30
-40
-50
-60
-70
'71 72 72 73 73 74 74 75 75 76 76 77 77 78 78 79 79 '80 '80 '81 '81 ’82 '82 '83 '83 '84
Quelle: Saarwirtschaft. Zeitschrift der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes
1974/12, 1977/6, 1981/1,1984/7.
Unter Berücksichtigung des rasanten Beschäftigungsabbaus verweist die offen-
sichtlich branchenspezifisch überdurchschnittlich große Instabilität der Stahlindus-
trie auf längerfristige Restrukturierungsprobleme, die nachfolgend differenzierter
thematisiert werden.
3.2 Die Strukturkrise der Stahlindustrie in den saarländischen
Unternehmen
Trotz der sich bereits in den 1960er Jahren in ersten Konturen abzeichnenden
Strukturprobleme wurde den Unternehmensleitungen erst mit dem massiven Ein-
bruch der Stahlnachfrage seit Mitte der 1970er Jahre klar, dass sich die Branche -
über die konjunkturellen Schwierigkeiten hinaus - in einer nur langfristig zu be-
wältigenden Strukturkrise befand68. Weltweit hatte die Branche mit einem während
der Europäischen Nachkriegsprosperität69 erfolgten Aufbau von Überkapazitäten
insbesondere von Massenstahl sowie einer zunehmenden Konkurrenz von neuen
Anbietern auf dem Stahlmarkt zu kämpfen. Problematisch wirkte sich dabei aus,
dass einerseits der bereits in den 1960er Jahren ansatzweise eingeschlagene und zu
einem Beschäftigungsabbau führende Wechsel im Investitionsmuster - hin zu pro-
68 Vgl. Plumpe, Krisen in der Stahlindustrie (wie Anm. 51), S. 71; übergreifend:
Meny/Wright, Politics of Steel (wie Anm. 52).
69 Vgl. Grabas, Nachkriegsprosperität (wie Anm. 12).
472
duktivitätserhöhenden Rationalisierungen70 * - durch den zu abermaligen Kapazi-
tätserweiterungen führenden Stahlboom 1972-1974 vernachlässigt wurde. Anderer-
seits wurde eine internationale Regulierung von Stahlangebot und -nachfrage auf-
grund von erheblichen staatlichen Subventionen der Stahlindustrie in vielen Län-
dern behindert und dadurch der marktgesteuerte Wettbewerb mitunter ausge-
hebelt '.
In den saarländischen Eisen- und Stahlunternehmen führten die strukturellen
Probleme der „langen“ 1970er Jahre zu einer nachhaltigen Veränderung der Unter-
nehmenslandschaft72. Einen Auftakt bildete die - wie man sie bezeichnen könnte -
„kleine“ Stahlkrise 1970/1, die sich in einem gravierenden Einbruch der Nachfrage
nach Massenstahl aus dem Saarland äußerte und wesentlich mit der amerika-
nischen Rezession von 1969 in Zusammenhang stand73. Als Reaktion wurden nun-
mehr in den Unternehmen groß angelegte Rationalisierungsmaßnahmen anbe-
raumt, des weiteren kam es zu Veränderungen in der Eigentümerstruktur und Un-
temehmensorganisation. Die luxemburgische ARBED beteiligte sich beispiels-
weise stärker an der saarländischen Industrie; so übernahm sie 1971 einen 50-pro-
zentigen Anteil an den Röchling’schen Eisen- und Stahlwerken in Völklingen.
Dadurch wurde eine Fusion der Werke in Völklingen und Burbach möglich, durch
die ein enormes Kosteneinsparpotential freigesetzt wurde. Die fusionierten Stahl-
werke Röchling-Burbach erreichten 1974 das beste Ergebnis in ihrer jeweiligen
Werksgeschichte74. Auf die anhaltenden strukturellen Probleme der Stahlindustrie
war das neufusionierte Unternehmen dennoch nicht vorbereitet. Nach den Verlus-
11 Vgl. zu dem in den 1960er Jahren einsetzenden Beschäftigtenabbau in der deutschen
Stahlindustrie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
URL: (https://www-genesis.destatis.de/genesis/online).
1 Vgl. Lauschke, Die halbe Macht (wie Anm. 8), S. 236. Übergreifend zu den strukturel-
len Schwierigkeiten der westeuropäischen Industrie in den langen 1970er Jahren: Anselm
Doering-Manteuffel und Lutz Raphael, Nach dem Boom, Perspektiven auf die
Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008; Konrad H. Jarausch, Krise oder Aufbruch?
Historische Annäherungen an die 1970er-Jahre, in: Zeithistorische Forschungen/Studies
in Contemporary History, Online-Ausgabe, 3 (2006/3); Abelshauser, Deutsche
Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 25), S. 294-314.
72 Vgl. Günther Schönbauer, Wirtschaftskrise und Stadttransformation. Völklingen und
Scunthorpe zur Zeit der Stahlkrise der 1970er und 1980er Jahre, Frankfurt/Main 1994;
Ulrich Weigel, Stahlhart und krisenfest. Die Saarstahlkrise als Bewältigungs- und Deu-
tungsaufgabe für die „Kumpels“, Konstanz 1990; David Burtenshaw, Problem Regions
of Europe: Saar-Lorraine, Oxford 1976; Josef Esser, Krisenregulierung. Zur politischen
Durchsetzung ökonomischer Zwänge, Frankfurt/Main 1983; Ders. und Wolfgang Fach,
Konfliktregulierung durch Kartellbildung - Die Stahlkrise an der Saar, Paper
Wissenschaftszentrum Berlin 1979; Lauschke, Die halbe Macht (wie Anm. 8), S. 259-
283.
73 Bericht über das Geschäftsjahr der Röchling‘schen Eisen- und Stahlwerke GmbH 1970.
4 Vgl. Veit Damm, Europäische Kooperation als Krisenstrategie? Die wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit in der Region Saarland-Lothringen-Luxemburg 1967-1990, in: Luitpold
Rampeltshammer (Hg.), Der Einfluss der Europäischen Union auf die Gestaltung von
Arbeits-, Beschäftigungs- und Wirtschaftsbedingungen, Saarbrücken 2012, S. 31-58.
473
ten von 1975 blieb das Unternehmen auch von 1976 bis 1979 weiter in den roten
Zahlen75.
Auch das Neunkircher Eisenwerk war unter dem Druck der Krise von drama-
tischen Veränderungen betroffen76. Als Reaktion auf die bereits 1976 existenz-
bedrohende Situation (vgl. Abschnitt 3.1) kam es 1978 zur Fusion von Röchling-
Burbach mit dem Eisenwerk Neunkirchen unter Führung der luxemburgischen
ARBED. Die Landespolitik unterstützte den grenzüberschreitenden Fusionsprozess
aufgrund der Tatsache, dass in den 1970er Jahren rund 25 Prozent der industriellen
Arbeitsplätze im Saarland mit der eisenschaffenden und stahlverarbeitenden
Industrie verbunden waren und bei einem Totalbankrott der Stahlindustrie die Auf-
lösung des Bundeslandes befürchtet wurde77. Ungeachtet vielfältiger industrie-
politischer Gegensteuerungsmaßnahmen konnte der Arbeitsplatzabbau, der insbe-
sondere während der 1980er Jahre - nach der Rezession von 1981/2 - rasant
voranschritt, allerdings nicht gestoppt werden: Durch die schrittweise und
schließlich nahezu vollständige Stilllegung der Produktionsstätten in Neunkirchen
und Burbach wurden von 1979 bis 1987 ca. 15.000 Arbeitsplätze allein in
Völklingen, Neunkirchen und Burbach abgebaut (siehe Abb. 14). Zugleich er-
zwang die Stahlkrise - neben den im Saarland aufgrund standortabhängiger Ver-
hüttungsmöglichkeiten s relativ spät einsetzenden unternehmerischen Anpassungen
an die modernen Sauerstoff- und Elektro-Verfahren (vgl. Tab. 2) - eine weitere
Spezialisierung und Konzentration der Produktion in der Region: in Völklingen
entstanden ein neues Blasstahlwerk für Spezialstähle und neue Produktionsstätten
für Schmiede- und Walzerzeugnisse, zudem wurde die Drahterzeugung in Burbach
konzentriert und eine Verbundwirtschaft in der Roheisenerzeugung und Koksher-
stellung mit der Dillinger Hütte aufgebaut.
75 Die Verluste beliefen sich 1976 auf 92.114.595 DM, 1977 auf 210.653.740 DM, 1978
auf 226.405.619 DM und 1979 auf 66.319.885 DM. Vgl. Geschäftsberichte der
Stahlwerke Röchling-Bürbach GmbH 1976-1979.
Die Verluste beliefen sich 1976 auf 45.556.746,23 DM, 1977 auf 30.572.993,17 DM und
1978 auf 66.089.904,31 DM, Vgl. Berichte über das Geschäftsjahr der Neunkircher
Eisenwerks AG, vormals Gebrüder Stumm 1976-1978.
77 Vgl. Esser, Krisenregulierung (wie Anm. 72).
x Im Gegensatz zum traditionellen Thomas-Verfahren, mit dem lange die bei niedrigen
Arbeitskosten lukrative Verhüttung der kostengünstigen heimischen Minette-Erze betrie-
ben wurde, war das Sauerstoff-Verfahren nicht zur Verarbeitung von Minette-Erzen,
sondern nur für die Verhüttung von Import-Erzen geeignet. Vgl. Burtenshaw, Problem
Regions (wie Anm. 72), S. 17.
474
Abb. 14: Beschäftigte bei Röchling und Nachfolgeunternehmen (1969-1990)
Quelle: Berichte über das Geschäftsjahr der Röchling‘schen Eisen- und Stahlwerke GmbH
1969-1970; Geschäftsberichte der Stahlwerke Röchling-Burbach GmbH 1971-1982; Ge-
schäftsberichte der ARBED-Saarstahl AG 1982-1986; Geschäftsberichte der „Saarstahl
Völklingen GmbH“ 1986-1989.
Die Dillinger Hütte war von der Strukturkrise der Stahlindustrie ebenfalls hart
getroffen worden (siehe Abb. 9), hatte aber unter anderem aufgrund des frühzeitig
in den 1950er Jahren bereits begonnenen Aufbaus von Produktionskapazitäten im
Bereich Walzprodukte und Spezialbleche eine vergleichsweise stabile Ausgangs-
basis dafür geschaffen, weniger stark in den Strudel existenzbedrohender Abwärts-
spiralen gerissen zu werden79: schon 1984 stieg die Produktion um 32,5 Index-
punkte kräftig an. Als im weiteren Verlauf des krisenhaften Strukturwandels, der in
den frühen 1980er Jahren auch Luxemburg und die ARBED immer stärker erfasste
(siehe Abb. 8), der saarländisch-luxemburgische Stahlverbund von Röchling-Bur-
bach, Neunkirchen und ARBED wieder auseinanderbrach und sich die ARBED im
Jahr 1986 von einem Großteil ihrer saarländischen Beteiligungen trennte, wurde
der Weg frei für eine Zusammenarbeit der Dillinger Hütte mit den fusionierten
Stahlwerken in Völklingen, Burbach und Neunkirchen. 1986 wurde der als „Saar-
stahl Völklingen GmbH“ firmierende Verbund unter die industrielle Führung der
Dillinger Hütte gestellt, und schließlich kam es 1989 zur Fusion der beiden Unter-
nehmen sowie zur Gründung der „Dillinger Hütte Saarstahl AG“ (DHS)80.
Die langanhaltende Strukturkrise der Stahlindustrie, modifiziert durch die jewei-
ligen konjunkturellen Einflüsse, induzierte insofern langfristig einen Restrukturie-
rungs- beziehungsweise Fusionsprozess in der saarländischen Stahlindustrie, der
Die Verluste beliefen sich 1977 auf 30.245.092,92 DM und 1983 auf 35.177.209,71 DM.
Vgl. Geschäftsberichte der Aktiengesellschaft der Dillinger Hüttenwerke 1977 und 1983.
Vgl. Lauschke, Die halbe Macht (wie Anm. 8), S. 279.
475
aufgrund der seit dem 19. Jahrhundert bestehenden harten Konkurrenz zwischen
den einzelnen Werken in Völklingen, Dillingen und Burbach noch Mitte der
1960er Jahre undenkbar gewesen wäre. Bis auf die Haiberger Hütte, die seit 1972
vollständig zum französischen Saint-Gobain-Konzern gehört, waren alle großen
Stahluntemehmen an der Saar am Ende der 1980er Jahre miteinander verschmolzen.
4. Wirtschaftspolitische Herausforderungen und Ausblick
Die saarländische Wirtschaft durchlief im hier untersuchten Zeitraum 1965-1984
eine sowohl konjunkturell als auch strukturell bestimmte krisenhafte Entwicklung,
die Wirtschaftspolitik und Unternehmen vor neue Herausforderungen stellte. Am
Beispiel der Stahlindustrie wurde gezeigt, wie sich die Struktur der Wirtschafts-
region wandelte, wie eine Vielzahl von Einzelunternehmen zu einem Gesamtunter-
nehmen verschmolz sowie Werke stillgelegt und tausende Beschäftigte entlassen
wurden. Die krisenhaften Untemehmensentwicklungen der „langen“ 1970er Jahre
führten zu Rationalisierungen und Spezialisierungen, die eine Kontinuität des saar-
ländischen Stahlproduktions-Standorts - wenn auch in einer anderen Gestalt - er-
möglichten. Der Fusions- und Modemisierungsprozess wurde jedoch von Beleg-
schaft und Gewerkschaft keineswegs nur positiv aufgefasst, sondern vielmehr häu-
fig als Bedrohung empfunden. In den 1980er Jahren machte sich eine ausgeprägte
Krisenstimmung breit, die den Restrukturierungsprozess entscheidend beeinflusste.
Die Wechselwirkung zwischen Krisenstimmung, Krisenverlauf und Bewäl-
tigungsmaßnahmen wird in Zukunft stärker zu untersuchen sein. Dabei ist einer-
seits zu ermitteln, ob Stimmungstiefs tatsächlich den Konjunkturkrisen voraus-
gingen, sie also gewissermaßen ankündigten, wie es gerade für die siebziger Jahre
typisch gewesen sein soll81. Andererseits aber gilt es, unternehmerische und wirt-
schaftspolitische Entscheidungsprozesse zur Bewältigung der damaligen Krisen
stärker an gesellschaftliche Stimmungen rückzukoppeln: Während klar ist, dass die
öffentliche Wahrnehmung und Kommunikation von Krisenprozessen den poli-
tischen Handlungsdruck verstärkt82, wissen wir bislang nur wenig über den Stellen-
wert von Emotionen für die Erklärung von kriseninduzierten Veränderungen auf
der Akteursebene des Unternehmens83. So hat die innergesellschaftliche Krisen-
stimmung nach dem Schock der Wirtschaftskrise von 1966/67 die Politik auf der
81 Nach Burkhard Strümpel, Die Krise des Wohlstands, Stuttgart 1977, S. 86, haben sich
die Konsumenteneinstellungen in den siebziger Jahren schon vor der Krise verschlech-
tert. Dies würde den von dem Karlsruher Informatiker Karl Steinbuch - vielleicht nicht
zufällig Ende der 1970er Jahre - entdeckten engen statistischen Zusammenhang zwi-
schen den vom Allensbacher Institut erhobenen Antworten auf die Frage, ob man „dem
Neuen Jahr mit Hoffnungen oder Befürchtungen entgegen” sähe, und der nachfolgenden
Entwicklung des realen Bruttosozialprodukts, bestätigen. Vgl. Elisabeth Noelle-
Neumann und Edgar PiEL(Hg.), Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie 1978-1983, Bd.
VIII, München 1983, S. 673.
82 Vgl. Grabas, Wirtschaftskrisen in soziokultureller Perspektive (wie Anm. 16); Knut
Borchardt, Wandlungen im Denken über wirtschaftliche Krisen, in: Georg Vobruba
(Hg.), Krisen. Prozeß, Wahrnehmung und Vergleich, Leipzig 1993, S. 9-31.
83 Vgl. erste Annäherungen in Stefanie van de Kerkhof und Dieter Ziegler (Hg.), Unter-
nehmenskrisen und ihre Bewältigung im 19. und 20. Jahrhundert (Jahrbuch für Wirt-
schaftsgeschichte), 2006/2.
476
Bundesebene ganz offensichtlich zu stärkeren Eingriffen in die Wirtschaft und zu
einer Politik des „deficit spending“ veranlasst84 *. Wie sich dieser Zusammenhang
im Saarland darstellte, zum Beispiel hinsichtlich der Bemühungen um eine Indus-
trieansiedlungspolitik88 oder von kriseninduzierten Rationalisierungsinvestitionen
in den Stahiuntemehmen, ist hingegen noch weitgehend offen.
Der Aufsatz konnte zeigen, dass durch die Dominanz der Stahlindustrie eine
erhöhte Konjunkturreagibilität des saarländischen Wirtschaftsstandorts bestand, die
im Untersuchungszeitraum krisenhaft ausgeprägt war. Durch die Ansiedlung der
Autoindustrie - einer weiteren stark konjunkturabhängigen Branche - ist dieses
Merkmal auch in den folgenden Jahrzehnten - bis zur Gegenwart - prägend. Dies
ist unter den Rahmenbedingungen der sozialen Marktwirtschaft der BRD jedoch
keineswegs einseitig als Nachteil des Standorts zu bewerten, da die Wirtschaft des
Saarlandes in Konjunkturhochphasen und bei der Vergabe von staatlichen Kon-
junkturprogrammen wiederholt überdurchschnittlich stark profitierte. Allerdings ist
die saarländische Bevölkerung auch immer wieder großen - mitunter existenzbe-
drohenden - Belastungen ausgesetzt.
Innerhalb der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik nahm das Saarland immer
eine besondere Stellung ein. Dies resultierte zu einem großen Teil aus der Wieder-
eingliederung des nach dem Krieg französisch besetzten Landes in die Bundes-
republik seit 1957/59, die nicht zuletzt durch wirtschaftliche Maßnahmen unter-
stützt werden sollte86. Die praktisch gleichzeitig einsetzende Kohlekrise, die man
wohl als erste Strukturkrise der sich noch in einer historisch einzigartigen Prosperi-
tätsphase befindenden bundesdeutschen Wirtschaft bezeichnen kann, hat erst im
Zusammenhang mit der Rezession von 1966/67 und in erster Linie durch ihre
Auswirkungen auf das Ruhrrevier breitere Aufmerksamkeit in der bundesrepubli-
kanischen Öffentlichkeit gefunden. Allerdings konnte gezeigt werden, dass im
Saarland - im Gegensatz zu fast allen anderen Regionen in der Bundesrepublik -
bereits während dieser Rezession keine Vollbeschäftigung mehr existierte. Es kann
daher auch nicht überraschen, dass die Regierung des Saarlandes eine der ersten
deutschen Landesregierungen war, die eine aktive Industriepolitik betrieb. Mit der
Ansiedlung der Fordwerke in Saarlouis — die Grundsteinlegung erfolgte am
16.09.1966 - gelang schon früh ein erster Erfolg, der auch tatsächlich sozioökono-
mische Kopplungseffekte auslöste; weitere Unternehmen folgten. So entstanden im
Saarland durch die Förderung von Industrieneuansiedlungen zwischen 1968 und
1973 knapp 40.000 neue Arbeitsplätze, besonders im Fahrzeug- und Maschinen-
bau. Es begann ein intraindustrieller Strukturwandel, in dem die Investitionsgüter-
industrie einen herausragenden arbeitsmarktrelevanten Stellenwert erhielt - akzele-
riert durch die Mitte der 1970er Jahre ausbrechende Stahlkrise löste sie schließlich
die Montanbranche als wichtigsten Arbeitgeber des Landes ab87. Das Saarland
durchlief aufgrund der im bundesdeutschen Vergleich schärferen Rezession von
1966/7 - so ein Hauptergebnis dieser Ausführungen - insofern schon wesentlich
Alexander Nützenadel, Stunde der Ökonomen. Wissenschaft, Politik und Experten-
kultur in der Bundesrepublik 1949-1974, Göttingen 2005, S. 321-328.
Kirchdörfer, Keynesianismus (wie Anm. 42), S. 82; Hahn, Saarland (wie Anm. 34), S.
350-354.
Vgl. dazu Hahn, Saarland (wie Anm. 34).
Vgl. Burtenshaw, Problem Regions (wie Anm. 72), S. 30.
477
früher strukturelle Anpassungsprozesse an veränderte Marktbedingungen als an-
dere Bundesländer. Zwar konnte auf diese Weise die Rezession von 1974/5 abge-
schwächt, nicht aber die erst von diesem Zeitpunkt an mit ganzer Wucht sich ent-
faltende Strukturkrise in der Eisen- und Stahlindustrie abgewendet werden.
Dadurch erhielt die Restrukturierung der saarländischen Wirtschaft nicht nur eine
neue Qualität, sondern zugleich - verstärkt durch die Auswirkungen der internatio-
nalen Rezession von 1981/2 - eine langfristige Folgedimension.
Die regional konzentrierten Strukturkrisen von Bergbau und Schiffbau führten
während des Untersuchungszeitraums zur Forderung nach einer Regionalisierung
der Konjunkturpolitik^ beziehungsweise dem Streben nach einer „Synthese von
Konjunktur- und Strukturforderung“1'4. Das Saarland gehörte zu den ersten Län-
dern, die sich für die 1969 realisierte Festschreibung der Regionalpolitik im Gesetz
zur Gemeinschaftsaufgabe der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur
eingesetzt hatten und zumeist auch von den entsprechenden Infrastrukturmaß-
nahmen überdurchschnittlich profitierten40. Spätestens mit dem offenen Ausbruch
der Stahlkrise im Jahre 1975 spielten die strukturellen Probleme der Saarwirtschaft
auch auf europäischer Ebene eine wichtige Rolle. 1977 entwickelte die EG-Kom-
mission einen Krisenplan für die Stahlindustrie, der Ablieferungsquoten, Mindest-
preise sowie Importrestriktionen enthielt, aber auch eine finanzielle Förderung von
Investitionen in produktivere Anlagen sowie ein Stahl-Forschungsprogramm vor-
sah. Welche Bedeutung die für das Saarland typische Überlagerung von Konjunk-
tur- und Strukturkrisen für die Inangriffnahme und konkrete Ausgestaltung von
Krisenbewältigungsstrategien nicht nur auf der Ebene von Land und Bund, sondern
zugleich jener der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hatte und inwiefern diese
auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zurückwirkte, ist in weitergehen-
den Untersuchungen noch zu vertiefen.
Vgl. Karl Keinath, Regionale Aspekte der Konjunkturpolitik. Ein Beitrag zum Problem
der regionalen Differenzierung der Globalsteuerung, Tübingen 1978, S. 214.
w So der 1966 amtierende Wirtschaftsminister Karl Schiller (Zitiert in Kirchdörfer,
Keynesianismus (wie Anm. 42), S. 56).
90 Bundesarchiv Koblenz, Bl02 (Wirtschaftsministerium), Nr. 218115.
478
Alte Völklinger Hütte
Anmerkungen eines Denkmalpflegers zum künftigen Ge-
brauch der Hütte und zum Umgang mit einem Weltkultur-
erbe1
Johann Peter Lüth
Einführung
„Wenn Kunst Zeitausdruck sein kann, sind unsere Industriebauten die stärksten
Zeugen heutiger Kunst“ (Herrmann Keuth, Das schöne Land an der Saar, 1925 un-
ter einer Skizze zur Völklinger Hütte)
Äußere Ereignisse zur Befestigung eines schwierigen
Denkmals im öffentlichen Bewusstsein
Am 4. Juli 1986, 113 Jahre nach Gründung der Hütte, war mit der Stillsetzung des
Hochofens VI das Ende der Roheisenerzeugung der ehemals Röchling’schen Ei-
sen- und Stahlwerke, der heutigen Saarstahl AG, gekommen. Die Roheisenversor-
gung des weitergefuhrten Stahl- und Walzwerks der Saarstahl AG übernahm die
Dillinger Hütte.
Die Folgen der Stillsetzung: die Flächen der Roheisenerzeugung und ihrer
Schlackenbrechanlage bescherten der Stadt Völklingen, zusammen mit den bereits
zuvor aufgegebenen Bereichen der Kohlen wertstoffbetriebe und der Zementfabrik,
eine Industriebrache von etwas mehr als 60 Hektar Größe, mitten in der Stadt, im
Bogen zwischen Saar und Eisenbahnstrecke Saarbrücken - Trier.
Ihre städtebauliche Neuordnung begleiteten drei Handycaps.
Das erste:
Ein Denkmalensemble zur Roheisenerzeugung, in seiner Art, Komplexität und
Größe ohne bekanntes Vorbild, blockiert ca. 7 Hektar in zentralster Lage der Bra-
che, östlich und westlich der Rathausstraße als ihrer öffentlichen Haupterschlie-
ßung. Nach den Verlusten in einer ersten Schlacht um den Erhalt von Teilen der
ältesten Hütte in Neunkirchen hatte sich die saarländische Denkmalpflege der Völ-
klinger Hütte zugewandt und aus der Niederlage gelernt: diesmal vertraute sie der
Macht und Eindrucksgewalt des dicht organisierten bizarren Komplexes der ge-
samten Hochofenanlage — und nahm sie in toto unter ihre Fittiche (in Neunkirchen
hatte sie ein „kleines Ensemble“ aus einem Hochofen, seinen Cowpem und dem
Gebläsehaus nicht retten können).
Dieser Bericht war Teil eines Symposions vom 5.-6. März 1997 im Deutschen Bergbau-
Museum in Bochum, wurde für die Veröffentlichung in Nr. 5.1 METALLA - For-
schungsberichte des Deutschen Bergbau-Museums 1998 aktualisiert und ist für diese
Veröffentlichung erneut durchgesehen und um zwei Nachbetrachtungen zur Hütte aus
den Jahren 2005 und 2010 ergänzt worden.
479
Das zweite:
Alle restlich verbliebenen Flächen, mehr als 50 Hektar der Brache also, waren
mehr oder minder stark kontaminiert. Die Flächen der Kohlewertstoffanlagen und
Nebenanlagen der Kokerei so stark, dass sie sich jeder wirtschaftlichen Folgenut-
zung dauerhaft verweigern mussten. Die Reinigung der Böden hätte mehr als 1
Milliarde DM verschlungen.
Das dritte:
Im Kampf um das wirtschaftliche Überleben der verbliebenen Hütte, die kurze
Zeit nach Aufgabe der Roheisenerzeugung in den Konkurs geriet, waren alle noch
nutzbaren, unkontaminierten Flächen im Eigentum von Saarstahl geblieben, alle be-
lasteten dagegen an das Saarland gegangen, ohne dass es diesmal für das Land oder
die Stadt großartige Finanzhilfen zur Revitalisierung der Brache gegeben hatte.
Der städtebauliche Rahmenplan, den die Stadtväter Völklingens nach vierjäh-
rigem, heftigen Streit über den Erhalt des Denkmals Ende 1990 beschlossen hatten,
war ein erster, sehr wichtiger Erfolg: in diesem Plan fanden sich die komplette
Hochofenzeile mit allen Cowpern, Teile der Kokerei, alle Trockengasreinigungen,
die Sinteranlage die Handwerkergasse und last but not least das Gebläsehaus und
der Wasserturm - kurzum das ganze Denkmalensemble - zum Erhalt bestimmt, da
stadtbildprägend und solcher Art nützlich als Erinnerungsstücke einer großen, ei-
sernen Vergangenheit, vorausgesetzt die Stadt Völklingen träfen keine Kosten des
Denkmalserhalts. Einzig die Sinteranlage mit Erz- und Möllerbunkern sollten
durch Neubauten für industrielle - gewerbliche - Nachfolgenutzungen ersetzt wer-
den, Begriffen war:
Die Stadt ist die Hütte, die Hütte die Stadt.
Den Gewinn dieser Perspektive verdankt die Denkmalpflege der energischen In-
tervention einer nationalen/internationalen Architektenschaft, ln dem bemerkens-
wert offenen städtebaulichen Planverfahren hatten sich nicht nur Peter Zlonicki
(Dortmund; an ihn ging der 1. Preis), Bernd Tschumi (Paris) und Thomas Sieverts
(Darmstadt), sondern alle Eingeladenen, die Obergutachter eingeschlossen, rigoros
geweigert, dem Wunsch der Stadt zu folgen, Alternativen ohne die Denkmale der
Roheisenerzeugung zu suchen. Zwei Jahre später, am 30. Juni 1992, beschloss das
Kabinett des Saarlandes, auf Vorschlag seines damaligen Kulturministers Prof. Dr.
Diether Breitenbach: Das Saarland erhält das Denkmal der Roheisenerzeugung in
Völklingen.
Ein technisches Gutachten der Saarstahl AG hatte den Erhalt des Denkmalkom-
plexes kostengünstiger veranschlagt als seinen Abbruch und die Wiederaufbe-
reitung der in Teilen stark kontaminierten Flächen für neue gewerblich-industrielle
Nutzungen. Plötzlich also rechnete sich sogar das Denkmal als „Altlast“, zunächst
ohne große weitere Folgen. Immerhin: die Denkmalpflege und ihre Völklinger
Freunde kamen aus der Deckung heraus und verlegten sich von subversiver Wer-
bung und verschämter Inwertsetzung auf offensiveres Handeln. Nachdem die EG
in Brüssel, weitsichtig bereits 1989, auf Drängen der Denkmalpflege erste Mittel
zur Sicherung des Daches des Gebläsehauses gegeben hatte, schlossen sich jetzt
das Bundesinnenministerium, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und das Saar-
land zusammen, um erste Mittel für eine systematischere Erhaltung des Denkmals
zu geben.
480
Widerstand gab es trotzdem weiterhin: viele Völklinger mochten den Anblick
des rostenden Kolosses, des Schrotthaufens, des Sinnbildes eines unerträglichen
Endes gewohnter Arbeit und Lebenssicherheit nicht ertragen. Noch heute - die Ar-
beitslosigkeit in der Stadt Völklingen hatte sich, trotz der segensreichen Arbeit der
Stahlstiftung und der besonderen Fürsorge der Hütte für ihr Personal, auf mehr als
20% aller Beschäftigten Völklingens erhöht - würden viele der alten Arbeiter den
heute blauen Himmel über der Saar, und den Anblick des Schnees auf den Hochö-
fen im Winter, gegen die Hölle ihrer gewohnten Arbeit, rauchende und staub-
schleudernde Schlote, verdunkelte Himmel, unerträglich heiße und lärmende,
schwerste Arbeitsplätze in stickiger, giftiger Luft tauschen wenn ihr „Schätzchen“
- Kosename der Hütte - ihnen wieder Arbeit gäbe.
Zur Alten Völklinger Hütte bekannten sich die Saarländer endgültig und ohne
Vorbehalt, als sie im Dezember 1994 mit der Hütte in den Olymp des Welterbes
aufstiegen, als Ministerpräsident Oskar Lafontaine am 13. August 1995 die Urkun-
de der UNESCO für einen „lächelnden Koloss“, Synonym und Symbol saarlän-
discher Arbeit und saarländischen Erfindungsgeistes, entgegennahm und dabei
ganz nebenbei über die Anstrengungen der Politik und der Planer spöttelte, Nut-
zungskonzepte für diesen Koloss zu finden. An diesem Tag feierten die Saarländer
ein großes Fest rund um die Hochöfen. Die Trauer war dem Stolz gewichen und
der Gewissheit, dass einzig und allein ihr industrieller Fleiß - untertage und auf der
Hütf - ihre Existenz als Saarländer begründet hatte. Die Völklinger Hütte war
über den Umweg des Weltkulturerbes zum saarländischen „Nationaldenkmal“ ge-
worden.
Zur Geschichte der Hütte, ihrer Bedeutung und ihres Bedeu-
tungswandels
Mit dem inzwischen volkstümlich gewordenen Arbeitsbegriff „Alte Völklinger
Hütte“ umgreifen wir als Denkmal der Roheisenerzeugung des späten 19. und frü-
hen 20. Jahrhunderts: •
• die Hochofenzeile (1882-1903) mit 6 Öfen und 18 Cowpem,
• das Begichtungssystem (1911-1918) mit 2 Schrägaufzugsbrücken für Erz- und
Kohle und selbstlaufenden Gichtwagen,
• drei Trockengasreinigungen (1911-1913),
• eine Kokerei aus den 30er Jahren mit Kohleturm und Füllmaschinen,
• die Sinteranlage (1928-1930) mit Sinterkühler, Entstaubung und Förderanlage
zum Möllerbunker, den Erz- und Kohlesilos,
• die Handwerkergasse (ab 1900) zur Wartung der Anlage,
• das Gasgebläsemaschinenhaus, kurz: Gebläsehaus (1900-1934),
• den Wasserturm (1918) mit Pumpenhaus, sowie
• das Kraftwerk 1 (1897-1912) mit Resten der ersten Puddelofenhalle (1872).
Das Hüttenensemble - Gegenstand der Weltkulturerbeliste - ergänzt sich inzwi-
schen um folgende Denkmäler
• das Empfangsgebäude des Hüttenbahnhofs (1900),
• zwei Gasometer (1930-1931, 1 Teleskop und 1 Scheibenbehälter) und
• die Schleusenanlage mit Schleusenwärterhaus (1877) der Staustufe Völklingen-
Wehrden aus den Jahren 1873-1876.
481
Diese Anlagen sind oder waren - mit Ausnahme des Bahnhofsgebäudes und der
Schleusenanlage - Teile der Röchling’schen Eisen- und Stahlwerke, einer der be-
deutendsten, voll integrierten Industrieanlagen Deutschlands. Neben den Hauptpro-
dukten Roheisen, Stahl und Edelstahl und deren Walzprodukten wurden auch
Koks, Ammoniak, Benzol und Teer sowie Zement und Schlackensteine hergestellt
und gehandelt.
1873 von dem Kölner Hütteningenieur Julius Buch als „Völklinger Eisenhütte,
Aktiengesellschaft für Eisenindustrie“ gegründet, wurde sie die jüngste von neun
saarländischen Hütten, von denen fünf bis ins das 20. Jahrhundert produzierten.
1881 übernahm Karl Röchling in der Firma Gebrüder Röchling die Leitung im
stillgelegten Werk. Mit dem Neubau von fünf Hochöfen sowie den Stahl- und
Walzwerken wurde der Betrieb noch in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts zum
größten Eisenträgerhersteller des Deutschen Reiches. 1892 hatte die Massenpro-
duktion von Stahl in Völklingen begonnen. Neben gewalzten Trägem lieferten die
Walzwerke Oberbaumaterial für den Eisenbahnbau, Stabeisen, Draht und Halb-
zeug. Im Jahre 1908 kam mit der Entwicklung eines schwedischen Patents aus dem
Induktionsofen der Bauart Röchling-Rodenhauser zusätzlich Edelstahl in die Palet-
te, eine Spezialität, die die Hütte noch heute in vielen Bereichen konkurrenzlos
macht (Ariane). Neben Granaten und anderen kriegswichtigen Produkten lieferte das
Werk im Ersten Weltkrieg rund 80% des Stahls für den eben erfundenen Stahlhelm.
Im Zweiten Weltkrieg organisiert Hermann Röchling die deutsche Kriegswirt-
schaft der Eisen- und Stahlindustrie. Der Mitverantwortung für die Verbrechen an
Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern angeklagt, wird er nach dem Kriege zu-
nächst zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach dem 2. Weltkrieg gerät die Hütte
unter französische Sequesterverwaltung, expandiert und erreicht 1952 die Produk-
tionsstärke des Jahres 1938. 1957 beginnt die Arbeit im neuen großen Walzwerk -
noch unter französischer Verwaltung begonnen - im Nauweiler Gewann. Mit
17.145 Arbeitern erreicht die Hütte 1965 ihren höchsten Belegschaftsstand.
Nach wechselnden Fusionen mit anderen saarländischen und luxemburgischen
Unternehmen gerät die Hütte unter dem letzten Namen „Arbed Saarstahl GmbH“
schließlich an das Saarland, das sie heute unter der strengen Aufsicht eines Kon-
kursverwalters als Saarstahl Völklingen GmbH weiterbetreibt. In einem der mo-
dernsten Blasstahlwerke (1980-1982) wird Elektro- und Edelstahl erzeugt und in
den Walzstraßen nördlich der Eisenbahntrassen und im Nauweiler Gewann zu
Walz- und anderen Halbprodukten mit Erfolg weiterverarbeitet. Seit den 1995er
Jahren schreibt die Hütte wieder schwarze Zahlen.
Das Ende der Roheisenerzeugung in den Krisenjahren der 70er - zuvor war sie
bereits im saarländischen Burbach und Neunkirchen aufgegeben worden - wurde
zugleich der Anfang der Bemühungen der saarländischen Denkmalpflege zur Ret-
tung der Denkmäler saarländischer Industriegeschichte. Am 4. Juli 1986 wurde der
Hochofen VI in Völklingen das letzte Mal abgestochen, die Hochofenanlage
schwarz geflaggt.
Das vom Staatlichen Konservatoramt 1985 und 1986 inventarisierte Denkmal
der Roheisenerzeugung der Alten Völklinger Hütte begründeten wir im Antrag zu
seiner Aufnahme in die Weltkulturerbeliste der UNESCO im Herbst 1993 wie
folgt:
„Die Völklinger Hütte ist ein einzigartiges Zeugnis der Technikgeschichte und
Industriekultur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Sie kann in besonderer Voll-
482
ständigkeit den inzwischen geschichtlich gewordenen Prozeß einer großtech-
nischen Roheisenerzeugung zeigen. Sie ist Synonym und Symbol der Leistungen
des Menschen in der ersten und zweiten industriellen Revolution, eine ,Kathedrale1
des Industriezeitalters.
Es ist (in Westeuropa) kein anderes geschichtliches Hochofenwerk bekannt, das
in gleicher Weise, gleicher Authentizität und gleicher Vollständigkeit, heraus-
gehoben zudem durch technikgeschichtliche Meilensteine innovativer Ingenieur-
kunst, den Gesamtprozeß der Eisenverhüttung zeigen kann. Durch das Denkmal
Völklinger Hütte kann die europäische Industriegeschichte des 19. Jahrhunderts
allgemein, besonders aber auch die Geschichte der grenzüberschreitenden
Industrieregion Saar-Lor-Lux im Zentrum Europas anschaulich gemacht werden.
Die Hütte ist auch Identifikationssymbol der Saarindustrie.
Seiner Zukunft gaben wir im gleichen Antrag folgende Perspektive:
„Die Völklinger Hütte soll als Industriemuseum erhalten bleiben und als For-
schungsstätte für Eisen, Stahl und Umweltprobleme gestaltet und entwickelt wer-
den. Der konzipierte Museumspark kann alle wichtigen Stationen einer histo-
rischen Roheisenproduktion erschließen. Vom Erzbunker über Kokerei, Sinteran-
lage (Rohstoffzubereitung und Rohstofflagerung), über Hängebahn, Hochofen-
gruppe, Trockengasreinigungen, Gasgebläsehalle (Roheisenerzeugung) bis hin zu
einer historischen Walzenzugmaschine sind alle Bereiche der Eisenindustrie erleb-
bar. Die Baulichkeiten der Sinteranlage und des Möllerbunkers bieten langfristig
Raum für die Einrichtung eines europäischen Museums für Eisen und Stahl“.
Strategien zum Umgang mit dem Denkmal
Drei Modelle zu einem neuen Gebrauch und eine Vision :
Drei „Umgangs“-modelle haben wir im Laufe der letzten Jahre entwickelt, vernetzt
und teilweise, im wörtlichsten Sinne, im Umgang erprobt.
Der vergessene Gebrauch, die kontrollierte Industrieruine.
Als erstes Modell erfanden wir den Begriff der kontrollierten Industrieruine, ein
Begriff oder Zugriff unserer Ohnmacht, der Trauer und Abschied vermitteln, ganz
nebenbei aber auch Hoffnung stiften sollte: mit knappstem Etat ein ausgesprochen
schwieriges Denkmal auf noch ungewisse Zeiträume hin erhalten zu können. Zeit
oder Zukunft waren das erste und wichtigste Ziel, das in der Auseinandersetzung
mit den Abbruchparteien zu gewinnen war.
In der Umsetzung des Begriffs wollten wir - in moderner Analogie zum Ru-
inenumgang des 18. und 19. Jahrhunderts - den überlieferten Bestand im Strom
und unter dem Einfluss der Zeit vorsichtig binden und sichern und solange erhal-
ten, wie die Substanz es bei sparsamster Investition zuließ. Der Einsturz bestimm-
ter, über das vorhandene Revisionssystem von Treppen, Podien und Gangways
nicht zugänglicher Teile war dabei einkalkuliert.
Der zum Zeitpunkt der Stillsetzung der Roheisenanlage 1986 erfundene Begriff
von der Hütte als Ruine und Denkmal auf Zeit stieß in der Politik und bei der
Bevölkerung auf allgemeines Unverständnis. Unterstützt wurden wir damals einzig
und allein, jedoch sehr eindrücklich von Gert Seile, der im Rahmen von
Steelopolis 1990 für die Unantastbarkeit des erloschenen Feuers, die Unantast-
483
barkeit der stillgesetzten Hütte stritt. Als Zumutung sah man unsere Position an: zu
stark wirkte das Unglück des Arbeitsplatzverlustes, der ungeklärten Zukunft.
Eine Ruine mitten in der Stadt scheint unsere Gesellschaft nicht tolerieren zu
wollen - während sie diese merkwürdigerweise in der Stadt doch täglich erlebt, sie
nicht nur im vandalenhaften Umgang mit ihrem durchaus noch brauchbaren Hüt-
tenbahnhof zunächst merkwürdig gelassen erträgt. 1997 endlich wird auch das
Empfangsgebäude des Hüttenbahnhofs mit großem Aufwand zum Eingangsge-
bäude des Weltkulturerbes Völklinger Hütte ausgebaut.
Ein zweites Gebrauchsmodell:
Die Hütte als Altstadt, die Revitalisierung und eine neue Cité du travail.
Die Erhaltung des Industriedenkmals durch schleichende Metamorphose, Umbau
oder anpassende Erneuerung ihrer verschiedenen Elemente mit dem Ziel, sie zu
nützlichen Mitgliedern eines neuen alten Stadtteils zu machen, wurde im Rahmen
des bereits benannten gutachterlichen Planverfahrens (1990) diskutiert und als un-
bestreitbare Notwendigkeit vorausgesetzt.
Nahezu alle Architekten plädierten für eine „behutsame Stadterneuerung“ und
einen tief in die „verbotene Stadt“, die Hütte, umgreifenden neuen Gebrauch,
neuen Zusammenhang schaffend, durch die Auffüllung vorhandener Behälterarchi-
tekturen und Strukturen mit Containerqualität: So fand sich die Handwerkergasse
plötzlich als Gasse für das Kunsthandwerk und Kneipen, die Sinteranlage als
Institut für Forschungen, die Erz- und Möllerbunker als Schauräume eines Muse-
ums für Stahl und Eisen. Auch vor dem Abbruch unbequemer Container schreckte
man nicht zurück, ersetzte sie durch formverwandte Neubauten, die selbst Fach-
leute über ihren Austausch hinwegtäuschten.
Einzig der schweizer Architekt Bernhard Tschumi ließ die Denkmalwelt von
Stahl und Eisen unkommentiert in den Wäldern auf Inseln einer neuen
Flusslandschaft untergehen. Die neuen Wälder und Parks ließ er er nach jeweils
künftigem Bedarf und raffiniert ästhetischem Kalkül roden. Die Rodungen nahmen
die neuen Arbeitsplätze auf.
Ich gebe gerne zu, dass die Denkmalpflege diesen neuen, alten Zug, wenn auch
mit Skrupeln, in Völklingen bestieg und mit überlegte, wie welches Gemäuer, wel-
ches Stahl- und Blechgehäuse dann zu welchem Zwecke genutzt werden könnte. In
einem Arbeitspapier vom August 1995 ermittelten unsere Architekten im Denkmal-
bereich nützliche Raumkapazitäten in folgenden Kategorien:
• für Ausstellungsflächen boten wir zunächst 26.200 qm,
• für die Forschung und Arbeit 7.500 qm,
• für Zubehör und Neubau 3.200 qm und
• als Open-Air-Flächen noch einmal 29.000 qm an.
Inzwischen waren wir durch Erfahrung klug geworden: Der auch von uns vor-
geschlagene Ausbau des Gebläsehauses im östlichen Hallenteil, zu einem ur-
sprünglich für die Hochschule der Musik gedachten Veranstaltungsort hat doch
mehr Substanz gekostet, als wir alle annahmen. Darüber hinaus rechnet sich das
neue, inzwischen tiptop ausgestattete, auch beheizte Kongress- und Veranstal-
tungszentrum ganz und gar nicht. Vor allem für unsere Freunde nicht, die mit den
Jahresveranstaltungen „Steelopolis“ und „Schichtwechsel“ bei schmalem Budget
und mit reicher Fantasie die kulturelle „Inwertsetzung“ der Hütte auf den Weg
484
gebracht hatten. Für ihre Programme ist der Ort heute schlicht zu teuer. So
schweigen sie.
Das dritte Modell erweiterter Einsichten - die Folgen eines Quantensprunges mit
drei Begriffen zur Auswahl:
Die auratische Hütte, der lächelnde Koloss (Lafontaine), das Modell Akropolis.
Die Aufnahme der Flütte in die Weltkulturerbeliste brachte ein weiteres, der neuen
Würde geschuldetes Denkmodell. Als Monument der Menschheit steht sie jetzt
auch stellvertretend für die Leistung der ersten und zweiten industriellen Revo-
lution in Westeuropa. Sie ist der Zukunft vollständig und soweit als möglich
unbeschädigt zu überliefern.
Nicht zuletzt dieser Bedeutungszuwachs und Auftrag, so nehme ich an, ließ
Oskar Lafontaine anlässlich der Feier zur Aufnahme der Hütte in die Weltkultur-
erbeliste mahnen, den Gebrauch des „lächelnden Kolosses“ in reiner Anschauung
und Wahrnehmung des Überlieferten zu suchen, als Synonym für Aufstieg und
Verfall einer wesentlich vom Saarland mitgeprägten Epoche von Kohle und Stahl
zu begreifen.
Vergisst man zunächst die konservatorischen Probleme der Sicherung einer
„kalt“gestellten hochproblematischen Stahlkonstruktion und ihrer Bedienungs-
schichten, so bleibt festzustellen, dass das Ensemble zu diesem Zweck wohl am
angemessensten ähnlich der Akropolis oder den Pyramiden von Gizeh als unverän-
derbares, unantastbares Monument, als großes archäologisches Feld, für den Wahr-
nehmenden, Anschauenden und Forschenden überliefert wird. Die Erklärung der
Anlage müsste dann - wie an allen Orten höchster geschichtlicher und künstle-
rischer Bedeutung - über „schwebende Stege“ in Führungen und mit der Ein-
richtung „sprechender Wege“ (plug-in-Stationen) erfolgen. Ein Museum bzw. ein
europäisches Zentrum für Eisen und Stahl sollte in diesem Falle seine Räume
außerhalb des Denkmalkomplexes, aber in unmittelbarem Anschluss in vollständig
neuen Architekturen finden. Die Monumente dürfen sie nicht übertrumpfen oder
gar im Reiz von Alt und Neu verschleißen.
Eine Vision der Vernunft, die sich von selbst realisiert
Das permanente Nachdenken und Nachfragen zur Hütte und die Folgen ihrer
Nobilitierung zum Weltkulturerbe brachte neue Pläne. In Teilen auf Erkenntnisse
der Planungen von Thomas Sieverts aus dem Gutachtenjahr 1990 gründend, muss
sein Plan helfen, wenigstens die Grenzen der Zonierung räumlich zu begreifen. Um
das Ensemble der Völklinger Hütte als Teil eines größeren Ganzen zu bewahren,
auch begreifen zu können, scheint es notwendig seine engen Grenzen zu über-
schreiten. Drei Zonen bzw. Ouartierbildungen schlagen wir für die brachgefallene
Hüttenstadt zwischen Bahn und Saarbogen vor.
Das Quartier I
bildet sich aus den Bauten und Flächen östlich der Rathausstraße bis hin zum
Blasstahlwerk und folgt dem Gebrauchsmodell der revitalisierten, behutsam erneu-
erten Stadt. Die Denkmäler dieser Zone, Behälterbauten im wesentlichen, können
mit einigen Ausnahmen ganz oder teilweise neu genutzt werden. Die kontaminier-
485
ten Ruinenlandschaften der Kohlewertstoffanlage werden in einem Landschafts-
park gekapselt.
Neue Architekturen sollen modern und dem Geist des Ortes folgen und den
Ausgleich von Umweltschäden nicht nur sinnbildlich leisten. Die Energieversor-
gung des Quartiers soll durch Stahlgas der Elektrostahlerzeugung gesichert werden
(Kraftwärmekoppelung), die Erschließung und übrige Entsorgung durch Ertüch-
tigungen vorhandener Wege- und Kanalinfrastrukturen. Alle Maßnahmen müssen
sich den Kriterien nachhaltigen Wirtschaften verantworten.
„ Gummibahnhof“/Neuer Völklinger Platz
Ein einfacher Umbau könnte den „Gummibahnhof4 (volkstümlich für den großen
Busbahnhof der Hüttenarbeiter vor der Gebläsehalle) zum neuen äußeren städ-
tischen Fest- und Zentralplatz (Völklinger Platz) der Alten Völklinger Hütte ma-
chen, ohne dass er zugleich seine Funktion als Busbahnhof - heute für die Gäste
des Weltkulturerbes und des Gebläsehauses - verliert. Ein neues Parkhaus, west-
lich der vorhandenen Supermärkte, deren Wandel in „Kulturkaufhäuser“ wir uns
wünschen, könnte den Völklinger Platz mit der Ebene +1, der Bahngleisebene, ver-
binden. Von ihr könnten die Besucher über die Erschließungsgleise der Hütte für
Kohle und Erz per Shuttle in ein neues gläsernes Torhaus 1 als Informations- und
Gästezentrum reisen (an dieser Stelle stand früher die dritte Version des ersten
Torhauses zur Hütte). Das nächste Shuttle setzt auf den gleichen Gleisen durch die
Hochofengruppe hindurch fort bis zur Saar, wo sich an der Schleuse der Umstieg
in einem „Wasserbahnhof4 zu Schiffsreisen nach Saarbrücken und Trier bietet,
oder aber der Rückweg zum Bahnhof per Shuttle oder zu Fuß angetreten wird. Das
Empfangsgebäude des Bahnhofs wird derzeit (1997/98) zum Empfangsbau des
Weltkulturerbes und zum Tor zur Stadt und übrigen Welt ausgebaut.
Gebläsehalle
Die Pläne für die Umnutzung der Gebläsehalle zur Versammlungsstätte - bereits
1989 im Grundsatz von der Denkmalpflege akzeptiert - werden derzeit in vernünf-
tigster Weise aber doch mit größeren und schmerzlicheren Eingriffen (Verlust der
Elektroinstallationen, Exodus der Spinde ins Untergeschoss etc.) bereits verwirk-
licht. In Zukunft können auf zwei Flächen bzw. Podesten zwischen den Gebläse-
maschinen Veranstaltungen für bis zu 800 Personen stattfinden, bei Wandelkon-
zerten z.B. insgesamt 1.200 bis 1.500 Menschen Raum finden.
Kohlewertstoffanlage und Nachbarschaften zur Rathausstraße
Prof. Peter Latz (München) gewann den Architektenwettbewerb zur Landschafts-
planung für die Kohlewertstoffanlage und Zementfabrik. In seinem Landschafts-
park bewahrt er eindrückliche Erinnerungen an die Vorgeschichte der Flächennut-
zung durch präzise Parzellenübernahme und die Rettung - so hoffen wir noch - der
1906 entstandenen Benzolhäuser. Ein Baufenster lässt Raum für die Anlage eines
ca. 20.000 qm großen Dienstleistungszentrums (LEG) parallel zu den bereits für
ein Gründerzentrum umgenutzten Waschhäusern und Werkstätten an der Rathaus-
straße. Der Wasserturm kann ein Arbeitshotel, eine Jugendherberge aufnehmen.
Trierer Studenten arbeiten in diesen Tagen (1998) an diesem Thema.
Saaraue
Die Planungen zum Ausbau eines Sport- und Museumshafens der Penichenära der
Saar (zugleich Wasserbahnhof) im Oberwasser des Schleusendenkmals sind zwi-
486
sehen dem Staatlichen Konservatoramt, der Stiftung Industriekultur einerseits und
der Stadt Völklingen andererseits noch heftig umstritten. Wir hoffen auf Ein-
sichten. Im Anschluss an den Hafen könnte ein Campingplatz entstehen.
Betriebsgelände Saarstahl im Bereich des Blasstahlwerks und der Zementfabrik
Die nicht kontaminierten Bereiche der Zementfabrik werden gewerblich-indus-
triellen Nutzungen zugewiesen. Die Zementsilos am Ufer möchten wir als Land-
marke und Vogelhorst erhalten. (Leider inzwischen gesprengt)
Das Quartier II
umfasst den nordöstlich der Rathausstraße gelegenen Denkmalkomplex der Rohei-
senerzeugung mit Hochofenzeile, Kokerei, Trockengasreinigungen, Sinteranlagen
und Silos sowie der Handwerkergasse. Die Bereiche zur Saar bleiben zunächst von
Saarstahl genutzt.
Mit Ausnahme der Handwerkergasse, die weiterhin der Hochschule der Bilden-
den Künste Saar dienen und im weitesten Sinne zu Fragen der Wahrnehmung, d. h.
Ästhetik im technischen Kontext arbeiten soll, werden alle Großmaschinen und In-
frastrukturen des Denkmalkomplexes zur reinen Anschauung bestimmt und durch
besondere äußere und innere Wege museumspädagogisch erschlossen. Die Revi-
sions- und Besucherwege bestimmen die Intensität der konservatorischen Unter-
haltung. Sie reichen von der Tolerierung einstürzender und naturüberwucherter
Zonen bis hin zu didaktisch aufbereiteten, dauerhaft gesicherten begeh- und be-
dienbaren Objekten.
Infoeenter/Kohlegleis/Hochofenbüro/Hochofen 6
Die Erschließung der Hütte beginnt mit einem derzeit (1998) provisorisch herge-
richteten Infocenter, gewonnen aus dem Sinterlabor B 40 unmittelbar an der
Rathausstraße und endet als über das Kohlegleis geführter freier Weg unmittelbar
vor dem Hochofenbüro.
Das Hochofenbüro bleibt Arbeits- und Kommandozentrale der im folgenden
noch näher beschriebenen Pflegeinstitution Hüttenbauhütte.
Das Kohlegleis soll als freier Weg in den nächsten Jahren mit Wegeergän-
zungen durch die Hochofengruppe zu einem Rundweg durch das Gesamtgelände
ausgebaut werden. Die Arbeiten laufen. Die Konservierung und pädagogische Er-
schließung des Hochofens 6 ist abgeschlossen. Er ist in geführten Gruppen vom
Abstich bis zur Begichtung auf der Ebene +27 Meter erreichbar. Über die Gicht-
bühne soll in den nächsten Jahren ein Panoramaweg bis zum Abgang am Hochofen
6 (mit ältestem Gerüst und Cowpern) entwickelt werden. Begonnen sind weiter Ar-
beiten zur Unterbringung der Arbeitsmannschaften der Hüttenbauhütte in Werkstä-
tten, die bereits früher als mechanische Instandsetzung oder sogenannte Europa-
werkstatt dem Betrieb der Hütte dienten.
Das Quartier III
umfasst den Bereich zwischen Bahndamm und Saar, westlich des Denkmalkom-
plexes, von dem er selbst nur das sogenannte Kraftwerk 1 einschließt. Für seine
Entwicklung gelten die bereits für das Quartier 1 entwickelten Grundsätze.
487
Das Kraftwerk 1 soll Keimzelle eines zunächst saarländischen Museums für
Stahl und Eisen werden und außer Dienst gestellte Großmaschinen wie z.B. die
Walzenzugmaschine 5 aufnehmen. Das Museum kann in die anschließend bereits
geräumten Flächen der ehemaligen Walzstraßen hineinwachsen. Räume für wis-
senschaftliche Arbeits- und Laborzentren für die Forschung finden sich zunächst in
den Montagewerkstätten B 26 unter und neben der Trockengasreinigung 3. Auch
sie können wachsen. Die Flächen zwischen den Kokereien 1 und 2 und dem ver-
längerten Museumskomplex Kraftwerk 1 sollten Freilichtveranstaltungen Vorbe-
halten bleiben. Alle anderen Flächen sollen auch in Zukunft Saarstahl dienen.
Ein neues Torhaus zur Gesamterschließung
Am Völklinger Platz, vor der Gebläsehalle - bisher und auch weiterhin Bus-
bahnhof - könnte westlich der Rathausstraße, unmittelbar vor der Bahnunterfüh-
rung ein gläsernes Torhaus, gespannt als schmaler messerscharfer, gläserner Riegel
zwischen die in die Hütte abzweigenden Kohle- und Erzgleisbrücken mit 2.000 bis
3.000 qm Nutzfläche entstehen. Dieses neue Torhaus sollte über die Kohle- und
Erzgleise mit Treppen- und Rampenabstiegen zur Rathausstraße und zum
Völklinger Platz einerseits Verbindung zum alten Völklinger Hüttenbahnhof auf-
nehmen, andererseits das bereits entwickelte Wegesystem auf dem Kohlegleis
bedienen.
Das Empfangsgebäude des Hüttenbahnhofs wird derzeit im Auftrag der Stadt
Völklingen von der Hüttenbauhütte zunächst provisorisch instandgesetzt und soll
später eine besondere Funktion als Umsteigeplatz und städtisches Informations-
zentrum übernehmen. Es vermittelt, quasi als Gelenk, zwischen der Stadtmitte und
dem Weltkulturerbe. Soweit die Visionen, die in Teilen bereits Realität werden.
Zur Praxis des Umgangs mit dem Denkmal
Ausgangslage und Pflegeinstanzen
Die Inwert- und Instandsetzung des Denkmals, mit Vehemenz von Anfang an bis
heute federführend vom Staatlichen Konservatoramt „angetrieben“, begann im Mai
1987 mit der Öffnung der „verbotenen Stadt“ in das Gebläsehaus für die Perspec-
tive du théâtre und die Musik des 20. Jahrhunderts. 1989 und 1990 wurde das Dach
der Halle des Gebläsehauses mit Unterstützung von Saarstahl aus Brüsseler Mitteln
instandgesetzt. Eröffnet wurde die Gebläsehalle 1990 mit einem studentischen
Workshop Steelopolis (Berlin/Saarbrücken) zur Zukunft der Hütte. Unter dem
Namen Schichtwechsel (Kulturaktion Schmitt, Schön und Knich-Walter) findet sie
bis heute eine jährliche Fortsetzung. Alle Aktionen sind inzwischen akzeptiert, ge-
lobt, leider aber selten in gehörigem Maße finanziell ausgestattet.
Um die technischen Voraussetzungen für die Öffnung der Hütte zu schaffen, im
Gegenstrom über die Bedürfnisse der Besucher nachzudenken und um uns den
besonderen Problemen der Pflege einer Eisenhütte als großtechnische Anlage zu
nähern, initiierte das Staatliche Konservatoramt ab 1.8.1992 die bis heute nicht
institutionalisierte Völklinger Hüttenbauhütte. Ihr strukturelles Vorbild sind die
mittelalterlichen Dombauhütten. Diese in Permanenz im Feld arbeitende und Vor-
schläge zur Entwicklung vorbereitende Hüttenbauhütte entwickelte sich aus einer
Arbeitsgemeinschaft der Gesellschaft für Beschäftigung und Qualifizierung (GBQ
Völklingen) - ihrerseits eine Tochter der Stahlstiftung, die insbesondere die Be-
488
schäftigung von Stiftungsmitgliedem und Arbeitslosen zu leisten hatte der Lan-
desentwicklungsgesellschaft Saar (LEG), die zunächst für die Verkehrssicherheit
der Industriebrache, heute auch für die Baumaßnahmen im Gebläsehaus zuständig
ist, und dem Staatlichen Konservatoramt (SKA), das im Wesentlichen für die Ent-
wicklung der Instandsetzungskonzepte, Arbeitsprogramme und ihre Finanzierung
sorgte. Die Arbeitsgemeinschaft Hüttenbauhütte beschäftigt derzeit drei Vollzeit-
und 40 ABM-Kräfte und in Werkverträgen jeweils einen Architekten und einen
Stahlbaustatiker. Seit kurzem soll sie über die Stiftung Industriekultur, die das Kul-
tusministerium zur Betreuung saarländischer industriekultureller Einrichtungen
und Denkmäler ins Leben rief, auch museumspädagogisch beraten werden.
Die Finanzierung der bereits vorgestellten Arbeiten leisten das Land, der Bund
und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz gemeinsam. So kommen aus Denkmal-
pflegemitteln dieser Institutionen seit 1992 jeweils jährlich zwischen einer Million
und 1,5 Millionen zusammen, wahrlich nicht genug Mittel, um sowohl das Denk-
mal wie dessen Besucherinfrastruktur in Ordnung zu halten. So brauchen wir in Zu-
kunft auch dringend Mittel der Bundesstiftung Umwelt, mit der wir vor Jahren schon
zusammen kamen. Im Übrigen hoffen wir, dass die im Wesentlichen nebenberuflich
betriebenen Aktivitäten mit allen Partnern in einer auch institutionell anerkannten
Neuen Hüttenbauhütte als sogenannte Entwicklungs-, Bau- und Betriebsgesellschaft
(EBB Völklinger Hütte) weiter wirken kann. Ihr Auftraggeber für alle Fragen der
Planungsvorbereitung, Ausführung und Kontrolle des Weltkulturerbes sollte die
kürzlich gegründete Stiftung Industriekultur des Saarlandes werden.
Unsere wichtigsten Partner darf ich Ihnen zum Schluss vorstellen:
Die Initiative Völklinger Hütte gründete sich wenige Monate nach Stilllegung des
Hochofens VI zu Anfang des Jahres 1987 und hat heute über 300 Mitglieder, von
denen mehr als 60% aus den Kreisen ursprünglicher Mitarbeiter der Hütte stam-
men. 30 von Ihnen übernehmen täglich die Lust und Last regelmäßiger Führungen,
inklusive aller Vorbereitungen. Sie beschäftigt im Übrigen über AB-Maßnahmen
zwei wissenschaftliche Mitarbeiter. Sie leisten die Ausbildung und Nachschulung
des Führungspersonals, kontrollieren die Hütte und beraten uns mit detaillierten
Entwicklungsvorschlägen zur Verbesserung unserer didaktischen Bemühungen.
Die Initiative Völklinger Hütte und die Staatskanzlei, zuständig für die übergrei-
fende Vorbereitung des Saarlandtages zum Thema Industriekultur, erwarteten für
1996 30.000 bis 40.000 reguläre Besucher und Ende August zum Saarlandtag 1997
noch einmal die gleiche Anzahl.
Unschätzbare Dienste leisteten die Hochschulen, die uns vom ersten Tag an
neugierig begleiteten und berieten. Ihren Studenten und Hochschullehrern verdan-
ken wir einen Großteil unserer persönlichen Zuversicht.
Konservierungsprobleme
Zwischenrede - Ein wurf von Lucius Burckhardt
Unser Denkmal ist Maschine und als solche ein materialisierter industrieller Pro-
duktionsprozess, der in seinem Detailreichtum von Verknüpfungen und Bricolagen
auf Dauer kaum „authentisch“ erhalten werden kann. Großmaschinen in den freien
Himmel gebaut sind mehr als alle anderen Denkmäler Denkmäler auf Zeit. Ihre
Gestalt und ihr Erscheinungsbild bestimmen sich in der Zukunft nicht mehr nur aus
489
dem der Maschine zugedachten technischen Gebrauch, sondern wahrscheinlich
mehr noch aus den Bedürfnissen unserer Anschauung, unserer Neugier, balanciert
mit den elementaren Gesetzen ihrer physisch-chemischen Materialität: sie fallen
wie alles auf dieser Welt über die Jahre in unaufhaltsamer Korrosion in sich zu-
sammen, verlieren eine Schicht nach der anderen. Zuerst die Inschriften, Hinweise
und Kommandos zum ursprünglichen Gebrauch, oft in Kreide, dann das zarte oder
kräftig gebündelte Gespinnst unendlich vieler Schwachstromleitungen, die den Be-
trieb gleich Nerven steuerten, dann erste Konstruktionen filigranster Natur wie
sichernde Stahlnetze oder Venfilklappen bedienende Stahlseile. Am längsten wird
der Hochofenmantel aus Stahl bleiben, 30 bis 40 Millimeter stark sind seine
Bleche.
Mit der Aufnahme der Völklinger Hütte in die UNESCO Weltkulturerbeliste, so
meint Lucius Burckhardt, sprengt die UNESCO - nicht nur sie, sondern auch wir-
unsere scheinbar homogene Reihe unveränderbar in fiktiver Ewigkeit zu erhalten-
der Denkmäler. Und wenn wir sie im üblichen Sinne nicht konservierend erhalten
können, an was - fragt Lucius Burckhardt - soll man mit der Völklinger Hütte, die
eben kein Objekt, sondern materialisierter Prozess in doppeltem Sinne ist (der Pro-
duktionsprozess im unterschiedlich schneiten Verfall seiner Schichten), dann
erinnern: das technologische Zeugnis für den Erfindergeist der Gründerzeit, ihre
Arbeitsplätze und die Prozesse der Arbeitsteilung und Spezialisierung, die Kriegs-
maschine oder eine Landmarke in der Saarschleife? Bedeutet die Alte Völklinger
Hütte den Völklingern, wie der Oberbürgermeister ihrer Stadt meint, wirklich das,
was die Porta Nigra den Trierern, der Eiffelturm den Parisern ist?
Und wenn es wirklich so oder anders wäre, was müssten wir tun, um diese
ungeheure Materie der Zukunft als Informationsquelle zu erhalten? Wir pflegen die
Konstruktionen und Oberflächen der Bauten und Großmaschinen bisher mit den
Bordmitteln unseres Ingenieurwissens, unserer handwerklichen Vorbildung und
allgemeinen Lebenserfahrung in ähnlicher Art, wie es die Hütte tat, solange sie im
Betrieb war. Nicht nur aus diesem Grund beschäftigen wir viele alte Hüttenhand-
werker in der Hüttenbauhütte. Das Vorbereiten unserer Arbeit bedeutet Erklärung
unserer Absichten und ihre Änderung dann, wenn die Partner bessere Vorschläge
machen.
Nur so viel noch zu diesem Thema (ich zitiere aus unserem Antrag zur Aufnah-
me der Hütte in die Weltkulturerbeliste der UNESCO und aus internen Arbeits-
papieren);
„In den mehrfach vorhandenen Hochofen, Winderhitzern, Kokereien, Sinter-
und Gasreinigungsanlagen können spezifische, alters- und sachbedingt unter-
schiedliche Schutzprogramme alternativer Herkunft eingesetzt werden. Sie reichen
vom traditionellen Korrosionsschutz über die konstruktive ,Krücke‘ einer perma-
nenten Sicherung der Zugangswege bis hin zur Beobachtung und Pflege natür-
licher Alterungsprozesse. Die Entwicklung von Schutzkonzepten setzt die Kennt-
nis der Reststoffe und Kontaminationen (Umweltgifte) einer Roheisenverhüttung
voraus, die heute die Anlage über das Normale hinaus aggressiv, zerstörend
bedrängen. Mit der Erkaltung der Anlagen spielen sich ,umgekehrte4 Reaktionen
ein, auf die die ursprünglich permanent erhitzte - und deswegen in den meisten
Bereichen ursprünglich kaum rostende - stählerne Anlage nicht vorbereitet ist.“
Und weiter: „Zur Überwachung und Kontrolle des Monuments soll neben der
Ausbildung von optischen Überwachern - sogenannten „Hüttengängern“ - als F-
490
und E-Projekt ein On-Line Condition Monitoring (OLCM Völklinger Hütte) ent-
stehen.“ Für dieses letzte Projekt - wie für unser Pflegewerk Völklinger Hütte, das
Teil dieses Projektes sein wird - erwartet die Hüttenbauhütte und das Staatliche
Konservatoramt Exposés aus unseren Hochschulen und Instituten (HWT Saar-
brücken, Institut für neue Materialien, Fraunhofer Institut, Sonderfor-schungsbe-
reich Karlsruhe).
Im Übrigen schätzen wir die mediterrane Kultur des Umgangs mit Denkmalen,
bewahren ihre Patina, wo immer möglich und reparieren wirklich nur das Teil, das
statisch notwendig für das Ganze wirkt. Das führt bei ansonsten bestem Einver-
nehmen mit unseren Hüttenleuten auch zu Irritationen: Als Manfred Goergen,
Meister aus dem Energiebereich der Hütte und seit 1989 Leiter unserer ABM-
Trupps, zur Reinigung der Fensterscheiben in der Gebtäsehalle schritt, gab es das
erste Mal Ärger; das zweite Mal, als ohne Erlaubnis wichtige Teile der Mauerein-
friedung der Hütte von den Architekten der LEG zum Abbruch freigegeben waren
und auch abgebrochen wurden. Gleich ärgerlich war auch der Verlust von Sukzes-
sionsvegetation, schwer metallresidenter Pflanzen- und Pilzgesellschaften, die
harmlos nie benutzte Wege überwuchert hatten. Damit erhielt unser Pflegewerk ein
weiteres Kapitel: Natur — die Natur als Chronometer und Umweltindikator.
Monitoring
Die ständige Überwachung der Denkmäler und ihrer Zustände gehört zu den
traditionellen Aufgaben aller Denkmalschutz- und Fachbehörden. Dass sie nur un-
zureichend wahrgenommen wird - wieviele Millionen wären zu sparen, wenn wir
nur rechtzeitig über Bagatellmängel informiert worden wären - ändert nichts an
der Tatsache, dass wir sie langsam so ernst nehmen müssen, wie unser Bemühen
um Dokumentation allgemein.
Deshalb:
1. Mit der Überwachung eines Weltkulturerbes, das in der Regel ja auch ein Kul-
turdenkmal nach den jeweilig geltenden Landesbestimmungen ist, sollten zu-
nächst mit ausdrücklichem Auftrag der UNESCO, z. B. an die Kultusminister-
konferenzen, die jeweils zuständigen Landesämter für Denkmalpflege
beauftragt werden.
2. Die Landesämter für Denkmalpflege sollten die UNESCO via ICOMOS (Inter-
national Council of Monuments and Sites) alle drei Jahre über den Zustand des
Weltkulturerbes umfassend informieren, vorausgesetzt, es gibt keine jeweils
dem letzten Bericht widersprechenden neuen und aktuellen Bedrohungen des
Denkmals von innen oder außen.
3. Um diesen Auftrag sorgfältig erfüllen zu können, sollte:
4. ICOMOS (international Council of Monuments and Sites) im Einvernehmen
mit dem Landesamt für Denkmalpflege die Ziele des Erhalts und der Kontrolle
definieren.
5. ICOMOS sollte zur Abwehr aktueller Gefahren und zum Austausch von
weltweit gewonnenen Erfahrungen den Einzelobjekten personale Partnerschaf-
ten vermittteln.
491
Völklinger Hütte Revisited August 2005
„Wir haben erst langsam gelernt, die absolute Schönheit zu verstehen, die in der
restlosen Bejahung der Nutzform und der Konstruktion liegt“ (Paul Clemen, Die
künstlerischen Strömungen im 19ten und 20ten Jahrhundert).
Die Arbeiten zur Erhaltung und Pflege der Hüttenanlage - seit dem Jahre 2000
betreut von der Denkmalbauhütte des Europäischen Zentrums für Kunst und Indus-
triekultur- haben in den letzten fünf Jahren beachtliche Fortschritte gemacht.
Die 1999 schon fast aufgegebene, weil angeblich einsturzgefährdete Gichtbühne
der Hochofengruppe I bis IV, ist dauerhaft gesichert und für den Besucher ers-
chlossen. Gleiches gilt für die Möllerhalle mit jetzt großartigen Ausstellungsräu-
men für die Geschichte von Eisen und Stahl, die Sinteranlage, den Erzbunker und
die bereits kurz zuvor gesicherte Kokerei. „Dauerhaft“ meint zunächst (wahr-
scheinlich für die nächsten dreißig Jahre, teilweise auch länger) bei laufender Unt-
erhaltung und der durchaus bewussten Gefahr, doch noch einige „Hitzekacheln“
des „Raumschiffes“ Völklinger Hütte zu verlieren, eine kontrollierte Industrie-
ruine, ein work in progress also, auch wenn man den Begriff des kontrollierten
Verfalls, weil haushaltsrechtlich möglicherweise gefährlich - es werden immerhin
jährlich sechs Millionen Euro in die denkmalpflegerische Fürsorge der Gesamtan-
lage investiert - nicht gebraucht und propagiert. Die Hochöfen I bis IV, das Kraft-
werk und die Trockengasreinigung sind bisher nicht dauerhaft gesichert, sondern
eben in kontrolliertem Verfall, als Industrieruine vorläufig betreut.
Die Besucherzahlen, wichtiger Indikator für politische Zuwendung, sind perma-
nent gestiegen, von dreißig bis vierzigtausend Besucher in den späten Neunzigern
auf jetzt immerhin zweihunderttausend. Unsere einzige Sorge ist, dass die hütten-
thematisch fremden jährlichen Ausstellungen (wie das „Gold der Inka“ oder „Die
Schätze aus tausend und einer Nacht“ in diesem Jahr) die verdunkelte Gebläsehalle
und ihre sechs Gasgebläsemaschinen aus den Jahren 1905-1915 nicht dauerhaft der
Wahrnehmung der Besucher als Monumente schöpferischer Ingenieurkunst entzie-
hen.
Und noch ein Wunsch: Der Hüttenpark. Während man also versucht, mit der
Weltkulturerbe GmbH einen kulturellen Folgebetrieb im Denkmal aufzubauen, der
die verlorenen Gewinne langfristig ausgleichen und das Image der Stadt heben
soll, warten die unmittelbar benachbarten Industriebrachen auf ein analoges kultu-
relles und wirtschaftliches Altlastenmanagement. Indem man die dort noch ver-
bliebenen baulichen Zeugen der ehemaligen Hüttennebenbetriebe nutzt und zum
Bestandteil eines Landschaftsparks macht, der exemplarisch das Wirtschaften in
schwer kontaminiertem Gelände erprobt, könnte eines der interessantesten Kon-
versionsprojekte der Zukunft entstehen: eine Landesgartenschau nicht nur für das
Saarland!
Völklinger Hütte Revisited Januar 2012
Ein sonniger, kühler Tag - am Dienstag immer freier Eintritt ins Weltkulturerbe -
und eine wundervolle Überraschung: Die mächtigen (Gas) Gebläsemaschinen 9
und 10 stehen wieder frei im nur noch teilweise verdunkeltem Gebläsehaus, die
Maschinen 4 und 5 und 6 im leichten Dämmer- und Kunstlicht - ein riesiger Fort-
492
schritt in der Präsentation der bedeutendsten Ausstellungsstücke Völklinger In-
dustriekultur.
„Asterix und die Kelten“, die jüngste Ausstellung des Weltkulturerbeteams um
Grewenig haben sich in die fast maschinenfreie südöstliche Hallenhälfte zurück-
gezogen. So kann die zweigeteilte Nutzung der Halle dauern bis zum Zugewinn
von Ausstellungsflächen im noch zu renovierenden Kraftwerk 1. Dann allerdings
sollte die Halle nur noch Schauraum der Maschinen sein, das große Spielpodest
über den gusseisernen Fundamenten abgebauter Maschinen nur noch temporär für
Theater, Musik und Vortrag genutzt.
Erstaunlich und erfreulich zu erleben, was in den letzten Jahren geleistet wurde:
Zu einem neuen, durchaus „repräsentativem“ Haupteingang der Gebläsehalle
ausgebaut wurde das Schraubenverdichterhaus, südöstlicher Annex der Halle. So
kann endlich die störende Red Box abgebrochen werden. Denkmalrechtlich nie ge-
nehmigt, doch unabweisbar notwendig zur ersten großen Ausstellung „Prome-
theus“ eingerichtet, steht sie jetzt fast 3 5 Jahre - zu lang.
Fertig gestellt sind die Sanierungsarbeiten an der Gichtbühne der Hochofenzeile
1-6, bis auf Kleinigkeiten abgeschlossen die Sanierung der Sinteranlagen bis hin zu
den aufsitzenden, für das Erscheinungs- und Funktionsprofil wichtigen Kästen der
Elektro-Filteranlagen, saniert die Kohletürme aus Stahl (1899) - in Deutschland
der älteste noch erhaltene - und Beton (30er Jahre) der Kokereien. Nicht gänzlich
gelungen ist der Ausbau des Erzbunkers zu einem mit der Stadt Völklingen ge-
meinsam bewirtschafteten Schauraum: mit seiner neuen Höhe durchbricht er das
alte Niveau des Erzgleises. Züge also werden in die Sinteranlage nicht mehr ein-
fahren können. Schade, sollte dort doch ursprünglich das rollende Material des
Hüttenverkehrs präsentiert werden.
Erfreulich und höchste Zeit, dass man jetzt mit der Sanierung der kontami-
nierten Trockengasreinigungen beginnt. Die Instandsetzung des benachbarten
Kraftwerk I soll folgen, sobald zwischen der Saarstahl mbH und der Weltkultur-
erbe Gesellschaft oder dem Saarland strittige Grundbesitzfragen geklärt sind. Viel
Zeit hierzu bleibt nicht mehr: Die Halle ist stark baufällig. Fiele sie zusammen, be-
grübe sie unter sich eine vor mehr als 15 Jahren zwischengelagerte, sehr wertvolle
Walzenzugmaschine des Völklinger Stahlwerks. Im übrigen repräsentiert die Halle
mit Resten des eingeschlossenen Puddelwerkes den ältesten Teil der Hütte.
Dem Komfort der parkenden Gäste dient der endlich asphaltierte Parkplatz hin-
ter dem Wasserhochbehälter - versuchsweise farbig ausgelegt mit den Grundrissen
der dort leider zu früh abgebrochenen Kohlewertstoffbetriebe.
Apropos Besucher:
Nach Auskunft von Peter Backes, diplomierter Soziologe und Mitarbeiter am
Weltkulturerbe Völklinger Hütte, haben im Jahre 2011 rund 400.000 Besucher die
Hütte und die große, wunderbar bestückte „Kelten“-Ausste!lung und ein Stück der
Stadt Völklingen gesehen.
Das „Wünschen“ also hat geholfen und die Zuversicht bestätigt, mit der das
Staatliche Konservatoramt und der Landesdenkmalrat die Hütte 1987 und 1988 un-
ter Denkmalschutz stellte, um sie wenig später — 1992/93 - zur Aufnahme in die
Weltkulturerbeliste zu empfehlen: das erste „reine“ Industriedenkmal Deutschlands
auf den Listen der UNESCO.
493
Apropos Weltkulturerbeliste: Nützlich wäre ihre Ergänzung um die 1906 errich-
teten backsteinemen Benzolhäuser, die Schleusenanlage der Penischenära, einige
Anlagenteile der Petrochemie rechts der Saar und die Schlackenhalden links der
Saar - vor allem aber die Festlegung eines erweiterten Schutzraumes, einer Puffer-
zone, um das Weltkulturerbe.
Eine industriekulturelle Stadtlandschaft des späten 19. wie 20. Jahrhunderts an
der Saar - vom Nauweiler Gewann (Bous) über die „Hostenbacher Alpen“ , das
leider inzwischen abgebrochene, doch gut dokumentierte Kraftwerk Wehrden, die
Alte und Neue Völklinger Hütte, die Stadt Völklingen bis hin zum Kraftwerk
Fenne und die Brachen der abgebrochenen Kokerei Fürstenhausen - bleibt nicht
nur für das Saarland einmalig; ähnliche Landschaften wird das 21. Jahrhundert
nicht mehr formen können.
Bewahren wir also die überlieferten Landschaften als materielles Gedächtnis,
indem wir sie bei schrumpfendem Flächenbedarf zu Erinnerungs- und Zukunfts-
landschaften kultivieren. Dem nomadischen Menschen des 21. Jahrhunderts wer-
den sie als Landmarken unverzichtbar zur Verortung und Vermessung ihrer Exis-
tenz und Geschichte sein.
Deshalb wünschen wir fürs Nächste, dass:
1. das von der Landschaftsarchitektin Catherina Gräfin Bemadotte (Mainau ) be-
gonnene „Paradies“ im Raum der Kokerei sich auswächst zu einem „indus-
triellen Gartenreich“ an die Saar und - über die Hängebrücke der Schlacken-
bahn - bis hin zu den Halden „Herrmann und Dorothea“ ,den „Hostenbacher
Alpen“ auf der linken Seite der Saar. Das letzte „Revisited 2005“ sah dort eine
Landesgarten- und Landschaftsschau, nicht nur für das Saarland - man sieht,
das Wünschen begann zu helfen.
2. die Stadt Völklingen ihre Wege-Beziehungen zur Hütte weiter vertieft, indem
sie die vorhandene Unterführung des Alten Bahnhofs bis in den Bereich zwi-
schen das abzweigende Kohle- und Erzgleis direkt vor die Alte Hütte verlängern
lässt und darum wirbt, den Neuen Bahnhof abzubrechen Um den schöneren Al-
ten Bahnhof wieder in seinen bestimmungsgemäßen Gebrauch zu nehmen, soll-
te man den Neuen, erstaunlich schlecht funktionierenden Bahnhof abbrechen.
Wie wäre es mit einem Haltepunkt „Kohlegleis Völklingen“ an der geplanten
Saarbahn?
3. das Saarland sich um eine Nachfolgenutzung des nordwestlich der Hochöfen ge-
legenen Brache durch die immer wieder verlangten „Event“-Hallen müht - ei-
nen besseren Standort gibt es weder in Saarbrücken noch im übrigen Saarland ...
494
„EPILOG“
Wie lange
Dauern die Werke? So lange
Als bis sie fertig sind.
So lange sie nämlich Mühe machen
Verfallen sie nicht.
Einladend zur Mühe,
Belohnend die Beteiligung
Ist ihr Wesen von Dauer, so lange
Sie einladen und belohnen.
Die nützlichen
Verlangen Menschen,
Die kunstvollen
Haben Platz für Kunst.
Die weisen
Verlangen Weisheit.
Die zur Vollständigkeit bestimmten
Weisen Lücken auf,
Die lang dauernden
Sind ständig am Einfallen,
Die wirklich groß geplanten
Sind unfertig (...)
(Bertolt Brecht 1932)
Literatur:
Alte Völklinger Hütte, Edition Axel MENGES, Photographien Hans Meyer-Veden,
Texte Lucius BURCKHARDT, Georg SKALECKI und Johann Peter LÜTH, Stuttgart
und anderswo 1997; Protokollniederschriften und Materialien zur zweiten
Internationalen Sommerakademie Potsdam - Sanssousuci 9. Juni bis 15. Juni 1996,
Herausgeber Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin Brandenburg und
International Centre for the Study of the Preservation and the Restauration of
Culturell Prperty (ICCROM), Rom, Keine ISDN Nr.; Armin SCHMITT, Denkmäler
Saarländischer Industriekultur, Staatliches Konservatoramt des Saarlandes, 2.
Auflage 1995, SPEE Buchverlag Trier, ISBN 3-87760-095-6, S. 14.
Für die Überlassung der Fotos danken wir: ARBEIT UND KULTUR SAARLAND
GMBH und dem Fotografen Hans Meyer-Veden.
495
Abb. 1: Alte Völklinger Hütte. Die Silhouette der Hochofengruppe bestimmt sich
aus dem Auf- und Absteigen der Gichtglasleitungen, der Kuppeln und
Schornsteine der Winderhitzer (Cowper).
496
Abb. 2: Lageplan der Völklinger Hütte.
I. Erzbunker, 2. Möllerbunker, 3. Sinteranlage, 4. Erz-Schrägaufzug,
5. Kokerei, 6. Wasserturm mit Pumpenhaus, 7. Gebläsemaschinenhalle,
8. Trockengasreinigung, 9. Hochofengruppe, 10. Handwerkergasse,
II. Kraftwerk 1.
497
Abb. 3: Sinteranlage von 1928. Hier wurde das Erz für den Hochofenprozess op-
timiert.
498
Abb. 4: Handwerkergasse
499
Abb. 5: Gebläsemaschinenhaus. Im Vordergrund zwei Gasgebläsemaschinen des
Baujahrs 1914.
500
Abb. 6: Koksschrägaufzug zur Gichtbühne
501
Die Saarfragen in deutschen Schulbüchern 1950 bis 2010
Bärbel Kuhn
Zahlreiche Publikationen liegen inzwischen zur Saarfrage vor. Nicht zuletzt das
Jubiläumsjahr 2007, in dem das 50-jährige Bestehen des Saarlandes als deutsches
Bundesland gefeiert wurde, brachte eine neue Welle historiographischer Produkti-
onen hervor. Nicht untersucht wurde jedoch bislang die Frage, welche Informatio-
nen die Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht zur Saarfrage erhielten
und erhalten und mit welchen Deutungen sie verbunden waren. Während das The-
ma im Saarland fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts ist1, kann man für die
beiden deutschen Staaten und nach 1989 für Gesamtdeutschland nicht selbstver-
ständlich davon ausgehen, dass der „Sonderweg“ der Region als erwähnenswertes
Thema des Geschichtsunterrichts angesehen wurde.
Die folgenden Überlegungen gehen der historisch-politischen Bildung im Hin-
blick auf die Saarfrage in diachroner Perspektive nach. Quellengrundlage sind Ge-
schichtsschulbücher von 1950 bis 2010. Die diachrone Analyse versteht die Schul-
bücher als Quelle, die Auskunft gibt erstens über die Auswahl der für Jugendliche
als vermittlungswert erachteten Inhalte, zweitens über deren Deutungen. Wenn
auch die Inhalte und Aussagen der Bücher keine unmittelbaren Schlüsse auf die
Rezeption zulassen, die Bücher also zunächst einmal nicht gleichzeitig etwas aus-
sagen über den Unterricht, den sie begleiten, so sind Schulbücher dennoch zentrale
Vermittler von Geschichte in ihrer jeweils aktuellen Narration. Indem sie das Ge-
schichtsverständnis, die Geschichtsbilder und Einstellungen einer Zeit und einer
Gesellschaft bündeln und an weite Kreise der nachwachsenden Generation weiter-
geben, sind sie - drittens - zugleich aufschlussreiche Quellen für das Geschichts-
bild und ernst zu nehmende Faktoren der nationalen und - bei regionalspezifischen
Themen - regionalen Geschichtskultur.
Dass zwischen den vielfältigen wissensvermittelnden, didaktischen, bildungs-
politischen und nicht zuletzt politischen Intentionen, die hinter einem Schulbuch
stehen, und seinen Wirkungen ein hohes Maß an Kohärenz angenommen wird, zei-
gen die zahlreichen Schulbuchstreite, die in den letzten Jahren das Medium in die
Diskussion brachten - jeweils ging und geht es um die eigene Verortung und Iden-
titätsvergewisserung bzw. -Stiftung.
Die bisweilen sehr heftig geführten Diskussionen belegen die große Brisanz, die
das Schulbuch bei aller Konkurrenz durch sogenannte „neue Medien“ für die Ver-
mittlung von Geschichtsbildern immer noch besitzt. Sie offenbaren ein Verlangen
nach kollektiver einheitlicher Sinndeutung und -tradierung von gemeinsamem Er-
Zentral vor allem im Lehrplan für das Fach Geschichte, vierstündiger G-Kurs/ Gymna-
siale Oberstufe Saar (GOS), Neigungsfach, Februar 2008.
503
leben'. Geschichtsschulbücher können in diesem Sinne als wichtige Nahtstellen
zwischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis verstanden werden, denn,
wie Aleida und Jan Assmann feststellen, „der Übergang aus dem kommunikativen
Gedächtnis ins kulturelle Gedächtnis wird durch die Medien gewährleistet“1 * *. Ge-
rade eine diachrone Perspektive kann verdeutlichen, welche Geschichtsbilder in
welcher Zeit und in welcher Weise zu „Meistererzählungen“ bestimmter Ereignisse
werden. Die ebenso didaktische wie hermeneutische inhalts- und textanalytische
Untersuchung fragt in diesem Zusammenhang gleichzeitig nach den „underlying
assumptions“, den verborgenen Vorannahmen, die die Darstellung prägen4.
In diesem Kontext können nicht alle Bücher ausgewertet werden. Deshalb bean-
spruchen die folgenden Befunde keine Repräsentativität in einem streng wissen-
schaftlichen Sinn. Stichproben in etwa 50 der meistbenutzten Bücher über die 60
Untersuchungsjahre hinweg erlauben es jedoch, Tendenzen festzustellen und in ih-
rer Entwicklung zu bewerten.
Wenngleich mit der „Saarfrage“ zumeist die Versuche gemeint sind, in der
Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges eine französische und deutsche Interessen
gleichermaßen zufriedenstellende Lösung für einen zukünftigen Status der Saar zu
finden, gilt diese Definition auch schon für entsprechende Bemühungen nach Be-
endigung des Ersten Weltkrieges. Bereits nach 1919 war die Region „Zankapfel“
zwischen Frankreich und Deutschland und wurde 1920 als Mandatsgebiet des Völ-
kerbundes wirtschaftlich mit Frankreich verbunden. 1935 entschieden sich die
Saarländerinnen und Saarländer für eine Rückgliederung an Deutschland. 1947
wurde die Saar zu einem autonomen Staat und nach einem zweiten Plebiszit 1955
wurde das Saarland 1957 als Bundesland in die Bundesrepublik Deutschland ein-
gegliedert und die lange strittige (zweite) Saarfrage fand einen Abschluss5.
Vgl. Konrad H. Jarausch, Die Krise der nationalen Meistererzählungen. Ein Plädoyer
für plurale interdependente Narrative, in: Die historische Meistererzählung. Deutungs-
linien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, hg. von ders. und Martin Sabrow,
Göttingen 2002, S. 140-162, hier: S. 152.
Aleida Assmann und Jan Assmann, Das Gestern im Heute. Medien und soziales Ge-
dächtnis, in: Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in Kommunikationswis-
senschaften, hg. von Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt und Siegfried Weischen-
berger, Opladen 1994, S. 114-140, hier: S. 120; vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Ge-
dächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 6. Aufl.,
München 2007; vgl. dazu auch Wolfgang Jacobmeyer, Konditionierung von Ge-
schichtsbewußtsein: Schulgeschichtsbücher als nationale Autobiographien, in: Gruppen-
dynamik 23 (1992) Heft 4, S. 325-388.
4 Vgl. K. Peter Fritzsche, Vorurteile und verborgene Vorannahmen, in: Schulbücher auf
dem Prüfstand. Perspektiven der Schulbuchforschung, hg. von dems., Frankfurt/Main
1992, S. 107-124.
5 Ludwig Linsmayer, Gründervisionen: Politik und Kultur im Saarstaat (1947-1955), in:
Die Geburt des Saarlandes. Dramaturgie eines Sonderweges, hg. von dems., Saarbrücken
2007, S. 19-101, hier: S. 19.
504
Beide „Saarfragen“ fanden in sehr verschiedenem Umfang und Tenor Eingang
in viele Schulbücher, um ein Ergebnis schon vorwegzunehmen: quantitativ bis heute
immer weniger und qualitativ mit immer weniger Deutungen und Bewertungen.
Welche Version der vielfältigen Deutungen des Geschehens von 1935 und
1955/1957 wurde den Jugendlichen seit Gründung der beiden deutschen Staaten
nach dem Kriege präsentiert? Die Frage ist für die Deutsche Demokratische Re-
publik schnell beantwortet: In den Schulbüchern der DDR spielte das Thema über-
haupt keine Rolle. Von besonderem Interesse sind für die Bundesrepublik die ers-
ten Unterrichtswerke nach dem Krieg. Die frühe Darstellung kann zugleich die
Vergleichsfolie für die späteren Meistererzählungen und einen möglichen Wandel
der Narrative bieten und soll im Folgenden etwas ausführlicher vorgestellt werden.
In einer ,Tour d’Horizon4 sollen dann vor allem besonders aussagekräftige oder
aus dem üblichen Rahmen fällende Darstellungen herausgegriffen werden. Viel-
fach werden die Abstimmungen nämlich nur stichwortartig erwähnt oder diejenige
von 1935 häufig aufgelistet als einer der Schritte der frühen nationalsozialistischen
Außenpolitik. Bestimmte Tendenzen sind bei dieser knappen Darstellung nicht zu
erkennen.
Die erste Neukonzeption der Nachkriegszeit war das 1949 erschienene Buch
„Wege der Völker“*’. Federführend beteiligt war Fritz Wuessing, ein Mitglied des
früheren „Bundes der entschiedenen Schulreformer“6 7. Das Buch nahm bewusst
Abstand von einem traditionellen national- und politikgeschichtlich geprägten Zu-
gang und orientierte sich mit einer kulturgeschichtlichen und anthropologischen
Auffassung von Geschichte an der Geschichtsauffassung Karl Lamprechts.
Zum Versailler Vertrag lesen wir dort: „Frankreich forderte auch das Saargebiet
für sich sowie die Gründung eines unabhängigen Pufferstaates im linksrheinischen
Deutschland. Es fürchtete die militärische und wirtschaftliche Wiedererstarkung
des Nachbarn. Großbritannien und die USA erwirkten, daß die Saar für 15 Jahre
bis zu einer Volksabstimmung dem neugeschaffenen Völkerbund unterstellt wurde
6 Rainer Riemenschneider, Das Geschichtslehrbuch in der Bundesrepublik. Seine Ent-
wicklung seit 1945, in: Gesellschaft, Staat, Geschichtsunterricht, Beiträge zu einer Ge-
schichte der Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts von 1500-1980, hg. von
Klaus Bergmann und Gerhard Schneider, Düsseldorf, S. 295-312. Vgl. zu dem kurzen
Erfolg des Buches auch Falk Pingel, Geschichtslehrbücher zwischen Kaiserreich und
Gegenwart, in: Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zur Ge-
genwart. Festschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands zum 75jährigen
Bestehen, hg. vom Verband der Geschichtslehrer Deutschlands durch Paul Leidinger,
Stuttgart 1988, S. 242-260, hier: S. 250.
In der Vereinigung hatten sich 1919 diejenigen zusammengeschlossen, die eine Erneue-
rung des Bildungswesens anstrebten, vgl. Ingrid Neuner, Der Bund entschiedener Schul-
reformer 1919-1933. Programmatik und Realisation, Bad Heilbrunn 1980; Maria Halb-
ritter, Schulreformpolitik in der britischen Zone von 1945 bis 1949, Weinheim 1979, S.
217f.; Ulrich Mayer, Neue Wege im Geschichtsunterricht? Studien zur Entwicklung der
Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts in den westlichen Besatzungszonen
und in der Bundesrepublik Deutschland, 1945-1953, Köln 1986, S. 133 und S. 74.
505
und ihre Kohle für Frankreichs Wiederaufbau liefern mußte. Dieses hoffte, die Be-
völkerung während dieser Frist frankreichfreundlich zu machen und so einen Ab-
stimmungssieg und den Anschluß des Saargebietes zu erreichen“8.
Das Buch, das sich nach der Katastrophe des Weltkrieges der Völkerverständi-
gung verpflichtet sah, versuchte die unterschiedlichen Interessen möglichst sach-
lich und unparteiisch darzustellen.
Das Buch „Wege der Völker“ konnte sich nicht durchsetzen - trotz oder mög-
licherweise auch wegen Unterstützung von Seiten der Besatzungsbehörden4. Die
Deutungsmacht darüber, welche Geschichte in den Geschichtsbüchern zu vermit-
teln sei, erlangten traditionell orientierte Historiker. Mit dem „Grundriss der Ge-
schichte“ schrieben die Herausgeber Hans Herzfeld, Franz Schnabel und vor allem
Gerhard Ritter für viele Jahre und für viele Schülerinnen und Schüler eine traditio-
nell politik- und nationalgeschichtlich orientierte Geschichtsdarstellung und damit
einen entsprechenden Geschichtsunterricht fest.
Die Informationen zu den die Saarregion betreffenden Bestimmungen des Ver-
sailler Vertrages haben denn auch einen anderen Tenor. Bereits die Überschrift
signalisiert dies. Während das Kapitel in „Wege der Völker“ überschrieben war
mit: „Der Versailler Vertrag - ein Buch voll Bedingungen“, heißt das Kapitel im
„Grundriss der Geschichte“: „Landabtretungen“. Es ist dann von „verlieren“ und
„Verlust“ die Rede und schließlich erfahren wir: Clemenceau erlangt [...] als Aus-
gleich für die Kriegszerstörungen im nordfranzösischen Kohlengebiet den Besitz
der Saargruben. Das Saargebiet (650.000 Einwohner) wird der Verwaltung ei-
ner Völkerbundskommission unterstellt und soll sich nach 15 Jahren durch ein
Plebiszit entscheiden, ob es zu Deutschland zurückkehren, sich an Frankreich
anschließen oder dauernd unter internationaler Verwaltung bleiben will'0. Die Ka-
tegorien, mit denen die Bestimmungen hier erklärt werden, sind die des Natio-
nalstaates, dessen Macht sich unter anderem in Größe und Menschenzahl messen
lässt.
Während 1957 die Schülerinnen und Schüler in „Werden und Wirken“ erfuhren,
dass die Kohlengruben des Saargebietes als „Wiedergutmachung“ (Anführungszei-
chen im Original) sofort an Frankreich abzutreten waren ', wurde in „Spiegel der
* Wege der Völker. Geschichtsbuch für deutsche Schulen, Ausgabe A, Band IV, Berlin
und anderswo (Pädagogischer Verlag Berthold Schulz) 1950, S. 228.
9 Rainer Riemenschneider, Das Geschichtslehrbuch in der Bundesrepublik. Seine Ent-
wicklung seit 1945, in: Gesellschaft, Staat, Geschichtsunterricht (wie Anm. 6), S. 295-
312, hier: S. 298. Vgl. zu dem kurzen Erfolg des Buches auch Falk Pingel, Geschichts-
lehrbücher zwischen Kaiserreich und Gegenwart, in: Geschichtsunterricht und Ge-
schichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zur Gegenwart. Festschrift des Verbandes der Ge-
schichtslehrer Deutschlands zum 75jährigen Bestehen, hg. vom Verband der Geschichts-
lehrer Deutschlands durch Paul Leidinger, Stuttgart 1988, S. 242- 260, hier: S. 250.
10 Grundzüge der Geschichte, Bd. IV, Die moderne Welt, zweiter Halbband, Hans Herz-
FELD, Weltstaatensystem und Massendemokratie, zweite Auflage (Klett) 1951, S. 64
(Hervorhebung im Original).
11 Werden und Wirken. Geschichtswerk in 3 Bänden Für die Oberstufe der höheren Schu-
len, Bd. III: Neueste Zeit 1815-1956, von OStud.dir. Robert Mangelsdorf unter Mitar-
•506
Zeiten“ von 1959 erklärt: Im Saargebiet verzichtete Deutschland auf das Eigentum
an den Kohlengruben zugunsten Frankreichs'2.
Ähnlich verständnisvoll fiir die französischen Forderungen zeigt sich dieses
Buch im Zusammenhang mit der Saarfrage der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Die Forderung Frankreichs nach einer wenn schon nicht politischen so doch we-
nigstens wirtschaftlichen Eingliederung der Saar wird hier wieder mit den Argu-
menten der Notwendigkeit einer wirtschaftlichen Kompensation und eines Sicher-
heitsbedürfnisses Frankreichs begründet. Neu ist, dass darauf hingewiesen wird,
dass Frankreich gegenüber den USA und Großbritannien „behauptet“ habe, die
Bevölkerung des Saargebiets wünsche die Loslösung von Deutschland13. Dieser
Tenor bleibt für die Beschreibung der folgenden Ereignisse erhalten: Nach dem
Beschluss einer Volksabstimmung 1954 rechnete Frankreich fest damit, dass sich
die Bevölkerung der Saar für das europäische Statut ‘ entscheiden würde. Nach-
dem die Rechnung aber nicht aufgegangen war, war Frankreich klug genug, sich
dem Verlangen der deutschen Bevölkerung nicht zu widersetzen4. Und, ganz im
Geiste der Verständigung, die dem Buch ein Anliegen war: Immerhin haben hier
zwei Völker ein Beispiel dafür gegeben, daß man auf dem Wege von Verhandlun-
gen selbst ein Problem lösen kann, das, wie das Saarproblem, für lange Zeit fast
unlösbar erschien 3.
ln dem bereits vorgestellten „Grundriss der Geschichte“ blieb die nationalstaat-
liche Perspektive erhalten. In einer Ausgabe von 1964 erscheint die deutsch-fran-
zösische Einigung nicht ganz so harmonisch: Zwar war es zwischen Deutschland
und Frankreich zu einer Aussöhnung gekommen, nachdem das Saargebiet sich
1955 für die Wiedervereinigung mit Deutschland entscheiden konnte'6 und Frank-
reich diesen Schritt gebilligt hatte [...]. Aber de Gaulles Politik, auf ein Europa
der Vaterländer — als einer Art französischer Hegemonie - gerichtet, machte Eu-
ropa zu dieser Zeit nicht einiger 1.
Die nach 1968 erschienenen Bücher schlagen zumeist einen anderen Ton an. So
etwa „Menschen in ihrer Zeit“ aus dem Jahr 1969 von Friedrich Lucas und Wolf- * 12 13 14 15 16 17
beit von Univ.-Prof. Dr. Willy Andreas, Karlsruhe (Verlag G. Braun), 6. unveränderte
Auflage von 1957, 1960, S. 139.
12 Spiegel der Zeiten. Geschichtsbuch für deutsche Schulen, Bd. V, Die neueste Zeit,
Frankfurt und anderswo (Diesterweg) 3. Auflage 1959, S. 55.
13 Spiegel der Zeiten, S. 134,
14 Ebd. S. 154.
15 Ebd.
16 Zur Präzisierung, Erinnerung und - hier - Korrektur: Die den Saarländerinnen und Saar-
ländern vorgelegte Frage lautete: „Billigen Sie das mit der Zustimmung der Regierung
des Saarlandes zwischen der Regierung der Bundesrepublik und der Regierung der Fran-
zösischen Republik am 23. Oktober 1954 vereinbarte Europäische Statut für das Saar-
land?“
17 Grundriss der Geschichte, zweibändige Ausgabe II: Die moderne Welt, bearbeitet von
Oberstudien rat Dr. J. Dittrich und Dr. E. Dittrich-Gallmeister, unter Mitwirkung
von Prof. Dr. Hans Herzfeld, Stuttgart (Klett) [1964], S. 295.
507
gang Hilligenls. Bereits die suggestive Frage als Kapitelüberschrift: Können
Machtpolitiker den Frieden sichern? und gleich anschließend die ebenfalls eine
Antwort schon enthaltende Frage: Braucht Deutschland , Kanonen statt Butter?''
verweisen auf den neuen Tenor* 19 20 21 22 23.
Über das offenkundige Lernziel der Friedenserziehung hinaus wird die Gegen-
wartsrelevanz der Auseinandersetzung mit Geschichte deutlich gemacht. Das Ab-
stimmungsergebnis von 1935 wird hier schon nicht mehr - wie bisher zumeist -
aus der „Gewinnerperspektive“ als „Erfolg“ Hitlers bewertet, sondern vorsichtiger
als Erfolg, der der nationalsozialistischen Propaganda gelegen kam-0 oder in einer
noch expliziter distanzierten Form vermittelt: Hitler behauptete, die Deutschen
dort hätten für ihn gestimmtWeitergehend in der Bewertung der Tragweite der
regionalen Entscheidung ist, dass die Rückgabe des Saargebietes an Deutschland
zu einem großen propagandistischen Erfolg wurde, der auch auf die innere Situa-
tion Deutschlands stabilisierend wirkteln der zeitgenössischen Sprache vermit-
telt „Das waren Zeiten“ das Geschehen und nimmt damit unterschwellig eine ver-
ständnisvolle Perspektive ein: 91 Prozent der Bevölkerung stimmten für die , Heim-
kehr' ins deutsche Reich. Mit der Begrifflichkeit wird der national emotionalisierte
Wahlkampf aufgegriffen. Der saarländischen Innenperspektive werden jedoch an-
dere Perspektiven gegenübergestellt: Da die Abstimmung rechtmäßig war, er-
kannten die französische Regierung und der Völkerbund das Ergebnis an. Und aus
der Perspektive der nationalsozialistischen Politik: Die Nationalsozialisten feierten
das Ergebnis der Volksabstimmung als ihren Sieg gegen die Ordnung von 19 lH12.
Is Das Buch ist zuerst 1966 erschienen, vgl. Rainer Riemenschneider, Das Geschichtslehr-
buch in der Bundesrepublik. Seine Entwicklung seit 1945, in: Gesellschaft, Staat, Ge-
schichtsunterricht (wie Anm. 6), S. 295-312, hier: S. 303. Das Buch war als Lese- und
Arbeitsbuch auch in seiner didaktischen Konzeption neu. Den Schülerinnen und Schülern
wird nun die Möglichkeit geboten, sich ein Thema selbst - aus verschiedenen, kon-
trastiven Perspektiven, mit unterschiedlichen Quellengattungen und methodisch differen-
ziert - zu erarbeiten. Die Schülerinnen und Schüler werden sowohl in den historischen
Erkenntnisprozess als auch in die didaktischen Intentionen mit einbezogen. Zur neuen
Generation der Geschichtsbücher vgl. zum Beispiel Joachim Rohlfes, Geschichtsunter-
richt und Geschichtsdidaktik von den 50er bis zu den 80er Jahren, in: Geschichtsunter-
richt und Geschichtsdidaktik (wie Anm. 6), S. 164.
19 Menschen in ihrer Zeit, Friedrich Lucas, Heinrich Bodensieck, Erhard Rumpf und Gun-
ter Thiele, Bd. 4: In unserer Zeit, Stuttgart (Klett) 1972, 2. Auf]. 1981, S. 100.
20 Zeiten und Menschen. Geschichtliches Unterrichtswerk, hg. von Dr. R. H. Tenbrock,
Prof. Dr. K. Kluxen und Prof. Dr. H. E. Stier, Oberstufe Ausg. G, Bd. 2: Die Ge-
schichtlichen Grundlagen der Gegenwart 1776 bis heute, bearbeitet von R. H. Tenbrock,
E. Goerlitz und W. GrÜTTE, Paderborn (Schöning/Schroedel) 1970, S. 136. Vgl. auch
in späteren Büchern: „Propagandaerfolg“, etwa in Zeit für Geschichte 4, Ausgabe A, be-
arbeitet von Dorothea Beck und anderen, Hannover (Schroedel) 2002, S. 116.
21 Menschen in ihrer Zeit (wie Anm. 19), S. 100.
22 Zeiten und Menschen, Neue Ausgabe G, Bd. 2: Vom Zeitalter der bürgerlichen Revo-
lutionen bis zum Zweiten Weltkrieg, bearbeitet von Wilhelm Borth und anderen, Pader-
born (Schöningh) 1986, S. 235.
23 Das waren Zeiten 3. Das kurze 20. Jahrhundert, hg. von Dieter Brückner und Harald
Focke, Bamberg (C.C. Büchners) 2010, S. 99.
508
Demgegenüber überrascht die revisionistisch angehauchte Aussage in „Anno“
von 1997 bis 2003, nach der das Ergebnis der Abstimmung die „Revisionsbedürf-
tigkeit“ des Versailler Vertrages „bewies“24 und Hitler von einer Welle der Popula-
rität getragen nun das Schanddiktat von Versailles durchlöcherte. Die Skala der
Darstellungen ist in der Tat breit. So steht etwa auf der einen Seite die falsche Aus-
sage, dass der massiven und teils heimlichen Aufrüstung der offene Bruch des Ver-
sailler Vertrages: der Einmarsch in das Saargebiet (1/1935) folgte25. Die Abstim-
mung im Saarland hatte zwar zu der Verletzung der Auflagen des Versailler Ver-
trages, wie sie dann 1936 mit dem Einmarsch ins Rheinland erfolgte, ermutigt, das
Plebiszit im Januar 1935 war jedoch noch den Bestimmungen gemäß durchgeführt
worden. Neben solchen Schieflagen und falschen Darstellungen finden wir auf der
anderen Seite aber zugleich - selten - Hinweise auf die Tragweite und Folgen der
Abstimmung: Über 90% der Wähler stimmten für den Anschluss an das Deutsche
Reich und damit auch für den nationalsozialistischen Staat. Das sorgte für einen
unbeschreiblichen nationalen Jubel. Dass aber auch 5000 deutsche NS-Gegner,
die bis dahin unter dem Schutz der Franzosen in Sicherheit waren, fliehen mussten,
fiel dagegen kaum jemandem auf26.
Die bis heute strittige Frage - weniger in der historischen Forschung als in Tei-
len des saarländischen kollektiven Bewusstseins und Narrativs - wird in dem bis in
die Gegenwart weit verbreiteten „Zeiten und Menschen“ von 1970 noch eindeuti-
ger beantwortet: Auch diente die Rückkehr des Saarlandes in den deutschen Staats-
verband [...] dem Prestige Hitlers: in einer vom Völkerbund kontrollierten freien
Abstimmung hatte die Bevölkerung sich für die deutsche Diktatur entschieden'1.
1982 wird der im Wortlaut gleichen Aussage gar ein Ausrufezeichen hinzugefügt“8.
Die apodiktische Aussage lässt keinen Raum, eine eigene Position zu der Frage
einzunehmen. In dem der „Zeitgeschichte“ gewidmeten Band des zu den Klassi-
kern zählenden Lehrwerkes „Zeiten und Menschen“ heißt es in einer Ausgabe von
1983: 89% der Saarländer stimmten für die Wiedereingliederung ins Reich. Bei * 26 * 28
34 Anno, Bd. 4: Das 20. Jahrhundert, hg. von Bernhard ÄSKANi und Elmar Wagener,
Braunschweig (Westermann) 1997 (so auch im Druck von 2003), S. 91.
2' Expedition Geschichte, Rheinland-Pfalz, Bd. 3, Klasse 10, Von der Weimarer Republik
bis zur Gegenwart, hg. von Prof. Dr. Florian Osburg und Prof. Dr. Dagmar Klose, erar-
beitet von Manfred Albrecht und anderen, Frankfurt am Main (Diesterweg) 2001, S. 49.
26 Geschichts-Kurse für die Sekundarstufe II, hg. von Herbert Prokasky und Martin Tab-
aczek, Bd. 4: Dirk Hoffmann und Friedhelm Schütze: Weimarer Republik und natio-
nalsozialistische Herrschaft, Paderborn (Bildungshaus Schulbuchverlage) 2004 (Druck
2009), S. 145.
2 Zeiten und Menschen. Geschichtliches Unterrichtswerk, hg. von Dr. R. H. Tenbrock,
Prof. Dr. K. Kluxen und Prof. Dr. H. E. Stier, Oberstufe Ausgabe G, Bd. 2, Paderborn
(Schöningh/Schroedel) 1970 (Druck 1983), S. 136.
28 Zeiten und Menschen. Politik, Gesellschaft, Wirtschaft im 20. Jahrhundert. Teil I: Von
1919 bis 1945, bearbeitet von Erich Goerlitz, Erich Meier, Helmut Mejcher und Ker-
rin Gräfin Schwerin. Ausgabe K Band 4/1. Paderborn (Schöningh/Schroedel) 1982, S.
146.
509
ihnen war die Vaterlandsliebe stärker gewesen als die Angst vor der Diktatur29. In
einer späteren Fassung wird dem hinzugefügt, dass sich die Bevölkerung für die
Rückkehr entschieden [hatte], obwohl sie über den Terrorcharakter der Diktatur
sich durchaus hatte informieren könnend.
Eine Bewertung der Abstimmung hätte man mit entsprechender Quellengrund-
lage den Schülerinnen und Schülern überlassen können'1. Dies war etwa „Erinnern
und Urteilen“ ein Anliegen. Weniger lenkend und mit dem nun immer entschiedener
umgesetzten didaktischen Prinzip einer eigenen begründeten Urteilsbildung wird den
Schülerinnen und Schülern das Abstimmungsergebnis in absoluten und Prozent-
zahlen vorgestellt mit der Aufgabenformulierung: Was entnehmen Sie dem Abstim-
mungsergebnis über die nationale Einstellung der Bevölkerung? - Lässt sich dar-
über hinaus auch etwas über die Einstellung zum Nationalsozialismus folgern?
Begründen Sie ihre Auffassung '. Allerdings ist die angebotene Quellengrundlage
für eine solche Begründung zu dünn und man fragt sich, welche Erkenntnis in die-
sem Zusammenhang erwartet wird. Die Frage beantwortet teilweise das „Lehrer-
begleitheft“. Hier wird auf die nationale Stimmung der Bevölkerung verwiesen und
erklärt, dass die ,Heimkehr ‘ ins Reich als höherwertig eingeschätzt [wird] als die
Gefahr, unter der Diktatur zu leben. Nationalbewusstsein überlagert demokra-
tisches Bewusstsein. Die Alternative Frankreich wird strikt abgelehnt; die Alter-
native ,Internationale Venvaltung' wird vermutlich von Demokraten gewählt \
Immer differenzierter wird nun zugleich die Saarfrage der 1950er Jahre darge-
stellt. So wird in „Zeiten und Menschen“ 1995 etwa die schwierige Rolle Adenau-
ers in den Blick genommen, der zugunsten des deutsch-französischen Ausgleichs
bereit war, auf die Saar zu verzichten und deshalb heftiger Kritik im Parlament
und in der Öffentlichkeit ausgesetzt war. Die Entscheidung der Bevölkerung - nun 29 * * * 33
29 Zeiten und Menschen. Geschichtliches Unterrichtswerk Ausgabe B, hg. von Robert
Hermann Tenbrock und Kurt Kluxen unter Mitarbeit und Mitwirkung von Rudolf
Endres und anderen, Bd. 4: Zeitgeschichte (1917 bis zur Gegenwart), bearbeitet von
Joachim Immisch, Paderborn (Schöningh) 1978 (Druck 1983), S. 110.
M> Zeiten und Menschen K: Geschichte für Kollegstufe und Grundstudium, Bd. 4/1: Politik,
Gesellschaft, Wirtschaft von 1919 bis 1945, Paderborn (Schöningh) 1990, S. 175.
11 Vgl. dazu Anregungen für den Unterricht bei Jürgen Hannig: Regionalgeschichte und
Auswahlproblematik, in: Geschichtsdidaktik 9 (1984), Heft 1, S. 131-141; DERS., Die
Saarregion. Zeugnisse ihrer Geschichte. Quellenleseheft zur Regionalgeschichte, Frank-
furt am Main (Diesterweg) 1995, S. 84-90; Erinnerungsarbeit: Die Saar ‘33-‘35. Ausstel-
lungskatalog zur 50-jährigen Wiederkehr der Saarabstimmung vom 13. Januar 1935, hg.
von Richard van Dülmen, Jürgen Hannig und Ludwig Linsmayer, St. Ingbert 1995.
Mikrostudien können hier auch gute Quellen für eine differenzierte Wahrnehmung im
Unterricht liefern, etwa Hans-Walter Herrmann, Püttlingen in bewegter Zeit. Politik
und Gesellschaft 1918-1945, Saarbrücken 2008.
2 Erinnern und Urteilen. Unterrichtseinheiten Geschichte. Bd. 4, Peter Alter, Klaus
Bergmann, Gerhard Hufnagel, Ulrich Mayer, Joachim Rohlfes und Eberhardt
Schwalm, Stuttgart und anderswo (Klett) 1981 (identisch auch noch 1994), S. 88.
33 Jost Grolle und andere, Erinnern und Urteilen, Unterrichtseinheiten Geschichte, Bd. 4,
Lehrerbegleitband, Stuttgart (Klett) 1982, S. 59 (Kapitel verfasst von Klaus Bergmann).
• 510
auch korrekt eingeordnet - gegen eine „Europäisierung“ hätten dann Frankreichs
Politiker und öffentliche Meinung [...] akzeptierf \
Es überrascht nicht, dass in Ausgaben für das Saarland die Ereignisse sehr dif-
ferenziert und quantitativ ausführlicher dargestellt werden. In „Menschen, Zeiten,
Räume. Arbeitsbuch für Gesellschaftslehre“ von 2000 werden der Saarfrage zwei
ganze Seiten gewidmet - im Unterschied zu den üblichen wenigen Zeilen35. Hier
wird allerdings dem Thema auch ein wenig von seiner Brisanz genommen, indem
es seinen Platz in einem Methodenkapitel zugewiesen bekommt: Es sollen Zeit-
zeugen befragt werden und deren Erinnerungen mit den angebotenen Sachinfor-
mationen verglichen werden. Das ist angesichts der Geschichte und ihrer Erinne-
rung „vor Ort“ sicherlich ein sinnvoller Zugang, der die gespaltene Erinnerung ver-
stehbar machen kann.
Abgesehen von einem besonderen regionalen Interesse gewinnt das Thema in
neuesten überregionalen Geschichtsbüchern durch neue Kontextualisierungen neue
Bedeutung und Präsenz in den Schulbüchern: In einem 2004 erschienenen „Kurs-
heft Geschichte“ zu „Europa im 20. Jahrhundert“ ist dem Längsschnitt zu den
deutsch-französischen Beziehungen und ihrer Bedeutung für Europa eine Themen-
sonderseite angefügt: Zwischen Nation und Europa - das Saargebiet. Die brisante
Frage, wie das Ergebnis der Abstimmung von 1935 zu werten sei, wird hier in der
neutralen Fassung geboten, dass sich die Einwohner des Saarlandes 1935 mehr-
heitlich für die Zugehörigkeit zu Deutschland entschieden haben, das seit 1933 von
den Nationalsozialisten regiert wurde^. Im Zusammenhang mit den Lösungen der
Saarfrage nach dem Zweiten Weltkrieg wird auf der Grundlage verschiedener
Quellen vor allem die „pragmatische“ Reaktion Frankreichs hervorgehoben, dass
die Entscheidung der Bevölkerung gegen die Europäisierung zugleich auch schon
als Entscheidung für Deutschland akzeptiert habe. Frankreich habe damit einen
4 Zeiten und Menschen K: Geschichte für Kollegstufe und Grundstudium, Bd. 4/11: Politik,
Gesellschaft, Wirtschaft von 1945 bis zur Gegenwart, Neubearbeitung Paderborn (Schö-
ningh) 1995, S. 72.
Beispielsweise Menschen, Zeiten, Räume. Arbeitsbuch für Gesellschaftslehre, Bd. 3
(9./10. Schuljahr) Berlin (Cornelsen) 2000, S. 68f. Ein ausführlicher Informationstext
wird als „Schrift des Saarländischen Landtages von 1998“ ausgewiesen, mehr erfährt
man dazu nicht. Im Sinne von wissenschaftlicher Korrektheit und Transparenz für die
Schülerinnen und Schüler wäre zu wünschen gewesen, wenn nicht der politische Text in
der abgewandelten Form, sondern der zugrunde gelegte, nicht zitierte Originaltext des
Historikers Gerhard Paul hier aufgenommen worden wäre: Von der Bastion im Westen
zur Brücke der Verständigung. Politische Geschichte 1815-1957, in: Saarland - hg. von
Der Chef der Staatskanzlei. Bundeszentrale für politische Bildung 1989, 2. Auflage
1991, S. 23-50. Vgl. auch Entdecken und Verstehen 3, Geschichtsbuch für Klassenstufen
9/10 im Saarland. Von 1917 bis heute, hg. von Dr. Thomas Berger von der Heide und
Prof. Dr. Hans Gert Oomen, Berlin (Cornelsen), S. 102 und 180f.
36 Europa im 20. Jahrhundert. Die europäische Einigungsbewegung und das Europa der
Menschen- und Bürgerrechte, erarbeitet von Frank Bärenbrinker und Christoph Jaku-
bowski, Kursheft Geschichte, Berlin (Cornelsen) 2004, S. 72.
511
wichtigen Schritt für die deutsch-französische Aussöhnung gemacht und Grundla-
gen für die europäische Integration geschaffen - so in einem Zeitzeugeninterview,
das zugleich den Tenor des Kapitels widerspiegelt '7.
Auch in dem für den Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I bestimmten Werk
„Mosaik“ wird der Streitfall Saargebiet als Teil eines Unterkapitels Deutsche und
Franzosen: Gestern Feinde, heute Freunde in ein eigenes übergeordnetes Kapitel
zur Einigung Deutschlands und die europäische Integration eingeordnet ’8.
Damit findet das Thema im Schulbuch und in der Erinnerungskultur seine His-
torisierung und den Anschluss an eine mögliche Einordnung und Bewertung in der
Geschichtswissenschaft als exemplarischen Zugang zur deutschen und französi-
schen Zeitgeschichte im Europäisierungsprozess™ und als regionale Geschichte in
europäischer Perspektive. Umgekehrt bleibt die saarländische „Sonderwegsge-
schichte“ durch ihren Platz in den Schulbüchern geschichtskulturell bedeutsam und
die einst kommunikative Erinnerung einer deutsch-französisch-saarländischen Er-
innerungsgemeinschaft wird zur kulturellen Erinnerung im europäischen Kontext.
's Mosaik. Der Geschichte auf der Spur. D3 Vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Ge-
genwart. hg. von Joachim Cornelissen und anderen, München (Oldenbourg) 2009, S. 188.
Wilfried Loth, Der saarländische Sonderweg im Licht der neueren Forschung, in: Grenz-
Fall. Das Saarland zwischen Frankreich und Deutschland 1945-1960, hg. von Rainer
Hudemann, Burkhard Jellonnek und Bernd Rauls, St. Ingbert 1997, S. 81-95, hier S. 95.
512
Keine Demokratie ohne Archive! - ein Essay zur
Geschichte und Rolle des saarländischen Archivwesens
Hans-Christian Herrmann
Licht im Dunkeln - Archive auf dem Weg zu systemrelevanten
Einrichtungen in parlamentarischen Demokratien
Archive repräsentieren für weite Teile der Öffentlichkeit immer noch etwas Dif-
fuses. Für viele steht Archivgut für Unwichtiges, verbindet man mit dem Wort Ar-
chiv ja auch, etwas abzulegen, was man zumindest vorläufig nicht mehr braucht.
Andererseits werden Archive seit den 1990er Jahren vor allem von den Kulturwis-
senschaften und damit einer kleinen Fachöffentlichkeit als machtvolle Kontrolleure
gesehen, die den Zugang zu Geschichtsquellen bestimmen, über die Aufbewahrung
oder Vernichtung von Quellen entscheiden und damit in vielfältiger Weise die
Deutungshoheit über die Geschichte haben. Der Alltag der Archive lässt aber
Zweifel an dieser Einschätzung aufkommen1.
Beide Wahrnehmungen zeigen den nach wie vor bestehenden Entwicklungsbe-
darf an archivischer Öffentlichkeitsarbeit, die sich immer noch allzu oft auf histo-
rische Ausstellungen und Publikationen zu historischen Themen reduziert2. Vor al-
lem größere Archive sind dabei, sich dieser Herausforderung zu stellen und die
Funktion von Archiven in unserer Gesellschaft zu erklären. Zu den Vorreitern zählt
etwa das belgische Nationalarchiv. 2009 hat es eine virtuelle Ausstellung konzi-
piert, um insbesondere die jüngere Generation mit dem Motto „Archive und De-
mokratie“ zu erreichen. Der Untergang der kommunistischen Diktaturen in Osteu-
ropa hat das Bewusstsein über die gesellschaftliche Bedeutung der Archive ge-
schärft. Archive gelten immer mehr als unverzichtbar für eine demokratische Ge-
sellschaft, und nicht umsonst bildet die Unterhaltung von Archiven eine Pflichtauf-
gabe, die auch in der Bundesrepublik in den Archivgesetzen des Bundes und der
Länder verankert ist3.
Was auf den ersten Blick abstrakt erscheinen mag, hat für den Bürger einen per-
sönlich und praktisch erfahrbaren Nutzen, wenn ihm Belege und Nachweise in sei-
ner Rentenbiografie fehlen und er über die Archive zu entsprechenden Nachweisen
kommt. Oder wenn er im Kontext von Erbfällen mögliche Erbberechtigte ermitteln
1 Michel FouCAULT, Of other spaces, in: Diacritics 16 (1986), S. 22-27.
2 Paul Burgard, Neue Wege im Jubiläumsjahr: das Landesarchiv Saarbrücken forciert mit
neuen Projekten seine Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit 2006, in: Unsere Archive
51/2006, S. 12-13; Alexandra Lutz, Vom „bloßen Geklapper“ zur „zwingenden Notwen-
digkeit“? Eine Untersuchung der Formen des Stellenwertes der Öffentlichkeitsarbeit in
staatlichen Archiven, in: Archivarbeit zwischen Theorie und Praxis. Ausgewählte Trans-
ferarbeiten des 35. und 36. wissenschaftlichen Kurses an der Archivschule Marburg, hg.
von Stefanie Unger, Marburg 2004, S. 187-220; Clemens Rehm, Spielwiese oder
Pflichtaufgabe? Archivische Öffentlichkeitsarbeit als Fachaufgabe, in: Der Archivar 51
(1998), S. 206-216.
1 Klaus Oldenhage, Die Archivgesetze des Bundes und der Länder in der BRD, in: Ein
Eitler für Rheinland-Pfalz: Festschrift für Franz-Josef Heyen zum 75. Geburtstag am 2.
Mai 2003, hg. von Johannes MÖTSCH, Frankfurt/Main 2003, S. 875-882.
513
muss beziehungsweise einen Erbenermittler damit beauftragt. Ein anderes Beispiel
sind Grundstücke, die möglicherweise mit Schadstoffen belastet sein könnten. Ar-
chive verwahren Wissen, das im Alltag für den Bürger wie für den Ver-
waltungsbereich selbst, für den das Archiv zuständig ist, von Nutzen sein kann. Dazu
sichern Archive den Rohstoff für die Geschichtsschreibung und ermöglichen es den
Historikern, sich wissenschaftlich mit Geschichte auseinandersetzen zu können.
Aber nicht nur Wissenschaftler werden bedient, auch Schüler lernen Primärquellen
und den Reiz des Authentischen kennen etwa auf der Suche nach Lokalgeschichte,
ebenso Geschichtswerkstätten und Vereine und natürlich die Familienforscher4 *.
Diese Beispiele erklären aber immer noch nicht die systemrelevante Bedeutung
der Archive für eine Demokratie. Archive können noch sehr viel mehr leisten als
das eben Beschriebene. Dazu ist es hilfreich, einmal ganz unhistorisch zu denken
und sich die Frage: „Was wäre wenn?“ zu stellen. Stellen wir uns vor, es gäbe kei-
ne Archive, was würden wir tun, wenn die braunen Horden schreien, Hitler habe
die Juden keineswegs vergast, alles sei eine Erfindung, Hitler habe vielmehr die
Autobahnen gebaut und die Arbeitslosigkeit beseitigt\ Es wäre ein schwieriger
Kampf gegen das Lügen, Leugnen und Vergessen, der kaum zu gewinnen wäre.
Archive sind Arsenale der Aufklärung, ohne sie ist eine Gesellschaft der Manipu-
lation und Legendenbildung ausgeliefert6. „In der DDR war nicht alles schlecht,
das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war wie alle Geheimdienste, wer sich
an Recht und Gesetz hielt, der brauchte eigentlich nichts zu fürchten!“ - auch sol-
che Aussagen gibt es, und diese Meinungsmache wäre wahrscheinlich mehrheits-
fähig, wenn wir keine Archive hätten und insbesondere kein Archiv der Bundesbe-
auftragten für die Llnterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut-
schen Demokratischen Republik. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
(SED) und das Ministerium für Staatssicherheit haben zwar 1989 Akten vernichtet,
aber durch engagierte Bürgerrechtler konnte viel gerettet werden7.
Auch für die saarländische Geschichte gibt es Beispiele für die Enthüllung von
Legenden und das Aufdecken von fast Unvorstellbarem. So kann man aus Unter-
lagen des Ministeriums für Staatssicherheit ein Attentatsversuch der DDR auf den
saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann nachweisen - zu interpre-
tieren als Attentat zur Verhinderung des Schuman-Plans8. Auch mit Blick auf an-
dere Aspekte der politischen Sonderentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis
4 Thomas Lange und Thomas Lux, Historisches Lernen im Archiv, Schwalbach/Taunus
2004.
Brigitta Baier-Galanda, Wolfgang Benz und Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Die
Auschwitzleugner. Revisionistische Geschichtszüge und historische Wahrheit, Berlin
1997.
6 Klaus-Dietmar Henke, Arsenale der Aufklärung: die Archive in den neuen Bundeslän-
dern und die Auseinandersetzung mit zwei Diktaturen in Deutschland, in: Für Bürger,
Staat und Forschung: 10 Jahre Sächsisches Staatsarchiv Chemnitz, Haus der Geschichte
für die Region Südwestsachsen. Fachtagung 29. Oktober 1997 in Chemnitz, hg. von Lutz
Sartor, Chemnitz 1998, S. 20-25.
Hubertus Knabe, Die Täter sind unter uns. Über das Schönreden der SED-Diktatur, Ber-
lin 2007.
8 Hans-Christian Herrmann, Die Saar im Visier der SED, in: Deutschland-Archiv 5/2005,
S. 820-829.
514
zur Abstimmung über das Saarstatut am 23. Oktober 1955 helfen Archive, Legen-
den zu entlarven9.
Zunächst einmal müssen sich die Archive der Frage stellen, warum ihre Bedeu-
tung in der Öffentlichkeit immer noch so unklar und verzerrt wahrgenommen wird.
Weite Teile der Öffentlichkeit erwarten immer noch vor allem alte Bücher im Ar-
chiv. Archive, Bibliotheken und Museen werden gerne in einem Atemzug genannt
und dabei sind sie doch so unterschiedlich. Archive verwahren Nachlässe von
Künstlern, Architekten und Politikern, von Verbänden und Vereinen und in der
heutigen Zeit besonders wichtig auch von Fotografen. Archive pflegen auch
Sammlungen von Zeitungen, Karten und Plakaten. Archivare verwahren aber vor
allem Akten. Da historische Museen in ihren Ausstellungen auf Archivgut ange-
wiesen sind, assoziiert die Öffentlichkeit Verbindungen zwischen Museum und
Archiv. Die erheblichen Unterschiede zwischen den drei genannten Einrichtungen
werden für viele erst bei einem Blick hinter die Kulissen verständlich. Archive ste-
hen immer im Kontext eines Verwaltungsbereiches, für den sie zuständig sind, so
das Stadtarchiv für die Stadtverwaltung Saarbrücken. Die hier entstehenden Unter-
lagen werden, wenn sie nicht mehr für die Amtsgeschäfte vorgehalten werden
müssen, archivisch bewertet. Was als „archivwürdig“ bewertet wurde, wird ins Ar-
chiv übernommen und so erschlossen, dass die Öffentlichkeit beziehungsweise der
Benutzer die für sein jeweiliges Forschungsinteresse relevanten Unterlagen ermit-
teln kann. Genau diese Macht über das Aufbewahren oder Vernichten von Unterla-
gen sehen Kulturwissenschaftler als Beleg für die Macht der Archive, weil sie da-
mit eine Deutungshoheit über die Geschichte hätten.
Eine weitere Kemaufgabe ist der Anspruch, die Unterlagen für die Ewigkeit
aufzubewahren und damit Gedächtnis auch für zukünftige Generationen zu sein.
Bibliotheken beschäftigen sich dagegen mit Publikationen, die sie in Anlehnung an
ihr Sammlungsprofil erwerben. Publikationen, die abgenutzt sind oder deren Aktu-
alität nicht mehr gegeben ist, werden ausgesondert und vernichtet. Dies ist ein wei-
terer erheblicher Unterschied zum Archiv, denn als archivwürdig bewertete Unter-
lagen werden nicht nachträglich einer erneuten Bewertung unterzogen. Die Unter-
schiede zur Bibliothek zeigen sich auch in einer ganz anderen Methodik der Er-
schließung. Archive ordnen das übernommene Archivgut nicht nach Betreffen be-
ziehungsweise Schlagwörtem. Vielmehr lassen sie die als archivwürdig bewerteten
Unterlagen einer abgebenden Stelle zusammen, zum Beispiel das Kulturamt der
Stadt Saarbrücken. Diese Stelle, etwa das Kulturamt, bildet einen Bestand, das
heißt die Stelle, bei der die Unterlagen entstanden sind; in der Fachterminologie
Provenienz genannt, bilden eine Herkunftsgemeinschaft und bleiben zusammen.
Das Schlagwortprinzip der Bibliotheken auf das Archivwesen übertragen, würde so
aussehen: Die Unterlagen des Kulturamtes werden auseinandergerissen und gebil-
deten Pertinenzen beziehungsweise einem Schlagwortkatalog zugeordnet, dies
könnten zum Beispiel sein Theater, Kleinkunst, Musik, Altstadtfest und so weiter;
die Unterlagen des Kulturamtes würden diesen Begriffen zugeordnet werden. Ent-
sprechende Akten aus anderen Ämtern würden ebenfalls auseinandergenommen
und die entsprechenden Vorgänge diesen Schlagworten zugeordnet werden. Was
9 Dietmar tlüSER, Frankreichs doppelte Deutschlandpolitik. Dynamik aus der Defensive -
Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, innen- und
außenpolitischen Krisenzeiten 1944-1950, Berlin 1996.
515
auf den ersten Blick dem Forscher, der sich zum Beispiel ausschließlich für das
Saarbrücker Altstadtfest interessiert, verlockend erscheinen mag, erweist sich bei
näherem Hinsehen als Zerstörung von Geschichte. Denn mit dem Zuordnen der
Vorgänge zu Pertinenzen gehen Zusammenhänge verloren. Ganz abgesehen davon,
lassen sich viele Vorgänge mehreren Pertinenzen beziehungsweise Schlagworten
zuordnen. Hinzukommt ein nicht zu leistender Mehraufwand, weil alle Akten von
Anfang bis Ende vom Archivar gelesen werden müssten10. Es ist schwer, das Be-
wusstsein für die Archive über die Abgrenzung zwischen Archiv, Bibliothek und
Museum so zu schärfen, dass es zu einer nachhaltig zutreffenden Einschätzung der
Rolle von Archiven beitragen kann.
Akten -Schätze der Transparenz
Wichtiger und für die Öffentlichkeit interessanter ist ein Nachdenken über das
Thema Akten, denn sie sind nun einmal die bestimmende Unterlagengruppe in den
Archiven, daneben stehen Urkunden, Karten, Pläne, Plakate, Fotos und Audio-
visuelles.
Archive sichern vor allem Akten, die aus dem Verwaltungsbereich stammen, für
den sie zuständig sind, und aus historischen oder rechtlichen Gründen als archiv-
würdig eingestuft wurden. Mit Akten kann man in der Öffentlichkeit zunächst ein-
mal keine Begeisterung auslösen. Schon das Wort wird negativ wahrgenommen,
stehen Akten doch für Bürokratie und damit für einen weiteren Negativbegriff.
Stellt man sich die Frage nach objektivierbaren Gründen dieser Negativeinschät-
zung, dann eröffnet sich ein Erklärungsgeflecht aus einer als undurchschaubar
empfundenen Bürokratie. Und gerade diese Undurchschaubarkeit als Ursache für
die Vorbehalte der Öffentlichkeit gegenüber Akten und Bürokratie bilden die Brü-
cke zum Selbstverständnis der Archive als wertvolle Einrichtungen einer Demo-
kratie. In der Verwaltung sorgsam und vollständig geführte Akten, die den Weg ins
Archiv finden, sind nicht nur ein wertvoller Rohstoff für den Historiker, sie sind
unverzichtbar für eine funktionierende Demokratie. Gut geführte Akten sind die
Voraussetzung für Kontrolle, Verantwortung und Transparenz. Transparenz der
Macht entwipkelt sich aktuell zu einem immer stärker eingeforderten Wert in der
bundesdeutschen Öffentlichkeit und ist unverzichtbar für eine gelebte Demokratie.
Akten ermöglichen es, Entscheidungsprozesse nachzuvollziehen, Verantwort-
lichkeiten zu erkennen, Abläufe zu rekonstruieren; sie machen Verwaltung und Po-
litik erst transparent und, wie eingangs angedeutet, sie sind das Mittel gegen Lü-
gen, Legenden und üble Propaganda. Kann ein parlamentarischer Untersuchungs-
ausschuss seine Kontrollfunktion ohne vollständige Akten wahrnehmen? Unsere
Demokratie braucht Akten, denn nur so kann die Legislative die Exekutive kontrol-
lieren. Für die Demokratie gilt, Transparenz schafft Akzeptanz und Transparenz ist
sozusagen das Lebenselixier der Demokratie und diese Transparenz gewinnt man
in hohem Maße auch über Akteneinsicht. Schon 1975 stellte das Bundesverfas-
1(1 Bodo Uhl, Die Bedeutung des Provenienzprinzips für Archivwissenschalt und Ge-
schichtsforschung, in: Landesgeschichte und Archive: Bayerns Verwaltung in histori-
scher und archivwissenschaftlicher Forschung. Stand und Aufgabe. Wissenschaftliches
Kolloquium am 24725. Juli 1997 anläßlich der Verabschiedung des Generaldirektors der
staatlichen Archive Bayerns Professor Dr. Walter Jaroschka, München 1998, S. 97-121.
516
sungsgericht fest: Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des
Volkes, Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch ge-
schieht, ist nicht möglich1'. Akten erlauben es, Entscheidungen nachzuvollziehen,
zu zeigen, wer in welcher Weise wie eine Sache beeinflusst hat und damit sind sie
unverzichtbar, um Verwaltungshandeln transparent zu machen.
Die Archive können diesen Beitrag für die Demokratie aber nur leisten, wenn
die entsprechende Verwaltung ihre Akten vollständig führt so wie es das nicht
strafbewehrte Verwaltungsverfahrensgesetz vorschreibt, und wenn innerhalb der
Verwaltung die Archivgesetze beachtet werden. Nur so kann verhindert werden,
dass ohne vorherige Abstimmung mit dem Archiv Akten wild vernichtet werden.
Das kritische Bewusstsein über den Wert einer ordnungsgemäßen Aktenführung
und den ordnungsgemäßen Umgang mit Akten ist sicher noch entwicklungsfähig.
Die Schärfung dieses Bewusstseins ist nicht etwas Beliebiges oder eine Extrawurst
von Archivaren, sondern es ist von Bedeutung für die Gesamtgesellschaft wie fol-
gendes Beispiel zeigt. Der Bundesnachrichtendienst (künftig: BND) vernichtete
vor ein paar Jahren ohne Abstimmung mit dem Bundesarchiv Personalakten, da-
runter 250 Personen, die wichtige BND-Positionen bekleidet hatten und während
der NS-Zeit wichtige Funktionen in SS, SD und Gestapo ausübten. Ein Skandal, da
diese Vernichtungsaktion nicht etwa 1957 erfolgte, sondern 2007 und damit zu ei-
nem Zeitpunkt, als man über die Brisanz des Themas sehr wohl wusste11 12. In einer
Demokratie haben die jeweils zuständigen Archive die Aufgabe, zu entscheiden,
welche Unterlagen nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen zu vernichten sind und
welche als archivwürdig bewertet und ins zuständige Archiv übernommen werden.
Der BND ist dem Bundesarchiv gegenüber anbietungspflichtig. Verstöße gegen
dieses Gesetz sind wie bereits erwähnt nicht strafbewehrt. Archive unterstehen der
ministeriellen Aufsicht, und damit stehen sie auch in einem Abhängigkeits-
verhältnis zur Exekutive. Gerade an diesem Beispiel zeigt sich, dass das Bild der
mächtigen Archive unzutreffend ist. Neben dem BND-Skandal ist auf Bundesebe-
ne auf die so genannten „Bundeslöschtage“ 1998 hinzuweisen, das Verschwinden
von elektronisch gespeicherten Daten und Unterlagen im Bundeskanzleramt nach
der Abwahl der Regierung von Helmut Kohl. Auch dieses Ereignis blieb folgen-
los13.
In einer parlamentarischen Demokratie sind Archive systemrelevant, auch der
Deutsche Archivtag in Bremen 2011 machte dies nachhaltig deutlich. Archive er-
möglichen die nachträgliche Kontrolle von Verwaltungshandeln. Es stellt sich da-
bei die Frage, ob sie in ihrer bisherigen Organisationsstruktur diese Rolle wirklich
erfüllen können14. In den USA handeln Archive als unabhängige Agencies15, in
gewisser Weise mit unseren Datenschutzbeauftragten und Rechnungshöfen ver-
gleichbar, ihre Stellung ist entsprechend unabhängiger.
Gut aufgestellte Archive sind zweifellos eine Visitenkarte für gelebtes Demo-
kratiebewusstsein. Allerdings nur dann, wenn die Verwaltung ihre Akten konform
zum Verwaltungsverfahrensgesetz führt und Archiven die erforderlichen Ressour-
11 Hartmut Weber, Kohl und der Aktenschwund, in: Die Zeit, Nr. 46/2001, 8.11.2001.
12 http://www.schmalenstroer.net [6.12.2011].
13 Ebd.
14 http://www.schmalenstroer.net [6.12.2011 ].
15 http://www.archives.gov/oig [7.12.2011].
517
cen zur Verfügung stellt. Leider ist das Vernichten von Akten nicht nur die Sache
von Diktaturen, die vor ihrem Untergang die Akten, die bis dato Mittel organisier-
ter Unterdrückung und Verfolgung waren, nun als mögliche Beweismittel erkennen
und vernichten. Insbesondere die Alliierten sorgten mit der Sicherung von Unterla-
gen zur Durchführung der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse dafür, die Singu-
larität nationalsozialistischer Verbrechen für immer beweisen zu können16 *.
Und trotzdem führt das Vernichten von Akten meist nur zu einem Sturm im
Wasserglas. Gerade Medien nutzen für ihre historischen Produktionen gerne Zeit-
zeugen. Ohne Akten gibt es nur eine Geschichte über Zeitzeugen und das ist eine
„erlebte Geschichte“, die sich zwar medial gut verarbeiten lässt, manchmal aber
auch nur falsch sein kann. Als 1979 der Film Holocaust einen enormen Schub in
der öffentlichen Auseinsandersetzung zur Geschichte des Nationalsozialismus aus-
löste, gab es viele Jugendliche, die ihre Eltern und Großeltern fragten: Habt Ihr das
nicht erlebt, wie Juden plötzlich aus dem öffentlichen Leben verschwanden, wie
Menschen ins KZ abtransportiert wurden?X1 Die Antworten, die sie erhielten, wa-
ren immer noch Formeln der Verneinung und Beschwichtigung, dabei konnte man
in fast jeder deutschen Stadt, so auch in Saarbrücken und hier besonders deutlich in
der Bahnhofstraße, sehen, wie die Kaufhäuser mit jüdischen Namen plötzlich ande-
re Bezeichnungen trugen und die Eigentümer verschwanden. In Städten und Län-
dern mit einer besseren archivischen Überlieferung als in Saarbrücken und im
Saarland kann man die Zwangsarisierung als einen Prozess nachweisen, von dem
die Deutschen im Dritten Reich profitieren konnten. Die Beweise dafür finden sich
in den Akten der dazu beauftragten Auktionshäuser und der Finanzverwaltung, der
Notariate und Amtsgerichte18.
Ebenso problematisch ist die in den letzten Jahren zu beobachtende Überbe-
wertung der Fotografie als historische Quelle, der ein sich selbst erklärender histo-
rischer Aussagewert zugesprochen wird. Gerade zu typisch für diese Sichtweise:
Die Bilder sind so einprägsam, dass sie es vermögen, gesellschaftliche, technische
und technologische Sachverhalte und Prozesse glaubhaft zu vermitteln [...] Sie
wollen gleichsam , bilden ’ und unterhalten 9.
Zweifellos repräsentiert die Fotografie eine wichtige Quelle, aber fotografische
Quellen allein liegen häufig ohne historischen Kontext vor, der die Hintergründe
und das Entstehen des Fotos erklärt. Mit Fotos und Zeitzeugenberichten allein kann
man auch kein Standardwerk zur Geschichte des Saarbergbaus verfassen, sicher-
lich aber einen sehr anschaulichen und unterhaltsamen Beitrag mit Niveau zum
Saarbergbau leisten, der gerade durch die Bilder den Menschen die Möglichkeit
der Identifikation und Erinnerung schenkt20. Bilder sind zweifellos eine wichtige
Quelle auch für die Landesgeschichte. Die Übernahme bedeutender Fotografen-
1(1 50 Jahre Institut für Zeitgeschichte, hg. von Horst Möller und Udo Wengst, München
1999.
1 Susanne Brandt, „Wenig Anschauung?“. Die Ausstrahlung des Films Holocaust im
westdeutschen Fernsehen 1978/79, in: Erinnerungskultur, Italien und Japan seit 1954, hg.
von Christoph CöRNELißEN, Frankfurt/Main 2003, S. 258.
Is Götz Aly, Hitlers Volksstaat, Frankfurt 2005.
19 Delf Slotta, Der saarländische Steinkohlenbergbau. Bilder von Menschen, Gruben und
bergmännischen Lebenswelten. Erzählungen von Zeitzeugen - aufgezeichnet von Georg
Fox, Dillingen 2011, S. 345.
20 Ebd.
518
nachlässe wie von Walter Barbian und Fritz Hartung durch das Landesarchiv mar-
kiert einen großen Erfolg, da deren Werk nun auch von künftigen Generationen ge-
nutzt werden kann.
Man sagt gerne, Bilder schreiben Geschichte, und das Bild vom Kniefall Willy
Brandts in Warschau ist dafür ein Paradebeispiel. Es steht aber auch beispielhaft
für den begrenzten Quellenwert des Bildes, weil wichtige Kontextinformationen
fehlen. Willy Brandts Kniefall in Warschau - dieses Bild ging um in der (freien)
Welt. Ostpolitik kann man aber ohne Akten ebenso wenig schreiben wie die Ge-
schichte des Bildes erklären, das beispielsweise in Polen sinnentstellend verwertet
wurde, indem es die staatliche Seite so bearbeitete, dass aus einem knieenden Wil-
ly Brandt ein stehender Kanzler wurde und damit Brandts einmalige Versöhnungs-
geste bis 1989 in Polen nicht verbreitet war21.
Die großen Gedächtnislücken des Saarlandes
Akten und damit archivische Überlieferung sind nicht nur ein Schlüssel zur Trans-
parenz in einer gelebten Demokratie, sie bilden den Rohstoff für die Geschichts-
schreibung, für das Erinnern und Gedenken und die Auseinandersetzung mit der
eigenen Geschichte. Das Jahr 2012 markiert mit dem Ende des Bergbaus eine der
bedeutendsten Zäsuren in der saarländischen Landesgeschichte. Im Saarland soll
dazu 2012 eine Ausstellung präsentiert werden22.
Was ist historisch vom montanindustriellen Erbe des Saarlandes geblieben? Mit
dem UNESCO-Weltkulturerbe Völklinger Hütte verfügt das Saarland über einen
Schatz, aber es fehlt bis jetzt [Juli 2012] eine auch nur annähernd geschlossene ar-
chivische Überlieferung des Bergbaus und der Eisen- und Stahlindustrie. Auch die-
ser Verlust betrifft primär nicht nur eine Fachelite, sie berührt die Identität des
Landes in der Auseinandersetzung mit seiner Geschichte. Auch wenn es sich bei
den Hüttenwerken und dem Bergbau nicht um Stellen handelt, die nach Archivge-
setz ihre Unterlagen dem Landesarchiv hätten anbieten müssen, so waren es Milli-
onen von Steuergeldern, mit denen diese Unternehmen in und durch den Struktur-
wandel begleitet wurden. Ohne diese Überlieferung fehlen der Öffentlichkeit aber
die Kontexte, die Geschichte des Bergbaus und der Hüttenwerke an der Saar aufzu-
arbeiten; und auch ihre Umwidmung und Nutzung als Industriedenkmäler wird
dadurch erschwert. Mit Blick auf die Bedeutung der Montanindustrie für unsere
Region fehlt uns damit ein Kernbestandteil unseres historischen Gedächtnisses.
Inwiefern aus saarländischer Perspektive die archivische Überlieferung über-
haupt ausreicht, die Geschichte unserer Region von 1957 bis in die Gegenwart zu
schreiben, bleibt fraglich. Für die Überlieferung des Stadtarchivs gibt es erhebliche
Lücken, obwohl das heute älteste Archiv im Saarland kaum Kriegsverluste erlitten
hat. Dieser Befund erscheint dem Autor keine Saarbrücker Singularität zu sein.
21 Denkmalsturz? Brandts Kniefall, hg. von Michael Wolffsohn und anderen, Konstanz
2006, S. 59; Krzysztof Ruchniewicz, Verständigung und Versöhnung zwischen Polen
und Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg - am Beispiel der Reisen deutscher Politiker
nach Polen, in: Ders., Zögernde Annäherung. Studien zur Geschichte der deutsch-
polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, Dresden 2005, S. 133-147, insbes. S. 142.
22 Saarbrücker Zeitung vom 7.12.2011.
519
Neben Unterlagen, die an den Archiven vorbei vernichtet werden, liegt ein
Hauptproblem für die Archive grundsätzlich im politischen Leitungsbereich wie
der frühere Präsident des Bundesarchivs, Hartmut Weber, einmal feststellte. Akten
aus dem staatlichen Leitungsbereich werden zusammen mit Unterlagen aus dem
Parteiamt, der Tätigkeit in Aufsichtsräten und anderen Gremien zusammen abge-
legt. Diese Akten werden dann als persönlich betrachtet, als „Privatbesitz“ gesehen
und den zuständigen Archiven erst gar nicht angeboten2 ’.
Gerade das Saarland leidet nicht nur mit Blick auf den Bergbau an massiven
Überlieferungslücken. Angesichts der Sondersituation nach dem Zweiten Welt-
krieg bis 1957 sind viele Akten noch zu Lebzeiten der Akteure vernichtet oder ver-
steckt worden. So sind die Akten der Christlichen Volkspartei (CVP) verschollen
und die der Sozialdemokratischen Partei des Saarlandes (SPS) sollen bald nach der
Fusion mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) im Frühjahr 1956
vernichtet worden sein. Katastrophal ist auch die Überlieferung der Gewerkschaf-
ten. In der besonderen politischen Situation wollte sich die bis zum 23. Oktober
1955 regierende politische Klasse nicht angreifbar machen, auf der anderen Seite
mieden die durch die Hoffmann-Regierung illegalisierten Kräfte verständlicher-
weise die Schriftlichkeit ihres Handelns, mussten sie doch fürchten, dass diese ge-
gen sie verwandt werden konnte. Hinzu kommt eine nicht an den Regeln des heuti-
gen Verwaltungsverfahrensgesetzes orientierte Aktenführung der saarländischen
Ministerialverwaltung. Zum Verständnis: die mittlere und höhere Leitungsebene
der saarländischen Ministerialbürokratie war personell nicht im Lauf der Jahre ge-
wachsen, es bestand so gut wie keine Personalkontinuität und auch auf einen erfah-
renen Apparat konnte nicht zurückgegriffen werden. So unterblieb das, was in ei-
ner eingeübt professionell arbeitenden Ministerialverwaltung üblich und heute et-
wa durch das Verwaltungsverfahrensgesetz vorgeschrieben ist wie etwa die Auf-
zeichnung von Absprachen, Besprechungen und Vorverhandlungen und die Erstel-
lung aussagekräftiger Aktenvermerke, die Hintergründe und Zusammenhänge von
Verwaltungshandeln nachvollziehbar machen. Zudem fehlten häufig geschäfts-
leitende Verfügungen wie beispielsweise „zur Kenntnis“ und „zur Mitzeichnung“
und ebenso fehlten in den Akten die Bearbeitungsstufen vom Konzept bis zum fer-
tigen Entwurf, der Grundlage der Ausfertigung war. Die damalige Landes-
verwaltung wie auch die Stadt Saarbrücken arbeiteten zudem nicht systematisch
mit einem Aktenplan - die Gegenwart zeigt hier leider eine Kontinuität23 24.
Dies bedeutet, dass die Forschungen zur Geschichte der halbautonomen Saar
wissenschaftlich auf die Überlieferung der französischen Ministerial- und Militär-
verwaltung angewiesen sind und auch auf die Überlieferung der Bundesregierung;
insofern sind das Archiv des Quai d’Orsay sowie das Militärarchiv und das Bun-
desarchiv für die saarländische Geschichte unverzichtbar heranzuziehen, nicht nur,
um zu einem ausgewogenen Urteil zu kommen, sondern häufig, um überhaupt
Sachverhalte rekonstruieren zu können.
23 Weber, Kohl (wie Anm. 11).
24 Hans-Christian Herrmann, Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft.
Sozialpolitik und Gewerkschaften im Saarland 1945 bis 1955, Saarbrücken 1996, S. 23.
520
In diesem Kontext verdient das von Professor Rainer Hudemann initiierte Pro-
jekt zur Verfdmung von Unterlagen der französischen Verwaltung im Saarland be-
sonderen Respekt25.
Hinzu kommt unser Mangel an Quellen im Land für unsere Geschichte bis ins
19. Jahrhundert, viele Quellen liegen verstreut außerhalb des Landes, da wir bis
zum Ende des Ersten Weltkrieges ein Territorialmosaik waren und die Herrschaft
über uns außerhalb der Region residierte.
Angesichts dieser Situation könnte man vermuten, dass das Bewusstsein für die
Archive im Saarland besonders ausgeprägt sein müsste, denn die Pflege der Ar-
chive ist zugleich ein Indikator für die Wertschätzung der vergleichsweise kurzen
Selbständigkeit. Aber ein Blick in die saarländische Archivgeschichte bestätigt die-
se Vermutung nicht. Und trotz allem gibt es kleine Lichtblicke!
Das neue Saarbrücker Stadtarchiv - eine Zäsur in der Archivge-
schichte
Im Frühjahr 2008 und damit vor dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. März
2009 beschloss der Saarbrücker Stadtrat, das Stadtarchiv neu unterzubringen. Die
ehemalige Deutschherrnschule sollte zum neuen Stadtarchiv werden. Von Sommer
2008 bis Herbst 2009 erfolgte der Umbau zu einem fachgerechten Archivgebäude,
das am 20. November 2009 bezogen und im Januar 2010 feierlich eröffnet wurde.
2011 wurde eine weitere Magazinanlage eingebaut und 2012 wird die Außensanie-
rung abgeschlossen werden. Das Objekt war in den Jahren 1870/71 zunächst als
Hospital errichtet worden. Nach der Einweihung des neuen Bürgerhospitals auf
dem Reppersberg 1903 baute man das alte Hospital in den Jahren 1906 bis 1907
zur Volksschule um. Dazu wurden die Treppenhäuser in die Flügelbauten verlegt,
davor gab es ein zentrales Treppenhaus im Mittelrisalit, ln der Hausakte wird das
Gebäude zunächst als Hospitalschule und ab 1933 durchgängig als Deutschherrn-
schule bezeichnet. Es gibt aber auch eine Akte des Gartenamtes, in der es als „Del-
lengartenschule“ bezeichnet wird. Im Zweiten Weltkrieg befand sich auf dem
Schulhof eine Lagerbaracke für Zwangsarbeiter. Kriegsschäden gab es kaum, so
dass einige Ausbesserungsarbeiten an den Decken in den Jahren 1947 bis 1949
ausreichten, um es wieder nutzen zu können. Als Schule wurde das Gebäude 1982
entwidmet26.
Im November 2009 konnte das Stadtarchiv die neuen Räumlichkeiten beziehen.
Damit endete eine über fünfzigjährige Geschichte der Vernachlässigung. Saarbrü-
cken verfügt nun nicht über Luxus, sondern über ein den internationalen Standards
entsprechendes Archiv. Und die damalige Leiterin, Dr. Irmgard Christa Becker,
25 Armin Heinen, Saarjahre. Politik und Wirtschaft an der Saar 1945-1955, Stuttgart 1996,
S. 3.
26 Irmgard Christa Becker, Das neue Stadtarchiv Saarbrücken, Saarbrücken 2010, S. 10.
Danach wurde das Gebäude seit August 1983 von der AGB Gesellschaft für Berufbil-
dung aus Mannheim zur Förderung der Ausbildung benachteiligter Jugendlicher genutzt.
Dieser Mieter nahm keine baulichen Veränderungen vor. Nach dem Konkurs der Gesell-
schaft 1987 übernahm die BFW Berufsforderungswerk Saarland GmbH die Mitarbeiter
und die Aufgaben. Sie nutzte das Gebäude aber nicht. Dieses wurde zum 1. August 1998
an den Don-Bosco-Schulverein vermietet, der in der ehemaligen Deutschhermschule bis
zum Juli 2006 eine Realschule mit Internat betrieb.
521
bemerkte 2010, beim Stadtarchiv Saarbrücken handele es sich um den ersten fach-
gerechten Archivbau im Saarland überhaupt“ . Damit deutet sich schon an, Archive
hatten es in unserer Region schon immer schwer und nicht nur für das Stadtarchiv
markiert dieser Bau eine Zäsur und einen Quantensprung. Insofern blicken wir zu-
rück in die ältere Archivgeschichte.
Auch wenn die Großstadt Saarbrücken erst 1909 aus der Vereinigung von St.
Johann, Saarbrücken und Malstatt-Burbach entstand, so können insbesondere Saar-
brücken und St. Johann auf eine lange Geschichte zurückblicken, hier sei nur an
den Freiheitsbrief von 1322 erinnert und die urkundliche Erwähnung Saarbrückens
999* 2 * * 28.
Ein Stadtarchiv entstand aber erst 1929 mit Berufung des aus der preußischen
Archivverwaltung kommenden Georg Wilhelm Sante. In den Jahren zuvor sollte
sich der Historische Verein um das Archiv kümmern. 1885 hatte der Saarbrücker
Bürgermeister Feldmann erstmals den ersten Sekretär des Historischen Vereins für
die Saargegend mit der Sichtung alter städtischen Unterlagen betraut. Diese Zu-
sammenarbeit wurde auch nach der Vereinigung der drei Saarstädte zur Großstadt
Saarbrücken 1909 weiter geführt. Dabei kam es zu einer Vermischung der Bestän-
de mit der Archivaliensammlung des Vereins. Erst Jahrzehnte später wurde dieser
Missstand 1980 vertraglich bereinigt. Nach der Vereinigung zur Großstadt 1909
wurde der damalige Vorsitzende des Historischen Vereins für die Saargegend, Al-
bert Ruppersberg, beauftragt, sich ehrenamtlich um das Archiv zu kümmern. Der
Gymnasialprofessor verstand sich als Historiker und seinerzeit arbeitete er an einer
Denkschrift zur 100-jährigen Zugehörigkeit der Saarbrücker Lande zu Preußen. Er
nutzte seine Möglichkeit, auf die Quellen zugreifen zu können. Städtische Mitar-
beiter suchten nach den von ihm benannten Dokumenten und brachten sie ihm
dann nach Hause29 * 31 32. Ein Archiv bestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal im
Ansatz’0. Die Saarbrücker Verhältnisse waren damals nicht singulär, bis auf
Aachen und Köln lag in den Stadtarchiven der Rheinprovinz vieles im Argen. Alte
Unterlagen befanden sich in den Ämtern, ungesichert und unverzeichnet und öf-
fentlich nicht nutzbar'1. Nach dem Ersten Weltkrieg bezog Ruppersberg ein Büro
im Rathaus, hatte nun selbst Zugang zu den Akten und beschaffte einen Tresor, um
im Rathaus wertvolle historische Dokumente zu verwahren’2.
Die verpassten „fetten Jahre“
Erst 1959 wurde das Stadtarchiv Saarbrücken nach dem Krieg wieder hauptamtlich
besetzt. Bis dahin befand sich das Stadtarchiv in schwierigem Fahrwasser. Man-
gelnder politischer Wille, ein Archiv einzurichten, aber auch personelle Fehlent-
2 Saarbrücker Zeitung vom 20.1.2010.
2S Geschichte der Stadt Saarbrücken, hg. von Rolf Wittenbrock, Saarbrücken 1999.
Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand Großstadt, Nr. 1329, Bl. 1, Notiz vom 24.8.1910. Rup-
persberg an Bg. Paehler vom 5.3.1913, Beschluss der Finanzkommission zur Herausgabe
der Denkschrift vom 13.3.1913.
Ebd., Nr. 1329, Schreiben des Vermessungsamtes vom 19.5., 12.9.1913 und 1.2.1914.
Ebd., Nr. 1622, Anfrage von Ruppersberg vom 28.6.1910 und 14.7.1910 nach Bauakten
zum Rathaus und anderen Bauwerken.
31 Ebd., Nr. 1750, Bericht des Königlichen Staatsarchivs Düsseldorf vom 14.11.1910.
32 Becker, Stadtarchiv Saarbrücken (wie Anm. 26), S. 7-9.
522
Scheidungen prägen die Verhältnisse des Stadtarchivs in der Zeit der politischen
Sondersituation der halbautonomen Saar. Wilhelm Stützer, ehemaliger Bürodirek-
tor von Oberbürgermeister Neikes, wurde im Alter von 71 Jahren ehrenamtlich mit
der Wahrnehmung archivischer Aufgaben betraut”. Stützer war kein gelernter Ar-
chivar und noch nicht einmal Historiker. Mit großem Einsatz nahm er sein Ehren-
amt wahr und ordnete Unterlagen nach Sachbetreffen beziehungsweise Pertinenz-
prinzip neu. Er zerschnitt dabei auch alte fadengeheftete preußische Akten und
brachte mit Kopierstift und Kugelschreiber auf Akten und Urkunden persönliche
Bemerkungen und Kommentare an. Für Dr. Hanns Klein, den ersten hauptamtl-
ichen Leiter des Stadtarchivs nach dem Krieg, bildete dann die Wiederherstellung
der Herkunftsgemeinschaft beziehungsweise des Provienienzprinzips einen Ar-
beitsschwerpunkt, wobei sich vieles nicht mehr zusammenfügen ließ und unwie-
derbringlich verloren war34.
Mit dem promovierten Historiker und Hilfswissenschaftler Hanns Klein wurde
das Stadtarchiv erstmals nach dem Krieg 1959 hauptamtlich wieder besetzt. Und
dennoch sollte die Archivarbeit über fast zwei Jahrzehnte unter völlig unzureichen-
den Voraussetzungen stattfinden. Im Rückblick besonders schmerzlich, handelte es
sich doch um die „fetten Jahre“, in denen der finanzielle Spielraum vergleichs-
weise günstig war, auch wenn man für das Saarland und Saarbrücken auch damals
schon begrenzte finanzielle Möglichkeiten konzedieren muss35.
Die Personal- und Finanzausstattung war bis 1970 absolut unzureichend, um
auch nur ansatzweise Pflichtaufgaben erfüllen zu können. Oberbürgermeister
Schuster war dies von Anfang an bewusst. Er hatte sich im Vorfeld bei anderen
Kommunen nach der dortigen Personal- und Finanzausstattung der Archive per-
sönlich erkundigt. Dabei erfuhr er, dass alle vergleichbaren Stadtarchive finanziell
wesentlich besser ausgestattet waren als die 720 DM an Sachmitteln, die dem Saar-
brücker Archiv 1959 zur Verfügung standen. Bei dieser Summe blieb es im we-
sentlichen bis 1970, obwohl schon 1959 die Stadtarchive in Mannheim über 10.500
DM und in Soest über 10.000 DM verfügten. Selbst die Stadtarchive wesentlich
kleinerer Städte wie Völklingen, Zweibrücken und Kaiserslautern hatten Mitte der
1960er Jahre einen weitaus höheren Etat als das Stadtarchiv der Landeshauptstadt
Saarbrücken36.
Spätestens ab 1964 benannte Klein gegenüber den zuständigen Dezernenten in
sachlicher und prägnanter Form die mangelhafte Sachmittel- und Personalaus-
stattung, dabei lieferte er viele Vergleichszahlen zu anderen Archiven. Die Stadt-
spitze war über die katastrophale Situation informiert, änderte aber nichts an den
schlechten Verhältnissen, die einer Landeshauptstadt als unwürdig bezeichnet wer-
den dürfen. Neben Klein arbeiteten lediglich zwei bis drei angelernte Mitarbeiter
Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand Personalakten, Nr. 18048.
'4 Ebd., Bestand Stadtarchiv, Nr. 302b, Bericht vom 16.1.1961, 31.1.1963. Siehe auch
Vermerke in Nr. 307a.
Marcus Hahn, Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956-1970. Regionale Politik
zwischen Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland und Kohlekrise, Saarbrücken
2003.
36 Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand Stadtarchiv, Nr. 302b/13, Schreiben verschiedener
Kommunalarchive auf eine Anfrage des Oberbürgermeisters der Stadt Saarbrücken in
den Jahren 1959 und 1960.
523
im Stadtarchiv, das damals auch für die Zentralregistratur und die Verwal-
tungsbücherei zuständig war. Angesichts solcher Missstände verwundert auch
nicht die beschämende Raumsituation. Die Archivalien lagerten im Dachgeschoss
des Rathauses, hier waren auch die Büroräume untergebracht. Angesichts der Bau-
verhältnisse war das Archivgut über Jahrzehnte massiven Temperaturschwan-
kungen mit Raumtemperaturen zwischen 10 bis 30 Grad ausgesetzt, auch für den
schwer kriegsbeschädigten Klein alles andere als passende Arbeitsbedingungen.
Ende der 1960er Jahre war zudem kein Platz mehr vorhanden, archivwürdig be-
wertete Unterlagen ins Archiv zu übernehmen. Die Zuweisung der Räume 430 bis
435 im Rathaus und die Beschaffung und Platzierung einer Kompaktanlage in den
Räumen 432 bis 435 ermöglichten, dass 1973 das Stadtarchiv wieder Unterlagen
übernehmen konnte '. Eine sachgerechte Unterbringung war damit immer noch
nicht gegeben, der Druck wuchs, als statische Gutachten belegten, dass das Stadt-
archiv nicht länger im Dachgeschoss des Rathauses untergebracht werden konnte* 38.
Kurzfristige Verbesserungen ohne Nachhaltigkeit
Anfang der 1970er Jahre verbesserte sich die Situation allmählich. Nachdem es
Klein zunächst nicht gelungen war, anlässlich des 60. Jubiläums der Großstadt
Saarbrücken 1969 zusätzliches Personal zu erhalten, erhielt das Stadtarchiv 1976
eine zweite Stelle für den höheren Archivdienst. Sie wurde mit Dr. Fritz Jacoby
(1941-1997) besetzt. 1982, mit dem Ausscheiden von Klein in den Ruhestand,
übernahm Jacoby die Amtsleitung. Durch den Wegfall der Stelle von Klein ver-
schärfte sich aber wieder die Personalsituation. Noch 1978 hatte Klein ein Perso-
nalentwicklungskonzept vorgelegt, wonach in Saarbrücken wie in anderen ver-
gleichbaren Kommunen auch neben der mit A 15 besoldeten Amtsleitung ein wei-
terer Archivar des höheren Dienstes nach Besoldungsgruppe Al 3/A 14 und ein Ar-
chivar des gehobenen Dienstes eingestellt werden sollte. Daraus wurde nichts, die
anfängliche Verbesserung der Situation nach dem Machtwechsel im Saarbrücker
Rathaus blieb eine kurze Episode.
Jacoby, enttäuscht über den Wegfall der Stelle von Klein, hatte im Vorfeld den
Umzug des Stadtarchivs in die alte Feuerwache am Landwehrplatz vorbereitet. Ab
1982 verfugte das Stadtarchiv zwar damit wieder über zusätzliche Raumkapazität,
die klimatischen Verhältnisse blieben ebenso katastrophal wie im Dachgeschoss
des Rathauses. In den 1980er Jahren bekam das kommunale Archivwesen einen
Schub. Einmal durch die Archivgesetze, die viele Kommunen zur Einrichtung von
Archiven veranlassten und durch die Erkenntnis vieler Kommunalpolitiker, dass
Stadtarchive der Kulturarbeit auf breiter Ebene dienen können. Im Saarland und
auch in Saarbrücken blieb dieser Impuls weitgehend aus. Nach dem Tod von Fritz
Jacoby 1997 wurde das Stadtarchiv erst 1999 wieder mit einer ausgebildeten Ar-
chivarin besetzt. Dr. Irmgard Christa Becker, Absolventin der Archivschule Mar-
burg, kämpfte von Anfang an für eine sachgerechte Unterbringung ihres Archivs -
zunächst allerdings ohne Erfolg. Es gelang ihr aber relativ rasch, die Personalaus-
stattung zu verbessern mit der Einrichtung einer Stelle des gehobenen Archivdiens-
tes im Jahr 2003.
Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand Stadtarchiv, Nr. 302b/12, Bericht 21.1.1974.
38 Ebd.
524
Folgen der Vernachlässigung bis heute
Wissen, was drin ist - das bringt eine archivische Kernaufgabe, das Erschließen
von Archivgut, auf den Punkt. Am Ende steht das Findbuch, das zu einem Bestand
die darin enthaltenen Archivalien strukturiert beziehungsweise geordnet darstellt
und inhaltlich beschreibt, so dass die Benutzer die Archivalien ermitteln und zur
Einsichtnahme bestellen können, die für ihr Forschungsinteresse von Bedeutung
sind. Ohne Erschließung kann man ein Archiv nicht nutzen und auch Digitalisie-
rungsprojekte setzen erschlossene Bestände voraus. Je besser der Erschließungszu-
stand, um so effizienter kann das Archivpersonal Anfragen beantworten und der
Benutzer das Archiv nutzen. Aktuell sind über 50 Prozent der Bestände des Stadt-
archivs völlig unerschlossen, dies betrifft fast die gesamte Überlieferung für die
Zeit nach 1945. Die wenigen erschlossenen Bestände gehen fast ausnahmslos auf
das Werk von Fritz Jacoby zurück, der seine Kräfte voll und ganz auf die Erschlie-
ßung der Bestände konzentrierte und seit 1982 die einzige archivische Fachkraft
war. Eine Arbeit im Stillen, die nicht hoch genug geschätzt werden kann, Jacoby
war dabei so bescheiden, dass er entgegen den üblichen Regeln, noch nicht einmal
seine Autorenschaft vermerkte.
Ohne Erschließung können Archive keine Angebote in der Informationsgesell-
schaft machen. Nachdem in der Ära von Irmgard Christa Becker für das Stadtar-
chiv Saarbrücken die Archivsoftware Scope beschafft wurde, wurden die alten, von
Fritz Jacoby auf Schreibmaschine und in Word-Dateien erstellten Findmittel von
ihrer analogen Form in die Archivsoftware Scope übertragen. Diese Retrokonver-
sion bildete im Jahr 2010 einen Arbeitsschwerpunkt und konnte 2011 abgeschlos-
sen werden, so dass nun die Öffentlichkeit online über die Homepage der Landes-
hauptstadt Saarbrücken diese Findmittel nutzen und von zu Hause aus die Ver-
zeichnungseinheiten zur Benutzung im Archiv bestellen kann. Außerdem kann die
Öffentlichkeit Bestände übergreifend mit Suchbegriffen online recherchieren. Man
muss dabei aber sehen, dass ein Großteil des Archivgutes völlig unverzeichnet ist,
weder Abgabelisten, Karteien noch Findbücher vorliegen. Weit über 50 Prozent
des Gesamtbestandes können bei der Recherche nicht überprüft werden. Diese er-
heblichen Erschließungsdefizite erklären sich aus der über Jahrzehnte völlig unzu-
reichenden Personalausstattung des Stadtarchivs. Ärgerlich ist dabei, dass vor al-
lem in den aus heutiger Perspektive fetten Jahren in der Ära von Oberbürgermeis-
ter Schuster das Archiv völlig vernachlässigt wurde.
Die Impulse zur Einrichtung von Archiven kamen vor allem von
außen
Am 1. April 1929 wurde Dr. Georg Wilhelm Sante zum ersten hauptamtlichen Lei-
ter des Saarbrücker Stadtarchivs berufen. Dazu wurde Sante von der preußischen
Archivverwaltung beurlaubt. Seine Berufung erklärt sich aus dem besonderen poli-
tischen Kontext der Völkerbundszeit. Auf der einen Seite, die von französischen
Interessen geleitete Politik der Regierungskommission, die sich etwa in der Ein-
richtung des Staatlichen Konservatoramtes oder der staatlichen Gemäldesammlung
widerspiegelte. Dem stehen Initiativen gegenüber, die deutsche Kultur zu pflegen,
vor allem von der Stadt Saarbrücken getragen und teilweise von Regierungsstellen
des Reiches finanziert. In diesem Kontext entstand 1924 die Stadtbücherei am
Neumarkt mit einer Zweigstelle in Burbach und die städtische Lichtbilderei, gerade
525
sie wurde als wichtiges Volksbiidungsmittel gesehen. Zusammen mit dem 1926
eröffneten Heimatmuseum in der Marktpassage am St. Johanner Markt wirkten
diese kulturellen Einrichtungen für die Stärkung der Verbundenheit des Saargebie-
tes mit dem deutschen Reich, denn die Entfernung des deutschen Grenzschutzes
und die Einsetzung der national gemischten Regierungskommission öffneten fran-
zösischer Invasion Türe und Tor und fordern unermüdlich wachsamen Kampf zum
Schutze deutscher Art und deutscher Kulturwerte, wie es in einem 1927 vom Ver-
kehrsamt der Stadt Saarbrücken herausgegebenen Stadtführer heißt.
Kulturelles Engagement vor allem im Kampf gegen den französischen Einfluss
- diesem Bereich ist auch die Saarforschungsgemeinschaft zuzuordnen. Sie war ei-
ne Gründung des preußischen Kultusministeriums und der Notgemeinschaft der
deutschen Wissenschaft und stand unter der fachlichen Obhut von Professor Her-
mann Aubin vom Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der
Universität Bonn. Die Berufung von Sante ging in erster Linie auf Aubin zurück.
Er verwies auf den Zusammenhang zwischen den ungünstigen wissenschaftlichen
Rahmenbedingungen und der fehlenden Archivlandschaft an der Saar. Aubin kriti-
sierte die fehlende Wissenschaftlichkeit der aus der Saarregion kommenden Ak-
teure. Ziel war für ihn, eine Darstellung der Saarverhältnisse in ihrer Entwicklung
für die Augen der neutralen Welt zu gewinnen und zu beweisen, dass das Land an
der Saar deutsch ist39 40. Und so arbeitete Sante vor allem als Historiker wie auch die
Jahresberichte der Saarforschungsgemeinschaft ab 1929 zeigen: Studien zu den
Reunionen, zur napoleonischen Zeit und zur Saarfrage 1860/1870 sowie zur Ge-
schichte der Grafschaft Nassau Saarbrücken. Seine Ausbildung als Archivar half
ihm dabei, denn in Saarbrücken gab es keine Quellen, um Geschichte wissen-
schaftlich aufzuarbeiten. Der Archivar Sante kannte die zersplitterte Quellenlage
und wusste, welche Archive auszuwerten waren. So recherchierte er intensiv in den
Archiven in Wiesbaden, Koblenz und Berlin. Für den Stadtarchivar Sante ging es
bei seiner Tätigkeit in Saarbrücken nicht um den Aufbau des Saarbrücker Stadtar-
chivs. Er verstand sich als Historiker mit politischem Auftrag und so bekannte er
sich in seinem Tätigkeitsbericht vom 26. Januar 1935 dazu, die erarbeiteten [histo-
rischen] Erkenntnisse für die deutsche Politik nutzbar zu machenM). Seine Nach-
folgerin in Saarbrücken wurde Dr. Klara Trenz-Strickler, die im Unterschied zu
Sante erste Aufbauarbeit zu einem Stadtarchiv Saarbrücken leistete41.
’9 Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Nachlass Sante/Abt. 1150, Nr. 46 und Hans-Christian
Herrmann, Grundzüge zur saarländischen Archivgeschichte. Archive im Kontext feh-
lender Verwaltungstradition und eines sich bildenden historischen Raumes, in: Jahrbuch
für westdeutsche Landesgeschichte 22 (1996), S. 219. Führer durch Saarbrücken, hg.
vom Verkehrsamt der Stadt Saarbrücken, Saarbrücken 1927, S. 10.
40 Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand Großstadt Saarbrücken, Nr. 2073, Tätigkeitsbericht
vom 26.1.1935; Jahresberichte der Saarforschungsgemeinschaft für das Geschäftsjahr
1930-1932.
41 Herrmann, Grundzüge zur saarländischen Archivgeschichte (wie Anm. 39), S. 220-222.
Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand Standarchiv, Nr. 302b/13, Vermerk vom 27.9.1974
über ein Gespräch von Dr. Klein mit Dr. Strickler-Trenz. Danach erfolgte der Einzug des
Archivs in die 4. Etage des Rathauses in der Amtszeit von Frau Trenz; Arbeitsschwer-
punkte waren die Sicherung des Bestandes Bürgerhospital, den sie in der Registratur des
Städtischen Krankenhauses entdeckte, Erfassung von Stadtrechnungen und Protokoll-
büchem, Bürgeranlobungen sowie Schaffung der Lichtbildsammlung, erste Evakuierung
526
Und trotzdem darf Santes archivpolitisches Wirken nicht unerwähnt bleiben:
Wohl auch mit Blick auf seine zukünftige Karriere betonte er gegenüber Politik
und Verwaltung die kulturpolitische Funktion eines Archivs. Vor dem Hintergrund
der montanindustriell geprägten Sozialstruktur sei eine aktive Kulturpolitik zu be-
treiben und dazu müssten das Stadtarchiv Saarbrücken und ein neu zu errichtendes
Reichsarchiv einen wichtigen Beitrag leisten. Deshalb warb er auch für eine Verle-
gung des Elsaß-Lothringen-Instituts von Frankfurt nach Saarbrücken. Nach der
Rückgliederung der Saar zu Hitler-Deutschland zum 1. März 1935 und Santes
Wechsel ans Staatsarchiv Wiesbaden blieb sein Interesse für das Saarland beste-
hen. Im Zuge der Überlegungen zur Neugliederung des Reichsgebietes warb Sante
für ein Reichsarchiv Saar-Pfalz, wobei er allerdings an Mannheim als geeigneten
Standort dachte. Seine Vorstellungen scheiterten wohl aber an Gauleiter Josef Bür-
kel, der sich jegliche Einflussnahme verbat42 43.
Auch nach 1945 waren es Impulse von außen, die den Aufbau von Archiven im
Saarland forderten. So empfahl die Kulturabteilung beim Hohen Kommissariat im
Mai 1949 dem Außenministerium in Paris, bei der Ausarbeitung eines Friedensver-
tragens Sorge für das kulturelle Erbe des Saarlandes zu tragen. Eine Klausel sollte
die deutsche Seite verpflichten, alle Dokumente, die direkt oder indirekt das Terri-
torium der Saar betreffen, der saarländischen Regierung zu übergeben. Die franzö-
sische Seite folgte damit der Erkenntnis, dass die Entwicklung einer eigenen Iden-
tität Quellen braucht; ein Archiv sollte so auch die Unabhängigkeit des Saarlandes
verdeutlichen und die Sondersituation legitimieren42.
Zu Ergebnissen führten diese Empfehlungen allerdings nicht. Die Einrichtung
eines Archivs war schon von der Militärregierung im Februar 1947 angeregt wor-
den. Zunächst geschah aber gar nichts. Nach den Landtagswahlen am 5. Oktober
1947 und der konstituierenden Sitzung des Ministerrates am 20. Dezember 1947
beschloss der Ministerrat am 27. April 1948, innerhalb des von Albert Dorscheid
geleiteten Informationsamtes ein Referat Landesarchiv einzurichten. Dorscheid be-
auftragte zunächst den Studienprofessor Fritz Klevekorn, den Aufbau eines Ar-
chivs zu prüfen. Diese Personalentscheidung wurde wohl auf Druck der Militärre-
gierung revidiert und Dorscheid beauftragte daraufhin Dr. Walter Lauer. Lauer trug
dann die von ihm selbst gewählte Bezeichnung Landesarchivar. Lauer hatte über
die Geschichte der saarländischen Glasindustrie promoviert und war ohne Ar-
chivausbildung. Ein Archiv bestand weder räumlich noch institutionell, und Lauers
Selbstverständnis entsprach auch mehr dem eines Dokumentars zur Saargeschichte
- stark geprägt von den Ideen der Völkerbundszeit, in der etwa das Stadtarchiv
nicht archivwürdige Unterlagen der Stadtverwaltung ermittelte und ins Archiv
überführte, sondern das Stadtarchiv einen Beitrag leisten sollte, die Zugehörigkeit
von Stadt und Region zu Deutschland wissenschaftlich zu untermauern. Wichtige,
des Stadtarchivs nach Marburg. Frau Strickler-Trenz war eine Nichte von Rudolf Trenz,
unter anderem CVP und Bürgermeister von Völklingen; Bestand Personalakten, Nr. V
11.2-6845.
42 Dazu ausführlich: Herrmann, Archive im Kontext fehlender Verwaltungstraditionen
(wie Anm. 39), S. 222-224.
43 Archiv des französischen Außenministeriums (MAE) Paris, Z-Europe, Sous S. Sarre, Bd.
3, Bl. 195-196. Herrmann, Grundzüge zur saarländischen Archivgeschichte (wie Anm.
39), S. 225.
527
das Saarland betreffende Urkunden, die in anderen Archiven lagerten, sollten nach
Lauers Vorstellung fotokopiert werden und Orts- und Pfarrchroniken abgeschrie-
ben und im Archiv deponiert werden. Die Kernaufgabe eines Landesarchivs war
noch nicht einmal in Grundzügen erkennbar, nämlich die Unterlagen der bestehen-
den Landesverwaltung nach bestimmten Zeiträumen zu überprüfen und die histo-
risch aussagekräftigen ins Archiv zu übernehmen. Dies hätte auch eine enge Verbin-
dung zwischen Landesarchivar und Landesregierung vorausgesetzt. Lauer galt aber
als autonomiekritisch, und seine Berufung zeigt umgekehrt auch das nicht vorhan-
dene Interesse der Hoffmann-Regierung, ein Archiv aufzubauen. Auch nach dem
Ende der Hoffmann-Regierung änderte sich an dieser Konstellation nichts.
Es war der gelernte Archivar und Professor für mittelalterliche Geschichte Eu-
gen Meyer, in Püttlingen/Saar aufgewachsen, aber viele Jahrzehnte unter anderem
in Münster und Berlin tätig, der die Misstände erkannte und versuchte entgegen-
zuwirken: Wir werden doch wohl unter allen Umständen daran festhalten müssen,
dass das Staatsarchiv wesentlich eine behördliche Dienststelle des Staates sein
muss, die zunächst einmal ausschließlich staatliches Material übernimmt und si-
cherstellt und deren Aufgabe es ist, dem Staate dieses Material für die Zwecke sei-
ner Politik, seiner Rechtsprechung und seiner Verwaltung zu sichern und bereitzu-
stellen und diesem Material seinen authentischen Charakter zu bewahren44 Mey-
ers Vorstellungen entsprachen Verhältnissen, die seit Jahrzehnten in Europa selbst-
verständlich waren - nur nicht im Saarland. Auch nach dem Ende der halbautono-
men Saar änderte sich auch im neuen Bundesland Saarland nichts an den Verhält-
nissen. Das Landesarchiv, bisher bei der Staatskanzlei angesiedelt, wechselte am 5.
November 1955 in die Zuständigkeit des Ministers für Kultus, Unterricht und
Volksbildung. Möglicherweise veranlassten Überlegungen, archivreifes Schriftgut
von saarländischen Behörden dem Landesarchiv in Koblenz zu übergeben, Eugen
Meyer zu einer mehrseitigen Ausarbeitung, die er am 20. Oktober 1956 vorlegte,
mit dem Titel: „Über die Begründung eines saarländischen Landesarchivs“. Darin
stellt er fest: Es dürße klar sein, dass man auch bei uns, wenn man Wert darauf
legt, den Staatsapparat dauernd in Ordnung zu halten, an die Einrichtung eines
staatlichen Archivs, das bis jetzt noch nicht besteht, herangehen muss, und dass
man nicht etwa daran denken kann, die bei unseren Behörden anfallenden Staats-
akten, so wie das in der preußischen Zeit der Fall war, auch in Zukunft nach Kob-
lenz und Speyer abzugeben44 45.
Es sollte vier Jahre dauern, bis die Visionen von Eugen Meyer Wirklichkeit
wurden und damit etwas in anderen Ländern völlig Selbstverständliches auch im
Saarland eingerichtet wurde: Das bei der Staatskanzlei errichtete Landesarchiv
übernimmt archivreifes Aktengut, ordnet es und stellt es für die Zwecke der Lan-
desverwaltung, der Rechtspflege und der wissenschaftlichen Forschung bereit46 -
mit diesem Erlass beginnt 1961 die Geschichte des heutigen Landesarchivs, dessen
Leitung Hans-Walter Herrmann, der Vater des Autors, noch im selben Jahr über-
nahm.
44 Landesarchiv Saarbrücken, Nachlass Eugen Meyer, Nr. 4, Meyer an Lauer vom 2.8.1954.
Zur Biografie: Hans-Walter Herrmann, Eugen Meyer 1893-1972 - eine biographische
Skizze, in: Saarheimat 17/1973, S. 74-79.
45 Ebd.
46 Amtsblatt des Saarlandes 1961, Nr. 1, S. 1.
528
Auch bei der ersten hauptamtlichen Besetzung des Stadtarchivs Saarbrücken
nach dem Krieg kamen von Eugen Meyer Impulse. Ob auf ihn die Ausschreibung
einer entsprechenden Stelle der Stadt Saarbrücken zurückgeht, bleibt offen. Aus
den Akten nachweisbar ist ein mehrfaches Werben Meyers, die ausgeschriebene
Stelle fachgerecht zu besetzen. Direkt nach der Veröffentlichung der Ausschrei-
bung in der Saarbrücker Zeitung zu Ostern 1958, brachte Meyer seinen Schüler
Klein ins Spiel, der zwar über keine Archivschulausbildung verfügte, wohl aber
über eine profunde hilfswissenschaftliche Bildung in Ergänzung zu seinem Ge-
schichtsstudium. Meyer empfahl auch, Klein solle im Falle einer Berufung Prak-
tika in größeren Archiven ableisten47.
Archive als Mehrwert
Vor dem Hintergrund der Finanzkrise stellt sich die Zukunftsfrage des Saarlandes
immer härter und in diesem Kontext wird auch darüber diskutiert, die Marke Saar-
land zu kreieren. Um sich zu vermarkten, muss man auch seine eigene Geschichte
kennen, nicht nur ein wenig, sondern schon genau. So etwas erfolgt nicht per
Knopfdruck, sondern vollzieht sich in einer gewachsenen Struktur über Jahre hin-
weg. Geschichte als Mehrwert - die freie Wirtschaft hat das schon lange erkannt.
Große Unternehmen sind sich dem bewusst, genannt seien etwa Daimler und
Krupp. Ihnen ist ihr Archiv etwas wert. Aber auch hier hat das Saarland Nach-
holbedarf. Die traditionsreiche Dillinger Hütte, ein Unternehmen mit einer einzig-
artigen 325-jährigen Tradition, hat kürzlich damit begonnen hat, ein Werksarchiv
aufzubauen - noch ist es ein zartes Pflänzlein. Auch das Traditionsunternehmen
Villeroy & Boch unterhält ein Archiv. Im Wirtschaftsbereich gibt es gleichfalls ei-
nen Entwicklungsbedarf, dabei hat die saarländische Archivgeschichte mit einem
Wirtschaftsarchiv begonnen. Am 7. Mai 1906 entstand in Saarbrücken das Süd-
westdeutsche Wirtschaftsarchiv. Initiator war Alexander Tille, Syndikus der Saar-
brücker Handelskammer. Es war das erste Archiv im Saargebiet und damit steht
ein Archivtyp am Anfang der saarländischen Archivgeschichte, der überall sonst in
Deutschland eher am Ende der Archivgeschichte stand und bestehende Archivland-
schaften von Staats- und Stadtarchiven ergänzte. Das Südwestdeutsche Wirt-
schaftsarchiv arbeitete vorrangig als wirtschaftsgeschichtliche Forschungsstelle,
obwohl seine Satzung die Archivierung von Geschäftsberichten und Unter-
nehmensunterlagen ermöglichte. Nach Tilles Tod kam das Archiv zunächst zum
Erliegen, wurde aber in der Völkerbundszeit von Walther Cartellieri mit einer Aus-
richtung auf Dokumentation und Statistik wiederbelebt. Im Zweiten Weltkrieg ging
es dann unter. Seine Existenz unterstreicht die raumbildende Bedeutung der Wirt-
schaft für das Entstehen des heutigen Saarlandes4s.
Ungelöste Herausforderungen
Die Digitalisierung ist mehr als eine technische Innovation, sie steht für eine ge-
sellschaftliche Revolution, die alle Bereiche verändert. Eine Revolution, die auch
unser Verfassungsverständnis betrifft. Die digitale Welt steht in einem Spannungs-
verhältnis zwischen empfundener und tatsächlicher Transparenz. Derzeit wächst in
4 Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand Personalakten, Abi. 1984, Nr. 170.
4K Herrmann, Grundzüge zur saarländischen Archivgeschichte (wie Anm. 39), S. 216.
529
der öffentlichen Diskussion das Bewusstsein für die massiven Transparenzdefizite.
Börsenkurse, die von IT-Systemen und nicht von Menschen gemacht werden und
deren Kontrolle und Struktur wie auch ihre Auftraggeber unbekannt bleiben, sind
ein Beispiel. Nachrichten über verschwundene Gelder in Höhe von 50 Millionen €
bei einer Bank, die mit der IT erklärt werden, zeigen dieses Transparenzdefizit
ebenso wie die Hilflosigkeit gegenüber dem Facebook-Mobbing. Das Internet
scheint Diktaturen ins Wanken zu bringen. Und es stellt sich die Frage nach der
Transparenz des Internet als Meinung machendes Medium, erinnert sei hier auch
an den Verlauf der Affäre Guttenberg im Jahr 2011.
Weil derzeit gerne von der Unvergesslichkeit des Internet gesprochen wird, ist
das Bewusstsein für die ungelöste dauerhafte Lesbarkeit immer noch rudimentär
ausgebildet. Gerade sie trifft die Archive, aber auch die Gesellschaft in ihrem
Kern, wenn sie auch in Zukunft, mit einem historisches Gedächtnis leben möchte.
Digitalisierung verändert auch die Arbeitsweise der Verwaltung. Es sind nicht
nur die E-Mails, die eine sehr flüchtige Kommunikationsform darstellen und häu-
fig nicht zu den Akten genommen werden. Ihre Dimension ist beeindruckend, in
der Nürnberger Stadtverwaltung hat man aktuell pro Jahr drei Millionen E-Mails
gezählt, ln vielen Verwaltungsbereichen begegnen uns so genannte hybride Akten,
das Verwaltungshandeln ist hier auseinandergerissen und liegt ohne direkt erkenn-
bare Verbindung teilweise elektronisch und teilweise in analoger Form vor.
Es gibt eine Vielzahl digitaler Fachanwendungen, die archivwürdige Inhalte
produzieren. Auch in der Saarbrücker Stadtverwaltung ist dies der Fall, bei der
Stadt München hat man über 400 Fachprogramme erfasst. Als weiterer Schritt
werden in den nächsten Jahren im Zuge der Einführung von Dokumentenmanage-
mentsystemen (DMS) große Schritte in Richtung einer papierlosen Verwaltung er-
folgen. Die dauerhafte Lesbarkeit digitaler Unterlagen markiert immer noch eine
technische Herausforderung. Sie steht nicht nur für eine technische Veränderung,
sondern markiert eine Revolution der bestehenden Organisationsstrukturen. So ver-
wundert es auch nicht, dass die Einführung solcher Systeme ressourcenintensiv ist,
bei der Stadt Nürnberg wurde dazu eine Projektgruppe mit über 20 Mitgliedern aus
Organisationsabteilung, IT und Stadtarchiv gebildet. Neben der Einführung und
disziplinierten Umsetzung von Aktenplänen müssen die Archive, um eine zukünf-
tige Archivierung zu ermöglichen, vor der Einführung der Systeme Metadatenkata-
loge erarbeiten. Darüber hinaus muss eine Infrastruktur und ein Prozessablauf für
eine zukünftige Langzeitarchivierung entwickelt werden. Die Herausforderungen,
die hier auf die Verwaltung zukommen, sind enorm. Improvisieren endet im digita-
len Desaster; die Stadt München hat gehandelt und für die Langzeitarchivierung 5
Millionen € an Sach- und Personalkosten bereitgestellt. Die Dimension dieses Pro-
zesses zu einem künftig virtuellen Archiv wird die Methoden, die Organisations-
formen und das Selbstverständnis der Archive nachhaltig verändern und sich auf
ihre Prioritätensetzung auswirken.
530
Fünfzig Jahre Saarländische Bibliographie1
Reinhold W. Weber
1. Erste bibliographische Anfänge
Als erste Regionalbibliographie unseres Landes gilt Anton Haßlachers Literatur-
verzeichnis über das Industriegebiet an der Saar von 18792. Die etwas ungewöhn-
liche Umschreibung für das behandelte Gebiet ist kein Zufall, denn ein Saarland
gab es zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht, das Gebiet gehörte zu Preußen und der
Bayerischen Pfalz und die Verwaltungszentren lagen respektive in Trier und in
Speyer. Das Literaturverzeichnis bezog sich aber auf ein Ballungsgebiet, das sich
im 19. Jahrhundert durch den Aufschwung von Bergbau und Eisen- und Stahlin-
dustrie zu einer eigenständigen Wirtschaftsregion beidseits der Grenze entwickelt
hatte. Als 1919 das Saargebiet geschaffen und vom Deutschen Reich abgetrennt
wurde, deckten sich erstmals Region und Staatsgebiet. Diese raumordnungspoli-
tische Pioniertat fand damals noch keinerlei Anerkennung, denn die Bevölkerung
lehnte dieses auf Druck Frankreichs entstandene Gebilde rundweg ab3.
Die Schaffung des Saargebiets unter Völkerbundsverwaltung hatte tiefgreifende
Wandlungen zur Folge. Saarbrücken wurde jetzt zum Verwaltungszentrum dieses
neugeschaffenen Gebietes. Damit einher ging die Aufgabe, auch kulturelle Funk-
tionen auszufüllen. Dies um so mehr, als Frankreich eine breit angelegte Kultur-
propaganda anbot, die die Saarländer für Frankreich gewinnen sollte. Die Antwort
waren Bemühungen um die Deutscherhaltung des Saarlandes, in deren Folge Geld-
mittel, wenn auch begrenzt, aus dem Reich zur Verfügung standen. Die dafür er-
forderlichen kulturellen Einrichtungen mussten erst geschaffen werden, denn Saar-
brücken besaß weder ein Theater oder Orchester noch eine Volkshochschule oder
Stadtbibliothek. Alle diese Aufgaben lagen in der Hand von Vereinen. Das Indus-
triegebiet an der Saar war vor dem Weltkrieg eine der wirtschaftlich bedeutenden
Regionen im Deutschen Reich, kulturell aber Provinz, weit abgelegen von den
alten Verwaltungszentren. Dies änderte sich nun. Die kulturellen Institutionen wur-
den gegründet, zuletzt 1924 die Stadtbibliothek4. Der politische Konflikt im und
1 Die Abschnitte eins bis drei wurden übernommen, aktualisiert und überarbeitet aus:
Reinhold WEBER, Die Saarländische Bibliographie, in: Die Regionalbibliographie im
Digitalen Zeitalter: Deutschland und seine Nachbarländer, hg. von Ludger Syre und
anderen, Frankfurt am Main 2006, S. 335-347.
2 Anton Hasslacher, Literatur über das Industriegebiet an der Saar, Saarbrücken 1879,
LXV, 176 S. Die zweite Auflage erschien 1910 und ist noch heute für die alte Zeit zu
benutzen.
3 Gerhard Isbary, Regionale Probleme der Raumordnung: eine Untersuchung am Beispiel
des Landkreises Saarbrücken als Mittelpunkt des saarländischen Verdichtungsraumes,
Saarbrücken 1963, S. 2, 97; Wilhelm Dillinger, Bemerkungen zu einer Saarländischen
Bibliographie, in: Saarbrücker Hefte 4 (1956), S. 78; Hans-Walter Herrmann, Das
Saarland. Vom Industrierevier zum Bundesland, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege,
München 1990, S. 88.
4 Ludwig Linsmeyer, Kulturpolitik im Spannungsfeld zwischen Stadt und Verein: Zur
Entwicklung der Stadtbibliothek Saarbrücken und der Bibliothek des „Historischen Ver-
eins für die Saargegend“ in der Zwischenkriegszeit, in: Zeitschrift für die Geschichte der
531
um das Saargebiet ließ es zum Gegenstand zahlreicher Forschungen, in der Regel
von außerhalb, und von Kampfschriften werden. Saarkataloge entstanden und ga-
ben das Material für den Kampf um die Saar ab. Das ist der letzte Sinn der Biblio-
graphien, die von Reismüller über Hofmann zu Walther Koch reichen .
Nach der Volksabstimmung 1935 verlor das Saargebiet seine Eigenständigkeit
und wurde in den Gau Saarpfalz eingegliedert. Für die Verzeichnung des Schrift-
tums bedeutete dies, dass das Saarland in der geplanten laufenden Saarpfälzischen
Bibliographie der Pfälzischen Landesbibliothek in Speyer mitverzeichnet werden
sollte. Diese sollte die Pfälzische Bibliographie von Daniel Häberle ab 1935 fort-
führen, die bis dahin auch den ehemaligen pfälzischen Teil des Saarlandes (heute
Saarpfalz-Kreis) erfasst hatte. 1939 erschien auch der erste Band des Jahrgangs
1936, doch personelle Probleme und der Weltkrieg verhinderten eine Fortführung* 6.
Die zunehmende Lücke in der Verzeichnung des regionalen Schrifttums schloss
teilweise die 1943 erschienene Bibliographie von Rudolf Drumm, die sich aus-
drücklich als Fortschreibung zum Literaturverzeichnis von Haßlacher verstand .
2. Die Saarländische Bibliographie entsteht
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstand das Saarland auf französische
Initiative erneut als politische Einheit. Aus der französischen Besatzungszone her-
ausgenommen besaß es schließlich eine eigene Regierung und Staatsangehörigkeit.
Mit wirtschaftlichen Kooperationsverträgen und Einführung der Franc-Währung
war es eng mit Frankreich verbunden. Die Schwierigkeiten der Saarländer, ein Stu-
dium in Deutschland (wieder)aufzunehmen, führten zur Gründung der Universität
des Saarlandes nach französischem Muster. Im langsam wiederaufflammenden po-
litischen Kampf um die kulturelle Zugehörigkeit des Saarlandes wurde diese Uni-
versität von deutscher Seite als ein Träger der französischen Kulturdurchdringung
betrachtet*. Langfristig erwies sich die Universitätsgründung jedoch als wichtiges
Saargegend 37(1989), S. 105-113.
Dillinger (wie Anm. 3), S. 78. Zur politischen Unterstützung des Deutschtums an der
Saar siehe: Wolfgang Freund, Saarforschung zwischen den Weltkriegen, in: Historische
West- und Ostforschung in Zentraleuropa zwischen dem Ersten und dem Zweiten Welt-
krieg - Verfechtung und Vergleich, hg. von Mattias Middel und anderen, Leipzig 2004,
S. 89-106; Wolfgang Freund, Volk, Reich und Westgrenze: Deutschtumswissenschaften
und Politik in der Pfalz, im Saarland und im annektierten Lothringen (Veröffent-
lichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 39),
Saarbrücken 2006, 551 S.
6 Karsten Ruppert, Die Pfälzische Landesbibliothek vom Ende des Zweiten Weltkrieges
bis zum Übergang an das Land Rheinland-Pfalz (1945-1974), Speyer 1995, S. 87.
Rudolf Drumm, Schrifttum über das Industriegebiet an der Saar und seiner Umgebung
(Pfalz, Nahe, Hunsrück und Lothringen). Anschließend an: Literatur über das Industrie-
gebiet an der Saar. Von A. Haßlacher, in: Pollichia. Mitteilungen des Vereins für Natur-
kunde und Naturschutz in der Westmark 104 (1943), S. 3-73.
s Wolfgang Müller, „Primär französisch gesteuerte und orientierte Einrichtung“ oder
„Wesentliche Stütze des Deutschtums an der Westgrenze“: die Perzeption der Universität
des Saarlandes aus der Bonner Perspektive in den frühen Fünfziger Jahren, in: Grenzen
erkennen - Begrenzungen überwinden, hg. von Wolfgang Haubrichs und anderen,
Sigmaringen 1999, S. 425-441; Heinrich Küppers, Bildungspolitik in Rheinland-Pfalz
und im Saarland nach 1945 im Vergleich, in: Frankreichs Kulturpolitik in Deutschland,
532
Element in der weiteren Aufwertung Saarbrückens zum Kultur- und Verwaltungs-
zentrum der Region. Die neugegründete Universität begann bald, sich mit dem kul-
turellen Erbe des Landes zu beschäftigen. Führend war der Geschichtsprofessor
Eugen Meyer, zeitweise auch Leiter des Kulturministeriums. Um die zersplitterte,
häufig von außerhalb des Saarlandes betriebene landeskundliche Forschung zu för-
dern und zu unterstützen, schlug er der Regierung 1951 die Gründung der Kom-
mission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung vor, zu deren
ersten Vorsitzenden er ernannt wurde* 6 * * 9. In einer Rundfunkrede, in der er die Aufga-
ben der Kommission umriss, forderte Professor Meyer die Schaffung einer landes-
kundlichen Bibliographie nach dem Vorbild von Haßlacher und Häberle10. Auf der
Mitgliederversammlung der Kommission am 5.3.1952 referierte Dr. Dillingen11,
Leiter des Staatlichen Büchereiamtes, über die Schaffung einer Saarländischen
Bibliographie, die das bekannte Schrifttum zu allen Lebensbereichen über das
Saarland in seinen derzeitigen Grenzen umfassen sollte12.Wenig später betraute ihn
die Kommission offiziell mit dieser Aufgabe. Die Stadtbibliothek Saarbrücken mit
ihrer Landeskundlichen Abteilung wurde um Unterstützung gebeten, die sie auch
zusagte13. In den folgenden Jahren berichtet Dr. Dillinger regelmäßig über Fort-
schritte an der Bibliographie. Seine wiederholten Forderungen nach einem Pflicht-
exemplargesetz und der Sammlung des saarländischen Schrifttums durch eine ent-
sprechend etatisierte Bibliothek lassen die bereits vorhandenen Schwierigkeiten er-
kennen14 15. Zunächst ist er noch optimistisch. Auf eine Frage Professor Meyers im
November 1955 nach der Möglichkeit einer laufenden Verzeichnung des saarlän-
dischen Schrifttums in den Saarbrücker Heften antwortete er: Ein derartiger Bei-
trag kann für die Jahre 1953 und 1954 sofort erstellt werden \ Danach wird es
still um die Bibliographie. An der Mitgliederversammlung 1956 kann Dr. Dillinger
nicht teilnehmen und sagt zu, im nächsten Jahr über die Fortschritte zu berichten16.
Im selben Jahr veröffentlicht er noch einen Aufsatz unter dem Titel „Bemerkungen
1945-1950, hg. von Franz Knippinü und anderen, Tübingen 1987, S. 174f.
6 Als langjähriges Mitglied der Kommissionen für Westfalen und Brandenburg verfügte er
über dementsprechende Erfahrungen. Hans-Walter Herrmann, Eugen Meyer: 1893-
1972, in: Saarheimat 17 (1973), S. 77. Zur Geschichte der Kommission: Kurt-Ulrich
Jäschke, Die Gründungszeit der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung, in: Forschungsaufgabe Industriekultur: Die Saarregion im Vergleich,
hg. von Hans-Walter Herrmann, Saarbrücken 2004, S. 23-56.
10 Forcierung der Saarländischen Geschichtsforschung, in: Saarbrücker Zeitung, 2.7.1951,
[S. 4], die entsprechende Passage ist abgedruckt in: Lorenz Drehmann, Initiativen und
Aktivitäten zur Erschließung des Saarländischen Schrifttumes, in: 25 Jahre Kommission
für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 1952-1977: Gründung, Aufbau,
Tätigkeit, Saarbrücken 1977, S. 34.
11 Rosemarie Keuth, Wilhelm Dillinger: 1911-1986, in: Buch und Bibliothek 38 (1986), S.
759-760.
12 Universitätsarchiv, Mitgliederversammlung der Kommission vom 5.3.1952, Jäschke
(wie Anm. 9), S. 48f.
13 Bei der Gelegenheit stellte sich heraus, dass die Stadtbücherei sich mit einem ähnlichen
Projekt getragen hatte, es aber aus Personalmangel nicht in Angriff genommen hatte.
Drehmann, Initiativen (wie Anm. 10), S. 34, Schreiben der Stadtbibliothek.
14 Mitgliederversammlung der Kommission am 5.11.1954, S. 2 und am 18.11.1955, S. 5.
15 Mitgliederversammlung der Kommission vom 18.11.1955, S. 7.
16 Mitgliederversammlung der Kommission am 26./27.10.1956.
533
zu einer Saarländischen Bibliographie“17 18 19. Darin wird die vergangene Verzeichnung
beschrieben und das Projekt einer künftigen Saarländischen Bibliographie erläu-
tert, ohne aber Hinweise auf eigene Arbeiten oder eine Bestandsaufnahme dersel-
ben zu geben. Im folgenden Jahr berichtet Professor Meyer auf der Mitgliederver-
sammlung der Kommission zum Punkt Bibliographie: Infolge Arbeitsüberlastung
des Bearbeiters der Bibliographie sind im vergangenen Jahr keine Fortschritte zu
verzeichnen. Man muß hier überlegen, ob nicht neue Wege beschritten werden
sollten. Die Bibliographie ist derart wichtig, daß sie nicht halbvollendet liegen
bleiben kann*. In der Folgezeit knüpfte Professor Meyer erste positive Kontakte
mit Bibliothekaren der Universitätsbibliothek, die aber noch zu keinem Ergebnis
führten. Dr. Hör wurde bereits 1957 pensioniert, und Dr. Vesper erkrankte1'1.
Wirklich Bewegung kam in die Angelegenheit erst durch die Pfälzische
Landesbibliothek in Speyer. Diese hatte 1952 die bibliographische Verzeichnung
der Pfalz mit zwei Projekten wiederaufgenommen:
1. Eine laufende Pfälzische Bibliographie ab Berichtsjahr 1951, die auch das noch
abgetrennte Saarland, dessen politisches Schicksal noch ungewiss erschien,
mitverzeichnete.
2. Eine retrospektive Bibliographie 1927-1950, die an die Pfälzische Bibliogra-
phie von Daniel Häberle anschließen sollte20.
Zwei Entwicklungen bewogen die Pfälzische Landesbibliothek zu handeln: Da
waren einmal Personalknappheit, Finanzprobleme und die enorme Arbeitstulle, die
besonders die Arbeit an der retrospektiven Bibliographie behinderten. Zudem hatte
sich die politische Lage definitiv geklärt: Das Saarland wurde nach der Volksab-
stimmung 1955 nach Deutschland zurückgegliedert und blieb als eigenes Bundes-
land erhalten21. Dies ließ die Landesbibliothek in Speyer die Absprache mit dem
Saarland suchen, dessen Bemühungen um eine eigene Regionalbibliographie nicht
unbemerkt geblieben waren. So fragte der Direktor, Herr Sauter, in zwei Briefen
im Dezember 1959 bei Professor Meyer an, ob und wann das Saarland mit einer
laufenden Bibliographie beginnen werde22 23. Professor Meyer antwortete darauf am
12. Januar 1960 in einem langen Schreiben und führte unter anderem aus: Ich weiss
zwar, dass Herr Dillinger, wie er sagt, viele tausende von Zetteln da liegen hat,
aber ich selbst habe diese Zettel noch nicht gesehen und Herr Dillinger ist ja, wie
Sie wissen, in der letzten Generalversammlung, wo er darüber referieren sollte,
nicht erschienen. So bin ich etwas mißtrauisch geworden, und ich glaube, dass es
dringend notwendig wäre, die ganze Frage einmal von Grund aus aufzugreifen und
sie hier miteinander zu besprechen. Es wird wohl nötig sein, dass wir hier, falls
überhaupt von uns etwas für diese retrospektive Bibliographie geschehen soll,
einen Herrn von der Universitätsbibliothek damit beauftragen'1,. Der Vorschlag
' Dillinger (wie Anm. 3), S. 76-80.
18 Mitgliederversammlung der Kommission am 26./27.7.1957, S. 9.
19 Drehmann, Initiativen (wie Anm. 10), S. 35, Schreiben von Prof. Meyer an Herrn Sauter
vom 12.1.1960, S. 2.
2(1 Daniel Häberle, Pfälzische Bibliographie, Bd. [ 1 ]-6, 1908-1928.
21 Ruppert (wie Anm. 6), S. 89.
22 Schreiben vom 21. und 28.12.1959.
23 Schreiben Prof. Meyer an Herrn Sauter vom 12.1.1960, S. 2.
534
Professor Meyers zu einer Zusammenkunft in Saarbrücken fand Sauters volle Zu-
stimmung. ln seinem Antwortschreiben vom 18. Januar gab er lediglich zu beden-
ken, ob eine Universitätsbibliothek die geeignete Institution für die Bearbeitung
einer Regionalbibliographie sei und brachte die Stadtbibliothek mit ihrer Landes-
kundlichen Abteilung ins Gespräch24. Eine Antwort auf diesen Einwand ist nicht
überliefert. Bei dem Treffen zwischen Sauter und Professor Meyer wurde nach
Darlegung der Sachlage und der Standpunkte am 29. März nur noch mit der Uni-
versitätsbibliothek verhandelt, die dem Projekt von Anfang an positiv gegenüber
gestanden hatte. Erwartungsgemäß erklärte sich ihr Direktor, Dr. Cordes, gerne
bereit, dafür geeignete Mitarbeiter zu Verfügung zu stellen25.
In den darauf folgenden Fachgesprächen wurden zuerst die laufende und retro-
spektive Bibliographie getrennt. Professor Meyer hatte eine laufende Bibliographie
bereits 1955 angeregt und die Landesbibliothek in Speyer hatte diesen Schritt
längst mit Erfolg vollzogen. Die Menge der jährlich immer zahlreicher erscheinen-
den Publikationen legte solch einen Schritt nahe. Zudem war die erforderliche Ab-
stimmung bei der laufenden Bibliographie einfach, es brauchte nur das Übergabe-
datum vereinbart werden, an dem die Universitätsbibliothek mit der neuen Saarlän-
dischen Bibliographie beginnen konnte.
Bei der retrospektiven Bibliographie war die Sachlage komplizierter. Aus „Pres-
tigegründen“26 hätte die Kommission die retrospektive Bibliographie gerne selber
herausgegeben. Mit dem Material von Dr. Dillinger, das die Kommission 1961
käuflich erwarb, war bereits ein Grundstock vorhanden, der noch ergänzt werden
konnte: Die Kommission verhandelte mit Professor Corsten in Köln, der den Band
4: Geschichte seiner Rheinischen Bibliographie vorbereitete, über den Ankauf der
saarländischen Titelaufnahmen und bemühte sich zur gleichen Zeit ebenfalls um
deren Erwerbung aus der Bibliographie der Landesbibliothek in Speyer. Bibliothe-
kare der Universitätsbibliothek, so die Planung der Kommission, könnten in weni-
gen Jahren das Titelmaterial aufarbeiten und ergänzen27.
Für eine neue Wendung sorgte die Nachricht, der erste Teilband von Professor
Corsten stehe kurz vor dem Druck und könne noch 1963 erscheinen. Dies stellte
den Sinn einer eigenen retrospektiven Bibliographie in Frage, zudem auch bei den
Verhandlungen mit der Landesbibliothek in Speyer die Pfälzische Akademie zur
Förderung der Wissenschaften die Auffassung vertrat, eine Herausnahme des
saarländischen Materials würde allein Mehrarbeit verursachen. Diese Auffassung
hat sich in der Folge durchgesetzt. Die Kommission einigte sich mit der Landes-
bibliothek in Speyer darauf, dass die saarländischen Titel in der retrospektiven
Pfälzischen Bibliographie verbleiben sollten, und sie beteiligte sich finanziell an
deren Veröffentlichung. Als weiteren Beitrag stellte sie das von Dr. Dillinger ge-
sammelte Titelmaterial zur Verfügung.
Nach der so gefundenen Lösung wäre das Saarland von den beiden auswärtigen
Bibliographien einigermaßen vollständig verzeichnet worden. Doch es kam anders.
Professor Corsten verstarb, fand keinen Nachfolger und sein Band 4: Geschichte
24 Schreiben vom 18.1.1960 an Prof. Meyer.
2" Aktenvermerk der Kommission vom 29. März 1960.
26 So die Geschichte der Pfälzischen Landesbibliothek! Ruppert (wie Anm. 6), S. 89.
2 Drehmann, Initiativen (wie Anm. 10), S. 37-39; Universitätsarchiv, Ordner Kom-
mission.
535
ist letztlich nie erschienen. Auch die Bibliographie der Pfalz und des Saarlandes
1927-1950 hatte in der Folgezeit mit großen finanziellen und personellen Schwie-
rigkeiten sowie wachsendem Titelmaterial zu kämpfen. Der Ortsteil erschien erst
1977 im Druck28 29. Der angekündigte Hauptband wurde schließlich als Datenbank
realisiert und frei im Internet angeboten. 2007 wurde sie in die Rheinland-
Pfälzische Bibliographie eingelesen und die Titel der Pfälzischen Bibliographie
von 1951-1990 wurden elektronisch nacherfasst. Somit verzeichnet die Rheinland-
Pfälzische Bibliographie für den Berichtszeitraum 1927-1954 gegenwärtig 4.939
Titel, die das Saarland betreffen
3. Die Druckausgaben 1961-1990
Die Saarländische Bibliographie, deren Bearbeitung die Universitätsbibliothek nun
begann, war als laufende Bibliographie ab Berichtsjahr 1961 konzipiert, wo sie an
die Pfälzische Bibliographie anschloss, die mit Jahrgang 1961 die Verzeichnung
des Saarlandes einstellte. Die neue Regionalbibliographie umfasste alle Fachge-
biete und Lebensbereiche, aus denen sie die landeskundliche Literatur dokumen-
tierte. ln Bezug auf die schöne Literatur werden auch diejenigen Werke saarlän-
discher Schriftsteller verzeichnet, die keinen regionalen Bezug haben. Mit diesem
thematisch umfassenden Ansatz wird die landeskundliche Literatur in ihrer ganzen
Breite verzeichnet. Trotzdem versteht sich die Saarländische Bibliographie als
Auswahlbibliographie und das Problem der Abgrenzung von unerheblichem
Kleinschrifttum dauert bis in unsere Tage an30. Die Anlage folgte dem klassischen
Schema für Regionalbibliographien: Systematischer Teil, Ortsteil und Biographien,
gefolgt von einem Verfasserregister und einer Zeitschriftenliste. Zum Gelingen des
Unternehmens trugen drei Faktoren maßgeblich bei:
1. Das Personal: Die neue Bibliographie verfügte von Anfang an über Fachkräfte,
die die Bearbeitung als einen Teil ihrer Dienstgeschäfte erledigten. Das war
zum einen der Bearbeiter, ein Bibliothekar des höheren Dienstes31, dem die
Systematisierung des Titelmaterials oblag, und ein Diplom-Bibliothekar des
gehobenen Dienstes32, der in der Pflicht- und Geschenkstelle die Erwerbung
des Schrifttums überwachte und die Titelaufnahmen anfertigte. Damit war die
Basis für eine kontinuierliche Arbeit gelegt.
2. Sammlung und Archivierung: Die Universitätsbibliothek begann ab 1960,
sobald sich die Übernahme dieser Aufgabe abzeichnete, mit der systematischen
Sammlung des landeskundlichen Schrifttums. Die Arbeit lag am Anfang vor
allem bei der Tausch- und Geschenkabteilung, die Vereine, Gemeinden und
Ruppert (wie Anm. 6), S. 90-92; Bibliographie der Pfalz und des Saarlandes 1927-1950.
Bd. 2: Ortsgeschichtliche Literatur, hg. von Rolf Bohlender, Speyer 1977.
29 Mitteilung 28.7.2011 von Herrn Jendral, Rheinland-Pfälzische Bibliographie. Die Saar-
ländische Bibliographie enthält für diesen Zeitraum 2.855 Titel, das sind knapp 58% des
Bestandes der beiden Pfälzischen Bibliographien.
30 Drehmann, Initiativen (wie Anm. 10), S. 4!f.
Bearbeiter des höheren Dienstes war von 1961 bis 1976 Dr. Lorenz Drehmann, von 1977
bis 1995 Rudolf Lais, ab 1996 Dr. Reinhold W. Weber.
32 Bearbeiter des gehobenen Dienstes war 1961/62 Heinz Kalker, von 1962 bis 1991 Ursel
Perl, ab 1991 Angelika Kußler.
Verfasser um die Überlassung eines Belegexemplars zu bitten hatte. Diese
Sammeltätigkeit lieferte den Bearbeitern kontinuierlich die für die
Bibliographie benötigten Titel.
3. Begrenzung: Die Zahl der Titel war mit ca. 2000 pro Jahr begrenzt und konnte
unter den bestehenden Arbeitsbedingungen bearbeitet werden. Die Bibliogra-
phie erschien so in Zweijahresbänden mit ca. eineinhalb Jahren Verzug, für
eine Fachbibliographie in konventioneller Bearbeitung eine gute Zeit’3.
Vergleicht man diese Arbeitsbedingungen mit denen von Dr. Dillinger, der die
Arbeit teils in der Dienstzeit, teils privat erledigte, so wird deutlich, dass die Auf-
gabe, der er sich unterzog, vielleicht einfach zu groß war im Verhältnis zu den Mit-
teln, die ihm zur Verfügung standen. Die entsprechende retrospektive Pfälzische
Bibliographie 1927-1950 hatte mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen. Lan-
desbibliothekarische Aufgaben lassen sich offenbar nicht so ohne weiteres
improvisieren, vor allem wenn sie eine kritische Größe erreichen, wie dies bei den
beiden retrospektiven Bibliographien der Fall war. Außerdem gab es damals noch
keine Datenbanken, die ein titelweises Bearbeiten und Korrigieren bei anschlie-
ßend sofortiger Benutzbarkeit erlaubten.
Die Aufgabe, die die Universitätsbibliothek mit der Bearbeitung der Saarlän-
dischen Bibliographie auf sich nahm, war durch kein Gesetz zugewiesen. Weder
Sachmittel noch Personal wurden dafür zusätzlich gewährt. Dennoch war die Über-
nahme sinnvoll, denn die Universitätsbibliothek war die einzige leistungsfähige
wissenschaftliche Bibliothek im Land, und die Einrichtung einer eigenen Landes-
bibliothek wäre zu kostspielig gewesen’4. Im Laufe der Zeit verbesserten sich die
Arbeitsbedingungen. Mussten zu Beginn die einschlägigen Publikationen erbeten
oder gekauft werden, so erleichterte die Anbietungspflicht, die im Saarländischen
Pressegesetz vom 12.5.1965 eingeführt wurde, die Sammlung des Schrifttums
erheblich0. Aber erst das geänderte Universitätsgesetz von 1994 definierte die
regionalen Aufgaben der Bibliothek und brachte dies auch nach außen in einer
Namensänderung in Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek zum Aus-
druck'6. Eine Rechtsverordnung vom 2.4.1996 präzisierte diese landesbibliothe-
karischen Aufgaben im einzelnen: Sammlung und Archivierung sowohl der im
Saarland als auch über das Saarland erscheinenden Publikationen. Letztere sind in
der Saarländischen Bibliographie zu verzeichnen’7. Zum ersten Mal auch erhielt * * * * 34 35 36
” Saarländische Bibliographie/Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek, Kommis-
sion für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung. Saarbrücken 1964-2003.
Erscheinungsverlauf: 1.1961/62 (1964) - 15.1989/90 (1992); 16.1991/95 (2002) -
17.1996/2000(2003).
34 Lorenz Drehmann, Die Universitätsbibliothek Saarbrücken und ihre Aufgaben als Lan-
desbibliothek, in: Saarheimat 15 (1971), S. 32.
35 Allerdings bildet ein modernes Pflichtexemplargesetz, wie es in den übrigen Bundeslän-
dern besteht, für das Saarland bis heute ein Desiderat. Drehmann, Initiativen (wie Anm.
10), S. 39f; Rudolf Lais, Die Saarländische Bibliographie, in: Saarheimat 30 (1986), S.
59. Die Ablieferung der Amtsdrucksachen wurde durch einen Erlass der Landesregierung
vom 19.12.1967 geregelt.
36 Gesetz Nr. 1337 zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften (Hochschulrechtsände-
rungsgesetz), in: Amtsblatt des Saarlandes 1994, S. 893, § 47.
’ Verordnung über die Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek, in: Amtsblatt des
Saarlandes 1996, S. 355, § 4.
537
die Bibliothek in bescheidenem Umfang Sachmittel zur Durchführung dieser nun
gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben zugewiesen. Mit der Kommission wurde in
der Folgezeit vereinbart, der Bibliothek auch die Herausgabe und den Vertrieb der
Saarländischen Bibliographie zu übertragen.
4. Die Datenbanken: von SABINE zum Südwestverbund
4.1 Entstehung
Einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte der Saarländischen Bibliographie bil-
dete die 1993 gefasste Entscheidung, die Erfassung der Titel mit EDV in einer Da-
tenbank vorzunehmen. Für diese Umstellung gab es mehrere gute Gründe: Die
Universitätsbibliothek katalogisierte ihre Bücher seit 1977 mit EDV und es bot
sich an, diese bereits erbrachten Leistungen zu übernehmen. Mit dem in Ent-
wicklung befindlichen Bibliothekssystem SABINE (Saarbrücker Bibliotheks-Netz)
war jetzt auch ein Programm vorhanden, die Bibliographie in dem neuen Biblio-
theksverbundkatalog der Universität zu fuhren. Die Vorteile einer Datenbank als
Erfassungs- wie als Ausgabemedium lagen zudem klar auf der Hand: deutlich ver-
besserte Suchmöglichkeiten, schnelles Zurverfügungstellen und Kumulieren der er-
fassten Titel sowie ein Angebot im Internet.
Die Weiterentwicklung der Datenbank ging leider nur zögerlich voran. SABINE
musste erst noch zu Ende programmiert werden und die Belange der Bibliotheken
auf dem Campus genossen Priorität. Mangels eigener Datenbank konnten die Titel
der Bibliographie nur offline auf Disketten erfasst und systematisiert werden. Die-
ser Zustand dauerte bis weit in das Jahr 1996 an. Selbst die Bearbeiter konnten die
erfassten Titel nicht recherchieren und keinerlei bibliographische Auskünfte über
Titel ab 1991 geben.
Konkrete Vorarbeiten begannen im Frühjahr 1996 mit der Einrichtung der
Normdatei für die Sacherschließung. Im November 1996 stand schließlich die erste
Vorabversion der Datenbank mit 9.000 Titeln zur Verfügung, die sofort zur
Benutzung im Internet freigegeben wurde. Sie enthielt vorerst ausschließlich Auf-
sätze, und es konnten darin noch keine neuen Titel eingelesen oder korrigiert wer-
den. Die voll funktionsfähige, endgültige Version der Datenbank wurde mit 24.000
Titeln nach intensiver Entwicklungsarbeit im Juli 1997 in Betrieb genommen.
Online-Katalogisierung und Korrekturen waren darin jetzt möglich. Die Zeit der
Provisorien war zu Ende und die Bearbeiter waren in den folgenden Jahren vollauf
damit beschäftigt, die noch fehlenden Titel einzulesen und die zahlreichen
Korrekturen abzuarbeiten38.
4.2 Die letzten Druckausgaben
Von der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung hat-
te die Universitätsbibliothek 1994 die Herausgabe und den Vertrieb der Saarlän-
dischen Bibliographie übernommen. Da sich im Laufe der Zeit die Anfragen der
Abonnenten mehrten, wann denn der nächste Zweijahresband der Bibliographie *
* Eine detailliertere Beschreibung dieser Übergangszeit findet sich in: Reinhold W.
Weber, Die Saarländische Bibliographie, in: 50 Jahre Universitätsbibliothek des Saarlan-
des, hg. von Christine Hohnschopp und anderen, St. Ingbert 2000, S. 139-141.
538
erscheinen werde, wurde 1998 beschlossen, die Herstellung einer weiteren Druck-
ausgabe in Angriff zu nehmen, um die Lücke zu den bisherigen Bänden ab 1990 zu
schließen. Die Erstellung erfolgte in drei Schritten:
1. Ein Ausgabeprogramm musste geschrieben werden. Es reichte nicht, die Titel in
der Datenbank zu haben und sie darin recherchieren zu können: Die Ausgabe in
einer Datei, nach Systematik und Ortsteil geordnet und mit gliedernden Schlag-
wörtern unterteilt, durch ein Verfasser-, Stichwort- und Schlagwortregister er-
schlossen und im Katalogkartenformat nach RAK richtig präsentiert, stellte eine
eigene Herausforderung dar. Dr. Wolfgang Kowalk war freundlicherweise be-
reit, dieses Programm zu schreiben. Allerdings gestaltete sich das Erstellen und
Austesten schwieriger und langwieriger als erwartet.
2. Die Korrekturen des Titelmaterials aus der Datenbank für die erste Druckaus-
gabe waren auf Grund der Vorgeschichte besonders umfangreich und lang-
• • 39
wierig .
3. Der Satz wurde vollständig im Haus mit LaTeX realisiert. Der Druck erfolgte
im Elektrodruck in kleiner Auflage39 40 und den Vertrieb übernahm die Bibliothek.
Als Berichtszeit wurde die Fünfjahresperiode von 1991-1995 gewählt. Die
Erstellung von Zweijahresausgaben bei einem solchen Rückstand bringt für den
Benutzer keinerlei zusätzlichen Gewinn und der Zeitraum fiel zudem mit dem
Bearbeitungszeitraum des früheren Bearbeiters, Rudolf Lais, zusammen. Eine
Projektstelle für zwei Jahre ermöglichte es, die Rückstände und Korrekturen
abzuarbeiten und das Ausgabeprogramm auszutesten. 2002 erschien dann der Band
16 (1996-2000) und ein dreiviertel Jahr später, 2003, der Band 17 (1996-2000),
denn die Projektstelle war um fünf Monate verlängert worden41.
4.3 Der Übergang zum Südwestverbund
Die Entscheidung, die Saarländische Bibliographie im Bibliothekssystem SABINE
zu realisieren, band das Schicksal der Bibliographie an die Entwicklung der Kata-
logisierung der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek. Im Herbst
1996 entschloss sich die Universität, SABINE nicht mehr weiterzuentwickeln und
dafür ein neues Bibliothekssystem zu erwerben. Für die Bibliographie war dies
eher ein Glücksfall, denn das Entwicklungsteam hatte nun etwas Zeit, die Biblio-
graphie als Datenbank einzurichten. Als im Juli 1997 die Entwicklungen und
39 Die technische Erstellung vom Abzug aus der Datenbank bis zum fertigen Satz ist da-
gegen nur eine Frage von wenigen Stunden.
40 Bei diesem Verfahren kann jederzeit preiswert in kleinen Mengen nachgedruckt werden,
das spart Lagerbestände. Die Preise von EUR 35,- bzw. 45.- lagen im Bereich der Her-
stellungskosten: Das Ziel war, die Bände für die Abnehmer, im wesentlichen Bibliothe-
ken, erschwinglich zu halten und so die Verbreitung zu fördern. Das Kalkül ging auf, die
Auflage von Band 16 (1991-1995) war bald vergriffen und wurde in kleiner Zahl nachge-
druckt. Damit ist auch das eingesetzte Geld wieder zurückgeflossen, das heißt die Druck-
ausgabe war kein Zuschussunternehmen.
41 Eine ausführlichere Beschreibung der letzten Druckausgaben findet sich in: Reinhold W.
WEBER, Die Saarländische Bibliographie, in: Die Regionalbibliographie im Digitalen
Zeitalter: Deutschland und seine Nachbarländer, hg. von Ludger Syre und anderen,
Frankfurt am Main 2006, S. 335-347.
539
Fehlerbeseitigungen an SABINE endgültig eingestellt wurden, war die Saarlän-
dische Bibliographie als Datenbank gerade fertiggestellt; letzte Fehler wurden nie
beseitigt. Trotzdem war die Datenbank für die kommenden zehn Jahre eine solide
und verlässliche Arbeitsgrundlage für die Bearbeiter.
Zunächst diente SABINE sowohl als Erfassungsinstrument und als OPAC
(Online Public Access Catalogue) der Saarländischen Bibliographie. Als die Saar-
ländische Universitäts- und Landesbibliothek 1998 ihre Bestände in den Südwest-
verbund überführte, blieb die Bibliographie als einzige Anwendung in SABINE
zurück. Die Titel wurden in SABINE erfasst und dann mit Sacherschließung ver-
sehen. Für die Benutzung kam der BRS-Web-OPAC zum Einsatz, den auch die
Bibliothek von 1998 bis 2003 verwendete. Seine Benutzungsoberfläche war klar
und ansprechend gegliedert, aber seine Such- und Ausgabefunktionen befriedigten
nicht immer.
Ein Wechsel dieser Arbeitsumgebungen wurde letztlich durch Altersschwäche
von SABINE erzwungen; Es wurde zunehmend schwierig, die Laufzeitumgebung
der Datenbank, die nicht mehr gepflegt wurde, an das sich weiterentwickelnde Be-
triebssystem anzupassen und die Hardware von Anfang der neunziger Jahre wurde
emeuerungsbedürftig. Eine Ablösung war notwendig, sollte das System nicht
irgendwann plötzlich ausfallen.
Die Wahl für die Bearbeitung der Saarländischen Bibliographie fiel auf den
Südwestverbund, wo sich auch bereits die Bestände der Bibliothek befanden. Die
Problematik war die gleiche wie bei der Wahl von SABINE, nämlich eine Bib-
liographie in einem Bibliotheksverbundkatalog zu führen, der zunächst einmal als
„Zentralkatalog4' den Standort von Büchern nachweist. Doch die Vorteile über-
wogen: Der Verbund verfügte über eine mehr als gleichwertige Erfassungsum-
gebung mit Normdateien und bot Garantien der technischen und institutionellen
Sicherheit. Der Betrieb der Saarländischen Bibliographie würde nicht mehr von
einer lokalen EDV-Abteilung oder Sparzwängen des Haushalts abhängen.
Die Vorarbeiten für das Überführen der Daten begannen 2004. Zuerst musste
die Stellung und Anlage der Saarländischen Bibliographie im Verbundkatalog defi-
niert werden. Sie erhielt den Status einer Bibliothek und im Lokalteil der Titelauf-
nahme wurden ihre Sacherschließung und weitere lokale Elemente untergebracht.
Ein Verzeichnen der Sacherschließung im Haupttitelsatz schied aus, da dort für die
eigene Systematik und die Form- und Sachaspekte keine Kategorien vorgesehen
waren. Zudem waren die Schlagwörter der Bibliographie nicht RSWK (Regeln für
den Schlagwortkatalog)-konform. Ein Umarbeiten des Bestandes erschien ange-
sichts der einzulesenden 57.000 Titel nicht machbar.
Zum Einlesen musste aus den Titelaufnahmen der Saarländischen Bibliographie
eine spezifische Einlesedatei erzeugt werden, für die Dr. Kowalk erneut das
Programm schrieb und das die Abteilung Saarländische Bibliographie austestete.
Das Einlesen der Daten erfolgte dann im Sommer 2005 und verlief ohne größere
Zwischenfalle. Die Korrekturen von Dubletten- und Fehlermeldungen hielten sich
im erwarteten Umfang und wurden in der Folgezeit zügig abgearbeitet.
Für die Benutzung wurde im Rahmen einer Projektstelle ein OPAC auf Basis
von MySQL entwickelt. Nachdem er fertiggestellt war, fehlten in der Saarlän-
dischen Universitäts- und Landesbibliothek die Kapazitäten, diesen OPAC in Be-
trieb zu nehmen und zu betreiben. Als Ergebnis blieb, dass die Saarländische Bib-
liographie auch den OPAC des Südwestverbundes nutzen musste. Was zunächst
540
als Abschiebung gedeutet werden konnte, erwies sich als Glücksfall: Der OPAC
des Verbundes ließ sich in hohem Umfang auf die Bedürfnisse der Saarländischen
Bibliographie anpassen und konfigurieren. Bei einzelnen Problemen (zum Beispiel
Form- und Zeitaspekt) programmierte der Verbund entsprechende Zusatzfunk-
tionen. Zwar musste sich die Saarländische Bibliographie an bestimmte Verbund-
konventionen anpassen, profitierte aber im Gegenzug von der hohen Leistungs-
fähigkeit des Verbund-OPACs und allen seinen laufenden Weiterentwicklungen42.
Mit der Inbetriebnahme dieses OPACs am 15. November 2006 war der Übergang
der Saarländischen Bibliographie in den Südwestverbund abgeschlossen und die
heutige Arbeitsumgebung erreicht.
5. Die Saarländische Bibliographie heute
5.1 Aufgaben und Inhalt
Die Saarländische Bibliographie versteht sich als landeskundlich orientierte Aus-
wahlbibliographie, die alle Fachgebiete und Disziplinen verzeichnet. Das Ziel ist
es, dem landeskundlich interessierten Forscher zu ermöglichen, rasch die wichtige
Literatur zu seinem Thema zu finden. Räumlich erfasst die Saarländische Biblio-
graphie das Gebiet des Saarlandes in seiner heutigen und historischen Form, den
Saar-Lor-Lux Raum, sofern das Saarland angemessen berücksichtigt wird, und
Territorien, die früher einmal zu saarländischen Herrschaften gehörten, wie zum
Beispiel die Grafschaft Saarwerden.
Die Bearbeitung des Schrifttums über das Saarland in der Saarländischen Uni-
versitäts- und Landesbibliothek umfasst drei Stufen:
1. Sammlung: Es werden alle Schriftenklassen erfasst (Bücher, Aufsätze, Filme,
Mikroformen, Netzpublikationen). Da die Datenbank keine Begrenzung der
Titelzahl kennt, besteht heute das Problem darin, unwichtiges Kleinschrifttum
wegzulassen43.
2. Erschließung: Die gefundenen Titel werden in der Datenbank in Titelaufnahmen
nach RAK (Regeln für die Alphabetische Katalogisierung) erfasst, dann durch
eine eigene Sacherschließung (siehe nächstes Kapitel) inhaltlich erschlossen und
im OPAC des Südwestverbundes den Benutzern zur Verfügung gestellt.
3. Archivierung: Die Saarländische Universitäts- und Landesbibliothek bemüht
sich, das so verzeichnete Schrifttum zu erwerben und zu archivieren. Die ge-
druckten Publikationen, Kassetten, DVDs und CDs kommen ins Magazin und
die Netzpubiikationen werden im hauseigenen Dokumentenserver SaarDok ge-
speichert und zur Verfügung gestellt.
Die laufende Bearbeitung des das Saarland betreffenden Schrifttums nach die-
sem Arbeitsschema erlaubt es, den Benutzer die wichtige Literatur in geeigneter
Weise finden und benutzen zu lassen.
42 Zum Beispiel Einbindung von Google Vorschau, Anzeige von Online-Rezensionen, Kata-
loganreicherungen (Inhaltsverzeichnisse und -beschreibungen) oder unscharfe Suche.
43 In der Druckausgabe war der Umfang auf ca. 2000 Titel wegen der Kosten und der nur
begrenzten Druckkostenzuschüsse beschränkt.
541
5.2 Die Sacherschließung
Neben der Auswahl, Sammlung und Verzeichnung des Schrifttums besteht der
Mehrwert einer Fachbibliographie darin, dass sie das Schrifttum mehr oder weni-
ger fein sachlich erschließt. Mit der Umstellung auf die Verzeichnung in einer
Datenbank hat sich die Saarländische Bibliographie eine neue Sacherschließung
zugelegt. Sie wurde von der Hessischen Bibliographie, die bereits seit 1979 ihre
Titel mit EDV erfasste, übernommen und an die saarländischen Erfordernisse an-
gepasst. Bei der Bearbeitung eines Titels werden drei Felder immer vergeben:
1. Die Systematik: Sie besteht aus einer sechsstelligen Zahl, die die Literatur in
drei Stufen (Hauptgruppe, Oberbegriff, Unterbegriff)44 45 gliedert. Die Systematik
kann wie folgt recherchiert werden:
1. Die Suchliste Systematik4' auf der Homepage der Saarländischen Bibliogra-
phie erlaubt ein Blättern in der sachlichen Gliederung. Ein Mausklick auf
das Sachgebiet startet eine dynamische URL-Abfrage in der Datenbank.
2. Die Systematik kann in der Einfachen oder Erweiterten Suche der Daten-
bank gesucht und dort mit anderen Schlagwörtem oder Aspekten kombi-
niert werden. Jede Systemstelle verfugt zudem über eine verbale Entspre-
chung, die wie ein Schlagwort gesucht werden kann. So entspricht „Erz-
bergbau“ der Stelle „543450“. Die Nummer der Systematik kann sinnvoll
trunkiert werden: „54*“ würde „Wirtschaft“ einschließlich aller Unter-
gliederungen finden oder „5434*“ den gesamten Bergbau.
Die Systematik ist das Hauptelement der sachlichen Erschließung der Saar-
ländischen Bibliographie.
2. Der Formaspekt (eine zweistellige Zahl, zum Beispiel 70 - allgemeine Darstel-
lungen oder 01 = Bibliographie): Er gibt an, ob es sich bei dem Titel zum Bei-
spiel um eine Bibliographie, Lexikon oder allgemeine Darstellung handelt.
3. Der Zeitaspekt: Er gibt den behandelten Zeitraum an, zum Beispiel 26 = Römer-
zeit, 42 = 16. Jahrhundert oder 62 = Völkerbundszeit 1919-1935.
Fakultativ werden bei Bedarf zusätzlich Schlagwörter zur weiteren sachlichen Er-
schließung des Titels vergeben:
1. Ortsschlagwort: Wenn ein Titel sich auf einen Ort, Kreis oder Landschaft be-
zieht, wird immer ein zusätzliches Ortsschlagwort vergeben, zum Beispiel
Gersheim-Reinheim.
2. Sachschlagwort: Es wird vergeben, wenn der Titel damit zusätzlich sachlich er-
schlossen wird, zum Beispiel „Grenzsteine“ für die Systemstelle „228050 -
Steindenkmale“.
3. Personenschlagwort: Titel, die sich auf eine Person beziehen, erhalten ein Perso-
nenschlagwort, zum Beispiel „Stengel, Johann Friedrich“.
Sowohl im OPAC als auch und auf der Homepage der Saarländischen Biblio-
graphie werden dem Benutzer zahlreiche Hilfen angeboten. In der Datenbank ver-
44 Zum Beispiel 10* Landeskunde, 1020* Landesbeschreibungen, 102040 Kreis- und Orts-
beschreibungen.
45 Zugang über die Homepage http://www.sulb.uni-saarland.de/de/literatur/katalog/sbo/
542
fügen die jeweiligen Suchkategorien über eine Zeilenhilfe. Das ist ein Pop-Up
Fenster, das die eingestellte Suchkategorie erläutert (zum Beispiel PST für ver-
stichwortete Verfassereinträge). Für Form- und Zeitaspekt wurden vom Südwest-
verbund eigene Pop-Up Fenster programmiert, in denen die Zahlen erläutert wer-
den. Die Homepage bietet dem Nutzer zahlreiche Hilfen und Informationen46:
• Die Suchliste Systematik erlaubt es, diese zu konsultieren und direkt eine dyna-
mische URL-Suche zu starten. Die Systematik kann auch bei den Download-
Unterlagen in Druckform heruntergeladen werden.
• Eine ausführliche Hilfe erläutert Aufbau und die Arbeitsweise der Saarlän-
dischen Bibliographie.
• Eine Einführung in die Datenbankrecherche am Beispiel der Saarländischen
Bibliographie erläutert dem Anfänger die Möglichkeiten, die die umfassende
Sacherschließung in der leistungsfähigen Verbunddatenbank bietet.
• Ferner werden eine Bestandsübersicht mit Analyse, die sich tagesaktuell abrufen
lässt, und Zugänge zu den Neuerwerbungslisten Saarland und Saar-Lor-Lux an-
geboten.
Alles zusammen führt dazu, dass der Benutzer etwas findet: Unkundige, die nur
„googeln“, erhalten Ergebnisse, da die Systemstellen durch Schlagwörter erläutert
werden und die Schlagwörter, die aus mehreren Wörtern bestehen, verstichwortet
sind. Anspruchsvollere Nutzer können sich mit den Hilfsangeboten einarbeiten und
den vollen Umfang der Suchmöglichkeiten des OPACs des Südwestverbundes
ausschöpfen.
5.3 Entwicklungen
5.3.1 Die Retrokonvertierung
Bei der Umstellung der Verzeichnung der Saarländischen Bibliographie von der
konventionellen Druckausgabe auf eine Datenbank stellte sich die Frage der Be-
richtszeit: Sollten nur Titel ab Berichtsjahr 1991 aufgenommen werden oder sollte
die Datenbank um die älteren Titel bei Gelegenheit ergänzt werden? Für eine retro-
spektive Vervollständigung sprachen drei Argumente:
1. Der erste Vorsitzende der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung, Professor Eugen Meyer, hatte die Bibliographie „ab ovo“ kon-
zipiert.
2. Der Altbestand an Monographien der Saarländischen Universitäts- und Landes-
bibliothek stand als Grundstock zur Verfügung.
3. Eine Datenbank erlaubt es, ältere Titel sofort der Benutzung zur Verfügung zu
stellen. Es muss kein vollständiger Endzustand zur Publikation wie bei einer
Druckausgabe vorhanden sein.
Die Entscheidung fiel zugunsten der Rückergänzung der Bibliographie. Im
Laufe der Jahre, so wie der Umfang der Fehlerkorrekturen zurückging, wurde die
retrospektive Erschließung der Saarländischen Bibliographie, sofern es die Arbeits-
situation zuließ, intensiviert. Sie wird wie folgt realisiert:
46 http://www.sulb.uni-saarland.de/de/literatur/katalog/sbo/
543
• Bereits der laufende Geschäftsgang liefert regelmäßig Material: Da gibt es Zu-
fallsfunde oder Zitate, die zu relevanten Titeln führen und in unregelmäßigen
Abständen kommen größere oder kleinere Geschenke (so zum Beispiel die ehe-
malige Bibliothek von Saarberg) ins Haus.
• Einen besonderen Schwerpunkt bildet die Ergänzung der Monographien. Durch
den Abruf „saar“ in der Titelaufnahme konnte der umfangreiche Monographien-
bestand aus dem Katalog der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek
in die Bibliographie überführt werden. Zu seiner Vervollständigung werden re-
gelmäßig Antiquariatskataloge durchgesehen und der Bestand des Südwestver-
bundes auf fehlende Titel überprüft.
• Für die Landeskunde des Saarlandes wichtige Zeitschriften werden vollständig
ausgewertet: So kommen arbeitssparend rasch große Titelmengen in die Biblio-
graphie47.
• Die Auswertung alter Bibliographien erlaubt es, auch weit verstreutes Schrift-
tum zu erfassen48 *.
Bei der auszuwertenden Epoche wird versucht, den Schwerpunkt auf die Zeit
vor 1927 zu legen, da von 1927-1960 die Pfälzischen Bibliographien das Saarland
mitverzeichnet haben. Die Berichtszeit 1961-1990, die von der Druckausgabe der
Saarländischen Bibliographie zuverlässig abgedeckt wird, wird derzeit bei der
Rückergänzung in der Regel nicht berücksichtigt40.
Eine eigenständige Maßnahme im Rahmen der Rückergänzung ist die Auf-
nahme aller saarländischen Zeitungen und Zeitschriften in die Bibliographie. Die
Titel werden aus der Zeitschriftendatenbank (ZDB) übernommen und mit der
Sacherschließung versehen. Bisher sind über viertausend Titel erfasst und ein Ende
ist noch nicht abzusehen.
5.3.2 Die Saarländische Bibliographie im Internet
Dass die Saarländische Bibliographie ausschließlich das Internet für ihren OPAC
und die zahlreichen ergänzenden Angebote auf ihrer Homepage nutzt, wurde be-
reits ausführlich dargelegt. Darüber hinaus beteiligt sie sich an der Virtuellen Deut-
schen Landesbibliographie. Dies ist ein Meta-Katalog zum Nachweis landeskund-
licher Literatur in Deutschland, der vom KVK (Karlsruher Virtueller Katalog) be-
trieben wird. Er erlaubt es, in einer Suchanfrage gleichzeitig die deutschen Re-
gionalbibliographien zusammen oder in Auswahl zu durchsuchen50.
Relativ neu ist die Verlinkung auf die Datenbank in Intemetangeboten. Die in
der Suchliste Systematik eingesetzte dynamische URL-Abfrage erlaubt es, aus
einem Link die Datenbank mit einer spezifischen Suchanfrage zu starten. Solche
Abfragen werden im Internet verbreitet eingesetzt, so auch in der Wikipedia, wo es
Weblinks auf das Portal der Deutschen Nationalbibliothek und auf Verbünde
4 Siehe dazu Anhang 2.
4* Zum Beispiel Walter Cartellieri, Verzeichnis der Saardissertationen 1933 (mit Nach-
trägen 1934) oder Hermann Corsten, Rheinische Bibliographie, Bd. 1: Archäologie bis
Geologie, Köln 1940.
44 Die Ausnahme ist natürlich, wenn ein gefundener Aufsatz dort fehlt, was hin und wieder
vorkommt.
50 http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/landesbibliographie/
544
(DNB, GBV, SWB) gibt. Auf dem Treffen der Arbeitsgemeinschaft Regionalbib-
liographie 2010 stellte die Landesbibliographie Mecklenburg-Vorpommern die
Verlinkung bei Wikipedia-Einträgen auf die eigene Datenbank vor. Diese Initiative
wurde von der Saarländischen Bibliographie übernommen, denn die Wikipedia
dient heute häufig zum Einstieg bei der Bearbeitung eines Themas. Über den Link
erhält der Benutzer die Information, wo zu seinem Suchbegriff weiterfiihrende
Literatur verzeichnet ist, und er erhält sie tagesaktuell. Herr Voss vom GBV
schrieb freundlicherweise die Vorlage für die Saarländische Bibliographie in der
Wikipedia. Diese erlaubt es, den Link verkürzt zu zitieren, denn die komplexe Syn-
tax ist in der Vorlage abgelegt"1. Da die dynamische URL-Abfrage auch in anderen
Internetangeboten einsetzbar ist, wurde auf der Homepage eine Hilfe-Seite für die
Verlinkung auf die Saarländische Bibliographie eingerichtet"2.
5.3.3 Der Landeskundliche Lesesaal
Im Zuge des Umbaus der Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek wur-
de der Lesesaalbereich deutlich vergrößert. 2009 fiel die Entscheidung, einen Lan-
deskundlichen Lesesaal einzurichten, in dem die relevante Literatur über das Saar-
land zur Präsenznutzung angeboten wird. Mit der Durchführung wurde die Abtei-
lung Saarländische Bibliographie betraut, die dafür zwei Probleme zu lösen hatte:
1. Die Aufstellung: Es gibt zwei Teile, einen allgemeinen systematischen Teil und
einen Ortsteil. Als Aufstellungsordnung wird die Systematik der Saarländischen
Bibliographie verwendet.
2. Die Auswahl: Aus dem reichen Bestand der Bibliothek müssen die relevanten
Titel herausgesucht und anschließend für den Lesesaal bearbeitet werden.
Der neue Lesesaal unterstreicht die Komponente „Landesbibliothek“ und er
trägt der starken Benutzung der regionalen Literatur an der Universität des Saar-
landes Rechnung.
6. Ausblick
Die Saarländische Bibliographie hat seit fünfzig Jahren die Literatur über das Saar-
land gründlich gesammelt, erschlossen und in der Regel archiviert. Technisch ist
sie mit ihrer Katalogisierung und OPAC auf hohem Niveau und braucht den Ver-
gleich mit anderen Regionalbibliographien nicht zu scheuen. Die Rückergänzung
der Titel ist auf gutem Weg, so dass eine vollständige Saarländische Bibliographie
„ab ovo“, so wie sie einst Professor Meyer vorgeschwebt hatte, heute in greifbare
Nähe rückt. Die Saarländische Bibliographie kann somit als eines der erfolgreichen
Projekte der Kommission fur Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung
gelten. Nach schwierigen Anfängen nahm die Bibliographie ihre Arbeit auf, bear-
beitet von der Universitätsbibliothek, publiziert und bezuschusst in der Schriften-
reihe der Kommission. Die Loslösung der Bibliographie von der Kommission er-
folgte 1994, als die landesbibliothekarischen Aufgaben per Gesetz der nun umbe-
51 Sollte sich die Abfragesyntax einmal verändern, braucht sie nur noch in der Vorlage
abgeändert werden und nicht in allen verlinkten Artikeln.
2 http://www.sulb.uni-saarland.de/de/literatur/katalog/sbo/verlinkung
545
nannten Saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek zugewiesen wurden53.
Ein dringendes Anliegen der Kommission aus ihren Anfangsjahren war so erfüllt
und für die kommende Zeit auf eine sichere institutioneile Grundlage gestellt.
7. Anhänge
7.1 Bestand der Saarländischen Bibliographie
Ende 2011 betrug der Datenbankbestand der Saarländischen Bibliographie 74.322
Titel, davon 2.679 Gesamttitel und 71.643 Einzeltitel 4. Die Einzeltitel entfallen
auf folgende Schriftenklassen:
Bücher: 37.591 Titel.
Aufsätze: 29.089 Titel
Zeitschriften: 3.780 Titel.
Online Ressourcen: 544 Titel'5.
Tonträger, Filme, Videos: 327 Titel.
Mikroformen: 155 Titel.
Datenträger: 147 Titel.
Auf die laufende Berichterstattung ab 1991 entfallen 49.091 Titel, der noch zu er-
gänzende Altbestand umfasst 23.028 Titel. Letzterer verteilt sich auf die verschie-
denen Verzeichnisepochen wie folgt:
1961-1990: 17.577 Titel, davon 13.969 Bücher und 1.572 Aufsätze. Dieser
Zeitraum wird vollständiger mit ca. 60.000 Titeln von der konventionellen Druck-
ausgabe der Saarländischen Bibliographie 1961-1990 abgedeckt.
1927-1960: 4.279 Titel, davon 2.645 Bücher und 1.009 Aufsätze. Dieser Zeitraum
wird auch von der Rheinland-Pfälzischen Bibliographie parallel verzeichnet.
1475-1926: 1.445 Titel, davon 1.022 Bücherund 173 Aufsätze.
Die Saarländische Bibliographie hat in Datenbank und Druckausgabe zusammen in
den fünfzig Jahren ihres Bestehens ca. 114.000 Titel über das Saarland ver-
zeichnet56.
53 Amtsblatt des Saarlandes 1994, S. 893, § 47.
54 Datenbankabfrage am 14.12.2011.
55 Die Online-Zeitschriften sind bei Zeitschriften und die Online-Aufsätze bei den Auf-
sätzen verzeichnet, daher erklärt sich die überraschend kleine Zahl.
S(' Die Zahl setzt ich zusammen aus den 71.643 Einzeltiteln abzüglich 17.577 Titel der Peri-
ode 1961-1990 und den Titeln der Druckausgabe (ca. 2.000 Titel pro Jahr x 30 Jahre).
546
7.2 Ausgewertete Quellen bei der Rückergänzung
Im Rahmen der Rückergänzung der Saarländischen Bibliographie wurden bisher
folgende Zeitschriften und Verzeichnisse ausgewertet:
• Walther Cartellieri, Verzeichnis der Saardissertationen 1933 (Mit Nachträgen
1934)
• Hermann Corsten, Rheinische Bibliographie. Bd. 1: Archäologie bis Geologie
(Köln 1940). Noch in Bearbeitung.
• Bonner Jahrbücher (96/97.1895-192.1992)
• Bulletin de la Société des Amis des Pays de la Sarre (1.1923-10.1934)
• Heimatbuch des Kreises St. Wendel (1.1948—[ 1990])
• Hochwälder Geschichtsblätter (1.1989-[ 1990])
• Journal des Français de la Sarre (1.1929-2.1930) und Journal de la Sarre
(1.1931-3.1933/34)
• Monatshefte für rheinische Kirchengeschichte (1.1907—37.1943) und Monats-
hefte für evangelische Kirchengeschichte des Reinlandes (1.1952—[ 1990])
• Pfälzer Heimat (1.1950—[ 1990])
• Rheinische Vierteljahrsblätter (1.1931—[ 1990])
• Saarbrücker Bergmannskalender (1.1873—[ 1990])
• Saarbrücker Hefte (1.1955-[ 1990])
• Saarländische Familienkunde (1.1968—[ 1990])
• Saarpfälzische Abhandlungen zur Landes- und Volksforschung (Fortsetzung:
Westmärkische ...) (1.1937-5.1941)
• Saarpfalz (1.1983-[ 1990])
• Die Saarwirtschaft (1.1949-1956)
• Unsere Heimat an der Saar ( 1.1951 -4. 1954)
• Unsere Saar (1.1926/27-9.1934/35,4/5)
• Westricher Heimatblätter NF ( 1. 1970-[ 1990])
• Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend (inkl. Vorgänger, 1.1951—[ 1990])
547
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Von app bis wiki
-Neue Chancen und Herausforderungen in der Vermitt-
lung REGIONALGESCHICHTLICHER THEMEN -
Christine van Hoof
Das World Wide Web - und mit ihm die Neuen Medien - haben in den letzten Jah-
ren fast alle Arbeitsbereiche und einen großen Teil unseres privaten Lebensberei-
ches tiefgreifend verändert. Eine Entwicklung, die auch vor den Geschichtswissen-
schaften und ihrer Didaktik nicht halt gemacht hat1. Das Internet bietet heute die
Möglichkeit, schnell und ohne den Schreibtisch zu verlassen, online in allen gro-
ßen Bibliotheken der Welt Fachliteratur zu recherchieren. Riesige Datenbanken
lassen sich nach sofort am Bildschirm lesbarer Literatur durchforsten, Universitäts-
bibliotheken bieten Zeitschriftenartikel elektronisch an und fachspezifische Bildda-
tenbanken erleichtern die Vorbereitung von Lehrveranstaltungen und Publika-
tionen. Viel einfacher als noch im ausgehenden 20. Jahrhundert ist es für Wissen-
schaftler geworden, Kontakte über mails, im Intranet oder in Videokonferenzen zu
pflegen. In dieser schönen neuen digitalen Welt gibt es aber auch Schattenseiten,
denn die Funktion eopy andpaste kann bei online zur Verfügung stehenden Texten
- wie in diesem Jahr bei verschiedenen Skandalen deutlich wurde - die Hemm-
schwelle für wissenschaftlich nicht korrektes Verhalten herabsetzen. Gleichzeitig
ist es im digitalen Zeitalter aber auch möglich geworden, eben solche Textdateien
mit spezieller Software auf nicht zitierte, abgeschriebene Stellen hin schneller und
genauer zu untersuchen, als das ein einzelner Rezensent je könnte. Fluch und Se-
gen liegen hier offenbar sehr dicht nebeneinander.
Die Möglichkeiten, über das Web fachwissenschaftliche historische Inhalte zu
konsumieren, haben sich unendlich vervielfältigt. Allerdings gilt es für die Nutzer,
zunächst Pfade zu dieser Fülle an Informationen zu finden, stringente Such-
techniken zu erlernen und die gefundenen Informationen danach wissenschaftlich
produktiv weiter zu verarbeiten. Die grundsätzlichen historischen Methoden zur
Lösung von Forschungsfragen haben ihre Gültigkeit hierdurch nicht verloren, es
sind lediglich neue Instrumente hinzugetreten, deren Gebrauch erlernt werden
muss. Elektronisch erschlossene Quellen unterliegen derselben Nachweispflicht
wie analog vorliegendes Material, sie müssen ebenso genau auf ihre Zuverlässig-
keit hin überprüft werden. Aus der Digitalisierung von Quellen entstehen manch-
mal sogar zusätzliche Probleme. Ein digitaler Scan, der eine Seite aus einer schrift-
lichen Quelle als photographisches Abbild wiedergibt, unterscheidet sich grundle-
gend von einem Scan derselben Seite, der über eine Texterkennungssoftware gene-
riert wurde, da nicht alle Wörter korrekt erkannt werden und eine abschließende
Kontrolle notwendig ist. Die Verlässlichkeit eines digitalisierten Quellentextes
muss also genau geprüft werden.
Eine Wertung und Gewichtung aller zu einer bestimmten Forschungsfrage her-
angezogenen Quellen kann auch in Zukunft nur der Historiker selbst vornehmen,
1 Waldemar GROSCH, Das Internet als Raum historischen Lernens - eine Bestandsauf-
nahme, in: Historisches Lernen im Internet. Geschichtsdidaktik und Neue Medien, hg.
von Uwe DANKER/Astrid Schwabe, Schwalbach i. Ts. 2008, S. 13-33.
549
eine Software wird dieses wissenschaftliche Vorgehen niemals abbilden können.
Ob aber Historiker in Zukunft noch Quellen und Sekundärliteratur überwiegend in
Form von Printmedien benutzen werden, ist sehr fraglich. Renommierte amerika-
nische und englische Bibliotheken haben bereits weite Teile ihrer Bestände der Fir-
ma Google zum Scannen freigegeben“, Zeitschriften erscheinen inzwischen schon
parallel als Print- und online-Ausgaben3, und dasselbe gilt in steigendem Maß für
Lexika4 5, Sammelbände\ aber auch Monographien, die ganz oder teilweise6 elekt-
ronisch zur Verfügung stehen. Das Vordringen von E-Book-Readern und Tablet-
PCs wird diesem Prozess wohl weiter Vorschub leisten.
Von solchen Entwicklungen sind die Erforschung der Regionalgeschichte und
die Präsentation von Forschungsergebnissen an der Universität sowie die Vermit-
tlung von Regionalgeschichte in der Schule und im öffentlichen Raum unterschied-
lich betroffen7.
Die Recherche zu regionalen Forschungsfragen wird durch zahlreiche Digitali-
sate und Dienste erleichtert. So sind etwa seit 2006 die Bestände des „Landesar-
chivs des Saarlandes“, aber auch die anderer saarländischer und regional benach-
barter Archive, über das „Archivportal für den Südwesten“ online zugänglich8 9. In
der „Saarländischen Bibliographie Online“ sind Literatur und Medien, die das
Saarland zum Inhalt haben, seit 1991 komplett erfasst'7, auf der Portalseite „Muse-
en im Saarland“10 können über „DigiCult“ erfasste Objekte mit Bild, Beschreibung
und weiterführenden Informationen eingesehen werden.
Der Umgang mit derartigen fachspezifischen und fachübergreifenden Recher-
che-Tools spielt in den neuen Bachelor-Studienordnungen neben der fachwissen-
' Zum Beispiel: Harvard University, University of Michigan, Stanford University, Oxford
University:
http://books.google.de/intl/de/googlebooks/common.html#l (2.1.2012).
Beispielsweise die Historische Zeitschrift:
http://www.digizeitschriften.de/searchcol/?tx_goobit3_search[extquery]=DOCSTRCT%
3Aperiodical&DC=900.history (2.1.2012).
4 Zum Beispiel: Lexikon des Mittelalters:
http://apps.brepolis.net/BrepolisPortal/default.aspx (2.1.2012).
5 Zum Beispiel: Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter, hg.
von Brigitte Kasten, Köln-Weimar-Wien 2008:
http://books.google.de/books?id=rrkzhjA9uLQC&pg=PA393&lpg=PA393&dq=:bngitte+
kas-
ten+k%C3%B6niginnen&source=bl&ots=djftlP9Re6&sig=3j_DyLLuMqj 2o68WAtFBc
_3myw&hl=de&sa=X&ei=5yEDT8OnGK_mmAXW29iyAQ&ved=0CDAQ6AEwAA#
v=twopage&q&f=Talse (2.1.2012).
6 Wolfgang BEHRINGER/Gabriele B. Clemens, Geschichte des Saarlandes, München 2009:
http://books.google.de/books?id=I-6RjmfHuOUC&pg=PA 1 &dq=geschichte+des+ saar-
landes+beck+wissen&hl=de&sa=:X&ei=mCwDT_D9NKH-mAWxydlY&ved=
0CDYQ6AEwAA#v=onepage&q&f=false (2.1.2012).
Hiram Kümper, Zur Einführung: Mittelalter und Mittelalterunterricht im neumedialen
Zeitalter, in: eLeaming&Mediävistik, hg. von Hiram Kümper, Frankfurt a. M. 2011, 7-65.
x http://www.archivdatenbank.lha-rlp.de/saarbr/ (2.1.2012).
9 http://www.sulb.uni-saarland.de//de/literatur/katalog/sbo/ (2.1.2012); inzwischen auch
bei Wikipedia-Artikeln zum Saarland unter weblinks aufrufbar.Vgl. dazu in diesem Band
den Beitrag von Reinhold Weber.
10 http://saarland.digicult-museen.net/objekte/index.php?site=Home (2.1.2012).
550
schaftlichen Ausbildung von Geschichtsstudenten eine nicht geringe Rolle. Unter
diese Soft Skills oder Schlüsselqualifikationen fallen im „digitalen Zeitalter“ auch
Präsentationstechniken, insbesondere die Präsentation von Arbeitsergebnissen mit
Hilfe Neuer Medien. Das gilt insbesondere dann, wenn historische Forschung adä-
quat einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden soll. Studierende der Ge-
schichtswissenschaften an der Universität des Saarlandes hatten schon häufiger
Gelegenheit, ihre Arbeitsergebnisse aus Veranstaltungen einer regionalen Öffent-
lichkeit in Form von kleinen Ausstellungen zu präsentieren. In Zusammenarbeit
mit den Leitern regionaler saarländischer oder auch pfälzischer Ausgrabungen und
Museen konnten mehrere Projekte realisiert werden.
So hatten Studentinnen und Studenten 2003 die Aufgabe, einer breiteren Öffent-
lichkeit grundlegende Informationen zur römischen Numismatik vor allem mit Hil-
fe von selbst gestalteten Postern und originalen saarländischen Fundmünzen in ei-
nem Ausstellungsraum des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Saarbrücken
zu vermitteln. 2007 erstellten Studierende für eine Präsentation zur „Kindheit in
der Antike“ in der Römischen Villa Borg eine kleine Begleitbroschüre, die auch in
französischer Sprache angeboten wurde. Sie recherchierten antikes Kinderspiel-
zeug in saarländischen Ausgrabungen, waren selbst für den Leihverkehr zuständig
und boten zur Ausstellung ein spezielles Programm für Kinder an.
Mit Schülern aller Schulformen kann Internet-Recherche zu regionalgeschicht-
lichen Themen gezielt eingesetzt werden. Diese Arbeitsform ist besonders frucht-
bar, wenn fächerübergreifend an einem Thema gearbeitet wird. Als Beispiel dafür
mag ein Projekt mit Schülern der Klassenstufe 9 dienen, das 2008 im Rahmen ei-
ner universitären Veranstaltung gemeinsam von Lehramtsstudenten der Universität
des Saarlandes, dem Landesmuseum Birkenfeld und Geschichts- und Chemie-
lehrem der heutigen „Realschule plus Birkenfeld“ veranstaltet wurde. Im Mittel-
punkt stand dabei die Entwicklung der Eisenverhüttung im engeren und weiteren
Umkreis von Birkenfeld von der Antike bis in die Moderne. Zunächst wurde das
Thema altersgemäß historisch erarbeitet. Im Computerraum der Schule konnte zum
Thema auf der Basis vorgegebener Webseiten recherchiert werden. Die Einführung
in die chemischen Prozesse bei der Eisenherstellung fand auch im Experiment
statt, und die Schüler konnten interaktiv am Bildschirm selbst versuchen, Eisen o-
der Stahl herzustellen. In einem praktischen Teil gelang es ihnen zusammen mit
ehrenamtlichen Helfern, die darin bereits Erfahrung im Keltischen Ringwall von
Otzenhausen gesammelt hatten, im Vorhof des Museums einen Rennofen nach-
zubauen und in Betrieb zu nehmen. Obwohl es nicht möglich war, die erforder-
lichen Temperaturen über längere Zeit zu halten, konnte immerhin etwas Luppe er-
zeugt werden. Einen Eindruck von der modernen Stahlherstellung vermittelte ab-
schließend eine Exkursion mit Besichtigung der Dillinger Hütte.
In diesen Projekten diente das Web in erster Linie als Möglichkeit, Regionalge-
schichte über Recherche in Museen und Archiven zugänglich zu machen und In-
formationen zu Denkmälern oder „Erinnerungsorten“11 12 zu sammeln1“. Der Nutzer
war in erster Linie Konsument. Mit dem „Web 2.0“, einem Schlagwort, das sich
11 http://www.memotransfront.uni-saarland.de/ (3.1.2012).
12 Über das Saarland hinaus versucht das die vom Institut für Geschichtliche Landeskunde
an der Universität Mainz e. V. betriebene Website http://regionalgeschichte.net/ (3.1.2012).
551
seit etwa 2005 verbreitet13 14 15, haben Nutzer über dieses passive Konsumieren hinaus
begonnen, selbst auf bestimmten Plattformen interaktive Inhalte zu generieren. Das
kann beispielsweise in Form eines Web-Logs oder - kurz - Blogs geschehen, in
dem ein Blogger auf einer Webseite eine Art digitales, öffentlich einsehbares Log-
buch/Tagebuch fortschreibt. Der wohl bekannteste regionalgeschichtliche Blog ist
die von Prof. Dr. Karl-Heinz Schneider vom Historischen Seminar der Leibniz
Universität Hannover gepflegte Seite Digitale Regionalgeschichteu.
Auf dieser Ebene sind auch Audio- und Videopodcasts anzusiedeln, bei denen
einzelne Autoren auf einem eingeschränkten Themenfeld Mediendateien zum An-
hören oder Anschauen produzieren und anbieten, die regelmäßig bezogen werden
können. Mit relativ einfachen Mitteln können auch Studenten und ältere Schüler
solche Podcasts erstellen wie sich in einer Übung zeigte. Allerdings darf bei den
Ergebnissen nicht die Qualität professioneller Erzeugnisse erwartet werden. Im
universitären Bereich ist es inzwischen möglich, Vorlesungen als Podcasts zu
abonnieren15, und man könnte sich vorstellen, Vorträge zur Regionalgeschichte auf
diese Weise medial zu bearbeiten und dauerhaft auf bereits vorhandenen Websites
zur Verfügung zu stellen.
Noch bedeutsamer sind aber inzwischen Software-Entwicklungen geworden, die
kollaboratives Arbeiten ermöglichen. So zum Beispiel die Wiki-Plattformen.
Das dem Hawaiianischen entstammende wiki = schnell16 war vor wenigen Jah-
ren nur einer kleinen Anzahl von Nutzern geläufig. Erst in der Zusammensetzung
mit Enzyklopedia entstand mit Wikipedia ein Online-Lexikon, das heute aus dem
Alltag von Millionen von Menschen nicht mehr wegzudenken ist. Obwohl erst im
Jahr 20011 gegründet, hat es in seiner englischen Variante bereits 3 825 46618 19 Ein-
träge. Die deutsche Plattform verfugt über 1 328 839|g Lemmata und gilt damit als
die zweitgrößte Wikipedia-Ausgabe. Eine riesige Anzahl von Artikelschreibem lie-
fert Beiträge, die wiederum von anderen Autoren und Administratoren überprüft
und gegebenenfalls korrigiert werden. Trotz dieser Vorgehensweise schwankt die
Qualität der Beiträge immer noch stark. Inzwischen zeichnet sich aber eine Zu-
sammenarbeit der Fachadministratoren mit Fachwissenschaftlem ab. So fand be-
reits viermal eine Wikipedia Academy genannte Veranstaltung statt, bei der über
die stärkere Einbindung von Fachwissenschaftlern in die Wikipedia diskutiert wur-
de20 21. In diesem Jahr stand am 10./11. Juni 2011 an der Universität Göttingen eine
Tagung unter dem Motto Wikipedia trifft Altertum, an der aus allen Bereichen der
Altertumswissenschaften renommierte Fachwissenschaftler mit Administratoren
der Wikipedia über Probleme der Plattform und deren Zukunft diskutierten“1.
Mag es im universitären Alltag oft ärgerlich sein, wenn die Vorbereitung auf
Referate ausschließlich auf der Konsultation eines Eintrags bei Wikipedia beruht.
13 Tom Alby, Web 2.0: Konzepte, Anwendungen, Technologien, ’München 2008, S. XV.
14 http://digireg.twoday.net/ zuletzt eingesehen 3.1.2012.
15 http://web.visu.uni-saarland.de/CeLTech/wordpress/?tag=podcasts (3.1.2011); internatio-
nal mit großer Auswahl: http://www.apple.com/de/education/itunes-u/ (3.1.2012).
1(1 http://wehewehe.org/gsdl2.5/cgi-bin/hdict?d=D21021 (18.12.2011).
1 http://de.wikipedia.Org/wiki/Wiki#cite_note-0 (18.12.2011).
Is http://en.wikipedia.Org/wiki/Special:Statistics (18.12.2011).
19 http://de.wikipedia.org/wiki/Deutschsprachige_Wikipedia (18.12.2011).
20 http://de.wikipedia.Org/wiki/Wikipedia:Academy_2011 (3.1.2012).
21 http://de.wikipedia.0rg/wiki/Wikipedia:Wikipedia_trifft_Altertum/Bericht (3.1.2011).
552
so müssen jedoch unbedingt auch die grundsätzlichen Chancen einer solchen Platt-
form gesehen werden. In kleinerem Umfang wurde ihr Nutzen in einer fachdidak-
tischen Veranstaltung des Historischen Instituts der Universität des Saarlandes im
Sommersemester 2009 erprobt. Die Studierenden erstellten gemeinsam auf Basis
der Open Source Software MediaWiki~~ ein Wiki, das an den Inhalten der saarlän-
dischen Geschichtslehrpläne für Real- und Gesamtschulen sowie Gymnasien orien-
tiert war. Man könnte es als eine neue Form eines „interaktiven Geschichtsbuchs“22 23
bezeichnen, in das - nach den Vorgaben der Lehrpläne - unter anderem saar-
ländische Regionalgeschichte integriert war. Bei diesem Projekt haben sich schnell
einige Schwierigkeiten gezeigt, die mit dieser Form von Veröffentlichung ver-
bunden sind. So zeigte sich, dass kollaboratives Schreiben einen sehr viel inten-
siveren Informationsaustausch erfordert. Einzelne Texte oder Textbausteine kön-
nen nicht einfach zu einem Gesamttext kumuliert werden, sie müssen verzahnt und
verlinkt werden, um Zusammenhänge deutlicher zu machen. Auch wenn einzelne
Teilnehmer nur für Teilaspekte zuständig waren, musste sich die gesamte Gruppe
über Epochengrenzen hinweg auf gemeinsame große thematische Blöcke einigen,
auf die dann ein textinterner Hyperlink gesetzt wurde. Alle mussten den gesamten
Textbestand, der natürlich nur auf ausgewählte Themenblöcke der Lehrpläne Be-
zug nehmen konnte, ständig im Auge behalten. Als nicht ganz einfach erwies sich
daneben die technische Seite des Wikis, das auf einem Server des Rechenzentrums
der Universität des Saarlandes angesiedelt war, dessen Mitarbeiter aus Sicherheits-
gründen Upload-Möglichkeiten sehr restriktiv handhabten und nur bestimmte Da-
teiformate zuließen. Zudem musste ein Großteil der Studierenden zunächst einmal
lernen, Hypertext zu schreiben und darin beispielsweise kleine, selbst erstellte Au-
diodateien, Videos oder Animationen einzubinden. Das Einstellen von originalem
Quellenmaterial erforderte eine Auseinandersetzung mit den Bestimmungen des
Urheberrechts, Quellen und Text waren deutlich erkennbar voneinander abzugren-
zen und didaktische Kriterien wie beispielsweise Multiperspektivität zu berück-
sichtigen. Fragen zur Quelleninterpretation und Quizzes zur Überprüfung der Lern-
inhalte kamen dazu. Die Vorteile der Neuen Medien liegen bei einem solchen
„Buch“ auf der Hand: Audio- und Videodateien können als Quellen implementiert
werden, interaktive Elemente motivieren zum eigenständigen Weiterarbeiten, unter
Anleitung eines Lehrers können neue Unterseiten erstellt werden, Texte können je-
derzeit unproblematisch einem neueren Forschungsstand entsprechend korrigiert
werden, Geschichte kann dadurch viel stärker unter den Aspekten von Dekonstruk-
tion und Rekonstruktion erfahrbar gemacht werden.
Beabsichtigt war, das Wiki nach dem Ende der universitären Veranstaltung zur
Weiterbearbeitung öffentlich zu machen, es einzelnen Schulen zur Weiterentwick-
lung zu übergeben oder Betreuer aus dem schulischen Bereich fiir den Dauerbe-
trieb zu finden. Das ist gescheitert. Das Wiki blieb leider in seinen Kinderschuhen
stecken, weil keine Administratoren außerhalb der Universität gefunden wurden
und die Studierenden sich nicht imstande sahen, diese Arbeit auf Dauer zu leisten.
Trotzdem könnte sich grundsätzlich ein Wiki für die saarländische Regional-
geschichte als nützlich erweisen, wenn Forschungsergebnisse einer breiten Öffent-
lichkeit vorgestellt werden. Als Szenario denkbar wäre ein geschlossener Kreis von
22 http://www.mediawiki.org/wiki/MediaWiki/de (3.1.2012).
23 http://wikiag.uni-saarland.de/index.php/Hauptseite (3.1.2012).
553
Fachwissenschaftlern, der sich zunächst über das chronologische und thematisch-
inhaltliche „Gerüst“ einer solchen Plattform einigen sollte, dann wiederum Mitar-
beiter zu einzelnen Themen einladen könnte und auch Redakteure und technische
Administratoren für eine dauerhafte Mitarbeit gewinnen müsste. Zusätzlich könnte
man die in großer Zahl im Landesverband der historisch-kulturellen Vereine des
Saarlandes e.V.24 * * organisierten historischen Vereine des Saarlandes einbinden. Sie
informieren zwar schon in Druckwerken^ über ihre Arbeit, könnten aber auf diese
Weise sicher eine breitere Öffentlichkeit erreichen. Über die kostenlose Plattform
MediaWiki könnte der Kreis der Nutzer mit Schreibrechten nach Belieben verwal-
tet werden, Leserechte blieben uneingeschränkt. Zu bedenken ist dabei der dauer-
haft relativ hohe Arbeitsaufwand bei der Betreuung des Wikis. Ein Teil der Ar-
beitslast könnte zwar ehrenamtlich auf etliche Schultern verteilt werden, gänzlich
ohne eine Investition in Serverkapazitäten und Personalkosten wäre aber wohl
nicht auszukommen.
Solche Wikis zur Regionalgeschichte gibt es in Deutschland bereits. Das Nürn-
berg\Viki~b ist von einer 1985 gegründeten Erlanger studentischen Initiative Ge-
schichte für alle e. V. ins Leben gerufen worden, die sich unter anderem zum Ziel
gesetzt hatte, Regionalgeschichte im Raum Nürnberg, Bamberg, Fürth und Er-
langen unterschiedlichen Zielgruppen zu vermitteln"7 *, und an der Leibniz Universi-
tät Hannover ist ein regionalgeschichtliches Wiki Bestandteil der LWG Lernwerk-
statt Geschichte des Historischen Seminars28 In diesen Fällen hat sich gezeigt,
dass eine solche Investition durchaus lohnt, um bei einer nachwachsenden Genera-
tion, die mit Neuen Medien bereits groß geworden ist, Interesse an der Geschichte
der eigenen Lebensumwelt zu wecken.
Für diese Zielgruppe - Jugendliche und junge Erwachsene - werden über PC
und Notebook hinaus Smartphones und Tablets immer mehr zum Alltag gehören.
Das Marktforschungsinstitut IMS29 kommt in einer aktuellen Studie zu dem
Schluss, dass bis 2015 über die Hälfte aller tragbaren elektronischen Geräte in die-
se Kategorien einzuordnen sind. Applications (Apps) machen einen Gutteil des
Charmes dieser Geräte aus. Es handelt sich dabei um Programme/Anwendungen,
die für ein bestimmtes Betriebssystem von Smartphones geschrieben wurden und
problemlos über einen Online Store gekauft und auf das Gerät geladen werden
können. Die Bandbreite reicht dabei von Spielen und Spaßprogrammen bis zu Na-
vigationssoftware und Entwicklerpaketen. Nachdem die Anbieterkonkurrenz sehr
viel größer geworden ist, haben sich die Geräte verbilligt, und es ist sogar tech-
nisch nicht besonders versierten Hobbyprogrammierern möglich, über eine graphi-
sche Oberfläche eigene Apps für das Betriebssystem Android zu erstellen'0. Eben
das erproben in diesem Wintersemester Studenten der Geschichtswissenschaften,
24 http://www.lhv-saarland.de (3.1.2012).
Wie zum Beispiel der Historische Verein für die Saargegend:
http://www.hvsaargegend.de/index.php?id=19&PHPSESSlD=vpdq0vl7mav97o321gbv5d
5074 (3.1.2012).
2il http://www.nuembergwiki.de/index.php/Geschichte_f%C3%BCr_Alle (3.1.2012).
27 Ebd.
~x http://www.lwg.uni-hannover.de/wiki/Regionalgeschichte (3.1.2012).
29 http://imsresearch.com/news-events/press-template.php?pr_id=2384 (3.1.2012).
http://appinventoredu.mit.edu/ (3.1.2012).
554
die eine App konzipiert haben und jetzt auch „programmieren“ möchten, mit deren
Hilfe das römische Saarbrücken auf einem Rundwanderweg mit Informationen zu
einzelnen Stationen erkundet werden kann.
In einem vorbereitenden Projekt haben Studenten im letzten Sommersemester
Vorschläge erarbeitet, auf deren Basis das Museum und die Ausgrabungsstätte
Schwarzenacker mit Hilfe Neuer Medien noch attraktiver gestaltet werden könn-
ten. Dazu gehörte unter anderem die Konzeption einer App, eine dreidimensionale
Rekonstruktion eines Tempels, ein interaktiver Arztbesuch, und die Erfindung ei-
nes Handelsspiels, in dem die Spieler in die Rolle von Handwerkern, Händlern und
Beamten schlüpfen können, um einerseits Grundzüge des Wirtschaftslebens in ei-
nem römischen Vicus der hohen Kaiserzeit kennenzulemen und andererseits in ei-
nen Wettbewerb eintreten, in dem Sieger derjenige ist, der den höchsten Gewinn
innerhalb einer vorgegebenen Zeit erzielen konnte.
Für diese Geräte bietet sich für die Zukunft das Entwickeln von Anwendungen
an, die an der Augmented Reality, der „erweiterten Wirklichkeit“, orientiert sind
und sich besonders gut für die Erkundung von Stadt- oder Regionalgeschichte eig-
nen, vor allem dann, wenn noch ein spielerisches Element hinzutritt. Dann lässt
sich ein solches Programm auch mit dem Begriff Serious Game fassen. Ein Spiel,
das dazu dienen kann, Kindern oder Erwachsenen auf spielerische Weise Wissen
zu vermitteln'1. Ein solches Geschichtsspiel mit der Bezeichnung Frequen-
tie^SO*' wurde zusammen mit Schulen 2005 in Amsterdam entwickelt.
„Elf- bis zwölfjährige Schülerinnen und Schüler einer Amsterdamer Montes-
sorischule bildeten im Verlauf von drei Tagen sechs Teams mit je vier Teilnehmer-
innen und Teilnehmern. Jeweils zwei Teammitglieder blieben im „Hauptquartier“.
Die beiden anderen Spielerinnen und Spieler wurden zu Pilgerinnen und Pilgern,
die simulierten, im Jahre 1550 auf einer Reise nach Amsterdam zur Hostie van het
Mirakel zu sein. Hier hatte einst ein Wunder stattgefunden. Dies war der Anlass
zum Bau einer Kapelle [...]. Die Schülerinnen und Schüler schlüpften in die Rolle
von Pilgern, die nach der verschwundenen Hostie suchen und zugleich ein Kloster
bauen sollten. Sie mussten Amsterdamer Bürger werden, um eine Baugeneh-
migung zu erhalten. [...]. Ausgehend von einem Stadtplan des 16. Jahrhunderts
wurde die Stadt in verschiedene Spielsektoren aufgeteilt, die den Teams zugeteilt
wurden. Jedes Team war mit je zwei Mobiltelefonen ausgestattet, auf denen der al-
te Amsterdamer Stadtplan zu sehen war. Auf einem zweiten Mobiltelefon erschie-
nen über UMTS Handlungsanleitungen und Fragen sowie Videostreams mit In-
formationen zu Spielaufgaben.
Die Schülerinnen und Schüler im HQ konnten auf einem Laptop den Weg der
[...JTeams auf einem aktuellen Stadtplan verfolgen. Sie waren auch in der Lage,
zum alten Stadtplan umzuschalten. Die Teams in der Stadt mussten den alten
Stadtplan mit den aktuellen Amsterdamer Straßen abgleichen. Da es inzwischen
sehr viele zugeschüttete Kanäle und abgerissene und neue Brücken gibt, war dies
keine einfache Aufgabe. Die Schülerinnen und Schüler im HQ durften ihren
31 Anja Hawlitschek, Spielend Lernen in der Schule? Ein Serious Game für den Ge-
schichtsunterricht:
http://www.spielbar.de/neu/2009/06/anja-hawlitschek-spielend-lemen-in-der-schule-ein-
serious-game-fur-den-geschichtsunterricht/ (3.1.2012).
,2 http://www.waag.org/project/frequentie (3.1.2012).
555
Teammitgliedern im Stadtraum bei Fragen zum aktuellen Straßenverlauf (mittels
aktuellem Stadtplan) helfen. Sie waren auch berechtigt, im Internet zu surfen, um
die Spielaufgaben lösen zu können. Als Belege für die gelösten Aufgaben schick-
ten die Spieler im Stadtraum Fotos und Filme per UMTS via e-mail an das HQ“33.
In abgewandelter Form ließe sich ein solches Spiel sicher auch an saarländische
Städte oder die Region anpassen. Darüber hinaus könnte man es noch mit Geo-
caching verbinden, einer Art von elektronischer Schnitzeljagd oder Schatzsuche,
bei der Verstecke, die auf einer Website mit Koordinaten gekennzeichnet sind, mit
Hilfe eines GPS-tahigen Geräts gefunden werden sollen34. Eine anschließende Un-
tersuchung der Lerneffekte durch dieses Spiel ergab, dass die „Spiel-Gruppe“ bei
einem Test signifikant besser abschnitt als eine Vergleichsgruppe, die auf her-
kömmliche Weise unterrichtet worden war35.
Auch wenn diese Spiele zunächst für Kinder und Jugendliche entwickelt wur-
den, könnte man auch an eine Umsetzung für erwachsene Spieler denken.
Immer wichtiger werden im „digitalen Zeitalter“ Webtechnologien und Neue
Medien in einem speziellen Bereich, der in Deutschland noch bis vor kurzem be-
grifflich vor allem unter „außerschulischer Vermittlung von Geschichte“ gefasst
wurde und in den Lehramtsstudiengängen verankert war. Daneben hat sich nun
Public History neu etabliert. Public Historv wurde als Terminus in den 80er Jahren
des 20. Jahrhunderts in den USA von Robert Kelly eingeführt und verbreitete sich
bald in englischsprachigen Ländern. In Großbritannien ist er allerdings erst seit
dem letzten Jahrzehnt geläufig36. Seine Definition ist bis heute umstritten37 38. Kelly
selbst beschrieb damit zunächst nur neue Betätigungsfelder von Historikern außer-
halb von Universität und Schule3s. Dazu zählten „Politikberatung, Untemehmens-
geschichte, Geschichte in den Massenmedien (Film und Fernsehen, Zeitschriften),
Denkmalswesen, Museen und Gedenkstätten, Verbände und Stiftungen, Politische
Bildung, Archiv- und Dokumentationswesen, Familien- und Lokalgeschichte so-
wie das Publikationswesen“39. Thematischer Schwerpunkt der Public History war
und blieb die amerikanische Geschichte, der wichtigste Aufgabenschwerpunkt
blieb über die Jahrzehnte die Erschließung und Analyse neuer Berufsfelder für His-
Franz Josef Röll, Selbstgesteuertes Lernen mit Medien, in: Medien bilden - aber wie?!
Grundlagen für eine nachhaltige medienpädagogische Praxis, hg. von Kathrin Demm-
LER/Klaus LUTZ/Detlef MENZKE/Anja Prölb-Kammerer, München 2009, S. 59-78, hier
S. 74-75.
74 http://www.geocaching.de/ (3.1.2012).
35 „Also research was done to measure the effects of,gaming4 on learning by the University
Utrecht and the University of Amsterdam. From this research one of the results was that
pupils that played the mobile game scored significantly higher on a knowledge test then
pupils who had the same material in a traditional lesson“:
http://www.waag.org/project/frequentie (3.1.2012).
36 Eine Zusammenfassung der Entwicklung in Großbritannien bot zuletzt: People and their
Pasts: Public History Today, hg. von Paul ASHTON/Hilda Keane, Basingstoke 2009.
37 Simone Rauthe, Public History in den USA und der Bundesrepublik Deutschland, Frei-
burg 2001, S. 100-141.
38 Robert Kelly, Public History. Its Origins, Nature and Prospects, in: The Public Historian
1 (1978), S. 16-18.
39 Irmgard ZÜndorf, Zeitgeschichte und Public History, Version: 1.0, in: Docupedia-
Zeitgeschichte, 11.2.2010, https://docupedia.de/zg/Public_History?oldid=75534, S. 3.
556
toriker40. Bis heute bleibt der Begriff Public History in den USA „[...] ein mehr -
deutiges Schlagwort, das eine ganze Reihe von Aktivitäten angewandter Ge-
schichtswissenschaft und den öffentlichen Umgang mit Geschichte zusammen-
faßt“41. 2003 fasste David G. VANDERSTEL die Aufgaben von Public Historians fol-
gendermaßen zusammen: „Those trained in but engaged in work outside the halls of
the academy and those within the academy who prepare students for careers in gov-
emment agencies, museums, libraries, historic preservation, and in private business
enterprises“4\ Zur Historical Education besteht keine Verbindung.
ln der Bundesrepublik Deutschland verlief die Entwicklung anders. „Die Ar-
beitsfelder der Geschichtsdidaktik, die Vermittlung und Rezeption von Geschichte
in der Schule und der außerschulischen Öffentlichkeit, werden [...] im Zuge der
Theorie historischen Lernens und dem Konzept der Geschichtskultur von Rüsen zu
einer Einheit verbunden“43. Jörn RÜSEN hat eine Theorie der Geschichtskultur
entwickelt, die definiert wird als „praktisch wirksame Artikulation von Geschichts-
bewußtsein im Leben einer Gesellschaft“44. Damit ist aber nach Irmgard Zündorf
Public History nicht deckungsgleich. „Vor allem der Zugang unterscheidet [...]
beide Ansätze: Die Theorie der Geschichtskultur umfasst die Analyse der Ge-
schichte in der Öffentlichkeit. Public History hingegen ist weniger Theorie, son-
dern eher ein Anwendungsfeld, das sowohl die Analyse als auch die Vermittlung
von Geschichte in der Öffentlichkeit umfasst“45.
In der geschichtsdidaktischen Ausbildung spielen „Außerschulische Lernorte“
ebenfalls eine Rolle. Ihre geringere Bedeutung im Vergleich zu Modulen, die sich
mit Geschichtsvermittlung in der Schule befassen, spiegelt sich allerdings selbst in
den neuesten Ausbildungs- und Prüfungsordnungen für die Lehrämter wieder46.
Dagegen ist in Deutschland Public History „[...] eine eigenständige Bewegung, die
sich im Rahmen von Universitätsstudiengängen mit der Ausbildung von Histori-
kern für außerschulische Vermittlungstätigkeiten beschäftigt“47. Ob dadurch Ge-
schichtsdidaktik überflüssig wird, mag dahingestellt sein48. Zwei inhaltliche und
methodische Lesarten von „Öffentlicher Geschichte“ dominieren bisher häufig die
40 Zur Entwicklung in den USA: Rauthe, Public History (wie Anm. 37), S. 74-152.
41 Rauthe, Public History (wie Anm. 37), S. 152.
42 David G. Vandf.rstel, The National Council on Public History, in: Public History Re-
view 10 (2003), S. 131; zu den neuesten Entwicklungen in Australien und den USA: Paul
Ashton, Going Public, in: Public History Review 17 (2010), S. 1-15.
43 Rauthe, Public History (Anm. 37), S. 244.
44 Jörn Rüsen, Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art über Geschichte
nachzudenken, in: Historische Faszination. Geschichtskultur heute, Köln 1994, hg. von
Klaus FÜßMANN/Heinrich Theodor GRÜTTER/Jöm Rüsen, Köln 1994, S. 5.
45 ZÜNDORF, Public History (Anm. 39), S. 5.
46 So fehlt dieser Punkt beispielsweise in der neuesten Ausbildungs- und Prüfungsordnung
für das Lehramtsstudium Geschichte in Rheinland-Pfalz ganz (http://www.uni-
mainz.de/studlehr/1807_geschichte.php#menul), im Saarland sind „außerschulische
Lernorte“ Teil des Aufbaumoduls in den Lehramtsstudiengängen Geschichte
(http://www.uni-saarland.de/info/universitaet/zentrale-einrichtungen/zfl/ordnungen/la-
apo.html).
47 Rauthe, Public History (Anm. 37), S. 244.
48 Simone Rauthe, Geschichtsdidaktik - ein Auslaufmodell? Neue Impulse der amerika-
nischen Public History, in: Zeithistorische Forschungen 2 (2005), S. 287-289.
557
Diskussion. Sie wird einerseits als populärwissenschaftlicher medialer Aufguss zu-
vor fachwissenschaftlich erarbeiteter Ergebnisse verstanden. Andererseits begrei-
fen Historiker alle Formen von „Öffentlicher Geschichte“ auch als Erinnerungs-
kultur, die zum Gegenstand historischer Forschung werden kann44 * * * * 49 * 51. Als Teil der
Geschichtswissenschaften ist Public History immer noch nicht fest etabliert, denn
viele Fachwissenschaftler stehen der Vermittlung von Geschichte außerhalb akade-
mischer Zielgruppen noch sehr skeptisch gegenüber0. Irmgard Zündorf, die am
Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam als Referentin für Hochschulko-
operation und Wissenstransfer auch für Projekte zuständig ist, die sich mit Ver-
mittlung von Geschichte an ein breites Publikum wenden, formulierte 2010 einige
Anforderungen, die an Public Historians in Deutschland gestellt werden. Sie sollen
fähig sein, komplexe historische Forschungsergebnisse für ein historisch nicht vor-
gebildetes Publikum interessant und medial angemessen aufbereiten können und
im Unterschied zu Wissenschaftlern auch als Dienstleister agieren '. Public His-
tory versteht sie als „Geschichte für die Öffentlichkeit“ und „Geschichte in der Öf-
fentlichkeit“52.
Schon bevor die geschichtswissenschaftlichen Studiengänge nach den Bologna-
Richtlinien neu strukturiert wurden, haben viele Universitäten Veranstaltungen zu
diesem Themenfeld angeboterf3 54, und einzelne Dozenten haben ihre Erfahrungen
mit praxisbezogenen Veranstaltungen oder Projektarbeit bereits beschrieben \
Ganz neue Wege werden in jüngster Zeit beschritten, weil nun die Konzeption von
forschungs- oder praxisorientierten Master-Studiengängen möglich ist, und damit
auch eine spezifische Public //Afozv-Praxisorientierung realisiert werden konnte:
An der Universität Mannheim entstand ein Masterstudiengang „Geschichte - Wis-
senschaft und Öffentlichkeit“. Das Ausbildungsziel wird folgendermaßen beschrie-
ben: „Fachlich-methodisches Wissen und Können des Historikers [...], die Kompe-
tenz, geschichtswissenschaftliche Forschungsergebnisse differenziert, und zugleich
allgemein verständlich - „mediengerecht“ - in die Öffentlichkeit zu vermitteln55.
Die Freie Universität Berlin bietet in Zusammenarbeit mit dem Zeithistorischen
Zentrum Potsdam seit 2008/9 einen praxisorientierten Masterstudiengang Public
44 Frank BÖSCH/Constantin GöSCHLER, Der Nationalsozialismus und die deutsche Public
History, in: Public History. Öffentliche Darstellungen des Nationalsozialismus jenseits
der Geschichtswissenschaft, hg. von Frank BÖSCH/Constantin GöSCHLER, Frankfurt a.
M.-New York 2009, S. 7-23.
50 Paul Nolte, Öffentliche Geschichte. Die neue Nähe von Fachwissenschaft, Massenme-
dien und Publikum: Ursachen, Chancen und Grenzen, in: Aufklärung, Bildung, „Histo-
tainment“? Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute, hg. von Michele Barri-
CELLi/Julia Hornig, Frankfurt a. M. 2008, S. 131-146.
51 Zündorf, Public History (Anm. 39), S. 5.
52 EbdS. 2.
5j Wilfried Schulze, Neue Berufsfelder, neue Formen des Studiums im Fach Geschichte,
in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 52 (2001), S. 4-12.
54 So zum Beispiel Marita Krauss, „Public History“ - Geschichtsstudium und Praxisbe-
zug. Ein Erfahrungsbericht, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53 (2002), S.
498-509.
xS http://www.geschichte.uni-mannheim.de/studium/studiengaenge/invisible/ mas-
ter geschichte wissenschaft und oeffentlichkeit/index.html (3.1.2012).
558
History an56 57. In Heidelberg ist an der Ruprechts-Karls-Universität aus einem Ar-
beitsbereich Public History am Historischen Seminar im Wintersemester 2011/12
der „Heidelberg Public History“ - Masterstudiengang entstanden"7. Während der
Mannheimer Studiengang alle historischen Epochen beinhaltet, konzentrieren sich
die beiden letztgenannten Studiengänge in ihren Veranstaltungen im Wesentlichen
auf die Neue Geschichte.
Auch in der Geschichte der Saarregion gibt es sicherlich epochenübergreifend
Themen, die für ganz unterschiedliche Zielgruppen mit Methoden der Public His-
tory aufbereitet werden könnten, zumal hierzulande das Interesse unterschiedlicher
Bevölkerungsgruppen an historischen Themen groß ist, wie sich beispielsweise an
dem Erfolg von Publikationen zum 50-jährigen Bestehen des Saarlandes sowie an
dem Besucherrekord der erst kürzlich zu Ende gegangenen Keltenausstellung im
Weltkulturerbe Völklingen gezeigt hat.
Um aber für die Zukunft bei Menschen in der Region für die Geschichte ihrer
Region Interesse zu wecken, wird es unausweichlich sein, über die traditionellen
Printmedien und Ausstellungsformen hinaus mit Neuen Medien zu arbeiten. An-
sätze dazu sind bereits in vielen Bereichen sichtbar, obgleich es Altersgenerationen
gibt, die diesen neuen Vermittlungstechniken noch äußerst skeptisch gegenüber
stehen. Althergebrachte Publikationsformen werden weiter wichtig bleiben, aber
auch Bücher wird man eines nicht allzu fernen Tages nicht mehr in einem Regal auf-
bewahren, sondern platzsparend im Speicher eines E-Book-Readers oder Tablets.
56 http://www.geschkult.fu-berlin.de/e/phm/.
57 http://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/philosophie/zegk/histsem/forschung/
HPH Studium.html.
559
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V .S'Aiï^wiï'f -s-.. ■• - •• . ' = 1^íí4 fnmbutf НЧИ
УШЛ
Eine Lothringen-Exkursion anno 1967
Wolfgang Läufer
Bildbericht
Vom 27.-30. September 1967 fand in der Saarbrücker Kongresshalle eine gemein-
same Tagung der „Westdeutschen Arbeitsgemeinschaft für Landes- und Volksfor-
schung“ und des „Arbeitskreises für landschaftliche deutsche Städteforschung“
statt. Thema waren „Landes- und stadtgeschichtliche Grundfragen im Raum von
Maas, Saar und Mittelrhein“ Die Organisation lag in den Händen der „Kommis-
sion für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung“, genauer in denen
der Vorsitzenden, Frau Prof. Dr. Edith Ennen (f), und des Geschäftsführers und
Landesarchivars Dr. Hans-Walter Herrmann. Die gemeinsame Tagung war damals
für beide Veranstalter ein Novum und stellte für die Kommission sicherlich eine
besondere Herausforderung dar; sie war aber ein Gewinn für die Geschichtsfor-
schung unseres Raumes. Das Teilnehmerverzeichnis umfasste 64 Namen, darunter
in großer Zahl führende Vertreter der Landes- und Stadtgeschichtsforschung, auch
der französischen, luxemburgischen und belgischen Nachbarschaft.
Zum Programm der Tagung gehörten am Freitagnachmittag eine Exkursion in
die erst wenige Jahre zuvor ergrabene römische Siedlung Schwarzenacker bei
Homburg und am Samstag, 30. September 1967, eine Exkursion nach Lothringen,
abseits der üblichen Reisewege. Beide Exkursionen waren von Herrmann vorberei-
tet worden, der in Lothringen auch die Führung übernahm1 2. Zusammen mit Mitar-
beitern an Ennens Saarbrücker Lehrstuhl und mit anderen Doktoranden konnte ich
an der Tagung und auch an den Exkursionen teilnehmen. Besonders angetan war
ich von der Möglichkeit, so vielen bekannten Landes- und vor allem Stadthistori-
kern zu begegnen. Bei der Lothringen-Fahrt nutzte ich die Chance, einige von
ihnen zu fotografieren (wie üblich waren nicht alle Teilnehmer auch bei den Ex-
kursionen dabei)3. Mein Interesse galt also den Teilnehmern, nicht den Kunst-
denkmälern der besuchten Orte. Die Fotoserie hat sich in meinem privaten Album
erhalten. Sie stellt keine Auswahl aus einer Vielzahl von Aufnahmen dar, wie man
sie heute im Zeitalter der digitalen Fotografie leicht vornehmen kann. Beim Be-
trachten der Bilder wird mir nochmals bewusst, dass ich mich seinerzeit als Foto-
graf zurückgehalten habe und mich oftmals auch scheute, näher an Personen her-
anzugehen. Die Serie dürfte als Dokument aus der Geschichte der Kommission von
Interesse sein.
1 Ein umfangreicher Bericht über die Tagung, zusammengestellt von Edith Ennen, ist in
den Westfälischen Forschungen erschienen (Bd 22, 1969/70, S. 7-62). Er enthält die ge-
kürzten Fassungen bzw. Resümees der Referate von H.-W. Herrmann, E. Hlawitsch-
ka, E. Ennen, E. Maschke, F. Himly, G. Engelbert, G. Droege, P. Berghaus und J.
Schneider, dazu die Niederschriften der Diskussionen.
2 Die erwähnte Tagungspublikation enthält auch ausführliche Berichte über diese Exkursi-
onen (S. 57-62), für die Lothringen-Fahrt auch eine Skizze der Route (S. 61, mit
falschem Datum).
3 Leider konnte ich nicht alle Teilnehmer identifizieren, auch bei einigen nicht angeben, ob
bereits verstorben.
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Stationen der Exkursion waren Neusaarwerden - Saarwerden - Marsal - Vic -
Nancy - St. Nicolas-de-Port - Amance - Pont-à-Mousson - Mousson. Erste Auf-
nahmen machte ich in Saarwerden, dem ehemaligen Stammsitz des gleichnamigen
mittelalterlichen Grafengeschlechts. Im Bild erfasst wurden die Teilnehmer beim
Überschreiten der Saarbrücke nach dem Besuch der ehemaligen Stiftskirche St.
Blasien (Abb. 1). Ennen und der Tübinger Stadtarchivar Dr. Jürgen Sydow (+), zu-
gleich Geschäftsführer des „Arbeitskreises für südwestdeutsche Stadtgeschichts-
forschung“, ferner dahinter der saarländische Heimatforscher Kurt Hoppstädter (t)
verlassen die Kirche (Abb. 2), ebenso wie Dr. Ursula Lewald (f), Bonn (Abb. 3).
Es folgt eine Gruppenaufnahme in Vic (Abb. 4), in einem der bedeutenden Orte im
lothringischen Salzgebiet, seit dem 13. Jahrhundert Sitz der aus Metz vertriebenen
Bischöfe. Die Teilnehmer stehen vor der alten bischöflichen Münze, einem der
schönsten lothringischen Profanbauten. Links die Saarbrücker Dozentin Dr. Ilse
Spangenberg (|), Stadtarchivar Dr. Dietrich Höroldt, Bonn, ganz rechts Schulrat
Theo Schwinn (t), Neunkirchen, daneben Sydow. Etwas näher erfassen konnte ich
die Professoren Dr. Fernand Vercauteren (|), Lüttich, und Dr. Erich Maschke (f),
Heidelberg (Abb. 5). Vercauteren gehörte der Städtekommission des Internationa-
len Historikerverbandes an; Maschke war damals Vorsitzender des erwähnten „Ar-
beitskreises für südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung“.
In der lothringischen Herzogsstadt Nancy erwarteten uns zwei angenehme ge-
sellschaftliche Ereignisse: Die Faculté des Lettres de l'Université de Nancy, vertre-
ten durch den Dekan Prof. Jean Schneider, gab für uns einen Empfang, dem ein
gemeinsames Mittagessen im Restaurant „Le Glacier“ an der berühmten Place Sta-
nislas folgte. In Nancy entstanden die meisten meiner Aufnahmen. Schneider, Do-
yen der lothringischen Geschichtsforschung, empfing die Teilnehmer vor der Uni-
versität (Abb. 6). Er begleitete auch Ennen danach; dahinter Vercauteren (Abb. 7).
Fotografiert habe ich Prof. Franz Petri (t), Münster, Vorsitzenden der „Arbeitsge-
meinschaft für Landes- und Volksforschung“, im Gespräch mit Kollegen (Abb. 8)
und eine weitere Gruppe (Abb. 9): Links der Verfasser, zweiter von rechts Dokto-
rand Theo Raach (t), damals Düsseldorf, mit zwei Münsteraner Kollegen (nur ne-
benbei: Der später übliche „Exkursionslook“ war damals noch nicht so im
Schwange!). Auf einem weiteren Gruppenfoto links Raach, rechts der langjährige
Zeichner des Saarbrücker Historischen Instituts, Martin Wolff (f) (Abb. 10).
Das Mittagessen endete gegen 15:30 h. (es war abgeschlossen worden mit ei-
nem zünftigen lothringischen „Mirabelle“). Da einige Teilnehmer die Exkursion
verließen, kam es vor dem Saarbrücker Bus zu Abschiedsszenen, von denen ich ei-
nige fotografieren konnte: Ennen verabschiedet sich von Vercauteren (Abb. 11).
Ganz Rechts Schwinn, daneben Petri. In einer weiteren Gruppe (Abb. 12) rechts
Stadtarchivar Dr. Berent Schwineköper (t), Freiburg, neben ihm Dr. Martin Herold
(f), Bonn, vorne Vercauteren. Vor dem Bus stehen (von links nach rechts) Masch-
ke, Prof. Dr. Bernhard Kirchgässner (t), Mannheim, Schwineköper, in der Mitte
Stadtarchivar Dr. Richard Laufner, Trier, davor rechts Ennen (Abb. 13). Die Grup-
pe der ausländischen „Relicti“ erwartet die Abfahrt des Busses (Abb. 14): von links
nach rechts: Dr. André Joris, chef de travaux, Lüttich, Schneider, ganz rechts Ver-
cauteren.
Angesichts der herbstlichen Jahreszeit und der vorgerückten Stunde war nicht
daran zu denken, das vorgesehene Programm noch voll durchfuhren zu können.
Besucht wurde St. Nicolas-de-Port, früher ein berühmter lothringischer Wallfahrts-
562
ort und blühender Handelsplatz. Vor der Westfassade der bedeutenden spätgoti-
schen Wallfahrtskirche gibt Herrmann (Mitte) Erläuterungen (Abb. 15). Von rechts
nach links: Laufner, Maschke, Prof. Dr. Bernhard Aubin (f), Saarbrücken, Kirch-
gässner, Sydow und andere. Ein weiteres Foto (Abb. 16) zeigt die bei solchen Ex-
kursionen üblichen lebhaften Diskussionen im Teilnehmerkreis; in der Mitte En-
nen, rechts Kirchgässner, Herold, vorne Laufner.
ln der Abendämmerung nur noch berührt wurden die lothringische Bergstadt
Amance, ebenso die ehemalige Universitätsstadt Pont-ä-Mousson und die immer
noch beeindruckenden Reste der alten Bergfestung Mousson.
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Abb. 1
Abb. 2
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Abb. 4
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Abb. 5
Abb. 6
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Abb. 7
Abb. 8
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Abb. 9
Abb. 10
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Abb. 12
Abb. 11
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Abb. 13
Abb. 14
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Abb. 16
f
Erinnerungen an meine Assistenten- und Dozentenzeit an
der Universität des Saarlandes in Saarbrücken
Eduard Hlawitschka
Als ich zum 1. September 1961 die Assistentenstelle am Lehrstuhl für Mittelalter-
liche Geschichte der Universität des Saarlandes übernahm, hatte ich bereits so
manche Lebenserfahrung gesammelt. Das unterscheidet meinen Weg in die Wis-
senschaft wohl etwas von dem der heutigen Forschungs- und Lehranwärter. Im Al-
ter von 15 Jahren, 2 Monaten und 2 Tagen war ich am 10. Januar 1944 zum Mili-
tärdienst einberufen worden; 14 Monate lang war ich danach als Luftwaffenhelfer
bei Flak-Einheiten - zunächst in Brüx, dann in Aussig-Türmitz, Eger und zuletzt in
Pilsen - eingesetzt gewesen, war am 9. Mai 1945 als Soldat einer Luftwaffenein-
heit in der Nähe von Prag in russische Kriegsgefangenschaft geraten, hatte zweimal
unter lebensgefährlichen Umständen die Flucht aus der Gefangenschaft gewagt
und war am 15. Mai 1945 glücklich in meine Heimat in Nordböhmen/Sudetenland
zurückgekehrt. Anschließend hatte ich bis zum Jahresende 1945 als Knecht auf
dem (Ende Mai 1945) von Tschechen enteigneten elterlichen Bauernhof gearbeitet,
von Anfang Januar bis zum 19. Juli 1946 in einem Steinbruch Schwerstarbeit ge-
leistet, danach meine Heimat durch Ausweisung verloren, nach zwei Jahren Ober-
schulbesuch in Rostock/Mecklenburg mein Abitur abgelegt und ein Universitäts-
studium in Rostock begonnen. Die dort aufziehenden politischen Repressionen hat-
ten aber nach nur drei Studiensemestem einen Universitätswechsel nach Leipzig
und im Dezember 1950 die Flucht nach West-Berlin erzwungen. Als „politischer
Flüchtling“ war ich - nach dreieinhalb Monaten „Notstandsarbeit“ im Wasserwerk
Siemensstadt - nach dem Westen ausgeflogen worden und hatte danach in Frei-
burg/Breisgau mein Studium der Fächer Geschichte, Geographie und Latein fort-
setzen können und zwar als „Werkstudent“, der allein für sein Leben aufkommen
musste und dabei unter anderem zweieinhalb Jahre bei der Freiburger Straßenbahn
als Schaffner im Wochenenddienst seinen Lebensunterhalt verdiente. Am Ende des
Wintersemesters 1955/56 hatte ich endlich mein Studium mit einer Promotion bei
Prof. Dr. Gerd Tellenbach1 im Fach Mittelalterliche Geschichte abschließen kön-
Dieser Beitrag wurde nach einem dazu ermutigenden Telefongespräch mit dem Leiter
des Archivs der Universität des Saarlandes, Herrn Archivoberrat Dr. Wolfgang Müller, im
März 2012 verfasst und im Saarbrücker Universitätsarchiv mit Anmerkungen versehen.
Prof. Dr. Gerd Tellenbach (1903-1999). Vgl. dazu unter anderem seine Autobiographie:
Gerd Tellenbach, Aus erinnerter Zeitgeschichte, Freiburg 1981. Außerdem Dieter
Mertens, Hubert Mordek und Thomas ZOTZ, Gerd Tellenbach (1903-1999). Ein Medi-
ävist des 20. Jahrhunderts. Vorträge aus Anlaß seines 100. Geburtstages in Freiburg im
Breisgau am 24. Oktober 2003, Freiburg 2005; Anne Christine Nagel, Im Schatten des
Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1970
(Formen der Erinnerung 24), Göttingen 2005, S. 145-155; Anne Christine Nagel, Mit-
telalterliche Geschichte, in: Die Freiburger Philosophische Fakultät 1920-1960. Mitglie-
der - Strukturen - Vernetzungen, hg. von Eckhard WiRBELAUER (Freiburger Beiträge zur
Wissenschafts- und Universitätsgeschichte, Neue Folge 1), Freiburg/Breisgau 2006, S.
387-410; Anne Christine Nagel, Gerd Tellenbach. Wissenschaft und Politik im 20. Jahr-
hundert, in: Das Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter. Ein per-
573
nen. Da ich jedoch nicht in den Schuldienst eintreten wollte, Assistentenstellen an
der Universität aber äußerst rar waren, hatte sich dann eine Beschäftigung bei der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) als Helfer Tellenbachs in einem der Er-
forschung der Adelsgesellschaft Alemanniens im Früh- und Hochmittelalter ge-
widmeten Projekt angeschlossen. Hierbei hatte ich mich schließlich auf die Edition
eines für die Adelserforschung nicht unwichtig erscheinenden Gedenkbuches ein-
gelassen - des Liber memorialis aus dem Südvogesenkloster Remiremont - und
die Editionsvorbereitungen zusammen mit dem Freiburger Institutsassistenten Dr.
Karl Schmid* 2 zu einem gewissen Abschluss gebracht. So hatte ich also, als ich von
Prof. Dr. Ludwig Buisson3 im Frühjahr 1961 das Angebot erhielt, vom Herbst an in
Saarbrücken sein Assistent zu werden, schon mannigfach Lebenserfahrung ge-
sammelt.
Der Umzug nach Saarbrücken mit meiner im Sommer 3958 gegründeten Fami-
lie, der inzwischen ein im Oktober 1960 geborener kleiner Sohn angehörte, (in die
Stieringer Straße 46) erfolgte zu diesem Termin. Diese Wohnung hatte ich - trotz
aller damals vorhandenen großen Wohnungsnot - bei einer „Erkundungsfahrt“
nach Saarbrücken im Sommer 1961 überraschend schnell gefunden. Und so sollte
mein Dienstantritt am dortigen Historischen Institut eigentlich ganz reibungslos
beginnen. Doch er verlief anders als geplant. Da die Arbeiten am Liber memorialis
von Remiremont in den Augen Professor Tellenbachs, der damals die Direktion
des Deutschen Historischen Instituts in Rom übernommen hatte, in verschiedenen
Punkten noch ergänzungsbedürftig waren, bat er darum, dass ich - noch vor Se-
mesterbeginn - um den 20. September 1961 für drei bis vier Tage zu ihm nach
Rom kommen möchte, um letzte Editionsprobleme zu besprechen. Ich fuhr deshalb
nach Rom, die Turbulenzen, die das zur Folge hatte, habe ich - als hübsche kleine
Ausgangsepisode auf meiner „Karriereleiter“ - nicht vergessen; ich möchte sie hier
mitteilen, um zu verdeutlichen, wie kurios manchmal der Aufstieg in einem Wis-
senschaftlerleben beginnen kann.
Da nicht alle noch diskussionsbedürftigen Probleme um den Liber memorialis in
der vorgesehenen Frist gelöst werden konnten, bat mich Herr Tellenbach, noch drei
Tage anzuhängen; er selbst werde bei Herrn Buisson anrufen und meine spätere
sonengeschichtlicher Ansatz, hg. von Ulrich Pfeil (Pariser historische Studien 86), Mün-
chen 2007, S. 79-99.
Der Nachlass befindet sich im Universitätsarchiv Freiburg unter der Signatur C 0157 und
wurde 2006 von Dieter Speck erschlossen.
2 Prof. Dr. Karl Schmid (1923-1993): Vgl. dazu die bio-bibliographische Übersicht Karl
Schmid, in: Der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte. Die Mitglieder
und ihr Werk. Eine bio-bibliographische Dokumentation, hg. von Jürgen Petersohn,
Stuttgart 2001, S. 361-369.
3 Prof. Dr. Ludwig Buisson (1918-1992) wirkte von 1961 bis 1967 als Ordinarius für Mit-
telalterliche Geschichte an der Universität des Saarlandes und war Ehrendoktor der Uni-
versität Bordeaux. Vgl. unter anderem: Lebendiges Mittelalter. Aufsätze zur Geschichte
des Kirchenrechts und der Normannen. Festgabe zum 70. Geburtstag von Ludwig Buis-
son, hg. von Günter Moltmann und Gerhard Theuerkauf, Köln 1988. - Ludwig Buis-
son f, in: uni hh, Berichte, Meinungen aus der Universität Hamburg 23, Nr. 4, Oktober
1992, S. 62-64; Gedenkreden auf Ludwig Buisson (1918-1992). Ansprachen auf der
Akademischen Gedenkfeier am 7. Januar 1993 (Hamburger Universitätsreden 53), Ham-
burg 1993.
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Rückkehr zum verabredeten Dienstantritt bei Semesterbeginn mit ihm besprechen.
Indessen hat Herr Tellenbach dies versäumt oder sich nicht mit Herrn Buisson ei-
nigen können, ohne es mir zu sagen. Als ich jedenfalls am Dienstag, den 3. Okto-
ber 1961, morgens - nach vielstündiger Fahrt mit dem Nachtzug - aus Rom nach
Saarbrücken zurückgekommen war, musste mir meine Frau berichten, dass sich
Herr Buisson in mehreren Telefonaten sehr indigniert über mein Fernbleiben geäu-
ßert hatte: er habe mich doch seinen Kollegen und den Seminarmitarbeitern sowie
in der Veranstaltung zum Semesterbeginn den Studenten vorstellen wollen, was
nun alles gründlich daneben gegangen sei. Als ich dann zum (von ihm mit meiner
Frau im Telefonat vereinbarten) Termin (um 14 Uhr) auch noch mit zehnminütiger
Verspätung (weil ich die Busverbindungen von der Stadt zur Universität noch nicht
kannte) im etwa vier Kilometer außerhalb Saarbrückens im großen Stadtwald gele-
genen Universitätsgelände (einer ehemaligen Kaserne) eintraf, war sein Groll noch
nicht abgeflaut. Ich hatte ihn schon durch die Fenster im langen Flur des Instituts-
gebäudes auf- und abgehen und demonstrativ nach einer großen Wanduhr blicken
sowie den Zeigerstand mit demjenigen seiner Armbanduhr vergleichen gesehen.
„So geht es aber nicht, Herr Hiawitschka!“, waren seine ersten Worte, auf die ich
entgegnete, ich wisse Bescheid. Und als er danach - im Dienstzimmer angekom-
men - mit den gleichen Worten zum zweiten Mal mit einer schon zurecht gelegten
Standpauke beginnen wollte und ich meine gleichen drei Worte wiederholte und
hinzufugte, ich brauchte keine Belehrung, da ich die Regeln eines geordneten Zu-
sammenwirkens kenne und auch nicht mutwillig zu missachten gedächte, andern-
falls ich mich ja wieder bei der Straßenbahn nach einer Beschäftigung umsehen
könnte, da herrschte - einen sehr gedehnten Moment lang - eisige Stille. Ich hatte
freilich klargestellt, dass er mich nicht als einen willfährigen Befehlsempfänger be-
trachten könnte, dass ich ein Mitarbeiter, kein Untergebener, sein wollte. (Gewiss
war ich mit diesen - wenn ich mir das heute überlege - barsch wirkenden Worten
an die Grenze des Möglichen gegangen. Sie drückten indessen meinen damaligen -
auf der Basis meiner Lebenserfahrungen entstandenen - Selbstbehauptungswillen
aus, der sich nach einem Vortrag bei einer Mediävistentagung im März 1959 auf
der Insel Reichenau und mehreren daraufhin erhaltenen Angeboten von Assisten-
tenstellen sowie den ersten lobenden Äußerungen über meine im Druck vorliegen-
de Dissertation [Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien, 774-
962] ergeben hatte.) Das danach etwas angespannte Verhältnis zu Herrn Buisson
hat sich freilich recht bald gelockert, und es sollte sich in den nächsten vier Jahren
bis zu meiner Habilitation zu einer rechten Kameradschaft wandeln. Wissenschaft-
lich sind wir uns freilich - das will ich hier auch gleich vermerken - nicht viel nä-
her gekommen, denn unsere Arbeitsinteressen lagen zu weit auseinander: seine im
Spätmittelalter und der Kanonistik, das heißt in den Berührungszonen von Kirche
und Recht, sowie in der Geschichte der Normannen, meine im Früh- und Hochmit-
telalter, in der Erforschung der europäischen adligen Führungseliten, wie ebenso in
der Kirchen- und Klostergeschichte.
In Saarbrücken habe ich meine Kräfte zuerst in den Aufbau einer den üblichen
Standards entsprechenden Seminarbibliothek4 gesteckt. In der erst seit dem Herbst
Vgl. zur frühen Geschichte des Historischen Instituts der Universität des Saarlandes ein-
schließlich der Bibliothekssituation die verschiedenen Erinnerungsberichte der Zeitzeu-
gen, in: Jubiläumsschrift zum sechzigjährigen Bestehen des Historischen Instituts der
575
4
1948 bestehenden, unter der Ägide der französischen Besatzungsmacht gegründe-
ten Saar-Universität hatte man die Seminarbibliotheken bislang lediglich mit
Nachschlagewerken, Handbüchern und einigen wenigen Quellenpublikationen und
Hilfsmitteln ausgestattet. Eine Umstellung auf eine - nach dem Vorbild der sonsti-
gen deutschen Universitäten - auch mit Spezialliteratur ausgestattete Arbeitsbiblio-
thek für Studenten (mit Umstellung und Umsignierung der vorhandenen Buchbe-
stände in ein benutzerfreundliches System) war also erforderlich. Das wurde gleich
in den ersten Wochen der anschließenden Semesterferien durchgeflihrt. Um eine
brauchbare Arbeitsbibliothek zu schaffen, war es gleichfalls notwendig, Neuankäu-
fe in größerem Stil zu tätigen und entsprechende Möglichkeiten in Antiquariaten -
auch in Paris und Nancy - ausfindig zu machen. Zwei Reisen nach Paris und
Nancy habe ich dabei (1962) nutzen können für Studien in der Bibliothèque Natio-
nale in Paris und im Archiv von Nancy, ergänzt durch Fahrten nach Remiremont,
Épinal und Bar-le-Duc, um die notwendigen Studien zu einem bereits in Freiburg
begonnenen Buch über die Äbtissinnenreihe von Remiremont (1963) fertig stellen
zu können und somit die Edition des Liber memorialis von Remiremont weiter vo-
ranzutreiben.
Von meinem zweiten Saarbrücker Semester an hatte ich auch regelmäßig die
Abhaltung der mittelalterlichen Proseminare zu übernehmen. Alfons Becker", der
bisherige Assistent, der sich habilitiert und einen Ruf an die Universität Mainz er-
halten hatte, stand für diese Aufgabe ja nicht mehr zur Verfügung. Diese Tätigkeit
schuf mir einen ersten Eindruck davon, wie man in der Lehre seinen Mann zu ste-
hen hat. Es hat mir richtiggehend Spaß gemacht. Freilich merkte ich auch, wie we-
nig mir doch von einem systematischen Aufbau und von der Einbeziehung hilfs-
wissenschaftlicher Fragen aus meinem eigenen Rostocker Proseminar in Erinne-
rung geblieben war. (Das war wohl eine Folge davon, dass ich seinerzeit gehofft
hatte, das mir 1948/49 in Rostock im Verlauf politisch bedingter Querelen in der
damaligen sowjetischen Besatzungszone mehr oder weniger zudiktierte Ge-
schichtsstudium mit einer von mir eigentlich angestrebten Ausbildung zum Geolo-
gen vertauschen zu können, und dass ich deshalb dieses Proseminar ohne größeres
Interesse besucht hatte.)
Noch während des ersten Halbjahrs in Saarbrücken hatte ich mich auch in das
Oberseminar von Prof. Dr. Eugen Meyerf>, des emeritierten Vorgängers von Lud-
Universität des Saarlandes, hg. vom Historischen Institut in Zusammenarbeit mit dem
Universitätsarchiv, Saarbrücken 2009, S. 72-118. Den Aufbau der Bibliothek aus dem
Nichts dokumentiert insbesondere der „Historische Briefwechsel aus dem Gründungsse-
mester der Universität des Saarlandes“ zwischen den Professoren Eugen Meyer und Wal-
ter Mohr S. 67-71.
Prof. Dr. Alfons Becker (1922-2011): Nach dem Studium und der Promotion habilitierte
sich Alfons Becker als erster Historiker an der Universität des Saarlandes und wirkte
dann von 1964/65 bis zu seiner Emeritierung 1987 als Professor für mittelalterliche Ge-
schichte an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Vgl. insbesondere: Erinnerun-
gen. Prof. Dr. Alfons Becker, in: Jubiläumsschrift (wie Anm. 4), S. 74-77. Vgl. ferner
demnächst den Alfons Becker gewidmeten und in der Francia 2012 erscheinenden Nek-
rolog von Ernst-Dieter Hehl. (Ich danke Herrn Prof. Dr. Hehl für die freundliche Zusen-
dung des vorgesehenen Beitrages).
Prof. Dr. Eugen Meyer (1893-1972): 1948 Berufung auf den „Lehrstuhl für Geschichte
des Mittelalters“ an der Universität des Saarlandes, zunächst als Gastprofessor; Emeritie-
576
wig Buisson, begeben, um meine paläographischen Kenntnisse zu erweitern; denn
er war ja seit Jahrzehnten mit der Herausgabe der Urkunden Kaiser Ludwigs des
Frommen für die Monumenta Germaniae Historica (MGH) betraut und hatte ein
Oberseminar zu Editionsfragen bezüglich dieser Urkunden angekündigt. Als Herr
Meyer mich in der zweiten Stunde - bei meinem Namen auf der nur fünf Interes-
senten umfassenden Teilnehmerliste stutzend - fragte, ob ich wohl derjenige sei,
der das Buch über die oberitalienischen Grafen und sonstigen Adligen der Karolin-
gerzeit geschrieben hätte, und ich es bejaht hatte, konzentrierte er - mit der Be-
gründung, ich sei ja doch ein ausgewiesener Kenner personengeschichtlicher Ar-
beitsmethodik - seine Übungen auf einige, auf den Namen Ludwigs des Frommen
gefälschte Urkunden, deren Fälschungscharakter sich jedoch nicht (da es nur ab-
schriftliche Überlieferungen für sie gab) mit paläographischen Methoden, sondern
nur mit einer genauen Überprüfung der in ihnen enthaltenen genealogischen Anga-
ben nachweisen ließe. Ich hatte mich also in die Karolingergenealogie einzuarbei-
ten. Das ganze Semester lang habe ich über diese Fragen mit Herrn Meyer gleich-
sam im Clinch gelegen. An dessen Ende sagte er dann, er sei überzeugt, dass ich
mit meinen Ansichten recht hätte; ich sollte diese umgehend publizieren. Er habe
mit mir nur deshalb so ausdauernd gestritten beziehungsweise immer wieder neue
Einwände gebracht, damit meine Sicht nach allen Seiten hin unangreifbar werde.
So bin ich also gerade durch Eugen Meyer von der allgemeinen Personengeschich-
te zu deren spezieller Ausprägung in der Genealogie hingeführt worden. Wenn ich
später viel im Bereich der Genealogie geforscht und publiziert habe, dann verdanke
ich somit in erster Linie Eugen Meyer den Impuls, mich in dieses Arbeitsfeld hin-
einbegeben zu haben.
Auf Antrag Eugen Meyers wurde ich auch Anfang Juli 1963 in die Kommission
für Saarländische Landesgeschichte aufgenommen, ja er hat sogar ein Jahr später -
zusammen mit dem bisherigen Beisitzer Prof. Dr. Theodor Schieffer (Bonn/Köln)
meine Wahl in den Vorstand der Kommission eingeleitet. Das war für mich eine
große Ehre und zugleich eine Verpflichtung, mich weiter mit Fragen der Geschich-
te des alten Lotharingien zu befassen. Und Eugen Meyer hat mich - das möchte ich
besonders betonen - zudem 1964 auf die Beschäftigung mit den Ahnen des Hauses
Habsburg-Lothringen hingelenkt, indem er mich bat, mich mit (an ihn herangetra-
genen) Versuchen des Lieutenant-Colonel Larose (aus Nancy) auseinanderzuset-
zen, die Ahnen Papst Leos IX. zu ermitteln\ Da ich Quellen zur genealogischen
Zusammengehörigkeit der Vorfahren Leos IX. mit den Salierkaisern kannte und
mittels Einträgen im Liber memorialis von Remiremont auch über deren Verbin- * S. * *
rung 1961. Vgl. die ausführliche bio-bibliographische Dokumentation von Wolfgang
Müller in diesem Band.
Prof. Dr. Theodor Schieffer (1910-1992): Korrespondierendes Mitglied der Kommission
für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, Beisitzer im Vorstand. Vgl. un-
ter anderem: Gedenkschrift Theodor Schieffer 1910-1992, hg. von den Monumenta Ger-
maniae Historica, München 1993 und den Beitrag von Heribert Müller, Schieffer,
Theodor, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 735-736. Außerdem jetzt: Rolf
GROßE, Theodor Schieffer. Ein rheinischer Historiker und seine „Begegnung mit der ro-
manisch-französischen Welt“, in: Das Deutsche Historische Institut Paris (wie Anm. 1),
S. 119-137.
s Lieutenant-Colonel Alfred Larose, Étude sur les Origines du Pape St Léon (1002-
1054), Metz 1954.
577
düngen mit lotharingischen Adelsgruppen des 10. Jahrhunderts Bescheid wusste,
konnte ich dabei überraschenderweise nicht nur die den französischen Colonel in-
teressierenden Fragen klären, sondern ebenso die Ahnen des 1048 (als Herzoge) in
die Geschichte eintretenden lothringischen Hochadelsgeschlechtes - das heißt des
Hauses Habsburg-Lothringen - ermitteln.
Als sich dann im Hochsommer 1964 Professor Buisson in ein Freisemester ver-
abschiedete und mich dabei mit der Bemerkung überraschte, ich werde ja gewiss in
einem Jahr - nach dem Ablauf der üblichen vier Assistentenjahre - eine Habilitati-
onsschrift vorlegen, da riss mich dies zwar schroff aus meinem ruhiger geworde-
nen Lebensrhythmus und dem gerade begonnenen Abfassen von zwei Aufsätzen
heraus, es lenkte mich jedoch auch sogleich auf den Gedanken, die mir während
der Korrespondenz mit Colonel Larose deutlich gewordenen „Anfänge des Hauses
Habsburg-Lothringen“ zu einem gesonderten, genealogisch-hilfswissenschaftlich
strukturierten zweiten Teil meiner vorzulegenden Habilitationsschrift auszubauen.
Den anderen gerade in der Abfassung befindlichen Aufsatz über ein bislang unbe-
kanntes Treffen zweier Könige des ausgehenden 9. Jahrhunderts im Kloster Remi-
remont - das wurde mir auch sehr rasch klar - konnte ich als Mittelpunkt des nun
zügig zusammenzuschreibenden ersten Habilitationsschriftteils gebrauchen; dieser
konnte unter den Titel „Lotharingien und das Reich an der Schwelle der deutschen
Geschichte“ gestellt werden.
Bevor ich mich an die Niederschrift begab, musste aber noch rasch ein Umzug
von der Stieringer Straße 46 in eine größere Wohnung in der Semperstraße 8
durchgeführt werden. Dort schrieb ich dann zwischen dem August 1964 und dem
Frühsommer 1965 die beiden oben schon erwähnten Bände und reichte sie zum
Ende des Sommersemesters 1965 beim Dekanat der Philosophischen Fakultät der
Universität des Saarlandes als Habilitationsgrundlage ein; es ging mir dabei um
den Erwerb der Venia legendi sowohl für Mittelalterliche Geschichte als auch für
Historische Hilfswissenschaften, denn zwei Venien könnten ja - so meinte ich -
meine Aussichten, einmal eine Professur zu erhalten, verdoppeln. Das „Colloqui-
um“ - unter dem Dekanat des Orientalisten Prof. Dr. Helmut Gätje9 - fand wenige
Tage vor Weihnachten 1965 statt. Als Diskussionsgrundlage hielt ich einen Vor-
trag über den Einfluss staatlicher Maßnahmen auf die Bildung der europäischen
Nationen, ausgehend vom Beispiel Italien, das mir seit den Quellenstudien zu mei-
ner Dissertation schon vertraut war. Auch wenn die Diskussion sich auf die Ent-
wicklungen in Spanien und in Osteuropa ausdehnte und ebenso die Problematik
von Staat und Volk im Deutschen Reich des Spätmittelalters und der frühen Neu-
zeit einbezog, konnte ich die Professorenschaft der Saarbrücker Philosophischen
Fakultät - und das waren damals etwa 35 Personen - offenbar voll überzeugen.
9 Prof. Dr. Helmut Gätje (1927-1986): Seit 1963 Ordinarius für Orientalistik an der Uni-
versität des Saarlandes. 1965-1966 und 1975-1977 Dekan der Philosophischen Fakultät.
Vgl. auch Helmut Gätje, Die orientalistischen Studien an der Universität des Saarlandes,
Saarbrücken 1973, ferner die Nekrologe Rüdiger SCHMITT/Gerd-R(üdiger) Puin, Islami-
sches Weltbild und arabische Sprache. Orientalist an der Universität des Saarlandes -
Zum Tod von Helmut Gätje, in: Saarbrücker Zeitung vom 13. März 1986; Renate Ja-
COBi, Orientalistik und Universität waren sein Leben. Tod von Prof. Helmut Gätje ist für
Kollegen, Mitarbeiter und Studenten ein schmerzlicher Verlust, in: campus - Nachrich-
ten und Meinungen an den Hochschulen, 16. Jahrgang, Nr. 2, Juni 1986, S. 8.
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Die nach französischem Vorbild nur in Saarbrücken übliche „Thesenverteidi-
gung“ (Soutenance de la thèse) schloss sich dann am 3. Februar 1966 an. Letztere
war eine öffentliche, über l'A Stunden dauernde Veranstaltung, zu der auch das
Fernsehen erschien, um Filmaufnahmen für eine Sendung „Student von heute,
Hochschullehrer von morgen“ zu drehen. Unter dem gleißenden Scheinwerferlicht
kam ich richtig ins Schwitzen, aber ich glaube, dass ich mich gegenüber allen Fra-
gen und Einwänden der fünf Gutachter (Prof. Ludwig Buisson, Prof. Eugen Meyer,
Prof. Edith Ennen10, Prof. Heinrich Lutz11 und Prof. Konrad Repgen12) wacker ge-
schlagen habe. Die Antrittsvorlesung zu Beginn des Sommersemesters 1966 war
dann nur noch eine Formsache. Zumal ich mich im Colloquium auch mit Fragen
zur Neueren Geschichte auseinanderzusetzen hatte und diese zur Zufriedenheit der
Professorenschaft meisterte, wurde mir zu meiner Freude noch zusätzlich die gar
nicht erbetene Venia legendi für Neuere Geschichte zugesprochen. Ich war somit
Privatdozent geworden mit der Venia legendi für Mittlere und Neuere Geschichte
und Historische Hilfswissenschaften.
Mit meiner Habilitation und der Ernennung zum Privatdozenten waren nun alle
Voraussetzungen Für eine definitive Übernahme in den Universitätsdienst vorhan-
den. Und so wurde ich im Sommer 1966 zum Universitätsdozenten ernannt. Die
Zeit des Vorlesungschreibens war damit angebrochen. Ich begann - neben der mir
bereits vertrauten Abhaltung der Proseminare für das Studium der mittelalterlichen
Geschichte - im Sommersemester 1966 mit einer Vorlesung über „Die Zeit der
späten Karolinger und der Ottonen“, in der ich mich durch die Habilitation gut be-
wandert fühlte. Für das folgende Wintersemester 1966/67 diktierte mir Herr Buis-
son kurzerhand eine Vorlesung über „Das Zeitalter Friedrich Barbarossas“ zu, in
die ich mich rasch einzuarbeiten vermochte; angekündigt hatte ich freilich ein Kol-
leg über den Investiturstreit.
1,1 Prof. Dr. Edith Ennen (1907-1999): 1964-1968 Ordinaria für Wirtschafts- und Sozialge-
schichte an der Universität des Saarlandes. Vgl. die ausführliche bio-bibliographische
Dokumentation von Wolfgang Müller in diesem Band.
11 Prof. Dr. Heinrich Lutz (1922-1986): 1963-1967 Ordinarius für Neuere Geschichte an
der Universität des Saarlandes. Vgl. Eberhard Weis, Lutz, Heinrich, in: Neue Deutsche
Biographie 15 (1987), S. 567-568; Die Einheit der Neuzeit. Zum historischen Werk von
Heinrich Lutz, hg. von Alfred Köhler und Gerald Stourz (Wiener Beiträge zur Ge-
schichte der Neuzeit 15), Wien 1988; Karl Otmar Freiherr von Aretin, Heinrich Lutz
20.8.1922-18.5.1986, in: Historische Zeitschrift 244 (1987), S. 487-493.
12 Prof Dr. Konrad Repgen (geboren 1923): 1962-1967 Ordinarius für Neue und Neueste
Geschichte an der Universität des Saarlandes, Ehrendoktor der Universität Bayreuth. Vgl.
insbesondere: Erinnerungen. Prof. Dr. Dr. h.c. Konrad Repgen, in: Jubiläumsschrift (wie
Anm. 4), S. 102-103, ferner Joachim Scholtyseck, Reden zum 80. Geburtstag von Kon-
rad Repgen am 12. Mai 2003 (Bonner akademische Reden 87), Bonn 2003 und Karl-
Joseph Hummel, Zeitgeschichtliche Katholizismusforschung. Tatsachen, Deutungen,
Fragen. Eine Zwischenbilanz (Konrad Repgen zum 80. Geburtstag, Rudolf Morsey zum
75. Geburtstag), (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B, For-
schungen 100), Paderborn 220 06; Die Katholiken und das Dritte Reich. Kontroversen
und Debatten. Konrad Repgen zum 85. Geburtstag, hg. von Karl-Joseph Hummel und
Michael KißENER, Paderborn 2009. Vgl. jetzt auch Hubert Wolf, Reichskonkordat für
Ermächtigungsgesetz? Zur Historisierung der Scholder-Repgen-Kontroverse über das
Verhältnis des Vatikans zum Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschich-
te 60(2012), S. 169-200.
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Dieses Vorlesungschreiben war jetzt wie auch in den späteren Jahren stets eine
Aufgabe für die Abend- und Nachtstunden des Vortages der Vorlesung. Da ich mir
am Beginn des Semesters nur einen groben Plan zurechtlegte, was alles während
der künftigen Vorlesungsstunden zu behandeln ist, welche Phänomene und Ge-
schehensabläufe unbedingt zur Sprache kommen müssten, was innerhalb des ersten
Semesterviertels beziehungsweise der ersten -hälfte ausgeführt sein müsste et cete-
ra, kam ich auch gut mit dem angekündigten Stoff zum vorgesehenen Ende; das
hatte den Vorteil, dass ich - da sich das Ausarbeiten des Textes einer Vorlesungs-
stunde meist bis in die frühen Morgenstunden (etwa bis gegen vier Uhr morgens)
hinzog - dann beim Vortragen mitten in den Problemen drinsteckte, nicht am Ma-
nuskript kleben musste und daher - wie ich meine - lebendig vortragen konnte. An
ein Ausarbeiten der Vorlesung bereits während der Semesterferien konnte und
wollte ich mich - auch später - nicht gewöhnen; das wäre für die „Unmittelbar-
keit“ des Vortrages nicht günstig gewesen und hätte mir auch die Möglichkeit ge-
nommen, während der Semesterferien weitere wissenschaftliche Aufsätze zu ver-
fassen, mit denen ich meinen Stand in der Mediävistik zu festigen hatte, wollte ich
irgendwann einmal einen „Ruf ‘ auf eine Professorenstelle erhalten.
Im Frühjahr 1967 übernahm ich - eingearbeitet in die Geschichte Lothringens
und ebenso des Saarlandes - die Direktion des Instituts für Landeskunde des Saar-
landes1', das bis dahin unter der Leitung des in den Ruhestand verabschiedeten und
in seine Schweizer Heimat zurückgekehrten, für Wirtschaftsgeschichte zuständigen
Professors Dr. Hektor Ammann* 14 gestanden hatte. Dass dieses Institut offenbar als
lj Das im Dezember 1959 „als zentrale Forschungsstelle für Landeskunde“ begründete
„Institut für Landeskunde des Saarlandes“ wurde als staatliche Einrichtung beim Kul-
tusministerium angesiedelt und nahm seine Aufgaben in der Organisationsform einer
dem Ministerium nachgeordneten Behörde wahr. Vgl. die entsprechenden Angaben unter
http://www.iflis.de/index.php/institut/verein/institutshistorie. Eine detaillierte Institutsge-
schichte ist ebenso ein Desiderat wie eine Analyse des Verhältnisses zwischen der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung und dem Institut,
worauf auch Marlies Franke in ihrem Beitrag in dieser Festschrift auf S. 1 ff. hinweist.
14 Prof. Dr. Hektor Ammann (1894-1967): Unter anderem seit 1955 Honorarprofessor für
Wirtschaftsgeschichte an der Universität Mannheim, seit dem Wintersemester 1957/58
auch an der Universität des Saarlandes tätig; zunächst als Lehrbeauftragter, im Sommer-
semester 1958 als Lehrbeauftragter und Gastprofessor, seit Oktober 1958 Extraordinarius
für Wirtschaftsgeschichte auf die Dauer von fünf Jahren bis zum 30. September 1963. Im
Februar 1961 werden ihm die „Amtsbezeichnung und die akademischen Rechte eines or-
dentlichen Professors“ verliehen und im Juli 1963 die korporationsrechtiche Stellung ei-
nes „Professor emeritus“ gewährt. Im Wintersemester 1963/64 und Sommersemester
1964 vertritt er seinen Lehrstuhl. Von 1960 bis 1967 Direktor des Instituts für Landes-
kunde des Saarlandes. Vgl. unter anderem: Zum Andenken an Dr. phil. Hektor Ammann,
Universitätsprofessor. Trauerfeier in der Stadtkirche Aarau am 27. Juli 1967 (Dokumen-
tation der Ansprachen); Eduard Hlawitschka, Sein großes Werk: der historische Saarat-
las - Zum Tode von Professor Dr. Hektor Ammann, in: Saarbrücker Zeitung vom 25. Juli
1967; Hermann Aubin, Hektor Ammann t, in: Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirt-
schaftsgeschichte 54 (1967), S. 572-576; Emil Meynen, Hektor Ammann, in: Berichte
zur Deutschen Landeskunde 43 (1969), S. 41-72; Christian Simon, Hektor Ammann -
Neutralität, Germanophilie und Geschichte, in: Intellektuelle von rechts: Ideologie und
Politik in der Schweiz 1918-1939, hg. von Aram Matteoli, Zürich 1995, S. 29-53; Mi-
chael Fahlbusch, Zwischen Kollaboration und Widerstand. Zur Tätigkeit schweizeri-
eine Reflexgründung aus dem Lager der „Heimatbund“-Parteien|s der Zeit des
Saarreferendums vom Oktober 1955 gegen die unter der Leitung von Eugen Meyer
stehende „Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung“
entstanden war (denn Eugen Meyer war ja als „Direktor“ im Saarbrücker Kultus-
ministerium und „rechte Hand“ des für das „Europäische Saarstatut“ eintretenden
Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann15 16 tätig gewesen), wusste ich sehr wohl;
doch konnte ich begründet hoffen, durch meine inzwischen (über die Diskussionen
im Bereich der Genealogie) herangereiften Kontakte zu Eugen Meyer die noch un-
terschwellig spürbaren Animositäten aus der Referendumszeit überwinden zu kön-
nen. Eine Zukunft im Saarland schien sich für mich dadurch anzubahnen; wurde
ich doch auch im Sommer 1966 zum stellvertretenden Vorsitzenden der Kommis-
sion für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung gewählt. Und ich be-
gann, mich schon innerlich auf eine Zukunft in Saarbrücken einzustellen. Doch es
sollte anders kommen.
Das hing damit zusammen, dass Professor Buisson zu Ende 1966 einen Ruf an
die Universität Hamburg erhielt und diesem 1967 folgte; damit wurde sein Lehr-
stuhl frei. Für die Nachfolge wurde nun - wie ich aus vielen Andeutungen heraus-
lesen konnte - auch ich ins Gespräch gebracht. Offenbar war wegen meines über-
zeugenden Auftretens im Habilitationscolloquium und bei der Thesenverteidigung
eine größere Zahl von Professoren der Philosophischen Fakultät davon überzeugt,
dass ich sowohl für die Mediävistik wie auch für die Landeskunde des Saarlandes
ein Gewinn wäre. Widerstand hiergegen ging - das ließ man unter der Hand
scher Kulturwissenschaftler in der Region Basel während des Dritten Reiches, in: Basler
Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 107 (2002), S. 47-74; Markus Enzenau-
er, Wirtschaftsgeschichte in Mannheim. Das Fach und seine Vertreter an Handelshoch-
schule, Wirtschaftshochschule und Universität (Mannheimer Historische Forschungen
22), Ludwigshafen 2005, S. 48-71.
Zur Zeit widmet sich Fabian Link (Universität Basel) in einem Projekt den Laufbahnen
und Wissenskonstruktionen von drei so genannten ehemaligen „Volkshistorikem“ nach
1945, darunter Hektor Ammann (freundliche Information von Fabian Link vom 7. Januar
2012).
15 Nach der Zulassung der bislang verbotenen prodeutschen Parteien im Abstimmungs-
kampf um das von Bundeskanzler Adenauer und dem französischen Ministerpräsidenten
Pierre Mendes-France vereinbarte Saarstatut hatten sich die Gegner des „Saar-Statuts“,
die Christlich Demokratische Union Saar (Vorsitzender Dr. Hubert Ney), die Deutsche
Sozialdemokratische Partei (Vorsitzender Kurt Conrad) und Demokratische Partei (Vor-
sitzender Dr. Heinrich Schneider) am 3. September 1955 zum „Deutschen Heimatbund“
zusammengeschlossen. Nach einer leidenschaftlich geführten Auseinandersetzung und
der Ablehnung des Saarstatuts in der Volksabstimmung vom 23. Oktober 1955 gewannen
die Heimatbund-Parteien auch die folgenden Landtagswahlen im Dezember 1955.
16 Johannes Hoffmann (1890-1967): 1947-1955 erster Ministerpräsident des Saarlandes.
Vgl. zuletzt Heinrich Küppers, Johannes Hoffmann (1890-1967). Biographie eines Deut-
schen (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 54), Düsseldorf 2008. Die Rolle
Meyers als jeweils parteiloser Direktor im Kultusministerium im zweiten Kabinett Hoff-
mann 1951/52 und 1955/56 im Kabinett Heinrich Welsch und anfangs auch im Kabinett
Ney und seine Position zu seinem Konabiturienten Hoffmann bedürfen noch einer aus-
führlichen Analyse.
581
durchblicken - von Prof. Dr. Thomas Finkenstaedt17, einem Anglisten, aus; er habe
argumentiert, dass eine so genannte „Hausberufung“ einen Verstoß gegen universi-
täre Usancen zur Vermeidung von Verkrustungen im Universitätsleben bedeuten
würde. Dazu kam, dass man auch in Mannheim (bevorstehende Nachfolge des
Mediävisten Prof. Dr. Karl Ferdinand Werner18 19, der für die Leitung des Deutschen
Historischen Instituts in Paris gewählt war) und in Bonn (bevorstehende Nachfolge
des Direktors des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, Prof.
Dr. Franz Petri14) an mir interessiert war und mich zu Gastvorträgen einlud, wobei
mir selbst eine Berufung in die Leitung des Rieseninstituts in Bonn als Überforde-
rung meiner Kräfte keinesfalls wünschenswert erschien. (Man war sich in Bonn
unsicher, ob man die an erste Stelle der Berufungsliste gesetzte, aber bereits im 60.
Lebensjahr stehende Frau Prof. Dr. Edith Ennen beim Düsseldorfer Ministerium
noch werde durchsetzen können.)
Zumindest in den Streit der Saarbrücker Professoren weiter hineingezogen zu
werden, wurde mir erspart: Professor Tellenbach, der seit Spätsommer 1961 das
1 Prof. Dr. Thomas Finkenstaedt (geboren 1930) wurde 1960 als Extraordinarius fur engli-
sche Philologie mit besonderer Berücksichtigung der Sprache und älteren Literatur an die
Universität des Saarlandes berufen und hatte dann von 1961 bis zu seinem Wechsel an
die Universität Augsburg 1972 das Ordinariat für englische Philologie und Literaturwis-
senschaft inne. 1968-1969 war er Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität des
Saarlandes und 1970-1972 Präsident des Hochschulverbandes. Vgl. zu Biographie und
wissenschaftlichem Weg unter anderem: Valete. Festschrift zum Eintritt in den Ruhe-
stand von Thomas Finkenstaedt (Wildsteiger OHO Schriften 3), Wildsteig 1992.
18 Prof Dr. Karl Ferdinand Werner (1924-2008): Unter anderem von 1968 bis 1989 Direk-
tor des Deutschen Historischen Instituts Paris. Vgl. unter anderem Karl Ferdinand Wer-
ner, Ein Historiker der „Generation 1945“ zwischen „deutscher Historie“, „Fach“ und
Geschichte, in: Erinnerungsstücke. Wege in die Vergangenheit. Rudolf Vierhaus zum 75.
Geburtstag gewidmet, hg. von Hartmut Lehmann und Otto Gerhard Oexle, Wien 1997,
S. 237-248; Olivier GuiLLOT, Karl Ferdinand Werner „novissimus fundator“, in: Das
Deutsche Historische Institut Paris und seine Gründungsväter (wie Anm. 1), S. 221-231;
Claudia Märtl, Karl Ferdinand Werner 21.2.1924-9.12.2008, in: Jahrbuch der Bayeri-
schen Akademie der Wissenschaften 2009, S. 236-238; Werner Paravicini, Karl Ferdi-
nand Werner (1924-2008), in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 542-549; Otto
Gerhard Oexle, Karl Ferdinand Werner: 21. Februar 1924-9. Dezember 2008, in: Fran-
cia 36 (2009), S. 409-410; Peter Schöttler, Karl Ferdinand Werner et l’histoire du
temps présent, in: Francia 38 (2011), S. 179-189.
19 Prof. Dr. Franz Petri (1903-1993) agierte unter anderem zwischen 1961 und 1968 als Di-
rektor des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Vgl. insbesondere zu
seiner Rolle als Protagonist der nationalsozialistischen Westforschung unter anderem
Karl Ditt, Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik. Das Beispiel
Franz Petri (1903-1993), in: Westfälische Forschungen 46 (1996), S. 73-176; Hans
Derks, Deutsche Westforschung. Ideologie und Praxis im 20. Jahrhundert, Leipzig 2001,
S. 85-128; Martina Pitz, Franz Petris Habilitationsschrift in inhaltlich-methodischer und
forschungsgeschichtlicher Perspektive, in: Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“
der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919-1960),
hg. von Burkhard Dietz, Helmut Gabel und Ulrich Tiedau (Studien zur Geschichte und
Kultur Nordwesteuropas 6,1), Münster 2003, S. 225-246; Hans Derks, German Westfor-
schung 1918 to the Present: The Case of Franz Petri 1903-1993, in: German Scholars and
Ethnie Cleansing 1920-1945, hg. von Ingo Haar und Michael Fahlbusch, New York
2005, S. 175-200.
Deutsche Historische Institut in Rom leitete, bot mir im Frühsommer 1967 an, eine
von ihm geschaffene Gastdozentur am Römischen Institut anzutreten, damit end-
lich die seit meinem Weggang von Freiburg nach Saarbrücken und meinem Rom-
besuch Ende September 1961 mehr oder weniger ruhende Edition des Liber memo-
rialis von Remiremont zu einem Ende geführt werde. Tellenbach hatte während
seiner Einarbeitungszeit in Rom, in der er seine Konzentrationskraft auf vieles an-
dere richten musste, versehentlich ein ganz veraltetes Manuskript bei der Zentraldi-
rektion der MGH zum Druck eingereicht; insofern waren die Korrekturen, die dann
von Herrn Tellenbach liegengelassen wurden, umfangreicher als üblich; und Karl
Schmid, der nach seiner Habilitation in Freiburg einem Ruf nach Müns-
ter/Westfalen gefolgt war und die Gastdozentur im Vorjahr wahrgenommen hatte,
war mit der Behebung der Unstimmigkeiten nicht recht vorangekommen. Als ich
mit dieser Nachricht beim Dekan um eine Beurlaubung von einem bis zwei Jahren
nachsuchte, war ihm - das merkte ich ihm an - die Versöhnung seiner Professo-
renkollegen etwas leichter geworden. Man einigte sich auf den Wiener Mediävis-
ten Harald Zimmermann“", der dann mehrere Jahre als Ordinarius für Mittelalterli-
che Geschichte in Saarbrücken wirkte.
So konnte ich also im Herbst 1967 mit meiner kleinen Familie - nachdem meine
Frau und ich rasch den Führerschein erworben und wir kurz entschlossen einen
Volkswagen-Käfer gekauft hatten - die Reise nach Rom antreten. Mit Saarbrücken
blieb ich dadurch verbunden, dass ich ja nach wie vor dort nicht nur meine Woh-
nung beibehielt, sondern auch weiterhin Mitglied des Uni-Lehrkörpers und aus ihm
nur vorübergehend beurlaubt war.
Über die sehr arbeitsintensive, aber auch in jeder anderen Hinsicht sehr ein-
drucksvolle „Römische Zeit“, in der wir die „Ewige Stadt“ und auch Süditalien
und Sizilien, das italienische Leben und die Mentalität der Italiener gut kennen ler-
nen konnten, und in der ich auch den ersten Teil meiner Habilitationsschrift zum
Druck brachte, ist hier nicht zu berichten. Sie wurde freilich nach einem Jahr
dadurch unterbrochen, dass ich zur Übernahme einer Lehrstuhlvertretung in Hei-
delberg gebeten worden war und diese annahm. Also beluden wir wieder unseren
Volkswagen und kehrten in der zweiten Septemberhälfte 1968 nach Saarbrücken in
unsere Wohnung zurück.
Als wir dann in Saarbrücken beim ersten Besuch einer Messe in der Basilika St.
Johann merkten, dass nunmehr - als erste sichtbare Folge der Beschlüsse des
Zweiten Vatikanischen Konzils - eine deutsche Liturgie (nicht mehr die lateini- 20
20 Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Harald Zimmermann (geboren 1926): von 1968 bis 1978 Or-
dinarius für mittelalterliche Geschichte an der Universität des Saarlandes. Vgl. dazu die
bio-bibliographische Übersicht Harald Zimmermann, in: Der Konstanzer Arbeitskreis für
mittelalterliche Geschichte (wie Anm. 2), S. 443-451. Vgl. außerdem die autobiographi-
schen Zeugnisse Harald Zimmermann, Dankrede zur Verleihung des Siebenbürgisch-
Sächsischen Kulturpreises 1994, in: Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens 20 (1996),
S. 300-305; Harald Zimmermann, Historia pro mea informatione describere. Vortrag anläß-
lich der Feier seines goldenen theologischen Doktorjubiläums am 22.3.2001 Wien, in: Wie-
ner Jahrbuch für Theologie 4 (2002), S. 339-350. Die Beiträge zum Festkolloquium zu
seinem 80. Geburtstag 2006 sind dokumentiert in der Publikation: Die Faszination der
Papstgeschichte. Neue Zugänge zum frühen und hohen Mittelalter, hg. von Wilfried
Hartmann und Klaus Herbers (Beihefte zu Johann Friedrich Böhmer, Regesta Imperii
28), Köln 2008.
583
sehe) den Gottesdienst kennzeichnete, war das für uns das erste Anzeichen dafür,
dass in Deutschland und der Welt eine Veränderung begonnen hatte, die bald auch
auf anderen Gebieten um sich griff: in der Politik, der Kultur, der allgemeinen
Ethik und Moral et cetera. Die Menschen sahen jetzt manches lockerer als zuvor.
Die so genannte Adenauerzeit und die von der „Wiederaufbaugeneration“ be-
stimmte, stark konservativ geprägte politische, kulturelle und das geistige Leben
kennzeichnende Großwetterlage ging zu Ende. Jüngere Leute meinten, die als etab-
liertes Establishment agierenden älteren und erfahrenen Menschen überall im Le-
ben zurückdrängen zu müssen, da diese ja zu großen Teilen mit der jüngsten deut-
schen Vergangenheit belastet seien, ja sich selbst nicht genügend mit dem Dritten
Reich auseinandergesetzt hätten und möglicherweise in das national-sozialistische
System verstrickt gewesen seien. Mit vielen propagierten Neuerungen, vor allem
mit dem Entstehen und dem unreflektierten journalistischen Verbreiten einer so
genannten „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) gingen wir innerlich nicht
konform, da sie doch unterschwellig das Nichtfunktionieren unseres Parlamenta-
rismus in Westdeutschland insinuierte. Meine Frau und ich hatten aber doch gerade
die parlamentarische Demokratie - als Gegenpol zur sich im Osten immer mehr
verfestigenden Parteidiktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
(SED), die wir sattsam kennen gelernt hatten - so sehr bejaht und als Garanten für
die Bewahrung unserer politischen Freiheit empfunden! Dabei waren wir durchaus
überzeugt davon, dass Stagnationen zu überwinden sind und in der Welt sowieso
stets „alles im Fluss“ ist (panta rei, Heraklit).
Das Heidelberger Vertretungs-Semester, das ich durch viele Zugfahrten von
Saarbrücken aus bestritt, hat mir einen tiefen Einblick in das unruhig gewordene
deutsche Universitätsleben, das heißt in das Denken und Agieren der Studenten der
Jahre 1968/69, gewährt. Von den Anfängen dieser Unruhe-Entwicklung an den
Massen-Universitäten wie der Freien Universität Berlin und der Johann Wolfgang
Goethe-Universität Frankfurt/Main hatte ich ein Jahr vorher in Saarbrücken, wo
sich alles noch auf den Auf- und Ausbau des am 1. Januar 1957 „rückgegliederten
Saarlandes“ und eben auch der Universität konzentrierte, kaum etwas mitbekom-
men21. Nur vom allenthalben an den deutschen Universitäten (besonders eben in
21 Vgl. zur Resonanz der studentischen Bewegung an der Universität des Saarlandes unter
anderem den grundlegenden, in Zusammenarbeit mit dem Universitätsarchiv erarbeiteten
Memoirenbeitrag von Rektor Werner Maihofer, Vom Universitätsgesetz 1957 bis zur
Verfassungsreform 1969. Persönliche Erinnerungen an eine bewegte Zeit der Universität
des Saarlandes, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 22 (1996), S. 373-403.
Ferner Wolfgang Müller, „68 in Saarbrücken“ 30 Jahre. Chronik zu einer Ausstellung
des AStA-Kulturprojekts und des Universitätsarchivs, Saarbrücken 1998; Alexander Kö-
nig, „Wir können Ihnen diese Entscheidung nicht abnehmen und Ihnen ihre politische
Meinung vorschreiben“. „Studentenbewegung“ und „1968“ in Saarbrücken, in: Saarbrü-
cker Hefte 90 (2003), S. 21-28; Wolfgang MÜLLER, Was wollen die Studenten? Saarbrü-
cker Impressionen zum Thema „1968“, in: evangelische aspekte, 15. Jahrgang, Heft 4
(2005), S. 28-31 und Wolfgang Müller, „Affären“ und Widerstände. Auseinanderset-
zungen um die Notstandsgesetze und Widerstand gegen die Universitätsreform in Saar-
brücken, in: evangelische aspekte, 16. Jahrgang, Heft 1 (2006), S. 44-48; Wolfgang
Müller, Zwischen Gemeindeleben und Umbruch - die evangelischen Studentenge-
meinden in Bonn, Köln und Saarbrücken um 1968. Dritter Teil: Bonn - Saarbrücken, in:
Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 57 (2008), S. 73-90.
584
Berlin und Frankfurt) intonierten Ruf „Unter den Talaren / Muff von tausend Jah-
ren“ hatte man - mehr amüsiert als besorgt - im Radio gehört. Und dass Anfang
Juni 1967, als wir uns innerlich schon auf den Romaufenthalt vorbereiteten, bei
Demonstrationen gegen den Deutschlandbesuch des Schahs von Persien, Reza
Pahlewi"2, der Student Benno Ohnesorg"3 von einem Polizisten erschossen worden
war, wodurch nun weitere Demonstrationen in Berlin, Frankfurt und anderen Städ-
ten ausgelöst worden waren, hatten wir zwar als Anzeichen einer wachsenden Un-
ruhe in der Gesellschaft, aber nicht als besonderes Menetekel wahrgenommen. Und
vom langsamen weiteren Anschwellen der die jüngere Studierendengeneration er-
fassenden Unruhe auch an der Universität des Saarlandes haben wir, während wir
in Rom weilten, nichts erfahren. Ziemlich schockiert waren wir daher, als wir wäh-
rend einer Sizilien-Reise in den auch am Deutschen Historischen Institut in Rom
eingehaltenen Osterferien 1968 zufällig die Nachricht vom Attentat auf den Anfüh-
rer der studentischen Unruhebewegung, Rudi Dutschke22 23 24, in Berlin erfuhren und
daraufhin in mehreren Großstädten die studentischen Proteste zu regelrechten Stra-
ßenschlachten mit der Polizei ausarteten.
In Heidelberg konnte ich während der ersten Hälfte des Wintersemesters
1968/69 meine Vorlesungen und Seminarübungen ganz problemlos abhalten. Von
den Studenten wurde ich wohlwollend wahrgenommen; vielleicht unterschied ich
mich in meiner Vortragsart etwas vom vertretenen Ordinarius Professor Peter Clas-
sen25. Unruhig wurde es erst nach den Weihnachtsferien im Januar 1969. Die Poli-
zei hatte einige Studenten, die bei irgendeiner Festivität eine Glastür zertrümmert
hatten und danach in das Gebäude des Allgemeinen Studentenauschusses (AStA)
geflüchtet waren, gewaltsam aus dem Haus geholt. Der Zugriff der Polizei in ei-
22 Mohammad Reza Pahlavi (1919-1980): Von 1941 bis zum Sturz durch die islamische
Revolution Schah von Persien.
23 Benno Ohnesorg (1940-1967) wurde durch den Westberliner Polizisten Karl-Heinz Kur-
ras erschossen, der - wie erst später bekannt wurde - auch als inoffizieller Mitarbeiter
des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit tätig war. Vgl. unter anderem Uwe Timm,
Der Freund und der Fremde. Eine Erzählung, Köln 2005 sowie Uwe Soukup, Wie starb
Benno Ohnesorg? Der 2. Juni 1967, Berlin 2007. Ohnesorgs Liquidierung wurde zum
Fanal der westdeutschen Studentenbewegung.
24 Als führende Persönlichkeit des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) re-
präsentierte Rudi Dutschke (1940-1979) in besonderer Weise die 68er Bewegung. Vgl.
unter anderem: Gretchen Dutschke, Rudi Dutschke. Wir hatten ein barbarisches, schö-
nes Leben. Eine Biographie, Köln 1996; Rudi Dutschke - Jeder hat sein Leben ganz zu
leben. Die Tagebücher 1963-1979, hg. von Gretchen Dutschke, Köln 2003; Jürgen
Miermeister, Rudi Dutschke. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (Rowohlts
Monographien 349), Reinbek 1986; Gerd Langguth, Mythos ’68. Die Gewaltphiloso-
phie von Rudi Dutschke - Ursachen und Folgen der Studentenbewegung, München
2001; Bernd Rabehl, Rudi Dutschke - Revolutionär im geteilten Deutschland (Perspek-
tiven 6), Dresden 2002. Michaela Karl, Rudi Dutschke - Revolutionär ohne Revolution,
Frankfurt/Main 2003; Wolfgang Kraushaar, Rudi Dutschke und der bewaffnete
Kampf, in: Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF, hg. von Wolfgang Kraus-
haar, Karin Wieland und Jan Philipp Reemtsma, Hamburg 2005.
25 Prof. Dr. Peter Classen (1924-1980). Vgl. dazu die bio-bibliographische Übersicht Peter
Classen, in: Der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte (wie Anm. 2), S.
91-96. Ferner die Angaben bei Dagmar Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1933-
1986, Berlin 2009, S. 148-149.
585
nem - wie die Studenten nach vielen vorangegangenen Debatten über das Verhält-
nis von Staat und Universität meinten - „autogenen“ (außerhalb des staatlichen
Gewaltmonopols liegenden) Raum war der Zündfunke, um hier die Studenten-
schaft in Rage zu bringen. Ich konnte zwar meine morgens von 10 bis 11 Uhr statt-
findende Vorlesung auch weiterhin abhalten; ich gehörte ja nicht zur Heidelberger
Professorenschaft, die man als „reaktionär“ anprangern wollte; und außerdem
pflegten die Krachmacherstudenten nicht ganz so zeitig aufzustehen. Aber schon
der in der Raumbelegung von 11 bis 12 Uhr nachfolgende Prof. Dr. Werner Con-
ze26 27 hatte alle Mühe, in Diskussionen, in die er sich verw ickeln ließ, die Stimmung
nicht überkochen zu lassen, ich war im Hörsaal geblieben und hatte mich in die
letzte Bankreihe gesetzt, um zu beobachten, wie ältere Kollegen mit den neuen
Problemen umgehen. Dadurch, dass sich Herr Conze zu Diskussionen bereit erklär-
te und nicht seinen Vorlesungsstoff vortrug, meinten einige Hitzköpfe, er lasse sich
an die Spitze einer die ganze Universität erfassenden „Reformkampagne“ stellen.
Als dann um 12 Uhr 15 der Hilfswissenschaftler Prof. Dr. Ahasver von Brandt“
den Hörsaal betrat, konnte er gar nicht mehr bis zum Katheder Vordringen. Er
schrieb an die Tafel: „Ich verlasse diesen Raum, v. Brandt“. Im Durcheinanderge-
schrei der Studenten wurde mit Unflätigkeiten und Ausdrücken der Fäkalienspra-
che nicht gespart. Weitere Einzelheiten, die mir noch gut im Gedächtnis sind, kann
ich mir wohl sparen. Und das wollten - so ging es mir durch den Kopf- gebildete,
nach Kultur, Bildung, Wissensgewinn und Einsicht in höhere Komplexe menschli-
cher Existenz strebende Studenten, eben die Führungskräfte von morgen, sein?
Mein Glaube an die Vernunft im Menschen und an ein für Studenten doch ganz
selbstverständliches Ethos erhielt einen gehörigen Stoß! Es brauchte lange, bis ich
diesen Schock verdaut und auch hier die Spreu vom Weizen zu trennen gelernt hat-
te!
Nebenbei ging ich in Saarbrücken einmal in die Universität, um die dortigen
nunmehrigen Verhältnisse kennen zu lernen. Die Sprechchöre „Finkenstaedt -
Stinkklosett“, mit denen der Anglistik-Professor empfangen wurde, höre ich noch
26 Prof. Dr. Werner Conze (1910-1986): Vgl. dazu mit weiteren Informationen Dagmar
Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon (wie Anm. 25), S. 149-151. Zuletzt Thomas El-
zemüller, Sozialgeschichte als politische Geschichte. Werner Conze und die Neuorien-
tierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, München 2001 und Jan
Eike Dunkhase, Werner Conze. Ein deutscher Historiker im 20. Jahrhundert (Kritische
Studien zur Geschichtswissenschaft 194), Göttingen 2010. Zu Conze und 1968 vgl. auch
Jan Eike Dunkhase, Jenseits von „Einsamkeit und Freiheit“. Werner Conze und die Hei-
delberger 68er - eine bildungspolitische Konstellation, in: Personen, Soziale Bewegun-
gen, Parteien. Beiträge zur Neuesten Geschichte. Festschrift für Hartmut Soell zum 65.
Geburtstag, hg. von Oliver von Mengersen, Matthias Frese, Klaus Kempter, Heide M.
Lauterer und Klaus Schober, Heidelberg 2004, S. 155-174. Außerdem Jan Eike
Dunkhase, Gelehrtendämmerung. Werner Conzes Abschied von der Universität, in:
Akademische Lebenswelten. Habitus und Sozialprofil von Gelehrten im 19. und 20.
Jahrhundert, hg. von Eberhard Demm und Jaroslaw Suchoples, Frankfurt/Main 2011, S.
189-198.
27 Prof. Dr. Ahasver von Brandt (1909-1977): Vgl. dazu ausführlich mit weiteren bio-
bibliographischen Informationen Dagmar Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon (wie
Anm. 25), S. 132.
586
in mir und dazu noch vieles Proletenhafte mehr. Auch hier war die bis dahin kaum
gehörte Vokabel „antiautoritär“ in aller Munde.
Umso dankbarer war ich dann, im Frühjahr zum 1. April 1969 mit der Familie
nochmals zur „Gastdozentur“ nach Rom für ein zweites Arbeitsjahr aufbrechen zu
können, ln den nächsten Monaten hatte ich somit die Möglichkeit, mich weiter in
die Adelsgeschichte Italiens während des 9. bis 11. Jahrhunderts einzuarbeiten und
dazu den zweiten Teil meiner Habilitationsschrift „Die Anfänge des Hauses Habs-
burg-Lothringen“ in Druck zu bringen. Auch sandte ich, als ich vom Freiwerden
der Professur für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Würzburg erfuhr,
ein Bewerbungsschreiben dorthin. Doch fast gleichzeitig erhielt ich die Nachricht,
dass ich in Düsseldorf an der dortigen Universität, die gerade aus einer Medizini-
schen Akademie heraus entstand, ohne dass ich mich dort beworben hatte, auf dem
ersten Listenplatz für die neu einzurichtende Professur für Geschichte des Mittelal-
ters stünde. So kam es dann, dass ich nach Würzburg zu einem Vorstellungsvortrag
eingeladen wurde, diese Fahrt aber auch mit der Weiterfahrt nach Düsseldorf ver-
binden konnte, um dort Gespräche über die „Rufannahme“ zu führen. Da mir in
Düsseldorf nur 14 Tage Bedenkzeit gewährt wurden, habe ich schließlich am 4.
August 1969 meine Zusage, nach Düsseldorf zu kommen, unterschrieben.
Und so konnten wir Ende September 1969 - frohgemut und mit voll gepacktem
Volkswagen - von Rom nach Saarbrücken zurückkehren, um dieser Stadt und ihrer
Universität, an die ich noch heute gern zurückdenke, ein dankbares Lebewohl zu
sagen und den Umzug nach Düsseldorf einzuleiten.
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Die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden
der Kommission für saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung.
Eine bio-bibliographische Übersicht1
Wolfgang Müller
Vorsitzende
1952-1965, anschließend Ehrenvorsitz
Prof. Dr. Eugen Meyer
*17. Februar 1893 in Püttlingen; t 29. August 1972 Saarbrücken
Studium der Geschichte und der Deutschen und Lateinischen Philologie in Heidel-
berg und Berlin
Unterbrechung durch Kriegsdienst
1920
1920
1921
1923
1922-1942
seit 1927
1932
1939
Promotion bei Michael Tangl in Berlin über „Die Pfalzgrafen der
Merowinger und Karolinger“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung
für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 42 (1921), S.
380-463
Staatsexamen für das höhere Lehramt in Geschichte, Deutsch und
Latein
Examen für den wissenschaftlichen Archivdienst und Archivas-
sistent am Geheimen Staatsarchiv in Berlin
Ernennung zum Staatsarchivar
Redaktion des „Korrespondenzblattes der deutschen Geschichts-
und Altertumsvereine“ und der 1936 folgenden „Blätter für
Landesgeschichte“
auch Dozent am Institut für Archivwissenschaft und geschichts-
wissenschaftliche Weiterbildung
Direktor des Staatsarchivs Münster
Berufung als Außerordentlicher Professor für Hilfswissenschaf-
ten an der Preußischen Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin auf
den Lehrstuhl seines Lehrers Tangl
1 Für freundliche Sichtung und Hinweise danke ich Dr. Rudolf Benl (Stadtarchiv Erfurt),
Prof. Dr. Peter Burg (Münster), Prof. Dr. Hans-Walter Herrmann (Riegelsberg), Prof. Dr.
Eduard Hlawitschka (Herrsching), Prof. Dr. Dr. h. c. Rainer Hudemann (Saarbrücken),
Prof. Dr. Franz Irsigler (Trier), Dr. Bernd Isphording (Politisches Archiv des Auswär-
tigen Amtes, Berlin), Prof. Dr. Kurt-Ulrich Jäschke (Saarbrücken), Prof. Dr. Brigitte
Kasten (Saarbrücken), Dr. Dietrich Klose (Staatliche Münzsammlung, München), Dr.
Lupoid von Lehsten (Institut für Personengeschichte, Bensheim) Dr. Ludwig Linsmayer
(Landesarchiv Saarbrücken), Dr. Helga Schmoll gen. Eisenwerth (München), Prof. Dr.
Reinhard Schneider (Berlin), Prof. Dr. Elmar Wadle (St. Ingbert).
589
1942
1946
1947
1948
1951
1951/1952
1955/56
1952-1969
1955
Seit 1957
1956-1960
1960-1964
1961
mit der Edition der Diplome Ludwigs des Frommen durch den
Präsidenten der Monumenta Germaniae Historica beauftragt
Ordentlicher Professor für Historische Hilfswissenschaften an der
Berliner Universität
nebenamtliche Leitung der Handschriftenabteilung der öffent-
lichen Wissenschaftlichen Bibliothek (ehemals Preußische
Staatsbibliothek)
Berufung auf den „Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters“ an
der Universität des Saarlandes zunächst als Gastprofessor
Entlassung aus dem Lehrkörper der Humboldt-Universität
Parteiloser Direktor des Ministeriums für Kultus, Unterricht und
Volksbildung im zweiten Kabinett Johannes Hoffmann
Parteiloser Direktor für Kultus, Unterricht und Volksbildung im
Kabinett Heinrich Welsch und anfangs auch im Kabinett Ney
erster Geschäftsführer der „Vereinigung der Freunde der
Universität des Saarlandes e.V.“
Bei der Reorganisation des Saarländischen Rundfunks Liquidator
der bisherigen GmbH und bis Ende 1957 Geschäftsführer der
neuen Anstalt sowie von 1957 bis 1959 stellvertretender
Vorsitzender des Verwaltungsrates
Aufsichtsrat der Saarländischen Fernseh AG und von Juli 1959
bis zu seinem Tod deutsches Vorstandsmitglied der folgenden
„Europäischen Rundfunk und Fernseh AG“
Vorsitzender der Volkshochschule Saarbrücken
Vorsitzender des Beirats des Instituts für Landeskunde
Emeritierung
Mitgliedschaften:
Historische Kommission für Westfalen; Historische Kommission der Mark Bran-
denburg; Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde
Forschungsschwerpunkte;
Editionsprojekt „Die Urkunden Ludwigs des Frommen“; Historische Hilfswissen-
schaften und Archivwesen
Publikationen:
Das Urkundenwesen der Markgrafen von Brandenburg (Monumenta palaeographi-
ca Serie 3,1), Leipzig 1931
Corveyer Handschriften und Urkunden (Monumenta palaeographica Serie 3, 17),
Leipzig 1937
Sinn und Aufgabe der Familienforschung in Westfalen, in: Beiträge zur westfäli-
schen Familienforschung 2 (1939), S. 1-4
Wappenbuch der westfälischen Gemeinden, Münster 1940
Die mittelalterliche Geschichte an der Berliner Universität während der letzten
hundert Jahre, in: Studium Berolinense. Aufsätze und Beiträge zu Problemen
der Wissenschaft und zur Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität zu
Berlin (Gedenkschrift der Westdeutschen Rektorenkonferenz und der Freien
Universität Berlin zur 150. Wiederkehr des Gründungsjahres der Friedrich-
590
Wilhelms-Universität zu Berlin/Westdeutsche Rektorenkonferenz 2), hg. von
Hans LEUSSINK, Berlin 1960, S. 625-647
Christliche Kirchen an der mittleren Saar im frühen Mittelalter, in: Saarbrücker
Hefte 3 (1966), S. 39-48
Würdigungen:
Hans-Walter Herrmann, Eugen Meyer 1893-1972. Eine biographische Skizze, in:
Saarheimat 17 (1973), S. 74-79
Alfons BECKER, Eugen Meyer t, in: Historische Zeitschrift 217 (1973), S. 252-254
Theodor SCHIEFFER, Nekrolog Eugen Meyer, in: Deutsches Archiv für
Erforschung des Mittelalters 29 (1973), S. 666-667
Literatur:
Zu Meyers Rolle bei der Gründung der Kommission für Saarländische
Landesgeschichte:
Kurt-Ulrich JÄSCHKE, Die Gründungszeit der Kommission für Saarländische Lan-
desgeschichte und Volksforschung, in: Forschungsaufgabe Industriekultur. Die
Saarregion im Vergleich, hg. von Hans-Walter HERRMANN, Rainer HUDEMANN
und Eva Kell unter Mitarbeit von Alexander KÖNIG (Veröffentlichungen der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 37), Saar-
brücken 2004, S. 23-56
Zur Edition der Urkunden Ludwigs des Frommen:
Peter JöHANEK, Probleme einer zukünftigen Edition der Urkunden Ludwigs des
Frommen, in: Charlemagne’s Heir, ed. Peter Godman und Roger Collins,
Oxford 1990, S. 409-424
Zur Berufung Meyers an die Universität des Saarlandes:
Wolfgang MÜLLER, „Eine Pflegestätte des Geistes, der die Enge zu überwinden
sucht und nach europäischer Weite strebt“ - Impressionen zur Geschichte der
Universität des Saarlandes, in: „Grenzen“ ohne Fächergrenzen. Interdisziplinäre
Annäherungen, hg. von Bärbel KUHN, Martina PlTZ und Andreas SCHORR
(Annales Universitatis Saraviensis, Philosophische Fakultäten 27), St. Ingbert
2007, S. 265-302, vor allem S. 287-299
Historischer Briefwechsel aus dem Gründungssemester der Universität des Saar-
landes zwischen Prof. Dr. Eugen Meyer und Dr. Walter Mohr, in: Jubiläums-
schrift zum sechzigjährigen Bestehen des Historischen Instituts der Universität
des Saarlandes, hg. vom Historischen Institut der Universität des Saarlandes in
Verbindung mit dem Universitätsarchiv, Saarbrücken 2009, S. 67-71
Zur Rundfunkpolitik an der Saar:
Andreas FICKERS, Die Anfänge des kommerziellen Rundfunks im Saarland. Die
Geschichte der Saarländischen Femseh AG (Tele-Saar und Europe No.l), in:
Medienlandschaft Saar von 1945 bis zur Gegenwart, Band 1: Medien zwischen
Demokratisierung und Kontrolle (1945-1955), hg. von Clemens ZIMMERMANN,
Rainer Hudemann und Michael Kuderna, München 2010, S. 241-308
Nachlass: Landesarchiv Saarbrücken
591
1965-1966
(und stellvertretender Vorsitzender 1964-1965)
Prof. Dr. Josef Adolf Schmoll genannt Eisenwerth
*16. Februar 1915 in Berlin; t 20. Dezember 2010 in München
Studium der Kunstgeschichte und der Archäologie an der Preußischen Friedrich-
Wilhelms-Universität Berlin
1939
1939-1945
1945
1945-1950
1948
1950
1950/51
1951
1953-1957
1955
1957-58
1966
1980
Promotion bei Prof. Dr. Wilhelm Pinder über „Die Bauhütte von
Chorin und die märkische Backsteinarchitektur bis zum Ende der
Askanischen Herrschaft“. Die erste Buchausgabe wurde im
Druck während des Zweiten Weltkrieges vernichtet.
„Das Kloster Chorin und die askanische Architektur in der Mark
Brandenburg 1260-1320 (Veröffentlichungen der Berliner
Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der
Freien Universität Berlin 2), Berlin 1961
Kriegsdienst
Hilfsassistent an der Technischen Hochschule Hannover
Assistent an der Technischen Hochschule in Darmstadt
Lehrauftrag für mittelalterliche Architektur
Lehrauftrag an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in
Saarbrücken
Habilitation für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule
Darmstadt bei Prof. Dr. Hans Gerhard Evers über „Auguste
Rodin zur Werkentwicklung und Deutung“, Teil-Publikation als
„Der Torso als Symbol und Form. Zur Geschichte des Torso-
Motivs im Werk Rodins“, Baden-Baden 1954
auch Gastvorlesungen an der Universität des Saarlandes
Berufung auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Univer-
sität des Saarlandes
Prodekan der Philosophischen Fakultät der Universität des Saar-
landes
Ordinarius
Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität des Saar-
landes
Berufung auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Tech-
nischen Hochschule München
Gastprofessuren an der Pennsylvania State University, den Uni-
versitäten Zürich, München, Wien und Salzburg
Emeritierung
Mitgliedschaften:
Kuratorium des Bauhaus-Museums für Gestaltung in Berlin und des Fotomuseums
im Münchner Stadtmuseum; Wilhelm-Loth-Stiftung Karlsruhe; Bayerische Akade-
mie der Schönen Künste
Auszeichnungen:
Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie 1980; Medaille „München
leuchtet“ in Silber
592
Forschungsschwerpunkte:
Architektur der Zisterzienser (unter anderem Grabungen in Wörschweiler/Saar);
Nicolaus Gerhaert von Leyden; lothringische Skulptur der Hochgotik; Motiv des
Torso; Stilpluralismus; Rodin; École de Nancy; Geschichte der Photographie; Sub-
jektive Photographie; Malerei und Photographie
Publikationen:
Die aktuellste Bibliographie bietet das Institut für aktuelle Kunst Saarlouis
Schriftenverzeichnis J. A. Schmoll genannt Eisenwerth
http://www.kunstlexikonsaar.de/fileadmin/ifak kunst/images/kunstwissenschaft/sc
hmoll/39-schriftenverzeichnis_schmoll neu.pdf
Letzte Festschrift:
Festschrift fur J. A. Schmoll gen. Eisenwerth zum 90. Geburtstag, hg. von Winfried
Nerdinger und Norbert Knopp, München 2005
Zu den Saarbrücker Jahren vor allem:
Josef Adolf SCHMOLL genannt Eisenwerth, Die Anfänge der Kunstwissenschaft an
der Universität des Saarlandes im Rahmen der Kulturpolitik zwischen 1948 und
1966, in: Das Kunstgeschichtliche Institut der Universität des Saarlandes, hg.
von Christa LlCHTENSTERN und Wolfgang MÜLLER (Annales Universitatis Phi-
losophische Fakultäten 25), St. Ingbert 2006, S. 13-82 (mit weiteren biblio-
graphischen Hinweisen)
J. A. Schmoll gen. Eisenwerth im Gespräch mit Monika Bugs (Interview 11
Laboratorium - Institut für aktuelle Kunst im Saarland an der Hochschule der
Bildenden Künste Saar), Saarbrücken 2003
Würdigungen:
Winfried NERDINGER, Vielseitig und undogmatisch - Zum Tod des Kunsthisto-
rikers J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, in: Süddeutsche Zeitung, 29. Dezember 2010
Dieter Bartetzko, Kunstretter - Zum Tod von Joseph Adolf Schmoll gen. Eisen-
werth, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. Dezember 20 3 0
Christa LlCHTENSTERN, Ein Großer seines Fachs. Nachruf auf den renommierten
Kunsthistoriker Schmoll gen. Eisenwerth, der sich nicht nur um das saarländische
Kulturleben verdient gemacht hat, in: Saarbrücker Zeitung, 30. Dezember 2010
Ulrich Pohlmann, Zum Tod von Prof. Dr. J. A. Schmoll gen. Eisenwerth. Ein
Leben für die Kunst, in: PHOTO International 02/211, S. 14
Wolfgang MÜLLER, Verstorben, in: Campus. Das Magazin der Universität des
Saarlandes, 41. Jahrgang, Heft 1/Februar 2011, S. 22
Marie-France Hazotte, Hommage au professeur J. A. Schmoll gen. Eisenwerth
(1915-2010). Une contribution décisive à la connaissance de l’art lorrain du XIVe
siècle: le tympan du portail de la chapelle des Templiers de Libdeau, près de Toul,
in: Pays Lorrain. Revue de la Société d’histoire de la Lorraine et du Musée Lorrain,
108e année, vol. 92, Mars 2011, pp. 47-49
Marie-France JACOPS, Un grand historien de fart lorrain: J. A. Schmoll gen.
Eisenwerth, in: Pays Lorrain. Revue de la Société d'histoire de la Lorraine et du
Musée Lorrain, 108e année, vol. 92, Mars 2011, pp. 49-50
Hans EMMERLING, Kunst ist [...] Zum Tod von J. A. Schmoll gen. Eisenwerth, in:
Saarbrücker Hefte. Die saarländische Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft 105
(2011), S. 57-58.
593
Der wissenschaftliche Nachlass soll im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg
verwahrt werden.
1966-1969
(Stellvertretende Vorsitzende 1965-1966)
Prof. Dr. Edith Ennen
*28. Oktober 1907 in Merzig (Saar); t 29. Juni 1999 in Bonn
Studium der Geschichte, Germanistik und Altphilologie in Freiburg, Berlin und
Bonn
1932 Promotion an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn bei Prof.
Dr. Franz Steinbach über „Die Organisation der Selbstverwaltung in den Saarstäd-
ten vom ausgehenden Mittelalter bis zur französischen Revolution“ (Rheinisches
Archiv 25), Bonn 1933
1934
1933-1935
1935
1935
seit 1947
1948
1961
1962
1964-1968
1968-1974
Erste Staatsprüfung für das Lehramt an höheren Schulen
Ausbildung für den höheren Archivdienst im vierten Lehrgang
des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaft-
liche Fortbildung in Berlin-Dahlem
Praktikum im Staatsarchiv Koblenz
Forschungsauftrag als wissenschaftliche Hilfskraft und seit 1946
Verwalterin der Dienstgeschäfte eines wissenschaftlichen Assis-
tenten am Institut für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande
Leiterin des Stadtarchivs Bonn
Ernennung zur Stadtarchivarin
Honorarprofessorin an der Universität Bonn
Ernennung zur Städtischen Oberarchivrätin
Ordinaria für Wirtschaft- und Sozialgeschichte an der Universität
des Saarlandes
Professorin für Mittelalterliche und Neuere Geschichte an der
Universität Bonn und Leiterin des Instituts für geschichtliche
Landeskunde
Mitgliedschaften:
Arbeitskreis für landschaftliche deutsche Städteforschung; Bonner Heimat- und
Geschichtsverein; Commission Internationale pour FHistoire des Viltes; Gesell-
schaft für Rheinische Geschichtskunde; Historischer Verein für die Saargegend
(Vorsitzende 1965-1968); Verein für die Geschichtliche Landeskunde der Rhein-
lande; Kuratorium für Vergleichende Städtegeschichte e.V.; Österreichischer Ar-
beitskreis für Stadtgeschichtsforschung
Forschungsschwerpunkte:
Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters; Stadtgeschichte;
Agrargeschichte; Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande
Publikationen/Festschriften:
Libellus ad magistram. Frau Professor Dr. Edith Ennen zum 60. Geburtstag in
dankbarer Verehrung dargebracht von ihren Schülern, Saarbrücken 1967.
Verzeichnis der Veröffentlichungen von Frau Professor Dr. Edith Ennen. Zu-
sammengestellt von Wolfgang Läufer und Dieter Staerk, S. 3-26
594
Manfred HUJSKES, Verzeichnis der Schriften Edith Ennens, in: Die Stadt in der
europäischen Geschichte. Festschrift Edith Ennen, hg. von Werner BESCH,
Klaus Fehn, Dietrich HÖROLDT, Franz IRSIGLER und Matthias ZENDER, Bonn
1972, S. 911-933
Bonner Geschichtsblätter 34, hg. vom Bonner Heimat- und Geschichtsverein und
dem Stadtarchiv Bonn. Edith Ennen zum 75. Geburtstag gewidmet, Bonn 1982
Stadt und Bildung, 34. Arbeitstagung in Mainz 1995. Edith Ennen zum 90. Ge-
burtstag am 28. Oktober 1997 gewidmet, hg. von Bernd KlRCHGÄßNER und
Hans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte. Veröffentlichungen des südwest-
deutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung 24), Sigmaringen 1997
Manfred HuiSKES unter Mitarbeit von Silvia GOTTSCHALK und Margret WENSKY,
Schriftenverzeichnis Edith Ennen 1933-1999 mit Register zum Schriftenver-
zeichnis, in: Mitteleuropäisches Städtewesen in Mittelalter und Frühneuzeit.
Edith Ennen gewidmet, hg. von Wilhelm JANSSEN und Margret WENSKY, Köln
1999, S. 201-270
Würdigungen:
Sebastian Hebler, Edith Ennen (*1907), in: 100 Jahre Frauenstudium. Frauen der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn 1996, S. 245-246
Irmgard WOLF, Porträt des Tages Edith Ennen, in: General-Anzeiger Bonn 28.
Oktober 1997
Eine gescheite Frau, die Zeichen setzte. Vor 90 Jahren wurde Edith Ennen in
Merzig geboren, in: Saarbrücker Zeitung - Rundschau für Merzig-Wadern, 30.
Oktober 1997
(wr), Eine Verehrerin großer, gelehrter Frauen. Ihr Lebenswerk machte Edith
Ennen selbst zu einer Großen — 91 jährig starb sie in Bonn, in: Saarbrücker Zeitung,
7. Juli 1999.
Irmgard WOLF, Nachlaß: Ein Turm von Büchern und Aufsätzen. Historikerin und
Stadtarchivarin Edith Ennen wurde gestern auf dem Südfriedhof zu Grabe getra-
gen. Ihr wissenschaftliches Erbe weist weit über Bonn hinaus, in: General-Anzei-
ger Bonn 9. Juli 1999
Franz IRSIGLER, Edith Ennen. Anmerkungen zu Werk und Wirkung, in:
Mitteleuropäisches Städtewesen in Mittelalter und Frühneuzeit. Edith Ennen
gewidmet, hg. von Wilhelm JANSSEN und Margret Wensky, Köln 1999, S. 1-19
Georg MÖlich, Zum Tode der Historikerin Edith Ennen - Klassiker der Stadtge-
schichte, in: neues rheinland 42. Jahrgang, Nr. 9, September 1999, S. 16
Wolfgang MÜLLER, Die Universität trauert Prof. Dr. Edith Ennen, in: Campus. Das
Magazin der Universität des Saarlandes, 29. Jahrgang, Ausgabe 4, November
1999, S. 34
Wolfgang Läufer, Nachruf Edith Ennen 28. Oktober 1907-28. Juni 1999, in:
Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 48 (2000), S. 11-13
Volker HENN, Nachruf auf Edith Ennen, in: Hansische Geschichtsblätter 118
(2000), S. 5-7
Gerhard FOUQUET, Edith Ennen (1907-1999) - Nachruf, in: Vierteljahrschrift für
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 87 (2000), S. 1-4
Franz IRSIGLER, Edith Ennen zum Gedenken, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 64
(2001), S. IX-XVI
595
Margret WENSKY, Edith Ennen zum Gedenken - Der Dank der Schüler, in:
Rheinische Vierteljahrsblätter 64 (2000), S. XVII-XX
Gerhard DlLCHER, ln memoriam - Edith Ennen, in: Zeitschrift der Savigny-
Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 118 (2001), S. 903-906
Gisela VOLLMER, Edith Ennen f, in: Der Archivar 54 (2001), Heft 2, S. 174-176
http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/persoenlichkeiten/E/Seiten/
EdithEnnen.aspx
Erinnerungen - Prof. Dr. Edith Ennen, in: Jubiläumsschrift zum sechzigjährigen
Bestehen des Historischen Instituts der Universität des Saarlandes, hg. vom
Historischen Institut der Universität des Saarlandes in Verbindung mit dem
Universitätsarchiv, Saarbrücken 2009, S. 95-96
1970-1984
Prof. Dr. Ernst Klein
*4. Januar 1923 Gladbeck/Westfalen; t 24. April 2004 Quierschied
Studium der Geschichte, Germanistik und Volkswirtschaftslehre an der Martin-
Luther-Universität Halle-Wittenberg
1951
1952
1952
1956
1958
1959
1963
1965
1968
1968 - 1988
Staatsexamen für das Höhere Lehramt und Oberschullehrer in
Wernigerode
wissenschaftlicher Aspirant und Promotion bei Prof. Dr. Hans
Haussherr über „Johann Heinrich Gottlob von Justi - ein Beitrag
zur Abhängigkeit der cameralistischen Theorie von der staats-
wirtschaftlichen Praxis“
Habilitationsaspirant
Oberassistent und seit 1957 wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Institut für Geschichte der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin
wegen der forcierten Ideologisierung des Hochschulwesens der
DDR Flucht nach Hamburg
Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Agrargeschichte der
Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim (Prof. Dr. Günther
Franz)
Habilitation für Wirtschafts- und Sozialgeschichte über „Von der
Reform zur Restauration. Finanzpolitik und Reformgesetzgebung
des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg“
(Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 16),
Berlin 1965.
Diätendozent an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohen-
heim
Wissenschaftlicher Rat Universität Hohenheim (Landwirtschaft-
liche Hochschule)
H 4-Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni-
versität des Saarlandes
Forschungsfelder:
Geschichte des Bergbaus, der Landwirtschaft und der öffentlichen Finanzen
596
Publikationen:
Die Entwicklung des Pfluges im deutschen Südwesten, Stuttgart 1966
Die Historischen Pflüge der Hohenheimer Sammlung landwirtschaftlicher Geräte
und Maschinen, Stuttgart 1967
Die akademischen Lehrer der Universität Hohenheim (Landwirtschaftliche Hoch-
schule) 1818-1968, Stuttgart 1968
Geschichte der deutschen Landwirtschaft. Ein Überblick, Stuttgart 1969
Die englischen Wirtschaftstheoretiker des 17. Jahrhunderts, Darmstadt 1973
Geschichte der deutschen Landwirtschaft im Industriezeitalter, Wiesbaden 1973
Geschichte der öffentlichen Finanzen in Deutschland 1500 bis 1870, Wiesbaden
1974
Von den Anfängen bis zum Ende des alten Reiches (Deutsche Bankengeschichte
1), Frankfurt 1982
Geschichte der saarländischen Steinkohlengrube Sulzbach-Altenwald (1841-1932)
(Veröffentlichungen der Kommission für saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung 16), Saarbrücken 1987
Außerdem circa 50 Aufsätze
Würdigungen:
Wolfgang MÜLLER, Wirtschaft gestern und heute: Prof. Dr. Emst Klein 80, in:
Campus. Das Magazin der Universität des Saarlandes, 32. Jahrgang, Ausgabe 4,
Dezember 2002, S. 30
Wolfgang MÜLLER, Die Universität trauert um Prof. Dr. Emst Klein, in: Campus.
Das Magazin der Universität des Saarlandes, 34. Jahrgang, Ausgabe 3, Juli 2004,
S. 38
Albert H. V. KRAUS, Von Blüte, Krise und Ende des Steinkohlenbergbaus an der
Saar. X. Universität im Land der Gruben und Hütten. Bergbau-Bezüge bei
Saarbrücker Professoren und ihren Studien, in: Bergmannskalender 2012, S. 143-
147
Bio-bibliographische Dokumentation im Universitätsarchiv Saarbrücken
1984-1999
Prof. Dr. Reinhard Schneider
*13. März 1934 Berlin
Studium der Geschichte, der Klassischen Philologie, Romanistik und Philosophie
an der Freien Universität Berlin
1958 Erstes Staatsexamen in Geschichte, Klassischer Philologie und
Philosophie
1960 Zweites Staatsexamen
bis 1964 im Schuldienst
1963 Promotion bei Prof Dr. Walter Schlesinger und Prof. Dr.
Wolfgang Fritze über „Brüdergemeine und Schwurfreundschaft.
Der Auflösungsprozeß des Karlingerreiches im Spiegel der cari-
tas-Terminologie in den Verträgen der karlingischen Teilkönige
des 9. Jahrhunderts (Historische Studien 388), Lübeck und Ham-
burg 1964
597
seit 1964
1971
1974/75
1978-1979
1980-2001
1987-1989
1991
Akademischer Rat und seit 1967 Akademischer Oberrat am
Friedrich-Meinecke-lnstitut der Freien Universität Berlin
Habilitation in mittelalterlicher Geschichte über „Königswahl
und Königserhebung im Frühmittelalter. Untersuchungen zur
Herrschaftsnachfolge bei den Langobarden und Merowingern
(Monographien zur Geschichte des Mittelalters 3), Stuttgart 1972
Wissenschaftlicher Rat und Professor
Sprecher eines Forschungsprojektschwerpunktes Zisterzienser
Annahme des Rufs auf den Lehrstuhl für Mittelalterliche Ge-
schichte an der Philipps-Universität Marburg (Nachfolge Walter
Schlesinger)
Dekan des Fachbereichs Geschichtswissenschaften an der
Philipps-Universität Marburg
H 4-Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität
des Saarlandes
Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität des Saar-
landes
Beauftragter des Universitätspräsidenten für das Universitäts-
archiv
Sprecher des Hochschulverbandes, Landesverband Saarland
Mitgliedschaften:
Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte; Historische Kommission
für Hessen und Waldeck; Wissenschaftlicher Arbeitskreis für Mitteldeutschland;
Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft (korrespondierend); Vereinigung für Ver-
fassungsgeschichte; Forschungsschwerpunkt „Grenzregionen und Interferenz-
räume“ der Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes
Forschungsfelder:
Verfassungsgeschichte seit dem Frühmittelalter; Geschichte des Frankenreiches;
Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters; Geschichte der Zisterzienser;
Königswahl, Königtum und Machtgrundlagen; Grenzen und Grenzregionen
Publikationen:
Bibliographie Reinhard Schneider, in: Der Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalter-
liche Geschichte 1951-2001. Die Mitglieder und ihr Werk. Eine bio-bibliogra-
phische Dokumentation, hg. von Jürgen Petersohn, Sigmaringen 2001, S. 373-
376 (mit biographischen Notizen S. 371-372)
Seitdem sind unter anderem erschienen:
Tractare de statu regni. Bloßer Gedankenaustausch oder formalisierte Verfassungs-
diskussion?, in: Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittel-
alters, hg. von Jürgen Petersohn (Vorträge und Forschungen 54), Stuttgart
2001, S. 59-78
Appetitus libertatis - Mittelalterliches Freiheitsstreben in Stadt und Land, in: Zeit-
schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung
119(2002), S. 27-43
Das Königsrecht an schiffbaren Flüssen, in: Straßen und Verkehrswesen im hohen
und späten Mittelalter, hg. von Rainer Christoph SCHWINGES (Vorträge und
Forschungen 66), Ostfildern 2007, S. 185-200
598
Die Anfänge der deutschen Geschichte, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für
Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 124 (2007), S. 1-81
Königliche Wahlkapitulationen des Früh- und Hochmittelalters, in: Das Recht und
seine historischen Grundlagen. Festschrift für Elmar Wadle zum 70. Geburtstag,
hg. von Tiziana J. Chiusi, Thomas Gergen und Heike JUNG (Schriften zur
Rechtsgeschichte Heft 139), Berlin 2008, S. 1037-1050
Sowie die Literatur-Datenbank der Regesta Imperii zur mittelalterlichen Geschich-
te unter:
http://opac.regesta-imperii.de/lang_de/suche.php?qs=Reinhard+Schneider+
Festschrift:
„Grenzen erkennen - Begrenzungen überwinden“ - Festschrift für Reinhard Schnei-
der zur Vollendung seines 65. Lebensjahrs, hg. von Wolfgang Haubrichs, Kurt-
Ulrich JÄSCHKE und Michael OBERWEIS, Sigmaringen 1999
Internet-Präsentation
http://www.uni-saarland.de/fak3/kasten/mittelalterportal/geschichte/schneider.htm
2000-2005
Prof. Dr. Kurt-Ulrich Jäschke
*6. März 1938 Danzig-Langfuhr
Studium der Anglistik, Geschichte und evangelischen Theologie in Münster und
Bonn
1963
1963
1964
seit 1964
1969
1970
1971
WS 1972/73
1975-2003
1990-1994
Erstes Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien in Geschich-
te und Englisch
Verwalter einer Assistentenstelle am Institut für Mittelalterliche
Geschichte der Philipps-Universität Marburg
Promotion (noch in Bonn bei Prof. Dr. Helmut Beumann) über
„Studien zu Quellen und Geschichte des Osnabrücker Zehnt-
streits unter Heinrich IV.“
Assistent am Institut für Mittelalterliche Geschichte der Philipps-
Universität Marburg
Habilitation in Mittelalterlicher Geschichte an der Universität
Marburg über „Die älteste Halberstädter Bischofschronik“ (Mit-
teldeutsche Forschungen 62 I), Köln 1970
Dozent
Professor
Vertretung des Lehrstuhls für Mittlere Geschichte an der Albert-
Ludwigs-Universität Freiburg
Wissenschaftlicher Rat und H 3-Professor für Mittelalterliche
Geschichte an der Universität des Saarlandes
Prodekan des Fachbereichs 5 Grundlagen- und Geschichtswis-
senschaften
Mitgliedschaften:
Deutsche Kommission für die Bearbeitung der Regesta Imperii e.V. bei der Akade-
mie der Wissenschaften und der Literatur • Mainz; Verein für Rheinische Kirchen-
geschichte
599
Forschungsfelder:
Leitung der Arbeitsstelle Saarbrücken der Akademie der Wissenschaften und der
Literatur in Mainz: Deutsche Regestenkommission (Heinrich VII.); Politische Ge-
schichte und Historische Hilfswissenschaften; Geschichte politischer Ideen; Hagio-
graphie und Historiographie; Stadtgeschichte; Geschichte Englands im Mittelalter
Publikationen:
Schrifttumsverzeichnis Kurt-Ulrich Jäschke, in: Regionen Europas - Europa der
Regionen. Festschrift für Kurt-Ulrich Jäschke zum 65. Geburtstag, hg. von Peter
Thorau, Sabine Penth und Rüdiger FUCHS, Köln 2003, S. 297-302
Seitdem sind unter anderem erschienen:
Böhmer, Johann Friedrich [Begr.], Kurt-Ulrich JÄSCHKE und Peter THORAU
[Bearb.]: Regesta imperii 6, T. IV. Die Regesten des Kaiserreichs unter Rudolf,
Adolf, Albrecht, Heinrich VII., 1273-1313; Abt. 4: Heinrich VII. 1288-1308-
1313;
Lieferung 1: 1288 / 1308 - August 1309, Köln 2006
Lieferung 2: September 1309 - 23. Oktober 1310 (erscheint voraussichtlich im
Dezember 2012)
Was machte im Mittelalter zur Stadt? Zu Thema und Referent, in: Franz IRSIGLER,
Was machte eine mittelalterliche Siedlung zur Stadt? (Universitätsreden 51),
Saarbrücken 2003, S. 5-16
Die Gründungszeit der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung, in: Forschungsaufgabe Industriekultur. Die Saarregion im Ver-
gleich, hg. von Hans-Walter Herrmann, Rainer Hudemann und Eva Kell un-
ter Mitarbeit von Alexander KÖNIG (Veröffentlichungen der Kommission für
Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 37), Saarbrücken 2004, S.
23-56
Was machte im Mittelalter zur Stadt? Selbstverständnis, Außensicht und Erschei-
nungsbilder mittelalterlicher Städte, hg. von Christhard SCHRENK und Kurt-
Ulrich JÄSCHKE (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn
18), Heilbronn 2007
Markgraf Friedrich der Freidige und König Heinrich VII. - ein offenes Verhältnis,
in: Studien zu Literatur, Sprache und Geschichte in Europa. Wolfgang Haub-
richs zum 65. Geburtstag gewidmet, hg. von Albrecht GREULE, Hans-Walter
Herrmann, Klaus Ridder und Andreas Schorr, St. Ingbert 2008, S. 689-699
Sowie die Literatur-Datenbank der Regesta Imperii zur mittelalterlichen Geschich-
te unter
http://opac.regesta-imperii.de/lang de/suche.php?qs=Kurt-Ulrich+Jäschke+
Würdigungen:
Christhard SCHRENK, Statt einer Laudatio. Kurt-Ulrich Jäschke und die Heilbron-
ner Symposien, in: Regionen Europas - Europa der Regionen. Festschrift für Kurt-
Ulrich Jäschke zum 65. Geburtstag, hg. von Peter Thorau, Sabine Penth und
Rüdiger Fuchs, Köln 2003, S. 1-6
Internet-Präsentation:
http://www.uni-saarland.de/fak3/jaeschke/jaeschke.htm
600
seit 2005
Prof. Dr. Brigitte Kasten
*6. Oktober 1955 in Corrientes
Studium der Geschichte und Germanistik an der Heinrich-Heine-Universität
Düsseldorf
1979
1979-1983
1984
1985
1985-1990
1994-2002
1996
2002
Erstes Staatsexamen
Verwalterin der Stelle eines Wissenschaftlichen Assistenten an
der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf am Lehrstuhl von
Prof. Dr. Rudolf Hiestand
Promotion bei Prof. Dr. Josef Semmler in Düsseldorf über „Adal-
hard von Corbie. Die Biographie eines karolingischen Politikers
und Klostervorstehers“ (Studia humaniora 3), Düsseldorf 1985;
französische Übersetzung: Adalhard de Corbie (751-826),
Corbie-Amiens 1992
Zweites Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien
DFG-Stipendiatin im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv
Düsseldorf
Wissenschaftliche Assistentin an der Universität Bremen am
Lehrstuhl von Prof. Dr. Dieter Hägermann
Habilitation an der Universität Bremen über „Königssöhne und
Königsherrschaft. Untersuchungen zur Teilhabe am Reich in der
Merowinger- und Karolingerzeit“ (MGH. Schriften 44),
Hannover 1997
C 4-Professur für die Geschichte des Mittelalters an der Universi-
tät des Saarlandes
Mitgliedschaften:
Verein für Rheinische Landesgeschichte; Gesellschaft für Rheinische Landesge-
schichte; Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung; Arbeitskreis „Sied-
lungsnamen und Siedlungsgeschichte“ an der Universität des Saarlandes; Arbeits-
kreis „Nomen et gens“
Forschungsfelder:
Verfassungsgeschichte und politische Geschichte des Frankenreiches; Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte sowie Klostergeschichte des Mittelalters; Rechts- und Ver-
waltungsgeschichte des Mittelalters; Gesellschaftliche Konfliktaustragung und
-bewältigung im Mittelalter
Projekte:
Edition der jülisch-bergisch-klevischen Hofordnungen 1456-1609; DFG-Projekt
„Ländliche und städtische Sozialgemeinschaften in Alemannien/Elsass im Spiegel
ihrer prekarischen Grundbesitzgeschäfte bis 1300. St. Gallen, Weißenburg, Basel,
Straßburg“; DFG-Projekt „Landesherrliches Rechnungswesen am Beispiel der
Kellerei Kirkel“
601
Publikationen:
Editionen und Aktenverzeichnisse:
Veröffentlichungen der Staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen,
Reihe A, Teil 9: Reichskammergericht, Bände 2-6: Reichskammergericht C-O,
Siegburg 1988-1993 (zusammen mit Wolfgang ANTWEILER und unter
Mitwirkung von Paul HOFFMANN)
Herausgeberschaft:
Tätigkeitsfelder und Erfahrungshorizonte des ländlichen Menschen in der frühmit-
telalterlichen Grundherrschaft (bis ca. 1000). Festschrift für Dieter Hägermann
zum 65. Geburtstag (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Beihefte, Nr. 184), München 2006
Herrscher- und Fürstentestamente im westeuropäischen Mittelalter (Norm und
Struktur 29), Köln 2008
Mönchtum - Kirche - Herrschaft, hg. von Dieter BAUER, Rudolf HlESTAND,
Brigitte Kasten und Sönke Lorenz, Sigmaringen 1998
Blickpunkt Frauen- und Geschlechterstudien, hg. von Bärbel MlEMITZ unter der
Mitarbeit von Anne Altmeyer (Sofie. Schriftenreihe zur Frauenforschung der
Universität des Saarlandes 18), St. Ingbert 2004, dort redaktionelle Mitarbeit
sowie die Literaturdatenbank der Regesta Imperii zur mittelalterlichen Geschichte
unter:
http://opac.regesta-imperii.de/lang_de/suche.php?qs=Brigitte+Kasten
Internet-Präsentation:
http://www.uni-saarland.de/fak3/kasten/lehrstuhl/kasten.htm und http:/www.uni-
saarland.de/mittelalter
E-mail: b.kasten@mx.uni-saarland.de
Stellvertretende Vorsitzende
1952-1963
Gustaf Braun von Stumm
*23. Juni 1890 in Berlin; f 3. November 1963 Innsbruck
1909
1909- 1913
1910- 1911
1913
1914-1917
1918
1920
1923
1925
1928
Abitur am Ludwigsgymnasium in Saarbrücken
Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Oxford, Bonn
und Straßburg
Einjährig Freiwilliger
Leutnant der Reserve, Referendarexamen und Eintritt in den
Justizdienst
Militärdienst, zuletzt Oberleutnant der Reserve
Einberufung in den Auswärtigen Dienst (diplomatische Lauf-
bahn), Attaché
Legationssekretär Gesandtschaft Budapest
im Auswärtigen Amt (Abt. II West- und Südosteuropa), Bot-
schaft Paris, Vertretung der Reichsregierung in München (bis
1925)
Gesandtschaftsrat Botschaft Konstantinopel
1. Legationssekretär Gesandtschaft Brüssel
602
1930 Auswärtiges Amt Abt. VI (Kultur)
1931 Gesandtschaftsrat II. Klasse
1931 Abteilung Presse - Leitung des Referats II - Wechselnde
Zuständigkeiten für West- und Südosteuropa
1933 Eintritt in die NSDAP (1934-1935 Deutsche Front im Saargebiet)
und Legationsrat I. Klasse
1937 Vortragender Legationsrat
1938 kommissarische Beschäftigung bei der Dienststelle des Auswär-
tigen Amtes in Wien (März-April)
1939 Gesandter und stellvertretender Leiter der Nachrichten- und Pres-
seabteilung
Im April 1942 führt die Äußerung Braun von Stumms in einer Auslandspressekon-
ferenz, die deutsche Luftwaffe werde als Vergeltung für Angriffe auf deutsche
Städte alle im Baedeker-Reiseführer mit drei Sternen gekennzeichneten Gebäude
in Großbritannien angreifen, zu scharfer Kritik durch Propagandaminister Joseph
Goebbels.
1944 Gesandter I. Klasse als Ministerialdirigent
Stellvertretender Vorsitzender des Saar-Pfalz-Kanal-Vereins
Mitgliedschaften:
Numismatische Kommission der Länder der Bundesrepublik Deutschland; Vertre-
ter des Saarlandes 1960-1963; Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte;
Historischer Verein für die Saargegend (Vorstandsmitglied); Stellvertretender Vor-
sitzender des Beirats des Instituts für Landeskunde des Saarlandes; Stellvertreten-
der Vorsitzender der Vereinigung Ludwigskirche zum Schutze saarländischer
Kulturdenkmäler; Stellvertretendes Mitglied des Universitätsrates der Universität
des Saarlandes
Forschungsfelder:
Mittelalterliche Numismatik sowie Heraldik
Publikationen:
Peter BERGHAUS, Numismatisch-sphragistische Bibliographie Gustaf Braun von
Stumm, in: Schweizer Münzblätter 13 (1964), S. 50-51
Weitere bibliographische Übersichten bieten die Nekrologe von Reinhard Schind-
ler, Alois Thomas und Hektor Ammann sowie die Literatur-Datenbank der Re-
gesta Imperii zur mittelalterlichen Geschichte unter
http://opac.regesta-imperii.de/lang_de/suche.php?qs=Gustav+Braun+von+Stumm
Zur Laufbahn im Auswärtigen Dienst:
Braun von Stumm, Gustaf, in: Biographisches Handbuch des deutschen Auswär-
tigen Dienstes 1871-1945, hg. vom Auswärtigen Amt, Historischer Dienst von
Maria KEIPERT und Peter GRUPP, Band 1: A-F, Paderborn 2000, S. 265-266
Die Äußerung Stumms bei der Pressekonferenz am 24. April 1942 über die
„Baedeker-Luftangriffe“ wird mehrfach in den Goebbels-Tagebüchern themati-
siert. Die Engländer sprechen von Baedeker-Angriffen, weil einer unserer Herren
törichterweise auf einer Auslandspressekonferenz diesen Ausdruck geprägt hat
(Eintrag vom 1. Mai, S. 213). - Der Begriff der „Baedeker-Angriffe“ spielt in der
englischen Polemik eine große Rolle. Leider hat ein Herr vom Auswärtigen Amt
603
diesen Begriff selbst geprägt und uns damit einen ungeheuren Schaden zugefügt.
Ich rüge das auf / das schärfste und treffe Maßnahmen, daß sich solche Torheiten
nicht wiederholen (Eintrag vom 2. Mai 1942, S. 219/220). - Die Frage des
Baedeker-Krieges [...] ist nun auch in England sehr geteilt beurteilt. Leider ist der
Begriff des Baedeker-Krieges von einem Beamten des Auswärtigen Amtes Braun
von Stumm, wenn auch in einer anderen Version, geprägt worden. Wir haben da-
mit den Engländern in der ungeschicktesten Weise ein für sie außerordentlich
brauchbares Schlagwort zugeworfen. Da ich die weitere Fortführung des po-
lemischen Luftkrieges für außerordentlich wichtig auch für die Entwicklung des
militärischen Luftkrieges halte, schärfe ich noch einmal allen Dienststellen ge-
nauestem die von mir ausgegebenen und striktest einzuhaltenden Richtlinien ein.
Es geht nicht an, daß in einer so außerordentlich prekären und delikaten Frage
jeder eine eigene Tendenz verfolgt. Wir dürfen uns in keiner Weise der ange-
richteten Schäden an / Kulturdenkmälern rühmen (Eintrag vom 3. Mai 1942, S.
227/228). Die Tagebücher von Joseph Goebbels, hg. von Elke Fröhlich, Teil II:
Diktate 1941-1945, Band 4, München 1995.
Zur von Stumm 1952 geführten juristischen Auseinandersetzung um die 1951
publizierte deutsche Übersetzung von Curzio Malapartes 1944 in Italien erschie-
nenem Kriegsroman „Kaputt“ und des darin beschriebenen Schicksals von Stumms
zweiter Ehefrau Guiseppina, geb. Marchesina Antinori, vgl. den Beitrag von
Malapartes Visionen, in: Der Spiegel, Heft 5, 28. Januar 1953, S. 32. Torsten
Liesegang, Curzio Malaparte: Kaputt, in: Italienisch Nr. 55 (2006), S. 144-146.
Würdigungen:
Hans-Walter Herrmann, Zum Tode von Gustaf Braun von Stumm, in: Saarbrü-
cker Hefte 39 (1963), S. 77-78
Reinhard SCHINDLER, Gustaf Braun von Stumm, in: Zeitschrift für die Geschichte
der Saargegend 13 (1963), S. 4-7
Alois Thomas, Gesandter a. D. Gustav Braun von Stumm t, in: Archiv für
mittelrheinische Kirchengeschichte 16 (1964), S. 424
Hektor Ammann, Gustav Braun von Stumm und die Geschichtswissenschaft, in:
Saarheimat 8 (1964), S. 1-2
Peter Berghaus, Gustaf Braun von Stumm und Numismatisch-sphragistische
Bibliographie Gustaf Braun von Stumm, in: Schweizer Münzblätter 13 (1964), S.
50-51
1964- 1965 Prof. Dr. Josef Adolf Schmoll genannt Eisenwerth
1965- 1966 Prof. Dr. Edith Ennen
604
1966-1969
Prof. Dr. Eduard Hlawitschka
*8. November 1928 in Dubkowitz
Studium der Geschichte, Geographie und der lateinischen Philologie an den Uni-
versitäten Rostock, Leipzig und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
1956 Promotion in Freiburg bei Prof. Dr. Gerd Tellenbach über „Fran- ken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien (774- 962). Zum Verständnis der fränkischen Königsherrschaft in Italien“ (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte 8), Freiburg 1960, anschließend Mitarbeiter an einem von der Deutschen For-
seit 1961 1965/66 schungsgemeinschaft finanzierten Projekt Gerd Tellenbachs zur Erforschung des mittelalterlichen Adels in Süddeutschland Wissenschaftlicher Assistent an der Universität des Saarlandes Habilitation in Saarbrücken über „Lotharingien und das Reich an der Schwelle der deutschen Geschichte“ (Schriften der Monu- menta Germaniae Historica 21), Stuttgart 1968; (Zweiter Teil): „Die Anfänge des Hauses Habsburg-Lothringen. Genealogische Untersuchungen zur Geschichte Lothringens und des Reiches im 9., 10. und 11. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung 4), Saarbrücken 1969
1966 1967-1969 Ernennung zum Universitätsdozenten Gastdozent am Deutschen Historischen Institut Rom und im
1969 Wintersemester 1968/69 Lehrstuhl Vertretung an der Ruprecht- Karls-Universität Heidelberg Berufung zum ordentlichen Professor für Geschichte des Mittel- alters an die Universität Düsseldorf
1974 Ablehnung eines Rufes auf den Lehrstuhl für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn
1975 Berufung zum Professor für mittelalterliche Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
1977-1979 Dekan der Philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunst- wissenschaften
1994 Emeritierung
Mitgliedschaften:
Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde; Korrespondierendes Mitglied der
Historischen Kommission der Sudetenländer; Sudetendeutsche Akademie der Wis-
senschaften und Künste (Vizepräsident 1988-1991, Präsident 1991-1994); Fachgut-
achter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1975-1983); Kommission für den
Aufbau einer Philosophischen Fakultät an der Technischen Universität Dresden
1992
605
Auszeichnungen:
Sudetendeutscher Kulturpreis für Wissenschaft 1987; „Prix de Liechtenstein 1991“
der Confédération Internationale de Généalogie et d’Héraldique; Goldene Medaille
der Comenius-Universität Bratislava 1991; Ulrich-von-Eschenbach-Plakette des
Heimatkreisverbandes Leitmeritz e.V. 2001; Verdienstmedaille der Universität
Olmütz 2006; Medaille „Pro meritis“ der Sudetendeutschen Akademie der Wissen-
schaften und Künste 2008
Forschungsfelder:
Geschichte des Früh- und Hochmittelalters; Geschichte Böhmens
Publikationen:
Eduard Hlawitschka: Stirps regia. Forschungen zu Königtum und Führungs-
schichten im früheren Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze. Festgabe zu seinem
60. Geburtstag, hg. von Gertrud Thoma und Wolfgang GlESE, Frankfurt 1988
Festschrift für Eduard Hlawitschka zum 65. Geburtstag, hg. von Karl Rudolf
SCHNITH und Roland PAULER (Münchener historische Studien - Abteilung
Mittelalterliche Geschichte 5), Kallmünz 1993
Studien zur Äbtissinnenreihe von Remiremont (7.-13. Jahrhundert) (Veröffent-
lichungen des Instituts für Landeskunde im Saarland 9), Saarbrücken 1963
Liber memorialis von Remiremont, bearbeitet von Eduard Hlawitschka, Karl
Schmid und Gerd Tellenbach (Monumenta Germaniae historica, Liber
Memorialis I), Dublin/Zürich 1970
Zum Werden der Unteilbarkeit des mittelalterlichen deutschen Reiches, Düsseldorf
1971
Vom Frankenreich zur Formierung der europäischen Staaten- und Völkergemein-
schaft 840-1046. Ein Studienbuch zur Zeit der späten Karolinger, der Ottonen
und der frühen Salier in der Geschichte Mitteleuropas, Darmstadt 1986
Untersuchungen zu den Thronwechseln der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts und
zur Adelsgeschichte Süddeutschlands: zugleich klärende Forschungen um „Kuno
von Öhningen“ (Vorträge und Forschungen, Sonderband 35), Sigmaringen 1987
Von der großfränkischen zur deutschen Geschichte. Kriterien der Wende (Sit-
zungsberichte der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste,
Geisteswissenschaftliche Klasse 1988, Heft 2), München 1988
Zu den Grundlagen der staufischen Stellung im Elsaß. Die Herkunft Hildegards
von Schlettstadt (Sitzungsberichte der Sudetendeutschen Akademie der Wissen-
schaften und Künste, Geisteswissenschaftliche Klasse 1991, Heft 2), München
1991
Josef StöSSEL und Eduard Hlawitschka, Die Familien namens Hlawitschka und
Füssel im Kirchspiel Wellemin und der näheren Umgebung (vervielfältigtes
Manuskript), 1999
mit Ermengard Hlawitschka-Roth, Andechser Anfänge. Beiträge zur frühen
Geschichte des Klosters Andechs (Andechser Reihe 4), St. Ottilien 2000
Konradiner-Genealogie, unstatthafte Verwandtenehen und spätottonisch-frühsali-
sche Thronbesetzungspraxis. Ein Rückblick auf 25 Jahre Forschungsdisput,
Hannover 2003
Die Ahnen der hochmittelalterlichen deutschen Könige, Kaiser und ihrer Gemah-
linnen: ein kommentiertes Tafelwerk, Band 1: 911-1137 (Monumenta Germa-
niae Historica Hilfsmittel 25, 1 und 2), Hannover 2006; Band 2: 1137-1197
606
(Monumenta Germaniae Historica Hilfsmittel 26), Hannover 2009; Band 3:
1197-1250 (erscheint 2013)
Dubkowitz im böhmischen Mittelgebirge. Erinnertes - Ermitteltes - Erlebtes. Eine
Dokumentation, 3. Auflage München 2009
Herausgeberschaften:
Königswahl und Thronfolge in ottonisch-frühdeutscher Zeit (Wege der Forschung
178), Darmstadt 1971
Königswahl und Thronfolge in fränkisch-karolingischer Zeit (Wege der Forschung
247), Darmstadt 1975
Münchener Historische Studien, Abteilung Mittelalterliche Geschichte, ab Band 3,
1985
Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste (Ver-
schiedene Bände zwischen 1988 und 2012)
Die Politik von Dr. Edvard Benes und Mitteleuropa (Sonderheft der Sudetendeut-
schen Akademie der Wissenschaften 1993/94), (erschienen) 1996.
Außerdem bislang 100 Aufsätze sowie 70 Lexika-Artikel und biographische
Beiträge
2012 hat Eduard Hlawitschka den Memoirenbeitrag „Erinnerungen an meine
Assistenten- und Dozentenzeit an der Universität des Saarlandes in Saarbrü-
cken“ verfasst, der in diese Festschrift S. 573 ff. aufgenommen wurde.
Würdigungen:
Rudolf Schieffer, Die Stellung Eduard Hlawitschkas in der mediävistischen
Geschichtswissenschaft, in: Leitmeritzer Heimatbote. Mitteilungsblatt für Stadt
und Kreis Leitmeritz, 51. Jahrgang, Heft 2, Fulda März/April 1999, S. 39-42. Der
Beitrag dokumentiert die bei der akademischen Feier zum 70. Geburtstag im
November 1998 gehaltene Laudatio
Internet-Präsentation:
http://www.sudetendeutsche-akademie.eu/Hlawitschka.htm
1969-1975
Prof. Dr. Wilhelm Wegener
*2. November 1911 in Bad Lippspringe; t 6. April 2004 in Göttingen
Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Rechte in Marburg, Göttingen,
München und Bonn
1935
1938
1939
1940-1945
1945
Diplom-Volkswirt Bonn
Volontariat in der Wirtschaft
Erste Juristische Staatsprüfung
Promotion an der Georg-August-Universität in Göttingen bei
Prof. Dr. Hermann Raschhofer über „Probleme der völkerrecht-
lichen Ordnung der internationalen Binnenschifffahrt in ge-
schichtlicher und systematischer Beleuchtung“, Göttingen 1939
Personalreferent und dann Leiter der Personalabteilung bei
Rheinmetall-Borsig in Berlin-Tegel
Rückkehr an die Universität Göttingen - Assistent im Juris-
tischen Seminar
607
1954 Habilitation in Göttingen über „Böhmen, Mähren und das Reich
im Hochmittelalter. Untersuchungen zur staatsrechtlichen Stel-
lung Böhmens und Mährens im Deutschen Reich des Mittelalters
919-1253“ (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart 5),
Göttingen 1959; Venia legendi für Deutsche und Vergleichende
Rechtsgeschichte und Arbeitsrecht
1955 Ernennung zum Dozenten
1956 Außerplanmäßiger Professor für Deutsche und Vergleichende
Rechtsgeschichte, Handels- und Arbeitsrecht an der Universität
des Saarlandes
1958 Ernennung zum ordentlichen Professor
1965/66 Prodekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät
1976 Emeritierung
Mitgliedschaften:
Genealogisch-Heraldische Gesellschaft in Göttingen (Vorsitzender und Ehrenvor-
sitzender); Wissenschaftlicher Beirat des Bensheimer Instituts zur Personenge-
schichte; Centre Généalogique d’Alsace; Historische Kommission der Sudeten-
länder
Auszeichnungen:
1976 Johann-Christoph-Gatterer-Medaiife in Silber der Deutschen Arbeitsgemein-
schaft genealogischer Verbände; 1986 Silberne Medaille der Confédération Inter-
nationale de Généalogie et d’Héraldique
Forschungsfelder:
Rechtsgeschichte vom Mittelalter bis zur Neuzeit; Völkerrecht; Geschichte des
Arbeits- und Sozialversicherungsrechts; Heraldik und Genealogie; 1957-1969 Her-
ausgeber der „Genealogischen Tafeln zur mitteleuropäischen Geschichte“
Publikationen:
Schriftenverzeichnis Prof. Dr. Wilhelm Wegener in: Akademische Gedenkfeier für
Wilhelm Wegener (Universitätsreden 65), Saarbrücken 2006
Würdigungen:
Wolfgang MÜLLER, Prof. Dr. Wilhelm Wegener 90, in: Campus. Das Magazin der
Universität des Saarlandes, 31. Jahrgang, Ausgabe 4, Dezember 2001, S. 55
Wolfgang MÜLLER, Die Universität trauert um Prof. Dr. Wilhelm Wegener, in:
Campus. Das Magazin der Universität des Saarlandes, 34. Jahrgang, Ausgabe 3,
Juli 2004, S. 38
Lupoid von LEHSTEN, Prof. Dr. Wilhelm Wegener verstorben, in: Archiv für
Familiengeschichtsforschung 8 (2004), S. 134-139
Maximilian J. HOMMENS: In memoriam Wilhelm Wegener: 1911-2004, in: Zeit-
schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 122
(2005), S. 1054-1059
Wolfgang MÜLLER, Die Universität trauert - Gedenkfeier für Professor Wilhelm
Wegener, in: Campus. Das Magazin der Universität des Saarlandes, 35. Jahrgang,
Ausgabe 3, August 2005, S. 62
Akademische Gedenkfeier für Wilhelm Wegener (Universitätsreden 65),
Saarbrücken 2006
608
Teilnachlass im Universitätsarchiv Saarbrücken; der biographisch-genealogische
Aktennachlass wird im Institut für Personengeschichte in Bensheim verwahrt und
ist über den Bibliothekskatalog des Instituts erschlossen.
1975-1976
Prof. Dr. Karl-Georg Faber
*21. Juli 1925 in Kim; f 15. September 1982 in Münster
Studium der Rechtswissenschaften und dann der Geschichte, Geographie und
Anglistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
1952
1952
1953-1962
1962-1965
1965
1965-1967
1966/67
1967
1971
1973/74
1976
1977/78
Promotion bei Prof. Dr. Leo Just über „Christian von Strambergs
.Rheinischer Antiquarius4 im Rahmen des rheinischen Geistesle-
bens der Restaurationszeit“; auszugsweise publiziert „Christian
von Strambergs .Rheinischer Antiquarius4 als Geschichtswerk
der rheinischen Restauration“, in: Jahrbuch für Geschichte und
Kunst des Mittelrheins und seiner Nachbargebiete 4/5 (1952/53),
S. 7-51 und Christian von Stramberg (1785-1868), in: Rheinische
Lebensbilder 2, 1966, S. 159-178
Volontärassistent am Historischen Institut Mainz
Wissenschaftlicher Angestellter der Bundesanstalt für Landes-
kunde und Raumforschung in Remagen
Wissenschaftlicher Assistent am Historischen Seminar der
Universität Mainz
Habilitation für Neuere Geschichte und Geschichtliche Landes-
kunde über „Die Rheinlande zwischen Restauration und Revolu-
tion von 1814-1848 im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik“,
Wiesbaden 1966
Dozent
Vertretung des vakanten Lehrstuhls für Geschichte der Neuzeit
(Nachfolge Heinrich Lutz) an der Universität des Saarlandes
Ernennung zum ordentlichen Professor (H 4) und Berufung auf
den Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Univer-
sität des Saarlandes (Nachfolge Konrad Repgen)
Gastprofessur an der Kent State University
Gastvorlesungen an der Universität Mannheim
Annahme eines Rufes an die Westfälische Wilhelms-Universität
Münster
Dekan des Fachbereichs 10 Geschichte
Mitgliedschaften:
Schatzmeister im Vorstand des Deutschen Historikerverbandes (im Amt verstor-
ben); Akademie der Wissenschaft und der Literatur Mainz (korrespondierend);
Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Vize-
präsident der Kommission zur Geschichte der Geschichtswissenschaft im Comité
International des Sciences Historiques
Forschungsfelder:
Theorie der Geschichtswissenschaft; 19. Jahrhundert; Landesgeschichte
609
Publikationen:
Landkreis Bingen: Regierungsbezirk Rheinhessen, bearbeitet in der Bundesanstalt
für Landeskunde von Erich Balon und Karl-Georg Faber (Die Landkreise in
Rheinland-Pfalz 3), Speyer 1958
Die nationalpolitische Publizistik Deutschlands von 1866 bis 1871. Eine kritische
Bibliographie, 2 Bände (Bibliographien zur Geschichte des Parlamentarismus
und der politischen Parteien 4), Düsseldorf 1963
Andreas van Recum 1765-1828. Ein rheinischer Kosmopolit (Pariser Historische
Studien 8), Bonn 1969
Recht und Verfassung. Die politische Funktion des rheinischen Rechts im 19.
Jahrhundert, Köln 1970
Theorie der Geschichtswissenschaft (Becksche Schwarze Reihe 78), München
1971, 5. Auflage 1982
Historische Prozesse, hg. von Christian Meier und Karl-Georg Faber (Theorie der
Geschichte 2), München 1978
Historical consciousness and political action, hg, von Theodor Schieder, Wolf-
gang J. Mommsen und Karl-Georg Faber (History and Theory, Beiheft 17),
Middletown 1978
Wissenschaft als universalhistorisches Problem, hg. von Karl-Georg Faber unter
Mitarbeit von Helmut G. Koenigsberger (Geschichte in Wissenschaft und
Unterricht, Beiheft), Stuttgart 1979
Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Restauration und Revolution von 1815
bis 1851 (Handbuch der Deutschen Geschichte, neu hg. von Leo Just, Bd. 3/1,
2. Teil), Wiesbaden 1979
mit August NlTSCHKE, Volker HENTSCHEL und Werner CONZE: Funkkolleg
Geschichte. Studienbegleitbriefe, Weinheim 1979-1980
Funkkolleg Geschichte, hg. von Werner CONZE, Karl-Georg Faber und August
NlTSCHKE, 2 Bände, Frankfurt 1981
Zum Verhältnis von Absolutismus und Wissenschaft (Akademie der Wissenschaf-
ten und der Literatur Mainz, Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissen-
schaftlichen Klasse 5), Wiesbaden 1983
Sowie 100 Aufsätze
Würdigungen:
Wolfgang J. MOMMSEN, In memoriam Karl-Georg Faber, in: Storia della
storiografia, 1982, vol. 2, S. 3-10
Roger Düfraisse, Karl-Georg Faber (1925-1982), in: Francia 11 (1983), S. 927-
932
Heinz Gollwitzer, Nekrolog Karl-Georg Faber, in: Historische Zeitschrift 236
(1983), S.773-778
Harald Zimmermann, Nachruf auf Karl-Georg Faber, in: Jahrbuch 1982 der Aka-
demie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz (1983), S. 87-92
Walter LlPGENS, Professor Faber ist allen Kollegen als vorbildlich in Erinnerung.
Ehemaliger Mitdirektor des Historischen Instituts plötzlich verstorben, in: Campus.
Das Magazin der Universität des Saarlandes, Nachrichten und Meinungen aus den
Hochschulen, 12. Jahrgang, Nr. 11, Saarbrücken 13. Oktober 1982, S. 4
Nachlass: Universitäts- und Landesbibliothek Münster
610
1976-1987
Dr. Lorenz Drehmann
*7. April 1915 in Erfurt; f 5. Dezember 1992 in Dudweiler/Saar
1926-1932
1932-1934
1934- 1935
1935- 1947
1941
1946-1947
1947
1948
1949-1958
seit 1951
1958-1977
1965-1975
Besuch des Staatlichen Gymnasiums in Erfurt
Besuch des Staatlichen Gymnasiums in Heiligenstadt, Abitur
Aberkennung der Hochschulreife wegen seiner Weigerung, als
Mitglied des katholischen Jugendverbandes Neudeutschland in
die Hitlerjugend einzutreten
Mitarbeit im Stiftsarchiv St. Patroklus in Soest
durch Reichsarbeitsdienst und Kriegsdienst zeitweise unterbro-
chenes Studium der Philosophie, Theologie und Geschichte an
der Philosophisch-Theologischen Hochschule Fulda und den
Universitäten Würzburg und Jena
Staatsexamen an der Universität Würzburg
Bibliotheksreferendariat in Jena
Promotion bei Prof. Dr. Friedrich Schneider über „Der Weih-
bischof Nikolaus Elgard. Eine Gestalt der Gegenreformation. Mit
besonderer Berücksichtigung seiner Tätigkeit in Erfurt und auf
dem Eichsfeld (1578-1587) auf Grund seiner unveröffentlichten
Briefe 1572-1585 (Erfurter Theologische Schriften 3), Leipzig
1958
Bibliotheksreferendar an der Deutschen Bücherei in Leipzig und
Kurzpraktikum an der Deutschen Staatsbibliothek in Ostberlin
Wissenschaftlicher Bibliothekar und Direktor der Katalogabtei-
lung an der Deutschen Bücherei Leipzig
Nebenamtlicher Mitarbeiter im St. Benno-Verlag
Bibliothekar des höheren Dienstes an der Universitätsbibliothek
Saarbrücken. Laufbahnstationen: Wissenschaftlicher Hilfsarbei-
ter, Bibliotheksrat, Oberrat, Direktor, zuletzt Stellvertretender
Direktor der Universitätsbibliothek
Lehrauftrag an der Philosophischen Fakultät der Universität des
Saarlandes: Bücherkunde für Historiker
Mitgliedschaften:
Arbeitskreis für die Geschichte des Bistums Meißen (1956-1958); Arbeitsgemein-
schaft Schulgeschichte des Saarlandes im Pädagogischen Institut der Universität
des Saarlandes (1967-1968); Historischer Verein für die Saargegend (seit 1961)
und des wissenschaftlichen Ausschusses (1980-1983); Mitglied der Gesellschaft
für Rheinische Geschichtskunde (seit 1969); Redakteur des „Erfurter Heimat-
briefes“ (seit 1981); Vorsitzender der „Vereinigung heimattreuer Erfurter“ (seit
1983)
Auszeichnungen:
Saarländischer Heimatpreis 1987 - Maria Croon-Plakette; Ehrenmitglied des
Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt; Ehrenbürger der Stadt
Erfurt
611
F orschungsfelder:
Bibliothekswesen; Geschichte Erfurts und Thüringens; Landeskunde des Saar-
landes
Publikationen:
Eine Bibliographie mit einem Verzeichnis der Vorträge und verschiedenen Veröf-
fentlichungen (Monographien, Aufsätze, Besprechungen, Miszellen, Leserbriefe
und Zeitungsnotizen) bietet Lorenz DREHMANN, Colligere Fragmenta 7. April
1915/1985, Saarbrücken-Dudweiler 1985
Johannes Kirschweng, Bibliographie zusammengestellt von Lorenz Drehmann,
in: Gesammelte Werke Johannes Kirschweng, Band 11, hg, vom Verein für
Kulturelle und Geschichtliche Arbeit im Raum Bisttal, Saarbrücken 1986, S.
369-427
Herausgeber der „Saarländischen Bibliographie“ vom 1964 erschienenen Band 1
(1961/62) bis zum 1978 erschienenen Band 8 (1975/76)
Mitherausgeber der „Gesammelten Werke“ Johannes Kirschwengs 1972-1984
Würdigungen:
Wolfgang Läufer, Nachruf Dr. phil. Lorenz Drehmann 7.4.1915-5.12.1992, in:
Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 42 (1994), S. 11-12
(Rudolf Benl), Lorenz Drehmann t, in: Mitteilungen des Vereins für die Ge-
schichte und Altertumskunde von Erfurt 55 (1994), S. 135-136.
Nachlass Universitätsarchiv Saarbrücken
Bestand „Vereinigung Heimattreue Erfurter“ im Stadtarchiv Erfurt
1987-1999
Prof. Dr. Wolfgang Haubrichs
*22. Dezember 1942 in Saarbrücken
Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität des
Saarlandes und an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
1967
1967-1969
1972
1975
1975
Promotion in Saarbrücken bei Prof. Dr. Hans Eggers über „Ordo
als Form. Strukturstudien zur Zahlenkomposition bei Otfrid von
Weißenburg und in karolingischer Literatur (Hermaea. Germanis-
tische Forschungen, Neue Folge 27), Tübingen 1969
Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Ernennung zum Assistenzprofessor
Habilitation in Saarbrücken über „Hero Sancte Gorio. Georgslied
und Georgskult im frühen Mittelalter. Studien zu Herkunft, Über-
lieferung und Rezeption eines spätkarolingischen Heiligen-
liedes“;
„Die Kultur der Abtei Prüm zur Karolingerzeit. Studien zur Hei-
mat des althochdeutschen Georgsliedes (Rheinisches Archiv
105), Bonn 1979; „Georgslied und Georgslegende im frühen Mit-
telalter. Text und Rekonstruktion (Theorie, Kritik, Geschichte
13), Königstein 1979
Ernennung zum Professor
612
1977/78 Berufung auf die C 4-Professur „Deutsche Literatur des Mittel-
alters und Deutsche Sprache“ an der Universität des Saarlandes
2005-2006 Dekan der Philosophischen Fakultät II Sprach-, Literatur- und
Kulturwissenschaften der Universität des Saarlandes
2011 Emeritierung und Ernennung zum Seniorprofessor
Gastprofessuren und Austauschdozenturen an den Universitäten Klagenfurt, War-
schau, Sofia, Catania, Cassino, L’Aquila, Neapel und Hiroshima
Mitgliedschaften:
Mainzer Akademie der Wissenschaften und Literatur (Leiter der Kommission für
Deutsche Philologie seit 2007); Österreichische Akademie der Wissenschaften
Wien (korrespondierend); Wolfram von Eschenbach-Gesellschaft (Vorsitzender
1998-2006); Kommission für Deutsch-Slawische Namenforschung der Sächsischen
Akademie der Wissenschaften zu Leipzig; Kommission fur Deutsche Literatur des
Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Historischer Verein
fur die Saargegend (Vorsitzender 1994-2000); Gewähltes Mitglied des Fachkolle-
giums Literaturwissenschaft der DFG (2000-2008); Beirat des Instituts für Landes-
kunde im Saarland
Auszeichnungen:
1997 Henning Kaufmann-Preis zur Förderung der deutschen Namenforschung
Forschungsfelder:
seit 1970 Mitbegründer und seitdem Mitherausgeber der „LiLi. Zeitschrift für Lite-
raturwissenschaft und Linguistik“; seit 1979 Leitung mehrerer kontinuierlicher
Projekte (VW-Stiftung, DFG) zur Namenforschung, zur Entstehung der deutsch-
französischen Sprachgrenze, zur germanisch-romanischen Interferenzforschung, zu
germanischen Lehnwörtern in langobardischen Urkunden (vor 774), zur Literatur
im Umkreis Elisabeths von Nassau-Saarbrücken und zu spätmittelalteriichen
Beichttraktaten; Leitung des Mainzer Akademieprojekts „Wörterbuch der Deut-
schen Winzersprache (WDW)“ (1999-2011)
Publikationen:
Schriftenverzeichnis Prof. Dr. Wolfgang Haubrichs, in: Studien zu Literatur,
Sprache und Geschichte in Europa. Wolfgang Haubrichs zum 65. Geburtstag
gewidmet, hg. von Albrecht Greule, Hans-Walter HERRMANN, Klaus Ridder
und Andreas SCHORR, St. Ingbert 2008, S. 777-805
Bibliographischer Nachweis zu den Publikationen von Wolfgang Haubrichs, in:
Akademische Feier anlässlich des 65. Geburtstages von Wolfgang Haubrichs
(Universitätsreden 75), Saarbrücken 2008, S. 57
Seitdem sind unter anderem erschienen:
L’espace physique, Fhistoire, la langue. L’élaboration des zones de contact et des
frontières linguistiques entre Romania et Germania, entre la Suisse et le
Luxembourg, in: Construction de l’espace au Moyen Age: pratiques et
représentations, Paris 2007, S. 167-191
Hybridität und Integration. Vom Siegeszug und Untergang des germanischen
Personennamensystems in der Romania, in: Zur Bedeutung der Namenkunde für
die Romanistik, hg. von Wolfgang Dahmen, Günter HOLTUS und Johannes
KRAMER, Tübingen 2008, S. 87-140
613
Langobardic Personal Names: Given Names and Name-Giving, in: The
Langobards before the Frankish Conquest, hg. von Giorgio Ausenda, Paolo
DELOGU and Chris Wickham (Studies in Historical Archaeoethnology 8),
Woodbridge 2009, S. 195-236
Testamentum Remigli. Die Personennamen der servi, coloni und parentes im
Testament des Bischofs Remigius von Reims, in: Historia Archaeologica. Fest-
schrift für Heiko Steuer zum 70. Geburtstag, hg. von Sebastian BRATHER, Dieter
Geuenich und Christoph HüTH, Berlin/New York 2009, S. 285-324
Tradition onomastique et construction de mythes. Les noms des prologues de la loi
salique, in: Nouvelle Revue d’Onomastique 51 (2009), S. 131-166
Viri illustres. Romanizzazione e tratti conservativi nei nomi della nobiltà
longobarda del VII secolo, in: 1 nomi nel tempo e nello spazio. Atti del XXII
Congresso Intemazionale di Science Onomastiche, Bd. 4, Pisa 2010, S. 513-540
Sprache und Schriftlichkeit im langobardischen Italien. Das Zeugnis von Namen,
Wörtern und Entlehnungen, in: Filologia Germanica - Germanie Philology 2
(2010), S. 135-201
Akkulturation und Distanz. Germanische und romanische Personennamen im
regnum der Burgunden, in: Völker, Reiche und Namen im frühen Mittelalter,
hg. von Matthias BECHER und Stefanie Dick, München 2010, S. 191-222
Michael - Fürst der militia caelestis und Patron der Ritterschaft, in: Heiden und
Heilige. Kulturelle und literarische Integrationsfiguren des europäischen Mittel-
alters, hg. v. Andreas Hammer und Stephanie Seidl, Heidelberg 2011, S. 1-24
Ethnizität zwischen Differenz und Identität. Sprache als Instrument der Kommuni-
kation und der Gruppenbildung im frühen Mittelalter, in: Zeitschrift für Litera-
turwissenschaft und Linguistik 41, Heft 164 (2011), S. 10-38
Würdigungen:
Akademische Feier anlässlich des 65. Geburtstages von Wolfgang Haubrichs
(Universitätsreden 75), Saarbrücken 2008
Internet-Präsentation:
http://www.uni-saarland.de/fak4/fr41/haubrichs/index.html
E-Mail: w.haubrlchs@germanistik.uni-saarland.de
Abgabe archivreifer Akten an das Universitätsarchiv Saarbrücken
1999-2010
Prof. Dr. Dr. h.c. Rainer Hudemann
*6. Juli 1948 in Heidelberg
Studium der Geschichte, Romanistik und Politikwissenschaft an den Universitäten
Heidelberg, Kiel, am Institut d’Etudes politiques de l’Université de Paris und an
der Universität Trier
1973 Staatsexamen in Geschichte und Französisch und Erweiterungs-
prüfung in Politikwissenschaft
seit 1973 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Neuere und Neueste Ge-
schichte bei Prof. Dr. Wolfgang Schieder in Trier
1976 Promotion bei Prof. Dr. Wolfgang Schieder an der Universität
Trier über „Fraktionsbildung im französischen Parlament. Zur
614
seit 1979
1984
1984-1985
seit 1985
1993
1995
1995- 1996
1999
2002
seit 2010
1992-1994
1992-1994
1996- 2003
2009-2010
Entwicklung des Parteiensystems in der frühen Dritten Republik
(1871-1875)“ (Beihefte der Francia 8), München 1979
Hochschulassistent an der Universität Trier
Habilitation für Neuere und Neueste Geschichte in Trier über
„Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und
Neuordnung 1945-1953. Sozialversicherung und Kriegsopferver-
sorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik“ (Veröffent-
lichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des
Landes Rheinland-Pfalz 10), Mainz 1988
Vertretung einer C 3-Professur für Neuere und Neueste Ge-
schichte (Prof. Dr. Hartmut Soell) an der Universität Heidelberg
C 4-Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der
Universität des Saarlandes
Gastdozentur an der Ecole Normale Supérieure, Paris
Gastprofessur an der Hebrew University Jerusalem
Alfred-Grosser-Gastprofessur am Institut d’Études politiques,
Paris
Chaire Européenne am Institut d’Etudes politiques/Sciences Po
Paris
Gastprofessur im IIIe Cycle d’Histoire an Sciences Po Paris
zugleich Professeur d’Histoire contemporaine de l’Allemagne et
des pays germaniques an der Université Paris-Sorbonne (Paris
IV)
Vizepräsident für Lehre und Studium der Universität des
Saarlandes
Vorsitzender des Deutsch-französischen Komitees für die Er-
forschung der deutschen und französischen Geschichte des 19.
und 20. Jahrhunderts, Generalsekretär 1994-1996
Stellvertretender Sprecher des interdisziplinären Graduierten-
kollegs „Interkulturelle Kommunikation in kulturwissenschaft-
licher Perspektive“
Leiter des Frankreich-Zentrums der Universität des Saarlandes,
stellvertretender Leiter 2010-2012
Mitgliedschaften:
Unter anderem Mitglied der Wissenschaftlichen Beiräte des Deutschen Histo-
rischen Instituts Paris 2001-2009; der Deutsch-französischen Hochschule 2001-
2009; des Réseau Français des Instituts d’Etudes Avancées 2008-2010; des Alli-
ierten Museums Berlin 1998-2011; der Kommission des Landtages für die Ge-
schichte des Landes Rheinland-Pfalz
Forschungsfelder:
Deutsche und französische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert; Deutsch-
französische Beziehungen; Geschichte der Eliten in Frankreich und Deutschland;
Parteiengeschichte; Geschichte der Sozialpolitik; Faschismen in Europa; Ge-
schichte der Europäischen Integration; Stadtgeschichte im europäischen Vergleich;
Strukturen von Transferprozessen in Europa; Geschichte des Saarlandes
615
Publikationen:
170 Publikationen sind verzeichnet unter
http://www.nng.uni-saarland.de/publikationen.htm
Festschrift:
Tour de France. Eine historische Zeitreise. Festschrift für Rainer Hudemann, hg.
von Armin HEINEN und Dietmar HÜSER in Zusammenarbeit mit Anne GÜNTHER
(Schriftenreihe des Deutsch-französischen Historikerkomitees 4), Stuttgart 2008
Auszeichnungen:
Dr. honoris causa der Université Paul Verlaine, Metz (1998); Preis der Stiftung für
die deutsch-luxemburgische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaften
(1998); Officier dans l’Ordre des Palmes Académiques (2002); Officier de l’Ordre
National du Mérite (2005)
1 ntemet- Präsentation :
http://www.nng.uni-saarland.de/
E-Mail: hudemann@mx.uni-saarland.de
http://www.paris-sorbonne.fr/l-universite/nos-enseignants-chercheurs/article/hudemann-
rainer
E-Mail: Rainer.Hudemann@paris-sorbonne.fr
Abgabe archivreifer Akten an das Universitätsarchiv Saarbrücken
seit 2010
Dr. Ludwig Linsmayer
*21. November 1958 Landstuhl
Studium der Geschichte, Germanistik, Soziologie und des Faches Deutsch als
Fremdsprache an der Universität des Saarlandes
1990
1991-1994
1994
2004
Promotion bei Prof. Dr. Richard van Dülmen über „Politische
Kultur im Saargebiet 1920-1932: Symbolische Politik, verhinder-
te Demokratisierung, nationalisiertes Kulturleben in einer abge-
trennten Region (Saarland Bibliothek 2), St. Ingbert 1992
Dozent für europäische Wirtschaftsgeschichte an der National
University of Singapore
Leiter des Referates für politische Grundsatzfragen in der Staats-
kanzlei des Saarlandes und Regierungsvertreter in der Kommis-
sion für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung e. V.
Direktor des Landesarchivs Saarbrücken
Mitgliedschaften:
Vorsitzender des Saarländischen Archivverbandes; Stellvertretender Vorsitzender
des Fördervereins für das Historische Museum Saar; Vorstandsmitglied des Lan-
desverbandes der historisch-kulturellen Vereine des Saarlandes; Mitglied in der
Archivreferentenkonferenz des Bundes und der Länder; Mitglied des Kuratoriums
der Siebenpfeiffer-Stiftung; Schriftführer der Vereinigung zur Förderung des
Landesarchivs Saarbrücken
616
Auszeichnungen:
Dr. Eduard-Martin-Preis der Universität des Saarlandes 1992
Teaching Excellence Award, National University of Singapore 1994
Forschungsfelder:
Regional- und Bildgeschichte
Publikationen:
Herausgeber der Reihe „Echolot - Historische Beiträge des Landesarchivs Saar-
brücken“
Mitherausgeber des „Jahrbuchs für westdeutsche Landesgeschichte“
Mitherausgeber der Beihefte zu „Unsere Archive. Mitteilungen aus rheinland-
pfälzischen und saarländischen Archiven“
(Hg. mit Richard van DÜLMEN und Jürgen HANNIG), Erinnerungsarbeit: Die Saar
’33-’35. Katalog zur Ausstellung zur 50jährigen Wiederkehr der
Saarabstimmung vom 13. Januar 1935, Saarbrücken 1985
Genußkultur, industrielle Technik und anthropologischer Wandel. Zu den zivilisa-
tionsgeschichtlichen Arbeiten Wolfgang Schivelbuschs, in: Armut, Liebe, Ehre.
Studien zur historischen Kulturforschung, hg. von Richard van DÜLMEN, Frank-
furt/Main 1988, S. 258-274
(mit Paul BURGARD), Von der Vereinigung der Saarstädte zum Abstimmungs-
kampf (1909-1935), in: Geschichte der Stadt Saarbrücken, hg. von Rolf
Wittenbrock, Bd. 2, Saarbrücken 1999, S. 131-242
Die Saarfrage (1945-1955), in: L’Allemagne des Recommandations de Londres à
la Souveraineté (1948-1955). Aspects de la question, hg. von Jean-Paul CAHN,
Bernard Poloni und Gérard Schneilin, Nantes 2004, S. 141-156
(Hg.) Der 13. Januar. Die Saar im Brennpunkt der Geschichte (Echolot 1),
Saarbrücken 2005
(Hg. mit Gerhard Ames), Ja und Nein. Das Saarreferendum von 1955, Saarbrücken
2005
(mit Paul BURGARD), Der Saarstaat / L’Etat Sarrois. Bilder einer vergangenen Welt
- Images d’un monde passé (Echolot 2), Saarbrücken 2005
(Hg.) Die Geburt des Saarlandes. Zur Dramaturgie eines Sonderweges (Echolot 3),
Saarbrücken 2006
(Hg. mit Paul BURGARD), Jakobswege an Saar, Blies und Mosel, Wanderführer für
die Region, Saarbrücken 2006
Visuelles Gedächtnis der Zukunft: Zum Bedeutungsgewinn fotografischer Quellen
in Geschichtswissenschaft und Archiven, in: Festschrift Hermann Rumschöttel
zum 65. Geburtstag, hg. von Gerhard Hetzer und Bodo Uhl, 1. Teilband,
Köln-Weimar-Wien 2006, S. 557-572
(mit Paul BURGARD), 50 Jahre Saarland. Von der Eingliederung in die Bundesre-
publik bis zum Landesjubiläum (Echolot 5), Saarbrücken 2007
(Hg. mit Paul BURGARD), Das Saarland. Eine europäische Geschichte, Saarbrücken
2007
„Deutsche Mutter - heim zu Dir!“ Die Saarabstimmung als propagandistisches
Gesamtkunstwerk, in: Das Jahrhundert der Bilder 1900-1949, hg. von Gerhard
PAUL, Göttingen 2009, S. 462-469
(mit Paul BURGARD), Bilder der Großstadt. Barbian belichtet Saarbrücken (1948-
1965) (Echolot 9), Saarbrücken 2009
617
(Hg. mit Paul Burgard), Der Jakobsweg von St. Wendel nach Saarbrücken,
Saarbrücken 2010
(Hg.), 500 Jahre Saar-Lor-Lux. Die Kartensammlung Fritz Hellwig im Saarlän-
dischen Landesarchiv, Saarbrücken 2010
(mit Paul Burgard und Peter Wettmann-Jungblut), Luisenthal im Februar -
Chronik einer Bergbau-Katastrophe (Echolot 10), Saarbrücken 2012
(Hg. mit Peter Wettmann-Jungblut), Last aus tausend Jahren - NS-Vergangen-
heit und demokratischer Aufbruch im Saarstaat Saarbrücken 2012 (im Er-
scheinen)
(mit Paul BURGARD), Neunzig Minuten. Mit Ferdi Hartung in die Bundesliga, Teil
1: Borussia Neunkirchen, Saarbrücken 2012
1 ntemet- Präsentation:
http://www.saarland.de/landesarchiv.htm
E-Mail: l.linsmayer@landesarchiv.saarland.de
Geschäftsführer der Kommission:
1952-1958 Dr. Josef Keller
1958-1960 Dr. Hanns Klein (kommissarisch)
1960-1999 Prof. Dr. Hans-Walter Herrmann
2000-2002 Dr. Andrei Miron
2002 Dr. Wolfgang Läufer (kommissarisch)
2002-2008 Prof. Dr. Klaus Keil
2008-2011 Dr. Christel Bemard
seit 2011 Dr. Rolf Wittenbrock
618
Mitglieder der Kommission 1951-2012
verwendete Abkürzungen:
F: Fach
M: Mitglied
a. D.: außer Dienst
api.: außerplanmäßig
Ass. iur.: Assessor iuris
em.: emeritiert
FR: Fachrichtung
h. c.: honoris causa
i. R.: im Ruhestand
Ltd.: Leitende/r
pens.: pensioniert
PD: Privatdozent
OStD: Oberstudiendirektor
OStR: Oberstudienrat
Doktortitel:
Dr. h. c.: doctor honoris causa, Ehrendoktor
Dr. h. c. mult: multiplex, mehrfacher Ehrendoktor
Dr.-Ing.: Doktor-Ingenieur, Doktor der Ingenieurwissenschaften
Dr. iur.: doctor iuris, Doktor der Rechtswissenschaften
Dr. iur. utr.: doctor iuris utriusque, Doktor beiderlei Rechte, des weltlichen und des
kirchlichen Rechts
Dr. phil.: doctor philosophiae, Doktor der Philosophie
Dr. rer. pol.: doctor rerum politicarum, Doktor der Wirtschafts- und Sozialwissen-
schaften
Dr. theol.: doctor theologiae, Doktor der Theologie
Dr. theol. ev: Doktor der evangelischen Theologie
Mitgliederliste
ALTER, Willi, Dr. phil., Oberstudiendirektor a. D., Präsident der pfälzischen Ge-
sellschaft zur Förderung der Wissenschaften
F: Siedlungsgeschichte, Genealogie
M: 1984-2005(t)
Ames, Gerhard, Leiter des Historischen Museums Saar
F: Neuere Saarländische Landesgeschichte, Sachkulturforschung, Museologie
M: seit 2001
AMMANN, Hector, Dr. phil., 1958-1963 api. Professor, Universität des Saarlandes
F: Wirtschafts- und Sozialgeschichte
M: 1958-1967(f )
Anton, Hans Hubert, Dr. phil., Universitätsprofessor em., Universität Trier
F: Geschichte des Mittelalters
M: seit 1994
619
ARNOLD, Alfons, Regierung des Saarlandes, Ministerium für Kultus, Unterricht
und Volksbildung
M: 1958-1968 Regierungsvertreter
Bach, Adolf, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Bonn,
F: Sprachwissenschaft, Namenkunde
M: 1952-1965, (t 1972)
BECKER, Bernhard, Dr. phil., Amt für Heimat- und Denkmalpflege beim Saarpfalz-
Kreis, Geschäftsführer der Siebenpfeiffer-Stiftung
F: Saarländische Landesgeschichte
M: seit 1998
BECKER, Irmgard Christa, Dr. phil., Ltd. Archivdirektorin, Leiterin der Archiv-
schule Marburg, 1999-2010 Leiterin des Stadtarchivs Saarbrücken
F: Geschichte des Mittelalters, Archivwissenschaft
M: seit 2000, seit 2010 korrespondierendes Mitglied, 2002-2009 Rechnungs-
prüferin
BEHRINGER, Wolfgang, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Frühe Neuzeit
M: seit 2005
Bernard, Christel, Dr. phil., Abteilungsleiterin der gemeinnützigen Gesellschaft
für Arbeit und Qualifizierung im Saarpfalz-Kreis auf Burg Kirkel
F: Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit
M: seit 2004, 2008-2011 Geschäftsführerin, seit 2011 Beisitzerin
BLICKLE, Peter, Dr. phil., Universitätsprofessor em., Universität Bern, 1972-1980
Universität des Saarlandes
F: Neuere Geschichte und Landesgeschichte
M: seit 1974, seit 1982 korrespondierendes Mitglied
BLIND, Adolf, Dr., Minister a. D., Universitätsprofessor, Universität des Saarlan-
des, später Frankfurt, zeitweise Leiter des Statistischen Amtes der Stadt Saar-
brücken und des Statistischen Landesamtes, 1955-1957 Minister für Finanzen
und Forsten des Saarlandes
F: Statistik
M: 1952-1996(t) korrespondierendes Mitglied
BORN, Martin, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Geographie
M: 1969-1978(f)
BORNSCHEIN, Rudolf, Dr. phil. h. c., Direktor des Saarland Museums
F: Kunstgeschichte
M: 1952-1988(t)
Braun von Stumm, Gustaf, Gesandter a. D.
F: Numismatik, Heraldik
M: 1952-1963(t), 1952-1963 Stellvertretender Vorsitzender
BUISSON, Ludwig, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes, spä-
ter Universität Hamburg
F: Mittlere und Neuere Geschichte
M: 1963-1992(t)
BURGARD, Paul, Dr. phil., Landesarchiv Saarbrücken
F: Saarländische Landesgeschichte
M: seit 2008
620
CARDASCIA, Guillaume, Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes, später
Caen
F: Rechtsgeschichte
M: 1952-1957
Champier, Laurent, Universität des Saarlandes, später Universität Lyon
F: Geographie
M: 1952- 1985(f)
Christmann, Emst, Dr. phil., Professor i. R, Hochschule für Lehrerbildung, Kai-
serslautem
F: Sprachwissenschaft, Namenkunde
M: 1958-1974(f)
CLEMENS, Gabriele B., Dr. phil., Universitätsprofessorin, Universität des Saarlan-
des
F: Neuere Geschichte, Landesgeschichte
M: seit 2007, seit 2008 Beisitzerin
CONRAD, Joachim, Dr. phil., Pfarrer, api. Professor, FR Evangelische Theologie,
Universität des Saarlandes
F: evangelische Theologie, Saarländische Landesgeschichte
M: seit 2004. seit 2009 Rechnungsprüfer
CORDES, Hans, Dr. phil., Professor, Direktor der Universitätsbibliothek, Universi-
tät des Saarlandes
F: Bibliothekswissenschaft
M: 1961-1971, (fl995)
DREHMANN, Lorenz, Dr. phil., Stellvertretender Direktor der Universitätsbiblio-
thek, Universität des Saarlandes
F: Bibliothekswissenschaft
M: 1965-1992(f), 1970-1976 Beisitzer, 1976-1987 Stellvertrender Vorsitzender
Droege, Georg, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Trier, später Universi-
tät Bonn, Leiter des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande
F: Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Landesgeschichte
M: 1968-1993(f), 1975-1981 Beisitzer
van DÜLMEN, Richard, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Frühe Neuzeit und Landesgeschichte
M: 1984-2004(f)
DUROSELLE, Jean Baptiste, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saar-
landes, später Versailles
F: Neuere Geschichte
M: 1952-1957
ECHT, Rudolf, Dr. phil., api. Professor, FR Altertumswissenschaften, Universität
des Saarlandes
F: Vor- und Frühgeschichte
M: seit 2007
EIDEN, Hans, Dr. phil., Direktor des Rheinischen Landesmuseums Trier
F: Archäologie
M: 1952-2003(f)
621
Ennen, Edith, Dr. phil., Universitätsprofessorin, 1964-1968 Universität des Saar-
landes, 1968-1974 Universität Bonn, Professorin für Mittelalterliche und Neuere
Geschichte und Leiterin des Instituts für Geschichtliche Landeskunde der
Rheinlande
F: Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Landesgeschichte
M: 1952-1999(f), 1965-1966 Stellvertretende Vorsitzende, 1966-1969 Vorsit-
zende
EWIG, Eugen, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Bonn
F: Geschichte des Mittelalters
M: 1966-2006(t)
Faber, Karl-Georg, Dr. phil., Universitätsprofessor, 1967-1976 Universität des
Saarlandes, später Westfälische Wilhelms-Universität Münster
F: Geschichte der Neuzeit
M: 1968-1982(t), 1975-1976 Stellvertretender Vorsitzender
FEHN, Klaus, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes, später
Universität Bonn
F: Geschichte des Mittelalters, Historische Geographie
M: seit 1971
Fehrenbach, Elisabeth, Dr. phil., Universitätsprofessorin em., Universität des
Saarlandes
F: Neuere Geschichte
M: seit 1987
FELTEN, Franz-Josef, Dr. phil., Universitätsprofessor pens., Johannes-Gutenberg-
Universität Mainz, Vorsitzender des Instituts für Geschichtliche Landeskunde
an der Universität Mainz
F: Geschichte des Mittelalters
M: seit 2007
Fischer, Karl, Studiendirektor
F: Pfälzische Kirchengeschichte, Landesgeschichte
M: 1952-1984(t)
Freis, Helmut, Dr. phil., Akademischer Direktor, FR Altertumswissenschaften,
Universität des Saarlandes
F: Alte Geschichte, antike Epigraphik
M: 1993-2002(f)
FUCHS, Rüdiger, Dr. phil., Arbeitsstelle „Die Deutschen Inschriften“, Akademie
der Wissenschaften und der Literatur Mainz
F: Geschichte des Mittelalters, Historische Hilfswissenschaften, Epigraphik
des Mittelalters und der Frühen Neuzeit
M: seit 1991
GERGEN, Thomas, Dr. iur., Dr. phil., Professor, Maître en droit, Ass. iur., Projekt-
leiter für „Translation und Recht“ am Max-Planck-Institut für Europäische
Rechtsgeschichte, Frankfurt/M.
F: Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht, Urheberrecht, Internationales Privat-
recht und Rechtsvergleichung
M: seit 2011
622
Geruch, Alois, Dr. phil, Universitätsprofessor, Johannes-Gutenberg-Universität,
Mainz, 1976-1994 Vorsitzender des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an
der Universität Mainz
F: Geschichte des Mittelalters, Rheinische Landesgeschichte
M: 1975-2010(1)
GÖTZ, Wolfgang, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Kunstgeschichte
M: 1970-1996(t)
Groh, Hans, Dr. phil., Regierung des Saarlandes
M: 1952-1956 Regierungsvertreter
GÜSE, Ernst-Gerhard, Dr. phil., Direktor der Museen der Stiftung Weimarer Klas-
sik und Kunstsammlungen, 1989-2002 Direktor des Saarland Museums
F: Kunstgeschichte
M: seit 1996
GÜTHLEIN, Klaus, Dr. phil., Universitätsprofessor em., Universität des Saarlandes
F: Kunstgeschichte
M: seit 1996
Hachmann, Rolf, Dr. phil., Universitätsprofessor em., Universität des Saarlandes
F: Archäologie
M: 1963-1968
HAGENAU, Bernd, Dr. phil., Honorarprofessor, Leiter der Saarländischen Universi-
täts- und Landesbibliothek
F: Bibliothekswesen, Informationswissenschaft
M: seit 1993
HANNIG, Walter, Professor, Pädagogische Hochschule des Saarlandes
F: Kunstgeschichte
M: 1952-1975(t)
Haubrichs, Wolfgang, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Deutsche Literatur des Mittelalters und Deutsche Sprache
M: seit 1978, 1987-1999 Stellvertretender Vorsitzender, seit 1999 Beisitzer
HAUCK, Marie Luise, Dr. phil., Saarbrücken, später Freiburg/Br.
F: Kunstgeschichte,
M: 1968-2004(t)
Heckmann, Gerhard, Fachlehrer für Deutsch und Geschichte
F: Saarländische Landesgeschichte
M: 1999-2004(+)
HEINEN, Armin, Dr. phil., Dr. h. c., Dr. h. c., Universitätsprofessor, Rheinisch-
Westfälische Technische Hochschule, Aachen
F: Neuere und Neueste Geschichte
M: seit 1995
HEROLD, Martin, Dr. phil.
F: Rheinische und lothringische Landesgeschichte, Metrologie
M: seit 1966
HERRMANN, Hans-Christian, Dr. phil., Leiter des Stadtarchivs Saarbrücken
F: Archivwissenschaft, Saarländische Landesgeschichte
M: seit 2011
623
Herrmann, Hans-Walter, Dr. phil., Honorarprofessor, Ministerialrat a. D., Direk-
tor des Landesarchivs Saarbrücken a. D.
F: Saarländische und lothringische Landesgeschichte, Historische Hilfswissen-
schaften
M: seit 1955, 1960-1999 Geschäftsführer
HEYEN, Franz-Josef, Dr. phil., Honorarprofessor mit Lehrauftrag, Universität Trier,
Ltd. Direktor der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz (Sitz Koblenz) a. D.
und des Landeshauptarchivs Koblenz a. D.
F: Landesgeschichte, Archivkunde
M: 1977-2012(1)
Hiegel, Henri, Professeur Honoraire de Lycée, Saargemünd
F: Lothringische Landesgeschichte
M: 1952-1987, (t2001)
HLAWITSCHKA, Eduard, Dr. phil., Universitätsprofessor em., Ludwig-Maximilians-
Universität München, 1961-1966 wissenschaftlicher Assistent, Universitätsdo-
zent, Universität des Saarlandes
F: Geschichte des Mittelalters
M: seit 1963, 1964-1966 Beisitzer, 1966-1969 Stellvertretender Vorsitzender,
1969-1975 Beisitzer
van HOOF, Christine, Lehrkraft für besondere Aufgaben, FR Altertumswissen-
schaften, Universität des Saarlandes
F: Alte Geschichte
M: seit 2011
HOPPSTÄDTER, Kurt, Bundesbahnoberamtmann, Fürth im Ostertal
F: Saarländische Landesgeschichte, Heraldik
M: 1952-1970(f)
HÖR, Helmut, Dr. phil., Bibliotheksoberrat
F: Bibliothekswissenschaft
M: 1952-1976(t)
HUDEMANN, Rainer, Dr. phil., Dr. h. c., Universitätsprofessor, Universität des
Saarlandes, seit 01.09.2010 Professor für „Histoire contemporaine de l’Alle-
magne et des pays germaniques“ (Neuere Geschichte Deutschlands und der
deutschsprachigen Länder), Université Paris-Sorbonne
F: Neuere und Neueste Geschichte
M: seit 1988, 1990-1999 Beisitzer, 1999-2010 Stellvertretender Vorsitzender
IRSIGLER, Franz, Dr. phil., Universitätsprofessor em., Universität Trier
F: Geschichtliche Landeskunde, Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittel-
alters und der Frühen Neuzeit
M: seit 1978, seit 1993 Beisitzer
JACOB, Anton, Dr. phil., Mondorf/Saar
F: Saarländische Landesgeschichte
M: 1952-1963(f )
JACOBY, Fritz, Dr. phil., Leiter des Stadtarchivs Saarbrücken
F: Geschichte der Saarregion im 19. und 20. Jahrhundert
M: 1980-1997(1*)
624
JÄSCHKE, Kurt-Ulrich, Dr. phil., Universitätsprofessor i. R., Universität des Saar-
landes
F: Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften
M: seit 1983, 2000-2005 Vorsitzender, seit 2005 Beisitzer
JOCHUM-GODGLÜCK, Christa, Dr. phil., Arbeitsstelle „Archiv für Orts- und Flur-
namen des Saarlandes und des germanophonen Lothringen“, Universität des
Saarlandes
F: Ältere deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft
M: seit 1999
JUNG, Michael, Dr. phil., Regierung des Saarlandes, Staatskanzlei
M: seit 2004 Regierungsvertreter
JUNGFLEISCH, Norbert, Regierung des Saarlandes, Staatskanzlei
M: 1973-1983 Regierungsvertreter
KALLEN, Gerhard, Dr. phil., Dr. iur., Universitätsprofessor, Universität Köln, Vor-
sitzender der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde
F: Geschichte des Mittelalters
M: 1957-1973(t), 1957-1963 Beisitzer
KANTZENBACH, Friedrich Wilhelm, Dr. theol. ev., Universitätsprofessor, Universi-
tät des Saarlandes
F: Kirchengeschichte
M: 1985-1994
KASTEN, Brigitte, Dr. phil., Universitätsprofessorin, Universität des Saarlandes
F: Geschichte des Mittelalters
M: seit 2002, seit 2005 Vorsitzende
Kell, Eva, Dr. phil., Fachlehrerin für Deutsch und Geschichte, Dozentin für Fach-
didaktik Geschichte, Universität des Saarlandes, Vorsitzende des Historischen
Vereins für die Saargegend
F: Neuere Geschichte (Adelsgeschichte, Forschungen zur Französischen Revo-
lution und zu Untertanenprotesten im 18. und 19. Jh.)
M: seit 2002
Kell, Klaus, Dr. phil., Honorarprofessor, Amtsleiter Kultur und Tourismus der
Kreisstadt Homburg, Leiter des Römermuseums Schwarzenacker
F: Klassische Archäologie
M: seit 1993, 2002-2008 Geschäftsführer, seit 2008 Beisitzer
Keller, Josef, Dr. phil., Landeskonservator a. D.
F: Archäologie
M: 1952-1982 (f), 1952-1958 Geschäftsführer
KIRSCH; Karl, Mitarbeiter des Staatlichen Konservatoramts des Saarlandes
F: Kunstgeschichte
M: 1981-2005(1*)
Klein, Emst, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Wirtschafts- und Sozialgeschichte
M: 1969-2004(1), 1970-1984 Vorsitzender
Klein, Hanns, Dr. phil., Leiter des Stadtarchivs Saarbrücken
F: Saarländische Landesgeschichte
M: 1959-2001(1), 1959-1960 Kommissarischer Geschäftsführer, Rechnungs-
prüfer bis 2001
625
Klewitz, Martin, Dr.-lng., Landeskonservator a. D.
F: Kunstgeschichte, Denkmalpflege
M: seit 1963, Rechnungsprüfer bis 2009
KOLLING, Alfons, Dr. phil., Honorarprofessor, Landeskonservator a. D
F: Archäologie
M: 1966-2003(f)
KUBACH, Hans Erich, Dr. phil., Oberkonservator i. R., Landesamt für Denkmal-
pflege Rheinland-Pfalz, 1962-1985 Honorarprofessor mit ständigem Lehrauf-
trag, Universität des Saarlandes
F: Kunstgeschichte
M: 1966-I999(t)
KÜHN, Hans-Joachim, Dr, phil., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lehrstuhl für Ge-
schichte des Mittelalters, Universität des Saarlandes
F: Landesgeschichte, Alltagsgeschichte, Militärgeschichte, Byzantinistik
M: seit 1996
KUGLER, Lieselotte, Dr. phil., Direktorin des Museums für Kommunikation Berlin
und Kuratorin der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, 1986-1999
Leiterin des Historischen Museums Saar
F: Museologie
M: seit 1993
KUHN, Bärbel, Dr. phil., Universitätsprofessorin, Universität Siegen
F: Neuere und Neueste Geschichte, Didaktik der Geschichte
M: seit 2005
KUHN, Heinrich, Oberstudiendirektor i. R.
F: Lothringische und saarländische Landesgeschichte
M: 1952-1976(t)
LABOUVIE, Eva, Dr. phil., Universitätsprofessorin, Otto von Guericke Universität
Magdeburg
F: Geschichte der Neuzeit (17.-19. Jahrhundert) mit dem Schwerpunkt der Ge-
schlechterforschung
M: seit 1997
Lais, Rudolf, Leiter der Katalogabteilung, Saarländische Universitäts- und Lan-
desbibliothek
F: Saarländische Bibliografie
M: 1989-2009(1)
LAUER, Walter, Dr. rer. pol., Landesarchivar, Saarbrücken
F: Wirtschaftsgeschichte, Genealogie
M: 1952-1955
LÄUFER, Wolfgang, Dr. phil., Direktor des Landesarchivs Saarbrücken a. D.
F: Frühe Neuzeit, Saarländische Landesgeschichte, Archivwissenschaft
M: seit 1979, 1996-2002 Beisitzer, Mai-November 2002 Kommissarischer Ge-
schäftsführer
LAUFNER, Richard, Dr. phil., Honorarprofessor für Kultur- und Landesgeschichte,
Universität Trier, Ltd. Bibliotheks- und Archivdirektor der Stadtbibliothek und
des Stadtarchivs Trier a. D.
F: Kunstgeschichte, Geschichtliche Landeskunde
M: seit 1968 korrespondierendes Mitglied
626
LEHNERT, Alois, Dr. phil., Oberstudienrat i. R.
F; Sprachwissenschaft
M: 1952-1973(1), 1952-1960 Beisitzer
Linsmayer, Ludwig, Dr. phil., Direktor des Landesarchivs Saarbrücken
F: Regionalgeschichte, Bildgeschichte
M: 1994-2004 Regierungsvertreter, 2004-2010 Beisitzer, seit 2010 Stellvertre-
tender Vorsitzender
LOOS-CORSWAREM, Otto Graf von, Dr. phil., Ltd. Archivdirektor i. R.
F: Archivwissenschaft
M: 1965-1985(f)
LÜTH, Johann Peter, Dipl. Ing., Landeskonservator i. R.
F; Architektur, Stadtplanung, Denkmalpflege
M: seit 1993
Lutz, Heinrich, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Wien
F: Geschichte der Neuzeit
M: 1965-1986(t)
MAILÄNDER, Josef, Saarländische Regierung, Staatskanzlei
M: 1984-1986 Regierungsvertreter
MARGUE, Michel, Dr. phil., Universitätsprofessor, Université du Luxembourg
F: Geschichte des Mittelalters
M: seit 2006
MARSCHALL, Hans-Günter, Dr. phil., Baudirektor i. R., Architekt AKS
F: Architekturgeschichte
M: seit 1987
MEYER, Eugen, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Geschichte des Mittelalters, Historische Hilfswissenschaften
M: 1951-1972(t), 1952-1965 Vorsitzender, 1965-1972 Ehrenvorsitzender
Meyers, Josef, Professor
F: Luxemburgische Landesgeschichte
M: 1958-1964(f)
MlRON, Andrei, Dr. phil., 1985-2002 Landesarchäologe und Leiter des Landesmu-
seums für Vor- und Frühgeschichte
M: 1990-201 l(t), 2000-2002 Geschäftsführer
Möhler, Rainer, Dr. phil., OStR im Hochschuldienst, FR Geschichte, Universität
des Saarlandes
F: Neuere und Neueste Geschichte
M: seit 1999
MOHR, Walter, Dr. phil., Professor für mittelalterliche Geschichte mit besonderem
Lehrauftrag für lothringische und burgundische Geschichte, Universität des
Saarlandes
F: Geschichte des Mittelalters
M: 1952-2001 (t)
MOREAU, Jacques, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes, spä-
ter Heidelberg
F: Alte Geschichte, antike Epigraphik
M: 1952-1961 (t)
627
MÜLLER, Wolfgang, Dr. phil., Archivoberrat, Leiter des Universitätsarchivs der
Universität des Saarlandes und Lehrbeauftragter für Archivwesen
F: Archivwissenschaft, Neuere Geschichte
M: seit 1998, seit 2009 Rechnungsprüfer
OBERWEIS, Michael, Dr. phil., PD, Arbeitsstelle „Die Deutschen Inschriften“,
Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz
F: Geschichte des Mittelalters, Historische Hilfswissenschaften
M: seit 1999
PARISSE, Michel, Dr. phil, Universitätsprofessor, Université Paris-Sorbonne
F: Geschichte des Mittelalters, lothringische Landesgeschichte
M: seit 1988
PAULY, Michel, Dr. phil., Universitätsprofessor, Université du Luxembourg
F: Mittelalterliche Stadtgeschichte, transnationale und epochenübergreifende
Landesgeschichte Luxemburgs
M: seit 1997
PETRI, Franz, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Bonn, später Universität
Münster
F: Landesgeschichte, Geschichte des Mittelalters und der Neuzeit
M: 1965-1993(1)
PITZ, Martina, Dr. phil., Professorin, Maître de Conférence (linguistique alleman-
de, linguistique de contact germano-romane, onomastique), Universität Lyon
(Jean Moulin)
F: Sprachgeschichte, Namenkunde
M: 1999-2010(1)
PRINZ, Friedrich, Dr. phil., Universitätsprofessor, 1965-1976 Lehrstuhl für Allge-
meine und Vergleichende Landesgeschichte, Universität des Saarlandes, später
Ludwig-Maximilians-Universität München
F: Vergleichende Landesgeschichte
M: 1966-2003(f), 1968-1969 Beisitzer
QUASTEN, Heinz, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Geographie, Denkmalpflege
M: seit 1985
Quint, Josef, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes, später
Universität Köln
F: Germanistik
M: 1952-1976(t)
RapräGER, Emst, Dr. iur.
F: Rechtsgeschichte
M: 1952-1957
Rathjens, Carl, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Geographie
M: 1958-1994(1*)
Repgen, Konrad, Dr. phil., Dr. h. c., Universitätsprofessor em., Universität Bonn
F: Mittelalterliche und Neuere Geschichte
M: seit 1963 korrespondierendes Mitglied
REUSCH, Wilhelm, Dr. phil., Honorarprofessor, Direktor des Landesmuseums Trier
F: Archäologie
M: 1958-1991(1*)
628
Rigault, Jean, Archivdirektor, Metz
F: Archivwissenschaft
M: 1952-1956
ROLLER, Otto, Dr. phil., Honorarprofessor, Direktor des Historischen Museums der
Pfalz a. D.
F: Provinzialrömische Archäologie
M: seit 1980
Roth, François, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Nancy
F: Neuere und Neueste Geschichte
M: seit 1988, seit 2012 korrespondierendes Mitglied
Rüg, Karl, Honorarprofessor, Pfarrer
F: Geschichte des Köllertals, Nassau-saarbrückische Kirchengeschichte, Ge-
nealogie, Volkskunde
M: 1952-1985(t)
RUMMEL, Walter, Dr. phil., Archivdirektor, Leiter des Landesarchivs Speyer
F: Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Frühen Neuzeit, rheinisch-preußische
Landes- und Verwaltungsgeschichte des 19. Jh., Geschichte des Nationalso-
zialismus im Rheinland (Judenverfolgung, Zwangsarbeitereinsatz), Grün-
dung und Anfänge von Rheinland-Pfalz
M: seit 2009
Sander, Michael, Archivoberrat, Landesarchiv Saarbrücken
F: Archivwissenschaft, Saarländische Landesgeschichte
M: seit 2001
SANTE, Georg Wilhelm, Dr. phil., Direktor des Staatsarchivs Wiesbaden
F: Landesgeschichte, Archivwissenschaft
M: 1952-1984(f)
SAUTER, Herrmann, Dr. phil., Ltd. Bibliotheksdirektor i. R.
F: Vergleichende und deutsch-französische Literaturgeschichte
M: 1952-1985(f)
SCHIEFFER, Theodor, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Mainz, später
Universität Köln
F: Geschichte des Mittelalters, Historische Hilfswissenschaften
M: 1963-1973, 1963-1969 Beisitzer, (f 1992)
SCHINDLER, Reinhard, Dr. phil., Direktor des Rheinischen Landesmuseums Trier,
1959-1965 Landeskonservator des Saarlandes
F: Archäologie
M: 1960-200 l(t)
SCHLANGE-SCHÖNINGEN, Heinrich, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität
des Saarlandes
F: Alte Geschichte
M; seit 2009
Schmidbauer, Alfred, Bibliothekar, Stadtbücherei Saarbrücken
F: Saarländische Landesgeschichte
M: 1952-1990(t)
SCHMITT, Johannes, Dr. phil., OStR für Deutsch und Geschichte i. R., Präsident
des Landesverbandes der historisch-kulturellen Vereine des Saarlandes
F: Saarländische Landesgeschichte
M: seit 1998
629
SCHMITTHENNER, Walter, Dr. phil., Universitätsprofessor, 1961-1967 Universität
des Saarlandes, später Universität Freiburg im Breisgau
F: Alte Geschichte
M: 1963-1992, (t 1997)
SCHMOLL genannt Eisenwerth, Josef Adolf, Dr. phil., Universitätsprofessor, 1951-
1966 Universität des Saarlandes, später Technische Hochschule München
F: Kunstgeschichte
M: 1955-2010(+), 1960-1964 Beisitzer, 1964-1965 Stellvertretender Vorsitzen-
der, 1965-1966 Vorsitzender, 1966-1969 Beisitzer
SCHOOS, Jean, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Bonn, Institut für ge-
schichtliche Landeskunde der Rheinlande
F: Geschichte des Mittelalters
M: 1965-2005(+)
SCHNEIDER, Reinhard, Dr. phil., Universitätsprofessor em., Universität des Saar-
landes
F: Geschichte des Mittelalters
M: seit 1983, 1984-1999 Vorsitzender
SCHULTZ, Carl, Dr. phil., Museumsdirektor i. R.
F: Kunstgeschichte
M: 1952-1988(t)
SCHUSTER, Peter, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Bielefeld, 2006-2010
Universität des Saarlandes
F: Geschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit
M: seit 2008
SCHWARZ, Alfred, Saarländische Landesregierung, Ministerium für Kultus, Unter-
richt und Volksbildung
M: 1956-1957 und 1965-1973 Regierungsvertreter
Schwingel, Karl
F: Saarländische Landesgeschichte und Rechtsgeschichte
M: 1952-1963(f)
SlEBURG, Heinz-Otto, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Neuere Geschichte
M: 1981-2003(1*)
SKALECKI, Georg, Dr. phil., Honorarprofessor, Landeskonservator der Freien Han-
sestadt Bremen
F: Kunstgeschichte und Denkmalpflege
M: seit 1998, seit 2002 korrespondierendes Mitglied
SKALWEIT, Stephan, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Bonn
F: Neuere Geschichte
M: 1958-2003(1)
Staerk, Dieter, Dr. phil.
F: Saarländische Landesgeschichte, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
M: seit 1981
STEIN, Frauke, Dr. phil., Universitätsprofessorin em., Universität des Saarlandes
F: Vor- und Frühgeschichte
M: seit 1985
630
STEINBACH, Franz, Dr. phil., Dr. phil. et litt. h. c., Universitätsprofessor, Universi-
tät Bonn
F: Rheinische Landesgeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte
M: 1952-1964(1)
Thomas, Alois, Dr. theol., Professor, Direktor des Bistumsarchivs Trier, Päpstli-
cher Hausprälat
F: Kunstgeschichte, kirchliches Archivwesen und Denkmalpflege
M: 1955-1993(f)
Thomas, Heinz, Dr. phil., Universitätsprofessor em., Universität Bonn
F: Geschichte des Mittelalters
M: seit 1975
THOMES, Paul, Dr. phil., Universitätsprofessor, Rheinisch-Westfälische Technische
Hochschule, Aachen
F: Wirtschafts- und Sozialgeschichte
M: seit 1993, seit 1998 korrespondierendes Mitglied
TRAUSCH, Gilbert, Professor, 1972-1984 Leiter der luxemburgischen Nationalbib-
liothek, 1971-1983 Direktor des Centre d’Ètudes et de Recherches européennes
Robert Schuman
F: Luxemburgische Landesgeschichte
M: seit 1994
Treib, Hans-Georg, Saarländische Landesregierung
M: 1986-1994 Regierungsvertreter
TREPESCH, Christof, Dr. phil., Direktor der Kunstsammlungen und Museen der
Stadt Augsburg, 1994-2003 tätig am Saarland Museum, 2003 kommissarischer
Direktor und Vorstand der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz
F: Kunstgeschichte
M: seit 1999
Veauthier, Werner, Dr. phil., Saarländische Landesregierung. Ministerium für
Kultus, Unterricht und Volksbildung
M: 1957-1964 Regierungsvertreter
VlNZENT, Otwin, Dr. phil., 1970-1991 Leitender Direktor der Universitätsbiblio-
thek Saarbrücken
F: Bibliothekswissenschaft
M: 1971 -1997(f), 1987-1996 Beisitzer
VOLKELT, Peter, Dr. phil., apl. Professor, Wissenschaftlicher Rat, Universität des
Saarlandes
F: Kunstgeschichte
M: 1965-2002(t), 1972-1987 Beisitzer
VOLTMER, Rita, Dr. phil., Wissenschaftliche Beschäftigte, Universität Trier
F: Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Geschichtliche Lan-
deskunde
M: seit 2011
WADLE, Elmar, Dr. iur. utr., Universitätsprofessor em., Universität des Saarlandes
F: Deutsche Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht
M: seit 1982
631
Wahl, Alfred, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität Metz
F: Neuere Geschichte
M: seit 1997
Wampach, Camille, Prof., Dr. phil., Archivdirektor, Luxemburg
F: Luxemburgische Landesgeschichte
M: 1952-1958(1*)
Wegener, Wilhelm, Dr. iur., Universitätsprofessor, Universität des Saarlandes
F: Deutsche und vergleichende Rechtsgeschichte, Handels- und Arbeitsrecht
M: 1960-2004(t), 1969-1975 Stellvertretender Vorsitzender
Wettmann-Jungblut, Peter, Dr. phil., Landesarchiv Saarbrücken
F: Regionalgeschichte, Justiz- und Kriminalitätsgeschichte
M: seit 2008
WlLLSCHEID, Hilarius
F: Saarländische Kirchengeschichte
M: 26.01.1952-21.09.1952(1*)
Wittenbrock, Rolf, Dr. phil., OStD Für Französisch und Geschichte, 1992-2007
Leiter des Deutsch-Französischen Gymnasiums Saarbrücken, danach Leiter des
Planungsbüros Europa an der Universität des Saarlandes
F: Regional -und Stadtgeschichte, Didaktik der Geschichte
M: seit 1998, seit 2011 Geschäftsführer
Yante, Jean-Marie, Dr. phil., Universitätsprofessor, Université Louvain-La-Neuve
(Belgien)
F: Geschichte des Mittelalters
M : seit 2002
ZENDER, Matthias, Dr. phil., Direktor des Volkskundlichen Seminars und Abtei-
lungsleiter für rheinische Volkskunde und Professor am Institut für Geschichtli-
che Landeskunde der Rheinlande an der Universität Bonn
F: Volkskunde
M: 1952-1991, (f 1993)
ZENNER, Maria, Dr. phil., Professorin, Pädagogische Hochschule des Saarlandes,
später Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte, Universität Regensburg
F: Neuere Geschichte
M: 1970-2010(f)
Zimmermann, Clemens, Dr. phil., Universitätsprofessor, Universität des Saarlan-
des
F: Kultur- und Mediengeschichte, Stadtgeschichte, Geschichte der ländlichen
Gesellschaft
M: seit 2002
ZIMMERMANN, Harald, Dr. h. c. mult., Dr. ev. theol., Dr. phil., Universitätsprofes-
sor em., Universität Tübingen, 1968-1978 Universität des Saarlandes
F: Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften, Geschich-
te der Deutschen in Südosteuropa
M: seit 1977, seit 1979 korrespondierendes Mitglied
Zimmermann, Walther, Dr. phil., Landesoberverwaltungsrat
F: Kunstgeschichte
M: 1952-1961(1*)
632
Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung e.V.
1. Hans-Walter HERRMANN, Geschichte der Grafschaft Saarwerden bis zum Jahre 1527, 1959;
Darstellung vergriffen, Quellen in 3 Lieferungen, 1957-1962; erhältlich 2. u. 3. Lieferung
(S.257-676)
2. Saarländische Bibliographie, Bd. 1 (1961/62) - Bd. 15 (1989/90), Ab 1. Juli 1996 erfolgen
Herausgabe und Vertrieb der Saarländischen Bibliographie über die Saarländische
Universitäts- und Landesbibliothek
3. Maria ZENNER, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920-
1935, 1966, 434 S.
4. Eduard HLAWITSCHKA, Die Anfänge des Hauses Habsburg-Lothringen. Genealogische
Untersuchungen zur Geschichte Lothringens und des Reiches im 9., 10. und 11. Jahrhundert,
1969, 209 S.
5. Manfred POHL, Die Geschichte der Saarländischen Kreditbank Aktiengesellschaft, 1972,
146 S., 14 Tab.
6. Fritz Jacoby, Die nationalsozialistische Herrschaftsübernahme an der Saar, 1973, 275 S.
(vergriffen)
7. Dieter STAERK, Die Wüstungen des Saarlandes, 1976, 445 S. (vergriffen)
8. Irmtraud EDER, Die saarländischen Weistümer - Dokumente der Territorialpolitik, 1978,
272 S. (vergriffen)
9. Marie-Luise HAUCK,Wolfgang LÄUFER, Epitaphienbuch von Henrich Dors. Genealogia oder
Stammregister der durchlauchtigen hoch- und wohlgeborenen Fürsten, Grafen und Herren
des Hauses Nassau samt Epitaphien durch Henrich Dorsen, 1983, 286 S.
10. Jürgen KARBACH, Die Bauernwirtschaften des Fürstentums Nassau-Saarbrücken im 18.
Jahrhundert, 1977, 255 S., 7 Tab.
11. Hans Ammerich, Landesherr und Landesverwaltung. Beiträge zur Regierung von Pfalz-
Zweibrücken am Ende des Alten Reiches, 1981,6 Beil., 294 S. (vergriffen)
12. Klaus Michael MALLMANN, Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der Saar (1848-
1904), 1981, 370 S. (vergriffen)
13. Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Gamisons- und Festungsstadt. Referate u. Er-
gebnisse der Diskussion eines Kolloquiums in Saarlouis vom 24.-27.6.1980, zusammen-
gestellt v. Hans-Walter HERRMANN und Franz 1RS1GLER, 1983, 256 S. (vergriffen)
14. Heinrich KÜPPERS, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, 1984, 362 S.
15. Wolfgang Haubrichs, Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters. Philologische, onomas-
tische und chronologische Untersuchungen, 1986, 267 S.
16. Emst KLEIN, Geschichte der saarländischen Steinkohlengrube Sulzbach-Altenwald (1841-
1932), 1987, 146 S.
17. Thomas HERZIG, Geschichte der Elektrizitätsversorgung des Saarlandes unter bes. Berück-
sichtigung der Vereinigten Saar-Elektrizitäts-AG. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des
Saarlandes, 1987, 414 S.
18. Hans-Walter HERRMANN, Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende (1871-
1918), 1991, 184 S.
19. Hans-Walter HERRMANN, Die alte Diözese Metz. L’ancien Diocèse de Metz, 1993, 320 S.
20. Stefan FLESCH, Die monastische Schriftkultur der Saargegend im Mittelalter, 1991, 239 S.
21. Rainer Hudemann, Rolf WITTENBROCK, Stadtentwicklung im deutsch-französisch-
luxemburgischen Grenzraum (19. u. 20. Jh.). Développement urbain dans la région fronta-
lière France-Allemagne-Luxembourg (XIXe et XXe siècles), 1991, 362 S. davon 36 S. Abb.
633
22. Wolfgang HaubrICHS, Reinhard SCHNEIDER, Grenzen und Grenzregionen. Frontières et
régions frontalières. Borders and Border Régions, 1994, 283 S.
23. Stefan LEINER, Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegungen, räumlicher
und sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes 1856-1910, 1994,
283 S.
24. Wolfgang HAUBRICHS, Wolfgang LÄUFER u. Reinhard SCHNEIDER, Zwischen Saar und
Mosel. Festschrift für Hans-Walter Herrmann zum 65. Geburtstag, 1995, 526 S.
25. Dieter MUSKALLA, NS-Politik an der Saar unter Josef Bürckel. Gleichschaltung -
Neuordnung - Verwaltung, 1995, 714 S.
26. Hans-Walter HERRMANN, Reinhard SCHNEIDER, LOTHARINGIA eine europäische Kern-
landchaft um das Jahr 1000 - une région au centre de l'Europe autour de l'an Mil. Referate
eines Kolloquiums vom 24.-26. Mai 1995 in Saarbrücken 1995, 257 S. (vergriffen)
27. Thomas Trapp, Die Zisterzienserabtei Weiler-Bettnach (Villers-Bettnach) im Hoch- und
Spätmittelalter, 1996, 409 S.
28. Hans-Christian HERRMANN, Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft.
Sozialpolitik und Gewerkschaften im Saarland 1945 bis 1955, 1996, 584 S.
29. Roland Marti, Sprachenpolitik in Grenzregionen. Politique linguistique dans les régions
frontalières. Language Policy in Border Régions. Polityka jçzykowa na pograniczach, 1996,
371 S.
30. Jean-Marie YANTE, Le péage lorrain de Sierck-sur-Moselle (1424-1549). Analyse et éditions
des comptes, 1996, 371 S.
31. Frank LEGL, Studien zur Geschichte der Grafen von Dagsburg-Egisheim, 1998, 699 S.
32. Klaus RIES, Obrigkeit und Untertanen. Stadt- und Landprosteste in Nassau-Saarbrücken im
Zeitalter des Reformabsolutismus, 1997, 492 S.
33. Reinhard SCHNEIDER, Grenzgänger, 1998, 225 S.
34. Zwischen Deutschland und Frankreich. Elisabeth von Lothringen, Gräfin von Nassau-
Saarbrücken, hrsg. von Wolfgang HAUBRICHS und Hans-Walter Herrmann unter Mitarbeit
von Gerhard SAUDER, 2002, 702 S., Format 4°, über 70 teils farbige Abb.
35. Roland MARTI, Grenzkultur - Mischkultur?, 2000, 397 S.
36. Marcus Hahn, Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956-1970. Regionale Politik
zwischen Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland und Kohlekrise, 2003, 477 S.
37. Hans-Walter HERRMANN, Rainer HUDEMANN und Eva Kell unter Mitarbeit von Alexander
KÖNIG, Forschungsaufgabe Industriekultur. Die Saarregion im Vergleich, 2004, 409 S.
38. Hans-Henning KRÄMER, 75 Jahre Saar Ferngas AG. Zur Geschichte der saarländischen
Gasversorgung, 2004, 536 S.
39. Wolfgang FREUND, Volk, Reich und Westgrenze. Deutschtumswissenschaften und Politik in
der Pfalz, im Saarland und im annektierten Lothringen 1925-1945, 2006, 552 S.
40. Frank G. BECKER, „Deutsch die Saar, immerdar!“. Die Saarpropaganda des Bundes der
Saarvereine 1919-1935, 2007, 501 S.
41. Rainer HUDEMANN, Armin HEINEN in Zusammenarbeit mit Johannes GROßMANN u. Marcus
Hahn, Das Saarland zwischen Frankreich, Deutschand und Europa 1945-1957. Ein Quellen-
und Arbeitsbuch mit CD-ROM zum Abstimmungskampf 1955 von Susanne DENGEL, 2007,
XII u. 678 S.
42. Ruth KUNZ, Maria VÖLLONO, ,Nordwörter4 und ,Südwörter4 im Saar-Mosel-Raum. Alte
Wortschichten in Toponymen eines exemplarischen Interferenzraumes, 2009, 551 S.
43. Wolfgang HAUBRICHS, Heinrich TIEFENBACH (Hg.), Interferenz-Onomastik. Namen in
Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart. Saarbrücker Kolloquium des
Arbeitskreises für Namenforschung vom 5.-7. Oktober 2006, 2010, 620 S.
634
Aktuelle Preise und Bestellungen:
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung e.V.
Dudweilerstr. 1 (Landesarchiv),
66133 Saarbrücken-Scheidt
Tel.: 0681-501-1938
Fax: 0681-501-1920
E-Mail: kommissionfelandesarchiv.saarland.de
Internet: www.kommission.saarland.de
635
2012 feiert die Kommission für Saarländische
Landesgeschichte und Volksforschung ihr
60-jähriges Bestehen.
Zur Jubiläumsschrift haben überwiegend
Mitglieder der Kommission Beiträge aus ihren
Forschungsgebieten beigesteuert, so dass
ein abwechslungsreiches Lesebuch für
historisch Interessierte entstanden ist.
„Das Saarland hat in den vergangenen
Jahrhunderten eine äußerst wechselvolle
Geschichte erlebt. Seit der Französischen
Revolution musste das Land nicht weniger als
sechs Mal seine staatliche Zugehörigkeit
wechseln. Dieser beständige Wechsel hat die
Menschen an der Saar geprägt. Erst mit der
Rückgliederung 1957 wurde das Saarland
als elftes Bundesland zum damals jüngsten
Mitglied im föderalen Verband der Bundesre-
publik Deutschland Den historischen Prozess,
der nach einem langen Sonderweg zur Bildung
eines eigenständigen Bundeslandes führte,
hat die Kommission mit wissenschaftlichen
Beiträgen aktiv begleitet".
(aus dem Grußwort von Ministerpräsidentin
Annegret Kramp-Karrenbauer)
Veröffentlichungen der
Kommission für
Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung
Band 45