Beide „Saarfragen“ fanden in sehr verschiedenem Umfang und Tenor Eingang
in viele Schulbücher, um ein Ergebnis schon vorwegzunehmen: quantitativ bis heute
immer weniger und qualitativ mit immer weniger Deutungen und Bewertungen.
Welche Version der vielfältigen Deutungen des Geschehens von 1935 und
1955/1957 wurde den Jugendlichen seit Gründung der beiden deutschen Staaten
nach dem Kriege präsentiert? Die Frage ist für die Deutsche Demokratische Re¬
publik schnell beantwortet: In den Schulbüchern der DDR spielte das Thema über¬
haupt keine Rolle. Von besonderem Interesse sind für die Bundesrepublik die ers¬
ten Unterrichtswerke nach dem Krieg. Die frühe Darstellung kann zugleich die
Vergleichsfolie für die späteren Meistererzählungen und einen möglichen Wandel
der Narrative bieten und soll im Folgenden etwas ausführlicher vorgestellt werden.
In einer ,Tour d’Horizon4 sollen dann vor allem besonders aussagekräftige oder
aus dem üblichen Rahmen fällende Darstellungen herausgegriffen werden. Viel¬
fach werden die Abstimmungen nämlich nur stichwortartig erwähnt oder diejenige
von 1935 häufig aufgelistet als einer der Schritte der frühen nationalsozialistischen
Außenpolitik. Bestimmte Tendenzen sind bei dieser knappen Darstellung nicht zu
erkennen.
Die erste Neukonzeption der Nachkriegszeit war das 1949 erschienene Buch
„Wege der Völker“*’. Federführend beteiligt war Fritz Wuessing, ein Mitglied des
früheren „Bundes der entschiedenen Schulreformer“6 7. Das Buch nahm bewusst
Abstand von einem traditionellen national- und politikgeschichtlich geprägten Zu¬
gang und orientierte sich mit einer kulturgeschichtlichen und anthropologischen
Auffassung von Geschichte an der Geschichtsauffassung Karl Lamprechts.
Zum Versailler Vertrag lesen wir dort: „Frankreich forderte auch das Saargebiet
für sich sowie die Gründung eines unabhängigen Pufferstaates im linksrheinischen
Deutschland. Es fürchtete die militärische und wirtschaftliche Wiedererstarkung
des Nachbarn. Großbritannien und die USA erwirkten, daß die Saar für 15 Jahre
bis zu einer Volksabstimmung dem neugeschaffenen Völkerbund unterstellt wurde
6 Rainer Riemenschneider, Das Geschichtslehrbuch in der Bundesrepublik. Seine Ent¬
wicklung seit 1945, in: Gesellschaft, Staat, Geschichtsunterricht, Beiträge zu einer Ge¬
schichte der Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts von 1500-1980, hg. von
Klaus Bergmann und Gerhard Schneider, Düsseldorf, S. 295-312. Vgl. zu dem kurzen
Erfolg des Buches auch Falk Pingel, Geschichtslehrbücher zwischen Kaiserreich und
Gegenwart, in: Geschichtsunterricht und Geschichtsdidaktik vom Kaiserreich bis zur Ge¬
genwart. Festschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands zum 75jährigen
Bestehen, hg. vom Verband der Geschichtslehrer Deutschlands durch Paul Leidinger,
Stuttgart 1988, S. 242-260, hier: S. 250.
In der Vereinigung hatten sich 1919 diejenigen zusammengeschlossen, die eine Erneue¬
rung des Bildungswesens anstrebten, vgl. Ingrid Neuner, Der Bund entschiedener Schul¬
reformer 1919-1933. Programmatik und Realisation, Bad Heilbrunn 1980; Maria Halb¬
ritter, Schulreformpolitik in der britischen Zone von 1945 bis 1949, Weinheim 1979, S.
217f.; Ulrich Mayer, Neue Wege im Geschichtsunterricht? Studien zur Entwicklung der
Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts in den westlichen Besatzungszonen
und in der Bundesrepublik Deutschland, 1945-1953, Köln 1986, S. 133 und S. 74.
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