Entschluss zum geistlichen Leben hinter Klostermauern gipfelte. Die verheiratete Schere¬
rin (j- 1409)14 17 und die verwitwete Dorothea von Montau (fl394)1:1 stellen Sonderfälle welt¬
licher Laienfrömmigkeit dar. Im Falle der seligen Schererin sind es die Auditionen einer
,armen hantwerg frowen4, die Gnadenerlebnisse mit alltagsweltlichen und realgeschichtli¬
chen Details verbinden. Wieder sind es mystische Erlebnisse als Ausdruck persönlicher
Frömmigkeit, die sich — trotz weltlichen Laienstandes — deutlich von anderen Frömmig¬
keitspraktiken abheben.
Im Kontrast zu visionären Texten, die oft der Zensur und der Kanonisationsaufbe-
reitung unterworfene1(1 Kollaborationsprodukte des Beichtvaters/Sekretärs und der Be¬
gnadeten sind, erlauben Abschreibeprodukte, obwohl sie weniger originär sind und kaum
Aufmerksamkeit auf sich ziehen, doch direkteren Einblick in die aktive Frömmigkeitspra¬
xis der Aufzeichner[in].' Wenn Hans Fromm dem Schreiber im volkssprachlichen Be¬
reich zugesteht, oft der einzig wirkliche Garant der Schriftkultur zu sein, lohnt es sich,
zwei Vertreterinnen und ihren schriftlichen Frömmigkeitsprodukten Aufmerksamkeit zu
schenken.18 20 Brandis, der ungefähr 18.000 Handschriften des späten 15. und frühen 16.
Jahrhunderts auf Anzeichen von Veränderungen in der Buchproduktion untersuchte,
stellte einen Aufschwung in der Produktion handgeschriebener Gebetbücher fest, die et¬
wa 30% seines Untersuchungskorpus ausmachten.1 J Lentes, der den Begriff Gebetbuch
nicht auf das Stundenbuch und geschriebene Gebete reduziert sehen möchte, bezieht
auch die Texte mit ein, die zur Andacht anleiten und/oder die thematische Grundlage da¬
für anbieten. Diese Gebetbücher sind in ihrer Produktion und Form so vielfältig wie ihre
,Autoren4, nämlich die Leser, die zu Schreibern werden. "
Die Art der weltlichen Laienfrömmigkeit, der in diesem Beitrag nachgegangen werden
soll, sucht sich deutlich von mystischem Erleben abzusetzen. Vielmehr sollen die schrifdi-
chen Zeugnisse der weldichen Alltagsfrömmigkeit zweier verheirateter Frauen im späten
15. Jahrhundert im Mittelpunkt stehen, wobei die Schreibtätigkeit der Margarethe von
Rodemachern und der Dorothea von Hof verglichen und auf Spuren ihrer individuellen
Religiosität untersucht werden sollen. Zunächst werden die Frauen und ihr Buchbesitz
beziehungsweise ihre schriftlichen Erzeugnisse und deren Inhalt vorgestellt. Die litera¬
14 Schiewer, Hans-Jochen: „Auditionen und Visionen einer Begine. Die ,selige Schererin‘, Johannes Mul-
berg und der Basler Beginenstreit; mit einem Textabdruck“, in: Timothy Jackson (Hg.): Die Vermittlung
geistlicher Inhalte im deutschen Mittelalter: internationales Symposium, Roscrea 1994, Tübingen 1996, S. 289-317.
15 Triller, Anneliese: „Marienwerder, Johannes“, in: 1 'efasserlexikon 6 (1987), Sp. 56-61.
16 Vgl. Coakley, John W.: Women, Men and Spiritual Power, Female Saints and Their Male Collaborators, New York
2006; Peters, Ursula: Religiöse Erfahrung als literarisches Faktum: yur Vorgeschichte und Genese frauenmystischer
Texte des 13. und 14. Jahrhunderts (Hermaea, N.F 56), Tübingen 1988.
17 Vgl. Brandis, Thilo: „Die Handschrift zwischen Mittelalter und Neuzeit. Versuch einer Typologie“, in:
Gutenberg-Jahrbuch 72 (1997) S. 27-57; Reiter, Eric H.: „The reader as author of the user-produced manu¬
script: reading and rewriting popular Latin theology in the late Middle Ages“, in: Viator 27 (1996) S. 151-
169, hier S. 153.
18 Fromm, Hans: „Volkssprache und Schriftkultur“, in: Peter Ganz (Hg.): The Role of the Book in Medieval Cul¬
ture, Proceedings of the Oxford International Symposium 26. September-1. October 1982 (Bibliologia. Elementa ad
librorum studia pertinentia 3 1), Turnhout 1986, S. 99-108, hier S. 103.
19 Brandis: „Die Handschrift“ (wie Anm. 17), S. 49f.
20 Lentes: „Prayer Books“ (wie Anm. 1), S. 242f., S. 252.
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