VERÖFFENTLICHUNGEN DER
KOMMISSION FÜR SAARLÄNDISCHE LANDESGESCHICHTE
UND VOLKSFORSCHUNG
43
Wolfgang Haubrichs
Heinrich Tiefenbach
(Hg.)
Interferenz-Onomastik.
Namen in Grenz- und Begegnungsräumen
in Geschichte und Gegenwart
Saarbrücker Kolloquium des Arbeitskreises
für Namenforschung vom 5.-7. Oktober 2006
Saarbrücken 2011
Wolfgang Haubrichs
Heinrich Tiefenbach (Hg.)
Interferenz-Onomastik.
Namen in Grenz- und Begegnungsräumen
in Geschichte und Gegenwart
Saarbrücker Kolloquium des Arbeitskreises
für Namenforschung vom 5.-7. Oktober 2006
Veröffentlichungen
der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
43
Interferenz-Onomastik.
Namen in Grenz- und Begegnungsräumen
in Geschichte und Gegenwart
Saarbrücker Kolloquium des Arbeitskreises
für Namenforschung vom 5.-7. Oktober 2006
Wolfgang Haubrichs
Heinrich Tiefenbach (Hg.)
Saarbrücken 2011
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung e.V.
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Printed in Germany
ISBN: 978-3-939150-04-6; ISSN: 0454-2533
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Introduction 1
Jürgen Zeidler
Gallia Celto-Romanica. Onomastische, sprachliche und kulturelle
Interferenzen in Gallien während der Römischen Kaiserzeit
Gallia Celto-Romanica. Onomastic, Linguistic and Cultural Contact
Phenomena during the Roman Empire 7
Rolf Bergmann
Das methodische Dilemma der Interferenz-Onomastik oder:
Ist Altmühl ein deutscher Name?
The Methodological Dilemma of Interference-Onomastics:
Is Altmühl a German Name? 29
Nicoletta Francovich Onesti
Latin (and Greek) Interference in Late Gothic. Personal Names
and other Linguistic Evidence from sixth Century Italy
Lateinische (und griechische) Interferenzen im Spätgotischen.
Personennamen und andere Sprachzeugnisse aus dem sechsten
Jahrhundert in Italien 45
Maria Giovanna Arcamone
Die Verteilung der Ortsnamen langobardischen Ursprungs in den
Regionen Italiens
The Distribution of Lombard Place Names in the Regions of Italy 65
Dieter Kremer
Mittelalterlicher Ortsnamenwechsel auf der Iberischen Halbinsel
Medieval Place Name Change on the Iberian Peninsula 79
Martina Pitz t
Altfranzösische Deklinationsparadigmen vom Typ Charles!Charlon,
Pierre/Perron oder Berte!Bertain - Reflexe fränkischen
Superstrateinflusses?
Old French Declension of the Charles/Charlon, Pierre/Pierron or
Berte/Bertain Type - Reflection of Old Franconian Superstrate Influences? 113
Rolf Max Kully
Tausendvierhundert Jahre Geben und Nehmen: Deutsch und
Welsch im Schweizer Jura
Thousand four hundred Years of Exchange. German and French in the
Swiss Jura 131
VII
Wulf Müller
Alemannische Doppelnamen in der Suisse romande?
Who created the German Counterparts of Romance Toponyms
in Western Switzerland? 151
Peter Wiesinger
Die Zweite Lautverschiebung im Bairischen anhand der
Ortsnamenintegrate. Eine lautchronologische Studie zur Sprach-
und Siedlungsgeschichte in Bayern, Österreich und Südtirol
The Second (High German) Sound Shift in Bavarian as Evidenced
by the Realization of Non-Germanic Place-Names 163
AlbrechtGreule
Ortsnamen-Interferenzen im römischen Bayern. Die -(i)anum-Namen
Place-Name Interferences in Roman Bavaria. The -(7)ßr«w/w-Names 247
Klaus Dietz
Sprachkontakt im Lichte der altenglischen Toponymie:
Das frühe lateinische Lehngut
Language Contact and the Toponymy of Anglo-Saxon England:
Early Latin Loan-Words 259
John Insley
Anmerkungen zu skandinavischen Personennamen in Nordengland
Remarks on Scandinavian Personal Names in the North of England 301
JÜRGEN UDOLPH
,Baltisches1 und ,Slavisches‘ in norddeutschen Ortsnamen
Baltic and Slavic Elements in German Place-Names? 313
Wolfgang Janka
Zur lautlichen und strukturellen Integration von slavischen Orts-
und Personennamen in Nordbayem
On the Phonemic andMorphemic Integration of Slavonic Place-Names
and Personal Names in Northern Bavaria 333
Karlheinz Hengst
Sprachliche Zeugnisse aus dem mittelalterlichen deutsch-slawischen
Kontaktraum zwischen Saale und Mulde ab dem 10. Jahrhundert
und ihre Interpretation
Linguistic Evidence of the Medieval German-Slavonic Contact Area between
the Rivers Saale and Mulde (since 10th c.). Analysis and Interpretation 347
Matthias Springer
Germanisch-Slawisch-Romanische Interferenzen in Magdeburger
Urkunden des 10. Jahrhunderts und anderswo
Germanic-Slavonic-Romance Interferences in Magdeburg Charters
of the 10th Century and elsewhere 367
VIII
Ernst Eichler
Die Germania Slavica und Germania Romana im toponymischen
Vergleich
A Toponymical Comparison of the Germania Slavica with the Germania
Romana 391
Martin Hannes Graf
Sprachkontakt, Kulturkontakt und die niedergermanischen
Matronen-Gottheiten
Language Contact, Culture Contact and the Names of the Matronae in the
Lower Rhine Area 399
Maria Völlono
Germ, /w/ in langobardischen Anthroponymen bis 774.
Grapho-phonetische Überlegungen, Diatopie und Diachronie
der Varianten
Germ, /w/ in Langobardic Personal Names until 774.
Grapho-phonetic Considerations, Diatopy and Diachrony of Variants 425
Christa Jochum-Godglück
,Wolf und ,Bär‘ in germanischer und romanischer
Personennamengebung
'Wolf and 'Bear' in Germanic and Romance Name-Giving 447
Irmtraut Heitmeier
Toponymie als Spiegel von Politik und Raumorganisation.
Zur Namenlandschaft des Tiroler Raumes in römischer und
frühmittelalterlicher Zeit
Toponymy reflecting Political Issues and Spatial Organisation.
Place Names in North Tyrol during Late Antiquity and Early Middle Ages 479
Andreas Schorr
Zur Namengeografie galloromanischer Lehn- und Reliktwörter in
Mikrotoponymen des Saar-Mosel-Raums
On the Name Geography of Romance Loan and Relict Words
in the Field Names of the Saar-Moselle Region 507
Ruth Kunz
Der Saar-Mosel-Raum als lexikalischer und onomastischer
Begegnungs- und Interferenzraum. Das DFG-Projekt
.Nordwörter'' und .Südwörter"
The Saar-Moselle Region as an Area of Lexical and Onomastic Encounter
and Interference. The DFG Project 'Northern Words' and ‘Southern Words’ 535
Erika Waser
Lutzeren - Lucerna. Die zwei Überlieferungsformen des Namens
Luzern
Lutzeren - Lucerna. The two Transmitted Forms of the Name Luzern 563
IX
Christian Zschieschang
Sprachkontakte an der unteren Neiße im Spiegel der Ortsnamen
Language Contact at the Lower Reaches of the Neiße in the Light of
Toponymy 589
Volker Kohlheim
Die Integration der nichtgermanischen Heiligennamen in das
spätmittelalterliche deutsche Rufnamensystem
The Integration of Non-Germanic Saints’ Names into the Late Medieval
German System of First Names 607
X
Einleitung
Interferenz-, Begegnungs- und Grenzräume nennt man solche Räume und Re-
gionen, in denen Sprachen, Kulturen, Systeme aufeinander treffen, sich durch-
mischen, gegenseitig beeinflussen oder abgrenzen. Im Spiel und Widerspiel
von Integration und Desintegration sind so im Bereich der Sprache polylingu-
ale Räume, Sprachinseln, schließlich oft auch Sprachgrenzen entstanden, ha-
ben sich ferner benachbarte Sprachen gegenseitig beeinflusst. So sind das
Französische und seine historischen und gegenwärtigen Dialekte (Pikardisch,
Wallonisch, Ostfranzösisch etc.) stark vom germanischen Fränkischen geprägt
worden, die mosellanischen und rheinischen Regionalvarianten (Dialekte) des
Deutschen, aber in vielen Fällen auch die erst seit dem 18. Jahrhundert präsente
Standardsprache stark vom Gallo-Romanisehen und später Französischen.
Solche Interferenz- und Begegnungsräume gibt es in ganz Europa, ja in der
ganzen Welt, besonders bedeutsam aber wurden sie für das Land in der Mitte
Europas, Deutschland, das mit zahlreichen anderen umgebenden Kulturen und
Sprachen in Kontakt stand. Die frühe Geschichte dieser Kontakträume, ihre
Erhaltung, Umwandlung bis hin zur Etablierung von Sprachgrenzen, daneben
auch die grenzüberschreitende Einflussnahme fremder Kulturen und Sprachen
innerhalb relativ geschlossener Kultur- und Sprachräume ist fast nur noch
durch Lehnwortforschung oder durch die Analyse von Namen, von Ortsnamen
(Toponymen) und Personennamen (Anthroponymen) zu rekonstruieren. So
erweist der Ortsname Nuglar (CH, Kanton Solothurn), 1152 Nugerols <
*Nucariölos ,bei den Nussbäumchen’ wegen Durchführung der romanischen
Sonorisierung (677. Jahrhundert) und wegen der Abwesenheit der althoch-
deutschen Lautverschiebung [k] > [ch] (7. Jahrhundert), also zweier chrono-
logisch eingrenzbarer, aus zwei verschiedenen Sprachen stammender Sprach-
wandelerscheinungen, zusammen mit vielen anderen romanischen Relikt-
namen die Kontinuität spätlateinischer Sprecher im Raum zwischen Ober-
rhein, Basel und Solothurn und zudem ziemlich exakt den Zeitpunkt der
Integration in den bilingualen Interferenzraum der Basel-Romania. So zeigt
ferner der an der Sprachgrenze im Obereisass gelegene Ort Dannemarie (F,
Haut-Rhin), 823 Donna Maria bzw. deutsch Dammerkirch (< * Domina Maria
plus althochdeutsch -kirihha ,Kirche’) mit seinen bis heute existierenden
Doppelformen, die bereits im 778. Jahrhundert nach einem sonst nur in Ost-
und Zentralfrankreich gegebenen ekklesiogenen Ortsnamentypus (mit domina
,Herrin’ statt sancta ,Heilige’) entstanden, eine merowingische bilinguale
Kontaktzone an. Auch im Saar-Mosel-Raum finden sich diese typischen
Interferenzerscheinungen häufig. Zum Beispiel bezeugt der frequente
Flurname Macher aus lateinisch maceria ,Mauerwerk, Weinbergmauem’
(französisch maiziere, auch in vielen Toponymen) noch die alte okklusive k-
Aussprache des Lateins vor dem 7. Jahrhundert - so wie die Lehnwörter Kirkel
< circulus ,Kreis’, Kermeter < coemeterium ,Friedhof - und zugleich die
Germanisierung mit Lautverschiebung [k] > [ch] ungefähr im 7. Jahrhundert.
1
Dagegen zeigt näher an Trier, am Zentrum der Moselromania, der Ortsname
Zerf < Cervia ,Hirschort, -wald’ die in dieser Region später zu datierende
romanische Palatisierung von [ke, ki] und bezeugt damit eine längere Romanität
im Trierer Raum, ebenso wie Detzem < *Decima ,(bei der) zehnten Meile’.
Ähnlich historisch und kulturgeschichtlich aussagekräftig sind Interferenz-
Phänomene im Bereich der Personennamen, der Anthroponymie: Zum Bei-
spiel bezeugen die Hybridnamen Urso-marus (aus lat. ursus .Bär’ und west-
germanisch *märja- ,berühmt’) und Petro-bertus (aus dem christlichen Perso-
nennamen Petrus und westgermanisch *berhta- ,glänzend, illustrisi und
andere, die im 8. Jahrhundert in Ober- und Mittelitalien in beträchtlicher
Anzahl auftauchen, Existenz und wohl auch schon nahendes Ende einer
langobardisch-romanischen Mischkultur. Ähnliche Phänomene mit wohl
ähnlicher kultureller Bedeutung lassen sich für den gallischen Loire-Raum
bereits seit dem 6. Jahrhundert nachweisen.
Aber Personennamen, die ja wichtige Bestandteile der personalen Identität
des Menschen, Ausdruck auch der kulturellen Prägung und der Mentalität von
Gruppen sind, tragen noch in ganz anderer Weise zu Integration und Desinte-
gration bei, ja bezeugen diese in ihren Überresten und Zeugen. So sind in der
spätantiken Begegnung von nichtromanischen Völkern vorwiegend germani-
scher Zunge mit den Römern bis ins 5. Jahrhundert nur Fälle bekannt, in
denen sich die sogenannten .Barbaren’ der römischen Namensitte anpassten,
wie etwa 377/83 der Franke und römische Feldherr Flavius Merobaudes
Trever, der mit dieser Namenkonstruktion das System der tria nomina der
Römer äußerlich imitierte, indem er den einer Kaiserdynastie verdankten und
von den konstantinischen Kaisern wieder aufgegriffenen Gentilnamen Flavius
und das Cognomen Trever (,Treverer, Trierer’) dem alten fränkischen Namen
Mero-baudes vor- bzw. nachstellte. Ab dem 6. Jahrhundert lässt sich nun das
genau Umgekehrte verfolgen, das Eindringen germanischer Personennamen in
römische und romanische Adelsfamilien, das bis zum 8. Jahrhundert zur nahe-
zu vollständigen Übernahme des germanischen Namensystems (das es nach-
weislich gab, obwohl die Existenz von .Germanen’ von historischer Seite
neuerdings gern bezweifelt wird) im nördlichen und östlichen Gallien, im
langobardischen Teil Italiens und anderswo führte. Damit offenbart sich die
anthroponomastische Entwicklung als dem sonstigen Kulturtrend der Spätan-
tike und des frühen Mittelalters völlig entgegengesetzt, demzufolge sich zu-
meist die römischen Kontinuitätselemente als dominant erweisen. Dieser Pro-
zess endet mit der sprachlichen Integration der romanischen Personennamen
in das Bairische im östlichen Alpen- und Voralpenraum (z.B. Vincéntius >
Céntio, Donatello > Tél(l)o, Marcellus > Cèllo, Dulcissimo > Cissimo,
Dominico > Mlnigo, Eugènia > Génia, Latinus > Lèdi usw.) und der lautlichen
Integration der germanischen Personennamen ins Französische (z.B. Hludwig >
Chlodwig > Clovis, Raginhard > Renard, Theodericus > Thierry usw.).
Mit der Analyse solcher eben grob und nur für wenige Regionen skizzierter
Phänomene in Kontakt- und Begegnungsräumen seit indoeuropäischer, kelti-
2
scher und römischer Zeit beschäftigt sich die Interferenz-Onomastik. Ihr wie-
derum widmete sich vom 5. bis zum 7. Oktober 2006 das Kolloquium, dem
die in diesem Band enthaltenen ausgearbeiteten Beiträge entstammen. Es hatte
zum Gegenstand die Interferenz-Regionen zunächst entlang der Sprachgren-
zen, die rund um den deutschsprachigen, heute Österreich, Teile der Schweiz
und Deutschland umfassenden Raum entstanden sind (vorwiegend im Grenz-
saum zur Romania und Slavia), einen Sprachraum, der in historischer Zeit,
teilweise bis in die Gegenwart, auch Staatsgrenzen überschreitend Gebiete
von Nachbarländern einbegreifen konnte. Hinzu treten jene weiträumig ge-
streuten Interferenzprozesse, die sich im Bereich anderer Sprachen und Völker
abspielten. Die Interferenz-Onomastik ist eine junge Disziplin, die noch wei-
terer methodischer und theoretischer Reflexion, aber auch der Sammlung und
kritischen Würdigung der durchaus bereits vorliegenden Einzelergebnisse
bedarf. Hierin liegt der innovative Aspekt des Kolloquiums, das diese Ziele
interdisziplinär und international, wie es dem Gegenstand angemessen ist,
verknüpfen wollte.
Die vorliegenden Beiträge erfüllen diesen doppelten Anspruch. Dies gilt in
besonderem Maße für die beiden voranstehenden Aufsätze, deren erster vom
Althistoriker Jürgen Zeidler (Trier) stammt, der die historischen und kultur-
historischen Perspektiven, die Kontakträume bieten, anhand der „Gallia Celto-
Romanica“ behandelt, für die die Analyse „onomastischer, sprachlicher und
kultureller Interferenzen während der Römischen Kaiserzeit“ neue Einsichten
in das Problem der Intensität der Romanisierung des eroberten Gebietes ver-
spricht, in dem freilich oft genug das keltische Substrat dennoch subtile Wege
findet, seine Identität zu bewahren oder doch als neue, als doppelte Identität
zu erfinden.
Der analytischen Problematik bestimmter, freilich nicht allzu häufiger Na-
men, die sowohl aus deutschem als auch - wenn die Identifizierung stimmt -
aus antikem Sprachmaterial erklärt werden können, wendet sich Rolf BERG-
MANN (Bamberg) zu. Sein Beispiel stammt aus dem Raum der oberen Donau,
an der Grenze des alten Imperium Romanum: Ist der Name der Altmühl eine
volksetymologisch remotivierte Resultante des antik überlieferten, vermutlich
an der Mündung der Altmühl zu lokalisierenden Kastellnamens Alkimoermis
(Ptolemaios) oder handelt es sich um eine genuin deutsche Bildung? Hier ist
ein für die Grundlagen der Interferenz-Onomastik gelegentlich auftretendes
methodisches Problem diskutiert, nämlich das Problem vorgängiger Identifi-
zierungen, die überhaupt erst eine Interferenz-Hypothese konstituieren.
Probleme der sprachlichen Akkulturation und Integration ergeben sich er-
neut, aber nun aus der Perspektive von Superstraten, als germanische gentes
sich seit dem 475. Jahrhundert in Teilen des römischen Westreichs festsetzen,
insbesondere auch in der Italia, die damit zugleich eine - wenn auch nur in
Dimensionen einer Minderheit zu fassende - ,Südgermania ’ wird. So gering
die Zahlen dieser gentes waren, so stark ist doch ihr Einfluss auf den Wort-
schatz der entstehenden italienischen Sprache und vor allem auf die italoro-
3
manische Namengebung. Frühstadien dieses zunächst von Goten, dann (seit
568) von Langobarden getragenen Einflusses behandelt für das Gebiet der
Anthroponomastik Nicoletta Francovich ONESTI (I, Siena) in ihrer Unter-
suchung „Latin (and Greek) Interference in Late Gothic - Personal Names and
other Linguistic Evidence from sixth Century Italy“, anschließend für die
Toponomastik Maria Giovanna ARCAMONE (I, Pisa), die eine verdienstvolle
Auflistung und Analyse (mit Verteilungskarten) der italienischen Ortsnamen
langobardischen Ursprungs in den verschiedenen Regionen Italiens nach dem
jetzigen Forschungsstand bietet.
Vom italienischen Kerngebiet des Römischen Reiches zur iberischen
Halbinsel und zur Gallia: Der Romanist und Hispanist Dieter KREMER (Trier)
untersucht die Begegnung der Kulturen im Spiegel der Onomastik in seinem
Beitrag über „mittelalterlichen Ortsnamenwechsel auf der Iberischen Halb-
insel“, speziell über arabisch-romanischen Ortsnamenwechsel, ein bisher allzu
selten gewürdigtes Thema. Zu den alten Streitfragen der germanischen Philo-
logie auf dem Territorium der Gallia gehört auch die Frage der eventuellen
Extension des fränkischen Superstrateinflusses im Romanischen und umge-
kehrt romanischer Einflüsse auf die Sprache der westlichen, allmählich roma-
nisierten Franken des Merowingerreiches. Die leider inzwischen allzu früh
verstorbene Germanistin und Romanistin Martina Pitz (F, Lyon) findet einen
Weg, aus interferenzonomastischer Sicht Teilaspekte dieser Problematik einer
Lösung entgegenzuführen, beginnend mit der Frage: Sind romanisch-altfranzö-
sische Deklinationsparadigmen vom Typ Charles/Charlon, Pierre!Perron oder
Berte/Bertain Reflexe fränkischen Superstrateinflusses?
Zu den bedeutenden Regionen des romanisch-germanischen Sprachkon-
takts gehören jene allmählich zwischen 500 und 1200 germanisierten, ehemals
Latein sprechenden Gebiete des Imperium Romanum südlich von Rhein und
Donau. Für die Kontaktgebiete der Schweiz behandelt in grundlegendem
Überblick zunächst Rolf Max KULLY (CH, Solothurn) die Toponymie zwischen
.Deutsch’ und ,Welsch’ im Schweizer Jura, anschließend der Romanist Wulf
MÜLLER (CH, Neuchâtel) deutsch-französische Doppelnamen im alemannisch-
romanischen Kontaktgebiet der Suisse romande. Für Österreich, Südtirol und
Alt-Baiem entwirft der Sprachwissenschaftler Peter WIESINGER (A, Wien) eine
seit langem als dringendes Desiderat der historischen Auswertung von inter-
ferenzonomastischen Resultaten empfundene Lautchronologie der Namen-
integrate als Quellen der Sprach- und Siedlungsgeschichte dieser Landschaften.
Ergänzend untersucht der Germanist Albrecht GREULE (Regensburg) „Orts-
namen-Interferenzen im römischen Bayern“, und zwar anhand der mit dem
Suffix -(i)anum komponierten Namen, die eine Brücke zu den itaforomanischen
Namen wie Appianum (deutsch Ep pan), Bassano etc. schlagen.
Weitere Beiträge befassen sich ausführlich mit dem in der Forschung bisher
weitgehend ausgeklammerten, aber ein nahezu unerschöpfliches Reservoir
von Interferenzbeziehungen darstellenden Gebiet der Britischen Inseln. Der
Anglist Klaus Dietz (Berlin) analysiert lateinisch-englischen Sprachkontakt
4
im Lichte der Toponymie. John INSLEY, ebenfalls Anglist (GB, Edinburgh /
D, Heidelberg) untersucht morphologische und phonologische Interferenz-
Aspekte skandinavischer Namen in England.
Den romanisch-germanischen Interferenzbeziehungen sind die slawisch-
germanischen in ihrer Dimension und Bedeutung durchaus zu vergleichen. So
nehmen sie auch einen großen Raum in diesem Band ein. Älteste Interferenz-
beziehungen enthalten bereits die sog. ,alteuropäischen’ Flussnamen, die von
der iberischen Halbinsel bis zum Baltikum, bis zur Ukraine und in den Balkan
reichen. Der Indogermanist Jürgen Udolph (Leipzig) betrachtet ,Baltisches’
und ,Slavisches’ in norddeutschen Ortsnamen unter dem Gesichtspunkt, wel-
che Folgerungen aus der Einbeziehung dieser osteuropäischen Sprachen für
die sprachliche Vor- und Frühgeschichte Norddeutschlands gezogen werden
können. Slawisch-deutsche Interferenzen ergeben sich vor allem, seitdem sla-
wische gentes die Räume zwischen Oder, Elbe und Main besiedelten und um-
gekehrt fränkische und später deutsche Siedlung seit dem 8-/9. Jahrhundert,
vor allem aber seit dem Hochmittelalter in diese slawischen Gebiete vordrang.
Damit beschäftigt sich für den Süden der Slawist Wolfgang Janka mit einem
Referat „zur lautlichen und strukturellen Integration von slavischen Orts- und
Personennamen in Nordbayern“. Anschließend untersucht für den thüringisch-
sächsischen Raum der Slawist Karlheinz HENGST (Leipzig) „sprachliche
Zeugnisse aus dem mittelalterlichen deutsch-slawischen Kontaktraum zwi-
schen Saale und Mulde“. Mit den Augen des Historikers betrachtet Matthias
SPRINGER (Magdeburg) offensichtliche germanisch-slawisch-romanische In-
terferenzen in Urkunden des 10. Jahrhunderts, die sich zum Teil aus der
romanischen Herkunft ottonischer Königskanzlisten erklären. Sinnvollerweise
wird dieser Teil des Bandes abgeschlossen und an die vorhergehenden Teile
angebunden durch die grundsätzlichen und wissenschaftsgeschichtlich gerich-
teten Reflexionen des Slawisten Ernst Eichler (Leipzig) zu Wegen der
Interferenz-Onomastik in der Germania Slavica und Germania Romana.
Der Gliederung des Kolloquiums folgend stehen am Ende des Bandes klei-
nere Berichte und Beiträge zu neueren Forschungen und Projekten zu Ein-
zelproblemen, die sich auf die großen Abteilungen der Tagung zurückbezie-
hen, aber auch neue Aspekte in die Diskussion einbringen: Sie behandeln u.a.
keltisch-romanisch-germanischen Sprachkontakt am Rhein am Beispiel der
Namen der Matronen-Gottheiten (Martin Hannes Graf, CH, Zürich); Interfe-
renzgraphematik in langobardischen Personennamen am Beispiel der Rezep-
tion von germ. /w/ (Maria VÖLLONO, I, Napoli / D, Saarbrücken); semantische
Parallelentwicklungen zwischen germanischer und romanischer Personenna-
mengebung anhand der auf die ,kriegerischen’ Tiere Wolf und Bär, lupus und
ursus, bezogenen Namen (Christa JOCHUM-GODGLÜCK, Saarbrücken); Be-
zeichnungen für Romanen im bairisch-tirolischen Raum, insbesondere
Walchen-Namen als Spiegel von Politik und Raumorganisation in römischer
und frühmittelalterlicher Zeit (Irmtraut HEITMEIER, München); „galloroma-
nische Lehn- und Reliktwörter in Mikrotoponymen des Saar-Mosel-Raums“
5
(Andreas SCHORR, Saarbrücken); ,Nordwörter' und , Südwörter ’ im lexika-
lischen und onomastischen Kontaktraum zwischen Alemannisch und Frän-
kisch an Saar und Mosel (Ruth Kunz, Saarbrücken); Sprachkontaktsituationen
am Vierwaldstättersee am Beispiel des Namens Luzern (Erika Waser, CH,
Luzern) und „an der unteren Neiße im Spiegel der Ortsnamen“ (Christian
ZSCHIESCHANG, Leipzig). Der Band wird abgeschlossen mit einem weite Aus-
blicke gebenden Beitrag zur Integration der nichtgermanischen Heiligenna-
men in das bereits etablierte „deutsche Rufnamensystem“ des späten Mittelal-
ters (Volker Kohlheim, Bayreuth).
Die Veranstalter des Kolloquiums und Herausgeber dieses Bandes legten
großen Wert auf die Intemationalität der Referenten, hier dem Thema adäquat
zu einem großen Teil aus Italien, Österreich, der Schweiz, Großbritannien,
Frankreich und Deutschland kommend. Diese Internationalität ermöglichte
erst die facettenreiche und differenzierte Vermittlung neuer Erkenntnisse der
Interferenz-Onomastik aus mehreren bedeutsamen Grenz- und Begegnungs-
räumen. Dem entspricht die entschieden interdisziplinäre Struktur des Kollo-
quiums und des aus ihm entstandenen Bandes, die hier durch Repräsentanten
der philologischen Fächer der Anglistik, Romanistik, Slawistik, Germanistik,
Indogermanistik, der Filologia Germanica und der historischen Disziplinen
der Alten und der Mittelalterlichen Geschichte gewährleistet werden konnte.
Damit wurde die Multiperspektivität des Kolloquiums und das notwendige
Gespräch über die in den einzelnen Fächern unterschiedlichen Forschungs-
und Methodentraditionen in besonderer Weise ermöglicht. Die Veranstalter
und Herausgeber legten nicht zuletzt großen Wert auf die adäquate Durch-
mischung des Beiträgerkreises mit Forschem, die eine bereits langjährige Er-
fahrung zu vermitteln vermochten, und Nachwuchsforschern, die neue Resul-
tate und innovative Sichtweisen dem kritischen Gespräch darboten. Dies wur-
de nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit der Veranstalter und Herausgeber
mit dem Arbeitskreis für Namenforschung ermöglicht, dem hierfür ein beson-
derer Dank gebührt.
Danken möchten die Herausgeber auch für die Finanzierung von Kollo-
quium und Band der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Union-Stiftung
Saar, dem Ministerium für Umwelt, Energie und Verkehr des Saarlandes. Der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung danken
sie für die Aufnahme des Bandes in ihre Veröffentlichungsreihe, nicht zuletzt
aber Ruth Kunz, Sabine Penth, Tanja Schindler, Sabine Schu und Peter
Gluting für dessen redaktionelle und technische Realisierung.
Im Februar 2011
Wolfgang HAUBRICHS
Heinrich Tiefenbach
6
Jürgen Zeidler
Gallia Celto-Romanica.
Onomastische, sprachliche und kulturelle Interferenzen in
Gallien während der Römischen Kaiserzeit
1. Kulturelle Interferenzen und ,Romanisierung‘
Nach gängiger Meinung haben sich die gallischen Provinzen nach der römi-
schen Eroberung 58-51 v. Chr. verhältnismäßig schnell und in hohem Maße
für die Kultur der Römer geöffnet. Nur etwa ein Jahrhundert lang hat es Ten-
denzen gegeben, die fremde Herrschaft durch Aufstände abzuschütteln. Im 1,-
2. Jahrhundert ist es rasch zu einer weitreichenden kulturellen Angleichung an
Italien gekommen. In der aktuellen Diskussion versteht man unter dem Begriff
Romanisierung allerdings nicht mehr in erster Linie das Bestreben der lokalen
Bevölkerung, der hauptstädtischen Kultur nachzueifern, sondern man betont
stärker die Gegenseitigkeit der Annäherung. Neben unbestrittenen Reaktionen
auf die Eroberung ist oft zu beobachten, dass die provinziale Kultur gleich-
zeitig neben die der Metropole tritt. Dieses Konzept trägt, trotz der vielen Ge-
meinsamkeiten einer sich etablierenden kulturellen Koine, der Genese regio-
naler Kulturen verstärkt Rechnung (DNP X Sp. 1122-1127; darüber hinaus:
Co$kun 2005; Schömer 2005; Noelke 2003; Woolf 2003; Haffner 2000).
So vertritt die provinzialrömische Archäologie die Auffassung, dass
typische Erscheinungen wie der gallorömische Umgangstempel nicht nur als
Imitation klassischer Bauformen, aber auch nicht einfach als Adaption kel-
tischer Vorläufer erklärt werden können, sondern etwas Neues darstellen, das
sich erst während der römischen Periode herausgebildet hat (Altjohann 1995;
Fauduet 1993). Eine Synthese unterschiedlicher architektonischer Traditionen
ist auch bei den gallischen Villae rusticae zu beobachten. In Mayen konnte
eine kontinuierliche Bebauung von der Latene- bis in die späte Kaiserzeit
nachgewiesen werden. Die lokale Entwicklung des Bautyps, eines von zwei
turmartigen Gebäuden flankierten Querhauses mit Fassadenvorbau, konnte an-
hand dieses Befundes glaubhaft gemacht werden (Mylius 1929). Der Über-
gang vom latenezeitlichen Wohnhaus mit schmaler Vorderseite zum gallorö-
mischen Wohnhaus (sogenanntes Streifenhaus) konnte auf dem Titelberg ver-
folgt werden und verbindet damit auch die Traditionen bei den einfacheren
Wohnbauten miteinander (Ditmar-Trauth 1995, S. 16-20; Goethert 2004).
Auf dem Gebiet der Religion wird, entgegen der älteren Annahme von kel-
tischen Vorstellungen und Gebräuchen ,in römischem Gewände4, ebenfalls
zunehmend mit einer ,Neuentstehung4 argumentiert (Cancik 2003; Spicker-
mann 2004). Selbst bei der Ausformung des gallischen Pantheons wird römi-
scher Einfluss geltend gemacht (Maier 2001, S. 86). Für die Synthese von Be-
stattungsbräuchen gibt es ein beredtes Zeugnis im sogenannten Lingonentesta-
7
ment, der Anweisung eines Adeligen vom Stamm der Lingonen bezüglich sei-
nes Grabes und seiner Bestattung. Die Kopie einer römischen Inschrift des 2.
Jahrhunderts ist uns nur in einer Handschrift des 10. Jahrhunderts erhalten (Le
Bohec 1991). Nach dem Befund ist dem Grabbau eine halbrunde Exedra im
römischen Stil vorgelagert, wie wir sie beispielsweise von der Nordseite der
Via dei Sepolcri vor der Porta di Ercolano in Pompeji gut kennen (Kockel
1983, S. 173-184). Zum Grabbezirk gehören ferner Grabgärten (pömärium), die
in Latene-Tradition stehen (Becker 1992/93), und ein Bassin (lacus) innerhalb
der Umfriedung. Die Anweisung für die Ausstattung wird klar formuliert:
Ich wünsche ferner, dass alle meine Geräte, die ich zur Jagd und zum
Vogelfang erworben habe, mit mir verbrannt werden, mit den Wurf-
speeren, Schwertern, Dolchen, Netzen, Schlingen, Fallen, Rohrstäben,
Zelten, Wildscheuchen, Waschgeräten, Tragebetten, dem Tragesessel
und allen Mitteln und Geräten dieser Beschäftigung sowie das Binsen-
boot und die damastartigen und gefütterten Kleider, was immer ich
zurücklassen werde.
Das passt gut zu Caesars Aussage über die Gallier: „Sie werfen alles ins
Feuer, was ihrer Meinung nach den Lebenden lieb war“ {Gail. Krieg VI 19,4),
und einer vergleichbaren Aussage bei Pomponius Mela (3.[3.]19).
Ähnliche Synergien können auch für die sprachliche Entwicklung ange-
nommen werden. So interpretiert Peter Schrijver (2004) Gemeinsamkeiten in
der Phonetik der keltischen Sprachen Galliens, Britanniens und eines Teiles
von Hispanien und in der der dort gesprochenen vulgärlateinischen Varietäten
als Resultat einer konvergenten Entwicklung. Bei dieser Sicht der Dinge steht
ebenfalls die Interferenz im Vordergrund, nicht die einseitige Beeinflussung.
Als Beispiel nimmt Schrijver die Tendenz, einen tektalen Verschlusslaut vor
einem Dental zu palatalisieren: [kt] wird über [%t] zu [it], z.B. indogermanisch
*oktö(u) ,acht‘ ergibt lateinisch octö, italienisch otto (assimiliert), spanisch
ocho, gallisch o/tü, irisch ocht, aber kymrisch *oith > wyth, französisch huit,
galicisch oito. Freilich gibt es in beiden Sprachzweigen Tendenzen zur
Vereinfachung, die auch unabhängig voneinander zu ähnlichen Resultaten
führen können, z.B. die ähnliche, aber einzelsprachliche Entwicklung im
Irischen VX> V vor r, /, n\ (V = Vokal, Thumeysen 1946, S. 78f.). Beeinflus-
sungen des vulgärlateinischen und französischen Lexikons durch das
Gallische sind oft und gründlich behandelt worden (z.B. Lambert 1997/98;
1994, S. 185-200; Meyer-Lübke 1992 und von Wartburg 1972/87, passim).
2. Forschungsstand und Problematik der onomastischen
Interferenzen
Auch in der Onomastik Galliens gibt es solche Interferenzen. Die Personenna-
mengebung übernimmt in der Regel weder römisch-italische oder griechische
Gepflogenheiten, noch kann sie als direkte Fortsetzung der einheimischen
8
Anthroponymie verstanden werden. Aus all diesen Quellen gespeist ent-
wickelt sich etwas Neues, Eigenständiges, das mehreren Traditionen ver-
pflichtet und somit ,bi-‘ oder ,multikulturell‘ ist. Die Namen gehören gleich-
zeitig verschiedenen onymischen Systemen an und können unterschiedliche
Denotationen und Konnotationen haben.
2.1. Die Erforschung onomastischer Interferenzen
Pionier auf diesem Forschungsgebiet war Leo Weisgerber (1968; 1969). Auf-
grund der Hinweise von Johann Baptist Keune (1897) untersuchte er Namen,
die zwar lateinisch klingen, die aber keine Tradition in Rom selbst haben. Bei
genauerer Betrachtung stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen ent-
weder an keltische, seltener germanische, Namen anklingen oder deren Moti-
ve übersetzen. Für den ersten Fall sei auf den Namen Dubius verwiesen, der
im Lateinischen ,Zweifelnder, Zögernder1 bedeutet, der aber offenbar durch
die verbreiteten keltischen dub(no)-Namen (,schwarz, dunkel, [Unterjwelf )
motiviert ist; DubnorixlDumnorix ,(Unter)weltsherrscheri dürfte durch
Caesars Gallischen Krieg am bekanntesten sein (DLG S. 151-153). Den
zweiten Fall illustrieren das häufige Ursus ,Bär‘ und seine Ableitungen, in
denen sich die Beliebtheit der keltischen Namen Artos ,Bär‘ mit Derivationen
widerspiegelt. Im frühen Mittelalter ist allerdings auch mit dem Einfluss des
geläufigen germanischen Elements -bera zu rechnen.
Später hat Fritz Lochner von Hüttenbach (1988; 1989) den Versuch unter-
nommen, das onomastische Material des römischen Noricum, das ungefähr
dem heutigen Österreich entspricht, nach solchen bikulturellen Namen zu
durchsuchen. Er fand 78 von ihnen, die ca. 14 Prozent des Namenschatzes
dieser Region ausmachen.
In jüngster Zeit hat sich ein Kreis von Althistorikern um Monique Dondin-
Payre und Marie-Thérèse Raepsaet-Charlier (2001; dazu Coçkun 2003) um
diese Thematik verdient gemacht. Sie gehen über die Fragen der Bürgerrechts-
entwicklung, welche althistorische Arbeiten zuvor dominierten, hinaus und
sind um vielfache Differenzierung der sprachlichen und onymischen Systeme
bemüht. Den Anteil von Interferenzen beziffern sie je nach Epoche und Re-
gion auf 20 bis 70 Prozent. Sarah Forier (2001) hat sich in diesem Rahmen
mit den Tiernamen in der Gallia Narbonensis beschäftigt und auch das eben
genannte Bärenmotiv neu behandelt.
Im Jahr 2003 hat sich eine kleine Trierer Gruppe, der neben Altay Coçkun
und Lidia Kouznetsova auch der Verfasser angehört, mit Sprachwissenschaft-
lern und Historikern aus Oxford und Madrid zum Netzwerk Interferenzono-
mastik (Network for Intercultural Onomastics, NIO) zusammengefunden
(Coçkun/Zeidler 2005a; 2005b). Erste Ergebnisse wurden auf einem Round
Table im Februar 2005 in Trier diskutiert und auf der Website des Netzwerks
publiziert (http://www.nio-online.net). Der Schwerpunkt liegt auf den kelto-
romanischen Nameninterferenzen, die auch in ihrem historischen und lingu-
istischen Kontext behandelt werden.
9
Studien zur altkeltischen Onomastik im Allgemeinen haben schon seit der
Zeit von Alfred Theophil Holder (ACS: 1896-1913) eine große Tradition (z.B.
KGPN, GPN, DAG, auch DLG). An aktuellen Arbeiten seien noch kurz die
von Karin Stüber (2004) zu den gallischen Frauennamen und zum Thema
Schmied angeführt sowie die von Wolfgang Meid (2005) durchgeführten
Untersuchungen zu den keltischen Personennamen in Pannonien. Vor kurzem
haben Marilynne Raybould und Patrick Sims-Williams (2007) zwei wichtige
Beiträge zu den keltischen Personennamen im Allgemeinen vorgelegt.
2.2. Probleme der Interferenzonomastik
Einerseits passt die Interferenzonomastik konzeptuell gut in die aktuelle Dis-
kussion um .Romanisierung4 und ,Ethnogenese‘-Prozesse und kann von einem
Gedankenaustausch profitieren. Andererseits gibt es einige Probleme, die bis
heute nicht zufrieden stellend gelöst sind. Erstens gibt es keine einheitliche
Terminologie. Wo wir gegenwärtig von Interferenznamen sprechen, verwen-
dete Weisgerber den Begriff Decknamen, der leicht falsche Assoziationen
weckt. Die belgischen und französischen Kollegen benutzen den Terminus
noms d'apparence latine ,Namen lateinischer Erscheinungsform1, der aber
eine Seite der Interferenz unbenannt lässt und somit polarisiert. Das Schwan-
ken in der Begrifflichkeit hat aber auch mit dem zweiten Problem zu tun, dem
nämlich, ob die Namen überhaupt als bikulturell ,lesbar1 gedacht waren oder
ob sie ihre Verwendung lediglich dem Umstand zu verdanken haben, dass ein
einflussreicher Römer Pate gestanden hat, oder dass einfache Lautfolgen
unabhängig voneinander eine besondere Häufigkeit in Personennamen erreicht
haben. Eine absichtliche Bezugnahme auf mehrere onymische Systeme muss
zumindest in Einzelfällen nachgewiesen werden können, zumal wenn eine
Kultur als (überwiegend) ,nehmender1 Partner angesehen wird und die andere
als,Leitkultur4, als (überwiegend),gebender4 Teil.
Ich möchte diese Problematik am Beispiel des Beinamens Cato illustrieren.
Etymologisch gesehen handelt es sich bei diesem individualisierenden n-
Stamm um eine Ableitung von catus scharfsinnig4. Das Wort ist nicht genuin
lateinisch, ist aber früh in Rom heimisch geworden. Der Grammatiker Varro
(V 99) nennt lateinisch sagäx und aeütus scharfsinnig4 als Entsprechungen.
Die Familie der Porcii benutzte das cognomen regelmäßig zur Unterscheidung
zwischen den Zweigen der Catones und der Licinii. Cato dürfte also schon
früh zu einem reinen Onym geworden sein. Es ist aber nicht auszuschließen,
dass man sich grundsätzlich der Bedeutung noch bewusst war (vgl. Plutarch,
Cato Maior 1,3 zu Marcus Porcius Cato d.Ä.).
Auch wenn der Name im heutigen Südfrankreich auftritt, ist nicht damit zu
rechnen, dass er wörtlich verstanden wurde und jemanden als besonders
scharfsinnig4 hervorheben sollte. Man hat daran gedacht, dass römische
Catones aufgrund ihrer hohen politischen und gesellschaftlichen Stellung als
Namenspatron gewählt wurden. Stephen Dyson (1980/81) hat so beispiels-
weise versucht, die weite Verbreitung der Gentilnamen Iunius und Pompeius
10
in Spanien aus dem Wirken bedeutender Mitglieder dieser Familien in der
Region zu erklären. Dies muss nicht im Zusammenhang mit der Bürgerrechts-
verleihung stehen, denn einen solchen scheint es nicht zwingend gegeben zu
haben (Coçkun 2005, S. 18; Dyson 1980/81, S. 298).
Bernard Rémy (2001, S. 77) hat Cato zwar als lateinisch eingestuft, rechnet
aber mit Einflüssen der einheimischen Namenstradition. Und in der Tat finden
sich zahlreiche Beispiele mit der Basis cat- wie Catonos, Catusso, Catusius,
Catulus, die zwar als lateinisch-mittelländisch gelten können, obwohl die
Suffixe -o/io-, -ulo- usw. auch im Keltischen Vorkommen. Aber bei Komposi-
ta wie Catu-marus, Catu-rix und Catu-volcus ist eine lateinische Erklärung
schwer möglich. Hier sind die Hinterglieder zu deutlich keltischen Ursprungs.
Auch das Vorderglied lässt eine Beziehung zum gallischen Lexikon erkennen.
Es gibt ein Wort catu/o- ,Kampf, Schlacht', das häufig in der Personennamen-
gebung auftritt, vgl. irisch cath, kymrisch cad (damit verwandt sind griechisch
kötos ,Hass, Groll3 4, altnordisch hçâ ,Kampf, mittelhochdeutsch hader
,Schlacht4). CaturJx heißt wörtlich ,Schlachtenkönig4, Catuvolcos ,Kampffal-
ke4, Catumoccus ,Kampfsau4, Catumäros ,Großer im Kampf. In der Form
Cadfawr begegnet letzterer noch im mittelalterlichen Wales. Freilich braucht
man sich auch hier der Bedeutung dieser Namen nicht immer bewusst gewe-
sen zu sein.
Es gibt also die Möglichkeit, Personennamen in zwei onymischen
Systemen verschieden zu ,lesen4. Und es liegt auf der Hand, dass ein Angehö-
riger einer zweisprachigen Gesellschaft mit beiden Anschlussmöglichkeiten
,spielen4 konnte. Woher können wir aber wissen, dass hier tatsächlich ein code
switching vorliegt (Adams 2003a, S. 18-29; 383-416; 2003b)? Darauf können
die folgenden Kriterien annäherungsweise eine Antwort geben:
(1) Eine schriftlich belegbare Intention ist natürlich das beste Argument,
es ist aber nur selten verfügbar. In der Familie des Ausonius von
Bordeaux finden sich solche expliziten Hinweise auf einen intendierten
Doppelsinn von Namen. In einem Gedicht, das er seinem Landsmann
Aldus Paiera gewidmet hat (Professores IV 1 lf.), sagt er, dass Attius’
Beiname Paiera die Wiedergabe eines (sonst unbekannten) gallischen
Wortes für ,Mysterienpriester4 sei und nicht das offenkundig anklin-
gende lateinische paiera, das eine flache Schale bezeichnet, wie sie
beim Opfer verwendet wurde.
(2) Biographisch-prosopographische Hinweise können Aufschluss darüber
geben, ob Details eines Lebenslaufs, Namengebräuche oder Aussagen
einer Familie, befreundeter Personen oder einer sozialen Schicht eine
Bezugnahme auf einheimisches Namengut wahrscheinlich machen.
(3) Sprachzugehörigkeit und Etymologie können bei Namen angeführt
werden, die entweder als sprechende4 Namen betrachtet werden
können oder die Eigentümlichkeiten von Lauten oder Lautkombina-
tionen aufweisen, die nur in einem onomastischen Lexikon vorhanden
sind. Ein Beispiel hierfür ist Tedäillus ,Hitzkopf (Diminutiv), der auf-
grund des Tau Gallicum dem Gallischen zugewiesen werden kann. Ein
anderer Fall ist Samo-gnätos ,Sommergeborenerdessen Vorderglied
zwar an lateinisch samera ,Ulmensamen4 anklingt, das aber nicht als
Namenbestandteil gebraucht wird.
(4) Häufig bleibt nur, die Frequenz und Verbreitung der Namen zu er-
heben und zu kartieren, um dadurch Aufschluss über regionale Häu-
fungen zu erhalten. Ein Beispiel dafür bietet die von Albert Deman
(2001) behandelte Namensippe Similis. Abgesehen von knapp 20
Belegen in Rom verdichten sich die meisten Zeugnisse in der Germa-
nia Inferior, besonders bei den Ubiern und Treverem. Ungeklärt ist
allerdings die sprachliche Zuordnung. Deman (2001, S. 665) plädiert
für einen römisch-mediterranen Namen, der häufig in Nordwesteuropa
adaptiert worden sei, doch bleiben die Hintergründe offen.
Zur schriftlich belegbaren Intention sind inzwischen weitere Indizien im
Werk des Ausonius nachgewiesen worden. Einen Hinweis gibt der wohl von
ihm selbst geprägte Eigenname Bissula für ein gefangenes Suebenmädchen,
der in der neueren Forschung nur noch als „möglicherweise germanisch“
(Reichert 1987, S. 142) eingestuft wird. Überzeugender ist ein Zusammen-
hang mit gallisch bisso/u/i- ,Finger, Zapfen, Zweig4 (OLG S. 76) und der
geläufigen diminutiven Endung -ula, vgl. kymrisch bys, bretonisch biz
,Finger4 (und bizou, davon französisch bijou ,Fingerring4), mittelirisch biss-
ega ,Eiszapfen4. Die Bedeutung des Namens kann entweder als ,Fingerchen4
zu verstehen sein und auf die schlanke Figur des jungen Mädchens verweisen
oder als ,Zäpfchen, Knopf und damit eine obszöne Anspielung auf die
„priapeischen Mysterien“ enthalten, die Ausonius mit seiner jungen Gespielin
pflegte (Dräger 2001). Der Name sei „etwas derb“ (rusticulum) und „ein
wenig grässlich für die, die es nicht gewohnt sind“ (horridulum), aber „reiz-
voll für ihren Herrn“ (venustum, Biss. 4, 3-4; Zeidler 2003).
Ein weiteres Indiz liegt in der Verwendung des Ortsnamens Dumnissus in
der Mosella (V. 8) vor, wie Paul Dräger (2004, S. 54f.; 11 lf.) herausgestellt
hat. Ausonius schildert eine Reise von Bingen nach Neumagen in Anlehnung
an die literarische Gestaltung des Unterweltsbesuchs des Aeneas bei Vergil
(Aeneis VI 295-416). So wie Aeneas die Unterweltsflüsse überschreitet, pas-
siert Ausonius die neblige Nahe. Vergils Held zieht an den unbestatteten
Toten vorüber, während der spätantike Dichter schreibt, er ziehe an den unbe-
statteten Leichen des Bataveraufstandes (aus dem Jahre 71!) vorbei. Aeneas
wandert durch das dunkle Reich des Tartarus, bevor er ins Elysium eintritt;
Ausonius reist durch die dunklen Wälder des Hunsrück und kommt schließ-
lich im sonnigen Moseltal an. Anstelle des geläufigen Bingium ,Bingen4
gebraucht Ausonius die Form Vincum, was nicht nur an lateinisch vincere
,siegen4, sondern auch an gallisch -vic- ,Kampf, Niederlage4 anklingt (Zeidler
2004, S. 4). In seinem Itinerar weicht Ausonius in einem Punkt von den übli-
12
eben Straßenstationen ab: Er nennt anstelle von Belginum das sonst zu dieser
Zeit noch unbekannte Dumnissus (das heutige Denzen; 995: Domnissä).
Damit wollte Ausonius wahrscheinlich eine Parallele zwischen dem gallischen
dumno- ,dunkel; Tiefe, Unterwelt1 und Vergils Unterweltsschilderung her-
stellen. Sowohl Dumnissus als auch der Orkus werden mit dem Attribut arens
,trocken' beschrieben.
2.3. Ergebnisse zu den Interferenznamen bei Ausonius
Mit den auffälligen Namen in der Familie des Professors, Dichters und Staats-
mannes Decimius Magnus Ausonius von Bordeaux (ca. 311-394, Co$kun
2002) beschäftigten sich Altay Co$kun und der Verfasser in einer grundlegen-
den Studie (Co§kun/Zeidler 2003). Seine Dichtungen bieten einen einzig-
artigen Schatz von insgesamt 86 Namensbelegen für 43 Individuen, die ihren
sicheren Platz in ein und demselben Familienstammbaum finden. Es wurden
zwar nur 15 Prozent eindeutig einheimische Namen (z.B. Talisius, Namia)
gezählt. Bei näherer Betrachtung ergab sich jedoch, dass nicht weniger als 56
Prozent der lateinischen und an 100 Prozent der griechischen Belege durch
regionale onomastische Klangmuster und Themen motiviert sein könnten
(z.B. Arborius, Regulus, Dry’adia). Unter Berücksichtigung der indigenen
Namen lässt sich der regionale Einschlag auf insgesamt 83 Prozent beziffern
(Co§kun/Zeidler 2003, S. 53, table B). Diese Größenordnung übertrifft die
Werte, die Lochner von Hüttenbach für das Noricum ermittelt hat, und meist
auch diejenigen, die der Kreis um Dondin-Payre und Raepsaet-Charlier für
das kaiserzeitliche Gallien postuliert.
3. Onomastische Interferenzen in der gallorömischen Aristo-
kratie des 5. Jahrhunderts
Die extended family des Ausonius stellt überlieferungsgeschichtlich natürlich
einen Ausnahmefall dar. Die führenden gallischen Familien des 3.-6. Jahrhun-
derts waren aber in ein eng geknüpftes Netzwerk von Verwandtschaft und
Freundschaft eingebunden (Mathisen 1981) und teilten das Bewusstsein einer
eigenen kulturellen Identität, die durch römische wie regionale gallische
Traditionen geprägt war. Am deutlichsten sind diese regionalen Traditionen in
der Onomastik zu fassen, da Personennamen zu Zehntausenden überliefert
sind. Die eigene regionale Identität zeigt sich aber auch am Beibehalten von
Merkmalen der materiellen Kultur (s.o., Abschnitt 1) und im Festhalten an
Besonderheiten der geistigen Kultur. Vieles des nur mündlich tradierten
Wissens ist wohl unwiederbringlich verloren, aber gelegentlich finden sich
doch Spuren, So verwendete der Arzt Marcellus von Bordeaux (PLRE 1 S.
55 lf.), ein Freund des Ausonius, einige gallische Formeln und Ausdrücke in
seinem Buch De medieamentis (Meid/Anreiter 2005).
13
3.1. Interferenznamen in der Familie des Apollinaris Sidonius
In mehreren Regionen Galliens, bei Allobrogem, Häduern, Treverern, Reinem
und Silvanecten, sind seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. die Gentilnamen Solius
und, häufiger, Sollius zu fassen, die nach allgemeiner Meinung einheimischen
Ursprungs sind. Lateinisch solius ,ganz‘ begegnet nur noch in Komposita wie
soll-emnis ,feierlich', gut bezeugt ist dagegen sölus ,allein'. Sollius begegnet
nur dreimal in Italien (einschließlich Roms), ist aber in ganz Gallien weit ver-
breitet (Forier 2001, S. 482). Ein Sollos ist ferner auf einer gallischen Münze
bezeugt (RIG IV 270).
Als Etymon wird traditionell gallisch soli- anstelle *süli- ,Auge, Blick4 an-
genommen, man vergleicht irisch süil ,Auge‘, britannisch Sulis und den
gallischen Personennamen Sulinos (KGPN S. 270f.; 287; ACS II Sp. 1665).
Der ungewöhnliche Wechsel der Langvokale (?) ö/ü soll seine Erklärung in
der Latinisierung des Namens finden. Dass es sich um ein autochthones Na-
menelement handelt, wird durch Komposita bekräftigt wie Soli-bodui, Soli-
curi (Genitiv), Soli-dumniae (Dativ), Soli-marus/a/ius, Soli-rix u.a. (KGPN S.
271). Pierre-Yves Lambert (1980, S. 177) bietet eine stimmigere Erklärung
unter Hinweis auf die Verbindung *su-ul-i- aus *su- ,gut‘ und der Schwund-
stufe der keltischen Verbalwurzel *uel- ,sehen4 (Schumacher 2004, S. 669-
675, *uel-e/o-), also ,einen guten Blick habend4. Zum gallischen Präfix su-
(vgl. altindisch su-, griechisch eu- u.a.) ist eine Variante so- gut bezeugt, der
o/w-Wechsel folglich leicht erklärbar. Damit wären auch der altbretonische
Name Hoel und der kymrische Hywel direkt vergleichbar; beiden liegt *.so-
uel-o- zugrunde (weitere Deutungen: DLG S. 287).
Wie in vielen gallischen Familien, gibt es auch unter den gentes Solliae
eine große Anzahl einheimischer Beinamen. Allein die Inschrift CIL XII 2252
aus Grenoble nennt Gaius Sollius Marcus und dessen Kinder Gaius Sollius
Marculus, Attia Marciana und Marcula. /ftta-Namen (etwa ,Papa‘) sind in
Gallien zahlreich vertreten, gleichen aber den römisch-mediterranen Bildun-
gen, so dass sie kaum als unrömisch gegolten haben werden. Marcus, mit sei-
nen zahlreichen Ableitungen wie Marcu/us/a, Marciana usw., stellt ebenfalls
einen perfekten Interferenznamen dar, weil er sowohl lateinisch verstanden
werden kann - als märcus ,zu Mars gehörig4 - als auch ein geläufiges
keltisches Motiv aufgreift: markos ,Pferd4. Eine weitere Variante begegnet in
Marcus Sollius Marcellus in der Inschrift CIL XII 2316. In Alba ist ferner eine
Sollia Ursa (Forier 2001, S. 526) bezeugt, die das erwähnte Bärenmotiv in
lateinischer Übersetzung vorführt. Weitere Beispiele sind Gaius Sollius
Lucentus, Seranius Sollius (Raepsaet-Charlier 2001, S. 356), Sollia Fi da,
Sollia Annia (Remy 2001, S. 114), Sextus Sollius Demosthenianus (Remy
2001, S. 126).
Einer der Familien der Sollii gehört eine der bedeutendsten Persönlichkei-
ten des 5. Jahrhunderts n. Chr. an, der Schriftsteller Gaius Sollius Modestus
(?) Apollinaris Sidonius (ca. 431-486), der dem hohen Beamtenadel ange-
hörte. Sein Großvater Sollius Apollinaris war Prätorianerpräfekt der Westpro-
14
vinzen (praefectus praetorio Galliarum). Auch sein namentlich nicht bekann-
ter Vater hatte unter Valentinian dasselbe Amt bekleidet. Sidonius erhielt
seine Ausbildung in Lugudunum (Lyon) und Arelate (Arles) in Grammatik
und Rhetorik. Um 452 heiratete er seine Cousine Papianilla, die Tochter des
Eparchius Avitus, eines führenden Aristokraten Galliens und späteren weströ-
mischen Kaisers (455-456). Er folgte Avitus nach Rom, wo er unter ihm wie
auch unter dessen Nachfolger Majorianus (457-461) als comes dem engsten
Kreis um den Kaiser angehörte. Da er nach der Ermordung Majorians nicht
länger bei Hofe bleiben konnte, zog er sich auf das Landgut seiner Frau in der
Auvergne zurück und widmete sich der Schriftstellerei. Er verließ Gallien nur
noch einmal für eine Gesandtschaftsreise nach Rom (467/69). Als er in seine
politisch in Auflösung begriffene Heimat zurückgekehrt war, trat er in den
Klerus ein und wurde wahrscheinlich 471 zum Bischof von Avernum
(Clermont-Ferrand) gewählt. Sein Episcopat war geprägt von dem Bestreben,
die Diözese gegen die Westgoten zu verteidigen, was letztlich zum Scheitern
verurteilt war. Er wurde 475/77 verbannt, konnte danach aber sein Kirchenamt
wieder aufnehmen und bis zu seinem Tode weiter ausüben (.DNP XI Sp. 522;
Anton 1995).
Der in der Familie bei drei Personen belegte Name Apollinaris, eigentlich
,zu Apollo gehörig, ihm geweiht4, ist mit über 150 Belegen in Italien sehr
verbreitet (Kajanto ¡965, S. 211) und auch im griechischen Kulturraum in
Süditalien, dem Epirus, Makedonien und Thrakien häufig (LGPN IIIA, S. 49;
IV, S. 34). Aus den Provinzen liegen ca. 35 Zeugnisse vor, die sich in Belgien
(ca. 9-mal) und im Donauraum konzentrieren (OPEL I, S. 145). Für dieses in
Gallien nicht sonderlich geläufige cognomen lassen sich keine plausiblen An-
schlüsse an die indigene Onomastik namhaft machen. Man könnte zwar an
Abullius, Abell(i)us, Abal(l)us usw. denken, die das Lexem abalo- ,Apfel"
(DLG S. 29) enthalten, oder an eine interpretatio des einheimischen Göttema-
mens Beleno/us, doch bleibt dies ohne konkrete Anhaltspunkte spekulativ.
Auch das zweite Cognomen gibt im römischen Kontext einen Sinn. Denn
Sidonius bedeutet nicht nur ,zu(r phönizischen Stadt) Sidön gehörig4 (Eibcbv)
oder allgemein ,phönizisch, Phönizier4 (poetisch, z.B. Ovid, Fasten III 108),
sondern nach dem wichtigsten Exportartikel auch ,purpurrof und von daher
evtl. ,purpurtragend\ Sidonius ist sehr selten in Italien (Solin/ Salomies 1994,
S. 171; Süditalien: LGPN IIIA, S. 393) und Griechenland (LGPN II, S. 397).
Dem stehen auch nur fünf Belege in den Provinzen Hispanien, Belgica und
Cisalpina gegenüber (OPEL IV, S. 80).
Sidonius wird aber von Raepsaet-Charlier (2001, S. 362) zu den Namen mit
keltischer Assonanz gerechnet. Interessanterweise gibt es eine kleine Gruppe
gallischer Namen, die ein Grundwort sid- erkennen lassen. In der Belgica liegt
ein Töpfemame Sid(d)us vor (DAG S. 703), der Name Side (Ziörj) begegnet in
einer griechischen Inschrift in der Gallia Narbonensis (IG XIV 2440). Mög-
licherweise steht auch der Beiname Sidua (CIL XIII 8084) mit dieser Gruppe
in Zusammenhang. Sidonius ist in den hispanischen Provinzen und in der
15
Belgica ftir mindestens neun Personen bezeugt, von denen einige Bischöfe
und Äbte im 6.-8. Jahrhundert waren und deshalb in einer gewissen Namen-
tradition gestanden haben dürften (BBKL X Sp. 29-31; RE II/4, Sp. 2238;
PLRE II S. 1008). Hinzu kommt das Femininum Sidonia, z.B. Sidonia Iassa
(Raepsaet-Charlier 2001, S. 356; PLRE II1B S. 1146). Sido begegnet zwar
auch als germanischer Name seit der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr.
(Tacitus, Annalen XII 29; 30; Historien 5; 21), doch dürfte dieser ohne Ein-
fluss auf die bereits seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. bezeugten S7do-Namen
gewesen sein.
Im keltischen Kontext käme zunächst *sido- ,Hirsch1 in Frage, das in kym-
risch hvdd und altirisch sed (?) vorliegt. Immerhin sind ,Hirsch'-Namen in
Gallien bezeugt, sie werden mit carvo-, elani-, iurco- und auch gabro- gebil-
det (Forier 2001, S. 495f.; 498). Dies macht den Ansatz von *sido- durchaus
erwägenswert. Wahrscheinlicher ist jedoch, eine Basis sTd- zugrunde zu legen,
als Dehnstufe der Wurzel *sed-,sitzen1, indogermanisch *sed-, dessen *e laut-
gerecht zu *J werden musste. Die Grundstufe *sed- ist der gallischen Ono-
mastik geläufig und liegt wohl den Interferenznamen Sedul(l)us, Sedulia
(Anklang an lateinisch sedulus ,fleißig4), Sedat(i)us usw. zugrunde (GPN S.
253f.). Die Bedeutung kann im Gallischen nicht sicher bestimmt werden. An
,sitzen4, ,siedeln4, ,friedlich/zufrieden sein4 (vgl. kymrisch hedd,Frieden4 aus
*sedo-) und weitere Möglichkeiten kann gedacht werden. Die Dehnstufe *sed-
hat zu altirisch sid geführt, das sowohl ,Friede4 als auch ,Wohnung (göttlicher
Wesen)4 bedeutet.
Eine Stütze findet diese Annahme in der Verbreitung denkbarer Über-
setzungsnamen, vor allem Pacatus. In Italien gibt es zahlreiche einheimische,
letztlich wohl sabellische Namen mit pak- (Untermann 2000, S. 508f.) wie
Paccius, Pacinius, Paconius, Pacat(i)us usw., etruskisch Pacna (Schulze
1966, S. 203f.; Kajanto 1965, S. 261; Solin/Salomies 1994, S. 135). Aber auch
in den keltischen Provinzen sind Pacat(i)us/a u.a. überall verbreitet, besonders
in der Belgica, Narbonensis und Hispania (OPEL III S. 119), wo auch die
sido-Namen vertreten sind. Sofern hier keine Beeinflussung durch italische
/?ac-Namen erfolgt ist, spricht einiges dafür, Päcätus/a als Übersetzungs-
namen für keltisch sedo-lsido- im Sinne von ,beruhigt, friedlich; Freund4 zu
betrachten. Die Latinisierung wäre somit ein Beitrag dazu, die Wortbedeutung
in der Ursprungssprache zum Zeitpunkt der Interferenz zu erhellen.
Aus der Ehe des Sidonius mit Papianilla gingen vier Kinder hervor:
Apollinaris, Roscia, Severiana und Alcima. Während der Sohn Apollinaris die
Namentradition der männlichen Linie fortsetzt - schon Sidonius’ Großvater
hieß Sollius Apollinaris - greifen die Namen der Töchter Onyme auf, die
bikulturell ,gelesen4 werden können. Roscia klingt einerseits an das römische
Gentiliz Röscius an, das etwa aus Lanuvium, Ameria und Praeneste bekannt
ist und im Etruskischen in der Form rusci erscheint (RE II/l, Sp. 1116-1128),
wohl zu ruscus ,Stechmyrte4 (Myrtus silvestris). Andererseits gibt es eine
deutliche Assonanz an die in Gallien bezeugten Personennamen Ruscus,
16
Ruscatus, Rusculus (ACS II Sp. 1249-51). Ihnen dürfte weniger das gallische
Wort rüscä ,Borke, Rinde; Bienenkorb', entlehnt in französisch ruche, alt-
irisch rüsc, kymrisch rhisgl (DLG S. 264) zugrunde liegen als vielmehr, Iiro
Kajanto (1965, S. 336) folgend, eine keltische Bildung *rud-sko- ,rot, Roter'
zu dem Farbadjektiv roudos ,rot‘ (DLG S. 263; Stifter 1998). Es liegt überaus
häufigen und langlebigen Personennamen zugrunde wie Rudus, Roudius,
Rudiemus, Rudiobo, altirisch Rüad, kymrisch Rhudd usw., übersetzt lateinisch
Rüfus. Das indogermanische Suffix *-skö- tritt üblicherweise an die Schwund-
stufe der Wurzel, hier *(h/)rudh-, und führt somit lautgerecht zu gallisch
*rud-sko- (und weiter zu ru(s)-sko-). ,Rot (vor Rage)' ist ein typisches Merk-
mal der Kriegeraristokratie.
Severiana gehört zu den in Gallien und Italien außerordentlich häufigen,
von Severus abgeleiteten Anthroponymen, die auch als dynastische Namen
begegnen (zwischen 193 und 235). Die feminine Form ist sogar in einem der
wenigen gallischen Texte bezeugt. Der Plomb du Larzac nennt SEVERA (Z.
1 b 10) und SEVERIM (Akkusativ, Z. Ia4; 2a9 u.a.; Lejeune 1985; Meid
1996). Die hohe Frequenz dieser Namen macht eine Interferenz wahrschein-
lich, doch ist der Bezug im Gallischen unsicher (Co$kun/Zeid!er 2003, S. 47).
Es ist möglich, an eine Assonanz an
(1) *su-veru- ,sehr freigebig' o.a. zu denken (indogermanisch *wer(H)u-,
altindisch urus, griechisch eurus). Es liegt in den Namen Veru-cloetius,
Lama-verus ,mit freigebiger Hand' (DLG S. 317) vor, evtl, in Veria
(Co§kun/Zeidler 2003, S. 51), Veruco, Verullia u.a. (ACS III Sp. 228-
240);
(2) *su-vero-/ *su-viro- ,mit guten Männern' (indogermanisch *ui(H)-ro-
,Mann‘, lateinisch vir, gotisch wair usw.), vgl. altindisch sünara-
gleicher Bedeutung; 3
(3) *su-vTro- ,sehr aufrichtig/treu' (indogermanisch *uero-, lateinisch
verus, althochdeutsch wär ,wahr‘ usw., GPN 286).
Ausonius und Sidonius messen in ihren Gedichten die zweite Silbe lang
(Sever[iän]us), sodass am ehesten an die erste Etymologie gedacht werden darf.
Der Name der dritten Tochter, Alcima, gehört zu griechisch oiZiapot; wehr-
haft, stark, tapfer', das als Eigenname überall im griechischen Kulturraum
weit verbreitet ist (LGPN I S. 29: II S. 23; I1IA S. 29f.; IIIB S. 25; IV S. 18).
Er kann auch die Kurzform eines komponierten Eigennamens mit Alki- als
Vorder- und einem mit m- beginnenden Lexem als Hinterglied darstellen wie
Alki-machos. Andererseits klingt er an die einheimischen Namen Alcus,
Aldus, Alciacus an (Remy 2001, S. 113; 133; ACS I Sp. 89), die mit dem
unsicheren gallischen Tiemamen alco- ,Elch‘? (DLG S. 38) Zusammenhängen
könnten. Aber auch das Motiv ,stark' liefert Anknüpfungsmöglichkeiten, z.B.
an die geläufigen nerto-, druto- und 6e/o-Namen wie Nerta, Nertilla (DLG S.
235), Druta (DLG S. 151), Belisama, Bellona (DLG S. 72).
17
3.2. Interferenznamen in der Familie des Eparchius Avitus
Auch in der Familie des weströmischen Kaisers der Jahre 455/56, des Arver-
ners Eparchius Avitus, gibt es einige sicher identifizierbare Interferenzen mit
indigenem Namengut. Die männliche Linie kann über den mutmaßlichen Va-
ter Aghcola (Konsul des Jahres 421) auf einen Aristokraten Philagrius
zurückgeführt werden (Sidonius, Carmina VII Z. 156f.). Einer von Avitus’
Söhnen führt den Namen Agricola weiter. Die beiden Anthroponyme ,spielen*
mit dem Element agri/o-. In klassisch-antiker .Lesart4 liegen die geläufigen
Namen Philagros/Philagrius von tpiXaypog ,das Land liebend4 und Agricola
.Bauer4 vor. Philagr(i)os hat keine römische Tradition, ist aber ein in Make-
donien und Mittelgriechenland häufiger Name (LGPN I1IA, S. 447; IIIB, S.
420; IV, S. 342). Agricola ist wohl weniger in Zusammenhang mit dem ein-
fachen Bauernstand oder einem idyllisch verklärten Landleben gesehen wor-
den, sondern erinnert vielmehr an den klangvollen Namen römischer Politiker
und Militärs der Vergangenheit. Er könnte somit nicht mehr als sprechender
Name4 empfunden worden, sondern zu einem reinen Onym geworden sein.
Gegen ein völlig bedeutungsentleertes Onym spricht allerdings die Tat-
sache, dass das ,Land'-Motiv auch in anderer Form in der gallorömischen
Aristokratie auftritt. Der eng mit der Familie des Avitus verbundene Ruricius,
Bischof von Augustoritum (Limoges, ca. f 507, PLRE II S. 960), trägt einen
Namen, der keine römische Tradition hat, aber dasselbe Motiv mit einer Ab-
leitung von rüs ,Land4 zum Ausdruck bringt. Ferner gibt es in der Oberschicht
Onyme wie Agritius, Agretius, Agrecius und Agroecius (KGPN S. 119; ACS 1
S. 61 f.; Co§kun/Zeidler 2003, S. 23) für gesprochenes *[a'yrikjos] (\o\e!i für
[i]), die beispielsweise im Namen eines Bischofs von Trier (ca. 260-333/35)
begegnen. Die Variante Agroecius wird in der Regel mit griechisch äypoiKOi;
,ländlich, Landbewohner4 in Verbindung gebracht, ist aber offenbar nur in
Gallien bezeugt (PLRE il S. 38f.), z.B. für einen Lehrer der Rhetorik in
Burdigala (Bordeaux) in der Mitte des 4. Jahrhunderts (Ausonius, Prof. 15;
Sidonius, Epist. V 10,3) und einen Abteilungsleiter der kaiserlichen Kanzlei
(primicerius notariorum) des gallischen Usurpators Iovinus in den Jahren
411-413 (Gregor von Tour II 9). Schließlich kann man noch den Namen
Agrestis anführen, der als cognomen bei den Juliem auftritt, aber in Italien wie
in Gallien selten ist (OPEL I S. 57: 5-mal; Kajanto 1965, S. 310: 9-mal).
Es mag aber auch hier bewusst ein Anklang an die einheimische onomas-
tische Tradition gesucht worden sein. Die zlgr/'-Namen können ebenso mit
gallisch agro- »Schlacht, Gemetzel, (eigentlich) Hetze4 (*agron in altirisch är,
*agrä in altbretonisch air usw., OLG S. 35) in Verbindung gebracht werden.
Dieselbe Herkunft, die Xavier Deiamarre (OLG S. 35 mit Verweis auf J. Loth)
für Agricius annimmt, kann auch auf Agricola zutreffen: eine Reinterpretation
und Latinisierung von gallisch *Agro-cu ,Kampfhund4. Dieses Kompositum
ist zwar nicht bezeugt, liegt aber dem altirischen är-chu und dem kymrischen
aer-gi zugrunde. Die Evidenz im Inselkeltischen und der kriegerische Charak-
ter des Onyms, der typisch für gallische Adelsnamen wäre, plausibilisieren
18
diese Annahme zumindest. Aufgrund der Bedeutung ,Hetze4 kann man auch
an das eingangs beim Lingonenfürsten genannte aristokratische Vergnügen
denken: an die Jagd. Philagrius wirkt vor diesem Hintergrund wie eine Teil-
übersetzung des komponierten Namens Su-agrius ,sehr wild' (KGPN S. 272)
oder, von su-agro- ausgehend, ,mit gutem Kampf, gut in der Schlacht4. Das
.Kampf-Motiv wird in den Namen Ecdicius, falls ,Rächer4, Alcima ,wehrhaft,
stark' und Roscia ,rot (vor Rage)4 variiert.
Eparchius Avitus selbst trägt ebenfalls einen aussagekräftigen Namen.
Zunächst fällt auf, dass Eparchius onomastisch kaum belegt ist. Im Lexicon of
Greek Personal Names (LGPN I S. 154) ist er bisher nur wenige Male für die
Ägäis bezeugt. An bekannten Persönlichkeiten kann nur auf den Historiker
Eparchides verwiesen werden. Sonst kommt E7iapxo<; lediglich als Titel .Vor-
gesetzter, Befehlshaber4 vor (lateinisch praefectus). Im Gallischen sind
dagegen vergleichbare Bezeichnungen auch als Eigennamen geläufig, wie
Valos .Fürst, Herrscher4 (OLG S. 306), Atevalos .Großfürst4 (GPN S. 269-
271), Vertamos .Oberster4, Tigernos .Herr4 u.a. zeigen. Übertragungen ins
Lateinische liegen z.B. bei Regulus .Kleinkönig4 (Übersetzungsname) und
Valerius (Assonanzname, Co$kun/Zeidler 2003, S. 49f.) vor. Bei Eparch(i)us
könnte auch eine Anspielung an die verbreiteten Elementen epo- .Pferd4 und
argo- ,Held4 (DLG S. 54, urverwandt mit griechisch archös .Anführer, Ober-
haupt4), etwa *ep-argos .Reiterchampion4, intendiert gewesen sein.
Anders liegt der Fall bei Avitus, der eine geläufige italische Tradition
widerzuspiegeln scheint. Ihm liegt wohl lateinisch avus .Großvater4 zugrunde
(Kajanto 1965, S. 304), doch kann vielleicht auch (h)avere .sich an etwas
freuen, begehren4 vermutet werden (vgl. DLG S. 61). Letzteres liefert eine
homophone wie auch homonyme Entsprechung zu der genuin keltischen Prä-
gung mit dem Lexem avi- .Wunsch, Begierde4 bzw. avito- .erwünscht4. Damit
gebildete Onyme liegen aus der festland- und inselkeltischen Überlieferung
vor: Avi-cantus (kymrisch Eu-gan), Avia-ricis, Amhi-avi. Altbretonisch Out-
ham und kymrisch Eudaf setzen einen Superlativ *Avitamos ,der sehr Er-
wünschte4 voraus. Ein keltischer Einfluss wird bei Avitus und ähnlichen Na-
men wie Avianus, Avitius, Avitianus allgemein akzeptiert (DLG S. 61; Loch-
ner von Hüttenbach 1988, S. 151; KGPN S. 143; ACS I Sp. 313ff). Diese
Einschätzung wird durch zahlreiche Übersetzungsnamen in den keltisch-
sprachigen Provinzen unterstützt wie Cupitus, Desideratus, Optatus, Speratus
u.a. (Co§kun/Zeidler 2003, S. 27).
Der Name von Avitus’ Tochter Papianil/a ist ein Diminutiv, das auf das
nomen gentile Papius und damit letztlich auf den Individualnamen Papus
zurückgeht (Schulze 1966, S. 132). Er klingt zwar an gallisch päpos Jeder4 an
{DLG S. 246f., urkeltisch *kuä-kuo-s, altirisch cäch, mittelkymrisch pawb),
doch scheint dieses Wort nicht dem onymischen Lexikon anzugehören. Die
wenigen Belege in Gallien (ACS II Sp. 927f.) können auf die mediterranen
(besonders altkleinasiatischen) Namen zurückgeführt werden.
19
Der Name des zweiten Sohnes neben Agricola ist Ecdicius (Nr. 3 in PLRE
II S. 383f.). Er hat im Lateinischen überhaupt keine Tradition, sondern begeg-
net erst spät und selten im griechischen Kontext (RE V, Sp. 2159f.; Pape-
Benseler 1959, S. 340; Ekdikos: LG PN 111 A, S. 138). Ihm liegt das grie-
chische £KÖiKO(; ,gesetzlos; rächend, Rächer1 zugrunde, das auch als Bezeich-
nung für einen Prozessbevollmächtigten vor Gericht und später für einen
byzantinischen Beamten benutzt wird (defensor, Lallemand 1964, S. 114-
118). In Gallien gibt es eine Entsprechung zum ,Rächer1 in den häufigen Bil-
dungen mit dT-vic- ,rächen, strafen1 (altirisch di-fich, OLG S. 145f.; KGPN S.
194f.), von denen die Namen Diviciacus und Divico durch Caesars Kommen-
tare am bekanntesten sind. Für die spezielle Bedeutung ,Anwalt4 kann auf die
zahlreichen Bezeichnungen mit britu- ,Urteil, Entscheidung, Gedanke4
(Brit(t)us, Britto, Britto-marus usw., DLG S. 89) und vielleicht barnauno-
,Richter4 (Barna, Barnaeus, DLG S. 68, oder semitisch?) verwiesen werden,
deren ursprüngliche juristische Funktion uns allerdings verborgen bleibt.
Ecdicius ist auch einer der Namen des Bischofs von Vienne und bekannten
Kirchenschrifitstellers Alcimus Ecdicius Avitus (ca. 450/60-523, PLRE II S.
195f.).
4. Einige Schlussfolgerungen aus den onomastischen Inter-
ferenzen im 5. Jahrhundert
4.1. Die Auswahl der Benennungsmotive
In beiden Familien, der des Sidonius und der des Avitus, hat es den Anschein,
dass viele Interferenznamen auf eine alte Domäne des gallischen Adels
hinweisen: das Kriegshandwerk. Kampf (agri/o-), Stärke (alkimos), furor
(ro/usco-) liefern hierfür deutliche Hinweise. Andere erwünschte Eigenschaf-
ten der Aristokratie sind Führungsanspruch (eparchos), Richten/Rächen/Stra-
fen (ekdikos), Freigebigkeit (suvero- ?) und Stabilität (sido- ?). Ganz allge-
mein gehalten ist der Ausdruck ,Wunschkind4 (avito-). Die Assoziationen
schließlich, die mit Apollinaris und Papianilla verbunden gewesen sein
könnten, bleiben unklar.
Diese offensichtlich sorgfältig ausgewählten, mitunter sehr seltenen Eigen-
namen setzen eine gewisse Vertrautheit mit dem gallischen onymischen Lexi-
kon und der Wortbildung voraus. Es kann sich nicht (nur) um lang tradierte
,fertige4 Namen handeln, da einige erst im 4. Jahrhundert aufgekommen sind
(Talisius0, Ecdicius) oder außerordentlich selten begegnen (Euromius0, Epar-
chius). Der Befund der beiden Familien aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrhun-
derts ähnelt dem der gens Ausoniana (Namen mit °) rund ein Jahrhundert
zuvor. Hier wie dort gibt es ausgefallene noms d’apparence latine (Arborius0,
Contemtus0, Regulus0 - Roscia, Sidonius) und griechisch aussehende Namen
ohne nennenswerte onomastische Tradition (Callippio0, Dryadia°, Megentira0
- Ecdicius, Eparchius). Offenkundig keltische Namen (wie Namia0, Talisius0)
20
fehlen zwar im hier untersuchten Material, begegnen aber unter den Freunden
des Sidonius: Sapaudus (Epist. V 10; PLRE II S. 976), nach *sapa-uidu-
,Tannenbaum4 (OLG S. 267f.), ein Redner in Vienne; Namatius {Epist. VIII 6;
PLRE II S. 77 lf.) zu nama(n)to- ,Feind4 {DLG S. 231), ein Marineoffizier;
Agroecius {Epist. VII 5; 9, 6; zum Namen s.o. PLRE II S. 39 Nr. 3), Bischof
von Sens; pseudogriechisches Elaphius {Epist. IV 15; PLRE II S. 387 Nr. 3;
sehr seltener Namenstyp in der Ägäis und auf Zypern) übersetzt das gallische
,Hirsch‘-Motiv. Der König von Aremorica, Riothamus {Epist. III 9; PLRE II
S. 945), zu *rigo-tamos ,sehr königlich4 (weniger wahrscheinlich *riio-tamos
,sehr frei4, DLG 258f.; 260f.), indes mag seinen Namen dem Britannischen
verdanken, das sich zu Sidonius’ Zeiten in Aremorica zu etablieren begann.
4.2. Implikationen für die Kenntnis des Gallischen
In Anbetracht dieser Beobachtungen scheint der Hinweis, den Sidonius selbst
in einem Brief an Ecdicius {Epist. III 3,2) gibt, als Beleg für die Verwendung
des Gallischen im 5. Jahrhundert zu werten zu sein:
„Ich übergehe mit Stillschweigen [...], dass es einst deiner Person
geschuldet worden ist, dass die Nobilität im Begriff stand, den Schorf
der keltischen Sprache abzustreifen und sogleich mit dem rhetorischen
Stil, auch gleich mit den Maßen der Musen vertraut gemacht wurde.44
{Mitto ... tuae... personae quondam debitum, quod sermonis Celtici
squamam depositura nohilitas nunc oratorio stilo, nunc etiam Cumena-
iibus modis imbuebatur.)
In einer kurzen Besprechung fasst James N. Adams (2003a, S. 690, Anm.
8) die gegensätzlichen Positionen zu dieser viel diskutierten Stelle zusammen.
Er spricht sich, Leo Weisgerber folgend, dafür aus, in sermo Celticus nicht die
keltische Sprache, sondern nur einen „,Gallic4 Latin accent44 zu sehen. Als
Zeugnis für die späte Aufgabe des Gallischen werten das Zitat dagegen Joseph
Vendryes (s. Adams 2003a, S. 690, Anm. 8), Pierre-Yves Lambert (1994, S.
10), Herbert D. Rankin (1987, S. 233) und viele andere mehr (Foumier 1955;
Krappe 1929). In der Romanistik hat man zeitweise mit einem extrem langen
Nachleben gerechnet (Hubschmied 1938).
Adams’ Einwand, „it is indeed possible to find clearcut references to
,Gallic4 Latin44 mit ähnlichem Wortlaut, wird durch die von ihm angeführten
Vergleiche nicht gestützt. Latinus Pacatus Drepanius spricht in seinem Pane-
gyricus (1,3) auf Kaiser Theodosius ohne konkrete Sprachangabe nur von
sermo transalpinus. Dem Zusammenhang im 2. Dialog (1, 3-4) des Sulpicius
Severus kann man entnehmen, dass der Autor sprechen könne, was er wolle,
„solange du nur von (dem heiligen) Martin redest44 {dummodo Martinum
loquaris). Als Alternativen gibt der Gesprächspartner Postumianus im voran-
gestellten Hauptsatz an: „Sprich entweder keltisch oder, wenn du lieber willst,
gallisch“ {vel Celtice aut, si mavis, Gallice loquere). Postumianus will unbe-
dingt etwas über Martin hören, gleichgültig in welcher Sprache, selbst wenn
21
diese ungeschliffen ist. Dieser Intention nach ist der Satz kaum in dem Sinne
zu verstehen: „Sprich entweder keltisch oder, wenn du (es) lieber (so nennen)
willst, gallisch“ (nach Adams „a witty rephrasing of the point already
expressed by Celtice1"). Es handelt sich eher um zwei Sprach(varietät)en als
um zwei Bezeichnungen für ein und dasselbe. Ersteres könnte dann auf das
Keltische, letzteres auf das ,gallische Latein1 bezogen werden.
Auch wenn kaum Einigkeit über die Interpretation dieser Textstellen zu er-
zielen sein wird, lassen die beiden Passagen bei Sidonius und Sulpicius doch
die Möglichkeit offen, die durch die Nameninterferenzen nahe gelegt wird.
Der gallische Akzent galt den Aristokraten der späten Kaiserzeit wohl
genauso wie die keltische Sprache als .bäurisch4 (rusticus), ,derb4 (rudis) und
.ungebildet4 (incultus). Während sich Ausonius aber in seinen Werken noch
offen zu Namen und Anspielungen äußert und seinem Gefallen daran Aus-
druck verleiht (Bissula - nomen venustum domino), ist das Festhalten an der
gallischen Sprache von Sidonius und Ecdicius wohl eher als Last empfunden
worden. Sie sehen es als Verdienst an, den .Schorf (squama ,Schuppen4) des
Keltischen abzustreifen. Dennoch zeigen ihre Zeitgenossen noch immer einen
großen Reichtum an gallischen (z.B. Sapaudus, Riothamus) und interkul-
turellen Namen (z.B. Elaphius, Attalus). Stichprobenartige Untersuchungen
des Materials der iberischen Halbinsel haben eine vergleichbare Kontinuität
ergeben (Zeidler 2005 und 2007: Kouznetsova 2004, Beispiele S. 6). Erst im
6.-8. Jahrhundert zeichnet sich nach dem Zusammenbruch der römischen Ver-
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Summary
Gallia Celto-Romanica. Onomastic, Linguistic and Cultural
Contact Phenomena during the Roman Empire
It is commonly held that the Gallic provinces adopted the Roman civilisation
rather quickly. In recent years, .Romanization’ is no longer taken to imply a
trend to emulate the culture of the capital, but instead, the mutual character of
this rapprochement is emphasised. In Roman archaeology, the history of
religion, in linguistics and onomastics alike, a synthesis of indigenous and
immigrant traditions can be observed. The research on contact names has been
initiated by J.B. Keune in 1897 and advanced by L. Wcisgerber in particular.
During the past twenty years or so, substantial contributions to this field of
study have been published. The most decisive problem is whether the inter-
cultural character of names was really intended or whether the assonance or
homonymy is pure chance. Some criteria have been proposed: (1) literary
evidence, (2) biographical and prosopographical information, (3) language
affiliation and etymology, (4) frequency and regional distribution. In a
previous study it could be shown that up to 83% of all names borne by the
family of Ausonius in the fourth century may have a regional background, a
fact that is well in keeping with the intention uttered by the author himself
{Prof. 4.11). A further example is studied in the main part of this paper, the
onomastic evidence of the related families of Apollinaris Sidonius and the
Roman Emperor, Eparchius Avitus (455/56). Most names turned out to be
probable contact names, even in the fifth century. Some of them are noms
d’apparence latine with a Gaulish connection (Roscia: *rud-sko- ,red (of
rage)’), some are pseudo-Greek (Ecdicius ,avenger’, Gaulish Divico). They
convey desired qualities of aristocrats such as strength (Alcimus/a), dominion
{Eparchius), and generosity {Severiana, cf. *suvëro-?). Purely Celtic names
can also be found among Sidonius’ friends {Sapaudus, Namatius). The careful
selection of anthroponyms may be indicative of a certain knowledge of the
Gaulish language in the leading Gallo-Roman families. Thus the famous
passage in Sidonius referring to sermo Celticus {Epist. 3.3.2) probably points
to the abandonment of Gaulish, not a ,Gallic Latin accent’ as is sometimes
assumed.
28
Rolf Bergmann
Das methodische Dilemma der Interferenz-Onomas-
tik oder: Ist Altmühl ein deutscher Name?
1. Altmühl als deutscher Name
Wenn wir Namen hier auf geographische Namen - Toponyme - eingrenzen,
ist ein deutscher Name in einem ersten Verständnis ein Name für eine im
deutschen Sprachgebiet gelegene Örtlichkeit, so wie man auch von französi-
schen, italienischen usw. Ortsnamen spricht. Da der Flusslauf der Altmühl
vollständig im deutschen Sprachgebiet liegt, ist Altmühl in diesem Sinne ein
deutscher Name.
Die Bestimmung eines Namens als deutsch wird aber natürlich auch in
einem engeren sprachlichen, nämlich etymologischen Sinne verstanden: aus
germanisch-deutschen Morphemen nach germanisch-deutschen Bildungs-
regeln gebildet. Der Name Altmühl kann auch in diesem Verständnis als
deutscher Name angesehen werden. Er ist ein Kompositum aus einem
deutschen substantivischen Grundwort -mühl und einem deutschen adjekti-
vischen Bestimmungswort alt. Der alphabetische Index zur Hydronymia
Germaniae verzeichnet eine große Anzahl von Gewässernamen verschiedener
Typen mit dem unterscheidenden Zusatz alt, in der flektierten Form als
adjektivisches Attribut in einem Syntagma (Typ: Alte Iller), in der in eine Zu-
sammenrückung eingegangenen flektierten Form (Typ: Altengamme), in der in
eine Zusammensetzung eingegangenen Grundform (Typ: Altrhein) (Eggers
2005, Teil 1, S. 11-16). Der rückläufige Index erlaubt die Suche nach Gewäs-
sernamen mit dem Grundwort -mühl und führt so auf ein Simplex Mühl im
Bereich der linken Donauzuflüsse bis zum Inn (Eggers 2005, Teil 2, S. 213),
auf Gr. Mühl im Flussgebiet der Salzach, ferner auf Aalmühl im Gebiet der
linken Rheinzuflüsse zwischen Moder und Mosel und auf Teufelsmühl im
Bereich der rechtsrheinischen Zuflüsse zwischen Quelle und Main. Das
Element Mühl- begegnet darüber hinaus besonders häufig als Bestim-
mungswort in Gewässernamen wie Mühlbach, Mühlenbach usw. und schließ-
lich auch in Verbindungen solcher Komposita mit dem Adjektiv alt wie Alter
Mühlbach, Altmühlbach, Altmühlenbach.' Der Gewässername Altmühl kann
also nach seiner Bildung und nach seinen Bestandteilen als im deutschen Ge-
wässernamensystem gut verankert betrachtet werden. * 15
Eggers 2005, Teil 1, S. 331; HG 9, S. 81. - Eggers 2005, Teil 1, S. 1; HG 15, S. 1. -
Eggers 2005, Teil 1, S. 494; HG 2, S. 139. - Eggers 2005, Teil 1, S. 331-338; S. 12,
15, 16.
29
2. Das methodische Prinzip der Deutung deutscher Ortsnamen
Aus der Siedlungsgeschichte und der Sprachgeschichte geht unabweisbar her-
vor, dass das heutige deutsche Sprachgebiet erst durch siedlungsgeschichtliche
und sprachgeschichtliche Vorgänge sprachlich deutsch geworden ist. Das ist
allgemein bekannt und muss hier nicht ausgebreitet werden.
In einem solchen historischen Raum ist das Phänomen der Übernahme von
im Raum vorhandenen Ortsnamen in einer Sprache älterer Bewohner durch
neue Siedler in ihre jeweiligen neuen Sprachen grundsätzlich zu erwarten und
auch vielfach nachgewiesen. Man vergleiche die Formulierung von Elmar
Seebold (1995, S. 603):
Bei den Ortsnamen ist zunächst eine allgemeine Erfahrung, daß die Na-
men auffälliger Örtlichkeiten, wie großer Flüsse, charakteristischer Berge
usw., bodenständig sind und gegebenenfalls durch neue Besiedler der
betreffenden Gegend von den alten Siedlern übernommen werden.
Deshalb bedarf die etymologische Deutung deutscher Ortsnamen im Sinne
von im deutschen Sprachgebiet vorkommenden Namen einer spezifischen
Methode, mit deren Hilfe der einzelne Name entweder der deutschen Sprache
und ihren historischen Vorstufen oder einer vorgermanischen Sprachschicht
zugewiesen werden kann.
Diese Methode findet sich am explizitesten von Albrecht Greule formuliert,
und zwar in seinem Beitrag „Schichten vordeutscher Namen im deutschen
Sprachgebiet“ im Handbuch Sprachgeschichte, der einen eigenen Abschnitt 2
„Methodisches zur Schichtung der vordeutschen Namen“ enthält; darin heißt
es (Greule 2004, S. 3461):
Die Aufgabe der Namenetymologie besteht darin, den betreffenden
Namen unter Beachtung der phonologischen, morphologischen und
semantischen Gesetzmäßigkeiten mit einem Nomen appellativum in
Beziehung zu setzen. Daß bei Namen im dt. Sprachgebiet zuerst ein
Bezugsappellativ innerhalb der dt. Sprache bzw. ihrer historischen
Vorstufen gesucht wird, liegt auf der Hand. [...] Erst wenn alle
Möglichkeiten erschöpft sind, ein Nomen proprium an den appellati-
vischen dt. Wortschatz anzuschließen, kann man sich entsprechend
dem in 1. erarbeiteten Schichtenmodell nach etymologischen An-
knüpfungspunkten umsehen.
Albrecht Greule fasst den methodischen Abschnitt selbst so zusammen (S. 3462):
Man kann die Methode, die zur Schichtung der vordt. Namen ange-
wendet wird, als ,ausschließende Etymologie1 charakterisieren. Dies
bedeutet, daß der Namenforscher entsprechend den siedlungshisto-
rischen Gegebenheiten des Raumes, in den ein Name gehört, nach
Anschlußmöglichkeiten an ein Appellativum in einer jetzt oder einst
dort gesprochenen Sprache sucht. Auf diese Weise werden die germ.-
dt. Namen von den vordt. geschieden, und es können Schichten
innerhalb der letzteren erarbeitet werden.
30
Kürzer, aber inhaltlich übereinstimmend hat Karlheinz Hengst diesen
methodischen Grundsatz in dem Artikel „Methoden und Probleme der sprach-
geschichtlich-etymologischen Namenforschung“ im Handbuch Namenfor-
schung formuliert (Hengst 1995, S. 322):
Methodisch ist wesentlich, daß die sprachliche Entwicklung von ON zu
deren sprachlicher Überformung geführt haben kann. Im Verlauf der
Rekursion hin zur rekonstruierbaren Vor- oder auch Ausgangsform
eines ON sind stets zuerst gründlich die Möglichkeiten einer
Zuordnung zu den jüngeren Namenschichten (also hier zur dt. und
slaw., genauer altsorb. oder altpolab. Namenbildung) zu prüfen, ehe
eine ältere (germ. oder alteurop.) Namenbildung vermutet wird.
Zusammenfassend ist wohl folgende Formulierung für die in der Namen-
forschung gültige Methode zutreffend: Deutsche Ortsnamen im Sinne von
Ortsnamen im deutschen Sprachgebiet sind soweit möglich und nicht anders
nötig auch im sprachlich-etymologischen Sinne als deutsch zu erklären. Die
Notwendigkeit einer vordeutschen Erklärung ergibt sich vor allem aus den
historischen Belegen, die insgesamt den methodischen Ausgangspunkt für
jede etymologische Analyse bilden.
Damit ist dann natürlich auch die deutsche Erklärung des Namens Altmühl
erledigt, da die älteren Belege für den Namen dieses Flusses bekanntlich
Alcmona, Alchmuna usw. lauten und der Name nach übereinstimmender
Meinung aller (wenngleich in der Etymologie im einzelnen divergierender)
Erklärungen jedenfalls eine vordeutsche Ableitung erfordert und in seiner
heutigen Form durch „volksetymologische Umgestaltung“ (so z.B. Bammes-
berger 1994/1995, S. 256) entstanden ist."
3. Transferenz und Undurchsichtigkeit
Die Transferenzonomastik als Zweig der Ortsnamenforschung verfügt über
ein reiches methodisches Instrumentarium, mit dem jeweils sprachbezogen
vor allem die phonologischen und morphologischen Prozesse bei der Trans-
ferenz untersucht werden und unter Beachtung der Geschichten der gebenden
und der nehmenden Sprache auch historisch eingeordnet werden können.1
Hier soll es insbesondere um den semantischen Aspekt gehen, der von der
Durchsichtigkeit beziehungsweise Motiviertheit der übernommenen Namen
im System der nehmenden Sprache, hier der deutschen, ausgeht.
Vordeutsche Namen werden nach allgemeiner Annahme bei ihrer Bildung
für die sie bildenden Sprecher semantische Motiviertheit besessen haben, die
von Reitzenstein 1983; von Reitzenstein 1984; Greule 1984, S. 41; Wiesinger 1985,
S. 221; von Reitzenstein 1991, S. 31; Koenigs 1993, S. 351; Bammesberger
1994/1995, S. 256; Vennemann 1999, S. 304; Borchers 2006, S. 9f.
3 Vgl. Sonderegger 2004, S. 3426-3460, besonders Abb. 220.6: traditio nominum mit
weiterer Literatur.
31
sie auf irgendeiner Stufe ihrer Geschichte verloren haben können, so dass sie
dann für die Sprecher demotiviert erscheinen. Für die Übernahme eines für sie
undurchsichtigen Namens durch germanisch-deutsche Sprecher ist es aller-
dings relativ unerheblich, ob der Name für die Sprecher der Quellsprache
noch motiviert war.
3.1. Transferenztvp 1: Der Name bleibt undurchsichtig
Ausgangspunkt ist bei diesem Typ ein vordeutscher Name, der bei der Über-
nahme durch germanisch-deutsche Sprecher für diese undurchsichtig war, bei
der Übernahme nur eine lautliche Anpassung erfuhr und ohne weitere,
insbesondere morphologische Veränderungen im Deutschen auch weiterhin
semantisch undurchsichtig blieb. Als Beispiele seien allgemein bekannte Fälle
wie Rhein, Main, Köln, Trier, Aachen usw, genannt.4 5
3.2. Transferenztyp 2: Der Name wird teilmotiviert
Auch bei diesem Typ wird der vordeutsche Name als undurchsichtiges
Zeichen nur lautlich übernommen; er wird aber ins Germanisch-Deutsche
semantisch teilintegriert durch ein der aufnehmenden Sprache angehörendes
Element, nämlich einen neuen Kopf einer komplexen Struktur."
Der Terminus Kopf meint „nach L. Bloomfield“ „das syntaktische]
Zentrum einer subordinativen endozentrischen Konstruktion“ (Fries 2005, S.
354). Dabei kann es sich beispielsweise um das Substantiv in einem adjekti-
visch attribuierten Syntagma handeln, wie Main in Alter Main, um das
Substantiv in einem präpositional attribuierten Syntagma wie Neustadl in
Neustadt am Rübenberge, um das substantivische Grundwort in einem Kom-
positum wie -mühl in Altmühl oder auch um das zur Substantivbildung
verwendete Suffix wie -ing in Tutzing usw. Das nach der Segmentierung des
Kopfes der Konstruktion verbleibende Element wird nach seiner Funktion
Spezifikator genannt.
Es sind drei Fälle zu unterscheiden:
3.2.1. Kopfersatz: Hier wird der Kopf einer vordeutschen Konstruktion
durch ein germanisch-deutsches Element ersetzt. Das setzt voraus, dass die
Konstruktion und damit der Kopf für die übernehmenden Sprecher semantisch
durchsichtig war. Der vordeutsche Spezifikator hingegen konnte für die ger-
manisch-deutschen Sprecher undurchsichtig sein und bleiben. Klassische Bei-
spiele sind die Namen Augsburg und Regensburg, in denen das deutsche
Grundwort -bürg in seiner althochdeutschen Bedeutung ,Stadt‘ das lateinische
4 Sonderegger 2004, Abb. 220.6: traditio nominum per adaptionem sine motivatione.
5 Sonderegger 2004, Abb. 220.6: traditio nominum per adaptionem cum nova
motivatione', vgl. ebd. S. 3450: „sekundär (teilweise) motivierte Adaption“.
32
civitas beziehungsweise castra ersetzt hat/’ Die Namen erscheinen im
Deutschen durch ihr Grundwort als teilmotiviert, die Bestimmungswörter
Augs- und Regens- sind hingegen semantisch undurchsichtig.
3.2.2. Kopfhinzufügung: Hier wird ein für die übernehmenden Sprecher un-
durchsichtiges Zeichen wie beim Typ 1 allenfalls lautlich verändert über-
nommen, bleibt aber als Zeichen undurchsichtig. Es erfolgt aber im Unter-
schied zu Typ 1 eine partielle semantische Integration durch die Hinzufügung
eines germanisch-deutschen Kopfes, sei es durch ein Grundwort, durch das
der vordeutsche Name zum Bestimmungswort in einem Kompositum wird, sei
es durch ein germanisch-deutsches Suffix. Ein typisches Beispiel ist der Name
Partenkirchen, entstanden aus dem vordeutschen Namen Partanum, „an
dessen Namen im Mittelalter das deutsche Grundwort -kirchen angefugt
wurde“ (von Reitzenstein 1991, S. 152). Ein weiteres Beispiel ist der Name
Kronach, wenn man die Auffassung des ältesten Belegs Crana als slavisch
und -aha als deutsche Kopf-Hinzufügung (vgl. Bergmann 2004, S. 27) akzep-
tiert. Im altsorbischen Gebiet begegnet der Fall ebenfalls, wie z.B. der bei
Inge Bily (2004, S. 244) genannte Fall zeigt, z.B. Sülsdorf\ Kr. Schwerin:
1217 Szlowe, 1227 Zulow, 1269 Zidistorp.
3.2.3. Kopfverdoppelung: Bei diesem Fall wird ein komplexer Name als
undurchsichtige Einheit behandelt und in der nehmenden Sprache nicht analy-
siert, vielmehr erhält er einen neuen Kopf. Dabei ist es besonders bemerkens-
wert, dass der neue Kopf der aufnehmenden Sprache häufig semantisch eine
Dublette des Kopfes in der Quellsprache ist. Es kommt aber gerade nicht zu
einer Übersetzung des Kopfes, bei der ja wie in Fall 2 das entsprechende
Element der Quellsprache getilgt worden wäre.
Bekannte Beispiele sind Lake Chiemsee für den See in Oberbayern und Val
d'Aran für ein Pyrenäental:
Daß Chiemsee im Bestandteil -see bereits die Bedeutungskomponente
,lake‘, also ,See‘ enthält, war offenbar sprachunkundigen zuständigen
Amerikanern nicht bekannt, so daß sie den verdeutlichenden Kopf Lake
hinzufugten. Ebenso war offenbar den Franzosen nicht bekannt, daß
A ran allein schon so viel wie franz. va/, nämlich ,TaF bedeutet, vgl.
bask. aran ,Tal‘, weswegen sie den verdeutlichenden Kopf Val hinzu-
fügten (Vennemann 1999, S. 289).
Diesem Fall begegnet man in Mitteleuropa nicht gerade selten: Im Eisass
finden sich beispielsweise Waldbezeichnungen vom Typ forêt de l’Illwald mit
dem doppelten Kopf -wald und franz. forêt1 In der bairischen Sprachinsel
Sauris in den Karnischen Alpen in Friaul gibt es italienische Gewässernamen * S.
6 von Rcitzenstein 1991, S. 45: „Im Mittelalter wurde zur Übersetzung von civitas
dem Namen Augusta althochdeutsch bürg, purch ,Stadt1 als Grundwort angefügtT
S. 315: „Die deutsche Namensform Regensburg ist eine Übersetzung von lateinisch
Castra Regina (,Lager, Castell, Burg am Regen1);
Die Namen finden sich auf gewöhnlichen Autokarten.
33
wie ho Mitreikenpoch, ho Plotnpoch, in denen der bairische Kopf -poch
.Bach' durch italienisch ho verdoppelt wird, und Bergnamen wie Monte
Rinderperk mit Verdoppelung von bair. -perg durch ital. monte, Costa Schot-
saite mit Verdoppelung von bair. -satte durch ital. costa!' Auch im deutsch-
slavischen Kontaktgebiet findet sich dieser Typ, wie etwa in den bei Inge Bily
(2004, S. 243) genannten Namen Ostrohitzdorf Zwemislsdorf mit sekundär
angefugtem deutschen Grundwort (Kopf) -dorf
3.3. Transferenztvp 3: Der Name wird remotiviert
Bei diesem Typ wird der vordeutsche, für die übernehmenden Sprecher un-
durchsichtige Name so umgeformt, dass er eine im Germanisch-Deutschen
wirksame neue semantische Motivation erhält, die mit der früheren vor-
deutschen in der Regel nicht übereinstimmen wird.8 9 10 In der Formulierung von
Peter Wiesinger (2005, S. 39):
Um sie (i.e. unmotiviert gewordene Ortsnamen) sich verständlich zu
machen, knüpft die Bevölkerung ihre Bestandteile an ausdrucksseitig
gleichartige oder sehr ähnliche Wörter der herrschenden Alltags-
sprache, sei es die Schriftsprache oder der Dialekt, an und schafft sich
auf diese Weise durch partielle oder totale Lösung der Isolierung
ausdrucks- wie inhaltsseitig eine neue einsichtige Erklärung als seman-
tische Neumotivierung.
Neben dem zu Beginn verwendeten Beispiel Altmühl aus vordt. Alcmona
sei hier noch der Name Epfach genannt:
Vordt. Abudiacum (von Reitzenstein 1991, S. 126) wurde zu einem -ach-
Namen mit dem Bestimmungswort Epf- umgedeutet, in dem man die Pflan-
zenbezeichnung Epf ahd. ephiH) sehen konnte.
Ein weiteres Beispiel aus Oberösterreich sei nach Peter Wiesinger (2004, S.
54f., 57) zitiert:
Pram, rechter Nebenfluß des Inns bei Schärding: Obwohl der Name,
wie die ukdl. Schreibung von 819 zeigt, als bair.-ahd. Präma(ha) nach
bair.-ahd. präma ,Domgestrüpp, Brombeerstaude' im Sinne von ,Fluß,
an dessen Ufern dorniges Gestrüpp (Brombeeren) wächst' aufgefaßt
wurde, dürfte es sich dabei um eine Volksetymologie für einen vor-
deutschen Namen handeln, zumal nicht nur die Raab als Nebenfluß
einen solchen trägt, sondern auch die meisten Namen der andern
8 Die Namen habe ich Wanderkarten und Prospektmaterial sowie der örtlichen Be-
schilderung der Gemeinde Sauris/Zahre entnommen.
9 Sonderegger 2004, Abb. 220.6: traditio nominum per adaptionem cum nova motiva-
tione\ vgl. ebd., S. 3450: „sekundär (teilweise) motivierte Adaption“; vgl. weiter
Bach 1953/1954, § 281,732; Wiesinger 1995; Vennemann 1999 u. a.
10 DWB VIII, Sp. 1558f.
34
rechten Nebenflüsse des Inns vordeutschen Ursprungs sind. In Frage
kommen dürfte dabei eine idg.-vspr. Bildung mit idg. *bher-/bhor-
,aufwallen, sich heftig bewegen' mit w-Formans in ai. bhramä-h Stru-
del' und air. topur ,Quelle' (aus *to-uks-boro-). [usw.]11
3.4. Transferenztyp 4: Der Name wird übersetzt
Dass ein Ortsname in eine andere Sprache übersetzt wird, setzt die Kenntnis
beider Sprachen voraus, wenngleich die Übersetzung natürlich richtig oder
falsch sein kann:12
Aquae Helveticae > Baden im Kanton Aargau
in/de Valle Reni > ze dem Rinwalde (mit Missverständnis von Valle ,Tal‘)L1
4. Das Dilemma
Es fragt sich nun, wie das im zweiten Abschnitt behandelte methodische
Prinzip der etymologischen Erklärung deutscher Ortsnamen mit den Trans-
ferenztypen zurechtkommt.
Typ 1 (Übernahme eines undurchsichtigen Namens, der undurchsichtig
bleibt) ist methodisch völlig unproblematisch. Da Namen wie Rhein, Köln
usw. nicht etymologisch aus dem Deutschen erklärt werden können, ist eine
vordeutsche Etymologie nötig.
Typ 2 (Teilmotivierte Namen mit deutschem Kopf und vordeutschem Spe-
zifikator) ist zwar im Prinzip ebenfalls methodisch unproblematisch, da nur
der Kopf deutsch erklärbar ist, der Rest aber eine vordeutsche Erklärung erfor-
dert, z.B. Augs- in Augsburg. Man muss aber sehen, dass die Feststellung
eines Namenteils, eben des Kopfes, als deutsch eine gewisse Gefahr birgt, den
anderen Teil möglichst auch aus dem Deutschen erklären zu wollen, zumal
man ja zunächst nicht wissen kann, dass mit einem deutschen Kopf ein vor-
deutscher Spezifikator verbunden ist. Auf die Möglichkeit der Teilmoti-
vierung und der Herkunft eines Namenteils aus dem Vordeutschen ist daher
besonders hinzuweisen.
11 Man vergleiche auch Wiesinger 2005, S. 44: Grein an der Donau: idg. „*Krem(i)a,
das über urslaw. *Krim(ja) ins Althochdeutsche gelangte und von den Baiem unter
volksetymologischer Anlehnung an bair.-ahd. crinan/grinan als bair.-ahd.
Crina/Grina übernommen wurde [...]“. - S. 46: Kühberg im Mühlviertel 1481
Kirichperig. „Das Erstglied ,Kirche' verlor in regulärer dialektaler Entwicklung,
nachdem der Sproßvokal aufgegeben worden war, zunächst das auslautende -ch und
dann das -r, so daß [khi:] verblieb. Die Umlautentrundung von ü zu i bewirkte
schließlich die hyperkorrekte neumotivierende Schreibung <Kiih>.“
12 Sonderegger 2004, Abb. 220.6: traditio nominum per translationem recte / non
recte; Bach 1953/1954, § 712.
12 Die beiden Beispiele nach Sonderegger 1983, S. 41.
35
Typ 3 stellt uns aber wirklich vor ein prinzipielles methodisches Dilemma:
Wenn ein vordeutscher Name durch Remotivation vollständig, und das heißt
eben auch semantisch, ins Deutsche integriert ist, dann ist er eben deswegen
auch vollständig aus dem Deutschen erklärbar. Es fehlt also im Sinne des
methodischen Prinzips die Notwendigkeit einer vordeutschen Etymologie.
Warum soll man für die Namen Altmühl, Epfach oder Pr am eine vordeutsche
Erklärung suchen, wenn sie doch problemlos als deutsch erklärbar sind?
Der Hinweis, dass entsprechende historische Belege für den nichtdeutschen
Ausgangspunkt der Integration existieren, löst das Problem nur für diejenigen
Namen, für die das der Fall ist, er löst aber nicht das methodische Dilemma
selbst. Man sieht das Dilemma, wenn man sich einmal vorstellt, die Beleg-
reihen für Altmühl und Epfach setzten erst mit den ins Deutsche integrierten
Formen ein, so dass die auf vordeutsche Herkunft weisenden Belege zufällig
fehlten: Nichts dürfte oder müsste den Namenforscher dann veranlassen, an
vordeutschen Ursprung zu denken.
Die fragliche Methode führt also zu zwei Ergebnissen: Dass ein Ortsname
sprachlich deutsch erklärbar ist und nichts, insbesondere keine historischen
Belege, auf vordeutsche Herkunft deutet, kann in der Tat heißen, dass der
Name von deutschen Sprechern aus dem Deutschen gebildet worden ist, wie
es ja ganz offensichtlich bei modernen Namen der Fall ist, z.B. bei Stadtteil-
namen wie Gartenstadt in Bamberg und anderswo. Ebenso gut kann der
Befund aber auch bedeuten, dass ein ursprünglich vordeutscher Name von
deutschen Sprechern so erfolgreich ins Deutsche integriert wurde, dass er
komplett als deutsch erscheint: Für Altmühl, Epfach wissen wir das glück-
licherweise, aber leider beispielsweise nicht für den Namen der Wiesent
(Nebenfluss der Pegnitz): „Deren Name läßt sich auf * Wisantaha zurückführen,
hat also als Grundwort althochdeutsch aha ,fließendes Wasser1 und als Be-
stimmungswort wisant, Wisent? Der Name weist somit auf einen Fluß, an dem
sich Wisente aufhalten“ (von Reitzenstein 1991, S. 414). Auf vordeutsche
Herkunft weisende Belege fehlen, freilich ist auch * Wisantaha nicht belegt.
Typ 4 ist im Hinblick auf die hier diskutierte Problematik dann ganz unpro-
blematisch, wenn vordeutsche Ausgangsform und deutsche Übersetzung vor-
liegen. Wenn aber nur eine deutsche Übersetzung vorliegt, ist ihr natürlich der
Charakter der Übersetzung aus einem vordeutschen Namen gar nicht anzu-
sehen. Wenn die deutsche Übersetzung dann als deutscher Name etymologi-
siert wird, ist das natürlich sprachlich nicht falsch. Aber die Namengebung
wäre dann doch bereits vordeutsch in einer anderen Sprache erfolgt. Auch
diesen Fall können wir uns wieder nur so vorstellen, dass wir uns für einen
Namen wie Baden die lateinische Vorlage wegdenken.
36
Für übersetzte deutsche Namen ohne belegte vordeutsche Namen können wir
die Möglichkeit der Übersetzung gar nicht erkennen, sie aber andererseits
prinzipiell auch nicht ausschließen; erst recht kann nicht ausgeschlossen
werden, dass schon ein vordeutscher Name seinerseits aus einer voraus-
gehenden Sprache übersetzt worden sein kann.14 15
5, Etymologie und V olksetymologie
Was bedeutet nun dieses methodische Dilemma für die Namenetymologie? Es
bedeutet, dass die Deutbarkeit eines Ortsnamens aus Appellativen einer be-
stimmten Einzelsprache grundsätzlich unter dem Verdacht stehen muss, dass
diese Deutbarkeit lediglich die von den Sprechern der betreffenden Sprache
gesehene Motiviertheit des Namens reproduziert, und zwar unabhängig davon,
ob diese Motiviertheit auf einer Namengebung im zeitlichen Horizont dieser
Sprache beruht oder auf einer remotivierenden Deutung und Umformung
eines Namens aus einer anderen Sprache oder auch nur aus einer Vorstufe der-
selben Sprache. Sofern vom Namenforscher lediglich die sekundäre Motiviert-
heit, die Remotivation, nachvollzogen wird, handelt es sich in der Tat um
Volksetymologie, die in linguistischen Lexika eben als Remotivation erklärt
wird (Glück 2005, S. 728).
Für Fälle wie Altmühl und Epfach wird das wegen der deutlich vor-
deutschen Belegformen jedem unmittelbar einleuchten. Und natürlich wird
man auch innerhalb der deutschen Überlieferung die an den historischen Bele-
gen ablesbaren Umformungen als solche berücksichtigen. Wenn der Ortsname
Eichendorf in Niederbayern im 11. und 12. Jahrhundert als Ebechendorf seit
dem 12. Jahrhundert als Euchendorf belegt ist und erst ab 1831 Eichendorf
lautet (von Reitzenstein 1991, S. 118), so ist die sehr junge Remotivation mit
dem Anschluss an die Baumbezeichnung Eiche unschwer zu erkennen. Solche
Fälle bestätigen das methodische Prinzip, bei Deutbarkeit der Form mit der
Möglichkeit einer sekundären Bedeutungszuweisung der Sprecher zu rechnen.
Schwerer wird es freilich fallen, diesen methodischen Zweifel für zunächst
einmal jeden deutbaren Namen anzuerkennen, und gerade auch für die
Namen, bei denen keine Umformungen und Remotivationen an den Beleg-
reihen ablesbar sind. Nach meiner Überzeugung gilt dieser Zweifel auch für
solche Namen und Namendeutungen, wie ich sie dem Lexikon bayerischer
Ortsnamen von Wolf-Armin Freiherr von Reitzenstein (1991) entnehme;1^
14 Man vgl. z.B. die bei Bach 1953/1954, § 441 geäußerte Vermutung, lat. Confluentes
(Koblenz) „dürfte einem kelt. Condate (Lokativ von *condas Zusammenfluss1)
nachgebildet sein,“
15 Zu den Deutungen mit Tierbezeichnungen vgl. auch von Reitzenstein 1999/2000;
von Reitzenstein 2004; von Reitzenstein 2005.
37
Aura ,Gelände am Wasser, an dem sich Auerochsen aufhalten4
Birkenfeld ,Ort auf einem mit Birken bestandenen Feld4
Birklingen ,bei den Leuten, die an jungen Birken wohnen4
Ebrach ,(Gewässername) fließendes Wasser, an dem sich Eber aufhalten4
Eschau ,(Flurname) Eschengehölz4
Eslarn ,bei den Eselstreibern4
Fischbachau ,Gelände an einem fischreichen Bach4
Fischen (a. 860 Viskingun) ,bei den Leuten des Fischers4
Fuchsstadl,(Flurbezeichnung) Stätte, wo sich Füchse aufhalten4
Kühbach ,Zum Grundwort siehe den Ortsartikel Aidenbach; Bestimmungs-
wort ist althochdeutsch chuo ,Kuh4 usw.4
Wiesent .Der Name weist somit auf einen Fluß, an dem sich Wisente
aufhalten.4
Das heißt: Wenn wir deutsch erscheinende Namen deutsch deuten, reprodu-
zieren wir möglicherweise nur die volksetymologische Sekundärmotivation
durch deutsche Sprecher, da wir ja nicht wissen können, ob es nicht ältere
anders zu deutende germanische oder gar vorgermanische Formen gegeben
hat. Auf diese Gefahr weist auch Elmar Seebold (1995, S. 606) hin: „[...] ein
,durchsichtiger4 Name kann leicht eine Umdeutung eines ,dunklen4 Namens
sein. 44
Der methodische Zweifel macht dann aber auch nicht halt bei einer
,schönen4 vorgermanischen, beispielsweise keltischen Erklärung. Wenn also
der Name des Lechs aus einem keltischen Adjektiv mit der Bedeutung
,steinig4 abgeleitet wird (von Reitzenstein 1991, S. 224), dann heißt das
meines Erachtens zunächst nur, dass der Name für die Kelten motiviert
erscheinen konnte. Dass der Name Kempten aus bezeugtem Camboduno
kommt und dieses im Keltischen ,Burg an der Flusskrümmung4 bedeutet (von
Reitzenstein 1991, S. 203), zeigt, dass der Name für die Kelten motiviert
gewesen sein wird. Ob sie ihn selbst so motiviert vergeben haben oder ob er
seine keltische Motivation erst sekundär bei der Übernahme aus einer vorkel-
tischen Sprache bekommen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Auch auf
diese Möglichkeit hat Elmar Seebold (1995, S. 604) hingewiesen:
So ist es etwa in Süddeutschland und Westdeutschland gelegentlich
möglich, Ortsnamen auf die Sprache der früheren keltischen Bevöl-
kerung zurückzuführen, doch heißt das keineswegs, daß jeder vorger-
manische Name deshalb keltisch sein muß - er kann leicht auf eine
noch ältere Namensschicht zurückgehen und in vielen Fällen ist dies
auch wahrscheinlich.
Alle remotivierenden Umdeutungen älterer Namen sind natürlich für sich
betrachtet Zeugnisse des Namenverständnisses und der produktiven Sprach-
tätigkeit von Sprechern. Remotivationen oder Reanalysen sind so gesehen his-
torische Sprachzeugnisse und Quellen, was hier angesichts des oftmals als ab-
fällig konnotiert empfundenen Ausdrucks Volksetymologie eigens betont sei.
38
Auch aus heutiger Sicht als historisch falsch erkannten älteren, insbesondere
mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Namendeutungen kommt natürlich ein
eigener historischer Aussagewert zu, wenn auch nicht zur Etymologie im heu-
tigen Verständnis (vgl. z.B. Bergmann 2002).
6. [Methodische Auswege
Das bloße Aufzeigen eines methodischen Dilemmas kann allenfalls eine
lähmende Wirkung haben, nicht aber die Forschung wirklich weiterbringen.
Wie kann also die Methode der Namendeutung im Hinblick auf die historische
Schichtung der deutschen Ortsnamen weiterentwickelt werden?
Schon mehrfach war der zentrale Artikel von Elmar Seebold, „Wortge-
schichte/Etymologie der Namen“, im Handbuch Namenforschung zu zitieren.
Elmar Seebold gewinnt hier einen übergreifenden Aspekt, ausgehend von Be-
obachtungen zur Namengebung bei der Besiedelung Islands (1995, S. 604).
Wegen der individuellen Referenz der Namen unterscheiden sie sich von
appellativischen Bezeichnungen:
eine normale Bezeichnung nennt im allgemeinen ein für die bezeich-
nete Klasse charakteristisches, jederzeit nachprüfbares Merkmal,
während ein Name ein Individuum von ähnlichen Individuen unter-
scheiden soll; deshalb wird bei der Namengebung dieser Art häufiger
auf zufällige Besonderheiten zurückgegriffen oder auf Umstände, die
nur einer kleinen Gruppe von Leuten bekannt sind.
Daraus folgt dann auch die methodische Forderung (Seebold 1995, S. 605):
Allgemein ist zu sagen, daß es nicht genügt, in einem Namen ein
anderes Wort als Grundlage erkennen zu wollen - wenn das Namen-
motiv nicht nachgewiesen werden kann, reicht dies zu einer Etymolo-
gie nicht aus.
Gegen diese Forderung verstoßen im Grunde die meisten Namener-
klärungen mit Tier- oder Pflanzenbezeichnungen vom Typ Birkenfeld ,Ort auf
einem mit Birken bestandenen Feld4, Ebrach ,(Gewässername) fließendes
Wasser, an dem sich Eber aufhalten4 usw., die ja auch gerade nicht auf indivi-
duelle, sondern auf allgemeine Merkmale Bezug nehmen. Meist bleibt es bei
dieser Art Namendeutung beim bloßen Nachweis eines deutschen Appellativs,
ohne dass überhaupt nach einer Motivation gesucht wird - ganz zu schweigen
von einer Realprobe. Dass die Forderung Seebolds nur schwer oder gar nicht
erfüllbar ist, sollte jedenfalls nicht dazu fuhren, die Tatsache einer fehlenden
Motivation ganz unerwähnt zu lassen. Statt ,Stätte, wo sich Füchse aufhalten4
kann man bei einem Namen wie Fuchsstadt mit Sicherheit nur sagen, dass der
Name nach heutigem Verständnis die Tierbezeichnung Fuchs und das Namen-
grundwort -stadt enthält, dass dies wohl auch schon in den mittelalterlichen
Belegen der Fall war, und dass eine Motivation für den Siedlungsnamen nicht
erkennbar ist. Eine lediglich vermutete Motivation sollte explizit als solche
gekennzeichnet sein; vgl. z.B. von Reitzenstein (1991, S. 353) zu Schweinfurf.
39
„Als Bestimmungswort kommt althochdeutsch swin , Schwein4 in Frage, so
daß sich als Deutung des Namens wohl ,fiir Schweine gangbare Furt, Furt, an
der sich (Wild-)Schweine aufhalten4 ergibt.44,(1
Ein methodischer Fortschritt wäre hier bereits aus der Beachtung metho-
discher Grundsätze der Etymologie zu gewinnen. Wenn nicht nur ein passen-
des Appellativ angegeben wird, sondern auch die Motivation nachgewiesen
werden könnte, wären solche Erklärungen jedenfalls weniger volksetymo-
logie-verdächtig.
Grundsätzlich wichtig erscheint mir ferner auch die Einbettung der
einzelnen Ortsnamen in übergreifende Zusammenhänge. Soweit diese For-
derung sozusagen innerlinguistisch die Berücksichtigung der historischen
Phonologie und Morphologie betrifft, ist sie allgemein anerkannt, was natür-
lich nicht heißt, dass sie auch immer erfüllt wird. In nicht wenigen Fällen führt
die genauere Beachtung dieser Forderung bereits zum Ausschluss von volks-
etymologischen Ansätzen.
Gefordert wird darüber hinaus auch die Beachtung namensystematischer
Zusammenhänge. Dieses Prinzip hat beispielsweise Karlheinz Hengst (1995,
S. 322) in allgemeiner Form formuliert:
Wesentlich ist dabei, den ON aus seiner Vereinzelung zu lösen und
einer Gruppe von ON, einem ON-Typ, zuordnen zu können, der
wiederum einer bestimmten Namen- resp. Sprachschicht zugehörig ist.
Die Rekonstruktion von Namentypen im Rahmen der Rekonstruktion
von Namenschichten ist für die sprachgeschichtlich-etymologische
Analyse einzelner ON (und GN) entscheidend.
Die Argumentation mit diesem Prinzip war schon in einer zitierten Erklä-
rung eines Namens durch Peter Wiesinger (2004) enthalten, derzufolge er für
den Namen des Innzuflusses Pram nicht einer durch Belege nahe gelegten
Volksetymologie folgt, sondern einen vordeutschen Namen annimmt. Das
heißt, es stehen sich zunächst zwei Etymologien gegenüber, eine aus ahd.
hräma und eine andere aus dem indogermanischen, die beide mit den Belegen
vereinbar sind und beide sprachlich möglich erscheinen. Für die Bevorzugung
der vordeutschen Etymologie führt Wiesinger ein systematisches Argument
an, nämlich dass „nicht nur die Raab als Nebenfluß einen solchen trägt,
sondern auch die meisten Namen der andern rechten Nebenflüsse des Inns
vordeutschen Ursprungs sind.44 Damit gewinnt er sozusagen eine plausiblere
Erklärung als beim isolierten Vorgehen. Hinzu kommt freilich auch, dass sich
die neue Etymologie durch die Realprobe als vom Charakter des Gewässers
motiviert erweisen lässt (mündlicher Hinweis von Peter Wiesinger).
Auch für den weiter oben angesprochenen Namen Wiesent lässt sich unter
Beachtung der Einordnung in eine historische Namenschicht und unter Beach-
tung seiner Morphologie wohl eine vordeutsche Etymologie plausibel machen,
worauf Albrecht Greule in der Diskussion hingewiesen hat (vgl. Greule 2005). 16
16 Hervorhebung der Vermutungssignale durch R.B.
40
Eine solche Argumentation mit historischen Plausibilitäten ist in der Na-
menforschung also durchaus nicht unbekannt, aber vielleicht noch ausbau-
fähig.
7. Resümee
Ich versuche ein kurzes Resümee meines Anliegens: Mich beunruhigen
methodische Defizite der historischen Ortsnamenforschung. Das Dilemma,
dass die anscheinend problemlose Erklärung deutscher Ortsnamen aus dem
Deutschen lediglich eine mögliche deutschsprachige Neumotivation (Volks-
etymologie) der Namen reproduziert, wird meines Erachtens nicht methodisch
und prinzipiell berücksichtigt. Um es zu berücksichtigen, müsste man es frei-
lich erst einmal zur Kenntnis nehmen und als Problem akzeptieren. Dann
könnte die historische Ortsnamenforschung gemeinsam nach methodischen
Verbesserungen suchen.
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Summary
The Methodological Dilemma of Interference-Onomastics: Is
A/fmü/t/a German Name?
The name of the German river Altmühl can be understood as a German name
composed of alt ‘old’ und -miihl ‘mill’, but the early medieval forms of the
name (Alcmona, Alchmuna etc.) show that the name is of Pregermanic origin.
Altmühl obviously is a case of folk etymology. The main methodological
principle of etymology of toponyms claims that toponyms in the German
speaking area should be explained linguistically as far as possible as German.
Pregermanic etymology is only allowed if a German is not possible or if older
forms show the Pregermanic origin. That leads us in a dilemma: If we had no
older forms we had to explain Altmühl as a German name. That means that all
or at least many German liking toponyms without clearly Pregermanic forms
could be of Pregermanic origin, transformed by folk etymology.
44
Nicoletta Francovich Onesti
Latin (and Greek) Interference in Late Gothic.
Personal Names and other Linguistic Evidence from
sixth Century Italy
1. Gothic Names from Italy
The total number of Late-Gothic personal names recorded in sixth-century
written sources from Ostrogothic and post-Ostrogothic Italy amounts to a
quite considerable corpus of about three hundred names. Most of these were
transmitted through Latin or Greek texts, such as Cassiodorus’ letters and
chronicle, Jordanes’ history, Procopius’ Gothic War, Ennodius’ works, and
also legal transactions, epitaphs and other inscriptions, and many other minor
sources.1 In two instances, Gothic names were also written down in the Gothic
language by five members of the Arian clergy of Ravenna: this is the case of
the so-called „documents of Naples and Arezzo“, two bilingual papyri of the
mid-sixth century containing original Gothic subscriptions with autograph sig-
natures intermingled with the Latin text.2 Very seldom do the sources allow us
to know about family relationships and the genealogy of people bearing
Gothic names. In some cases however we do get to know the office or status
of such persons, and in the Ostrogothic kingdom there were positions that
were typically held by Goths and their associates, such as military service, ad-
ministrative supervisors, aristocratic comités, Arian clergy, court nobility and
high standing functionaries, and such police-like officials as the saiones.3
Generally speaking, Arian believers can also be expected to be of Gothic
1 The personal names here mentioned are recorded in the following historical
sources: Italian 6th-century papyri (ed. Tjader and Marini); inscriptions published in
CIL, 1LCV, Rugo, Fiebiger, Mastrelli, Bierbrauer and Donati-Susini. Latin authors:
Orosius’ Historiae, Cassiodorus’ Variae and Chronica, Jordanes’ Getica,
Anonymus Valesianus, Marcellinus Comes, Gregory of Tours’ Historia
Francorum, Flodoard of Reims; Epistolae of pope Gelasius and Pelagius I,
Epistolae of Avitus of Vienne, Ennodius’ Epistolae and Panegyricum, Gregory the
Great’s Epistolae and Dialogi; Continuatio Havniensis. Greek historians: Proco-
pius' Bellum Gothicum, Malalas’ Chronographia, John of Antiochia’s Chronicle.
According to the edition of Jan-Olof Tjader (1954-1982), the two legal deeds were
written down in Faenza in 538 (Tjader f8, the so-called „Arezzo deed“) and in
Ravenna in 551 (Tjader P34, „Naples deed“). Their previous edition was by G.
Marini (1805) and the first linguistic study by H.F. Massmann (1838); cp. P.
Scardigli 1973. About their Gothic names see also H. Penzl 1977 and N. Francovich
Onesti 2005.
1 Amory 1997, p, 348.
45
descent or members of the Gothic-led group, with the possible exception of
few converted Romans. In any case the Arian clergy was normally of Gothic
culture and language.4 *
Generally, in Italy Gothic personal names are linked to the Goths, as
Romans do not seem to have employed Gothic names at all (Lazard 1973, p.
14). The attitude of Ostrogoths was at times incongruous and uneven: on the
one hand they tended to stick to their own traditions and to the Arian faith; but
on the other they were also attracted by Roman culture and classical name-
giving practices, showing sudden interest in local ways and habits, eventually
to return, during the Gothic war, to their national heritage/
2. Non-Gothic names among the Gothic-led ruling group
While Romans do not seem to have had Gothic names, it is interesting to
observe that some supposed Goths had a name of non-Gothic origin; as
Wagner (1997) pointed out, in the group of the Ostrogoths in Italy there were
people with biblical, Latin, Greek, Alan and Thracian names (like Danihel,
Candacis, Paria and Tzittane). Many eastern onomastic types were brought
over into Italy from the Balkans; the examples are as follows: we find for
instance in Classe in 541 the Arian priest Cristodorus, who was the father of
the cleric Minnulus-Willienant, a lector in the Arian church of St. Anastasia in
Ravenna.6 He bears a Greek religious name meaning „Christ’s gift“. This kind
of names of eastern Christian origin were not rare among the Arian believers;
a good example is that of Andreas the apostle, worshipped in the Black Sea
area, whose name was rather popular among the Ostrogoths.7 * It is interesting
that Cristodorus gave his son, probably born in Italy around 510-520, a natio-
nal Gothic name like Willienant. This same Willienant had also the familiar
nickname of Minnulus (for which form see below, § 2.2.). Also the supposed
Gothic historian Ablabius bears a Greek name/ In 541 Eraric, king of the
4 In Ravenna in 551 (papyrus Tjader P34) there were a few Arian priests with Latin
names, who could have been either Romans who had converted or, more probably,
Goths with religious Christian names such as Petrus, Paulus and the like.
Lazard 2002, p. 1217.
6 ,films qd CristodorP in the papyrus Tjader P33; for the position of his son
Minnulus see also Tjader P34. See further Lazard 1991, p. 120, 129.
An Ostrogoth named Andreas, also called Ademunt, was recorded in Ravenna in the
year 553 (Tjader P13); another Andreas in 572 at Ravenna was the son of the late
Lucerna (Tjader P35).
Jordanes, Getica 4: et in priscis eorum carminibus pene histórico ritu in commune
recolitur: quod et Ablabius descriptor Gothorum gentis egregius verissima adtesta-
tur historia. 14: Ablavius históricas referí. 23: Ablavio histórico referente.
Although this may be a fictitious character, Jordanes uses this name for the alleged
historian of the Goths.
46
Ostrogoths (himself a Rugian), sent a certain Caballarius as envoy to
Constantinople, having chosen him „among his most intimate and loyal
friends“ (Procopius Bell.Goth. Ill 2,16). According to Tjader and Lazard there
is a possibility that a certain Latinus, vir honestus, witness in a document of
539, might be an Ostrogoth with a Latin name, but in my opinion the evidence
is uncertain.v It is quite probable that Petrus and Paulus, two Arian priests
mentioned in the bilingual papyrus of 551, were Goths with Latin religious
names.9 10 11 12’
Further, there is in 514 a Gothic comes called Petia (ace. Petiam, in Cont.
Havniens. I, 331): a name of Greek origin, like Pitza, Pitzia, and probably
Pitione. Both Pitza and Pitzia are recent variant renderings, with -tz-, -tzi-, and
the -ti- of Petia, of forms corresponding to the classical Greek spelling -0i-.u
The name Pitione belongs to this group too.1- Finally, the difficult name Piss a
could be probably explained as another form of the same Greek name Pitzia,
equally treated like a Gothic hypocoristic.13
A saio with the Alan name of Candacis is mentioned by Cassiodorus
(Variae I 37, years 507-511 ).14 He could have been an Alan associated to the
Ostrogoths or a Goth with an Alanic name; such a case would not be isolated,
as there was at the end of the 5th century a Goth belonging to the Amal clan,
called Gunthigis Baza, whose second name was Alanic (Jordanes Get. 51).
9 Tjader P30, I, 1955, p. 56, 260-61; Lazard 2002, p. 1208. The assumption is based
on the reading lec Latinus vh, interpreted as Goth, ik ,ego, I, Latinus v(ir)
h(onestus)’ with a unique Gothic pronoun included in the Latin text. But the two
letters of [l]cc are not clear at all (see picture in Tjader 1954), besides the fact that
the name does not belong to a list of signatures beginning with Ego... The older
edition (Marini 1805) read cl (=Claudius).
10 Tjader P34; Lazard 2002, p. 1211, n. 26.
11 nii^ac;; was a Goth who surrendered to Belisarius in Samnium in 536 {Procopius
Bell.Goth. I, 15). Pitzia, -ae was the famous comes and general that fought against
the Gepids at Sirmio on the Danube in 504-514 (Ermodius Paneg. XII; Cassiodorus
Variae v29); he is also referred to as Petza nom., Pitzamum ace. in Jordanes Get.
58. All these are related to the Greek name FluOiag, and assimilated to Gothic
masculine hypocoristics ending in ~a (cp. Goth. Gevica, Sibia, etc.).
12 Pitione (abl., papyrus of about 600 AD, Marini no. 124) was a vir honestus married
to Petronia. In this case the name has been strongly romanised and inflected
according to the Latin pattern in -o, -onis (Pition- < *Pitzian-). Such a high degree
of Latinisation can easily be due its late date.
13 fUaaav (acc., Procopius Bell.Goth. 116) was a Commander in Perugia under king
Vitiges in 537; his name could also be compared to the Lombard Pissa, in turn of
obscure origin, recorded in the Historia Langobardorum Codicis Gothani (early
ninth Century).
14 Amory 1997, p, 368.
47
But there are other Alan names to be found in Ostrogothic Italy. One is
Parianis, genitive of Paria, who was the husband of a Gothic woman named
Tulgilo (Ravenna 539, Tjader P30)." It is quite possible that some Alans, or at
least persons with names of Alan origin, had associated with the Goths on
their way to Italy.16 Although Paria is not a Gothic name, it is assimilated to
and treated like a Gothic hypocoristic weak form ending in -a in the nomina-
tive, -an- in oblique cases, and then inflected according to the third Latin
declension like the Gothic names Annanis, Mannanis, Triwane, etc. (see § 3.3.).
Then we find a certain Patzenis (genitive of *Patza), a military man
married to Regina, in the years 523-526 (Cassiodorus Variae V 32, 33). This
too is an Alan name,1 and it underwent the same process of gothicization and
of morphological latinization. His wife, who had the Latin name of Regina,
was implicated in a case of adultery with the Goth Brandila, in turn married to
Procula. Such couples with Latin and non-Latin names lead us to think that by
this time mixed marriages could have begun to take place in Ostrogothic
Italy.18
Another saio had the Hunnic-likc name of Tutizar (Ravenna a. 508-511,
Variae IV 27). Finally, three people with the Thracian name Tzittanis, Zittane,
Tzittani are recorded in the late 6th Century, and a couple of these could have
been Byzantine functionaries.* 14 This name is gothicized as a hypocoristic form
ending in -a and then inflected in the third Latin declension.
2.1. Names of different traditions in the same families
We begin by mentioning married couples with heterogeneous names, one
Gothic and the other of different origin. This does not mean much about
name-giving practice of this period, but it may suggest that possible mixed
marriages were not infrequent; although we must be well aware that name
types do not necessarily go together with ethnic origins. In any case we list
here the possible mixed couples as they are recorded in our sources.
A woman with the Gothic name of Tulgilo was married to Paria, -anis (see
|s Another Alan called Paria was Jordanes’ own grandfather, who must have lived in
the second half of the fifth and early sixth century (Jordanes Get. 51).
,f' Heather 1996, p. 166, further says that when the Goths left their homes on the
northern coast of the Black Sea, „they took with them large numbers of subordi-
nates, who, as slaves or freedmen in permanent dependence, actually comprised a
majority of the population, at least among the sixth-century Ostrogoths.“
' To be compared to Iranian ndxiag; (Maenchen-Helfen 1957, p. 281).
Ix Moorhead 1992, p. 85.
14 Tzittanis: Tjader P38-41; Reichert I, 730; Wagner 1997, p. 53. Zittane: Classe
(Ravenna) year 591, Tjader P37. Tzittani: Albenga (Liguria) 568; CIL V 7793,
Reichert I 730.
48
above § 2.),2(1 who died before 539 (Tjader P30, Ravenna a. 539). They had
two children with the Latin and Greek names of Domnica and Deutherius
respectively, which could possibly mean that by this time their family had
turned to religious orthodoxy and forsaken Arianism.
Around the year 500 we find the names of Valatru and Stefani engraved on
a gold wedding ring from the treasure of Desana.20 21 The husband’s name, in
the genitive, is Roman, while Va/atrv is a shortening of the Gothic feminine
name Valatrud(is). Cassiodorus mentions two couples in the period 523-26:
Procula and Brandila, Regina and Patzenis ( Variae V 32, 33). In this case we
may note that both women bear a Latin name, which is fairly common among
mixed marriages; so for example we see Honorata and Tzittani (inscription of
Albenga, 568, see no. 19), Antonina and Amara (inscription of Grado [Friuli-
Venezia Giulia] year 579, CIL V 1583), Rusticiana and Tzittane (Classe
[Ravenna] 591, Tjader P37), and Pitione's wife Petronia (Ravenna 600 ca.,
Marini no. 124). In contrast, we find wives with Gothic names: Hildevara,
married io Johannes (Classe 523; Marini no. 85), the above mentioned Tulgi-
lo, Tucza wife of Massimino (Rieti a. 559, Pelagii I epist. 63), and Sifilo,
married to a certain Bilesarius (Ravenna 555, Tjader P9). It is not always the
case that such mixed couples appear in our sources at a late date, about fifty
years after the end of Gothic rule in Italy.22 We notice a slight majority of
Latin names among women, as in the family of Amara and Antonina (see
below), although the total number of these couples is too limited to allow any
generalization. It is indeed possible that wives were chosen from among the
Romans, if migrating groups initially counted more men than women in their
forces.
However, name-giving in many cases depended on religious attitudes, as in
the case of Willienant’s family: his father Cristodorus was an Arian priest,
and his cousin Anastasia too had a Greek religious name belonging to the
eastern Arian tradition the Ostrogoths had brought over into Italy.2’ We have
already seen the family of Tulgilo and Paria, with their children Deutherius
and Domnica. The above mentioned Amara and Antonina (Grado 579) had
two daughters with the Latin names of Haelia and Mellita. In Ravenna a cer-
tain Montanus, who in 540 had been a notarius under king Vitiges, had a son
Eusebius who had the additional Gothic name of Riccitanc.24 At such a late
date the names of new generations could have been influenced by historical,
political and religious change.
20 Wagner 1997, p. 50, 53.
21 From the site of Desana (Vercelli), today in Turin, see Bierbrauer 1975, p. 279, tav.
XII 7.
22 Lazard 1991, p. 121.
23 See Lazard 2002, p. 1215.
24 Tjäder P6, year 575, and Tjäder II, 1982, p. 278 (note 15) and p. 345.
49
We find a certain loannes in Catania, son of Ustarricwho had been
given a Latin name although his father bore a Gothic one. The father of pope
Pelagius II (579) was called Winigildus. In the epitaph of Dumilda (Rome,
year 531) we read that her son had the classical name of TheodosusThe
conies Gattila gave the Greek name of Agate to his daughter.' In a papyrus
from Ravenna (Tjader P35, year 572) we read that Andreas and Vitalis were
the sons of the late Lucerna: the latter could be a Latin name, though very un-
usual for a man; he must have been bom during the Ostrogothic period, and
his name adapted to the pattern of Gothic hypocoristic masculine forms
ending in -a.2* When sons have different names from their fathers, it does not
necessarily mean that they were children of mixed marriages, since other
reasons such as political and religious circumstances seem to have been just as
compelling in the name choice.
2.2. Double names
In sixth-century Italy, when many of the Ostrogoths must have been bilingual,
a few persons appear to have had also a Latin or Greek name beside the
Gothic one. For example Ademunt, son of Aderit and brother of Ranilo, was
also called Andreas (qui et Andreas appellatur, Tjader P13, Ravenna A.D.
553). It should be noted that both his names, the traditional Gothic and the
religious one, alliterate with his father’s name Aderit. The Goth Igila, be-
longing to the Arian clergy of St. Anastasia in Ravenna, had Danihel as a
second name (Ravenna 551, Tjader P34), probably chosen for his Biblical
value, since Daniel was a figure worshipped among the Goths. Religious im-
plications also lie behind the second name of queen Ereliva, Theoderic’s
mother, who took the name of Eusebia as she turned to orthodoxy.2g The
Ostrogothic princess Ostrogotho, Theoderic’s daughter (480 ca.-522), was
also called Ariagne, a Greek name in honour of Zeno’s wife, the empress
Ariadne under whose protection she initially lived. Her Gothic name on the
other hand celebrates her nation and royal descent. Another pre-eminent figure
that was included in the Arnal dynasty was Theoderic’s son-in-law Eutharicus
Cillica (515-523, consul in 519)25 26 * * 29 30 who was given the Roman title of Flavius.
25 +Hic reqviescit loannes fil Vstarric... (sixth Century inscription, CIL X, 7116).
26 Reichert I, 241.
" Milan, 512: Hie reqviescit in pace Agate filia comites Gattilanis... (CIL V 6176;
Rugo V, 33).
s Tjader II, p. 347, thinks he is a Goth. His name could be a re-Latinization of Goth.
lukarn damp, light’, in turn a Latin loan-word (see § 5.).
29 Anonymus Vales. 14.
'(l Amory 1997, p. 456.
50
His principal name is Eutharicus, Cillica being a sort of familiar epithet, and
Flavius an honorific Latin title; the entire series is possibly meant to recall the
ancient Roman three-name solemn onomastic forms. But generally the double
names we find among Italy’s Ostrogoths in this epoch rather result from
adding to a normal, more official personal name, either a denomination
suggested by religious or political occasions, or a familiar nickname.
Even outside the royal family and the clergy, people could have double
names: e.g. Riccitanc, vir clarissimus of Ravenna (Tjader P6, year 575) was
also named Eusebius, a Greek name meaning ,pious’.31 32 33 He was the son of a
Goth named Montanus (see above § 2.1.). The Arian ,spodeus’ Willienant of
the Gothic church of Ravenna, son of Cristodorus, had the familiar nickname
Minnulus (Tjader P33, P34, year 541-551; see note 6). This could well be
derived from the Gothic stem minn- ,little’ (Goth, minniza Jess, minor’), but
certainly was formed with the Latin diminutive suffix -ulus, besides the fact
that the root itself was ambiguous, reminiscent also of the Latin adjective
32
minor.
3. Latini/ation of Gothic names
3.1. Latin spellings
It is interesting to observe how Ostrogothic names were written in the Latin
sources through which most of them were handed down to us. It is even more
interesting when we have the same names and persons recorded both in the
Latin and in the Gothic form and writing. This is the case of the bilingual
papyri of Naples and Arezzo, containing six such names. ” In the so-called
Naples document (Tjader P34, written at Ravenna in 551) we find that the
Gothic name Merila (in Gothic letters) is rendered as Mirica in the Latin part
of the text. Let alone the different suffix, we see that Latin <i> here corres-
ponds to Goth. <e> [e] (< Germc. *merja- ,famous’). In the so-called Arezzo
deed (Tjader t8) we find the Latin letter <u> for Goth. <o> in Alamud, corres-
ponding to the Gothic form Alamoda (ibidem, a name formed with Goth.
mops ,anger, courage’). The same <u> spelling is common in the Latin
rendering of Goth. <o> in names like Ebremud, Rosemud, Guda, Gudila (<
Germc. [o]). Such Latin spellings indicate the Late-Gothic raising of the Bible
Gothic long vowels [e, o].34
Another revealing spelling is Latin <e> for Goth. <ai> (< Germc. *ai), as in
the names Gesila (Variae, IV 14) and Gesimundo (Jordanes Get. 48), from
31 Tjàder II, p. 278, note 15, and p. 345.
32 Francovich Onesti 2005, p. 10, 23. See § 5. below.
33 Tjàder f8 (538), P34 (551). See Francovich Onesti 2005.
34 Wrede 1891, p. 161,164; Penzl 1977.
51
Germc. *gaiza- ,spear’. But a century earlier the name of the Gothic leader
Rada-gaisus (year 406) was written with <ai> in contemporary Latin
sources. " The original <au> is seldom preserved (Meribaudo, Raunis,
Bautone), usually we find Lat. <o> (Rosemud, Ostrogotho, Osuin, Oderic,
Oderit, Odoin, Oduulf) and in a case the late variant <u> (Ustarric).ib
On the other hand, Gothic short vowels [i, u] were often Romanized as <e,
o> respectively. Thus we find such alternating forms as Ardeca and Ardica
(Tjader P43), Fili- and Feli-thanc (Tjader P13), Gevica and Ghiveric,
Giberit.' The same letter exchange in Mathe-suentha (Jordanes) and Atnala-
suintha (Cassiodorus), in the name Seda (< Goth, sidus ,habit’)* 36 37 38 and in
Sende-fara (Rugo V, 149) formed from the same root as Sindi/a (Tjader P34).
Examples of Gothic short [u] rendered with Latin <o> are: Droct-arius (<
Germc. *druhti-), Optarit corresponding to Gothic Ufitahari (< Goth, ufta
,often’), Gomoverda (< Goth, guma ,man’),39 40 etc.
Optarit is also an example of the frequent loss of internal -h- in Romani-
zation, other examples being Droct-arius, Wili-arium, Gunt-elda, Gundi-ildi,
Ranilda. Initial h- is also frequently dropped in Latin writing, as in the Gothic
names Ariver, Arigemusw
In Latin sources sometimes a <z, tz> spelling occurs in Gothic personal
names. It could represent Goth, [-tj-] in such names as Mazenis (Variae I 5, <
Germc. *matjan- ,to eat’) and perhaps in Sitza, Sitzane (Tjader P49, if < Goth.
*sitjan- ,sit, inhabit’). This might be the result either of Late-Latin pronun-
ciation of Gothic names,41 or of Gothic internal development leading to a pala-
Reichert I 547.
36 Reichert I 505; Tjader P43; Reichert I 131, 575, 538, 528; Tjader P36; Reichert I
529, 533, 739.
37 Gevica in Ennodius Epistolae 3, 20 XC (year 504); Ghiveric, Giberit in papyrus
Tjader P43 (year 542).
38 Inscription of 541, Ravenna: Seda cubicularius regis Theoderici (Rugo III, 27).
Droctarius from an inscription of Ivrea (525-545; Rugo V, 151); Lat. Optarit =
Goth. Ufitahari (both in Tjader P34); Gomoverda: inscription from Imola (Donati-
Susini no. 3-4).
40 The four masculine names are formed with Goth, harjis, respectively on an inscrip-
tion from Ivrea (Rugo V, 151), in Cassiodorus’ Variae V 23, inscription from
Salona (Dalmatia, CIL III 9563), and Variae III 36. The three feminine names,
formed with Germc. *hildi- ,battle’, are recorded on a Como inscription (Rugo V,
78), in Tjader P7, and in Variae X 26. Parallel variant spellings with h- are to be
found in the corresponding name forms Gundi-hildi (Tjader P7) and Rani-hildae
(Tjader P8).
41 In the sixth century Lat. -ti- had already undergone the affrication process leading
to [-ts-j. The Gothic transcription of the Latin loanword kawtsjon < Lat. cautio,
-onis (Tjader P34, year 551 ) is clear evidence for this; see note 49.
52
talized sound similar to the Swedish [t<p-] pronunciation in the modern
Swedish name Tjelvar < Old Swe. Thielvar [0j-]. Initially Latin Tz- can in
some cases correspond to Goth. [0j-] as in the names Tzaliconi, Tzalla (<
Germc. *pal- ,branch, shoot’),42 43 where we can assume a Romanized pronun-
ciation of the original Gothic fricative.
Alternating <b/v> spellings, common in Late Latin, also appear in the Latin
transcriptions of Gothic names; for ex. in Ghiveric, Giberit (same person, in
Tjader P43, year 542). This consonant was a voiced fricative [b] already in
Bible Gothic, represented by Goth. <b> as in giban ,to give’. From Latin
writing we can see that the second elements of Gothic compounds never had
an initial fricative, although the consonant is between vowels: Heldi-bado,
Amala-berga (in contrast to Ostrog. names like Sive-gerna, Gude-liva with
internal -v- < Germc. *sibjd, *leubd).4i This is an important indication that
Gothic was still fully aware of compounded forms, preserving the initial stops
of second elements. A similar situation is to be found for initial voiceless [0-],
retained in Amala-theus, Inni-thivei, Fili-thanc, Ricci-tanc, Wili-tanco, etc.,
and contrasting with internal voiced [d, 6] in Sindila, Gudi-nando, Fridi-
badum, Amala-frida, Ricci-frida, Theudila, etc.44 The evidence of Gothic
spelling in common lexemes also confirms this, because compounds are
always neatly divided in Bible Gothic, as in the words piudan-gardi (not
<Jmidaggardi>), in-kunja (not <igkunja>), pairh-wisan (not pairhisan), etc.
And our Gothic manuscripts were actually written down in sixth-century Italy.
Romanised writing is also characterized by -pt- for Goth, -ft-, as in the
name Optarit corresponding to Goth. Ufita-hari (both forms in papyrus Tjader
P34 of 551), in turn from Goth, ufta ,often’. In this particular case the Latin
form could also have been influenced by Lat. optare, optimus. A similar result
can be observed in the Burgundian name Trapsta (cp. Goth, prafstjan ,to
console’).45
It is in a Gothic name that an entirely new spelling occurs for the first time
in the history of late and medieval Latin: the Ostrogoth Ghiveric is mentioned
in a Ravenna papyrus of 542 (Tjader P43, variant form Giberit). Here the
foreign name is the occasion for introducing a new graphic device: <gh> to
express [g] before [i] that would not otherwise show up so easily in the
traditional and standardized writing of Latin words. This new graphic usage
42 In Tjader P49 (year 557) and Pope Gregory’s Dialogi II, 31 respectively. See
further Wagner 1997, p. 53.
43 Names respectively in Marcellinus Comes a. 541, Jordanes Getica chapter 58,
Galognano inscription (Mastrelli 1977) and Cassiodorus Variae X 21.
44 Reichert I 43; Donati-Susini 1979; Reichert I 271; I 566; I 780; I 611; I 392; I 290; I
39; Tjader P43; Tjader P34.
45 Trapsta Burgundio (year 523), in a Latin source of the 8th century; Haubrichs,
Burgundian Names, no. 302.
53
was to develop in later centuries and become common in Italian writing. In the
very same document we find another interesting spelling in the name Raugnes
gen., variant form of Raimis, both rendering Goth. *rauneis (< Germc.
*raunija-z ,challenger’),46 The alternating <gn>/<n> may indicate a Roma-
nized pronunciation of the Gothic name, with a palatalisation of the original
cluster [-ni-/—nj —]. Finally the name Guiliarit is recorded on an inscription
from Capua (year 533, CIL XI 941), with the typical latinisation of Goth, [wi-]
into gui-; this is no novelty, the gui- adaptation being common in the Latin
world.4
3.2. Latin graphic influence in Gothic manuscripts
Also in Gothic core vocabulary words, outside personal names, there are
traces of Latin interference especially with spelling habits. Almost all our
extant Gothic manuscripts were produced or copied in Italy during the sixth
Century; the Ostrogothic scribes were often bilingual and could also produce
very good copies of Latin texts.4s It is therefore no wonder that some Latin-
influenced spellings appear here and there in Gothic texts. We notice for
example that sometimes a Latinized <i> is introduced for Goth. [T] instead of
Wulfilian <ei>, as in gabigs ,rich’ (10 times) for gabeigs, and its derivatives
gabigjan, gabignan. Another example is Goth, laisaris ,teacher’ (Lc 6.40) for
laisareis; and silubrinaize ,silver coins’ (Mth 27.3) instead of the regular
Gothic spelling silubreinaize. A similar substitution can also be observed in
some cases where an <o> Stands for Goth, short open [o] instead of Wulfilian
<au>: Antiokja (Gal 2.11) for Antiaukia, diakon nom. (papyrus Tjader P34,
line 94) for diakaunus, diakona dat. sing, (ibidem, 1. 95) for *diakaunau.
Another clear Latin influence on Gothic spelling is the occasional presence of
<ng>, <nk>, <nq> for Goth. [r)g], [r)k], [rjkw], instead of regular Wulfilian
spelling <gg> <gk> <gq>. Examples are bringing (Lc 15.22), bringandans (Lc
15.23). fjank (Lc 17.9), pankeilb (Lc 14.31), inqis (Lc 19.31) from Codex
Argenteus, and from the papyri: unkjane ,ounces’ (Tjader f8) and the
confused but revealing variant form [sjkilligngans ,solidi, shillings’ (Tjader
P34, line 137) next to correct skilliggans (11. 91,95, 126).* 44
46 Francovich Onesti: ..Nomi gotici rari o poco noti“ (forthcoming).
4 An early example is to be found in Vandal Africa: the Vand. name Guiliaruna from
Hippo Regius (second half of the fifth century; Francovich Onesti 2002, p. 160).
4S Outstanding examples are the 6th-century MS. of Orosius’ Historiae now in
Florence (Biblioteca Mediceo-Laurenziana, cod. LXV, 1) confectus by the excellent
magister Uiliaric antiquaries; and the Codex Brixianus, which probably issued
from the same scriptorium where the Codex Argenteus was produced.
44 In the case of unkjane and diakon the blur was further favoured by the fact that
these were two Latin loan-words in Gothic. In the same Ravenna document of 551
(Tjader P34) another Latin loan-word occurs: Goth, kawtsjon (< Lat. cautio, -onis),
54
3.3. Inflections
Many Gothic names from 6th-century Italy are not inflected at all, as for
example the masculine forms Beremud, Du merit, Hosbut, Riccitanc, Uiliaric,
etc. When inflected, in Latin texts they are usually adapted to Latin
declensions in the following way: masculine compounds normally follow
either the second (Eutharicus, Aligerno, Gudinando) or the third Latin declen-
sion (Sigismerem, Vithimiris). Gothic monothematic and hypocoristic mascu-
line forms ending in -a tend to be inflected according to the first Latin declen-
sion, especially in Cassiodorus (Alla, Annae, Bledam, Dudae, Soria, Teia, -ae,
IViliae, etc.). But Gothic weak forms follow the third Latin declension often
preserving -an- as in Armanis, Mannane, Oppane, Quidilanem, Tancane,
Tatanem, Verani, Costila, -ilanis, Sindila, Sinthilanis. Less frequently a few
more Latinized forms appear, ending in -o, -onis (especially in the texts of
Ennodius) like Boioni, Faffone, Tremonem. In some cases, especially in the
Latin of Cassiodorus, Goth, weak stems show unusual Latin endings that may
reflect the original Gothic declension: gen. Cessinis, Mazenis, Patzenis, acc.
Waccenem (Cassidorus)/0 This adaptation to nasal stems takes place only in
Latin, never in Greek. We must further note that among masculine names the
weak declension is never used for full compounded forms (so we have for
example Aliconi on one side, but Sunie-fridus on the other). It should be noted
that the name forms present in Cassiodorus’ texts may reflect his close links
with the royal court of Ravenna, and, in general, that Latin seems to reproduce
Ostrogothic forms and inflections more faithfully than Greek.
Feminine personal names may still show the old Gothic ending -o (as in
Giso, Ostrogotho, Thiudigotho)-, and diminutive names formed with the Goth,
fern. Suffix -ilo are always inflected as nasal stems in the Latin third declen-
sion: Ran Hone, -onis, Sift lone, Thulgilo, -onis, -onem, -une (in Greek letters
©oppiAaovai abl., see § 4. below). Compounded feminine names most often
enter the first Latin declension: Gomoverda, Hildevara, Ranihildae, etc.
Sometimes Germc. *-jo stems (> Goth. -/') keep the original ending, as in
Gundihildi, not following any Latin inflection.
that like unkjane is not recorded elsewhere; it seems to be a late borrowing from
Italy’s Latin, showing the affrication of Lat. -ti- > Late-Lat. [-tsj-]; see note 41. In
the Arezzo deed (Tjader f8) there is also a unique Gothic loan-translation:
frabauhtaboka, modelled on Lat. charta venditionis.
" Gothic masc. weak stems had the following endings: nom -a, gen. -ins, dat. -in, acc.
-an. Remarkably, their adaptation to this particular inflectional pattern (-inis, -enis,
-enem) is found only in the Latin of Cassiodorus and in one papyrus document
(Cessinis in Tjader P43, Ravenna a. 542), and in no other text.
55
4. Greek rendering of Gothic names
In some of the papyri a few parts of the Latin text are written in Greek letters.
Here some of the Gothic names are represented in a very inaccurate way like
Napdepp for Nanderit (gen. masc., Ravenna 575, Tjader P6), 0opPiXiovai for
Tulgilune (abl. fern., Ravenna 539, Tjader P30). Such transpositions of
Gothic-Latin into Greek letters have nothing to do with the usual rendering of
Gothic names in Greek sources; the above forms are not very significant,
except for representing Lat. -e with Gr. -ai, and Lat. -i with Gr. -p-.
Usually Greek texts have their own spelling habits. For example they tend
to render Goth, [wi-] with simple initial ou-, as in OuAuav for Wilia
{Bell.Goth. II 7), OuAaapic; {Bell.Goth. I, 3 = Viliarid Marcell.Comes a. 542).
Such a Greek graphic model must have influenced the name form Adiut (Rieti
557, Tjader P7), better explained as *Adi-uit.'] In some cases Greek can even
show initial Oui- as the name of king Oinmyu; (= Witigis); only in Greek does
this name show double -tt-.51 52 53
In the bilingual papyrus of 551 (Tjader P34) there are two Gothic name
forms that seem to follow Greek patterns. One is Sunjaifripas (in Gothic
letters) with final -as as in ApaXacppida^, Theoderic’s grand-nephew
(Procopius Bell.Goth IV 25 = Lat. Ilamalafredus) ' The other is Optarit, the
romanized form of Goth. Ufitahari (see above § 3.1., note 39); the confusion
that produced -rit for Goth, -hari (< *harja~) is due to the Greek inflectional
model of Goth, names like OuaXapi^, gen. Oua^apidoc;, where the nominative
form in itself could represent either Germc. *harja (> Goth, harjis) or *reda-
(> -rith).
The name of one of Totila’s comites was Blidin in the Latin of Gregory the
Great (Dialogi II, 14), BAidav in Greek (accusative, Procopius Bell.Goth. Ill
5). This certainly recalls the Hunnic name Bleda, Attila’s brother; but it can
also be explained as a hypocoristic Gothic form from Germc. *blldja- ,glad,
blithe’ (> Goth, bleips, ON blipr, OE blipe) with the usual East-Germc. -a
ending. In this case the final -in of Blidin could be due to a transcription of the
Greek accusative form *BA.pdpv; and it would not be the only case where
pope Gregory follows Greek models in rendering Gothic names.
From a morphological point of view, Latin seems to represent Gothic in-
flections in a closer and more faithful way than Greek does. The major
difference is that Greek fails to reproduce Gothic weak stems, while Latin nor-
mally inflects them as nasal stems according to the third declension (for
51 Arcamone 1990; the second element of this Gothic compound could either be
Germc. *wlti- ,struggle, revenge’ or *widu- ,wood’.
’2 Then a Greek graphic influence could be responsible for the form Vitterit for Viterit
(Tjader t8).
53 Arcamone 1990, p. 411; Reichert I 40.
56
example Costilanis, Anilani, Aliconi, Ranilone). All Gothic masc. hypo-
coristics ending in -a take the Greek -as ending, like Dodaq (Hosdas nom.).
Goth. *Wakjis (< *wakja- ,awake, healthy’) appears as Oimxkic; in Procopius,
while the corresponding weak form is only recorded in Cassiodorus’ Latin
(Waccenem acc.). 4 Weak stems are never inflected as Greek -n stems accor-
ding to the expected third Greek declension. As to Gothic names formed with
-gis (like King Witigis and Sisigis, an army man in 540), Greek texts treat
them in an unusual way: nom. OiHmyfc;, gen. OmrciySoc;, dat. Oumiyidi, acc.
Ouiiiiyiv; nom. Lioiyu;, dat. Iiaiydt, acc. Eictyiv (Procopius). Thus we can
say that, generally speaking, Latinisation reflects Gothic name structure more
closely; and in a sense this should be no surprise, since the Latin milieu and
the Italian territory was where the Ostrogoths had actually settled for long
decades, and where the two languages had been in contact, establishing lin-
guistic exchange in both directions.
5. Mixed personal names
Very seldom do we find mixed Latin-and-Gothic forms among the personal
names of Ostrogothic Italy. True hybrid compounds, comparable to Lombard
Boni-frid, are not recorded. Sometimes a Latin stem is employed in Gothic
hypocoristic forms, as in the case of Bonila (Ravenna 552, Tjader P4-5), a
masculine name derived from Lat. bonus ,good’ with the Gothic diminutive
suffix -ila; this seems to parallel the entirely Gothic name Gudila (< Goth.
gods ,good’). Two Goths mentioned by Procopius were called Mcbpac;,
{Bell,Goth. II, 11; II 19, in 538) and Moppac;, {Bell,Goth, IV, 26, in 552); such
names result from ,Gothicization’ of Lat. maurus ,moor, dark’, one of the
earliest Latin adjectives to be borrowed and employed in Germanic
anthroponomy. Here the Greek nominative ending -5 is added to the final -a
typical of Gothic diminutives (see above § 4.).
In some cases names were formed with ambivalent themes, that could
recall either Latin or Gothic words. For example Minnulus, Willienant's nick-
name (see above § 2.2.), is clearly formed with the Latin suffix -ulus applied
to a Goth, stem minn- ,little’ (> Goth, minniza ,lesser’), a root that could also
echo the Latin adj. minor ,lesser’. Such forms imply a certain degree of bi-
lingualism among the Ostrogoths of mid-sixth-century Ravenna. Other names
too are apt to be meant, possibly intentionally, as either Gothic or Latin; for
example the name of vir magnificus Senario, one of Theoderic’s ambassadors
and comes patrimonii in 508 (Ennodius, Epist.; Cassiodorus Variae IV 3)
could be Latin, or even represent a Goth, compound (< Germc. *sena- ,old’ +
*harja- ,army member’). An equally double interpretation is possible for the
feminine name Livania: as an unusual derivative of Lat. Livia, or else of the
4 Respectively in Bell.Goth. I 18 and Cassiodorus Variae X 18.
57
Goth, weak adj. liub-an- ,dear’.55 The man’s name Lucerna (Tjader P35),
decidedly puzzling as a Latin masculine form, could be a Gothic name ending
in -a from Goth, lukarn ,light’ (in turn a loan-word from Lat. lucerna, fern.!).
The Ostrogothic Commander Markia (MapKia«; Bell.Goth. I 13) had a name
that could be interpreted either as Greek or Gothic (< Goth, marka ,border-,
woodland’ cp. the Goth, name Marcomirus), and even be influenced by Lat.
Marcus. We may then recall that Latin interpretations of Germanic names can
easily take place in late texts, as it was probably the case with Suavegotta
(504-554, daughter of the Burgundian king Sigimund and of the Amal
princess Ostrogotho),56 whose name was influenced, at least in its tenth-
century spelling, by the Latin adj. suavis ,sweet’, although it was formed with
Germc. *sweba- ,Sueve’ + *guto ,Goth’.5 Finally 1 would like to point out
that a name like Amala-theus (Ravenna 551, Tjader P34), although entirely
Gothic (< Ama/a- + *pewa- ,servant’), would surely have been conceived and
used in honour of the Amal dynasty and under their rule, that is during the
Ostrogothic kingdom, since this person must have been bom in Italy at the
beginning of the sixth century. So Amalatheus in a sense is significant for the
historical situation of the Ostrogoths in their new Romano-Gothic State under
Amal sovereignty.
Besides mixed forms like the above-mentioned Bonila (a Latin root with a
Gothic suffix), opposite formations with non-Gothic suffixes applied to
Gothic stems are as follows. The Latin diminutive suffix -ulus is not very
frequent, the extant examples being Minnulus (see above) and probably the
later form Gattulo (Norcia 603, Gregory the Great Epist. XIII 38). The latter
seems to be a latinized form of an earlier Goth. Gattila, -anis (comes in Milan,
inscr. of 512, Rugo V 33) showing the typical Gothic -ila suffix. A partially
Latinized form can be seen in the man’s name Costula (Cassiodorus Variae V
30), where the suffix -ula, although a possible variant of East-Germc. -ila, was
no doubt attracted by the corresponding Lat. form -ulus.
The Greek suffix -iakos is employed to create the epithet OuaXegcpiaicot; a
title given to Theoderic the Amal, according to Malalas (451, I), to distinguish
him from his contemporary Theoderic Strabo. It is derived from the Amal
dynastic name Valamer, which is also employed as Theoderic’s second name
(Theodoricus cognomento Valamer Marcell. Comes a. 482). The same Greek-
Latin suffix was applied to the name of the Vandal king Thrasamundus to
Inscription of Picenum (Fiebiger NF, 1939, no. 42; Amory 1997, p. 391).
56 From the 10th-century Chronicle of Flodoard of Reims, Hist. Rem. II, 1, p. 447.
Haubrichs (no. 290) explains the first element as ,of one’s own clan’, the compound
meaning ,Gothic by birth’, while Wagner 2006, p. 29-33, takes the adjective for its
ethnic significance (,Sueve’) because the Burgundian-Ostrogothic princess had a
Sueve great-grandmother from her father’s side, whose name could have actually
been ,Sueve-Goth’.
58
form the Latin adjective thrasamundiacus.5X
Thus, as we have seen, many types of contaminations between Gothic and
classical onomastics were created during this period, but they never attained
the stage of producing real hybrid compounds. Such hybrids were instead very
common during the last period of Lombard rule in Italy (the eighth century),
when prolonged contact gave life to many Latin-and-Lombard compounded
names such as Boni-pert, Dulci-pert, Lnpe-risi, Leo-pardi, Mauri-pert, Clari-
sinda and the like. The influence of Latin on Ostrogothic personal names was
of a rather subtler kind: we can mainly find it in graphic adaptations, in
morphological assimilation to Latin inflections, in the use of suffixes, in
changes in name-giving practices according to political and religious identity
claims and to social ambitions, in persons having double names, in the
different name-types in subsequent generations, in the use of ambivalent roots
that could meet the needs of a partially bilingual society; and it is, in general, a
slight Latinization that did not have time to develop into a more intimate ono-
mastic compénétration. Such a process was only at its start, and was indeed
suddenly broken off after the end of Ostrogothic rule in Italy (553 AD), while
some of the Gothic names still had a life of their own for a while, being used
in the area of Ravenna until the early seventh Century.59
In the verse of Felix (500 ca.), in Anthologia Latina, 212, 11. Francovich Onesti
2002, p. 143.
The latest example that I know of is the Goth, woman’s name WHileva (Ravenna
613, Tjader P28), cp. Lazard 1991, p. 129; Amory 1997, p. 439.
59
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Zusammenfassung
Lateinische (und griechische) Interferenzen im Spätgo-
tischen. Personennamen und andere Sprachzeugnisse aus
dem sechsten Jahrhundert in Italien
Der Aufsatz behandelt Fälle möglichen lateinischen (und manchmal grie-
chischen) Einflusses auf gotische Namen des 6. Jahrhunderts italienischer
Überlieferung. Die Analyse der überlieferten Quellen (Inschriften, Briefe, Ge-
schichtsschreibung, Urkunden, Grabsteine, Papyri usw.) erlaubt einige Fest-
stellungen über lateinische Interferenzen in der zeitgenössischen gotischen
Anthroponymie. Es existieren sowohl Personen vermutlich ostgotischer Pro-
venienz mit nichtgotischen Namen als auch Personen mit Doppelnamen, die
aus zwei verschiedenen Traditionen rühren. Über die graphische und phone-
tische Romanisierung gotischer Namen hinaus lässt sich zeigen, dass sie
häufig nach lateinischen Deklinationsmustern flektiert werden. Nur wenige
Fälle von gemischt lateinisch-gotischen Namen - mit einem lateinischen
Suffix an gotischem Stamm bzw. umgekehrt - lassen sich finden. Wirklich
hybride Bildungen sind aus dem zeigenössischen Italien nicht überliefert:
sechzig Jahre gotischer Herrschaft waren nicht ausreichend, um solche neuen
Kompositionstypen wirklich zu entwickeln.
63
Maria Giovanna Arcamone
Die Verteilung der Ortsnamen langobardischen Ur-
sprungs in den Regionen Italiens
Geschichtliche Quellen und archäologische Funde haben deutlich gezeigt,
dass fast die ganze Halbinsel Italiens in der zweiten Hälfte des sechsten Jahr-
hunderts durch die Langobarden erobert und besetzt wurde (Jamut 1982;
Menis 1990; Pohl/Erhart 2005; Haubrichs 2005). Man weiß auch, dass unter
dem Namen der Langobarden auch andere Stämme nach Italien eingewandert
sind, die mit ihnen einen Bund bildeten wie Alanen, Gepiden, Schwaben,
Sachsen usw. (Belli 2008; vgl. Abb. 1 Ethnika).'
Dazu muss gleich bemerkt werden, dass man lange geglaubt hat, es gäbe
langobardische Ortsnamen nur in Mittel- und Oberitalien, besonders in der
Lombardei, die auf Grund ihres Namens direkt an die Langobarden erinnert:
Man denke an Gamillscheg (RG II, K. II) und an einige Besprechungen
(Schützeichel 1970) des Nachdrucks des Werkes Die Sprache der Lango-
barden (1895) von Wilhelm Bruckner im Jahre 1969. Dagegen hatte schon im
Jahre 1963 der romanistische Philologe Francesco Sabatini auf die große An-
zahl von langobardischen Personen- und Ortsnamen gerade in Süditalien hin-
gewiesen.
Neben den geschichtlichen Quellen und den archäologischen Funden
existiert auch eine andere sehr wichtige Quelle, und zwar die italienische
Sprache selbst: In Bezug auf die Langobarden hat diese das große Verdienst,
der Schrein der langobardischen Sprache zu sein. Wie alle wissen, sind bisher
keine in der Sprache der Langobarden geschriebenen Texte bekannt, dagegen
bewahrt eben die italienische Sprache eine große Anzahl von Lehnwörtern
langobardischen Ursprungs, worunter Ortsnamen einen bedeutenden Platz ein-
nehmen (Bertoni 1914; RG 1935; Sabatini 1963; Frau 1969; Mastrelli 1973,
1983, 2001; Arcamone 1983, 1985, 1994, 2006a mit Bibliographie, 2007;
Zamboni 1994; Pfister 2004; Morlicchio 2004).
In der Tat hat man bisher mehr als tausend mit einem Etymon langobar-
dischen Ursprungs gebildete Ortsnamen in Italien entdeckt, viele sind schon
vor dem Jahre 776 in den Urkunden des CDL belegt:
Amiate (CDL II, Urk. 248, S. 325; heute Amiäta, Siena) a. 770 < *haimödi-
Avane (CDL I, Urk. 17, S. 48, usw.; heute Avana, -e, Brolio, Chianti, Siena,
siehe auch unten Leonis) a. 714 < *laihwna-
Brada (CDL III, 1, Urk. 33, S. 207; heute Breda (Breda Libera, Brescia) a.
760 < *braidö-
Chinzia (CDL II, Urk. 214, S. 239; Val di Cornia, Livorno) a. 768 < *gunthjö-
1 Alle Abbildungen sind von meinem Mitarbeiter Dr. Belli entworfen worden.
65
Fara (CDL lì, Urk. 162, S. 103; heute Forra, Gradisca d’Isonzo, Gorizia) a.
762 < *farö-
Fiuvvaida (CDL III, 1, Urk. 41, S. 242; Leno, Brescia) a. 772 (hier auch
arbores tecìatas, Gagio, Leonis, Praida etc.) < *fehu- + -*waithö-
Gagio (CDL III, 1, Urk. 35, S. 241; Leno, Brescia) a. 772 (siehe auch arbores
teclatas, Fiuvvadia, Leonis, Praida) < *gahagjan-
Gataria (CDL III, I, Urk. 22, S. 110; Piacenza) a. 747 < *wahtö~ + -ARIA
Gualdum siehe Uualdum
Gualdo {Novo) (CDL V, Urk. 100, S. 322; Rieti) a. 786 < *walda-
Guamum siehe Uuamum
Leonis locus (CDL III, 1, Urk. 41, S. 242; heute Leno, Brescia) a. 772 <
*laihwna- (hier auch arbores teclatas, Gagio, Leonis, Praida etc.)
Praida de Noventa (CDL III, 1, Urk. 35, S. 242; Reggio Emilia) a. 772 <
*braidö- (siehe auch Brada, Gagio, Leonis)
Panchule (CDL I, Urk. Ili, S. 320; Val di Cornia, Livorno) a. 754 < *banki-
+-ULAE
Pescia (geschrieben auch Piscia; CDL I, Urk. 80, S. 234; heute Pòscia,
Pistoia) a. 742 < *baki-
Pionte (CDL II, Urk. 206, S. 218; Pistoia) a. Ibi < *biwundö-
Sala (CDL III, 1, Urk. 4, S. 17; heute Sala Baganza, Parma) a. 626-36 < *sali-
Salisciamum (CDL II, Urk. 254, S. 337, usw.; heute Salissimo, Lucca) a. 771
< *sali- + -*haima-
Scragium, Sgragium (CDL II, Urk. 237, S. 303, etc.; Lucca) a. 770 <
*skragjan-
Stafula (CDL I, Urk. 18, S. 57; heute Staffar a, Pavia a. 714) < *stapala-
Teutpasciu (CDU I, Urk. 87, S. 255; Val di Cornia, Livorno) a. 746 < *theudö-
+ -*baki-
Uualdum (CDL I, Urk. 84, S. 249; heute Gualdo, Populonia, Livorno) a. 744
< *walda-
Uuamum (CDL I, Urk. 27, S. 100, usw.; heute Guamo, Lucca) a. 720 <
*(a)wjö- + -*haima- (auch Guamum)
Wie die Quellen beweisen, reichen viele dieser Ortsnamen in die langobar-
dische Zeit zurück; einige mögen dagegen von einem langobardischen Lehn-
wort in späterer Zeit gebildet worden sein, zumal wenn der italienische Orts-
name mit einem langobardischen Stamm gebildet ist, der auch als Lehnwort
im allgemeinen Lexikon weiterlebt, wie z.B. *braidö- > mundartliches it.
braida, breda usw., *gahagjan- > altit. cafàggio, Caio, gàggio usw.,
*skragjan- > altit. scheràggio, scragio, *walda- > altit. gualdo, mundartlich
auch vauda usw.: Alle sind doch Zeichen des starken Einflusses der lango-
bardischen Gesellschaft auf die mittelalterliche Entwicklung Italiens.
Wie ich schon in Uppsala gezeigt habe (Arcamone 2006a), kann man diese
Ortsnamen auf ungefähr sechzig sprachliche Stämme zurückführen: Sie ge-
hören den verschiedensten semantischen Feldern an, wie Siedlung (Amiàta,
66
Guanto, Fara, Perii ùscio, Sala), Grenzverteidigung (Aramo, Garda,
Scalcamo), Besitz (Cqfàggìo, Pionta), Landarbeiten (Proda, Scheràggio),
Gewässer (Gora, Péscia), Völkernamen (Alànno, Alàgna, Sassògna) usw.
Hier einige Beispiele von mit germanischen Stämmen gebildeten italie-
nischen Ortsnamen in ihrer modernen Form (Arcamone 2006a):
*awjö-, vgl. dt. Aue: Olgia, Novara (Annuario S. 776; Arcamone 2006a, S.
' 23)
*awjö- + -*haima-, vgl. dt. Auheim (Ortsname): (A)Guamo, Lucca (Annuario,
S. 561; Arcamone 2006a, S. 23)
*baki-, vgl. dt. Bach: Péscia, Pistoia und anderswo (Annuario, S. 835; Arca-
mone 2006a, S. 23)
*banki-, vgl. dt. Bank: Panca/Panche, weit verbreitet in der Toskana (Annua-
rio, S. 808; Arcamone 2006a, S. 23)
*bera- + -*laika-, vgl. dt. Berlich (Ortsname, Köln), Perlach (Ortsname,
Augsburg): Perilàscio, Parlaselo, weit verbreitet im langobardischen
Italien (Annuario, S. 812; Arcamone 2006a, S. 23)
*bindö-, vgl. dt. Binde: Bind-ella, Como (Annuario S. 183; RG il, S. 64)
*biundö-, vgl. dt. Beunde: Pionta, Bionda, Pistoia, Verona (Annuario, S. 183,
RG II, S. 64; Arcamone 1985, S. 403)
*braidö-, vgl. dt. breit: Braida, Breda, Bra usw., Norditalien (Annuario, S.
214-215; Arcamone 2006a, S. 23)
*burdön-, vgl. dt. Bord: Prota, Como, Massa (Annuario, S. 914; Arcamone
1985, S. 399)
*farö-, vgl. dt. Fahr (Ortsname): Faro, weit verbreitet (Annuario, S. 468;
Sabatini 1963, S. 147-153; Mastrelli 1973, S. 664-670; Arcamone 2006a,
S. 23)
*fehu-, vgl. dt. Vieh: Fi-òli, Tèramo (Annuario, S. 481; Pellegrini 1990, S.
220)
*fehu- + -*sali-, vgl. dt. Viehsal (Ortsname): Fisi/a, alt, Lucca (Arcamone
2006a, S. 24)
*fehu- + -*waithö, vgl. dt. Viehweide: Fiuuuadia, alt, Lucca, Leno (Brescia)
(Arcamone 2006a, S. 24)
*furkö-, vgl. dt. Furche: Forr-òttoli, Pistoia (Annuario, S. 500; Pellegrini
1990, S. 182)
*gadanja-, vgl. dt. Tenne: Fatano, Catallo, Pisa (Arcamone 2006a, S. 24)
*gahagjan-, vgl. dt. Gehege: Cafàggio, Gaggio, Gazzo, Caio, weit verbreitet
(Annuario, S. 236, 240, 515, 527; Mastrelli 1973, S. 653-660; Sabatini
1963, S. 184-187; Arcamone 2006, S. 24)
*gatra-, vgl. dt. Gatter: Cairo, Toscana und Korsika (Arcamone 1984, S. 406)
*guntjö-, vgl. dt. Günz (Flussname): Chinzia, nur alt, Chinzica, Pisa und Tos-
kana (Arcamone 2006a, S. 24)
*haimödi-, vgl. dt. Heimat: Amiàta, Meati, Lucca und Siena, Toscana (Annua-
rio, S. 107; Arcamone 2006a, S. 24)
*haldjö-, vgl. dt. Halde: Aidio, Lucca, Pisa (Arcamone 2006a, S. 24)
67
*harja- + -*banna-, vgl. dt. Heerbann: Erbanno. Brescia (Annuario, S. 459;
Arcamone 2006a, S. 25)
*harja- + -*haima-, vgl. dt. 0 (unbelegt): A ramo, Ramini, Pòscia, Pistoia
(Annuario, S. 118; Arcamone 2006a, S. 25)
*laihwna-, vgl. dt. Lehen: Leno, Lenno, Avane, Olèvano, weit verbreitet
(Annuario, S. 601, 602, 137, 776; Arcamone 2006a, S. 25)
*newja- + -*wardö-, vgl. dt. Neue Warte: Niguarda, Norditalien (Annuario, S.
761; Arcamone 2006a, S. 25)
*sali-, vgl. dt. Saal: Sala, weit verbreitet (Annuario, S. 992-993; Arcamone
2006a, S. 25)
* sali- + -*haima-, vgl. dt. Seelheim: Salissimo, Lucca (Arcamone 2006a, S.
25)
*skragjan-, vgl. dt. Schrägen: Scheràggio, Scraio, Florenz, Toscana, Kampa-
nien (Annuario, S. 1108; Arcamone 2006a, S. 25)
*skulka-, vgl. dt. 0 (unbelegt): Scidcola, Scürgola, Mittel- und Süditalien
(Annuario, S. 1109; Sabatini 1963, S. 143-144; Mastrelli 1973, S. 647-
653; Arcamone 2006a, S. 25)
*skulka- + -*haima-, vgl. dt. 0 (unbelegt): Scalcamo, Lucca (Arcamone
2006a, S. 25)
*snaidö-, vgl. dt. Schneide: Sinàita, Finàita, Nord- und Süditalien (Sabatini
1963, S. 197-198; Arcamone 2006a, S. 25)
*staina- + -*baki- vgl. dt. Steinbach: Stampescia, alt. Pòscia, Pistoia (Arcamo-
ne 2006a, S. 23)
stapala-, vgl. dt. Stapel/Staffel: Stàffoli, Stàffora, weit verbreitet (Annuario, S.
1149; Sabatini 1963, S. 187-195; Arcamone 2006a, S. 25)
*stöda- + -*wardö-, vgl. dt. Stuttgart: Stodigarda, Stoarda, Starda, Nord- und
Mittelitalien (Annuario, S. 1150; Arcamone 2006a, S. 24)
*sundra-, vgl. dt. sonder: Sondrio, Nord- und Mittelitalien (Annuario, S.
1137; Arcamone 1985, S. 404)
*tainjö-, vgl. dt. mda. Zein(n)e: Zana, Zannone (Bachnamen), Lucca, Pisa
(Arcamone 1985, S. 400)
*theudö- + -*baki-, vgl. dt. Dietbach (Ortsname): Teupascio, alt, (Al)To-
pascio, Lucca (Annuario, S. 105; Arcamone 2006a, S. 23)
*troga-, vgl. dt. Trog: Troghi, Florenz und anderswo, auch abgeleitete Formen
(Annuario, S. 1217; Mastrelli 1973, S. 660-663)
*\valda-, vgl. dt. Wald: Gualdo, Gallo, Vauda, weit verbreitet (Annuario, S.
560, 1249; Sabatini 1963, S. 171-184; Arcamone 2006a, S. 25)
*wangjö-, vgl. dt. mda. Wang: Cagno, Pisa, Lucca (Arcamone 1985, S. 405)
*wardö-, vgl. dt. Warte: Guardia, Garda, Nord- und Mittelitalien (Annuario,
S. 522, 561; Arcamone 2006a, S. 25)
*w’ardö- + -*stalla-, vgl dt. 0 (unbelegt): Guardistallo, Guastalla, Pisa und
Reggio Emilia (Annuario, S. 562; Arcamone 2006a, S. 25)
*werö- +*wela-, vgl. dt. 0 (unbelegt): Guiriguala, alt, Lucca (Arcamone
1985, S. 402)
68
*wTpö-, vgl. dt. Wiepe, alem. wifo: Ghiffa und Biffa, Novara, auch Toscana
(Annuario, S. 535; Arcamone 2006a, S. 26)
*wöra-, vgl. dt. Wuhr. Gora, Toskana, Nordsardinien (Arcamone 1985, S.
402)
Diese Lexeme sind nicht gleichmäßig über die Halbinsel verteilt: das steht
fest.
Nach dem Stand der Forschung kann man drei Fälle unterscheiden:
(a) Lexeme, die wenn auch mit unterschiedlicher Dichte - in dem
ganzen von den Langobarden eroberten Gebiet bezeugt sind, wie
*bera- + -laika-, *farö, *gahagjan-, *sali, * weil da- (Abb. 2 und 3);
(b) Lexeme, die nicht über das gesamte langobardische Italien verbreitet,
sondern entweder in einem großen Gebiet oder in zwei beziehungs-
weise drei Gegenden konzentriert sind: *baki-, *wardö- + -*stal/a-,
*snaidö-, *wahtö- (Abb. 4);
(c) Lexeme, die nur in einer Gegend bezeugt sind, wie *haldjö-, *wangjö-,
und im Allgemeinen Komposita wie *sali- + -*haima-, *skulka- +
-*haima- usw. (Abb. 5).
(d) An diesem Punkt sollte man sich fragen: Was ist der Grund für diese
Verschiedenheit? Die nahe liegende Antwort könnte sein, es fehlen uns
die Quellen beziehungsweise viele sind untergegangen. Daher fehlt uns
ein vollständiges Bild. Diese Antwort ist sicher zum Teil richtig, aber
es gibt vielleicht auch andere Möglichkeiten, um diese Tatsache zu er-
klären. Zuerst müsste man sich daran erinnern, dass auch die italie-
nischen Lehnwörter, ebenso die Eigennamen sicherer langobardischer
Herkunft nicht gleichmäßig in dem ganzen von den Langobarden er-
oberten Gebiet verbreitet sind. Was die Lehnwörter betrifft, darf man
sich natürlich nicht auf die moderne italienische Sprache stützen, die
zum großen Teil dem Toskanischen entspricht, sondern auf das Alt-
italienische und auf die Mundarten. Auch diese zeigen nicht alle
dieselben Lehnwörter, sondern jede hat sozusagen einen eigenen Vor-
rat an germanischen Lehnwörtern: z.B. baki- lebt nur in der Toskana
(Abb. 4) und in Umbrien.
(e) Was die Eigennamen betrifft, beweisen die Urkunden des CDL (z. B.
Acerisius, Ademari, Aderis, Agenolfus, Scaniperga usw.) und schließ-
lich auch die modernen italienischen Familiennamen (Adinolß, Gri-
maldi, Odorisi, Risi usw.), dass der Namenschatz der Langobarden
nicht überall gleich war (Arcamone 2006b, Antroponimia).
(f) Meines Erachtens bestätigt diese Ungleichartigkeit, was schon die ge-
schichtlichen Quellen wie die ethnischen Ortsnamen (Abb. 1 Ethnika)
lehren, nämlich: dass unter dem Namen der Langobarden neben den
Langobarden selbst auch andere Stämme eingewandert sind. Auf
69
diesen melting pot (,Schmelztieger) der Langobarden könnte dieser
Ortsnamenbestand zum Teil zurückgehen.
(g) Ein weiterer Grund dieser Verschiedenheit könnte auch in der mund-
artlichen Zersplitterung Italiens liegen, die schon damals sehr ausge-
prägt war, da - wie bekannt - jede sprachliche Gemeinschaft sich zu
einem fremden Einfluss anders verhält. Es ist also deutlich geworden,
dass keine Untersuchung über die langobardischen Ortsnamen Italiens
und auch im Allgemeinen über die langobardische Kultur geführt
werden kann, ohne diese beiden Umstände zu berücksichtigen.
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878.
Summary
The Distribution of Lombard Place Names in the Regions of
Italy
There have been many studies of Italian place names of Lombard origin and it
is now clear that they are not uniformly distributed in all the regions of Italy
that were conquered by the Lombards. This may be explained by several
factors, among which a) other Germanic peoples came to Italy along with the
Lombards; b) there were a variety of pre-existing dialects in Italy when the
Lombards arrived, so each region reacted differently to the Lombard
influence.
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77
Dieter Kremer
Mittelalterlicher Ortsnamenwechsel auf der Iberi-
schen Halbinsel
0. Gibt es überhaupt Namen ohne Interferenz? Gewiss nicht, es sei denn man
schränke die Bedeutungsvielfalt bewusst ein. Die Organisatoren dieses Kollo-
quiums stellen Namen in Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und
Gegenwart in den Mittelpunkt. Dabei geht es insbesondere um sprachliche
und damit auch ethnische Kontakte, die gerade bei den Namen - Personen-
namen vor allem, aber auch Ortsnamen - greifbar werden können und die mit
einem weiteren, derzeit modischen Schlagwort: .Akkulturation4 im Zusam-
menhang stehen. Natürlich lässt sich das Thema ,OrtsnamenwechseT, das ich
vorgeschlagen hatte, historisch, ethnisch, sprachlich der Interferenz unter-
ordnen. Doch war diesem Thema bereits einmal eine Tagung des Arbeits-
kreises - das Bamberger Kolloquium von 1986 - gewidmet, an der ich (ich
erinnere mich nicht mehr aus welchen Gründen) schließlich nicht teilnehmen
konnte. Jedenfalls hatte ich aus diesem Anlass eine relativ umfangreiche
Dokumentation zusammengestellt, sie dann aber liegen gelassen. Da ich auch
hier leider wieder den bedeutenden europäischen (und auch außereuro-
päischen) Kulturraum Iberische Halbinsel allein vertrete, möchte ich auf diese
Dokumentation zurückgreifen, sie knapp einordnen und an wenigen Beispie-
len bestimmte historische Auslöser und sprachliche Mechanismen andeuten.
Die Beispiele, auf die ich mich im Folgenden beziehe, entnehme ich der im
Anschluss beigefügten Dokumentation, die zusätzlich wenige ergänzende
Angaben enthält.
1. Die genauere Kenntnis der komplexen Geschichte der Iberischen Halbinsel
ist natürlich Voraussetzung für eine eingehendere Betrachtung. Doch reicht in
diesem Zusammenhang vielleicht die kurze Erinnerung an die wichtigsten
historischen Schichten oder Straten des Gesamtraums:
Der Romanisierung und Latinisierung, Basis für die heutige sprachliche
Situation, geht die ethnische und sprachliche Gliederung des vorrömischen
Hispanien voraus, deren Einzelheiten beileibe noch nicht alle bekannt oder
aufgearbeitet sind. Charakteristisch ist die Unterscheidung in fünf große
Regionen: die östliche Iberia, das südliche Tartessos, das westliche Lusita-
nien, die zentrale Celtiberia und die nördlichen ,Gebirgsvölker‘ von Galicien
und Asturien über Kantabrien bis zum heutigen Baskenland, Navarra und
Aragon. Bis auf das Baskische gehen alle Sprachen unter, doch sind sie als
Substratsprachen Ausgangspunkt für die heutige sprachliche Situation mit vier
offiziellen spanischen Sprachen und dem Portugiesischen. Auf die vollstän-
dige Romanisierung folgen, als Superstrate, die germanische und die arabische
Phase, die natürlich auch sprachliche Spuren hinterlassen haben, allerdings
das ,Romanische1 nicht bedrängen konnten. Schließlich folgt die mittelalter-
79
liehe, romanische Phase der Reconquista, die sich einerseits durch die Aus-
dehnung der jungen romanischen Sprachen des Nordens nach Süden, anderer-
seits durch starke ,europäische1 Einflüsse (Teilnahme von Ausländern an der
Reconquista, Camino de Santiago, Zisterzienser, dynastische Verbindungen,
europäische Modeströmungen in Kultur und Literatur usw.) auszeichnet.
Schließlich folgt das Zeitalter der Entdeckungen, das die iberoromanischcn
Sprachen in alle neuen Kontinente bringt und natürlich gerade auch im Be-
reich der Namen und der Interferenz ein außerordentlich interessantes, bisher
gewiss zu wenig aufgearbeitetes Arbeitsfeld darstellt. Schließlich folgt, im
Zeitraffer, die aktuelle Situation mit der Wiederbelebung der historischen
Regionalsprachen: Neben Kastilisch als Staatssprache haben das Galicische,
das Baskische und das Katalanische offiziellen Status, Spanien ist ein Mehr-
sprachenland.
Jede dieser Phasen ist durch Interferenz auch bei den Ortsbenennungen
gekennzeichnet, ein komplexes Arbeitsfeld tut sich auf. Die Romanisierung
bedeutet die Übernahme und Anpassung von vorrömischen Ortsnamen sowie
die Benennung von Neugründungen. Die germanische oder genauer suevisch-
westgotische Periode scheint auf den ersten Blick für das Thema Ortsnamen
weniger interessant, gibt es doch nur sehr wenige bekannte Ortsgründungen.
In diesem Zusammenhang aber steht die außerordentlich schwierige Frage der
Besitzerortsnamen, d.h. Mischformen mit einem lateinischen Grundwort und
einem sehr oft germanischen Besitzemamen als Bestimmungswort. Beispiele
sind bereits aus dem 6. Jahrhundert belegt, doch scheinen sich diese Orts-
gründungen, meist durch Urbarmachung, auf die Zeit nach der Conquista, d.h.
im 8. bis 10. Jahrhundert zu konzentrieren. Hier ist keinesfalls mehr von ger-
manischen Namen auszugehen, sondern von Personennamen germanischer
Etymologie oder Lehnnamen: Es handelt sich daher nur um eine scheinbare
(oder indirekte) Interferenz, keinesfalls um hybride Namenbildungen. Glei-
ches gilt vermutlich für Lehnwörter: So scheint etwa im Nordwesten lat. villa
,Hof u.ä. in sehr zahlreichen Fällen durch das Lehnwort germ. *sala ,Herren-
haus‘ abgelöst worden zu sein, von Mischbildungen kann aber vermutlich
keine Rede sein. Gleiches gilt für die Übernahme des Suffixes -ing, das insbe-
sondere im Nordosten zur Ortsbenennung nach dem Besitzer noch bis zur
Jahrtausendwende produktiv ist.1
Deutlicher werden Interferenzerscheinungen im jahrhundertelangen Neben-
einander von islamischem und christlichem Hispanien. Einerseits werden
überlieferte Namen phonetisch arabisiert, andererseits halten sich im Süden
und Zentrum zahlreiche arabische Ortsnamen, insbesondere im Bereich der
Gewässernamen. Zu diesen zählen etwa die zahlreichen Namen mit Guad- (im
Vgl. Kremer, Dieter: „Germanisch-romanische oder romanisch-germanische Misch-
bildungen?“, in: Albrecht Greule / Hans-Walter Herrmann / Klaus Ridder / Andreas
Schorr (Hg.): Studien zur Literatur, Sprache und Geschichte in Europa. Wolfgang
Haubrichs zum 65. Geburtstag gewidmet, St. Ingbert 2008, S. 345-374.
80
Portugiesischen Odi-), nach dem Muster Guadiana (im älteren Portugie-
sischen Odiana2 *), einer Mischbildung mit arab. wadi- ,Fluss‘ und dem vorrö-
mischen Namen Ana(s) dieses wichtigen Grenzflusses. Auf diese arabische
Gewohnheit, den Namen eines Flusses mit ,Fluss1 einzuführen (im Deutschen
wäre das etwa .der Fluss Donau‘ statt ,die Donau1) geht vielleicht die noch im
heutigen Portugiesischen übliche Formel rio ,Fluss‘ + Eigenname zurück,
man nennt niemals nur den Namen, sondern führt ihn stets mit (o) rio ein, also
immer o rio Tejo oder auch, tautologisch, o rio Guadiana. Dieses Wechsel-
spiel wird z.B. deutlich im südportugiesischen Ort Odemira, der am rio Mira
liegt. Phonetische oder auch morphologische Arabisierung vorislamischer
Ortsnamen findet sich in großer Zahl, diese Interferenz bedeutet jedoch keinen
Namenwechsel. Sevilla ist nichts anderes als die in der Aussprache arabisierte
Form des antiken Híspale-, kein neuer Name (Beispiel Nr. 96).' Nach diesem
Muster sind portugiesisch Beja, d.h. lateinisch Pace (= Pax Iulia), der Fluss-
name Tajo/Tejo (= Tagus) oder Zaragoza (Caesaraugusta) zu interpretieren.
In diesen Zusammenhang gehören auch die sehr zahlreichen -ena-Namen,
hauptsächlich des Südens, die lateinische Besitzerortsnamen auf -äna fort-
setzen. Bei den zahlreichen südlichen Ortsnamen des Typs Alfundäo, d.h. die
Kombination eines lateinisch-romanischen Gattungswortes (in diesem Fall
portugiesisch fundäo, mit verschiedenen Konnotationen, darunter ,tiefge-
legen1) mit dem arabischen Artikel al, darf man gewiss von hybriden Namen-
bildungen sprechen. Umgekehrt werden gelegentlich arabische Ortsbezeich-
nungen ins Romanische übersetzt, nach dem Muster Wadi-al-asal —► Rio de la
Miel usw.4 Schließlich ist zu unterscheiden zwischen arabischen Gründungen
und romanischen Ortsbezeichnungen mit einem Lehnwort aus dem Arabi-
schen, Typ Almunia/Almuina.
Kennzeichnend für das hispanische Mittelalter ist die Reconquista. Sie be-
deutete die Rückeroberung ehemals romanischen, von Mauren eroberten Ge-
bietes. Die Ortsnamengebung ist hier ein sehr wichtiger Zeuge für sozial-
historische, kulturelle und sprachliche Änderungen und Neuerungen. Neben
der Übernahme arabischer oder arabisierter Ortsnamen gibt es im Zusammen-
Vgl. auch die mittelalterliche volksetymologische Umdeutung in Aguadiana = água
+ Diana (DOELP 2, 748).
Gelegentlich kann der neue Name wieder durch den alten ersetzt werden, nach dem
Muster Xátiva: dieses wurde 1707 durch einen Brand zerstört und später als colonia
San Felipe wieder aufgebaut und erhielt 1811 anlässlich der Cortes von Cádiz
seinen alten Namen zurück.
Beispiel aus V. García de Diego: Toponimia de la zona de Jerez de la Frontera,
Jerez de la Frontera 1972, S. 61. Sprachlich-lexikalisch interessant sind inner-
sprachliche Variationen des Typs „usque ad Saxum Corui quod aliter Penna Corui
dicitur“ a. 1174 TumboSobrado 2, 292. Zur Auflösung der Sigel hier und in den fol-
genden Anm. vgl. Anhang .Dokumentation^, Anm. 1.
hang mit Landverteilung und Siedlungsbewegungen eine ganze Serie von
Ortsnamentypen, von der Landnahme und den genannten Besitzerortsnamen
(diese sind allerdings wiederum in verschiedene Typen zu unterscheiden, ins-
besondere genitivische Ortsnamen nach dem Muster villa Roderici oder aber
die jüngere einfache Besitzemennung wie Maria Vinagre) zu Gruppensied-
lungen des Typs Puebla!Póvoa oder Mozárbez oder Coimbräos, von beschrei-
benden Ortsbezeichnungen nach dem Muster Villaverde bis zu institutioneilen
Formen wie Villafranca. Dabei ist in der Regel nicht sicher auszumachen, ob
diese Ortsbezeichnungen auf ältere Siedlungen oder Wüstungen angewandt
werden, also letztlich Namenwechsel vorliegt, oder ob es sich um wirkliche
Neusiedlungen im Zusammenhang mit der Landnahme handelt.
Mit der politischen Konzentration auf ein zentrales Imperium und eine
einzige offizielle Sprache seit dem 16. Jahrhundert wird dieser Ortsnamen-
reichtum sprachlich geglättet, eine eindeutige Interferenz zwischen Regional-
sprachen und der Nationalsprache Kastilisch, d.h. die Kastilianisierung re-
gionalsprachiger Ortsnamen (und auch Personennamen) wird für Jahrhunderte
die Regel. Seit der neuen politischen Situation und Verfassung sind gerade die
Ortsnamen wieder in ihre ursprüngliche, eigensprachliche Form zurückgeführt
worden. Diese Besonderheit ist zu betonen: Im Königreich Spanien ist die
offizielle Toponymie einnamig und regionalsprachig, es heißt offiziell nicht
mehr Lérida oder La Coruña sondern Lleida und A Coruña. Nur im Basken-
land, wo zwei voneinander weit entfernte offizielle Sprachen aufeinander tref-
fen, sind Doppelnamen, nämlich die baskische und die (meist) exonyme
kastilische Form, offiziell, etwa Donostia/San Sebastián oder Vitoria!Gasteiz.
Ein besonderer Fall sind Regionen mit eigener, aber nicht offiziell anerkannter
Sprache, insbesondere Asturien. Hier wird die regionalsprachliche Variante
geduldet, sie ist aber nicht offiziell, nach dem Muster Oviedo!Uviéu. Die
spanische Namengebung in der Neuen Welt ist von dieser Entwicklung nicht
betroffen. Zu trennen hiervon ist selbstverständlich Portugal, mit nur einer
eigenen Sprache (das Mirandesische, ein asturisch-leonesischer Dialekt mit in
Portugal offiziellem Status, spielt praktisch keine Rolle).
2. Namenwechsel bedeutet wohl immer irgendeine Art von Interferenz oder
auch Anpassung.' Schön lässt sich dies an Personennamen illustrieren. Hierbei
ist natürlich zwischen gewollten oder oktroyierten Namenänderungen (etwa
bei Standes- und Religionswechsel) und spontan sich ergebenden zusätzlichen
Benennungen (durch Kose- oder Spitznamen) zu unterscheiden. Ich kann das
hier nicht weiter ausführen, doch ist die historische Überlieferung reich an * 343
Dazu allgemein Neuß, Elmar: „Totaler Namenwechsel - partieller Namenwechsel -
scheinbarer Namenwechsel und die Ausbildung von Gemeindenamen“, in: Rudolf
Schützeichel (Hg.): Ortsnamenwechsel. Bamberger Symposion I. bis 4. Oktober
1986 (Beiträge zur Namenforschung, Beiheft N.F. 24), Heidelberg 1986, S. 326-
343.
82
Beispielen, die allerdings einer systematischen Untersuchung bedürfen.6 Be-
sonders wichtig sind in diesem Zusammenhang ausdrücklich als solche mar-
kierte Mehrfachbenennungen oder Namenwechsel. Derartige Cognominalbil-
dungen finden sich in gleicher Weise für Ortsnamen, allerdings wird hier üb-
licherweise der neue Name eingeführt und nicht die Gleichzeitigkeit mehrerer
Namen des Typs ,(auch) genannt4 festgehalten. Beide Formeln, die für Perso-
nennamen und die für Ortsbezeichnungen, können hingegen eine vergleichbare
Interpretationsproblematik aufweisen: Nicht immer geht eindeutig daraus
hervor, welches der originale Personenname ist oder welcher von beiden Orts-
namen sich schließlich durchsetzt. Dieser Frage des Überlebens einer bestimm-
ten Namenform - sei es als offizieller Name, sei es in den Flurnamen - bin ich
ebenso wie der möglichst vollständigen Dokumentation der Überlieferung nicht
weiter nachgegangen; das Ergebnis wäre gewiss eine eigene Monographie.
Ortsnamenwechsel, diese Feststellung ist banal, begegnet sehr häufig, doch
lässt sich das einem Namen nicht ansehen und die historische Überlieferung
ist keineswegs immer explizit und eindeutig. Wird ein Ort neu benannt, so
wissen wir meist nicht, ob es sich um wirkliche Neugründungen oder um Neu-
besiedlung, d.h. Namenwechsel handelt. Zwei Beispiele für diese Problema-
tik: ,,possessione mea que antiquitus dicebatur Ueniuiues“ (a. 1176
TumboSobrado 2,68 = Ueniviuas a. 1176 ib. 69), oder „quod in Pena Ventura
habent .j, casale [...] et quod jacet in Teeyxeroo hereditas regalenga [...] et
posuerunt ei de nomine novo Entradas et non faciunt inde forum Regi44 (a.
1258, Portugal). Im ersten Fall spricht die Formel für einen Namenwechsel,
doch wird der neue Name im Text nicht genannt; die bereits mittelalterliche
Regeste „Beneuiues que nunc uallis uiridis appellatur“ löst das Problem nicht
unmittelbar. Durch die Ordnung des Kartulars lässt sich aus der Folgeurkunde
entnehmen* „dono et concedo [...] uobis Bernardo monasterii Sancte Marie de
Ualle Uiridi de Bouadella abbati [...] totam hereditatem de Ueniuiuas quam
ibi habeo“, dass dieses Landgut in den Ort Valverde integriert wurde, der alte
mozarabische Besitzerortsname also vielleicht untergegangen ist. Im zweiten
Fall von Entradas kann man entweder von einer namenlosen Wüstung aus-
gehen oder aber casal muss als ,Grundstück4 und nicht als bereits bestehendes
Gebäude interpretiert werden. Keineswegs eindeutig ist eine Nennung wie
Vgl. etwa Kremer, Dieter: „Colonisation onymique“, in: Enzo Caffarelli / Dieter
Kremer (Hg.): L ’onomastica testimone, custode e promotrice deile identità linguis-
tiche, storiche e culturali. Studi in ricordo di Fernando R. Tato Plaza (RIOn 7,
2001) S.337-373.
= „quod has bancas que vocatur regalengas que sunt Regis et modo tenet donnus E.
Martini et sua fratemitas et non faciunt inde forum Regi et posuerunt de novo
nomine Entradas“ (ebd., 1 I70b).
Der erste Beleg fehlt im Register, auch sind die Verweise auf Villa viridis falsch
(Verwechslung mit Villa franca).
83
„cenobio Sancte Marie Vallis Lauree vel Sanctarum Crucium44 (a. 1168,
Sautes Creus, Tarragona).l> Zwar handelt es sich um einen Namenwechsel,
doch wurde das bekannte der Gottesmutter geweihte Cisterzienser-Kloster
mehrfach umgesiedelt, Validaura ist der alte, Santés Creus der neue Standort,
der schon seit dem 10. Jahrhundert belegt ist.10 Eine echte, oft belegte Umbe-
nennung eines älteren Ortes durch den Namen eines Klosters oder einer
Kirche ist hingegen etwa Sant Cugat del Vallès bei Barcelona, das den alten
Namen Castrum Octavianum ablöst (5).
Vor allem in zwei Arten von Ortsnamen sind Namenänderungen besonders
charakteristisch. Sehr häufig gehorchen Straßennamen Zeitmoden, ent-
sprechend leicht kann ein Name angepasst werden. Besonders interessant ist
es, wenn die alten Namen wieder entdeckt und gelegentlich zwei- oder auch
mehrnamige Straßenschilder aufgestellt werden. Dabei sind die mittelalter-
lichen Straßennamen gewiss ,neutraler4, da sie überwiegend beschreibende
und weniger Gedenknamen sind. Aber auch für das Mittelalter sind uns gerade
für die größeren Städte Straßennamen und Namenwechsel überliefert, nach
dem zufällig herausgegriffenen Muster Rua das Canastras (106), d.h. in etwa
.Korbstraße, die früher Domherrenofen genannt wurde4, in beiden Fällen han-
delt es sich um beschreibende Namen.
Die zweite Namenkategorie sind die Bachnamen. Die gegenseitige
Wechselbeziehung zwischen Bachname und am Bach gelegenem Ort ist wohl
bekannt. Von ebenso großem Interesse ist der Namenwechsel im Verlaufe
eines Baches.11 Beides verdiente für Spanien oder Portugal eine systematische
Untersuchung, wie überhaupt die Gewässernamen (nicht nur die alteuro-
päischen) ein kaum untersuchtes, sehr interessantes Thema sind.1" Auch hier
Kein Namenwechsel ist natürlich die Romanisierung der lateinischen Form etwa in
der Regeste „Vallis Aureae quod hodie dicitur Sanctarum Crucum vulgo Santas
Creus“ (a. 1150 MarcaHispanica 1310). Patrozinienwechsel finden sich gelegent-
lich nach dem Muster „Anabiensis quoque S. Mariae quae olim vocaverunt locus S.
Deodate“ (a. 819 MarcaHispanica 765b) oder pancta Maria cujus locum dicimus
Sancte Concordie domus Sancta Maria cujus vocabulum est Sancta Grata1'1' (s. 10
CatalunyaCarolingia 3 [Kloster von Senterrada]) oder Santo Domingo < S. Sebas-
tian de Silos. Kein wirklicher Namenwechsel, sondern Neubenennung liegt vor in
„[...] in ipso cimintherio Sancti Petri quod antiquitus solebat apellari Pract‘ (a. 1171
LFeudorumMaior 2,26).
„meam dominicaturam que uocant Sanctas Cruces, super ripam fluminis Gayano“
(a. 977 DiplBarcelona 1,323 = a. 978 LIBlanchSantesCreus 2).
Dazu Greule, Albrecht: „Der hydronymische Namenwechsel“, in: Ortsnamen-
wechsel (wie Anm. 5), S. 312-322.
Es fehlt meines Wissens ein Gesamtverzeichnis. Vgl. etwa Francisco Javier Rio
Barja / Francisco Rodriguez Lestegäs: Os rios galegos, Santiago de Compostela
1995.
84
ein zufälliges Beispiel, in diesem Fall aus Marokko (,perdendo nesta
Pontinha o nome, dali abaixo fica em Rio Docea. 1560).
Ein besonderer Fall ist schließlich der Namenwechsel aus ästhetischen,
euphonischen oder ,moralischen1 Gründen, das gilt für Personen- wie für
Ortsnamen. ,Unschöne1 Namen können, wenn auch oft mit erheblichem admi-
nistrativem Aufwand, geändert werden.11 Derartige Fälle sind bereits für ältere
Zeiten nachweisbar, so wird etwa der Ortsname Podio malo in der Mitte des
12. Jahrhunderts in Podio bono'4 oder das alte Porquerizas des 13. Jahr-
hunderts im Jahre 1620 in Miraflores de la Sierra (Madrid)11 umbenannt. Eine
Zwischenstufe zwischen normalem Namenwechsel und ästhetischer Aktuali-
sierung nehmen gewiss Namenänderungen wie die von calle del Burro ,Esels-
straße1 in calle de Alfonso X (Sevilla) ein.
3. Von den in meiner Dokumentation zusammengestellten gut hundert histo-
rischen Beispielen (ich habe nicht systematisch gesucht) von als solche aus-
drücklich genannten Ortsnamenwechseln verdiente eigentlich jedes einen indi-
viduellen Kommentar; umso unwohler ist mir, wenn ich dieses Material sozu-
sagen im Überflug zeigen muss. Doch gibt es natürlich eine Reihe von kon-
textuellen und formalen Übereinstimmungen, die sich durchaus systemati-
sieren ließen: ,Äußere1 und ,innere1 Sprachgeschichte lassen sich anhand der
Ortsnamen schön illustrieren. Der Großteil der Beispiele ist der Landvertei-
lung (dem Repartimiento) entnommen, die Alfons X., bekannter als Alfons
der Weise, in der Mitte des 13. Jahrhundert nach der Wiedereroberung von
Sevilla veranlasst hat. Das Besondere daran ist, dass der König persönlich die
Umbenennung der ursprünglich arabischen oder arabisierten Ortsnamen vor-
nimmt.u> Ähnliche Fälle gibt es für andere mittelalterliche Herrscher,17 doch So
So wurde, nur zum Beispiel, auf Antrag der Bewohner der Ortes Picagalo (Gemein-
de Trafaria, Almada) dieser Name vom Innenministerium offiziell in S. Pedro da
Trafaria umbenannt, nachdem die verschiedenen Gremien (Gemeinderat, Distrikt-
regierung, Govemo Civil) entsprechende positive Gutachten abgegeben hatten
(Dekret 589/70). Zu diesem Vorgang bei Familiennamen vgl. Kremer, Dieter: „Le
Dictionnaire des changements de noms et son intérêt pour une socio-onomastique et
la linguistique“, in: William F. H. Nicolaisen (Hg.): Proceedings of the 19th Inter-
national Congress of Onomastic: Aberdeen, August 4.-11., 1996: scope, perspec-
tives and methods of onomastics, Aberdeen 1996, S. 407-422.
Podio malo wird zwischen 1157/1162 in Podio bono umbenannt (Papstbulle a.
1162: Boni Podii. PMM 74 u.ö.; heute Poibueno, Foncebadôn, Leôn).
Miraflores ist ein beliebter Benennungstyp auch in der Neuen Welt, allein in Peru
gibt es neun so benannte Orte.
Vgl. dazu allgemein J. Gonzalez,RepSevilla 1,251 ff. Charakteristisch sind Schen-
kungen (donadios), nicht die Landaufteilung. Die meisten dieser Neubenennungen
sind untergegangen.
85
scheint sich der Elan in euphorischer Stimmung bald zu legen. Ich versuche,
im Folgenden einige wichtige Konstanten zusammenzufassen. Zu unterschei-
den ist grundsätzlich zwischen sozialhistorischen Aussagen und formalen
Mitteln.
Der historische Kontext ist vor allem dann angesprochen, wenn alte (meist
unverständliche) Namen durch (meist unmittelbar motivierte) neue ersetzt
werden, nach dem Muster „Vardulies qui nunc vocitatur Castella“, d.h. Cas-
tilla (Kastilien), wie unter Alfonso III. dem Großen (el Magno) im ausgehen-
den 9. Jahrhundert das mit Burgen gesicherte Gebiet zwischen dem Engpass
von Pancorbo und der Duerolinie umbenannt wurde.Is Doch nicht immer ist
die ,neue‘ Namengebung unmittelbar durchsichtig. Im Falle von Zamora bzw.
Numantia (95) ist der historische Hintergrund komplex, beides sind antike
Namen. Bei Viana (102) ersetzt der vorrömische den deutlich sprechenden1
römischen Namen. Umgekehrt verhält es sich bei Tarrassa (17), wie die alte
Bischofsstadt Egara im frühen Mittelalter umbenannt wird. Besonders interes-
sant ist - neben der diskutierten Entstehungsgeschichte der Umstand, dass
die baskische Hauptstadt Vitoria heute auch offiziell den alten baskischen
Namen Gasteiz wieder trägt (26).
Ein eigenes Problem bilden die -ew/zTi-Namen, die ganz offenbar noch im
Mittelalter zur Namenbildung herangezogen wurden. Das leonesische Valen-
cia de Don Juan wurde erst im 13. Jahrhundert so genannt, bis 1208 hieß die
Stadt Coyanza, und noch heute lautet der Bewohnername coyantino. Kann
man bei Valencia do Minho (103) noch zögern, ob hier die alte römische Be-
nennung wieder aufgegriffen wird, so ist beim Typ Plasencia gewiss von
einer mittelalterlichen gelehrten, durchsichtigen Bildung auszugehen, wie aus
den Beispielen (25) und (28) zu ersehen ist.
Charakteristisch für mittelalterliche Siedlungen ist hingegen der Benen-
nungstyp villa nova ,Neustadt4. Meist hat sich diese Bezeichnung in zahl-
reichen Ortsnamen bis heute halten können. Nicht immer ist die Neubenen-
nung unmittelbar nachvollziehbar, sie setzt vermutlich aber stets Neubesied-
lung bzw. Wiederbesiedlung (etwa (98)) und wie im Fall (105) eine Institutio-
nalisierung, d.h. die Vergabe eines Lokalrechts voraus.19 Ein Ort wie
PenalentVillanova (27) ist allerdings aufgegeben worden, keiner der beiden
Namen überlebt, es sei denn in den Flurnamen. So klar diese Aussage scheint,
so wenig ist sie gesichert. In der Landverteilung von Sevilla lautet der alte
Name Villanova, kombiniert mit einem arabischen Namen (47, 65, 79), was
Vgl. etwa Gama Barros 39 zu einigen Namenänderungen von König D. Dinis
( Honalbergue —► Ouriola, A lern Savor —* Villa FroF).
Hier nach Menéndez Pidal, Ramón: Historia de España. 6,XXXV.
Vgl. auch etwa „in loco quem vobis dedimus ad populandum et ad hedificandum
qui est inter Zaguilar et Castro Pagesio qui vocatur Villa Nova“ (a. 1212 or.:
CartPoblaciónCataluña 329).
86
den Schluss nahe legt, dass dieser Benennungstyp älter ist, vielleicht auf
mozarabischen Kontext oder in spätrömisch-westgotische Zeit zurückführen
kann, also nicht automatisch Beweis für eine mittelalterliche Neugründung
sein muss.
4. Im Folgenden fasse ich knapp die wichtigsten Namenmotivationen und Namen-
bildungen zusammen, soweit sie aus meinem Namenkorpus zu entnehmen sind.
Namenübertragung. Die vielleicht charakteristischste Benennung von Neu-
siedlungen im Rahmen von Siedlungsbewegungen (und dies gilt nicht nur für
die Neue Welt) ist die Übertragung des heimatlichen Namens auf die neue
Umgebung. Das kann die einfache Gleichsetzung sein, etwa Mérida, das rö-
mische Emérita Augusta, Hauptstadt der Extremadura, gegenüber mehreren
Mérida in México, Venezuela, Kolumbien und auf den Filippinen. Gleiches
gilt für die zahlreichen Córdoba, am bekanntesten das in Argentinien. Für das
mexikanische Córdoba jedoch gibt es den Umweg über einen Familiennamen:
Die Stadt wurde 1617 gegründet und war ursprünglich als Ciudad de los
Treinta Caballeros bekannt, wurde dann nach dem Vizekönig Diego Fernán-
dez de Córdoba benannt; eine Differenzierung ist daher nötig.
Eindeutiger sind Zusammensetzungen mit ,Neu-‘ oder ,Klein-*. Dieser
Komposition steht vor allem im iberoromanischen Raum die Ableitung mit
einem Diminutivsuffix gegenüber. Diese Art Ableitung, die im Deutschen
genau dem ,Klein-' entspricht, ist zu trennen von formalen Bezügen des Typs
villa Petrosino zu monte Petroso (a. 1098, Portugal). Die entsprechende
Namenliste nach dem Muster Toledo —► Toledillo, Miranda —► Mirandela
oder Berlongo —* Berlonguinho ist lang, die betreffenden Ortsnamen sind
wichtige historische Zeugnisse für die hauptsächlich mittelalterlichen Sied-
lungsbewegungen im Zusammenhang mit der Reconquista. Weniger häufig,
und im Mittelalter vielleicht nicht nachgewiesen, sind Neubenennungen mit
,Neu-‘, wie wir sie insbesondere aus Namenübertragungen in die Neue Welt
kennen: Nova Lisboa, Nova Sintra, Nova Lamego usw., wobei auch bei männ-
lichen Namen die weibliche Form üblich ist. Ein besonders komplexes, für die
brasilianische Kulturgeschichte interessantes Beispiel ist das unter (108)
genannte Nova Jerusalem, das ich hier allerdings nicht weiter kommentieren
kann. Älter ist die Kontrastierung durch eine syntaktische Bildung des Typs
Montemór-o-Velho / Montemór-o-Novo.
Die Namenübertragung (oder auch Nachbenennung) ist in meiner mittelal-
terlichen Dokumentation, und hier insbesondere der Landverteilung von
Sevilla, das mit Abstand häufigste Motiv der Namengebung. Hierbei kann es
sich um einfache Namenübertragung nach dem Muster Cifuentes (49) handeln
oder, wesentlich öfter, bei den großen Familien oder Institutionen um den
Stammsitz. Dazu etwa Molina (50) oder Aragón (36) oder Santiago (76) oder
Calatrava (43). Bei einigen Nennungen muss man die Hintergründe kennen,
die zur Namenübertragung führen. Dazu etwa die Beispiele Segura, Stamm-
sitz des Uclés-Ordens (79) oder Trastámara, Name einer bedeutenden Familie
des Hochadels (86).
87
Es lassen sich auch Verkleinerungsformen finden wie Palenzuela (70) oder
*Segovuela (78). Sie beweisen die Lebendigkeit des kastilischen Suffixes
-uelo (< lat. -OLUS < -/OLUS) im 13. Jahrhundert. Nicht unmittelbar durch-
sichtig ist Campesina, doch stammen die beschenkten Ritter aus der Tierra de
Campos (45). Eine ethnische Ableitung wohl gleicher Funktion bildet Alfons
der Weise mit Toledana (83). In diesen Zusammenhang gehört auch die mo-
dern anmutende Neubenennung Portugalesa (71)."°
Formale Veränderungen sind nötig bei der Übertragung von Personenna-
men auf Ortsbezeichnungen.21 Ebenfalls recht modern muten das Beispiel
Ensaldina (54) und der Ortsname Baldovina (87) an, für dessen Verständnis
der historische Kontext bekannt sein muss, in diesem Falle der Leitname der
Familie: Baldovino:~ Weitaus komplexer funktioniert des Königs Sprach-
phantasie in Gironda (59). Der Name hat nichts zu tun mit dem Stadt- und
Flussnamen Gerunda/Girona, sondern ist offenbar vom Leitnamen der Fami-
lie: Girön abgeleitet. In diesen Zusammenhang gehören auch nicht eindeutige
Namen wie Vila Ferreiro bzw. Vila Ferreira (101), der sich auf einen Fami-
liennamen Ferreiro (mit adjektivischer Anpassung) oder eine Ortsbezeich-
nung Ferreira ,Schmiede1 beziehen kann.
Dieses Spiel mit sprachlichen Möglichkeiten manifestiert sich besonders in
einer weiteren Namenmotivation: der Benennung nach dem Stand oder Beruf
der mit Land bedachten Neusiedler oder Neubesitzer. Auch hier gibt es die
beiden Grundtypen: einfache Bezeichnungsübertragung und Ableitungen. Die
pauschale Benennung einer Örtlichkeit nach der dort ausgeübten typischen
Tätigkeit ist für Straßennamen charakteristisch, doch gibt es zahlreiche Orte des
Typs Olleros ,'Töpfer1, Herreros , Schmiede1, Alfaiates ,Schneider1 usw. In
diesem Kontext sind Neubenennungen wie Adalides (29) oder Aldea de los Judios
(33) oder auch Duenas (52) zu sehen. Gleiches gilt letztlich auch für Monasterios
(68), der Ort wird verschiedenen Klöstern zugesprochen, oder Mesnada (67). In
diesen groben Zusammenhang gehört auch eine Namenbildung wie Villa
Hermanos (91), die sich offenbar auf mehrere Brüder einer Familie bezieht.
Portugalés (*portogallese, *portugalais ...) ist die normale ethnische Ableitung von
Portugal. Erst in jüngerer Zeit hat sich die portugiesische Form (mit Ausfall des
intervokalischen -/-: *portugalense > portugués) allgemein durchgesetzt.
Auch hier gibt es Namenwechsel bei Vererbung oder Veräußerung, nach dem
Muster „in ipso pumare in plano super uestra casa iusta fontem qui dicitur Masiti
qui fuit de Magnentio11 (a. 924 CartLiébana 37f.), „petra quam Discolus erexit que
uocatur petra Teodemundo11 (a. 926 ArchivoCondalBarcelona 473) oder „uilla que
dicitur Kasa Muñía que fuit de Sarrazino LusidizP (a. 1050 PMFIDiplomata 171).
Eine ähnliche Bildung liegt vermutlich in „don Guiral de Retmmdina11 (a. 1267 or.:
DocSalamanca 408) vor (zu Raimund) oder Rendona < Garci Pérez Rendón, García
de Diego, Vincente: Toponimia de la zona de Jerez de la Frontera (Publicaciones
del Centro de Estudios Históricos Jerezanos 3,7), Jerez de la Frontera 1972, S. 60.
88
Von sprachhistorischem Interesse sind die Abstraktbildungen des Königs,
auf die ich hier allerdings nicht im Detail eingehen kann. Steht bei Ballestera
(38) ein Muster wie die Tätigkeitsbezeichnung ferrarius ,Schmied1 gegenüber
der Ortsbezeichnung ferraria ,Schmiede4 zur Verfügung, so reduziert sich
diese Bildung auf das morphologische Kennzeichen -a in Alguazila (35) oder
-ia etwa in Alcaldia (30) oder Notaria (69) und auch das auf den ersten Blick
mehrdeutige Criada (51). Bishalia wiederum (41) ist eine korrekte Bildung
epicopalia, ausgehend von episcopalis. In diesen Zusammenhang gehören
ebenso wie in die Reihe beschreibender Ortsbezeichnungen Namen wie La
Mesa del Arzobispo (66) oder Tor re del Rey (84). Auch der sehr verbreitete
Ortsnamentyp Iglesia muss differenziert interpretiert werden, das gilt etwa für
die Schenkung (53), mit der die Kleriker der Kirche Santa Maria in Sevilla
bedacht werden.
Neben diesen beiden beherrschenden Gruppen der Namenübertragung (ge-
legentlich auch Nachbenennung) nach Herkunftsort oder dem Bezug zu Stand
und Beruf spielt die Kategorie der beschreibenden Ortsnamen23 zumindest für
Alfons den Weisen eine durchaus untergeordnete Rolle, für ihn steht der per-
sönliche Bezug des geschenkten Ortes mit dem Beschenkten bei der Neu-
benennung im Vordergrund. Durchsichtigen Namenbildungen wie Monqäo,
das in diesem Fall einen ebenfalls durchsichtigen Namen (macedo ,Apfel-
hain4) ablöst (104) oder Carboeiro ,Köhler4 statt Retorta , Wasserstrudel4 (99)
oder auch Villafarta in Florida (107) entsprechen die alfonsinischen Valfer-
moso ,Schöntal4 (89) oder Villalba (90), das allerdings ähnlich wie Villanova
auch als älterer Name belegt ist (59). Einer der beliebtesten derartigen Benen-
nungstypen für Neugründungen der Reconquista sind die bereits genannten
vallis viridis oder villa viridis ,Gründorf, vgl. zum Beispiel (100). Überhaupt
gibt es einige immer wiederkehrende Standardbezeichnungen wie etwa
Bellum Locum oder Benevivere, dieses in Beispiel (18). Schließlich sind auch
in diesem Zusammenhang anekdotische Namen zu nennen, die ältere Namen
verdrängen können wie etwa „in monasterii de Bellofonte quod Peleas
generaliter apellatur44 (a. 1232 DiplFernandoIII 2,566).
5. Das Thema Ortsnamenwechsel ist außerordentlich komplex und begrifflich
wenig definiert. Entsprechend bunt und wenig strukturiert habe ich Ihnen
einige Beispiele aus dem Bereich der Iberoromania genannt. Dabei ist, wie
nicht genug betont werden kann, jeder individuelle Fall genauer zu unter-
suchen: Es geht in der Namenforschung erst einmal immer um Individuen,
nicht um Wörter. Die systematische Zusammenstellung in diesem Fall von
Namenwechseln und die Addition der jeweiligen Erklärung können und
sollten dann zu Systemstrukturen führen. Hierbei sind drei Hauptebenen zu
Eher selten sind gleich dreifache beschreibende Ortsbezeichnungen wie etwa in „in
locum ubi dicunt Maritima siue Rocha Crespa uel Cubelles'"' (a. 999 Dipl Barcelona
1,574).
89
unterscheiden: Eine historische, nämlich der sozialhistorische oder politische
Anlass der Namenänderung; eine namenkundliche, die Motivation Namen-
wahl; und schließlich die linguistische, mit welchen sprachlichen Mitteln wer-
den Namen gebildet? Diese Differenzierung ist nicht immer ganz einfach, da
alle drei Bereiche sich gegenseitig bedingen und damit letztlich die Sonder-
stellung der Namenforschung ausmachen. Das Hauptproblem für den Termi-
nus Namenwechsel, insbesondere Ortsnamenwechsel, ist ,Wechsel', d.h. ein
Name wird durch einen anderen ersetzt, was praktisch alle Möglichkeiten of-
fen lässt. In strengerer Terminologie sollte man daher vielleicht besser gleich
das sagen, was man im bestimmten Fall meint: Doppelnamen, Namenän-
derung, Umbenennung, Neubenennung usw. Doch lässt uns die historische
Überlieferung oft im Stich, und eine Präzisierung scheint kaum möglich. Der
Auslöser ist jedenfalls immer, und um auf das Generalthema zurückzukom-
men, eine Einwirkung von außen, eine Interferenz.
Bibliographie 4
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,-ing’ dans les langues de la péninsule ibérique“, in: Actas de ¡a la Reunión
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DOELP = Machado, José Pedro: Dicionário onomástico etimológico da lín-
guaportuguesa, 3 Bde., Lisboa [1984].
Nur die im Text gekürzt genannten Arbeiten sowie wenige weiterführende Titel.
Auf die Auflösung der Quellensigel muss an dieser Stelle verzichtet werden. Vgl.
Dokumentation Anm. 1.
90
Gama Barros, Henrique da: Historia da administrando pública em Portugal
nos sécalos XII a XV. 2. Aufl., bearb. von Torquato de Sousa Soares, Bd.
IV, Lisboa 1947.
García de Diego López, Vicente: Toponimia de la zona de Jerez de la Fronte-
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González Jiménez, Manuel: En torno a los orígenes de Andalucía: la repobla-
ción del siglo XIII, Sevilla 1980.
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nal de historia de la lengua española, Bd. II, Madrid 1988, S. 1583-1612.
Niederehe, Hans-Josef: Die Sprachauffassung Alfons des Weisen (Zeitschrift
für romanische Philologie, Beiheft 144), Tübingen 1975.
Pabón, José M.: „Sobre nombres de la ,villa’ romana en Andalucía“, in:
Estudios dedicados a Menéndez Pidal, Bd. IV, Madrid 1953, S. 87-165.
Schützeichel, Rudolf (Hg.): Ortsnamenwechsel. Bamberger Symposion 1. bis
4. Oktober 1986, Heidelberg 1986.
Tejero Robledo, Eduardo: Toponimia de Avila, Avila 1983.
91
Dokumentation
Katalonien
(1) Anabiensis quoque S. Mariae quae olim vocaverunt locus S. Deodatae
a.819 MarcaHispanica 765
(2) villa Morarías que vocant Rexaco a.889 DocLanguedoc 2,698 (Nar-
bonne)“
(3) in alio loco quod dicitur Armentaria quem vocant Torecella a.922 Mar-
caHispanica 843 '
(4) in loco qui nominatur Vallis Axenis super riuum quod antiquitus
Calonicha nunc vero Esera vocatur quod ad gentem Sarracenorum fuit
destructa a.959 DocPallars 3781 2 * 4
(5) tibi, mártir Cucuphas, cuius tuus videlicet domus vel cenobium constat
esse fundatum in comitatu Barchinona, in Vállense, in loco quod ab
antiquitus vocatum est Octaviano a. 1032 CartStCugat 2,1735
1 Die Quellensigel entsprechen denen des Glossars der altromanischen Berufs- und
Standesbezeichnungen (in Arbeit) sowie denen des Namenbuches Dictionnaire
historique de l'anthroponymie romane (PatRom), publié pour le collectif PatRom
para Ana Maria Cano González, Jean Germain et Dicter Kremer, volume 1/2:
Bibliographie des sources historiques, Tübingen 2010; sie werden aus Raum-
gründen hier nicht aufgelöst.
2 Dazu auch BalariOrigcnes 43. Es gibt verschiedene Reixac im Gebiet der alten
Marea Hispanica. Das bekannteste, Sant Pere de Reixac, wird übrigens auch Torre
deis Frares genannt; vgl. Dicconari nomenclátor S. 322.
Entspricht heutigem L 'Armeniern (Girona). Für Torecella ist trotz der Nähe zu
armentaria ,Viehweide4 wohl nicht von einer Ableitung von taurus ,Stier4, sondern
von einer Diminutivform von turris ,Turm4 auszugehen, die als Ortsbezeichnung
des Öfteren belegt ist.
4 Calonica steht gewiss für canonica (Beleg fehlt im GMLC). ln meinem Material
einziges Beispiel für die Umbenennung eines Flusses (Essera).
U.a. der allmähliche Namenwechsel Castrum Octavianum > Sant Cugat del Vallès
ist gut dokumentiert, ln Auswahl: ego Belido donator sum Deo et s. Cucufati mártir
Christi cenobii, cuius basilica sita est in suburbio civitatis Barchinone, paulo
longius octavo miliario, in loco vocitato Octaviano a.983 CartStCugat 1,126, ad
domum s. Cucuphati, cuius baselica sita est in pago Barch., in loco que dicunt
Octaviano a.955 CartStCugat 1,37, ad domum s. Cucufati martiris Domini nostri
Iesuchristi, in cuius baselica corpus eius requiescere videtur, et est situm in loco que
nuncupant omnes Octaviano a.959 CartStCugat 1,53, ad domum s. Cucufati mártir,
qui est situs in chomitatu Barch., in locum vocitatum Octaviano a.978 CartStCugat
1,105 u.a.; a domum s. Cucufati cenobii Vales a. 1003 CartStCugat 2,35, ad domum
92
(6) castrum nuncupatum Bello Loco qui uocitantur Ribas a.990 DiplBarce-
lona 1,417f.
(7) in locum que dicitur Castras que alio nomine vocatur Bella Cella a.995
DiplGirona 2,493/508* 6
(8) in terminio de Monte Cellario que dicunt villa Columbi a.995 DiplGi-
rona 2,4937 *
(9) ipsa Guisaltrud qui primum uocabatur Bischal [-a. 1000] BalariOri-
genes 267*
(10) Castrum Episcopale olim uocitatum Bene Uiuere a. 1013 BalariOri-
genes 267q
s. Cucuphatis cenobii Vale[n]se a. 1010 CartStCugat 2,69 u.a.; vendo omnipotenti
Deo eiusque almo martiris Cucuphati, cuius locus Octavianus dicitur a. 1119
CartStCugat 3,43, domum s. Cucuphati Octavianensis cenobio a.990 CartStCugat
1,206, donatores sumus Domino Deo et s. martiri Cucuphato cenobii Octavianensis
a. 1079 CartStCugat 1,359, domum sancti Cucuphatis et Sancti Felicis ad locum
Octauianum a.878 DiplBarcelona 1,191, villam s. Cucuphatis cum suis terminis que
antiquitus vocabatur castrum Octavianum a. 1234 (or.) CartStCugat 3,431.
6 Heute Castres (Tarn).
Auch parroquia de Sancti Stephani de vi/a Colum que alio nomine vocatur Monte
Cellario a.997 DiplGirona 2,509, ansonsten villa Colombi. a.959 (or.) DiplGirona
1,304 u.ö.
s Heute Vilanova i la Geltru (Barcelona), zusammengewachsen aus Vilanova de
Cubelles und La Geltru. Bischal ist möglicherweise als *bisbal < episcopalis zu
interpretieren (dazu verschiedene katalanische Ortsnamen La Bisbai), wodurch auch
der Artikel bei Geltru eine Erklärung finden könnte. Die lautlich nahe liegende
Herleitung von Geltru aus einem germanischen Frauennamen (so CorominesEstudis
1,57f.; doch ist eine *Wisaltrud- offenbar nicht belegt) ist ansonsten morphologisch
bedenklich.
’ Castellbisbal < Castell de Llobregat < Beneviure, vgl. ipsa uilla Episcopale a.999
DiplBarcelona 1,574 (La Bisbai del Penedes). Im Index des LFcudorumMaior
werden verschiedene Belege von Benevivere mit heutigem Castellbisbal (und auch
La Bisbai) gleichgesetzt: in loco vocitato Benviure a. 1066 LFeudorumMaior 1,306,
ipsum castrum quod nuncupatur Benevivere a. 1072 LFeudorumMaior 1,298/300, in
ipsa serra Benviure a. 1073 LFeudorumMaior 1,284/285, (dort auch ein weiteres
Beispiel fur Namenwechsel: „quadra in loco nominato Valle Viridi vel ab antiquis
temporibus dicto Bufalla/ipsa serra de Valle Viridi vel de Bufalla“, heute Villaverd
[Barberä])/286 (hier ein weiteres Beispiel: in loco nominato Turlanda ab antiquo
tempore Segura/castro de Turlanda quod ab antiquis temporibus vocabatu[r] Segura
S. 289 = castrum de Secura a. 1076 LFeudorumMaior 1,525/287 (heute Biure de
Gaiä); Benviure a. 1048 LFeudorumMaior 1,379, castro de Benviure a. 1111
LFeudorumMaior 1,250/252, Raimundo Bcrmundo de Castro Episcopali a. 1160
LFeudorumMaior 1,390 (heute Castellbisbal); vgl. dazu Carreras Candi, Francisco:
93
(11) Monte Claro que antiqui solebant dicere Monte Uano a. 1013
BalariOrigenes 2671(1
(12) in Cisteriano quae dicunt Vi/lavert a. 1017 MarcaHispanica 999
(13) Valle Mala quae dicunt Merdant a. 1017 MarcaHispanica 998* 10 11
(14) in loco que nucupatur Villa Rara que alio nomen dicitur et apellatur
Pedrencos a.1028 CartSCugat 2,1591 “
(15) castrum de Monte Aspero quod alio nomine vocatur Pals a. 1065
LFeudorumMaior 1,41013
(16) illo alodio vocatum fuit a paganis Lavandera, nunc autem vocamus
eum nos Bisilluno a. 1080 (or.) DiplPoblet 4314
(17) in termino Tarratiae juxta ecclesiam parrochialem sancti Petri in loco
eodem ubi antiquitus Egarensis sedes erat constructa a. 1112 Mar-
Lo Castell-Bisbal dei Llobregat, Barcelona 1900.
10 Dazu noch kastro de Montevano que vocant Monteclaro [...] in loco que dicunt
Montevano a. 1030 LFeudorumMaior 1,296, ipsum castrum cui vocabullum est
Monsclarus quod antiquitus vocabatur Monsvanus/castrum quod vocant Monsclarus
sive Monsvanus a. 1072 LFeudorumMaior 1,298/300, terme de Montclar a. 1054
LFeudorumMaior l,266f. u.ö., Muntclar a. 1067 LFeudorumMaior 1,268, castrum
Monte claro a. 1073 LFeudorumMaior 1,284 und andere.
11 Beide unschönen Namen scheinen nicht zu überleben. Zum Typ siehe auch Ortsbe-
zeichnungen wie ipsas cassas quod abemus in ciuitate Barchinona, foris murum, in
ipso Merdansano a.996 (or.) DiplBarcelona 1,526 (= Merdan^ä, nach einem Wild-
bach bei Barcelona), mansum nostrum qui vocatur de Villa Merdosa a. 1159
CartSCugat 3,196, rio de Merdecano a. 1057 CartStCugat 2,275 oder ipsa riera
Merdaci a.l 142 CartStCugat 3,126.
‘ Dazu noch Vilarara a.l 120 CartStCugat 3,49, Villarara a.l 166 CartStCugat 3,224
und Pedrencs a. 1120 CartStCugat 3,47, Raimundus de Pedrencs a. 1199
CartStCugat 3,357, Pedrenchs a. 1234 (or.) CartStCugat 3,432. Pedrenc dürfte dem
Gattungsnamen pedrenc ,steinig1 entsprechen. Zumindest theoretisch wäre aller-
dings auch eine Ableitung zum Personennamen Petrus, nach dem Muster von
villare Rodebaldencos a.913 (or.) ArchCondalBarcelona n°38 oder ipsum villare
quod vocant Rodbertencos а. 1068 LFeudorumMaior 1,413, denkbar; siehe dazu
auch AebischerMateriaux 16.
'' Gleicher Beleg bei BalariOrigenes 267. Dazu noch castro de Pals a.l062
LFeudorumMaior 1,502 (heute Pals, Girona). Nach CorominesEstudis 1,18 liegt
der Nominativ palus ,Sumpf zugrunde.
14 Entspricht nach BalariOrigenes 266 heutigem Boldii (Urgell). Dazu auch quadra
Pontii Dalmatii que vocatur Bisulduni а. 1080 (or.) CartPoblaciönCataluna 62
(Kommentar S. 709).
94
caHispanica 12 3 71 s
(18) ualle olim dictam Meritat nunc uero uocatur Luparias a, 1123 Bala-
riOrigenes 267
(19) ipsa populatione den Duas Aquas quam tu ipse populasti que noviter
appellant Villasalva a.1155 CartPoblacionCataluna 1,15216
(20) j. campum terre quem habemus apud Milmandam qui antique dicebatur
Scurpianda a. 1184 CartPoblet 34* 1
(21) serra de Franchea que antique vocabatur serra Volpeiera a. 1205
CartStCugat 3,373
(22) castrum de Malleatho quod antiquitus vocabatur Palatium Auditum
a. 1234 (or.) CartStCugat 3,432lx
Aragon/Navarra
(23) illam eclesiam quam hedificaverunt in loco qui dicitur antiquitus
Gallicollis quam locus mutato nomine a rege Sancio uocatur Mont
Maior uel Luna a. 1092 DocReconquista n°29019
(24) ad illo ponte de Arga qui eciam cognominatur de illa Regina a. 1122
FEstella 5520
Siehe dazu CartPoblaciónCataluña 595f. und Soler i Palet, Joseph: Contribucio á la
historia antiga de Catalunya, Egara-Tarrassa, Terrassa 1928.
1(1 Der Ort wird auf Befehl von König Alfonso I. auf den in der Nähe liegenden Berg
verlegt, dessen Namen der Ort in Zukunft tragen soll: „muto ipsam villam meam
que nunc appellatur Villasalva sicut pater meus mandaverat et stabilierat. Unde volo
et mando tibi Petro Berengarii de Villafrancha ut tu mutes predictaam villam et
edifices et apopules eam in ispum montem qui est super hanc villam quam mutari
mando, qui mons nunc noviter appellatur Muntblanch“ a. 1 163 CartPoblaciónCata-
luña 1,172.
1 Dort auch „grangia de Milmanda“. Vgl. dazu Kremer, Dieter: „Zu den Ortsnamen
Milmanda und Milreuin: Ders. (Hg.): Homenagem a Joseph M. Piel: por ocasido
do seu 85. aniversário, Tübingen 1988, S. 51-78.
|s Die genauere Zuordnung wäre zu überprüfen, vgl. „in castulo ipsius colli suprami-
nentis quem iuxta vulgalis oppinio antiquo preventus est ei vocabulo Castello de
Mallato“ a.988 CartStCugat 1,182, „[...] Pedrencs, cum capella de Palatio-Autzito;
castrum de Malleato, de Pulcro Vicino“ a. 1120 CartStCugat 3,47.
19 Heute Luna (Ejea de los Caballeros). Nach Ubieto, Augustin: Toponimia aragonesa
medieval, Valencia 1972, S. 132, entspricht Gallicolis auch heutigem Marracos
(Piedratajada, Ejea).
20 Dazu auch „super ripam fluminis Arga nomine Verroeta“ a. 1024 CDIrache 5, Ponte
95
(25) illo tempore quando prefatus rex populabat illam populationem
d'Almagám quam cognominabat Placentiam a. 1128 DoeReconquista
n°55* 21
(26) vobis omnibus populatoribus meis de Nova Victoria... placuit mihi...
populare vos in prefata villa cui novum nomen imposui scilicet
Victoria que antea vocabatur Gasteiz a. 1181 CDVascongadas 2,277'2
(27) Peynnalen que nunc Villanova appellatur a. 1312 ArchPamplona 4322 *
Arga a.I085 DocLeire 175 u.ö., Pont Arga a.1106 DocLeire 296, jaun Oxoa e’l
Ponte de Regina a. 1139 DocLeire 412, illa populatione uetula de Ponte Regina
a.!146(?) LacarraFueros Navarros 260, villa que dicitur Ponte de la Regina
[a. 1154] DocLeire 422, Ponte Regina a. 1189 DocLeire 456 u.ö. (heute Puente la
Reina, Estella).
21 Auch EspañaSagrada 50,392. Dazu noch uilla que dicitur Almazan a.1128
DoeReconquista n°57, illa populatione de A Imanan a. 1128 DoeReconquista n°144,
in anno quando populauit rex Almascan et fuit Fremont disfacto et mortuo a. 1129
DoeReconquista n°155 (heute Almazán, Soria). Die Benennung Placentia ist offen-
bar eine mittelalterliche Prägung (wie auch Beispiel (29)) und unmittelbar moti-
viert. Siehe auch Wolf, Heinz Jürgen: „Zum Typus Valentia-Pollentia-Potentia“, in:
Beiträge zur Namenforschung N.F. 3 (1968) S. 190-198.
" Namenänderung durch Sancho el Sabio. Die Namengebung ist nicht definitiv ge-
klärt. Nach Iohannes Biclarensis zum Jahr 581: „Liuuigildus rex partem Vasconiae
occupat et civitatem, quae Victoriaco nuncupatur, condidit“ (Ausgabe J. Campos, Z.
213-14). Von den meisten Forschem wird diese Gründung mit dem heutigen Vito-
ria/Gasteiz (Alava), der Hauptstadt der Autonomen Region Baskenland, gleichge-
setzt (J. Campos 137, R. Grosse 182 und andere). Orlandis 98 denkt auch an
Vitoriano (Zuya, Vitoria). Die auffällige gotische Namengebung spräche für diese
letztere Interpretation, die Bedeutung der Stadt für die erstere. Neugründungen
durch die Westgoten sind nachweisbar, etwa „Liuuigildus rex extinctis undique
tyrannis, et pervasoribus Hispaniae superatis sortitus réquiem propriam cum plebe
resedit civitatem in Celtiberia ex nomine filii [Reccarcd] condidit, quae Recopolis
nuncupatur: quam miro opere et in moenibus et suburbanis ador nans privilegia
populo novae Urbis instituit“ (Ausgabe J. Campos, Z. 176-180. Dazu auch Campos
127-8, Grosse 159 u.ö., Orlandis 98). Vgl. dazu auch Sáenz de Santa Maria,
Carmelo: „Un juego de topónimos: Victoriaco/Castellis-Gasteiz/Vitoria y sus posib-
les implicaciones históricas“, in: Letras de Deusto 15 (1985) S. 143-154.
Penalen a. 1099 (or.) CDPedroI 299 (var, Pennalen, Peynalen), Sanz Enecons in
Penalen a. 1161 Lacarra, Fueros navarros S. 265. Heute aufgegebener Ort bei Funes
(Tafalla). Hier starb König Sancho IV, Garcés von Navarra „el de Peñalén“ (1054-
1076).
96
Kastilien
(28) in loco qui antiquitus uocabatur Ambroz urbem edifico cui Plasentia, ut
Deo placeat et hominibus, nomine imposui a. II89 DocAlfonsiVIIl
2,80224
(29 ) 25Xanis ques termino de Tejada a que puso nombre el rey Adalides... e
heredo y el rey a estos adalides e a estos almogávares de a caballo
a. 1253 RepSevilla 2,10426
(30) Vesvachit a que puso nombre el rey Alcaldía, ques en termino de
Aznalfarache... e es dada a los alcaldes del rey don Alfonso / Rasnachit
que ha nombre Alcaldía a. 1253 RepSevilla 2,64/238"'
(31) el heredamiento que dio el rey a la Orden de Alcántara: diol
Dunchuelas Taxit a que puso el rey nombre Alcántara / al maestre de
Alcántara Duchuelas Taxit a que yo pus nonbre Alcántara a. 1253
RepSevilla 2,26/22938
24 Der alte Name bezieht sich auf Ambroz, Nebenfluss des Alagón. Mit der Wiederer-
oberung und Neugründung auf römischen Ruinen gab der König zuerst den Namen
Ambrosia, etwa „facta carta apud ciuitatem Ambrosiam“ a. 1186 DocAlfonsoVIII
1,779.
25 Ab hier beginnt die Landverteilung (repartimiento), die Alfons X. nach der Wieder-
eroberung (reconquista) von Sevilla, der damals wohl bedeutendsten Stadt auf der
Iberischen Halbinsel, vomahm. Soweit greifbar werden hier jeweils die beiden
Hauptvarianten (Typ Espinosa und Typ Palencia [14. Jahrhundert]) genannt; dazu J.
González,RepSevilla i, 118-144 und 2,7-10. Die Ortsbezeichnungen sind hier alpha-
betisch nach dem neuen Namen geordnet; die in der Ausgabe von González gesetz-
ten Akzente bleiben unberücksichtigt; im Index fehlende Namen werden nicht be-
sonders gekennzeichnet.
f’ „E todo lo al que finca y mando el rey a estos almogávares de cavado que lo
partiesen entre si, e después no lo quisieron los almogávares que ovieran de ser aqui
heredados, e dieronlo a estos monteros que aqui son escritos [...]“ (2,105); siche
dazu González,RepSevilla l,282ff. Adalid ,Anführer einer (Reiter-)Truppe‘, almo-
gávar ,Soldat einer Elitetruppe, die Vorstöße in Feindesland unternimmt1.
Alcalde ,(königlicher) Richter1; dazu J. González.RepSevilla l,277f.
s Berühmter Ritterorden, benannt nach seinem Hauptsitz. Der erste Sitz war in
Pereiro (Riba-Cöa), entsprechend war die erste Bezeichnung ordern militar de S.
Juliäo de Pereiro; vgl. R. de Azevedo in: Bib/os 10 (1934) S. 454-459. Dunchuelas
ist wohl die mozarabische Form von lat. domitiola ,kleines Haus‘ (J. Gonzá-
lez,RepSevilla 1,423). Ballesteros 77 nennt als Geschenk an den Alcántara-Orden
ein Dunchuelas Ragit, dem der König den Namen Alcantarilla gab, in Alora (Mála-
ga). Möglicherweise liegt hier eine Verwechslung vor, allerdings ist Alcantarilla
ein wichtiger Ort in Murcia (siehe Torres Fontes, Juan: Repartimiento de Murcia,
Madrid I960).
97
(32) Colera a que puso nombre el rey el Aldea de los Falconeros del rey... y
es dada a los falconeros del rey don Alfonso / Collera que ha nonbre
Aldea de los Falconeros a. 1253 RepSevilla 2,91 /248 M
(33) Paterna Harah a que puso el rey nombre el Aldea de los Judíos del rey
t Paterna Hatab que ha nombre el Aldea de los Judíos a. 1253
RepSevilla 2,65/247'°
(34) Sietmalos a que puso nombre el rey A/gacila ¡ Sietmalos que ha nonbre
Alguazila / Sietmalos a que yo pus nombre Alguazila a. 1253
RepSevilla 2,92/238/312f.31
(35) el heredamiento que dio el rey a don Rodrigo Alfonso: diol Castalia
Tallacadar a que puso el rey por nombre Alija / a don Rodrigo Alfons
Castiella Tatlapana que ha nonbre Alixer a. 1253 RepSevilla 2,20/230 "
(36) Mexina a que puso nombre el rey Aragón... es dada a cavalleros de
Aragón e de fuera del reino / Mexina que ha nonbre Aragón a. 1253
RepSevilla 2,53/23733
(37) el heredamiento que dio el rey al fijo del rey de Bae^a: diol Machar
Azohiri a que puso nombre el rey Baeqa / el fijo del rey de Baeya
Machar Azethor que ha nonbre Baeqa a. 1253 RepSevilla 2,32/231 3
(38) Machar Chacosa a que puso nombre el rey Ballestería... e fue dada a
ballesteros del rey don Fernando / Machar Chocofa que ha nombre 9 * 11
9 Bei Ballesteros 81 aldea de los Falcones, vermutlich wurde das Kürzel übersehen.
Zu den Falknern des Königs siehe auch J. González,RepSevilla l,273f..
Heute Paternina (bei Espartinas). Es handelt sich um hohe jüdische Beamte
(almoxarife ,Finanzminister\ alfaqui ,Rechtsgelehrter', rabí ,Rabbiner'); dazu J.
González,RepSevilla 1,2790'.
11 Auch „el aldea que dizien en tiempo de Moros Siet malos a que yo pus nombre
Alguazila“ a. 1253 (or.) DocSevilla n°34. Das Grundstück erhält Pedro Belasco el
adalid. Sietmalos (= septem malos < mälus ,Apfelbaum'), mozarabische Ortsbe-
zeichnung des keineswegs seltenen Typs ,Sieben-'; vgl. dazu noch Seismales
(1,406) und Cabes(;a de Malos (a. 1267 RepSevilla 2,347). Zum alguacil ,höchster
Magistrat' siehe J. González,RepSevilla l,276f.
Caztal/a Talacadar a.1267 RepSevilla 2,347, heute Castillejo de la Cuesta.
Caztalla ist wie häufig überliefertes cazada die arabisierte Form con castella. D.
Rodrigo Alfonso, Sohn von König Alfons IX. und Bruder Alfons’ des Weisen, ist
señor von Al iza und Herzog des Infantado.
Mejina (Mexina) < Messius (*Villa Messiana), vgl. J. González,RepSevilla l,402f.,
Pabón 131.
■4 D. Fernando, konvertierter Sohn des (maurischen) Kleinkönigs von Baeza. Zum
Namen der Stadt Baeza siehe Pabón 147-150.
98
Ballestera a los ballesteros de cauallo del rey don Ferrando e de pie
a. 1253 RepSevilla 2,67/25035
(39) Bulchena a que puso nombre el rey Ballesteros... e es dada alos
ballesteros del rey Alfonso / Bulchena que ha nonbre Ballesteros es
dada a los ballesteros de cauallo e de pie del rey don Alfons a. 1253
RepSevilla 2,83/25136
(40) el heredamiento que dio el rey don Alfonso al infante don Pedro de
Portugal: diole Margaloba a que puso el rey nombre Barcelona / al
infante don Pedro Marzaloua e disenle agora Bargilona a. 1253
RepSevilla 2,19/22937
(41) [el heredamiento que dio el rey a otros obispos:] Alharanniz... e púsole
nombre el rey Bispalia ¡ Aluaraniz que ha nonbre Bispalia a. 1253
RepSevilla 2,29/24138
(42) Cambogat a que puso el rey nombre Cafiza... e diola toda a Minero
a. 1253 RepSevilla 2,3539
Häufiges machar soll nach J. Cionzález,RepSevilla 1,429-433 einem mlat. *mansáre
entsprechen, in analoger Bildung zu villare, casare, molinare u.ä.; phonetisch
bedenklich die Herleitung aus massaria (Dozy). Ballestero ,Armbrustschütze1. Die
Variante Ballestera könnte, falls nicht als selbständige Form zu interpretieren, auf
die ursprüngliche Betonung ballestária (> ballestera) weisen; siehe dazu die
Musterdublette ferraría > herrera /herrería.
36 Bulchen < BiJLTius (Pabón 99).
37 Heute Marjaloba (Rinconada). D. Pedro (1187-1258) ist einer der Söhne von König
Sancho I. von Portugal und D. Dulce, Tochter des Grafen Ramón Berengucr IV.
von Barcelona und D. Petronilla, dadurch Graf von Urgell und König der Balearen,
's Landverteilung an die Bischöfe von Avila, Córdoba, Coria, Cuenca und Jaén.
39 = Vinnas en Cambugaz sobre la casa de Miqer RepSevilla 2,221, Cambogas a. 1300
RepSevilla 2,368, la casa de Miger RepSevilla 2,207 u.ö., la casa de don Miger (!)
RepSevilla 2,214, heute Gambogar (Camas). Italiener spielen in einigen Bereichen
eine wichtige Rolle; dazu J. González,RepSevilla 1,313f. Miger ist die verselbstän-
digte Anredeform von miger Cafiza, Wasseringenieur („con la obligación de hacer
venir el agua de los Caños ‘a los nuestros palacios del alcafar de Sevilla e a las
nuestras cozinas e a la huerta mayor del mió alca9er, e a la huerta d'Aben Ahofar,
quanta fuere menester... e que fagan otroso venir el agua assi como solie venir en
tiempo de moros a dos fuentes en Sevilla, a aquellas sennaladamientre do la ha de
traer miser Caxico, e an de tener ornes e tablas e estopa, toda la que ovieren
menester para guardar las puertas de la villa nin faga hi danno’“ a. 1254 RepSevilla
2,322). Sein Bruder Niculoso erhält im selben Ort ein Grundstück. Die Identifi-
zierung ist schwierig, siehe „Guillen Estart es comitre e es su fiador Migero su
yemo“ RepSevilla 2,167, ,¿Jiculoso Taxo es comitre e es su fiador don Ensalt“
RepSevilla 2,168 (siehe unten Anmerkung 48), [doña Be(n)encasa viuda de micer
99
(43) el heredamiento que dio el rey a la Orden de Calatrava: diole Carriona
que puso el rey nombre Calatrava / a la orden de Calatraua Carrión
que ha nonbre Calatraua a. 1253 RepSevilla 2,25/2314(1
(44) el heredamiento que dio el rey a don Simón Ruiz: diole Abgena a que
puso el rey nombre Camero / a don Simón Ruyz Algena que ha nombre
Cambero / el aldea que avie nombre en tiempo de moros Abgena a que
yo pus nombre Camero a. 1253 RepSevilla 2,21 /229/3 0740 41 42 43
(45) Ruxuxena Harat Aljena a que puso el rey nombre Campesina /
Ruxuxena Baratalgema que ha nonbre Campesina es dada a estos
caualleros a. 1253 RepSevilla 2,47/2354~
(46) el heredamiento que dio el rey al obispo de Cartagena: diol Geluferiz a
que puso el rey nombre Cartagena / al obispo de Cartagena Gelo Feriz
que ha nonbre Cartagena / el aldea que avie nombre en tiempo de
moros Geluferiz a que yo pus nombre Cartagena a. 1253 RepSevilla
2,28/231/307
(47) el heredamiento que dio el rey a Fernán Ruiz de Castro: diol Villanova
Anogaychet a que puso nombre Castro / a don Ferrant Ruyz de Castro
Villamteua Nogavche e ha nonbre Castro a. 1253 RepSevilla 2,23/23 04'
Nicoloso Frexeter] a. 1307 RepSevilla 2,371.
40 Carrión ist möglicherweise Namenübertragung (Carrión, Burgos), weniger wahr-
scheinlich vielleicht zu einem einheimischen Gentilnamen Carrius, wie Pabón 144
auch für Carrión (Iznate, Málaga) vermutet.
4 Don Simón Ruiz de los Cameros ist „uno de los nobles que han de dar más juego al
final del reino“ (Ballesteros 82). Zu Abgena/Ugena (< Ussius, Ugius) vgl. Pabón
117 und J. González,RepSevilla 1,401 (Ugena < Ugius).
42
Nach J. González,RepSevilla 1,403 geht Ruxuxena auf den Gentilnamen Rusticus
(> Rusticena) zurück; anders Pabón 113 (RusatiuS?). Zum spezifischen Suffix ~ena
vgl. u.a. Ramón Menéndez Pidal, „El sufijo ,-en’, su difusión en la onomástica
hispana“, in: Ders.: Toponimiaprerrománica, Madrid 1968, S. 105-158 [Wiederab-
druck des Beitrags von 1941 in Emérita 8, S. 1-37]. Die wichtigsten der hier be-
dachten Persönlichkeiten stammen aus der Tierra de Campos. Vergleichbar ist der
Name des verschiedenen Rittern aus ganz Kastilien geschenkten Gebiets:
„Castellón [sic] [...] es dada a cavalleros de la mesnada del rey don Alfonso /
Castiella [...] es dada a caualleros de mesnada del rey don Alfonso“ a. 1253
RepSevilla 2,40f. 1/234, „Pedro García, almocaden, e sesenta e quatro almogávares
que avia heredado el rey don Femando en Castiella e en Gelurauz“ a. 1253
RepSevilla 2,152 (dazu auch J. González,RepSevilla 1,266).
43 Dazu noch „Villanueva que en tiempo de moros se llamaba Nogaiche y después
Castro''' a. 1287 RepSevilla 2,364, Villanueva de Nogaiche a. 1359, Villanueva
Nogache a. 1361 RepSevilla 2,377. Der Ortsnamentyp Villanova ist offenbar bereits
vorarabisch (J. González,RepSevilla 1,404) und nicht unbedingt gleichzusetzen mit
100
(48) el heredamiento que dio el rey a donna Mayor Arias: diol Benacaqon a
que puso el rey nombre (¿eluda, ques en el termino de Solucar / a
donna Mayor Arias Reniña ton he ha nonbre (pelada a. 1253 RepSevilla
2,30/23144 45 *
(49) el heredamiento que dio el rey a don Rodrigo Frolaz: diol Calabana... a
que puso nombre el rey Cidfuentes / a don Rodrigo Sanches Calatina
que ha nonbre (¿¡fuentes a. 1253 RepSevilla 2,23/2304>
(50) el heredamiento que dio el rey al infante don Alfonso de Molina su tio
en Sevilla: diole el aldea que debían en tiempo de moros Corcobina
aque puso el rey don Alfonso nombre Molina a. 1253 RepSevilla 2,144f’
(51) Rauz a que puso el rey nombre Criada... e es dada a criazón del rey
don Fernando / (= los que heredan en Palomares) a. 1253 RepSevilla
2,54/25247
(52) Palmaraya a que puso nombre el rey Duennas... e es dada a companna
den sehr zahlreichen mittelalterlichen Bildungen dieser Art (siehe hier die Beispiele
28, 48, 66, 80, 99, 106), die eine systematische Untersuchung verdienten.
44 Frau des Rodrigo Gómez de Galicia (Trastámara), der die Erziehung Alfons’ X. an-
vertraut war (J. González,RepSevilla 1,261,275). Sie wird im Repartimiento des
Öfteren bedacht, u.a. erhalten die „omes de donna Mayor Arias“ Grundstücke in
Palmaraya (Nr.46), neben der „companna de la reina donna Violante“ und der
„companna de la infanta donna Leonor“ (RepSevilla 2,88/192), „conpanna de
donna Mayor Arias“ RepSevilla 2,257, „la torre de donna Mayor“ RepSevilla
2,152/271 (Bilbiana).
45 Der Vatersname scheint verderbt. Don Rodrigo Froilaz erhält weitere Grundstücke
(2,267). Er veräußert sein Besitztum mit Ausnahme der Häuser in der Stadt dem Al-
cántara-Orden (a. 1256 RepSevilla 2,327f.). Cifuentes (Guadalajara) ist der Stamm-
sitz. Siehe dazu auch Francisco Layna Serrano: Historia de la villa condal de
Cifuentes, Madrid 1955.
4(' Don Alfonso de Molina, Bruder von König Ferdinand III. und Onkel Alfons’ X.,
erhält mit die reichsten Ländereien (RepSevilla 1,259, 2,14f.: „e a en esta aldea
cinco barrios en su termino, que an nombres asi en tiempo de moros: Harat Abzarat,
Harat Viztarabalgun, Harat Aben Maynet, Harat Aben Maxarat, Machar Yquay“
ebd. 15).
4 Neben dem arabischen (rauz ,Garten1) und dem neuen romanischen Namen über-
wiegt zur gleichen Zeit bereits Palomares, doch ist das Verhältnis zwischen den
verschiedenen Benennungen nicht ganz klar. Wie wenig der neue Name zählte,
ergibt sich auch aus: „estos son de criazón del rey don Fernando, que heredo el rey
en Ruxuxena Harat Canah, que ovieron a ser heredados en Rauz e porque no avia y
cumplimiento en Rauz de heredad cambiarongelos aquí en este termino de
Aznalfarache, e dioles la heredad de pan en Utrera“ (2,58).
101
de la reina donna Violante / Palmaraya a. 1253 RepSevilla 2,86/2574>'
(53) Albibeyen que puso nombre el rey Eglesia... e es dada a los clérigos de
Sevilla de la eglesia de Santa María / Aljubayan a. 1253 RepSevilla
2,95/2554 * * * 49
(54) el heredamiento que dio el rey a don Ensalt: diol Machar Aben
Romacha que puso el rey nombre Ensaldina / a don Ensalte Machar
Aben Tomach que ha nonbre Ansoldina a. 1253 RepSevilla 2,35/23250 51 *
(55) el heredamiento que dio el rey a don Alonso López: diol Montinosa
que puso el rey nombre Faro / a don Alfons López Tortujos e ha
nonbre Haro a. 1253 RepSevilla 2,22/230"1
(56) el heredamiento que dio el rey don Alfonso a Nunno Gómez: diol
Torija Tabarait a que puso el rey nombre Ferrera / a don Nunno
Gordales Corixad Albat que ha nonbre Ferrera a. 1253 RepSevilla
2,19/22953
(57) Monpunnena a que puso el rey nombre Gallega / Mompunnena que ha
nonbre Gallega es dada a estos caualleros a. 1253 RepSevilla
2,48/23653
(58) al obispo de Panplona el aldea que abie nonbre en tiempo de moros
4S Im selben Ort auch Ländereien an die compannas der Infantin D. Leonor und von
D, Maria Arias (dazu J. Gonzálcz,RepSevilla 2,275). Nach diesem Autor (1,422)
entspricht Palmaraya = palma regia.
4g Offenbar war der arabische Name präsenter: Aljubaryan a. 1253 RepSevilla 2,255f.,
[Alinbayán] a. 1253 RepSevilla 2,31 Off.
Ml Transpyrenäischer Name; siehe auch oben Anm. 39 (zu Niculoso).
51 Der alte Name (= Montijos) ist schlecht überliefert. Berühmte Familie, nach ihrem
Stammsitz in Haro (Logroño) gelegentlich auch de Bizcaya genannt (siehe unten,
94). Wie die meisten der hier genannten Mitglieder des Hochadels wird er u.a. in
den portugiesischen Livros de Linhagens genannt. Dazu auch de Salazar y Castro,
Luis: Historia genealógica de la casa de Haro (señores de Llodio - Mendoza -
Orozco y Avala). Edición, prólogo y notas por Dalmiro de la Va/goma y Díaz-
Varela (Archivo documental español 15), Madrid 1959.
'■ Der Familienname Gómez ist möglicherweise verderbt. Es handelt sich um Ñuño
González de Lara. Ferrera müsste einem der kastilischen Herrera entsprechen, z.B.
Monasterio de Herreral Nach J. González,RepSevilla 1,405 fuhrt Corissat Albat
auf CORISSATUM albatum, zu lat. CORISSUM ,Johanniskraut‘ (corazoncillo oder hierba
de San Juan), zurück.
53 Die hier beschenkten Ritter stammen überwiegend aus Galicien; vgl. oben Anm. 17
(Milmanda). Zu Monpunnena vgl. Pabón 110 (< MONS + Punius).
102
Barnagina e que ha nonbre Gazolaz a. 1253 RepSevilla 2,231 4
(59) el heredamiento que dio el rey a don Rodrigo Gonqalez: diole Villalva
a que puso nombre Gironda / a don Rodrigo Gonqales Vil/alua que ha
nonbre Gironda / [la aldea que en tiempo de moros se llamaba Villalba
a la cual] yo pus por nombre Gironda a. 1253 RepSevilla
2,21 /229/31454 55
(60) Gagallurva a que puso el rey nombre Guzman / Cauzuluria queha
nonbre Guzman a.1253 RepSevilla 2,43/24l56
(61) Bulules ques termino de Tejada / Búlales que ha nonbre Larica a. 1253
RepSevilla 2,39/24057 58
(62) el heredamiento que dio el rey a don Fernán Yannez: diole Albagalique
puso el rey nombre Lo barga na / a Ferrant Yuanes Batisela Albagales
que ha nonbre Lobagena / [la aldea Algavali... a la cual había puesto
nombre] Lobairana a. 1253 RepSevilla 2,24/230/330 x
(63) Bigena a que puso el rey nombre Lobera / Bisgena que ha nonbre
Lopera / la aldea que habie nombre en tiempo de moros Bigena a que
54 Entspricht Gazólaz, Hauptort der Gemeinde Cizur (Pamplona), Vgl. auch „eil
alquería que dió el rey a don Gon^aluo Yuanes de Baztan, quel dizen Bardajenaii
a. 1253(?) RepSevilla 2,321, Dazu vielleicht auch Bardagina a. 1253 RepSevilla
2,162,
" „el aldea que auie nombre en tiempo de moros Villalva a quien (!) yo pus por
nombre Gironda“ a. 1253 DocSevilla n°37. Nach J. González,RepSevilla 1,404 sind
Villa alba und Villa nova bereits vorarabische Bildungen (vgl. Anm, 43), was vom
Typologischen her nicht uninteressant erscheint. Von Interesse ist auch der neue
Name Gironda, der offenbar nichts mit der katalanischen Stadt (Gerunda > Girona)
zu tun hat, sondern vom Beinamen Girón (port. Giräo) dieser wichtigen Adels-
familie abgeleitet ist. ln den LLinhagens erscheinen die Feminisierung Giröa (für
weibliche Mitglieder der Familie) und Giröes (Dynastienamen); vgl. auch Kre-
mer,Cognomina 3,138f., und Ballesteros 83. Ein cortijo (Gutshof) namens Gironda
existiert noch bei Utrera.
h Unter den Beschenkten befinden sich Nunno Guzman (Pero Nunnes de Guzman)
und Pedro (Pero) Guzman.
57 Schwer spontan zu interpretierender Name (wohl kaum zu larix ,Lärche*). Der ara-
bische Name könnte mit bulbul ,Nachtigal* Zusammenhängen.
58 Femando Eanes de Lima (auch ,de Galiza*) o Batissela; Spitzname wohl der
Bedeutung ,schlechter Reiter* (gal. bater ,schlagen*, sela ,Sattel*), dazu auch
Kremer,Cognomina 3,153. Der ,neue* Name ist wegen der nicht eindeutigen Über-
lieferung verschieden interpretierbar: Zu einem Personennamen Lupercius (belegt
ist auch Lupercianus, vgl. den Artikel Lupus in PatRom III/l, im Druck),
Ableitung vom Personennamen Lupatius, luparia (J. González,RepSevilla 1,402)
oder Parallele zu Lobanina /Lobagina (unten Nr. 80)?
103
pus yo nombre Lobera a. 1253 RepSevilla 2,45/239/304^
(64) el heredamiento que dio el rey a Ruy López de Mendoza: diole Borga
Santaren a que puso el rey nombre Mendoza / a Ruy Lopes de
Mendoya Baria Santarem que ha nonbre Mendoza / [la aldea que
decían en tiempode moros Boria Santaren] a que yo pus nombre
Mendoza a. 1253 RepSevilla 2,24/230/3066°
(65) el heredamiento que dio el rey a don Gutierre Suarez: diol Villanova
Azequilla a que puso nombre Meneses / a don Gutier Suares Villanueua
Cazequille que ha nonbre Meneses a. 1253 RepSevilla 2,22/230'''
(66) el heredamiento que dio el rey don Alfonso al infante don Manuel su
hermano... e diole el rey a Ombret a que puso el rey nombre La Mesa
del Arzobispo e diol a la iglesia de Sevilla por heredad / a la eglesia de
Seuilla Ombret a. 1253 RepSevilla 2,50/2356“
(67) Tablante a que puso el rey nombre Mesnada... e fue dada a cavalleros
leoneses de mesnada del rey don Mfonso/Tablante que ha nonbre
Mesnada es dada a los de mesnada del rey don Ferrando a. 1253
RepSevilla 2,50/235* 60 * * 63 64
(68) Espartinas a que puso el rey nombre Monesterios / Espartinas que ha
nombre Monesterios / [la aldea de Espartinas] a que yo pus nombre
Monesterios a. 1253 RepSevilla 2,44/241/3 0663
''l> Es scheint nicht ganz ausgeschlossen, dass der Name Lope bzw. López für diese
Neubenennung Pate stand, die sich dann mit dem Gattungsnamen (siehe vor-
stehende Anmerkung) vermischte: Don Lope / Don Lop ist der Hauptbedachte;
anders Pabón 153 (Luparius). Zu Biqen vgl. Pabón 117 (ViciUS oder ViTtus).
60 Ruy López de Mendoza ist der erste Admiral der kastilischen Flotte. Der arabische
Ortsname ist offenbar mozarabischer Herkunft: häufiges borga/borja ,torre' steht
wohl für burgu- (J. González,RepSevilla 1,426-429). Santaren dürfte dem Namen
der portugiesischen Stadt Santarem (das alte Scallabis) entsprechen < Sancta
Eirena / Herena (port. Iria); dazu de Jesus da Costa, Avelino: Santa Iria e
Santarém. Revisäo de um problema hagiográfico e toponímico, Coimbra 1972, ins-
besondere S. 22ff.
M Guterre Soares de Menezes ,mocho', vgl. LLinhagens 103 u.ö. Zum Typ Villanova
siehe auch oben Anm. 53.
h~ Die im Repartimiento oft genannte Ortsbezeichnung Embrete (< umbra ,Schatten')
gehört in die markante morphologische Serie auf -ete (Pálmete, Lorete, Lobete und
Tagarete)-, dazu auch J. González,RepSevilla 1,405 oder V. García de Diego, Topo-
nimia de la zona de Jerez de la Frontera, S. 60.
63 „E heredo después el rey en Bi^ena a estos caballeros que eran heredados en
Tablant, porque les menguo y e han la heredad de pan en Alaquaz", ebd. 2,37.
64 Noch heute Espartinas (in der Nähe von Sanlúcar). Nach J. González,RepSevilla
104
(69) el herdamiento que dio el rey a maestro Fernando su notario: diol Ye/o
Antuxar a que puso nombre el rey Notoria / al arcediano maestre
Ferrando notario del rey Yellotuxar que ha nonbre Notaría
a. 1253RepSevilla II S. 31/23165
(70) el heredamiento que dio el rey al obispo de Palengia: diol Machar
Alcoraehi a que puso nombre Palen^iola a. 1253 RepSevilla 2,2866
(71) Gelu Rauz a que puso nombre el rey Portugalesa... e fue dada por mili
aranqadas a cavalieros portogaleses / Gie/urayz que ha nombre Porto-
galesa es dada a estos caualleros a. 1253 RepSevilla 2,51/23767 68 *
(72) el heredamiento de la reyna donna Juana: en Rogaena a que puso elrey
nombre Potiz a. 1253 RepSevilla 2,166X
(73) Espechilla a que puso el rey nombre Quintana / Espechiella que ha
nonbre Quintana a. 1253 RepSevilla 2,36/240
(74) Barbarena a que puso el rey nombre San Clemente / Barnachena que
ha nombre San Clemente a. 1253 RepSevilla 2,42/2426M
(75) el heredamiento que dio el rey a la Orden de San Juan: diol Alhadrin a
que puso el rey nombre San Juan a. 1253 RepSevilla 2,2670
1,402 zu einem Besitzemamen Spartus. Besser vielleicht zu esparto ,Pfriemgras1
oder eher noch Namenübertragung von Espartinas (Segovia). Bedacht werden die
Klöster von Burgos, San Andres de Arroyo, Cañas, Santo Domingo (de Silos) und
Villamayor (vgl. unten Nr. 93).
^ Maestro Fernando ist Bischof von Palencia.
',f’ Im 17. Jahrhundert la torre de Palencia genannt (ebd. S. 476).
67 Dazu wohl „tomóles [a los almogávares] a Gelurauz e heredóles en Onuios“ a. 1253
RepSevilla 2,100; 112 und „los almogauares que heredaron en Onujos en cambio de
lo que les diera el rey don Fernando en Gelurraysíí a. 1253 RepSevilla 2,273.
68 Rogaena auch a. 1253 RepSevilla 2,309 (nach Pabón 112 < Rogatus). Die neue Be-
nennung ist nur scheinbar dunkel: Po(n)tiz steht für Pontis (so auch die wohl
korrekte Lesung bei Ballesteros) = frz. Ponthieu, woher Königin Johanna stammt.
Einer ihrer Gefolgsleute ist don Tomas de Pontis (2,90). Zu den spanischen Köni-
ginnen siehe auch die alte Darstellung von Flórez de Setién, Enrique: Memorias de
las reinas católicas de España, 2 Bde., Madrid 1761 [ND 1964].
M Bedacht wird insbesondere das Kloster San Clemente in Toledo, ferner das Kloster
von Madrid, das Pilgerhospital von Roncesvalles, das Hospital San Pedro in
Toledo, Santa Maria von Rocamador, San Isidor in León und der Bischof von
Marokko. Die arabische Benennung ist nicht eindeutig, es überwiegt die Graphie
Barbarena (noch einmal a. 1253 (or.) RepSevilla 2,305); zu Barbarena siehe Pabón
98 (< Barbatius).
70 ,yüfadrin [...] que füé tomada a la Orden por yerma y quemada“ a. 1284 RepSevilla
105
(76) el heredamiento que dio el rey al arzobispo de Santiago: diol Yungar a
que puso el rey nombre Santiago / al arzobispo de Santiago Yugar que
ha nonbre Santiago a. 1253 RepSevilla 2,23/231 * 1 * * 4
(77) el heredamiento que dio el rey don Alfonso al infante don Felipe e al
infante don Sancho sus hermanos: en Buyena a que puso el rey nombre
Santa Maña / al infante don Sancho en Buyna... al infante don Felipe
en Buyena a. 1253 RepSevilla 2,17/229 ~
(78) el heredamiento que dio el rey al obispo de Segovia: diol
Borgabenzohar a que puso el rey nombre Segovia / al obispo de
Segouia Borg Abenzohat que ha nonbre Segouia / [al obispo don
Remondo la torre que decian en tiempo de moros Boriauenzohar] que
yo pus nombre Segoviola a. 1253 RepSevilla 2,28/231/30973
(79) el heredamiento que dio el rey a la Orden de Ucles: diol Vil/anueva
Talastar a que puso el rey nombre Segura a. 1253 RepSevilla 2,2574
(80) el heredamiento que dio el rey a don Martin Gil e a don Martin
Alfonso: en Galamera... e púsola nomnre el rey Gousa / a don Martin
Gil Gallinera que ha nonbre Sousa... a don Martin Alfonso al tanto en
2,361. Alfadrín „los verdes“ (nach J. González,RepSevilla 1,422).
1 Auch ,,al arzobispo de Santiago la aldea que decían en tiempo de moros Yugar, a la
cual él llamó Santiago“ a. 1253 RepSevilla 2,313. Der Erzbischof von Santiago de
Compostela ist seit 1127 ,auf ewige Zeiten' oberster Leiter der königlichen (kaiser-
lichen) Kanzlei.
' Im Jahr 1272 gründet Alfons X. den Ritterorden der Heiligen Maria und schenkt
ihm u.a. die alte Stadt Medina Sidonia (Assidona), der er den neuen Namen Estrella
(die Gottesmutter als Tagesstem) gibt. Für Buyena stehen mehrere Besitzemamen
zur Auswahl BUBIUS, BUBBIUS, BudiuS, BAUDIUS, vgl. Pabón 99.
Auch „la torre Boriavenzohar llamada Segoviola“ a. 1253 RepSevilla 2,315, zwei
entsprechende Urkunden (mit Segoviola) auch a. 1253 DocSevilla n°21 und nü43.
Auch hier wurde der arabische Name (Abenzohar) beibehalten: Abenzohar a. 1253
RepSevilla 2,76, la torre de Abenzohar a. 12511 RepSevilla 2,300 u.ö.; an diesem
Beispiel könnte die vermutliche Gleichung torre = borj- (< burgu-) überprüft
werden. Die Neubenennung ist die Namenübertragung des bekannten kastilischen
Segovia und hat natürlich nichts mit einem antiken, in der Baetica gelegenen
Segovia zu tun; dazu Tovar, Antonio: Iberische Landeskunde, Bd. 2,1: Baetica.
Baden-Baden 1974, S. 113f.
4 Urkundlich als Villanueva de Aliscar [= Ariscal] a.1253 RepSevilla 2,303. Nicht zu
verwechseln mit Segura bei ldanha-a-Nova (Portalcgre, Portugal), es handelt sich
um Segura de León (Badajoz) und den Santiago-Orden (gegründet 1170) mit einem
der beiden Priorate in Santiago de Uclés (neben San Marcos in León).
106
estos lugares a. 1253 RepSevilla 2,33/230 ^
(81) el heredamiento que dio el rey a don Rodrigo Alvarez: diole Foxata
que puso el rey nombre Tamariz / don Rodrigo Aluares Foxat e ha
nonbre Tamariz a.1253 RepSevilla 2,24/230
(82) el heredamiento que dio el rey a la Orden del Temple: Refannana /
Restinnana que ha nombre el Temple a. 1253 RepSevilla 2,27/241
(83) el heredamiento que dio el rey a don Garfia Perez de Toledo su
escrivano: diol Tercia a que puso el rey Taledanna / a Gargia Peres de
Toledo notario del rey Tercia que ha nonbre Toledana a. 1253
RepSevilla 2,32/231
(84) Pilias a que puso nombre el rey Tor del Rey... e es de criazón del rey
don Alfonso / Pilas a que puso nombre Torre del Rey a los de la
criazón del rey don Alfons / [la aldea de Pitias] a que yo pus nombre
Torre del Rey a. 1253 RepSevilla 2,69/242/3087n
(85) el heredamiento que dio el rey a Gonzalo Garfia de Torquemada: diol
Caxar a que puso el rey nombre Torquemada / a Gonzalo Garcia de
Torquemada Taxar con Moriana que ha nonbre Torquemada / [la
aldea] que avie nombre en tiempo de moros Caxar con el barrio que se
tiene con ella que le dicen Moriana a que yo pus nombre Torquemada
a. 1253 RepSevilla 2,31/231/31579
Beide Namen sind verderbt. Gallinera (< galunaria) ist wohl die bessere Lesung.
Sousa (sicher die korrekte Lesung, im Index nicht erwähnt) ist Hauptsitz von
Martim Gil („de Riba de Vizeia“ oder „da Maia“, Graf von Barcelos); vgl.
LLinhagens 28f. u.ö. Martin Alfonso ist vermutlich Bastard von König Alfons IX.
und Maria Mendes de Sousa (LLinhagens 22D13, 25A3-4).
7fl Wohl benannt nach Tamariz de Campos (Valladolid). Der mozarabische Name
Foxat vermutlich zu FOSSATUM,Graben" (J. González,RepSevilla 1,405).
Dazu noch: „a don Garcia Perez, scrivano del rey, veinte arañadas de olivar [en
Galichena] para cumplimiento de las cien aran^adas que le dieron en Tercia“ 2,98.
Es handelt sich offenbar um einen Meilensteinnamen wie oft auf der Iberischen
Halbinsel (siehe auch J. González,RepSevilla 1,407). Dazu noch in diesem regio-
nalen Bereich „la carrera que va a Cordoua e la que va a Tercia“ a. 1253 RepSevilla
2,201 usw. oder Quartos und Quintos a. 1253 RepSevilla 2,115 u.ö.
s Auch als Urkunde a. 1253 DocSevilla n°20. Die Lautung Tor steht nicht nur für
torre, sondern kann gelegentlich auch auf Otero (< altariu-) zurückführen (etwa
Tordesillas < Otero de Sillas). Die überaus zahlreichen und komplexen Ortsbe-
zeichnungen mit torre ,Turm‘ auf der Iberischen Halbinsel verdienten eine eigene,
systematische Darstellung.
79 Auch als Urkunde a. 1253 DocSevilla n°40. Es ist nicht ganz eindeutig, ob das ganze
Dorf (aldea) Caxar (Ableitung von casia ,Lavendelart“ oder ,Zimt‘) oder nur der
107
(86) el heredamiento que dio el rey a don Rodrigo Gómez de Galicia: diol
terraja a que puso nombre Trestamar / a don Rodrigo Gomes (7erraia
que disen Trestamar a. 1253 RepSevilla 2,21/229MI
(87) Lobanina a que puso nombre el rey Valdovina / Lobagina que ha
nonbre Valdouina a.1253 RepSevilla 2,93/248*'
(88) el heredamiento que dio el rey don Alfonso al infante don Alfonso de
Aragón: diole Valhuema Talhohia / a don Alfonso de Aragón
Valentina Talhara que agora ha nonbre Valentina a. 1253 RepSevilla
2,19/229* 81 * 83
(89) Leirena a que puso nombre el rey Valfennoso... e es dada a companna
de la reina donna Juana / Leyrena es dada a conpanna de la reyna
donna Juana a. 1253 RepSevilla 2,88 f./25883
(90) el heredamiento que fiqo el rey a don Alfonso Tellez: diol Gilien que
puso el rey nombre Villalva / a don Alfons Tellez Gilixien ha nonbre
Villalva a. 1253 RepSevilla 2,22/23084
(91) Gengena a que puso el rey nombre Villa Hermanos / Jaugena que ha
Ortsteil (barrio) Moriana gemeint ist.
s" Don Rodrigo Gömez erhält den Ort zum Verkauf an den Calatrava-Orden (a. 1256
RepSevilla 327), später werden [los molinos llamados Cerraja o Serraja] gegen die
Burg und die Stadt (villa) von Caza/Ia getauscht (a.1279 RepSevilla 2,358). In
späteren Urkunden noch einmal die Doppelbenennung ([aldea que decian Cerraja
llamada Trastamar] a. 1255 RepSevilla 2,329), sonst Cerraja (a. 1279 RepSevilla
2,358). Wohl nach der Pflanze lat. serralia (käst, cerraja, port. serralha) ,Strunk-
salat, GänsedisteP benannt; vgl. IsidorOrigene.v XVII. 10.10 (LACTUCA AGRESTIS).
Trastamar entspricht kastilisch Trastämara, port. Trastämara (= Irans Tamara).
81 Die beiden Hauptbeschenkten - neben 16 (22) weiteren, darunter Martin Perez, fijo
de Ponce Valdovin und Garcia Perez su hermano (2,94) - sind Martin Valdovin
und Ponce Valdovin, wohl Söhne von Baldovino a. 1207 (or.) DocAlfonsoVIlI
3,398 n°797. Lobanina, nicht Lobagina, scheint die richtige Lesung (noch mehrfach
wird Lobanina genannt, das dem „conceio“ von Sevilla vermacht wird). J.
Gonzalez,RepSevilla 1,404 zieht eine Verbindung mit *Lupanus einer zu Lupus
vor. Siehe auch oben Anm. 58.
s: Nicht ganz durchsichtig. Zwar könnte sich der neue Name auf die Stadt Valencia
beziehen, doch gibt es verschiedene Valencina in Sevilla (nach Pabön 124 < Valens
oder Valent/us), neben Balengina / Baienchina (< Palant/US, nach J. Gonza-
lez,RepSevilla 1,402).
83 Nach J. Gonzalez,RepSevilla 1,401 ist Leirena ein weiterer Besitzemame (Larius).
84 Heute Vi/lalba del Alcor (Huelva).
108
nonbre Villahermanos a. 1253 RepSevilla 2,39/240*'’
(92) el heredamiento que dio el rey a don Juan Garcia su mayordomo
mayor: diol Castalia Almangor a que puso el rey nombre Villamayor /
a don Juan Garcia Caztalat Alman^or que ha nonbre Villamavor a. 1253
RepSevilla 2,20/23086
(93) el heredamiento que dio el rey a don Diego López: diole Guizmograza
que puso el rey nombre Vizcaya / a don Diego Lopes de Faro Cines
Menguas que ha nonbre Vizcaya a. 1253 RepSevilla 2J8/230*7
(94) [a la Orden de Alcántara la villa y castillo de Morón] a que ponemos
nombre Buenaventura en que tengan convento mayor a. 1279
RepSevilla 2,35888 89
Asturien/León
(95) Numantia quae nostrates Goti postea vocauerunt Cemoram, Luís
Vázquez de Parga, La divisón de Wamba, Madrid 1943, S, 101 („Liber
Itacii“)
(96) de expeditione Civitate Emeritae duximus ad ¡spalirn vocata nuper
Civitas Sibi/ia a. 1063 EspañaSagrada 16,465K9
(97) in villa que vocitant Villanova quos ab antiquis nuncupatur Parata
a. 1097 TumboMontes S. 18890
(98) facimus kartam de foros populatoribus de Hospitali quod dicitur de
s> Nicht ohne weiteres verständliche Namengebung. Bedacht werden Pelay Perez,
Gonzalo Yannez, Feman Nunnez, die Söhne des Feman Suarez (vielleicht Anstoß
zum neuen Namen), Suer Tellez, der Bischof von (/ümora, die Klöster von Santa
Maria de Alficen und las Duennas de San Esteuan. Der Ort heißt a.1270 Juqena
(2,347); nach Pabón 105 (Gencena) < Gent/us.
S6 Namenübertragung von Villamayor de los Montes (Burgos)? Mit seinem alten
Namen erscheint der Ort in „e dió el rey a don Juan García, su mayordomo mayor,
Canqandini toda por heredamiento en cambio de Caca/la Almanqor, que él le avía
dado antes, que dió el rey después a los christianos pobladores de Sanlúcar [...] en
Cacalla de Almanqor“ a. 1253 RepSevilla 2,139f.
s Weitere Varianten: Guizmogras, Guzmograz, Guizmogiaz.
88 Nach J. González,RepSevilla 1,252 wird keine Namenänderung oktroyiert, da es
sich um einen bekannten Ort handelt; zu den Problemen der Besiedlung siehe 1,72.
89 Überführung des Leichnams des Heiligen Isidor von Sevilla nach León unter König
Ferdinand I.
90 „[...] in locum predictum ubi dicent Casa de Rui Johanne.“ Heute Vi/lanueva de
Valdueza.
109
Sancta Maria de Fonte et habet nomen de donno Garssia a. 1 131
CD Bene vi vere 1091
Galicia/Portugal
(99) in hereditate propria monasterium construere, uocabulo Sancti
Laurentii de Carboeiro, qui antea uocabatur Retorta, secus flumen
Dezie a.999 DocLaCoruna 2,20
(100) Villa Caluos que nunccupant de nouo tempore Villa uerde a. 1045
PMHDiplomata 20892
(101) uobis populatoribus nostra hereditate que uocatur de nouo uila fereiro
[...] a uobis populatoribus da atalaia damos toto foro de uila fereira
a. 1222 PMHLeges 591f.93
(102) in parrochia Sancti Salvatoris de Atrio que agura chamam Viana
a. 1258 PMHInquisitiones 329b / uolo facere populam in loco qui
dicitur Atrium in foce Limie cui popule de nouo impono nomen Viana
[a. 1258-62] PMHLeges 1,69194
(103) item dixerunt que quando elRey don Sancio l.° deu a poblar esta vila de
Contrasta que agora chamam Valentia... a. 1258 PMHInquisitiones
365b / quando iterum fecimus populari ipsam villam mutauimus sibi
nomen de Contrasta et imposuimus sibi nomen Valentiam a. 1262
PMHLeges 1,57295
1,1 Auch „hospitale qui fuit de domno Garcia“ a. 1175 CDBeneviverel 8, „hospitale de
don Garcia“ a. 1177 CDBenevivere 23.
92 Beleg auch bei Gama Barros 39. Der Typ Villaverde begegnet in Portugal recht
häufig: villa uerde a.960 PMHDiplomata 51 usw. Eine villa caluos (ecclesia sancti
Laurencii de ~) ist a. 1050 PMHDiplomata 228, ein Caluos (termino de ~) a. 1058
PMHDiplomata 252/278 belegt; auch Calvos ist kein seltener portugiesischer Orts-
name.
9' Erbgut am Zezere, das von Pedro Ferreiro ein Ortsrecht {Joral) erhält. Auch
Elucidärio 2,261a {Villa Ferreira): „[...] sem düvida para conservar o apelido de
Ferreiro“. Die Handschriften geben offenbar keinen genauen Aufschluss über die
exakte Form, beide {ferreiro ,Schmied' und ferreira ,Schmiede' u.ä.) schließen
einander nicht aus.
94 Auch zitiert von Gama Barros 39. Entspricht der bekannten nordportugiesischen
Stadt Viana do Castelo. Lat. ATRIUM{> port. adro ,Kirchplatz‘) überlebt in verschie-
denen portugiesischen Ortsnamen Adro, vielleicht auch in casale de Atrio a. 1220
PMHInquisitiones 143b. Auch der bekannte vorlateinische Ortsnamentyp Vianna ist
in ganz Portugal vertreten.
95 Auch Gama Barros 39. Im folgenden Text dann nur Contrasta genannt, heute
Valen^a (do Minho), portugiesische Grenzfestung gegenüber Tui (Galicien) und zu
1 10
(104) facio quandam populationem in Cauto de Maazedo et impono ei de
nouo nomen Monzon a. 1261 PMHLeges 1,69696
(105) damus et concedimus vobis populatoribus de illo nostro loco qui
consuevit vocari Burgum vetus et inponimus nomen Villa Nova de Rei
pro foro de Gaya a. 1288 Elucidärio 2,50a97 98
(106) Rua das Canastras que antiguamente se chamava a Rua do Forno dos
Coneguos a. 1576 TomboLisboa 11
(107) foy ho governador a dormir a hum povo que se chamava Cholupaba: e
por ser de muito mayz lhe puseram nome Villa Farta a. 1557
RelaqäoFlorida 949S
(108) Femäo Cabral teve dentro na sua fazenda em Jaguaripe desta capitania
hum ajuntamento de gentios que vinham do sertäo os quais tinhäo casa
de idolos, a que chamavam Nova Jerusalem e vulgarmente todos a
nomeaväo a Santidade dos negros na qual havia hum principal a que
chamavao o Santinho, e a hüa sua molher chamavam Sancta Maria
a. 1591 InqBahia 253
unterscheiden von Valen^a (do Douro). Weitere Valentia-Namen etwa in Valencia
a. 1258 PMHInquisitiones 376a oder Valenza a. 1258 PMHInquisitione$854b (bei
Vilachä, Viseu), eventuell auch Vaenza (Pelagius ~) a. 1220 PMHInquisitiones 65b
[jedoch mit der Überlieferungsvariante Varzea]/154b/201 b.
')h Auch Gama Barros 39. Es handelt sich offenbar nicht um eine Um-, sondern um
eine Neubenennung: in Couto de Monzom, in collatione Sancti Salvatoris de
Maazedo a. 1258 PMHInquisitiones 369a.
97 Vila Nova do Porto (< Burgo Velho da Cidade do Porto), als Gegenstück zu Burgo
Novo.
98 Dieses und das folgende Beispiel sind Muster aus der Neuen Welt (Florida und
Brasilien).
111
Summary
Medieval Place Name Change on the Iberian Peninsula
Toponymie change on the Iberian peninsula is based on the same motives as
elsewhere. A distinctive feature is the “Reconquista”. Connected with the re-
capture of the “Moorish” centre and south, the processes of expulsion, expro-
priation, distribution of country and land-grasps, finally cultivation are of
great onomastic interest. Different cultures came together: the Arabic (which
already had to do with the indigenous Latin situation), the Romance (with
already developed individual languages) and to a minor degree also the Ger-
manic. Onomastically the process becomes obvious in adaptation, translation
and creation of new names. It is renewed in the hispanization of the New
World.
112
Martina Pitz t
Altfranzösische Deklinationsparadigmen vom Typ
Charles! Charlon, Pierre!Perron oder Berte!Bertain -
Reflexe fränkischen Superstrateinflusses?
Bei der Beurteilung der alten Streitfrage der romanistischen Strataforschung,
auf weichen Ebenen das fränkische Sprachsystem des frühen Mittelalters - ab-
gesehen von den unzweifelhaften Berührungserscheinungen im Bereich der
Lexik und der Onomastik - auf die sich ausformenden Volkssprachen der Gai-
loromania hat einwirken können, tritt die Forschung seit Jahren auf der Stelle1 2 *,
wenn man von einzelnen extremen, solche Interferenzphänomene grundsätz-
lich negierenden Außenseiterpositionen absieht, die sich freilich nicht durch-
setzen konnten.' Die Gründe für diese Aporie hat Thomas Krefeld jüngst in
einem subtil argumentierenden Handbuchartikel zu benennen versucht, dessen
insgesamt recht pessimistischer Grundton aus der Feststellung resultiert, dass
sich der Transferenzverdacht in der Regel nur schwer operationalisieren lasse;
er hänge im Grunde von ,superstratomanen‘ bzw. ,substratophoben‘ Vorein-
stellungen ab. Die historische Kontaktlinguistik sei und bleibe damit „eine
probabilistische Disziplin“, deren „grundsätzliche Zirkularität [...] sich nicht
überwinden“'1 lasse, so dass man leicht in die Gefahr gerate, sich in „ideolo-
gisch vermintes Gelände“4 zu verirren.
Während aus synchroner Perspektive die zahlreichen Kontaktphänomene
auch zwischen nicht verwandten Sprachen und das daraus resultierende inno-
1 Vgl. dazu zuletzt Pitz, Martina: „Romanisch-germanische Sprachbeziehungen, Gal-
loromania“, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 25 (2003) S. 270-
279, besonders S. 276f.; Dies.: „Superstratsprachen“, in: Reallexikon der Germani-
schen Altertumskunde 35 (2007), S. 38-42; Felixberger, Helmut: „Sub-, Ad- und
Superstrate und ihre Wirkung auf die romanischen Sprachen: Galloromania“, in:
Gerhard Emst (Hg.): Romanische Sprachgeschichte. Ein internationales Handbuch
zur Geschichte der romanischen Sprachen, 1. Teilbd., Berlin / New York 2003, S.
594-607, besonders S. 60 lf.
2 Zusammenfassung der Diskussion bei Blasco Ferrer, Eduardo: Romania germanica:
spirito germanico in bocca latina? Cagliari 1983; Rohlfs, Gerhard: Romanische
Lehnübersetzungen aus germanischer Grundlage: materia romana, spirito germa-
nico, München 1983; Stefenelli, Arnulf: „Die innerromanische Sonderstellung des
Frühgalloromanischen hinsichtlich der Kasusflexion. Ein Beitrag zur diachroni-
schen Varietätenlinguistik“, in: Wolfgang Dahmen (Hg.): Latein und Romanisch.
Romanistisches Kolloquium /, Tübingen 1987, S. 69-93, usw.
Krefeld, Thomas: „Methodische Grundfragen der Strataforschung“, in: Emst:
Romanische Sprachgeschichte (wie Anm. 1), S. 555-567, hier S. 560.
4 Ebd., S. 565.
113
vative Potential deutlich wahrgenommen und oft auch ausführlich beschrieben
worden sind,' wird es im Bereich der Diachronie - da wird man Krefeld ohne
Zögern Recht geben müssen - auch bei historisch nachgewiesener Bilinguali-
tät bestimmter Räume oder Bevölkerungsgruppen immer schwierig bleiben,
das tatsächliche Wirkungspotential sprachlicher Interferenz präzise zu erwie-
sen. Aber dennoch: Es liegt auch - und man ist versucht zu sagen: vor allem -
an der unzureichenden epistemologischen Grundlagenarbeit, dass hier auf der
einen Seite manches allzu leicht als fata morgana abgetan wird, während auf
der anderen Seite die Interferenz immer wieder als Notbehelf zur Erklärung
von Phänomenen herhalten muss, für die sich eine sprachinteme Begründung
nicht ohne weiteres anzubieten scheint.6
Ein dezidiert kontaktlinguistischer Ansatz, der durch die konsequente Ein-
nahme einer doppelten Perspektive Zusammenhänge, eventuell sogar die
gegenseitige Bedingtheit einzelner Erscheinungen transparent zu machen ver-
sucht, ist in der Tat - das sieht auch Krefeld so - auf vielen Ebenen erst syste-
matisch zu entwickeln, da eine allgemeine, in sich konsistente Theorie der
historischen Kontaktsprachenforschung bisher nicht vorliegt. Gefordert sind
also zum einen stringente methodische Leitlinien, mit deren Hilfe sich mög-
lichst präzise ermitteln lässt, was - wann und warum - welchem Sprach-
system angelastet werden kann. Vor allem aber muss man sich klarmachen -
und das sollen die folgenden Überlegungen an einem, wie ich meine, sehr sig-
nifikanten Beispiel zeigen -, dass der grundsätzliche Erkenntnisfortschritt im
Bereich der historischen Phonetik und Morphologie der betroffenen Einzel-
sprachen. der sich durch die systematische Anwendung kontaktlinguistischer
Methoden und durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Historikern
und Archäologen erreichen lässt, die sprachlichen Ausgangsdaten nicht selten
dergestalt verändern kann, dass sich die von Krefeld geforderte Operationali-
sierung des Transferenzverdachts sehr viel leichter bewerkstelligen lässt.
Seit der Begründung der romanischen Sprachwissenschaft im eigentlichen
Sinne durch Friedrich Diez,* der immerhin die Ansicht vertrat, „dass sich die
Repräsentativ dafür sind vor allem die Handbücher von Goebl, Hans / Neide, Peter
(Hg.): Kontaktlinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, 2
Teilbde., Berlin / New York 1997 sowie von Auer, Peter / Wei, Li (Hg.): Handbook of
Multilingualism and Multilingual Communication, Berlin / New York 2007.
h Ausführlich dazu Pitz, Martina: „Zentralfranzösische Neuerungs- und nordöstliche
Beharrungsräume - Reflexe der Begegnung von fränkischer und romanischer Spra-
che und Kultur?“, in: Dieter Hägermann / Wolfgang Haubrichs / Jörg Jarnut (Hg.):
Akkulturation. Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spät-
antike und frühem Mittelalter, Berlin / New York 2004, S. 135-178, hier S. 136f.
Symptomatisch dafür sind die rein deskriptiven Darstellungen der Hand- und Lehr-
bücher, zuletzt etwa Riehl, Claudia Maria: Sprachkontaktforschung. Eine Ein-
führung, Tübingen 2004, S. 170-183 [.Historischer Sprachkontakt4].
s Vgl. dazu Baum, Richard: „Die Wende in der Philologie: die Geburt der Sprachwis-
1 14
verschiedenen romanischen Mundarten mit Hilfe des Germanischen aus dem
Lateinischen gebildet haben“,9 weil die germanischen Wanderungen die Aus-
bildung der romanischen Volkssprachen wenn nicht eigentlich verursacht, so
doch enorm beschleunigt hätten, wird ein Einfluss des Fränkisch-Voralthoch-
deutschen beim Zustandekommen der altfranzösischen Deklinationsparadig-
men einstämmiger Personennamen teils romanisch-christlichen, teils germani-
schen Ursprungs, wie Pierre!Perron, Hugues/Huon oder Charles!Charlon
bzw. ihrer weiblichen Entsprechungen Eve/Evain, Berte!Bertain, IdeHdain,
usw., für möglich, ja sogar für offensichtlich gehalten.1" An anthroponymische
Vorbilder dieser Art haben sich eine beachtliche Reihe ursprünglich femininer
Gewässernamen auf -ain für durchweg kleinere Flüsse und Bäche (Ornain,
Serain, Terain, usw.)11 sowie im Appellativwortschatz Personenbezeich-
senschaft aus dem Geiste der Romantik Jakob Grimm und Friedrich Diez“, in:
Frank Fürbeth (Hg.): Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in
Europa. 150 Jahre Erste Germanistenversammlung in Frankfurt am Main (1846-
1996), Tübingen 1999, S. 221-240.
Zitat nach Meier, Harri: „Zur Geschichte der Erforschung des germanischen Super-
stratwortschatzes im Romanischen“, in: Herbert Kolb (Hg.): Sprachliche Interfe-
renz. Festschrift für Werner Betz zum 65. Geburtstag, Tübingen 1977, S. 292-334,
hier S. 313f., und Schlemmer, Gerd: Die Rolle des germanischen Superstrats in der
Geschichte der romanischen Sprachwissenschaft, Hamburg 1982, S. 138. Zur Er-
klärung des Typs ber-baron hat Friedrich Diez den germanischen Superstrateinfluss
freilich noch nicht bemüht, vgl. dazu Paris, Gaston: „Les accusatifs en -am“, in:
Romania 23 (1894) S. 321-348, hier S. 327: „II y vit simplement l’accusatif latin en
-am qu'on aurait muni d'accent. Cette explication soulevait bien des problèmes.“
Paris (ebd. S. 331) gibt dazu mit Recht zu bedenken, dass Diez’ Erklärungsversuch,
der einen Erhalt des alten lateinischen Akkusativs -am voraussetzt, chronologische
Bedenken entgegenstehen. Der frühe Schwund des konsonantischen Elements der
alten Akkusativ-Endung ist kaum zu bestreiten; vgl. dazu u.a. Fouché, Pierre: Pho-
nétique historique du français, Bd. 3: Les consonnes et index général, Paris 21966,
S. 650f.; Lausberg, Heinrich: Romanische Sprachwissenschaft, Bd. 2: Konsonantis-
mus, Berlin 1967, S. 78. Außerdem hätte sich eine Form -aim ergeben müssen, die
nirgends belegt ist. Diez’ Ansatz hat also für sich, dass er die Haupttonigkeit der
ursprünglichen Endung erkennt, lässt aber das -n- unerklärt.
10 Vgl. aus der jüngeren Forschung z.B. Brüch, Josef: „Die bisherige Forschung über
die germanischen Einflüsse auf die romanischen Sprachen“, in: Revue de linguis-
tique romane 2 (1926) S. 25-112, hier S. 58 („höchstwahrscheinlich“); Väänänen,
Veikko: „A propos de l’s final dans les langues romanes“, in: Boletim de Filologia
11 (1950) S. 33-40, hier S. 38 („influence germanique [...] assez généralement
admise“); Moignet, Gérard: Grammaire de l’ancien français, Paris 1976, S. 24
(„peut-être germanique“); Stefenelli: „Sonderstellung“ (wie Anm. 2), S. 72 („weit-
gehend gesichert“); Zink, Gaston: Morphologie du français médiéval, Paris 41997,
S. 26 („Bérta -âne [réfection de Bérta -ün, germ.]“). Die Beispiele ließen sich un-
schwer vermehren.
11 Dazu ausführlich Thomas, Antoine: „Les noms de rivières et la déclinaison fémi-
115
nungen wie ber/baron ,Adliger4, compaing/compaignon ,Freund, Komplize4
(< sprechlat. *companio ,der sein Brot mit einem anderen teilt4), none/nonain
»(ehrwürdige) Mutter4, ,Nonne4 (< iat. nonna), ante/antain ,Tante4 (< lat.
amita), niecetnepain »Nichte4 (< sprechlat. neptia), putelputain Freuden-
mädchen' (< lat. putida ,die Schmutzige4), usw. angeschlossen;1' häufig wird
darauf hingewiesen, dass viele dieser Bildungen Verwandtschaftsbezeich-
nungen sind, „welche im häuslichen Bereich pragmatisch den Eigennamen
nahekommen.“* 12 13
Dabei sollen die Personennamen Charles, Hugues, usw. wie die appellativi-
schen Formen compaing, norme, ante, etc. alte Nominative fortsetzen, bei
denen sich der eigentlich erwartbare vulgärlateinische Stammausgleich zu-
gunsten der obliquen Kasus nicht vollzogen hätte;14 dies wird in der Regel
dadurch erklärt, dass Personennamen und Personenbezeichnungen besonders
häufig in Subjektfunktion verwendet werden.1" Auch der Gebrauch in der An-
rede, also im Vokativ,16 und in syntaktischen Relationen possessiven Inhalts,
bei denen eine präzise Unterscheidung von Subjekt und Objekt unmittelbar
erforderlich ist, sollen hier zum Erhalt des Rektus beigetragen haben.1
nine d'origine germanique“, in: Romania 22 (1893) S. 489-503; Philipon, Edouard:
„Les accusatifs en -on et en -aid\ in: Romania 31 (1902) S. 201-251, hier S. 248;
Lebel, Paul: Principes et méthodes d'hydronymie française, Dijon 1956, S. 259-
267. Die betreffenden Hydronyme sind heute oft maskulin, doch erweist sie
Thomas (ebd. S. 491) klar als ursprüngliche Feminina. Vgl. auch Bonnardot,
François: „La désinence -ain dans la déclinaison de l’ancien français“, in: Mémoires
de la société philomatique de Verdun 15(1901 ) S. 145-155, hier S. 145.
12 Zu diesem in der französischen Forschung als ,le type ,ber-baron” bzw. ,le type
,latro- -onis” bekannten Deklinationsmuster z.B. Zink: Morphologie (wie Anm.
10), S. 15-17, S. 26; Skarup, Povl: Morphologie synchronique de l’ancien français,
Copenhague 1994, S. 23; Wolf, Heinz Jürgen: Französische Sprachgeschichte,
Heidelberg 1991, S. 62.
13 Stotz, Peter: Handbuch der lateinischen Sprache des Mittelalters, Bd. 4: Formen-
lehre, Syntax und Stilistik, München 1998, S. 106f,
14 Exemplarisch Zink: Morphologie (wie Anm. 10), S. 15: „Issus d’imparisyllabiques
non remodelés de la troisième déclinaison, augmentés eux-mêmes de quelques em-
prunts de basse époque aux parlers germaniques.”
Is Vgl. z.B. Wolf, Lothar / Hupka, Werner: Altfranzösisch. Entstehung und Charakte-
ristik. Eine Einführung, Darmstadt 1981, S. 96; Berschin, Helmut / Felixberger,
Josef / Goebl, Hans: Französische Sprachgeschichte, München 1978, S. 112: „Bei
den Imparisyllaba des Typs [...] ber - baron [...] ist der Rektus wesentlich häufiger
als bei anderen Typen.“
16 Wolf/Hupka: Altfranzösisch (wie Anm. 15), S. 97.
1 Vgl. Plank, Frans: “The Functiona! Basis of Case Systems and Declension Classes:
From Latin to Old French”, in: Linguistics 17 (1979) S. 611-640.
1 16
Während sich aus einem sprechlateinischen *companiönem regelhaft ein
altfranzösischer Obliquus compaignon ergibt, warfen die Obliquusformen der
zugehörigen Feminina auf -ain mit ihrem unerklärlichen -«-Element erheb-
liche Probleme auf, denn auch ein Akkusativ Evam, Bertam, fdam, usw. hätte
wie der zugehörige Nominativ Eva, Berta, ¡da afrz. Eve, Berte, Ide ergeben
müssen.IN Nachdem sich einem Versuch Friedrich Diez’ und Gustav Gröbers,
diese Formen aus der bei frankophonen Sprechern bis heute üblichen oxyto-
nischen Aussprache des Mittellateins mit Verlagerung des Akuts auf die
Endsilbe (Eväm, Bertam, fdam) zu erklären,14 die zahlreichen vergleichbaren
Formen in der Italoromania widersetzten, für die sich solche Gewohnheiten
nicht nach weisen lassen,* 19 20 wurde der 1867 von Jules Quicherat21 formulierte
Vorschlag, dieses Paradigma als superstratbedingt zu erklären, nur allzu gern
aufgenommen. In einer Arbeit, die in Frankreich bis heute als das erste Lehr-
buch wissenschaftlicher Onomastik gilt,22 23 führt Quicherat aus, das romanische
Flexionsmuster sei per analogiam aus den zahlreichen schwach flektierenden
germanischen Personennamen generiert worden, für die man im Romanischen
keine Vorbilder mehr hatte, da ein entsprechender lateinischer Namentyp
(CatölCatönis, Varrö/Varrönis, Nerö/Nerönis, usw.)22 im Frühmittelalter
längst außer Gebrauch gewesen sei.24 Die germanischen Kurznamen auf -o
ls Wolf/Hupka: Altfranzösisch (wie Anm. 15), S. 97.
19 Gröber, Gustav: Grundriss der romanischen Philologie /, Straßburg 1888, S. 657 ;
vgl. dazu Jud, Jakob: Recherches sur la genèse et la diffusion des accusatifs en -ain
et en -on (premièrepartie), Halle 1907, S. 5. Auch bei diesem Ansatz bleibt das -«-
Element der Feminina unerklärt. Zur Aussprache des Mittellateins in Frankreich
vgl. Norberg, Dag: Manuel pratique de latin médiéval, Paris 1968, S. 70f.
Vgl. dazu ausführlich Salvioni, Carlo: „La declinazione imparisillabica in -a, -âne,
-o, -âne, -e, -éne, -ine, -/, -ine, -éne nelle carte mediaevali d’Italia“, in: Romania 35
(1906) S. 198-257.
21 Vgl. Quicherat, Jules-Étienne: De la formation française des anciens noms de lieu:
traité pratique suivi de remarques sur les noms de lieu de divers documents, Paris
1867, S. 63f.
22 Vgl. Mulon, Marianne: „La recherche onomastique en France“, in: Emst Eichler u.a.
(Hg.); Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, 1. Teilbd.,
Berlin / New York 1995, S. 148-152, hier S. 148.
23 Eine Zusammenstellung aller lateinischen Personennamen-Bildungen auf -o, -önis
und -io, -iönis findet sich in: Archiv für lateinische Lexikographie und Grammatik
13 (1904) S. 225ff., S. 415ff., S. 475ff. Vgl. auch Kajanto, liro: Onomastic Studies
in the Early Christian Inscriptions of Rome and Carthage, Helsinki 1963, S. 65 und
besonders Fisch, Richard: Die lateinischen nomina personalia auf -o, -onis. Ein
Beitrag zur Kenntnis des Vulgärlateins, Berlin 1890, S. 161-167. Die nach dem
gleichen Muster gebildeten Personenbezeichnungen sind behandelt bei Gaide,
Françoise: Les substantifs masculins latins en (i)o, (i)onis, Louvain 1988.
*4 Dieser Tenor zieht sich durch den gesamten Forschungsbericht von Paris: „Les
117
seien deshalb unter Bewahrung ihrer eigenen Flexionsendung - oder wenigs-
tens eines Teils davon, nämlich des ins Romanische aufgenommen
worden. Aus dem sehr berechtigten, von Gaston Paris schon in seiner Rezen-
sion zu Quicherat angedeuteten Einwand, dass die ins Romanische integrier-
ten germanischen Frauennamen in diesem Fall einen Obliquus auf -on hätten
ausbilden müssen,"" weil der Genitiv der Feminina der «-Deklination im Alt-
hochdeutschen, Altsächsischen und wohl auch im Altfränkischen nun einmal
-un bzw. -orr" und nicht etwa -atf lautete, ergab sich ein wissenschaftsge-
schichtlich hoch interessanter Forschungsstreit, der die germanistische Dis-
kussion um die Morphologie des ältesten Fränkischen in gewisser Weise
accusatifs“ (wie Anm. 9), vgl. besonders ebd., S. 341: „Folques Folcon n’a pu se
modeler sur des noms propres comme PôIUo Polliônem sortis d’usage“. Er richtet
sich gegen eine ältere Ansicht von Wendelin Förster („Romanische Etymologien“,
in: Zeitschrift fur romanische Philologie 3 [1879] S. 561-568, hier S. 566), der
gerade in diesen lateinischen Namenformen den Ursprung unseres Deklinations-
paradigmas gesehen hatte: „Was die afrz. Déclination püte, putäin u.s.f. anlangt, so
erkläre ich dieselbe weder mit Grimm und Quicherat aus einem deutschen Accu-
sativ -an, noch mit Diez aus dem lat. Acc. am, weil der Accent dies nicht zulässt.
Dagegen glaube ich, dass Diez mit dem Hinweis auf die masculine Déclination
Catônem auf der richtigen Fährte gewesen ist. Zu einer Zeit, wo lat. -us, -um noch
-os, -om lautete, zog die Analogie von Cato Catônem, Hugo Hugönem u.s.f. auch
Carlo Carlonem, Petro Petronem nach sich; zur selben Zeit lautete das Femininum
[...] noch auf -a, und so wurde denn, da a als Characteristicum der Feminina noch
im Gefühl war, wie o jenes der Masculma, ebenso analogisch gebildet: Hügo
Hugönem = Berta Bertänem nach der dritten Déclination.“ Försters Erklärung
schließt sich u.a. Marchot, Paul: „L’accusatif en -ain des noms de femmes“, in:
Zeitschrift für romanische Philologie 18 (1894) S. 321-348, an. Es gehört zu den
Verdiensten Philipons („Les accusatifs“ [wie Anm. 11], S. 227f), mit seinem
Hinweis auf die Akten der merowingerzeitlichen Konzilien und Bischofsnamen wie
Leo, Maurusio, Lupo, Urso, usw., die These vom frühen Aussterben des
Paradigmas Cato Catonis bereits eindeutig widerlegt zu haben.
" Vgl. Paris: „Les accusatifs“ (wie Anm. 9), S. 329f.: „C’était là ce [...] qui paraissait
à vrai dire assez bizarre, car la déclinaison du gothique, celle de l'ancien haut-
allemand et celle de l’ancien saxon (les seules dont nous puissions tirer des lumières
sur la déclinaison franque) nous donnent pour la déclinaison faible féminine [...]
précisément à l’accusatif un o (u) et non un a sans parler de l’accentuation
différente.“
Braune, Wilhelm: Althochdeutsche Grammatik I: Laut- und Formenlehre. 15. Aufl.,
bearb. von Ingo Reiffenstein, Tübingen 2004, § 221; Gallée, Johan Henrik: Alt-
sächsische Grammatik. 3. Aufl. mit Berichtigungen und Literaturnachträgen von
Heinrich Tiefenbach, Tübingen 1993, § 335; Franck, Johannes: Altfränkische
Grammatik. Neu ediert von Rudolf Schützeichel, Tübingen 1971, § 148.
2 Von „accusatifs germaniques en -ri«“ geht z.B. noch Darmesteter, Arsène: Cours de
grammaire historique de la langue française, Bd. 2: Morphologie, Paris 1914, S.
39, aus.
vorwegnimmt. Dabei ging es grosso modo um die von Henri d’Arbois de
Jubainville'3 explizit formulierte Frage, inwieweit es denkbar sei, dass sich im
Altniederfränkischen wie im Altenglischen2'3 die ursprünglich im Akkusativ
berechtigte -o-stufige Suffixform germ. -an-Mt auch im Genitiv durchgesetzt
hätte, da sich solche -¿/«-Formen vereinzelt unter anderem im Leidener
Willeram finden;* 30 31 32 Arend Quak erklärt sie inzwischen aus einem mutmaß-
lichen Zusammenfall der starken femininen -ö- und der schwachen femininen
-¿/«-Deklination.3'
So bekannte Romanisten wie Hugo Schuchardt" und Wilhelm Meyer-
Lübke 4 fügten der These von der germanischen Herkunft der französischen
's Vgl, d’Arbois de Jubainville, Henri: „Sur la déclinaison des noms propres dans la
langue franque à l’époque mérovingienne“, in: Bulletin de l'École des Chartes 31
(1870) S. 312-352, hier S. 354: ,,L’â primitif du suffixe est conservé.“ Auch wenn
sich d’Arbois de Jubainville mit Quicherat nicht explizit auseinandersetzt, ist die
Bemerkung von Paris: „Les accusatifs“ (wie Anm. 9), S. 332 („il ne paraît pas avoir
connu ou du moins n’utilise pas le livre de Quicherat“) unrichtig, da dieser in einer
Parallelstudie des gleichen Autors (d’Arbois de Jubainville, Henri: La déclinaison
latine en Gaule à l’époque mérovingienne, Paris 1872, S. 73 u.ö.) explizit erwähnt
wird. Im Alterswerk von d’Arbois de Jubainville, Henri: Etudes sur la langue des
Francs à l'époque mérovingienne, Paris 1900, S. 189f., wird diese Position nicht
mehr vertreten.
Brunner, Karl: Altenglische Grammatik nach der angelsächsischen Grammatik von
Eduard Sievers. 3., revidierte Aufl. der Neubearbeitung, Tübingen 1965, § 276;
Bammesberger, Alfred: Die Morphologie des urgermanischen Nomens, Heidelberg
1990, S. 164.
30 Bammesberger: Morphologie (wie Anm. 29), S. 169; Streitberg, Wilhelm: Urger-
manische Grammatik. Einführung in das vergleichende Studium der altgerma-
nischen Dialekte, Heidelberg 41974, S. 258; Hirt, Hermann: Handbuch des Urger-
manischen, Heidelberg 1932, Bd. 2, S. 68.
31 van Helten, Willem: „Zur Sprache des Leidener Williram“, in: Beiträge zur
Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 22 ( 1 897) S. 437-519, hier S. 490.
32 Quak, Arend: „Versuch einer Formenlehre des Altniederländischen auf der Basis der
Wachtendonckschen Psalmen“, in: Rolf A. Bremmer / Arend Quak (Hg.): Zur Pho-
nologie und Morphologie des Altniederländischen, Odense 1992, S. 81-123, hier S.
87.
" Schuchardt, Hugo / Meyer, Georg: Rezension zu: Sittl, Karl: Die lokalen Verschie-
denheiten der lateinischen Sprache mit besonderer Berücksichtigung des afrikani-
schen Lateins, Erlangen 1882, in: Zeitschrift für romanische Philologie 6 (1882) S.
608-618, hier S. 617.
4 Meyer-Lübke, Wilhelm: Grammatik der romanischen Sprachen, Bd. 2: Romanische
Formenlehre, Leipzig 1894, § 18 S. 24: „Die Beschränkung auf die Grenzgebiete
gegen die Germanen weist daraufhin, dass es sich hier um eine unter dem Einfluss
de Flexion -o, -onis, die in lat. Nero Neronis und in germanisch Karlo Karlon
vorlag, entstandene Nachbildung der germanischen Flexion -a, -un handelt, die bei
119
-ain und -on noch ein sprachgeographisches Argument hinzu, indem sie nach-
zuweisen versuchten, dass diese Flexionstypen ursprünglich auf die Nachbar-
gebiete der Germania beschränkt gewesen seien.3" Widerstand erhob sich
dagegen durch den in Lyon lehrenden Edouard Philipon, der zu Recht betonte,
dass die Annahme eines aus der germanischen schwachen Deklination über-
nommenen -^-Elements dessen Auftreten bei stark flektierenden Frauenna-
men, wie Ercambertane, Bertradane, usw., nicht erklären kann’*’ - ganz abge-
sehen von der geringen Wahrscheinlichkeit der Übertragung eines solchen aus
der Anthroponymie einer fremden Sprache übernommenen Musters auf die
einheimische Hydronymie.' Zum anderen gab Philipon zu bedenken - und
auch hier kann ihm die moderne Sprachkontaktforschung nur zustimmen -,
dass die Flexionsmorphologie kein Bereich des Sprachsystems ist, in dem sich
interferenzbedingte Innovationen besonders häufig bemerkbar machen.38 Er
kann sich die Verhältnisse daher nur so erklären, dass den germanischen
Personennamen bei der Integration ins Romanische die ursprünglichen * 36
den germanischen entlehnten Eigennamen ihren Ausgangspunkt nahm und dann
übertragen wurde auf die den Eigennamen am nächsten stehenden Appellativa.“
Vgl. auch mit zahlreichen Beispielen aus der Urkundenüberlieferung der Grenz-
regionen Bonnardot: „La désinence -ain“ (wie Anm. 11 ), S. I47ff.
36 Vgl. Philipon: „Les accusatifs“ (wie Anm. 11), S. 205: „Tout le monde sait qu'en
germanique, les noms familiers sont les seuls qui suivent la déclinaison faible, les
noms solennels suivant toujours la déclinaison forte [...] de telle sorte que
l’hypothèse de l’origine germanique est impuissante à rendre compte de formes
telles que Ercambertane, Gundileubane.“
Philipon: „Les accusatifs“ (wie Anm. 11), S. 203: „il me paraissait trop étrange
d’expliquer au moyen du type Berta Bertan des noms de rivières ou de lieux tels
que Sonna Sonnan ,1a Saône’.“ Dies bestätigt auch Lebel: Principes (wie Anm. 11),
S. 259, der zwar an der These eines germanischen Ursprungs dieses Bildungs-
musters festhält, aber mit einer chronologisch verzögerten Diffusion in romani-
schem Mund rechnet: „On ne saurait en tirer une conclusion sur le peuplement ger-
manique de ces régions puisqu’il s’agit d’une particularité grammaticale qui a pu
rayonner bien après les Grandes Invasions.“
's Philipon: „Les accusatifs“ (wie Anm. 11), S. 204: „Ce n’est guère dans le domaine
de la flexion que se font les emprunts linguistiques.“ Zu den kontaktlinguistischen
Voraussetzungen der Entlehnung von Flexionskategorien, die einen sehr intensiven
Kontakt zwischen den beteiligten Sprechergruppen und aktive Zweisprachigkeit auf
mindestens einer Seite voraussetzt, ausführlich Riehl, Claudia Maria: Schreiben,
Text und Mehrsprachigkeit. Zur Textproduktion in mehrsprachigen Gesellschaften
am Beispiel der deutschsprachigen Minderheiten in Südtirol und Ostbelgien, Tü-
bingen 2001, S. 63. Dass eine solche Konstellation für die frühmittelalterliche
Galloromania kaum anzunehmen ist, wird bei Pitz: „Superstratsprachen“ (wie Anm.
1 ), begründet.
120
Endungen ganz abhanden gekommen wären/’ Die Romanen hätten also nur
die Namenkörper entlehnt, die dann bei den Maskulina entweder in die zweite
lateinische Deklination integriert, also stark flektiert, oder aber dem alten
lateinischen Muster Cato Catönis nachgebildet worden seien. Die Feminina
könnten sich auf eine kaiserzeitliche Inschrift stützen, die den lateinischen
Akkusativ Fortunatanem belegt;40 die Annahme analogischer Bildungen nach
den Maskulina sei also, wenngleich wahrscheinlich, nicht zwingend nötig.41 42
Aus dem Ineinandergreifen von starker und schwacher Flexion bei den so
integrierten germanischen Namen und der Übertragung dieses Schemas auch
auf Namen romanisch-christlichen Ursprungs ergäbe sich eine für die
frühmittelalterliche Latinität charakteristische metaplastische Deklination
Petrus, Petrönis, die das altfranzösische Paradigma Pierre! Perron,
Charles!Charlon zwanglos erkläre;4“ bei alldem sei man folglich „bien loin
des régions germaniques.“4'
Vgl. Philipon: „Les accusatifs“ (wie Anm. 11), S. 232f.: „Les noms masculins
germaniques de forme hypocoristique ont tous et toujours perdu leur suffixe
originaire, en passant [...] en latin [...] Ce que nous venons de dire des noms
d'homme, s’applique également aux noms de femme. Ceux-ci comme ceux-là n’ont
passé en roman qu’après avoir perdu leur suffixe originaire.“
4,1 Ebd. S. 237: „Dans des circonstances encore mal connues, les Latins créèrent, à une
certaine époque, une déclinaison imparisyllabique pour les noms de femmes qui
suivaient originairement la déclinaison des thèmes en -a. C’est au développement
de ce mode de formation que nous devons le type Lucia Luciane, Rosa Rosane,
nonna nonnane.“ Nach Leumann, Manu: Lateinische Laut- und Formenlehre,
München 1977, S. 460; Väänänen, Veikko: Introduction au latin vulgaire, Paris
21967, S. 109, und Stotz: Handbuch (wie Anm. 13), S. 105ff., sind entsprechende
Formen in relativ großer Zahl bereits im antiken Vulgärlatein belegt.
41 So auch schon Paris: „Les accusatifs“ (wie Anm. 9), S. 348: „flexion romane
indépendante de toute influence germanique.“
42 Philipon: „Les accusatifs“ (wie Anm. 11), S. 211: „II faut bien reconnaître que nous
avons affaire ici à une déclinaison hybride en -us, -onis.“ Ebenso z.B. noch Leu-
mann: Laut- und Formenlehre (wie Anm. 40), S. 459f.; Berschin, Walter: „Gallus
abbas vindicatus“, in: Historisches Jahrbuch 95 (1975) S. 257-277, hier S. 265;
Hilty, Gerold: „Gallus in Tuggen. Zur Frage der deutsch-romanischen Sprachgrenze
im Linthgebiet vom 6. bis zum 9. Jahrhundert“, in: Vox Romanica 44 (1985) S. 125-
155, hier S. 154; Stotz: Handbuch (wie Anm. 13), S. 105; Marcato, Carla: „Mor-
phologie et formation des mots des plus anciens noms de personnes: domaine ro-
man“, in: Ernst Eichler u.a. (Hg.): Namenforschung. Ein internationales Handbuch
zur Onomastik, 2. Teilbd., Berlin / New York 1996, S. 1187-1193, hier S. 1189.
42 Philipon: „Les accusatifs“ (wie Anm. 11 ), S. 245. Dieser Position schließen sich ne-
ben vielen anderen auch Salvioni: „La declinazione“ (wie Anm. 20), S. 199, sowie
Brunot, Ferdinand: Histoire de la langue française, Bd. 1, Paris 1905, S. 80, und
Nyrop, Kristoffer: Grammaire historique de la langue française, Bd. 2, Kopen-
hagen 1903, S. 196, an - allerdings nur für Namen und Appellative lateinischen
121
Diese These wurde vor genau 100 Jahren durch den Schweizer Romanisten
Jakob Jud einer sehr genauen Nachprüfung unterzogen, deren entscheidender
methodischer Fortschritt sicherlich darin bestand, dass Jud deutlich erkannte,
dass die in lateinischen Texten aufscheinenden germanischen Personennamen
keine einfachen Schreiberprodukte sind, die nach einem wie auch immer gear-
teten Schema - Philipon dachte offensichtlich an Namenübertragung, denn er
spricht ausdrücklich von einem „système de traduction“* 44 * 46 * 48 * - in das lateinische
Flexionssystem eingepasst worden wären. Er verstand sie vielmehr als véri-
table Entlehnungen unmittelbar gehörter und selbstverständlich unter Ein-
schluss ihres Flexionselements übernommener fränkischer Formen,43 für die
sich zahlreiche fränkische Appellative der «-Deklination vergleichen lassen,
die nach dem gleichen Prinzip integriert worden sind.4" Gegen Philipons Pos-
tulat einer metaplastischen Deklination -usl-onis wendet Jud schließlich ein,
dass diese sich ja auch bei den überaus zahlreichen zweigliedrigen Männerna-
men fränkischen Ursprungs hätte finden müssen; hier weisen die Quellen je-
doch nichts Entsprechendes aus.4 Es sind schließlich chronologische und
sprachgeographische Argumente, die Jud zur alten Superstratthese zurückkeh-
ren lassen: Die betreffenden Flexionsmuster sind bei germanischen Namen
früher als bei romanischen belegt, und die Häufigkeit ihres Vorkommens
nimmt deutlich ab, je weiter man sich von den germanisch-romanischen Kon-
taktzonen entfernt; deshalb könne das Phänomen kaum anders denn durch ger-
manischen Einfluss begründet sein.43 Dabei räumt Jud ohne weiteres ein, das
Problem mit dieser Feststellung nicht wirklich gelöst zu haben,44 so dass es
Ursprungs; man glaubt, die germanischen Namen davon trennen zu können.
44 Philipon: „Les accusatifs“ (wie Anm. 11), S. 231. Zum Konzept der Namenübertra-
gung und Namenentlehnung aus der Perspektive heutiger Kontaktonomastik vgl.
Pitz, Martina: „Genuine Übersetzungspaare primärer Siedlungsnamen an der loth-
ringischen Sprachgrenze. Überlegungen zu ihrem sprach- und siedlungsgeschicht-
lichen Aussagewert“, in: Onoma 36 (2001) S. 255-288.
4> Jud: Recherches (wie Anm. 19), S. 9: „11 s’agit ici d’une imitation de la flexion ger-
manique [...] sur le modèle de la déclinaison en -o, -one.“ Stark flektierende germa-
nische Kurznamen wie Bettus, Gundus, Drogus werden dabei als formale Ent-
gleisungen interpretiert, „en tout cas sans valeur pour l’état de la flexion de la
langue vulgaire en France“ (ebd. S. 10).
46 Vgl. Jud: Recherches (wie Anm. 19), S. 15-22; ebenso Wolf: Sprachgeschichte (wie
Anm. 12), S. 62.
4 Jud: Recherches (wie Anm. 19), S. 114.
48 Ebd., S. 3, S. 114.
44 Vgl. ebd., S. 3: „Ce problème ardu [...] n’aura peut-être jamais une solution défini-
tive.“
122
von Anfang an an skeptischen Reaktionen,"0 zum Teil auch an unter der Hand
formulierter Kritik"1 nicht fehlte. Nicht zuletzt wurde dabei betont, dass es den
Deklinationstyp -a, -anis auch im Rumänischen gibt, wo mit altgermanischen
Elementen kaum zu rechnen ist."2 Dennoch ist Juds Position, durch die spätere
Autorität Walthers von Wartburg, der sie sich zu eigen machte, gleichsam
kanonisiert, bis heute geltende Forschungsmeinung geblieben und, oft in un-
gebührlich vereinfachter Form, in zahlreiche Grammatiken und Wörterbücher
eingegangen. Noch in der neuesten Auflage des bekannten Dictionnaire de
l’ancien français von Greimas lässt sich z.B. unter dem Stichwort antain
,Tante1 nachlesen, das Wort sei „intégré dans la déclinaison germanique.“50 51 * 53 * * * * *
Aus heutiger Sicht wird man freilich davon ausgehen müssen, dass Jud die
Bedeutung der genuin romanischen Personennamen auf -o für die Spätantike
wohl doch unterschätzt hat. Dies erklärt sich allerdings vor allem durch das
zugrunde gelegte Korpus, das nur das frühmittelalterliche Material systema-
tisch betrachtet, und durch den inhaltlichen Schwerpunkt seiner Arbeit, der
auf der Integration germanischer Namen ins Romanische lag. Philipon hatte
sicherlich recht, als er mit einem starken Anstieg, nicht einem Verfall des
Typs CatölCatönis in der Spätantike rechnete,"4 denn dieser als solcher wohl
sehr alte Typ von Personenbezeichnungen in Form substantivierter Eigen-
schaftsbezeichnungen individualisierender Funktion - Catö zu catus ,schlau4,
Nasö ,mit auffälliger Nase4, usw,"" - war geradezu prädestiniert zur Bildung
von cognomina und supernomina, die in der Spätantike bekanntlich immer
50 Exemplarisch dafür z.B. Schwan, Eduard: Grammatik des Altfranzösischen. Neu
bearb. von Dietrich Behrens, Darmstadt 1963, S. 155: „Eine voll befriedigende Er-
klärung dieser Flexionsweise, welche auch im Rätoromanischen, Frankoproven-
zalischen und Provenzalischen begegnet, ist noch nicht gefunden.“
51 Vgl. z.B, Borodina, Natalia: Morphologie historique du français, Moskau 1965, S.
31: „On constate un certain nombre de noms masculins en -on au cas régime [...]
une tentative de les expliquer par la déclinaison germanique semble n’avoir pas
réussi, étant donné que la déclinaison germanique gardait toujours l’accent sur le
radical; d’autre part, le latin connaissait une déclinaison mixte que [sic] pouvait
servir de prototype.“
Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie, München 1973, S. 199.
Zum weitgehenden Fehlen germanischer Elemente im Rumänischen vgl. Kramer,
Johannes: „Romanisch-germanische Sprachbezichungen: Balkanromania“, in: Real-
lexikon der Germanischen Altertumskunde 25 (2003) S. 294-296, besonders S. 295.
Greimas, Algirdas Julien: Dictionnaire de l’ancien français, Paris 1997, S. 30.
"4 Vgl. Philipon: „Les accusatifs“ (wie Anm. 11), S. 203.
Vgl, Rix, Helmut: „Römische Personennamen“, in: Emst Eichler u.a. (Hg.):
Namenforschung. Ein internationales Handbuch zur Onomastik, 1. Teilbd., Berlin /
New York 1995, S. 724-732, hier S. 729; Väänänen: Introduction (wie Anm. 40), S.
96; Kajanto: Onomastic Studies (wie Anm. 23), S. 65.
123
stärker um sich griffen."*’ „Ihren Ursprüngen nach“ lassen sie sich „in den grö-
ßeren Zusammenhang der umgangssprachlichen Ausweitung der -«-Flexion
[stellen], welche hauptsächlich bei griechischen Eigennamen ansetzte und auf
die Formenpaare mask. -o, -onis entsprechend gr. -cov, -covoq zurückgeht.“57
Schon das Sprechlatein zeigte ferner eine deutliche Tendenz, neben den offi-
ziellen4 und damit in schriftlichen und epigraphischen Quellen sicherlich
häufigeren stark flektierten Formen auf -us und -ins schwach flektierte Vari-
anten auf -o bzw. -io zu bilden, die wohl hypokoristischen Charakter hatten
und von jeher eher mündlich gebraucht worden sind. s Dabei erklärt sich die
große Bedeutung der patronymischen Bildungen auf -ins bzw. -io, die sich für
die Gallia auch aus der Analyse der Erstelemente der zahlreichen -iacum-
Siedlungsnamen ergibt,"0 wohl auch durch die Vorliebe der spätantiken
Christen für diesen Typ.1’0 Formal beruhen die Namen auf -o bzw. -io auf einer
umgangssprachlichen Ausweitung der -«-Flexion, die sich auch im appellati-
vischen Wortschatz wiederfindet; hier zeigen die romanischen Sprachen eine
ausgesprochene Vorliebe für Bildungen auf -on- bzw. -ion-, auch dies ein
Indiz für die Sprachlebendigkeit dieses Typs.61 Die im Frühmittelalter neu
hinzu kommenden germanischen Kurz- und Kosenamen mit schwacher
Flexion füllen also einen aus der Spätantike überkommenen Fundus gallo-
römischer Bildungen zusätzlich auf, mit dem wir sicher rechnen müssen, von
dem wir aber nur ungenau wissen, wie umfangreich er wrar. Unsere Unkennt- * 60 61
"6 Ausführlich dazu Kajanto, liro: The Latin Cognoniina, Helsinki 1965; Ders.: Super-
nomina. A Study in Latin Epigraphy, Helsinki 1966,
Stotz: Handbuch {wie Amu. 13), S. 105. Zahlreiche merowingerzeitliche Beispiele
dafür bei Vielliard, Jeanne: Le latin des diplômes royaux et chartes privées de
l'époque mérovingienne, Paris 1927, S. 125-127, und Sas, Louis Furman: The Noun
Declension System in Merovingian Latin, Paris 1937, S. 409. Auflistung ent-
sprechender Namen bei Jud: Recherches (wie Anm. 19), S. 61 ff., S. 74ff, S. 81 ff.
Vgl. Väänänen: Introduction (wie Anm. 40), S. 96; Leumann: Laut- und Formen-
lehre (wie Anm. 40), S. 239, S. 262.
’ Vgl. Buchmüller-Pfaff, Monika: Siedlungsnamen zwischen Spätantike und frühem
Mittelalter. Die -iacum-Namen der römischen Provinz Belgica Prima, Tübingen
1990, S. 17.
60 Dazu ausführlich Kajanto: Onomastic Studies (wie Anm. 23), S. 65, S. 70-86; Stotz:
Handbuch (wie Anm. 13), S. 108. Formal unterscheiden sich die christlichen Perso-
nennamen der Spätantike von den heidnischen lediglich durch eine stärkere Ver-
wendung suffigierter Formen, darunter eben gerade auch die Formen auf -ius, -io,
was sich am ehesten durch den stärkeren Rückgriff der Christen auf inoffizielle Ge-
brauchsformen erklärt. Vgl. Kajanto: Onomastic Studies (wie Anm. 23), S. 87-123.
61 Hinweise oben Anm. 23. Rectusformen auf -o bzw. -io sind für die ersten nach-
christlichen Jahrhunderte auch anderweitig gut bezeugt, vgl. etwa Jeanneret,
Maurice: La langue des tablettes d’exécration latines, Neuchâtel 1918, S. 91.
124
nis dieses quantitativen Rahmens beruht auf zwei leider nur sehr schwer aus-
zuräumenden Hindernissen: Zum einen handelt es sich um sprechsprachliche
Formen, die nur selten verschriftet werden, und zum anderen lassen die spät-
antiken Ortsnamen mit Personennamen im ersten Element als Suffixablei-
tungen eine Aussage über das Flexionselement des Personennamens nicht zu.
Recht behielt Philipon auch mit seiner Annahme eines regelmäßigen Wech-
sels zwischen starker und schwacher Flexion der germanischen Kurznamen im
Romanischen analog den lateinisch-romanischen Vorbildern, wofür sich erste
Beispiele in frühmittelalterlichen Quellen des ausgehenden 7. Jahrhunderts
finden;62 vor allem im 8. Jahrhundert griff dieses Prinzip dann immer stärker
um sich.6' Latinisten haben hier von „geregelten Metaplasmen“64 gesprochen,
bei denen es „offensichtlich um Grammatisches“ gehe, „nicht um mehr,“65
Eine systematische Analyse von Personennamen in Ortsnamen, speziell in
germanisch-romanischen Doppelnamen der Sprachgrenzgebiete, hat freilich
ergeben, dass mit einer sehr sprachlebendigen Varianz gerechnet werden
muss. Trotz anzunehmender Personenidentität des Namenspenders dieser
Ortsnamen lassen sich germanischer und romanischer Überlieferungsstrang
nämlich häufig nur dann regelhaft miteinander vereinbaren, wenn man von
einer Variation im Namenansatz ausgeht.66 67 Im gesprochenen Galloromani-
schen der Merowingerzeit scheint diese Tendenz, zwischen Formen auf -(i)us
und solchen auf -(i)o quasi zwanglos zu wechseln, geradezu verallgemeinert
worden zu sein. Formal spricht deshalb nichts dagegen, das Paradigma
Pierre!Perron bzw. Charles!Charlon als Reflex dieser Varianz zu erklären.
Einem stark flektierenden Carolus67 würde dann ein altfranzösischer Rektus
Charles und ein Obliquus Charle entsprechen, einer schwach flektierenden
Nebenform Carolo im Rektus wohl ebenfalls Charle(s), im Obliquus
hingegen Charlon. Es wäre also möglich, dass wir in Gestalt der alt-
französischen Charle(s) und Charlon zwei alte Akkusative vor uns haben,
welche zwei unterschiedliche, im Frühmittelalter gleichermaßen beliebte Na-
menvarianten fortsetzen und in ihrer Funktion zum Altfranzösischen hin all-
62 Vgl. Stotz: Handbuch (wie Anm. 13), S, 107; Jud: Recherches (wie Anm. 19), S.
57, 67, 73f„ 80f.
63 Belege dazu bei Stotz: Handbuch (wie Anm. 13), S. 105ff.; Jud: Recherches (wie
Anm. 19), S. 9.
64 Stotz: Handbuch (wie Anm. 13), S. 108.
65 Berschin: „Gallus abbas“ (wie Anm. 42), S. 264f.
66 Ausführlich dazu Pitz, Martina: „Personennamen in frühmittelalterlichen Siedlungs-
namen. Methodische Überlegungen am Beispiel der villare-Namen des Saar-Mosel-
Raums“, in: Heinrich Löffler / Heinrich Tiefenbach (Hg.): Personenname und Orts-
name, Heidelberg 2000, S. 143-188; Dies.: „Übersetzungspaare“ (wie Anm. 44).
67 Beispiel nach Wolf/Hupka: Altfranzösisch (wie Anm. 15), § 176.
125
mählich auf die Kasusdifferenzierung festgelegt wurden. Dass es sich bei
diesem Phänomen nicht bloß um ein einfaches Nebeneinander von altem
Nominativ und altem Akkusativ handeln kann, zeigen im Übrigen auch
literarische Beispiele wie der Name des Verräters im Rolandslied, der sowohl
Guenes als auch Ganelon lauten konnte< s - letzteres eine suffigierte Kose-
form, während Guenes einen einstämmigen, stark flektierten Kurznamen ohne
/-Suffix fortsetzt. Die Übernahme der schwach flektierten Variante in der mit-
telhochdeutschen Übertragung des Liedes zeigt sicherlich, dass diese Form
letztlich doch die gebräuchlichere war.
An diesem Punkt lohnt es sich nun, etwas weiter auszuholen und einen
Blick auf die übergreifenden Entwicklungen der Personenbenennung in der
frühmittelalterlichen Galloromania zu werfen. Der ostentative Wechsel der
galloromanischen Bevölkerung der Merowingerzeit von der eigenen, aus der
gallorömischen Antike überkommenen Namentradition hin zum germanischen
Namensystem der zuwandernden fränkischen Oberschicht stellt eine anthropo-
nymische Innovation dar, die ihresgleichen sucht. Sie ist nicht zuletzt durch
die karolingerzeitlichen Polyptychen hervorragend dokumentiert; in seinen
chronologischen, diatopischen und diastratischen Aspekten aber ist dieses
Phänomen durchaus unzureichend erforscht. Vor allem über die soziokultu-
rellen und mentalitätsgeschichtlichen Faktoren, die im 7. und 8. Jahrhundert
zu seiner Extension auf immer breitere Schichten führten, weiß man wenig;
zur Erhellung dieses Problems wird man auch das überaus umfangreiche
Personennamenmaterial, das sich aus den Ortsnamen der Merowingerzeit iso-
lieren lässt, sehr viel stärker heranziehen und es mit aus archäologischen
Quellen gewonnenen Informationen korrelieren müssen. Bei einem ersten in
diese Richtung zielenden Versuch, den die Saarbrücker Archäologin Frauke
Stein und ich selbst für einen Teilraum des romanophonen Lothringen ange-
stellt haben, zeichnet sich das in seiner Deutlichkeit außerordentlich über-
raschende Ergebnis ab, dass in den ältesten Schichten galloromanischer Orts-
namen der Merowingerzeit Bildungen mit bithematischen germanischen Per-
sonennamen ganz entschieden dominieren.Nur sie korrelieren in signifi-
kanter Weise mit merowingerzeitlichen Gräberfeldern, deren Belegung bereits
im 6. Jahrhundert beginnt, bzw, gruppieren sich um die durch Reihengräber
nachgewiesenen ältesten Kerne der merowingerzeitlichen Siedlungskammern
herum. Bithematische Personennamen scheinen von Romanen also insgesamt
früher übernommen worden zu sein als die entsprechenden monothematischen
und hypokoristischen Namen germanischer Herkunft. Die monothematischen
fränkischen Kurznamen korrelieren praktisch ausschließlich mit Reihengrä- 68 69
68 Beispiel nach Wolf: Französische Sprachgeschichte (wie Anm. 12), S. 62.
69 Vgl. Pitz, Martina / Stein, Frauke: „L’adoption d’anthroponymes germaniques par
les populations autochtones de la Galloromania à la lumière des données archéo-
logiques. L’exemple de la Lorraine romane“, in: Nouvelle Revue d'Onomastique
49-50(2008), S. 83-114.
126
berfeldern, die erst im 7. Jahrhundert beginnen, bzw. gruppieren sich in einem
größeren Kreis um die alten Siedlungskeme herum. Sie dürften daher en
masse erst im 7. Jahrhundert übernommen worden sein. Hypokoristika finden
sich nur ganz selten in Vergesellschaftung mit Reihengräbem; auch sonst
liegen die betreffenden Siedlungen an der Peripherie der alten Siedlungskerne.
Es scheint also nicht ganz abwegig, aus diesen Beobachtungen den Schluss zu
ziehen, dass die fränkischen Hypokoristika von Romanen wohl erst im Laufe
des 7. Jahrhunderts, in größerem Umfang - speziell, was die suffigierten For-
men betrifft - vermutlich sogar noch später übernommen worden sind.
Methodisch könnte man gegen diese Feststellung einwenden, dass die frän-
kischen Kurz- und Koseformen unter Umständen von Romanen zwar früh über-
nommen, aber eben nicht als Erstelemente von Ortsnamen genutzt worden
seien. Dies würde freilich bedeuten, dass die romanische Bevölkerung der Gal-
loromania fränkische Personennamenformen ganz genauso verwendete wie die
Franken selbst; die Romanen müssten also das gesamte Spektrum des
fränkischen Namengebrauchs in seiner Funktionalität durchschaut und für sich
akzeptiert haben, was ohne einen hohen Grad aktiver Zweisprachigkeit kaum
denkbar ist, den man bei diesen Bevölkerungsgruppen sicherlich nur in Einzel-
fällen voraussetzen darf. Auch die sehr verdienstvollen statistischen Aufstel-
lungen Jakob Juds sprechen nicht für eine solche Annahme; sie stützen vielmehr
den archäologischen Befund: klammert man nämlich die nachweislichen
Fälschungen aus, so bleiben seine Beleglisten fränkischer Kurznamen auf -o aus
westfränkischen Quellen für das 6. Jahrhundert verschwindend klein;70 und auch
die sich unter den merowingischen Münzmeisternamen gelegentlich findenden
Kurznamen gehörten durchweg erst ins 7. Jahrhundert/1 Man wird daher die
Hypothese wagen können, dass vor allem die strukturelle Diskrepanz zwischen
germanischem und gallorömischem Personennamensystem, die die durchweg
monothematischen, stark durch Suffigierung geprägten romanischen
Traditionsnamen als unvollständig* 1 * 3 und wenig prestigeträchtig erscheinen ließ,
die eigentliche Motivation für die neue Namenmode gewesen ist oder diese
zumindest erheblich gefordert hat. Dabei mag es eine gewisse Rolle gespielt
haben, dass bithematische Personennamen auch im keltischen Namensystem
von erheblicher Bedeutung gewesen waren;7^ das Bildungsprinzip als solches
war also im Sinne Hiltys möglicherweise relativ leicht,wiederzubeleben4.73
" Vgl. besonders Jud: Recherches (wie Anm. 19), S. 55f.
1 Auflistungen bei Felder, Egon: Die Personennamen auf den merowingischen Mün-
zen der Bibliothèque nationale de France, München 2003.
“ Vgl. dazu die Zusammenstellung keltischer Personennamen in der lateinischen Epi-
graphie bei Delamarte, Xavier: Noms de personnes celtiques dans l’épigraphie
classique, Paris 2007.
3 Vgl. Hilty, Gerold: „Westfränkische Superstrateinflüsse auf die galloromanische
Syntax“, in: Romanische Forschungen 87 (1975) S. 413-426, hier S. 422.
127
Die Übernahme auch der fränkischen Kurznamen auf -o, die von Romanen
anfangs offenbar ziemlich rigoros gemieden worden waren, im Laufe des 7.
Jahrhunderts erfolgt nun akkurat zu einem Zeitpunkt, in dem die überkom-
menen romanisch-christlichen Personennamen, soweit sie noch gebräuchlich
waren, einer sehr einschneidenden Veränderung unterworfen wurden. Durch
das Verstummen der romanischen Auslautvokale, das sich für die nördliche
Galloromania mit Hilfe toponomastischer Quellen etwa um die Mitte des 7.
Jahrhunderts datieren lässt, 4 war nämlich bei den stark flektierenden Formen
die in der lateinischen Ausgangssprache durch Flexionsendung und Movie-
rung noch völlig eindeutige Markierung des Genus zumindest im Obliquus
nicht mehr möglich. Zahlreiche romanische Traditionsnamen wurden dadurch
in ihrer maskulinen und femininen Variante homophon und sind es in ihrer in
Spätmittelalter und früher Neuzeit neu eingeführten Form bis heute: Ponce
aus Poncius oder Poncia, Maxence aus Maxentius oder Maxentia; Paul(e) aus
Paulus oder Paula; Pierre aus Petrus oder Petra, usw. Auf morphosyntak-
tischer Ebene versuchte man diesem Problem in späteren Jahrhunderten durch
die in populärer Sprechweise bis heute übliche Adjunktion des Artikels beizu-
kommen; Familiennamen wie Lemartin oder Lamartine erklären sich so, wie
überhaupt der aufkommende Artikel im Prozess des Sprachwandels als Reak-
tion auf die wegfallende Endsilbenflexion gewertet werden muss; doch stand
diese Möglichkeit im 7. Jahrhundert nur bedingt zur Verfügung. °
Die auffallende Beliebtheit der schwach flektierenden romanischen Perso-
nennamen auf -o bzw. -io (Felicio, Petro, Urso, Lupo, usw.) bei der galloro-
manischen Bevölkerung des 7. Jahrhunderts und die parallel dazu sich voll-
ziehende Durchsetzung entsprechender germanischer Bildungen (Betto, Hugo,
usw.) scheint also wie die Varianz zwischen starker und schwacher Flexion
eine unmittelbare Folge dieser einschneidenden phonetischen Entwicklung zu
sein. Offensichtlich nahmen die ,volleren1 Obliquusformen der alten konso-
nantischen Deklination nun an Häufigkeit zu und wurden durch Entlehnung
entsprechender germanischer Parallelen noch zusätzlich aufgestockt, weil sich
mit ihrer Hilfe Homonymie vermeiden und das Geschlecht des Namenträgers * 25
4 Dazu ausführlich Pitz, Martina: „L’amuïssement des voyelles finales en proto-
français. Nouveaux indices chronologiques fournis par la toponymie des zones de
contact germano-romanes“, in: Johannes Kramer (Hg.): Zur Bedeutung der Namen-
kunde für die Romanistik. Akten des XXV. Romanistischen Kolloquiums am 24. und
25. Juni 2006 in Trier, Tübingen 2008, S. 171-195.
Die allmähliche Durchsetzung des Artikels wird im Allgemeinen zwischen dem 6.
und 8. Jahrhundert datiert (vgl. dazu allgemein Chambon, Jean-Pierre: „Toponymie
et grammaire historique: Les noms de lieux issus de Capella et Forestis et la
diffusion spatiale de l’article défini dans la Galloromania“, in: Danièle James-Raoul
/ Liver Soutet (Hg.): Par les mots et les textes, Paris 2005, S. 143-155, mit einer
vielleicht doch zu präzisen chronologischen Fixierung auf den Zeitraum ca. 700),
doch stehen Namen dabei unter Sonderbedingungen.
128
eindeutig bezeichnen ließ. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass man die stark
flektierenden Formen vor allem im Rektus bewahrte, weil das auslautende -5
des Maskulinums hier ja einen eindeutigen Genusmarker darstellt.
Jakob Jud hatte also durchaus Recht, als er zur Beurteilung des Trans-
ferenzverdachts für diese singulären morphologischen Erscheinungen eine
stärkere Berücksichtigung der chronologischen und diatopischen Dimensionen
eingefordert hat. Doch muss man das Pferd sicherlich anders aufzäumen, denn
der bloße Nachweis von Erstbelegen und arealen Verteilungen reicht keines-
falls aus, um ein Phänomen als superstratbedingt zu erweisen, geschweige
denn, um die Motivation einer möglichen Entlehnung stringent zu begründen.
Der Impuls, einen auf Grund vorhandenen Sprach- und Kulturkontakts in
einer historisch bezeugten Interferenzsituation quasi bereitstehenden fremden
Namentypus in den eigenen Namenfundus aufzunehmen, geht in unserem Fall
von signifikanten phonetischen Neuentwicklungen des eigenen Sprachsystems
aus, von denen das Galloromanische des 7. Jahrhunderts bekanntlich allzu
viele kennt. Mit der Genese der romanischen Deklinationsmuster auf -öne und
-äne hat die Übernahme der germanischen Namen offensichtlich nichts, mit
der Diffusion dieser Muster allenfalls mittelbar zu tun, da sie ein im Galloro-
manischen bereits angelegtes Potential offenbar zusätzlich verstärkte. Wie bei
der zeitlich vorausgehenden Übernahme der bithematischen germanischen
Namen mag die Rolle, die das fränkische Superstrat in dieser Interferenz-
situation konkret spielte, in der Durchsetzung neuer gesellschaftlicher Normen
liegen, die sich aus der Notwendigkeit der Integration und Akkulturation der
beiden Bevölkerungsgruppen ergaben und denen die überkommenen roma-
nischen Namentypen offenbar immer weniger zu genügen vermochten. Als
durch diese neuen gesellschaftlichen Normen begründete Namenmode erklärt
sich damit sicherlich auch die schnelle Durchsetzung dieses Musters in vielen
anderen Regionen der Romania, in der die beschriebene Gefahr der Homony-
mie von Maskulinum und Femininum nicht gegeben war.
Summary
Old French Declension of the Charles/Charlon, Pierre/Pierron
or Berte/Bertain Type - Reflection of Old Franconian
Superstrate Influences?
Today, according to a Latin perspective, the origin of the „metaplastic
declension“ Petrus/Petronis, Gallus/Gallonis, etc., in Early Medieval Latin
documents is generally seen as an extension of the «-inflection in the case
system of the vernacular „proto-romance“ languages. However, it remains a
controversial subject to argue which part Latin or Roman words and names of
Germanic origin take in the extension of those forms; chronological and geo-
linguistical arguments seem to plead in favour of an important support
129
function of the Frankish superstrate. This paper tries to demonstrate that this
support function lies particularly in the setting of new social norms which
were no longer satisfying traditional Romance names ending in -us or -0, at
least in the contact area of Roman and „Barbarian“ cultures in the north of the
Gaul. With the progressive weakening of the ending syllables of these names
during the 7th century, it was no longer possible to identify with certainty the
gender of the name bearers. So the number of names with an w-inflection
increased consequently in the early Middle Ages, particularly in the oblique
case, because these forms allowed to avoid homonyms. It is not astonishing
that the forms of the 2nd declension were conserved above all in the nomina-
tive case as the final -s represented a gender marker.
130
Rolf Max Kully
Tausendvierhundert Jahre Geben und Nehmen:
Deutsch und Welsch im Schweizer Jura1 2
Bereits vor der Einladung zur diesjährigen Tagung war ich gebeten worden,
mich mit der Romania Basiliensis, also den galloromanischen Resten in der
Region Basel, zu befassen. Dieses Thema wurde schon mehrfach souverän
behandelt, unter anderem von Wilhelm Bruckner3, Bruno Boesch1 und Stefan
Sonderegger4 5, Wolfgang Kleiber und Maria Besse6. Ihre Arbeiten sind all-
gemein zugänglich, ich werde also im ersten Teil meines Referats nur zur
Auffrischung der Fakten auf sie zurückgreifen und Bekanntes rekapitulieren.
1. Historisch-linguistische Übersicht
Die Stadt Basel war während des ganzen Mittelalters das unangefochtene
Zentrum des Oberrheins bis weit ins Eisass und in den Schwarzwald. Der
1 Für die kritische Lesung dieses Vortrags sowie für weiterführende Hinweise danke
ich lie. phil. Heidi Blaser und den Dres. Kaspar Egli, Markus Gasser, Elisabeth
Kully und Thomas Franz Schneider sowie Herrn Kollegen Albrecht Greule.
2 Bruckner, Wilhelm: „Die Bedeutung der Ortsnamen für die Erkenntnis alter Sprach-
und Siedlungsgrenzen in der Westschweiz“, in: Fox Romanica 1 (1936) S. 235-263;
Ders.: Schweizerische Ortsnamenkunde. Eine Einführung, Basel 1945.
Boesch, Bruno: „Ortsnamenprobleme am Oberrhein (1963)“, in: Bruno Boesch: Kleine
Schriften zur Namenforschung: 1945-1981. Zum 70. Geburtstag herausgegeben von
seinen Schülern (Beiträge zur Namenforschung, Beiheft N.F. 20), Heidelberg 1981, S.
245-265; Ders.: „Das Frühmittelalter im Ortsnamenbild der Basler Region (1976)“,
in: ebd., S. 393-422; Ders.: „Grundsätzliche Erwägungen zu den nichtdeutschen
Orts- und Flurnamen am Oberrhein und im Schwarzwald (1965)“, in: ebd., S. 266-
293.
4 Sonderegger, Stefan: „Die althochdeutsche Schweiz. Zur Sprach- und Siedlungs-
geschichte der deutschen Schweiz bis 1100“, in: Sprachleben der Schweiz: Sprach-
wissenschaft, Namenforschung, Volkskunde. Rudolf Hotzenköcherle zum 60. Ge-
burtstag gewidmet, Bern 1963; Ders.: „Die Ausbildung der deutsch-romanischen
Sprachgrenze in der Schweiz im Mittelalter“, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 31
(1966/67) S. 223-290.
5 Kleiber, Wolfgang: „Auf den Spuren des Voralemannischen Substrats im Schwarz-
wald“, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 108 (1960) S. 305-371.
Besse, Maria: Namenpaare an der Sprachgrenze. Eine lautchronologische Untersu-
chung zu zweisprachigen Ortsnamen im Norden und Süden der deutsch-franzö-
sischen Sprachgrenze (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 267),
Tübingen 1997.
131
ursprüngliche, römerzeitliche Stadtkern, d.h. das heutige Großbasel, lag auf
der linken Seite des Rheins. Als natürliches Hinterland kann man deshalb das
Dreieck zwischen dem Rhein im Norden, der Aare im Südosten und Süden
und dem Einzugsgebiet der Birs im Westen bezeichnen. Dieses Gebiet um-
fasst den heutigen Kanton Basel-Landschaft sowie mit dem Fricktal einen Teil
des Kantons Aargau, fast den gesamten Kanton Solothurn mit einem Zipfel
Bern sowie einen großen Teil des noch jungen Kantons Jura, eigentlich den
Süden des ehemaligen Bistums Basel. Damit ist die Regio Basiliensis nur zu
einem Teil erfasst.
Das gesamte Gebiet der Schweiz war am Ausgang des Altertums romani-
siert, die uns interessierende Gegend gehörte linguistisch zur Galloromania.
Freilich war das Basler Hinterland nach dem Niedergang des römischen Welt-
reiches bevölkerungsmäßig stark ausgedünnt, wenn auch nicht menschenleer.
Sicher hielt sich eine galloromanische christliche Bevölkerung in den
befestigten Plätzen Augst und Solothurn, aber auch die wichtige Passstraße
des Oberen Hauensteins von Liestal bis OensingenN blieb noch lange im Ein-
flussbereich der Romanen, und in den spärlichen Siedlungsresten auf den
abgelegeneren Jurahöhen hielt sich die romanische Sprache sicher bis ins 9.
oder 10. Jahrhundert.^
Dass das Keltische bei der alemannischen Landnahme noch lebendig war, ist nicht
anzunehmen. Vgl, jedoch Hubschmid, Johann Ulrich: „Sprachliche Zeugen für das
späte Aussterben des Gallischen“, in: Vox Romcmica 3 (1938) S. 48-153.
s Auf halbem Weg liegt das erst spät bezeugte Waldenburg. „Es kann nun als ausge-
macht gelten, dass der aus 1244 überlieferte Namen Waldenburg eine unrichtige
Verdrehung von Wallenburg ist, das leider erst aus 1356 erwiesen werden kann,
aber noch heute ganz allgemein (Wallebrg - Wollebrg) gesprochen wird. Wallen-
burg würde ganz einfach Römerburg heißen und wäre auf ein Castrum auf der
Schanz zu beziehen, das durch die vielen Funde aus der Römerzeit wahrscheinlich
gemacht ist [...]. In einer Gegend, wo man Stollen und Hollen oder Hallen für
Stalden und Halde sagt, hat ein Schreiber sehr leicht meinen können, anstatt des ge-
sprochenen Wallen müsse er Waiden schreiben. Eine Burg im Waldgebirge aber
müsste erstens Waldburg heißen, und wäre zweitens nicht nach Wald, sondern nach
etwas besonderem benannt worden, sonst müsste es am Rande unserer Waldgebirge
Dutzende von Waldenburgen geben.“ (Burckhardt, Gottlieb: Basler Heimatkunde.
Eine Einführung in die Geographie der Stadt Basel und ihrer Umgehung, Bd. 3:
Die weitere Umgehung Basels zwischen Pierre Pertuis, Bözherg, Titisee und Bei-
fort, Basel 1933, S. 206f., Fußnote 2). - „Bergschloss und Talstädtchen bilden ein
Ganzes, wovon die ,Burg‘ auf der Schanz völlig ausgeschlossen ist. Städtchen und
Schloss stehen im selben Verhältnis wie bei St. Ursitz, Klus, Aarburg, Pfirt und
Münchenstein. Das Städtchen hatte auch keinen Schultheiß, gehorchte vielmehr
dem Schlossvogte und hatte mit den Bauern zusammen ein Gericht.“ (ebd., S. 207).
y Geuenich, Dieter: Geschichte der Alemannen, Stuttgart / Berlin / Köln 1997; Marti,
Reto: „Ansätze zu einer frühmittelalterlichen Siedlungsgeschichte der Nordwest-
schweiz“, in: Michael Schmaedecke (Hg.): Ländliche Siedlungen zwischen Spät-
antike und Mittelalter: Beiträge zum Kolloquium in Liestal, Schweiz, vom 13. bis
132
Die fränkisch-alemannische Neubesiedlung in merowingischer Zeit erfolgte
in zwei Stoßrichtungen, Eine erste alemannische Einwanderungswelle rollte
im 677. Jahrhundert vom Schwarzwald her über den Rhein aareaufwärts und
schwappte auch über den Tafeljura östlich von Basel Ein zweiter Einwande-
rungsschub kam im 778. Jahrhundert aus dem Eisass und besiedelte die Täler
und Höhen des Faltenjura."1 Im Westen bildete sich neu eine Sprachgrenze, je-
doch mit zahlreichen romanischen Einschlüssen auf der deutschen Seite, aber
auch mit alemannischen Vorbrüchen im romanischen Gebiet. Auch später
noch kam es durch politische Gegebenheiten zu kleineren Verschiebungen
und Überlagerungen.
Die einwandemden Alemannen übernahmen von ihren verbliebenen roma-
nischen Nachbarn zweierlei: bestehende Lokalbezeichnungen und Appella-
tiva. Die Ersteren wurden lautlich adaptiert, die Letzteren konnten selber wie-
derum zur Benennung von bisher unbenanntem Gelände verwendet werden.
Ein relativ häufiges Beispiel ist Balm < galloroman. balma ,überhängiger
Fels* 4 * * * * * 10, ein anderes möglicherweise Chall < lat. callis ,Pfad4.
Das genannte Gebiet wurde mehrmals auf seine vordeutschen Namenreste
hin untersucht. Für die Gewässernamen hat Albrecht Greule die Pionierarbeit
geleistet.11 Als indoeuropäisch-voreinzelsprachliche beziehungsweise ,alteuro-
päische4 Flussnamen gelten seither: Aare < *Amra (idg. *er-/*or- ,in Bewe-
gung setzen4), Bits < *Bersiä, Birsig < *Bersikos mit kelt. À-Suffix (idg. *bhers-
,schnell4), *01ä (heute Dünnem) im Ortsnamen Olten (idg. *el-/*ol- ,fließen,
strömen4), Ergolz < *Argantiä (idg. *arg- ,glänzend, weißlich4), Sissle <
*Sisalä (idg. *sei-/*si-(s)-, tröpfeln, rinnen, feucht4), Some < * Sorna (idg. *ser-l
*sor- ,fließen4), Trame < *Dromä (idg. *drem-/*drom- ,laufen4), als keltisch:
Magdenerbach < *Magä ,die Große4, Möhlinbach < vorahd. *Malina, gali.
malina ,Flut‘; als romanisch (durch Namenübertragung): Violenbach < lat.
*viallna ,Straßenbächlein4, abgeleitet von lat. via ,Straße, Weg4.1'
15. März 1995 (Archäologie und Museum 33), Liestal 1995, S. 9-16; Martin, Max:
„Das Fortleben der spätrömisch-romanischen Bevölkerung von Kaiseraugst und
Umgebung im Frühmittelalter auf Grund der Orts- und Flurnamen44, in: Stiftung Pro
Augusta Raurica (Hg.): Provincialia. Festschrift für Rudolf Laur-Belart, Basel /
Stuttgart 1968, S. 133-150; Ders.: „Das Gebiet des Kantons Solothum im frühen
Mittelalter. Ein Bericht zum Stand der archäologischen Forschung“, in: Jahrbuch
der schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte 66 (1983) S. 215-239.
10 Marti, Reto: Zwischen Römerzeit und Mittelalter. Forschungen zur frühmittelalter-
lichen Siedlungsgeschichte der Nordwestschweiz (4.-10. Jahrhundert) (Archäologie
und Museum 41), Liestal 2000.
" Greule, Albrecht: Vor- und frühgermanische Flußnamen am Oberrhein. Ein Beitrag
zur Gewässernamengebung des Elsaß, der Nordschweiz und Südbadens (Beiträge
zur Namenforschung, Beiheft N.F. 10), Heidelberg 1973.
Greule, Albrecht: „Kontinuität durch Wechsel. Zur Bewahrung römischer Sied-
lungsnamen in heutigen Flussnamen“, in: Rolf Max Kully (Hg.): Dauer im Wech-
133
Nicht behandelt hat Albrecht Greule den Orisbach, die Lüssel und die
Lützel. Der Orisbach entspringt bei Büren SO und mündet bei Liestal in die
Frenke. Wir führen den Namen auf vorgerm. *Orusa < (idg. *er-/*or- ,in
Bewegung setzen4) zurück, vgl. Aare.1' Die Lüssel hat ihre Quelle im Pass-
wanggebiet und wird in Brislach von der Birs aufgenommen. Aufgrund zweier
Belege Lüchse!u postulierten wir an der Tagung in Pisa eine idg. Wurzel
*l(e/o)uk- ,leuchten, licht4,1" also ,die Lauter4 oder ,der Lauterbach4.* 13 14 * 16
Die rein deutsche Lützel an der schweizerisch-französischen Grenze hin-
gegen, hat ihren ursprünglichen Namen an einen Ortsnamen verloren. Unweit
ihrer Mündung in die Birs liegt auf einer Anhöhe das Dorf Röschem,17 * 19 von
dessen Namen schon Bruno Boesch erwogen hat, dass seine Endung „nach
einem -an/ia-Flussnamen aussieht, der sich hier dann nur auf die Lützel be-
ziehen könnte“.1 s Zugrunde liegt das vorrömische Alpenwort *rosa ,Glet-
scher, Wildbach, Rinne, Erdrutsch4 19 in verschiedenen Toponymen Kärntens,
Südtirols, Nordbrabants, des Saarlandes und Nordbayerns. *rosa ist verwandt
sei. Akten des namenkundlichen Symposiums auf dem Weißenstein bei Solothurn
vom 21.-23.09.1995, Solothum 1996, S. 117-126, hier S. 117.
13 Kully, Rolf Max: Die Namenwelt der Gemeinde Nuglar-Sankt Pantaleon im Solo-
thurner Jura (Solothumisches Orts- und Flurnamenbuch, Beiheft 2,1), Solothurn
1999, S. 37f.
14 1418: fupradict(o) molendino in villa BiiJJerach [...] Super fluuio [...] lüchfel:
SOStA, Urk. 1418.05.13.; 1540: ij Rütenn binden am Hoff [...] ftoffen über die
Lühfel an die anwannd; BLStA, Ber. 398, 87r.
Vgl. Pokomy, Julius: Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch, Bern 1959, S.
687-690.
16 Albrecht Greule gibt brieflich zu bedenken: ,füssel steht wegen der Belege Lüchsel
im Verdacht germanischer Herkunft, < *Luhsila oder *Luhsina. O. Bandle (RGA
Bd. 9, S. 158) verbindet den altnorw. Flussnamen Lysir m. als ,der Helle4 mit Ijöss
(<*leuhsa-). Von germ. *leuhsa- sind mehrere Gewässernamen mit -«-Suffix abge-
leitet.44
1 Röschenz liegt auf einem Plateau, das zur Lützel in steilen Felsen abfällt, an einer
Stelle jedoch in einem sanften Hang hinunterleitet. Die Dorfkirche ist in der Luft-
linie lediglich 350m vom Bach entfernt. Angesichts dieser kurzen Distanz scheint
eine Übertragung des Gewässernamens auf die Ortschaft nicht abwegig.
Is In der Folge neigt er jedoch der Auffassung zu, es handle sich in der Endung des
Ortsnamens wohl eher um eine Umbildung aus -äcum, obschon „für eine analo-
gische Umbildung von -ach auf -enz ein nahegelegenes Vorbild44 fehle. Vgl.
Boesch: Kleine Schriften (wie Anm. 3), S. 400f.
19 Schorta, Andrea / von Planta, Robert (Hg.): Rätisches Namenbuch, Bd. 2: Etymolo-
gien (Romanica Helvetica 63), Bern 1964, S. 286; Kühebacher, Egon: Die Orts-
namen Südtirols und ihre Geschichte, Bd. 3: Die Namen der Gebirgszüge, Gipfel-
gruppen und Einzelgipfel Südtirols. Gesamtregister, Bozen 2000, S. 239.
134
mit altindisch ras ah ,Saft, Flüssigkeit4, lat. rös ,Tau\ Im vorliegenden Fall
dürfte eine kollektivierende urkeltische -A-Ableitung *roso-ko- + (neues) Suf-
fix -antia (vgl. *Argantia/Ergötz) angetreten sein: *Rosokantia, mit Synkope
des zweiten Vokals: *Roskantia.2,)
In jüngerer Zeit wurden speziell die Ortsnamen der Kantone Aargau und
Solothurn in zwei Monographien ausführlich behandelt.* 21 22 Die Ergebnisse sind
zu einem großen Teil in Andres Kristols Lexikon der schweizerischen Orts-
namen22 überführt und können nun als allgemein zugängliches Wissen gelten.
Beat Zehnder zählt im Kanton Aargau 29 vordeutsche Siedlungsnamen,
davon in unserem Gebiet zwischen Rhein und Aare zwölf, nämlich zwei Orts-
namen aus alteuropäischen Flussnamen Möhlin und Sisseln, einen -dilnon-Na-
men Mägden, einen sekundär zu einem Bergnamen gebildeten Ortsnamen
Bözenö vier, allenfalls fünf, -¿kv/m-Namcn Herznach, Mandach, Rüfenach,
Schinznach und vielleicht Kaisten sowie drei lateinisch-romanische Namen
Augst < Augusta Rauracorum, Fr ick < lat. *ferraricia ,Eisenerzgebiet4 und
Mumpf < *ad montem ferri oder *ad montem ferum.
Freilich hat Kristol nicht alle diese Deutungen übernommen. So lehnt er
beispielsweise die Erklärung des Namens Fr ick ab, den Zehnder nach Sonder-
egger auf * (regio) ferr-ar-icia , Eisenerzgebiet4 zurückführt. Kristol argumen-
tiert, dass die lateinische Lautgruppe -cia [kja] schon im 2./3. Jahrhundert zu
[tjja] > [tsja] geworden sei und dass folglich die Alemannen den alten velaren
11 Vgl. Pokomy: Wörterbuch (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 336 und Georges, Karl Emst:
Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch: aus den Quellen zusammen-
getragen und mit besonderer Bezugnahme auf Synonymik und Antiquitäten unter
Berücksichtigung der besten Hilfsmittel. 9. Auf!., Tübingen 1951. Vgl. Krähe,
Hans: Unsere ältesten Flußnamen, Wiesbaden 1964, Tabelle 1 nach S. 62. - Die
weitere Entwicklung muss folgendermaßen verlaufen sein: ahd. *Roskenzia (ft/ >
/ts/-Verschicbung, Primärumlaut /a/ > /e/ vor 1)1), spätahd. *Röskenzi (Restumlaut
der entfernteren Silbe durch /i/ und teilweiser Endungsabfall), mhd. Röschenz (/sk/-
Verschiebung zu /// und Endungsabfall), modern mundartlich [’roej:ots] (Erleichte-
rung der Dreierkonsonanz durch Schwund des /n/). Vgl. Kully, Rolf Max: „Die
Flussnamen Lützel und Lüssel“, in: Akten des 22. Kongresses für Namenforschung.
Pisa, 28.08.-5.09.2005 [noch ungedruckt]. Kristol, Andres: Lexikon der schweize-
rischen Gemeindenamen, Frauenfeld / Lausanne 2005, S. 756f., bezeichnet den
Namen als ungedeutet.
21 Zehnder, Beat: Die Gemeindenamen des Kantons Aargau. Historische Quellen und
sprachwissenschaftliche Deutungen (Argovia. Jahresschrift der historischen Gesell-
schaft des Kantons Aargau 100/IE), Aarau 1991; Kully, Rolf Max u.a. (Hg.): Solo-
thurnisches Namenbuch, Bd. 1: Solothurnische Ortsnamen: Die Namen des Kantons,
der Bezirke und der Gemeinden. 2., überarb. Aufl., Solothurn 2005.
Kristol, Andres: Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen, Frauenfeld / Lau-
sanne 2005 [im Folgenden zitiert als: LSG).
22 Von kelt. *vo-ceto-n < gall. vo ,nieder*, keto-, ceto- .Gehölz4, verwandt mit dt. Heide.
135
Verschlusslaut [k] gar nicht mehr zu hören bekamen. *Ferraricia hätte sich in
romanischem Munde zu einer Form entwickeln müssen, die heute im Deut-
schen nicht Frick, sondern *Ferriz lauten würde. Er hält den Namen für unge-
deutet."4 Auch für Mumpf schlägt er ein anderes Etymon vor, nämlich *ad
monte Verio .beim Berg des Verius1.* 25
Der westlich anschließende Kanton Baselland ist noch nicht durch ein Orts-
namenbuch erschlossen, wohl aber existieren aus jüngster Zeit für zahlreiche
Gemeinden kleinere Monographien. Als sicher oder möglicherweise vor-
deutsch deklariert der Herausgeber Markus Ramseier6 Augst < Augusta Rau-
racorum, die -ärv/w-Namen Giebenach < *Caviniacum, Maisprach < *Aspi-
riacum, Reinach < *Reniacum, und die ehemaligen Flurnamen Bims < *apud
buxum und Pratte/n < pratellum. Unsicher ist die Etymologie von Muttern:
Erwogen werden *mudantia .Schlammbach' oder eine Verkürzung < *Mut-
tentiacum zu einem sonst nicht belegten Personennamen *Muttentius. Das
Gleiche gilt für Roggenburg, dessen Bestimmungswort entweder auf rocca
,Fels‘ oder auf einen Personennamen Roggo, Rocco zurückgehen kann. Auf
romanische Präsenz verweisen mit deutschem Wortmaterial die Namen
Wahlen < *bi den walahun und vielleicht Waldenburg entweder aus < * Wal-
dinburg ,Burg des Waldo' oder < *Walenburg .Burg der Walen, Welschen,
Römer'. Noch nicht behandelt hat Ramseier die Namen Brislach und Sissach
sowáe einige Wüstungsnamen.
Weiter im Westen, im Kanton Solothurn, verzeichnen wir im Jura zwei
galloromanische Siedlungsnamen Dörnach < *Turnäcum und Büsserach <
*Buxuriäcum sowie drei ehemalige Flurnamen Nuglar < *nucariolum ,Nuss-
bäumchen', Gempen < *campannja ,Gefilde', Metzer/en *mäceriola ,Mäuer-
chen', am Jurasüdfuß links der Aare Olten < Olodünum .Stadt am Flüsschen
OlostOlä‘ sowie drei -äcww-Namen Bellach, Selzach, Bettlach und daneben
vier Flur- oder Stellennamen, nämlich (Ober und Nieder)Buchsiten < lat.
buxetum .Buchsgehölz', Balm bei Günsberg < *balma ,Höhle', Solothurn <
kelt. *Saloduron .Wassertor, Wasserenge' und Grenchen < galloroman. *gra-
nica .Kornscheuer'. Über den Namen der Hauptstadt Solothurn haben wir
1997 in Basel referiert,27 * und unsere Deutung wurde sowohl von Albrecht
"4 Leider ergab sich daraus ein unschöner Disput zwischen ihm und Stefan Sonder-
egger, der sich nicht nur auf die wissenschaftlichen Argumente beschränkte und im
Wasserglas der Neuen Zürcher Zeitung einige Wellen aufwarf.
25 LSG (wie Anm. 20), S. 626f.
J1 Ramseier, Markus (Hg.): Namenbuch der Gemeinden des Kantons Basel-Land-
schaft, Pratteln 2002ff.
Kully, Rolf Max: „Solothurn und andere duron-Namen“, in: Heinrich Tiefenbach /
Heinrich Loeffler (Hg.): Personenname und Ortsname. Basler Symposion 6. und 7.
Oktober 1997, Heidelberg 2000, S. 53-80.
136
Greule als auch von Wulf Müller aufgenommen und weiterentwickelt.2lS Das
hat jedoch Andres Kristol nicht überzeugt. Gestützt auf Pierre-Yves Lambert,
La langue gauloise," ’ setzt er kelt. duron mit lat. forum gleich und deutet
Solothurn als ,Marktplatz am Wasser‘ oder ,Marktplatz des Salosf* 30
Nicht alle in der Literatur als vordeutsch bezeichneten Ortsnamen halten
der Kritik stand. So haben wir nachweisen können, dass der Ortsname Blauen
BL, den ältesten Belegen zum Trotz, nicht auf den keltischen Stamm *blak(k)-
,Pflanze, Eichenart1 und der Geländebezeichnung *uanno ,Abhang1,31
sondern auf einen weiblichen Personennamen Blaua zurückzuführen ist.32 *
Auch bei Titterten BL zweifeln wir stark an der Herleitung vom lateinischen
Personennamen Titurius und kelt. dünon gefestigte Siedlung*," da wir im
ehemals abgelegenen Lüsseltal einen sehr steilen und unwegsamen Berghang
mit dem genau gleichen Namen finden.34 35
Noch weiter westwärts gelangen wir in den Kanton Jura, ehemals Teil des
Kantons Bern und bis 1792 des Fürstbistums Basel, und hier werde ich nicht
um einen historischen Exkurs herumkommen:'' Seit dem frühen Mittelalter
2X Greule, Albrecht: „Das Morphem SAL in der Toponymie“, in: Thomas Franz
Schneider / Claudia Jeker Froidevaux (Hg.): „Freude an der Wissenschaft“: Fest-
schrift für Rolf Max Kully; zur Feier seines 70. Geburtstages am 20. September
2004 (Veröffentlichungen der Zentralbibliothek Solothum 27), Solothurn 2004, S.
93-100; Müller, Wulf: „Der keltische Ortsname Octodurus (Wallis)“, in: ebd., S.
175-183.
24 Lambert, Yves: La langue gauloise. Description linguistique, commentaire
d’inscriptions choisies, Paris 1994.
30 LSG (wie Anm. 20), S. 839f. Pokomy: Wörterbuch (wie Anm. 15), S. 278f. ver-
zeichnet keinen Beleg für die Gleichsetzung von kelt. *duron ,Tür‘ mit lat. forum
,Marktplatz1.
31 LSG (wie Anm. 20), S. 163.
32 Kully, Rolf Max / Gasser, Markus / Jeker Froidevaux, Claudia / Schneider, Thomas
Franz: „Blauen“, in: Beiträge zur Namenforschung N.F. 41 (2006) S. 429-438.
LSG (wie Anm. 20), S. 875f., nach Boesch: „Das Frühmittelalter“ (wie Anm. 3), S.
402f.
4 Landeskarte der Schweiz, Wabern 1982, Blatt 1087, 609140/246437.
35 Die Diözese Basel als spiritueller Zuständigkeitsbereich deckte sich nicht mit dem
weltlichen Besitz des Bischofs. Bis zur Neuordnung der schweizerischen Bistümer
im 19. Jahrhundert gehörte das ganze Land rechts der Aare zur Diözese Konstanz,
das Land links bis zum Bach Siggem und bis auf die ersten Jurahöhen zur Diözese
Lausanne, und der Rest, wie gesagt, zur Diözese Basel. Der Basler Bischofssitz war
von Augst transferiert worden, der Lausanner von Avenches und der Konstanzer
von Windisch. Es bestehen deshalb starke Gründe zur Vermutung, dass sich in den
Bistumsgrenzen die merowingischen, wenn nicht sogar noch ältere römische Ver-
waltungslimitationen gehalten haben. Augusta Rauracorum war immerhin die
137
war der Bischof Herr der Stadt Basel, aber erst 999 begründete König Rudolf
III. von Burgund ein Territorium durch die Schenkung des Klosters Moutier-
Grandval/Münster-Granfelden samt seinem ausgedehnten Besitz um die Pierre
Pertuis. Dazu kamen wenig später kaiserliche Vergabungen im Eisass und im
Schwarzwald, im Sisgau und im Buchsgau. Auf Grund der Einkünfte konnten
weitere Ländereien erworben werden.'6 Das Hochstift kaufte von dem in
Geldnöten steckenden Grafen von Pfirt den Eisgau, überließ ihn ihm aber als
Lehen. Als jedoch 50 Jahre darauf die letzte Pfirterin einen Habsburger heira-
tete, wurde die Kirche um diesen Landstrich geprellt. Um 1340 erwarb sie
zwar noch Teile des Sisgaus als Eigentum, geriet dann aber selber in Schwie-
rigkeiten und musste Besitz und Oberhoheit größerer Landstriche den Städten
Basel und Solothurn verpfänden und schließlich abtreten.'
Nach der Reformation verließ der Bischof die Stadt Basel und errichtete
seine Residenz als Fürst des Heiligen Römischen Reiches in Porrentruy/Prun-
trut.'s Seine nördlichen Nachbarn waren Habsburg in den ehemals jtfirtischen
Landen und Württemberg im Gebiet Montbeliard/Mömpelgard. Aber ob
bischöflich, pfirtisch und nachher habsburgisch oder württembergisch, das
Gebiet beidseits der Sprachgrenze war Teil des Reiches. Und die Verwal-
tungssprache war sowohl in den habsburgischen wie in den bischöflichen
Territorien hauptsächlich deutsch,40 wenn auch mit Konzessionen an das
Französische der Untertanen, Selbst nach der Annexion des Sundgaus durch
Frankreich im Jahre 1648 blieben die von der österreichischen Verwaltung
übernommenen deutschen Ortsnamen auch auf französischen Landkarten in * 39
Hauptstadt der Rauracher und Aventicum die Hauptstadt der Helvetier, während
Vindonissa die bedeutendste Garnison in der heutigen Schweiz beherbergte. - „Das
Bistum Konstanz wurde um 600 oder bald danach innerhalb der einstigen römi-
schen Siedlung Constantia gegründet, beziehungsweise vom früheren Sitz des
Bischofs in Windisch (Vindonissa) an den Bodensee verlegt. [...] Insofern kommt
der Abgrenzung des neu geschaffenen Bistums gegenüber den Bistümern Lausanne,
Chur und Augst vermutlich das höchste Alter zu.“ Geuenich: Alemannen (wie Anm.
9), S. 100.
'6 Um das Birstal mit Basel zu verbinden, wurde im 12. Jahrhundert das Gebiet um
Laufen gegen St. Blasien im Schwarzwald eingetauscht und im 13. Jahrhundert
wurden Arlesheim und die Burg Birseck gekauft.
Burckhardt: Basler Heimatkunde (wie Anm. 8), S. 264.
s Das Domkapitel begab sich zuerst nach Freiburg im Breisgau und später nach
Arlesheim südlich von Basel.
39 Noch heute finanziert die württembergische Landeskirche einen protestantischen
schwäbischen Geistlichen, der in Montbéliard auf Französisch predigt. Persönliche
Mitteilung von Pfr. Christoph Knoch.
411 Von den 64 Bischöfen zwischen 1000 und 1798 stammten lediglich acht aus dem
französischen Sprachgebiet und seit 1417 keiner mehr.
138
offiziellem Gebrauch: Sanson d’Abbéville, Géographe de sa Majesté, der die
Gegend unmittelbar nach der Übernahme kartographierte, verwendet auch im
französischen Sprachgebiet: Luders neben Lure, Rosenberg anstatt Rottenburg
fur Rougemont, Engelsott für Angeot, Monpelgart neben Monbelliard, Datten-
reu anstatt Dattenried für Delle, Blonberg für Florimont, Pfritt anstatt Pfirt
neben Ferrette.41 1731 wurde in Paris eine weitere Karte gedruckt. Sie enthielt
noch immer im Norden Engelsott für volkssprachliches Angeot, St. Andreas-
capell für ta Chapelle, Rottenburg für Rougemont, St. Claus für St. Nicolas
und im Südwesten Dattenried für Delle, Zunzere für Joncherey, Merzwyl für
Morvillars, Kaltenbrunn für Froidefontaine und Murg für Méroux.42
Hingegen scheint Württemberg die Ortsnamen des Mömpelgarder Territori-
ums mit Ausnahme des Hauptorts nicht verdeutscht zu haben.43
Ähnliches wie für Habsburg gilt für das zweisprachige Fürstbistum. Noch
über zwanzig Jahre nach seinem Untergang 1792 zeichnete Antoine-Joseph
Buchwalder eine Carte de Fanden évêché de Bâle, auf der er die Ortsnamen in
der Sprache der Region wiedergibt, aber eine Liste mit 117 Exonymen anfügt.
Das Fürstbistum war aber auch konfessionell nicht einheitlich. Der Norden
war katholisch, aber der Süden, nämlich das Münstertal oder die Prévôté, hatte
aufgrund des Burgrechts mit Bern die Reformation einführen können, ohne dass
dem Landesherm die Durchsetzung der Gegenreformation gelungen wäre.44 45
Aber im Gegenzug, als der Staat Bern in den folgenden Jahrhunderten die
Täufer unerbittlich verfolgte, fanden viele davon Zuflucht im Bistum, wo sie als
erfahrene Bauern zur Bewirtschaftung der rauen Jurahöhen willkommen waren.
Paul Zinsli hat gezeigt, wie diese deutschsprachigen Bauern inmitten der
französischen Umgebung auf einem Hof mit dem offiziellen Namen La
Päturatte und umgeben von den Höfen Chez Bernard und Métairie de Cernil
eine deutsche Mikrotoponymie mit Bezeichnungen wie Grossi Matte, Chlini
Matte, Grossi Weid, Chlini Weid, Muniweidli, Chalberweidli, Ahornebode,
Säni-Egge, Moos, Wasserloch etc. schaffen konnten.4>
41 Les Suisses, les Allies des Suißes et leurs sujets; qui peuent paßer sous le nom des
Suißes. Partie de Souabe, &c. Par N. Sanson d’Abbéville, Geogr du Roy Auecq
Priuilege pour 20 Ans. 1648.
42 „Dass auf der selben Karte das deutschsprachige Eisass ganz deutsch behandelt ist,
brauche ich nicht zu versichern. Wie anders heute, wo wir selbst in Basel nicht
mehr Hüningen, Mülhausen und Straßburg zu schreiben wagen!" Burckhardt:
Basler Heimatkunde (wie Anm. 8), S. 389f, Fußnote 1.
43 Lediglich der Hauptort Montbéliard/Mômpelgard erscheint unter dem deutschen
Exonym. Vgl. Anonymus: „Topographie von Mömpelgart", in: Stats-Anzeigen 10
(1787) S. 73-76.
44 Ebenso vergeblich versuchte noch Bischof Wilhelm Rinck von Baldenstein (1608-
1628) auch seine Residenz Pruntrut, die in geistlichen Belangen direkt Besançon
unterstand, durch Abtausch in sein Bistum einzuglicdem.
45 Zinsli, Paul: Ortsnamen. Strukturen und Schichten in den Siedlungs- und Filtrila-
139
Das Fürstbistuin war arm. Nicht umsonst wurde nach dem Wiener Kon-
gress gespottet. Bern habe als Entschädigung für den Waadtländer Weinkeller
den jurassischen Holzschopf bekommen. In dieser Situation kam die Ein-
führung der Uhrenindustrie als Rettung aus der Not. Die Uhrmacherei brachte
seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Ausweitung auch in die deutsche
Schweiz dem Französischen sprachlichen Rückgewinn: Das früher rein
deutschsprachige Biel wurde seither zu einer zweisprachigen Stadt mit einem
guten Drittel Welschen. Aber auch Grenchen, das sein Rathaus Hôtel de Ville
nennt, und Welschenrohr haben die alten Exonyme Granges und Rosières re-
aktiviert, während Langendorf sich mit Longvillage sogar ein neues schuf. Die
Fachterminologie der Uhrmacher blieb auch in den deutschsprachigen Orten
immer französisch, natürlich in schweizerdeutscher Lautung. Mir sind aus
meiner Kindheit in Grenchen noch viele vertraut: Die Werkbank hieß s
Etaabli < frz. établi, die Tischlampe s Gänggi < frz. quinquet, der kleine
Schraubenzieher dr Turnwiiss < frz. tourne-vis, die Federzange hieß s Brüssell
< frz. plurale tantum brucelles und das kleine Vergrößerungsglas, das der
Uhrmacher an einem Draht vor sein Auge schob, war dr Migro wohl < frz.
microscope. Das Roh werk hieß .v Eboosch < frz. ébauche, eine beim Stanzen
entstandene Braue am Werkstück war es Bawür/i < frz. bavure und ein fehler-
haftes Werkstück wurde Rabiaasch < frz. rhabillage genannt etc.4il
In dieser Umgebung ist es erklärlich, dass man alle als fremd empfundenen
Namen grundsätzlich französisch aussprach. In Grenchen wurde ein aus
Deutschland eingewandertes Ehepaar Turek von allen Leute Türek genannt,
und ich selber erfuhr erst in einem gewissen Alter, dass der Filmkomiker
Scharli Schaplä eigentlich Charlie Chaplin hieß.
2. Mikrotoponymie
Nach diesem sehr unvollständigen Überblick aus der Vogelschau möchte ich
mich nun noch an einer bestimmten Stelle niederlassen und etwas in die Tiefe
graben. Ich wähle dazu die Ortschaft Nünningen im Solothumer Jura, die bis
ins 20. Jahrhundert hinein als das ärmste Dorf des Kantons galt.47
men der deutschen Schweiz (Schriften des deutschschweizerischen Sprachvereins
7). 2. Auf!., Frauenfeld 1975, S. 27-29.
4h Das Zifferblatt war das Gadra < frz. cadran, und die Achse, an der die Krone zum
Aufziehen und Richten aufgeschraubt war, hieß dr Diisch < la tige mit Genus-
wechsel wohl nach deutsch Stengel. Die beiden Stifte, welche das Uhrenband an der
Uhr befestigen, sind die Barett/i < frz. barrette und das Uhrenband das Brassle <
frz. bracelet. Als wegen seines scharfen Blicks gefürchteter Vorarbeiter amtierte
der Wisitör < Visiteur, und ein ovaler Gegenstand war malrund, wohl neu gebildet
aus frz. mal,schlecht* 4 und rond ,rund‘.
4 „Nünningen, das ärmste Dorf des Kantons, mit 121 Häusern. Die Bewohner, jetzt
997 an der Zahl, nährten sich früher fast ausschließlich durch Stricken. Ein eigener
Anblick war es da, in den gewaltigen Händen baumstarker Männer, die in großer
140
Der Name Nünningen gehört zu den -mgew-Bildungen, die in die Land-
nahmezeit, in unserer Gegend also ins 7. Jahrhundert datiert werden. Wir
glauben zu wissen, dass die Alemannen anfänglich die bewohnten galloroma-
nischen Siedlungen umgingen und sich im unbewohnten Gelände nieder-
ließen. Die vordeutschen Toponyme Balm,48 * Chalm/Galm,44 Chastelbach,50
C/7/w.v51 52 und Zinglenberg~ seien hier lediglich erwähnt, da sie allenfalls aus
Lehnappellativen abgeleitet sind und also nicht als Namenrelikte gelten
können.53
2.1. Sabel
Im Osten des Dorfs hüben und drüben der Kantonsgrenze zu Baselland liegen
zu Füßen eines Hügels zwei Höfe mit dem Namen Sabel. Auch der Hügel sel-
ber heißt auf der Nunninger Seite Sabel, während die Bretzwiler den gleichen
Hügel auf ihrer Seite als Sand bezeichnen sollen.
Belegauswahl:
1990 [to ’sa:bl do:t] (Nunn Flurbeg 2, GP Othmar Hänggi)
1982 Sabel (LK 1087)
1885 Sabel (TA 97)
1876 Sabel (SOStA, Plan LB 92)
1824 auf dem Sabel (SOStA, Nunn Gb 1825)
1824 am Sabel Höfli (SOStA, Nunn Gb 1825)
Gesellschaft vor den Häusern saßen, die winzige Stricknadel zu erblicken.“ Peter
Strohmeier: Der Kanton Solothurn, historisch, geographisch, statistisch geschildert.
Beschreibung aller in demselben befindlichen Berge, Seen, Flüsse [...]; ein Hand-
und Hausbuch für Kantonsbürger und Reisende (Historisch-geographisch-statisti-
sches Gemälde der Schweiz 10), St. Gallen / Bern 1836, S. 244. - Diese Darstellung
dürfte ein bisschen poetisch überhöht sein.
4S Keltisch oder vorkeltisch balma ,überhängender Fels, Höhle1.
44 Von gallromanisch *calmis ,Bergweide1.
Nl Von lat. castellum .befestigtes Lager1 und früh auch schon auf exponierte Höhen
angewandt.
51 Von lat. clusa .Abschluss, enger Durchlass, Schleuse1.
52 Von lat. cingulum .Gürtel1, übertragen auf die waagrecht verlaufenden Grasbänder
an Felsen.
Wenn es zutrifft, dass der Nachweis der Zweiten Lautverschiebung in einem Topo-
nym nicht unbedingt ein Hinweis auf deutsche Besiedlung sei, so wird man umge-
kehrt auch nicht postulieren dürfen, dass ein organisch gewachsenes romanisches
Exonym ein Beweis für eine lang dauernde deutsch-welsche Kohabitation sei. Auch
hier müssen wir mit Bekanntschaft über kürzere oder längere Distanzen rechnen.
141
1819 das Haús am Sabel (SOStA, Thie Akt 5, npag.)
17. Jh. vber den Jabel hinüber (SOStA, Thie Akt 1, 8)
1576 von dem Sabell (SOStA, Thie Akt 1,39)
1575 vff dem sabell (SOStA, Gilg Urb 1575, 163)
1575 am Sabell (SOStA, Gilg Urb 1575, 143)
1534 lit am Sabel (BLStA, Ber 398, 3r)
1534 j Júchart vff dem Sand f...J ftoft herfiir ouch Zürn fandbronnen
(BLStA, Ber 398, 18v)
1515 Jm Sabell by dem graben (SOStA, Gilg Urb 1515, 219r)
1515 Am Sabell (SOStA, Gilg Urb 1515, 218r)
1494 am Sabel / uff dem Sand (SOStA, Urk, 1494.10.17.)
1480 Jtem am Jabel (SOStA, Melt Kir Jzb, 38)
Zu Grunde liegt das lateinische sabulum ,Sand‘. Bemerkenswert ist der
Beleg von 1494, in dem die ältere aus dem Romanischen übernommene und
die jüngere deutsche Namenform nebeneinander stehen, wobei man vermuten
darf, dass um 1500 die Bedeutung von Sabel nicht mehr bekannt war. Das
Gelände trägt also einen Reliktnamen und ist lange nach der alemannischen
Einwanderung in Bretzwil noch einmal aus der gleichen Anschauung benannt
worden. Wahrscheinlich haben wir es mit dem südlichsten Vertreter dieses
Relikts zu tun.'4
2.2. Portiflue
Weiter im Süden, an der Grenze gegen Zullwil, steigt aus dem Wald ein
gespaltener Fels empor, der eine Art Tor bildet, die Portiflue. Am Hang
darunter liegt die Flur Underbord.
Belegauswahl:
2004 [borti'fluol (Zull Flurbeg, GP Anton Grolimund)
2004 [borto'flue odor borti'fluo] (Melt Flurbeg, GP Fridolin und Anton
Jeger)
2001 [ido 'po:rtifloo ae:no] (Bein Flurbespr 3, GP Josef Bieli)
1990 [taj: po:rti'fluo] (Nunn Flurbeg 2, GP Josef Stebler) 54
54 Post, Rudolf: „Galloromanische Reliktwortareale und Grenzentlehnungen im Pfäl-
zischen“, in: Albrecht Greule / Uwe Ruberg (Hg.): Sprache, Literatur, Kultur. Stu-
dien zu ihrer Geschichte im deutschen Süden und Westen. Wolfgang Kleiber zu sei-
nem 60. Geburtstag gewidmet, Stuttgart 1989, S. 161-174, hier S. 165. Nach Christ-
mann, Emst: „Von vordeutschen Flurnamen in der Saarpfalz und von der Pfalz als
einstigem Südrand des Trierer Sprachraums“, in: Ders.: Beiträge zur Flurnamen-
forschung im Gau Saarpfalz (Die Flurnamen Bayerns 9,1), München / Berlin 1938,
S. 1-16.
142
1990 [ta 'xopf ij jo pu:ti’fluo] (Nunn Flurbeg 1, GP Oswald Gasser)
1982 Portiflue (LK 1087)
1885 Portenßuh (TA 97)
1864 eine hohe fajt unerjteigbare Fels, genannt Portefluh (SOZB,
Antiqu Korr 1864, 449)
1824 an Wald hey der Bortifluh (SOStA, Nunn Gb 1825)
1751 an der porten flüe (SOStA, Thie Akt 1, 107)
1591 neben Bürtjflüo (SOStA, Melt Kir Gültbr)
1515 neben derporteflü (SOStA, Gilg Urb 1515, 266)
1480 ein halbe tawe vnder der port (SOStA, Melt Kir Jzb, 64)
Der Ort wurde von der Spätbronzezeit bis ins Frühmittelalter als Refugium
genutzt."" Sein Name geht wohl kaum auf das alemannische Lehnwort *porte
,Tür‘, sondern direkt als Reliktname auf lat. porta zurück, ln der Zusam-
mensetzung *Portiflue wurde der unbetonte Mittelsilbenvokal [a] zu [i] geho-
ben,"6 [r] vor Konsonant kann in der Mundart schwinden.
Spannender sind jedoch die zwei folgenden Namen, die ich noch behandeln
möchte: ln einiger Distanz vom Dorfkern befinden sich drei Berghöfe, deren
Namen vermuten lassen, dass sie auf altem Kulturboden stehen und vordeutsche
Namen über die alemannische Einwanderung hinaus bewahrt haben. Es handelt
sich um den Freisnecht (LKS 1087, 613/250) sowie den Oberen und Unteren
Antäglen (LKS 1087, 613/250). Den Namen Freisnecht trägt zudem auch ein
Hof im angrenzenden Baselbieter Dorf Bretzwil (LKS 1087, 615/250).
2.3. Freisnecht
Der Freisnecht liegt am nördlichen Ende eines ebenen Geländes unmittelbar
am Saum eines Bergwaldes. Ein Fahrweg führt bis zum Haus und endet dort.
Belegauswahl:
1990 [ta:s tod 'hirps mj to ’freisnsx] (Nunn Flurbeg 1, GP Oswald
Gasser)
1990 [tg 'fraeisnaxt jo: Jriptmcmsn, 'freisnex: ssego mi:r] (Nunn
Flurbeg 3, GP Othmar Hänggi)
Von den 616 erhobenen Tierknochen konnten 395 bestimmt werden. Der interes-
santeste Fund dürfte das Fragment eines Schweineschienbeinknochens sein, der mit
dem Wadenbein verwachsen war, was darauf hindeutet, dass das Tier an einem
Hinterlauf angebunden war und sich das Wadenbein gebrochen hat. Vgl. Gutz-
willer, Paul / Marti, Reto / Schibier, Jörg / Sedlmeier, Jürg / Veszeli, Marcel: „Zu-
fluchtsort in unsicherer Zeit. Die Portiflue als markanter Zeuge früher Besiedlung“,
in: Heiner Hänggi [Red.]: Nünningen, Nünningen 1996, S. 75-84.
56 So etwa auch in Ämmitau ,Emmental‘, Delifo .Telephon', Elifant .Elefant' usw.
143
1990 [’thoif u:f9 'an:t£e:gl9 freisnax kxYnida pin:ts un: hirparo 1
himta'palm] (Nunn Flurbeg 3, GP Othmar Hänggi)
1982 Freisnecht (LKS 1087)
1885 Freisnacht (TAS 97)
1845 Freiffnacht (Nunn GemA, Nunn Plan 1845)
1824 der Hof Frei/nacht (SOStA, Nunn Gb 1825)
17. Jh. Freüßnacht Madt (SOStA, Thie Akt 1,9)
1614 uff fr iessn acht (SOStA, Thie/Gilg Ber 17./18. Jh., 5)
1575 in frießnacht (SOStA, Gilg Urb 1575 a, 210)
1534 Infrießnecht / Jnn frießmatt (BLStA, Ber 398, 3r und 14v)
1515 Jn Freifet [v. a. H. korr. zu:] Freißnacht (SOStA, Gilg Urb
1515, 335r-335v)
1515 Jn Freißer [v. a. H. korr. zu:] Freißnacht (SOStA, Gilg Urb
1515, 335)
1515 Jn Freißnacht (SOStA, Gilg Urb 1515, 326r)
1515 Jn Frießnacht [v. a. H. korr. zu:] freißnacht (SOStA, Gilg Urb
1515, 300v)
1515 Jn Freißlen [v. a. H. korr. zw.] freißnacht (SOStA, Gilg Urb
1515, 183v)
Vorgeschlagen wurde in jüngerer Zeit die Herleitung aus einem römischen
Personennamen, wie *Fraxsenius, *Frisenius oder *Friselius, mit dem
bekannten Element -äcum, das sich dann über -ach durch Anlehnung an das
Appellativum Nacht zu der heutigen Form entwickelt hätte.5 Ich hatte schon
anno 1977 die Rückführung auffraxinetum ,Eschengehölz4 erwogen,58 ohne
damals eine überzeugende Lautgeschichte vorweisen zu können.
Es ist unmöglich, dass sich ein lateinisches *Friseniäcum oder *Frise/iä-
Ramseier, Markus: Hesch Chuder in den Ohre. Müsterchen aus der Sammlung der
Forschungsstelle für Orts- und Flurnamen Baselland, Pratteln 1991, S. 25.
Kuily, Rolf Max / Pflugi, Kurt: Die Flurnamen der Gemeinde Himmelried im
Kanton Solothurner (Schweiz) (Kanadische Studien zur deutschen Sprache und
Literatur 17), Bern / Frankfurt am Main / Las Vegas, S. 22. - Über das Suffix -etum
vgl. von Wartburg, Walther: Französisches etymologisches Wörterbuch. Eine Dar-
stellung des galloromanischen Sprachschatzes, Basel 1928ff., hier Bd. 3 (1934), S.
771-773 [im Folgenden zitiert als FEW\\ „Die Galloromania kennt eine ganze zahl
von Ortsnamen, die ursprünglich einen kleinem oder großem eschenwald bezeich-
nen. Die dafür in anspruch genommenen suffixe sind -etum, -eta, -arium, -aria, -ea,
-ina. Die ablt. auf -etum ist lt. nicht belegt, reicht aber nach dem ausweis der rom.
sprachen weit hinauf.“ (ebd., S. 772). - Das gleiche Bildungselement -etum, das
eine größere Ansammlung der bestimmten Sache bezeichnet, weisen vermutlich die
Flurnamen Dummeten (zu lateinisch dumetum ,Dickicht, Gehölz4) in den Nachbar-
dörfem Seewen und Büren und Dremmleten (zu lateinisch *tremuletum Espen-
gehölz4) in Büren auf.
144
cum lautgesetzlich zu einem alemannischen Freisnecht entwickeln könnte,
hingegen käme eine Ansatz *Fraxseniäcum in Frage. Die lateinische Lautver-
bindung /aks/ entwickelt sich im Altfranzösischen zu /ais:/, wie beispielsweise
in lat. laxäre > frz. laisser, *taxöne (< germ. thahs , Dachs1) > frz. taisson59
und lat. frax(i)nus ,Esche‘ > altfrz. fraisne,60 frz. frêne. Wir müssen also für
Freisnecht ein vordeutsches /aks/ in der Wurzel postulieren.
Erklärungsbedürftig bleibt aber auch die Endung: *Fraxseniäcum könnte
über galioromanisches *Fraissnac und altalemannisches verschobenes
*Freissnach durch Hinzufügung eines unorganischen /t/ zu Freisnecht gewor-
den sein/’1 Dann wäre der Name ein Zeugnis für die durchgeführte /k/-Ver-
schiebung.62 63 64
Wenn aber Freisnecht nicht auf einem Personennamen, sondern auf der
lateinischen Kollektivbezeichnung fraxinëtum beruht, ist die Entwicklung des
falsch abgetrennten -net zu -necht anders zu deuten. Der Einschub eines unor-
ganischen /x/ vor ft/ ist zwar viel seltener als das Gegenteil,6' der Velarausfall,
aber er kommt vor: Mittellat, scatula ,(Geld)schrein‘ führt deutsch sowohl zu
Schatulle als auch zu Schachtet4 und mittellat. spatula ,Rührlöffel,
Schäufelcherf ergab deutsch sowohl Spatel ,dünner Holz- oder Kunststoff-
span zum Aufstreichen von Salben‘ als auch Spachtel trapezförmiges Metall-
blatt zum Aufstreichen weicher Massen und Abkratzen alter Farbe1. Also ist
es auch möglich, einen solchen Velareinschub in *Freisnet > Freisnecht zu
postulieren. Angesichts der Tatsache, dass bisher noch keine archäologischen
Nachweise einer galloromanischen Niederlassung erbracht wurden und dass
’ Bourciez, Édouard / Bourciez, Jean: Phonétique française. Etude Historique (Tradi-
tion de l’humanisme 3). 8. Aufl., Paris 1989, § 90 und § 136.
w) Vgl. Tobler, Adolf / Lommatzsch, Erhard: Altfranzösisches Wörterbuch, Bd. 3,
Stuttgart 1954, S. 2191 f.
61 So werden auch die südlich von Basel liegenden Orte Dörnach und Reinach in der
Mundart häufig als Dornecht und Rinecht bezeichnet und die weiter entfernten Orte
*Cossiniäcum und *Rufiniäcum wurden auch offiziell zu Küsnacht ZH / Kiissnacht
SZ und Rüfenacht BE.
Zu der oben erwähnten Annahme, dass eine Anlehnung an das Appellativ Nacht
stattgefunden habe, weisen wir darauf hin, dass uns die [t]-Erweiterung nur bei
Stämmen mit n-Anlaut aufgefallen ist.
63 Unschlitt/Unschlicht ,Tierfetf von ahd. unsliht, mhd. unslit n. Vgl. Schweizerisches
Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Begonnen von Friedrich
Staub und Ludwig Tobler und fortgesetzt unter der Leitung von Albert Bachmann,
Otto Gröger, Hans Wanner, Peter Dalcher und Peter Ott, Bd. lff, Frauenfeld
1881 ff., hier Bd. 1,S. 348.
64 Vgl. Kluge, Friedrich / Seebold, Elmar: Etymologisches Wörterbuch der deutschen
Sprache. 24., durchges. und erw. Aufl., Berlin 2002, S. 790 und 795.
145
der dritte gleichnamige Hof in Bretzwil laut Ramseier6' erst im 18. Jahr-
hundert in der Flur Freisnecht gebaut wurde, verdient die Rückführung auf ein
Eschengehölz mehr Vertrauen als die zweimalige auf einen galloromanischen
Personennamen an auseinanderliegenden Orten.66
2.4. Antäglen
In unmittelbarer Nachbarschaft des Freisnecht liegen am Südhang des
Kurzenbergs auf einem weiten, flachen Hang die beiden Höfe Oberer und
Unterer Antäglen [dr 'antas:gb], deren seit fünfhundert Jahren gleich bleiben-
der Name bisher ebenfalls nicht erklärt werden konnte und der mich lange
Zeit beschäftigt hat.
Belegauswahl:
1990 [un 'un:tara'nan:ta2:gb] (Nunn Flurbeg 3, GP Othmar Hänggi)
1990 [to xcem^a ni 'an:tse:gb hnyara] (Nunn Flurbeg 2, GP Josef
Stehler)
1990 [tsom ’an:tae:gb do] (Nunn Flurbeg 1, GP Oswald Gasser)
1982 Antäglen (LKS 1087)
1885 Antägel (TAS 97)
1875 Antägel (Nunn GemA, Nunn Gb 1875)
1864 Höfe auf [...] Langenberg, Andäg/en, Freisnacht [...] Sabel
(SOZB, Antiqu Korr 1864, 357)
1845 Andägel (Nunn GemA, Nunn Plan 1845)
1824 Anddäglen (SOStA, Nunn Gb 1825)
1575 uff denn antäglen (SOStA, Gilg Urb 1575 pag., 209)
1515 Vff Antäglen [...] Vnden Am kurtzenberg gelegen (SOStA, Gilg
Urb 1515, 253v)
1515 an Anthäglen, Jn Nünigen ban (SOStA, Gilg Urb 1515, 167v)
Ein deutsches Etymon für das ganze Wort lässt sich nicht finden. Beim
Versuch, das zweite Element des Namens von Agle, Plural von Agle ,Granne,
NadeP,6 herzuleiten, bleibt immer noch das erste Element Ant- offen. Man 65
65 Ramseier: Chuder (wie Anm. 57), S. 25.
M' Die gleiche Entwicklung wie *fraxinetum zu Freisnecht, aber zusätzlich mit den ge-
wünschten Zwischengliedern, zeigt auch ein weiterer Nunninger Flurname
Dunerech, der 1446 als tünratt, 1515 als Dunrott, Thunretten, Thunrecht, Tünrächt,
1575 als Dünerach und thumerten, 1885 als Thunerich, 1953 als Tunerech und
1990 als ['tumarax], [’tumaraxt] bezeugt ist. Dieser Name leistet bisher einer Erklä-
rung erfolgreichen Widerstand.
Schweizerisches Idiotikon 1, S. 127f. (unter Agne).
146
wird also auch hier einen vordeutschen Ansatz suchen müssen. Die Endung -
als das scheinbar Einfachere - erinnert an einen Diminutiv, wie zum Beispiel
Alpiglen aus *alpicula ,Älpchcn4, aber ein Diminutiv *antTcula zum Adjektiv
antiquus ,alt4 existiert nicht.6N Der Siedlungsname ist sicher galloromanischen
Ursprungs. Für diese Hypothese spricht neben der lautlichen Gestalt des
Namens die unmittelbare Nachbarschaft zu dem bereits erwähnten Hof
Freisnecht.
Ein ähnlich klingender Name Antagalen ist zwar im Rheintal bei Buchs
nachgewiesen, jedoch ebenfalls nicht befriedigend gedeutet.69 70 Das Schweizer-
deutsche Wörterbuch verzeichnet, freilich unter Antragi,711 das sowohl den
Faden leitenden Flügel des Spinnrades als auch - als mühlentechnischer Aus-
druck - das Kopfstück der Triebwelle des Läufersteins im Mühlwerk bezeich-
net, mehrfach die Form Antägel, Antägle, Andägle und ähnliche Bildungen,
vor allem aus dem Berner Oberland und dem Wallis. Dieses Wort könnte laut
Idiotikon auf spätlat. anaticula ,Entchen4 zurück führen. Das mag im Zusam-
menhang mit einem flügel- oder auch schnabelähnlichen Maschinenbestand-
teil einleuchten - aber wie käme ein Berghof zu diesem Namen?
Indes stieß ich doch, und das ist einer meiner liebsten Funde, auf ein wenn
auch sehr selten bezeugtes mittellateinisches Wort, das die Lösung bringen
dürfte. Du Cange und das Mittellateinische Wörterbuch verzeichnen mit je
einem Beleg71 ein etymologisch unerklärtes Wort anticula als Synonym zu lat.
scamellum ,Schemel4. Man versteht darunter das Gestell aus drei Brettchen,
womit sich in rückständigen Ländern Gelähmte bis in die Neuzeit vorwärts
bewegten. Da die Fußbank in mehreren benachbarten Gemeinden zur Benen-
nung für Höfe oder Geländeabsätze herangezogen wurde, Schämel in
Ein *anticula (villa), das anderweitig nicht belegt ist, hätte allenfalls mit Sekundär-
umlaut zu *Äntigle geführt, jedoch wurden meines Wissens auch hier bis zur Stunde
keine Spuren einer vordeutschen Niederlassung gefunden. Man könnte sich auch
einfallen lassen, das erste Element für eine degluttinierte Forni des lateinischen
Stammes *monti-, gefolgt von einem Diminutivsuffix -culus, zu halten. Eine solche
Bildung hätte lautgesetzlich jedoch eher zu *(M)Üntiglen oder bei sehr früher Ent-
lehnung zu *(M)Ünzichlen, aber nicht zu Antäglen geführt.
M Vgl. Vincenz, Valentin: Die romanischen Orts- und Flurnamen von Buchs und
Sevelen (St. Galler Namenbuch, Romanistische Reihe 3), St. Gallen 1983 (Nach-
weis von Markus Gasser).
70 Schweizerisches Idiotikon 14, S. 61 lf.
1 Du Cange, Charles du Fresne: Glossarium mediae et infimae latinitatis, Bd. 1, Niort
1883 [Nachdruck Graz 1954], S. 299: Anticulae, quae Scamella aliis dicuntur.
Liber 2. Miraculorum S. Richard n. 8: Coepit manibus pedibusque repere, [...] et
breves illi Anticulas facientes ut in illis iter velut reptando valuisset habere, illico
miserunt. - Mittellateinisches Wörterbuch 1, S. 708: Einh. Marc, et Petr. 14, 10 p.
259, 39: homo [...] brevibus anticulis sustentandi se gratia sub ascellis positis
cernuus incedebat. - Hier bedeutet das Wort nicht ,Schemel4, sondern ,Krücke4.
147
Büsserach, Schämel(ler) in Meltingen, Schemel und Schemelhof in Beinwil,
Schemel und Schemelloch in Erschwil, Schemelacker und mit nachträglicher
Umdeutung Schimmel, Schimmelhag in Breitenbach, Schimmel, Schimmel-
bergli in Fehren und Schomel sowohl in Bärschwil als auch in Nuglar, zögern
wir nicht, den Namen der beiden Höfe Antäglen mit anticula in Verbindung
zu bringen und dieses als ,Schemelchenl zu deuten. Dabei ist von einer gallo-
romanischen Form * *antigla auszugehen, deren kurzes /i/ schon vor der Über-
nahme ins Deutsche lautgesetzlich zu /e/ gesenkt wurde.72 Im Deutschen
wurde dann nur noch der Akzent auf die erste Silbe verschoben. Die beiden
Höfe Antäglen, die auf einem Geländeabsatz liegen, heißen also nach ihrer
Lage, und ihre Geschichte reicht in vordeutsche Zeit zurück.
Die Nunninger Ausbeute ist zwar nicht sehr groß, aber aussagekräftig. Das
romanische Element war vorhanden und hat sich in einiger Entfernung vom
Dorfkem so lange gehalten, dass es noch seine Namen tradieren konnte. Die
Zweite Lautverschiebung ist nur in ihrer letzten Phase, der ins 8. Jahrhundert
datierten [k]>[x]-Verschiebung, in mutmaßlichen Lehnappellativen greifbar.
Den lautverschobenen Namen wie Chalm, Chastelhach und Chlus stehen die
unverschobenen Freisne(ch)t, Portißue und Antäglen ' gegenüber, die eine
recht lang dauernde romanische Präsenz beweisen.
3. Ergebnis
Ich fürchte, dass ich meinem Auftrag, die Romania Basiliensis darzustellen,
nicht ganz gerecht geworden bin. Ich habe mich fast ganz auf den schweizeri-
schen Anteil der Regio beschränkt und den Schwarzwald und das Eisass mit
Ausnahme des Sundgaus ausgeklammert. Aber auch das reduzierte Gebiet ließ
sich nur in einem Überflug behandeln. Ich hoffe jedoch, es sei deutlich
geworden, dass es vor allem die Flurnamen sind, die das lang dauernde
Nebeneinander von Alemannen und Romanen dokumentieren und Zeugnis für
den dörflichen Frieden im Hochmittelalter ablegen und dass sich die For-
schung in Zukunft vermehrt auf diesen Aspekt wird konzentrieren müssen.
Auflösung der Quellenkürzel:
Beinwil Flurbesprechung
Basel-Landschaft, Staatsarchiv, Berein
Landeskarte der Schweiz, Blatt 1087, 1982
Meltingen, Flurbegehung
Bein Flurbespr
BLStA, Ber
LK 1087
Melt Flurbeg
72 Nach Müller, Wulf: „Turegum = Zürich“, in: Nouvelle Revue d’Onomastique 47/48
(2007) S. 22 lf.
Bei früherer Eindeutschung würden sie wohl *Freisnetz, *Pforziflue und
* Anzäch len lauten.
148
Nunn Flurbeg Nünningen, Flurbegehung
Nunn GemA, Nunn Gb Nünningen, Gemeinde-Archiv, Nünnin- gen, Grundbuch, 1875
Nunn GemA, Nunn Plan 1845 Nünningen, Gemeinde-Archiv, Nünnin- gen, Plan, 1845
SOStA, Gitg Urb 15 15 Solothurn, Staatsarchiv, Gilgenberg, Urbar 1515
SOStA, Gilg Urb 1575 Solothurn, Staatsarchiv, Gilgenberg, Urbar 1575
SOStA, Melt Kir Gtiltbr, 1591 Meltingen, Kirche, Gültbrief 1591
SOStA, Melt Kir Jzb Meltingen, Kirche, Jahrzeitbuch
SOStA, Nunn Gb Solothurn, Staatsarchiv, Nünningen, Grundbuch
SOStA, Plan LB 92 Katasterpläne der Gemeinde Nünningen, 1876
SOStA, Thie Akt Solothurn, Staatsarchiv, Thierstein-Akten
SOStA, Thie/Gilg Ber Solothurn, Staatsarchiv, Thierstein-Gilgen- berg-Berein
SOStA, Urk. Solothurn, Staatsarchiv, Urkunde
SOZB, Antiqu Korr Solothurn, Zentralbibliothek, Antiqua- rische Korrespondenz
TA 97 Topographischer Atlas der Schweiz, Blatt 97
Zull Flurbeg Zullwil, Flurbegehung
149
Summary
Thousand four hundred Years of Exchange. German and
French in the Swiss Jura
The invasion of the Germanic speaking tribes of the Franks and Alamans into
northern Switzerland created a new political and linguistic situation: the
previously monolingual Gallo-Romance region became bilingual with a
Germanic speaking eastern and a Romance speaking western part. Although
the linguistic frontier between the later French and the later German was
established very soon, linguistically isolated Romance cells in the German
speaking region maintained their language for centuries, which enabled them
to transmit a considerable number of names of rivers, towns, villages and even
farms to their new neighbours.
Since the second millenium the whole region belonged to the Holy Roman
Empire and the rulers (the princely families of Ferrette, Habsburg and Würt-
temberg as well as the bishop of Basle) were mostly of German origin. Thus
the influence of German grew during the middle ages. In the 19th and 20th
centuries, however, French reconquered parts of the territory through the
watch-making industry.
The analysis of a micro-toponymy with Gallo-Romance relics in complete-
ly germanized villages proves a long lasting peaceful cohabitation of the expo-
nents of both languages.
150
Wulf Müller
Alemannische Doppelnamen in der Suisse romande?
1. Da die antiken germanischen Raubzüge in das Gebiet der heutigen
Schweiz anscheinend unter der Führung der Alemannen stattfanden, darf man
mit einem gewissen Recht von lateinisch-alemannischen Doppelnamen
sprechen im Fall von Basilia/Basel, Vindonissa/Windisch, SalodurumlSolo-
thurn, *Tilaldie Zihl, AventicumIWißisburg oder TuricumlZürich. Die Laut-
verschiebung t> z des 6. Jahrhunderts in Zihl und Zürich weist zumindest diese
beiden Toponyme der Völkerwanderungszeit zu. Persönlich würden wir gern
auch Ins/Anet durch Lautverschiebung erklären: *En-ittu > *In-ettu (mit Um-
laut) > *In-etze > *In-se. Die Bildung ist jedenfalls keltisch: *en- , Wasser4 +
keltisches Diminutivsuffix -ittu,]
2. Die chronologisch nächste Schicht wird vor allem durch die recht alten
Doppelnamen im heutigen Kanton Jura gebildet. Sie beruht zumindest in ihren
Anfängen auf dem Wirken der fränkischen Oligarchie und sollte deshalb als
romanisch-fränkisch bezeichnet werden.
Im 5./6. Jahrhundert kam es dort zu starker romanischer Rodungstätigkeit,
welcher die zahlreichen Toponyme auf cour zu verdanken sind.2 Wahrschein-
lich noch im 6. Jahrhundert übersetzten die westfränkischen Einwanderer
dieses Element mit dorf z.B. Corban!Battendorf, Courcelon/Sollendorf
Courroux/Lüttelsdorf sodann in der germanisch beeinflussten Fügung Be-
stimmungswort + Grundwort: Boncourt/Bubendorf, Miecourt!Mieschdorf,
Vendl incourt! Wendlinsdorf
Dass diese Art Name ein hohes Alter aufweist, zeigt allein schon die starke
phonetische Abschleifung etwa bei Boecourt/Biestingen, dem ja wohl Bodigast
+ curtis zugrunde liegt, ausnahmsweise mit -ingen übersetzt. Die deutsche
Bezeichnung Altdorf für Bassecourt, wohl einer der Hauptorte des fränkischen 1 *
1 Die Ablehnung unserer Theorie durch Kristol (Lexikon der schweizerischen Ge-
meindenamen, Frauenfeld 2005, S. 463 [im Folgenden: LSG]) beruht auf der An-
nahme, die Endung -et sei jung, was durch die Patois-Form âne sowie durch die
mittelalterlichen Belege Anes (statt *Anés) bestätigt werde. Mit dem gleichen Recht
kann man die Patois-Form als jung betrachten, entstanden durch die Abtrennung der
Diminutiv-Endung -et. Die historischen Schreibungen Anes (statt *Anés) erklären
sich aus der Ungebräuchlichkeit des Akut-Zeichens in der Suisse romande im
Mittelalter.
Der Beginn dieser Siedlungstätigkeit lässt sich archäologisch erst für das 6. Jahr-
hundert nachwcisen, ihr bedeutender Umfang legt aber einen Beginn im 5. Jahrhun-
dert nahe; vgl, Schifferdecker, François: „Echappées archéologiques dans les brumes
du Haut Moyen Age jurassien“, in: Jean-Claude Rebetez (Hg.): La donation de 999 et
l'histoire médiévale de l’ancien Evêché de Bâle, Porrentruy 2002, S. 375-394, hier S.
378.
151
Somegaus, spricht ebenfalls eine deutliche Sprache. Der romanische Teil hat sich
bisher übrigens einer Erklärung widersetzt, weil das germanische Element nicht
aus der gleichen Grundlage stammt und somit keine Hilfestellung bieten kann.
Nur ausnahmsweise wird man die Lautverschiebung t > z erwägen wollen.
Das vereinzelte Zeugnis 735/37 Delomonze fur Delémont!Delsberg wird man
wegen der großen Unsicherheit der Lesung von vornherein ausscheiden. ' Die
schon germanisch beeinflusste Art der Zusammensetzung weist auf das spätere
Frühmittelalter. Für die Belege mit und ohne Umlaut (1131 Telsperc, aber 1161
Thalisperc) sind zwei Varianten anzusetzen, etwa *Dalinesberg und *DaIu-
nesberg (zu *Dal-ini bzw. *Dal-uni): *Dal-in-es-berg > *Del-en-es-berg >
*DeIes-berg > Delsberg/Telsberg,3 4 Für die unumgelautete Variante käme auch
eine Ausgangsform *Dales-berg in Betracht. - Die französische Variante
Delémont beruht wohl auf der umgelauteten deutschen Form *Delesberg.
Beim nahen Courcelon/Sollendorf'm der Gemeinde Courroux liegt die Bil-
dung déterminé + déterminant vor, welche vielleicht noch auf den Beginn des 6.
Jahrhunderts zurückgeht. Es könnte eventuell die t > z-Verschiebung vorliegen
mit curtis + germanischem Personennamen *Tullo > Zollo im romanischen
Obliquus *Tullo-ne > *Zollo-ne mit germanischer Verschiebung (ca. 968
Zolone Villare, 1179 Curzelun).
PérylBüderich im unteren Schüsstal, ein Personenname in toponomastischer
Verwendung, weist nach dem deutschen Exonym die Verschiebung k > ch auf,
wenn auch dieser Vorgang unter latinisierter Form verborgen liegt: 884 villam
Bedericam, ca. 968 Bidericus < Bid- mit kurzem / + rtk.5
In das beginnende Frühmittelalter versetzen uns die fränkischen, ins Ro-
manische übernommenen Gaunamen: Sornegau, latinisiert in Sorneg(au)dia
Vico, und EisgaulAjoie,6 beide nach Hydronymen benannt, nämlich der Sorne,
welche von Sometan kommt, dann durch Bassecourt fließt und bei Delsberg in
die Birs mündet, sowie der Allaine, einem Zufluss des Doubs.
An den Doppelnamen des 7. Jahrhunderts auf villare wie Deve/ier/Dietwi/er,
3 Für seine wesentliche Beratung zu dieser erst im 15. Jahrhundert im Murbacher
Kartular überlieferten Form danken wir Albrecht Greule. Vgl. Bruckner, Albrecht
(Hg.): Regesta Alsatiae aevi merovingici et karolini 496-918, Straßburg / Zürich
1949, S. 69.
4 Die Einwendung Kristols, es gebe keine schriftlich überlieferten Formen des Namens
mit -n- ist insofern nicht stichhaltig, als -n- in dieser Position im Althochdeutschen
schwinden kann; vgl. Braune, Wilhelm: Althochdeutsche Grammatik. 14. Aufl., Tü-
bingen 1967, S. 115 (§ 126, la). Vgl. LSG, S. 291.
So schon im Artikel Pery des LSG (699), welchen wir kosigniert haben. Die darauf
folgende Aussage, romanisch e werde durch germanisch i ersetzt, stammt nicht von
uns und stellt die Vorgänge auf den Kopf.
h Vgl. Müller, Wulf: „Occupation du sol et toponymie vers Fan mille“, in: Rebetez: La
donation (wie Anm. 2), S. 349-374, hier S. 369.
152
Mervelierl Morswiler, Montsevelier/Mutzwiler haben vermutlich die Franken
noch ihren Anteil, doch wird man nun auch - vor allem gegen Ende des Jahr-
hunderts - mit allmählicher alemannischer Einwanderung rechnen müssen.
Eine der seltsamsten fränkischen Übernahmen stellt Turegum (oder unverän-
derlich Turego) dar, eigentlich die romanische Form von Turicum = Zürich des
677. Jahrhunderts, die das ganze Mittelalter über im Schriftgut lebendig blieb.
Drei romanische Züge zeichnen die Form aus: unverschobenes t-, -e- aus latei-
nisch kurzem offenem -/'-, -g- aus intervokalisch -k-. Es bildet zusammen mit
Zürich einen alemannisch-fränkischen Doppelnamen, wobei Zürich die niede-
re, Turegum die hohe Variante darstellt. Letztere wird nämlich nicht nur in den
lokalen Quellen ab dem 9. Jahrhundert benutzt, z.B. in den Pergamentrollen der
Klöster und in einer feierlichen Liste der Schwestern des Fraumünsters im
Reichenauer Verbrüderungsbuch (nomina sororum de Turego), sondern auch
beinahe systematisch in den deutschen Königs- und Kaiserurkunden des Mittel-
alters.
Die einwandemden Franken des 677. Jahrhunderts stießen offensichtlich auf
ein gut funktionierendes romanisches Verwaltungssystem, welches für sie mit
dem Namen der Gemeinschaft von Turegum verknüpft war. Erstaunlicherweise
bewahrten sie diesen Namen neben der älteren Form Zürich, allerdings nur in
der Schrift/ Das Präparoxytonon Turicum ist letztlich keltischen Ursprungs
und bedeutet wohl „Gelände am Bach *Turos (oder *Tura)u.H
3. Nördlich des Genfer Sees gab es zweifellos germanischen Einfluss schon
in der Merowingerzeit, doch kam es nicht zur Ausbildung einer regelrechten
Doppelnamenlandschaft. Während sich dort das fränkische Lehnsuffix -ingos
massenhaft ausbreitete, blieben die Doppelnamen eher die Ausnahme.
Echallens z.B. besitzt zwar ein deutsches Pendant Tscherlitz, älter Scherling
1525 und Scherli 1530,* 9 10 doch ist dies einer der eher wenigen Einzelfälle (<
*Skar-iIo + -ingos).U)
Wir glauben also, dass diese und andere Germanismen durch die fränkische
Wir danken Frau Martina Pitz für ihre ausführliche Diskussion dieses schwierigen
Problems.
* Wir folgen also nicht der Zürcher Forschung, die bei Turicum ein langes betontes
ansetzt. Vgl. Müller, Wulf: „Turego = Zürich“, in: Nouvelle revue d'onomastique
47-48 (2007) S. 221-222.
9 Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der Schweizerdeutschen Sprache, begonnen
von Friedrich Staub, fortges. unter der Leitung von Albert Bachmann, Bd. VIII,
Frauenfeld 1920, S. 1262.
10 Besse, Maria: Namenpaare an der Sprachgrenze. Eine lautchronologische Untersu-
chung zu zweisprachigen Ortsnamen im Norden und Süden der deutsch-franzö-
sischen Sprachgrenze (Zeitschrift für romanische Philologie, Beihefte 267), Tübin-
gen 1997, S. 115-116. Vgl. LSG 310.
153
Oberschicht in die Waadt kamen, welche für die merowingischen Könige die
Macht im Pagus Ultrajoranus ausübte. Ihr sprachliches Prestige war anschei-
nend enorm, wenn man an die Adoption des Lehnsuffixes -ingos durch die
Romanen denkt. Jedenfalls kann im Genferseegebiet von Einwanderung der
Alemannen im Frühmittelalter keine Rede sein.
Wohl erst karolingischen Ursprungs ist die heutige Kantonsbezeichnung
Vaud aus germanisch Wald, eventuell Übersetzung aus jurensis/juranus zu
juris , Bergwald1. Pagus Valdensis steht zwar schon in der Gründungsurkunde
515 von Saint-Maurice, welche in Wirklichkeit erst gegen 800 redigiert wurde,
aber da handelt es sich wohl um eine der zahlreichen Interpolationen der
Urkunde: in pago Waldense, in fine Aventicense seu Juranense steht in einem
der drei Manuskripte des genannten Dokuments.11 Vor allem fehlt die Be-
zeichnung Waadtland in den Chroniken von Marius und Fredegar und taucht
erst 765 in der Schenkung des Ayroenus auf, dort gleich viermal (z.B. pago
Valdense), doch deutet zweimaliges turma Meldensis ,die Mönchsgruppe des
Moudongaus‘ auf eine ältere Benennung der Gegend nach dem alten Zentralort
Moudon.12 Dieselbe Mönchsgruppe turma Melvensis steht übrigens bereits in
dem erwähnten Dokument von 515.1' Im 9. Jahrhundert erscheinen dann
mehrere Vertrauen erweckende Zeugnisse für das Waadtland, z.B. 888 in
comitatu Uualdense in einer Originalurkunde.14 15
Sicher handelt es sich bei diesem Gaunamen auch um ein Namenpaar, doch
wird dies erst greifbar in der Neuentlehnung deutsch Waadt, mit einer früher in
den Patois viel weiter verbreiteten Monophthongierung au > a. Da die Vokali-
sierung von vorkonsonantischem /> u im Französischen erst im 12. Jahrhundert
beendet war, wird man die darauf folgende Patois-Entwicklung au > a nicht zu
früh ansetzen dürfen. Damit ergibt sich für die Entlehnung von deutsch Waadt
ein hochmittelalterlicher Termin. Die ersten Belege Wat stammen jedenfalls
aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts.1" Nebenbei bemerkt wissen wir auch
11 Theurillat, Jean-Marie: „L’abbaye de Saint-Maurice d’Agaune des origines à la
réforme canoniale 515-830 environ“, in: Vallesia9 (1954) S. 1-128, hier S. 80.
i: Besson, Marius: „La donation d’Ayroenus à Saint-Maurice“, in: Revue d'histoire
ecclésiastique suisse 3 (1909) S. 294-296; Morerod, Jean-Daniel: Genèse d’une
principauté épiscopale. La politique des évêques de Lausanne (IXe-XIV siècle)
(Bibliothèque Historique Vaudoise 116), Lausanne 2000, S. 52.
! ’ Die Form stellt zwar große phonetische Schwierigkeiten, an der Identität der beiden
Mönchsgruppen kann man aber vernünftigerweise nicht zweifeln.
14 Die Urkunden der hurgundischen Rudolßnger, Theodor Schieffer (Hg.) (Monumenta
Germaniae Historica, Diplomata 2a), München 1977, S. 96.
15 Fontes Rerum Bernensium, Bd. V: Umfassend die Jahre 13/8 bis 1331, Bern 1890,
S. 700 (a. 1329; Original) [im Folgenden: FRB], Muret, Ernest: „Nom“, in: Eugène
Mottaz (Hg.): Dictionnaire historique, géographique et statistique du Canton de
Vaud, Bd. 2, Lausanne 1921, S. 729-730.
154
nicht, wann in den Patois die Entwicklung au > a wieder rückgängig gemacht
wurde. Heute besteht sie nur noch in den Randlagen des romanischen Ober-
wallis und des Kantons Jura.
Aus *Cupidiacum entstand Cugy. Dem Zufall der Überlieferung verdanken
wir 1079 Cubizacha {mit einem lateinischen Schluss-a) in einer Originalur-
kunde." Diese deutsche Form bewahrt das kurze u und das kurze i des Latei-
nischen und entstammt also wohl dem Beginn des 7. Jahrhunderts. Denn da-
mals wurden die kurzen offenen u und i des Lateinischen zu o bzw. e. Das ge-
schriebene C- ist wohl Vereinfachung für verschobenes Ch-,
Zeitlich gehören hierher auch Jorat!Jurten < *jur-atto zu keltisch Juris
,Bergwald‘, der Name eines kleinen Gebirges nördlich Lausanne, sowie
Morat/Murten < *mur-atto ,kleiner Bach', beide mit im Deutschen bewahrtem
kurzem u und keltischem Diminutivsuffix -atto. Die Übernahme erfolgte auch
hier spätestens im 7. Jahrhundert. Das gleiche dürfte für Moudon! Milden gelten
< Minnodunum mit romanischer Dissimilation von n > l. Der deutsche Dental
-d- stammt sicher aus dem Französischen. - Die romanische Entwicklung lief
über Minndodunum > *Mildunum > *Meldon (mit kurzem i> e)> *Meudon >
Moudon.
Etwas später liegen wohl die Dubletten Yverdon!Iferten und Payerne/Peter-
lingen < *Paderno.
4. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung sind die alemannischen Na-
menadaptationen des Bielerseegebiets kaum viel vor dem 9./10. Jahrhundert
entstanden. Die ursprünglichen Namen dagegen können sehr alt sein. Bienne
(für Biel), Douane (für Twann) und la Suze (für die Schuss) etwa entstanden
schon im Keltischen, Burgulione (für Bürgten) in der Antike,1 Daucher (für
Tüscherz) und Locras (für Lüscherz) im Romanischen des Frühmittelalters.
Die beiden Bergnamen Büttenberg und Meinisberg (Jetzt eine Gemeinde)
stellen Übersetzungen aus Montpotton (1228 Montpottum) und Montménil dar,
deren typisch romanische Fügung déterminé + déterminant auf recht frühe
Entstehungszeit weist. Zur Bildung von Montpotton muss der germanische
Personenname *Butto/*Botto mit geminiertem gedient haben,1* im romani-
schen Obliquus *Pottone, dessen P- aus germanisch B- entstand. Er wurde ins
Alemannische übernommen und mit der Genitivendung -in versehen,16 17 * 19 welches
16 Die Urkunden Heinrichs IV (Monumenta Germaniae Flistorica, Diplomata 4,6).
Dietrich von Gladiss (Hg.), Weimar 1959, S. 410.
17 Chambon, Jean-Pierre / Müller, Wulf: „Deux issues toponymiques de lat. tard.
*Burgulione (Arvemie, Helvetie)“, in: Zeitschrift für romanische Philologie 119
(2003) S. 91-95,
l!s Vgl. Kaufmann, Henning: Ergänzungsband zu Ernst Förstemann, Personennamen,
München / Hildesheim 1968, S. 65.
19 Freundlicher Hinweis von Erich Blatter (Berner Namenbuch) und von Rolf Max
Kully (Solothumisches Namenbuch).
155
den Umlaut -ü- auslöste. Das erste Zeugnis von 1285 ist noch Buttunberc ge-
schrieben, doch kann es sich um eine vereinfachende Notierung ohne den Akut
handeln.
Mit dem bemischen Meinisberg befinden wir uns schon in der Nähe der
Solothurner Doppelnamen. Das Meinisberg benachbarte Pieterlen! Perles zeigt
den romanischen Diphthong -ie- aus lateinisch *pétrula ,kleiner Fels\ der aber
anscheinend in Perles sekundär wieder vereinfacht wurde. Wir treffen ihn auch
in Biel/Bienne (Patois bien) aus dem keltischen Hydronym *bel-ena ,die
Glänzende^ als Name der Römerquelle.20
So wie Pieterlen letzten Endes auf einen lateinisch-romanischen Flurnamen
zurückgeht, so auch Nugerol südlich von Neuenstadt/la Neuveville < *nu-
cariolis ,bei den kleinen NussbäumenE Von dieser Streusiedlung leitet sich das
Tal (va/lis) von Nugerol ab, eine wichtige Gebietsbezeichnung während des
ganzen Mittelalters, erstmals belegt 944 als in pago Nogorolense.
Der heutige Bieler Vorort Mett!Mâches war ein wichtiger Romanenort, in
dem man ein römisches Kastell vermutet, doch hat der Name sein Geheimnis
noch nicht preisgegeben. Das Arkosolgrab der uralten Stephanskirche steht in
römischer Tradition.
Wie kompliziert die Probleme manchmal liegen, soll an den beiden Bieler-
seegemeinden Tüscherz!Daucher und Lüscherz/Locras gezeigt werden. Dem
romanischen d- in Daucher entspricht erwartungsgemäß das deutsche t- in
Tüscherz. Der ehemalige Diphthong -au- von Daucher geht auf -al- zurück,
dem im Deutschen das aus dem Patois stammende vortonige -ü- entspricht. Wir
erreichen so das Stadium dal-. Als zweiter Teil wird hari angenommen, dann
kari mit romanischem Lautersatz h > k und regelmäßiger romanischer Entwick-
lung zu scher. Wir hätten also hier einen zweigliedrigen Personennamen von
der Art *Dalhari in toponomastischer Funktion. * 1
Auch bei Lüscherz interpretieren wir das -ü- als alten Patois-Lautstand für vor-
toniges -au-, welches aus -al- stammt. Das zweite Element ist auch hier hari, mit
romanischem Lautersatz kari > scher; auf dem Stand kar ist aber auch Metathese
zu kra eingetreten, deshalb das französische Locras. Glücklicherweise existieren
auch einfachere Fälle wir OrvinlIlfingen, wo ein Personenname Ulf vorliegt und
deutscher Umlaut samt Entrundung (866 Ulvinc, 1295 ÜIvingen).
5. Auf eine vergleichbare Zeitstellung wie am Bielersee kommen wir bei den
romanisch-alemannischen Doppelnamen im nördlichen Kanton Freiburg. Die
Landschaftsbezeichnung Üchtland < *Okto-landa mit k > ch geht noch vor die
Verschiebung des 7.-8. Jahrhunderts zurück. Der Name bezeichnet grob gesagt
die Gegend zwischen Bern und Freiburg, so dass die Alemannen ihn schon bei
ihrer Annäherung an das Bernbiet hören konnten, also etwa im 8. Jahrhundert.
211 FRB, III, S. 380. Die aus der Nicht-Existenz des Diphthongs in Perles gezogenen
Schlussfolgerungen von Kristol gehen entschieden zu weit (LSG 704).
1 LSG 892. Wir haben den Artikel kosigniert.
156
Eine keltische Variante *Okti-landa ergab im Mittelalter das gut belegte deut-
sche Öchtland, doch ist diese Form später verschwunden, genauso wie sein
romanisches Pendant Oetlandia (als wet- zu verstehen) < *Okto-landa. Es
handelt sich bei diesem Namen um die keltische Zusammensetzung des
Hydronyms *Okata mit dem Wort *landa , Heide1. Eine Parallele findet sich in
der salzburgischen Oichten < *Okata, welche man am besten an indogerma-
nisch *oku- (mit langem o) anschließt.
Ebendiese Verschiebung k > ch findet man in Kerzers/Chietres und in einem
einzigen Beleg Chempinnacho für das südlich davon gelegene Gempe-
nach/Champagny. Diese Form Chempinnacho stammt aus einer in der ersten
Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandenen, auf 961 datierten Fälschung.22
Die verschiedenen cwrfi.s-Namen des 6. Jahrhunderts wurden aber alle erst
nach der genannten Verschiebung übernommen, so Gurmeis/Cormondes,
GurwolßCourgevaux, GuschelmuthiCoucheleinaud, Belfaux/Gumschen. Für
diesen letzteren Namen setzten wir 1997 curtis + Mari + S- an, was von Kristol
2005 angezweifelt wurde, doch sind seine Einwendungen vielleicht nicht un-
überwindlich. Der Nexus -rm- braucht sich nicht unbedingt erhalten haben,
denn das -r- von curtis ist wohl dissimilatorisch geschwunden und wenn r + s in
älterer Zeit nicht immer und überall sch geschrieben wurde, dann wohl wegen
seines stark dialektalen Charakters, doch bleibt dieser zweite Punkt noch näher
zu diskutieren."' Auf jeden Fall erscheint uns hier ein cwr/A-Name sicher.
Das Problem des hübschen Paares Cordast/Corba löst sich durch den Beleg
1342 Gurbdast von selbst auf. Wir dürfen von curtis + Bodogast ausgehen,
dessen intervokalisches d die Alemannen am Ende des Frühmittelalters noch
hören konnten.
Diidingen/Guin, im Mittelalter Tiidingen!Doens, besteht aus den Elementen
Dudo + -ingos, beide germanischen Ursprungs. Es handelt sich aber wohl trotz-
dem um eine romanische Gründung des 7. Jahrhunderts, denn die Alemannen
erreichten die Umgebung von Freiburg kaum vor dem 8.-9. Jahrhundert.
Deshalb geht auch der deutsche Umlaut a > e von AgyfEbsachen < *Abidiacum
in der Stadt Freiburg wohl nicht auf das kurze des Eponyms Abidius
zurück,24 denn kurzes zwischentoniges wird im Frankoprovenzalischen im
Frühmittelalter synkopiert. Man wird besser das -/- der Endung -iacum als
umlautauslösend betrachten. * 21
22 Mayer, Hans Eberhard: „Die Peterlinger Urkundenfälschungen und die Anfänge von
Kloster und Stadt Peterlingen“, in: Deutsches Archiv für die Erforschung des
Mittelalters 19 (1963) S. 30-129, hier S. 92, 99; Schieffer (Hg.): Rudolfmger (wie
Anm. 14), S. 187-189 (der Beleg auf S. 189).
21 Kristols Vorschlag combasson scheidet wegen der großen Seltenheit dieser Bildung
aus. Ein doppelt suffigiertes cumba ,Mulde4 hat außerdem wenig Chancen, bis ins
Frühmittelalter zurückzureichen.
~4 Laut De-Wit, Vincentius: Totius latinitatis Onomasticon, I. Prato 1859/67, S. 10.
157
6. Etwa im 8.-9. Jahrhundert erreichten die ersten alemannischen Einwan-
derer das heute deutschsprachige Oberwallis. Das Romanisch, welches sie dort
hörten, war ausgesprochen archaisch wegen seiner extremen Randlage im
Vergleich zur ehemaligen Hauptstadt Rom. So hörten und übernahmen sie noch
im 8. Jahrhundert Brig und Visp mit kurzem /, das eben noch nicht das Stadium
e erreicht hatte.
Visp/Viege repräsentiert wahrscheinlich einen Gewässernamen aus idg. *uis-
,fließen4 > rom. *vis- + Endung -ubia. Wegen des kurzen i von *uis- kommt
man bei diesem Proparoxytonon auf romanisch Vesbia (seit dem 11. Jahrhun-
dert belegt). Das neuerliche -i- von Viege stammt aus deutsch Visp.
Für Sion!Sitten, den Kantonshauptort, geht man von Sedunis aus, dessen -d-
sich im Deutschen regelmäßig zu -t- wandelte, mit Vokalharmonisierung e - u
> i - u. Diesen Namen haben die Alemannen vielleicht schon vor ihrer Einwan-
derung im Berner Oberland entlehnt. Das -i- von Sion ist der typisch frankopro-
venzalische Reflex eines Vortonvokais. ln den beiden Ortsnamenformen muss
das -i- also je nach Sprache getrennt erklärt werden.
Sierre/Siders beruht auf dem lateinischen Personennamen Sitrius in topo-
nomastischer Funktion, der etwa im 10.-11. Jahrhundert den Stand -dr- erreicht
hatte. Die deutsche Entwicklung zu t hat der Name nicht mehr mitgemacht,
dazu wurde er zu spät übernommen. Der französische Diphthong -ie- von
Sierre ist hyperkorrekt. Die Patoisform chiro wurde nach dem Vorbild piro
,Pierre4 ins Französische eingepasst.
7. Die im Titel gestellte Frage können wir nun bedingt bejahen, doch gehen die
ältesten Doppelnamen gerade nicht auf die Alemannen zurück, jedenfalls nicht
im Jura und im Genferseegebiet, Für die beiden Gegenden kommen am ehesten
die Franken in Betracht. Sogar das romanische Turegum verdankt ihnen sein
schriftliches Weiterbestehen während des ganzen Mittelalters. Inwieweit die
Alemannen an den antiken Einfällen federführend beteiligt waren und dann eben
sie die aiten lateinischen Namen entlehnten, bleibt zu diskutieren.
Von diesen abgesehen dürften die ältesten ins Alemannische übernommenen
Doppelnamen das Oberwallis betreffen. Visp, Sitten, das hier nicht diskutierte
Naters/Narres und eventuell Siders gehen vor das Jahr 1000 zurück. Nicht ganz
so alt ist die deutschsprachige Komponente der Bielerseenamen und der Frei-
burger Namen. Aber auch sie stellen oft schwer zu lösende phonetische
Probleme. Wir haben dies an Lüscherz und an Tüscherz aufgezeigt, wo einiges
an Akrobatik2" aufgeboten werden musste. Auch Gumschen und Gurmeis26
gehören in diese Kategorie. 2
2i Diese muss allerdings auf den Lautgesetzen beruhen.
Müller, Wulf: „Die Personennamen in den cowr-Toponymen des Freiburger Seelan-
des44, in: Heinrich Tiefenbach / Heinrich Löffler (Hg.): Personenname und Ortsname,
Basler Symposion 6. und 7. Oktober ¡997, Heidelberg 2000, S. 89-102, hier S. 92-93.
158
Die Schaffung von Parallelnamen geht im späteren Mittelalter weiter, doch
scheinen von nun an die verschiedenen Kanzleien beteiligt zu sein. Das Spiel
war vor allem in Basel beliebt. Wenn zer Chinden für Chaindon noch halbwegs
phonetisch aussieht, so kann man das nicht mehr für Pferdmund/Vennes,
Granfelden! Grandval, Daehsfe/den/Tavannes oder die Fehlübersetzung Tram-
lingen/Tramelan sagen. Vernünftig dagegen erscheint die Übersetzung Frei-
berge/Franches-Montagnes, was die Freistellung von gewissen Steuern
andeutet, ursprünglich im Singular Fryenberg (ab 1442 Frygenberg). Auch
Eringertal für Val d’Erins ist eine Fehlübersetzung, diesmal der bischöflichen
Kanzlei in Sitten, denn es handelt sich ursprünglich um einen lateinischen Prä-
diennamen auf -ianum.
Von allen diesen spätmittelalterlichen Fällen sehen wir eigentlich nur bei
Tramelan ganz klar.2 Ursprünglich handelte es sich um einen Bachnamen,
abgeleitet vom Talbach la Trame + Diminutivsuffix -eile + Morphem -an (< lat.
-anem), als Gewässernamensuffix beliebt. Während dieser winzige Zufluss der
Trame in Tramelan bis auf einen Entwässerungsgraben verschwunden ist, hat
sich das Tälchcn erhalten, wenn auch in reduzierter Form. Es wird nämlich von
einer Zuglinie und einer Wohnstrasse durchquert, was mit Aufschüttungen
verbunden ist.
Die Ortsnamenform Tramelan ist bis heute durchgehend belegt, doch hat
sich im 13./14. Jahrhundert etwas Entscheidendes verändert. Die Dialektgrenze
verschob sich nach Süden, so dass man das Suffix -an nach dem von nun an hier
gesprochenen Franc-Comtois uminterpretierte. Wie im Französischen wird
nämlich in dieser Mundartgruppe die Präposition in und auch die Ortsnamen-
endung -ingos zu nasalem -an. Nebenbei bemerkt muss man die gern zitierte
Form Trimellingen streichen: Sie bezeichnet nämlich eine Flur in Delsberg.
Mit der Neuinterpretation -an < -ingos war der deutschen Übersetzung
-ingen das Tor geöffnet.
Die Unsicherheit im Umgang mit dem Suffix hörte damit übrigens nicht auf.
Im nördlich angrenzenden Kanton Jura wählte man -a (trem/a), typisiert lat.
-ittu, fr. -et. ln Les Bois in der Nachbarschaft von La Chaux-de-Fonds ging die
Entwicklung sogar zu langem a weiter, bei den Alten der Gemeinde tremöla,
typisiert lat. -alis, fr. -au. Hier sind wir schon sehr weit vom ursprünglichen
frankoprovenzalisehen -an (< lateinisch -anem) entfernt. 21
21 Dank der ausführlichen Belegliste; s. Anhang.
159
Abkürzungen
AAEB: Archives de l’ancien évêché de Bâle, im Hôtel de Gléresse in
Pruntrut/Porrentruy.
LSG: Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen. Leitung: Andres Kristol.
Frauenfeld / Lausanne 2005.
FRB: Fontes rerum Bernensium.
NRO: Nouvelle revue d’onomastique.
StaF: Staatsarchiv Freiburg.
StadtA Bern: Stadtarchiv Bern, im Erlacherhof.
Schwld.: Schweizerisches Idiotikon, Wörterbuch der schweizerdeutschen
Sprache.
Tramelan: Belege (bemerkenswerte Belege in fett)
vers 1180 Tramele'ns (AAEB, Charte 1179, 27 février; cf. Trouillat 8, I, 363)
1297 (cop. 1413/14) Tramelans (Trouillat, II, 651)
1310 Tremlingen (FRB. IV, 436)
1319 Tremelans, Tremelanz (Doc. ling.* 29 30 31 S. 82-83; cf. Trouillat, III, 705)
1330 (cop. ca. 1590, auch 1596 und 1598) Tremelox (AAEB, B 207/15)
1341 Heynricus Tremelani (FRB. VI, 605)
1342 de Tremilingo (FRB. VI, 687)
1343 Tromelans (StadtA Bern; cf. FRB. VI, 799)
1345 Tromelans (StadtA Bern; cf. FRB. VII, 107)
1348 Tremlingen (FRB, VII. 341)
1348 Tremilingen (FRB. VII, 352)
1350 Tremlingen (FRB. VII. 488)
1358 (cop. 1413/14) Tremolans (FRB. VIII, 242)
1379 Estevinon de Tramelan (StA Freiburg, Lois I, f° 217 r; cf. Zimmerli’0, II,
99)
1380 Tremolans (FRB, X, 55)
1384 (cop. 1515) Tremmelein, cop. Anf. 16. Jh. Tremolin (AAEB, B 194/1;
AAEB, B 288/2)
1393 (cop. 1465) Treamellan (AAEB, B 187/1 b, p. 15; cf. Trouillat IV, 831)
Ende 14. Jh. Tromolans (Clouzof58)
s Trouillat, Joseph: Monuments de l’histoire de l'ancien évêché de Bâle, 5 Bde.,
Porrentruy 1852-1867.
29 Schüle, Emest / Scheurer, Rémy / Marzys, Zygmunt: Documents linguistiques de la
Suisse romande (Documents études et répertoires 69), Bd. I, Paris 2002, S. 82-83.
30 Zimmerli, Joseph: Die deutsch-französische Sprachgrenze in der Schweiz, Bd. 2,
Basel / Genf 1895.
31 Clouzot, Etienne: Pouillés des provinces de Besançon, de Tarentaise et de Vienne
(Recueil des historiens de la France 7), Paris 1940.
160
1403 devar Tramelan, Tramelon (AAEB, B 133/10, n° 6)
1403 (cop. 1413/14) Tramelan (AAEB, B 133/26a, p. 170)
1407 Tramolans (Trouillat, V, 217)
1441 Tramolant (Stouff12, 147)
15. Jh. Tramolat, Tramelat (Rüekenaufschriften auf den Urkunden StadtA
Bern 1343 und 1345)
15. Jh. Tremolans (Clouzot, 93)
1454 Tremlingen (Stouff, 126)
1470 Tramillant, Tramellam (AAEB, B 237/38)
1479 Tremlingen (Stouff, 129)
1480 Tremolans (mat. A. Rais)
1489 Trömlingen (Stouff, 130)
1498 Tramolans (Daucourt* 33, VII, 187)
1523 Tramolans (AAEB, B 237/38)
1536 Tramolans (mat. A. Rais)
1541 Tremoullans (AAEB, B 133/10)
1557 Tramollans (mat. A. Rais)
1609 Trammolat (AAEB, A 112, 102)
Zu streichen sind: 1334 Tramelis (AAEB, Charte 1334, 1CI mai; cf. Trouillat,
V, 689; auf Falte!) und 1325 Trimellingen (Trouillat, III, 348) samt 1600
Trimlingen (mat. A. Rais; Flur in Delémont!). Die Dialektformen lauten
tramlö, im Kanton Jura tremía, in Les Bois tremóla (mit langem -a). Wir
danken Archivdirektor Jean-Claude Rebetez für seine wertvollen Ratschläge.
Summary
Who created the German Counterparts of Romance Topo-
nyms in Western Switzerland?
Only a handful of the Romance-Germanic double names seem to go back to
Antiquity, for instance Basilia - Basel or Aventicum - Wiflisburg. For the other
specimens one has to look rather closely at the different regions where they
appear. In French speaking Jura the wealth of parallel names came into being by
Frankish domination in the 6th and 7th centuries, e. g. Cornol - Gundolsdorf or
Bassecourt - Altdorf Even Tu regum for Zürich shows three Romance traits
adopted by the Franks: non-shifted initial t-, short i > e, intervocalic k > g.
Some Germanic elements found in the Lake of Geneva district also go back
3 Stouff, Louis: Le pouvoir temporel et le régime municipal dans un évêché de l'empire
germanique jusqu 'à la Réforme, pièces justificatives, Paris 1890.
33 Daucourt, Arthur: Dictionnaire historique des paroisses de l'ancien évêché de Bâle,
Bd. 7, Porrentruy 1907.
161
to the 7th century, like Moudon - Milden or Jorat - Jurten, and could thus
originate in the Merovingian upper class. On the other hand, the German Waadt
for Vaud is not older than the 12th century.
The Alamanni did not reach the Lake of Biel before the 9th century. Locras -
Liischerz or Moritpotton - Biittenberg date from the same epoch, but expli-
cations of such names can be rather arduous. The same is true of the North of
the Fribourg canton with Guin - Diidingen or Belfaux - Gumscherr, only the
name of the region Üchtland (better Üechtland) - Oetlandia (— Ouèt-) < *Okto-
landia goes further back, with a variant *Oktilandia > Ochtland. When in the
8th-9th centuries the Alamannic immigration took place in the Upper Valais,
the original archaic Romance idiom left traces with Brig or Visp whose short i
was normally adopted in German. Later on, Romance-Germanic interferences
were mostly the work of chanceries. Our attempt to elucidate such a bureau-
cratic interference concerns Tramelan - Tremlingen.
162
Peter Wiesinger
Die Zweite Lautverschiebung im Bairischen anhand
der Ortsnamenintegrate
Eine lautchronologische Studie zur Sprach- und Siedlungsge-
schichte in Bayern, Österreich und Südtirol
1. Einleitung
Obwohl in der Sprachgeschichte der Sprachwandel und insbesondere der
Lautwandel vielfach bloß anhand der schriftlichen Überlieferung beobachtet
und erforscht wird, ja von manchen germanistischen Sprachwissenschaftlern in
positivistischer Weise fast ausschließlich auf solche Weise betrieben wird,
bieten in einst mehrsprachigen Gebieten auch im Sprachkontakt übernommene
Ortsnamen, und zwar in erster Linie Gewässer- und Siedlungsnamen, teilweise
aber auch Flur-, Wald-, Tal- und Bergnamen aufschlussreiche Quellen zur
Beobachtung von Lautübernahme-, Lautersatz- und Lautwandelprozessen. Das
gilt vor allem für die Frühzeit noch vor Beginn der schriftlichen althochdeut-
schen Überlieferung im ausgehenden 8. Jahrhundert und betrifft besonders die
Fragen der Zweiten Lautverschiebung, die in den überlieferten Texten bereits zur
Gänze auftritt und daher in der davor liegenden Zeit durchgeführt worden ist.
Für den bairischen Raum Altbayems (Ober- und Niederbayern, Oberpfalz),
Österreichs und Südtirols, der in der Antike bis zur Altmühl und Donau zum
Römerreich gehörte und die Provinzen Rätien westlich und Noricum östlich des
Inns sowie östlich des Wienerwaldes und des Wechsels den Westrand Panno-
niens umfasste, besteht bezüglich der antiken Namentradiening eine räumliche
Zweiteilung, ln der Westhälfte des Donau- und Alpenraumes mit Ober- und
Niederbayern, Nord- und Südtirol, dem westlichen Salzburg und dem westli-
chen Oberösterreich bis zur Krems erfolgte die direkte antik-romanische Tra-
dierung ins Bairisch-Deutsche. Dagegen wurde die Osthälfte mit Osttirol,
Kärnten, der Steiermark, dem südlichen Salzburg, dem östlichen Oberöster-
reich, Niederösterreich und dem Burgenland seit dem Ende des 6. Jahrhunderts
zunächst von Slawen besiedelt, ehe dann die Baiem vordrangen und es all-
mählich zum Sprachwechsel der Slawen kam, so dass die allerdings nur weni-
gen, hauptsächlich auf Gewässernamen beschränkten antik-romanischen Tra-
dierungen über eine slawische Zwischenstufe erfolgten und es bloß in Nieder-
österreich einige Namen mit unmittelbarer Tradierung ins Bairisch-Althoch-
deutsche gibt. Wie im Westen die Romanität in Nord- und Südtirol sowie im
Umkreis der Stadt Salzburg längere Zeit fortbestand, war es im Osten das Sla-
wische, so dass es in beiden Bereichen zu zeitlich gestuften, doch lautlich ver-
wandten Formen der Integrierung romanischer bzw. slawischer Ortsnamen
kam.
163
Eine Anregung Wolfgang Haubrichs aufgreifend soll im Folgenden unter-
sucht werden, wie sich im Konsonantismus die antik-romanischen und die sla-
wischen Ortsnamenintegrate zur Zweiten Lautverschiebung verhalten und
welche sprachgeschichtlichen, aber auch siedlungsgeschichtlichen Schlüsse in
Verbindung mit außersprachlichen Fakten daraus gezogen werden können. Es
geht also vor allem um Durchführung und Unterbleiben der einzelnen Laut-
verschiebungsprozesse sowie die Bestimmung ihrer relativen innersprach-
lichen Chronologien und den Versuch, mit Hilfe außersprachlicher Fakten, wie
sie bei sehr geringen historischen Zeugnissen aus verschiedenen Indizien die
Frühmittelaltergeschichte und die Archäologie erarbeitet haben, annähernde
Datierungen als absolute Chronologien zu gewinnen. Beides hat in der For-
schung unterschiedliche Beurteilungen erfahren.
2. Bisherige Chronologien und Beurteilungen der Zweiten
Lautverschiebung im Bairischen
Die germanistische Sprachgeschichtsforschung hat sich bekanntlich seit ihren
Anfängen um 1820 mit den Fragen der Formen, Entstehung, Herkunft und
Verbreitung der Zweiten Lautverschiebung beschäftigt und dazu unterschied-
liche Antworten gegeben, so dass es bis heute keine einheitlichen Beurteilun-
gen gibt.1 Auch für das Bairische und seine diesbezügliche Stellung innerhalb
des Althochdeutschen bestehen unterschiedliche Auffassungen. Von besonde-
rer Bedeutung sind dabei die verschiedenen Beurteilungen von Ernst Schwarz
und Eberhard Kranzmayer.
Ernst Schwarz hat 1927 in seiner Studie „Die althochdeutsche Lautver-
schiebung im Altbairischen (mit besonderer Heranziehung der Salzburger
Güterverzeichnisse)“ über die Salzburger Überlieferung hinaus auch einige
weitere antik-romanische Ortsnamen sowie Lehnwörter berücksichtigt und
gelangt mit teilweisem Anschluss an Georg Baesecke zum Ergebnis, dass die
Prozesse in der Abfolge t-p - k und jeweils je nach Position zu Affrikaten und
Frikativgeminaten zeitlich gestuft erfolgt sind und „für den gesamten Prozess
etwa ein Jahrhundert, von der zweiten Hälfte des 6. Jh. bis zum zweiten Drittel
des 7. Jh„ mit Nachzüglern (nk, kk > kx) bis zum 8. Jh. anzusetzen ist“ (Schwarz
1927, S. 277), also etwa die Zeit von 550 bis 660. Die Verschiebung von k> kx
auch im Anlaut ist für Schwarz wegen der mehrfachen Wiedergabe von slaw.
-ika als bair,-ahd. <-icha> [-ikxa] „noch sicher in der zweiten Hälfte des 8.
Jh.’s, ja noch einige Zeit des frühen 9. Jh.’s“ möglich (ebd., S. 271). „Die
Bewegung erfasst sodann im 8. Jh. noch die Mediae“, also d > t, h > p, g > k,
und genauer: „Die Verschiebung des inlautenden d hat sich im Altbairischen
[...] in der Mitte des 8. Jh.’s vollzogen (etwas später vielleicht nach n), die des
anlautenden d folgte in den nächsten Jahrzehnten nach“ (ebd., S. 280). Auch die * 82
1 Übersichten geben Schwerdt 2000, S. 191-199 und Braune/Reiffenstein 2004, S.
82 ff.
164
Verschiebung von b > p „ist ebenfalls etwa in die Mitte des 8. Jh.’s zu setzen“
(ebd., S. 281). Schließlich wird aus der Darstellung von Schwarz gefolgert, dass
er das Bairische überhaupt als das Ursprungsgebiet der Zweiten Lautverschie-
bung angesehen habe.”
Ohne sich mit der althochdeutschen Überlieferung und der Integrierung der
antik-romanischen Ortsnamen im Einzelnen auseinander zu setzen/ doch unter
Anwendung der strukturellen Argumentation und der Heranziehung von bairi-
schen Lehnwörtern in den südlichen romanischen und slowenischen An-
schlussgebieten hat Eberhard Kranzmayer 1956 in seiner Historischen Laut-
geographie des gesamtbairischen Dialektraumes andere Datierungen der Zwei-
ten Lautverschiebung im Bairischen vorgetragen. So heißt es dezidiert:
Durch die Lautverschiebung sind gegen 700 pff und ff aus germ. p, tß
und ßß aus germ. 1 und kch und ch aus germ, k entstanden; im Laufe des
8. Jhs. entwickelten sich t aus germ. d, p und -pp- aus germ. b und -bb-.
Die Entwicklung der ahd. Affrikaten und Starkreibelaute für germ. p, /, k
aber erfolgte in zeitgleichen Reihenschritten ohne phonologische Stö-
rungen, während als Ausläufer selbst die etwas spätere Umwandlung
von germ. <7, b, g zu ahd. /, p, *-gg- in den Reihenschritten aus triftigen
Gründen [...] gestört wurde. (Kranzmayer 1956, S. 97)
Gegenüber Schwarz setzt also Kranzmayer die Tenuesverschiebung „gegen
700“, also erst ins ausgehende 7. Jahrhundert, an, rechnet in struktureller Weise
mit einer gleichzeitigen Durchführung für alle drei Tenues und wendet sich
ausdrücklich gegen eine zeitliche Stufung. Letztere nimmt er jedoch für die als
„Ausläufer der hd. Lautverschiebung“ bezeichnete Medienverschiebung an, für
die er folgende Datierung nennt: „Zuerst, schon um 750 brach der Wandel von
d zu / hervor. Dagegen ist der parallele Wandel von b zu p [...] im Bairischen
erst zwanzig Jahre später, ungefähr um 770, urkundlich greifbar“ (Kranzmayer
1956, S. 76).
Begründet wird diese „kurze Spanne zwischen 750 und 770“ mit bairischen
Lehnwörtern im Romanisch-Grödnerischen und Trentinischen, die anlautendes
b- und inlautendes -t aufweisen. Die „triftigen phonologischen Gründe“ für die
Störung von Reihenschritten liegen in neuem d aus germ. ß, dem „das alte d
ausweichen musste, wollte es sich nicht in die Gefahr begeben, mit dem neuen
d aus germ. ß durcheinander zu geraten“ (Kranzmayer 1956, S. 77). Vorstufe
des neuen Verschlusslautes war die für die Zeit „um 750“ angesetzte Stimm-
haftwerdung von ß > d als Zwischenstufe.2 * 4 Nach Kranzmayer erfolgte also die
2 So Schwerdt 2000, S. 192 und 277, die dies aus der geschichtlichen Darstellung von
Schwarz 1927, S. 254-261 folgert.
1 Aus diesem Grund übergeht Schwerdt 2000 Kranzmayer 1956, wenn sie auf seine
Darstellung auch in einer Fußnote auf S. 192 hinweist.
4 Eine Zusammenfassung gibt Kranzmayer 1956, S. 15 in der Einleitung. Dort heißt es
zur Medienverschiebung von b etwas abweichend: „Der parallelle Wandel von b zup
kam im Bairischen erst zwischen 770 und 780 zum Ausbruch.“
165
Zweite Lautverschiebung im Bairischen als phonologischer Prozess mit Schub
und Sog in einem relativ kurzen Zeitraum von rund 90 Jahren etwa zwischen
690 und 780.
Die Gründe für die verschiedenen Datierungen mögen u. a. in der Überlie-
ferung unverschobener Ortsnamen in den Salzburger Güterverzeichnissen
(Indiculus Arnonis) und in den Freisinger Urkunden wie Holthusir für Holz-
hausen, ad Diupstadum für Tiefstadt, ad Lauppiom für Laufen und Mallakinga
für Malching liegen. Schwarz rechnet damit, dass zur Zeit der Abfassung der
Salzburger Quellen um 790 diese Formen nur bei den noch fortlebenden Roma-
nen galten und dem sichtlich zweisprachigen romanischen Schreiber Bene-
dictus sowohl unverschobene romanische als auch verschobene bairische For-
men geläufig waren, so dass er „deshalb keinen Anstand darin fand, Namen
nach der Sprechweise beider ihm bekannter Sprachen wiederzugeben“
(Schwarz 1927, S. 252f.). Für Kranzmayers Spätdatierung der Zweiten Laut-
verschiebung dürfte die Beurteilung der obgenannten unverschobenen Ortsna-
men durch seinen Lehrer Josef Schatz ausschlaggebend gewesen sein, denn
Schatz sagt 1927 in seiner Althochdeutschen Grammatik dazu:
Diese Formen lassen sich erklären, wenn man annimmt, dass sie aus
Urkunden etwa des 7. Jahrhunderts übernommen sind, in welchen noch
unverschobene Laute geschrieben wurden; wäre die Verschiebung sehr
früh anzusetzen, dann würden sich so alte Bezeichnungen nicht gehalten
haben. (Schatz 1927, S. 94)
Nach der neuerlichen Untersuchung von Norbert Wagner „Zu den unver-
schobenen altbaierischen Ortsnamen“ von 1991, in der er sich ausführlich mit
den schreibsprachlichen Abhängigkeiten und Beeinflussungen dieser Namen in
den überlieferten Kontexten auseinandersetzt, haben sie bei der Diskussion um
die Lautverschiebung fortan auszuscheiden, denn
Jene vermeintlich unverschobenen Formen haben [...] ihr Aussehen
nicht dem Überdauern im Munde von Romanen zu verdanken, sondern
sind lediglich partielle graphische Latinisierungen ganz regelmäßiger
altbaierischer Ortsnamen und auch Personennamen, die denn auch der-
gestalt belegt sind. (Wagner 1991, S. 174)
Seit den Gesamtbeurteilungen durch Schwarz und Kranzmayer, wobei
Schwarz 1969 und 1970 noch zwei Studien zur Etymologie und zu den Tra-
dierungen antiker Ortsnamen geliefert hat, sind Untersuchungen zur Lautver-
schiebung in einzelnen Regionen erschienen, so 1960 von Karl Finsterwalder
und 2005 von Cristian Kollmann für Tirol; 1985, 1990 und 2004 von Peter
Wiesinger für Nieder- und Oberösterreich sowie 1991 von Ingo Reiffenstein für
Salzburg, der 2003 auch eine kurze bairische Sprachgeschichte der älteren Zeit
vorgelegt hat. Sie folgen bei zum Teil unterschiedlicher Einbeziehung von
Beispielen und teilweise verschieden angenommener Etymologien mehr oder
minder den bisher vorgetragenen Chronologien, wobei man bezüglich der
Tenuesverschiebung der Datierung von Schwarz den Vorzug gibt.' Letzteres
gilt auch für die Übersicht von Gobiirsch 2005, S. 156ff., der dazu noch
exemplarisch die Verhältnisse in den rezenten süd- und mittelbairischen Dia-
lekten beschreibt.
3. Die romanischen, slawischen und bairischen Siedlungsge-
biete der Frühzeit
Bevor wir uns mit der durchgeführten oder unterbliebenen Lautverschiebung in
vordeutschen Ortsnamen beschäftigen, empfiehlt es sich, die frühmittelalter-
lichen romanischen, slawischen und bairischen Siedlungsgebiete im heutigen
Altbayern, Österreich und Südtirol abzugrenzen. Sie lassen sich am besten
anhand der makrotoponymischen Gegebenheiten ermitteln, wie sie sich an der
dichten Verbreitung von eingedeutschten Siedlungsnamen antik-romanischer
und slawischer Herkunft und am dichten Vorkommen der ältesten bai-
risch-deutschen Siedlungsnamentypen abzeichnen. Während für Österreich
und Südtirol entsprechende Verbreitungskarten vorliegen/1 fehlen solche für
Altbayem.
In Österreich treten Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft, wie Karte
1 zeigt, in dichter Verbreitung in ganz Tirol auf, wobei nur das Lechtal und
Außerfern und das innere Ötztal als erst hochmittelalterlich im Landesausbau
besiedelte Gebiete und das unbesiedelte Gebirgsland zwischen dem Achental
und dem Inntal westlich von Kufstein unbeteiligt sind. Bereits in Nordosttirol
ist die einstige Romanität in der Kitzbühler Gegend sowie im anschließenden
Salzburger Pinzgau und Pongau nur schwach vertreten. Umso auffälliger ist
eine Insel mit dichter romanischer Ortsnamenkontinuität um die Stadt Salz-
burg, die sich über Hallein die Salzach aufwärts erstreckt. Wie sich im Süden
von Osttirol her die einstige Romanität ins Oberkärntner Lesach- und obere
Drautal fortsetzt, so gibt es auch im Norden im oberösterreichischen Inn- und
Hausruckviertel einige Siedlungsnamen antik-romanischer Herkunft. Letzte
östliche Ausläufer finden sich in Kärnten bei Villach und Klagenfurt und in
Oberösterreich mit Wels, Linz und Lorch bei Enns. In den mittleren und öst-
lichen Gebieten Österreichs trifft man bloß auf einzelne Gewässernamen
antik-romanischer Herkunft, von denen sich dann in späterer Zeit auch
Siedlungsnamen herleiten, die jedoch auf der Karte nicht berücksichtigt sind. In
Altbayem südlich von Altmühl und Donau wurden zwar zahlreiche antik-roma-
nische Gewässernamen, aber nur wenige Siedlungsnamen tradiert. Ein einst
länger romanisch verbliebenes Gebiet bildet in Oberbayem im Anschluss an
Tirol lediglich das Werdenfelserland um Garmisch-Partenkirchen.
So die genannten neueren Darstellungen. Zu Ansichten anderer, nicht bairischer
Forscher vgl. Schwerdt 2000, S. 191 ff. und 276ff.
6 Vgl. Wiesinger 1994.
167
In geradezu komplementärer Ergänzung zum westlich antik-romanischen
Bereich treten in den mittleren und östlichen Gebieten Österreichs nach Karte 2
Siedlungsnamen slawischer Herkunft auf. Während sich Osttirol mit dem Isel-,
Defereggen, Virgen- und Kaisertal und mit dem Pustertal bis Aßling sowie dem
anschließenden Oberkärntner Lesach- und Drautal als ein großes roma-
nisch-slawisches Überschneidungsgebiet erweist und sich auch noch in den
südlichen Seitentälern des Salzburger Pongaues einzelne Ortsnamen slawischer
Herkunft finden, bilden Kärnten, der Salzburger Lungau, die Steiermark, das
östliche und nördliche Oberösterreich mit dem oberen Salzkammergut um Bad
Ischl, dem Steyr- und Ennsgebiet bis zur Krems sowie dem unteren, mittleren
und nördlichen oberen Mühlviertel, Niederösterreich und dem Burgenland die
einst slawischen Siedlungsgebiete. Dabei bleiben Gebirgs- und Waldgebiete
sowie das Wiener Becken ausgespart. Vom oberen Mühlviertel setzen sich
Ortsnamen slawischer Herkunft über den Bayerischen Wald in den Ostrand der
Oberpfalz fort.
Als die beiden ältesten bairisch-deutschen Siedlungsnamentypen erweisen
sich die patronymischen -ing- und die -/ze/m-Namen, deren österreichische und
südtirolische Verbreitung die Karten 3 und 4 zeigen. Schon von den in den
Salzburger Güterverzeichnissen von 788/790 genannten gut 200 Siedlungs-
namen sind 46 und damit fast ein Fünftel echte -z'/zg-Namen.7 Die unter-
schiedliche Semantik beider Namentypen bedingt im österreichischen Donau-
raum auch die unterschiedliche Verbreitung, indem die die Inbesitznahme von
Grund und Boden ausdrückenden -zzzg-Namen auch beim östlichen Vordringen
der Baiem seit dem Beginn des 9. Jahrhunderts in Niederösterreich in starkem
Maß vergeben wurden. Dagegen waren die Ansitz und Heimstatt bezeich-
nenden -heim-Namen dafür nicht geeignet, so dass sie am Süd- und Nordrand
Oberösterreichs und des Salzburger Flachgaues nicht soweit reichen wie die
-ing-Namen und im Osten gegen die Enns überhaupt enden. In Altbayern
erstrecken sich die -zzzg-Namen in dichtem Vorkommen im Norden zu beiden
Seiten der Donau und im Süden gegen den Alpenrand, während sie in der Mitte
zwar an der Isar, sonst aber wegen der zahlreichen Moose wesentlich geringer
Vorkommen. Entsprechend verhalten sich wieder in etwas geringerem und
räumlich eingeschränkterem Umfang die -/ze/zw-Namen. Damit erstreckt sich
das anfängliche frühmittelalterliche Siedlungsgebiet der Baiem von der
südlichen Oberpfalz über Niederbayem bis zum Gebirgsrand Oberbayerns und
auf österreichischem Boden in Fortsetzung bis in den Salzburger Flachgau
nördlich der Stadt und in Oberösterreich bis zum Atter- und Traunsee sowie bis
zur Krems südlich der Donau und umfasst nördlich des Flusses im mittleren
und östlichen Mühlviertel noch das Eferdinger-Ottensheimer Becken und das
Machland, zwei Landschaften, die geographisch zum Bereich südlich der
Donau gehören. Zur Behandlung der Zweiten Lautverschiebung in den ins
Bairisch-Althochdeutsche integrierten Ortsnamen antik-romanischer und
7 Vgl. Reiffenstein 2003, S. 2895.
168
slawischer Herkunft sind also auf Grund des Forschungsstandes einerseits die
unterschiedlichen Durchfiihrungsformen der Tenues- und Medienverschiebung
und andererseits die drei frühmittelalterlichen Siedlungsgebiete zu berücksich-
tigen. Während die Tenuesverschiebung von /, p, k zu Doppelfrikativen
[ss\!<zz>, [ ff ]/<//>, [xx]/<hh> im intervokalischen Inlaut und zu einfachen
Frikativen im postvokalischen Auslaut sowie zu Affrikaten [ts\l<(t)z>, \pf\/<pf
ph>, [kx]/<ch> im Anlaut, nach Konsonant und in der Gemination im aitbairi-
schen Gebiet zur Gänze zu erfassen ist, genügt es in den ehemals romanischen
und slawischen Gebieten zu fragen, welche wenigen antik-romanischen und
slawischen Ortsnamen dort überhaupt Tenuesverschiebung erfahren haben,
denn als anzunehmender früher Vorgang verkörpert ihr Unterbleiben die Regel,
so dass dort ihrem Fehlen auch nicht näher nachgegangen werden muss. Hinge-
gen ist für die als spät angesetzte Medienverschiebung von d und b zu Tenues
[/]/<£> und [p]/<p, b> im ursprünglichen altbairischen Gebiet gänzliche
Durchführung anzunehmen, so dass sie dort nicht näher untersucht zu werden
braucht. Vielmehr ist zu fragen, in welchen Ortsnamen der ehemals romani-
schen und slawischen Siedlungsgebiete sie auftritt.
Ein besonderes Problem bildet die von Schwarz und Kranzmayer vernach-
lässigte Verschiebung von g zu [k\/<c, k, g>, zumal sie bereits in den bai-
risch-althochdeutschen Texten schriftlich nicht konsequent umgesetzt ist. Das
Phonem ist mit Sicherheit nur dann nachzuweisen, wenn rom. g und c sowie
slaw. g und k in der bairisch-althochdeutschen Ortsnamenüberlieferung mit <c,
k> verschriftlicht sind bzw. die erschließbaren romanischen und slawischen
Basen g oder c bzw. g oder k voraussetzen, wobei das aus g medienverschobene
[ky<c, k> mit rom. c und slaw. k gleichgesetzt wird. Es wird also zu fragen sein,
in welchen Fallen tatsächlich mit echter Medienverschiebung von g gerechnet
werden kann. Oberhaupt wird es darüber hinaus notwendig sein, der Vertretung
von anlautendem rom. c- und slaw. k- in Ortsnamenintegraten genauer nach-
zugehen.
Besondere Aufmerksamkeit ist wegen der bisherigen sehr divergenten Be-
urteilung auch der Verschiebung der Tenuis k sowohl zum Doppelfrikativ als
auch zur Affrikata und das insbesondere in den ehemals romanischen und sla-
wischen Gebieten zu schenken. Insgesamt ist nicht nur die historische bai-
risch-althochdeutsche, sondern auch die romanische und slawische Lautlehre
hinsichtlich der meist zu rekonstruierenden Ausgangsformen einzubeziehen.
Zugleich aber erlauben die bairisch-althochdeutschen Ortsnamenintegrate auch
Rückschlüsse auf die romanischen und slawischen Lautentwicklungen der
Frühzeit.
Nur wenige der anstehenden Ortsnamen sind in schriftlichen Quellen bereits
aus der Antike überliefert. Obwohl die antik-romanische Grundlage der
meisten Ortsnamen erst aus der althochdeutsch/mittelhochdeutsch integrierten
und urkundlich überlieferten Form des 8. bis 15. Jahrhunderts rekonstruiert
werden muss, begnügen wir uns zur Platzeinsparung mit den in der Literatur
genannten, nicht immer einheitlichen Ansätzen und nennen sowohl für die in
169
Auswahl gebotenen urkundlichen Belege als auch die angegebenen Etymolo-
gien bloß die entsprechende jüngere Literatur.* Das gilt auch für die Ermittlung
der den althochdeutschen/mittelhochdeutschen Integraten zugrunde liegenden
(gemein)slawischen Grundformen. Nicht verschwiegen werden darf, dass
jüngst für Bayern und Tirol die bisher rekonstruierten indogermanisch-vor-
einzelsprachlichen oder keltischen Basen und deren Tenuesverschiebung teil-
weise bezweifelt und statt dessen andere Lösungen versucht werden. Den Bei-
spielen, für die in der neuesten Literatur etymologische Basen angesetzt
werden, die nicht der Lautverschiebung unterliegen bzw. die als germa-
nisch-althochdeutsche Bildungen angesehen werden, setzen wir ein ? voran.
Zur ungefähren Lagebestimmung der Orte werden entweder der Fluss, an dem
sich der Ort befindet, oder die nächstliegende Stadt bzw. der größere Ort sowie
in Bayern der Regierungsbezirk und in Österreich das Bundesland angegeben/*
4. Integrierte antik-romanische Siedlungs- und Gewässer-
namen mit Tenuesverschiebung (Karte 5)
4.1. t-, -K + t- zu -(t)z-
1. /yif/iz/Altmühl, Obbay., SN: 889 Phuncina. Entweder < vlat. *Pontena zu
lat. pons, -tis ,Brücke1 (Schwarz 1927, S. 247; Schwarz 1970, S. 884; Reitzen-
stein 2006, S. 211, vgl. 8. Leonhards-, Langenpfunzen) oder vlat. *Pontianu zu
lat. pons, -tis ,Brücke' mit lat. -(i)anum (Greule in diesem Band).
2. Kehlheimmnzer/Donau, SN: 1154 Winzer (Schwarz 1970, S. 879).
3. Itm^r/Regensburg, Obpf, SN: 863-885 (Juinzara, 1062 Winzirin (Schwarz
1970, S. 879f.).
4. Winzer!Hengersberg, Ndbay., SN: 1005 Uuincira < vlat. vintor zu lat. vTnitor
,Winzer' (Reitzenstein 2006, S. 307).
5. Kiinzig/Donau; Ndbay., SN: antik um 300 (7. Jh.) Quintianis (It. Ant.);
425-30 (15./16. Jh., Not. Dig.), 511 (10./11. Jh., Vita Sev.) Quintanis; 736-47
(9. Jh.) Quinzingauue, 1002-04 Quinzina, 1004 Kuinzina, 1250 Chuentzen < * 9
lS Wir geben in erster Linie die neuere Literatur an, wo auch die älteren und oftmals
auch ausführlicheren Untersuchungen berücksichtigt und genannt sind.
9 Abkürzungen sind: SN/Siedlungsname, Nfl./Nebenfluss, lat./lateinisch, vlat./vulgär-
lateinisch, rom./romanisch, idg./indogermanisch, idg.-vspr./indogermanisch-vorein-
zelsprachlich, urslaw./urslawisch, slaw./(gemein)slawisch, aksl./altkirchcnslawisch,
germ./(west)germanisch, ahd./althochdeutsch, frahd./frühalthochdeutsch, spahd./
spätalthochdeutsch, mhd./mittelhochdeutsch, frmhd./frühmittelhochdeutsch, spmhd.
/spätmittelhochdeutsch, nhd./neuhochdeutsch, fmhd./frühneuhochdeutsch, bair./
bairisch. Die im ANB nicht aufgenommenen antiken Namenzeugnisse entstammen
den abgekürzt zitierten Quellen: Ptolemäus, Itinerarium Antonini, Notitia Digni-
tatum, Tabula Peutingeriana, Martyrologium Hieronimi, Vita Severini.
170
vlat. *Quint(i)anis mit PN Quintus (Schwarz 1970, S. 883; Reitzenstein
1975/77, S. 17ff.; Reitzenstein 2006, S. 146).
6. ? GerzenNi\sb\bmg, Ndbay., SN10: 1139-45 (1203/04) Gerzen, 1170-77
Gerze, 1187-1200 Gerzen < vlat. *Gartia oder *Garfina, idg.-vspr, mit idg.
*ghor-t-os ,eingezäunter Ort‘ (Schwarz 1970, S. 885; Reitzenstein 2006, S. 96).
7. ? Jarzt!Freising, Obbay., SN: ? 889-91 Jorcin, 1138-47 Jorze, Gorzi; 1403
Jarcz\ kaum aus rom. *lorcin von lat. *divortium ,Wegscheide4 (Schwarz
1970, S. 874, 885), vielmehr aus lat. *Iortianum mit PN *Iortiu$ (Greule 2007,
S. 618).11
8. Leonhardspfunzen, LungenpfunzenAnn, Obbay., SN: antik 425-30 (15./16.
Jh.) Pontaeni (Not. Dig.), 790 (12. Jh.) Pontena, 925 Phunzina, vor 1145
Phuncin < vlat. * Pontena zu lat. pons, -tis ,Brücke4 (Schwarz 1927, S. 247;
Schwarz 1970, S. 885; Reitzenstein 2006, S. 154).
9. Alz, Abfluss des Chiemsees, r. Nfl. des Inns, Obbay.: 785-98 (1004) Alzus,
815 (13. Jh.) Alezussa, 832 Alzissa < vlat. *Altussa oder *A/tissa, entweder
idg.-vspr. mit *el-/ol- + t,fließen4 oder kelt. zu mir. alt ,Höhe, Ufer, Küste4 im
Sinne von ,Fluss, der zwischen hohen Ufern fließt4 (Schwarz 1970, S. 885;
Reitzenstein 2006, S. 17).
10. ? Polsenz, 1. Nfl. des Innbaches, Oböst,: 991-1023 Palasenza, 1092-1121 de
Palsenzi, 1108 de Balsenz < vlat *Balsantia, idg.-vspr. mit idg. *bheI-/bhol-
,weiß, glänzend4 (Schwarz 1969, S. 438; Schwarz 1970, S. 894; Wiesinger
1990, S. 271; ANB I 1999, S. 129).
11. ? Linz!Donau, Oböst., SN: antik 425-30 (15./16. Jh.) Lentiae (Not. Dig.);
799 in loco [...] Linzq; 821, 827 Linza < vlat. Lentia, wohl kelt. zu idg. *lent-
,biegsam4 im Sinne von ,Flussbiegung4 (Schwarz 1970, S. 884; Wiesinger
1990, S. 279; ANB I 1999, S. 677f.).
12. ? Äa///w«>iz/Burglengenfeld, Obpf., SN: 983 (15. Jh.) Kal mutz, 1140-60
(13. Jh.) Chalmvnze, 1142 Chalemvnz.
13. ? KollmünzlAltöttmg, Obbay., SN: - (1829 Kollmünz).
111 Mit Schwarz 1970, S. 885 ordnen wir den Beleg 889-91 Jorcin 7. Jarzt zu. Es ist
schwer vorstellbar, dass schon im 12. Jh. Umlautentrundung von ö > e eingetreten
und geschrieben worden sein soll, zumal Kranzmayer 1956, S. 39 diese ins 13. Jh.
datiert. Die davon ausgehende Etymologie von Greule 2007, S. 618 ordnen wir ent-
sprechend 7. Jarzt zu.
11 Den spmhd, Übergang von entnindetem mhd. ö über ä zu a vor r zeigen mehrere
Ortsnamen, u.a. Haringsee, Ndösterr., 1196-1216 Horgw>ense, aber 1303-06 Har-
gense zu mhd. hörwic ,schmutzig, kotig4, vgl. Schuster II 1990, S. 216.
171
14. ? Kollmitzberg/Donau bei Amstetten, Ndöst., Berg- und SN: 1135 Chal-
munze, 1151 Chalmönze, 1267 Chatmünz. Zu vergleichen ist antik Kea-/KeXa-/
Kalagavda bei Ptolemäus, idg-.vpr. Komp. *Ka/amantia mit idg. *keI-/kol-
,hoch, emporragen4, umgedeutet zu lat *Calamontia (Schwarz 1969, S. 425;
Wiesinger 1985, S. 339ff.; ADB 1 1999, S. 609; Reitzenstein 2006, S. 425).
Nach Greule 2006, S. 617 handelt es sich jedoch um eine keltische Suffix-
bildung *Calm-ontia mit vorgall. *calma ,ödes Land, unbebautes Bergge-
lände4. Für die genannten Orte sowie für Kellmünz/Iller und Kehl-
münz/Ansbach ist mit direkter bair./alem./ostfr. Integrierung zu rechnen, da-
gegen erfolgte bei Kollmitzberg/Raabs, Ndöst. und Kolbnitz, Kollnitz, Kul-
mitz, Kulmitzen in Kärnten zunächst slaw. Übernahme (Holzer 1997, S. 81 ff).
15. Zehnpach, SN nach heute namenlosem r. Nfl. der Erlauf bei Purgstall,
Ndöst.: 1363 Zenpach. Wohl identisch mit Zenn, 1. Nfl. der Regnitz bei Nürn-
berg, Mittelfranken; um 900 (12. Jh.) Cenne. Aus vlat. *Tania, idg.-vspr. mit
idg. *ta-n-/td~n- ,fließen, schmelzen4 (Schuster III 1994, S. 494).
16. ? Scharnitz!Innsbruck, Tirol, ursprünglich Gebiet um Mittenwald, Obbay.:
763 in solitudine Scarantiense, 763 ad [...] Scarantia, 763 Scaranziae, 802
Scarancia < vlat. *Scarantia1 idg.-vpr. mit idg. *{s)kar- ,hart, rau, Stein4
(Schwarz 1970, S. 913; Anreiter 1997, S. 112f.; ANB II 2002, S. 974f.),
17. Z/W/Innsbruck, Tirol, SN: antik 425-30 (15./16. Jh.) Teriolis (Not. Dig.),
799 in Cyreolu, 977-81 Zirala, 1050-65 Zirta. Etymologie ungeklärt (Schwarz
1927, S. 248; Schwarz 1970, S. 886f.; Finsterwalder 1960/1990, S. 77; Anreiter
1997, S. 53; ANB II 2004, S. 1174).
18. ? Zitier, r. Nfl. des Inns, Tirol: 889 in pago [...] Cylarestale, 925 ad Zilare,
927 ad Zilarem, 931 in Cilari valle, 1078 (1210) in Cylaristal, 1102 (1210) in
Cylarestale < lat. *Tilarus, idg.-vpsr. mit idg. *(s)tel- Tröpfeln4 oder idg. *ti-l-
,fließen, schmelzen1 (Finsterwalder 1960/1990, S. 77; Schwarz 1970, S. 887;
Anreiter 1997, S. 101f.; ANB II 2004, S. 1173). Von Kollmann 2004a, S. 248
nun auf vlat. *Cilaru aus idg. *Kilro- mit idg, *kel-/kl- ,antreiben4 zurückge-
führt, so dass dann keine Tenuisverschiebung vorliegt.
4.2. -t- zu -zz-
19. Passaw/Donau, Ndbay., SN: antik 425-30 ( 15./16. Jh.) tribunus cohortis
nonae Batavorum, Batavis (Not. Dig.), 511 (10./11. Jh.) Batavis [...] oppidum
(Vita Sev.); 754 (9. Jh.) castrum Bazzauua, 764-88 (9. Jh.) Pazzauua, 1329
Pazzau (Schwarz 1927, S. 267; Schwarz 1970, S. 883T; Reitzenstein 2006, S.
204f). 20
20. ? Gars am Inn/Wasserburg, Obbay., SN: 790 (12. Jh.) Garoz, 807 (824)
Karoz, Caroz, 881 Garozze, 930 ad Garozze < vlat. *Garat-, idg.-vspr. mit idg.
*ghor~t-os ,eingezäunter Ort4 (Schwarz 1970, S. 885; Reitzenstein 2006, S.
93). Nach Greule 2007, S. 619 handelt es sich um eine germ. Bildung *Garota
172
als /-Ableitung von germ. *gar- in aengl. gear ,zaunartige Sperre in einem
Fluss, Wehr' und ist auszuscheiden.
21. AV//?/München, Obbay., SN: um 1130 Pizze, 1 173-75 de Bizzen, um 1195 de
Bizze, 1402 gen Peizz < vlat. *Bitanu, lat. BTtämim mit lat. PN BTt(i)us (Reitzen-
stein 1975/77, S. 8).
4.3. p-, -pp-, -K + p- zu (-)pf-
22. ? Pfatter, r. N0. der Donau bei Wörth, Ndbay.: 822 Phatriu, 863-82 ad
Fatiragimundi, 894-930 Phatragimundi, 115-26 Phater, 1193 Pfeter,
1 197-1200 Phaeter< vlat. *Patria, idg.-vspr. mit idg *pet-/pot-,niederstürzen,
fallen' (Schwarz 1969, S. 436f.; Schwarz 1970, S. 884, 913; Reitzenstein 2006,
S. 210). Nach Greule 1980, S. 208ff. und Greule 2007, S. 617 handelt es sich
um eine germanisch-deutsche Bildung mit germ. *pap-/pad- ,schmaler Weg,
Tal; Sumpf als germ. *Pad(a)ro und hat hier auszuscheiden.
23. ? Pfettrach, 1. Nil. der Isar bei Landshut, Ndbay.: 822 adPhetarah, 883-87
ad Fet er ah.
24. ? +Pfettrach. heute Mauemer Bach, 1. Nfl. der Amper, danach bei Moos-
burg SN Pfettrach, Ndbay.: 755 Pfeterahha flumen < vlat. *Petria, idg.-vspr.
mit idg. *pet-/pot- ,niederstürzen, fallen' (Schwarz 1969, S. 436f.; Schwarz
1970, S. 884, 913). Nach Greule 1980, S. 208ff. wie 22. Pfettrach als germ.
*Padiro und deshalb hier auszuscheiden.
25. Ipf r. Nfl. der Donau bei Enns, Oböst.: 791 (12. Jh.) inter duoflumina [...]
Ipphas, 10. Jh. für 777 (13. Jh.) inter utrasque Ipfas, 10. Jh. für 777 (13. Jh.) in
[...] loco Ipfa, 1092-1121 de Ipphe, 1125 de Iph < vlat. *Eppia, lat. *Epia, kelt.
zu gall. *epos ,Pferd' im Sinne von ,Rossbach' (Schwarz 1970, S. 885; Wiesin-
ger 1990, S. 273f.; ANB 1 1999, S. 559).
26. Langkampfeni\x\x\ bei Wörgl, Tirol, SN: 799 (9. Jh.) Lantchampfa, 1166
Lantchampfen < lat. *Landae campus, Komp, mit gall. landa .Heide' und lat.
campus .Feld' (Finsterwalder 1960/1990, S. 77; Schwarz 1970, S. 885; ANB I
1999, S. 645).
27. P/brt.v/Wipptal bei Innsbruck, Tirol, SN: um 1050 (13. Jh.) Pfans, 1070-80
predium [...] Phunzun dicto, 1177 apud Phanes, 1260 zu 1031 Pfans < vlat.
*Pan-, idg.-vspr. mit idg. *pen-/pon- .Sumpf (Finsterwalder 1960/1990, S. 78;
Schwarz 1970, S. 888; ANB I 1999, S. 93).12
28. +Chumphaer .Kumpfer', abgekommener Hofname, bei Gries am Brenner
im Wipptal, Tirol: 1360 filius Chumphaerii; sonst 1305, 1359, 1374 in
Die von Finsterwalder vorgetragene Etymologie wird nun von Schürr 2006, S. 149
bezweifelt, ohne dass eine andere vorgetragen wird.
173
Camparen, 1400 auf Gumpparn, 1444 ab Gumparn, 1480 aufCumparn. Ältere
und jüngere Entlehnung aus vlat. *Campariu zu lat. campus ,Feld4 (Finster-
walder 1960/1990, S. 81).
29. Pßersch, Tal und r. Nfl. des Eisack bei Gossensaß, Südtirol: 1174-78,
1179-96 armentarium in Phlers, 1315 Phlers, 1407 Pflers < vlat. *Plera +
rom./dt. -.v, idg.-vspr. mit idg. *pel-, ple- ,gießen, fließen, schwimmen4, vgl.
alb. plera ,Sumpf (Finsterwalder 1960/1990, S. 78; Kühebacher 1995, S. 317;
ANB I 1999, S. 93).13
Siehe auch 1. Pfünz, 8. Leonhardspfunzen
4.4. -p- zu -ff-
30. Erlauf\ r. Nfl. der Donau bei Pöchlarn, Ndöst.: antik 425-30 (15./16. Jh.)
Ar/ape, classis Arlapensis (1t. Ant.); verschrieben 2. Jh. (11. Jh.) 'Aps/Au]
(Ptol.), um 370 (11. Jh.) Arelate (Tab. Peut.); 832, 853 Erlafa, 832, 853 (11.
Jh.), 979 Erlaffa < lat. *Etfe)lapa, idg.-vspr. Komp, mit idg. *er-lor- ,in
Bewegung setzen4 und idg. *ap-a ,Wasser4 (Wiesinger 1985, S. 326f.; Wie-
singer 1990, S. 283f.; ANB I 1999, S. 334).
4.5. Ar-, -K + Ar- zu (-)ch-
31. Altmühl, 1. Nfl. der Donau bei Kehlheim, Obpf.: antik 2. Jh. (11. Jh.)
'AÄKiposvvig (Ptol.); 803 zu 793 (9. Jh.), 895 Alcmona, 832 Alchmuna, 975-80
Alchmona < vlat. *Alcimonia, Komp., wohl kelt. mit idg. *aleq- ,abwehren,
schützen4 und kelt. *moniio ,Berg4 im Sinne von ,Gewässer, das bei einem
schützenden Höhenzug mündet4 (Reitzenstein 2006, S. 15) oder mit dem kelti-
schen Gewässernamen wort idg.*mein-/moin- mit Bezug auf das Oppidum
.einen Schutzfluss habend4 (Bammesberger 1994/95, S. 256ff.).
32. Kösching/Ingolstadt, Obbay., SN: 10. Jh. zu 9, Jh., 996-1000 Cheskinga;
1021 Cheskingen; ahd. -/>7g-Name mit dem lat. PN Cascus (Reitzenstein 2006,
S. 140).
33. Äösmg/Ingolstadt, Obbay., SN: vor 1147 Charse, 1147-56 (1189/90)
Kursen, 1162-72 Kersse, 1168/69 (1189/90) Karsin. Entweder < vlat.
*Carsianu, lat. *Carsiänum mit lat. PN Carsius (Rcitzenstein 2006, S. 131)
oder *Carisianu mit lat. PN Carisius (Greule in diesem Band).
34. Äare/7i/Regensburg, Obpf., SN: 1170 Karrina, 12. Jh. Chaerrine, 1306
Chaerrein, 1474 Kärrent < vlat *Carrina, entweder von kelt. *carr- in air.
carrac ,Felsen4 von idg. *kar- ,hart4 oder idg. *(s)kr-s ,schneiden4 oder von 11
11 Auch diese Etymologie Finsterwalders bezweifelt nun Schürr 2006, S. 149, ohne eine
neue zu versuchen.
174
voridg. iber.-mediterr. *carra ,Stein1. Möglich ist auch vlat./rom. *Carrina via
zu carralis ,Weg, auf dem ein Weinbergkarren fahren kann1 von gall./lat.
carrus ,Karren1 (Schwarz 1969, S. 426; Greule 1995/96, S. 148ff.).
35. Äa.vten/Osterhofen, Ndbay., SN: 1138-47 Kassen; 1143, 1 155 (1775), 1349
Chassen < vlat. *Cassianu, lat. *Cassiänum mit lat. PN Cassius (Reitzenstein
1975/77, S. 9ff.).
36. Äa/M/w/Ortenburg, Ndbay., SN: 1172-90 de Chambe. Siehe 44. Kamp
(Schwarz 1969, S. 426).
37. Chieming, SN; Chiemsee, Obbay.: 804 (12. Jh.), 1 104-07 (1203/04)
Chiemingen; 790 (12. Jh.) Chiminsaeo, lacum Chieminge; 891 Chiemincsaeo.
Entweder bair.-ahd. -ing-Name mit dem kelt./lat. PN Cemosl-us, nach dem SN
der See (Reitzenstcin 2006, S. 55) oder lat. *Coemiänum mit kelt./lat, PN
Coemea > vlat. *Cemianu und sekundärer -mg-Bildung durch Segmentierung
von *Chiemin-gouwi als *Chieming-gouwi (Greule in diesem Band).
38. ATfv.vi'/j/Kufstein, Tirol, SN: um 1160, um 1180 de Chessen < vlat.
*Cassianu, lat. *Cassiänum mit lat. PN Cassius (ANB 1 1999, S. 612; Koll-
mann 2005, S. 148).
39. Köstlan/Brixen, Südtirol, SN: - entweder < vlat. *Castellianu zu lat.
castellum Befestigung, Burg1 (Finsterwalder 1964/1995, S. 1123) oder < vlat.
*Castilianu, lat. *CastTliänum mit lat. PN CastTlius (Kollmann 2005, S. 148).
40. KlerantlBrixen, SN: 983-1000, 1060-70 Cleran; 1436 Kleran < rom.
*Cleranu, lat. *Cleränum mit PN *Clerus (Kühebacher 1995, S. 197; ANB 1
1999, S. 600; Kollmann 2005, S. 148).
41. Kaltem a. d. Weinstraße/Bozen, SN: 855-1055 de Caldare, 1074 in
Calthäri, 1184-86 Cal tarn: 1220, 1347 Caldario: wohl rom. *Caldariu, lat.
calidärium ,warmer Platz1; dial. [ kx<?ltem\ (Kühebacher 1995, S. 181 f., ANB 1
1999, S. 577; Kollmann 2005, S. 151).
42. AvVrts/Bruneck, Südtirol, SN: 1006-39 in loco Kiehna, 1050-65 castri
Chienes, in castello Chienas; 1092-11 13 ad Chienas, 1177 Chiens. Wohl
idg.-vspr., lat. *Ceunas < *keunäsu mit idg. *(s)keu- ,bedecken1 als Lokativ
Plural ,bei den Heustadeln1, bair.-ahd. *Cheonas, Chionas (Anreiter 2000, S.
142f; ANB 1 1999, S. 590f; Kühebacher 1995, S. 194, dessen etymologische
Herleitung vom diminuierten PN mhd. Küenlin lautlich nicht möglich ist). 43 44
43. f/«Äen/Lofer, 1. Nfl. der Saalach, danach SN, Salzburg: 1137, 1146, 1157,
1169 Vnchen, Unchen: 1144 Vnchine, 1151-67 de Uncna, 1177 in Vncn. Ent-
weder < lat. *Oncina, idg.-vspr. mit idg. *ank-/onk-,biegen1 oder lat. *Uncina,
idg.-vspr. mit idg. *uenk-/unk-,biegen1 (ANB II 2003, S. 1071).
44. Katschberg, Pass in Salzburg/Kärnten; Rauchenkatsch bei Krems, Kärn-
ten, SN; Katsch a. d. Mur, Steiermark, SN; einst Gegendbezeichnung des
175
oberen salzburg./steir. Murgebietes: 982, 1051, 1057 Chatissa', 1007 (12. Jh.)
Chatza, 1123 de Chats, 1126 de Chaetse < vlat. *Catissa. Entweder keltisch zu
idg. *kat- .flechten, Zaun, Hürde1 in air. cathir .Burg, Stadt1 im Sinne von ,der
zu einer Hürde gehörende befestigte Wohnsitz1 (Brandenstein 1960/1978;
ANB I 1999, S. 585f.; Lochner v. Hüttenbach 2008, S. 21) oder mit kelt. PN
*Catos (P. Anreiter, Innsbruck, brieflich).
45. ? KöstendorJ7Neumarkt am Wallersee, Salzburg, SN: 748-829 (9. Jh.),
798-800 (12. Jh.), 808 (9. Jh.), 820 (9. Jh.), 892/93 Chessindorf Bair.-ahd.
-dorf-Name entweder mit lat. PN Cassius oder mit bair.-ahd. PN Chasso (Kauf-
mann 1968, S. 79; Hörburger 1982, S. 88; Reiffenstein 1991, S. 60; ANB 1
1999, S. 613).
46. Kobernäußerwald14, zwischen Mattighofen und Vöcklamarkt, danach SN
Kobernäußen, Oböst.: 1474 Kobernaas, 1522 Khobernaaß, 1580 Ko-
bernaussen villa\ bair.-ahd. *Chapernüsa < v 1 at./rom. *Cavernosa (silva, via)
(Wiesinger 1990, S. 280f.; Wiesinger 2004, S. 59f.).
47. Krems, r. Nfl. der Traun bei Linz, danach SN Kremsmünster, Oböst.: 791
(12. Jh.) monasterium [...] Chremisa, 888 (12. Jh.) monasterium Chremisa a
flumine eiusdem nominis, 888 (1302)fluvium Chremisa.
48. Krems, 1. Nfl. der Donau, danach Stadt Krems a. d. Donau, Ndöst.: 995 (12.
Jh.) urbis [...] Cremisa, 1072-91 ad Chremisa, 1096-1108 Chremisia, um 1110
für 1096 Chremisa < vlat. * Cremisa, idg.-vspr. mit idg.
*(s)ker-/(s)krem-/(s)krom- ,schneiden, scharf im Sinne von ,eingeschnittener
Fluss1 (Wiesinger 1985, S. 328f.; Wiesinger 1990, S. 273; Wiesinger 2004, S.
60; ANB I 1999, S. 618ff.).
49. Kamp, l. Nfl. der Donau bei Krems a. d. Donau, Ndöst.: 791 (9. Jh.) Camp,
893 (12. Jh.) ad Campe, 1002 inter Chambam ..., 1045 ad Champa', um 1075,
1094-1108 Champa < lat. *Cambus, kelt. *Cambos zu air. camb ,krumm1 im
Sinne von ,gewundener Fluss1 (Wiesinger 1985, S. 329, ANB I 1999, S. 578f.).
50. Kaumberg, heute Ort im Triestingtal, ursprünglich Bezeichnung des nörd-
lichen, später auch des östlichen Wienerwaldes, Ndöst.: antik um 300 (7. Jh., 1t.
Ant.), um 370 (12. Jh., Tab. Peut.), 425-30 (15./16. Jh., Not. Dig.), 511 (10./11.
Jh., Vita Sev.) oppidum Comagenis; 8./9. Jh. zu 791 (9. Jh.) Cumeoberg,
Cummiberg, Cuumberg; 985-91 Comagenum montem\ 1072-91 ad Chumberch,
ad Chumberga < vlat. *Comaio von lat. Comagenum > bair.-ahd. Chumeoperc
(Wiesinger 1985, S. 338f.; Schuster II 1990, S. 363; ANB 1 1999, S. 213f.).
Siehe auch 12. Kallmünz, 13. Kollmünz, 14. Kollmitzberg, 26. Langkampfen,
28. +Chumphaer, 58. Kuchl
14 Sofern nicht Initialakzent gilt, wird die Endbetonung mit Akut bezeichnet.
176
4.6. -Ä- zu -hh-
51. +*Simplicho, bei Straubing, Ndbay., SN: 890 locus Simplicho < vlat.
*Simliacu, lat. *$imiliäcum mit lat. PN Similis, Similius (Schwarz 1970, S.
921).
52. Lech, r. Nfl. der Donau bei Donauwörth: antik 2. Jh. (11. Jh.) wv Audov
itompov (PtoL), 565 (9. Jh.) Licca (Venantius Fortunatus, Vita S. Martini); um
790 (9. Jh.) Lecha (Paul. Diac.). Entweder idg.-vspr. mit idg. *leik-/lik-
,biegen4 (ANB I 1999, S. 655) oder kelt. mit kelt. *lika in mir. lecc ,Felsplatte4
mit Bezug auf das steinige Flussbett (Reitzenstein 2006, S. 152).
53. A//>öc7i/«^/Wasserburg am Inn, SN; Atbach, Oberlauf des Nasenbaches,
Obbay.: 808 (824) Alpicha, 818 (824) Alpihha, 1162-72 Albichingen < vlat.
*Alhica, idg.-vspr. mit idg. *albh- .weiß4 (Schwarz 1970, S. 885; Reitzenstein
2006, S. 10).
54. Mattig, r. Nfl. des Inns bei Braunau, Oböst.: 736/37, 748 (9. Jh.)
Matahgouur, 748 (9. Jh.) in [...] Matahgouue, 796 Matucha, um 1120 de
Matiche, 1188 de Maettich < lat. *Maduca, idg.-vspr. mit idg. *mad- ,nass,
triefen4 (Schwarz 1927, S. 269; Schwarz 1969, S. 43 lf.; Schwarz 1970, S. 886;
Wiesinger 1990, S. 267f.; Wiesinger 2004, S. 53; ANB I 1999, S. 715ff),
55. Lorch/Enns, Oböst., SN: antik um 300 (7. Jh.) Lauriaco (It. Ant.); 425-30
(15./16. Jh.) Lauriaco, classis Lauriacensis (Not. Dig.); 5. Jh. (8. Jh.) Lauriaco
(Mart. Hier.); 511 (10./11. Jh.) Lauriaco, ad Lauriacum (Vita Sev.); 791
Lorah(h)a, 977 (12. Jh.) in vico [...] Loracho < lat. Lauriäcö mit kelt./lat. PN
Lauriosl-us (Schwarz 1970, S. 881, 884; Wiesinger 1990, S. 279; Wiesinger
2004, S. 51; ANB 1 1999, S. 685ff.).
56. Laich, r. Nfl. der Pielach bei Kirchberg a. d. Pielach, ursprünglich
Bezeichnung dieser, Ndöst.; 1307 Levch < lat. *Leuca, idg.-vpr. mit idg. *leuk-
,weiß4, bair.-ahd. *Liuhha (Wiesinger 1985, S. 327; Wiesinger 1990, S. 284).
57. Grödig/Sa\zbmg, SN: 788-90 (12. Jh.) ad Crethica, 930 ad Greticham, 987
Crethicha, 1077-90 de Greticha. Auf Grund der ahd. Schreibung/Lautung aus
vlat. *Gradica zu idg. *gredh- ,schreiten4 in lat. gradus ,Schritt, Stufe4 Jedoch
nicht aus vlat. *Cretica zu rom. *cret(ta) .Riss4 von vlat. crepitare ,rissig
werden4 (Hörburger 1982, S. 41; ANB I 1999, S. 452; Lindner2002, S. 548).
58. Kuchl!Hallein, Salzburg, SN: antik um 370 (12. Jh.) Cuculle (Tab. Peut.),
511 (10./11. Jh.) Cucullis (Vita Sev.); 798-800 (12. Jh.) ad Cuchil, 930 ad
Chuchulam, 991-1023 Chuchula, 1060 apud Chuchila. Zu lat. cucullus
,Kapuze4 mit Bezug auf die Form des Berges (Schwarz 1927, S. 270; Schwarz
1970, S. 886; ANB I 1999, S. 629f.; Lindner 2002, S. 545). 59 *
59. +NurihtaL einstige Bezeichnung des Eisacktales, Südtirol: 923 in comitatu
Nurihtal, sonst 955-75 u. ö. in volle Norica (Schwarz 1927, S. 269; Schwarz
177
1970, S. 887; Finsterwalder 1960/1990, S. 78; ANB 11 1999, S. 798; Kollmann
2005, S. 149).
60. ? InnicheniPustertal, Südtirol, SN: 769 ego Tassilo dux Baiouariorum [...]
locum nuncupantem India quod vulgus Campo Gelau vocantur, 816 (13. Jh.)
Intica, 822 (9. Jh.) Intihha, 827 sancto Candido ad Inticha monasterio, 827 ad
Inticha, 828 öc/ domum sancti Candidi ad Inticha quod dicitur Campo Gelau,
994-1005 Inticha, 1070 Intichingen, um 1140 Inticensis ecclesiq, 1147-55 a
domino H. Inticensi, 1160 (1187) in curia [...] Intica. Siehe Text. (Schwarz 1927,
S. 269; Schwarz 1970, S. 887; Finsterwalder 1960/1990, S. 78f.; Kühebacher
1995, S. I69f.; ANB I 1999, S. 555f.; Kollmann 2005, S. 149; Schürr2006).
5.Integrierte antik-romanische Siedlungs- und Gewässernamen
ohne Tenuesverschiebung in den Gebieten außerhalb dichter
antik-romanischer und slawischer Ortsnamen (Karte 6)
5.1. Salzburg
61. MuntiglJBergheim, SN: 788 (12. Jh.) Monticulus, um 963 ad Muntegilin,
1122-47 apud Muntigilin < rom, *Muntigulu, lat. monticulus ,kleiner Berg4
(Hörburger 1982, S. 38; ANB 1 1999, S. 769).
62. /Va/w/Salzburg, SN: 1285 Play, 1415 Play(e)n (Hörburger 1982, S. 38).
63. /7a/«/Großgmain, SN: 1108 de Blainn\ 1120-36 de Plagio, de Plagen;
1125-47 de Pleigen, um 1135 de Plain < rom. *Plaina zu mlat, plag(i)a Ab-
hang, Feld4 (Hörburger 1982, S. 38; ANB I 1999, S. 113ff.).
64. t7i»/s/Wals-Siezenheim, SN: 1060 de Collis, 1127 de Colle\ 1147-67 de
Golles, Colles; 1151-67 de Golse, 1 167-88 de Colse; zu lat. collis ,Hügel4 (Hör-
burger 1982, S. 41; ANB I 1999, S. 424).
65. Gam/j/Hallein, SN: 788-90 villula [...] Campus, 1090-1104 Campa,
1167-93 cfe Gampe < rom. *Campu von lat. campus ,Feld, Ebene4 (Schwarz
1927, S. 284; Hörburger 1982, S. 44; ANB I 1999, S. 396).
66. +TuvaI bei Hallein, ehemal. Salzlager: 1191 Tonal, 1196 Tuual < rom.
*Tuval- zu lat. tubus ,Röhre, Gerinne, Tobel4 (Hörburger 1982, S. 43; ANB 1
1999, S. 297f.).
67. GarneilKuchl, SN: 1334 Gurnei < rom. curnal(is), entweder zu lat. cornus
,Hartriegel, Kornelkirsche4 oder zu lat. cornu ,Hom4 (Hörburger 1982, S. 44).
68. Torren, 1. Nfl. der Salzach bei Golling: 1139 silvulam [...] Torenne\ 1139
torrentes duo, unus [...] vocabuli Torenne: zu lat. torrens, -tis , Wildbach4 (Hör-
burger 1982, S. 44; ANB I 1999, S. 267f.). 69
69. Gugilän, Alm bei Kuchl: 788-90 (12. Jh.) alpes [...] Cuculana < rom.
178
*Cuculana (alpis). Siehe 58. Kuchl (Schwarz 1927, S. 284; Schwarz 1970, S.
899; Hörburger 1982, S. 42f.; ANB I 1999, S. 460; Lindner 2002, S. 545).
70. Altbichl, Alpigl, Almen bei Pichl/Abtenau und Strobl: 788 (12. Jh.) alpes
[...] Alpicula, um 1000 ad Alpigilin, um 1000 (12. Jh.) ad Alplingon < rom.
*Alpigula, vlat. alpicula ,kleine Alpe‘ von lat. alpes ,Alpen4 (Hörburger 1982,
S. 43; ANB I 1999, S. 27).
5.2. Oberösterreich
71. Gurten. Ort und r. Nfl. des Inns bei Obernberg: 763 in villa [...] Curtana
iuxta Fruen fluminis sic nuncupante ita ob consuetudine villa ita appelari, 786
in loco [...] Curtuna, 788 fluenta Gurduna, 805 (9. Jh.) in loco (...] Gurtina,
11 10-30 de Gurtina < rom. *Curtana oder *Curtuna zu vlat. curtis ,eingzäunter
Hofraum, Viehof, Hof (Wiesinger 1990, S. 268; Wiesinger 2004, S. 61; Wie-
singer 2005, S. 196ff.; ANB 1 1999, S. 473f.).
72. Marhipp, Ort, einst Name des heutigen St. Veiter Baches, 1. Nfl. der
(Mühlheimer) Ach: 748-829 (9. Jh.) in villa [...] Marhcluppa, de Marhluppa;
925 Marhluppa < vlat./rom. *Luppia, lat. *Lupia, idg.-vspr. mit *leu-/lu- + p
,Schmutz, beschmutzen4; ahd. mar(a)h ,Pferd4 oder mar(a)ha ,Grenze, Grenz-
gebiet4 (Wiesinger 1990, S. 268; Wiesinger 2004, S. 61; ANB 1 1999, S. 713).
73. ATwi/jem/Feldkirchen bei Mattighofen, SN: 1363 (15. Jh.) Kampporn, 1439
in Kampern. Siehe 76. Gampem (Wiesinger 1990, S. 276; Wiesinger 2004, S.
60f.).
74. EdenplainlLochen; Flörlplain'Lengau, SN: 1324, 1350 Plain.
75. /7tf//i/Pöndorf bei Frankenmarkt, SN: 1363 Plain. Siehe 63. Plain (Wie-
singer 1990, S. 276; Wiesinger 2004, S. 60).
76. GamperniWöcklabruck, SN: 770-800 (9. Jh.) in uilla [...] Campara, de
Camparon < rom. *Campariu zu lat. campus ,Feld, Ebene4 (Schwarz 1927, S.
284; Schwarz 1970, S. 900; Wiesinger 1990, S. 276; 2004, S. 60f.; ANB I 1999,
S. 396).
5.3. Niederösterreich
77. Tulln, r. Nfl. der Donau, danach Stadt, Ndöst.: antik 2. Jh. Bergname
TovXkov (Strabo); 837 ad Tullinam, 859 Tullina, 985-91 iuxta Tullonam, 1014
civitatem Tulna < vlat. *Tullina, idg.-vspr. mit idg. *tu- ,schwellen4 + l-no-
(Wiesinger 1985, S. 326; Wiesinger 1990, S. 286; ANB I 1999, S. 29lf.).
179
6. Integrierte antik-romanische Siedlungs- und Gewässerna-
men mit Medienverschiebung in den Gebieten dichter
antik-romanischer und slawischer Ortsnamen (Karte 7)
6.1. {-)d- zu (-)/-
6.1.1. Tirol
78. /tfcr/Wörgl, SN: 902 ad Uitaradorf’ 1240 Utter, 1357 Ytter < vlat. *Udria,
idg.-vspr. mit idg. *aued-/ud- ,Wasserk (Anreiter 1997, S. 24ff.; ANB 1 1999, S.
564; Kollmann 2005, S. 151).
79. TerfenslSchwaz, SN: 1085-97 supra Teruanes, apud Teruenes < vlat.
*Derv- zu kelt. *dervo- ,Eiche ‘ (Anreiter 1997, S. 138; ANB I 1999, S. 237).
80. W//^«/Innsbruck SN: antik 425-30 (15./16. Jh.) Veldidena (It. Ant.);
870-75 ad Uuiltina, 1050-65 Wiltine, 1060 loco Wiltin < vlat. *Veldideno,
Etymologie unklar (Schwarz 1970, S. 902; ANB II 2004, S. 1 137; Kollmann
2005, S. 145).
81. Wipptal, heute Bezeichnung des Sill- und Eisacktales zu beiden Seiten des
Brennerpasses in Nord- und Südtirol, antik für Sterzing, Eisacktal, Südtirol:
antik um 370 (12. Jh., Tab. Peut.), 425-30 (15./16. Jh., It. Ant.) Vipitenum; 827
ad Uuipitina, 948-57 in volle Vuibidina, 1085-97 in Bibidina volle, 1177 in
Wibetal < rom. *Vibidenu, lat. Vipitenum, Etymologie unklar (Finsterwalder
1960/1990, S. 79f.; ANB II 2004, S. 1145; Kollmann 2005, S. 151).
82. Ritten!Bozen, Südtirol, Berggegend und SN: 871-75 in monte Ritano, 1027
(Transs 1280) in monte Ritane, 1050-65 in monte Ritenun, 1147 in monte ...
Ritine, 12. Jh. Riten, 1323 Riten; lad.-gröd. Renön. Wohl idg.-vspr. mit idg.
*hrei- ,reißen1 als Part. Praet. *hrito, lat. *Ritanus (mons), vlat. *Ritanu ,der
zerrissene (Berg)1 mit Bezug auf die Erosionslandschaft mit Erdpyramiden,
rom. *Ridanu\ lad.-gröd. mit Vergrößerungssuffix rom. -on(e) (ANB II 2000,
S. 876; Kühebacher 1995, S. 366; sein Ansatz als lat. *Rudiänum ist lautlich
nicht möglich). 83
83. Etsch, Fluss, Südtirol: Strabon, Geographika IV/9, 7 n. Ch. (9710. Jh.)... xö
Ätxcvvivov öpog, kipvrjv fyov ¿Cicioav sig tov "Ioapav izoxapov, fic napakaßtov
Äxayiv cx/j.ov noxapöv eig xöv ÄÖpiav dcßakkci. 'Ck de xrß airxfjg kipvtjg Kai
ci/dog noxapög ... gei, Kakoipevog Axrjatvög „... das Apenninengebirge, das
einen See hat, der den Fluss Isar aussendet, welcher, nachdem er einen anderen
Fluss, den Atagis, aufgenommen hat, in die Adria mündet. Aus diesem See
fließt auch ein anderer Fluss ..., welcher Atesinos heißt.“; Paul. Diac. vor 799
(cop. 9710. Jh.) Atesisßuvius, (cop. 10. Jh.) Ataesis, (cop. 8.-10. Jh.) Adhesis;
855/64-1022/55 (cop. 1191) iuxta Adicem, 866 (cop. 10. Jh.) inter Adda et
Addiza, 9. Jh. zu 883 (cop. 11. Jh.) in Athesin fluvium, 1066 in Atesinßuvium,
180
1155 iuxtaflumen Athesis, 1240 flumen quodEzze dicitur, 1285 Etsch, 1288 die
Etsche, 1483 Athesis fluvius quod vulgariter Etsch nominatur. Den geogra-
phisch völlig wirren Angaben Strabons (63/64 v. - 20 n. Ch.) sind zumindest die
beiden richtigen Flussnamen zu entnehmen, wobei der aus einem See ent-
springende Fluss, in den der Atagis einmündet, der Adria zufließt. Geogra-
phisch ist jener Fluss mit dem Atesinos, der Etsch, zu identifizieren, in die bei
Bozen der Eisack, der Atagis, einmündet, der im ladinisch-Grödnerischen heute
noch Adesch heißt. Auch ital. Adige beruht auf dieser Form, deren romanische
Vorstufe *Adize die urkundlichen Überlieferungen von 855 und 866 festhalten.
Während die sonstigen, auf Atesinos zurückgehenden urkundlichen Belege bis
ins 13. Jahrhundert vermeintlich lateinisches Atesis tradieren, wurde die daraus
entwickelte romanische Form *Adisa früh ins Bairisch-Althochdeutsche über-
nommen und mit Medienverschiebung und Primärumlaut des 8. Jahrhunderts
zu *Etisa. Die Synkope bewirkte dann im 13. Jahrhundert den Lautwandel ts >
tsch (ANB I 1999 S. 337; Kühebacher II 1995, S. 65f.; Kollmann 2005, S. 140).
84. Pfatten!Bozen, Südtirol, SN: um 855/64-1022/55 (cop. 1191) Uatina, 1181
de Uatena, 1211 Vatena, 1236 Phatena, 1337 Pfethen, 1371 Phaetena;
lad.-nonsberg. Vadna, Vauna. Wohl < vlat. *Vaduna oder *Vadina zu lat.
vadum ,Furt\ da der Ort an der Etsch liegt; dial. ['pfatn] mit Sekundärumlaut1"
(ANB I 1999, S. 92; Kühebacher 1995, S. 315; Kollmann 2005, S. 151).
85. F77ft//Pustertal, Südtirol, SN: 994-1005 Uintulla, 1155-64 Uintile, 1178-89
in Uintil; ladin. 1334 Fendoys, heute Vendöies < rotn. *Vendolio, Komp, mit
kelt. PN. *Vindos + *ialo- ,Lichtung, Feld, Einöde* (Finsterwalder 1960/1990,
S. 79; Kühebacher 1995, S. 522; ANB i 1999, S. 360; Kollmann 2005, S. 151).
86. TaistenfWelsberg, Pustertal, Südtirol, SN: 769 Tesido, 861 Tesito, 981-84
in Thesitin-, 1050-65, 1070-80 in Tesitin; 1070-80 in Teisten, 1138-47 de
Teisten, 1155-64 Teisten < rom. *Tesedu, Etymologie unklar (Kühebacher
1995, S. 461; ANB I 1999, S. 220f.; Schürr 2006, S. 151).
87. Toblach, Pustertal, Südtirol, SN: 827 in vico [...] Duplago, 1190 de
Tohlach, 12. Jh. zu 1002-19 (1486) Topplach < rom. Duplagu, vlat. *Duplacu,
lat. *Dupläcum, eher mit lat. PN Dup(p)ius, Dup(i)lius als zu idg.
*dheup-/dhup- ,tief (Schwarz 1927, S. 269; Schwarz 1970, S. 888; Kühe-
bacher 1995, S. 477; ANB I 1999, S. 253; Kollmann 2005, S. 154; Schürr 2006,
S. 145).
Siehe 41. Kaltem 15
15 Die Angabe Kühebachers 1995, S. 315, der Name laute dial. ['pfqtn] ohne Umlaut,
ist, wie ich bei Einheimischen nachgeprüft habe, unrichtig.
181
6.1.2. Salzburg und oberbayerisches Gebiet um Bad Reichen-
hall
88. Türk!Bad Reichenhall, SN: 987-91 ad Turia; 1025-41 Durigo, adDuringa,
vor 1147 ad Törigi, 12. Jh. de Durge, 1409 Dürig, 1484 ze Türg < rom.
*Duriagu, vlat. *Duriacu, lat. *Duriäcum mit PN Durius (Wiesinger 2009).
89. +Petena. abgekommener Name für Salzburg bzw. einen Stadtteil: 798
(870-77) ecclesiae Iuvauensium que et Petena nuncupatur < rom. *Padina, lat.
patina ,Salzpfanne* (ANB II 2002, S. 905ff.).
90. AdnetfWd\\Qm, SN: 798-814 (12. Jh.) ad Atanate, 1130 de Atanath, vor
1193 (13. Jh.) Atnat < rom. *Adanade, vlat. *Atanate, wohl kelt. Komp, mit
at{e) ,über ... hinaus* und gall. anam ,Sumpf (Schwarz 1927, S. 263; Schwarz
1970, S. 897; Hörburger 1982, S. 35; ANB I 1999, S. 10f.; Lindner 2002, S. 539).
91. Dienten^bach) 1. Nfl. der Salzach bei Lend, danach Ort: 963 ad Tuontina,
1178 Tvnta < rom. *Duontina, idg.-vspr. zu idg. *dheu-/dhu- ,fließen* + -o-nt-
(ANB I 1999, S. 242; Lindner 2002, S. 541).
Siehe auch 57. Grödig
6.1.3. Niederösterreich
92. Leitha, r. Nfl. der Donau bei Bratislava/Preßburg: 833 (12. Jh.), 1045, 1051,
1074 Litaha < pannon. *Laidava oder * Lai das, lat. *Laedava oder *Laedavus
über got. *LTdahva zu langobard. *LTdaha/LTtaha = bair.-ahd. Litaha (Wie-
singer 1985, S. 33 lf; Wiesinger 1990, S. 290f.; ANB I 1999, S. 659f.).
93. +Hitinesperc, einst Name des Wechsels: 860 Uuitinesperc, Uuitinesberc',
10. Jh. für 985 Vuitinesperch, 1051 Vuitanesperch. Nicht zum ahd. PN Witini,
sondern idg.-vspr., antik/pannon. *Vidonia zu idg. *uidhu- ,Baum, Wald* - vgl.
den pannon. Waldgott Vidasus = lat. Silvanus - über urslaw. *Vidanja/*Vida-
nisce zu wohl schon langobard. und dann bair.-ahd. Witanes- (Wiesinger 1985,
S. 337; ANB II 2004, S. 1147f.).
Siehe auch 112. Pitten
6.2. (-)b- zu (-)/?-
6.2.1. Tirol
94. Brixen im Thale, SN: 788 (12. Jh.) ad Prixina, 927 ad Prihsinam < vlat.
*Brixina, kelt. zu gall. *brig- ,Anhöhe, Berg* (Schwarz 1970, S. 908; Anreiter
1997, S. 137; ANB I 1999, S. 163).
95. Brixlegg/Inn, SN: 790 (12. Jh.) ad Prisslech, 976 in Prislecca < rom.
*Brixlecca, kelt. mit gall. *hrig- ,Anhöhe, Berg* + rom. Suffix -ecca (ANB I
1999, S. 163).
182
96. AbsamlHall, Tirol, SN: um 995-1005 in loco Abazanes, Abazanes; 1071 />7
Abazan, 1180-1212 de Abazan < vlat. *Abuzanos, -u; lat. (ad) Abudianös
(fundös) mit kelt./lat. PN Abud(i)os/-us (Finsterwalder 1969/1990, S. 690f.;
1974/1990, S. 30; ANB I, S.2; Kollmann 2005, S. 136).
97. A/7i/7£i.ViS/Innsbruck, SN: 12. Jh. de Ampans, 14. Jh. für 1 145 Ampans < rom.
* Amban-, kelt. mit gall. ambe ,Bach‘ (Anreiter 1997, S. 137; ANB 1 1999, S.
31).
98. Stubai, Tal bei Innsbruck: 994-1005 adStupeia, 1100-15 in Stubaie < rom.
*Stubeia, idg.-vspr. mit idg. *(s)teup-/(s)tup- ,Stock, Stumpf (Anreiter 1997,
S. 84fT; ANB II 2003, S. 1057).
99. ? Brixen!Eisack, Südtirol, SN: 901 Prihsina, 935-55 Prixina. Siehe 94.
Brixen im Thale (Schwarz 1970, S. 908; Kühebacher 1995, S. 65; ANB I 1999,
S. 154ff.), Von Kollmann 2004 nun als rätisch *Priksena mit rät./etrusk. PN
*Prike erklärt, so dass Medienverschiebung entfallt.16
100. ? Albeins, bei Brixen/Eisack, Südtirol, SN: 955-62 Alpines, 1050-65
Alpines < rom. *Albin- zu vorröm. *alb- ,Anhöhe, Berg‘ (Kühebacher 1995, S.
29; ANB I 1999, S. 21).17
101. Sähen, Klausen/Eisack; Südtirol, SN: 799 (9. Jh.) de Sapione, 893 Sepona,
1142-47 de Sebene < rom. *Sabiona, vielleicht kelt. zu air. *sab- ,Schaft,
Stock, Pfeiler4 (Kühebacher 1995, S. 376f.; ANB II 2000, S. 898f.).
102. Barbian, bei Brixen/Eisack, Südtirol, SN: 994-1005 Parpian < lat.
*Barbiänum mit PN Barbius (Kühebacher 1995, S. 55; ANB I 1999, S. 62;
Kollmann 2005, S. 150).
103. Bozen, Südtirol, SN: 790 für 680 (9./10. Jh.) Bauzanum (Paul. Diac.); 769
Bauzono, 785 (9. Jh.) Pauzana, 1024-31 Pozana < rom. *Bauzanu, lat.
*Baudiänum oder *Bautiänum mit PN Baudius oder Bautius (Kühebacher
1995, S. 60; ANB I 1999, S. 138ff.; Kollmann 2005, S. 150).
104. Pustertal, Tal der Rienz und Drau, Südtirol: 995-1005 in comitatu
Pustrissa, 1002-04 de Pustrissa, 1078-91 de Pusteristal, 1177 Pusterstal < vlat.
*Busturissa, kelt. mit PN *Busturos (ANB I 1999, S. 183f.; Anreiter 2000, S.
147).
105. /Vags/Welsberg, Pustertal, Südtirol, SN: 1085-97 in loco Prages\ 1 143 für
996, 12. Jh. für 974 Pragas\ 1187 Prages; lad.-gadertal. Braies; < rom.
16 Bei ahd. <A$>/[.xs] für vlat. x handelt es sich nicht, wie Kollmann 2005, S. 149 an-
nimmt, um Tenuisverschicbung, sondern um Lautsubstitution für fehlendes [ks],
1 Denkbar ist auch Ableitung von lat. alpes ,Alpen* 1 als rom. * Alpin-, so dass dann
keine Medienverschiebung vorläge, wobei althochdeutsche Akzentvorverlagerung
auch im 9./10. Jahrhundert als möglich gilt.
183
*Bragas, kelt. mit gall. bracu ,Sumpf, Morast1 (ANB I 1999, S. 142; Anreiter
2000, S. 146; Kollmann 2005, S. 150).
Siehe auch 81. Wipp(tal)
6.2.2. Salzburg
106. EugendorftSalzburg, SN: 788-90 (12. Jh.) adlupindorf 798-800 (12. Jh.)
in villa [...] Iupindorf. Bair.-ahd. -dorf-Name mit lat. PN lubiänus (Hörburger
1982, S. 87f.; ANB I 1999, S. 338).
107. Alm, 1. Nfl. der Salzach, danach Orte Ober- und Niederalm/Salzburg:
798-814(12. Jh.) villa Albin, Albina; 1181 (12. Jh.) Alben < vlat. * Albino, -ana,
idg-vspr. mit idg. *albh- ,weiß4 (Schwarz 1970, S. 896; Hörburger 1982, S.
50f.; ANB I 1999, S. 26; Lindner 2002, S. 539f.).
108. ßr2ve«/Haidberg bei Bischofshofen, SN: 1348-1400 Prihsen. Siehe 94.
Brixen im Thale (Hörburger 1982, S. 50f.; Lindner 2002, S. 541).
109. Pongau, Raumname für das mittlere Salzachtal um St. Johann: 924 in
Bongouue, 930 ad Pongouue < *Bon- , wohl kelt. *bona ,Siedlung4 + ahd.
gouwi ,Gau, Gebiet4 (Hörburger 1982, S. 59; ANB 1 1999, S. 130ff.; Lindner
2002, S. 547).
6.2.3. Oberösterreich
110. +Poinstein, ehern. Burg bei St. Nikola a. d. Donau: 1035/36 apud
Pogicam caribdim, 1037 Boinstein, 11. Jh. zu 1045 (16. Jh.) Poienstein < vlat.
*Boina, lat. *Bogina\ kelt. mit gall. -bogio- von idg. *bhe(n)g-/bho(n)g- ,zer-
brechen, zerschlagen4 (OÖNB 11 2003, S. 88ff; Wiesinger 2004, S. 80).
6.2.4. Niederösterreich und Oberungarn
111. Ybbs, r. Nfl. der Donau bei Ybbs a. d. Donau: antik um 370 (12. Jh.) ad
Pontem Ises (Tab. Peut.), Ziegelstempel Figulinas Ivensianas Leg. I Nor.;
425-30 (15./16. Jh.) Adiuvense (Not. Dig.); 829 zu 788 (9. Jh.) in campo Ibose,
837 (13. Jh.) Ipusa, 863 inter [...] Ibusam, 995 Ipisa < rom. *Ivusa. Entweder
idg.-vspr. mit idg. *eiu-/iu-,gehen4 (Wiesinger 1985, S. 325f.; Wiesinger 1990,
S. 282f.; ANB I 1999, S. 546f.) oder kelt. mit gall. ivo- ,Eibe4 (Greule 2004, S.
3534).
112. Pitten, r. Quellfl. der Leitha: 869 ad Putinnu, 1096-1109 Butino, 1120-22
de Putine. Wohl idg.-vspr. *Budin(i)ä, Etymologie unklar, vielleicht mit dem in
rom. Sprachen nachweisbaren vlat. buda ,Schilf unbekannter Herkunft, inte-
griert über lautverschobenes langobard. *Putina oder weniger wahrscheinlich
über slaw. *B-bdin 'a (Wiesinger 1985, S. 330f.; Schuster I 1989, S. 28 lf.; ANB
I 1999, S. 109f.).
113. Raab, r. Nfl. der Donau bei Györ/Raab in Oberungam, in der Steiermark
entspringend: antik 2. Jh. (11. Jh.) ’Apaßd)v (Ptol.); um 300 (7. Jh.) Arrabone
184
(It. Ant.); um 370 (12. Jh.) Arrabo flumen (Tab. Peut.); 8. Jh. zu 791, 859 (12.
Jh.), 883 Raba\ 860 ad Rapam; 870 zu 796 (11. Jh.), 9. Jh. zu 884 (9./11. Jh.)
Hrapa, 982 iuxta Rapam. Entweder idg.-vspr. *erab- mit idg.
*ereh(h)-/oreb(h)~ .braun1 oder kelt. *Arabon als Kompositum mit gall. are
.östlich1 und gall. abon ,Fluss1. Grundlage der Integrierung ist wohl lango-
bardisch lautverschobenes *Rapa oder dessen volksetymologische Neumoti-
vierung *Hrapa ,die Räbin1 mit kurzem ä. Dagegen liegt slow, und magy. Räba
vlat. *Räba mit langem ä zugrunde (Wiesinger 1985, S. 332f.; ANB II 1999, S.
824f,; Anreiter 2001, S. 220ff.).
6.3. (-)g- zu (-)Ä-
114. Glas, Stadtteil von Salzburg, urspr. Gewässername: 798-800 (12. Jh.)
Clasd, 931 ad Glasani < vlat. *Glasa, kelt. *gla(s) ,grün, blau, grau1 (ANB I
1999, S. 416; Lindner 2002, S. 543).
Siehe auch 57. Grödig, 61. Muntigl, 64. Gois, 65. Gamp
7. Integrierte slawische und slawisierte Siedlungs- und Ge-
wässernamen mit Medienverschiebung von d und b
7.1. (-)d- zu (-)/-
7.1.1. Oberösterreich
115. (+)Tafersheim, einst SN für das Gebiet Linz-Zizlau und Steyregg, bis
1936 Hausname des Spitals in Steyregg: 885 (12. Jh.) ad Taberesheim, 32. Jh.
für 1111 Tabrisheim, um 1200 für 1122 Tauirsheim, 1125-47 aput Tauirs-
heimin. PN urslaw. *Däbrb, slaw. *Dobrb mit slaw. dobrb ,guf + ahd. heim
(ANB I 1999, S. 219; Wiesinger 2004, S. 76; OÖNB 10 2006, S. 10ff.).
116. Tobersbach, 1. Nfl. der Donau in Steyregg: 1512 Tobersbach. Komp, mit
slaw. PN *Dobrt + bair.-ahd. pah ,Bach\ Siehe 105. Tafersheim (OÖNB 10
2006, S. 11 ff.).
117. Tobra, 1. Nfl. derNaarn: 1114(1370) Tabaraha; 1142, 1273 (1840), 1276
(1511) Tabra < urslaw. *Däbra, slaw. * Dobra wohl zu slow, dobra wasser-
reiche Gegend1 (OÖNB 11 2003, S. 55f.; Wiesinger 2004, S. 75f.).
118. Diminger, Hof in Bad Kreuzen; +Diming, 1. Nfl. der Donau bei Grein,
heute Kreuzner- oder Kämpbach: 1037 Dumilicha, 3049 Tvminichi, 1405
Tumikh, 1430 Tuming, 1849 Timingbach < slaw. *Dbmbnika/Dbmblika, Slawi-
sierung entweder von kelt./vlat. *Dumiom/-um für den Burgberg von Grein
(heute Greinburg), auf Gewässer übertragen, oder von germ. *Dummö (Wie-
singer 2004, S. 76f.).
185
7.1.2. Kärnten
1 19. Drau, r. Nfl. der Donau, entspringend im Südtiroler Pustertal: antik 1. Jh,
Draus (Plin. d. Ä.), Dravus (Martial); um 790 (8. Jh.) Dravus, (9. Jh.) Draus
(Paul. Diac.); 811 (13. Jh.) Dravus, 816 (12. Jh.) Draus, 878 per fluvium
Traam, 1022/23 Trä fluvium, 1060-70 iuxta flumen Traha < pannon.-lat.
Dravus, idg.-vspr. mit idg. *dreu-/drou- ,laufen, eilen1, über slaw. *Drava zu
bair.-ahd. Tra (Kranzmayer 1958, S. 55; ANB 1 1999, S. 273f.; Kühebacher II
1995, S. 51; Anreiter 2001, S. 238ff.).
7.2. (-)/>- zu (-)p-
7.2.1. Oberösterreich
120. Paynberger, Hof bei St. Nikola a. d. Donau: 1 170-80 de Bagen 1170 de
Paine, 1182/83 (14. Jh.) de Pahin, 1209 de Beien < vlat. *Boina, lat. * Bogina,
siehe 110. +Poinstein, über slaw. *Bojbna zu bair.-ahd. *Pai(Ji)na (OÖNB 11
2003, S. 88ff; Wiesinger 2004, S. 80).
121. Sarming, 1. Nfl. der Donau bei Grein: 998, 1037, 1049 Sabinicha-, slaw.
*Zabunika zu zaba ,Frosch, Kröte4 (ANB 11 2002, S. 966; OÖNB 11 2003, S,
90f.; Wiesinger 2004, S. 80).
122. Sarning/Steyr, SN, ursprünglich Gewässername: 983-91 Sapinicha,
985-91 (11. Jh.) Sapinihca. Siehe 121. Sarming (OÖNB 7 2001, S. 155f.; ANB
II 2002, S. 966; Wiesinger 2004, S. 80).
123. Raming, r. Nfl. der Enns bei Steyr: 1092-1121 (vor 1177) Rubinicha.
124. Raming, r. Nfl. der Enns bei Reichraming, 1. Nfl. der Enns bei Groß-
raming: 1140 a fluuio Röbinich. Urslaw, *Rübbnika, slaw. *Rybbnika zu
urslaw. *ruba, slaw. *rvba ,Fisch" (OÖNB 7 2001, S. 117, 121; ANB II 2002,
S, 836f.; Wiesinger 2004, S. 80). 125 126
125. Gaflenz, r. Nfl. der Enns bei Weyer: 1. vor 1 177 Abilenze, 1180-90 für
1129 Abelenzi, vor 1240 für 1150 Abilenci. 2. 1140, um 1160, vor 1177
Avelenze, um 1177 (12. Jh.) Auelenzi, 1179 Auelenz. 3. 1180-86 Gavilenz;
1265-74 für 1163 Gauelenz. Zu 1.: Slaw. *Abolbnica mit älterem slaw. *aholnb
,Apfel4 zu bair.-frahd. *ApoIinitza. Zu 2.: jünger zu bair.-ahd. *AvoIinitza. Zu
3.: Slaw. *Jablonica mit jüngerem slaw. jablonb ,Apfel4 zu bair.-ahd.
*Gavalentza (OÖNB 7 2001, S. 142E; ANB 1 1999, S. 342; Wiesinger 2004, S.
81).
126. (?) Palten, r. Nfl. der Steyr bei Frauenstein: 1313 an der Palten. Urslaw.
*Baltina zu urslaw. *ba/ta, slaw. blato ,Sumpf (OÖNB 7 2001, S. 74; Wie-
singer 2004, S. 80). Nach Schelesniker 1968 und 1989 handelt es sich jedoch
hier und bei allen weiteren derartigen Gewässernamen nicht um die Basis
urslaw. *bälta, sondern um urslaw. *Pälta von urslaw. *pälti, päjlq in slow.
186
plati, poljem ,in wallende Bewegung versetzen" von idg. *pel-lpol-lp}-,gießen,
fließen".
127. Pyhrn, Pass an der Grenze Oberösterreich/Steiermark: 1146 infra Pirdine
[...]; 1194 zu 1146, 1197 infra Pirdin [...]. Slaw. *Bbrdbno zu slaw. *bbrdo
,Berg, Hügel" (ANB I 1999^ S. 186; OÖNB 7 200!, S. 6; Wiesinger 2004, S.
80f.).
Siehe auch 115. Tafersheim, 116. Tobersbach, 117. Tobra
7.2.2. Niederösterreich
128. Pielach, r. Nil der Donau bei Melk: 811 (11. Jh.) Bielaha, 831 Belaa.
1072-91 Pilahi, Pielaha. Slaw. *Béla zu slaw. héla ,weiß" (Wiesinger 1985, S.
348; ANB 1 1999, S. 98).
129. Laiben!Krems, SN: 860 ad Liupam, 984 (13. Jh.) ad Liuhinam, 1002
Liupna, 1019 Liupana . Wohl slaw. *L ’ubina ,liebliche Gegend" zu slaw. I’ubb
,lieb4 (Wiesinger 1985, S. 350; ANB 1 1999, S. 682), wenn nicht Umdeutung
einer ungeklärten gleichlautenden Ableitung von idg. *Ieu-/leud-, lü-,Schmutz,
beschmutzen; Schlamm" (Udolph 1990, S. 152ff.; Lochnerv. Hüttenbach 2008,
S. 22f. für gleichlautendes Leoben/Steiermark).
130. (?) Palt. Waldgebiet bei Arnsdorf/Donau: 984 (13. Jh.), 10. Jh. für 885,
1051, 1057 inter silvam Paltam < urslaw. *Balta zu urslaw. *balta, slaw. blato
,Sumpf (ANB I 1999, S. 61). Siehe 126. Palten.
131. (?) Palt/Krems, SN, einst r. NO. der Donau, heute Halterbach: 1072-91 ad
Pal ta, 1108 rivus Balta. Siehe 130. Palt (Wiesinger 1985, S. 348; ANB 1 1999,
S. 61).
132. Perschling, r. Nfl. der Donau bei Tulln: 893 ad [...] Persiniccham, 1045
Persinich, 1072-91 inter duas Persnicchas, 1108 Persnich. Urslaw. *Berznnika
zu urslaw. *berza, slaw. breza .Birke" (Wiesinger 1985, S. 348; ANB I 1999, S.
83f.).
133. Trübensee/TuWn, SN: 971-77 für 823 ad Trebinse, 985-91 Trepinse.
Bair.-ahd. Komp, mit slaw. PN *Trébbnb und ahd. sêo ,See" (Schuster 1 1989,
S. 443f.; ANB I 1999, S. 287).
7.2.3. Steiermark
134. (?) Palten, r. Nfl. der Enns bei Liezen, danach Paltental: 1041 Baital,
1048 in valle [...] Palta, 1090-1111 (13. Jh.) in Palta, 1030-35 (13. Jh.) flumen
Palta. Siehe 126. Palten (ANB I 1999, S. 61; Lochner v. Hüttenbach 2006, S.
94; 2008, S. 36).
135. TriebenfPa\tenta\, SN: 1130-35 (13. Jh.) in valle Trieben, 1150 (13./19.
Jh.) apud Trieben. Slaw. *Trêbhna /Trébina zu trëbiti .roden" (ANB I 1999, S.
283; Lochner v. Hüttenbach 2006, S. 122; 2008, S. 49).
187
136. ? Pols, 1. Nil. der Mur bei Zeltweg: 860 ad Pelisam, 1051 Pelisa, 1145 de
Pelse. Entweder vlat.*Balisa, idg.-vspr. mit idg. *bhel-/bhol- ,weiß, glänzend1
über urslaw. *Bälbsa (ANB 1 1999, S. 128f.) oder vlat. *Palisa, idg.-vspr. mit
idg. *pel-/pol- ,gießen, fließen' über urslaw. *Pälbsa (Lochner v. Hüttenbach
1991, S. 152; 2008, S. 23; ANB 1 1999, S. 128).
137. Leoben!Mur, SN: 982, 991-1023 (1075), 1051 Liubina, 1020 Liubana,
1135 (13./19. Jh.) Hüben. Siehe 129. Loiben(ANB I 1999, S. 663 f.; Lochnerv.
Hüttenbach 2008, S. 22f.).
138. Sulm, r. Ntl. der Mur bei Leibnitz: antik 1. Jh. Flavia Solva (Plinius d. Ä.),
860 ad Sulpam, 982 Sulpa < vlat. Solva, wohl kelt. zu idg. *suel-/sul-
,schwellen' über slaw. *Solba zu bair.-ahd. Sulpa (Lochner v. Hüttenbach
1991, S. 153f.; 2008, S. 24; ANB II 2003, S. 1061).
8. Wiedergaben von roni. c- und slaw. k- in der bairischen
Ortsnamenüberlieferung bis 1200 in Auswahl
8.1. Die Integrierung von rom. c- als bair.-ahd. (A|/<c, g> mit
Weiterentwicklung zu bair.-mhd. [g|/<g> und nhd. G-
8.1.1. Oberösterreich
Siehe 71. Gurten, 76. Gampern
8.1.2. Salzburg
Siehe 64. Gois, 65. Gamp, 69. Gugilan
8.1.3. Tirol
139. Gampas/Ha\\, SN: 1157 de Gambs < vlat. *{ad) Campos, PI. von rom.
campu, lat. campus ,Leld, Ebene’ (ANB 1 1999, S. 396).
140. Gölzens/lnnsbruck, SN: 1087-91 de Gecinis, 1140-62 Gecenes < rom.
*Caci-, idg.-vspr. *katiä ,Hütte' zu idg. *kat- .flechten' (ANB I 1999, S. 434).
141. Gußdaun/Klausen, Südtirol, SN: 948-57 in Cubidunes, 1139 Gubedun,
1177 Cuuedun, 1260 Gubdawe, 1273 Guwidaun < rom. *Cuvedone, zu lat.
cubitus .Ellbogen' (Kühebacher 1995, S. 147; ANB I 1999, S. 460).
142. Guß, Leis der Burg Sigmundskron, +Guflhof bei Bozen, Südtirol:
1175-90 de Guuele, 1181 de Cuualo < rom. *Cuvulu, lat. *cubulum ,Fels,
Höhle' (ANB I 1999, S. 460). 143
143. Girlan!Bozen, Südtirol, SN: 1085-97 Curinlan, 1 155-64 de Curlan, 1166
Gurlan, 1234 de Gurlano < rom. *Curnelianu, lat. *Corneliänum mit PN
Cornelius (Kühebacher 1995, S. 130; ANB I 1999, S. 413; Kollmann 2005, S.
149).
188
144. Graun/Tramin, Südtirol, SN: 855-1055 (12. Jh.) Corone, 1191 (13. Jh.) in
Curoni < rom. *Curona von rom. curona abgerundeter Fels4, lat. coröna
.Kranz4 (Kühebacher 1995, S. 141; ANB I 1999, S. 442).
145. GVwr/i.v/Vinschgau, Südtirol, SN: 1163 de Glumis, 1 173 de Ghtrnes; 1178,
1182 de Clurne < rom. *Clurina von *Culrina mit vlat. corilus ,Haselstaude4
(Kühebacher 1995, S. 133f.; ANB I 1999, S. 420f.).
8.2. Die Integrierung von slaw. k- als bair.-ahd. [k\/<c, g> mit
Weiterentwicklung zu bair.-mhd. Lg|/<g> und nhd. G-
8.2.1. Oberösterreich
146. Gloxwald!Grein, Wald- und SN: 1147 (1498) Clogges, 1229 fiir 1147
Gtokis, 13. Jh. für 1347 Gloks < slaw. *Klokosb zu klokotati .brodeln, hervor-
sprudeln4 (ANB I 1999, S. 420; OÖNB 11 2003, S. 103f.).
147. Gleink/Steyr, SN: 1104-16 de Clunnic, 1123 de Clunicken; 1160, 1170
(12. Jh.) de Gluniche, 1175 de Glunich, 1263 de Glvnich; wohl kelt.-lat.
*Clunia zu gall, chm ,Wiese4, über urslaw. *Klünbka, *Kl'ünbka (OONB 7
1999, S. 21 If.; ANB I 1999, S. 416f.).
8.2.2. Niederösterreich
148. Goßam/Me\k7 SN: 1135 de Gossisheim, 12, Jh. für 1075 de Gosheime,
1330 Gozzhaim; bair.-ahd. Komp, mit slaw. PN *Kosb und ahd. heim (Schuster
II 1990, S. 128f.; ANB I 1999, S. 397).
149. Gansbach/Melk, SN: 1 182-89 de Kampzisepach, 1182-96 de Gamcibach,
1182-94 de Gamizpach, 1250-60 in Gaentzpach < slaw. *Kamenica von slaw.
*kamenb ,Stein4 (Schuster II 1990, S. 79f; ANB I 1999, S. 397).
150. Goslarn/Geras, SN: 1130-50 de Gozlaren, 1333 Gozslarn; bair.-ahd.
-er/7-Bildung mit slaw. *kozbh ,Ziegenhirte4 (Schuster II 1990, S. 79f.; ANB I
1999, S. 397).
151. Gaulitsch/Laa a. d. Thaya, SN: 1095 in Gevvatisprunnen, 1063 in
Gouuazesbrunnen, 1150 de Gowates, 1177-85 de Gowats, 1250-60 Gawatsch;
von slaw. kovacb .Schmied4 oder gleicher PN (Schuster II 1990, S. 87f.; ANB I
1999, S. 404).
8.2.3. Salzburg
152. Gastein/Zell am See, r. Nfl. der Salzach, danach SN: 963 Castuna, 1023
Gastuina, 1057 Gastuna < vlat. *Castuna, idg.-vspr. Komp. *kasdo-dhunä
,weißgrauer Fluss4, über slaw. *Kastvna (ANB I 1999, S. 403; Lindner 2002, S.
542).
189
153. Gensgitsch!Tamsweg, Berg- und SN: 1 130-35 (13. Jh.) ad Konskize <
slaw. *Kon'isce mit *konb ,Pferd4 (ANB 1 1999, S. 406).
8.2.4. Kärnten
154. Gößeberg/St. Veit a. d. Glan, SN: 958-91 (1060-88) in Cosiach, 991-1023
(1075) de Coziah, 1150 ad Goziah < slaw. *Kozachb, Lok. von *Kozane mit
*koza ,Ziege4 (Kranzmayer 1958, S. 88; ANB 1 1999, S. 429).
155. Guttaring!St. Veit a. d. Glan, SN: 1106 de Gutärih, 1160 (13. Jh.) de
Gutarche, 1162 Gutarih < slaw. *Kotarbkb von *kotarb ,Hürde4 (ANB I 1999,
S. 475).
156. Gurk, 1. Nfl. der Drau bei Völkermarkt, danach Ort: 831 in Curcam, 864
(13. Jh.) Kurca, 898 Gurca; 982, 1051, 1057 Curca; 1060 Gürka; 1106, 1124
Gurca < slaw. *Kurka, idg.-vspr. mit idg. *kor-kö/kr-kö ,Sumpf, Kot4 (ANB 1
1999, S. 465ff).
8.2.5. Steiermark
157. Göß, r. Nfl. der Mur bei Leoben, danach Ort: 904 Costiza, 10. Jh. Cozza,
1020 Gossia\ 1188, 1197 Gosse; 1258 Goes. Eventuell zu slaw. *kosa ,Berg-
mahd4 oder *koza ,Ziege4 (Zahn 1893, S. 222f.; ANB 1 1999, S. 428f.) oder zu
slaw. *gvozdb, slow, gozd ,(trockener) Wald, Bergwald4 oder von einer Kurz-
form *Gost- eines slaw. PN (Lochner v. Hüttenbach 2008, S. 58f.).
158. Grö//fl/Leibnitz, SN: 1170 (14. Jh.) in Graeläw, 1265 Grelaw, 1268
Graelaw < slaw. *Kral'ev- oder *Kral’ov- zu kralb ,König4 bzw. einem PN
*Kralb (Zahn 1893, S. 227; ANB 1 1999, S. 438; Lochner v.^Hüttenbach 2008,
S. 89).
8.3. Die Integrierung von rom. c- und slaw. k- als bair.-ahd. k
/<c, k> mit Beibehaltung als mhd. k /<c, k> und nhd. K-
bis 1200 in Auswahl
8.3.1. Rom. c-
8.3.1.1. Südtirol
159. Äarwi//Brixen, SN: 1050-65 Corniol; 1155-64, 1179, 1274 de Curnol <
rom. *Curneolu zu lat. cornu ,Hom4 oder cornus ,Hartriegel, Kornelkirsche4
(Kühebacher 1995, S. 188; ANB 1 1999, S. 583). 160 * * * *
160. Kastelrüth/Bozen, SN: 982-87 Castellorupto, 1050-65 Castelruttes; 1140,
155-60, 1 178-81 Castelrut; 1189-96 Kastelrut, 1227 Castelrut < rom.
*Castelluruttu, Komp, mit lat. castrum Befestigungsanlage, Burg4 und lat.
ruptum ,zerbrochen" im Sinne von ,zerstörte Befestigungsanlage4 (Kühebacher
1995, S. 191f.; ANB I 1999, S. 584).
190
161. KäntpidelUJenesien bei Bozen, SN: 1186, 1282 in Campedell < rom.
*Campidellu, vlat. *Campitellu, Dirn, von lat. campus ,Feld, Ebene4 (Kühe-
bacher 1995, S. 181 f.; ANB I 1999, S. 577).
8.3.2. Slaw. k-
8.3.2.1. Kärnten
162. Afa/TiAwrg/Klagenfürt, SN: 888 (13. Jh.) Carentano; 927, 982 Carantana;
1051,1057, 1199 ad Carantanam, 1178 ad Karantanam, 1201 Chaerenpurch;
lat. *Carantäna Kärnten", idg.-vspr. mit idg. *kar- ,hart, Stein4 (Kranzmayer
1958, S. 115f.; ANB I 1999, S. 583).
163. Kraig/St. Veit a. d. Glan, SN: 1091 (13. Jh.) de Kriwig, 1106 de Griwiggi,
1123 de Criwig, 1140 de Criwich, 1172 in Chriwich, 1192 de Griwich < slaw.
*Krivka zu krivb ,krumm4 (ANB 1 1999, S. 613f.).
8.4. Die Integrierung von rom. c- und slaw. k- durch Substi-
tution mit bair.-ahd. \kx\/<ch>
164. Kortsch/Schlanders, Vinschgau, Südtirol, SN: 931, 1074 Chorzes, Ety-
mologie unklar (Kühebacher 1995, S. 202f.; ANB 1 1999, S. 612).
165. Ä0Äc/iz/Knittelfeld, Steiermark, einst Gewässername, SN: 860 ad
Chumbenzam, 1197 Chumbence; vlat. *Cambentia, kelt. mit camb-,krumm4
über slaw. *KQbqea (Holzer 1997, S. 84; ABN I 1999, S. 607; Lochnerv. Hüt-
tenbach 2008, S. 21).
166. Köflach, Weststeiermark, SN: 1170 Chouelach, 1322 Choeflach, 1352
Chöfla < slaw. *Kobyl'achb, Lok. von *Kobyt'ane zu kobyla ,Stute4 (ABN 1
1999, S. 607; Zahn 1893, S. 105; Lochner v. Hüttenbach 2008, S. 46).
167. Grundlsee/Bad Aussee, Obersteiermark: 1188 (13./19. Jh.) Chrungilse,
1300 Chrungelse < slaw. *Krpglb ,rund4 + mhd. se ,See4 (ABN 1 1999, S. 457;
Zahn 1893, S. 240; Lochner v. Hüttenbach 2008, S. 37). 168
168. AVMft/Hollabrunn, Niederösterreich, SN: 1129-37 (12. Jh.) Chubilizi,
1230 Chublitz < slaw. *Kobylica mit slaw. kobyla ,Stute4 (Schuster II 1990, S.
371; ABN I 1999, S. 590).
191
9. Erläuterungen zur Zweiten Lautverschiebung und zur
Wiedergabe von rom. v in Ortsnamenintegraten antik-ro-
manischer Herkunft
9.1. Allgemeines
Karte 5 mit der Verbreitung integrierter antik-romanischer Siedlungs- und
Gewässernamen südlich des römischen Limes an Altmühl und Donau zeigt in
den altbairischen Gebieten Ober- und Niederbayerns und der südlichen Ober-
pfalz sowie Oberösterreichs bis zur Enns die vollständige Durchführung der
Tenuesverschiebung von t, p, k je nach Position zu den Affrikaten bair.-ahd.
(-)z, (-)pf(-)ch- bzw. zu den Frikativgeminaten -zz-, -ff-, -hh-, wobei es im
genannten Bereich keine Beispiele für den Labial -ff- gibt. Fraglich bleibt das
Verhalten der lateinischen Lautfolge -tia, die bereits vulgärlateinisch palata-
lisiert und zur Affrikata [/.v] assibiliert wurde. Das wird von Schwarz angesichts
der Etymologie für Jarzt angenommen und für Gerzen, Kallmünz, Kollmitz-
berg, Polsenz und Scharnitz offen gelassen. Gilt für Linz und wahrscheinlich
auch für Kollmitzberg die noch zu nennende frühe, bereits germanische Inte-
grierung, dann musste vlat. [A] mangels einer germanischen Entsprechung mit
dem Plosiv t als nächst verwandtem Laut substituiert werden und konnte dann
der Lautverschiebung zur Affrikata unterzogen werden. Je nach dem Zeitpunkt
der Übernahme, der nur für Jarzt spät vermutet wird,ls liegt also Substitution
und Lautverschiebung oder Übernahme der romanischen Affrikata in das neue
Konsonantensystem vor.
Die Verbreitung der Tenuesverschiebung korrespondiert, wie der Vergleich
der Karte 5 mit den Karten 3 und 4 zeigt, mit dem Vorkommen der beiden
ältesten makrotoponymischen Ortsnamentypen auf -ing und -heim, wobei
letzteres als der etwas später produktiv gewordene Ortsnamentypus gegen die
Ränder aussetzt. Die Südgrenze der -zwg-Namen liegt gegen den Beginn des
Berglandes, was besonders schön an der östereichischen Osthälfte in Salzburg
bis vor die Stadt und im südlichen Oberöstereich bis zum Atter- und Traunsee
deutlich zu sehen ist. In dieser Grenzzone vom Walchensee über den Chiemsee
bis zum Attersee treten auch die Walchen-Namen auf, die in der deutschen
Sprache auf den Bevölkerungsgegensatz von Baiem und Romanen hinweisen
und natürlich von den Baiern vergeben wurden. Bis hierher reichen auch die
bairischen Reihengräberfelder des 6. und 7. Jahrhunderts.19
Dieser gemeinsame Verbreitungsraum der beiden Ortsnamentypen gilt als
der Bereich der bairischen Ethnogenese und als das anfängliche Siedlungs-
gebiet der Baiem, wobei Oberösterreich, wenn nicht schon anfänglich dazuge-
hörig, sich spätestens im Lauf des 6. Jahrhunderts anschließt. Zwar wird der
ls Vgl. Schwarz 1970, S. 874, der sich zu rom. -tia S. 872 näher äußert.
iy Vgl. die Karte bei Stornier 2002, S. 28f.
192
Baiernstamm erstmals 551 in der Getica des Jordanes genannt und werden dann
565 die Baiem von Venantius Fortunatus als Siedler östlich des Lechs bezeugt,
aber die Historiker gehen davon aus, dass sich der Name bereits um 525 in der
verlorenen Gotengeschichte von Theoderichs Kanzler Cassiodor befunden hat.
In der Politik Theoderichs (492-526) gegenüber den Franken und Thüringern
spielte nämlich neben den Alemannen auch der bis dahin namenlose Raum der
Baiern eine wesentliche Rolle, so dass dieser neugebildete germanische Stamm
einen Namen erhalten musste.20 Obwohl immer wieder neue, aber linguistisch
unhaltbare Etymologien des Baiemnamens vorgetragen werden,21 behält die
auf Kaspar Zeuß zurückgehende Erklärung als , Männer aus Böhmen1, also mit
dem auf die Germanen übertragenen Namen der dort einst siedelnden
keltischen Boier, weiterhin ihre linguistisch einwandfreie Gültigkeit.'“ Nach
den Erkenntnissen der Archäologie kann es sich dabei nur um eine im Donau-
raum um Straubing - Regensburg sich ansiedelnde namengebende Zuwande-
rergruppe handeln,'' was allerdings heute wieder von einigen Archäologen in
Frage gestellt wird.'4 Denn bereits zur Römerzeit wurden seit dem 3. Jahrhun-
dert Germanen zunächst als Söldner im Heer und danach als Veteranen mit
ihren Angehörigen zahlreich angesiedelt.'' Sie stammten als Elbgermanen aus
dem freien Germanien jenseits von Altmühl und Donau, wie auch das Bairische
gleich dem verwandten Alemannischen und Langobardischen elbgermanische
Prägung aufweist.2'’ Zu ihnen kamen neben Alemannen und restlichen Roma-
nen dann noch germanische Heeresangehörige aus dem Osten wie Goten und
weitere ostgermanische Splittergruppen der Rugier, Heruler, Skiren und Gepi-
den, was sich besonders aus neueren Gräberfunden und Namenzeugnissen
ergibt.2 Die sich um 500 im Land selber vollziehende Stammesbildung der
Baiem geht also aus einer Vielzahl ethnischer Gruppen germanischer Herkunft
und restlichen Romanen unter vorherrschendem elbgermanischen Element vor
sich,22 so dass Historiker auch von einer Colluvies gentium sprechen.'4 Auf 20 21 22 23 * * * * * 29
20 Vgl. Wolfram 1985, S. 105ff.; Reindel 1988; Störmer 2002, S. 25ff.
21 Vgl. Reitzenstein 2005/06.
22 Vgl. u.a. Rosenfeld 1987 und Reiffenstein 1987.
23 Vgl. zusammenfassend Fischer/Geisler 1988.
'4 So vom Archäologen Rettner 2004, der auch trotz der Zustimmung von Reitzenstein
2005/06, S. 1 Off. eine kaum überzeugende neue Baiern-Etymologie vorträgt, die von
einer angeblich breiten anfänglichen Romanität in Bayern ausgeht,
' Das ergibt sich aus den Skelettanalysen für Linz, vgl. Kloiber 1951.
'6 Vgl. Wiesinger 2005.
Vgl. dazu nun Haubrichs 2006.
'x Vgl. neben Fischer/Geisler 1988 auch Reindel 1988 und Störmer 2002, S. 25ff.
29 Vgl. Wolfram 1995, S. 283.
193
Germanen der Frühzeit geht in Oberöstereich in Liniesnähe die bereits germa-
nische Integrierung der Ortsnamen Lentia/Linz, OvilavisIWels und Lau-
reacolLorch mit germanischer Tonerhöhung von e > i vor Nasal + Konsonant,
Brechung von / > e vor a und morphologische Transformierung vom lateini-
schem Neutrum zum germanischen Femininum (ö > a) zurück, die dann ins
Bairische weiter tradiert wurden.1,1
Bezüglich der Herkunft und der Datierung der Tenuesverschiebung im bai-
rischen Kemraum lässt sich unmittelbar nichts aussagen. Sie kann entweder
autochthon im Sinne der Entfaltungstheorie als eigenständiger genetischer
Prozess erfolgt sein, oder sie kann im Sinne der Wellentheorie unter nachbar-
lichem Einfluss übernommen und durchgeführt worden sein, was ebenfalls
erwogen wurde. '1 In Frage kommen dann die Alemannen im Westen oder die
Langobarden südlich der Alpen. Letztere brachten 568 bei ihrem Einzug in
Italien bereits die Tenuesverschiebung von (-)/- zur Affrikata z- bzw. Frikativ-
geminata -ss- aus Pannonien mit, was besonders aus den für die Jahre 575 bzw.
581 bezeugten lautverschobenen Namen der Langobardenherzöge Zaban von
Pavia (vgl. anord. tafn ,Opfer, Raub, Nahrung4) und Grasulf von Istrien (vgl.
mhd. graz < grat- ,wütend, zornig4) hervorgeht.Was aber zur Datierungsfra-
ge beitragen kann, sind die wenigen Ortsnamen mit Tenuesverschiebung in den
westlichen romanischen und den östlichen slawischen Gebieten und da insbe-
sondere in den dem ursprünglichen bairischen Kernraum am nächsten gelege-
nen Kontaktzonen. Dazu ist es notwendig, auch die außersprachlichen Fakten
heranzuziehen. Wir werden im Folgenden versuchen, zunächst die inner-
sprachlichen Chronologien zu gewinnen und dann mit Hilfe außersprachlicher
Faktoren ihre wahrscheinlichen absoluten Chronologien annähernd festzu-
machen, wobei wir von Gebiet zu Gebiet fortschreiten und die gewonnenen
Einsichten jeweils sukzessive ergänzen. 30 31 32
30 Vgl. Wiesinger 2004, S. 48ff.
31 Eine kurze Übersicht gibt Braune/Reiffenstein 2004, S. 92f.
32 Vgl. Bruckner 1895, S. 164ff.; Steche 1937, S. 11; Höfler 1958, S. 335. Wagner
2001, S. 125 bezweifelt zwar die Etymologie und damit die Tenuisverschiebung von
Zaban, nimmt dafür aber erstmals als sehr frühes Zeugnis für die Tenuisverschiebung
von -k- zu -ch- mit Lautersatz zu -s- den von Prokop für 535 überlieferten Namen des
Langobarden cPioiovAcpoq aus germ. *RTka-wulpaz an. Für Haubrichs 2010 ist die
langobardische Tenuesverschiebung von t, p, к zwar für das späte 6. Jahrhundert
schriftlich bezeugt, kann aber anhand des von Prokop überlieferten PN nicht mit
Sicherheit nach Pannonien zurückverfolgt werden, denn sein Erstglied kann auch auf
germ. *wrisjaz ,Riese4 (vgl. as. wrisi) beruhen. Außerdem ist nach Haubrichs 2009,
S. 219 der in Italien beobachtbare romanische Ersatz von langob. [x,^] durch <s> im
Norden und durch <.«:> in der Toscana erst im 8. Jahrhundert mit deutlicher Zu-
nahme ab 740/50 eingetreten. Die Medienverschiebung von d, b, g begegnet nach
Haubrichs 2010 vereinzelt zwar ab etwa 630, doch stammt die schriftliche Über-
lieferung frühestens aus dem 8. Jahrhundert. Nach Haubrichs 2009, S. 21 Off. ist sie
erst nach der Tenuesverschiebung und bereits in Italien erfolgt.
194
9.2. Die Tenuesverschiebung und die Wiedergabe von rom. v
in Tirol
Im westlichen Gebiet dichter Verbreitung von Ortsnamen antik-romanischer
Herkunft herrschen besonders im Nordtiroler unteren und mittleren Inntal und
in dem zum Brennnerpass führenden Wipptal mit dem anschließenden Süd-
tiroler Eisacktal als einer uralten, bereits in der Römerzeit sehr wichtigen und
stark frequentierten Süd-Nord-Verbindung über die Alpen und dann in dem
nach Osten führenden Pustertal die unverschobenen Ortsnamen vor. Auf diesen
Strecken befinden sich aber einzelne Ortsnamen mit Tenuesverschiebung, wie
Karte 5 zeigt. Die Verschiebung von (-)/- zu (-)z- gilt unbestritten in Zirl in
Nachfolge des römischen Kastells Teriolis, während der Name des Flusses
Ziller jüngst als romanisch mit nur scheinbarer Lautverschiebung zu erklären
versucht wird. Zirl befindet sich westlich von Innsbruck und liegt an jener west-
lichen alten Römerstraße, die von Augsburg/Augusta Vindelicorum über Gar-
misch-Partenkirchen/Par/awo, Scharnitz und den Seefelder Sattel ins Inntal und
über den Brenner ins Eisacktal nach Süden führte.3 ' Da in PartanolParten-
kirchen, das im länger romanisch verbliebenen Werdenfelserland liegt, die
Lautverschiebung unterblieben ist, ist in Scarcmtia/Schamitz romanische
Assibilierung wahrscheinlicher als Tenuisverschiebung. Obwohl die Verschie-
bungen von (-)p- zu (-)pf- neuerdings in Zweifel gezogen werden, '4 befindet
sich im mittleren Inntal bei Wörgl Langenkampfen, liegen dann auf der unmit-
telbaren Brennerstrecke im Wipptal Pfons und der abgekommene Hofname
,Kumpfer< sowie im Eisacktal die bei Gossensaß einmündende Pßersch. Am
Eisacktal selber haftete einst der Name der römischen Provinz Noricum mit
Tenuisverschiebung von -k- zu -hh- als +Nurihtal. Die seit langer Zeit als fest-
stehend betrachtete selbe Tenuisverschiebung im Pustertaler Ortsnamen
Innichen wird heute gelegentlich bezweifelt.
Die Gründungsurkunde von 769 des vom Baiemherzog Tassilo III. zur
Missionierung der östlich benachbarten Slawen gestifteten Klosters spricht
nämlich von einem leeren und unbesiedelten (inanis et inhabilitabilis) Gebiet,
in welchem India quod vulgus Campo Gelau vocantur errichtet wird, während
die Urkunden von 822 und 827 den Ort IntihhaHnticha und von 828 mit der
neuerlichen volkstümlichen Zusatzangabe ad Inticha quod dicitur Campo
Gelau nennen. Sollte India keine Neubenennung,35 sondern romanische Kon-
traktion sein, so setzt diese rom. *Indiga mit romanischer Inlautlenierung und
dann geschwundenem spirantisierten stimmhaften g voraus. Dagegen muss die * * *
Vgl. Stain 1982, S. 202f.
'4 Dies geschah schon, doch nicht überzeugend von Mayerthaler 1985/86 und wird nun
wieder ohne nähere Angaben von Schürr 2006, S. I49f. vorgetragen.
' Mit der Möglichkeit einer Neubenennung spielt in phantasievoller Weise Schürr
2006, S. I54f.
195
von den Baiern übernommene romanische Form älter gewesen sein und noch
ohne romanische Inlautlenierung *Indica gelautet haben, so dass sie zunächst
der Tenuisverschiebung zu *Indihha und die bereits eingedeutschte Form dann
später der Medienverschiebung zu Intihha unterliegen konnte.M' Verdächtig
bleibt bei einer solchen Annahme lediglich, dass das Gebiet zur Zeit der
Stiftsgründung 769 als leer und unbesiedelt galt und volktümlich Campo Getan
, Frostfeld" genannt wurde.
Das Inntal und die Brennerstraße sind jene Wege, auf denen die Baiern
bereits Ende des 6. Jahrhunderts ins Osttiroler Pustertal vorgedrungen sein
müssen, um das von ihnen beanspruchte, südlich des Alpenhauptkammes
gelegene Gebiet gegen die im Pustertal nach Westen vorstoßenden Slawen zu
verteidigen und abzugrenzen. Darüber berichtet Paulus Diaconus in seiner um
790-99 verfassten Geschichte der Langobarden. Obwohl Paulus keine Ortsan-
gabe macht, kann der 592 errungene Sieg des vom Frankenkönig neu einge-
setzten Baiernherzogs Tassilo I. über die Slawen nur hier stattgefunden haben,
denn das Gebiet unterstand zuvor den Bischöfen von Gallien, die den Slawen
weichen mussten, und die frühen Baiemherzöge handelten mehrfach im Zu-
sammenhang mit den fränkischen Merowingerkönigen. Nachhaltig aber kann
der wohl in fränkischem Auftrag erfolgte siegreiche Kampf nicht gewesen sein,
denn ein paar Jahre später fielen hier um 595 in einer erneuten kriegerischen
Auseinandersetzung durch den die Slawen unterstützenden awarischen Kagan
etwa 2.000 Baiern. Auch der nächste bairische Herzog Garibald II. begann
seine Regierungszeit um 610 wieder mit Slawenkämpfen, wobei er - und hier
nennt Paulus den Ort - bei Aguntum nahe Lienz in Osttirol zunächst besiegt
wurde, dann aber den Feinden die Beute wieder abnahm und sie vertrieb (vgl.
Paul. Diac. IV, 7, 10, 39). Die Baiern müssen also das Tiroler Gebiet nicht nur
auf der Wegstrecke Inntal - Brenner - Pustertal um 600 mit Heeresaufgebot
durchzogen, sondern auch politisch beansprucht haben, denn Paulus spricht
von den ,Grenzgebieten der Baiern" (Baioariorum termini).37 Später wird diese
Westecke des einstigen antiken Noricum an der Brennerstrecke im Eisacktal
danach auch mit dem lautverschobenen Namen Nurihtal überliefert.
Die Strecke Inntal - Brenner - Eisacktal war aber seit dem ausgehenden 6.
Jahrhundert auch die Verkehrsachse der Baiern mit den ihnen benachbarten
Langobarden, die von der Poebene aus das südliche Alpengebiet bis Trient be-
herrschten, wo sich der Sitz eines langobardischen Herzogs befand. Die Be-
ziehungen der beiden Stämme begannen 588, als sich der Langobardenkönig
Authari mit der bairischen agilolfmgischen Herzogstochter Theodelinde (f625)
verlobte und sie ein Jahr später ehelichte. Die mit ihr eingeleitete und von ihr 36
36 Ansätze zu einer solchen Argumentation bietet bereits Finsterwalder 1960/1990, S.
78f. und deutlicher 1965/1990, S. 969. Sicher rechnet mit einer solchen Entwicklung
Kollmann 2005, S. 154.
Vgl. Wolfram 1995, S. 76ff.; Riedmann 2001, S. 26ff.; Störmer 2002, S. 64ff; Pohl
2002, S. 147ff.
196
geförderte bairisch-langobardische Heiratspolitik sollte dann bis zum Ende
beider Herrschaften 774/777 fortdauern, wie es darüber hinaus auch weitere,
besonders kulturelle Beziehungen zwischen den beiden benachbarten Stämmen
gab.
Beide Vorgänge, die Kämpfe der Baiern mit den Slawen und die
Beziehungen der Herrschaftshäuser der Baiern und der Langobarden, sprechen
dafür, dass um 600 die Baiern von ihrem Herzogssitz in Regensburg aus die
Wegstrecke Inntal - Brenner - Eisacktal und dann einerseits nach Osten ins
Pustertal und andererseits durch das Etschtal nach Süden in die Poebene
durchzogen haben.,s Sie werden dieses Nord- und Südtiroler Gebiet im 7.
Jahrhundert bald auch politisch behauptet haben, wobei dann um 680 Bozen der
Sitz eines bairischen Grafen war und sich südlich davon die Grenze gegen die
Langobarden mit ihrem Herzogssitz in Trient ergab. Im Pustertal reichte die
östliche slawische Ansiedlung bis Aßling westlich von Lienz, bis wohin sich
dann auch der Grundbesitz von Innichen erstreckte. Für das Pustertal setzt dies
auch eine gewisse, zumindest militärische bairische Präsenz voraus, um ein
neuerliches westliches Vordringen der Slawen zu verhindern. Obwohl alle
diese Gebiete nach Auskunft der Ortsnamen von Romanen bewohnt waren,
kann man annehmen, dass sich die Baiern an einzelnen dort befindlichen Orten
festsetzten, was sich zumindest an den eingedeutschten Namen der einstigen
römischen, wenn auch archäologisch nicht sicher festzumachenden Befes-
tigungsanlagen Zirl, Wilten und WippXdX für Vipitenum/Sterzing ablesen lässt.
Dazu kommen, wenn teilweise auch bezweifelt, doch der Lage nach nicht
unwahrscheinlich die Gewässernamen Zitier und Pflersch und die Gegend-
namen Langkampfen, Pfons und +Nurihtal, wobei Flüsse stets feste Orien-
tierungspunkte in der Landschaft abgaben, so dass deren Namen immer wieder
tradiert wurden. Obwohl die Einbeziehung von Innichen, die für die ältere
Forschung uneingeschränkt feststand, nun gelegentlich bezweifelt wird, so ist
dies nicht unwahrscheinlich. Wenn Herzog Tassilo III. 769 hier im Grenzraum
gegen die Slawen ein Stift zu deren christlicher Missionierung errichtet, dann
kann es sich dabei durchaus um einen Ort bairischer Memoria an die
kriegerischen Ereignisse von 592-610 handeln, über die Paulus Diaconus aus
langobardischer Überlieferung noch 200 Jahre später weiß. Es ist daher auch
aus geschichtlicher Sicht die Annahme möglich, dass der Name Innichen den
Baiern bereits um 600 als * Indien bekannt und in die Tenuesverschiebung ein-
bezogen wurde und bei ihnen lautverschoben weiterlebte, während bei den
Romanen der Gegend dann die jüngeren romanischen Lautentwicklungen mit
Inlautlenierung und Kontraktion eintraten.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Gebiet Inntal - Brenner - Eisacktal - Pustertal,
wie es nun Heitmeier 2005, S. 200ff. und noch deutlicher zusammenfassend 2005a
anzunehmen versucht, nicht unter bairischer, sondern unter fränkischer Hoheit ge-
standen habe.
197
Dass die Tenuesverschiebung in relativer Chronologie älter ist als die
romanische Inlautlenierung und gegenüber jener die bairische Medienver-
schiebung jünger, erhellen in Tirol die Pustertaler Ortsnamen Vintl, Tob/ach,
Taisten, Prags und Pustertal selber. Während die Tenues von Duplago und
Tesido unverschoben erhalten sind, sind ihre Medien d und b verschoben.3 ’
14 Dass es sich bei -ach von Toblach und weiteren Pustertaler Ortsnamen nicht um
Tenuisverschiebung handeln kann, hat bereits Finsterwalder 1965/1995, S, 9661’.
erkannt. Es ist bei Vorkommen im Eisack-, Ahm- und Pustertal bis Osttirol Adop-
tivsuffix als Angleichung an das deutsche Kollektivsuffix -ach, das, wie die urkund-
lichen Belege für Toblach von 1190 sowie von Vierschach c. 1030 de Virscah und
Tilliach 1110-22 Diliach (ANB I 1999, S. 355 und 247) gegenüber älterem a zeigen,
seit dem 12. Jahrhundert angetreten ist. Die Annahme von Kollmann 2005, S. 154. es
handle sich dabei um Tenuisverschiebung von vlat. -acu, lat. -äcum ist abzulehnen.
Das betrifft auch Luttach am Eingang des Ahmtales. Es wird neuerdings von Kühe-
bacher 1995, S. 231, Anreiter 2000, S. 145f. und Kollmann 2005, S. 154 als Zeugnis
für zweifache Tenuisverschiebung von lat./vlat. -c- zu bair.-ahd. -hh- herangezogen,
während Finsterwalder nur die etymologischen Bestandteile 1965/1995, S. 966 das
Adoptivsuffix -ach und 1974/1990, S. 35 den zugrundeliegenden kelt./lat. PN
Lucotos/-us ermittelt, aber die Lautentwicklung angesichts der erst späten urkund-
lichen Bezeugungen offen gelassen hat. Jene lauten: 1254 Luchdach, 1348 Luttach,
1360 Luchdach; 1407 Luchtach, Luchta und fortan nur mehr Luttach, während
dialektal weiterhin \'luxta\ gesprochen wird (Kühebacher 1995, S. 231). Obwohl es
sich um lat. *Lucotäcum, vlat. *Lucotacu handelt, ist Tenuisverschiebung zu
bair.-ahd. *Luhhotahha vor allem aus zwei Gründen nicht anzunehmen. Einerseits
liegt Luttach 18 km abseits vom Pustertal nach dem dort von Bruneck nach Norden
ausgehenden Tauferertal am Eingang des Ahrntales, und andererseits machen die erst
in althochdeutscher Zeit aus dem Romanischen entlehnten beiden Namen der Nach-
barschaft O/ang im Pustertal bei Bruneck und das im Mittelalter in erster Linie auf St.
Martin - St. Johann bezogene Ahrn(tal) eine sehr frühe bairisch-althochdeutsche
Integrierung unwahrscheinlich. Olang (um 985-93 in ... loco Olaga, um 1060-70 in
loco Olagun, um 1085-97 in villa O/agen, 1142 apud Olagen, 1 195 de Olang [ANB
II 1999, S. 809]), dial. \'pditj\ setzt als lat. *Auläcum, vlat. *Aulacu mit dem kelt./lat.
PN Aulosl-us die romanische Inlautlenierung zu rom. *Aulagu voraus und wurde mit
der bairisch-althochdeutschen Monophthongierung von au vor / zu offenem [q\l<ao,
ö> des ausgehenden 8. Jahrhunderts und mit fortbestehendem Suffix bei Vorver-
lagerung des Akzents integriert. Dagegen bewahrt Ahrn(tal) (1048 vallis ... Aurina,
um 1065-77 in Ourin, 1 142-47 de Öweren, 1 147-55 de Örne, 1174-81 de Ouren,
1178-89 de Eurne, 1315 Eur(e)n, 1324 Aueren [ANB 1999, S. 14; Kühebacher II
1995, S. 17f.]) als lat./vlat. *Aurina, idg.-vspr. mit idg. *auer-,Wasser, Fluss1, trotz
folgendem r in alt- und mittelhochdeutscher Zeit den umgelauteten Diphthong, der
erst im 13. Jahrhundert zu bair.-fmhd. [ä] monophthongiert wurde. Die Integrierung
des Talnamens ist daher erst nach der bairisch-althochdeutschen Monophthongie-
rung von au zu <ao, ö> ab dem 9. Jahrhundert erfolgt. Was nun Luttach betrifft, ist
daher frühe bairisch-althochdeutsche Übernahme unwahrscheinlich und man wird
mit einer bereits romanisch weiterentwickelten Form von vlat. *Locutacu zu rechnen
haben, wobei die Rekonstruktion insofern schwierig ist, als es kaum lateinische und
ladinische appellativische Vergleichsbeispiele gibt. Da lat. -ucu- in acücula ,Nadel1
198
Eine weiter zur relativen Chonologie beitragende Lauterscheinung ist die drei-
fache Art der Wiedergabe von rom. v, von der zwei Stufen in Tirol begegnen.
Während in Wüten und Wipptdd anlautcndes rom. v als bair.-ahd. und mhd. w
auftritt, zeigen Vintl im Pustertal und Terfens bei Schwaz im Inntal bair.-ahd.
und mhd. [v]/<v, f> wie für germ. f. Außerdem gilt bair.-ahd. w für rom. v im
Inntal noch in Wattens bei Hall (930-31 loco Vuattanes, 1034-41 in vico
Wattenes < lat. rom. *(ad) Vattanös (fundös) mit kelt./lat. PN Vattos/-us [ANB
II 2003, S. 1096]), bei dem aber die Tenuisverschiebung von -tt- zur Affrikata
-z- bereits unterblieben ist. Da das germ./erst nach der Medienverschiebung b
>p seit dem Ende des 8. Jahrhunderts zu bairisch-althochdeutsch stimmhaftem
v und dadurch mit dem romanischen Laut gleichartig wurde, handelt es sich bei
w um eine zeitlich davor liegende bairisch-frühalthochdeutsche Übernahme,
die sich hier vorläufig in der relativen Chronologie Tenuesverschiebung - w -
Medienverschiebung abzeichnet. Dabei handelt es sich bei Wüten und Wipptal
um bereits antik bezeugte und damit früh bedeutsame Örtlichkeiten an der
Brennerstrecke. Man darf daran anschließen und folgern, dass das nahe-
gelegene Zirl und +Nurihtal mit ebenfalls antiken Namenbezeugungen gleich-
falls früh übernommen wurden. Unter Berücksichtigung des bairischen
Vorstoßes um 600 ins Pustertal ergibt sich, dass die Tenuesverschiebung am
Beginn des 7. Jahrhunderts aktiv war. Sie war es aber sichtlich 565 noch nicht,
als Venantius Fortunatus auf seiner Reise von Italien nach Tours zum Grab des
hl. Martin beim Lech auf die Baiern traf, denn der Gewässername ist als Licca
noch unverschoben.40 Noch lässt sich die Integrierung von Wattens nicht näher
datieren. Sie muss aber später liegen, als w noch möglich war, aber die
Tenuesverschiebung bereits aufgehört hatte, und im Vergleich mit Vintl und
Terfens wegen deren Gleichsetzung von rom. und bair.-frahd. v und deren Me-
ladinisch-gadertalerisch odia aus (buchensteinisch) ógla ergibt, aber der Konsonant
bei lateinischer Zweisilbigkeit meist schwindet, z.B. vlat. locu zu lü ,Ort\ was Spi-
rantisierung von -c- über -g- zu stimmhaftem velaren -y- voraussetzt, und bei Vier-
silbern mit Penultimabctonung meist die davor befindliche Silbe synkopiert wird,
z.B. lat. mirabilia zu lad.-gad. morvéia ,Wunder4, masticare zu mascè ,kauen4
(Kramer 1977, S. 130, 157, 167), wird man für rom. *LUgodägu bei Eintritt beider
Lautentwicklungen temporär die ungewöhnliche stimmhafte Konsonantenfolge [yd\
annehmen dürfen. Sie wird dann mangels einer unmittelbaren Entsprechung mit
stimmlosem bair.-ahd. <ht>/[xt] substituiert worden sein, was mit dem Adoptivsuffix
schließlich bair.-ahd. *Luhtah/mhd. Luhtach ergab. Ob das ab dem 14. Jahrhundert
bezeugte und sich durchsetzende schriftliche Luttach eine gegen die deutsche
Dialektlautung eingeführte kanzleisprachliche (teilromanisierte?) Schreibform dar-
stellt, wie Kühebacher 1995, S. 231 meint, oder ob es sich dabei um eine zunächst
weiterlebende, dann mit der deutschen Form kontaminierte romanische Form
*Luttago mit Angleichung an die zu lad.-gad. -t- assimilierte Konsonantenfolge lat.
-ct- handelt, z.B. vlat. coctu, facta zu lad.-gad. kiyt ,gekocht4, fat ,gemacht4 (Kramer
1977, S. 144) bleibe dahingestellt.
40 Vgl. Steche 1937, S. 32.
199
dienverschiebung älter sein als jene beiden Prozesse. Hier wird also unter Bei-
ziehung der weiteren Gebiete nach genaueren Datierungen noch zu suchen sein.
9.3. Die Tenuesverschiebung und die Wiedergabe von rom. v
in Salzburg und Oberösterreich
Ähnlich, doch weniger historisch transparent gestalten sich die Verhältnisse in
der Salzburger Romania sowie im nördlich anschließenden Oberösterreich mit
dem südwestlichen Hausruckviertel und dem Innviertel, wo es nach Ausweis
des Lautstandes einiger Ortsnamen antik-romanischer Herkunft länger fortbe-
stehende Romaneninseln gegeben hat.41 In Salzburg sind Grödig und Kuchl die
einzigen Orte mit Tenuesverschiebung von rom. -c- zu bair.-ahd. -hh-. Da in
Kuchl auch der Anlaut affriziert wurde (798-800 ad Chuchif), in Grödig aber
nicht (987 Crethicha), ergibt sich daraus für letzeres die romanische Basis
*Gradica.4~
Obwohl die überlieferte Geschichte Salzburgs erst um 700 beginnt, lassen
sich sowohl aus den Anfängen43 als auch aus den archäologischen Funden44 45
Rückschlüsse für das 7. Jahrhundert ziehen. Nachdem Bischof Ruppert
(Hröthherht) fränkischer Herkunft von Worms kommend 696 bei Herzog
Theodo in Regensburg eingetroffen war und seine folgende Missionsreise in
Lorch abgebrochen hatte, ließ er sich danach zunächst in Seekirchen am
Wallersee und schließlich in Salzburg selber nieder, um dort bis zu seinem Tod
718 zu wirken. Während der Festungsberg und die Nonnbergterrasse aus der
Römerzeit fortbestanden und sich dort schon vor der Gebietsaufteilung Herzog
Theodos an seine Söhne von 710/11 Herzog Theodebert niedergelassen hatte,
lagen die antiken Bauten auf dem Talboden in Trümmern und waren von
Bäumen und Gesträuch überwuchert. Ihn übertrug Herzog Theodo an Ruppert,
der den Wiederaufbau begann und dort das Kloster St. Peter errichtete. Zu-
gleich erhielt Ruppert auch Anteil an den Salzquellen und den Salinen in
Reichenhall als Gewinn bringende Dotation. Daraus wird in Verbindung mit
Funden und Reihengräbern in Kirchberg bei Reichenhall der Schluss gezogen,
dass die Baiem die Salzgewinnung bereits Anfang des 7. Jahrhunderts von den
Romanen kennengelemt und aufgenommen haben.4> Sie brachten dann das
Salz zu Schiff von Salzburg aus Salzach und Inn abwärts, wo entsprechende
41 Vgl. Reiffenstein 1991 und Wiesinger 2004, S. 60ff.
42 Diesen Ansatz bietet bereits Kranzmayer 1957, S. 9 und er wird auch von Hörburger
1982, S. 41 zitiert, aber nicht ernst genommen, jedoch neuerlich wieder von
Reiffenstein 1991, S. 59 vermutet.
43 Vgl. den Kommentar bei Wolfram 1979, S. 60ff; Wolfram 1999, S. 121 ff. und
Dopsch 1996.
44 Vgl. die Interpretationen von Moosleitner 1999.
45 Vgl. Koller 1988, S. 222 und Moosleitner 1988, S. 108.
200
Funde bis Passau auftreten. In diesem Zusammenhang werden statt der antiken
Namen auch die bairisch-deutschen Bezeichnungen Salzach und Salzburg ent-
standen sein. In dieselbe Zeit um 600 werden auch die bairischen Reihengräber
in Siezenheim, Unterreching, Fridolfmg, Freilassing, Salzburghofen und Feld-
kirchen datiert, zu denen dann im weiteren Verlauf des 7. und in der ersten
Hälfte des 8. Jahrhunderts jene in Bergheim und Liefering sowie in Anif,
Grödig, Müllen, Fischbach, Lengenfeld, Oberndorf und Seeham hinzukom-
men. Über das Salzburger Becken, wo Grödig südwestlich der Stadt liegt,
drangen die Baiern dann die Salzach aufwärts bis Kuchl südlich von Hallein
vor, das wie Zirl, Wiiten und Vipitenum/Sterzing (Wipptal) in Tirol ein römi-
sches Kastell war, in dem sich die Baiern offenbar früh festsetzten. Aus diesen
Daten lässt sich in Verbindung mit den an Tirol gewonnenen Erkenntnissen der
Schluss ziehen, dass sich die Tenuisverschiebung von -k- > -hh- auch hier An-
fang des 7. Jahrhunderts vollzogen haben wird.
Für die weitere Entwicklung der Lautverschiebung besonders aufschluss-
reich sind dann jene Ortsnamen, in denen eine unverschobene Tenuis mit einer
verschobenen Media auftritt. Es sind dies in Salzburg das abgekommene
+Petena aus rom. *Padina mit unverschobenem p- und verschobenem -d-, das
auch Primärumlaut von -a- > -e- erfuhr, und Muntigl aus *Montigulu sowie in
Oberösterreich Gurten aus rom. *Curtina mit unverschobenem -t- und ver-
schobenem -g- bzw. der Gleichsetzung von rom. c-/[k\ mit aus germ. g- ver-
schobenem bair.-frahd. [k]l<c, k>, das später wieder zug- leniert wird. Diesel-
ben Velarvorgänge, verbunden mit unverschobenem zeigen Gamp bei
Hallein in Salzburg aus rom. *Campu und Campern bei Vöcklabruck in Ober-
österreich aus rom. *Campariu. Liegt in Salzburg wegen der weiteren Orts-
namen romanischer Herkunft die längere Fortdauer des Romanischen klar auf
der Hand, so kann man aus den unverschobenen Namen in Oberösterreich, zu
denen im Innviertel noch die Plain-OrtQ am Südrand und Marlüpp bei St. Veit
hinzukommen, mit länger bestehenden kleinen Romaneninseln rechnen. Für
Campern ergibt sich dies auch noch aus den umliegenden Walchen-Orten
Straßwalchen, Seewalchen, Einwalchen und Walchen.
Wie in Tirol gibt es im nördlichen Innviertel unter den Integrierungen noch
Witraun mit der Wiedergabe von rom. v- als w-. ln der Überlieferung des 12.
Jahrhunderts wechseln hier 1130-60 Helmbertus de Wi(e)terun, 1145
Adelmannus de Witerune und 1130-60 Adelmannus de Phutrunen, welches
schon 788-800 als Futuruna bezeugt ist (vgl. ANB 11 2004, S. 1148f.). Wie
immer man das Verhältnis der beiden Namenformen löst und für Witraun
entweder von einem kelt. *Vidrona ,gewundener Fluss1 oder von einem rom.
*Vedrona .Brachfeld1 ausgeht,46 so verbleibt die Kombination von rom. v- als
bair.-frahd. w- und der Medienverschiebung von -d- zu -/-. Verglichen mit den
tirolischen Ortsnamen Wattens, Vintl und Terfens unter Einbeziehung von
+Tuval und Eugendorf in Salzburg zeigt sich hier, dass die Tenuesverschiebung
Vgi. Wiesinger 2005, S. 200ff.
201
älter ist und früher endet als die Wiedergabe von rom. v- mit bair.-frahd. w- und
diese wieder früher aufhört als die jüngere Medienverschiebung, weil ihr zu-
nächst der Wandel von rom. (-)v- wohl über (-)b- zu bair.-frahd. (-)/?-
vorangeht. Die Medienverschiebung bleibt aber noch wirksam, als germ./zu
bair.-frahd. v stimmhaft wird, so dass als jüngste Kombination bei Medienver-
schiebung rom. (-)v- mit bair.-frahd. (-)v- gleichgesetzt wird.
Versucht man diese relative Chronologie unter Einbeziehung außersprach-
licher Daten in eine ungefähre absolute Chronologie umzusetzen, so ergibt sich
Folgendes: Hat man Oberösterreich und den Salzburger Flachgau wenn nicht
schon zum anfänglichen Gebiet der bairischen Ethnogenese zu rechnen, so
werden sie noch im Lauf des 6. Jahrhunderts in das bairische Territorium einbe-
zogen. Das geht nicht nur archäologisch aus den obgenannten und weiteren
Reihengräberfunden des 677. Jahrhunderts hervor,47 sondern auch aus der
Verbreitung der -ing- und -/?i7m-Namen. Im Salzburger Flachgau ist Liefering
(788-90 [12. Jh.] ad Liueringa) mit dem romanischen Personennamen *Liveru
von lat. Liberius am heutigen nördlichen Stadtrand zwar der südlichste -ing-Ort
(vgl. ANB I 1999, S. 671). Wegen der gleichartigen Wiedergabe von rom. -v-
als bair-ahd. -v- im Personennamen kann die Ortsentstehung aber erst ab dem
ausgehenden 8. Jahrhundert erfolgt sein. Dagegen zeigt das nordöstlich der
Stadt gelegene Eugendorf mit dem romanischen Personennamen *Iuvianu von
lat. Iubiänus ältere Bildung mit Medienverschiebung von rom. -v/b- zu
bair.-frahd. -p-, die auch für den Koberndusser Wald im südlichen Ober-
österreich aus rom. *Cavernosa gilt. Bezieht man das westlich anschließende
Oberbayem mit ein, so weisen, von den oben behandelten Ausnahmen
abgesehen, die antik-romanischen Gewässer- und Siedlungsnamen Peiß, IGars
am Inn, Albaching bei Wasserburg und Mattig im oberösterreichischen Inn-
viertel wie alle weiteren nördlicheren Ortsnamen antik-romanischer Herkunft
in Bayern die Tenuesverschiebung von -t- und -k- zu -zz- und -hh- auf. Als
südlichste Vorposten mit Tenuesverschiebung im sonst romanischen Gebiet
schließen sich in Salzburg Grödig und Kuchl an. Da diese Ortsnamen
antik-romanischer Herkunft im Gegensatz zu einer Reihe weiterer romanischer
Ortsnamen um Salzburg nicht die romanische Inlautlenierung von lat. -/-, -p-,
-c- aufweisen, muss jene später eingetreten sein als die Übernahme mit
bairisch-frühalthochdeutscher Tenuesverschiebung. Daraus ergibt sich, dass
mit der Tenuesverschiebung bereits im ausgehenden 6. Jahrhundert gerechnet
werden kann. Bezieht man den Vorstoß der Baiem ins Tiroler Pustertal um 600
mit ein und lässt die parallelen Entwicklungen in *Maduca/Mattig und
*Gradica/Grödig auch für *Noricu/Nurihtal und *lndica/Innichen gelten, so
war zumindest beim inlautenden Velar der Verschiebungsprozess am Beginn
des 7. Jahrhunderts aktiv. Die romanische Inlautlenierung kann dann hier erst
frühestens im zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts eingesetzt haben. Vom drei-
fachen und zeitlich gestuften Ersetzungsprozess von rom. v mit bair.-frahd. w - 4
4 Zu Oberösterreich vgl. Reitinger 1969.
202
b/p - v war w wohl von Anfang an üblich und weist darauf hin, dass wie das
bair.-frahd. w auch das rom. v hier noch halbvokalische bis bilabiale
Aussprache besaß. Mit dem Eintritt der romanischen Inlautlenierung der
Plosive muss dann rom. v bilabiale bis leicht frikativische Artikulation ange-
nommen haben, so dass es wohl im Lauf der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts
noch mit der damals wahrscheinlich noch stimmhaften und leicht frikativischen
germanischen Lenis b gleichgesetzt werden konnte und mit dieser dann in die
Medienverschiebung zu bair.-frahd. p einbezogen wurde. Noch während der
Produktivität der Medienverschiebung erfolgte gegen Ende des 8. Jahrhunderts
die Stimmhaftwerdung von germ. / zu bair.-frahd. v, was schließlich die
Gleichsetzung mit inzwischen labiodental-frikativischem rom. v ermöglichte.
Am Beispiel von vorhin behandeltem Wattens ergibt sich nun daraus, dass
dieses spätestens um die Mitte des 7. Jahrhunderts übernommen wurde, bevor
rom. v seine halbvokalische bis bilabiale Aussprache verlor und damals die
bairisch-frühalthochdeutsche Tenuesverschiebung nicht mehr wirksam war.
9,4. Die Medienverschiebung in Salzburg und Tirol
Was die Medienverschiebung von d, b, g betrifft, trat sie in Salzburg und Tirol
erst nach der romanischen Inlautlenierung ein, wie die zahlreichen in den Ab-
schnitten 6.1.1. und 6.1.2. sowie 6.2.1., 6.2.2. genannten Ortsnamen zeigen.
Wie außerdem noch aus Abschnitt 6.3. hervorgeht, war auch der Velarplosiv
davon betroffen. Zugleich ergibt sich aus Stubai, Wipptal, Albeins, Sähen und
Eugendorf’ dass der mit rom. -v- gleichzusetzende inlautende romanische
Labial noch mit unverschobenem germ. -b- wiedergegeben wird und somit die
Medienverschiebung später liegt als der für die zweite Hälfte des 7. Jahr-
hunderts angenommene Wandel von rom. v zum bilabial-frikativischen Laut.
Fragt man nach außersprachlichen Voraussetzungen für die Datierung der
Medienverschiebung, so kann für Salzburg namhaft gemacht werden,4S dass
mit dem Auftreten des heiligen Ruppert gegen 700 das Klosterleben in St. Peter
neu begann und die, wie es in den Berichten heißt, in Trümmern liegende und
überwucherte antike Stadt wieder aufgebaut und besiedelt wurde. Als Herzog
Theodo, der Förderer Rupperts, um 710/11 seinen Söhnen die bairischen
Kirchenzentren als Herzogssitze zuwies, konnte sich der in Salzburg schon
zuvor ansässig gewordene Herzogssohn Theodebert nicht nur am Ausbau der
Stadt verstärkt mitbeteiligen, sondern es wird auch zu einem größeren Zustrom
bairischer Siedler in die weiterhin von Romanen bewohnte Stadt und in die
Dörfer der Umgebung gekommen sein, was die Übernahme von deren Namen
bewirkt haben wird. Da es sich dabei um Ortsnamen mit der Verschiebung der
Medien d, b, g handelt, wird diese am Beginn des 8. Jahrhunderts eingesetzt
haben, ohne dass hier aber eine eventuelle zeitliche Stufung in der Abfolge
beobachtet werden könnte. 48
48 Vgl. Wolfram 1979, S. 35ff.; Wolfram 1995, S. 107ff.; Wolfram 1999, S. 12Iff.;
Stürmer 2002, S. 80.
203
In Südtirol sind die südlich von Bozen gelegenen Namen der Orte Pfatten
und Kaltem auffällig. Während Kaltem umlautlos ist, weist Pfatten Sekundär-
umlaut von a zu mhd. ä auf. Beide Namen zeigen die Medienverschiebung von
ci zu t. War die Grundlage von Pfatten rom. *Vaduna und ahd. *Vatuna, das
dann zu Vatina abgeschwäeht wurde, so gibt es dazu genügend Parallel-
beispiele für dadurch ausgelösten Sekundärumlaut, wie etwa die salzbur-
gisch-oberösterreichische Mattig. Sollte aber bereits rom. *Vadina Vorgelegen
sein, dann wäre angesichts der Medienverschiebung Primärumlaut von a zu e
zu erwarten. Damit aber verträgt sich nicht die bairisch-althochdeutsche Inte-
grierung des Anlautes sichtlich als stimmhafter Labialfrikativ [v], was erst im 9.
Jahrhundert geschieht und mit dem Sekundärumlaut korrespondiert.
Wahrscheinlich liegt hier bezüglich des Anlautes Kontamination der althoch-
deutschen Lautung mit der romanischen vor, denn der Name wird ladi-
nisch-nonsbergisch Vadna oder Vauna gesprochen, was bei längerer
deutsch-romanischer Zweisprachigkeit im Grenzraum durchaus möglich er-
scheint. Als [v] dann im 13. Jahrhundert seine Stimmhaftigkeit verlor, konnte
wahrscheinlich in Verbindung mit der apokopierten Präposition z’ aus mhd. ze
,zu‘ sich ergebendes [tsf\ zur Sprecherleichterung zu [pf] umgewandelt werden,
ln Kaltem könnte ein als frahd. *Kaldarja übernommenes rom. *Caldariu von
vornherein nur Sekundärumlaut ausgelöst haben, doch ist dies angesichts der
dritten Silbe und der meist umlauthindemden Konsonantenverbindung -It-
wenig wahrscheinlich, und der Name zeigt auch keine Umlautschreibungen
und lautet heute ['kxpltam]. Wenn Kollmann 2005, S. 152 wegen des fehlenden
Primärumlautes in Pfatten und der Umlautlosigkeit von Kaltem mit lango-
bardischer Medienverschiebung rechnet, weil im Langobardischen der Primär-
umlaut nur schwach durchgeführt worden ist (Bruckner 1895, S. 56ff), dann
überzeugt dieses Argument nicht. Wohl aber spricht die Lage beider Orte für
mögliche bereits langobardische Medienverschiebung, denn zwischen Trient
und Bozen befand sich der langobardisch-bairische Grenzraum, als seit etwa
680 in Bozen ein bairischer Graf residierte. Da mit der Auflösung des Lango-
bardenreiches 774 durch Karl den Großen dieser Bereich in bairische Obhut
überging, ist es durchaus denkbar, dass sich dort nun Baiem anzusiedeln
begannen und die bereits langobardisch integrierten Namen aufgriffen.
9.5. Die Tenuesverschiebung und die Wiedergabe von rom. v
in Niederösterreich
Besondere Probleme stellen sich in Niederösterreich östlich des altbairischen
Siedlungsraumes. Hier befinden sich inmitten der Gebiete mit zahlreichen Orts-
namen slawischer Herkunft im fruchtbaren ebenen Bereich südlich der Donau
bis zum Wienerwald die Flüsse mit Namen antik-romanischer Herkunft Erlauf
und Lolch mit inlautender und Zehnbach mit anlautender Tenuesverschiebung
sowie Ybbs mit Medienverschiebung von rom. v über b zu p. Von Norden
204
münden hier mit Anlautverschiebung die Flüsse Krems und Kamp in die
Donau, liegt an der Donau der weithin sichtbare Kollmitzberg und hieß der
Nord- und wohl auch der Ostabfall des Wienerwaldes Kaumberg. Östlich des
Wienerwaldes befinden sich mit Medienverschiebung die Flüsse Pitten, Leitha
und Raab und der abgekommene Bergname + l¥itinesberg für den Wechsel.
Unverschoben ist östlich des Beginnes des Wienerwaldes der Flussname Tulln.
Da sich für keinen einzigen slawischen Ortsnamen Tenuesverschiebung nach-
weisen lässt, ist hier mit direkter Übernahme aus dem Antik-Romanischen zu
rechnen. Dies bestätigen auch die ohne slawische Vermittlung integrierten
Flussnamen Traisen und Tulln wegen des bewahrten Diphthonges rom. ai in
Traisen und des stets mit der Geminata -//- überlieferten Flussnamens Tulln,
denn im Slawischen gibt es weder den Diphthong ai noch Geminaten.49 * Die
frühere Annahme einer wegen der zahlreichen -mg-Namen bereits vor den
Awarenzügen Karls des Großen und seiner Söhne von 791-796 abgeschlosse-
nen bairischen Besiedlung entbehrt schlüssiger Anhaltspunkte,"11 zumal das
niederösterreichische Donaugebiet im 8. Jahrhundert in den von den Awaren
Pannoniens beherrschten Bereich einbezogen war und eine Pufferzone gegen
die Baiern jenseits der Enns bildete, wo um 785 auf dem Ybbsfeld auch die
kriegerischen Auseinandersetzungen der Baiern mit den Awaren stattfanden.
Erst nach den 802/03 endgültig abgeschlossenen Awarenkriegen Karls des
Großen wurde das niederösterreichische Donauland in das bairisch-fränkische
Territorium einbezogen.51 52 Neuerdings wird mit aus der Völkerwanderung
verbliebenen Germanenresten im Reich der Awaren gerechnet, die nicht an der
im Westen vollzogenen Ethnogenese der Baiern teilnahmen und von denen die
Baiern dann nach den Awarenzügen Karls des Großen seit dem Ende des 8.
Jahrhunderts mit der Einbeziehung in das bairische Volkstum auch die ent-
sprechenden Namen übernommen hätten.5' Als solche Germanen kämen hin-
sichtlich der Lautverschiebung, will man nicht mit Polygenese rechnen, nur
Langobarden in Frage, die aber zunächst im Weinviertel nördlich der Donau
und dann seit etwa 510 in Pannonien siedelten, ehe sie 568 in die ober-
italienische Poebene weiterzogen und dort endgültig sesshaft wurden. Es
müsste sich also eine kleine Gruppe unabhängig vom Hauptstamm im Donau-
raum angesicdelt haben, wofür es aber keine Siedlungsnamenzeugnisse gibt.
Nur 832 ist an der Erlaufmündung ein abgekommener Ortsname eines anti-
quitum castrum [...] qui dicitur Herilungoburg/Harlungeburch und danach 863
in Herlungeuelde bezeugt (ANB 1 1999, S. 51 lf.). Der Name könnte zwar mit
49 Vgl. dazu Wiesinger 1985, S. 327f.
90 Diese These wird neuerdings unter Anwendung besonders der siedlungsgenetischen
Methodik wieder aufgegriffen von Krawarik 2002; vgl. dazu Wiesinger 2010, S.
112ff.
51 Vgl. dazu Wiesinger 1985, S. 32lf. und Wolfram 1986, S. lf.
52 So Holzer 2001, S. 19ff.
205
dem herulisch-gotischen Sagenkreis um den Gotenkönig Ermanarich des 4.
Jahrhunderts Zusammenhängen und Erbe der Völkerwanderungszeit sein,53 54 55
aber eine Tenuesverschiebung gab es weder bei den ostgermanischen Goten
noch bei den Herulern, wobei sich letztere östlich der March in der heutigen
Slowakei angesiedelt hatten. Auch die ostgermanischen Rugier, die in der
zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts zur Zeit Severins nördlich der Donau um die
Krems siedelten und auf die der Name der Wachau zurückgeführt wird,'4
scheiden hinsichtlich der Lautverschiebung aus. Außerdem stellt sich die Frage
nach der Zeit der slawischen Besiedlung dieser Gebiete, worüber ebenso noch
zu sprechen sein wird wie über die Integrierung einzelner slawischer Orts-
namen mit der jüngeren Medienverschiebung. Da es sich bloß um Gewässer-
und Bergnamen handelt und sich eine bairische Ostgrenze erst um 700 an der
Enns bildete, gegen die auch die -/7e/w-Namen als Ausweis längeren bairischen
Ansitzes enden, ergab sich in der interdisziplinären Diskussion von Histori-
kern, Archäologen und Namenforschem 1982 in Zwettl als Lösung die An-
nahme, dass die Baiern im 6./7. Jahrhundert zu den Gebieten östlich der Enns
nur Verkehrsbeziehungen unterhielten und dabei die Namen von Flüssen und
Bergen als Wegmarkierungen von einer noch ansässigen romanischen Rest-
bevölkerung aufnahmen und weiter tradierten, zumal es nach Osten bei offener
Grenze stets Beziehungen gab." Diese reichten aber nur bis an den Wienerwald
östlich der Traisen als der einstigen römischen Grenze von Noricum gegen
Pannonien, so dass der östlich davon gelegene Flussname Tulln nicht mehr
verschoben wurde. Wenn man bedenkt, dass auch hier die antik-romanischen
Namen Erlaufund Lolch ohne die romanische Inlautlenierung von lat. -p- und
-c- übernommen wurden und in Yhhs das rom. -v- als bair.-frahd. -b- mit an-
schließender Medienverschiebung zu -p- integriert wurde, dann lässt sich in
Verbindung mit den bisher behandelten Ortsnamen der westlichen Gebiete
folgern, dass die Tenuesverschiebung hier längstens gegen die Mitte des 7.
Jahrhunderts durchgeführt wurde und Ybbs in der zweiten Hälfte des 7. Jahr-
hunderts übernommen wurde, so dass damit auch die romanische Sprachtradi-
tion bis in diese Zeit lebendig blieb. Hinsichtlich einer Möglichkeit der zeitli-
chen Stufung der Tenuesverschiebung von t gegenüber p und k kommt das
Zeugnis der verschobenen Namen Erlauf und Lolch gegenüber der unverscho-
benen Tulln insofern nicht in Frage, als die Tulln jenseits des Wienerwaldes und
der alten Grenze zwischen Noricum und Pannonien liegt. Dagegen ist die
gleichwertige Affrizierung in Zehnbach diesseits des Wienerwaldes einge-
treten.
53 So Wolfram 1986, S. 2f.
54 Vgl. Wiesinger 1985, S. 345.
55 Vgl. dazu Wiesinger 1985.
206
10. Erläuterungen zur Medienverschiebung in Ortsnamen
slawischer Herkunft
10.1. Allgemeines
Der Osten Österreichs ist ab Osttirol, dem östlichen Salzburg und dem östlichen
Oberösterrreich ab der Krems und der Rodl slawisch besiedelt worden. Wie
schon erwähnt, wurden keine Ortsnamen slawischer Herkunft mit Tenuesver-
schiebung, wohl aber mit Medienverschiebung integriert. Ein besonderes
Problem bildet die Affrizierung von slaw. (-)k-. Obwohl es sich bei dieser
Erscheinung um eine Frage des Sprachkontaktes handelt, hat man in Ver-
bindung mit der Tenuesverschiebung antik-romanischer Ortsnamen in Nieder-
österreich geschlossen, dass die Slawen dort erst in der Zeit ab dem Ende der
Tenuesverschiebung und die Baiem dann wieder mit dem Beginn der Medien-
verschiebung aufgetreten seien. Daraus ergab sich für die slawische Besiedlung
je nach Datierung der Lautverschiebung ein unterschiedlicher Zeitansatz.
Während Eberhard Kranzmayer mit der Zeit um 700 bzw. gegen 750 rechnete,
ergab sich, sobald man Ernst Schwarz folgte, jeweils ein halbes Jahrhundert
früher. Kein Zweifel bestand für den Alpenraum, denn angesichts der bai-
risch-slawischen Kämpfe im Pustertal ab 590 stand dort das Auftreten der
Slawen am Ende des 6. Jahrhunderts fest.
Die Slawen kamen im Gefolge der Awaren, einem mongolischen Reitervolk,
das im 6. Jahrhundert in dem von den Langobarden 568 geräumten Pannonien
seinen Herrschaftsbereich aufbaute, und waren jenen botmäßig untertan. Der
Einzug der Slawen in den österreichischen Alpenraum kann nur nach den geo-
graphisch vorgegebenen Geländeverhältnissen und den ihnen schon zur
Römerzeit folgenden Straßen erfolgt sein. Dort ermöglichten die Alpentäler das
Vordringen flussaufwärts entlang der Drau durch Kärnten bis Osttirol und ent-
lang der Mur durch die Steiermark bis in den Salzburger Lungau sowie vom
Murtal einerseits ins Mürztal und andererseits über das Liesing- und Paltental
ins obersteirische Ennstal und von diesem ins Ausseerland. Während um 565
die antike Stadt Aguntum bei Lienz noch erhalten war, als Venantius Fortuna-
tus, von Ravenna kommend, dort auf das Pustertal stieß, um über Tirol nach
Tours in Frankreich zum Grab des heiligen Martin zu pilgern,56 müssen in den
beiden folgenden Jahrzehnten die Slawen bis hierher vorgestoßen sein, so dass
es um 590 zu den Kämpfen mit den Baiern kam. Der Einzug der Slawen in den
Alpenraum geschah also sichtlich rasch im Verlauf von rund zwei Jahrzehnten,
denn erst nach dem Abzug der Langobarden hatten ja die Awaren ab 568
Pannonien eingenommen.
Schwieriger gestalten sich die Verhältnisse im Donauraum. Hier bestehen
nach den geographischen Gegebenheiten mehrere Einzugswege. In Nieder-
österreich kommen die Wege sowohl aus dem Osten von Pannonien die Donau
56 Eine Karte dazu bietet Heitmeier 2005, S. 195.
207
aufwärts als auch aus dem Norden von Mähren her in Frage. Das östliche Ober-
österreich ist von drei Seiten her erreichbar. Da die slawische Ortsnamentypo-
logie im Bereich zu beiden Seiten der Donau eine Überschneidung von Süden
und Norden her zeigt, mit der auch die Zuordnung der archäologischen Funde
korrespondiert, ist mit dem Einzug der Slawen vom Süden aus dem Ausseer-
land ins Gebiet der obersten Traun um Bad Ischl und vom Ennstal her sowohl
flussabwärts als auch über den Pyhmpass ins Gebiet der Steyr sowie aus
Böhmen her ins Mühlviertel zu rechnen.v Ob auch der Weg von Niederöster-
reich die Donau aufwärts in Frage kommt, bleibt eher fraglich. Bezüglich der
Zeit ist zu bedenken, dass der fränkische Kaufmann Samo die Abfallbewegung
der Slawen von den Awaren nützte, um sich um 630 zum Herrscher eines bis zu
seinem Tod um 658 bestehenden Slawenreiches aufzuschwingen, das sowohl
Böhmen als auch Karantanien (Kärnten und Steiermark) umfasste. s Zwischen
beiden Bereichen aber erstreckt sich der niederösterreichisch-oberösterreichi-
sche Donauraum. Es ist nicht recht vorstellbar, dass er nicht in Samos Slawen-
reich einbezogen gewesen sein sollte. Da aber dieser Bereich bis zur Enns die
von den Awaren genützte Pufferzone gegen die Baiem westlich der Enns war,
dürfte das ebene, offene und ungeschützte Gelände an der Donau tatsächlich
wenig besiedelt gewesen sein und die Slawen sich vornehmlich im anschließen-
den Bergland niedergelassen haben. Die Vorstöße der Slawen Ende des 7.
Jahrhunderts gegen Lorch werden dann weniger in einem Zusammenhang mit
dem Einzug in den Donauraum Niederösterreichs von Osten her als vielmehr
mit der allmählichen Ausbreitung der Siedlung vom Bergland in die Ebene ver-
bunden sein.
Für die Fragen nach der Zeit der Integrierung der slawischen Ortsnamen ins
Bairisch-Althochdeutsche müssen Lauterscheinungen beider Sprachen berück-
sichtigt werden. Von deutscher Seite gibt es die Medienverschiebung von (-)d-
zu (-)t-; (-)/>- wird älter zu (-)p- verschoben, jünger aber mit bair.-ahd. (-)v-
wiedergegeben. Auffällig ist, dass slaw. a vor i der Folgesilbe nicht älteren
Primärumlaut, sondern jüngeren Sekundärumlaut erfährt und dass kurzes
urslaw. ä/slaw. o noch mit bair.-ahd. a wiedergeben wird. Auf slawischer Seite
unterbleibt teilweise noch die Liquidenmetathese.
10.2. Oberösterreich und Niederösterreich
Hinsichtlich ihrer geographischen Lage befinden sich die Ortsnamen mit
Medienverschiebung in Oberösterreich einerseits unmittelbar an der Donau von
Linz bis Grein - Tafersheim, Tobersbach, Tobra, Diminger, Paynberger,
Sarming - und andererseits im Bereich der Steyr - Sarning, Raming, Palten,
Pyhrn - und der Enns - Raming, GajlenzAuch in Niederösterreich ist es zu- * 58 *
Vgl. Wiesinger 2004, S. 68ff.
58 Vgl. Wolfram 1985, S. 130f.; Wolfram 1995, S. 80f.; Pohl 2002, S. 256ff.
Vgl. dazu ausführlich Wiesinger 2004, S. 75ff.
208
nächst der unmittelbare Donaubereich - Pielach, Perschling, Palt, Loiben,
Trübensee -, wozu östlich des Wienerwaldes noch die Namen antik-romani-
scher Herkunft hinzutreten - Pitten, Leitha, +Witinesperc.w Sollten nach
der singulären Beurteilung von Schelesniker die Namen Palt und Palten nicht
auf urslaw. * bàita basieren/’1 so verbleiben noch genügend weitere Namen für
die Integrierung von slaw. b mit bairisch-frühalthochdeutscher Medienver-
schiebung.
Besonders aufschlussreich sind in Oberöstereich der Gewässername Naarn
(853 inter [...] Nardinam, 900 Nardina < vlat. *Nardina, idg.-vspr. mit idg.
*ner-/nor- ,eindringen, untertauchen4 + -d- in lit. nàrdyti ,wiederholt unter-
tauchen, waten4 [ANB II 1999, S. 777; OÖNB 11, S. 36; Wiesinger 2004, S.
82]) und der Passname Pyhrn. In beiden Namen fehlt die Verschiebung von -d-,
während in Pyhrn das anlautende b- zu p- verschoben ist. Will man nicht mit
Abschwächung von verschobenem -t- zu -d- durch den Liquid rechnen,60 61 62 63 so
spiegelt sich in beiden Namen die zeitliche Abfolge der Medienverschiebung,
indem d früher verschoben wurde als b. Dazu stimmt im Vergleich zu den
weiteren ¿/-Verschiebungen auch die Lage der Naarn, die in der Ebene an der
Donau einst in mehreren Armen das Machland (,1m Achland4) durchfloss und
an dessen Rand Tobra mit beiden Verschiebungen und östlich davon verscho-
benes Diming(er) liegt. Es ist nicht anzunehmen, dass den Baiem in dieser Um-
gebung just der Gewässername Naarn unbekannt geblieben sein sollte.
Auf dem Weg durch das Steyrtal zum Pyhrnpass mündet bei Frauenstein die
Palten ein, die noch keine slawische Liquidenmetathese zeigt. Sie wird wegen
der Durchführung im Namen Karls des Großen (768-814), der zur allgemeinen
slawischen Königsbezeichnung wird und aksl. Kralb, tschech. kral und slow.
kralj lautet, in das ausgehende 8. Jahrhundert datiert.6' Im Ennsgebiet ist hier
Gaßenz anzuschließen. Es ist in den beiden integrierten Formen 1140 Avelenze
60 Vgl. dazu ausführlich Wiesinger 1985, S. 330ff. und S. 346ff.
61 Gegen die Beurteilungen von Schelesniker 1968 und 1989, denen niemand gefolgt
ist, ist u.a. einzuwenden, dass die gegen 800 wirksame Liquidenmetathese zwar
urslaw. *bälta zu slaw. blato gewandelt hat, jedoch die von Schelesniker genauso
strukturierte Ansatzform urslaw. *pälta ausgelassen haben soll, obwohl das zuge-
hörige Verbum sie im Slowenischen als plati, poljem aufweist. Auch die Slawistin
Bergermayer 2005, S. 22f. bleibt beim Ansatz *bälta für Palt.
62 Wie aus der ältesten bairischen Bearbeitung des Abrogans-Glossars in der Pariser
Handschrift, nach älterer Vorlage geschrieben im Umkreis des Regensburger
Bischofs Baturich (817-847), hervorgeht, war germ. d in allen Positionen zu t ver-
schoben worden. Es neigte aber in den Verbindungen mit Nasal und Liquiden nt, It, rt
zur Lenierung, die erst in den weiteren jüngeren Fassungen stärker hervortritt. So
begegnet nach Kögel 1879, S. 96f. die Lenierung von nt > nd in 62 Fällen gegenüber
217 Bewahrungen, während rt > rd sich bloß in 2 Beispielen findet und It nicht vor-
kommt.
63 Vgl. Schwarz 1927b.
209
und 1180-86 Gavilenze überliefert und zeigt neben v-Schreibung auch
6-Schreibung in 1177 Abilenze und 1190 Gabilenze. Hier konkurrieren nicht
nur älteres urslaw. *abolnb und jüngeres slaw. *jablanb ,Apfelbaum4 als
*Abolbnika und *Jab/onica, sondern es sind auch eine ältere Integrierung als
bair.-frahd. *Apolinicha mit Medienverschiebung und eine jüngere mit dem
Ersatz von slaw. b durch bair.-ahd. v als bair.-ahd. *.Javalenza, bair.-mhd.
Gavelenz anzunehmen, die sich dann freilich sowohl im Stamm als auch in der
Ableitung gegenseitig beeinflusst haben. Obwohl das jüngere slawische Basis-
wort die Liquidenmetathese aufweist, verdecken die althochdeutschen Stütz-
vokale einen möglichen Unterschied gegenüber der erst frühmittelhochdeutsch
überlieferten älteren Form. Nicht auszuschließen ist hier ferner, dass es wie bei
der Liquidenfolge -rb- in Tafersheim auch bei -Ib- in der eingedeutschten Form
einen Wechsel von -Ib- und -Iv- gibt.
10.3. Steiermark
Die Medienverschiebung von b zu p setzt sich überraschenderweise von Ober-
österrreich über den Pyhrnpass in die Steiermark nach Süden fort, und zwar ins
Ennstal mit Trieben, ins Paltental und ins mittlere Murtal mit Leoben, wobei in
Palten wieder die slawische Liquidenmetathese fehlt. Fraglich bezüglich der
Medienverschiebung bleibt am Ende dieser Wegstrecke der Gewässername
Pöls, weil für ihn zwei antik-romanische Ansätze mit p- oder b- möglich sind.
Schließlich findet sich die südlichste 6-Verschiebung im Namen der west-
steirischen Sühn, die bei Leibnitz in die Mur mündet. Er ist antik-romanischer
Herkunft und wurde über das Slawische integriert.
10.4. Zur Datierung
Kann anhand der Interpretation von Pyhrn und Naarn gezeigt werden, dass in
relativer Chronologie die Verschiebung von -d- älter ist als jene von (-)b-, so
fragt sich nun, ob es außersprachliche Möglichkeiten zur absoluten Datierung
gibt. Aus historischer Perspektive ist daraufhinzuweisen, dass in der Auseinan-
dersetzung zwischen Awaren und Slawen, die ihre botmäßige awarische Ab-
hängigkeit abzuschütteln bestrebt waren, der Fürst der karantanischen Slawen
Boruth 741/43 den Baiemherzog Odilo um Hilfe bat. Die Baiem kamen dieser
Bitte nach und vertrieben die Awaren, aber die Slawen mussten sich der bairi-
schen Herrschaft unterwerfen. Welche Wege die Baiem nach Karantanien
genommen haben, ist unbekannt. Man darf aber damit rechnen, dass es seit
dieser Zeit bairische Beziehungen zumindest militärischer Art zu den karanta-
nischen Gebieten gab, die das heutige Kärnten, die Steiermark und Slowenien
umfassten. Weiters leitete dann der Salzburger Bischof Virgil (746-784) die
christliche Missionierung der heidnischen karantanischen Slawen ein, die 757
der Chorbischof Modestus wahrscheinlich von Maria Saal, dem einstigen
Virunum, aus aufnahm. Herzog Tassilo III. selber gründete zur Slawen-
missionierung an den Rändern des bairischen Territoriums 769 das Kloster
210
Innichen im Pustertal für Karantanien und 777 Kremsmünster in Oberösterreich
für den Donauraum, wenn für das letztere Kloster der Missionsauftrag auch
nicht verbrieft ist/’4 Nach allgemeiner historischer Ansicht befanden sich beide
Klöster jedoch keineswegs in gefährdeter Randlage, sondern, wenn auch in
Grenzräumen, so doch in schon länger von den Baiern fest beherrschten
Gebieten/'" ln Oberösterreich war das spätestens seit etwa 750 der Fall, nach-
dem Herzog Odilo Karantanien für die Baiern gewonnen hatte und es wohl galt,
den Pyhrnpass und damit nicht nur den östlichen Grenzbereich gegen den
niederösterreichischen awarischen Donauraum zu sichern, sondern vor allem
auch den Zugang über das Enns-, Palten- und Liesingtal bzw. den Tauernpass
ins Murtal in fester Hand zu haben. Das war bezüglich der Slawen im Ennstal
umso wichtiger, als diese um 740 kriegerisch talaufwärts vorgestoßen waren
und in Bischofshofen im Salzburger Pongau die Maximilianszelle geplündert
und zerstört hatten. Sie konnten zukünftig nicht nur von Westen her, sondern
nun auch über den Pyhrnpass von Osten aus in Schach gehalten werden.
Kremsmünster selber wurde im Umkreis im Kremstal und nach Osten gegen
die Steyr dotiert und machte diese Gebiete nicht nur urbar, sondern bezog auch
die slawischen Orte in seinen Bereich ein.
Bezüglich der Medienverschiebung nicht nur im oberösterreichischen
Donaubereich, sondern auch in den Gebieten an Enns und Steyr wird man daher
bereits vor der Gründung von Kremsmünster ab etwa der Mitte des 8. Jahr-
hunderts zu rechnen haben. Angesichts der zeitlichen Stufung der Verschie-
bung von d und b wird man daher nicht fehlgehen, wenn man mit der Pro-
duktivität der ¿/-Verschiebung in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts und
ihrem Auslaufen bis spätestens kurz nach der Jahrhundertmitte rechnet, mit der
^-Verschiebung aber von etwa kurz vor der Mitte bis ins dritte Jahrzehnt des 8.
Jahrhunderts. Das ergibt sich auch aus der Medienverschiebung in Salzburg, für
deren Beginn ja der Anfang des 8. Jahrhunderts ermittelt wurde, nur dass erst
unter Einbeziehung der zeitlichen Stufung von d und b im östlichen Ober-
österreich auch für Salzburg und die weiteren Gebiete mit einer solchen zeit-
lichen Abfolge gerechnet werden darf. Die ^-Verschiebung folgt auf der
Strecke Pyhrnpass - Ennstal - Palten- und Liesingtal - Murtal der seit der
Römerzeit bestehenden und noch heute wesentlichen Verbindungsstrecke von
Oberösterreich nach Süden über Kärnten nach Italien, wobei die Baiern unab-
hängig von Kremsmünster seit der bairischen Integrierung Karantaniens hier
sukzessive Fuß gefasst haben werden. Sollte im steirischen Gewässernamen
Pöls mit Medienverschiebung zu rechnen sein, so trifft die von Trieben abzwei-
gende, zur Römerzeit stärker begangene westliche Straße über den Tauernpass
dort auf die Mur.
Die südlichste /^-Verschiebung zeigt die bei Leibnitz in die mittlere Mur
Vgl. Wolfram 1979, S. 41f.; Fräss-Ehrfeld 1984, S. 60f.; Wolfram 1995, S. 112ff.
und S. 303f.; Wolfram 1999, S. 145ff; Störmer 2002, S. 84f.
Vgl. Haider 1987, S. 27; Haider 1988, S. 20ff; Wolfram 1995, S. 133ff. und S. 198ff.
211
mündende Sulm, wo auch die antike Stadt Flavia Solva lag. Obwohl Karanta-
nien im 8. Jahrhundert auch das mittlere Murgebiet umfasste und die Wasser-
scheide zwischen Mur und Raab die Ostgrenze gegen die Awaren in Pannonien
bildete, war sie schon naturgegeben eine offene, wenig gesicherte Grenze.66 67 *
Daher wurde das dritte Salzburger Kirchenzentrum Karantaniens um 760 nicht
auf dem Boden von Flavia Solva, sondern im oberen Murtal ad Undrimas etwa
im Bereich des Aichfeldes (zwischen Judenburg und Knittelfeld) errichtet,
während sich die beiden anderen Kirchenzentren Teumia/Liburnia - heute St.
Peter im Holz im Drautal - und Virunum/Maria Saal in römischen Traditions-
orten befanden. Angesichts der offenen Lage ist für Historiker denkbar, dass
der siegreiche Awarenkampf Herzog Odilos von 741/43 im Bereich der
mittleren Mur stattgefunden hat,6 so dass bereits damals den Baiem der Name
der Sulm von den Slawen als slaw. *Solba vermittelt wurde und dann der
Medienverschiebung der zweiten Jahrhunderthälfte unterlag. Sowohl durch die
zumindest militärische Anwesenheit der Baiem in Karantanien ab 741/43 als
auch durch die kirchliche Mission ab 757 wird den Baiem um die Jahrhun-
dertmitte auch der Name der Drau als des Kärntner Hauptflusses von den
Slawen vermittelt und noch mit ¿/-Verschiebung eingedeutscht worden sein.6*
Überraschend sind die Medienverschiebungen der antik-romanischen
Namen Pitten, Leitha, Raab und +Witinesperc am pannonischen Westrand im
heutigen östlichen Niederösterreich und in Oberungarn. Hier spricht zwar
nichts für eine Anwesenheit der Baiem im 8. Jahrhundert vor den Awarenzügen
Karls des Großen 791-796, aber Herzog Tassilo III. unterhielt in den Aus-
einandersetzungen mit den Awaren um 780/88 einen geheimen Gesandtschafts-
austausch, der ihm und seiner Gemahlin Liutpirc 788 im Schauprozess von
Ingelheim u.a. auch zum Vorwurf gemacht wurde und mit einer der Gründe für
seine Verurteilung und Absetzung war.69 70 Es wäre zwar denkbar, dass die
Namen Leitha und Raab wie schon früher die Flüsse des westlichen Nieder-
österreichs den Baiem als Wegmarkierungen durch Verkehrsbeziehungen
bekannt geworden sind, doch werden die Geheimverbindungen des Herzogs-
paares keine Breitenwirkung gehabt haben. Es erscheint daher viel wahr-
scheinlicher, dass diese am Westrand Pannoniens gelegenen Namen, nachdem
sie in ihrer Entwicklung bereits das Langobardische durchlaufen haben, auch
von verbliebenen Langobardenresten tradiert wurden. 0 Wenn die Medienver-
schiebung des Langobardischen auch als ein erst in Italien im Lauf des 7.
66 Vgl. Wolfram 1979, S. 78ff.
67 Vgl. Wolfram 1979, S. 80.
Die bis heute tradierte Form bair.-ahd. Trä für die Drau verhält sich wie ahd.
klawa/k/a ,Klaue', vgl. dazu Kranzmayer 1956a, S. 109 und 1958, S. 59.
69 Vgl. Wolfram 1995, S. 92.
70 Schon Schwarz 1958 rechnet mit langobardischen Tradierungen im Wiener Becken.
212
Jahrhunderts eingetretener Lautwandel gilt,71 so könnte im Sinne der Entfal-
tungstheorie mit demselben Vorgang auch bei den in Pannonien verbliebenen
Volksresten gerechnet werden. So werden die Baiern diese bereits verscho-
benen Namen erst im Zusammenhang mit den Awarenkriegen Karls des
Großen kennengelernt haben, wobei anzumerken ist, dass nach der Gewinnung
des niederösterreichischen Donaulandes auch eine rege bairische Besitzergrei-
fung stattfand. Dass es in der Zeit um 800 schon Beziehungen der Baiern zu
dem damals zu Karantanien gehörenden Wechselgebiet gegeben hat, erscheint
wenig wahrscheinlich. Umso weniger wird man annehmen, dass die Namen
+ Witinesperc und Pitten noch späte bairische Medienverschiebung erfahren
hätten. Außerdem hat der Bergname das Slawische durchlaufen.
11. Die Affrizierung von antik-romanischem c und von sla-
wischem k als Teil der bairisch-althochdeutschen Tenues-
verschiebung
Ein besonderes Problem bildet das Auftreten der bairisch-althochdeutschen
Affrikata [kx]/<ch> in einer größeren Anzahl von Ortsnamenintegraten im je-
weils gesamten Raum mit dichter Verbreitung von Ortsnamen romanischer
bzw. slawischer Herkunft. Sie können nur zum Teil unmittelbar auf die bai-
risch-frühalthochdeutsche Tenuesverschiebung zurückgehen und müssen, weil
sie in ihrem Lautstand auch noch jüngere andere Lautentwicklungen aufweisen,
jüngerer Entstehung sein, so dass sie eine andere Erklärung erfordern als Laut-
verschiebung. Auf sie wird in Abschnitt 12. einzugehen sein.
Was die Lautverschiebung betrifft, war Emst Schwarz (1927, S. 270f.) der
Ansicht, dass die Affrizierung von k als letzter Akt der Tenuesverschiebung
„sicher in der zweiten Hälfte des 8. Jh.’s wirksam war, ja noch einige Zeit des
frühen 9. Jh.’s.“ Als Beweis dafür wurden einerseits lateinische Lehnwörter
wie bair.-ahd. chrüzi ,Kreuz‘ aus lat. crux, -cis und bair.-ahd. chapella
,Kapelle’ aus viat. cape/la sowie Ortsnamen herangezogen. Eine wesentliche
Rolle spielten dabei die Ortsnamen slawischer Herkunft und da besonders die
Wiedergabe des älteren Suffixes urslaw. -ika als bair.-ahd. -icha, wie es bei
zusätzlicher Medienverschiebung von (-)b- in Sarming/Sarning, Raming und
Perschling in Ober- und Niederösterreich begegnet. Auch einzelne Ortsnamen
in der Steiermark wie Kobenz bei Knittelfeld im Murtal und in Kärnten und wie
Kamering bei Patemion im Drautal wurden genannt.
Es kann zunächst kein Zweifel bestehen, dass in Beispielen antik-romani-
scher Herkunft mit anlautendem vlat. c- des bairischen Kernraumes, wie sie in
Abschitt 4.5. zusammengestellt sind, echte Affrizierung als Teil der Tenues-
verschiebung vorliegt. Auffällig ist, dass vlat. (-)c- auch vor Palatalvokalen zur
bairisch-althochdeutschen Affrikata (-)ch- verschoben wird, wie dies sicher in
Chieming und angesichts der vulgärlateinischen Ansätze auch in Unken und
71 Vgl. dazu Anm. 32.
213
Kiens der Fall ist. Die Affrizierung tritt in der romanisch-bairischen Kontakt-
zone Salzburgs und Oberösterrreichs in Kuchl und Kobernäusserwald und im
Personennamen von Köstendorf sowie in Niederösterreich in Krems, Kamp und
Kaumberg ein. Besondere Fragen aber werfen der Name Katsch sowie die
Behandlung des slawischen Suffixes -ikal-ica in Gewässernamen auf.
Der Name Katsch bezeichnete zur Zeit seiner Erstüberlieferung im 10./11.
Jahrhundert einerseits das obere salzburgisch-steirische Murgebiet, wo der
Name an dem im Katschtal gelegenen Ort Katsch in der Steiermark mit der im
12. Jahrhundert zur Straßen- und Brückensicherung erbauten Burg haften blieb.
Andererseits ging der Name auf den an der Grenze von Salzburg und Kärnten
gelegenen Pass als Katschberg (1292 auf dem Katzperge) über. Entsprechend
heißt der anschließende obere, von der Lieser durchflossene Talabschnitt bis
Krems und der Einmündung des gleichnamigen linken Seitenbaches Katschtal
(1371 Kaztaf). Dort befindet sich die zur Wegsicherung in der ersten Hälfte des
12. Jahrhunderts erbaute Burg Rauchenkatsch (1121-28 Offo de Chazes). Die
hochmittelalterlich breite Ausdehnung des Namens Katsch wird darin be-
gründet sein, dass sich im Lungau schon zur Römerzeit und dann im an-
schließenden Frühmittelalter zwei wichtige Straßenzüge trafen, die von Salz-
burg über den Radstädter Tauern kommend nach Kärnten führten. Die west-
liche Straße ging von St. Margarethen aus über die Laußnitzer Höhe ins
Liesertal und weiter ins Drautal, während der heute westlichere Gebirgs-
übergang über den Katschberg erst im 12. Jahrhundert angelegt wurde. Hinge-
gen folgte die nach Virunum/Maria Saal führende östliche Straße zunächst der
Mur bis Stadl und zweigte dort nach Süden ab, indem sie über Flattnitz bei
Weitensfeld das Gurktal errreichte und dieses dann nach Osten durchzog. Von
Virunum/Maria Saal konnte man aber über den Neumarkter Sattel, St. Georgen
ob Judenburg, Pöls und Hohentauern auch nach Ovilavis/Wels gelangen.72
Zwischen beiden Straßen aber bestand entlang der Mur eine Verbindungs-
strecke, an der das steirische Katsch und seine hochmittelalterliche Burg liegt.
Folgt man der originalen Überlieferung des 10. Jahrhunderts, dann lautete
der Name bair.-ahd. Chdtissa mit Sekundärumlaut und Initialakzent, wodurch
im 11./12. Jahrhundert durch Vokalsynkope mhd. Chätse entstand. Gleich-
gültig welcher der beiden vorgetragenen Etymologien man folgt, so handelt es
sich um eine keltische Bildung *Catissa mit dem Suffix -issa, deren Akzent
sowohl im Keltischen als auch im Lateinischen auf dem Suffix lag. ’ Bezüglich
der Tradierung des Namens ins Bairisch-Althochdeutsche fällt auf, dass die
Tenuisverschiebung von t- fehlt, nicht der bei früher Intergrierung erfolgende
Primärumlaut von -er-, sondern erst der jüngere Sekundärumlaut vorliegt, aber
Initialakzent und ^-Verschiebung eingetreten sind. Das legt slawische Ver-
mittlung nahe, wie sie auch in den slawisierten antik-romanischen Namen an
72 Vgl. Winkler 1985, S. 25f.
Nach dankenswerter freundlicher Auskunft des Keltologen Helmut Birkhan, Wien.
214
der westlichen Verbindung von Salzburg nach Kärnten Gastein und Mallnitz zu
beobachten sind.74 Dann aber muss man ein urslaw. *Katisa ansetzen, bei dem
das vlat. / beibehalten, aber die Geminata -ss- mangels slawischer Geminaten
vereinfacht wurde. ^ Somit wird das urkundliche <ss> trotz seiner ursprüng-
lichen etymologischen Stimmigkeit eine lateinische Schreibtradition verkör-
pern. Dass der Name Katsch in Salzburg gewiss in der zweiten Hälfte des 8.
Jahrhunderts bekannt war und sichtlich damals aus dem Slawischen auch ins
Bairisch-Frühalthochdeutschen integriert wurde, darf man aus der Slawen-
mission des Bischofs Virgil in Karantanien schließen. Die westliche der drei
Missionsstationen Teurnia/Libumia, heute St. Peter im Holz, liegt nämlich am
Ende der schon römischen Straße von Salzburg über den Radstädter Tauern,
den Lungau und das Liesertal ins Drautal, wobei der Name Katsch vor seiner
hochmittelalterlichen Verwendung für den neuen und heutigen Passübergang
ursprünglich die dann aufgegebene Laußnitzer Höhe bezeichnet haben wird.
Hingegen gelangte man in das Östliche Salzburger Missionszentrum Ad
Undrimas im steirischen Aichfeld etwa zwischen Judenburg und Knittelfeld
vom Lungau aus die schon römische Verbindungsstraße die Mur abwärts, wo
das steirische Katsch liegt. Eine dieser Straßen werden der Chorbischof
Modestus und seine Gefährten benützt haben, als sie 757 nach Virunum/Maria
Saal zogen, um ihr Missionwerk zu beginnen, 6 ehe dann die beiden anderen
Missionsstationen errichtet wurden und alle diese von Salzburg über ,Katsch''
führenden Wege wichtig wurden. Somit erscheint sowohl die slawische Ver-
mittlung von Katsch als auch die Wirksamkeit der Affrizierung von k- in der
zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts gesichert.
Was das Gewässemamensuffix urslaw. -ika betrifft, so bleibt es in einem
Teil der Integrate erhalten und weist die bairisch-althochdeutsche Affrikata [Cr]
als <i{c)chä> auf, die sich als mhd. <ikh> fortsetzt und seit dem 14. Jahrhundert
als nhd. <ing> an das häufige bairische Insassensuffix -ing angeglichen wird. In
einem anderen Teil unterliegt das urslaw. Suffix der 3. Palatalisierung zu slaw.
-ica, das mit der Dentalaffrikata [r.v] als <i(t)za> wiedergegeben wird und bis
heute als <itz> bewahrt ist, sofern nicht bei Vokalsynkope durch Konso-
nantenverbindungenjüngere Lautwandlungen meistens zu -s eingetreten sind.
Beide Suffixformen zeigen heute eine unsystematische Raumverteilung,7 die
in der Slawistik zu verschiedenen Beurteilungen geführt hat. Als überzeu-
gendste Lösung erscheint mir aus germanistischer Sicht, dass die 3. Palatali-
sierung in der ostösterreichischen Slavia submersa am Ausgang des 8. Jahr-
hunderts begann und in der Abfolge [ikia > itia > itsa] erfolgte, so dass in der * 76
Vgl. Kranzmayer 1958, S. 150.
Für slawistische Beratung danke ich Radoslav Katicic, Wien, und Heinz-Dieter Pohl,
Klagenfurt.
76 Vgl. Wolfram 1979, S. 90ff.
Vgl. die Karte bei Kronsteiner 1976, S. 20.
215
Wandelphase der Konsonant je nach Gehörseindruck noch mit der Velar-
affrikata substituiert oder schon mit der Dentalaffrikata gleichgesetzt wurde.
Das aber bedeutet, dass zumindest in den Fällen mit Medienverschiebung von
slaw. b der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts wie Sarming/Sarning und
Raming in Oberösterreich und Perschling in Niederösterreich noch mit
Lautverschiebung von urslaw. -k- zu bair.-frahd. -ch- zu rechnen ist, in den
meisten sonstigen Beispielen mit teilweise auch jüngeren Lauterscheinungen,
aber mit Substitution. Dazu passt auch, dass Sarming/Sarning Sekundärumlaut
aufweist, der ebenfalls in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts fällt. Zugleich
aber zeigt die Affrizierung von urslaw. -k- in diesen Beispielen, dass dieser
Lautverschiebungsvorgang jünger ist als die um 600 wirksame Tenuisver-
schiebung zum Doppelfrikativ -hh-. Man wird daher, wie auch aus Katsch
hervorgeht, die Affrizierung von (-)£- mit der Medienverschiebung von (-)b-
zeitgleich ansetzen und in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts datieren dürfen.
Unter diesen Perspektiven ist es wenig wahrscheinlich, dass die Affrikaten-
verschiebung aufweisenden antiken Namen der niederösterreichischen Flüsse
Krems und Kamp sowie der Name Kaumberg für den Wienerwald den Baiem
erst 791 anlässlich des Awarenfeldzuges Karls des Großen zu beiden Seiten der
Donau bis zur Raabmündung bekannt geworden sind. Vielmehr wird man an-
nehmen dürfen, dass Krems und Kamp wie Erlauf ’ Zehnbach und Loich bereits
zur Zeit der Tenuesverschiebung zu Doppelfrikativen aufgegriffen wurden,
zumal diese Flüsse gegenüber der Traisen in die Donau münden und deren
Name gleich Kaumberg auf Grund des Vokalismus unmittelbar aus dem
Vulgärlateinischen übernommen wurde. s Ihre Affrizierung ist also erst erfolgt,
als diese Namen schon längst ins Bairische integriert waren.
12. Die Medienverschiebung von rom. g und die verschiede-
nen Wiedergaben von rom. c- und slaw. k- in weiteren
bairisch-althochdeutschen Ortsnamenintegraten
Keine besondere Aufmerksamkeit erfuhr die Verschiebung der velaren Media g
zu [k]/<c, g>. Obwohl Emst Schwarz (Schwarz 1927, S. 282f.) und Eberhard
Kranzmayer (Kranzmayer 1956, S. 97, 77) sie zwar grundsätzlich berücksich-
tigen, sagt Kranzmayer, wie eingangs zitiert, dass zunächst die „Umwandlung
von germ. d, b, g zu ahd. t, p, *-gg- in den Reihenschritten aus triftigen pho-
nologischen Gründen [...] gestört wurde“, und sodann ausführlicher:
Der dritte Parallelwandel hätte g zu k verändern müssen. Tatsächlich
wird im älteren Altbairischen [...] gelegentlich dergleichen geschrieben.
Die Ansätze zu diesem Fortis-Ä waren vorhanden, es reifte jedoch der
Wandel nicht mehr aus. 78
78 Vgl. Wiesinger 1985, S. 327 und S. 338f.
216
Demgegenüber hätte bereits die grundsätzliche Feststellung von Josef
Schatz in seiner Altbairischen Grammatik von 1907, S. 76 zu denken geben
müssen: „Satzanlautend steht germ. g im Anlaut der Eigennamen, die bis zum
10. Jahrh. regelmäßig mit K, C geschrieben erscheinen.“ Im Einzelnen differen-
ziert Schatz diese Beurteilung dann anhand der Überlieferung.
Die schriftliche bairisch-althochdeutschc und mittelhochdeutsche Überlie-
ferung bis 1200, ihre lautliche Interpretation und die jüngeren dialektalen
Weiterentwicklungen bis zum neuhochdeutschen Stand sind kompliziert und
lassen sich für die Velarplosive rom. (-)g-, rom. (-)c- und slaw. (-)k- in den
bairisch-althochdeutschen Integraten vierfach klassifizieren:
(1) Es gibt wenige, wohl auf die Salzburger Romania beschränkte, weil früh
bezeugte Integrate mit rom. (-)g- als bair.-ahd. [k\/<c, g>, die über
bair.-mhd. g als nhd. G-, -g- auftreten, so dass die bairisch-althoch-
deutsche Fortis wieder leniert wurde.
(2) Es gibt in sämtlichen ehemaligen romanischen und slawischen Gebieten
Integrate mit rom. c- und slaw. k-, die bairisch-althochdeutsch vom 9.
bis längstens 12. Jahrhundert mit <c, k> und dann über bair.-mhd. <g>
heute mit G- auftreten, so dass sich als bairisch-althochdeutsche Aus-
sprache die Fortis [k] ergibt, die dann wieder zu [g] leniert wurde.
(3) Es gibt in Südtirol Integrate mit rom. c- und in Kärnten gelegentlich
welche mit slaw. k-, die bairisch-althochdeutsch mit <c, k> geschrieben
werden, dieses über das Bairisch-Mittelhochdeutsche behalten und
heute mit K- auftreten, das dialektal meistens noch als unaspirierte
Fortis [/r] gesprochen wird. 9
(4) Es gibt im gesamten romanischen und slawischen Raum Integrate mit
rom. c- und slaw. k-, die bairisch-althochdeutsch und bairisch-mittel-
hochdeutsch mit <ch> wiedergegeben werden und heute südbairisch mit
der Affrikata [Gr, kh] und mittelbairisch vor Vokal mit [kh] und vor
Konsonant mit [g] anlauten. In diese Gruppe fallen auch slaw. Integrate
mit dem slawischen Velarfrikativ ch-.
Diese vierfachen Erscheinungsformen von bairisch-althochdeutschen Integra-
ten romanischer und slawischer Herkunft lassen sich folgendermaßen erklären.
Die nur sehr wenigen, in althochdeutscher Zeit bezeugten Integrate der 1.
Gruppe (Beispiele 6.3.) mit rom. (-)g- als bair.-ahd. [k]l<c, g> sind eindeutige
Ergebnisse der Medienverschiebung. Davon liegen Glas, Grödig, Muntigl,
Gois und Gamp im Umkreis von Salzburg, wobei Grödig bereits die Tenuis-
verschiebung von vlat. -c- zu -hh- aufweist. Im Fall von Muntigl spricht auch
der noch vorverlegte Initialakzent für frühe Integrierung. Außersprachliche
Anhaltspunkte für die Datierung lassen sich nicht ausmachen. Aus struktureller 79
79 Leider sind die Ausspraeheangaben von Kühebacher 1995 sehr ungenau.
217
Sicht bedeutet jedoch die Verschiebung des Velars g > k im Verhältnis zu den
aufeinander folgenden Verschiebungen des Dentals d> t und des Labials b> p
die Auffüllung zur vollständigen Fortisplosivreihe t p - A, die sich aus der
Affrizierung von vorhandenem k > ch ergab. Es erscheint daher in absoluter
Chronologie durchaus möglich, dass sich die Medienverschiebung von g > k
erst danach einstellte. Rechnet man, wie ermittelt, mit der b- und
¿-Verschiebung etwa vom Jahrzehnt vor bis zum dritten Jahrzehnt nach der
Mitte des 8. Jahrhunderts, so wird die g-Verschiebung sich erst etwa seit dem
zweiten Jahrzehnt der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts vollzogen haben.M)
Wie schon Josef Schatz an der Schreibung von Personennamen mit germ. g-
als bair-ahd. <c> festgestellt hat, gab es im 9. Jahrhundert im Bairisch-Althoch-
deutschen als Velarplosiv nur die aus germ. g durch die Medienverschiebung
entstandene Fortis [A], Nach Auslaufen der Medienverschiebung konnte daher
in dieser Zeit gleichlautendes rom. c- und slaw. k- unmittelbar damit gleichge-
setzt werden. Die in Auswahl angeführten Ortsnamen dieser 2. Gruppe (Bei-
spiele der Abschnitte 8.1. und 8.2.) aus dem gesamten ehemals romanischen
und slawischen Raum bestätigen daher die Existenz von bair.-ahd. [A] und sind
frühestens ab dem Ende der Medienverschiebung von g und dies wahrschein-
lich im Lauf des 9. Jahrhunderts übernommen worden, als die Baiem sowohl im
Donau- als auch im Alpenraum stark Fuß zu fassen begannen. Die Lenierung
des medienverschobenen [A] wieder zu [g] dürfte etwa gegen Ende des 9. Jahr-
hunderts begonnen haben, wenn sich die Schreibungen mit <c, k> neben <g>
als erstarrte Graphien auch teilweise bis ins 12. Jahrhundert gehalten haben.
Der neuerliche Lautwandel wurde dann in mittelhochdeutscher Zeit allgemein
auch schriftlich nachvollzogen, so dass solche Ortsnamen heute mit G- ge-
schrieben werden und überall auch entsprechend mit [gj gesprochen werden.
Demgegenüber gibt es im südbairischen Raum von Südtirol und teilweise
von Kärnten Integrate der 3. Gruppe (Beispiele 8.3.) mit rom. c- und slaw. A-,
die ihre Fortiswiedergabe K- über die mittelhochdeutscher Zeit bis heute
bewahren. Sie verdanken ihre anlautende Fortis [A] zwei kombinatorischen
spätalthochdeutschen bzw. frühmittelhochdeutschen Lautwandlungen, nämlich
dem wohl seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts wirksamen Notkerschen
Anlautgesetz und dem zwar erst in die Zeit um 1100 datierten, wohl aber schon
in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts wirksamen Schröderschen Assimi- *
Wl Diese Datierung scheint den Angaben der althochdeutschen Grammatik, wie
Braune/Reiffenstein 2004, S. 143ff. und besonders Schatz 1907, S. 76ff. zu wider-
sprechen. Man muss aber bedenken, dass die ältesten Namen aus Mondsee und
Freising keine Originalüberlieferungen, sondern erst Abschriften seit dem 9. Jahr-
hundert sind, die sich gegenüber älteren Vorlagen geändert haben können. Wenn das
Abrogans-Glossar der Pariser Handschrift die Schreibungen c, A sehr konsequent
durchführt, so lokalisiert die jüngere Forschung die Handschrift in Regensburg zur
Zeit des Bischofs Baturich (817-847) und damit erst in das erste Viertel des 9. Jahr-
hunderts, wenn darin auch ältere Vorlagen des ausgehenden 8. Jahrhunderts Verwen-
dung fanden, vgl. Tiefenbach 2002, S. 19f.
218
lationsgesetz. Während nach der Notkerschen Regel im absoluten Anlaut und
im Kontext nach stimmlosen Fortiskonsonanten die Lenisplosive [d, b, g] zu
Fortisplosiven [/, p, k] werden, bewirkt die von Edward Schröder beobachtete
Entwicklung die Femassimilierung der Leniplosive [d, b, g] zu Fortislosiven [/,
p, k] an inlautende Fortiskonsonanten.81 Auf diese Weise entstand im Bairi-
schen erneut ein eine Zeit lang fehlender Fortisplosiv [&]. Diese zwar gesamt-
bairisch wirksame Entwicklung eines neuen Fortisplosivs [£] ist im Südbairi-
schen bis heute noch in Südtirol stark und in Kärnten schwach erhalten, so dass
dort die dreigliedrige phonematische Velarreihe Igl: Ikl: Had gilt. Durch diese
neuerlichen Fortisierungen konnten sichtlich im 10./1 1. Jahrhundert die Velar-
plosive der erst damals übernommenen Ortsnamen mit rom. c- und slaw. k- mit
dem neuen bair.-spahd. [k] gleichgesetzt werden. Für ihre späte Übernahme
spricht auch die Beibehaltung des romanischen Penultimaakzents.
Im Zeitraum zwischen dem Einsatz der Lenierung des durch die Medien-
verschiebung entstandenen bair.-ahd. [&] wieder zu [g] gegen Ende des 9.
Jahrhunderts und der Entstehung eines neuen [k] durch die beiden Forti-
sierungsregeln etwa von der zweiten Hälfte des 10. bis ins beginnende 12. Jahr-
hundert besaß das Bairische nur den Lenisplosiv [g] und die aus der Tenuesver-
schiebung hervorgegangene Affrikata [kx], Ortsnamenintegrierungen von rom.
c- und slaw. k- in dieser spätalthochdeutschen/frühmittelhochdeutschen Zwi-
schenperiode mussten daher mit dem nächst verwandten bairisch-althochdeut-
schen Laut erfolgen. Als ein solcher Substitutionslaut stand bloß die Affrikata
[kx] zur Verfügung. Es gibt daher eine Reihe von Beipielen der Gruppe 8.4., die
in althochdeutscher und mittelhochdeutscher Zeit mit der Affrikatenschreibung
<ch> überliefert sind und heute mit K- geschrieben werden und südbairisch
auch stets mit der Affrikata [£.v, kh], mittelbairisch aber vor Vokal mit [kh] und
vor Konsonant mit [g] anlauten. Dazu gehören auch die von Ernst Schwarz für
Tenuisverschiebung gehaltenen Ortsnamen Kobenz in der Steiermark und das
etymologisch unklare Kamerith in Kärnten, wobei Schwarz bei dem slawi-
sierten Kobenz antik-romanischer Herkunft nicht die Beibehaltung des Penul-
timaakzents beachtete.82 Bei den Ortsnamen Köflach und Kiblitz spricht für die
81 Zu den beiden Regeln und ihren Nachwirkungen im Bairischen vgl. Kranzmayer
1956, S. 77ff.
82 Mit Kobenz beschäftigte sich zuletzt Holzer 1997, S. 84, der an Schwarz anschließt
und Integrierung über eine slawische Zwischenstufe mit Lautverschiebung von vlat.
c- zu bair.-ahd. ch- und Primärumlaut von a zu e annimmt und wegen der urkund-
lichen Überlieferung ein kelt. *kumbantia ansetzen möchte, aber genau so wenig wie
Schwarz die Beibehaltung des Penultimaakzents berücksichtigt. Der zweifellos zu
kelt. *camb- ,krumm4 gehörige ursprüngliche Gewässername geht m. E. auf
*Cambentia zurück, wobei das Suffix nach Krähe 1962 zwar häufiger als -antia, aber
ebenfalls zahlreich als -entia auftritt. Dadurch ist es nicht notwendig, Eindeutschung
im 8. Jahrhundert mit Lautverschiebung und Primärumlaut anzunehmen, womit sich
nicht die Beibehaltung des vulgärlateinischen/slawischen Akzents verträgt. Die sla-
wische Zwischenstufe lautete dann *Kgbqca, wobei -c- bereits auf vulgärlateinische
219
späte Integrierung auch das bereits zu /' gewandelte slaw.y, ein slawischer Laut-
wandel, der ins 10. Jahrhundert datiert wird. Es handelt sich also bei der 4.
Gruppe trotz der Velaraffrikata um Pseudolautverschiebung.
13. Pseudolautverschiebung von slaw. d- und b-
Überraschenderweise gibt es im östlichen Oberösterreich und in Niederöster-
reich einige integrierte Ortsnamen slawischer Herkunft, deren slawische
Medien d und b in der mittelalterlichen urkundlichen Überlieferung seit dem
11. Jahrhundert als t und p auftreten und dementsprechend in der Literatur auch
vielfach als Medienverschiebung interpretiert werden. Was jedoch im
Vergleich zu den bisher behandelten Ortsnamen hier bedenklich stimmt, ist
einerseits die Kombination mit jüngeren slawischen und deutschen Lauter-
scheinungen und andererseits oftmals ihre Lage abseits der tatsächlich
Medienverschiebung aufweisenden Kontaktzonen. Hinsichtlich der urkundli-
chen Überlieferung ist dabei zu beachten, ob es sich bis ins 12. Jahrhundert um
Original- oder erst jüngere Kopialüberlieferung handelt, wobei letztere von den
zeitgenössischen Schreibgewohnheiten beeinflusst sein kann, oder ob über-
haupt erst spätmittelhochdeutsche und frühneuhochdeutsche Erstbezeugungen
seit dem 13. Jahrhundert vorliegen.
Im westlichen Niederösterreich sind Toberstetten/'Waidhofen a. d. Ybbs als
1160 Toberstetten und abgekommenes 1094-97 + Tobiraniswisin!St. Pölten als
solches erstmals bezeugt und mit den slawischen Personennamen * Dobrb bzw.
*Dobranb mit slaw. dobrb ,gutl gebildet (Schuster I 1989, S. 411; ANB I 199,
S. 252). Aber einem lautverschobenen d- des 8. Jahrhunderts widerspricht im
Vergleich zu Tobra und Tafersheim in Oberösterreich, die noch urslaw. ä als
bair.-ahd. a wiedergeben, das erst im Laufe des 9. Jahrhunderts daraus ent-
wickelte slaw. o.83 Das -b- kann vor r als solches bewahrt sein und muss nicht
mit bair-ahd. -v- substituiert sein, zumal in Verbindung mit einem Liquid Plosiv
und Frikativ wechseln können, wie Tafersheim und Gaflenz zeigen.
In Tragwein!Perg im südöstlichen oberösterreichischen Mühlviertel (1230 in
Trageu, 1240 de Thragevn [OÖNB 11 2003, S. 126f.]) mit dem slawischen Per-
sonennamen Dragunb von slaw. dragb ,teuer, kostbar4 spricht nicht nur der auf
der zweiten Silbe beibehaltene Akzent gegen Integrierung mit Medienver-
schiebung, sondern auch die slawische Liquidenmetathese des frühen 9. Jahr-
hunderts, denn slaw. dragb beruht auf urslaw. *dargb. Gleiches gilt für Tragi
(1492, 1558 im Tragi [OÖNB 7 2001, S. 25]), einem linken Nebenfluss der
Steyerling, die selber linker Nebenfluss der Steyr bei Klausen ist. Der Bach
fließt nicht nur abseits des Verkehrstales der Steyr durch eine Schlucht, sondern
Palatalisierung und Assibilierung von -tia beruht und vlat. -a- slawisch schon geho-
ben ist, so dass es bairisch-althochdeutsch vor Nasal + Konsonant zu -u- wird. Ein
keltischer Ansatz *knm-, wie ihn deswegen Holzer vomimmt, ist unwahrscheinlich.
Vgl. Schwarz 1927a und Brauer I, 1961, S. 87f.
220
die entsprechende Bezeichnung slaw. * draga in slow, draga ,Tal, Schlucht,
Wassergraben1 geht ebenfalls mit Liquidenmetathese von urslaw. *darga aus.
Im oberen Trauntal bei Bad Ischl im oberösterreichischen Salzkammergut
heißt der Quellbach des Weißenbaches als linker Nebenfluss der Traun, der
bereits 829 als Uuizinpah überliefert ist, Pölitz (1325 in die Pelitz [OÖNB 6
1999, 43 f.J) als slaw. * Bélica mit slaw. bêla ,weiß\ so dass ein slawisch/deut-
sches Namenpaar vorliegt. Gegen Integrierung mit Medienverschiebung des 8.
Jahrhunderts spricht nicht nur das weiterentwickelte Suffix, das in jener Zeit als
bair.-ahd. -icha übernommen und zu -ing weiterenwickelt worden wäre,
sondern auch die Integrierung von slaw. ë als bairisch-althochdeutsches
Primärumlauts-e statt Übernahme als das im 9. Jahrhundert Diphthon-
gierung und Hebung zu ie erfuhr wie in Pielach in Niederösterreich.
Aus dem niederösterreichischen Weinviertel seien u.a. erwähnt Paris-
dorfEggenburg (1149 de Porandisdorf 1186-92 Poransdorf [Schuster 1 1989,
S. 222; ANB I 1999, S. 62]) mit dem slawischen Personennamen *Boranb;
Po^xí/or/ZMistelbach (1194-96 PoAöfor/'fSchuster I 1989, S. 304; ANB I 1999,
S. 138]) mit dem slawischen Personennamen *Bojb, wobei der Diphthong mit
dem im 12. Jahrhundert zu oi weiterentwickelten bair.-ahd. -iu gleichgesetzt
wird, und PlattJKeiz (12. Jh. in Pladene, 1185-95 apud Plade, 1190 Plade
[Schuster I 1989, S. 288; ANB I 1999, S. 118]) wohl von slaw. blato ,Sumpf,
das wieder Liquidenmetathese aus urslaw. *bälta aufweist. Die Beispiele
ließen sich fortsetzen.
Da auch echt deutsche Namen die Wiedergabe von d als t aufweisen wie in
Oberösterreich Trattenbach, linker Nebenfluss der Enns bei Temberg (1270 in
Tretenbach, 1477 im Trattenbach [OÖNB 7 2001, S: 147]) und Trattnach,
linker Nebenfluss des Innbaches bei Grieskirchen (785, 825-31 Dratinaha\
1120-40 de Tratnahe [ANB I 1999, S. 273]) von ahd. dräti/mhd. draete
,schnell1 muss die Lösung anders als mit Medienverschiebung gesucht werden.
Nach dem Notkerschen Anlautgesetz lassen sich Fälle wie Toberstetten,
+Tobraniswisin, Tragw’éin und Tragi erklären und dies nicht nur als Ansage-
formen, sondern auch im Kontext mit der häufigen Präposition ahd. za/mhd. ze
,zu‘, wenn sie sprechsprachliche Vokalsynkope zu z ’ [/5] erfährt. Solche Bei-
spiele werden daher erst seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts ihr
zunächst aus dem Slawischen übernommenes d- zu t- gewandelt haben. Zumin-
dest das deutsche Trattenbach und Trattnach folgen dem Schröderschen Assi-
milationsgesetz.
Wenn in den genannten Beispielen mit anlautendem Labial der allgemein als
stimmhaft geltende slawische Lenisplosiv b- nicht wie in den meisten Fällen
seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert mit dem stimmhaften bairisch-althoch-
deutschen Lenisfrikativ v- substituiert wurde, sondern der Fortisplosiv p-
eintrat, so findet dies aus bairisch-althochdeutscher Sicht insofern keine
Erklärung, als der durch die Medienverschiebung entstandene Fortisplosiv p-
während der mittelhochdeutschen Zeit im Mittclbairischen fortbesteht und erst
ab dem 13. Jahrhundert der Konsonantenschwächung zu unterliegen beginnt.
221
Es stellt sich daher die Frage, ob nicht bedingt durch den bairisch-slawischen
Sprachkontakt teilweise die eine gewisse Zeit bestehende Zweisprachigkeit der
Slawen als bairisch-althochdeutscher Einfluss den Verlust der Stimmhaftigkeit
der slawischen Lenisplosive bewirkt hat. ln einem solchen Pall war dann die
nur teilweise auftretende Gleichsetzung von nun stimmlos gewordenem slaw.
b- mit dem im Anlaut bloß vorhandenem bair-ahd. p- möglich. Die hier in
Auswahl behandelten integrierten Ortsnamen slawischer Herkunft mit an lau-
tendem bair.-ahd./mhd. t- und p- für slaw. d- und b- erweisen sich also als Fälle
von Pseudolautverschiebung.
14. Ergebnisse
Die Zweite Lautverschiebung der germanischen Tenues t-p — k zu den Affri-
katen [ts\l<z> - \pf]/<ph, pf> - [kx]/<ch> bzw. zu den Frikativgeminaten
\ss]l<zz> - \ff\/<ff> - [xx]/<hh> je nach Position und der germanischen Medien
d - b ~ g zu den Fortisplosiven [/]/</> - [p]!<p> - [k]/<c, g> erfolgte im Bai-
risch-Althochdeutschen vor der am Ausgang des 8. Jahrhunderts einsetzenden
Textüberlieferung. Es wurden daher in der bisherigen Forschung unterschied-
liche Verläufe und Datierungen geboten, wobei in erster Linie die Untersu-
chungen von Ernst Schwarz von 1927 als spezifische Analyse und die Darstel-
lung von Eberhard Kranzmayer von 1956 im Rahmen der bairischen Lautge-
schichte besonders zu nennen sind.
Zur Feststellung der vorliterarischen Vorgänge werden die bairisch-alt-
hochdeutschen Integrate von Ortsnamen als Siedlungs-, Gewässer-, Berg-, Tal-
und Waldnamen untersucht. Sie stammen einerseits aus der Antike und sind
nach ihrer Herkunft und Etymologie vorindogermanische, indogermanisch-
voreinzelsprachliche, keltische und lateinische Bildungen, die im Westen ent-
weder direkt aus dem Vulgärlateinischen oder erst aus dessen Weiterentwick-
lung zum Romanischen ins Bairisch-Althochdeutsche integriert wurden. Nicht
alle bisher mangels antiker Belege rekonstruierten vordeutschen Etymologien
werden uneingeschränkt anerkannt, vielmehr werden teilweise immer wieder
Neuetymologisierungen vorgetragen und damit die bisher angenommenen
Grundlagen für Zweite Lautverschiebung bezweifelt. In dem seit dem ausge-
henden 6. Jahrhundert slawisch besiedelten Osten wurden nur wenige antike
Ortsnamen tradiert und über das Slawische ins Bairisch-Althochdeutsche
übernommen, dafür aber umso mehr Ortsnamen slawischen Ursprungs. Für die
Durchführung und Datierung der komplexen Zweiten Lautverschiebung sind
die wenigen diesen Vorgängen unterworfenen Ortsnamenintegrate in den äl-
testen Kontaktbereichen von Baiem und Romanen im Westen und von Baiern
und Slawen im Osten von besonderer Aussagekraft, das sind im länger roma-
nisch verbliebenen Westen Tirol, Salzburg und das westliche Oberösterreich
und im einst slawischen Osten das östliche Oberösterreich mit südlichen Aus-
läufern in die Steiermark und nach Kärnten. Besondere Probleme stellen sich in
Niederösterreich zu beiden Seiten des Wienerwaldes, wo antike Gewässernamen
ohne slawische Vermittlung ins Bairisch-Althochdeutsche integriert wurden.
222
Die Beobachtung unterschiedlicher Lautstände von integraten im einst
romanischen Westen und im früher slawischen Osten erlaubt einerseits die
Feststellung der relativen Chronologie der Abfolge der Zweiten Lautver-
schiebung. Andererseits lässt sich durch die Heranziehung von außersprach-
lichen Fakten, wie sie bei weitgehend fehlender schriftlicher Geschichtsüber-
lieferung sowohl die Frühmittelaltergeschichte als auch die Archäologie erar-
beitet haben, die ungefähre absolute Chronologie ermitteln. Dabei wird in der
Darstellung sukzessive vorgegangen, so dass mit fortschreitender Unter-
suchung und neu gewonnenen Einsichten früher Behandeltes später präzisiert
werden kann. Gleichzeitig sind auch Einsichten in einzelne lauthistorische
Entwicklungen des Romanischen und des Slawischen der Romania und der
Slavia submersa möglich. Ohne dass nun die ausführlichen innersprachlichen
Entwicklungen und außersprachlichen Ereignisse wiederholt werden, ergeben
sich aus dem geringen Material von herangezogenen rund 135 Ortsnamen mit
und ohne Zweite Lautverschiebung und weiteren ausgewählten rund 35 Bei-
spielen zur Integration von rom. c- und slaw. k- folgende Resultate:
(1) Die Tenuesverschiebung von t- > z, p- > pf und -k- > -hh- war in Tirol
und Salzburg in der Zeit um 600 aktiv, so dass sie in der zweiten Hälfte
des 6. Jahrhunderts einsetzte und längstens bis ins zweite Viertel des 7.
Jahrhunderts wirksam war. Zumindest für die Verschiebung von -k- >
-hh- liefert der Gewässername Lech einen terminus antequem non, denn
er ist für 565 noch unverschoben als Licca bezeugt. Die Ausgangsbasis
der Tenuesverschiebung war überall, also auch in Bayern, Ober- und
Niederösterreich, das Vulgärlateinische ohne romanische Inlautlenie-
rung der einfachen Fortisplosive, die erst nach der bairisch-althoch-
deutschen Tenuesverschiebung erfolgte.
(2) Eine zeitliche Stufung der Tenuesverschiebung zu Frikativgeminaten
und des Dentals und Labials zu Affrikaten lässt sich nicht feststellen.
Lediglich die Affrizierung von (-)k- > {-)ch- war erst in der zweiten
Hälfte des 8. Jahrhunderts wirksam, wie eindeutig slawische bzw. slawi-
sierte antike Beispiele aus Salzburg und Oberösterreich zeigen. Auch
die bloß drei Ortsnamen mit rom. (-)c- vor Palatalvokalen weisen die
Affrizierung zu (-)ch- auf, so dass sie eingedeutscht wurden, als die
romanische Palatalisierung und Affrizierung noch nicht wirksam war.
(3) Die Tenuesverschiebung betrifft außer der genannten Affrizierung von
(-)k- keine slawischen und slawisierten antiken Beispiele.
(4) Die romanische Inlautlenierung der einfachen vulgärlateinischen
Fortisplosive -p-, -c- zu romanischen Lenisplosiven -d-, -b-, -g- er-
folgte in der Tiroler und Salzburger Romania erst nach der bairisch-alt-
hochdeutschen Tenuesverschiebung und vor der bairisch-althochdeut-
schen Medienverschiebung. In derselben Zeit vollzogen sich auch Aus-
sprachewandlungen von vlat. (-)v-, was sich aus dessen Integrierungen
223
zunächst als bair.-ahd. (-)w- und dann als bair.-ahd. (-)/>- mit an-
schließender Medienverschiebung zu (-)/;- ergibt. Daraus resultiert ein
zeitlicher Rahmen der romanischen Inlautlenierung von frühestens vom
zweiten Viertel des 7. Jahrhunderts bis gegen dessen Ende. Dies ent-
spricht nicht den Datierungen der Romanistik, die ausgehend von der
Westromania mit einer gestuften Entwicklung vom 4. bis 6. Jahrhundert
rechnet.'44 Man muss aber hinsichtlich der rätisch-norischen Romania
submersa berücksichtigen, dass es sich um die nördliche romanische
Peripherie handelt. Nach allgemeinen dialektgeographischen Erkennt-
nissen erfolgen Entwicklungen in solchen Randbereichen gegenüber
jenen der Kemräume, wenn überhaupt, so zeitlich verzögert.
(5) Vlat. (-)v- hatte auf Grund seiner anfänglichen Integrierung als
bair.-ahd. w eine halbvokalische bis bilabiale Aussprache, die bis nach
der Beendigung der bairisch-althochdeutschen Tenuesverschiebung
erhalten blieb und von der Aussprache von vlat. b verschieden war. Sie
muss sich in Verbindung mit der romanischen Inlautlenierung der
Fortisplosive zunächst zu einer bilabialen bis leicht frikativischen Aus-
sprache gewandelt haben, so dass nun rom. v nicht nur mit dem lenierten
neuen rom. b/v aus intervokalischem rom. -p- zusammenfiel, sondern
der gemeinsame Laut im Lauf der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts mit
der zu dieser Zeit wohl noch stimmhaften, vielleicht auch noch leicht
frikativischen germanischen Lenis b gleichgesetzt werden konnte und
dann nach Stimmloswerdung der Medienverschiebung zu p unterlag.
Schließlich erreichte rom. v als dritte Entwicklungsstufe frikativisch
labiodentale Artikulation und entsprach gegen Ende des 8. Jahrhunderts
dem stimmhaft gewordenen bair.-ahd. v aus germ.Die bairisch-alt-
hochdeutschen Intégrate mit rom. v zeigen also je nach romanischem
s4 Historische Lautlehren des Rätoromanischen, wie z.B. jene von Eichenhofer 1999,
und des Ladinischen von Kramer 1977 beschreiben zwar wie Lausberg 1967 und
1970 für das gesamte Romanische genau das Verhältnis von lateinischen Ausgangs-
lautungen und rezenten Entsprechungen, machen aber keine Angaben, wann und in
welcher Abfolge die einzelnenen Lautwandlungen erfolgt sind. Mit Bezug auf das
Gemeinromanische des 1. bis 6. Jahrhunderts bringt Richter 1934 anhand von Bele-
gen unter Einbeziehung der innersprachlichen Chronologien annähernde absolute
Datierungen nach Jahrhunderten. Sie bemerkt dazu S. 52: „Wir besitzen zwar zahl-
reiche ,historische1 Grammatiken [...], aber eine Geschichte der sprachlichen Ent-
wicklungen geben sie nicht.“ Zugleich betont sie S. 3: „Die vorliegende Chronologie
ist eine Hilfskonstruktion für die Erfassung des sprachgeschichtlichen Vorganges.“
Richter sieht die Inlautlenierung nicht als einen gemeinsamen, sondern als einen
gestuften Vorgang in der Abfolge -c- vor u, o, a zu -g-, -t- zu -d- und -p- zu -b- zu -v-.
Zeitlich datiert sie diese Lenierungen insgesamt ins 4. bis. 6. Jahrhundert.
*5 Nach Richter 1934, S. 47f. vollzieht sich der Wandel von w- zu v- sehr langsam vom
5. bis 8. Jahrhundert.
224
Artikulationsstand und Übernahmezeit die Abfolge w-p-v.
(6) Die Medienverschiebung betrifft sowohl romanische als auch slawische
Integrate. Dabei wurde der Velarplosiv (-)g- wegen nur sehr weniger
Beispiele in der bisherigen Forschung vernachlässigt, ja teilweise seine
Verschiebung beinahe in Frage gestellt, was eine genauere Unter-
suchung des Verhaltens aller Velarplosive in Ortsnamenintegraten er-
forderlich macht. Anhand slawischer Integrate in Oberösterreich zeigt
sich, dass die Verschiebung des Dentals früher erfolgte als die des
Labials. Die geschichtlichen Ereignisse in Salzburg, Oberösterreich und
der Steiermark erlauben die Datierung der Dentalverschiebung in die
erste Hälfte des 8. Jahrhunderts mit dem Auslaufen kurz nach der Jahr-
hundertmitte und der Labialverschiebung etwa vom letzten Jahrzehnt
vor der Mitte bis ins dritte Jahrzehnt nach der Mitte, also in die zweite
Hälfte des 8. Jahrhunderts. Für beide Medienverschiebungen im öst-
lichen Niederösterreich und im angrenzenden Oberungarn ist, da sie sich
nicht mit den geschichtlichen Vorgängen in Oberösterreich und der
Steiermark vereinbaren lassen, bereits mit Medienverschiebung durch
verbliebene, 568 nicht von Pannonien nach Oberitalien abgewanderte
Langobardenreste und Übernahme der verschobenen Integrate ins Bai-
risch-Althochdeutsche nach 800 mit dem Vordringen der Baiem in diese
Gebiete nach den Awarenkriegen Karls des Großen zu rechnen.
(7) Die Verschiebung der Media g zu k ist die strukturelle Folge der Affri-
zierung von vorhandenem k, wodurch sich die neue Fortisplosivreihe / -
p - k aufbaut. Man wird deshalb annehmen dürfen, dass die g-Ver-
schiebung später einsetzte und somit in der zweiten Hälfte des 8. Jahr-
hunderts ab etwa dessen zweitem Jahrzehnt erfolgte.
(8) Zur Zeit der ältesten Integrierungen mit Medienverschiebung aus dem
Slawischen herrschten noch urslawische Lautverhältnisse. So war noch
nicht die meist gegen 800 angesetzte Liquidenmetathese durchgeführt,
die erst in jüngeren Ortsnamenintegraten seit dem 9. Jahrhundert auf-
tritt. Ferner war das aus idg. a und o hervorgegangene urslaw. älo noch
ein sehr offener o-Laut, der mit bair.-ahd. a substituiert wurde,ehe er
durch weitere Hebung zu slaw. o im Laufe des 9. Jahrhunderts mit
bair.-ahd. o gleichgesetzt werden konnte.
(9) Mit der Medienverschiebung des Labials b ist in wenigen slawischen
und slawisierten antiken Ortsnamenintegraten die Affrizierung von
slaw. k zu bair.-ahd. [kx]/<ch> verbunden. Man darf ihre Wirksamkeit
H6 Die slawischen Grammatiken und Wörterbücher schreiben den urslawischen Laut als
<o>, räumen aber als dessen Qualität überoffenes bis offenes [d] ein (vgl. Bräuer I
1961, S. 67f.), so dass dafür teilweise <d> geschrieben wird, wie wir es zur Ver-
deutlichung teilweise auch hier praktizieren.
225
daher in derselben Zeit vom letzten Jahrzent vor bis ins dritte Jahrzehnt
nach der Mitte des 8. Jahrhunderts annehmen. Dieser späte Akt der
Tenuesverschiebung erfolgte unabhängig von der frühen Verschiebung
zum Doppelfrikativ [xx]/<hh>. Hingegen spiegelt sich in der regellosen
räumlichen Verteilung von bair.-ahd. <ic(c)ha>/mhd. <ieh, ikh>/nhd.
<ing> und bair.-ahd./mhd./nhd. <itz> die ungleiche Substitution des der
3. Palatalisierung unterliegenden Suffixes urslaw. -ika zu slaw. -ica.
Dieser Lautwandel vollzog sich sichtlich ab dem ausgehenden 8. Jahr-
hundert als [ika > ikia > itia > itsa], das teilweise noch als Palatal gehört
und wiedergegeben und teilweise schon als Dental aufgefasst und ge-
schrieben wurde. Die Velarwiedergabe im größten Teil dieser Beispiele
darf daher nicht für die Zweite Lautverschiebung herangezogen werden.
(10) Aus der Integrierung von rom. -c und slaw. k- in einem Teil von Beispie-
len aus dem gesamten west- und ostösterreichischen ehemals romani-
schen und slawischen Raum mit bair.-ahd. [k]/<c, g> ergibt sich, dass
germ. g wie die dentale und labiale Media sehr wohl zum Fortisplosiv
verschoben wurde, was die Gleichsetzung ermöglichte. Seine Lenierung
wird gegen Ende des 9. Jahrhunderts eingesetzt haben, so dass solche
Beispiele bairisch-mittelhochdeutsch wieder mit [g\l<g> anlauten und
auch heute G~ aufweisen. Eine andere Beispielgruppe zeigt für Integrate
aus beiden Sprachen zwar ebenfalls den Fortisplosiv, behält aber diesen
als bair.-mhd. k und heute noch als K- bei. Dabei handelt es sich um die
neuerliche bairisch-spätalthochdeutsche bzw. frühmittelhochdeutsche
Fortisierung von inzwischen leniertem [g] zu [k] durch das Notkersche
Anlautgesetz und das SchrÖdersche Assimilationsgesetz von der
zweiten Hälfte des 10. bis über das Ende des 11. Jahrhunderts. Solche
Beispiele finden sich heute noch im Südbairischen Südtirols und teil-
weise Kärntens, weil dort die dreifache Differenzierung der Velar-
phoneme als Igl: ¡kl: Ikxl fortlebt. Schließlich gibt es noch romanische
und slawische Integrate mit der bairisch-althochdeutschen Affrikata
[kx]l<ch>, die zum Teil noch zusätzlich jüngere fremdsprachliche
Lautentwicklungen aufweisen, so dass ihre Affrikata nicht auf die
Tenuesverschiebung zurückgeht. Sie wurden vielmehr in der Zwi-
schenzeit ins Bairisch-Althochdeutsche aufgenommen, als medienver-
schobenes bair.-ahd. k wieder zu g leniert und neues assimilatorisches k
noch nicht entwickelt war. In diesem Zeitraum zwischen etwa dem Ende
des 9. und der zweiten Hälfte des 10, Jahrhunderts konnte zur Integra-
tion nur die bairisch-althochdeutsche Affrikata [kx\/<ch> als der nächst
verwandte Substitutionslaut dienen. Es handelt sich in solchen Fällen
also um Pseudolautverschiebung. 11
(11) Pseudolautverschiebung von d zu t auf Grund des Notkerschen Anlaut-
und des Schröderschen Assimilationsgesetzes begegnet nicht nur in echt
bairisch-althochdeutschen Ortsnamen, sondern auch in jüngeren
226
slawischen Integralen. Da vereinzelt auch slaw. b- nicht, wie es regulär
geschieht, seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert als bair.-ahd. v-
wiedergegeben wird, sondern bei jüngerem sonstigem Lautstand als
bair.-ahd. p-, wird man annehmen müssen, dass im slawisch /deutschen
Sprachkontakt gebietsweise das slaw, b- seine Stimmhaftigkeit als An-
gleichung an den bairischen Lautstand eingebüßt hatte und dadurch
Plosivwiedergabe möglich wurde.
Vergleicht man diese anhand der bairisch-althochdeutschen Integrierung von
vulgärlateinischen, romanischen und slawischen Ortsnamen mit Hilfe außer-
sprachlicher historischer und archäologischer Erkenntnisse gewonnenen an-
nähernden Datierungen mit jenen von Ernst Schwarz und Eberhard Kranz-
mayer, so gibt es sowohl Konvergenzen als auch Divergenzen. Mit Schwarz
stimmt in etwa die Datierung der Tenuesverschiebung zu Doppelfrikativen und
des Dentals und Labials zu Affrikaten überein, deren Durchführung er in die
Zeit von 550-660 ansetzt, mit deren Auslaufen man aber spätesten vor der Mitte
des 7. Jahrhunderts rechnen muss. Hingegen ist Kranzmayers Datierung gegen
700 entschieden zu spät. Wenn Schwarz in teilweisem Anschluss an Georg
Baesecke und wohl auch unter Einbeziehung der räumlichen Staffelung der
Lautverschiebung im Rheinischen Fächer in wellentheoretischer Beurteilung
als Ausbreitung aus dem Süden mit einer zeitlichen Abfolge Dental - Labial -
Velar und zusätzlich noch je nach Position als Frikativgeminata oder Affrikata
rechnet, so liefern die bairisch-althochdeutschen Ortsnamenintegrate dafür
keine Hinweise. Hier wird Kranzmayer mit der strukturellen Annahme einer
gemeinsamen Reihenschrittentwicklung Recht haben, nur dass die Affrizierung
von k aus diesem Rahmen fällt. Flier trifft Schwarz wieder insofern das
Richtige, als er diesen Vorgang in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts setzt,
aber er irrt, wenn er auf Grund der Affrikatenwiedergabe des Suffixes urslaw.
-ika als bair.-ahd. <ic(c)ha> mit der Produktivität der Affrizierung bis ins frühe
9. Jahrhundert rechnet. Dieses Suffix wechselt in seiner heutigen räumlichen
Verteilung als -ing mit jüngerem -itz aus slaw. -ica und ist vielmehr das
Ergebnis der zu jener Zeit in Entwicklung befindlichen dritten slawischen
Palatalisierung und ihrer schwankenden Wiedergabe je nach Gehörseindruck.
Während Schwarz die Medienverschiebung von d und b gleichzeitig in der
Mitte des 8. Jahrhunderts annimmt, staffelt hier Kranzmayer zu Recht, liegt
aber wie Schwarz zeitlich zu spät, wenn er die Verschiebung von d in
Übereinstimmung mit Schwarz ebenfalls erst um 750 ansetzt und mit der
6-Verschiebung zwanzig Jahre später um 770 rechnet. Für beide Vorgänge
lassen sich vielmehr längere Zeiträume in der ersten und in der zweiten Hälfte
des 8. Jahrhunderts ausmachen, für d etwa vom Anfang bis ins erste Jahrzehnt
nach der Mitte und für b vom Jahrzehnt vor bis etwa ins dritte Jahrzehnt nach
der Mitte des 8. Jahrhunderts. Während Schwarz auf die Medienverschiebung
von g zu k nur knapp eingeht, gelangen für Kranzmayer solche Ansätze nicht
zur vollen Durchführung. Die Integrierungen von rom. c- und slaw. k- mit dem
neuen lautverschobenen k aus g zeigen aber, dass dieser bereits von Josef
227
Schatz 1907 richtig beurteilte Lautwandel genau so voll wirksam war wie die
Medienverschiebung von d und b. Schwarz und Kranzmayer haben also die
Medienverschiebung von g bei weitem unterschätzt.
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Summary
The Second (High German) Sound Shift in Bavarian as
Evidenced by the Realization of Non-Germanic Place-Names
White there has been constant examination of the Second (High German)
Sound Shift in general, discussion of its realization in Bavarian has still not
gone beyond the results achieved by Ernst Schwarz’s investigation of the
written sources, which appeared in 1927, and Eberhard Kranzmayer’s 1957
study of the Bavarian dialects. The present paper deals with the non-Germanic
place-name material of this dialect found in the ancient areas of linguistic
contact with Romance in the west and Slavonic in the east. We are concerned
here with hydronyms, names of mountains and hills and habitational names of
non-Indo-European, undifferentiated early Indo-European and Celtic origin,
which have come down to us from Antiquity via Latin sources, as well as with
place-names of Romance and Slavonic origin. With the help of non-linguistic
historical data, we can arrive at the chronology and dating of the Second Sound
Shift set out below and obtain insights and chronological data about Romance
and Slavonic sound changes.
236
The shift of the Gemanic voiceless plosives t- > z-,p- > pf- and -k- > -hh- was
clearly apparent in the Romance contact areas of Tyrol and Salzburg around
600 and must have begun in the second half of the sixth century at the latest and
have continued to be operative into the second quarter of the seventh century, it
did not affect any of the place-names of Slavonic origin in the eastern part of the
region. While the shift of the dental and labial sounds follows no clearly defined
chronological order, the development of (-)k- to the fricative (-)ch- only took
place in the first half of the eighth century and also affected Slavonic and
anciently slavonicized place-names. The unvoicing of (-)d- > (-)t- belongs to
the period between 700 and 760, while that of (-)b- > (-)p- occurred between
740 and 780. The shift of g- > k-, which has been neglected in modern
scholarship, but which is clearly evident in the non-Germanic place-names
integrated in Bavarian, is a consequence of the development of Germanic k- to a
fricative, which set in around 770. At the same time, Romance voicing of the
Vulgar Latin voiceless plosives -/-, -c- > -d-, -6-, -g- in medial positions
only takes place after the Bavarian-OHG shift of the Germanic voiceless
plosives, but before the Bavarian-OHG unvoicing of (-)d- > (-)t- and (-)b- >
(-)p-. We can thus assign the Romance voicing of Vulgar Latin voiceless
plosives in medial positions to a period between roughly 630 at the earliest and
700. In this connection, the different foreign toponymies integrated into Bava-
rian-OHG allow us to observe changes in the articulation of Vulgar Latin v and
6, as well as of that of Romance b/v resulting from the voicing of Vulgar Latin
medial -p-. Depending on the stage of Romance articulation operative at the
time and the time of adoption, Vulgar Latin b and v occur as w and as shifted p,
respectively. This implies that the phonetic status of v ranged from that of a
half-vowel to that of a bilabial consonant. The ensuing Bavarian-OHG
rendering of all three as p presupposes a Romance pronunciation ranging from
that of a half-vowel to a Tight’ fricative until, at the end of the eighth century,
the rendering of this sound complex by a new Bavarian-OHG voiced v derived
from Germanic / marks the third phase of this phonological process and speaks
in favour of a labiodental fricative, in the case of Slavonic b, forms taken over
in the early phase show shifted p and it is only from the end of the eighth
century onwards that we find the new voiced v. The Primitive Slavonic pho-
nological system remains current until about 800, as is indicated by the
evidence of the early borrowed place-names in which the metathesis of liquids
is absent and the later Slavonic o retains the very open quality of its Primitive
Slavonic ancestor and is rendered by Bavarian-OHG a. In the case of several
non-Germanic place-names integrated into Bavarian which are first attested in
the records of the Middle High German period we have to reckon with pseudo
sound changes involving the shift of initial d- > t- and of initial b- > p- resulting
from the operation of Notker’s initial sound law and Schroder’s law of assimi-
lation. Pseudo sound changes are also present in some of the forms with initial
ch- which is used as a substitute for Romance c- and Slavonic k- from the end of
the ninth until well into the middle of the tenth century.
237
238
Karten 1-4:
Aus: Wiesinger, Peter: „Die Ortsnamen Österreichs in makrotoponymischer Sicht“, in:
Friedhelm Debus (Hg.): Zu Ergebnissen und Perspektiven der Namenforschung in
Österreich (Beiträge zur Namenforschung N.F., Beiheft 41), Heidelberg 1994, S.
51-169. Entwurf: Peter Wiesinger/ Graphische Ausführung: Ilona Taute
Karten 5-7:
Entwurf: Peter Wiesinger / Graphische Ausführung: Michael Schefbäck
239
240
Karte 1: Siedlungsnamen antik-
romanischer Herkunft
nichtindogennanisch und
A indogermanisch-voreinzelsprachlich
a keltisch
0 romanisch
® Praedienname
romanisch-deutsche Mischbildung
und Name auf -walchen
1 romanisch-slawische Mischbildung
V,______/
242
Karte 4: Siedlungsnamen auf -heim
O Besitzname
a Lagename
■ Artname
X ungeklärte Etymologie oder
abgekommen
SO
244
Brünn
Budweis
Donau
^fpgoistadt
?24
o Zwettl
NIEDER
Mistelbach
Freistadt
Augsburg ^
St. Pölten
Braunau
Donau
inchenP
Steyr
Gmjjnden
ßrrder Ybb^g
\ Rosenheil
FKu
Bruck
ME S
Jücfcjwbute;^.-
(manger
W-T %№
& Kiagegflrrt*^ ^
Karte 5: Antik-romanische Siedlungs- und Gewässernamen mit Tenuesverschiebung
C> (-K+)t- > (-)z- (-K+)p- > (-)pf- B (-K+)k- > (-)ch- # -t- > -zz- A -p- > -ft- ■ -k- > -hh-
48"N
100
km
Nord- u. Ostgrenze d dichten
Verbreitung v. Ortsnamen
antik-romanischer Herkunft
Westgrenze d. dichten Ver-
1 - breitung v. Ortsnamen
slawischer Herkunft
245
Kriems
St. Pölten
, «runden ^ ,
Wm
Karte 6: Antik-romanische Siedlungs- und Gewässernamen ohne Tenuesverschiebung
außerhalb der Gebiete mit dichter Verbreitung antik-romanischer Siedlungs- und Gewässernamen
O (-K+)t- A (-K+)p- □ k-
71
J Braunau DO
72
Nord- u. Ostgrenze d. dichten
------Verbreitung v. Ortsnamen
antik-romanischer Herkunft
Westgrenze d. dichten Ver-
......breitung v. Ortsnamen
slawischer Herkunft
-------- - deutsche Sprachgrenze (1937)
246
Passau
o Zwettl
~r ' c "\N I E D E R
VVU \ feistadt C 129 Krems
0 B t '.p 1T« 1iai ?130aA4
b 1l8fl10 A?131a
tfft TitH^n21
OST #<E-'R.\T^_.J|0 I 028 H
Gmunden
Mistelbach
Landshut
Braunau
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Donau
Iüncheni5
Rosenheim
Wirrtet
Neustadt
tanger
8</>r \
*A i5li486^
$ ’°>4^00 106
1 A3 i ^ ^
4i|ji34-/
ilagenfurt
Karte 7: Antik-romanische und slawische Siedlungs- und Gewässernamen mit Medienverschiebung
in den Gebieten mit dichter Verbreitung antik-romanischer und slawischer Siedlungs- und Gewässernamen
• (-)d- > (-)t- 4 (-)b- > (-)p- ■ g- > k-
■
Nord- u. Ostgrenze d. dichten
------Verbreitung v. Ortsnamen
antik-romanischer Herkunft
Westgrenze d, dichten Ver-
----- breitung v. Ortsnamen
slawischer Herkunft
.......deutsche Sprachgrenze (1937)
Albrecht Greule
Ortsnamen-Interferenzen im römischen Bayern.
Die -(i) an um-N amen
1. Einleitung
Es „ergibt sich heute ein eindrucksvolles Bild von nicht weniger als 230 Orts-
namen mit romanischen beziehungsweise vordeutschen Wurzeln auf südbaye-
rischem Boden“, so das direkte Zitat aus einem jüngst erschienenen Aufsatz
des Archäologen Arno Rettner (Rettner 2004, S. 262).
Diese Äußerung aus dem Munde eines Archäologen lässt den Namen-
kundler in mehrfacher Weise aufhorchen, zumal sie im Rahmen eines Auf-
satzes mit der Überschrift „Baiuaria romana“ erst vor kurzem getätigt wurde.
Erstens freut es den Namen forscher, dass namenkundliche Forschungsergeb-
nisse überhaupt von einem Archäologen wahr- und ernst genommen werden,
was durchaus keine Selbstverständlichkeit ist. Zweitens ist der Fachmann in
Fragen der Ortsnamen erstaunt über die präzise und auf den ersten Blick hoch
erscheinende Zahl von romanischen Ortsnamen in Südbayern.
Bei genauerem Fl insehen ist die von Arno Rettner zusammengestellte Sy-
nopse der Forschung zu den ,romanischen' Namen in Bayern allerdings mit
einigen Unklarheiten behaftet. So tauchen zum Beispiel in seiner Liste der
„Romanischen und anderen vorgermanischen Ortsnamen sowie romanisch-
germanischen Mischnamen in Bayern“ (Rettner 2004, S. 282-285) auch
wieder die längst als Namen mit germanischer Etymologie erkannten, zahl-
reichen Weichs-Narnzn auf (dazu neuerdings: Behr 2005).
Die Ortsnamenforscher haben allerdings keinen Grund, sich über solche
Fehler zu mokieren. Zu Recht mahnt die Archäologie, die die Ortsnamen zu
ihrer Beweisführung einsetzen will, an, dass „vordeutsche Ortsnamen aus
Südbayem“ von der zuständigen Fachwissenschaft noch nicht systematisch
gesammelt worden sind (Rettner 2004, S. 262).
Mit den folgenden Ausführungen, die zwar nur einen Ausschnitt aus dem
Gesamtkomplex der vorgermanischen Ortsnamen in den Grenzen des einst rö-
mischen Bayern behandeln, will ich dazu anregen, die Diskussion unter den
Namenforschern zu beleben und auf einen von den Nachbarwissenschaften
benutzbaren Katalog dieser Namen hinzuarbeiten; er könnte ja auch als Daten-
bank konzipiert werden.
2. Germanisch-romanische Ortsnamen im ehemals römischen
Bayern
Das heutige Südbayern war einst auf zwei römische Provinzen verteilt: Um
die Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus richteten die Römer die Provinz
247
Raetia ein, deren größter Teil mit Südbayern identisch war. Lediglich der Süd-
osten gehörte zur Provinz Noricum ripense; die Grenze zwischen beiden
Provinzen bildete der Inn. Vor der römischen Eroberung gehörte ganz Bayern
zum keltischen Latene-Kulturkreis. Ein städtisches Zentrum der Kelten in
Südbayern war sicherlich das Oppidum Manching bei Ingoldstadt. Möglicher-
weise trägt die spätere römische Provinzhauptstadt Augusta Vindeli-
cww/Augsburg den Namen des keltischen Stammes, der im Voralpengebiet
vor den Römern dominierte, nämlich den der Vindeliker.
Bereits um die Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus waren elbgerma-
nische Völkerschaften in das Gebiet des heutigen Bayerns eingedrungen und
trafen etwa in der Mitte des Landes auf den Widerstand der Römer, die um
150 nach Christus ihr Territorium durch den Limes Raetiae absicherten und
179/180 gegenüber der Mündung des Regens in die Donau das Legionslager
/teg/wVRegensburg zur Abwehr der Germanen errichteten. Das Ende der Rö-
merherrschaft in Bayern im Sinne einer Aufgabe der ordnungsgemäßen
Provinzverwaltung wird heute um das Jahr 476 nach Christus vermutet (vgl.
Czysz u.a. 1995, S. 404).
Die 400 Jahre römischer Herrschaft in Bayern blieben nicht ohne Spuren.
Außer den Ortsnamen sind die Erkenntnisse der Archäologie, die sich auf die
Analyse der Grabbeigaben in merowingerzeitlichen Gräberfeldern stützen,
wichtig. Nach Arno Rettner, der die archäologischen Erkenntnisse in den Zu-
sammenhang mit der Ethnogenese der ,Bajuwaren' bringt (Rettner 2004, S.
257-262), muss sich „noch eine große Menge romanischer Bevölkerung im
Land befunden haben.“ Diese romanische Bevölkerungsgruppe übte in nach-
römischer Zeit einen beträchtlichen Einfluss auf die germanischen Einwan-
derer aus. Ob man daraus wirklich den romantisch anmutenden Schluss ziehen
darf, dass „Romanen an der Wiege Bayerns standen“ (Rettner 2004, S. 269),
sei dahingestellt. Ich will darauf und auf die Konsequenzen, die sich daraus
für die Etymologie des ßa/ür«-Namens eventuell ergeben, nicht weiter
eingehen.
Vielmehr will ich mich einem Namentypus zuwenden, der am ehesten die
Kategorisierung ,romanische Namen' verdient. Es handelt sich um die -(i)anum-
Namen. Wie die -(i)acum-Namen, die Monika Buchmüller-Pfaff (1990)
ausführlich beschrieben hat, geht es auch bei den -(ijanum-'Namen um einen
Namentypus, der funktional und strukturell an das römische Fundussystem
gebunden ist: Die Fundi, die römischen Landgüter, und die Villae als deren
Zentren wurden nach ihrem (Erst-)Besitzer benannt (vgl. Buchmüller-Pfaff
1990, S. 5). Im Unterschied zu den -^/jacww-Namen, die als gallisch-römische
Hybridbildungen gelten, handelt es sich beim Suffix -anuml-ianum um ein
originär lateinisches Namenbildungsmittel.
Während es in Bayern einige wenige -(i)acum-Namen gibt, die außer
Epfach/Abudiakön weder lokalisiert noch etymologisiert sind (Cassalia-
cww/Memmingen?, Coveliacae/Moosberg?, /cm/acivm/Theilenhofen? [vgl.
Czysz u.a. 1995; Schnetz 1923]), scheint im römischen Bayern die Benennung
248
von Fundi mit Hilfe des Suffixes -anum, das an einen Gentilnamen angefügt
wurde, beliebter gewesen zu sein. Später wird es auch als Bezeichnung einer
Personengruppe im Ablativ Plural, z.B. Quintianis verwendet.
Das Suffix ist ein Adjektivsuffix und hat im klassischen Latein ein langes
-a-, also -änus, -a, -um. Durch den „Kollaps des Quantitätensystems“
(Lausberg 1963, S. 144) schwand im Vulgärlateinischen die Quantitätenunter-
scheidung, so dass wir bei den -(i)auum-Namen die Länge des a-Vokals nicht
weiter markieren. Ferner müssen wir annehmen, dass bei vulgärlateinischer
Aussprache auch das auslautende -m des Accusativus directivus verstummt
war (vgl. Lausberg 1967, S. 78) und dass wir wohl von einem Casus obliquus
z.B. *Quintiänu/-o als vorbairische Form auszugehen haben.
3. Die -(i)anum-Namen in Bayern
Dank mehrerer Studien von Wolf-Armin Freiherr von Reitzenstein überblicken
wir die Menge und die Lage der -(i)anum-Namen in Bayern sehr gut. Es ist
allerdings damit zu rechnen, dass die Forschung noch ab und an einen weiteren
Vertreter dieses Namentypus vor allem unter den zahlreichen -mg-Namen in
Bayern entdeckt (vgl. Abbildung), wie ich am Beispiel Kasing zeigen werde.
Ortsnamen-Interferenzen im römischen Bayern
Die - (Tjanum-Namen
■ Bayreuth
Die -(i)anum-Namen in Bayern
© Bürgte / Pinianis
© Chieming / 'Cemianum?
© Faimingen / Phoebianis
© Finningen / Phainiäna
© Gauting / Bratanianum
© Gnotzheim / Medianum
© Kasing / *Carisianum
® Kasten/ *Cassianum
© Künzing / Quintianis NeuJ
® Leibi / *LTviänum
© Oberstimm / Stenianum
® Partenkirchen / Parthano
® Peiß / *Bitiänum
® Pfünz / 'Pontiänum (Vetonianum)
® Weißenburg / Biricianis
Neu-Ulm ■ ig
■ Landshut
■ Orientierungsorte
Kartenbearbeitung Katnn Simbeck
Kartographie Raimund Zimmermann. 2010
249
Ein Ergebnis der bisherigen Forschung ist auch, dass wir die -(i)anum-
Namen sehr differenziert kategorisieren müssen, und zwar in:
3.1. Römerzeitlich belegte Namen
Diese müssen wiederum in drei Untergruppen aufgeteilt werden:
(1) Namen mit Kontinuität. Dazu gehören nur Quintianis/Künzing (vgl.
Reitzenstein 2004) und Pürr//7a/?o/Partenkirchen, Partnach (vgl. Stein-
Meintker 2001, S. 104-113).
(2) Mit fraglicher Kontinuität: PhainianafFinningen (vgl. Reitzenstein
1999, S. 253) und Phoebianis/Yaimingen.
(3) Ohne Kontinuität: ß/>/c7'öw/.s'/Weißenhurg, Bratanianuw/Gauting, Me-
dianum/Gnotzhcim, PinianisfBürgle, Gern. Gundremmingen, Vetonia-
nal Pfünz?
3.2. Römerzeitlich nicht belegte, aus heutigen Ortsnamen
rekonstruierte Namen
Kasten (Gern. Osterhofen, Ldkr. Deggendorf) < *Cassianu (vgl. Reitzenstein
1975/77, S. 9) mit Sekundärumlaut;
Leibi (Gern. Nersingen, Ldkr. Neu-Ulm) mit Fluss Leibi < *LIvianu (vgl.
Reitzenstein 1979);
Ober.s7/mw (Ldkr. Pfaffenhofen a. d. Ilm) < *Stenianu (vgl. Reitzenstein
1975/77, S. 10);
Peiß (Ldkr. München) < *Bltianu (vgl. Reitzenstein 1975/77, S. 9);
Pfünz (Gern. Walting, Kr. Eichstätt) < *Pontianu (?) (vgl. Reitzenstein
1975/77, S. 25 < *Pontena).
3.2.1. Fallbeispiel *Quintianu > Künzing
Die Integration der -(i)anum-Namen ins Bairische lässt sich beispielhaft an
dem aus der Antike belegten Namen, der heute Künzing lautet, verfolgen (vgl.
Reitzenstein 2004).
Zu römischer Zeit lag an der Stelle des heutigen Künzing (Ldkr. Deggen-
dorf) ein Kastell mit Vicus (vgl. Czysz u.a. 1995, S. 469-471). Die Siedlung
und ihre Bewohner werden römerzeitlich folgendermaßen genannt: Quintia-
nis, Quintanis, Quintanenses und Quintanensium.
Im Frühmittelalter dient der Name zur Bezeichnung einer Landschaft:
736/37 (Kopie 9. Jh.) Quinzingauue; der Beleg weist anstelle der Lautgruppe
/intjan/ jetzt die Lautgruppe /inzin/ auf.
250
Im Beleg ca. 750 (Kopie von 1254) Chuntzengew tritt die original altbairi-
sche Form zu Tage; sie weist die 2, Lautverschiebung im Anlaut auf und hat
an Stelle der Lautkombination /kwin/ - nach dem bekannten oberdeutschen
Lautwandel - /kun/ bzw. <chun> (vgl. Braune/Reiffenstein 2004, §107 Anm.
2). Das /i/ der zweiten Silbe bewirkte Umlaut (> Künzin). Schließlich wird der
Name in der schriftsprachlichen Form den anderen Ortsnamen auf -ing ange-
passt; so entsteht die heutige amtliche Schreibweise Künzing, mundartlich
aber kindsn.
Merkwürdig bleibt die Tatsache, dass das Suffix -janu 'n ^en althoch-
deutschen Belegen als <in> erscheint. Dies ist nicht nur bei Künzing so; der
älteste Beleg für Pfünz lautet z.B. 889 Phuncina (vgl. Reitzenstein 2006, S.
211), das nach meiner Auffassung aus *Pontianu(m) entstand. Es bleibt jeden-
falls festzuhalten, dass der Wechsel von -janu zu ahd. -in- schwerlich als alt-
hochdeutscher Lautwandel zu erklären ist - abgesehen vielleicht von der Apo-
kope des auslautenden Vokals -u/-o. Das parallele Suffix germ. -jan, die Infi-
nitiv-Endung der schwachen Verben der 1. Klasse (z.B. got. satjan), lautet im
Althochdeutschen -en (ahd. setzen) (vgl. Braune/Reiffenstein 2004, §118
Anm. 2). Dass in Bayern eine voralthochdeutsche ,romanische4 Entwicklung,
wie sie für das Frankoprovenzalische nachgewiesen wurde, hier ebenfalls Gül-
tigkeit besaß, wage ich nicht anzunehmen. Jedenfalls weist Wulf Müller (vgl.
Müller 2001, S. 179) nach, dass anstelle von klassischem Gratianopolita-
«o/Grenoble bereits 866 die Schreibung Gracinopolitano vorkommt. Ebenso
könnte man sagen, dass anstelle von klassischem *Quintianu im 8. Jahrhun-
dert Quinzin- auftaucht. Dennoch kann ich einen Suffixwechsel hin zum
besonders in oberdeutschen Ortsnamen häufigen althochdeutschen Suffix -in-,
z.B. Buolinhoven, Puosindorf Lenginvelt (vgl. Braune/Reiffenstein 2004, §
221 Anm. 2) statt eines Lautwandels nicht ausschließen.
3.2.2. Fallbeispiel Kasing < *Karisianu
Die Liste der aus heutigen Namen rekonstruierten -/am/m-Namen in Bayern
lässt sich - vor dem gerade entwickelten Hintergrund - zumindest um einen
weiteren Namen vermehren: Die Rede ist von Kasing, dem Namen eines
Pfarrdorfs in der Gemeinde Kösching (Ldkr. Eichstätt); Kösching ist das an-
tike Germanicum (vgl. Czysz u.a. 1995, S. 469). Die folgende sorgfältige Be-
legsammlung verdanke ich meiner Schülerin Martina Kürzinger, die aus Ka-
sing stammt:
Belegreihe Kasing (Pfarrdorf, Gemeinde Kösching, Altlandkreis Ingolstadt,
Neulandkreis Eichstätt; mundartliche Form: ¡¿‘äsen)
Quelle
FöK: Tr Weihenstephan 275
BayHStA KL Regensburg-
Obermünster 5a, p 35
Jahr
[M. 12. Jh.J
[ 12. Jh.]
Beleg
Kersse
Pube de chärse
251
[12. Jh.] Liuto de karsen BayHStA KL Biburg 2 1/3 (Fotoband Nr. 146), Nr. 24
[12. Jh.] VdaIR de karsin BayHStA KL Biburg 2 1/3 (Fotoband Nr, 146), Nr. 67
[12. Jh.] Gotfrido d karsen BayHStA KL Biburg 2 1/3 (Fotoband Nr. 146), Nr. 93
1251 (Kop.) in Ke sin gen BayHStA GU Kösching 152 (Kopie nicht datierbar)
1268 in Kesinge BayHStA KU Kaisheim 148a
1315 ze Cha ’sern ... Ulrich der Ta ’chszingcer von Chaesern ... ze Cha ’sern BayHStA Pettendorf Nr. 47
1349 ze Kaesen BayHStA Pettendorf Nr.89
1366 zu Kärsen Regesta Boica 9, S. 140 (Ori- ginal nicht auffindbar)
1403 Kärsen Thiel/Engels (1961), S. 237 (Urb. 47)
1417 Kesen ...zu Keysn BayHStA StV 1086, p 70
1417 zu Käsen BayHStA StV 1086, p 167
1417 Käsenn BayHStA StV 1086, p 175
1474 zu Küssen BayHStA GU Kösching 91
1476 zu Käsen BayHStA StV 1086, p 130
1495 zu Käsen BayHStA GU Kösching 69
1512 zu Küssen BayHStA GU Kösching 84
1599 zu Khäsen BayHStA GU Kösching 158
1601 zu Kesen BayHStA GU Kösching 159
1612 von Käsing BayHStA GU Vohburg 623
1624 von Käsen BayHStA GU Kösching 90
1675 zu Kässing BayHStA GU Vohburg 632
1768 Käsing BayHStA GL Kösching 2, p 241
1780 in dem Dorf Käsing BayHStA GL Kösching 2, p 375
Die historischen Belege lassen sich alle auf eine Ausgangsform *Cärsjan
zurückführen. Ihr stehen die Belegformen des 12. Jahrhunderts karsin und
karsen am nächsten. Unter der Annahme, dass bereits im Vulgärlateinischen
die Antepaenultima synkopiert und die Ultima apokopiert wurden, dürfte die
zugrunde liegende klassisch-lateinische Form *Carisiänum gelautet haben.
252
Diese ist abgeleitet von dem Personennamen Carisius (vgl. Holder 1896, Sp.
788) und hat in dem Ortsnamen Carisiäcus eine ,galloromanische‘ Parallele.
Der Sekundärumlaut wird bereits im ältesten Beleg markiert und wird auch
in den späteren Belegen auf unterschiedliche Weise wiedergegeben. Ein deut-
licher Einschnitt in die Entwicklung des Namens setzte die Dissimilation /rs -
n/ > /s - n/, also von 12. Jh. karsen gegenüber 1349 Kaesen. Wahrscheinlich
geht dieser Lautwandel Hand in Hand mit der volksetymologischen Anleh-
nung des Namens an bair. käs ,Käse‘. Erst danach scheint in den Kanzleien
auch die Anpassung des ursprünglichen -ianum-Namens an die -/>?g-Orte er-
folgt zu sein.1
3.2.3. Fallbeispiel Chieming < *Cemiänul
Mit dem Wissen, dass sich hinter bairischen -/wg-Namen alte -ianum-Namen
verbergen können, will ich schließlich die Frage aufwerfen, ob auch der Orts-
name Chieming am Chiemsee ein -ianum-Name gewesen sein könnte. Was
mich dazu veranlasst, ist die letztendlich doch unbefriedigende Erklärung von
Hellmut Rosenfeld (Rosenfeld 1981), der von einem Mischnamen ausgeht, in
dem ein Personenname mit der keltischen ,Namenwurzel‘ gene- ,Sippe' vor-
liegen soll. Ferner regen bestimmte Belege, die Theo Vennemann - mit letzt-
lich inakzeptablem Ergebnis - diskutiert, wie z.B. 790 (Kopie 12. Jh.)
Chiminsaeo und Chimingaoe (vgl. Vennemann 1993, S. 439-454), die das
Suffix -ing nicht enthalten, dazu an, die Etymologie erneut aufzurollen.
Wenn ich also annehmen darf, dass Chieming - durch falsche Abtrennung
(*Chiemin-gouwe > Chieming-gouwe) oder durch einen Sprosskonsonanten -
zu einem sekundären -/«g-Namen wie Künzing, Kasing u.a. geworden ist,
dann könnten wir versuchsweise für Chieming einen -/am/w-Namen in Erwä-
gung ziehen. Da in der Forschung angenommen wird, dass die dominante
<ie>-Schreibung und die <i>-Schreibung (vgl. Braune/Reiffenstein 2004, § 36
Anm. 3) auf ein germanisches e2 zurückgehen, könnte die vorbairische Na-
mensform *Cemiänu gewesen sein. Da ferner ein Personenname Coemea (vgl.
Holder 1896, Sp. 1061) nachgewiesen ist, könnte sich ein potentieller Prae-
dienname *Coemiänum zu vulgärlat. *Cemiänu und altbair. Chiemin bezie-
hungsweise Chieming entwickelt haben. (Ich kann diese Hypothese hier nicht
weiterverfolgen, sondern stelle sie zur Diskussion.)
1 Wolf-Armin Freiherr von Reitzenstcin hat, nachdem er meinen hier abgedruckten
Vortrag gehört hatte, den Namen Kasing, der in den älteren Auflagen fehlte, noch in
die 3. Auflage seines Lexikons bayerischer Ortsnamen aufgenommen (vgl. Reitzen-
stein 2006, S. 131) - leider ohne Hinweis auf meinen Vortrag. Dass er als römi-
schen Personenamen nun Carsius statt des von mir angesetzten Carisius annimmt,
verlagert lediglich das Problem der Synkope des -i- vom Orts- auf den Personen-
namen.
253
4. Schlussfolgerungen
Man darf abschließend fragen, welche siedlungshistorischen Schlüsse aus dem
Befund der ins Bairische integrierten -ianum-Namen gezogen werden können.
Ich belasse es bei zwei Beobachtungen.
(1) Es bestätigt sich die Feststellung von Wolfgang Haubrichs, dass „in
Bayern, im Bereich der Provinz Raetia Secunda, sich Spuren von
romanischer Kontinuität zunächst nur an der spätrömischen Donaulinie
(im Bereich der Castro, Kastelle und sonstigen Befestigungen) [fin-
den]“ (Haubrichs 2003, S. 701). Allerdings lassen sich hier durch die
Versippung mit anderen vorgermanischen Namen ganze Zonen roma-
nischer Kontinuität festmachen. In die Zone, die um QuintianislKün-
zing besteht, reiht sich Kasten/*Cassianu ein. Eine weitere bislang
noch nicht beachtete Zone erstreckt sich zwischen dem Kastell
Abusina, dessen Name im Flussnamen Abens weiterlebt (vgl. Reitzen-
stein 2006, S. 7), und Ingolstadt diesseits und jenseits der Donau. Zu
ihr gehören Oberstimm/*5fö«fö«w, der wohl auf den Fluss Paar übertra-
gene Name des Oppidums Manching (= *Barra) und das in auffälliger
Lage am Rande des Köschinger Forstes gelegene Kasing. Mit Kastei!
und Vicus in Kösching wird das antike Germanicum identifiziert, ob-
wohl der heutige Name als Mischname mit dem Personennamen
Cascus gedeutet wird (vgl. Reitzenstein 2006, S. 140). In dieser Zone
liegt auch Pförring, in dessen Nähe sich das Alenkastell Celeusum
befand (siehe Kelsgau, 844 Chelasgaue). Zu einer dritten Zone donau-
aufwärts um Günzburg gehört Leibi/*LTvianu, das in enger Verbindung
zum frühkaiserzeitlichen Kastell Nersingen steht. Falls die Gleichung
Phainiäna!Finnigen richtig ist, würden hier zwei -ianum-Namen in un-
mittelbarer Nähe liegen.
(2) -f/föm/w-Namen kommen vereinzelt im bairischen ,Hinterland4, von
der Donau aus gesehen, vor: Es handelt sich um BratanianumlGauting
(ohne Kontinuität), Peiß/*Bitianu im Landkreis München an einer
Römerstraße und das etymologisch bislang fragliche Chieming/*Ce-
miänu. FGri/idwo/Partenkirchen in den Alpen ist ein Sonderfall.
Da wir kaum annehmen müssen, dass es im Innern der beiden bayerischen
Römer-Provinzen keine Praedien gab oder nur Praedien ohne Namen, ziehe
ich aus dem Befund oben den Schluss, dass die -(i)anum-Namen germa-
nischen Siedlern bereits im Grenzverkehr mit den Römern und den roma-
nisierten Provinzbewohnem an der Donau bekannt waren und von ihnen über-
nommen wurden. Als Beweis dafür, dass ,Romanen an der Wiege Bayerns
standen4, können die -(i)anum-Namen demnach schwerlich dienen.
Ich hoffe gezeigt zu haben, dass eine Zusammenarbeit der Ortsnamen-
forschung mit der Archäologie in Bayern nicht nur dringend geboten ist,
sondern dass sie auch noch manche Überraschung zu Tage fördern wird.
254
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Nachtrag
Nach Abfassung des Vortrags erschien das Lexikon bayerischer Ortsnamen.
Herkunft und Bedeutung. Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz von Wolf-
Armin Frhr. v. Reitzenstein, München 2006. In der Auseinandersetzung mit
einigen dort vorgeschlagenen Namendeutungen kann ein weiterer -ianum-
Name in Südbayem vermutet werden: Gerzen, Pfarrdorf an der Vils, Land-
kreis Landshut, 889-891 Jorcin (Reitzenstein 2006, S. 96) dürfte aus
*Jorcian- (abgeleitet von einem PN *Jorcius zu galloromanisch jorkos ,Reh‘)
entstanden sein.
Summary
Place-Name Interferences in Roman Bavaria.
The -(i)anum-Names
To give a new impetus to the research concerning pre-German names in
South-Bavaria, this paper tries to demonstrate, by using the example of the
-(i)anum-names, how such research could work and which results could be
gained from it - especially if archaeology and onomastics work together: The
suffix -(i)anum is originally a means of creating Latin names. Functionally
and structurally the type of the -(i)anum-names is bound to the Roman fundus
256
system. The Bavarian -(i)anum-names can be classified either as documented
in Roman times or as not documented in Roman times and therefore
reconstructed. The analysis shows existing centres along the Danube where
traces of Roman continuity concentrate: one of these centres can be found
around Kiinzing, another around Abusina, Ingolstadt and Giinzburg, It shows
that also in the Bavarian hinterland important traces of Roman -(i)anum-
names can be found including eventually the name Chieming/Chiemsee.
257
Klaus Dietz
Sprachkontakt im Lichte der altenglischen Topo-
nymie: Das frühe lateinische Lehngut
I. Der Forschungsstand und seine Problematik
Von den schätzungsweise 600-700 lateinischen Lehnwörtern, welche die
Angelsachsen aus ihrer kontinentalen Heimat mitbrachten oder nach der Land-
nahme vor allem im Zuge der Christianisierung rezipierten, fanden nicht we-
nige Eingang in die altenglische Toponymie. Die Zahl der nur dort nachweis-
baren Entlehnungen ist dagegen wesentlich kleiner. Während das appellati-
vische Lehngut bis hin zu den durch das Lateinische vermittelten Wörtern
griechischer Herkunft eingehend, wiewohl nicht immer hinreichend sach-
kundig untersucht ist,1 steht die den Einzelfall übergreifende Analyse der mit
lateinischen Elementen gebildeten Toponyme noch am Anfang. Das geht schon
aus Kenneth Camerons maßgeblicher Darstellung English Place-Names (zu-
letzt 1996) hervor, die auch in der revidierten Fassung nur das keltische, das
skandinavische und das französische, nicht aber das lateinische Namengut
eigens behandelt und damit die von Allen Mawer und Frank M. Stenton im Ein-
führungsband der English Place-Name Society (1924) begründete Tradition
fortführt. Percy H. Reaneys Handbuch The Origin of English Place-Names
(zuletzt 1964) enthält zwar einen kurzen Abschnitt über den lateinischen
Einfluss,2 3 begnügt sich jedoch mit einigen wenigen frühaltenglischen Beispie-
len und konzentriert sich im Übrigen auf die mittelenglischen Zusätze zu Na-
men von Gemeinden oder Kirchspielen wie Cerne Abbas Do (a. 1086 Cernel, a.
1288 Cerne Abbatis) oder Lyme Regis Do (ae. LJm\ a. 1285 Lyme Regis)\ die
auf den ehemaligen geistlichen oder weltlichen Besitzer verweisen und der
Unterscheidung ursprünglich gleichnamiger Orte oder durch Aufteilung
größerer Besitzungen entstandener Güter dienen. Allein Margaret Gelling
widmet dem lateinischen Lehngut in ihrer primär historisch ausgerichteten Dar-
stellung Signposts to the Past (zuletzt 1988) ein längeres Kapitel,4 doch
beschränkt auch sie sich auf ein knappes Dutzend angeblich oder tatsächlich
früh rezipierter Namenwörter.
Ein wichtiger, indes nicht ausschlaggebender Grund für die Zurückhaltung
der Handbuchautoren liegt im weitgehenden Fehlen von Vorarbeiten. Die
1 Vgl. Dietz 2003, S. 242-246, und die dort verzeichnete Literatur sowie Feulner 2000.
2 Reaney 1964, S. 203-206.
3 Mills 1986, S. 51, 102.
4 Gelling 1988, S. 63-86 mit Nachträgen S. 245-250. Die Darstellung basiert auf
Gelling 1977. Vgl. dazu die zurückhaltende Beurteilung Nielsens 1998, S. 159-163.
259
umfassende und bis zum Jahr 1989 reichende Bibliographie zur englischen
Namenkunde von Jeffrey Spittal und Jeremy Field verzeichnet nicht mehr als
fünf Titel,5 von denen jedoch nur einer die altenglischen Verhältnisse behan-
delt. Gleichwohl existieren einige wenige neuere Arbeiten zu Vorkommen und
Verbreitung einzelner Nameneiemente lateinischer Provenienz, die als Aus-
gangspunkte für eine Gesamtanalyse dienen können. Hauptursache für die
Vernachlässigung ist die Art und Weise, mit der die englische Ortsnamen-
forschung die aus dem Lateinischen übernommenen Namenwörter einerlei, ob
sie auch in appellativischer Funktion Vorkommen oder nicht, zu behandeln
pflegt. Die stillschweigende Gleichsetzung mit dem toponymischen Erbgut
steht in deutlichem Widerspruch zum Umgang mit den aus anderen Kontakt-
sprachen übernommenen Namenwörtern. Diese methodisch bedenkliche In-
konsequenz, die sich auch mit der Eigenart der angelsächsischen Sprachbe-
ziehungen zum Latein kaum rechtfertigen lässt, bedürfte zumindest des Nach-
weises, dass das lateinische Lehngut anders als etwa das skandinavische zum
Zeitpunkt seiner onymischen Verwendung voll in den altenglischen Wortschatz
integriert war. Sie manifestiert sich augenfällig in der Gestaltung der Artikel in
den English Place-Name Elements (= EPNE) von Albert H. Smith (1956), der
stets die altenglische Form, sei sie überliefert oder erschlossen, als Stichwort
verwendet und nur hin und wieder auch das lateinische Etymon nennt. Das neue
Vocabulary of English Place-Names von David N. Parsons und Tania Styles,
das Albert H. Smiths bewährtes Namenwörterbuch ersetzen soll, übernimmt
diese Praxis, verweist am Ende jedoch regelmäßig auch auf das lateinische
Etymon, ohne es freilich als solches zu kennzeichnen.
Diese Praktik hat zur Folge, dass die Zahl der toponymisch genutzten
Lehnwörter bis heute nicht bekannt ist. Richard Coates hält sie neuerdings für
sehr klein.6 Sein Verweis auf die Darstellung Margaret Gellings verrät, dass er
die dort behandelten Namenwörter für die einzigen hält, die aus dem Latein
übernommen wurden. Tatsächlich ist ihre Zahl wesentlich größer. Nach meiner
Berechnung liegt sie bei Mitte fünfzig. Hinzu kommen ein halbes Dutzend
heimische Ableitungen wie *peren ,mit Birnbäumen bewachsen1 (zu peru
,Birne4) oder pipere ,Pfeifer4 und dreimal so viele hybride Komposita mit
vorwiegend indigenem Grundwort; vgl. ceap-mann ,Händler4, *mylen-burna
,Mühlbach4. Allein schon diese Zahlen dokumentieren die bedeutende Rolle,
welche das lateinische Lehngut in der altenglischen Toponymie spielt.
Nach der grundlegenden Untersuchung von Alois Pogatscher (1888) kam
die Erforschung der frühen lateinischen Lehnwörter des Altenglischen erst ein
Jahrhundert später wieder in Gang. Mit der Preisgabe des Pogatscherschen
Vierphasenmodells zu Gunsten einer primär lautlich begründeten Zweiteilung
in frühes volkstümliches (voraltenglisches) und jüngeres gelehrtes Lehngut
5 Spittal/Field 1990, S. 86.
6 Coates 2006, S. 336.
260
geriet die freilich nicht immer mögliche Unterscheidung von a) kontinentalen,
b) nach der germanischen Landnahme rezipierten und c) mit der Chris-
tianisierung im 7. Jahrhundert aufgenommenen Lehnwörtern aus dem Blick-
feld. Geben sich letztere durch ihre Semantik zu erkennen, liefert die Verbrei-
tung in den westgermanischen Sprachen des Kontinents ein oft vernach-
lässigtes Kriterium für erstere. Begünstigt wurde der weitgehende Verzicht auf
die Unterscheidung von kontinentalem und insularem Lehngut durch das
Fehlen einer Darstellung der frühen romanisch-germanischen Sprachbezie-
hungen, die modernen Ansprüchen genügt, denn bis heute steht hierfür außer
Friedrich Kluges bejahrter Liste der lateinischen Lehnwörter in den altger-
manischen Sprachen (1897) nur Theodor Fringsens Germania Romana
(21966-68)7 * * zu Gebote.
Daher rechnet auch die anglistische Namenforschung nicht ernsthaft mit der
Möglichkeit, dass aus lehnwörtlichen Appellativen gewonnene Toponyme
lexikalisch zum kontinentalen Altgut gehören, sondern hält sie für Konti-
nuanten früher insularer Entlehnungen. Erklärte man ihre Existenz zuvor durch
die Vermittlung romanisierter Kelten/ schreibt man sie nun dem Sprachkon-
takt mit den nach Abzug der römischen Truppen in Britannien gebliebenen ger-
manischen Siedlern, Söldnern und Veteranen zu/ ohne jedoch zu bedenken,
dass diese lateinisches Wortgut nicht erst in der neuen Heimat aufgenommen zu
haben brauchen, sondern es schon auf dem Kontinent rezipiert haben können.
Für die englische Sprachgeschichte aber ist es unerheblich, welche Germanen
lateinische Lehnwörter im späten 4. oder im 5. Jahrhundert nach Britannien
mitbrachten. Wenn Kenneth Cameron daher behauptet, der Nachweis sei
erbracht, „that in thè southern parts of England thè Anglo-Saxons carne into
direct contact with Latin Speakers and that they borrowed Latin words into
English, using those words to form place-names“,10 so irrt er.
Da eine umfassende Analyse des bis ca. a. 700 rezipierten und zur Bildung
von Ortsnamen genutzten lateinischen Lehngutes den Rahmen selbst eines
längeren Aufsatzes sprengen würde, beschränkt sich die hier vorgelegte Studie
auf die älteste Schicht dieser Toponyme. Sie umfasst zum einen auf dem
Kontinent rezipierte und hernach toponymisch genutzte Appellativa, zum
andern insulare Ortsnamen(elemente), die als solche entlehnt worden sein
sollen, und zum dritten angeblich im Zuge oder bald nach der Landnahme auf-
genommene Appellativa in toponymischer Funktion. Im Mittelpunkt stehen
daher drei Fragen: 1. Gibt es in nennenswertem Umfang kontinentales Lehngut,
das zur Bildung englischer Ortsnamen diente? 2. Besteht die postulierte latei-
nisch-(vor)altenglische Namenkontinuität, wonach lateinische oder latinisierte
7 Frings 1966, Müller/Frings 1968.
* So noch Baugh/Cable 2002, S. 82, und Algeo/Pyles 2005, S. 273f,
4 So insbesondere Gelling 1988, S. 64-66.
10 Cameron 1996, S. 41 f.
261
keltische Ortsnamen Britanniens von den Angelsachsen übernommen wurden?
3. Spiegelt die englische Toponymie bei und nach der Landnahme un 5.-6.
Jahrhundert aufgenommene Lehnwörter tatsächlich wider? Im vorgegebenen
Rahmen können diese Fragen freilich nur exemplarisch an Hand repräsentativer
Beispiele beantwortet werden.
Das Beleggut entstammt altenglischen und frühmittelenglischen Quellen aus
der Zeit vor a. cl200. Das Material vor der Normannischen Eroberung ausge-
stellter Urkunden wird jedoch auch dann einbezogen, wenn diese nur in jün-
geren Abschriften überliefert sind. Erst später bezeugte Siedlungsnamen
bleiben unberücksichtigt, weil oft fraglich ist, ob das Denotat schon in alt-
englischer Zeit existierte, oder, wichtiger noch, ob die Namengebung vor a.
1066 erfolgte. Diesen methodischen Grundsatz in Erinnerung zu rufen, er-
scheint um so eher geboten, als ihn die englische Ortsnamenforschung noch
immer missachtet, indem sie selbst spätmittelenglische Toponyme mit alteng-
lischen Etyma jedweder Herkunft in der Regel so zu behandeln pflegt, als seien
sie schon in altenglischer Zeit vergeben worden.11
2. Kontinentales Lehngut in toponymischer Funktion
Die mangelnde Unterscheidung von Erb- und lateinischem Lehngut hat in der
anglistischen Namenforschung unter dem Eindruck der von Margaret Gelling
vorgenommenen Neubewertung der hier eingehender zu behandelnden Topo-
nyme die Vorstellung genährt, es gäbe darüber hinaus, wenn überhaupt, nur
ganz wenige früh rezipierte lateinische Lehnwörter, die zur Bildung alteng-
lischer Ortsnamen genutzt wurden. Von den annähernd 60 einschlägigen Na-
menelementen repräsentieren jedoch nicht wenige kontinentales Altgut. Auch
die übrigen wurden fast alle vor a. c700 entlehnt. Legt man die drei maß-
geblichen Kriterien, Widerspiegelung der phonologischen und der seman-
tischen Entwicklung in Quell- und Zielsprache sowie die Sprachgeographie der
kontinentalgermanischen Verwandten zugrunde, wurden unter anderem fol-
gende auch onymisch öfter verwendete Appellativa vor der germanischen
Landnahme rezipiert;
Ae. byden ,Bütte, Tonne1 = ahd. butin, ~(n)a, as. budin < mlat. butina
,Flasche, Gefäß4 (beeinflusst von mlat. but(t)is ,Fass4); ae. c(e)alc ,Kalk(stein)‘
= ahd. kalc, c(h)alc(h), as. kalk, mnl. calc < lat. calx\ ae. ceap , Handel, Markt;
Besitz4, wie ahd. kouf chouf as. köp, afr. käp, an. kaup deverbale Rückbildung
aus germ. *kaupön ,Handel treiben4 < lat. caupönäri,schachern4 (<— lat. caupö
,Schankwirt, Kleinhändler4); ae. cyse, cese ,Käse‘ ~ ahd. käsi, chäsi, as. kesi,
afr. zlse, mnl. cäse < lat. cäseus; ae. cytel, cetel ,Kessel4, wie ahd. kezzil, as.
ketil, an. ketill, got. katil(u)s* < germ. *katilaz < lat. catillus\ ae. minie ,Minze4
~ ahd. minza, as. minta, mnl. minie < lat. ment(h)a; ae. mylen ,Mühle4 ~ ahd.
mulJ, mulin, as. muli(n), an. mylna < lat. mollna; ae. pytt ,Grube, Loch, Grab;
11 Vgl. Dietz 1996, S. 53f., und Dietz 2005, S. 300.
262
Brunnen1 = ahd. p(f)uzza ,Brunnen, Grube4, p(f)uzzi ,Brunnen4, anfrk. putte,
anl. put, afr. pet < lat. puteus; ae. w(e)all, Wall, Deich, Damm4 = as., afr. wall,
mnl. wal < lat. vallum. Auch ae. peru, -e f. ,Birne4 ~ mnl, pere, niederrhein.
peer< lat.pirum,pira f. (< PI.) wird zusammen mitpiri($)e ,Birnbaum4 anders
als ahd. bira, pira zu dieser Schicht gehören.
In altenglischer Zeit entstandene ein- oder zweigliedrige Ortsnamen, die oft
mehrmals Vorkommen, dokumentieren die onymische Verwendung der
frühesten Lehnwörter und ihrer heimischen Ableitungen:12 13
1. Beedon Brk, Bidden Ha; Bedwell Hit, Bidwell Bd, Nth < ae.
Byden-w(i)elle (ae. w(i)elle ,Quelle4). 2. Chalk(e) K, W, Calke Db; Chalgrave
Bd, Chalgrove O < ae. C(e)alc-$rcef (ae. $rcef ,Graben, Grube, Höhle4). 3.
Chipstead K, Sr < ae. *Ceap-stede (ae. stede ,Platz, Ort4); Chipping La (ae.
cepin$ ,Markt4). 4. Casewick L, Cheswick Nb, Chiswick Ess, Mx, Keswick Nf
(2x), YWR < ae. Cese-wTc ,Meierhof. 5. Chettle Do (ae. *ceotol ,Kessel4);
Cheddleton St (ae. tun), Chcttiscombe D (ae. cumb ,Tal‘), Chittlehampton D <
ae. *Cietelhcema-tim ,Siedlung der Leute im Kessel4, Kettlewell YWR (ae.
welle). 6. Minste(a)d Ha, Sx (ae. stede ,Ort, Platz4). 7. Mellis Sf, Melis Sf, So,
Millom Cu; Milborne Do, So, Milbourne Nb, Milburn We < ae. Mylen-burna
,Mühlbach4, Milford D, Db, Ha, W, YWR < ae. Mylen-ford (ae. ford ,Furf),
Milton K (2x), Nb, Nt, Nth < ae. Mylen-tün ,Siedlung mit einer Mühle4. 8. Pett
K, Pitt Ha; Beaumont Ess, a. 1000-02 (11. Jahrhundert) (cet) Fulanpettce S
1486, a. 1086 Fulepet (ae.Jul ,fauf), Woolpit Sf < ae. Wulf-pytt,Wolfsgrube4.
9. Wall Nb am Hadrianswall, Wall St mit Bezug auf die Stadtmauer von Leto-
cetum nahe Lichfield;14 Bestwall Do < ae. *bTeastan wealle ,bei der Ostmauer
(von Wareham)4; 15 Wallbottle Nb am Hadrianswall (ae. bopl ,Haus,
Wohnung4), Walpole St Andrew Nf, a. 1042-66 (12. Jahrhundert) Walepol
,Tümpel am (römischen) Deich4 (ae. pöl), Walton Cu am Hadrianswall, Walton
Gl, Wa (ae. tun). 10. Parham Gl, Sf (ae. häm ,Heim; Landgut, Dorf), Parham
Sx < ae. Per-hamm ,Bimengarten4, Parley Do (ae. leah ,Lichtung4); Perry Hu,
K, Perry Barr St, a. 1086 Pirio, Water- und Woodperry O (ae.piriföe); Pirton
Hrt, Wo, Purton Gl, St, W < ae. Piri-tün\ Parndon Ess (ae. *peren ,mit
Birn(bäum)en bewachsen4 + dün ,Hügel4).
Von diesen zehn Lehnwörtern eignen sich byden, c(e)alc, cytel, pytt und
w(e)all, das vorwiegend römerzeitliche Anlagen, später auch angelsächsische
Stadtmauern bezeichnet, gut als topographische Termini. Säe können daher
auch allein als Ortsnamen fungieren oder wie pytt und w(e)all das Grundwort
12 Vgl. insbesondere Müller/Frings 1968, S. 393-395, und Wollmann 1990, S. 227-262.
13 Vgl. zum Folgenden CDEPN, DEPN, EPNE und Parsons/Styles 1997-2004, jeweils
s. vv.
14 Horovitz 2005, S. 555.
15 PNDo, Bd.l, S. 157f.
263
mehrgliedriger Namen bilden. Die Häufigkeit des Namenwortes mvlen spiegelt
die wirtschaftliche Bedeutung der Mühlen wider, über deren Zahl erst das
Domesday Book genauere Auskunft gibt. Manche bildeten den Kern dörflicher
Siedlungen (vgl. ae. Mylentün), die vor allem dann mit dem Simplex benannt
wurden, wenn mehrere Mühlen vorhanden waren. Die am Flusse Frome
gelegene Ortschaft Melis So heißt im Domesday Book jedoch noch Mulle und
erst a. 1196 Meines. Da im angelsächsischen England nur Wassermühlen
existierten, fehlen Ortsnamen mit mylen als Grundwort. Ähnliches gilt für die
nach dem Vorkommen von Kalkstein oder nach einem Markt benannten Orte.
Ebenso bedürfen Namen von Früchten (peru, -e), Pflanzen (minte) und land-
wirtschaftlichen Erzeugnissen (cyse, cese) bei toponymischer Verwendung
eines Grundwortes. Gleich c(e)alc kann jedoch auch piri($)e Stellen, an denen
ein Birnbaum steht, und hernach dort entstandene Siedlungen bezeichnen. Wie
der Vergleich mit den primären Siedlungsbezeichnungen ceaster und port
zeigt, liegt der Grund für die spärliche Verwendung anderer kontinentaler Ent-
lehnungen als Hinterglied komponierter Namen in der Semantik der Denotate.
Die Seltenheit des Typus Wulf-pytt darf daher nicht als Beleg für mangelnde
morphologische Integration in den onymischen Wortschatz des Altenglischen
missdeutet werden.
3. Lateinisch-(vor)altenglische Namenkontinuität
3.1. Toponymisches Lehngut und die Etymologie von Aust,
Catterick, Firle, Horncastle, Lincoln, Lindsey, Speen und
me. Tric
Neben vielen Namen insbesondere größerer Flüsse übernahmen die Angel-
sachsen auch eine Reihe keltischer Ortsnamen. Sofern diese bedeutendere
römisch-britische Siedlungen bezeichneten, überliefern sie meist antike oder
spätantike Quellen. Ihre latinisierten Formen bilden jedoch nirgends die Grund-
lage für den onymischen Transfer. Einige wenige Orte mit lateinischen Namen
benannten die Angelsachsen neu; vgl. Salinis => ae. SaltwTc, ne. Droitwich Wo
(zu me. drit ,Schmutz4). Gleichwohl soll mitunter auch ein lateinischer Orts-
name entlehnt worden sein. Als Zeugen der schon von Robert E. Zachrissonih
postulierten lateinisch-altenglischen Namenkontinuität gelten Aust, Catterick,
Firle, Horncastle, Lincoln, Speen und me. Tric. 16
16 Zachrisson 1927, S. 79ff.
264
3.2, Aust
Ob sich hinter Aust Gl, a. 691-699 (Kopie 17, Jahrhundert) Altaustin S 75, (cet,
to) Austan a. 794 (a. cl025) S 137, a. 929 (a. cl025) S 401, me. Aust(e), das
Cognomen der zuerst in Gloucester und seit a. 75 in Caerleon stationierten
Legio II Augusta verbirgt,17 18 ist mehr als fraglich, weil lat. au im frühen Lehngut
wie germ. *au ae. /ea/ ergibt und nur in jüngeren gelehrten Lehnwörtern
erhalten bleibt; vgl. clauster ,Klause, Kloster‘ (< claustrum). Quellsprachliche
Ausgangsform müsste zudem die in spätantiken Inschriften gelegentlich
bezeugte Variante Austa, -olx gewesen sein. Auch keltische Vermittlung (vgl.
kymr. awst ,August‘) scheidet wiederum aus chronologischen Gründen aus,
ebenso die vieldiskutierte Verknüpfung mit Bedas Augustinaes Ac, ae. Agus-
tinus aac ,Augustineiche\ wohin der Heilige Augustin a. 602-3 Bischöfe und
Gelehrte des angrenzenden Landes der (walisischen) Briten zu einer Aus-
sprache zusammenrief. Ae. Ägustinus (< lat. Agustlnus) hätte wegen der im
Süden erst a. c!200 vollzogenen Vokalisierung der velaren Spirans [y] nicht
schon zur Jahrtausendwende * Austin (vgl. Aust Pili, a. 1274 Austinespylle zu
ae. pyll,Pfuhl, PrieP)19 und schon gar nicht Austa, -<? ergeben können.
Ebenso wenig führt der neuerliche Rettungsversuch Richard Coates‘2° zum
Ziel. Seine Herleitung von ae. Aust /a-ust/ aus vlat. Aust- oder aus vlat. Agust-
über urkymr. *Ayust > *Awust > ae. *A(w)ust mit w-Schwund vor u versagt,
weil das Schreibtischkonstrukt einer zweisilbigen Form mit bewahrtem Hiat,
die bei keltischer Vermittlung spätestens im 6. Jahrhundert hätte entstehen
müssen, den Regeln der altenglischen Phonotaktik zuwiderläuft, die einen Hiat
nur an der Morphemfuge dulden. Selbst im 6. Jahrhundert wäre für fremdes /au/
noch die Vorstufe von ae. /ea/ substituiert worden, die nach Ausweis der früh-
altenglischen Graphien (aeu ~ aeo) zu dieser Zeit /aeu/ lautete.21 22 Damit erledigt
sich zugleich A. D. Mills1 alternatives Etymon Augustinus , das nur in der
unzuverlässigen Kopie der überdies gefälschten Urkunde S 75 eine fragwürdige
Grundlage hat. Auch die jüngere, offenbar echte Urkunde S 137 bietet den Orts-
namen in lateinischem Kontext. Allein das vorgebliche Diplom König
TEthelstans S 401 enthält ihn auch in der altenglischen Markbeschreibung. Die
volkssprachige Überlieferung von ae. Austa, -e reicht demnach nicht über die
erste Hälfte des 11. Jahrhunderts zurück. Trotz der Erläuterung in der
17 PNG1, Bd. 3, S. 127-129; CDEPN, 27; Gelling 1988, S. 35.
18 Stotz 1996-2004, Bd. 3, § 173.8.
19 Der seit a. 1224 belegte Personenname Austin, Austen setzt afrz. Aoustin fort; vgl.
DES, 19b.
20 Coates 2000, S. 54f.
21 Zur Schreibung (aeu) vgl. Dietz 2001, S. 165.
22 DBPN, 25a.
265
Dispositio von S 401, bei den Einheimischen heiße der in Rede stehende Ort cet
Austern, lässt sich die Verbindung mit Augusta allenfalls unter der Annahme
aufrechterhalten, ae. Austa, -e sei ein jüngerer gelehrter lateinischer oder
latinisierter Name, wofür a. c 1105 Augusta sprechen könnte. Das Benen-
nungsmotiv liegt freilich im Dunkeln.
3.3. Catterick
Allem Anschein nach keltischen Ursprungs < brit. *catu ,Kampf + *rätis
.Wall, Feste4 ist dagegen Catterick YNR. Die ptolemäische Form
Karoup(p)aKTÖviov bewahrt zwar das keltische Determinans, steht im Übrigen
aber schon unter dem Einfluss von gr. KarapaKia ,Katarakt4. Der Lok.
Cataractoni des Itinerarium Antonini erweckt wie später Bedas Akk. Cata-
ractam, Abi. Cataractone den Eindruck eines mit dem griechischen Lehnwort
cataracta gebildeten lateinischen Namens, der auch in akymr. Catraeth
weiterlebt." ' Auf der Vorstufe urkymr. *Catraxt beruht ae. Cetreht der merzi-
schen Beda-Übersetzung nach Manuskript Bodleian, Tanner 10 (a. c910-930)
mit /e/ für nhb. /ae/. Die nordhumbrische Form *Ccetreht, spätnhb. *Ccetriht
bildet ihrerseits (wohl mit Suffixwechsel) die Grundlage für a. 1086 Catrice,
me. C- ~ Katerik23 24. Die Reinterpretation des keltischen Namens eines römi-
schen Kastells und der daraus entstandenen Siedlung resultiert offenbar aus der
Identifizierung mit den Stromschnelten der Swale bei Richmond. Der älteren
Auffassung, wonach der Fluss ursprünglich einen mit Hilfe des Suffixes -ono-
aus dem Lehnwort *cataraxtä abgeleiteten keltischen Namen führte, der dann
auf Catterick übertragen worden sei,2' widerrät entschieden die Tatsache, dass
eine derartige Hybridbildung unter den keltischen Hydronymen Englands ohne
Beispiel ist.
3.4. Firle
Ebenso wenig wie die alte Deutung von Catterick überzeugt Richard Coates’
spekulative Herleitung von Firle Sx, a. 772-787 (14. Jahrhundert) Firolalandes
S 1183, a. 1086 Ferle(s), me. Ferle(s) ~ Firle(s), aus lat.ferälia ,uncultivated
land’26. Das supponierte Etymon ist nur als Adjektiv feralis mit der Bedeutung
,wild‘ belegt und lebt in der Romania nirgends weiter. Ein substantivierter
Nom. PI. n .ferälia, der zudem aus der Verbindung mit locus m., PL loca (neben
loci) abstrahiert worden sein soll, existiert nicht. Über brit. *FerQl sei daraus
23 CDEPN, 120b, mit zum Teil korrekturbedürftigen Angaben und weiterer Literatur.
Zum keltischen Grundwort vgl. Delamarre 2003, S. 254.
24 Förster 1941, S. 118, Fußn. 4 auf S. 119f.
25 So noch Gelling 1988, S. 33, 35, und Cameron 1996, S. 34.
26 Coates 2000, S. 44-53; vgl. PNSx, Bd. 2, S. 359f„ 416.
266
ws. *Feorol ~ kent. *Fiorol entstanden. Dabei übersieht Coates, dass der Velar-
umlaut von vorae. */e/ auch im Kentischen zu /eo/ führt und dass selbst kent.
/io/ (< vorae. */i/) nur me. /e/ ergibt. Die jüngeren mittelenglischen Formen mit
/i/ (seit a. 1235) bleiben daher unerklärt, denn sie lassen sich schwerlich als
Ergebnis der vor gedecktem r sonst fehlenden Hebung von /e/ > !\i deuten.27 In
weitere Widersprüche verwickelt sich Richard Coates, wenn er anschließend
behauptet, die Angelsachsen hätten das lateinische Wort morphologisch
unverändert ohne die zuvor postulierte keltische Vermittlung als Toponym
übernommen, das dann nur *ferel gelautet haben kann.
Nicht besser begründet ist E. Ekwalls Alternative eines erbwörtlichen
Etymons, das zu germ. *ferh- gehöre und im Vorderglied von ahd. fereh-eich
,Eiche1 vorliege. Hierzu habe ein -/¿/«-Stamm ae. *ßere und, davon abgeleitet,
ein suffigiertes, hernach substantivisch verwendetes Adjektiv *ßerol ,mit
Eichen bestanden4 existiert.28 Neuerdings vereinfacht V. Watts diese morpho-
logisch höchst komplizierte Herleitung durch den Ansatz eines Völkernamens
*Fierelas ,Eichenleute4,29 30 31 32 den er aus *ferh-ila gewinnen will, während
Anthony D. Mills von *ßerel ,oak place’ ausgeht, daneben aber wie V. Watts
auch noch mit ferälia rechnet.311 Tatsächlich enthält das Bestimmungswort des
tautologischen Kompositums ahd. fereh-eich ,Steineiche4 31 < germ. *ferhn-
eine alte zu lat. quercus gehörige Bezeichnung der Eiche.3~ Die für das Südalt-
englische supponierten Ableitungen hätten nach Maßgabe von angl. firas
,Männer, Menschen4 (< germ. *ferhwijösez) mit Brechung, /-Umlaut, inter-
sonorem /j-Schwund, Ersatzdehnung des Tonvokals und Synkope der Mittel-
silbe zu ws. *ßerel bzw. * Fier las ~ kent. *ßorel bzw. * Florlas führen müssen.
Gleiches gilt für E. Ekwalls Konstrukt *fierol, rectius *ßerol. Keine dieser
Formen ergäbe frühme. Ferle(s). Nicht nur die Phonologie, sondern auch die
Geomorphologie spricht entschieden gegen die Verknüpfung mit Abkömm-
lingen von germ. *ferh"-, denn die Denotate von Frog Firle und West Firle
liegen auf kalkhaltigem Boden, auf dem Eichen nicht gedeihen.
2/ Vgl. Jordan 1968, § 34.
28 So zuerst in PNSx, Bd. 2, S. 359; vgl. DEPN, 180b.
29 CDEPN, 231b, mit überdies fehlerhafter Darstellung.
30 DBPN, 191b.
31 Belege im Althochdeutschen Wörterbuch, Bd. 3, S. 741, und bei Schützeichel 2004,
Bd. 3, S. 117b. Von Splett 1993, Bd. 1, S. 257, fälschlich zu foraha .Kiefer4 gestellt.
32 Vgl. Neri 2003, S. 203.
267
3.5. Lincoln und Lindsey
Eine kelto-lateinische Hybridbildung < brit. *lindo-, urkymr. */i'nn ,Wasser,
Weiher4 + colonia liegt dem Ortsnamen Lincoln L zugrunde. Ausgehend vom
ptolemäischen Aivöov über Lindo des Itinerarium Antonini und Lindum colonia
des Geographen von Ravenna erscheint das Toponym in zweifacher Gestalt.
Früh aus Lindocolönia* entlehntes spätbrit. *Lindogolünia —> vorae. *Lind-
colun bildet die Grundlage von ae. Lincoln(e) (seit a. c975), während Bedas (in)
Lindocolino ~ Lindocolinae ciuitatis relatinisiertes jüngeres urkymr. *Lindo-
goliin repräsentiert, das in der Übersetzung nach Manuskript Bodleian, Tanner
10 und in der ältesten Handschrift Cambridge, Corpus Christi College 1 73 der
altenglischen Annalen s. a. 942 (a. c955) mit /-Umlaut Lindcylene ergibt. Der
nirgends erläuterte Ersatz des quellsprachlichen /g/ durch ae. /kJ resultiert aus
dem Fehlen des stimmhaften Plosivs im Morphemanlaut. Die Substitution
liefert einen zusätzlichen Beweis für die Existenz von anlautendem /y/ zur Zeit
der Entlehnung. Benennungsmotiv der Stadt, die in angelsächsischer Zeit noch
zu Schiff erreicht werden konnte, war die seit a. 1200-10 unter dem Namen
Bra(i)deford (~ Braidemere), heute Brayford (Pool), bekannte Stelle, an der
sich der Lauf des Witham weitet.
Auf brit. *Iindo- geht auch der Gebietsname Lindsey zurück, den einst die
ganz Lincolnshire umfassende Landschaft, später nur noch die Nordhälfte der
Grafschaft zwischen Humber und Witham trug.33 34 Die altenglische Überlie-
ferung belegt ihn in zweierlei Form: E a. c704-714 (9. Jahrhundert) Lindissi
Vita Gregors des Großen, a. c731 (8. Jahrhundert) Lindis(s)i (~ Lindissae)
Beda, Hist eccl., a. a800 Linidissae bei Alcuin, a. c890 (a. c925) Lindisse OE
Bede, (a. a900) Lindesse ChronA 5. a. 838, 873f., a. c890 (a. c925) OE Bede, 9.
Jahrhundert (a. clOOO) Martyrologium (Mart), a. alOOO (a. al025) Chronik
Afthelweards; 2. a. 890 (a. cl050) Lindesige, -ege OE Bede, (a. cl050)
L indes i(g)e, ChronC, s. a. 838, 993, ChronD 5. a. 838, 1013f., 1016, a. 1086
Lindesi.
Als gemeinsame Quelle beider Formenreihen gilt der entweder aus brit.
* lindo- ,(Binnen)see‘ oder aus dem Ortsnamen brit. *Lindon respektive lat.
Lindum (colonia) abgeleitete Insassenname lat. *Lindenses (rectius *Linden-
sés), Bewohner am See‘ mit Bezug auf den Brayford Pool oder , Bewohner von
Lincoln4, der über *Lindeses mit «-Schwund vor s vorae. * Lindes ergeben habe.
Durch den erläuternden Zusatz von angl. eg (~ ws. t(e)g) ,von Wasser umge-
benes Land, Insel4 sei daraus der seit a. c900 belegte Orts- und spätere
Distriktname Lindesèg > me. Lind(e)seie, ne. Lindsey entstanden. Indes bedarf
33 PNL, Bd. 1, S. 1-3, 17f.; CDEPN, 373b.
34 Vgl, zum Folgenden Bassett 1989, S. 1-31, Gelling 1989, S. 31f., PNL, Bd. 2, S. 2-7,
und CDEPN, 374. [Abkürzungen und Ausgaben altenglischer Texte (ausgenommen
Urkunden), soweit nicht eigens vermerkt, nach DOE; zur Datierung der Hand-
schriften vgl. Gneuss 2001 und Ker 1990; Urkunden nach Sawyer 1968 (= S).]
268
der Ansatz vorae. *Lindes insofern der Korrektur, als für lat. /e/ im frühen
Lehngut /1/ substituiert wird. Vorae. *Lindfs ergab mit Kürzung im Schwachton
*Lindis- und mit frühaltenglischer Senkung von /i/ > /e/ ebenfalls Lindes-. Erst
dadurch erfährt das schwachtonige F\! in Bedas Lindisfarorum gegenüber
Lindesf(e)arena (ae. -faran* ,Reisende4)35 36 37 der altenglischen Übersetzung eine
zureichende Erklärung. Die Rückführung auf lat. *Lindeses ist jedoch nicht die
einzige Möglichkeit. Nach Ausweis von akymr. Linnuis in der Historia
Brittonum < brit. *lindo- + -e(n)ses (> kymr. -vyys) existierte der Insassenname
*Lindes auch im Protokymrischen. Der Umweg über das Latein wird damit ent-
behrlich.
Schwierigkeiten bereitet dagegen die früher belegte und zunächst in latei-
nischem Kontext stehende Variante Lindissi nicht nur wegen des auslautenden
/, sondern vor allem wegen des Namenelementes -issi, das nach V. Watts dann
volksetymologisch zu -¿3 umgestaltet worden sein soll. Lässt sich Bedas in
prouincia Lindissi noch als Genitiv auffassen, deuten iuxta Lindissi urbe und de
Lindissi reuersum auf ein indeklinables Ethnonym im Plural hin. Von
*Lindeses aus lässt sich Lindissi jedoch weder aus dem Lateinischen noch aus
dem Altenglischen gewinnen, es sei denn, man begnügt sich wie V. Watts
resignierend mit der Feststellung, es handele sich um einen unbekannten
Namenbestandteil.
Indes belegt das im 12. Jahrhundert entstandene, in Handschriften des 13.
Jahrhunderts überlieferte und dem Dichter Aneirin zugeschriebene Helden-
gedicht Y Gododdin, das auf älterer mündlicher Tradition fußt, zweimal das
Nomen agens Lynwyssawr. Es ist mit dem Suffix akymr. -awr < lat. -äriu
gebildet und verlangt nach Max Förster brit. *Lind-essä als Ableitungsbasis.16
Folgt man diesem Ansatz, liegt brit. *Lind-essä latinisiert mit Substitution von
-essä durch das formal ähnliche, aus dem Griechischen entlehnte Motionssuffix
-issa' in Bedas und Alcuins Gen. Sg. Lindissae (provinciae) vor. Lindissi
repräsentiert dann das zugehörige Ethnonym. Die anglolateinische Über-
lieferung belegt es noch im früheren 12. Jahrhundert. Der Übersetzer von Bedas
Kirchengeschichte übernimmt die gelehrte Bildung dreimal aus der Vorlage,
anglisiert sie aber auch sechsmal zu Lindesse. Dementsprechend bieten die
Fassungen der Anglo-Saxon Chronicle bis auf Lindisse und Lindissi in den a.
eil20 aufgezeichneten Einträgen der Peterborough Chronicle (ChronE) auf
die Jahre 626 und 678 nur Lindesse.
Max Försters Deutung des Befundes fand in der anglistischen Ortsnamen-
forschung jedoch keine Beachtung, weil sie Kenneth Jackson mit der Begrün-
dung verwarf, kymr. -wys (< lat. -e(n)ses) sei ein Kollektivsuffix zur Bildung
35 Zu diesem Namen vgl. van Eis 1972, S. 141 f., sowie jetzt Coates 2000, S. 243-246.
36 Förster 1941, S. 166f., Anm. 1.
37 Stotz 1996-2004, Bd. 2, S. 277f.
269
von Raum- und Völkernamen, ^ obwohl Max Förster von -essä mit sekundärer
Geminata /ss/ < *st ausging, weil primäres /ss/ degeminiert wird.38 39 Das
Förstersche Etymon brit. *Lind-essä weist freilich zwei Schönheitsfehler auf.
Zum einen bleiben Herkunft und Entstehung des Suffixes *-essä offen, zum
andern ist nicht recht ersichtlich, wie aus Lindissa ein Ethnonym Lindissi ent-
stehen konnte, weil Ableitungen auf -issa weder im Lateinischen noch auch in
den frühromanischen Sprachen als Grundlage weiterer Wortbildungsprozesse
fungieren.
Phonologisch betrachtet, kann ae. Lindisse, -esse auch direkt aus brit.
*Lindessä entlehnt sein. Der Nominativ müsste dann frühae. *Lindis, ae.
*Lindes mit Schwund des quellsprachlichen Auslautvokals lauten. Der Name
kommt jedoch fast nur in Verbindung mit einer Präposition (in, from, of on)
vor, die den Dativ regiert oder regieren kann. Auch in den Belegen in pere
me^öe Lindesse ,im Land Lindsey' LS 3 (Chad) 56, 193 steht das Toponym im
Dativ. Allein die Nominalphrase of ealre Lindesse stowum ,von allen Orten
Lindseys‘ in der Beda-Übersetzung 182.28 zeigt es im Genitiv. Die Überein-
stimmung beider Kasus weist zusammen mit der Geminata /ss/ auf Einordnung
in die Flexion dery'ö-Stämme, wo *Lindis Anschluss an die Feminina auf -is,
-es (< *-isjö~) wie forle^is, flekt. forle^isse ,Ehebrecherin1 finden konnte.40
Damit eröffnet sich sogar die Möglichkeit, auch Gen., Dat. Lindisse auf Grund
des erschlossenen Nominativs Lindis* auf urkymr. *Lindes zurückzuführen.
Der vermisste Nominativ liegt dann im Vorderglied von Lindes-e% vor und M.
Försters problematisches Etymon *Lind-essä erübrigt sich. Trifft diese Deu-
tung zu, basiert anglolat. Lindissi auf frühae, Lindis, Gen., Dat., Akk.,
*Lindissce, Dat. < Lok./Instr. *Lindissi. Da sowohl bei den ö-stämmigen als
auch bei denyo-stämmigen Substantiven frühaltenglisch noch Dativformen auf
mit instrumentaler oder lokativer Funktion Vorkommen,41 die die alte Loka-
tivendung bewahren, spricht nichts gegen die Rückführung von anglolat.
Lindissi auf eine frühaltenglische lokativische Dativform *Lindissi. Sie bietet
zugleich die Erklärung dafür, dass anglolat. Lindissi indeklinabel ist.
Mit Lindese^ und Lindesse kennt das Altenglische zwei Raumnamen mit
keltischem Bestimmungswort, die das Gebiet um die Stadt Lincoln bezeichnen.
Ob die geographische Reichweite von Lindese5 kleiner war und sich auf die
unmittelbare Umgebung von Lincoln beschränkte, wie das Grundwort ¿>5 ver-
muten lässt, geht aus den Belegen jedoch nicht hervor, zumal die den Namen
überliefernden Texte nicht über das ausgehende 9. Jahrhundert zurückreichen.
38 Jackson 1953, S. 332, 553.
39 Förster 1941, S. 595-601.
4,1 Campbell 1959, § 592(a); Sievers/Brunner 1965, § 258.1c, stellen Lindis ausdrück-
lich hierher. Ae. hce^tesfse) ,Hexe‘ bleibt jedoch fern, da < wgerm. *haya-tusjö', vgl.
Kluge/Seebold 2002, S. 411.
41 Vgl. Campbell 1959, § 587, 591.
270
Im Gegensatz zu den bisherigen Lösungsversuchen beruhen weder ae. Lindes e$
noch auch ae. Lindesse auf lateinischer Vermittlung, sondern setzen den
hybriden fnsassennamen urkymr. * Lindes (< brit. *Iindo- + lat. -e(n)ses)
,Bewohner von Lindon‘ direkt fort. Die ebenfalls seit a. a900 nur als Genitiv
und Dativ überlieferte Scheideform Lindesse resultiert aus der Eingliederung
des Rezeptionsproduktes in die Flexion der /YV?-stämmigen Feminina. Der
zugehörige Nominativ liegt im Vorderglied von Lindese5 vor. Die zwei Jahr-
hunderte ältere und indeklinable anglolateinische Entsprechung Lindissi beruht
auf frühae. * Lindissi mit bewahrter Lokativendung -i.
3.6. Speen
Bisher kaum bewältigte Schwierigkeiten bereitet die zwar archäologisch ge-
stützte, onymisch jedoch nicht gesicherte Verbindung von Spinis des
Itinerarium Antonini (lat. spina ,Dornbusch1 oder splnus ,Schwarzdorn4) mit a.
821 (12. Jahrhundert) Spene S 18342, me. Spene(s), ne. Speen Brk43. Um die
phonologische Distanz zwischen lat. fl! und ae. /e/ zu überbrücken, griff man
zum Ansatz einer zu ae. spön ,Span, Schnitzel4 (< germ. *spcenu-) gehörigen
/üT-stämmigen Ableitung * spene, schrieb ihr die Bedeutung , Schindel4 zu und
nahm außerdem an, das lateinische Toponym sei früh in das Protokymrische
entlehnt worden, habe dort *Spin ergeben und sei von den Angelsachsen mit
*spene identifiziert worden, das indes zur fraglichen Zeit auch im Süden noch
*speene gelautet haben müsste und in der altenglischen Toponymie sonst
keinerlei Rückhalt hat. Die luftige Spekulation stößt auf schwere Bedenken,
denn sie löst das phonologische Problem nur scheinbar und unter Verzicht auf
die onymische Kontinuität. Auch der von V. Watts gewählte Ausweg, die Über-
einstimmung bestehe vielleicht nur im Benennungsmotiv, weil Speen ursprüng-
lich im Wald lag, wo Holz für Schindeln und daher auch Späne zu finden
waren, entpuppt sich als Notbehelf.
Ernster zu nehmen ist ein neuer Erklärungsversuch von Richard Coates44,
der von keltischer Vermittlung ausgeht und das phonologische Problem durch
den Ansatz brit. *Spen mit e statt F wie in kymr. pabwyr , Docht4 < brit.-lat.
*paperus (< lat. papyrus) und paradwys ,Paradies4 < brit.-lat. *paradesus (<
klat. paradTsus)45 lösen will. Indes stellen die beiden Lehnwörter die einzigen
Ausnahmen dar, in denen lat. F nicht brit. *F, sondern *e (> akymr. ui) ergeben
zu haben scheint. Legt man jedoch mit A. S. Gratwick46 eine Art Suffixwechsel
42 Kelly (Hg.) 2000-2001, Nr. 9.
43 PNBrk, Bd. 1, S. 266f.; Gelling 1988, S. 34f., 58; Coates 2000, S. 40-43; CDEPN,
564b.
44 Coates 2000, S. 40-43.
45 Vgl. GPC, Bd. 3, S. 2664a, 2685a.
46 Gratwick 1982, S. 39f.
271
zu *paperius respektive *paradensis zugrunde, fügen sich beide Lehnwörter in
die Normalentwicklung ein, und *Spen geht seiner Stützen verlustig. Mit lat.
spionia ~ spinea ,eine Art Weinstock1 hält Richard Coates vorsichtshalber noch
ein zweites Etymon bereit, doch führt weder vom Dat. PI. *Spi(o)niTs noch gar
von der Unform vlat. *Speneis, recte *Spenis gleichviel, ob mit oder ohne kelti-
sche Vermittlung, ein Weg zu ae. Spene, dessen Tonvokal /e/ durch frühme.
Spienes mit (ie) = /e/ erwiesen wird, denn lat. spinea hätte nach Maßgabe von
piri(s)e .Birnbaum1 < vlat. pirea (zu pirus) über vlat. *spenia ae. *spini($)e
ergeben. Abwegig ist ferner Richard Coates’ Behauptung, die Länge des mittel-
englischen Tonvokals resultiere aus der Dehnung in offener Silbe, die bei
zugrunde liegendem lil nur im Norden möglich gewesen wäre und von ae. /e/
aus zu me. /?/ geführt hätte. Im Übrigen scheitert die gründlich misslungene
Herleitung schon an der Fehlbeurteilung der lateinischen Formen spiönia ~
spinea^ , denen R. Coates kurze Vokale zuschreibt. Wie andere seiner Vor-
schläge zeugt auch dieser von mangelnder Einsicht in die phonologischen
Verhältnisse von Quell-, Mittler- und Zielsprache.
3.7. Horncastle
Damit soll jedoch die Möglichkeit der Übersetzung oder Reinterpretation
keltischer Namen(elemente) nicht in Abrede gestellt werden. Allerdings exis-
tiert, soweit ich sehe, nur ein diskutables Beispiel: Horncastle L, a. 1086 Hor-
necastre, frühme. Horncastr spätme. Horncastell (zu ae. horn, *horna ,Hom;
Spitze, Vorsprung1). Kenneth Cameron sieht im Vorderglied eine Lehn-
übersetzung von Bannovallum ~ Bannoualum des Geographen von Ravenna (<
brit. *banno-, a- ,Spitze* + *ual(io)- ,stark1).4S Da Horncastle auf einer durch
den Zusammenfluss von Bain und Waring gebildeten Landspitze liegt, kann
auch eine topographisch motivierte Neubenennung vorliegen. Zudem ist die
Identifizierung nicht über jeden Zweifel erhaben, denn Bannovallum könnte
auch das römerzeitliche Caistor, spätae. Castr(e), meinen, das auf einem
ähnlich geformten Ausläufer der Lincolnshire Wolds errichtet wurde.47 48 49
3.8. Me. Tric
Mithin verbleibt allenfalls noch der nur im Domesday Book bezeugte Ortsname
Tric, dessen Denotat man wohl zu Recht mit Skegness L, frühme. (12. Jahr-
hundert) Sceggenes(se) (< an. skegg ,Bart‘ oder Skeggi + nes .Landspitze1)50
47 Vgl. Emout et Meillet 1959, S. 642.
48 Cameron 1998, S. 66; vgl. CDEPN, 315f.
49 Vgl. PNL, Bd. 2, S. 87f.; CDEPN, 109a.
50 Cameron 1998, S. 110; CDEPN, 552b; DBPN, 423b. Die mittelalterliche Küstenlinie
und der im spitzen Winkel verlaufende Deich legen ein appellativisches Vorderglied
nahe; vgl. Owen 1974-75, S. 48.
272
identifiziert hat. Richard Coates sieht darin eine Kontinuante von lat. trajectus
,ferry’.51 Abgesehen davon, dass lat. trajectus ursprünglich nicht ,Fähre4,
sondern ,Überfahrt4, später auch ,Furf bedeutet,52 53 54 * ist nicht recht ersichtlich, wo
die namengebende Furt gewesen sein könnte. Bei früher Entlehnung hätte aus
trajectus nur ae. *tre$eht > spätae. *tre^iht (> me. *treiht) entstehen können.
Wiewohl die Schreiber des Domesday Book den Nexus /xt/ auch durch (c)
wiedergeben,"’ bereitet die Graphie (Tric) statt der zu erwartenden Schreibung
Tre(g)ic(t)) ernsthafte Schwierigkeiten. Schließlich lässt sich Tric kaum vom
Vorderglied von Threekingham L, a. 1086 Triching(e)ham mit (eh) = /k/, frühme.
Triking(e)ham, spätme. Threkingham, trennen."4 Die Topographie schließt die
Deutung von ae. *Tricingahäm als Siedlung der Leute an der Furt aus.
3.9. Zwischenbilanz
Keines der von der Forschung als Beleg für die lateinisch-(vor)altenglische
Namenkontinuität reklamierten Toponyme hält kritischer Prüfung stand.
Catterick, Lincoln, Lindsey und ae. Lindesse setzen insularkeltische Formen
fort. Auch Firle, Speen und spätae. Tric weisen kein lateinisches Etymon auf.
Aust trägt zwar einen offenbar lateinischen, indes spätaltenglischen Namen,
und Horncastle beruht bestenfalls auf einer Lehnübersetzung.
4. Frühe insulare Entlehnungen
Zum angeblich oder tatsächlich früh rezipierten lateinischen Lehngut zählen
ferner etliche wenn nicht ausschließlich, so doch hauptsächlich in toponymi-
scher Funktion bezeugte Wörter. Die aktuelle Liste umfasst zehn Lexeme:
camp ,(offenes) Feld4 (< campus), ceaster ~ ccester ,Burg, Stadt4 (< castra),
*corte ,eingefriedeter Bereich, umfriedeter Hof(raum)‘ (< cohors), croh
,Safran4 (< crocus, -um), *ecles ,Kirche4 (< ecclesia), *fcefer ,Schmied" (<
faber), *funta ,Quelle4 (< fontäna), port ,Hafen(stadt)‘ (< portus), Street
,Straße4 (< (via) sträta) und wie ,Wohnstätte, Siedlung4 (< vfcwx).5" Soweit sie
wie ceaster, croh, port, Street und wie auch als Appellativa Vorkommen, rechnet
sie die Anglistik zusammen mit *foss ,Graben4 (< fossa) bis heute meist zum
51 Coates 1988, S. 34-36 mit Karte S. 124.
Niermeyer, van de Kieft en Burgers 2002, Bd. 2, S. 1354b.
53 von Feilitzen 1937, § 141.
54 Cameron 1998, S. 127; DBPN, 459b. V. Watts, CDEPN, 613b, will die jüngeren
Formen mit (e) allen Ernstes als Reflex der nördlichen Dehnung von me. /i/ > /e/ in
offener Silbe erklären, die in Dreisilbern bekanntlich unterblieb. Ne. /i:/ neben /1/ ist
Schriftaussprache; vgl. K. Forster 1981, S. 233a.
Gelling 1988, S. 66; Cameron 1996, S. 41-44.
273
frühen insularen Import56 und sieht sich durch die toponymische Reanalyse
Margaret Geltings5 bestätigt. Das gilt nicht allein für das westgermanische
Lehnwort Street, von dessen kontinentalen Vertretungen ahd. sträza, as., anl.
sträta, afries. strete die anglistische Namenforschung keine Notiz zu nehmen
pflegt, sondern ebenso für ae. ceaster und seine flämischen und rheinischen
Entsprechungen. 75 58 Da Vorkommen und Verbreitung von ceaster, *ecles,
*funta, Street und wie relativ gut erforscht sind, wenngleich auch sie erneuter
Prüfung bedürfen, kann sich die Untersuchung auf die fünf übrigen
(Namen)wörter konzentrieren.
4.1. Ae. * camp ,FeId‘
Ae. camp ist mit ca. 35 Belegen gut bezeugt. Meist hat camp jedoch die
Bedeutung ,Kampf, Kriegf Auf camp ,Feld‘ entfallen nur insgesamt zehn
Belege, davon acht in Grenzbeschreibungen zwischen a. 757 und a. 963 aus-
gestellter Urkunden: a. 757-774 (a. cl 100) (in) pulles campe Wo S 142, a. 901
(a. c 1325) (on) wadan campe Ha S 365^9, a. 939 be norpan ea $elecan camp K
S 447, a. 940 (12. Jahrhundert) (to) roc^an campces 5eatce Ha S 463, a.
946-955 (14. Jh.) (on) Wadancampe W S 580, a. 947 (of on) todan camp(e) Sr
S 528, a. 947 (13. Jh.), 963 (12. Jh.) (of to) wi$an campe Sx, W S 525, 7146".
Die lateinische und die ihr folgende altengiische Markbeschreibung von Wiek
Episcopi in der Urkunde S 142 hält Deila Hooke wegen einiger spätalt-
englischen Formen letzterer für einen Zusatz des 11. Jahrhunderts.61 Ihre
Folgerung ist jedoch nicht schlüssig, weil der Kopist die frühaltenglischen
Formen aktualisiert haben kann. Zudem steht das Grenzzeichen pulles camp
nur in der lateinischen Fassung, ohne die die Urkunde unvollständig wäre.
Davon abgesehen begegnet camp ,Feld‘ allenfalls noch in der um die Mitte des
12. Jahrhunderts vorgenommenen Interlinearglossierung des Eadwine-Psalters
nach Manuskript BL, Royal 2. B. 5 Ps. 77.12, 77.43. Da beide Glossierungen in
56 Vgl. außer der Übersicht bei Wollmann 1990, S, 91, insbesondere Baugh/Cable
2002, S. 79-82, Kastovsky 1992, S. 302-305, und Kastovsky 2006, S. 221, der
immerhin camp, ceaster, port, weall und wie zum kontinentalen Altgut rechnet.
Dagegen möchte Nielsen 1998, S. 154-163, insulare Entlehnung von camp, ceaster,
port, Street und wie nicht ausschließen, hält indes auch keltische Vermittlung von
(via) sträta und vallum für möglich, obwohl das Kymrische beide Wörter nicht ent-
lehnte. Unzutreffend ist seine Behauptung ceaster habe schließlich als Suffix fungiert
(S. 159).
57 Gelling 1977, S. 1-13.
58 Vgl. Müller/Frings 1968, 167f, sowie Besse 1997, S. 345, 415.
59 Miller (Hg.) 2001, Nr. 4.
60 Kelly (Hg.) 2000-2001, Nr. 40, 98.
61 Hooke 1990, S. 69; vgl. Forsberg 1950, S. 52.
274
campo: on ~ in campo lauten, liegen jedoch keine volkssprachigen Interpre-
tamente vor, es sei denn, man behilft sich mit der Annahme, der Glossator habe
sich zweimal auf die gleiche Weise verschrieben, ohne dass es einer der
Korrektoren bemerkte. Die vom DOE s. v. camp] verzeichneten Belege PsGlE
77.12, 43 sind daher ebenso zu streichen wie die nirgends nachweisbare Bedeu-
tung .battlefield’. Entgegen der Behauptung David N. Parsons’62 kommt camp
in der Bedeutung .Feld4 nur als Namenwort vor.
Aus dem Urkundenbeleg (to) roc^an campces jeatce ,(zum) Gattertor des
Roggenfeldes1 S 463 geht dreierlei hervor. Erstens liefert er zusammen mit
pulles camp (ae. pull,Teich, Bach‘) S 142 und be norpan ea ^elecan camp (ae.
ea ,Fluss, Bach4) S 447 den Nachweis appellativischer Verwendung von camp
,Feld\ einerlei, was sich hinter selecan verbirgt.6’ Zweitens sichert er die
Existenz eines bisher nur aus den Ortsnamen Rugward Fleet, 13. Jahrhundert
Rogejlet (ae.fleot,Fluss4), und Rugwood, a. 1246, 1304 Rog(e)werde1 a. 1246,
1247 u. ö. Rug(ge)werd(e) (ae. *wer(e)ö ,Werder4 < *warip-; vgl. ahd. werid
,Insel4), beide Ess,64 erschlossenen altenglischen Wortes ro^a .Roggen4,65 das
zu ahd., as. roggo m., afr. rogga m. gehört. Drittens zeigt das Grenzzeichen,
dass ae. camp nicht nur .offene Fläche4 oder ,Feldflur4, sondern wie im Orts-
namen Barcombe Sx < ae. *Berecamp (ae. bere .Gerste4) auch .eingehegtes
Feld, Acker4 bedeuten kann. Die Kombinationen mit den Rufnamen der
Besitzer IVada und Wi^a dokumentieren die semantische Zwischenstufe
.abgegrenzte, landwirtschaftlich genutzte Bodenfläche4, während Bulcamp Sf <
ae. *Bulancamp (ae. bula .Bulle, Stier4), Swanscombe K < ae. Swänescamp (ae.
swän .(Schweine)hirt; Bauer4) und Warningcamp Sx < ae. *Wctrnancamp (ae.
*wrcena, *wcerna .Hengst4) auf die Nutzung für Weidewirtschaft und Vieh-
haltung verweisen.
Das Vorderglied des Kompositums todancamp S 528, mit dem A. R.
Rumble nichts Rechtes anzufangen weiß,66 kehrt in den Grenzzeichen a. 804 (a.
cl025) Todanhomm Gl S 1187 und a. 942 (14. Jh.) (on) todanberghe, of
todanbrigge So S 481 wieder. Es repräsentiert ae. *toda, -e .Buschwerk4, liegt
(f)ne. tod .Faubwerk4 zugrunde, hat dialektale Fortsetzungen in ne. tod ,aus-
schlagender Baumstumpf, gekappter Baum4 und stellt schließlich auch das
bislang vermisste Etymon von me. > mschott. > nschott. tod .Fuchs4 dar, dessen
Benennungsmotiv wie bei ae. > ne. fax vom buschigen Schwanz ausgeht.6 Die
6" Parsons/Styles 1997-2004, Bd. 2, S. 135.
63 Vgl. KPN, 246.
64 PNEss, 171, 184.
65 Korrekturbedürftig, A. H. Smith, EPNE, Bd. 2, S. 87, der einen femininen ön-Stamm
*r°ggß ansetzt, obwohl auch ae. rvje Maskulinum ist.
66 Rumble 1970-71, S. 8.
67 Zu ae. *tode vgl. Middendorff 1902, S. 135, der von tod(d)e ausgeht, und A. El.
275
kontinentalgermanische Verwandtschaft, ahd. zota f., zoto m. ,Haarbüschel,
zottiges Haar‘, mhd, zot(t)e ,Zotte', nisl. toddi m. ,Grasbüschel' und nl. tod(de)
f. ,Fetzen, Lumpen' (seit Kilian),68 weist zum Teil Formen mit expressiver
Geminata auf, wie sie auch me. tod(de) ,Wollgewicht' (MED, s. v.) eignen. Ae.
todancamp bedeutet demnach wenn nicht ,mit Büschen eingefriedetes Feld', so
doch ,Feld mit Buschwerk', todanbeor3 ,mit Büschen bewachsener Hügel',
todanhamm ,von Wasser umgebenes Land mit Buschbestand' und todanbry>c^e
,mit Faschinen verstärkte Brücke' oder ,Knüppeldamm'. Die Kombination von
*toda, -e mit vier unterschiedlichen Grundwörtern schließt den Ansatz eines
Personen(bei)namens *Toda wohl aus.
ln mesotoponymischer Funktion begegnet ae. camp vor allem im Süden
sowie nördlich der Themse in den Home Counties (Bd, Ess, Hrt), kommt indes
auch weiter nördlich vor: Castle und Shudy Camps C, a. 1086 u.ö. Campes\
Campsey Ash Sf, a. 1086 Campse(i)a, me. Campes(s)e (ae. ¿3); Chipping
Campden Gl, a. 1005 (16. Jh.) (on) Campsdetena 3emebre S 911, a. 1086
Campedene, me. Ca(u)mpedene (ae. denu ,Tal‘); Compton Db, a. 1199-1216
u.ö. Campeden(e) (ae. denu)w Kenneth Cameron bevorzugt für Compton Db
ae. camp ,Kampf, Streit' als Etymon, weil die Bedeutung ,Feld' anscheinend
auf das sächsische Gebiet beschränkt sei, doch entkräften Campsey in
Ost-Suffolk, Camps in Südost-Cambridgeshire, vor allem aber Campden in
Nordost-Gloucestershire seine Begründung. Ae. camp galt demnach nicht nur
im Südaltenglischen, sondern auch auf merzischem Gebiet und in Ostanglien.
David N. Parsons und Tania Styles verschleiern diesen Sachverhalt mit ihrer
ungenauen Formulierung „overwhelmingly Southern”.70
Margaret Gelling erweckt gar den Eindruck, das Namenwort camp komme
fast nur im mittleren und östlichen Süden vor. 1 Aus der Lage der 16 von ihr
untersuchten Orte in der Nähe römischer Siedlungen oder Straßen erschließt sie
für campus die Bedeutung ^bewirtschaftetes Land am Rande einer römischen
Siedlung'. „Germanic fighting men”7' hätten das lateinische Wort in dieser
Bedeutung übernommen und ihre Nachfahren hätten die öd- oder brachliegen-
den Flächen bewirtschaftet, so dass ae. camp später auch den bestellten Acker
und schließlich das eingehegte Feld bezeichnen konnte. Wer die germanischen * 68 69 * 71 72
Smith, EPNE, Bd. 2, S. 180, der *todd ansetzt, obwohl Formen mit Geminata fehlen.
Zu den Fortsetzungen vgl, MED, s. v. tod, EDD, Bd. 5, S. 175, OED, s. v. /ot/sb. 2,
DOST, Bd. 11, S. 599f., und SND, Bd. 9, S. 355-357.
68 Schützeichel (Hg.) 2004, Bd. 11, S. 333-335; Kluge/Seebold 2002, S. 1016b; de
Vries 1971, S. 737a; Blöndal Magnüsson 1989, S. 1049f.
69 PNC, 102; PNDb, Bd. 2, S. 432; PNG1, Bd. 1, S. 237f.; CDEPN, 112.
,(l Parsons/Styles, Bd. 2, S. 135.
71 Gelling 1988, S. 75-78.
72 Ebd. S. 77.
276
Krieger waren und wann sie campus entlehnten, sagt Margaret Gelling nicht.
Wie im Falle von ae. *fcefere reiht sie eine Spekulation an die andere. Dass lat.
campus, das zuerst das offene, flache Land bezeichnete, lat. ager als ge-
wöhnliches Wort für ,Feld, Ackerland1 seit dem 4. Jahrhundert verdrängt und
bald darauf auch bestellbarer Acker1 bedeutet, ' nimmt sie nicht zur Kenntnis.
Die kontinentalwestgermanische Entsprechung kamp ist im Niederlän-
dischen und im Niederdeutschen als Appellativum wie als Toponym gleicher-
maßen weit verbreitet. In Holland setzen die Belege für mnl. kamp ,einge-
zäuntes Stück Land1 a. cl280 ein. '4 Voraus gehen onymische Zeugnisse. Zu
den ältesten gehören Kamperduin (Noord-Holland), a. 918-948 (a. a 1100)
Ca[m]pthorpa (anl. thorpa ,Tochtersiedlung1), Kämpen (Zeeland), a. 976
Campan, Kampenhout (Brüssel), a. cl050 (a. allOO) Campenholt (anl. holt
,Wald‘), und Luisiscampa 11. Jahrhundert (Groningen).73 * 7S * * 78 Da das Altfriesische
kamp ,Feld‘ ebenfalls kennt, könnte Luisiscampa auch darauf beruhen/’ Mnd.
kamp ,eingefriedetes Stück Acker- oder Weideland177 setzt as. kamp ,Feld‘
fort. Auf mittel fränkischem Gebiet ist kamp vom Niederrhein bis in den Kölner
Raum verbreitet. Ortsnamenbelege für Kempen, 9. Jahrhundert (in) Campunni,
10. Jahrhundert (ultra) Campinni, a. 1073 (in) Kempeno, oder Kamp-Lintfort,
a. 899 (a. cl300) Campas, (a. 1122) Campus, reichen in das 9. Jahrhundert
zurück.7* Weiter östlich in Niedersachsen ist nur Campen (Aurich), 10. Jahr-
hundert (in) Camp$ ~ Campe, a. al025 Campun, vor a. 1000 bezeugt.79
Weiter südlich lebt campus relikthaft in der Mikrotoponymie des heutigen
Saarlandes weiter: Wellingen (Merzig-Wadem): a. 1498 (17. Jh.) uff dem
Camp, (a. 1498) vff dem Comp; Ihn (Saarlouis): a. cl498 bii Kempen Born;
Ottweiler (Neunkirchen) (a. 1571) zu Kempffen; Nunkirchen (Merzig-Wadern):
a. 1587 rieht vher den Kamp; Oberleuken (Merzig-Wadem): a. 1720 hueff auff
Campeis; St. Wendel: a. 1720 im Camprich, a. 1788 (a. 1826) Kampfrichswies;
Tettingen-Butzdorf (Merzig-Wadem): a. 1720 Hueff langst Campholtz; Fürth
(Neunkirchen): a. 1740 (der, im) Kampergarthen, a. 1766 in den Kampen-
gärten; Bliesransbach (Saarbrücken): a. 1765-66 in den Kampgärtenm Die im
73 Oxford Latin Dictionary, S. 263; Thesaurus Linguae Latinae, Bd. 3, S, 212-222;
Niermeyer, van de Kieft en Burgers 2002, Bd.l, S. 162-164; FEW, Bd. 24, S. 257.
4 Pijnenburg et al. 2001, Bd. 2, S. 2322a.
Künzel, Blök en Verhoeff 1989, S. 201a, 230b; Gysseling 1960, Bd. 1, S. 552a.
Zum friesischen Namenwort camp vgl. Kalma 1949, S. 49-51.
Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, Bd. 2, S. 51 la.
78 Gysseling 1960, Bd. 1, S. 551f„ 557b; Kaufmann 1973, S. 23-25; Berger 1993, S. 149f.
11 Gysseling 1960, Bd. 1, S. 552a; Casimir/Ohainski 1995, S. 21a.
X() Andreas Schorr (Saarbrücken) danke ich für die Bereitstellung des Materials aus dem
Archiv für Siedlungs- und Flurnamen des Saarlandes und des germanophonen
Lothringen.
277
Auslaut größtenteils unverschobenen Formen reichen bis in den germanopho-
nen Teil des Départements Moselle: Rodemack (Cattenom): a. 1613(17. Jahr-
hundert) bey dem Kampburg; Réchicourt-le-Château: 1618 am Kampfberg;
Ottonville (Boulay-Moselle): a. 1694 auff Kampicheler Hub, die Hub
Kampichele; Guénange (Metzervisse) a. 1695 frz. (sur) Campebergh, eu
Campwis. Jenseits der alten Sprachgrenze lautet das Appellativum champ
/sà/.81 82 Nach Ausweis der saarländischen und lothringischen Flurnamen wurde
lat. campus in der Bedeutung .Feld' vor der galloromanischen Assibilierung
von /k/ + a > Ici rezipiert.
Die geographische Verbreitung der übrigen kontinentalen Fortsetzungen
von campus und ihre semantische Entwicklung lassen erkennen, dass das la-
teinische Wort in der auch für die romanischen Einzelsprachen maßgeblichen
Bedeutung .Feld' noch in römischer, das heißt vorfränkischer Zeit als Fachwort
der Soldatensprache entlehnt wurde/' Die vergleichende Analyse der nieder-
ländischen Benennungen von Feld und Acker ergab, dass fläm. kouter (< anl.
kolter), nl. akker und mnl. esc(h) ,Allmende1 (vgl. ahd. ezzisc ,Saatfeld1) die
eingefriedeten Ackergebiete der ältesten Siedlungen bezeichneten, veld und
kamp dagegen das unbebaute Land. Wurde dieses dann in der Ausbauzeit des
11. und 12. Jahrhunderts als Acker- oder Weideland genutzt, behielt es seinen
Namen, so dass kamp nun die Bedeutung ,omheind stuk grond’ annahm. Die
Bezeichnungslücke füllen unter anderem mnl. heide, woestine (anfrk.
woustin(n)a) oder wie in Brabant, Flandern und Limburg driesc .Brachland1 (<
anl. thriusca). Die gleiche Entwicklung vollzieht sich im Rheinischen und -
wenngleich früher - auch im angelsächsischen England. Wenn as. kamp* (vgl.
kirse-kamp .Kirschenfeld1)83, afr., mnl., mnd. kamp und die alten (nieder-
rheinischen Äc/wp-Namen auf früher Entlehnung von spätlat. campus beruhen,
gehört auch ae. *camp .Feld' zur Schicht der kontinentalen Lehnwörter.
Es ist etymologisch identisch mit dem homonymen Appellativum camp ~~
comp .Kampf und seinen kontinentalen Entsprechungen ahd. kämpf as. kamp*
(vgl. kamp-stad ,Kampfstätte‘)84 85, afr. kamp ~ komp, mnd., mnl. kamp, awn.
kapp. Elmar Seebold, der die altsächsischen und altfriesischen Vertretungen
verschweigt, setzt als germanische Ausgangsbedeutung ,Zweikampf an,83 weil
Zweikämpfe in einem abgesteckten Feld durchgeführt wurden, übersieht dabei
81 Vgl. FEW, Bd. 2.1, S. 156.
82 Vgl. zum Folgenden Frings 1966, S. 168f., Müller und Frings 1968, S. 147f., jeweils
mit Karte 20, Post 1982, S. 114, sowie zum Zeitpunkt der Entlehnung Weijnen 1967,
S. 403, und Weijnen 1996, S. 85b.
83 Gallée 1903, S. 175.
84 Althochdeutsches Wörterbuch, Bd. 5, S. 26.
85 Kluge/Seebold 2002, S. 464a. Richtig jetzt Philippa, Debrabandere en Quak
2003-2005, Bd. 2, S. 616f.
278
aber, dass lat. campus nicht nur ,offene Fläche, Feld\ sondern auch ,Exerzier-,
Kampfplatz1 und seit dem 1. Jahrhundert ,Kampf bedeutet, während sich die
Bedeutung ,Zweikampf erst bei Gregor von Tour findet.86 * * Elmar Seebolds
Vorbehalt gegenüber dem Etymon campus ist unbegründet.
4.2. Ae. *cort(e) ,eingefriedeter Bereich, umfriedeter Hof(raum)4
Ae. *cort(e) kommt selbstständig nur in Markbeschreibungen vor: a. 672-674
(13. Jh.) of, to curten stapele Sr S 1165, a. 955 (14. Jh.) to cortes hamme W S
582, a. 961 für 956 (a. c 1150) of cortimdde So S 661, (undatiert) to feere cortan
(Kopie 18. Jh. aus einer Vorlage des 11. Jh.) K S 1564s . ln Dovercourt Ess, a.
1000-1002 (a. cl025) (cet) Douorcortce S 1486, frühme. Duuer-, Duurecurt,
seit a. 1238 Dover(e)c(o)urtf8 bildet es das Determinans eines Siedlungs-
namens, dessen Bedeutung die ältere Herleitung aus lat. curtus ,kurz'89 aus-
schließt. Denn die Verbindung des keltischen Hydronyms brit. *duhro-
,Wasser1, (kymr. dwfr), das hier wohl den Dover Dock River, a. 1616
Dovercourt Creke, bezeichnet, mit einem deadjektivischen Substantiv ,kurzes
Stück Land' passt schwerlich zu einem Flurnamen, gut dagegen zu mlat. cortis
~ curtis < co(ho)rs, co(ho)rtem /körs, körte(m)/ .Bauernhof.90 Die Kombina-
tionen mit ae. hamm ,von Wasser umgebenes Stück Land, Flusswiese; bebautes
Land am Rande eines Waldes oder Moores' und meed, Wiese' weisen auf Zuge-
hörigkeit zu einem bäuerlichen Gehöft und die mit stapol .Pfosten' auf dessen
Umfriedung. Die Stellenbezeichnungen cortan und curten stapele indizieren
schwache Flexion, cortes hamme und Douorcortce dagegen starke, doch kann
die spät überlieferte Form cortes wie die r/-Schreibung von curten unter dem
Einfluss von me. cöurt .herrschaftlicher Hof, frühme. curt (< afrz. cort,
c(o)urt) stehen.91 Über die Entlehnungszeit geben die Belege jedoch keine
sichere Auskunft. Da die Grenzbeschreibung der Urkunde S 1165 wesentlich
jünger ist als der Rest, reicht die Überlieferung nicht über die Mitte des 10.
Jahrhunderts zurück, wiewohl ae. *cort(e) auch in Douorcortce noch die ältere,
indes erst seit dem 6. Jahrhundert in merowingischen Quellen nachweisbare
S6 FEW, Bd. 2.1, S.162; Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 2, S. 136f.; Niermeyer, van
der Kieft en Burgers 2002, Bd. 1, S. 162f.
s Die ältere Abschrift der Grenzbeschreibung der Diözesen Canterbury und Rochester
aus dem 11. Jahrhundert ist nicht ediert.
s,s PNEss, 337, DBPN, 159b, mit unbegründetem Vorbehalt.
89 PNEss, 337; EPNE, Bd. 1, S. 108.
90 Vgl. Sommer/Pfister 1977, § 117, Anm. 5, und zur Bedeutungsentwicklung Stotz
1996-2004, Bd. 1, S. 357f., sowie das Mittellateinische Wörterbuch. Bd. 2, S.
1952-1954. Das DML verzeichnet das Wort nicht.
91 Vgl. MED, s. v. cöurt n. (1), und FEW, Bd. 2.1, S. 849f.
279
Bedeutung von cortis widerspiegelt. Immerhin entzieht dieser Befund Margaret
Gellings Annahme früher insularer Entlehnung unmittelbar nach der Land-
nahme die Grundlage.
4.3. Ae. cro/t,Safran"
Sichere Belege für ae. croh und das zugehörige Partizip ^ecro^ed ,safran-
farben‘ existieren nur in spätaltenglisch überlieferten Glossen und Texten.92
Zwar verzeichnen auch die frühaltenglischen Glossare das Lemma crocus,
doch fungiert dort ae. $eolu ,gelb4 als Interpretament: crocus : 3elu EpGl 242 =
croccus : %elo ErfGl 1 242, crucus : selo CorpGl 2 C 876. In toponymischer
Funktion liegt croh wohl nur in Croydon Sr, a. 809 (13. Jh.) Cro$edena S 164,
a. 870-889 (13. Jh.) (cet) Cro^dene S 1202, a. 975-987 (a. c 1 125) (on)
Cro^dcene S 151l9', a. 1086 u. ö. Croi(e)ndene, a. 1229 u.ö. Croi(n)don(e), seit
a. 1233-52 Croydon(e),94 vor. Die schon im Domesday Book bezeugte
Schreibung (oin ~ oyn) setzt eine Nebenform mit dem hier schwach flektierten
adjektivischen Derivat * er03/3 voraus, da der aus /0/ + /j/ resultierende
Diphthong me. /oi/ nur in extrem palataler Nachbarschaft entstehen konnte.95
Der neuerdings wieder erwogene und von A. D. Mills96 postulierte Ansatz einer
ebenfalls adjektivischen Ableitungung * cromen ,mit (wildem) Safran be-
wachsen4 erfüllt diese Bedingung nach Ausweis von Wonersc Sr, frühme.
Woghen(h)ersc (< ae. wöh, Dat. Sg. worein ,gekrümmt4 + *ersc .gepflügtes
Feld4)9 nicht. Außer in Croydon rechnet oder rechnete die Forschung auch
noch bei etlichen anderen Siedlungsnamen mit ae. croh:
Crafton Bk, me. Crofton(e); ae. croh.9s
Crofton L, a. 1204 Crohcton mit (hc) = /k/, me. Croketon’ ~ Crocton, a.
1303 Croghton\ ae. croh 99
Croughton Ch, frühme. Croc(h)ton(a), me. Croghton(a), a. 1270-1316
Crouhton, seit a. 1411 Croughton; ae. croh oder *cröh .Winkel,
Biegung4.100
92 Wollmann 1990, S. 453-457; Feulner 2000, S. 173-175.
93 Campbell (Hg.) 1973, Nr. 35.
94 PNSr, 47f.; CDEPN, 173b.
95 Dietz 1981, S.293L
96 DBPN, 143a;. ähnlich schon PNWo, 316, hernach Gelling 1988, S. 81, und jetzt auch
CDEPN, 173b.
97 PNSr, 253; CDEPN, 694a. Zu ae. ersc vgl. Cole 1999-2000, S. 27-39, und Gel-
ling/Cole 2000, S. 267-269.
98 PNBk, 87; DEPN, 127b; PNSr, 253; CDEPN, 694a.
99 DEPN, 131a; Cameron 1998, S 35.
280
Crowhurst Sx, a. 772 (13. Jh.) (on) Cro^hyrste S 108, frühme. Crohurst,
-herst, me. Crawe(n)-, Crau(e)hurst, -hirst, -herst, spätme. Crouhurst,
-herst, Crow(e)hurst\ ae. croh oder eher *crö/z.100 101
Crowle Wo, a. 836 (cet) Crohlea S 190, a. 840-848 (a. cl075) Crohlea S
205, a. 943 für 963 (a. cl025) crohhcema ^emcere S 1297, a. 1086 Crohlea,
Croelai, frühme. Croule(ga), Crouleia ~ Craule(ga), Crauleia, me.
Croule(y); ae. cro/7 oder eher *cröh.m
ln keinem der fünf Namen dürfte das Determinans croh ,Krokus4 103 vorliegen.
Crafton enthält nach Ausweis der mittelenglischen Leitform Crofton(e) wie
Crofton YWR, me. Crofiun(e), -ton(a),m ae. croft,kleines (eingehegtes) Feld4.
Crofton setzt aus ähnlichem Grund ae. *Cröc-tün fort. Das Vorderglied beruht
auf ae. *cröc ,Krümmung" oder seinem unmittelbaren Etymon an. krökr Bie-
gung, Bucht4. Bei Crowhurst gibt das Grundwort den Ausschlag zu Gunsten
von *cröh, denn ae. hyrst, kent. herst ,bewaldeter Hügel4 verbindet sich kraft
seiner Bedeutung zwar mit Bezeichnungen für Bäume, von ae.fearn ,Fam4 in
Fernhurst Sx abgesehen, aber nicht mit Denotaten anderer Pflanzen, vor allem
aber nicht mit solchen, die in Wäldern fehlen.104 Ebenso spricht ae. le(a)h
,Wald, Lichtung, Schneise4 in Crowle gegen die Kombination mit croh, denn
auch die Bedeutung ,Wiese, Weide4, die spätae. le(a)h entwickelt, scheidet
wegen der Bezeugung der Örtlichkeit vor der Mitte des 9. Jahrhunderts aus, und
für Croughton legt die Lage am Ende eines Tales ebenfalls das Toponym *cröh
nahe.
Das DOE belegt croh ,Safran4 in mehrerlei Bedeutung. In der Medizin-
literatur bezeichnet das Wort zunächst das auch als Heilmittel verwendete
Gewürz. Der Übersetzer der Rezeptsammlung Peri didaxeon in Manuskript
BL, Harley 6258B (a. cll75)105 erläutert es mit safran gallice 22.15.1 lf. Im
Herbarium Apulei nach Manuskript BL, Cotton Vitellius C. III (a. cl025) gibt
wid croh ^emen^de 118.1 cum luteo mixto suco des lateinischen Textes wieder.
Da lüteus ,mit dem Gilbkraut lütus gefärbt4 bedeutet, bezeichnet croh hier wohl
eine aus dem Färberwau gewonnene Essenz. Im Glossar der Handschrift BL,
Harley 3376 (a. cl 000) figuriert $eole croh neben $eole read ,gelbrot4 als lnter-
pretament von flauum .i. fuluum rubeum H1G1 F 420 und meint die gelbrote
Farbe des Safran.
Daher stellt sich die Frage, welche Bedeutung croh als Toponym besitzt,
zumal mlat. crocus sowohl den Safran (Crocus sativus) als auch den Saflor
100 PNCh, Bd.4, S. 179.
101 PNSx, Bd. 2, S. 502; DBPN, 142a; CDEPN, 172a.
102 PNWo, 315f.; DBPN, 142b; CDEPN, 172b.
103 PNYWR, Bd. 2, S. 113; CDEPN, 169b.
104 Vgl. EPNE, Bd. 1, S. 276f.; Gelling/Cole, S. 234-236.
105 Zur Datierung vgl. de Vriend 1984, S. xxx.
281
(Carthamus tinctorius) samt ihren Produkten und klat. crocus darüber hinaus
noch eine dritte Art (Curcuma longa) bezeichnen kann.106 * Ohne sich groß um
die Sachgeschichte zu kümmern, entscheiden sich Margaret Gelling und V.
Watts für ,autumnal crocus’ (Crocus sativus) und deuten ae. Cro^dene als ,Tal,
in dem Safran wächst', während A. D. Mills für ,valley where wild saffron
grows’ votiert, damit Colchicum autumnale oder Crocus vernus meint und der
Wahrheit nahe kommt.1(1 Da die Gewürz- und Heilpflanze Safran, deren
getrocknete Narbenschenkel auch als Färbemittel und zur Herstellung wohl-
riechender Wässer Verwendung fanden, im Altertum nur im Orient, in Kyrene
und auf Sizilien, später auch in Andalusien angebaut und von dort aus nach
Westeuropa exportiert wurde, ist es nahezu ausgeschlossen, dass der Safran
jemals in England kultiviert wurde. Wie lat. crocus dienten auch die
lehnwörtlichen Fortsetzungen von arab. zafarän ,Safran' in der Romania zur
Bezeichnung anderer gelbblühender und als Färbemittel verwendeter Pflanzen,
wogegen crocus nur als Farbadjektiv weiterlebt.108
Margaret Gellings Phantasiegemälde, wonach in römischen Diensten ste-
hende germanische Söldner oder romanisierte Briten den einwandernden
Angeln und Sachsen Wort und Sache vermittelt hätten, entbehrt jeder Realität.
Zum einen scheidet keltische Vermittlung wohl aus, weil crocus nur in air.
cröch Adj. ,rot‘, Sb. ,Safran' Spuren hinterließ.109 Zum andern zeigt die Allo-
graphie (croh ~ croj), dass ae. cröh erst nach der im 5. Jahrhundert vollzogenen
Sonorisierung intervokalischer Verschlüsse rezipiert worden sein kann,
andernfalls hätte das Resultat ae. *croc gelautet. Ferner lässt die Behauptung,
ae. croh sei nach der ersten Bezeugung von ae, Cro$ (e)dene a. 809 unterge-
gangen, die jüngeren appellativischen Belege außer Acht. Im Übrigen bleiben
Entlehnungszeit und Quantität des Tonvokals vorab gleichermaßen offen.
Ausschließen lässt sich nur die Möglichkeit kontinentaler oder später insularer
Entlehnung.
Wurde ae. croh, wie Alfred Wollmann glaubt,110 im 7. Jahrhundert rezipiert,
wofür er jedoch die Begründung schuldig bleibt, konnte wegen der aus der
Neuregelung der Vokalquantitäten hervorgegangenen romanischen Dehnung
kurzer Vokale in offener Silbe als Voraussetzung für die galloromanische
Diphthongierung des 5./6. Jahrhunderts aus *crpgu- mit [o:] wie im Falle von
ahd. cr(u)ogo ,Safran; safrangelbe Farbe'111 auch ae. cröh resultieren. Indes
106 Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 2, S. 2031 f.; André 1985, S. 79.
1,1 Zu den engl. Bezeichnungen vgl. OED, s. v. saffron.
108 FEW, Bd. 2.2, S. 1357b; Bd. 19, S. 202f.
109 Vendryes/Bachellery/Lambert 1959-96, C 242.
110 Wollmann 1990, S. 671.
1,1 Althochdeutsches Wörterbuch, Bd. 5, S. 44lf.
282
beschränken sich die altenglischen Reflexe der Dehnung auf jüngere, gelehrte
Lehnwörter wie scöl,Schule" neben älterem scola (< scho/a) und cöc ,Koch" (<
coquus), dem jedoch die Sonorisierung abgeht. Da die toponymische
Verwendung von croh in der als echt geltenden Urkunde S 164 die Rezeption
vor a. c800 impliziert, entbehrt der Ansatz vokalischer Länge112 konkreter
Begründung. Gleiches gilt für die denominale Ableitung jecrojeJ, wenn auch
die Aldhelmglossen in Manuskript Brussel, Bibliothèque Royale 1650 (a.
c 1025) die an das Lemma croceo (zu croceus ,safrangelb") angelehnte Variante
$ecrocedere AldV 1 5088 bieten. Wiewohl es sich um eine Lehnbildung
handeln wird, signalisiert die Existenz einer Suffigierung mit -ed(e) ~ -od(e) (<
*-iäa- ~ *öda~) vom Typ $erösod ,mit Rosen versehen"11' zugleich die
Integration des Grundwortes in den altenglischen Wortschatz. Auf Grund der
Bedeutungen von ae. croh und seines lateinischen Etymons und angesichts der
Sachgeschichte von crocus ,Safran" kann ae. Cro^dene nicht ,Safrantal‘
meinen, sondern nur ,Tal in dem gelbblühende, safranähnliche Pflanzen
wachsen" bedeuten, zumal die jüngere Variante Croi(e)ndene < Dat.
*Cro3i3andene darauf aufbaut.
4.4. Ae. *fœfere,Sch mied"
Einziger Beleg für ae. *fcefere ,Schmied" < lat./aber ist Faversham K, a. 81 1
Fefres ham S 168, a. 811 (a. c925), 815, 858 Febresham S 168, 178, 328, a.
812, 858 Fefresham S 169, 328, a. 850 (a. cl225) Feferesham S 300114 115, a. c940
(a. c 1125) Fcefresham LawVIAs 10, a. 1086 Fauersham, Faureshant, me.
Fav(e)resham.U5 Auf Grund reichhaltiger Grabfunde des 5. und 6. Jahrhun-
derts gilt Faversham als Zentrum der Herstellung von Glas- und Töpferware,
Perlen aus Bergkristall oder Amethyst, Goldschmuck und Fibeln.116 117 Aus der
Verwendung einer lateinischen Handwerkerbezeichnung an Stelle des heimi-
schen Wortes smip im Ortsnamen Faversham schließt Margaret Gelling auf
eine spätrömische Werkstätte als Vorgängerin, deren Meister wegen seiner
besonderen Kunstfertigkeit den Übernamen *Fcefer erhielt.11 Nach ihm sei der
Ort benannt. Wäre er ein angelsächsischer Goldschmied gewesen, würde der
Ort *Smipeshäm heißen, weil ae. smip auch ,Goldschmied" bedeute. Margaret
1,2 Vgl. Holthausen 1934, S. 61.
113 Schön 1905, § 67. Da die Ableitungen von a-/ö-Stämmen ursprünglich auf -odenden
und $ecroced erst im 11. Jahrhundert auftaucht, zeigt die Graphic (-ed> die Nivel-
lierung der schwachtonigen Endsilbenvokale an.
114 Kelly (Hg.) 1995, Nr. 21.
115 KPN, 117; CDEPN, 226b.
116 Arnold 1997, S. 87, 107, 114, 117, 1 19f„ 139.
117 Gelling 1988, S. 80; ähnlich CDEPN, 226b.
283
Gellings Argumentationskette ist jedoch brüchig und teilweise falsch, zumal
offen bleibt, wer den Ort benannte. Da romanisierte Kelten wegen des germa-
nischen Hintergliedes nicht in Frage kommen, müssten es vor der Landnahme
ansässige lateinkundige Germanen gewesen sein. Übernahmen aber kentische
Angelsachsen den Vorgefundenen Namen, existiert kein Lehnwort ae. *fcefer.
Vor allem aber fehlen archäologische Hinweise, die die Hypothese einer spät-
römischen Werkstätte stützen könnten.
Auch das unterstellte Benennungsmotiv erweist sich als fragwürdig, denn
ae. smip bedeutet nicht, wie Margaret Gelling behauptet, ,Goldschmied'. Der
heißtgold-smip und der Kunstschmied im Beowulf \b%\ poetisch wundor-smip.
Ebensowenig kann *Fcefer ein Spitzname sein, sondern allenfalls eine zum Bei-
namen gewordene Berufsbezeichnung. Dann aber wäre der Nachweis zu
führen, dass diese Art Namengebung zum fraglichen Zeitpunkt existierte. Der
früheste Beleg eines lehn wörtlichen Beinamens, JElfsi^e pene coc (ae. cöc
,Koch‘), findet sich in einem vielleicht schon a. c950 abgefassten Testament (S
1539), dessen Abschrift jedoch erst um oder nach a. 1000 entstand.1 l s Schließ-
lich bereitet der Ansatz *fcefer Probleme, weil er das Etymon in ein englisches
Gewand kleidet. Da eine Berufsbezeichnung lateinischer Herkunft, zumal
wenn das Etymon wie lat ./aber ein stammauslautendes r enthält, nach Muster
von mynetere ,Münzer' < lat. monetörius und sütere ,Schuster' < lat. sütor be-
handelt worden sein wird, ist *fcefer zu *fcefere zu korrigieren. Semantisch stößt
die Etymologie auf keine Schwierigkeiten. Zwar bezeichnet klat. faber den vor
allem harte Materialien (kunstvoll) bearbeitenden Handwerker, während der
Schmied (faber) ferrarius hieß, doch wurde später die auch den galloroma-
nischen Fortsetzungen zugrunde liegende Bedeutung ,Schmied' prävalent,119
wiewohl die alte Bedeutung in Gebrauch blieb, denn der Glossator des spät-
nordhumbrischen Lindisfame-Evangeliars gibt faber Mt. 13.55, Lk. I. 3.9, 6.3
mit smiö 1 wyrhta ~ wrihta \ smid wieder.120 Ae. Fevreshäm mit merz.-kent. /e/
(~ ws. /ae/) bedeutet daher ursprünglich ,village of the smith’ und nicht ,village
of a man known as The Smith’. Der erstmals Anfang des 9. Jahrhunderts in
zwei Originalurkunden des merzischen Königs Coenwulf bezeugte Name121 ist
zwar alt, jedoch lange nicht so alt wie Margaret Gelling glauben machen
möchte.
Ils Whitelock (Hg.) 1930, Nr. 3, S. 14, Z. 3. Zur Datierung vgl. ebd. S. 108f., Back-
house/Tumer/Webster (Hg.) 1984, S. 148f., Nr. 151, und Dumville 1994, S. 146,
Fußn. 75.
19 Niermeyer, van de Kieft en Burgers 2002, Bd. 1, S. 527b; DML, Bd. 1, S. 883; FEW,
Bd. 3, S. 342a.
120 Ähnlich verfährt der Verfasser der lateinisch-althochdeutschen Tatianbilingue, wenn
er faber mit wercmeister Handwerker' übersetzt.
121 Zur Wiedergabe von ae. Hl [v] durch (b) vgl. Sievers und Brunner, § 191, und Hogg
1992, § 2.54.
284
4.5. Ae./w/,Hafen(stadt); Markt"
Das Altenglische besitzt zwei homonyme Lehnwörter, port] m., n. ,Hafen;
(befestigte) Stadt1 < lat. portus und port2 m. , Portal, Pforte4 < lat .porta. Beide
Lexeme sind gut bezeugt, doch kommt port1 wesentlich öfter vor als port2, das
es nur auf sechs Belege bringt: MtGl (Li) 7.13, 14, JnGl (Li) 5.2, JnGl (Ru) 5.2,
10.23, PPs 68.12.122 Die Beschränkung auf die Übersetzungsliteratur, die
Mehrfachglossierung von porta durch port (\ duru) 1 jcet in MtGl (Li) 7.13f.
und der lexikalische Frequenzunterschied gegenüber port1 lassen erkennen,
dass port2 ein spätaltenglisches Lehnwort ist, das zwar vom Altnordischen
übernommen wurde (an. port ,Pforte, Tür4), im Gegensatz zu port] im Mittel-
englischen aber nicht weiterlebt. Der Glossator der merzischen Inter-
linearversion des Vespasian Psalters (a. c850) gebraucht es noch nicht, denn er
gibt porta mit je/ 9.15, 23.7, 9 u.ö. und ianua mit duru 73.6, 77.23 wieder.
Unter den kontinentalwestgermanischen Fortsetzungen von lat. porta,
anfrk., as. porta, afr. porte und ahd. p(h)orta (~ borta), sind nach Theodor
Frings1“' nur die mittel- und niederrheinischen Vertretungen einschließlich
mittelfränk. porza mit (z) = /ts/ (< */) frühe Lehnwörter, weswegen er die nur
im ostfränkischen Tatian und hernach in den Glossen der Handschrift Bern,
Burgerbibliothek 723 aus dem zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts bezeugten
Formen mit (ph) = /pf/ gegenüber der erst nach Abschluss der Lautver-
schiebung vollzogenen Entlehnung von oberdt, ostfränk. und westmitteldt.
porta (seit a. c750-75) als hochdeutsche Adaptation von niederfränk. porta
auffasst. Mhd. pforte ~ phorte > nhd. Pforte wäre demnach eine im Anlaut
verhochdeutschte Form. Walther Mitzka1“4 und, ihm folgend, Elmar Seebold1
halten nhd. Pforte dagegen für bodenständig aus ahd. (fränk.) pforta entwickelt
und stützen sich damit auf das Zeugnis des Tatian. Die Entlehnung sei nach der
Verschiebung von */ > /ts/, jedoch noch vor der von *p > /pf/, das heißt nach der
traditionellen Datierung im 7. Jahrhundert erfolgt. Félicien de Tollenaere1“6
datiert sogar die Rezeption von anfrk. porta > nl. poort allein wegen des
nichtverschobenen t von ahd. pforta in das 6.-8. Jahrhundert, geht also, metho-
disch bedenklich, von gleichzeitiger Entlehnung aus. Einerlei, welcher Auf- 122 123 124 125 *
122 F. Holthausens nur auf Dat. PI. portum im Pariser Psalter gestützter Ansatzporte f.,
Holthausen 1934, S. 248, der sich schon bei Grein/Köhler 1912, S. 539b, findet und
von Clark Hall/Meritt 1960, S. 274a, übernommen wurde, entbehrt jeder
Begründung.
123 Frings 1966, S. 191; Müller/Frings 1968, S. 403-405 mit weiterer Literatur. Zu den
althochdeutschen Belegen vgl. auch Schützeichel (Hg.) 2004, Bd. 7, S. 286b, und
Schützeichel 2005, S. 267a.
124 Kluge/Mitzka 1967, S. 545b.
125 Kluge/Seebold 2002, S. 697a.
I2i> De Vries/de Tollenaere 2004, S. 296b.
285
fassung man folgt, sprechen die Kontinuanten von lat. porta in den westger-
manischen Sprachen des Kontinents nicht gegen, sondern eher für spätere Ent-
lehnung von ae. pari2, wie sie in jüngerem ahd. porta vorliegt.1'
Trotzdem wird ae. port .Pforte1 als Etymon zweier Ortsnamen reklamiert.1'8
Old Langport (abgegangen) K, a. 1086 Lam-, Lanport, me. Langeport,* 128 129 setzt
jedoch wie Lamport Bk, Nth, Sx und Langport So port] in der Bedeutung
,Marktflecken4 fort. Portgate Nb, a. 1269, 1278 Portyate, а. с 1356 Portchet,130
liegt an einer Öffnung im Hadrianswall, durch die die Watling Street
hindurchführt. Sofern der Ortsname schon in altenglischer Zeit bestand und
*Port lautete, beruht er auf port2. Erfolgte die Namengebung nach a. 1066,
enthält er me. port(e) .Torweg4 (< afrz. porte). Der erläuternde Zusatz mz.yäte
,Tor‘ (< ae. seat) spricht für altenglische Benennung.
Ae. port' wurde dagegen voll in den Wortschatz integriert, denn es fungiert
in einem knappen Dutzend Komposita einmal als Grundwort, im Übrigen als
Determinans: heafod-port ,Hauptstadt4 ChronE131 a. 1086; port-cwen ,Hure4,
port-$eat ,Stadttor\ port-(se)refa .städtischer Beamter4,port-seriht .städtische
Abgabe4 S 806, port-herepcep ,zu einer Stadt führende Hauptstraße4 S 586,
port-mann, port-wara S 287 und port-wer , Stadtbürger' DurRitGlAbbrev
187.14b, port-ströbt ,zu einer Stadt führende Straße4, port-weall .Stadtmauer4
und port-wes ,zu einer Stadt führende Landstraße4. Keines von ihnen
bezeichnet einen Hafen oder eine Hafenstadt.
Die ältesten appellativischen Belege für port1 reichen nicht über das späte 9.
Jahrhundert zurück. Die zur Zeit König Alfreds entstandene Übersetzung von
Bedas Historia ecclesiastica (Bede) nach Manuskript Bodleian, Tanner 10 (a.
c910-930) nennt das auf dem Gebiet der Gemeinde La Calotterie am Südufer
der Canche im heutigen Departement Pas-de-Calais gelegene Emporium
Quentowic port 256.22f. Da der Hafenort zugleich ein bedeutender Handels-
platz war, ist die Benennung mehrdeutig. Sehr wahrscheinlich bezeichnet port
beides, den Hafen und das Emporium. Bald darauf bestimmt das erste der
beiden wohl zwischen a. 900 und a. 925 erlassenen und in zwei Manuskripten
von а. с 1100 respektive а. с 1125 überlieferten Gesetzbücher König Edwards
des Älteren (LawIEw), dass niemand hutanporte Handel treiben dürfe und dass
jeder Händler die Bestätigung des port^ere/a haben müsse. Port bedeutet hier
zweifellos ,Stadt mit Marktrecht4, und port%erefa bezeichnet den mit der Auf-
sicht betrauten städtischen Beamten. Das Zeugnis des altenglischen Orosius (а.
12 Zur Problematik vgl. auch Vennemann 1991, S. 77-83.
128 EPNE, Bd. 2, S. 71.
129 PNK, 483f.; DEPN, 285.
130 PNNb/Du, 159f.; DEPN, 371b.
131 Irvine (Hg.) 2004.
286
C890-899)1' in Manuskript BL, Additional 47967 (a. c925), der mehrmalsport
9.24 u.ö. bietet, lässt sieh dagegen semantisch kaum auswerten, denn der
Übersetzer gibt damit promontorium der lateinischen Vorlage wieder.1" Auch
die oft urkundlichen Belege der Komposita führen nicht weiter zurück. Von
Spuria abgesehen, begegnet zuerst portstreet in einer verschollenen und nur in
einem Abdruck von a. 1722 überlieferten Urkunde des späteren merzischen
Königs TEthelred von a. 884 (S 219). Portstreet erscheint in der Grenzbe-
sehreibung von Himbleton Wo und bezieht sich auf eine der beiden Marktstädte
Droitwich und Worcester.1 4
Die Bedeutung ,Stadt4 ohne Bezug zum Handel wird erst in der a. c960-970
eingetragenen Interlinearglossierung des nordhumbrischen Lindisfarne-Evan-
geliars (Li) greifbar, die castellum mit port Mk. 6.6 und civitas mit bur(u)s 1
port MtHeadGl 31,39 übersetzt. Eine Generation später verwendet /Elfric port
/ECHom II, 251.80 und HLS (Maccabees) 442 in gleichem Sinne. Ausgehend
von , Hafen4 entwickelt sich die Bedeutung von ae.port1 über Handelsplatz mit
Hafen4 und ,Stadt mit Marktrecht4 zu ,(befestigte) Stadt4. Das Mittelenglische
übernimmt nur das semantische Ergebnis ,(Markt)stadt‘ und entlehnt pgrt
,Hafen4 (seit a. cl 300) < afrz. port neu,132 133 134 135 auch wenn das MED fälschlich noch
ae. port als zweites Etymon nennt. Die in der anglistischen Namenforschung
übliche Aufteilung von ae. port1 in zwei selbstständige Wörter mit den
Bedeutungen ,Hafen4 und ,Stadt4, von denen das zweite gar auf lat. porta
basieren können soll, 136 erweist sich als Fehlgriff. Die erste Phase der
semantischen Entwicklung teilt ae. port1 mit seinem Etymon. Schon der spät-
klassische römische Jurist Ulpianus (verstorben a. 223) gebraucht portus in den
Digesten im Sinne von ,Magazin4. Das mittellateinische Wort, das Isidor,
Etymologiae XX 8, 40 mit der Erklärung portus dictus a deportandis
commerciis versieht, bedeutet dann nicht nur ,Lagerhaus4, sondern auch Han-
delsniederlassung4.137
Die Bedeutung ,Hafen‘ liegt den Namen einiger südenglischer Küstenstädte
und ihres Geländes zugrunde:
132 Zur Datierung vgl. Bately 1980, S. xciif.
133 Ebd. S. 160, und Glossar, s. v. port.
134 Hooke 1990, S. 132.
135 MED, s. vv. pgrt n. (2), (3).
136 So etwa EPNE, Bd. 2, S. 70f. Ähnlich Gelling 1988, S. 78.
137 Oxford Latin Dictionary, S. 1408F; Niermeyer, van de Kieft en Burgers, Bd. 2, S.
1064.
287
Porlock So, (a. c925) (cet) Portlocan ChronA s. a. 914, a. 1086 Portloc; ae.
loca ,Einhegung1.138
- Portbury So, a. 899-925 (13. Jh.), 979-1016 (13. Jh.) Portbrig S 1707,
1781, a. 1086 Porberie, a. 1159, 1196 Portbery, -bury\ ae. bryc$ ,Brücke,
Damm1 —> burh,138 139
Portchester Ha, a. 904 (12. Jh.) Porceastra S 372, a. 963-75 (12. Jh.)
Porteceaster S 816, a. 1086 Por(t)cestre\ altenglischer Name des
römischen Kastells oberhalb des Hafens von Portsmouth.140
Portishead So, a. 1086 Porteshe, a. 1200, 1225 Portesheved', ae. heafod
,Kopf.
(Isle of) Portland Do, (a. a900) Port ChronA s. a. 837, a. 862 (14. Jh.) (on)
Portlande S 209, a. 978-984 (a. c 1325) (de) Portlande S 938, (a. cl050)
(on) Portlande ChronC s. a. 982, a. 1053-66 (12. Jh.) Portland S 1154, a.
1086 Porland, (a. eil20) (to) Portlande ChronE s. a. 1052, me.
Porla(u)nd, Port(e)laund(e), -lond(e)\ benannt nach dem Hafen, der heute
Portland Harbour heißt.141 142 143 Zuvor bezeichnete der Name sowohl den
Hafen als auch die Insel.
(East) Portlemouth D, a 1086 Porlemute, a. 1219 u. ö. Por(t)lemue, a. 1270
Porlesmuth, a. 1308 Porthelemuthe, 1317 Portlesmuthe; kom. porth
, Hafen + *heyl .Flußmündung, Meeresarm1 + ae. mufja .Mündung1.14" Da
der Ort in Südwest-Devon am Kingsbridge Estuary, einem tief ins
Landesinnere reichenden Meeresarm, liegt, der an dieser Stelle Harbour
heißt, trifft A. D. Mills’ Herleitung wohl zu.
Portsdown Ha, a. 1086 Portesdone, a. 1167 Portesdon, a. 1175
Portesdune; ae. dün ,Hügel1; benannt nach dem langgestreckten Hügel
oberhalb von Portchester.14'
Portsea (Island) Ha, a. 982 (14. Jh.) Portesi5 S 842, a. 1218 Porteseia (ae.
Te3 , Insel1); Name der Insel auf der Portsmouth liegt.144
Portslade-by-Sea Sx, a. 1086 Porteslage, a. 1080-1108 Portes Ladda, me.
Porteslad(e); ae. ($e)läd ,Straße1.145 V. Watts sieht im Vorderglied einen
138 CDEPN, 478a.
139 CDEPN, 478.
140 PNHa, 133; CDEPN, 479b.
141 PNDo, Bd. l.S. 217; CDEPN, 479a.
142 PND, Bd. 2, S. 308, 328; DBPN, 374b; CDEPN, 479a. Vgl. Padel 1985, S. 127f„
190-192.
143 PNHa, 133f.; CDEPN, 479b.
144 PNHa, 134; CDEPN, 479b.
145 PNSx, Bd. 2, S. 289f.; CDEPN, 479b. E. Ekwalls Herleitung < *Portes-läd ,the
stream by the port or harbour’, DEPN, 372a, scheitert am Fehlen eines Flusses.
288
angeblich sogar bezeugten Rufnamen Port. Sein Vorschlag gemahnt an
den gleichnamigen mythischen Eponymus, nach dem der Anglo-Saxon
Chronicle s. a. 501 zufolge Portsmouth benannt wurde, zumal sein
Urheber nicht bedachte, dass sich weder (se)läd noch Street mit anthropo-
nymischen Bestimmungswörtern verbinden.14<1 Wenig besser ist A. D.
Mills’ Deutung als „crossing-place near the harbour44.146 147 Benennungsmotiv
war vielmehr die Lage des Ortes an einer von Clayton Wickham zur Küste
führenden Römerstraße (Margary Nr. 154).148 149
Portsmouth Ha, (a. c895) Portesmupa ChronA s. a. 501, (a. cl 120) (cet)
Portesmupan, (on) Portesmupe ChronE s. a. 1101, 1114, a. 1100-1135,
1194 Port(h)esmuda\ ae. müpa.l4<J
Margaret Gelling150 * 152 stützt ihre Hypothese, ae. port ,Hafen4 sei ein um das
Jahr 400 von Seeräubern, Söldnern und anderen in Britannien ansässigen
Germanen rezipiertes Lehnwort, auf die Namen der vier Hafenorte Portslade,
Portsmouth, Portland und Portishead. Der Hafen von Portsmouth habe damals
Partus geheißen und ae. Porteceaster sei der angelsächsische Name des rö-
mischen Portus Adumi. Die Identifizierung von Porchester mit dem zum
Schutz des Litus saxonicum errichteten Küstenfort Portus Adumi der Notitia
Dignitatum, das beim Geographen von Ravenna unter dem Namen Ardaoneon
erscheint, ist indes nicht sicher, denn sie basiert auf der etymologischen Ver-
bindung mit brit. *ardu- ,(An)höhe‘; vgl. air. ard ,hoch‘, körn. *ard ,Höhe4,
mkymr. ard, nkymr. ardd ,Berg4 (< *ardwo~).151 Andernfalls käme auch
Walton Castle (untergegangen) bei Felixstowe Sf in Frage. Andrew Breeze1 '
verknüpft den antiken Ortsnamen nun jedoch mit dem Anthroponym mkymr.
Eiddun f., das zu nkymr. eiddun begehrenswert4 gehört und deutet ihn als
Flussnamen, muss hierfür allerdings (Portus) Adumi zu (Portus) Adiuni und
Ardaoneon zu Adiuniurn emendieren. Damit steht die Identifizierung mit
Portchester wieder in Frage, denn das supponierte Hydronym kann sich sowohl
auf den Wallington River beziehen, der sich westlich von Portchester bei
Fareham in die Bucht des Portsmouth Harbour ergießt, als auch auf den Fluss
Deben, der bei Felixstowe in die Nordsee mündet. Hätte Margaret Gelling
146 Vgl. EPNE, Bd. 2, S. 8f., 161-163.
147 DBPN, 375a.
14X Margary 1973, S. 77f.
149 PNHa, 134; DEPN, 371b; CDEPN, 479b.
1511 Gelling 1988, S. 78f. Baugh/Cable 2002, S. 82, sehen in port ,Hafen1 und port
,Pforte4 frühe insulare Lehnwörter. Widersprüchlich Kastovsky 1992, S. 303f.
IM Rivet/Smith 1979, 44 lf. Zu den keltischen Formen vgl. Vendryes/Bachellery/Lambert
1959-96, A 87, Delamarre 2003, S. 51f., Padel 1985, S. 9f.,undGPC, Bd. 1,S. 185a.
152 Breeze 2004, S. 180-183.
289
einen Blick über den Ärmelkanal geworfen, hätte sie erkennen können, dass lat.
portus in gleicher Bedeutung und Funktion, nicht nur als Toponym, sondern
auch als Appellativum im kontinentalen Westgermanisch weiterlebt.153 154 155
Im Deutschen erscheint port(e) ,Hafen1 nicht vor der Mitte des 12. Jahr-
hunderts und gibt sich formal als französisches Lehnwort (< afrz. port) zu
erkennen, das in der Blütezeit der höfischen Epik aufgenommen wurde.IM Die
nur überlieferungsgeschichtlich jüngere, nicht nur im Flämischen verbreitete
Vertretung mnl. po(e)rt (seit a. 1236)1 v> teilt die Bedeutung ,Hafen; Stadt' mit
ae. port] und setzt daher lat. portus und nicht afrz. port fort, dem die Bedeutung
,Stadt' abgeht.156 157 158 In der Toponymie sind die volkssprachigen Kontinuanten
weiter verbreitet. Allerdings lassen sich die onymischen Fortsetzungen von lat.
portus und porta nicht immer säuberlich voneinander trennen. Nieuwpoort
(Westflandem), a. 1163 (in) Nouo opido, a. 1214 (de) Nouo portu, und
Nieuwpoort bei Dünkirchen (Nord), a. 1180 (al200) (de) Nouo portu, a. 1 190
(17. Jh.) (de) Nouo portu Graueninghes, 1190 (cl220) (in parrochia Sancti
Willebordi de) Nieweport, a. 1222 Niweport, enthalten jedoch mnl. port
,Stadt'.15" Im Englischen entsprechen ihnen unter anderem Newport Ess und
Newport Pagnell Bk, a. 1086 jeweils Neuport.'5* Möglicherweise gehört auch
Portengen (Utrecht) hierher. Poortvliet (Zeeland), a. 1200 (a. 1308) Portßiet,
beruht dagegen auf anl. port ,Eingang' (< lat. porta) + ßiet ,Wasserlauf im
Wattenmeer, Priel'.159 Die deutschen -port-Namen, insbesondere Porz (heute
Porz am Rhein), a. cl 160 Porze, Pfortz (eingemeindet in Wörth am Rhein) a.
c500 (13./14. Jh. nach Kopie a. c700), 9. Jahrhundert (a. c 1280) Porza, und
Pforzheim, a. 1167 Pforzheim, a. 1257 Phorzein, gehen auf spät-/mlat. portus
,Landeplatz, Fährstelle' zurück160 und wurden als Toponyme entlehnt. Das
Vorkommen und die übereinstimmende semantische Entwicklung der volks-
sprachigen Fortsetzungen von lat .portus ,Hafen' bis hin zur Bedeutung ,Stadt'
im Englischen und im Niederländischen deuten nicht nur auf frühe Rezeption,
sondern machen auch für ae. port' kontinentale Entlehnung wahrscheinlich.161
| S' Vgl. zum Folgenden insbesondere Müller/Frings 1968, S. 408f., sowie Winter 1969,
jeweils mit korrekturbedürftigen Angaben und Folgerungen.
154 Wießner/Burger 1974, S. 210. Der älteste bei Lexer 1872-78, Bd. 2, S. 286, verzeich-
nete Beleg stammt aus König Rother.
155 Pijnenburg et al. 2001, Bd. 3, S. 3831 -3834.
156 FEW, Bd. 9, S. 227f.; Altfranzösisches Wörterbuch, Bd. 7, S. 1572-1576.
157 M. Gysseling 1960, Bd. 2, S. 741b.
158 CDEPN, 437f.
159 Künzel/Blok/VerhoefT 1989, S. 291b.
160 Kaufmann 1973, S. 118f.; Dolch/Greule 1991, S. 369; Berger 1993, S. 212a.
161 Vgl. Dietz 2003, S. 245. So jetzt auch Kastovsky 2006, S. 221.
290
5. Ergebnisse
Im Gegensatz zur bisherigen Lehre existiert eine größere Zahl toponymisch
genutzter Lehnwörter, deren Rezeption schon in die Zeit vor der germanischen
Landnahme fallt.
Die Analyse der in Teil 3 behandelten Toponyme zeigt, dass von latei-
nisch-altenglischer Namenkontinuität keine Rede sein kann. Keines von ihnen
reicht in die Zeit der römischen Okkupation Britanniens zurück. Die Herleitung
von Firle Sx aus *ferälia ,Ödland1, von Speen Brk aus Spinae, -/* und von
frühme. Tric, wohl ne. Skegness L, aus trajectus scheitert vor allem aus
phonologischen Gründen. Lincoln L und Catterick YNR beruhen auf britischen
Formen, auch wenn Catterick voraltenglisch mit cataracta identifiziert wurde
und Lincoln im Hinterglied ursprünglich colönia enthielt. Anglolat. Lindissi
und ae. Lindesse setzen den Lokativ des in Lindsey < ae. Lindes-e,5
vorliegenden Raumnamens *Lindis < urkymr. *Lindes fort. Ob Horncastle L
kelt.-lat. Bannovallum übersetzt, ist mehr als fraglich. Allenfalls spätae. Aust Gl
kann ein lateinisches Etymon aufweisen.
Von den fünf in Teil 4 genauer untersuchten Lehnwörtern kommen lediglich
zwei, croh ,Safran1 und port ,Hafen(stadt); Markt1 auch als Appellativa vor.
Die Übrigen, *camp ,Feld", *cort(e) ,eingefriedeter Bereich, umfriedeter Hof-
(raum)1 und *fcefere ,Schmied1, fungieren nur als Toponyme. Zahl und
Verbreitung der mit *camp gebildeten Namen und die Verwendung des
Namenwortes zur Bildung hybrider Komposita setzen jedoch vokabulären
Transfer voraus. Die volkssprachigen Kontinuanten von lat. campus erweisen
ae. *camp als kontinentales Lehnwort < nordseegerm. *kamp-, Die nieder-
ländischen Ortsnamen vom Typ Nieuwpoort (< lat. portus) machen ein
Gleiches für ae. *port wahrscheinlich.
Ae. croh (< lat. crocus), *corte (< mlat. cortis) und *fcefere (< lat. faher)
repräsentieren dagegen jüngere insulare Entlehungen. Ae. croh, das samt
seinem Derivat *cro3/5 ,safranfarben1 als Toponym nur in frühae. Cro^(e)dene
~ spätae. *Cro$i3andene, ne. Croydon C, vorliegt, wurde wohl im Zuge der
Christianisierung mit anderen Pflanzenbezeichnungen aus dem Bereich der
Klosterkultur übernommen. Ae. *corte in Dovorcorte > ne. Dovercourt Ess,
kann aus semantischen Gründen ebenfalls nicht früher rezipiert worden sein.
Die Annahme, ae. *fcefere (< lat. faher), das nur in frühkent. Fefereshäm > ne.
Faversham K existiert, sei schon im 5. Jahrhundert bei oder kurz nach der
Landnahme entlehnt worden, entbehrt zureichender Begründung.
Schließlich erbrachte die Untersuchung als Beiprodukt neue Erkentnisse für
die englische Lexikologie. Die ae. camp unterstellte Bedeutung ,Schlachtfeld1
existiert nicht (4.1.). Der Urkundenbeleg roc^an camp ,Roggenfeld1 (S 463)
sichert die Existenz von ae. ro^a .Roggen1 (4.1.). Im Gegensatz zu ae. port]
.Hafen, Stadt1 ist port2 .Pforte1 ein spätaltenglisches Lehnwort (4.5.). Das nur
in Markbeschreibungen bezeugte und zu ahd. zota, zoto .Zotte1 gehörige
Appellativum ae. *toda, -e .Buschwerk1 repräsentiert das bislang vermisste
Etymon von ne. tod .Laubwerk1 und me. > schott. tod ,Fuchs1 (4.1.).
291
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Summary
Language Contact and the Toponymy of Anglo-Saxon Eng-
land: Early Latin Loan-Words
The study aims at a reassessment of the Latin influence on Old English
place-names containing elements which were borrowed up to c.700. It brings
three questions into focus. Firstly: Does the toponymy of Anglo-Saxon England
comprise continental loan-words? Secondly: Were Romano-British place-
names adopted in Latin or latinized forms? Thirdly: Are there early insular
loan-words taken from Latin at or immediately after the adventus Saxonum?
After a summary of the state of the art and its problems each question is
answered with the help of selected typical examples. Their detailed discussion
results in findings as follows. Firstly: Quite a number of Latin loan-words,
which Angles and Saxons brought from the continent to Britain were used as
place-names or place-name elements later on. Secondly: Romano-British
place-names were not adopted from Latin speakers. Place-names such as Firle,
Speen, and early ME Trie cannot be derived from a Latin etymon. Others, e. g.
Catterick, Lincoln, and Lindsey, are based on Celtic forms. Thirdly: The
place-name elements camp ,field’ and port,harbour; market-place’ turn out to
be continental loans. OE *cort(e) ,enclosed yard’ (cf. Dovercourt) was
borrowed in the sixth century at the earliest, and OE croh ,crocus’ is a monastic
loan adopted in the course of conversion. The theory that several place-name
elements were borrowed either by Germani in Roman service as early as the
fourth or fifth centuries or from Latin speakers of Germanic or Celtic origin in
the course of the Anglo-Saxon settlement should be abandoned. The
lexicological findings include proof of the non-existence of OE camp
,battlefield’ whereas OE roc^a ,rye’ did exist. Port ,gate’ ranks among late OE
loans and ModE, Sc. tod ,fox’ originates from OE *toda, -e ,scrub’.
300
John Insley
Anmerkungen zu skandinavischen Personennamen
in Nordengland
Die Frage der Dichte und des Ausmaßes der skandinavischen Besiedlung Eng-
lands im Hochmittelalter hat die Forschung lange beschäftigt. Man denke an
die Kontroverse um Peter Sawyers Buch The Age of the Vikings in den sechzi-
ger Jahren des 20. Jahrhunderts. Eine Zeitlang schien es, als ob diese Kontro-
verse sich erübrigt hätte und dass die gängige Meinung die von Cameron sei,
wonach im Ostmittelland eine große Einwanderung von dänischen Bauern
unter dem Schutz der Armeen der fünf Burgen (Nottingham, Lincoln,
Leicester, Derby und Stamford) in der Zeit zwischen der dänischen Besetzung
im Jahre 877 und der westsächsischen Eroberung durch Edward den Älteren
stattfand. Cameron bewies auf überzeugende Weise, dass die ostmittelländi-
schen Ortsnamen des Typus Toton ,Landgut des TofT, in denen ein dänischer
Personenname mit dem altenglischen Element -tün ,Dorf, Landgut4 kombi-
niert ist, Namen englischer Siedlungen sind, die von dänischen Grundherren,
wohl am Ende des 9. Jahrhunderts übernommen wurden, und dass die Namen
auf -by, die, anders als in Dänemark, sehr häufig mit Personennamen gebildet
sind, Zeugnisse einer sekundären Kolonisation sind.1 Cameron war durchaus
bewusst, dass die Morphologie von Ortsnamen und Flurnamen wichtige Indi-
zien für die Dichte der skandinavischen Besiedlung liefert. Es ist zu bedauern,
dass einige seiner modernen Kritiker dies außer Acht gelassen haben. Seit
zehn Jahren gibt es eine Gegenreaktion auf die These einer dichten Besiedlung
Ostenglands durch die Dänen. Diese Reaktion geht primär von Archäologen
und Historikern aus und nicht von Sprachhistorikern.2 Ihr Umgang mit sprach-
lichem Material ist oft dilettantisch und nicht selten von einem Mangel an
Verstand geprägt. In dieser Debatte werden Personennamen viel weniger
berücksichtigt als Ortsnamen, und es ist vielleicht an der Zeit, einige Gemein-
plätze in Frage zu stellen. Wir sind natürlich mit dem Problem konfrontiert,
dass es keine altnordischen Texte in England gibt und dass unsere Personen-
namen in lateinischen Quellen oder in spätaltenglischen Texten, die das teil-
weise genormte Spätwestsächsische verwenden, eingebettet sind. Ich möchte
hier drei Texte untersuchen. Der erste Text ist eine Liste von Bürgschaften
eines gewissen /Elfric, die auf Blatt 161 verso eines Evangeliars aus York ge-
schrieben wurde. Diese Liste, die von Erik BjÖrkman 1913 in der Morsbach-
Festschrift3 und (besser) von Stevenson in der English Historical Review ein
1 Vgl. Cameron 1976, S. 147-165.
2 Paradigmatisch ist Trafford 2000.
3 Björkman 1913.
301
Jahr vorher4 5 herausgegeben wurde, datierte Neil Ripley Ker in die zweite
Hälfte des 11. Jahrhunderts." Die Liste gehört zu einer Gruppe von altengli-
schen Texten aus dem 11. Jahrhundert, die in dieses Buch nachträglich einge-
tragen wurden.6 Eine Transkription des Textes aufgrund der Faksimile-Aus-
gabe von Barker et al. wird im Folgenden gegeben:
[1] Dis sindan [>a festermen . Elfricas . Ulfcetel . cyninges reue. 7
Merleswuain/[lb] 7 Ascetel/[2] Wulstain . Ulf. Ligolf. Baraö . Faröain . grcua
. Ösulf . 7 Wulfeh . Folcric 7 Elfr<ic>/[3] Wegga . 7 Äldsceorl . Gamal .
pres<byter> . Grim . 7 Grimcetel . Asmund . ros’ . Grimcetel . in/[4] barnabi .
Godwina . Folc^r . Berhöor . Bretecol . 7 Aröolf . 7 Forna . Menning . 7/[5]
Wulger . hör . inca’ . 7 Arcetel . Siuerö . Rauan . arner . Colbrand ce\ Blih .
Elfwine/[6] uel . Snel . Godwine . Leier . Eöastan . Ulfe/- . Elnoö . Freer .
Roscetel 7 Edric . Grimcetel/[7]Häwer . Ascetel . Grim . incir’ . Cetel .
pres<byter> . Gunner . Alfcetel . inhä’ . Ioluarö . Inburhtun/[8] Vlfcctel .
pres<byter> . Alfcetel . 7 Asmund . Leofnoö inbroöortun . horcetel .
unbainasu<na>/[9] Ulf . pres<byter> . bime beom . 7 Ailaf . inbraif)atun .
Wulfric . 7 Iustan . Rot inhilluw/[10] . Dor <.>Frana . 7 Gr<im>cetel . his mah
. Raganald . asbeomnas suna . Ordne ./[11]...........................psoh .
inbaernabi . Hälwserö . sasfugala suna . 7 Aröor ./[12]....................
............ldolf. pres<byter> . Auöcetel ,pres<byter> ,7 8
Wie aus der Gegend um York zu erwarten ist, sind skandinavische Namen
recht häufig in dieser Liste und sie sind nicht durchgehend anglisiert. So fin-
den wir z.B. keine Formen, die den Ersatz von an. As- durch das entsprechen-
de ae. Ös- zeigen, obwohl dies in einem spätaltenglischen Text durchaus zu
erwarten wäre, vgl. angloskand. Oscytel, Osketel < an. Asketill, angloskand.
Osgod, -got < an. Asgautr. Stattdessen wurde das skandinavische As- in
Ascetel und Asmund beibehalten. Das skandinavische Namenelement -ketill
wurde zu -keil im Altnordischen und zu -kil im Altdänischen synkopiert. Nach
Seip sind altnordische Formen in -keil bereits in Skaldenliedem des 11. Jahr-
hunderts belegt/ und die dänische Form -kil scheint schon im 10. Jahrhundert
vorhanden zu sein.9 In westsächsischen Quellen findet man normalerweise
-cytel für die nicht-synkopierte Form, vgl. in der Handschrift A der Anglo-
4 Stevenson 1912, S. 11-13.
5 Ker 1957, S. 469 (no. 402f).
6 Vgl. Keynes 1986.
Dieser Text hat die Faksimile-Ausgabe von Barker (Hg.) als Grundlage. Aus
schreibtechnischen Gründen wird <3> (insular g) durch <g> ersetzt und ,wynnv
durch <w>.
8 Seip 1971, S. 93.
9 Vgl. Brondum-Nielsen 1950, S. 248 (§ 146.2).
302
Saxon Chronicle Oscytel (s.a. 875, 904111) für an. Äsketill und Purcytel (s.a.
914, 91610 11) für an. Porketill. Die Form -cytel entspricht westsächsischem
Gebrauch und erscheint im nicht-westsächsischen Gebiet, vgl. Oskytel in
einem Güterverzeichnis von 1044 x 1065 aus Bury St Edmunds in der Hand-
schrift Oxford Corpus Christi College 197.1 “ Die York-Liste hat die folgenden
Namen auf -ketill: Alfcetel (adän., aschwed. Alflcil); Arcetel < an. Arnkell;
Ascetel < an. Askell; Audcetel < an. Audkell; Grimcetel < an. Grimkell\
Roscetel < an. Hrosskell, Porcetel [unbainasu<na>] < an. Porketill und
Ulfcetel (wahrscheinlich angloskandinavisch). Auffallend ist, dass es keine
Beispiele der dänischen Form -kil gibt, obwohl sie sonst in England im 11.
Jahrhundert gut vertreten ist. Wenn wir das Domesday Book für Yorkshire mit
diesem Text vergleichen, stellen wir fest, dass Formen auf -chil und -chel
überwiegen. Die Ergebnisse sind: Alflcil: Domesday Alchetel, Alchel, Alchil,13 14 15 16
- Arnkell: Domesday Archel, Archil[4 - Askell: Aschil]~ - Grimkelh
Grimchetel, Grimchil, Grinchelfl - Hrosskell: Roschel, Roschil, Ruschil.17 -
Porkell: Torchel, Torchil, Turchel, Turehil.18 19 — Ulfkelk. Vlchel, Vlchil.]9
Domesday Book ist natürlich kein volkssprachlicher Text, sondern ein Text,
der die lateinische Orthographie des postkarolingischen Neustrien verwendete,
aber seine Aussage über -ketilll-kell und -kil ist überzeugend. Nach Domesday
Book waren die synkopierten Formen üblich in Yorkshire. Die Domesday-
Formen -chetel und -cetel in der York Liste sind Relikte einer englischen
Schreibtradition, in der das anglische -cetel nach dem Vorbild des westsäch-
sischen -cytel für das Namenelement als genormte Schreibung fungierte. Man
kann davon ausgehen, dass im Raum York Kontakt mit Skandinavien im gan-
zen 10. und frühen 11. Jahrhundert vorhanden war und dass die synkopierte
Form -keil, ostnordisch -kil auch hier zur Norm wurde. Die Form -cetel in der
York-Liste ist daher lediglich eine übertragene Schreibform. Andere Zeichen
der Anglisierung in der York-Liste sind recht gering. <h> in den Formen
Berhdor < an. Bergpörr und Blih < an. B/igr ist Ergebnis spätaltenglischer
10 Bately 1986, S. 49,63.
11 Ebd. S. 66.
12 Robertson 1956, S. 194 (no. 104).
13 Feilitzen 1937, S. 144.
14 Ebd., S. 163.
15 Ebd., S. 167.
16 Ebd., S. 275.
17 Ebd., S. 294.
18 Ebd., S. 394.
19 Ebd., S. 399-400.
303
Lautentwicklung, durch die der stimmhafte velare Reibelaut stimmlos wird.2“
<i> in Pirne < altostnord. Pyrne ist Ergebnis spätaltenglischer Entrundung.“1
Andererseits zeigen die altenglischen Namen im Text starke Skandinavi-
sierung. In Wulstain < ae. Wulfstän wurde ae. -stän durch an. -steinn ersetzt
und in Aröolf < ae. Eard(w)ulf wurde ae. [d] durch an. [ö] ersetzt. Es mag
auch bezeichnend sein, dass die Form Porcetel eine <o>-Schreibung hat und
nicht die genormte <u>-Schreibung der dänischen /w-Form, die in das
Angloskandinavische übernommen wurde. Ähnlich ist es mit dem Namen
Audcetel, wo man skand. <au> und nicht angloskand. <ou> findet. Gleich-
wohl darf man den Bruch mit dem Altenglischen und mit der englischen
Tradition nicht überschätzen. Es stimmt, dass englische Namen in der Minder-
heit sind, aber man findet zwei Namen von hohem Status, die der northumbri-
schen Königstradition entstammen, nämlich Ardolf < ae. Eard(w)ulf und Osulf
< ae. Ös(w)ulf Ein recht altertümlicher Name ist Röt, eine starke Form des
Namens *Röta, der erstes Glied des Bezirksnamens Rutland ist. “ Die Mor-
phologie des Textes ist weitgehend englisch. Dies sieht man an der Form
Raganald Asbeornnassuna. Die Form steht für eine westnordische Bildung
und die westnordische Form des Patronymikons wäre Asbiarnarson. Die
Flexion der Form in der York-Liste ist jedoch englisch, nicht skandinavisch.
Problematisch ist [borcetel] Unbainasu<na>, da es möglich ist, dass diese
Genitivform skandinavisch ist. Anlautendes Un- statt O- ist wohl durch Angli-
sierung entstanden, da «-Verlust in dieser Partikel im Altnordischen schon im
9. Jahrhundert belegt ist.23 Wir haben es mit einem englischen Text zu tun und
dies wurde durch den vorhergehenden Text in der Handschrift, einem engli-
schen Gebet für Por<f>erpes saule bidde we Pater noster, and for Mcelmcere
saule usw.,24 bestätigt. Der Text ist englisch und die Form Porferp ist eine
anglisierte Form des skandinavischen Porfroör. Der Endungsverlust bei der
Verbform bidde ist spätnorthumbrischen Ursprungs.25
Dieser Text ist skandinavisiertes Englisch, aber die Abwesenheit skandina-
vischer Flexionsformen ist auffallend. Um sie zu finden, müssen wir zu einem
anderen Text aus dem Norden gehen, zu dem Liber Vitae ecclesiae Dunelmen-
sis. Zum ersten Mal ist es möglich, die Teile dieses Textes aus dem 12. Jahr-
hundert zu verwerten, da es seit kurzem eine moderne Ausgabe gibt.26 Obwohl 20 21 22 23 24 25 26
20 Ebd., S. 113-114 (§ 129).
21 Vgl. Ebd., S. 54-55 (§ 20).
22 Insley 1999.
23 Seip 1971, S. 29-30.
24 Stevenson 1912, S. 10.
25 Vgl. Campbell 1959, S. 302 [§ 735 (01-
26 Rollason/Rollason (Hg.) 2007: I. Introductory Essays, Edition, Commentary’ on the
Edition and Indexes, S. 79-294.
304
das Material eine äußerst interessante Quelle für das skandinavische Ono-
mastikon in England darstellt, bereitet es einige Probleme. Die Schreibformen
sind überwiegend kontinental, das heißt, sie verwenden die Orthographie und
Konventionen der Schreibtradition des postkarolingischen Neustrien, die weit-
gehend von den Normannen nach England gebracht wurden. Zum Beispiel
wird der stimmlose dentale Reibelaut /9/ überwiegend durch <th> und nicht
durch <J)> wiedergegeben, obwohl letzteres, wie auch <ö>, sporadisch er-
scheint. Auch <u> für [v] ist eine kontinentale Form.
ln unserem Text finden wir typische Danelaw Formen, wie Thor (55v 12( 1.
10. 12)27) < angloskand. Porr, Beorn (55v 12(21 ))2X < an. Biorn und Thure
(55v5(41))29 < adän. Thuri oder die dänischen Kurzformen von Namen in
Pör-, wie Toui (55v 1 (3)),30 Toki (55v5(8))31 und Tole (55v9(5))32. Auch
begegnen wir angloskandinavischen Formen, wie Osgod (55v5(31))33 < an.
Asgautr, AErngrim (48rl(47))34 < an. Arngrimr und Thuruerd (45vl6(l))35 <
adän. *PurfripR. Der ostnordische sekundäre /'-Umlaut in AEskyl (55v5(15.
22)),36 Eskil (55v5(35))37 < adän. Eski/ und Estret (55v5(36))3x < adän. Estrith
Fern, wurde nach England in der Folge von Knuts Invasion gebracht, ist aber
nicht ungewöhnlich in englischen Quellen des 11. Jahrhunderts.39 In diesem
Text gibt es einige Namen, die nirgendwo sonst in englischen Quellen belegt
sind, z.B. Thurgerd 46v21(2)411 < an. Porgerdr Fern, und Wesete 47v9(10)41 <
an, Veseti. Die skandinavische Nominativendung -r ist nicht üblich in
27 Ebd., S. 160.
28
Ebd.
Ebd., S. 159.
30
31
32
33
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
34 Ebd., S. 143.
35 Ebd., S. 135.
36 Ebd., S. 159.
37
Ebd.
38
Ebd.
Vgl. Insley 1982, S. 80 und no. 13.
4(1 Rollason/Rollason 2007, S. 135.
41 Ebd., S. 141.
305
England, ist aber hier durch Dächer (filius Eilaf) 55v3(2)42 < an. Dagr,
Anander 55vl(7),4’ Onander 55vl2(15)44 < an. Anundr, Onundr, Grimer
55v4(17)47 < an. Grimr und Thorleuer 55vl2(ll)46 < an. Porleifr vertreten.
Die Form Onander (für an. Onundr) zeigt den spezifisch
westnorwegischen/isländischen iv-Umlaut,4' obwohl die Schreibung -and-
Anpassung an die übliche englische Form des Namens (Anand) aufweist. Die
Form Theorbeorn 46r9(3)4S < adän. Thorbiorn zeigt eine dänische
Entwicklung von /0/ > /0/, die erst ab dem 12. Jahrhundert im Dänischen
vorkommt.49 50 51 * 53 Allerdings ist die <eo>-Schreibung für /0/ eine mittelenglische
Schreibform."11 Ebenfalls typisch englisch ist die Schreibform <ou> für die
skandinavischen Reflexe des germanischen /au/,M wie in Ouden 55\4( 1
für an. Auöunn und Oudegrim(us) 46v5(6)x' für an. Auögrimr. Man darf
durchaus vermuten, dass einige Formen, wie Onander und Theorbeorn, die
Lautmerkmale der Nachwikingerzeit aufweisen, die Namen von Besuchern
aus dem Norden sind, die nach Durham gekommen waren, um am Schrein des
Heiligen Cuthbert zu beten. Eine letzte Gruppe von Namen könnte Auskunft
über den Prozess der Eintragung in den Text geben. Die Formen Hildra
46rl2(46),54 Aufra 46rl2(53)55 und Ornulfra 46rl2(61)5<' stehen für an. Hildr
bzw. Alfr und Qrnölfr, und es scheint eindeutig, dass der Schreiber
Schwierigkeiten bei der Wiedergabe des altnordischen Flexions-r hatte. Die
Frage stellt sich, ob die Namen zunächst mündlich überliefert und dann ver-
44 Ebd., S. 159.
43 Ebd.
44 Ebd., S. 160.
45 Ebd., S. 159.
46 Ebd., S. 160.
47 Vgl. Noreen 1923, S. 78-79 (§ 80.3).
48 Rollason/Rollason 2007, S. 132.
44 Vgl. Brandum-Nielsen 1950, S. 119-122, besonders S. 121 (§ 80).
50 Vgl. Jordan 1968, S. 86 (§65).
51 Vgl. Feilitzen 1937, S. 66 (§ 37).
"2 Rollason/Rollason, S. 159.
53 Ebd., S. 134.
54 Ebd., S. 132.
306
schriftlicht wurden. Ein weiteres Beispiel: Tholheog 46r 12(66) 7 entspricht
einem ostnordischen Thorlogh, aber r-Verlust ist im norwegischen Pollaug,
Pollauger belegt.ss Wahrscheinlich kam die Liber Vitae-Form durch
mündliche Überlieferung zustande. Dass der Schreiber dieses Textstückes
Franzose war, wird durch nicht-etymologisches <H> im Anlaut in Hingeberh
46rl2(85)54 für adän. Ingeberg Fern, und anlautendes [t] für [9] in Toreth
46rl2(37)611 für an. Porroör zumindest angedeutet.
Ein letztes Beispiel macht die Probleme, die durch die alleinige Beachtung
von formalen Kriterien entstehen, deutlich. Das klassische Namenbuch liefert
Form, Quelle, Datum und gelegentlich Ort der Flandlung oder des Textes,
lässt aber Fragen des historischen und linguistischen Kontextes außer Acht. In
ihrem Buch über nordische Personennamen in Lincolnshire und Yorkshire
führt Gillian Fellows-Jensen die Form „Thorbrand (York) [1142-43] 17th Ych
9. 1 19“ sub Porbrandr an/’1 Hier haben wir die Form, die Lokalisierung und
vollständige Angaben zur Quelle. Die Quelle ist eine Urkunde von 1142/1143,
die im 1 7. Jahrhundert von Sir Roger Dodsworth kopiert wurde, wonach der
normannische Baron Roger de Mowbray (Montbray, dep. Manche) die Kirche
des Heiligen Andreas zu York, „que sita est ultra fossam in Fischergata cum
omnibus ad ipsam pertinentibus et cum mansura una que fuit Turstini de Mun-
fort et hominem in ipsa manentem nomine Thorbrand“, an die Kirche von
Hood verschenkte.<i: Vom Kontext her ist es ganz eindeutig, dass Thorbrand
ein Unfreier war. Turstin de Montfort, der frühere Eigentümer des Grund-
stücks in York, gehörte der Familie von Montfort-sur-Risle (dep Eure) an/"
1166 besaß er dreiundreiviertel Rittergüter {knights' fees) von Roger de
Mowbray und zehnundeinviertel von Earl William von Warwick/'4 Obwohl
Gillian Fellows-Jensen einige Belege für Turstin de Montfort sub Porsteinn
liefert,ro sagt sie nichts zu seiner Familie und seinem Status. Die Formen
Turstinus und Thorbrand in Roger de Mowbrays Schenkungsurkunde sind
Vertreter zweier verschiedener Schichten skandinavischer Personennamen in
England. Thorbrand steht für den altnordischen Namen Porbrandr, der nach 58 59 60 * 62 63 64 65
58 Lind 1905-1915, S. 1191.
59 Rollason/Rollason 2007, S 132.
60 Ebd.
M Fellows Jensen 1968, S. 301.
62 Clay 1952, S. 205 (no. 118).
63 Keats-Rohan 2002, S. 597.
64 Ebd., S. 598.
65 Fellows Jensen 1968, S. 315.
307
Yorkshire wohl von den norwegischen Gefolgsleuten der Wikingerkönige von
York gebracht wurde. Der Name kommt im Ostnordischen nicht vor und
scheint häufiger im Isländischen als in Norwegen zu sein.'1'1 Diese letzte Beob-
achtung steht in scheinbarem Widerspruch zu den Quellen. Der wohl berühm-
teste Träger dieses Namens in England war ein erbitterter Feind des northum-
brischen Herzogshauses im 1 1. Jahrhundert, der von dem Chronisten Symeon
von Durham als „quodam Dano . . . Thurebrando, cognomento Hold“ bezeich-
net wurde/1 Hier sollte man Danus als Bezeichnung für Skandinavier4 und
nicht als spezifischen Terminus für ,Däne4 ansehen. ln seiner sozialen Stel-
lung war Thurebrandus dem northumbrischen Herzogshaus ebenbürtig/'* und
es ist wahrscheinlich, dass seine Familie zu der engeren Gefolgschaft der letz-
ten Wikingerkönige von York gehörte. Der Name von Turstin de Montfort,
Turstinus, ist die gängige normannische Form für an. Porsteinn9 und von
daher nur formal skandinavisch. Interessanterweise ist der Name des Hörigen
Thorbrand nicht latinisiert, während der Name des normannischen Grundbe-
sitzers in einer stereotyp latinisierten Form erscheint. Beide Namen sagen
nichts über die Sprachzugehörigkeit ihrer Träger aus. Gewiss sprach Turstin
de Montfort einen normannisch-pikardischen Dialekt des Altfranzösischen,
während Thorbrand wohl eine stark skandinavisierte Form des Frühmitteleng-
lischen sprach. Diese beiden Beispiele zeigen, wie wahr die Worte des großen
englischen Rechtshistorikers Maitland waren, als er sagte: „We must be
careful how we use our Dane.“66 67 68 69 70
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66 Vgl. Lind 1905-1915, S. 1150-1151.
67 Arnold (Hg.) 1882-1885, Bd. II, S. 197.
68 Vgl. Stenton 1971, S. 509.
69 Fellows Jensen 1968, S. 316.
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land in the Ninth and Tenth Centuries (Studies in the Early Middle Ages
2), Tumhout 2000, S. 17-39.
Summary
Remarks on Scandinavian Personal Names in the North of
England
The extent and intensity of Scandinavian settlement in England in the period
between the ninth and eleventh century has long been the subject of passionate
debate. The place-name evidence has been subject to thorough and detailed in-
vestigation, but rather less has been done with personal name evidence. In the
present paper, the personal nomenclature of three texts has undergone scruti-
ny. The texts are: a) the mid-eleventh-century list of sureties entered on folio
161V of the York Gospels; b) the twelfth-century part of the Durham Liber
Vitae', c) a Latin charter of 1142/1143 disposing of property in York. The first
text is written in Old English and shows some normalization of Scandinavian
names, e.g., with the use of -cetel (< ON -ketill) instead of the expected -kil,
and the Scandinavianization of English names, e.g., Wulstain for OE
Wulfstan. The second text complex, the twelfth-century part of the Durham
Liber Vitae is much more heterogeneous. We find Anglo-Scandinavian forms,
such as Osgod < ON Asgautr or Thuruerd < ODan *T>urfripR, but also typi-
cally Danish forms, such as zEskyl, Eskil < ODan Eskil. Noteworthy are forms
retaining the Scandinavian nominative ending in -r, such as Anander,
Onander for ON Anundr and Thorleuer for ON Porleifr, which is a feature not
normally encountered in England. The form Onander shows West Norwe-
gian/Icelandic «-mutation, while the form Theorbeorn (< ODan Thorbiorn)
shows the specifically Danish development of Thor- > Thor-. Both these
310
features belong to the post-Viking period and Onander and Theorbeorn may
have been Scandinavians who had come to pray at the shrine of St Cuthbert,
The third of these documents, the York record of 1142/1143, is used to indi-
cate different layers of Scandinavian personal nomenclature in England by
contrasting the uninflected Thorbrand < ON Porbrandr, in this text the name
of a native Anglo-Scandinavian unfree tenant, with the Latinized Turstinus (a
Norman form ultimately from ODan Thursten), here the name of the Norman
baron Turstin dc Montfort.
311
Jürgen Udolph
,Baltisches* und ,Slavisches* in norddeutschen
Ortsnamen
1. Die von Wolfgang P. Schmid herausgearbeitete zentrale Position des Bal-
tischen innerhalb der alteuropäischen Hydronymie1 hat auch Konsequenzen
für die Beurteilung der Gewässernamen in der Germania. Dass zwischen dem
Baltischen und Germanischen aber auch außerhalb der Namen engere sprach-
liche Beziehungen bestehen, ist ebenfalls von Wolfgang P. Schmid herausge-
arbeitet worden. Zu nennen sind hier insbesondere Beiträge, in denen detail-
liert baltisch-germanische Gemeinsamkeiten in der Bildung des Verbums, der
Morphologie (doppelte Adjektivflexion u.ä.), dem Pronominalsystem usw.
gegenüber den anderen indogermanischen Sprachen dargestellt werden.2
Für Deutschland und Mitteleuropa ist außer dem Baltischen aber auch das
Slavische einzubeziehen, denn die These einer baltisch-slavisch-germanischen
Zwischenstufe ist durchaus aktuell.3
Zahlreiche Arbeiten von Wolfgang P. Schmid4 5 und Jürgen Udolph2 haben
1 Ausführlich begründet von Schmid, Wolfgang P.: „Baltische Gewässernamen und das
vorgeschichtliche Europa“, in: Indogermanische Forschungen 77 (1972) S. 1-18.
2 Schmid, Wolfgang P.: „Aiteuropa und das Germanische“, in: Heinrich Beck (Hg.):
Germanenprobleme in heutiger Sicht (RGA, Ergänzungsbände 1), Berlin / New
York 1986, S. 155-167; Schmid, Wolfgang P.: „Bemerkungen zum Werden des
,Germanischen1“, in: Karl Hauck (Hg.): Sprache und Recht: Beiträge zur Kulturge-
schichte des Mittelalters. Festschrift für Ruth Schmidt-Wiegand, 2 Bde., Berlin /
New York 1986, S. 711-721; Schmid, Wolfgang P.: „Zu den germanisch-baltischen
Sprachbeziehungen: Die Komparative der Adjektive“, in: Karin Heller (Hg.): Indo-
germanica Europaea. Festschrift für Wolfgang Meid zum 60. Geburtstag am
12.11.1989 (Grazer Linguistische Monographien 4), Graz 1989, S. 241-250.
Wiederabgedruckt in: Wolfgang P. Schmid: Linguisticae Scientiae Collectanea,
Berlin / New York 1994, S. 334-346, 347-357, 430-439.
Siehe Udolph, Jürgen: Namenkundliche Studien zum Germanenproblem (RGA, Er-
gänzungsbände 9), Berlin / New York 1994, S. 16-49; Udolph, Jürgen: Die Stellung
der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuropäischen Hydronymie (Beiträge
zur Namenforschung, Beiheft N.F. 31), Heidelberg 1990; s. ferner auch Dini, Pietro
U. und Udolph, Jürgen: „Slavisch-Baltisch-Germanische Übereinstimmungen in
Toponymie und Hydronymie“, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde,
Bd. 29. 2., völlig neu bearb. und stark erw. Aufl., Berlin / New York 2005, S. 59-78.
4 Vor allem zusammengefasst in Schmid, Wolfgang P,: Linguisticae Scientiae Col-
lectanea. Ausgewählte Schriften. Anläßlich seines 65. Geburtstages herausgegeben
von Joachim Becker, Berlin / New York 1994.
5 Udolph, Jürgen: „Baltisches in Niedersachsen?“, in: Eckhard Eggers (Hg.): Florile-
gium Linguisticum. Festschrift für Wolfgang P. Schmid zum 70. Geburtstag, Frank-
313
ferner gezeigt, dass sich auch und gerade im Bereich der alteuropäischen
Hydronymie die im nichtonomastischen Bereich festgestellten engen Bezie-
hungen zwischen dem Baltischen und Germanischen bestätigen und festigen
lassen. Dabei wurde von mir die Frage „Baltisches in Niedersachsen?“1’ aufge-
worfen, also die Betrachtung auf einen kleineren Raum beschränkt. Zudem lag
das Augenmerk nicht auf Hydronymen, sondern Toponymen. Toponyme oder
im engeren Sinne Ortsnamen gelten gegenüber Hydronymen in der Regel als
deutlich jüngere und vor allem einzelsprachliche Namensschicht. Ich hatte
seinerzeit gefolgert:
Auffällig ist dabei allerdings, daß sich die Gemeinsamkeiten nicht nur
auf die Hydronymie beziehen, sondern auch die Toponymie betroffen
ist. Der Grund für diese auffällige Erscheinung mag in der besonderen
Position des niedersächsischen Raumes innerhalb der Germania liegen,
ein Phänomen, das in Ansätzen schon behandelt wurde, das aber noch
weiterer intensiver Aufarbeitung bedarf?
In diesem Zusammenhang ist es von besonderer Bedeutung, dass es Orts-
und Gewässernamen in Norddeutschland gibt, deren appeilativische Grundla-
gen engere Kontakte mit dem Baltischen und Slavischen voraussetzen. Diese
Erscheinungen sind nicht nur für die Frage nach Frühzeit und Gliederung des
Germanischen von Bedeutung, sondern auch darüber hinaus für die Frage,
welche Rolle der Alteuropäischen Hydronymie zugewiesen werden muss, vor
allem unter dem Aspekt, dass diese Theorie immer noch und wieder heftiger
Kritik ausgesetzt ist. Der Beitrag wird zu zeigen versuchen, dass eine vorur-
teilsfreie Beurteilung der Alteuropatheorie nur unter gründlicher Einbeziehung
der osteuropäischen Sprachen und deren Namenlandschaft erfolgen kann.
Das 1998 begründete Niedersächsische Ortsnamenhuch (NOB), von dem
bislang sechs Bände erschienen sind,4 hat sich die sukzessive Aufarbeitung * 6 * * 9
furt/Main 1999, S. 493-508; vgl. ferner Udolph, Jürgen: „Slavjano-germanskie
svjazi v sevemo-nemeckich toponimach“, in: Étimologija 1997-1999, Moskva 2000
[Festschrift für O.N. Trubacev], S. 185-191.
6 Udolph, Jürgen: „Baltisches in Niedersachsen?“ (wie Anm. 5).
Das gilt selbstverständlich nicht für Hydronyme generell, denn zahlreiche Mühlen-
bäche oder Weißwasser sind jungen oder jüngsten Datums. Gemeint sind die der
alteuropäischen Hydronymie angehörenden bzw. einer sehr alten (einzelsprach-
lichen) Schicht zuzurechnenden Gewässernamen.
K Udolph: „Baltisches in Niedersachsen?“ (wie Anm. 5), S. 505.
9 Ohainski, Uwe / Udolph, Jürgen: Die Ortsnamen des Landkreises und der Stadt
Hannover (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der
Universität Göttingen 37), Bielefeld 1998 [= NOB I]; Ohainski, Uwe / Udolph,
Jürgen: Die Ortsnamen des Landkreises Osterode am Harz (Veröffentlichungen des
Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 40), Bielefeld
2000 [= NOB II]; Casemir, Kirstin: Die Ortsnamen des Landkreises Wolfenbüttel
314
aller niedersächsischen Landkreise mit seinem Ortsnamenbestand inklusive
der Wüstungen zum Ziel gesetzt. Damit würde sich die von Jürgen Udolph
konstatierte besondere Position des niedersächsischen Raumes4 * * * * * gegebenen-
falls ermitteln und die Forderung nach ,intensiver Aufarbeitung4 erfüllen las-
sen. Kirstin Casemir, die Verfasserin des dritten Bandes des NOB, kommt für
den von ihr untersuchten Bereich des Landkreises Wolfenbüttel und der Stadt
Salzgitter zum Schluss: „Weiterhin zeugen auch die BW [Bestimmungswör-
ter] von einem altbesiedelten Gebiet, von denen viele BW nur durch Sprach-
vergleich zu ermitteln waren. Dabei erwiesen sich neben den anderen germa-
nischen Sprachen vor allem das Baltische (und Slavische) als wichtigste
Parallelen.4"10 11 12 13
Auch wenn noch die weitaus meisten Teile des niedersächsischen Raumes
nicht durch Ortsnamenbücher erschlossen sind, sollen die Aussagen von
Jürgen Udolph und Kirstin Casemir zum Anlass genommen werden, diejeni-
gen in den erschienenen Bänden des NOB behandelten Ortsnamen vorzu-
stellen, die nach den gewonnenen Erkenntnissen Beziehungen zwischen dem
Baltischen und dem Germanischen erkennen lassen." Da die Namen in den
jeweiligen Bänden ausführlich behandelt wurden, wird im Folgenden auf eine
detaillierte Begründung für die Einzeldeutung verzichtet.1^
2. Bord-IBard- und Verwandtes ist nach unseren Erkenntnissen in einer
Gruppe von Namen enthalten, die etliche Probleme bieten.1' Es geht um:
2.1. ~\Bordel, ca. 1,5 km westlich Varlosen (Kr. Göttingen), 1447 wostenunge
tom Bordeibeke, 1489 Bördele, 1504 dat woste dorp Bördele, 1512 Bordei,14
und der Stadl Salzgitter (Veröffentlichungen des instituts für Historische Landes-
forschung der Universität Göttingen 43), Bielefeld 2003 [= NOB III]; Casemir,
Kirstin / Ohainski, Uwe / Udolph, Jürgen: Die Ortsnamen des Landkreises Gottin-
gen (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Univer-
sität Göttingen 44), Bielefeld 2003 [= NOB IV]; Casemir, Kirstin / Menzel, Franzis-
ka / Ohainski, Uwe: Die Ortsnamen des Landkreises Northeim (Veröffentlichungen
des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 47), Biele-
feld 2005 [= NOB V]; Casemir, Kirstin / Ohainski, Uwe: Die Ortsnamen des Land-
kreises Holzminden (Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landes-
forschung der Universität Göttingen 51), Bielefeld 2007 [= NOB VI].
10 NOB III (wie Anm. 9), S. 541.
11 Sehr unsichere oder höchst umstrittene Namen wurden dabei nicht berücksichtigt,
12 Die Belegstellennachweise sind den jeweiligen Ortsartikeln zu entnehmen. Es
wurde nur eine kleine Belegauswahl geboten, um die Überlieferung zu
verdeutlichen. Weitere Belege finden sich im entsprechenden Ortsartikel.
13 Vgl. auch schon Udolph: „Baltisches in Niedersachsen?“ (wie Anm. 5), S. 494ff.
14 NOB IV (wie Anm. 9), S. 65f.
315
Grundlage des Ortsnamens ist ein Gewässername, der als *Bordala oder
*Bordila anzusetzen und auf germanisch *Burdala oder *Burdila zurückzu-
führen ist, also eine -/-Bildung (vgl. Bördel).
2.2. Bördel (bei Göttingen), 1093 (Fälschung 12. Jh.) Burda/a, 1152 (Fäl-
schung 12. Jh.) Burdula, 1322 Bordal, 1398 Bordei, um 1616 Bordell.,5
2.3. Bordenau (bei Hannover), 889 Portanaha,15 16 * 18 nach 1124 Bordenou, um
1291 Bordeno, 1299 Bordenouwe, 1376 Bordenowe, 1438 Bordenauwe,]1 ent-
weder mit Grundwort -au ,Land am Wasser1 gebildet oder auf älteres *Bor-
dana, d.h. eine suffixale -«-Bildung, zurückzuführen.
2.4. fBortdorf {Wüstung im Kr. Osterode), 1306 (Abschrift) Bartdorff\ 15. Jh.
Bortorff 1557 Bartoff 1593 Bortdorf}*
2.5. Bortfeld (Kr. Peine), 1169 als de Bortuelde, (1186-1190) als de Borthveld.'9 20
2.6. Weitere Namen fasse ich nur kurz zusammen:"11 Borbeck bei Essen, 1150
Bordbeke\ Border (Wüstung Kr. Nienburg), 826-876 (Abschrift 15. Jh.)
Borthrun', Boome (GN. in Friesland), alt Bordine, Burdine; Bordei, evtl. =
Bourdeaux, 1160 Bordeel, 1182 Bordiel; Burdist (GN.), 755 (Abschrift 13.
Jh.) Burdist (= Rhein bei Remagen), 770/771 inßuvio Burdisa.
Während hier offenbar germanisch -or-l-ur- und damit eine indogermanische
Schwundstufe vorliegt, gibt es weitere Namen, die die Vollstufe repräsentieren:
2.7. Barmke {Kr. Helmstedt), 1158 als villam, que dicitur Bardenbike,21 22belegt.
2.8. Bartolfelde (Kr. Osterode),"' 1222 (Druck 19. Jh.) Hermannus de Barde-
veit, 1228 fratres de Bardenevelt, um 1230 fratres de Bardenevelde, 1303
Henricus de Bardelevelde, 1372 Wedekind faber de Bardeneveld. Der Orts-
name enthält das Grundwort -feld, für das Bestimmungswort ist Bardene-
/Bardena- anzusetzen, d.h. eine Bildung mit einem -«-Suffix.
2.9. Bardowick, zum Jahr 785 Barduwic (Ann. Moissiacense), zum Jahr 795
Bardenwih (Einhard), zum Jahr 795, 798 Bardunwih, Partunwich (Annales
15 Ebd. S. 66ff.
16 Monumenta Germaniae Historica, DAmulfNr. 60, S. 88.
1 NOB I (wie Anm. 9), S. 58ff. Vgl. auch Udolph: „Baltisches in Niedersachsen?“
(wie Anm. 5), S. 494f.
18 NOB II (wie Anm. 9), S. 29ff.
19 Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe, Bd. 1: Bis ¡221
(Publikationen aus den königlichen preußischen Staatsarchiven 65). Karl Janicke
(Hg.), Leipzig 1896, Nr. 347, S. 330 bzw. Nr. 447, S. 435.
20 Vgl. dazu Udolph, Jürgen: „Langobarden. Bardowick“, in: Reallexikon der Germa-
nischen Altertumskunde, Bd. 18, Berlin / New York 2001, S. 57-60, sowie die in
Anm. 5 genannte Untersuchung.
21 Origines Guelficae, Bd. III, Hannover 1752, Nr. 80, S. 537.
22 NOB II (wie Anm. 9), S. 19fF.
316
Laureshamenses; Annales Moissiacense, u.a.),23 dazu auch der Name des Bar-
dengaues: zum Jahr 781 Isunnam paludem, quae dividit Bardangaos et
Witingaos; zum Jahr 785 in Bardungaue; 9. Jahrhundert und später Bardan-
gai. Bardangao, Bardanga, Bardungawe, Bardongavenses.
2.10. Baardwijk in Nordholland, 1136 (Kopie 12. Jh.) Barduvich.24
2.11. Bahrenfleth, Ortsname in Steinburg, 1348 de Bardenulete.
Der sicherste Anschluss für die zugrunde liegende Wurzel *bherdh-/*bhordh-
/*bhpdh- findet sich im Osten: er liegt vor in litauisch bradä ,Schlamm1,
bredu ,wate\ birdä ,nasser Kof, slavisch brod ,Furt‘, auch bezeugt in Orts-
namen wie Bierdawy, See bei Kolno, 1308 in lacubus videlicet Birdav. Hinzu
kommt, dass auf dem Balkan die schwundstufige Variante in Namen ebenfalls
bezeugt ist: Burdapa, Burdipta, Burdomina u.a.25 Wahrscheinlich spielt hier
auch der sogenannte indogermanische ,Schwebeablaut1 eine Rolle, der nach
der Wurzeltheorie von Emile Benveniste das Nebeneinander von *bherdh-
und *bhredh- erklären könnte.26 *
3. Börßum, fKlein Börßum (Kr. Wolfenbüttel), 1008-1009 (Kopie 15. Jahr-
hundert) Bursine, zum Jahr 1027 (vor 1038) Bursinun, 1174 Erpo de Bursne,
1213 Borsne, 1380 Borsne, 1413 Borssen, geht nach Kirstin Casemir2 auf
einen Gewässernamen und eine -«-Bildung zurück und enthält die schwund-
stufige Ableitungsgrundlage *Burs-, zu idg. *bheres- ,schnell1, das appel-
lativisch nicht im Germanischen, wohl aber im Baltischen und Slavischen
bezeugt ist, vgl. litauisch kurzdüs ,beweglich, rührig1, russisch borzöj schnell,
rasch (von Windhunden)1. Wir kennen es auch als Windhundrasse Barsoj.
Zahlreiche Gewässernamen, die die Grundstufe *bhers~ enthalten, hat
28
Albrecht Greule ausführlich behandelt.^
Ausführlich behandelt und daraus zitiert: Udolph: „Langobarden. Bardowick“ (wie
Anm. 20).
~4 Nach Gysseling, Maurits: Toponymisch Woordenboek van Belgie, Nederland,
Luxemburg, Noord-Frankrijk en West-Duitsland (vöör 1226) (Bouwstoffen en
Studien voor de geschiedenis en de lexicografie van het Nederlands 6, 1 und 2), Bd.
1, (Tongeren) 1960, S. 90: Bardana ,van de (Lango)bard1 + wika-,
25 Vgl. Krähe, Hans: „Einige Gruppen alter Gewässernamen“, in: Beiträge zur
Namenforschung 6 (1955) S. 238-242; Krähe, Hans: „Über einige Gewässernamen
mit st-Suffix. 3. Burdist“, in: Beiträge zur Namenforschung N.F. 10 (1959) S. 4-6.
26 Zu den Einzelheiten vgl. Anttila, Raimo: Proto-Indoeuropean Schwebeablaut (Uni-
versity of California Publications in Linguistics 58), Berkeley 1969 und die
Literatur bei Szemerenyi, Oswald: Einführung in die vergleichende Sprachwissen-
schaft. 3., vollst. neu bearb. Auff, Darmstadt 1989, S. 139.
NOB 111 (wie Anm. 9), S. 102ff.
"x Greule, Albrecht: Vor- und frühgermanische Flußnamen am Oberrhein: ein Beitrag
zur Gewässernamengebung des Elsaß, der Nordschweiz und Südbadens (Beiträge
317
4. Dolgen ist ein auf einer leichten, aber in der Ebene deutlich sichtbaren Er-
hebung gelegener Ort östlich von Hannover. Er zeigt in seinen Belegen,:g dass
von einem Ansatz *Tholg-nn- (Dat. plur.) auszugehen ist: 973-975 (Abschrift
15. Jh.) Thologun, 1224 Dolgem usw. Er besitzt eine Parallele in dem Namen
der Wüstung Dolgen bei Langelsheim, 1154 Wostentholgen, vor 1189 (Ab-
schrift 17. Jahrhundert) Tholgen.
Geht man der sprachhistorischen Entwicklung nach,* 29 30 31 so wird man über
germ. Tholg- und *plg- zu idg. *telgh-/*tolgh-/*t!gh- geführt. Germanische
Anschlüsse finden sich nicht. Anders sieht es im Baltischen und Slavischen
aus. Beide Sprachgruppen haben Anteil an der bei Julius Pokorny3“ ange-
führten idg. Wurzel teu-, tau-, teua- ,schwellen1, die unter anderem mit g oder
gh erweitert in den osteuropäischen Sprachen bezeugt ist: litauisch pa-tulzqs
,aufgeschwollen4, lettisch tulzums ,Geschwulst4, tulzne ,Brandblase, Blase4,
litauisch tulzis ,Galle4; hinzu kommt wohl urslavisch *tblstb ,geschwollen,
dick4 in altkirchenslavisch tlbstb, russisch tolstyj ,dick\ hierzu auch der Fami-
lienname Tolstoj.
5. Dransfeld westlich von Göttingen trägt einen bis heute ungeklärten Namen.
Für die Deutung besonders wichtig ist der älteste Beleg von 960 Trhenesfelde,
der wahrscheinlich für *Threnesfelde steht. Später heißt der Ort Dransvelt,
Dransuelt, Dransfelde, Dransuelde.33 Aus dem Wortschatz der germanischen
Sprachen bietet sich kein Anschluss an. Erneut muss man nach Osten blicken,
um einen Lösungsvorschlag ermitteln zu können. Dabei helfen die Ausfüh-
zur Namenforschung Beiheft, N.F. 10), Heidelberg 1973, S. 105ff.
29 NOB I (wie Anm. 9), S. 104ff.
30 Zur Lage und zu den Belegen s. Kleinau, Hermann: Geschichtliches Ortsverzeich-
nis des Landes Braunschweig, Teil 1 (Veröffentlichungen der Historischen Kom-
mission für Niedersachsen und Bremen 30; Geschichtliches Ortsverzeichnis von
Niedersachsen 2,1), Hildesheim 1967, S. 156; vgl. auch Strümpei, Klaus-Joachim:
Die Wüstungen des Stadt- und Landkreises Goslar und des Amtsbezirkes Harzburg,
Examensarbeit am Geographischen Institut der TU Braunschweig, Braunschweig
1971, S. 80f.
31 Das Folgende vor allem nach Udolph, Jürgen: „Der niedersächsische Ortsname
Dolgen44, in: Ewa Wolnicz-Pawlowska (Hg.): Kontakty jfzykowe Polszczyzny na
pograniczu wschodnim. Prace oftarowane Prof. J. Riegerowi, Warszawa 2000, S.
247-251.
Pokorny, Julius: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 1, Bern /
Frankfurt 1959, S. 1080.
33 Zur Beleglage und der folgenden Deutung s. NOB IV (wie Anm. 9), S. 104ff, s.
auch Udolph: „Baltisches in Niedersachsen?“ (wie Anm. 5), S. 498f.
318
rungen von Ivan Duridanov,’4 der bei der Diskussion um den mutmaßlich
thrakischen'N Ortsnamen Tranupara wichtige baltische Parallelen genannt hat:
lettische Flurnamen wie Trani, Tranava, einen litauischen Flussnamen
Tranys, eine zemaitische Parallele Tronis, altlitauische Personennamen wie
Tronjata, Tranidt, die nach Kazimieras Büga aus baltisch *Traniata zu erklä-
ren sind, sowie appellativisches Material wie litauisch treneti ,modern, fau-
len*, lettisch freuet (trqnu oder trenn) ,modern, verwittern*.* 35 36
6. Heiningen, Ortsname im Kreis Wolfenbüttel, zum Jahre 1012 (Kopie 1573)
Heningen, 1140 Henigge, 1146 Heninge, 1222 Heningin, 1385 (Kopie 14.
Jahrhundert) Heninghe, 1481 Heyninghe,37 38 * In der Deutung folge ich dem Vor-
schlag von Kirstin Casemir: '4 Der Ortsname ist zu vergleichen mit Heinde,
Kreis Hildesheim (1146 Henede, 1175-78 Henethe), und für die Ableitungs-
grundlage ist germanisch *hain- oder *hen- anzusetzen. Die einzige überzeu-
gende Anschlussmöglichkeit besteht in einem vor allem im Baltischen und
Slavischen bezeugten Wort, nämlich litauisch sienas, lettisch sie ns, ukrainisch
stno, bulgarisch senö, tschechisch seno, polnisch siano ,Gras, Heu‘, das zu
indogermanisch *koi-no- ,Gras* gehört. Bekanntlich erscheint idg. *-K- im
Germanischen als -/;- und im Slavischen zumeist als -s-.
7. II- in deutschen Ortsnamen.34
7.1. Ilfeld, Ortsname nördlich Nordhausen, 1154 Ilevelt, 1155 Ilfelt, 1157 II-
velt, 1182 Ylevelt40 Bei K.-H. Müller heißt es dazu: „Der ON ist zusammen-
gesetzt aus dem Grundwort -feld und dem Bestimmungswort II-, das verschie-
den gedeutet wird. Förstemann [...] stellt den ON zu ilan, ,eilen*, wird aber
von Jell[inghaus] [...] abgelehnt, der in dem II- entweder /7 = Schilf oder einen
PN Ilo sehen möchte.**41
4 Duridanov, Ivan: Thrakisch-dakische Studien, I. Teil: Die Thrakisch- und Dakisch-
Baltischen Sprachbeziehungen (Balkansko ezikoznanie 13,2), Sofia 1969, S. 70.
35 Dafür spricht -para.
,(’ Zur weiteren Diskussion vgl. Pokorny: Indogermanisches etymologisches Wörter-
buch (wie Anm. 32), S. 1080.
37 Zu den Belegen und der folgenden Deutung s. NOB III (wie Anm. 9), S. 187ff.
38 NOB III (wie Anm. 9), S. 187ff.
Das Folgende vor allem nach NOB I (wie Anm. 9), S. 235ff.
40 Müller, Karl-Heinz: Die Ortsnamen der Kreise Nordhausen und Worbis, Hausarbeit
Jena 1954, S. 84.
41 Ebd. S. 84f.
319
7.2. Groß Ilde, Klein Ilde bei Bockenem (Kreis Hildesheim), 1065 ad villam
Illidi, 1149 Northillethe [...] Suthillethe [...] Illede [...] Northillethe, Variante
Northillede, Suthillethe, Variante Suthi/lede, 1151 in lelethe, 1172 in Ielethe,
1172 cives de Yllide\ Yllide (mehrfach), 1178 (Kopie) Nortillete [...] Sutillete
[...] Illede [...] Northillete, Suthillete [...] Illete, 1193 (Kopie) in Illidhe, 1212
in villa Illede, 1214 Hermannus de Illede,42 ist unverkennbar mit dem germa-
nischen Suffix -ithi gebildet,43 ein Personenname scheidet somit ihr das Be-
stimmungswort von vornherein aus.44 Dieter Rosenthal dachte42 an eine
„altgermanische Flußbezeichnung ///-“, was mit Reinhold Möller4'’ zurückzu-
weisen ist. Dieser selbst meinte zu dem Ort: „Groß-Ilde liegt hoch und trocken
auf der östlichen Flußterasse der Lamme. Fraglich erscheint mir, ob -ithi-
Ableitung zu a[ltsächsisch] igil, mittelniederdeutsch] il ,Igel\ mit frühem -g-
Ausfall vorliegt.“47
Für hohes Alter des Namens spricht nicht nur das Suffix,4S 46 sondern auch
42 Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim (wie Anm. 19), Bd. 1, S. 107, 235, 258,
340, 341, 342, 372, 373, 468, 629, 642.
43 So schon Evers, Wilhelm: „Ortsnamen und Siedlungsgang im mittleren Ostfalen
(zwischen Leine und Fuhse)“, in: Berichte zur deutschen Landeskunde 9 (1951) S.
388-405, hier S. 402; ebenso Rosenthal, Dieter: „Zur Diskussion über das Alter der
nordwestdeutschen Ortsnamen auf -heim. Die Ortsnamen des ehemaligen Kreises
Hildesheim-Marienburg“, in: Beiträge zur Namenforschung N.F. 14 (1979) S. 361-
411, hier S. 375, und Möller, Reinhold: Dentalsuffixe in niedersächsischen Sied-
lungs- und Flurnamen in Zeugnissen vor dem Jahre 1200 (Beiträge zur Namenfor-
schung Beiheft, N.F. 43), Heidelberg 1992, S. 74.
44 Vgl. schon Udolph, Jürgen: „Die Ortsnamen auf -ithi“, in: Emst Eichler (Hg.):
Probleme der älteren Namenschichten: Leipziger Symposion, 21. bis 22. November
1989 (Beiträge zur Namenforschung Beihefte, N.F. 32), Heidelberg 1991, S. 85-
145, hier S. 126.
4' Rosenthal: „Zur Diskussion“ (wie Anm. 43), S. 375.
46 Möller: „Dentalsuffixe“ (wie Anm. 43), S. 74.
47 Ebd. S. 74.
4X Die These, -//Tft-Namen könnten noch Ausfluss einer „frühmittelalterlichen Benen-
nungsmode“ sein (Wagner, Norbert: „Besprechung von Udolph, Jürgen: Namen-
kundliche Studien“, in: Beiträge zur Namenforschung N.F. 29/30 [1994/95] S. 190)
widerspricht sämtlichen bisherigen Auffassungen zum Alter des Bildungselementes
(Adolf Bach, Peter v. Polenz [„uraltes Formans“], Wilhelm Arnold, Friedrich Klu-
ge, Hans Walther, Werner Flechsig [gehören zu der „ältesten urgeschichtlichen Na-
menschicht“], Edward Schröder [„prähistorisch“], Richard Andree [gehören zu den
„ältesten, die wir kennen“]). Auch die Ableitungsgrundlagen sprechen für hohes
Alter (dazu zuletzt Udolph, Jürgen: „Suffixbildungen in alten Ortsnamen Nord- und
Mitteldeutschlands“, in: Thorsten Andersson [Hg.]: Suffixbildungen in alten Orts-
namen: Akten eines internationalen Symposiums in Uppsala 14.-16. Mai 2004
[Acta Academiae Regiae Gustavi Adolphi 88], Uppsala 2004, S. 137-175, hier S.
320
die Tatsache, dass der Ort Anlass zur Gründung einer Tochtersiedlung gewe-
sen ist:* 49 es handelt sich um den ca. 20 km entfernt liegenden Ort Ildehausen
östlich Bad Gandersheim, 1147 (K. 16. Jh.) Illedhehusen, 1148 Ellethehusen,
1209 Hilledhehusen usw.50
7.3. *Ilis-/Ilisa-, unbekannter Ort ,in pago Tilithe‘, 1022 (Fälschung 1. Hälfte
bzw. 2. Hälfte 12. Jahrhundert) llisun\ Ilisun, oft falsch auf Eilensen oder El-
lensen (Kreis Northeim) bezogen, jedoch „an der Weser zu suchen“,51 enthält
mit Reinhold Möller „eindeutig [ein] -x-Sufftx eines eingliedrigen Namens.“52
Reinhold Möller und schon zuvor Emst Förstemann53 * hatten - allerdings auch
bedingt durch die unrichtige Lokalisierung - an einen Zusammenhang mit
einem Flussnamen gedacht. Die Annahme einer Bildung mit einem -s-Suffix34
kann aber wohl aufrecht erhalten werden.
7.4. Ilsede bei Peine, mit den Ortsteilen Groß Ilsede, Klein Ilsede und Ilseder
Mühle, ist unzweifelhaft eine -ft/?/-Bildung,55 * vgl. 1053 Ilisede, 1179 in
Elsethe, Variante: Ylsedhe, 1181 Tidericus de Ilsethe, 1189 Eilardus de
Ilsethe, 1196-1197 Hilsede. Die mutmaßliche Grundform ist umstritten, Rein-
hold Möller9 und auch ich selbst57 dachten an germanisch *Elis-ithi und
sahen darin elisa, alisa ,Erle, Eller1. Eine kritische Sichtung der Belege und
deren Entwicklung lässt diese Deutung aber nicht zu. Eher ist von *Ilis-ithi
oder *Ilsithi auszugehen.
194ff.). Sie widerspricht auch der Tatsache, dass das Element zur Zeit der deut-
schen Ostkolonisation nicht mehr produktiv gewesen ist.
49 Kramer, Wolfgang: „Scheinmigration und ,verdeckte1 Migration, aufgezeigt am
Beispiel von Namenfeldem in Ostfalen“, in: Jahrbuch des Vereins für niederdeut-
sche Sprachforschung 94 (1971) S. 17-29, hier S. 28.
311 Kleinau: Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig (wie Anm. 30),
Teil 1, S. 312.
51 NOB V (wie Anm. 9), S. 115f.; dort auch Nachweise zu den Belegen.
52 Möller, Reinhold: „Zu den -sen-Namen in Niedersachsen“, in: Beiträge zur Namen-
forschung N.F. 4 (1969) S. 356-375, hier S. 360.
33 Förstemann, Emst: Altdeutsches Namenbuch: Orts- und sonstige geographische
Namen, Bd. 2,2. 3., völlig neu bearb., um 100 Jahre erw. Aufl., hrsg. von Hermann
Jellinghaus, Bonn 1916, Sp. 1551.
4 Ausführlich behandelt bei Udolph: Namenkundliche Studien (wie Anm. 3), S. 199-
218.
53 Udolph: „Die Ortsnamen auf -ithi“ (wie Anm. 44), S. 104 (daraus auch die histori-
schen Belege).
36 Möller, Reinhold: Dentalsuffixe (wie Anm. 43), S. 75.
37 Udolph: „Die Ortsnamen auf -ithi“ (wie Anm. 44), S. 104, vgl. auch schon Bück-
mann, Ludwig: „Die Ortsnamen des Kreises Peine“, in: Peiner Kreiskalender
(1940) S. 61-66, hierS. 62.
321
Bedeutsam ist ein Blick auf die geographische Lage des Ortes und die geo-
logische Beschaffenheit des Bodens, auf dem Ilsede angelegt ist: Hier gelangt
nämlich unterirdisches Salz bis an die Oberfläche, es steigt hier „in Form von
Pfeilern bis an die Erdoberfläche“.58
7.5. Miele südlich Hermannsburg (Kr. Celle), 14. Jh. Yle, 1378-79 Merten van
deme Yle, 1404 to dem Myle, 1438 To deme Yle,59 geht auf eine Wendung *to
dem Ile, *tom Ile zurück, die durch Veränderung der Silbenstruktur zur Form
to Mile und somit zur neuen Lautung Miele führte. Auch dieser Ort liegt in ge-
wisser Nähe zu Salzquellen, 2,7 km südlich liegt Altensalzkoth, 4,9 km west-
lich liegt Sülze. Ganz deutlich ist der Zusammenhang mit dem Salz bei
unserem letzten norddeutschen Namen.
7.6. Ilten bei Hannover ist schon ausführlich erörtert worden.60 61 62 Hier nur das
Nötigste: (1225-1247) (Abschrift 15. Jahrhundert) Olricus de Ilthene, 1227
Iordanis de Yltenem, 1232 Iordanus de Hiltem, 1234 Olricus de Ilthfenem],
1236 (Abschrift 15. Jahrhundert) Iordanis de Ilten, 1240 Albertus de Iltene,
1240 Iltene usw. führen zu einem Ansatz *Il-tün- oder *II-tüna, zu verglei-
chen mit weiteren niedersächsischen Parallelen wie Anderten, Giften, Gilten,
Ahlten und anderen mehr und zu germanisch *tüna- ,Siedlung, Stadt“, auch
,Zaun\ zu stellen, einem Bildungsmittel, das vor allem durch englisch town,
vor allem auch in den Tausenden von damit gebildeten Ortsnamen {Alton,
Bloomington, Kenton, Chilton, Easton, Weston, Norton, Horton usw.01)
bekannt ist. Dass die Kontakte westgermanischer Siedler zwischen dem Kon-
tinent und England über den Kanal hinweg, also an der engsten und günstigs-
ten Stelle, verlaufen sein müssen, hat eine von mir bisher übersehene Studie
des französischen Linguisten André Martinet zu den französischen -ing-tun-
Namen aus dem Jahr 1996 unterstrichen,6“ auf die mich Helmut Lüdtke (Kiel)
aufmerksam gemacht hat.
Bei diesen Ortsnamen Ilfeld, Ilten, Ilis(un) (Dat. plur.?), Ilde, Ilsede, Miele
ist offenbar von einer Ableitungsgrundlage und einem Bestimmungswort //-
auszugehen. Die Quantität ist nicht sicher bestimmbar. Ein sicherer Anschluss
findet sich in den germanischen Sprachen nicht. Ein Anschluss an eine hydro-
nymische Wurzel, etwa *eI-/*ol- kommt ebenfalls nicht in Frage, weder aus
lautlicher noch aus morphologisch-semantischer Sicht (weder -ithi noch -tun
Harms, J.: Groß-Ilsede und seine Wandlung vom Bauerndorf zum Industriestandort.
Wissenschaftliche Arbeit für das Lehramt an Mittelschulen, Göttingen 1963, S. 17.
59 Belege und Diskussion dieses Namens nach Udolph: „Slavjano-germanskie svjazi“
(wie Anm. 5), S. 87f.
60 NOB I (wie Anm. 9), S. 234f.
61 Vgl. die ausführliche Behandlung bei Udolph: Namenkundliche Studien (wie Anm.
3), S. 609-764.
62 Martinet, André: „Comment les Anglo-Saxons ont-ils accédé à la Grande-
Bretagne?“, in: La Linguistique 32 (1996) H. 2, S. 3-10.
322
sind auf dem Kontinent mit Gewässernamen kombiniert worden).
Ein Blick in die slavischen Sprachen fuhrt sehr schnell zu einer möglichen
Erklärung: il ist ein bereits aus dem Altrussischen und Altpolnischen bezeug-
tes Wort für ,Lehm, Schlamm1, vgl. ukrainisch il ,Schlamm, Letten, Ton,
Lehm\ weißrussisch il ,dünner Schmutz organischer Herkunft im Wasser, auf
dem Boden eines Wasserloches, sumpfiges, graues oder weißfarbiges Land',
russisch il ,Schlamm'.6, Das Wort ist ein alter -w-Stamm und vielleicht ver-
wandt mit lettisch Tis ,stockfinster', sicher aber mit altgriechisch üvg
,Schlamm, Kot', eiXv peXav (,schwarz', bei Hesych erwähnt). In slavischen
Ortsnamen ist es bestens bezeugt (auch auf deutschem Boden z.B. in Ihlewitz,
Eulowitz, Hau, Eula), aber es muss auch im Baltischen vorhanden gewesen
sein: der bekannteste davon abgeleitete Name ist wahrscheinlich Preuß.
Eylau.
Elnter diesem Gesichtspunkt werden einige Hinweise auf den Boden Iltens
und dessen Besonderheiten interessant. Hugo Remmert hat die geologischen
Verhältnisse in und um Ilten Umrissen und dann ausgeführt: „Das hat [...] zur
Folge, daß im östlichen Teil unserer Feldmark Salzwasserquellen zu Tage
treten, von denen unsere Fluren zum Teil seit Jahrhunderten ihren Namen
tragen.“ * 64 Er weist hin auf Siilter Kamp (1584 erwähnt) und Flurnamen wie
Siilter Bruch, Siilter Berg, Soltspring. Darin enthalten ist niederdeutsch solt
,Salz‘. Weiter heißt es bei Remmert unter Bezug auf die Flur Siilter Kamp und
eine Weide mit salzigen Quellen, Soltspring genannt:
Wie salzhaltig das Wasser hier ist, sieht man am besten daran, daß die
Bäume an der Lehrter Straße nicht gedeihen wollen und immer wieder
ersetzt werden müssen. Versuche, [...] die große Pestwurz (Petasites
officinalis) heimisch zu machen, scheiterten am Salzgehalt des Wassers
[...] [das] Gelände heißt Sülter Bruch [...] und weiter östlich Siilter Berg
[...] Man kannte also in Ilten den Salzgehalt des Grundwassers dieser
Fluren schon lange Zeit, bevor unsere Kaliwerke hier entstanden.
Flurnamen und Bodenbeschaffenheit weisen darauf hin, dass in und bei
Ilten der Einfluss eines Salzstocks bis an die Oberfläche reicht. Es hat den An-
schein, dass das alte Wort *il eine Bezeichnung für die Oberflächenbeschaffen-
heit des Gebietes um Ilten, vielleicht auch eine Bezeichnung des unter dem
Boden liegenden Salzes ist. Im lebendigen Wortschatz ist das Wort il allerdings
nicht mehr zu finden. Nur die Ortsnamen bewahren die Spuren desselben.
Wenn die hier behandelten Namen Ilfeld (*Il-feld), Ilde (*Il-ithi), Eilensen
(*II-isa), Ilsede (*Il-is-ithi), Miele {*11-, etwa *Il-ä?) und Ilten (*Il-tüna) mit
dem slavischen Wort il verbunden werden können, so kann es sich bei den
Ausführlich behandelt bei Udolph, Jürgen: Studien zu slavischen Gewässernamen
und Gewässerbezeichnungen: ein Beitrag zur Frage nach der Urheimat der Slaven
(Beiträge zur Namenforschung Beiheft, N.F. 17), Heidelberg 1979, S. 152-163.
64 Remmert, Hugo: Aus Iltens Geschichte, Ilten 1962, S. 22.
323
norddeutschen Entsprechungen aber keineswegs um slavische Namen han-
deln. Vielmehr zeigen die Bildungen deutlich {-feld, -ithi-Suffix, -s-Formans,
-tun-), dass wir Relikte aus einer germanischen Zeit vor uns haben, deren
Ableitungsbasis allerdings aus den germanischen Sprachen nicht mehr ermit-
telt werden kann. Auch die westlichen Verwandten des Germanischen (und
auch das Keltische) helfen uns nicht weiter. Allein der Blick nach und von
Osten fuhrt zu einer Klärung der umstrittenen Namen. Vielleicht kann hier
auch ein vor 40 Jahren behandelter Ortsname, der damals Emst Eichler
Probleme bereitete und den er den noch nicht geklärten Fällen zuordnete,63
angeschlossen werden: gemeint ist Eilenburg nordöstlich Leipzig, früh
erwähnt (961 civitas Ilburg, 981 Hilburg, 1000 llburg), womit vielleicht auch
ein Hinweis auf die Länge des -/- gefunden werden könnte. Im Historischen
Ortsnamenbuch von Sachsen66 wird mit Recht betont, dass das Bestimmungs-
wort II- in Eilenburg vorslavischer Herkunft sein dürfte und noch weiterer
Klärung bedarf.
8. Ihme, Ehmen
Ein eklatanter Fall der Übereinstimmung mit dem Baltischen liegt in dem
Fluss- und Ortsnamen Ihme (Kreis Hannover) vor/1 Die älteren Belege 1091
Herimannvs de Imina, nach 1124 in occidentali ripa Himene fluminis;
Himenenen, 1310 Ymene, 1347 Ymene, 1385 Ymene usw. zeigen, dass man
von einer Grundform mit -/7-Suffix, wahrscheinlich *Imina, *Imena auszu-
gehen hat. Im Einklang mit indogermanischer Partizipialbildung wird man am
ehesten auf ein Rekonstrukt *Eimena zurückgehen dürfen. Vorindogerma-
nisches* * 67 68 kann gut beiseite bleiben, zumal der Name eine offenbar maskuline
Entsprechung *Eimenos in dem Ortsnamen Ehmen (Ortsteil von Wolfsburg)
besitzt, 942 in villa Gimin, um 1160 ecclesiam in Imen, 1224 Eemen.
Eichler, Emst: Die Orts- und Flußnamen der Kreise Delitzsch und Eilenburg:
Studien zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte im Saale-Mulde-Gebiet
(Deutsch-slavische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte 4),
Halle 1958, S. 29f.
6(1 Eichler, Emst / Walther, Hans (Hg.): Historisches Ortsnamenbuch von Sachsen, Bd.
1: A-L (Quellen und Forschungen zu sächsischen Geschichte 21), Berlin 2001, S.
236.
67 Ich fasse mich im Folgenden kurz; ausführlicher wurde der Name schon an ande-
rem Ort behandelt, s. NOB I (wie Anm. 9), S. 230-232, vgl. auch Udolph: „Bal-
tisches in Niedersachsen?“ (wie Anm. 5), S. 500.
M So Kuhn, Hans: Das letzte Indogermanisch (Abhandlungen der Geistes- und Sozial-
wissenschaftlichen Klasse, Akademie der Wissenschaften und der Literatur in
Mainz 1978,4), Mainz / Wiesbaden 1978, S. 5.
324
Die Namen werden das im Germanischen nicht mehr fassbare Partizipial-
suffix -meno- enthalten'19 und zu der indogermanischen Bewegungswurzel * ei-
gehören (lateinisch ire, slavisch iti, erweitert auch in altsächsisch Jlian
,eilen* 1 2 * 4). Die Bestätigung für diese Deutung und eine frappante Übereinstim-
mung findet sich im Baltischen mit litauisch eimenä, -ös, etmenas ,Bach4.70
Das zur Deutung von Ihme und Ehmen gelegentlich herangezogene süd-
hessische Dialektwort Eimen, Eime ,tiefer liegende, in der Regel feuchte oder
sumpfige Stelle im Gelände, nasse Bodensenke, bes. in Wiesen; größere
Wasserpfutze, Weiher am Dorfrand4 bleibt fern. Es enthält wahrscheinlich
entrundetes Ei- aus Eu- und gehört letztlich wohl als Lehnwort zu lateinisch
hümidus, ümidus ,feucht, nass4.71
9. Jiirsenbostel, Jürse(nbach)
Jürsenbostel heißt eine Wüstung ca. 1500 m südwestlich von Mellendorf
(Kreis Hannover). Die älteren Formen 2 weichen davon kaum ab: um 1360 to
deme Jursenborstle, 1381 van deme Jursenborstele, 1438 Jursenborstel. Der
Name enthält im Grundwort das relativ junge norddeutsche Namenelement
-bo(r)stel < *-bür-stal-i} und im Bestimmungswort den Namen des Leinezu-
flusses Jursenbach, Mitte 15. Jh. vp der Jursen, 1771 die Guerse, Guerse
Bach.14
Der Flussname kann wegen des gelegentlich aufscheinenden Umlauts auf
*Jurisa zurückgeführt werden und findet dann leichten Anschluss an die indo-
germanische Basis *jür-, die vor allem in Osteuropa zur Bildung von Gewäs-
sernamen verwendet wurde. Hierher gehören u.a. Jura, Zufluss der Narew in
Polen; Jura, Jure, Jury, Orts- und Flussnamen im Baltikum; Juras, in der
Antike bezeugter Flussname in Thrakien; Jorka, dt. Jauer Fließ, in Ost-
69 Zu diesem Suffix und der darin oft falsch vermuteten Kombination von zwei
Suffixen (-m-n-) vgl. zuletzt Udolph: „Suffixbildungen“ (wie Anm. 48), S. 15 lf.
70 Zu diesem Wort, baltischem Namenmaterial und weiterer Literatur vgl. Biolik,
Maria: Die Namen derßießenden Gewässer im Flußgebiet des Pregel (Hydronymia
Europaea 11), Stuttgart 1996, S. 55.
1 Ramge, Hans / Riecke, Jörg (Hg.): Südhessisches Flurnamenbuch (Arbeiten der
Hessischen Historischen Kommission N.F. 23), Darmstadt 2002, S. 32lf.
2 Dazu und zum Folgenden vgl. die ausführlichere Darstellung in NOB I (wie Anm.
9), S. 244f., siehe auch Udolph: „Baltisches in Niedersachsen?“ (wie Anm. 5), S.
500f.
Vgl. Franke, Hartwig: Die -èorsteZ-Namen, Magister-Arbeit, Münster 1972; Franke,
Hartwig: „Die -borstel-Namen“, in: Niederdeutsches Wort 15 (1975) S. 36-59.
4 Borchers, Ulrich: Das Flußgebiet der Unten\’eser und der mittleren Weser (Hydro-
nymia Germaniae A 18), Stuttgart 2005, S. 68.
325
preußen und andere mehr.75 76 Die Namen besitzen vor allem im Wortschatz der
baltischen Sprachen sichere Entsprechungen: altpreußisch iurin (Akk. Sing.)
,Meer% litauisch jüra, jüros, lettisch jura, jure ,Meer, Ostsee, große Wasser-
fläche1, litauisch jäura, jäure ,sumpfige, unzugängliche Stelle, Morast,
quellenreicher Ort1.
10. Lameste ist eine ca. 1 km nördlich von Gümmer am anderen Ufer der
Leine bei Hannover gelegene Wüstung, 1211 Lammeste, 1282 (A. 15. Jh.)
Lameste, 1330-1352 Lamesten, 1362 Lameste.'(1 Es handelt sich um eine Bil-
dung mit einem -sV-Suffix. Weitere Namen mit demselben Erstglied sind die
Flussnamen Lämmer bei Salzburg und Lamme, Nebenfluss der Innerste (mit
Ortsname Lamspringe), ferner Lamme, Ortsteil von Braunschweig, 780-802
(A. 12. Jh.) Lammari, später nur Lamme. Zugrunde liegt wohl ein Jasser-
wort1, das sich vor allem im Osten Europas findet, so in baltischen und slawi-
schen Wörtern wie lom .Bruch, Windbruch1, lomci ,niedrige Stelle auf dem
Acker1, lama ,Pfütze, Grube1, wobei der Wechsel zwischen -o- und -ä- im
Baltischen auf den aus den Vrddhi-Bildungen bekannten altertümlichen Ab-
laut hinweist. Die Lage von Lameste im Niederungs- und Überschwemmungs-
gebiet der Leine passt zu dieser Deutung.
11. Im Ortsnamen Lühnde (Kr. Hildesheim) ist die Beziehung zum Baltischen
noch deutlicher als bei Jürstenbostel zu erkennen. 77 * Aufgrund der ältesten und
für die Deutung sehr wichtigen Belege 1117 (Kopie 16. Jahrhundert) in villa
Lulende, 1147 (Transsumpt 1573) in Lulene, Variante: Luuele, 12. Jahrhun-
dert (Kopie 16. Jahrhundert) in vico [...] Liuline (korrigiert aus liuline), 1157
(Kopie) in Lulene, a. 1178 (Kopie 16. Jh.) in parochia Liulinde, 1207 (Kopie)
in Lulede (zweimal), de Lulede, 1235 Eckehardus de Lunene usw. ist eine zu
vermutende -//^/-Bildung abzulehnen. Als mutmaßliche Grundform, die den
stark variierenden Schreibungen am ehesten gerecht wird, darf * Lulende ange-
setzt werden.
Unter diesem Aspekt findet sich in den germanischen Sprachen kein
sicherer Anschluss. Anders im Baltischen: Georg Gerullis7* verzeichnet einen
Ortsnamen 1331 Lulegarbis, Lulegarbs und verbindet diesen Namen mit
Ausführlich behandelt bei Udolph: Die Stellung (wie Anm. 3), S. 128ff. mit Hin-
weis auf weitere Literatur.
76 NOB I (wie Anm. 9), S. 272f.
Auch hier beschränke ich mich auf das Wesentlichste; zur ausführlicheren Dar-
stellung vgl. Udolph, Jürgen: „Südniedersächsische Ortsnamen“, in: Namenkund-
liche Informationen 71/72 (1997) S. 76-88, hier S. 82; vgl. auch Udolph: „Balti-
sches in Niedersachsen?“ (wie Anm. 6), S. 50lf.
s Gerullis, Georg: Die altpreußischen Ortsnamen, Berlin / Leipzig 1922, S. 92.
326
litauisch liulynas .quebbiger Wiesen- und Moorgrund4.79 80 Weiteres wichtiges
Material bietet Aleksandras Vanagas811 mit Liülencia, Seename in Litauen,
litauisch liuleti schwanken, quabbeln, sich geleeartig bewegen4, z.B. liulama
pelke ,ein schwankendes Bruch4. Weiter bietet Vanagas litauische Gewässer-
namen wie Liülys, Liül-iupys, die mit liüliuoti schwanken, wogen, sich schau-
keln lassen4 zu verbinden sind. Entsprechungen finden sich ferner im bal-
tischen Substrat des Oka-Gebietes.81 82
Hier kann der Ortsname Lühnde mit einer Grundform *Lulindi (ausge-
richtet nach der altsächsischen Flexion des Partizips Präsens) angeschlossen
und auf eine indogermanische Vorlage *Lulint- zurückgeführt werden. Der
Name ist als ursprüngliche Partizipialbildung aufzufassen (entsprechend etwa
den -me«-Bildungen, die oben bei Ihme behandelt worden sind) und bezog
sich offenbar auf eine sumpfige Stelle in oder bei der Siedlung. Die Ablei-
tungsgrundlage kann als -/-Erweiterung zu der weit gestreuten indogerma-
nischen Wurzel *leu-, *lu- ,Schmutz, Dreck, Morast4 aufgefasst werden.
12. Der Wüstungsname Mülingen bei Kissenbrück (Kr. Wolfenbüttel) ist mit
seinen ältesten Belegen wie folgt bezeugt: 1379-93 (Kopie 15. Jahrhundert)
tho Mülyngen, 1401 (Kopie 15. Jahrhundert) Mulinge hii Kissenbruge, 1401
(Kopie 15. Jahrhundert) to Mulinge*~ Der mit dem Suffix -ing(en) gebildete
Name wird von Kirstin Casemir mit Recht zu einer indogermanischen Wurzel
*meu-, mu- ,feucht, modrig4 gestellt, die in polnisch mul, ukrainisch mul,
tschechisch mula ,Schlamm, Sumpf, Moder4 belegt und mit litauisch mülti
,schmutzig werden4 verwandt ist.83
13. Seinstedt im Kreis Wolfenbüttel, 996 (Kopie) Sianstidi, 1022 (Fälschung
2. Hälfte 12. Jahrhundert) Senstid, 1187 Senstide, 1217 Senstide, 1383
Senstidde, 1403 Seynstede, enthält nach Kirstin Casemir84 im Bestimmungs-
wort eine -«-Ableitung zu der indogermanischen Wurzel *seu-, *sü- feuch-
tes, rinnen4, die auch in althochdeutsch sou, altenglisch seaw ,Saft‘ belegt ist.
Die für Seinstedt anzusetzende -«-Erweiterung ist im Germanischen aber nicht
9 Vgl. dazu Kurschat, Alexander: Litauisch-deutsches Wörterbuch, Bd. 2, Göttingen
1970, S. 1334.
80 Vanagas, Aleksandras: Lietuviy hidronimy etimologinis zodynas, Vilnius 1981, S.
194.
S1 Toporov, Vladimir N.: Prusskij jazyk, Bd. 5, Moskva 1990, S. 66.
82 NOB 111 (wie Anm. 9), S. 244f.
83 Vgl. dazu Vasmer, Max: Russisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 2, Heidelberg
1956, S. 172.
84 NOB III (wie Anm. 9), S. 296f.
327
bezeugt, wohl aber im Baltischen, nämlich in lettischen sünäs ,Moos\ Hierher
gehört auch der Flussname Sunka im Gebiet des PregelF Bei Seinstedt ist
jedoch von *seu-n-, nicht von *sü-n- oder *sün~ auszugehen. Eine Deutung
als Feuchtigkeit, Moor1 überzeugt aufgrund der Lage an einem ausgedehnten
Bruch- und Sumpfgebiet.
14. Üfingen, Ortsteil von Salzgitter, 1022 (Fälschung 2. Hälfte 12. Jahrhun-
dert) Wingon, 1196-97 (Kopie 14. Jahrhundert) Uvinge, 1236 Vfingun, 1297
Uvinghe, 1441 Ufynghe, 1630 Üfingen,85 86 87 88 89 * 91 ein mit dem Suffix -ing(en) gebilde-
ter Name, enthält ein Element, das unter Einbeziehung des Namens Üfte,
Kreis Wesel, als germanisch *Uf- anzusetzen ist und damit eine genaue Ent-
sprechung in litauisch upe ,Fluss4 besitzt, das zur verbreiteten ,Wasser-,
Fluss‘-Wurzel *ap- gehört.s Berücksichtigt man den Ortsnamen Upen, 1153-
78 Upponis (Kreis Goslar), sowie Üplingen (Bördekreis), 1049 (Transsumpt
1295) Vpelingon, 1118 (Kopie) in Upplinge, 1150 (Kopie) in Hogen-Upp-
linge, und die Wüstung Üplingen, Kreis Halberstadt, 941 Up/ingi, 941 (Ko-
pie 11. und 15. Jahrhundert) Up/ingi, 945 (Kopie 15. Jahrhundert) Vppelinga,
Variante: Uffelinga,K9 würde sich daneben auch eine Wurzelvarianteg<) mit
indogermanisch *-b~ ergeben, die neben der für Üfingen anzusetzenden *-p-
Form steht.
Gerade das doppelte Vorkommen lässt daran zweifeln, dass in diesen -ing-
Namen - wie vielfach angenommen^1 - ein Personenname vorliegen soll. Für
85 Zu weiteren Namen vgl. Udolph, Jürgen: „Flur-, Orts- und Gewässernamen im
Norden der Gemeinde Belm“, in: Osnabrücker Mitteilungen 104 (1999) S. 57-89,
hier S. 74.
86 Belege und das Folgende nach NOB III (wie Anm. 9), S. 328f.
87 Vgl, dazu auch Schmid, Wolfgang P.: „Gewässernamen zwischen Danuvius und
Don“, in: Reinhard Lauer (Hg.): Slavisches Spektrum. Festschrift für Maximilian
Braun zum 80. Geburtstag (Opera Slavica N.F. 4), Wiesbaden 1983, S. 413.
88 Zu diesem Namen zuletzt Udolph, Jürgen: „Ortsnamen des Magdeburger Landes“,
in: Saskia Luther / Landesheimatbund Sachsen-Anhalt (Hg.): „Magdeburger Na-
menlandschaf t". Orts- und Personennamen der Stadt und der Region Magdeburg:
wissenschaftliche Tagung am 18.-20. November 2004 anlässlich 1200 Jahre Mag-
deburg im Jahr 2005 (Beiträge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalts
38), Halle 2004, S. 38-91, hier S. 69.
89 Zu diesem Namen siehe Udolph, Jürgen: „Ortsnamen um Halberstadt - Zeugen der
Geschichte“, in: Adolf Siebrecht (Hg.): Geschichte und Kultur des Bistums Halber-
stadt 804-1648: Symposium anlässlich 1200 Jahre Bistumsgründung Halberstadt,
24. bis 28. März 2004; Protokollband, Halberstadt 2006, S. 63-89, hier S. 84f.
y(l Für die germanische Namenwelt ausführlich behandelt von Udolph: Namenkund-
liche Studien (wie Anm. 3), S. 50-118.
91 Förstemann: Altdeutsches Namenbuch (wie Anm. 53), Bd. 2, Sp. 1142f.; Berger,
328
einen Zusammenhang mit litauisch upé ,Fluss4 spricht zudem deutsch Ufer,
altfriesisch ovira, mittelniederdeutsch over, meist Neutrum, niederländisch
oever, niederdeutsch öwer, öwer, mittelniederländisch oever, altenglisch öfer,
mit der außergermanischen Entsprechung9" griechisch rjjmipog < *ám:piog
,Festland4 (Homer), was auf eine Etymologie Ufer < mittelhochdeutsch uover
< *äpero- schließen lässt, so dass eine Ableitung mit *-p- > -/- bzw, -d- vor-
liegen wird und in den -£r/?a-Namen auf eine *-ab-Variante geschlossen
werden kann.43
15. Zusammenfassung und Ergebnisse
Obgleich die sechs Bände des Niedersächsischen Ortsnamenbuches, aus dem
die meisten der oben aufgeführten Namen, vermehrt um die genannten
Vergleichsnamen, stammen, nur einen kleinen Teil von Niedersachsen ab-
decken, zeigt sich doch schon jetzt die wichtige Rolle, die die baltischen und
slavischen Sprachen und Namen für die Deutung der niedersächsischen Orts-
namen spielen. Gleichzeitig lassen sich an den angeführten Namen unter-
schiedliche Arten der Beziehungen feststellen. Dabei handelt es sich:
1) Um auf Gewässernamen beruhende Ortsnamen wie Ihme und Jürsen-
bostel, die der alteuropäischen Hydronymie oder einer ihr nahe stehenden Na-
menschicht angehören. Hier bestehen die Verbindungen eher darin, dass ent-
sprechend gebildete Namen sowohl im Baltikum wie in Niedersachsen Vor-
kommen. So können die in den Ortsnamen enthaltenen Gewässernamen für
Forschungen zur alteuropäischen Hydronymie herangezogen werden. Ob alle
Namen der alteuropäischen Hydronymie angehören oder nach analogen Bil-
dungsmustern in die einzelsprachliche Zeit hineinreichen, wäre im Einzelfall
zu klären.* 92 93 94
2) Eine zweite Gruppe von Namen enthält Basen oder Elemente, die nicht
aus dem Germanischen erklärbar sind, da sich keinerlei appellativischer An-
schluss finden lässt bzw. eine entsprechend vorauszusetzende Wurzel nicht im
germanischen Wortschatz produktiv geworden ist. Hier bilden wie bei
Dieter: „Stabende Gruppen unter den deutschen Ortsnamen auf -leben“, in: Beiträ-
ge zur Namenforschung 9 (1958) S. 129-154, hier S. 142, Anm. 79.
92 Schmid, Wolfgang P.: Wasser und Stein, in: Hermann M. Ölberg (Hg.): Sprachwis-
senschaftliche Forschungen. Festschrift für Johann Knobloch; zum 65. Geburtstag
am 5.1.1984 dargebracht von Freunden und Kollegen (Innsbrucker Beiträge zur
Kulturwissenschaft 23), Innsbruck 1985, S. 385-391, hier S. 386; Udolph: Namen-
kundliche Studien (wie Anm. 3), S. 809-819.
93 Udolph: Namenkundliche Studien (wie Anm. 3), S. 83-87.
94 Einige gehören mit Sicherheit einer Art ,Zwischenperiode4 an, für die ich erste Ver-
suche an anderer Stelle (Udolph: Namenkundliche Studien [wie Anm. 3], S. 16-49
und passim) vorgelegt habe.
329
Börßum, Heiningen oder Lühnde das Baltische und Slavische den Anhalts-
punkt, um Namen deuten zu können, die anders nicht erklärbar sind. Es wird
sich entweder um voreinzelsprachliche Reste einer Sprachschicht handeln, die
besonders enge Beziehungen zum Baltischen und Slavischen besitzen oder
zum Teil besonders gut im Baltischen oder Slavischen bewahrt wurden, d.h.
die zentrale Position des Baltischen belegen45, oder aber - in die germanische
Einzelsprachlichkeit häneinreichend - dazu beitragen, für das Germanische
nur im Baltischen bewahrte Appellative bzw. Stämme zu sichern.
3) Eine dritte Gruppe von Namen schließlich enthält Basen, deren Ver-
wandte zwar im Germanischen nachweisbar sind, aber dennoch, um zu einer
überzeugenden Deutung zu gelangen, des Baltischen bedürfen. Das betrifft etwa
wie bei Seinstedt die für den Ortsnamen anzusetzenden Wurzelerweiterungen,
die nicht im Germanischen, wohl aber im Baltischen belegt werden und so auch
für den jeweiligen Ortsnamen wahrscheinlich gemacht werden können.
4) Viertens gehören dazu auch wie bei Dolgen oder Üßngen germanisch
belegte Basen, die in der entsprechenden Ablautstufe ebenfalls nicht im Ger-
manischen, sondern nur im Baltischen bezeugt sind.
Hier sei auch noch einmal betont, dass nicht nur die Hydronymie, sondern
in hohem Maß auch die Toponymie wertvolle Erkenntnisse über die baltisch-
germanischen Beziehungen liefern kann und die Bedeutung des Baltischen für
die niedersächsische Ortsnamenforschung nicht zu unterschätzen ist.95 96
Aber auch das Slavische ist zu berücksichtigen. Slavica non leguntur -
,Slavisches liest man nicht‘ oder: ,Es lohnt sich nicht, Slavisches zu lesen‘,
ein Merkvers dieser Art bestimmte lange das Verhältnis der interessierten
Öffentlichkeit, der Germanistik und weiter Bereiche des wissenschaftlichen
Interesses Deutschlands gegenüber dem europäischen Osten, speziell zu des-
sen slavischen Ländern, Sprachen und deren Geschichte. Viel intensiver hat
man sich in Deutschland etwa mit dem Keltischen befasst; noch heute zeigen
Leserbriefe an die großen Tageszeitungen, wie sehr die Öffentlichkeit von
dem Virus der ,Keltomanie‘ der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahr-
hunderts durchsetzt war und heute zum Teil auch noch ist. Aber diese Ansicht
reicht auch bis in die wissenschaftliche Diskussion hinein. So heißt es etwa
bei Claus Jürgen Hutterer in einer Besprechung meiner Versuche: „Eine Aus-
einandersetzung mit den kelt. Einflüsssen in den germ, Sprachen, die doch
eine alte Überlegenheit reflektieren, bleibt leider aus.“97
95 Ausführlich begründet von Schmid: „Baltische Gewässernamen“ (wie Anm. 1).
96 Hierzu vergleiche man auch Dini, Pietro U. und Udolph, Jürgen: „Slavisch-Bal-
tisch-Germanische Übereinstimmungen“ (wie Anm. 3). Weiteres findet sich bei
Casemir, Kirstin / Udolph, Jürgen: „Die Bedeutung des Baltischen für die nieder-
sächsische Ortsnamenforschung“, in: Baitu onomastikos tyrimai. Gedenkschrift für
Aleksandras Vanagas, Vilnius 2007, S. 114-136.
97 Hutterer, Claus Jürgen: „Rezension zu: J. Udolph, Namenkundliche Studien zum
330
Wichtig scheint mir auch der Nutzen für ein anderes, anfangs kurz gestreif-
tes älteres, heute aber fast vergessenes Problem zu sein: wenn das hier vorge-
stellte Material in seinem Kern dafür spricht, dass es in der Hydronymie und
Toponymie besondere Beziehungen zwischen dem Südosten Niedersachsens
und dem Baltikum gibt und sich diese Erscheinung nahtlos in das bisher schon
bekannte Bild der besonderen Position des Baltischen einpassen lässt, ja man
sogar den Eindruck gewinnen könnte, Balten hätten in Niedersachsen Namen
gegeben (Dransfeld, Ihme, Jürse, Lühndel), so kann von vomeherein auch
erwartet werden, dass entsprechende, mit dem Baltischen eng verbundene
Namen auch in dem Raum zwischen dem Baltikum und Niedersachsen
vorhanden sind. Um es mit dem Titel eines Beitrages von Hermann Schall zu
fassen: „Baltische Sprachreste zwischen Elbe und Weichsel“4* sind zu er-
warten, sie dürfen aber nicht in dem von ihm verstandenen Sinne interpretiert
werden, dass es sich um Relikte handelt, die von Balten gegeben wurden. Es
wird sich dabei viel eher - wie in Niedersachsen - um voreinzelsprachliche
Reste einer Sprachschicht handeln, die besonders enge Beziehungen zum Bal-
tischen besitzen oder zum Teil besonders gut im Baltischen bewahrt wurden.
Summary
Baltic and Slavic Elements in German Place-Names?
The central position of the Baltic within the Old European Hydronymy (W.P.
Schmid) has consequences for the evaluation of river names in the Germania.
Still, even the Slavic has to be included, since the thesis of a Baltic-Slavic-
Germanic intermediate stage is by all means a current issue.
In this connection, it is of special importance that there are place names and
river names in Northern Germany whose appellativistic bases imply closer
contacts with the Baltic and the Slavic. These phenomenons are not only of
importance for the analysis of the early times and the classification of
Germanic, but also for the role of which has to be ascribed to the Old Euro-
pean Hydronymy, this theory having been and still being exposed to severe
criticism. This essay tries to show that an unprejudiced evaluation of the
theory of Old European language only can take place by thorough exami-
nation of the Eastern European languages and their name territory.
Germanenproblem“, in: Germanistik 36 (1995) S. 387.
l)H Schall, Hermann: „Baltische Sprachreste zwischen Elbe und Weichsel“, in: For-
schungen und Fortschritte 36 (1962) S. 56-61; vgl. ferner Schall, Hermann: „Bal-
tisch-slawische Sprachgemeinschaft zwischen Elbe und Weichsel“, in: Atti e
Memorie del VII Congresso Internaziole di Science Onomastiche, Bd. 2: Memorie
della sezione toponomastica, Firenze 1963, S. 385-404; Schall, Hermann: „Balti-
sche Dialekte im Namengut Nordwestslawiens“, in: Zeitschrift für vergleichende
Sprachforschung 79 (1964) S. 123-170.
331
Wolfgang Janka
Zur lautlichen und strukturellen Integration von
slavischen Orts- und Personennamen in Nordbayern
1. Einführende Bemerkungen
Der vorliegende Beitrag basiert auf Ergebnissen des von 1996 bis 2004 an den
Universitäten Regensburg und Leipzig betriebenen Forschungsprojekts „Sla-
ven in Nordbayern (Bavaria Slavica)“1 und meiner im Jahr 2004 begonnenen
Arbeit an dem daran anknüpfenden Projekt „Slavische Sprachelemente in
Ortsnamen Ostbayems (Oberpfalz und Niederbayem)“. Im Rahmen von „Ba-
varia Slavica“ sind die Siedlungsnamen der oberfränkischen Landkreise Bam-
berg und Bayreuth, die slavisches Sprachmaterial enthalten oder mit deut-
schem Sprachmaterial auf ehemalige slavische Bevölkerung hinweisen, einer
sprachwissenschaftlichen Analyse unterzogen worden. Die Ergebnisse dieser
Projektarbeit können Band 1 und 2 der Reihe „Beiträge zur slavisch-deutschen
Sprachkontaktforschung“ (= BSDS I, II) entnommen werden.
Das Untersuchungsgebiet des Folgeprojekts umfasst die bayerischen Re-
gierungsbezirke Oberpfalz und Niederbayem. Es grenzt im Norden an den Re-
gierungsbezirk Oberfranken (Landkreise Bayreuth und Wunsiede!) und im
Osten an die Tschechische Republik an. In diesem Projekt werden neben Sied-
lungsnamen auch Gewässer- und Bergnamen sowie früh bezeugte Flurnamen
behandelt. Nach Abschluss der Untersuchung der Slavica dieses Gebiets wird
insgesamt mehr als die Hälfte des einschlägigen Ortsnamenmaterials des
slavisch-deutschen Kontaktgebiets Nordbayem gemäß der Methodik von
„Bavaria Slavica“ bearbeitet sein.
Die folgende Betrachtung der Integration des bayernslavischen2 Sprachguts
bezieht sich auf die Ebenen der Phonologie und der Morphologie. Dabei
werde ich vor allem auf Erscheinungen eingehen, die mit der exakteren Be-
stimmung von rekonstruierten Grundformen, der Beurteilung der Wahrschein-
lichkeit von Etymologien oder mit siedlungsgeschichtlichen Überlegungen
Zusammenhängen. Gegenstand dieser Untersuchung sind neben slavischen
Ortsnamen auch slavische Personennamen, die entweder als Ableitungsbasis
für slavische Ortsnamen fungieren oder in so genannten slavisch-deutschen
! Zu Zielsetzung, Methodik und ersten Ergebnissen von „Bavaria Slavica“ siehe
Janka 2001.
2 Der von Vladimir Smilauer (1970, S. 8) eingefuhrte Terminus bayernslavisch dient
zur provisorischen Bezeichnung der ehemals auf dem Gebiet des heutigen Freistaats
Bayern gesprochenen slavischen Mundarten. Zur Stellung des Bayernslavischen
innerhalb des slavisch-deutschen Kontaktgebiets siehe Eichler 1998.
333
Mischnamen' enthalten sind. Die Übernahme dieser Orts- und Personennamen
ins Deutsche vollzog sich in Nordbayem im Zeitraum vom 8. bis zum 12./13.
Jahrhundert. Nach der phonemischen und morphemischen Eingliederung ent-
wickelten sich die Ortsnamen im Ostfränkischen bzw. in bairischen Dialekten
lautlich weiter bis hin zur rezenten mundartlichen Aussprache. Es zeigt sich,
dass die Berücksichtigung von Mundartformen bei der Analyse von Integra-
tionsphänomenen unerlässlich ist.
2. Phonemische Integration
Hier werden exemplarisch die vokalischen Phoneme slav. /a/, /0/, /t>/, /1/ und
die konsonantischen Phoneme slav. /b/ und /c/ beleuchtet. Bei den Beispielna-
men wird jeweils von der erschlossenen slavischen Grundform ausgegangen.
Es folgen wichtige historische Belege, die Mundartform* 4 und die heutige amt-
liche Namenform.
2.1. Slav. /a/
Bei dem Phonem a handelte es sich ursprünglich, d.h. im Urslavischen, um
einen Langvokal, der jedoch positionsbedingt schon früh gekürzt werden
konnte. In einigen Fällen kann aus der Untersuchung der Entwicklung von
Ortsnamen im Deutschen auf die Quantität dieses Vokals zum Zeitpunkt der
Lautsubstitution geschlossen werden. Dabei muss man allerdings auch grund-
sätzlich beachten, dass im Deutschen originäre Langvokale - v.a. in neben-
tonigen oder unbetonten Silben - von einer Kürzung bzw. sogar von einer Ab-
schwächung bis zum Reduktionsvokal betroffen sein können.
SN *Lazane\ 1218 (Kopie 13. Jh. E.) Lasan, um 1225 Lasan > [lpgstt], Losau
(Lkr. Schwandorf)
Bei der slavischen Grundform *Lazane, einer Ableitung mit dem Be-
wohnernamensuffix -jane von slav. *lazb ,Rodung1, stand das erste a nach der
Eindeutschung des Toponyms in der haupttonigen Silbe. Die ältesten schrift-
lichen Nennungen des Siedlungsnamens aus dem 13. Jahrhundert lassen zwar
In Nordbayem lassen sich drei Grundtypen von slavisch-deutschen Mischnamen
unterscheiden: (1) Personenname slavischer Herkunft in genetivischer Form + deut-
sches Grundwort (-dorf -berg, -reuth u.a.), (2) Personenname slavischer Herkunft
im Genetiv (ohne Grundwort), (3) Personenname slavischer Herkunft als Ablei-
tungsbasis + deutsches Suffix -ing (vgl. Janka 2003, S. 35-38).
4 Die Transkription der dialektalen Aussprache erfolgt gemäß den Richtlinien für die
Bearbeitung des Historischen Ortsnamenbuchs von Bayern (HONB), siehe Zeit-
schrift für bayerische Landesgeschichte 53/2 (1990) S. 444-446. Davon abweichend
wird hier der Hauptton nicht durch Akzent, sondern durch der betreffenden Silbe
vorangestelltes 1 bezeichnet (Betonung der ersten Silbe bleibt unmarkiert). Der
Zirkumflex A dient zur Bezeichnung der Halblänge.
334
Schlüsse auf die Qualität, nicht jedoch auf die Quantität dieses Vokals zu.
Auch die rezente Schreibform Losau hilft diesbezüglich nicht weiter. Der
darin enthaltene Langvokal ö kann theoretisch sowohl auf langes als auch auf
kurzes slavisches a zurückgeführt werden. Erst durch die Berücksichtigung
der Mundartform wird eine eindeutige Aussage möglich. Die Siedlung Losau
liegt im nordbairischen Dialektgebiet, und im Nordbairischen kann der Diph-
thong [94] nur auf den Langvokal ä zurückgehen. Kurzes a hätte sich hier
zum Monophthong [ö] entwickelt. Slav. a wurde also in diesem Fall eindeutig
durch ä ersetzt. Auch im Landkreis Bayreuth begegnet der auf slav. *Lazane
beruhende Siedlungsname Losau. Dessen ostfränkische Mundartform [lösn]
gibt keinen Aufschluss über die Quantität des substituierenden Vokals, doch
liegt uns hier auch eine dialektale Namenform aus dem nur wenige Kilometer
entfernten nordbairischen Gebiet vor, die wie bei dem in der Oberpfalz gele-
genen Losau [1qi|su] lautet und uns damit zum gleichen Ergebnis führt/
SN *Nambgoscb: 1119 (Fälschung 12. Jh. E.) Namegast, 1366-68 Nongast >
[oqijkns], Nunkas (abgegangen westl. Grafenwöhr, Lkr. Neustadt a. d. Wald-
naab)
Auch bei diesem Beispiel, einer Ableitung mit dem possessivischen Suffix
-jb von dem Personennamen *Nambgostb, weist der dialektale Diphthong auf
den Langvokal ä als Ersatzlaut. Nur erscheint er hier vor Nasal in der für das
Nordbairische kennzeichnenden Lautung [09]. Aus den historischen Erwäh-
nungen des Siedlungsnamens ist die Vokalquantität nicht zu erschließen. Die
zuletzt greifbare Namenform Nunkas aus dem 20. Jahrhundert enthält den
Kurzvokal u.
PN *Mal-nu: SN 1218 Malasrvth, 1268 Molansrevt > [mälns'rTnd], Mallers-
richt (Stadt Weiden i. d. OPf.)
Der im Bestimmungswort des Mischnamens Maliersricht enthaltene slavi-
sche Personenname zum Stamm *Mal- (bzw. *Mäl-) ist mit einem «-Suffix
gebildet. Die Belege des 13. Jahrhunderts deuten daraufhin, dass am ehesten
von *Malan(b) auszugehen ist. Angesichts der Vokalkürze in der rezenten
Schreibform und auch in der Mundart stellt sich die Frage, ob sich die Kür-
zung bereits im Slavischen (vgl. alttschechische Personennamen wie Malhost,
Malis oder Mal’ata mit kurzem a) oder aber erst im Deutschen, wo a in
nebentoniger Silbe stand, vollzogen hat. Eine Entscheidung ist nach derzeiti-
gem Erkenntnisstand nicht möglich. * 6
Allgemein ist zu bemerken, dass der nordbairische Dialekt für unsere Zwecke eine
sehr gute Grundlage bietet, weil er im Bereich des Vokalismus stark ausdifferen-
ziert ist und damit ein bestimmter mundartlicher Vokal meist einem bestimmten alt-
hochdeutschen oder mittelhochdeutschen Vokal zugeordnet werden kann.
6 Svoboda 1964, S. 78, 151, 164.
335
PN *Tasbkb\ SN 1118-25 (Kopie um 1170) Taeskingin > [dq$en], Tasching
(Lkr. Cham)
Auch bei dem Personennamen *Tasbkb kann schon im Slavischen eine
Kürzung des Vokals a erfolgt sein. Der darauf beruhende Siedlungsname
Tasching soll als Beispiel dafür dienen, dass für a aus Namen slavischer Her-
kunft in Nordbayem bei Umlautung im Deutschen bislang nur der Sekundär-
umlaut ä sicher nachgewiesen ist. Überzeugende Belege für den Primärumlaut
e fehlen dagegen. Zwar kann im Ostfränkischen beim umgelauteten Kurz-
vokal a (ohne spätere Dehnung) nicht zwischen dem Primär- und dem Sekun-
därumlaut unterschieden werden,7 8 doch zeigen die einschlägigen Siedlungs-
namen in ihren ältesten Belegen ^-Schreibungen (so z.B. Melkendorf, 12. Jh.
Malikendorf zum slavischen Personennamen *Malikb),H so dass man von se-
kundärer Palatalisierung auszugehen hat.
SN *Drazovici: 1218 Dreeswitz > [drqswjts], Treswitz, Burg-, Alten- (Lkr.
Neustadt a. d. Waldnaab)
Auch für a in Liquidaverbindungen lässt sich keine Primärumlautung fest-
stellen. Das helle [q] der Mundartform des Siedlungsnamens Treswitz, dem
eine patronymische Bildung zu dem Personennamen *Drazb zugrunde liegt,
entspricht mhd. ä. Man darf sich hier nicht von der heutigen amtlichen
Namenform mit e täuschen lassen. In der historischen Überlieferung wurde
das Phonem ä mit a, ä, ä, ce und auch mit e wiedergegeben, wobei sich in
diesem Fall - bedingt durch regionale Schreibgewohnheiten - e durchgesetzt
hat.
Wenn wir nun in Nordbayern keinen einzigen sicheren Fall von Primärum-
lautung vorliegen haben, so kann das Auswirkungen auf bisher unklare oder
unsichere Etymologien haben. Ein Beispiel hierfür bietet der Siedlungsname
Schletten, Kirch-, Windi[sch]~ (Lkr. Bamberg), 1125 Sletin, 1 143 Sletene, ma.
[slladn]. Zur Erklärung von Schienen wurden in BSDS I, S. 155f. noch mehre-
re Alternativen vorgeschlagen, darunter auch die slavische Grundform *Slati-
na zu dem Appellativ *slafina ,Sumpf, Morast, Salzquelle1. Dieser Ansatz ist
aber wegen des dialektalen Diphthongs [Ta] an die Annahme einer sehr frühen
Umlautung von a zu e gebunden. Da Parallelen fehlen und noch zwei weitere
Argumente gegen *Slatina sprechen - zum einen das für diese Region unge-
wöhnliche Ergebnis der slavischen Liquidenumstellung (zu erwarten wäre
eher -lo- als da-), zum anderen die Weiterentwicklung des Morphems -ina im
Deutschen (zu erwarten wäre Ausfall des n\ s.u.) - muss die genannte slavi-
sche Grundform als sehr unwahrscheinlich eingestuft werden.9
Zur Entwicklung von Sekundär- und Primärumlaut im Ostfränkischen vgl, Steger
1968, S. 53-61 bzw. S. 63-68.
8 Vgl. BSDS I, S. 121-123; II, S. 159f.
9 Vgl. BSDS ¡1, S. 282f,
336
2.2. Slav. /о/ (< /а/)
Der urslavische Kurzvokal ä hat sich spätestens im 9. Jahrhundert allgemein
zu ö entwickelt.111 Beispielnamen für slav. о sind in Nordbayem zahlreich vor-
handen - hier seien drei davon angeführt, wobei die Entwicklung in der
Mundart verschiedene Ergebnisse hervorgebracht hat:
SN *Dobr-kov- (zum PN *Dobr-kb): um 1246 Dobercaw, 1276 Doberkowe >
[düawarog], Dobrigau (Lkr. Tirschenreuth)
PN *Chocemyslb: SN um 1135 (Kopie um 1170) Kozmuzelingen > [khöb-
mae$len], Kothmaißling (Lkr. Cham)
PN *Dobr-sb\ SN 1 170-76 Tobirsingen, 1231-34 Tóberschingen > [dewn$en],
Döbersing (Lkr. Cham)
Mit [üa] weist die dialektale Form des Siedlungsnamens Dobrigau die für
das nördliche Nordbairisch charakteristische diphthongische Entsprechung zu
ahd., mhd. о (in Dehnung) auf. Im Übergangsgebiet zwischen Nord- und Mit-
telbairisch unterblieb diese Diphthongierung, wie ma. [ö] beim Siedlungsna-
men Kothmaißling bezeugt, im Fall des Siedlungsnamens Döbersing wurde о
zu ö umgelautet und später gedehnt sowie entrundet (> ma. [e]). Wenn für
slav. о der Langvokal ö eingetreten wäre, müssten Dobrigau und Kothmaiß-
ling in der Mundartform den Diphthong und Döbersing den Diphthong
[f j] enthalten. Als Ersatzvokal fungierte also ausschließlich ö.
Für die zeitliche Einordnung des slavisch-deutschen Sprachkontakts ist der
Befund wichtig, dass sich bisher mit dem Siedlungsnamen Debersdorf (Lkr.
Bamberg), 14. Jh. Taberschendorf, zum slavischen Personennamen *Dabrist
o.ä.," nur ein einziges sicheres Beispiel für die Substitution durch a bei-
bringen lässt. Zudem liegt Debersdorf an der Peripherie des slavischen Sied-
lungsgebiets in Nordbayem, wo die Übernahme ins Deutsche relativ früh er-
folgt sein kann (evtl, schon vor dem 9. Jahrhundert). Vielleicht hat aber auch
der besagte slavische Lautwandel ä > ö dieses Randgebiet nicht mehr erreicht.
2.3. Slav. fbf und /ъ/
Die Reduktionsvokale ь und ъ wurden ursprünglich als Kurzvokale i und й
realisiert. Wie allgemein im Westslavischen, so dürften diese Laute auch im
Bayernslavischen im 10./11. Jahrhundert in starker Position zu Vollvokalen
entwickelt worden und in schwacher Position geschwunden sein. Bei den fol-
genden Beispielnamen erfolgte die Eindeutschung zu einem Zeitpunkt, als
noch f bzw. й galt: * 11
Vgl. Schwarz 1960, S. 198f.
11 Vgl. BSDS I, S. 57-59.
337
PN *Zbdam>: SN 1178-85 Sidiningin, 1374 Sydling > [silen], Siedling (Lkr.
Cham)
PN *Sbbyn-: SN 1212-24 Zuvininge, 1301-07 Zifning, 1334 Zvfling >
[dsTflen], Zifling (Lkr. Cham)
In den Personennamen *Zbdam> und *Sbbyn-, die in eingedeutschter Form
als Basis für -/«^-Ableitungen dienten, standen die Reduktionsvokale b und b
in der ersten Silbe jeweils in schwacher Position, wie die alttschechischen
Entsprechungen Zdän' und Zbyna12 13 verdeutlichen, in denen diese Vokale
synkopiert sind. Die ältesten Belege und die weitere lautliche Entwicklung der
Siedlungsnamen Siedling und Zifling zeigen, dass hier b und b noch erhalten
waren und durch die entsprechenden deutschen Kurzvokale / und u ersetzt
wurden. Somit dürften die genannten slavischen Personennamen spätestens im
11. Jahrhundert ins Deutsche übernommen worden sein. In anderen Fällen, so
etwa bei den auch noch im Rahmen der morphemischen Integration zu behan-
delnden Toponymen Debring (Lkr. Bamberg) und Deffernik (Lkr. Regen), die
auf eine Ableitung von slav. *debr ,Schlucht, TaP (< *dbhrb) zurückgehen,
lagen dagegen bereits Vollvokale vor.
2.4. Slav. /b/ (im Anlaut)
Sowohl b als auch das unter 2.5. behandelte Phonem c wurden in anlautender
Position jeweils vor der Mitte des 11. Jahrhunderts anders substituiert als
danach, wobei dies für b nur im Bairischen und in an das Bairische angrenzen-
den Gebieten des Ostfränkischen gilt.14 15
Während die Namen Flanitz und Faustendorf den Ersatz von slav. b durch
bair. v (>/) belegen, zeigt Pareszell die spätere Vertretung durch b\
GewN *Blatbnica (zu *blato ,Sumpf): zu 1009 (Fälschung 12. Jh. A.) Flad-
niza, 1341 Flednitz > [flijnjds], Flanitz (Lkr. Regen)
PN *Busb: SN 1301-07 Faussendorf, 1411 Fausstendorff > [fa$tndQBf],
Faustendorf (Lkr. Cham)
PN *Boran: SN 1147 (Kopie 1148-50) Boracelle, 1184 Porascelle > [bQU-
rus'ds^i], Pareszell (Lkr. Straubing-Bogen)
Im Fall von Pareszell entspricht die spätere Eindeutschung auch insofern den
Erwartungen, als Siedlungsnamen mit dem Grundwort -zell im nördlichen
Niederbayem im Allgemeinen nicht vor dem 11. Jahrhundert gebildet wurden.
12 MJC IV, S. 809; bei Svoboda 1964, S. 47, 98, 157 als Zdan angegeben.
13 Ebd. S. 156.
14 Vgl. Schwarz 1960, S. 232, 245f., 278
15 Vgl. Hackl 2008, S. 118.
338
2.5. Slav. /cf (im Anlaut)
Der dem Bestimmungswort des Mischnamens Zießelsberg zugrunde liegende
Personenname *Cbst-nb dürfte früher integriert worden sein als der Siedlungs-
name *Cbrnovici, dessen Anlaut im Deutschen als s erscheint:
PN *CbSt-n-b\ SN 1105-12 Cistanesberch, 1301-07 Zisteinsperg > [dsjs-
lus'b^u], Zießelsberg (Lkr. Regen)
SN *Cbrnovici (zum PN *('bnib): um 1225 Schirnwitz, 1318 Schirmwicz >
[sjnmnds], Schirmitz (Lkr. Neustadt a. d. Waldnaab)
3. Morphemische Integration
Durch zahlreiche Beispiele lässt sich die allgemeine Tendenz zur Anlehnung
slavischer Morpheme an geläufige deutsche Namenbestandteile belegen. Im
Rahmen des vorliegenden Beitrags werden neben einigen «-haltigen Suffixen
die häufigen Personennamenzweitglieder -gostb, -mirb (-merb) und -myslb
behandelt.
3.1. Slavische Suffixe {-jane}, {-in-}, {-ina}, {-i»n-}
Diese Suffixe erfüllten im Bayemslavischen verschiedene Funktionen: -jane
diente zur Bildung von Bewohnernamen, mit -in- wurden possessivische Sied-
lungsnamen von Personennamen, mit -ina denominale Substantive und mit -bn-
desubstantivische Adjektive abgeleitet, ln Bezug auf die Übernahme ins Deut-
sche und die weitere Entwicklung dieser Suffixe lassen sich Regelmäßigkeiten
feststellen, die bei der Rekonstruktion slavischer Grundformen nutzbringend
verwendet werden können.16 Bei -jane, -in- und -ina wurden die slavischen
Voll vokale a und i durch die deutschen Langvokale ä und I ersetzt, die nach
Ausweis der Namenüberlieferung in der Regel noch längere Zeit erhalten blie-
ben, obgleich der Hauptton auf einer anderen Silbe lag (I konnte auch noch
diphthongiert werden). Schließlich fiel im 14./15. Jahrhundert der Konsonant
-n im Auslaut ab und der vorangehende Nebensilbenvokal bzw. -diphthong
wurde zum Reduktionsvokal [n] abgeschwächt. In den Schreibformen kam es
in der Folge meist zu Angleichungen an die häufigen deutschen Grundwörter
-au, -ach und -bach:
-jane: SN *Lesane (zu *lesb ,Wald‘): 1139 (Fälschung 12. Jh. M.) Lesan,
1378 Lesein, 1512 Lesaw > [lesu], Lesau, Klein- (Lkr. Bayreuth)
-in-: SN *Lubin- (zum PN *Lubb): 1223 Lubin, 1433 Kirchenlewbein ...
Kirchen Lewba, 1494 Kirchenleybach > [läewn], Laibach, Kirchen- (Lkr.
Bayreuth)
16 Vgl. BSDS II, S. 278-280.
339
-ina: FlurN (> SN) *Borovina (zu *borb ,Föhrek): 1314 Vorbein, 1317
Vorbin, 1486 Forba, 1534 Forbau, 1583 Forbach > [fonwu], Vorbach (Lkr.
Neustadt a. d. Waldnaab)
Anders verlief die Entwicklung nur dann, wenn die slavische Betonung des
Suffixes -in- im Deutschen erhalten blieb. Dies veranschaulicht der Siedlungs-
name Döberein (Lkr. Tirschenreuth), 1119 (Fälschung 12. Jh. E.) To her in,
ma. [djnwu’rqe], < slav. *Dobrin- zum PN *Dobrb, mit dem Hauptton auf der
letzten Silbe.
Wenn in der bayernslavischen Grundform das kurzvokalische Suffix -bn-
enthalten war, kam es nicht zur Apokope von -n:
-bn-: SN *Trebezbn- (zu *trebezb ,Rodung1): 1279 Trevezn, 1347 Treuesen >
[dre'fmsn], Trevesen (Lkr. Tirschenreuth)
Dieser Befund hat Auswirkungen auf die Erklärung des Siedlungsnamens
Perschen (Lkr. Schwandorf), ma. [beusn], zu 798 (Fälschung um 1055, Kopie
ll. Jh. 2. H.) Bersana, vor 1176 Persin, der für die Siedlungsgeschichte Nord-
bayerns von großer Bedeutung ist, weil es sich um das einzige Zeugnis für
einen bereits vor der slavischen Liquidenumstellung des 8. Jahrhunderts1
eingedeutschten Namen handelt. Die Grundform dieses Siedlungsnamens ent-
hielt wohl nicht das Suffix -jane (wie bisher angenommen),'8 sondern kurzvo-
kalisches -bn-. Es dürfte *Berzbn- zu *berza (> *breza) , Birke ‘ oder - ange-
sichts der Lage der Siedlung am Ufer der Naab wahrscheinlicher - *Berzbn-
zu *bergh (> *bregb) ,Ufer" anzusetzen sein.
3.2. Kombination der slavischen Suffixe {-bn-} und {-ilvb}
Das Suffix -ikb wurde an Adjektive auf -bn- angefügt; die auf diese Weise
entstandenen Substantive konnten als Toponyme verwendet werden. Die Ver-
bindung von -bn- und -ikb ergab -bnikb (nach Umgestaltung der Reduktions-
vokale -nik). Auch in der Anthroponymie war -bn- + -ikb produktiv (vgl. alt-
tschechische Personennamen wie Dobrnik, Hostnik, Slavnik usw.* 18 19). Bei eini-
gen Ortsnamen im Untersuchungsgebiet war -(b)nik- von einer Angleichung
an das deutsche Suffix -ing- betroffen - eine Erscheinung, die auch in anderen
slavisch-deutschen Kontaktgebieten begegnet (so z.B. bei niederöster-
reichischen Siedlungsnamen wie Pleißing < *Pluzbnikb oder Reidling <
*Rudbnikb20). In Bezug auf Nordbayem sei hier auf zwei Tatsachen hinge-
wiesen:
1 Vgl. dazu Schwarz 1960, S. 183-185.
18 Vgl. ebd. S. 185.
19 Svoboda 1964, S. 156.
20 Vgl. Bergermayer 2005, S. 121 f., 227f.
340
(1) Die Adaptation kann sich zu völlig verschiedenen Zeiten vollziehen,
wie etwa die folgende Gegenüberstellung zweier Beispielnamen zeigt:
SN *Slemetibnikb: 1232 Zlemmingen, 14. Jh. 1. H. Slemming > ma. [lernen],
Leming (Lkr. Cham)
SN *L’ubbniky\ 1249 Lubenik, 1365 Lewbnich, 1445 Lewbing, 1595 Loihling>
ma. [lüjwlen], Loibling (Lkr. Cham)
Bei Leming mit der slavischen Grundform *Slemenbnikb, einer -/^-Ablei-
tung von dem -bn-Adjektiv zu slav. *slemq ,Dachfirst; Bergrücken4, erscheint
-ing- bereits im ersten Beleg aus dem 13. Jahrhundert. Dagegen ist der Sied-
lungsname Loibling, der am ehesten als Pluralform des Personennamens
*Lubbnikb erklärt werden kann, nach Ausweis der Überlieferung erst im
Laufe des 15. Jahrhunderts umgestaltet worden.
(2) Die Angleichung an -ing- muss nicht obligatorisch eintreten, wie man
am Beispiel des Bergnamens Deffernik im nordöstlichen Niederbayern
sieht, der auf dieselbe slavische Grundform zurückgeht wie der Sied-
lungsname Debring, der vom Erstbeleg an -ing- aufweist:
BergN *Debrnik: 1582 von dem Döfernickhenn herab > Deffernik (heute
Lackenberg\ Lkr. Regen)
SN *Debrnik (< *Dhbrbnikh): 1285-87 Deberingen > ma. [debrjq], Debring
(Lkr. Bamberg)
3.3. Slav. Personennamenzweitglied {-gostb} bzw. Ortsna-
men-Bestandteil {-gOSCb}
Slav. *-gost-b (zu *gostb ,Gast‘) bzw. *-goscb (< *-gostb + Suffix -jb) wurde
in der Regel früh an das deutsche Personennamenzweitglied -gast (enthalten
in Personennamen wie Altgast, Hadugast, Nantgast usw.) angeglichen oder
bereits bei der Eindeutschung durch dieses ersetzt. Letzteres kann z.B. bei den
folgenden drei Namen sowie beim Siedlungsnamen Nunkas (s.o.) angenom-
men werden, die in der Überlieferung von Anfang an -gast zeigen:
SN *Lubogoscb (zum PN *Lubogost'b): 14. Jh. (zu um 1224) Leubgast, um
1400 Leugast > [l^egos], Leugas (Lkr. Tirschenreuth)
SN *Treb-goscb (zum PN *Treb-gostb): 1028-40 Trebegast, 1151 Treuegast
> [dreysds], Trebgast (Lkr. Kulmbach)21
21 Dieser Siedlungsname und der Gewässername Trebgast (links zum Weißen Main),
1398 an der Trebgast, werden in BSDS II, S. 218-220 im Zusammenhang mit dem
SN Trebgast, Alten- (heute Sankt Johannis', Lkr. Bayreuth), 1149 Uetus Trebegast,
behandelt.
341
SN *Zivogoscb (zum PN *Zivogost'b): 1139 Sugast, um 1285 Seugastmvl >
[s^exads], Seugast (Lkr. Amberg-Sulzbach)
Eine Ausnahme stellt der Personenname *Nanibgosth im Mischnamen
Nunsting (Lkr. Cham), 1178-85 Nangoztingin, 1381 Nongasting, 1577
Nungsting, dar. Hier ist -gost- zunächst rein phonemisch als -go^t- integriert
worden. Die Anlehnung an -gast lässt sich erst im 14. Jahrhundert nachwei-
sen. Wie die heutige Schreibform und die Mundartform [nopsden] belegen,
ging der Bezug zu -gast im Laufe der Entwicklung verloren. Dies gilt auch für
die Mundartformen der Siedlungsnamen Trebgast und Seugast, die eine An-
gleichung an [-ods], eine dialektale Entsprechung zu häufigem schreibsprach-
lichem -itz2' dokumentieren.
3.4. Slav. Personennamenzweitglied {-mirb} ({-mert})
Bei dem Zweitglied *-mirb (zu *mirb ,Friede4) und dem davon zum Teil nur
schwer zu unterscheidenden *-men (zu nur aus Personennamen erschlosse-
nem *men ,berühmt4?)2'' ist festzustellen, dass alle einschlägigen Namen
Nordbayems in den frühesten Erwähnungen -mar- aufweisen. Es liegt hier
nicht etwa eine lexikalisch-semantische Angleichung an ahd. märi, mhd.
mcere ,berühmt4 vor, sondern ein Morphemersatz durch ein bei deutschen Per-
sonennamen überaus häufiges Zweitglied (enthalten in Namen wie Tagamär,
Herimär, Sigimär usw.). Diese Substitution kann bereits zeitgleich mit der
lautlichen Integration erfolgt sein.22 23 24 25
PN *Chotemin (-men): SN 1109 (Verzeichnis 12. Jh. 2. H.) Chotemaresdorf
> [khönsdQf|, Köttmannsdorf (Lkr. Bamberg)
PN *Nedamin (-men): SN 1149, 1176 Nedemarestorf 1179 Nedemarstorf>
[nemosdQf], Nemmersdorf (Lkr. Bayreuth)
PN *Shdemin (-men): SN 1167-75 Citmaringen, 1184-85 Cidemaringen >
[dsprmrjg], Zimmering (Lkr. Cham)
Aufgrund des ausnahmslosen Eintretens von dt. -mär für bsl. -min ergeben
sich Bedenken gegen die in BSDS vertretene Erklärung"2 des Bestimmungs-
22 Vgl. BSDS II, S. 277.
23 Vgl. Svoboda 1964, S, 79f. - Schlimpert (1978, S. 179) spricht sich im Zusammen-
hang mit im slavisch-deutschen Kontaktgebiet überlieferten Personennamen gegen
einen Ansatz *-merb aus.
24 Sehr früh - im späten 9. und im frühen 10. Jahrhundert - bezeugen eingedeutschte
Formen des slavischen Personennamens *Sv%top'blkb wie Zuentibaldus oder Zwenti-
pold (Schwarz 1960, S. 218) den Ersatz von *-pbl/cb (zu slav. *pbllcb ,Heer, Schar4)
durch das deutsche Zweitglied -baldl-bold.
25 BSDS I, S. 151.
342
worts des Siedlungsnamens Schlammersdorf (abgegangen bei Rattelsdorf,
Lkr. Bamberg), 12, Jh. 1. H. Slagamaresdorf mit dem althochdeutschen Per-
sonennamen *Slagamär. Der Ersatz eines slavischen Personennamens
*Slavomirt> (-mérb) durch diesen deutschen Personennamen kann m. E. nicht
mehr als „weniger wahrscheinlich“26 * 28 eingestuft werden. Im Gegenteil - es
lassen sich neben der häufigen Substitution slavischer Personennamenglieder
durch deutsche drei weitere Argumente anführen, die für den Ansatz des ge-
nannten slavischen Personennamens sprechen: (1) Ein zu ahd. slag ,Schlag1
zu stellender Personennamenstamm lässt sich nicht sicher nachweisen.2/ (2)
Slav. *Slavomiru ist sehr gut bezeugt^ und in mehreren Siedlungsnamen ent-
halten, so z.B. in dem in Holstein zweimal begegnenden Schlamersdorf, 12.
Jh. E. cum Zlameresthorpe bzw. 1262 Slamerstorp.29 (3) Der Siedlungsname
Schlammersdorf kommt in Nordbayern noch zweimal vor (Lkr. Forchheim:
1285-87 [zu nach 1188] Slagemarsdorf, Lkr. Neustadt a. d. Waldnaab: 1309
Slamerstorf). Alle drei Orte dieses Namens liegen innerhalb des slavisch-
deutschen Kontaktgebiets. - Vor diesem Hintergrund sollte man bei den als
Slagamaresdorf bzw. Slagemarsdorf überlieferten Siedlungsnamen eher von
*Slavomirb mit Ersatz von -mire, durch dt. -mär und Anlehnung von *slav- an
ahd. slag ausgehen, als einen genuin althochdeutschen Personennamen *Sla-
gamär anzunehmen.
3.5. Slav. Personennamenzweitglied {-mysh.}
Das Zweitglied *-myslb dürfte im Bairischen und im Ostfränkischen generell
durch Einschub des Sprossvokals i zu -müjil o.ä. umgestaltet worden sein.
Dies ergibt sich aus den ältesten Erwähnungen der einschlägigen Siedlungs-
namen in Nordbayern, vgl. um 1135 (Kopie um 1170) Kozmuzelingen (>
Kothmaißling\ siehe Abschnitt 2.2.), 1137 Tragamuzil (zum PN *Dragomysh
o.ä., > Trainmeusel, Lkr. Forchheim),30 1 156 Cotemuzelesdorf (zum PN
*Chotémyslb, > Kätsch, Lkr, Bamberg), zu um 1180-1190 (Verzeichnis 13.
Jh. 1. D.) Pomüzilsriede (zum PN *Pomyslb, > Böhmersried, Lkr. Regen) und
12. Jh. Godemüzelstorf (zum PN *Godomysh, > Gottmannsdorf Lkr. Ans-
bach).31 Auch der im frühen 11. Jahrhundert nach älterer Vorlage überlieferte
Personenname Dragamuzil, der im Zusammenhang mit einer Mühle im Gebiet
Aus einem Siedlungsnamen erschlossen ist der PN *Slago bzw. *SlegiIo (vgl. Kauf-
mann 1968, S. 318).
28 Vgl. Schlimpert 1978, S. 127f.
~l) Laur 1992, S. 574; vgl. Trautmann 1950, S. 140.
30 Vgl. Fastnacht 2000, S. 303.
31 Vgl, Schwarz 1960, S. 217.
343
der oberen Schwabach genannt wird,32 weist den Bestandteil -il auf. Durch das
Einfugen des Vokals i wurde nicht nur die im Deutschen nicht geläufige Laut-
folge -j/ vermieden, sondern auch eine Angleichung an das deutsche Suffix
-il- erreicht, das zur Bildung hypokoristischer Personennamen diente. Damit
liegt eine Adaptation vor, die sich zugleich auf die phonemische und auf die
morphemische Ebene bezieht. Sie kann sich zeitgleich mit der Übernahme der
Personennamen ins Deutsche vollzogen haben.
4. Zusammenfassung und Ausblick
Durch die Untersuchung von Integrationsphänomenen bei eingedeutschten
slavischen Orts- und Personennamen werden Erkenntnisse gewonnen, die
wertvolle Dienste bei der Namenerklärung leisten. Dies betrifft sowohl die
exakte Bestimmung rekonstruierter Grundformen als auch die Beurteilung der
Wahrscheinlichkeit bestimmter Etymologien im Verhältnis zu Deutungsalter-
nativen. Darüber hinaus ermöglicht die Integrationsforschung die zeitliche
Eingrenzung des slavisch-deutschen Sprachkontakts und liefert damit wichtige
siedlungsgeschichtliche Daten, die künftig noch eingehender mit entsprechen-
den Ergebnissen der archäologischen, regional- bzw. landeshistorischen und
siedlungsgeographischen Forschung zu vergleichen sind.
Allerdings stehen nicht für alle Teile des sich von der Ostsee bis zur Adria
erstreckenden slavisch-deutschen Kontaktgebiets ausreichende Grundlagen in
Form von Namenbüchern für die Analyse der Integration zur Verfügung. So
sind besonders in Thüringen und in Nordbayern, aber auch in der Steiermark
und in Kärnten, noch größere Lücken zu schließen. Innerhalb Nordbayerns
stellt vor allem die Bearbeitung der Toponymie der an Böhmen, Sachsen und
Thüringen angrenzenden oberfränkischen Landkreise ein dringendes Deside-
rat dar. Die Schaffung einer möglichst breiten Materialbasis ist unverzichtbare
Voraussetzung, wenn man dem Ziel einer umfassenden Studie zur Integration
von Orts- und Personennamen im gesamten slavisch-deutschen Berührungs-
gebiet näher kommen will.
Quellen und Literatur:
Bergermayer, Angela: Glossar der Etyma der eingedeutschten Namen slavi-
scher Herkunft in Niederösterreich (Österreichische Akademie der Wissen-
schaften, Philosophisch-historische Klasse, Schriften der Balkan-Kommis-
sion 44), Wien 2005.
BSDS = Eichler, Emst / Greule, Albrecht / Janka, Wolfgang / Schuh, Robert:
Beiträge zur slavisch-deutschen Sprachkontaktforschung. I: Siedlungsna-
men im oberfränkischen Stadt- und Landkreis Bamberg. II: Siedlungsna-
men im oberfränkischen Stadt- und Landkreis Bayreuth (Slavica. Mono-
32 Vgl. ebd. S. 193.
344
graphien, Hand-, Lehr- und Wörterbücher 2, 4), Heidelberg 2001-2006.
Eichler, Ernst: „Die westlichste Peripherie des slavischen Sprachgebietes“, in:
Zeitschrift für Slavische Philologie 57 ( 1998) S. 269-280.
Fastnacht, Dorothea: Ehermannstadt. Ehemaliger Landkreis Ehermannstadt
(Historisches Ortsnamenbueh von Bayern, Oberfranken 4), München 2000.
Hackl, Stefan: „Die ältesten Ortsnamen im Altlandkreis Viechtach. Untersu-
chungen zu ihrer Überlieferung, Herkunft und Bedeutung“, in: Wolfgang
Janka / Michael Prinz (Hg.): Beiträge zur bayerischen Ortsnamenforschung
(Regensburger Studien zur Namenforschung 3), Regensburg 2008, S. 9-
182.
Janka, Wolfgang: „Slavisch-deutscher Sprachkontakt in Nordbayem. Vorstel-
lung des Forschungsprojekts ,Bavaria Slavica4“, in: Onoma 36 (2001) S.
111-123.
Janka, Wolfgang: „Zur Problematik der ,slavisch-deutschen Mischnamen4 in
Nordbayem“, in: Peter Anreiter / Guntram A. Plangg (Hg.): Namen in
Grenzregionen. Tagungsband des internationalen onomastischen Symposi-
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Abkürzungen A. Anfang
BergN Bergname
bsl. bayernslavisch
D. Drittel
E. Ende
FlurN Flurname
GewN Gewässername
H. Hälfte
Lkr. Landkreis
M. Mitte
ma. mundartlich
PN Personenname
SN Siedlungsname
Summary
On the Phonemic and Morphemic Integration of Slavonic
Place-Names and Personal Names in Northern Bavaria
This article reveals phenomena of integration concerning Slavonic phonems
and morphems as parts of names which were taken over into German and
further developed in Eastern Franconian resp. in various Bavarian dialects.
Several examples of toponyms and anthroponyms show that the analysis of
these manifestations can be useful in order to achieve more precise expla-
nations of certain place-names. It also provides criteria which help to judge
the probability of certain explanations in relation to other possible
assumptions. Not least, knowledge can be gained referring to the chrono-
logical delimitation of medieval Slavonic-German language contact in
Northern Bavaria.
346
Karlheinz Hengst
Sprachliche Zeugnisse aus dem mittelalterlichen
deutsch-slawischen Kontaktraum zwischen Saale
und Mulde ab dem zehnten Jahrhundert und ihre
Interpretation
I. Vorbemerkungen:
Für das hier zu betrachtende Gebiet im späteren Mitteldeutschland geht es um
den Zeitraum des Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen beziehungswei-
se des Altsäehsischen und Mittelniederdeutschen - verkürzt wird zur Kenn-
zeichnung nur deutsch (dt.) verwendet. Entsprechend differenziert ist auch das
Slawische zu sehen. Bis ins 10./1 1. Jahrhundert handelt es sich um den west-
slawischen Dialektraum des Gemeinslawischen, speziell um das ältere altsor-
bische (aso.) Dialektgebiet. Ab dem 11. Jahrhundert zeigt dieses altsorbische
Sprachgebiet gewisse Veränderungen: Markant sind zum einen die Verän-
derung der Nasalvokale und ihre Entwicklung von q [op] > u und von e [eq] >
’e, e oder 'a sowie zum anderen der Schwund der reduzierten Vokale be-
ziehungsweise ihre Entwicklung zu Vollvokalen.1 Somit haben wir also vom
II. /12. Jahrhundert an ein jüngeres Altsorbisch in der Überlieferung des Na-
menguts vor uns.
Eigennamenaufzeichnungen in Urkunden, Steuerverzeichnissen und chro-
nikalischer Überlieferung vom 10. bis 14./15. Jahrhundert sind die einzigen
Quellen zum Altsorbischen (Aso.) aus seiner vorschriftsprachlichen Zeit. Ent-
sprechende Aufzeichnungen erfolgten dabei von deutschen Schreibern in
kirchlichen und weltlichen Kanzleien. Die Notare waren gebildete Geistliche.
Wie z.B. bei Bischof Thietmar von Merseburg belegt, dürfen wir bei den
Notaren Folgendes voraussetzen:2
1 Vgl. Eichler, Emst: Studien zur Frühgeschichte slawischer Mundarten zwischen
Saale und Neiße, Berlin 1965, S. 43-56 und S. 62-70.
2. Ausführlicher dazu Hengst, Karlheinz: „Namenforschung, slawisch-deutscher
Sprachkontakt und frühe slawische Sprachstudien im Elbe-Saale-Grenzraum“, in:
Onomastica Slavogermanica 19 (1990) S. 105-115; Ders.: „Frühe Namenüberlie-
ferung als Sprachkontaktzeugnis in Ostthüringen“, in: Rudolf Schützeichel (Hg.):
Ortsname und Urkunde. Frühmittelalterliche Ortsnamenüberlieferung, Heidelberg
1990, S. 236-258; Ders.: „Lingua Slavica missionarica in terra inter Salam et
Albiam“, in: Swetlana Mengel (Hg.): Dem Freidenkenden: Zu Ehren von Dietrich
Freydank, Münster / Hamburg / London 2000, S. 113-131.
347
Sie waren Absolventen einer Domschule mit dreisprachiger Bildung:
Deutsch (als Muttersprache), Latein und slawisches Idiom (Gemein-
slawisch).
Sie waren ausgebildet ftir das Missionswerk unter den Slawen.
Sie entstammten ihrer sozialen Bindung nach dem Adel.
Einige kamen sicher auch aus dem westslawischen Adel.
Die Betrachtung zum Sprachkontakt östlich der Saale erfolgt an einigen
ausgewählten Beispielen aus dem Raum des heutigen östlichen Thüringens
beziehungsweise Westsachsens. Es handelt sich um ein Gebiet mit guten
Böden und dichter slawischer Besiedlung im Mittelalter. Es ist der Plisni-Gau
entlang der Pleiße, also ein Territorium südlich des heutigen Leipzig. Dieses
Gebiet unterstand seit der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts militärisch, admi-
nistrativ und kirchlich deutscher Oberhoheit. Im 10./11. Jahrhundert erfolgte
der Ausbau der slawischen Kleingaue zu deutschen Burgbezirken.'
2. Was lässt sich aus den Ortsnamenaufzeichnungen phonematisch zum
Sprachkontakt ermitteln?
2.1. Erstens können wir die Übernahme von slawischen Ortsnamen ins
Deutsche seit dem 10. Jahrhundert nachweisen:
Eine Tradierung* 4 z.B. zum Ortsnamen Schlunzig an der Mulde (in der Nähe
von Zwickau), 1219 Slunz, 1378 czu dem Shtncz, 1413 das dorff Slunczke,
zeigt deutlich, dass aso. *SlQcsk- ,Ort in einer Krümme1 (tatsächlich an einem
Muldenbogen gelegen) noch mit dem slawischen Nasalvokal gehört und ent-
sprechend also im 10. Jahrhundert schon eingedeutscht wurde, daher die Gra-
phie <un>. Hingegen ist der etymologisch gleiche Ortsname Schlauditz (bei
Altenburg) erst nach der Entnasalierung im Slawischen ins Deutsche über-
nommen worden, vgl. um 1200 in Zluz, 1285 in Slucz, 1378 Slucz, und zeigt
daher <u>, was also auf Eindeutschung dieses Ortsnamens und seine weitere
Entwicklung im Deutschen erst ab dem 11./12. Jahrhundert schließen lässt.
Diese Beobachtung ist im hier im Blickpunkt stehenden geographischen
Raum auch andernorts zutreffend. So tragen mehrere Orte an der Lungwitz,
einem rechten Zufluss zur Mulde, diesen Namen. Die Überlieferung der Aus-
gangsform für das Gewässer aso. *Lqkavica , Wiesengrundbach' zeigt von An-
fang an, dass der Name noch mit dem slawischen Nasalvokal gehört und ins
Dazu vgl. Billig, Gerhard: Die Burgwardorganisation im obersächsisch-meissni-
schen Raum. Archäologisch-archivalisch vergleichende Untersuchungen, Berlin
1989.
4 Die folgenden historischen Formen zu den einzelnen Ortsnamen sind mit näheren
Quellenangaben nachschlagbar in Eichler, Emst / Walther, Hans (Hg.): Historisches
Ortsnamenbuch von Sachsen, 3 Bde., Berlin 2001; ferner bei Eichler, Emst: Sla-
wische Ortsnamen zwischen Saale und Neiße. Ein Kompendium, Bautzen 1985-
1993 [Bisher 3 Bände: A-Sj.
348
Deutsche übernommen wurde: (1273) in der Lunckwitz, 1393 Lunckwitz, 1418
die Lunkewicz etc. Dieser wiederum auf Eindeutschung im 10. Jahrhundert
hinweisenden Form steht gegenüber der Ortsname Lutschütz bei Altenburg,
der ebenfalls zu aso. *lgka ,Wiese4 gehört und auf einer Ausgangsform aso.
*Lgcica beruht. Dabei lässt dieser Ortsname erkennen, dass zunächst eine
Übernahme ins Deutsche schon im 10. Jahrhundert erfolgt sein muss, denn er
erscheint in einem alten Zinsregister noch mit Schreibung <un>: um 1200 in
Lunsiz. Aus dem im Raum um Altenburg länger anhaltenden slawisch-
deutschen Sprachkontakt hat sich aber ergeben, dass der Ortsname später nach
einer inzwischen veränderten altsorbischen Sprechweise mit |u| aufs Neue ein-
gedeutscht wurde, vgl. 1418 in Luczicz.
2.2. Zweitens können wir auch wiederholte Entlehnung zu verschiedenen Zei-
ten ins Deutsche belegen:
Anzeichen dafür bieten z.B. Ortsnamen mit dem konsonantischen Anlaut
aso. z- oder s-, vgl. den Ortsnamen Zwenkau (südlich von Leipzig), 974 civitas
Zuenkouua, 997 forestum Zuengouua, 1012/18 in Zuencua, 1104 civitas
Zuenkouua, 1195 forum in Zwencowe, 1240 Zuenkowe, 1316 Czwenkow, 1324
in Zwenkowe usw. Der Ortsname gehört zu aso. *zvqkb ,Laut4 und ermöglicht
die Rekonstruktion einer Ausgangsform aso. *Zvqkov- mit der vermutlichen
Bedeutung ,Ort, wo etwas erklang4 (vielleicht Hinweis auf ein Geräusch oder
auch Signalgabe). Neben dem klaren Indiz auf den Nasalvokal slawisch q bei
der Übernahme ins Deutsche, daher <en> in den tradierten Formen, ist auch
eindeutig die Wiedergabe von aso. |z| (= stimmhaftes 5) mit dt. |ts|, in der
Schrift <z>, sowie die konsequente Beibehaltung dieser Integration ablesbar.
Dieser Ortsname ist also im 10. Jahrhundert ins Deutsche übernommen und so
fortgefuhrt worden.
Beachtenswert ist, dass bereits 1012/18 auch die Graphien Suencova,
Suencua Vorkommen. Sie deuten wahrscheinlich darauf hin, dass innerhalb
von etwa drei Generationen deutscher Sprecher der Ortsname in der binnen-
deutschen Kommunikation auch in der Variante mit anlautend dt. |sw| ge-
braucht wurde. Möglicherweise handelte es sich dabei um eine Vereinfachung
der Anlautgruppe |tsw|. Es kann diese Überlieferungsform aus dem 1 1. Jahr-
hundert unter Umständen in dem Gewässernamen Schwenke (bei
Groitzsch/Pegau) bis heute fortleben.
Als Beispiele mit anlautend aso. s- seien noch folgende Ortsnamen
genannt: Schwanditz (bei Schmölln), 1140 Zvenz, 1308 Zwentz zu aso. *svqty
,heilig4, belegt wiederum die Übernahme ins Deutsche im Laufe des 10. Jahr-
hunderts mit dt. |ts| für aso. |s|. Aber 1337 Swencz, 1445 Swencz, 1548
Schwentz, 1609 Schwantitz beruhen auf einer erneuten Entlehnung des slawi-
schen Ortsnamens ins Deutsche etwa im 13. Jahrhundert. Mit der Entnasa-
lierung von q > 'a dürfte der altsorbische Ortsname vom 11 ./12. Jahrhundert
an etwa *Zv’atic- oder *Zvetic- gelautet haben. Hinsichtlich der Vokalwieder-
gabe aus der ersten Silbe des Ortsnamens ist im Deutschen offensichtlich
letztlich eine Mischform mit der entlehnten Form aus dem 10. Jahrhundert
349
entstanden. Aber im Anlaut trat im 13. Jahrhundert offensichtlich für aso. .v-
nun dt. js| ein, das vor Konsonant bekanntlich |s| (graphisch schließlich <sch>)
ergab. Im Ortsnamen Schwanditz ist diese spätere Interferenzform im Anlaut
bis heute bewahrt worden.
Der eben beschriebene Prozess Hegt auch beim Ortsnamen Schmölln (süd-
westlich von Altenburg) vor: 1066 abhatia Zmulna, 1138 Zmolensis locus,
1147 in loco qui dicitur Zmolne, 1159 Zmulnensis ecclesia, (1207) in Zmolne
aus aso. *Smol’no o.ä. zu aso. *smola .Harz, Pech, Teer4 S. verdeutlicht klar die
Aufnahme von aso. anlautend s- als dt. |ts| mit <z> in der Aufzeichnung. Erst
vom 13. Jahrhundert an ist zugleich eine erneute Interferenz nachweisbar mit
1269 Merboto de Smolne, 1331 Smolne eyn hus und eyn stat, 1342 Smoln,
1413 Smollen, 1445 Smoln, 1528 Schmölln - wiederum mit nun dt. |s| sowie
<s> für aso. |s| und Übergang zu Schm- vor Konsonant wie beim Ortsnamen
Schwanditz.
3. Wie lässt sich der Prozess der Ortsnamen-Übernahme aus dem Altsor-
bischen bis zur Ortsnamen-Niederschrift in Einzelschritte auflösen?
Es geht um die Frage, wie man sich den Prozess der Interferenz von Orts-
namen aus der Ausgangssprache (LA) in die entlehnende Sprache (LE) vor-
stellen kann - formelhaft ausgedrückt: |ONLA| —> jONLE|
Für den Forscher liegt lediglich die Ortsnamen-Schreibung aus der Überlie-
ferung vor. Wir wissen allerdings, dass dt. <s> in der Zeit vom 9. bis 13. Jahr-
hundert den Lautwert [s] besaß, also sch-artig gesprochen wurde. !n Urkunden
erscheinen demgemäß z.B. 874 Smalacalta, Ende 10. Jahrhundert Suanebeke,
1212 Suarcenberc für heute Schmalkalden, Schwanebeck und Schwarzen-
berg: Entsprechend wurden auch slaw. respektive aso. |sv| und jzv| bis ins 13.
Jahrhundert mit <zu> beziehungsweise <zv> oder <zw> in Schrift transpo-
niert. Der Lautwert war [tsw]. Hingegen slaw. |c| mit dem Lautwert [ts] treffen
wir bei Ortsnamen-Schreibungen in der Überlieferung an als <c> <cz> <tz>
<zc>.
Erschwerend bei der Interpretation der Graphien wirkt, dass z.B. ein Gra-
phem <s> auf Grund des Lautwerts [s] auch in der mittelalterlichen Kanzlei
genutzt wurde, um ein aso. |c| mit dem Lautwert [tsch] anzuzeigen, vgl. um
1200 Lunsic für wohl im Deutschen gesprochenes [*lunsits\ zu einem aus-
gangssprachlichen *Lqcic [lorjtschits]. Anders formuliert: Vom urkundlichen
Transponat einer ins gesprochene Deutsche übernommenen Ortsnamen-Form,
dem Transsumt, schließen wir auf die altsorbische Ausgangsform. Dabei sind
die Graphemvarianten besonders zu beachten.6 Das gilt durchaus auch für spä-
Belege nach Eichler, Emst / Walther, Hans: Städtenamenbuch der DDR, Leipzig
1986, S. 246, S. 250 und S. 251.
f’ Vgl. detailliert Hengst, Karlheinz: „Die Beziehung zwischen altsorbischem Phonem
und Graphem in lateinischen Urkunden“, in: Onomastica Slavogermanica 3 (1967)
S. 113-126; Ders.: „Strukturelle Betrachtung slawischer Namen in der Überliefe-
350
tere Jahrhunderte.' Dabei kann sich der Usus im Graphemgebrauch in den
Kanzleien auch ändern, vgl. 1418 Luczicz für wahrscheinlich seit dem 11 ./12.
Jahrhundert gesprochenes [* *lutsits] beziehungsweise seit Mitte 13. Jahrhun-
dert [lutschits] zu ausgangssprachig aso. *Lucic- für den oben bereits erwähn-
ten Ortsnamen Lutschütz (bei Altenburg). Terminologisch erlaubt die Überlie-
ferung noch weiter zu differenzieren: 1557 Lutzschitz lässt die seit dem 16.
Jahrhundert einsetzende Vereinheitlichung in der Graphie <itz> den Orts-
namen nunmehr als Integral im Deutschen kennzeichnen. Und 1596
Lutthschützs bietet schließlich noch das Adaptat mit Anpassung der Ortsna-
men-Auslautsilbe an dt. Schütz,x
Im 14./15./16. Jahrhundert werden die genuin slawischen Ortsnamen infol-
ge ihres ausschließlich binnendeutschen Sprachgebrauchs weiter systematisch
dem deutschen Sprachsystem angepasst, also voll in die deutsche Sprachent-
wicklung einbezogen. Zugleich kann die toponomastische Forschung etwa fol-
gende Entwicklungsschritte als Abfolge für Ortsnamen aus der Ausgangsspra-
che (LA, hier das Altsorbische) in die entlehnende Sprache (LE, das Deut-
sche) kennzeichnen: *ON| .a > * TranssumtLE > TransponatLE > IntegratLE >
AdaptatLE
4. Was ist aus den auf Interferenz beruhenden Ortsnamen-Aufzeichnungen zur
Graphematik ableitbar?
Mittels der Transsumte, also der wahrscheinlichen deutschen Sprechformen,
lassen sich einerseits Relationen zu den altsorbischen Ausgangformen für die
Ortsnamen und andererseits Bezüge zur graphischen Umsetzung, also zu den
Transponaten hersteilen. Daraus sind die Regularitäten in den Phonem-Gra-
phembeziehungen ableitbar. Dies gilt sowohl für den Vokalismus als auch den
Konsonantismus. Zugrunde liegt dabei als altsorbisches Sprachmaterial der
Bestand an relativ sicher rekonstruierbaren altsorbischen Ortsnamen und de-
ren graphische Wiedergabe in den tradierten Quellen. Für das hier betrachtete
Gebiet lässt sich als Ergebnis letztlich für die Relationen zwischen altsorbischen
rung des 11 ./12. Jahrhunderts“, in: Rudolf Fischer / Hans Walther / Johannes
Schultheis / Emst Eichler / Karlheinz Hengst / Vincent Blanär: Leipziger namen-
kundliche Beiträge II, Berlin 1968, S. 47-58.
Einen gründlichen Ein- und Überblick zu den Phonem-Graphembeziehungen in der
Ortsnamen-Überlieferung im slawisch-deutschen Kontaktraum zwischen Saale und
Weißer Elster bieten auch Eichler, Emst / Walther, Hans: Untersuchungen zur Orts-
namenkunde und Sprach- und Siedlungsgeschichte des Gebietes zwischen mittlerer
Saale und Weißer Elster, Berlin 1984, S. 39f.
* Zum Integrationstyp auf -schütz vgl. Eichler, Emst / Hengst, Karlheinz: „Deutsche
Ortsnamen auf -schütz - ein toponymischer Integrationstyp“, in: Zeszyty Naukowe
Wydzalu Humanistycznego Uniwersytetu Gdahskiego (Prace J^zykoznawcze 8)
[Festschrift H. Gömowcz], Gdansk 1982, S. 121-127.
351
Phonemen und ihren graphematischen Realisierungen in lateinischen Quel-
lentexten durch vorwiegend deutsche Notare für den Zeitraum vom 10. Jahr-
hundert bis Anfang des 13. Jahrhunderts etwa folgende Übersicht mitteilen: 9
Altsorbische Deutsche Vokalgrapheme9
Vokalphoneme
Hauptsilben Nebensilben
a| <a> <a> <e>
e| <e> <e> <i>
e| <e>
i| <i> (<y>) <i> <e>
y <i> <u> (<v> <ui>) <u>
|o| <o>(<u>) <u>
u| <u> <u>
lei <en> <e>
IqI <un>
Altsorbische Konsonantenphoneme Deutsche Konsonantengrapheme
|b| <b> (<p>)
|d| <d>
|g| <g>
IPI <p> (<b>)
|t| <t> (<th> <d>)
|k| <c> <ch> (<k>)
|ch| <ch> (<c> <k> <g>)
|m| <m>
|n| <n>
|H| <1>
|r | <r>
lil <-> (<g> <j> <->)
M <w> <v> (<u> <uu> <vv>)
|s| <z> (<s> <sc> <zc> <c>)
|z| <z> (<s>)
|S| <s> <ss> (<sc> <z> <sz>)
|z| <z> (<s>)
jc| <z> <c> (<tz> <cz> <zc> <zz> <ts> <t>)
|c| <sc> (<z> <c> <s> <zc> <sz> <sch> <stch>)
9 Die in Klammem stehenden Grapheme treten als Varianten auf und begegnen nur
vereinzelt.
352
5. Welche Erscheinungen lassen sich im Bereich der Namenstrukturen im
Verlaufe des Interferenzprozesses beobachten?
Der Entlehnungsprozess* 11* führte bei den Ortsnamen strukturell zu Verän-
derungen im Vergleich zur westslawischen Ausgangsform. Im Verlaufe des
Integrationsprozesses kam es zu morphematischen Interferenzen und auch zu
semantischen Adaptationen." Bei genauer Betrachtung sind folgende Ent-
wicklungsschritte differenzierbar:
5.1. Zunächst erfolgt mit Übernahme eines Ortsnamen aus der Ausgangs-
sprache in die entlehnende Sprache die Transsumtion im mündlichen
Sprachgebrauch. Dabei vollzieht sich - vor allem bei der Verwendung des
übernommenen Ortsnamens aus dem Altsorbischen in der binnendeutschen
Kommunikation - eine phonische Adaptation ans Deutsche. Diese Phase ist
nur sprachgeschichtlich rekonstruierbar, Transsumte sind eben in keinem Fall
durch lautliche Konserve bewahrt worden.
5.2. Der übernommene Ortsname, das Transumt, kann schriftlich fixiert wer-
den und mittels der in den Kanzleien üblichen graphischen Zeichen die gehör-
te beziehungsweise angeeignete altsorbische Namenform in den für uns so
wichtigen Quellentexten mit Phonemsubstitution im graphischen Bereich als
Transponat dauerhaft gemacht werden. Es liegt auf der Hand, dass wir für das
Mittelalter mit beachtlichen Varianten bei diesen Aufzeichnungen von Orts-
namen rechnen müssen, denn neben Schreiberusus ist auch zu bedenken, dass
Ortsnamen nicht nur nach Gehör aus dem Munde von altsorbischen
Sprechern, sondern vor allem wohl auch nach der Lautform aus der bereits
über Generationen verlaufenen binnendeutschen Gebrauchssphäre in Schrift-
form umgesetzt wurden. Vgl. etwa zu aso. *DoTsk(o) ,Talort‘ die Aufzeich-
nungen 1154 Dolzke, um 1200 Dolzsc, 1413 Dolczk, heute Dölzig bei Alten-
burg, oder aso. *Busov- ,Ort eines Bus‘ mit 1256 in Puschowe, 1269 in villa
Bussowe, 1291 Buschow, heute Buscha bei Altenburg.
5.3. Im weiteren Sprachgebrauch innerhalb der binnendeutschen Kommunika-
tion erfährt der entlehnte Ortsname als Transumt und auch als Transponat eine
weitere Anpassung an das System der entlehnenden deutschen Sprache. Der
ursprünglich altsorbische Ortsname unterliegt quasi unter Einwirkung des
deutschen Sprachsystems einer Attraktion. Es vollzieht sich eine formale
Adaptation mit Morphemsubstitution, wobei die Ortsnamen slawischer Her-
1(1 Vgl. dazu ausführlicher Hengst, Karlheinz: „Sprachkontakt und Entlehnungs-
prozess. Ergebnisse der toponomastischen Analyse im deutsch-slawischen Berüh-
rungsgebiet“, in: Zeitschrift Jur Slawistik 30 (1985) S. 809-822.
11 Zu weiterem Material und Systematisierung vgl. Hengst, Karlheinz: „Interferenz in
der Wortbildung der Toponyme“, in: Onomastica Slavogermanica 11 (1976) S. 17-
24; Ders.: „Zur Integration slawischer Toponyme ins Deutsche“, in: Onomastica
Slavogermanica 13 (1981) S. 21-42.
353
kunft nun als eigentliche Lehnnamen Auslautsilben beziehungsweise Auslaut-
formen zeigen wie -a, -au, -el, -en, -ig7 -is. So an das Deutsche attrahiert
erscheinen diese Namen nun formal kaum noch als fremd, es sind vielmehr
Integrate.
5.4. Verbunden mit diesem Attraktionsprozess und seiner formale Adaptation
bewirkenden Kraft ist auch im Deutschen eine Morphemgenerierung möglich.
Das Resultat dieses Vorgangs ist eine Morpheminnovation im Deutschen.
Verwiesen sei hier nur auf die zahlreichen Ortsnamen auf -itz, -litz, -miz, -nitz,
-ritz, -witz und im Norden auf -o\c [ö] sowie auch mit prosodischer Innovation
die Ortsnamen auf -in [T] mit Endbetonung.
5.5. Der Attraktionsprozess kann auch eine inhaltliche Adaptation zur Folge
haben. Dies ist der Fall, wenn der entlehnte Ortsname lautliche Voraus-
setzungen für eine lexikalisch-semantische Angleichung bietet, vgl. aso.
*Komory o.ä. ,Mückenorf, um 1200 Cumere, 1336 Kummir, 1378 Kummer,
heute Kummer bei Schmölln. Der Ortsname erfährt gewissermaßen eine
scheinbare sekundäre semantische Verankerung und erscheint als so genannte
Lehndeutung.
5.6. Im Interferenzprozess kann es schließlich auch zu einem Lehnbildungsge-
schehen kommen. Die Namenübernahme kann eine Namenübertragung bewir-
ken in Gestalt einer Lehnübersetzung, vgl. (1143) Schirna Blisna, id est
Swartzbach (für einen Bach in einer Grenzurkunde für das Kloster Remse bei
Waldenburg). Auch Lehnprägungsgeschehen ist bekanntlich vollzogen wor-
den, so dass Lehnschöpfüngen zu verzeichnen sind. Hierfür sind die hybriden
Bildungen, auch als Mischnamen bezeichnet, zu nennen, also die Ortsnamen
vom Typ Arnoltitz und vom Typ Bogumilsdorf12
5.7. Zu späterer Zeit, also in einem Zeitraum deutlich nach der Kontaktphase
zwischen dem Altsorbischen und dem Deutschen, setzt sich der Attraktions-
prozess noch weiter fort. In dieser Postkontaktphase treten interessante Er-
scheinungen im System der entlehnten Sprache auf: Es entstehen einmal so
genannte primäre toponymische Hybride in Gestalt von Ortsnamen auf -bach,
-hain, -hausen, -roda mit Angleichung an von genuin deutschen Ortsnamen
bekannte Grundwörter, vgl. z.B. den Ortsnamen Stünzhain (zu Altenburg),
aso. *Studehcane ,Ort der Leute an der Quelle4, um 1200 Studinczen, 1336
Studinzcen, noch 1517 Stonczin, 1528 Stuntzen und 1609 Stüntzen, aber 1753
Stüntzhayn. * 162
12 Grundsätzlich dazu vgl. Walther, Hans: „Zur Problematik, Typologie und Termino-
logie der sogenannten ,Mischnamen1 (onymischen Hybride)“, in: Thorsten
Andersson (Hg.): Ortnamn och Sprakkontakt: handlingar fran NORNAs 6.
symposium i Uppsala 5-7 maj 1978 (NORNA-Rapporter 17), Uppsala 1980, S. 143-
162.
354
Eine zweite Gruppe bilden letztlich die sekundären toponymischen Hybride
mit Angleichungen der ursprünglich altsorbischen Ortsnamen im Zweitele-
ment an deutsche Appellativa, die aber in deutschen Ortsnamen nicht Vorkom-
men. Es sind die im Integrationsprozess also sekundär entstandenen Ortsna-
men auf -rose, -schätz, -schütz, -wein und -zahn, vgl. z.B. Dobraschütz bei
Altenburg, aso. etwa *Dobrasovici ,Ort der Leute eines Dobras\ 1336
Dobirschicz, Doberzcicz, 1445 Dobirschicz, 1533/34 Doberschicz, 1557
Doberschitz.
6. Welche soziolinguistisehen beziehungsweise sozioonomastischen Feststel-
lungen sind zum Verlauf des Interferenzgeschehens möglich?
6.1. Die rekursive onymische Analyse zu den ursprünglich slawischen Ortsna-
men geht von den heutigen Ortsnamen in der neuhochdeutschen Sprache aus
und kann dabei unterscheiden nach amtlicher Form, umgangssprachlicher
Form sowie Mundartform. Die Ortsnamen-Tradierung lässt sich allgemein
weiter zurückverfolgen durch die historischen Aufzeichnungen von Ortsna-
men über die frühneuhochdeutsche Zeit bis hin in die mittelhochdeutsche be-
ziehungsweise mittelniederdeutsche Sprachperiode mit Kanzleischreibungen
sowie auch mundartnahen Aufzeichnungen. Besonders wertvoll sind letztlich
die frühen Ortsnamen-Formen in Urkunden und Steuerverzeichnissen aus alt-
hochdeutscher beziehungsweise altsächsischer Zeit. Sie sind so wichtig, weil
sie Zeugnisse aus der frühen Kontaktphase mit den Sprechern der altsorbi-
schen - und im Norden der altpolabischen (aplb.) - Sprache sind. Die Ortsna-
men-Formen in lateinischen und deutschen Texten aus den Quellen sind dann
als Fremd- oder als Lehnnamen die Grundlage zur Rekonstruktion der slawi-
schen, also altsorbischen oder altpolabischen Ortsnamen.
6.2. Die zeitliche Differenzierung ist beachtenswert: Für die Zeitspanne von
etwa 600 bis 900 nach Christus ist die Zahl der Ortsnamen-Belege recht
bescheiden. Es ist dies die Zeit, in der Slawen und Deutsche über Handelsbe-
ziehungen und politisch-militärische Bündnisse miteinander kontaktierten.
Nach 930 aber wurden die Kontakte massiv verstärkt infolge militärischer Be-
satzung, durch den Aufbau deutscher Verwaltung, durch Christianisierung und
auch dichtere Handelsbeziehungen. Vom 12./13. Jahrhundert an tritt zusätz-
lich durch deutsche bäuerliche Siedlerströme, also durch deutsche Zusiedlung
und gemeinsame deutsch-slawische Rodetätigkeit in der Zeit des Landesaus-
baus, eine besondere Verstärkung der Kontakte im sprachlichen Bereich
hinzu.
6.3. Nach den umrissenen Zeiträumen sind auch unterschiedliche Träger des
Sprachkontakts zu berücksichtigen. Die unterschiedlichen Kommunikations-
situationen lassen sich knapp etwa folgendermaßen kennzeichnen:
6.3.1. Präkolonisatorische Zeit:
bis Anfang 10. Jahrhundert: deutsche Herrschaftsträger + Händler indivi-
355
duell im Kontakt mit altsorbischen Herrschaftsträgern;
10./11. Jahrhundert: deutsche Herrschaftsträger + Geistliche im Kontakt
mit altsorbischen Herrschaftsträgem + altsorbische Bevölkerung, also in-
terethnische Kommunikation;
10./11. Jahrhundert: zugleich auch deutsche Herrschaftsträger + Geist-
liche im Kontakt mit deutschen Dienstleuten, also binnendeutsche Kom-
munikation.
6.3.2. Kolonisationszeit (Zeit des planmäßigen Landesausbaus):
12./13. Jahrhundert: deutsche Herrschaftsträger + Geistliche + Bauern /
Handwerker im Kontakt mit altsorbischen Herrschaftsträgem + Bevöl-
kerung.
6.3.3. Postkolonisatorische Zeit:
ab 13./14. Jahrhundert:
binnendeutsche Kommunikation;
binnenaltsorbische Dorf- bzw. Hofsprache;
deutsche Herrschaftsträger + Geistliche im Kontakt mit einzelnen altsor-
bischen Sprechern.
Es ist dies die Zeit der Dominanz des Deutschen als Majoritätssprache und
des schnellen Retardierens des Altsorbischen als Minoritätssprache.
6.4 Hinsichtlich der zu erwartenden Zweisprachigkeit für den Zeitraum des
altsorbisch-deutschen Sprachkontakts ist daher zu differenzieren:
Im 10./11. Jahrhundert ist Zweisprachigkeit anzunehmen bei den deut-
schen Geistlichen zur Realisierung ihrer Missionsarbeit sowie bei einer
Anzahl von Herrschaftsträgem als Voraussetzung für die Bewältigung
ihrer Aufgaben in den neuen Besitzräumen. Für diesen Personenkreis
lässt sich eine kulturelle Bilingualität in bestimmtem Umfang erwarten,
ln dieser zeitlichen Phase übernahmen von diesem genannten Personen-
kreis wohl vor allem deutsche Handwerker, Bedienstete usw. an den
Herrschaftszentren altsorbische Namen sozusagen aus zweiter Hand, also
im Rahmen der binnendeutschen Kommunikation, und verwendeten sie
auch - zumindest vorwiegend - im Gespräch untereinander.
Im 12./13. Jahrhundert ist es durch die deutsche bäuerliche Zusiedlung
sowie durch enge Nachbarschaft und auch durch Kooperation im Landes-
ausbaugeschehen sehr wahrscheinlich auch zum Teil zu bäuerlicher Zwei-
sprachigkeit gekommen, also wohl beschreibbar als partielle Bilingualität
zwecks Kooperation. In diesem Zusammenhang konnten sowohl Perso-
nennamen als auch Flur- und Ortsnamen aus altsorbischem bäuerlichem
Sprachmilieu in den deutschen Sprachgebrauch gelangen.
7. Was nützt eine so detaillierte Betrachtung von Sprachkontaktphänomenen?
Eine Antwort darauf sei hier am Beispiel der Überlieferung des Ortsnamen
Leipzig mit seiner guten Beleglage versucht. Rekursiv betrachtet lassen sich
356
dabei drei zeitliche Abschnitte herauskristallisieren:
7.1. Die Überlieferung von 1526 bis 1350 bietet folgendes Bild:
1526 zu Leiptzigk CDS13 II 9, 420
1522 zu Leiptzigk CDS 11 9,412
1503 zw Leyptzigk CDS 11 9, 362
1484 in opido Lipptz CDS 11 9, 313
1484 zcu Leypczk CDS 11 9, 312
1481 vor Leyptzck CDS II 9, 302
1471 stat zcu Lipczigk CDS II 9, 281
1470 Lipczk CDS II 9,277
1459 Leipczigk Or. 761514
1430 zcu Leipczke CDS II 9, 204
1383 in der stat czu Lipczig CDS II 9, 153
1378 Lipczk (castrum) RDMM15 163, 1
1378 Lippz (civitas) RDMM 172
1377 vnser stat zcu Lipczik CDS II 9, 138
1369 in Lipiczik CDS II 9, 128
1369 in Lipczg CDS II 9, 120
1350 Lipcz, in Lipzcik, Lipzcig LBFS16 14, 95, 133
Gut erkennbar zeigt die Belegkette a) vom 14. Jahrhundert an die Ausbil-
dung von dt. -zig als Topoelement in dem Ortsnamen, b) nur ganz vereinzelt
den Determinator Stadt beim Ortsnamen und c) 1378 zwei Ortsnamen-Formen
zu zwei unterschiedlichen Referenten, nämlich zu Burg und Stadt.
7.2. Vom 13. Jahrhundert bis 1200 verändert sich das Gesamtbild etwas:
1255 in Lipzik CDS 11 8, 4
1252 in Lipzk CDS II 1, 162
1247 in Lipzk UB Merseburg17 266
13 CDS: Codex diplomaticus Saxoniae (regiae). Otto Posse / Hugo Ermisch u.a. (Hg.),
Hauptteile I und II, Bände lff., Leipzig 1864ff.
14 Zitiert nach Eichler, Emst / Lea, Elisabeth / Walther, Hans: Die Ortsnamen des
Kreises Leipzig, Halle (Saale) 1960, S. 54.
15 RDMM: Registmm Dominorum Marchionum Missnensium. Verzeichnis der den
Landgrafen in Thüringen und Markgrafen zu Meißen jährlich in den wettinischen
Landen zustehenden Einkünfte 1378. Hans Beschorner (Hg.), Leipzig / Berlin 1933.
1(1 LBFS: Das Lehnbuch Friedrichs des Strengen, Markgrafen von Meißen und Land-
grafen von Thüringen 1349/50. Woldemar Lippert / Hans Beschorner (Hg.), Leipzig
1903.
357
1240 Lipizk CDS II 9, 13
1230 Johannes de Lipzik miles UB Naumburg1^ II 93
1221 advocatus (...) de Lipz CDS I 3, 289
1221 in Lipzc CDS 11 9, 8
1219 apud Lybzek fundavit CDS I 3, 289; CDS 11 9,6
1218 mercatores de Lipz CDS I 3,254
1217 in civitate Lipzc CDS II 9,4
1216 Johannes miles de Lipzc UB Merseburg 162
1215 in Lipz CDS 1 3, 207
1213 ecclesiam beatae Thomae in
Lipzc CDS 11 9, 3
1213 in Lipz CDS II 9, 2
1212 apud Libuiz fundavit CDS II 9, l19
(1210)F um 1225 duitatem Lipczk CDS 1 3, 148
1200 in civitate nostra Lipz CDS I 3, 48
Klar und deutlich treten hervor a) die tontragende Silbe Lip-, b) im Auslaut
nach -p- Variationen bei der Wiedergabe des ursprünglich altsorbischen Suf-
fixes und c) im 13. Jahrhundert der Übergang zur Zweisilbigkeit im Deut-
schen.
7.3. Die älteste Überlieferungsperiode von 1219 bis 1012/18 bringt eine Ver-
änderung in der Schriftform bei den Belegen:
1219 apud Lybzek fundavit CDS I 3,289; CDS II 9,6
1212 apud Libuiz fundavit CDS II 9, l20
(1193) 13. Jh. usque Liptzk slavorum Ann. ReinhardsbrZ1
civitatem
1190 in Lipzk CDS I 3, 561
1190 in Lipz CDS 1 3, 560
1185 Albertus de Libz et
(ad 1088/89) frater suus Burzlaus CDS I 2, 510 (S. 352)
um 1150 Libiz (oppidum) Ann. Pegav. 26622
17 Urkundenbuch des Hochstifts Merseburg. Paul Kehr (Hg.), Halle (Saale) 1899.
18 Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg. Teil II (1207-1304). Hans K. Schulze
(Hg.), Köln / Weimar / Wien 2000.
19 Urkunde von Otto IV., ausgestellt in Frankfurt a. Main.
20 Urkunde von Otto IV., ausgestellt in Frankfurt a. Main.
1 Zitiert nach Eichler et al.: Ortsnamen Leipzig (wie Anm. 14), S. 54.
358
(ad 1080) um 1150 usque Libiz Ann. Pegav. 24133
(ad 1021) F ca. 1285 oppidum Libziki nominatum
situm inter Alestram Plisnam et Pardam fluvios CDS 11 8, l24
(1050)K 15. Jh. in burchvardo Libiz(ken) UB Merseburg 71
(ad 1017) 1012/18 aecclesia in Libzi Thietmar25 VII 66
(ad 1015) 1012/18 in urbe Libzi vocata Thietmar VII 25
Die ältesten Belege zeigen a) bis 1185 ausschließlich Schreibungen mit
<b>, ferner b) Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts Schwankungen
zwischen Schreibungen mit <b> und <p>; c) Hinweise auf ein altsorbisches
-¿■¿-Suffix treten erst Ende des 12. Jahrhunderts auf.
7.4. Die älteren Erklärungen zu dem Ortsnamen Leipzig gehen davon aus, dass
es sich um eine auf aso. *LipbCb ,Lindenort4 zu *lipa ,Linde4 beruhende Aus-
gangsform handelt, wozu schließlich auch die altsorbische Bildung *Lip ’sk(o)
- wohl für die befestigte Burg - getreten ist. Die Dichte und Zuverlässigkeit
der ältesten Überlieferungsformen mit <b> haben aber dazu geführt, eine
ältere Lautung mit bj auch für die altsorbische Zeit unbedingt zu erwägen und
nachhaltig zu prüfen.-6 Es ist nun inzwischen übereinstimmend anerkannt,
dass im 10./11. Jahrhundert eine Form aso. *LihbCb eine Entwicklung zu
*Lib ’c, gesprochen infolge regressiver Assimilation [*Lip c], vollzogen hat
und so über das Klangbild letztlich mit slaw. lipa ,Linde4 auch von den
sprachkundigen Notaren verbunden worden ist.37
Für die etymologische Aufhellung der altsorbischen Basis *Lib- gibt es 22 23 * * 26 *
22 Für die Mitteilung dieses Belegs danke ich Professor Dr. Hans Walther (Leipzig).
23 Zitiert nach Eichler et al.: Ortsnamen Leipzig (wie Anm. 14), S. 54.
4 Vgl. dazu Kehr: UB Merseburg (wie Anm. 17), S. 60 und Anm. S. 55.
23 Thietmar von Merseburg. Chronik. Neu übertr. und erl. von Werner Trillmich, Ber-
lin 1962.
26 Vgl. den Vortrag des Verfassers vom 24. April 2000 zum Thema „Namenformen
als kulturhistorische Informationsträger44 am GWZO (Geisteswissenschaftliches
Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e. V.) in Leipzig [im Druck].
Vgl. Eichler, Emst: „Historische Sprachräume zwischen Ostsee und Adria im Mit-
telalter im Lichte der Onomastik“, in: Friedhelm Debus (Hg.): Namenkundliche
Beiträge. Wolfgang P. Schmid zum 70. Geburtstag, Stuttgart 2001, S. 19-45, hier S.
28f. Vgl. auch HONB (wie Anm. 4) 1, S. 577f.
359
bisher zwei Überlegungen für Ansatzmöglichkeiten. Zunächst ist eine Erklä-
rung aus dem Slawischen zu erwägen. Eine urslawische Wurzel *lib- (zu ide.
*leibh-, *loibh-) mit der Bedeutung ,schwach, abgemagert, mager, fleischig"
könnte in einem Ortsnamen auf Bodenqualität o.ä. hinweisen, also etwa einen
,Ort an karger Stelle/auf kargem Boden" anzeigen.^ Allerdings fehlt es bisher
zumindest an vergleichbaren und eine solche Erklärung stützenden Namen aus
dem slawischen Sprachraum.i0 Daher ist auch an eine dem Ortsnamen Leipzig
letztlich zugrunde liegende vorslawische Form zu denken, die den Slawen ver-
mittelt wurde und im Altsorbischen weiterverwendet worden ist. In Betracht
kommt eine Bildung zu der von Jürgen Udolph ins Gespräch gebrachten indo-
europäischen Wurzel * lei-/* lei- ,gießen, fließen, tröpfeln" mit Labialer-
weiterung, zu der er zugleich auch umfangreiches Namenmaterial zusammen-
gestellt hat.’1 Es müsste sich dann wohl um den ursprünglichen Namen für
einen Wasserlauf handeln. Im Anschluss an bei Jürgen Udolph genannte Na-
men wie lit. Libé, lett. Libe und poln. Libawa sowie tschech. Libava wäre
wohl ein Ansatz ide. *Leibha > germ, *LJba denkbar, wobei letztere Form
dann die Basis für den Ortsnamen aso. *LihbCb > *Lib ’c gewesen sein könnte.
Vielleicht war es ein im Unterschied zu den im Leipziger Raum vertrauten
Flüssen mit den vorslawischen Namen Elster, Pleiße und Parthe ein ver-
gleichsweise bescheidenes Gewässer, das inzwischen gänzlich verschwunden 28 29 30
28 Vgl. ausführlich dazu Schuster-Sewc, Heinz: Historisch-etymologisches Wörter-
buch der ober- und niedersorbischen Sprache, 5 Bde., Bautzen 1978-1996, Bd. 2,
S. 837f,, und Trubacev, Oleg: Etimologiceskij slovar' slavjanskich jazykov, Bd. 15,
Moskau 1988, S. 73-75.
29 Verwandt ist lit. liebas, laibas ,schlank, schmächtig, hager, dünn", vgl. Fraenkel,
Emst: Litauisches etymologisches Wörterbuch, Bd. 1, Heidelberg 1962, S. 329.
30 Der Ortsname Lübnitz bei Münchberg in Nordostbayem, [1332-1340] zu Libnitz,
mit fast ausschließlich 6-Schreibungen in den zahlreichen Belegen könnte eventuell
ein vergleichbarer Name sein. Zur Problematik dieses Namens vgl. Eichler, Ernst /
Greule, Albrecht / Janka, Wolfgang / Schuh, Robert: Beiträge zur slavisch-deut-
schen Sprachkontaktforschung, Bd. 2: Siedlungsnamen im oberfränkischen Stadt-
undLandkreis Bayreuth, Heidelberg 2006, S. 154-156.
ll Udolph, Jürgen: Die Stellung der Gewässernamen Polens innerhalb der alteuro-
päischen Hydronymie, Heidelberg 1990, S. 138-140. Ausscheiden muss dabei der
dort S. 140 als eventuell möglicher Vergleichsname noch genannte Orts- und Ge-
wässername Leibi bei Neu-Ulm in Bayern. Bei diesem Namen ist der Ortsname
primär gewesen und als antike Prägung *LTvänum zum Personennamen Livius zu
verstehen, vgl. von Reitzenstein, Wolf-Armin Frhr.: „Römerspuren in bayerischen
Ortsnamen"", in: Wolf-Armin Frhr. v. Reitzenstein (Hg.): Bayern und die Antike.
150 Jahre Maximilians-Gymnasium in München, München 1999, S. 253. Vgl. auch
Ders.: „Der Siedlungs- und Flußname Leibi“, in: Blätter fiir oberdeutsche Namen-
forschung 16 (1979) S. 45-46.
360
ist.32 33 Das würde unter Umständen auch erklären, dass die slawischen Siedler
den ursprünglichen Namen auch mit der ebenfalls aus dem Indoeuropäischen
ererbten urslawischen Wurzel *lib- < ide. *leibh- , schwach4in Verbindung
bringen und im oben beschriebenen Sinne vielleicht weiterverwenden be-
ziehungsweise gewissermaßen resemantisieren konnten.
7.5. Als gesichert darf also zur Zeit nur gelten, dass der Ortsname Leipzig in
altsorbischer Zeit erst sekundär als ,Lindenort4 verstanden worden ist. Primär
aber hat eine klar erschließbare Form aso. *Lib ’c ganz gewiss einen anderen
Bedeutungsinhalt gehabt. Noch ungewiss ist jedoch, ob es sich um eine altsor-
bische Namenprägung handelt oder eine vorslawische Form in dem Namen
fortgeführt worden ist. Bislang kann nur vermutet werden, dass vielleicht in
dem Namen ein Indiz auf eine ,schwache/magere4 Erscheinung im geo-
graphischen Bereich vorliegt (karger Boden, schwaches Gewässer o.ä.?). Hier
besteht für künftige Forschung noch Klärungsbedarf.
Die ausführliche Betrachtung der Dokumentationskette zum Ortsnamen
Leipzig hat gezeigt, wie notwendig und weiterführend eine solche möglichst
lückenlose Reihung sprachlicher Formen sein kann.
8. Wie sieht das Interferenzgeschehen schließlich bei sicher vorslawisehen
Namen aus?
Die Rekonstruktionskette wird bei vorslawischen Namen noch deutlich länger.
Ursache dafür ist, dass weitere Transsumte und ihre sprachliche Entwicklung
zu beachten sind. Dabei wird die besondere Kompliziertheit der sprachhisto-
risehen Analyse in Sprachkontakträumen recht deutlich.
Als Beispiel dient nachfolgend der Ortsname Borgishain bei Alten-
burg/Pleiße in Ostthüringen.
32 Der ausgezeichnete Kenner des Leipziger Landes und bekannte Namenforscher
Hans Walther hat im Gespräch immer wieder mit Nachdruck darauf aufmerksam
gemacht, dass ihm bei der Rückführung des Ortsnamen auf einen Gewässernamen
allerdings das konkrete Objekt in der Realität dazu fehlt.
33 Zur Wurzel vgl. Рокоту, Julius: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch,
Bern / München 1959, Bd. 1, S. 66lf.
361
8.1. Die urkundliche Überlieferung zu Borgishain zeigt eine interessante
Belegfolge:34
um 1200 in Bruzen UBA 69a35
1291 Hermannus de Borgenzan UB Vö I 26336
1300 Conradus de Borgetzan UBA 419
1314 Albertus de Borgezhan,
Bortzan UBA 48If.
1336 Borgecan RDMM 40937 38
1350 Borgczan UBA 646
1378 Borgeczan RDMM 214
1423 Borgeczan UBA II 27.1 l.3i
1445 Burgkczan Erbarm.39
1481 Burgeczhain Lobe I 54940
1528 Borgentzan Lobe I 41
1533/34 Borckzan ARg. Abg. 6641 42 *
1609 Borckzan Karte Abg.
1753 Burgishain Sächs. Atlas
Der Ortsname mit seinen ältesten Formen erwies sich lange als rätselhaft.4~
Die Kommunikationskette setzt mit schriftlicher Überlieferung erst um
1200 ein. Die Formen von 1291 und 1300 lassen von diesen Transponaten auf
14 Belege nach HONB (wie Anm. 4) 1, 93f. und aus Sammlung des Verf.
35 UBA: Altenburger Urkundenbuch, Bd. 1 (976-1350). Bearb. von Hans Patze, Jena
1955.
'l6 UB Vö.: Urkundenbuch der Vögte von Weida, Gera und Plauen. Bearb. von Bert-
hold Schmidt. Bd. I, Jena 1885; Bd. II, Jena 1895.
37 RDMM (wie. Anm. 15).
38 UBA II: Altenburger Urkundenbuch, Bd. II (1371-1507). Manuskript von Hans
Patze, Thüringisches Staatsarchiv Altenburg.
39 Erbarm: Verzeichnis der Erbarmannschaften. Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dres-
den. Loc.7997.
40 Lobe: Lobe, D. J. / Lobe, E.: Geschichte der Kirchen und Schulen des Herzogthums
Sachsen-Altenburg, Bd. I, Altenburg 1886; Bd. II, Altenburg 1887.
41 ARg. Abg.: Amtsrechnungen Altenburg. Vgl. HONB (wie Anm. 4), Bd. 3, S. 23.
42 Vgl. dazu Eichler: Studien zur Frühgeschichte (wie Anm. 1), S. 48 Anm. 3; Hengst,
Karlheinz: „Die Ortsnamen des Bosauer Zehntverzeichnisses“, in: Onomastica Sla-
vogermanica 4 (1968) S. 115-139, hier S. 119; Eichler: Slawische Ortsnamen
zwischen Saale und Neiße (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 54, wobei ältere Deutungen
durchaus als unzutreffend ausgeschieden werden konnten.
362
eine gesprochene Form [borgentsan] mit einiger Sicherheit schließen. Der
deutschen Sprechform dürfte ein altsorbischer Ortsname als Bewohnemame
vorausgegangen sein, der rekonstruiert etwa folgende Entwicklungskette er-
gibt: *BorgQzane < *Burgyzane < *Burgund-, vgl. germ. Burgundi etc.43 Vom
10. Jahrhundert an muss die altsorbische Form *Borggzane in der inter-
ethnischen Kommunikation von deutschen Sprechern als etwa [*borgontsane]
verwendet worden sein. Diese Form dürfte dann im deutschen Sprachge-
brauch schließlich in mittelhochdeutscher Zeit durch Vokalreduktion in der
unbetonten Mittelsilbe sowie im Auslaut zu [borgentsan] geführt haben. Und
im Weiteren ist dann die Mittelsilbe im Deutschen ganz geschwunden, was
die Belege gut widerspiegeln.
Als Vergleichsname findet sich der polnische Ortsnamen Bargqdzino,
deutsch früher Bergensin (ehemals Kreis Lauenburg/Hinterpommem), 1395
Bargonsin, 1404 Barganschino usw.44 Die Erläuterung der sprachlichen Ent-
wicklung dieses Namens im Polnischen ist von Max Vasmer in Verbindung
mit Familiennamen, die den Burgunder-Namen fortsetzen, ausführlich behan-
delt worden.45
8.2. Wie ist aber die sprachliche Aufzeichnung von um 1200 in Bruzen zu in-
terpretieren?
Diese als stark entstellt empfundene Form hat bereits Zweifel erregt und zu
der Frage veranlasst, ob sie überhaupt zu dem Ortsnamen Borgishain zu stel-
len ist.46 Aber die Zuverlässigkeit der Quelle, des Bosauer Zehntverzeich-
nisses, und die darin beobachtbare Abfolge der Ortsnamen zerstreuen solche
Zweifel. Freilich ist der sprachliche Zusammenhang nur noch mühsam herzu-
stellen.
Die so rätselhafte Form <Bruzen> muss offensichtlich auf eine altsorbische
Form aus der Zeit nach der Entnasalierung von |p| [013] > |uj zurückgehen. Eine
44 Zum Namen der Burgunder vgl. Neumann, Günter: „Burgunden“, in: Reallexikon
der Germanischen Altertumskunde 4 (1981) S. 230f. sowie Schwarz, Emst: Germa-
nische Stammeskunde, Heidelberg 1956, S. 74 ff. - Der altsorbische Bewohnemame
zeigt die ganz regelmäßige Übernahme der vorslawischen Form germ. Burgundi als
*BbrgQdb. Wie in urslaw. tbrt generell wurde r>r zwischen Konsonanten hier im
Altsorbischen zu or, dem z.B. poln. ar entspricht, vgl. ursl. *gbrdlo ,Kehle1 und
poln. gardio sowie obersorb. horto, hordlo aus älterem *gordlo.
44 Lorentz, Friedrich: Slawische Namen Hinterpommerns, Berlin 1964, S. 7. Vgl, auch
Rymut, Kazimierz: Nazwy miejscowe Polski. Historia, pochodzenie, zmiany, Bd. 1,
Krakow 1996, S. 80f. mit weiteren historischen Belegen.
44 Vasmer, Max: „Der Burgundemame bei den Westslaven“, in: Herbert Brauer (Hg.):
Max Vasmer: Schriften zur slavischen Altertumskunde und Namenkunde, Bd. 2,
Berlin 1971, S. 590-598. [Wiederabdruck einer Friedrich Lorentz gewidmeten Stu-
die aus dem Jahr 1933.]
46 HONB (wie Anm. 4), Bd. 1, S. 93.
363
solche Form des Ortsnamens könnte beziehungsweise müsste im 11. Jahr-
hundert aso. *Borguzane gelautet haben. Als Transsumt ist damit annehmbar
dt. *[borgutsane]. Im deutschen Munde ist wiederum durch binnendeutschen
Gebrauch im Verlaufe des 11. und 12. Jahrhunderts mit Abschwächung von
-'ane > -’ene und Schwund von auslautend -e zu rechnen. Diese Entwicklung
wird durch andere Ortsnamen in der gleichen Quelle, dem Zehntverzeichnis
von Kloster Bosau, direkt bestätigt, vgl. 1140 Cotelzcan, aber um 1200 in
Chotilscen, heute Göldschen, zu aso. * Kotei 'cane ,Bewohner eines
Talkessels1, und auch um 1200 Studincsen (Stünzhain) aus aso. *Studehcane
.Quelleanwohner'.
Zu klären ist nun noch die Reduktion von [Borg-] > [Br-] im Deutschen.
Wahrscheinlich handelt es sich um eine deutsche Schnellsprechform mit Beto-
nung der zweiten Silbe, also etwa ein im 11. Jahrhundert zunächst gesproche-
nes dt. *[bdrgütsan-] mit weiterer Reduktion im Verlaufe des 12. Jahrhunderts
zu dt. *[brütsen], dem dann die älteste Überlieferungsform um 1200 <Bruzen>
genau entspricht. Dieser Vorgang wird besonders dann verständlich, wenn in
Betracht gezogen wird, dass durchaus die altsorbische Form *Borguzane -
wie wohl auch älter aso. *Burgqzane - den Akzent in der Mittelsilbe, also auf
dem w, gehabt haben dürfte, vgl. noch heute auch im Deutschen Burgund und
Burgunder.
Die eigentlich auf jüngerer Übernahme ins Deutsche beruhende Form
<Bruzen> ist im weiteren deutschen Sprachgebrauch nicht bewahrt worden.
Durchgesetzt und erhalten hat sich die ältere Entlehnungsform aus dem 10.
Jahrhundert, natürlich abgeschliffen und adaptiert ans Deutsche. Möglicher-
weise war die entnasalierte Form mit |u| und ihr verkürzt gesprochenes deut-
sches Transsumt mit der Schriftform <Bruzen> eine auf die innerkirchliche
Verwendung begrenzte Namensform. Das wäre durchaus verständlich, da die
Geistlichen auf Grund ihrer Missionsarbeit und christlichen Betreuung die ak-
tuelle Sprechweise unter der ihnen anvertrauten altsorbischen Bevölkerung
wohl aus ihrer täglichen Arbeit am besten kannten. Mit dem Übergang der sla-
wischen Bewohner zur deutschen Sprache geriet dann wahrscheinlich auch die
modernere altsorbische Form des Namens allmählich in Vergessenheit.
Damit ist der Ortsname Borgishain einschließlich seiner schriftlich über-
lieferten Formen eindeutig als genuin slawischer Ortsname voll verständlich
geworden. Die eventuelle Flerleitung dieses Ortsnamen hingegen von einem
deutschen Personennamen vom Typ Burgizo47 darf getrost ausscheiden und
würde auch mehr als erhebliche Schwierigkeiten bei der Interpretation der
Namengraphien bereiten.
8.3. Bei vorslawischen Namen ergibt sich somit, dass eine recht ausgedehnte
Kommunikationskette bei der Analyse des Ortsnamen-Tradierungsprozesses 47
47 Vgl. ebd. mit Erwägung einer eventuellen Adaptation dieses Personennamen durch
slawische Sprachträger.
364
zu bedenken ist. Handelt es sich gar um einen Namen aus voreinzelsprachli-
cher Zeit, wird diese Kette und die zu bedenkende Vielfalt an sprachlichen
Prozessen noch umfangreicher. Unter Verzicht auf die auch bei älteren
Sprachstufen zu erwartenden Vorgänge wie Adaptation und Integration ergibt
sich allein für das Territorium zwischen Saale und Mulde schon ein recht
umfangreiches Verlaufsschema.
Tradierungsprozess bei Kommunikationskette seit voreinzelsprachlicher
Zeit:
heutige Namensform
t
deutsches Adaptat
T
deutsches Integrat
T
deutsches Transponat
t
deutsches *Transsumt
T
altsorbische *Namensform
T
altsorbisches *Transsumt
T
germanische *Namensform
T
germanisches *Transsumt
T
vorgermanische *Namensform 9
9. Zusammenfassend ist die Feststellung möglich, dass die konsequente Be-
trachtung beziehungsweise Analyse der Ortsnamen als Sprachdenkmäler aus
den mittelalterlichen Quellen in Sprachkontakträumen recht umfassende Aus-
sagen zu den Interferenzerscheinungen zu liefern vermag. Die großräumige
Bearbeitung von Sprachkontaktgebieten ermöglicht es, bei genauer Herausar-
beitung phonematisch-graphematischer Regularitäten in bestimmten zeitlichen
Abschnitten und Eruierung morphematisch-semantischer Interpolationen zu
einer Aufhellung von sprachgeschichtlichen Vorgängen in den kontaktieren-
den Sprachen durch verlässliche Aussagen beizutragen. Unerlässliche Voraus-
setzung dabei ist, dass die mit dem Wechsel von Namen aus einer Sprache in
eine andere zu bedenkenden Umstände in den Rekonstruktionsprozess mit ein-
bezogen werden. Dazu gehören sowohl die Kommunikationsbedingungen und
wahrscheinlichen Kommunikationssituationen als auch die mit dem Sprach-
wechsel verbundenen Integrationsprozesse einschließlich ihrer Verfahren oder
Verläufe sowie Resultate.
365
Summary
Linguistic Evidence of the Medieval German-Slavonie
Contact Area between the Rivers Saaie and Mulde (since 10th
c.). Analysis and Interpretation
This article explains historical forms of toponyms since the tenth century in a
region of language contact between Slavonic and German speakers in the
Eastern parts of Germany. Special attention is given to the adaptation of
Oldsorbian place names by German people and their recording in Latin texts
during the Middle Ages. In this paper, a distinction between the names in
Oldsorbian and in the borrowing German language with the states of
Transsumt, Transponat, Integrat and Adaptat will be presented. Communi-
cational situations in the region with languages in contact during the Middle
Ages are described by means of sociolinguistics. Hence, one can differentiate
between a certain culture-based bilinguality and a partial bilinguality at
different times. In the final part of the paper, the practical advantage and profit
of analysing the phenomena of languages in contact is illustrated and
documented. Examples are primarily Slavonic place names and also a Pre-
slavonic toponym; examined are their phonemic, graphemic and morphemic
structures.
366
Matthias Springer
Germanisch-Slawisch-Romanische Interferenzen in
Magdeburger Urkunden des 10. Jahrhunderts und
anderswo
Von 1879 bis 1884 erschien innerhalb der Monumenta Germaniae Historica
der erste Band der Unterreihe, deren Überschrift lautet: Die Urkunden der
deutschen Könige und Kaiser / Diplomata regum et imperatorum Germaniae.
Er enthielt die Urkunden Konrads I. (911-918), Heinrichs I. (919-936) und
Ottos I. (936-973).1 1888 und 1893 folgten die beiden Teile des zweiten Ban-
des, der Otto 11. (973-983) und Otto III. (983-1002) gewidmet war. Damit la-
gen die Urkunden der ostfränkisch-deutschen Könige von 911 bis 1002 voll-
ständig vor und folglich auch die der abendländischen Kaiser seit 962 bis zum
Tode Ottos III.
1897 veröffentlichte der bedeutende Namenforscher Edward Schröder
(1858-1942) den ersten Teil seiner Urkundenstudien eines Germanisten 2 In
diesem Aufsatz schrieb er: „Die beiden ersten Bände der Diplomata ,regum et
imperatorum Germaniae M. S.‘ zeigen nirgends die Spuren einer germanisti-
schen Mitwirkung - und sie sind ihrerseits von meinen Fachgenossen bisher
so gut wie gar nicht ausgebeutet worden.“ Sonderbarerweise fügte Schröder
hinzu: „Aber groß ist der Schade jedenfalls nicht, auf keiner von beiden
Seiten.“1 Im Gegensatz dazu schloss er selber gleich bemerkenswerte Ausfüh-
rungen zu Urkunden Ottos I. und Ottos II. an, die beim Leser durchaus Bedau-
ern darüber erwecken, dass die beiden Bände , keine Spuren germanistischer
Mitwirkung1 3 verraten.
Das Gefühl des Bedauerns wegen der mangelnden germanistischen Mit-
arbeit stellt sich bei der Betrachtung zahlreicher anderer Bände der Monumen-
ta Germaniae Historica ein. Theodor Mommsen bildete eine rühmliche Aus-
nahme, als er für seine 1882 erschienene Ausgabe der Gotengeschichte des
Jordanes (f nach 551) als germanistischen Sachverständigen Karl Müllenhoff
(1818-1884) hinzuzog.4
1 Monumenta Germaniae Historica [im Folgenden: MGH]. Die Urkunden der deut-
schen Könige und Kaiser, Bd. 1, Hannover 1879-1884 [= Nachdruck München
1980].
2 Schröder, Edward: „Urkundenstudien eines Germanisten“, in: Mitteilungen des
Instituts fiir Österreichische Geschichtsforschung 18 (1897) S. 1-52.
3 Ebd. S. 14.
4 MGH (wie Anm. 1). Auctores antiquissimi, Bd. 5,1, Berlin 1882 [= Nachdruck
München 1982], S. 139. Zu namenkundlichen Fragen bei Jordanes siehe jüngst
Matthias Springer: „Neue Ergebnisse der Jordanes-Forschung und die Namenkun-
367
Damit ich nicht in den Verdacht gerate, mich als Nestbeschmutzer
betätigen zu wollen - schließlich gehöre ich zur Zunft der Historiker füge
ich im selben Atemzug hinzu, dass man in unseren Tagen oftmals lebhafte Be-
trübnis deshalb empfinden muss, weil Germanistinnen und Germanisten nicht
haben geruhen wollen, bei der Abfassung ihrer mehr oder weniger umfang-
reichen Werke den Rat von Historikern einzuholen. Ich denke dabei vor allem
an Darstellungen über die deutsche Literatur der letzten 250 Jahre.
Aber zurück zu den Königsurkunden des 10. Jahrhunderts: Wie steht es mit
ihrer sprachwissenschaftlichen Auswertung überhaupt? Mit der Frage kom-
men wir zu einem allgemeineren Sachverhalt, auf den von zuständiger Seite,
nämlich von Urkundenforschern, hingewiesen worden ist und den man in
folgende Worte gekleidet hat: carta edita, causa finitaf
Damit ist keineswegs gemeint, dass die Urkunden nicht ständig von der
Geschichtsforschung herangezogen würden. Doch geht es ihr am häufigsten
um die beurkundeten Handlungen oder um Dinge, die außerdem genannt sind,
wie die Aufenthaltsorte der Könige. Geringere Beachtung finden die Urkun-
den dagegen als eine eigene Gattung von Schriftwerken und folglich als
sprachliche Erzeugnisse, die mit einer bestimmten Zeit und mit einem be-
stimmten Raum verknüpft sind. Natürlich gibt es Gegenbeispiele. Ich nenne
eine Arbeit wie Die päpstliche Urkundensprache im frühen Mittelalter von
Hans-Henning Kortüm mit dem Untertitel Die päpstlichen Privilegien 896-
1046b Der Verfasser setzt mit seinen Untersuchungen „beim Empfänger
ein.“' Das heißt, der zu betrachtende Raum beschränkt sich nicht auf den Sitz
der Päpste. Vielmehr schließt er das ein, was man die Empfängerlandschaften
nennen könnte.* 6 7 8 * 10 Die Ausdrucksweise der betreffenden Urkunden ist nämlich
stärker von den Empfängern beeinflusst, als man früher meinte.4 Allerdings
verfügte schon Schröder über diese Einsicht.1"
de. Zugleich Besprechung von Ame Soby Christensen: Cassiodorus Jordanes and
the History of the Goths, 2002“, in: Namenkundliche Informationen 89/90 (2006) S.
131-147.
' Mersiowsky, Mark: ,„Carta edita, causa finita?1. Zur Diplomatik Kaiser Amolfs“,
in: Franz Fuchs (Hg.): Kaiser Arnolf: Das ostfränkische Reich am Ende des 9. Jahr-
hunderts. Regensburger Kolloquium, 9.-11.12.1999 (Zeitschrift für bayerische
Landeskunde, Beiheft 19), München 2002, S. 271-374.
6 Kortüm, Hans-Henning: Die päpstliche Urkundensprache im frühen Mittelalter
(Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 17), Sigmaringen 1995.
7 Ebd. S. 21.
* Zum Begriff der Urkundenlandschaft siehe: Fichtenau, Heinrich: „Zur Lage der
Diplomatik in Österreich“, in: Ders.: Beiträge zur Mediävistik: ausgewählte Auf-
sätze, Bd. 2, Stuttgart 1977, S. 1-17, hier S. 13.
' Kortüm: Die päpstliche Urkundensprache (wie Anm. 6), S. 425.
10 Schröder: „Urkundenstudien“ (wie Anm. 2), S. 15.
368
Damit keine Missverständnisse entstehen, möchte ich hervorheben, dass es
mir um Bezüge zu Sprachen geht, die gewissermaßen außerhalb der Urkunden
liegen, und nicht um den innerurkundlichen Gebrauch des Lateinischen - etwa
in den Titelangaben (,lntitulationes‘) oder den Vorreden (,Arengen‘), mit
denen sich viele Forscher beschäftigt haben und beschäftigen. Ich gebe gern
zu, dass die beiden Gesichtspunkte sich nicht unbedingt trennen lassen
Im Folgenden werde ich eine Anzahl von Urkunden betrachten, die als
gemeinsamen räumlichen Nenner einen Bezug zu Magdeburg aufweisen. Was
den Zeitraum meiner Untersuchung angeht, so ist aus der Überschrift nur sein
Ende, aber nicht sein Anfang mit hinreichender Genauigkeit ablesbar. Die Be-
trachtungen setzen nämlich nicht etwa im Jahre 901 ein, sondern erst 936.
Wenn ich von Magdeburger Urkunden spreche, meine ich zweierlei: Ers-
tens Urkunden, die für Magdeburger Empfänger ausgestellt wurden oder in
denen Magdeburger Verhältnisse berührt sind - einerlei, wo die Ausstellung
erfolgte und zweitens Urkunden, die in Magdeburg oder seiner Umgebung
ausgestellt wurden - einerlei, wer der Empfänger war. Mit dem Begriff der
Magdeburger Umgebung gehe ich sehr großzügig um, indem ich ihre Grenzen
annähernd mit den Grenzen des Landes Sachsen-Anhalt gleichsetze und sie
zum Teil sogar überschreite. Damit will ich aber nur den Untersuchungsraum
abstecken. Keineswegs möchte ich den Eindruck hervorrufen, als ob die Gren-
zen der heutigen politischen oder Verwaltungseinheiten schon vor tausend
Jahren bestanden hätten.
Bei den Magdeburger Urkunden der zu betrachtenden Zeit handelt es sich
vor allem um Königs- und Kaiserurkunden. Hinzu kommen mehrere Papstur-
kunden.11 Privaturkunden sind noch selten, fehlen aber nicht ganz.12 Es sei da-
ran erinnert, dass alle Urkunde außer den Königs-, Kaiser- und Papsturkunden
zu den Privaturkunden zählen, also auch die Urkunden der Bischöfe oder Her-
zoge usw.13
Einer Erklärung bedarf die Aussage, dass es Magdeburger Urkunden erst
seit 936 gibt. Wie vielleicht bekannt ist, hat die Stadt Magdeburg im Jahre
2005 ihr 1200jähriges Bestehen gefeiert. Die Feier erfolgte völlig zu Recht,
denn der Name Magdeburgs wurde 805 erstmals genannt, und zwar gleich
" Siehe auch Simon, Jürgen: „Die Kirchenprovinz Magdeburg. Stufen der Grün-
dungsgeschichte anhand der Papsturkunden“, in: Rudolf Hiestand (Hg.): Hundert
Jahre Papsturkundenforschung (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften
zu Göttingen, Phil.-Hist. Kl. 3/261), Göttingen 2003, S. 105-120.
12 Siehe zum Beispiel eine Urkunde des Bischofs Bernhard von Halberstadt vom Jahre
966 für das Magdeburger Moritzkloster, in: Urkundenhuch des Erzstifts Magde-
burg, Teil 1: 937-1192 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates
Anhalt, Neue Reihe 18). Friedrich Israel / Walter Möllenberg (Hg.), Magdeburg
1937, Nr. 45, S. 63-65.
13 Gawlik, Alfred: „Privaturkunden“, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München
1995, Sp. 222-224.
369
doppelt: Einerseits im sogenannten Kapitular von Diedenhofen (franz. Thion-
ville), andererseits in der Chronik von Moissac, wo Magdeburg übrigens 806
noch einmal erscheint.14
Danach verschwand der Ort aus den Quellen. Erst 936 tauchte er wieder
auf. Die mitunter anzutreffende Behauptung, Magdeburg werde im 9. Jahr-
hundert nach 806 noch mehrmals erwähnt, beruht auf einem Missverständnis:
Bei den scheinbaren Zeugnissen handelt es sich um Kapitulariensammlungen,
in die auch das Diedenhofener Kapitular aufgenommen wurde. Die Sammler
schrieben das Schriftstück von 805 einfach ab.15 Zu ihrer Gegenwart bestand
kein Bezug.
Das plötzliche Auftauchen Magdeburgs in den Urkunden seit 936 hatte fol-
genden Hintergrund: Mit dem Übergang der Königswürde auf Heinrich I. im
Jahre 919 rückten Orte in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, die im Nord-
osten des ostfränkisch-deutschen Reichs lagen, denn hier verfügte der neue
Herrscher über wesentliche Machtgrundlagen. Das nächstliegende Beispiel
bildet Quedlinburg, das 922 zum ersten Mal genannt wurde.
Sogleich nachdem Otto I. 936 seinem Vater als König gefolgt war, trat
Magdeburg aus dem Dunkel des Vergessens hervor: Die dritte Urkunde des
neuen Herrschers wurde hier am 3 4. Oktober jenes Jahres ausgestellt, und
zwar für das Kloster Fulda.16 Da wir uns fortan mit den ,Notaren" beschäfti-
gen müssen, also den Männern, von denen der Wortlaut der Urkunden oder
ihre Reinschrift oder beides stammt - je nachdem -, sei gleich angemerkt,
dass die eben genannte Urkunde und die ihr unmittelbar vorhergehende sowie
die unmittelbar folgende von einem „Gelegenheitsnotar“ geschrieben sind,
wie Wolfgang Huschner sich ausdrückt.1
Im Zusammenhang mit der Entstehung von Urkunden soll gleich darauf
14 Springer, Matthias: „Magdeburg. § 1. Historisches“, in: Reallexikon der Germa-
nischen Altertumskunde [im Folgenden: RGA], Bd. 19, Berlin / New York 2001, S.
130-131.
15 Die Kapitulariensammlung des Ansegis (MGH. Capitularia regum Francorum,
Nova Series 1). Gerhard Schmitz (Hg.), Hannover 1996, S. 573.
' D O. I. 2, in: MGH. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 1 (wie
Anm. 1), S. 90f. Die erste Urkunde Ottos 1. ist D O. I. 466, S. 638. Ich benutze die
Zitierweise, die in Bezug auf die Königs- und Kaiserurkunden der MGH üblich ist:
„D O. I. 1“ bezeichnet also die in den MGH als Nr. 1 gezählte Urkunde Ottos. I.,
wobei D für Diplom steht. Zu den Beziehungen des Königs zum Ort Magdeburg
siehe jetzt Kleinen, Michael: „Magdeburg, die Lieblingspfalz Ottos I.?“, in:
Matthias Puhle / Peter Petsch (Hg.): Magdeburg. Die Geschichte der Stadt 805-
2005, Dössel 2005, S. 75-84.
1 Huschner, Wolfgang: Transalpine Kommunikation im Mittelalter: diplomatische,
kulturelle und politische Wechselwirkungen zwischen Italien und dem nordalpinen
Reich (9.-11. Jahrhundert) (MGH, Schriften 52, I-1II), 3 Bde., Hannover 2003, hier
Bd, I, S. 60.
370
hingewiesen werden, dass unter Otto I. zwar südalpine Hofnotare Urkunden
auch für nordalpine Empfänger ausfertigten, nicht aber nordalpine Hofnotare
für südalpine Empfänger.1<s Damit ist nichts über die Ausstellungsorte der Ur-
kunden gesagt: Die Italiener konnten in Deutschland und die Deutschen in Ita-
lien tätig werden.
Das Schriftstück vom 14. Oktober 936 führt uns in germanisch-slawische
Beziehungen hinein: Mit ihm bestätigte Otto I. eine von Heinrich I. ausge-
stellte Urkunde. Es ist in der Urschrift überliefert und übernimmt den
,Kontext1 seiner Vorlage beinahe wortgetreu. Nur ließ Otto I. ausdrücklich
hinzufügen, dass ihn der Abt Hathumar (von Fulda) aufgesucht habe, als er -
der König - „aus dem Gebiet derjenigen Wenden, die Riaderi heißen, friedlich
nach Magdeburg gekommen“ war: quando de provintia Sclavorum qui vocan-
tur Riaderi in pace venimus ad Magathaburg.'9
Es fällt hier die Bezeichnung einer slawischen Personengruppe oder - wenn
man will - ein Volks- oder Stammesname. Das Wort dürfte im Vokalbestand
verhochdeutscht sein und ist mit einer lateinischen Endung versehen.20 Hoch-
deutsche Formen in Urkunden, die in Magdeburg ausgestellt sind, werden uns
noch öfter begegnen.
In den heutigen deutschen Darstellungen erscheint der Name der betreffen-
den Slawen als Redarier. Etymologisch hängt er mit dem Namen des Gottes
Redigost zusammen.21
Der Geschichtsschreiber Widukind von Corvey (f nach 968 oder 973)
gebraucht die Wortform Redarii (in den obliquen Kasus mit den entsprechen-
den Endungen der lateinischen o-Deklination).22 Jedoch findet sich eine Aus- * 19 20 21 22
Ebd. S. 217.
19 D O. I. 2 (wie Anm. !), S. 91. Vgl. Lübke, Christian: Regesten zur Geschichte der
Slaven an Elbe und Oder, Teil II: 900-983 (Osteuropastudien der Hochschulen des
Landes Hessen 1, 133), Berlin 1985, Nr. 50, S. 72.
20 Man vergleiche ia „in alten Lehnwörtern“ tur lateinisches e: Braune, Wilhelm: Alt-
hochdeutsche Grammatik. 14. Aufl,, bearb. von Hans Eggers, Tübingen 1987, §
36c, S. 37. Vielleicht wurde das slawische e in ähnlicher Weise umgesetzt.
21 Eichler, Emst / Witkowski, Theodor: „Namen der Stämme und Landschaften“, in:
Joachim Hermann (Hg.): Die Slawen in Deutschland: Geschichte und Kultur der
slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6. bis 12. Jahrhundert, Berlin
1970, S. 11.
22 Die Sachsengeschichte des Widukind von Corvey, 1, 36 und 3,58 (MGH SS rer.
Germ, in us. schol.). Paul Hirsch (Hg.), Hannover 1935 [= Nachdruck 1989], S. 51,
S. 52 und S. 136. Ebenfalls erschienen in: Quellen zur Geschichte der sächsischen
Kaiserzeit (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 8),
unter Benützung der Übersetzung von Paul Hirsch, neu bearb. von Albert Bauer. 5.,
gegenüber der 4. um einen Nachtrag erw. Aufl., Darmstadt 2002, S. 70f. und S.
164f.
371
nähme: Widukind gibt in seinem Werk einen Brief Ottos I. wieder, den der
Kaiser 968 in der Nähe von Capua schreiben ließ. Hier erscheint der Name in
der Form Redares,23 die der sogenannten dritten Deklination folgt. Die Schrei-
bung Red-, also mit <e>, entspricht wohl den Gegebenheiten des Alt-
sächsischen,24 könnte auf dem Boden Italiens allerdings auch durch die roma-
nische Umsetzung des althochdeutschen Zwielauts lial erklärt werden.
Nun hatte nicht erst die dritte, sondern schon die zweite Urkunde Ottos 1.
sowohl slawische als auch Magdeburger Bezüge. Sie wurde am 13. September
936 in Quedlinburg ausgestellt und diente der Ausstattung des dortigen Da-
menstifts, das soeben von der Königin Mathilde, also der Witwe Heinrichs I.
und Mutter Ottos 1., gegründet worden war. Unter anderem überließ der junge
König der neuen Einrichtung je 15 wendische familiae in Frohse sowie in Cal-
be (an der Saale): „in Uraso familias Sclavanicas XV et totidem in CaluoX25
Seit 1932 bildet dieses Frohse einen Teil der Stadt Schönebeck. Es liegt auf
dem linken Ufer der Elbe unmittelbar oberhalb des heutigen Magdeburger
Stadtgebiets. Im 10. Jahrhundert beherbergte Frohse einen bedeutenden Kö-
nigshof. Von der damaligen Herrlichkeit ist nichts geblieben.
Zu unterscheiden ist dieses Frohse sowohl von dem Frose, das nordwestlich
von Aschersleben liegt, als auch von einem gleichnamigen Ort, der sich elbab-
wärts an die Mauern der Altstadt von Magdeburg anschloss, aber schon vor
langer Zeit untergegangen ist.26 27 28 Der betreffende Magdeburger Stadtteil heißt
heute ,die alte Neustadt*. Mit dem Ortsnamen Fro(h)se hat sich 1963 übrigens
Hans Kuhn beschäftigt.2
Bevor wir weitergehen, sei am Rande darauf hingewiesen, dass die Qued-
linburger Urkunde vom 13. September 936 schöne Zetazismen aufweist. So
heißt es Salbetse und Quernbetsi für Saltbeke (> Salbke, heute Ortsteil von
Magdeburg) und *Quernbeke (wohl Quarmbeck, südl. Quedlinburg).2X Man
23 Widukind von Corvey, 3, 70, hrsg. von P. Hirsch (wie Anm. 22), S. 147.
~4 Krogh, Steffen: Die Stellung des Altsächsischen im Rahmen der germanischen
Sprachen (Studien zum Althochdeutschen 29), Göttingen 1996, S. 260-262.
2" D O. I. 1 (wie Anm. 1), S. 89, Z. 43f.; Lübke: Regesten (wie Anm. 19), Nr. 47, S.
67-69.
~i’ Siehe den Stadtplan bei Schwineköper, Berent: „Magdeburg“, in: Berent Schwine-
köper (Hg.): Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Bd. 11: Provinz
Sachsen.Anhalt {Kröners Taschenbuchausgabe 314), Stuttgart 21987, S. 290f.
27 Kuhn, Hans: „Der Name der Friesen“, in: Ders.: Kleine Schriften: Aufsätze und Re-
zensionen aus dem Gebieten der germanischen und nordischen Sprach-, Literatur-
und Kulturgeschichte, Bd. 3: Namensforschung, Sonstiges, Berlin / New York 1972,
S. 277-285, besonders S. 282. Weitere Darstellungen bei Lübke: Regesten (wie
Anm. 19), S. 68,111,4.
28 Zu quem in Ortsnamen siehe Udolph, Jürgen: Namenkundliche Studien zum Ger-
manenproblem (Ergänzungsbände zum RGA [wie Anm. 14] 9), Berlin / New York
372
kann sich fragen, ob hier die jeweiligen Ortsmundarten wiedergeben werden
oder ob der Verfasser der Urkunde den Lautbestand der Namen nach seinem
Dialekt oder nach dem Dialekt des Schreiborts formte. Im zweiten und dritten
Fall hätten wir es mit einer Interferenz innerhalb des Niederdeutschen zu tun.
Wenn ich den Ausdruck familiae Sclavanicae als ,wendische familiae4
übersetzt habe und nicht als ,slawische4, so tue ich das mit Bedacht. Das Wort
Sclavi und die von ihm abgeleiteten Adjektive bedeuten in den Quellen, die
auf dem Boden des ostfränkisch-deutschen Reichs während des 10. Jahrhun-
derts entstanden sind, nämlich nicht ,die Slawen4 und nicht ,slawisch4 - eben-
so wenig, wie die heutigen englischen Wörter the Germans oder german ,die
Germanen4 oder ,germanisch4 bedeuten und ebenso wenig, wie Ungarii im
10. Jahrhundert die Bedeutung ,die Finnougrier4 hatte.
Die Zeitgenossen Ottos I. verfügten noch gar nicht über den Begriff ,die
Slawen4. Dieser Begriff bildet eine Abstraktion der Sprachwissenschaft wie
die Begriffe ,die Germanen4, ,die Romanen4 oder ,die Kelten4. Dement-
sprechend sind die Wörter Slawen und slawisch Fachausdrücke der Sprach-
wissenschaft genau wie die Wörter Germanen und germanisch, Romanen und
romanisch oder Kelten und keltisch. Dass nach den Einteilungsgrundsätzen
der neuzeitlichen Sprachwissenschaft die Sclavi des 10. Jahrhunderts unter
den Oberbegriff der Slawen fallen, die Ungarii unter den Oberbegriff der
Finnougrier und die Saxones oder Alamanni usw. unter den Begriff der Ger-
manen, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Unter den Sclavi verstanden die betreffenden Quellen des 10. Jahrhunderts
gewöhnlich den Personenkreis, der in der neuzeitlichen Wissenschaft als die
Elb- und Ostseeslawen erscheint. Es ist den lateinisch schreibenden Zeitge-
nossen im 10. Jahrhundert nicht eingefallen, die Bewohner der Kiewer Rus’
als Sclavi zu bezeichnen. Im Gegensatz dazu denken wir bei den Slawen zu-
erst an die Russen.
Adalbert, der nachmalige erste Erzbischof von Magdeburg (968-981), war
seit 966 Abt von Weißenburg im Eisass. In diesem Kloster führte er die Welt-
chronik des Regino von Prüm (t 915) weiter. Zumindest ist es sehr wahr-
scheinlich, dass die Fortsetzung dieses Werkes von ihm stammt. Adalbert
erzählt einerseits von den Sclavi, also den Elb- und Ostseeslawen, und ande-
rerseits von den ,Rugi\ also den Bewohnern der Kiewer Rus’. An einer Stelle
nennt er die beiden Namen sogar unmittelbar nacheinander, ohne auch nur die
mindeste Beziehung zwischen den Namenträgern herzustellen: Rex iterum
Sclavos invasit [...] Legati Helenae reginae Rugorum [...] ad eum venientes
episcopum et presbíteros eidem genti ordinari petebant: „Der König griff
wieder die Sclavi an [...] Gesandte von Helena, der Königin der Russen, [...]
kamen zum König und baten, man möchte für dieses Volk einen Bischof und
Priester bestellen.4424 Daraufhin traf gerade Adalbert das Schicksal, zum * 373
1994, S. 573-587.
29
Zum Jahre 959, in: Regino: Chronicon cum continuatione Treverensi (MGH SS rer.
373
Bischof für die Russen geweiht zu werden (nach heutigen Begriffen: für die
Ukrainer): Adalbertus Rugis ordinatus episcopus.3Ü Deswegen reiste er 961
nach Kiew. Doch musste er im nächsten Jahr unverrichteter Dinge zurück-
kehren. Dass die Sprachen der .Sclavi1' und der ,Rugi‘ einander äußerst ähn-
lich waren, dürfte Adalbert aus eigener Sachkenntnis also völlig klar gewesen
sein. Trotzdem ist es ihm nicht eingefallen, die beiden Personengruppen unter
einen Oberbegriff zu fassen oder sie gar als dasselbe Volk anzusehen. Die
Einteilungsgrundsätze der Sprachwissenschaft taugen eben nicht für die poli-
tische Geschichte. Es ergibt ein völlig verzerrtes Bild, wenn in neuzeitlichen
Darstellungen geschrieben wird, Otto I. hätte gegen ,die‘ Slawen Krieg
geführt - womöglich mit dem Unterton: ,deswegen, weil sie Slawen waren1.
Die Nennung des Namens Rugi zwingt zu einer Abschweifung: Das Wort
hatte in der römischen Kaiserzeit und während der Völkerwanderungszeit eine
Gruppe oder verschiedene Gruppen von Germanen bezeichnet. Dann kam es
außer Gebrauch.1' Indem es Adalbert auf Träger des Russennamens anwende-
te, folgte er einer Unsitte der mittellateinischen (und der mittelgriechischen)
Literatur: Die mittelalterlichen Verfasser gebrauchten Völker- oder Einwoh-
nemamen, die ihnen aus der Literatur des Altertums bekannt waren, zur
Bezeichnung zeitgenössischer Personengruppen, sofern die Namen dieser
Personengruppen ähnlich lauteten oder in der Schrift ähnlich aussahen. Man
mag in dieser Vorgehensweise den Ausdruck einer Interferenz sehen. Im
einzelnen Fall kann sie böse Unklarheiten erzeugen. So vermochte Rugi im
mittelalterlichen Latein nicht nur die Russen zu bezeichnen, sondern auch die
Bewohner der Insel Rügen.
Jedenfalls müsste man das Sclavi der betreffenden Quellen des 10. Jahrhun-
derts mit ,Elb- und Ostseeslawen4 wiedergeben. Aber das ist ein sehr um-
ständlicher Ausdruck. Gleichbedeutend ist das Wort die Wenden, das in
unserer Muttersprache ein altes Heimatrecht genießt und das ich zur Wieder-
gabe von Sclavi gebrauche. Übrigens wurde im Jahre 2005 die Wendische
Volkspartei gegründet, wie sie sich auf Deutsch nennt. Auf Sorbisch oder
Wendisch heißt sie Serbska Ludowa Strona.
Das Wort Slawen und der Begriff ,Slawen' verlangen als Gegenwort und
Gegenbegriff ,Germanen‘ und Germanen (oder in einer anderen Richtung 11 * * * *
germ. in us. schol. 50). Friedrich Kurze (Hg.), Hannover 1890 [= Nachdruck 1989],
S. 169f. Ebenfalls erschienen in: Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit
(wie Anm. 22), S. 214f.
30 Reginos Fortsetzung zum Jahr 962 (wie Anm. 29), S. 172. Ebenso in: Quellen zur
Geschichte der sächsischen Kaiserzeit (wie Anm. 22), S. 218.
11 Andersson, Thorsten / Pohl, Walter: „Rugier“, in: RGA (wie Anm. 14), Bd. 25,
Berlin / New York 2003, S. 452-458. Eine sonderbare Verwendung des Wortes
Rugi in bairischen Bezügen aus den Jahren 903/06 ist nachgewiesen bei Wolfram,
Herwig: „Diplomatik, Politik und Staatssprache“, in: Archiv für Diplomatik, Schrift-
geschichte, Siegel- und Wappenkunde 52 (2006) S. 249-269, hier S. 264.
374
Balten usw.). ,Deutsch1 vermag zwar einen Gegenbegriff zu einer beliebigen
slawischen Einzelsprache zu bilden, nicht aber zum Begriff des Slawischen
überhaupt - es sei denn, man spricht vom Slawischen im Allgemeinen unter
Vernachlässigung seiner einzelnen Dialekte.
Der Historiker muss an der nachlässigen Verwendung des Wortes Slawen
durchaus Anstoß nehmen: Der Gebrauch des Namenpaares Deutsche : Slawen
erweckt nämlich die Vorstellung, als ob die Slawen eine politische Einheit
gebildet hätten. Das taten sie aber ebenso wenig wie die Romanen oder die
Germanen. Was das 10. Jahrhundert angeht, so sei nur daran erinnert, dass
nach dem Liutizenaufstand von 983 unter Otto 111. die Zusammenarbeit
zwischen dem deutschen König (oder den Regentinnen) und dem polnischen
Herzog besonders eng war. Schließlich vereinte sie der christliche Glaube
gegen die heidnischen Aufständischen.
Überhaupt herrscht eine auffallende Großzügigkeit bei der Verwendung des
Wortes Slawen in außerwissenschaftlichen Zusammenhängen. So war 2005 zu
lesen, dass Johannes Paul II. der erste slawische Papst gewesen sei. Ich habe
nirgendwo gelesen, dass Benedikt XVI. der erste germanische Papst seit
Hadrian VI. (1522-1523) sei, obwohl das eine ebenso richtig ist wie das
andere. Übrigens ist mir auch nicht die Feststellung unter die Augen gekom-
men, dass von 1523 bis 1978 nur Romanen den Heiligen Stuhl innehatten.
Warum schreibt man das nicht?
Als Einzelsprachen erscheinen in oder bei Magdeburg während des 10.
Jahrhunderts auf der germanischen Seite das Altniederdeutsche (wenn man
will: das Altsächsische) und auf der slawischen Seite das Polabische. ,Die sla-
wische Seite4 ist hier gleichbedeutend mit der rechtselbischen Landschaft ge-
genüber Magdeburg. Die Sprache der südlichen Wenden war dagegen das Alt-
sorbische. Die Grenze zwischen dem Polabischen im Norden und dem Altsor-
bischen im Süden verlief nach Trautmann längs einer Linie, die auf dem
rechten Elbufer gegenüber der Saalemündung (also gegenüber Barby, 25 km
südöstlich Magdeburg) begann, etwa 100 km lang mit einer geringen Aus-
buchtung nach Norden ziemlich genau ostwärts verlief, dann auf etwa 50 km
nördlich und nordöstlich weiterging, um schließlich wieder die östliche Rich-
tung einzuschlagen.Politisch war diese Sprachgrenze genauso bedeutungs-
los wie die zwischen dem Niederdeutschen und dem Hochdeutschen.
Wenn es statthaft wäre, die polabisch-altsorbische Sprachgrenze über die
Elbe nach Westen zu verlängern, dann hätten die slawischen Sprachinseln, die
links der Elbe im Magdeburger Umland lagen, zum polabischen Sprachgebiet
gehören müssen. Nun ist ein solches Tun natürlich nicht erlaubt. Aus Be- 32
32 Eichler, Emst (Hg.): Atlas altsorbischer Ortsnamentypen: Studien zu toponymi-
schen Arealen des altsorbischen Gebietes im westslawischen Sprachraum, Bd. 2,
unter der Leitung von Inge Bily, bearb. von Inge Bily, Bärbel Breitfeld und
Manuela Züfle, Leipzig / Stuttgart 2003, Vorkarte 4. Für die Überlassung des Ban-
des möchte ich Frau Dr. Bily vielmals danken.
375
quemlichkeit wollen wir trotzdem die Sprache der slawischen Sprachinseln
links der Elbe in der Nähe von Magdeburg als Polabisch ansehen.
Jedenfalls lassen die Quellen des 10. Jahrhunderts erkennen, dass sich Ger-
manisches und Slawisches in diesem Raum berührten und vermengten. " (Ich
meine das nicht in dem Sinne, dass eine germanisch-slawische Mischsprache
entstanden wäre.)
Der Sachverhalt kam sogleich zutage, als am 21. September 937 die aller-
erste Urkunde ausgestellt wurde, die für einen Magdeburger Empfänger be-
stimmt war. An jenem Tag richtete Otto 1. die ,kirchliche Stätte4 (aecclesia)
ein, die als das Magdeburger Moritzkloster in die Geschichte eingehen sollte
und die zur Keimzelle des dortigen Erzbistums wurde, das 968 ins Leben trat.
Der König stattete seine Schöpfung mit reichem Grundbesitz in Magdeburg
selber und an vielen Orten aus, die ,westlich der Elbe4 lagen: in Magedeburg
curtem nostram cum aedificio et territorium illuc pertinens cum omnibus locis
ex occidentali parte Al bis fluminis ad eandem civitatem pertinentibus vel
servientibus. Innerhalb der Aufzählung stehen germanische und slawische
Ortsnamen unmittelbar nebeneinander, z.B. Fridumaresleba, Pretalitze [...]
Bizzinici, Lioboltesdorf Trumpsice usw. * 34 Diese Urkunde schuf ein Mann
(,Poppo A4), der „an ostsächsischen und thüringischen Orten Urkunden für
Empfänger verfaßte, die in denselben Gebieten ansässig waren, sowie für
solche aus Nordsachsen, Engem, Westfalen und Hessen.“35
Die Bezeichnung Poppo A bedarf der Erläuterung: Weil sich die Verfasser
und die Schreiber der betreffenden Königs- und Kaiserurkunden gewöhnlich
nicht nennen, haben „die modernen Historiker [...] Notnamen für sie erfun-
den.“ Sie „werden nach dem Kanzler genannt, unter dem sie zuerst auftau-
chen, und bekommen dazu einen Buchstaben gemäß der Reihenfolge ihres
Auftretens (Hildibald A, Hildibald B usw.).“36
Am 21. September 937 erscheinen wie in der 936 für Quedlinburg ausge-
stellten Urkunde 15 wendische familiae, und zwar in einem Ort mit dem ger-
manischen Namen Grimhereslebu. Es handelt sich um Groß-Germersleben,
Vgl. Stellmacher, Dieter (Hg.): Sprachkontakte. Niederländisch, deutsch und sla-
wisch östlich von Elbe und Saale (Wittenberger Beiträge zur deutschen Sprache und
Kultur 3), Frankfurt a. M. / Berlin / Bern 2004. In dem Band sind zum Teil auch
linkselbische Verhältnisse berücksichtigt.
34 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), Nr. 1, S. 1-4. (= D O. I.
14).
35 So Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 54 und S. 148.
36 Hoffmann, Hartmut: „Notare, Kanzler und Bischöfe am ottonischen Hof‘, in: Deut-
sches Archiv für Erforschung des Mittelalters 61 (2005) S. 435-480, hier S. 435.
Siehe auch Huschner, Wolfgang: „Die ottonische Kanzlei in neuem Licht“, in:
Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 52 (2006) S.
353-370, besonders S. 355.
376
welches Dorf wenig über 20 km südwestlich von Magdeburg und im Vogel-
flug etwa 35 km von der Elbe entfernt liegt. Es hat einigen Forschern nicht ge-
passt, dass in diesem Gebiet eine slawische Bevölkerung vorkam. Folglich
versuchten sie, Grimhereslebu östlich der Saale zu suchen.' Aber die wen-
dischen familiae in Frohse befanden sich auch westelbisch in der unmittel-
baren Nähe Magdeburgs; und von den Orten Pretalitze, Bizzinici und
Trumpsice sagt die Urkunde ausdrücklich, dass sie nicht nur westelbisch
lagen, sondern zum Magdeburger Burgbezirk gehörten: ad eandem civitatem
pertinentibus vel servientibus.
Germanische und slawische Bevölkerungsgruppen vermischten sich also
im kleinen Raum, was nicht zu den Linien passt, mit denen man Sprachgren-
zen absteckt. Germanischsprachige Dörfer und slawischsprachige lagen an-
scheinend durcheinander, jedenfalls im Kartenbild. Aber das Beispiel der
wendischen familiae in den offensichtlich deutschen Orten Frohse oder Groß-
germersleben zeigt, dass die Gemengelage noch engmaschiger sein konnte.
Es sei auf Folgendes hingewiesen: Die 15 wendischen familiae in Großger-
mersleben werden unmittelbar nach drei familiae litorum genannt, die sich in
Bigera (Biere, südwestlich Schönebeck) befanden.37 38 Lid ist eine Standes-
bezeichnung und kein Völkername. Das heißt, dass die familiae slavicae sich
in einer besonderen Rechtsstellung befanden. Sonst hätte das Rechtswort liti
nicht als Gegenwort zu slavici gebraucht werden können. Als vergleichbare
Personengruppe schweben mir die Leute vor, die in späteren Jahrhunderten
nach dem ius Teutonicum, dem deutschen Recht, lebten. Aus der Zugehörig-
keit zu einem solchen Rechtsstand ist nicht ohne weiteres auf die Mutter-
sprache der Leute zu schließen. Zum Beispiel werden 1319 in der Altmark
zwei Slavi namens Bernhard und Richard erwähnt/9
Eine der Hauptfragen der Interferenzforschung ist die nach dem Lautersatz
oder der Lautsubstitution.40 Es geht darum, wie in der Sprache A ein oder
mehrere Laute ersetzt werden, die dieser Sprache unbekannt sind, mit denen
sie es aber zu tun bekommt, wenn sie ein Wort aus der Sprache B übernimmt,
das solche fremden Laute enthält. Die slawischen Ortsnamen, die in Magde-
burger Urkunden Vorkommen, scheinen frühe Beispiele dafür zu bieten, wie
polabische Laute im Altniederdeutschen ersetzt wurden.
37 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), S. 4, Anm. 12.
3S Zum Namen Biere siehe Bily, Inge: Ortsnamenbuch des Mittelelbegebietes
(Deutsch-Slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte 38),
Berlin 1996, S. 126.
9 Der Beleg bei Stephan, Joachim: Die Vogtei Salzwedel: Land und Leute vom Lan-
desausbau bis zur Zeit der Wirren (Quellen, Findbücher und Inventare des Bran-
denburgischen Landeshauptarchivs 17), Frankfurt a. M. u.a. 2006, S. 86.
40 Kaestner, Walter: „Niederdeutsch-slawische Interferenzen“, in: Gerhard Cordes /
Dieter Möhn (Hg.): Handbuch zur niederdeutschen Sprach- und Literaturwissen-
schaft, Berlin 1983, S. 678-729.
377
Leider ist die Freude darüber nicht ungetrübt. Wir können nämlich nicht si-
cher sein, ob die Wiedergabe in einem reinen Niederdeutsch erfolgte. Damit
kommen wir zu innergermanischen, nämlich hochdeutsch-niederdeutschen In-
terferenzen. Es steht außer Zweifel, dass Magdeburg und sein Umland zum
niederdeutschen Sprachgebiet gehörten. Deshalb furchte ich, dass die Leser-
schaft mit misstrauischen Blicken auf den Ortsnamen Lioboltesdorf schaut
und den Verdacht hegt, ich hätte den Namen falsch abgeschrieben. Aber in der
Urkunde vom 21. September 937 kommen acht Namen mit dem hochdeut-
schen -dorf vor, jedoch keiner mit dem niederdeutschen -dorp - unabhängig
davon, wie viele Ortsnamen und was für welche das Schriftstück sonst enthält,
ln der Urkunde vom 13. September 936 hatte es dagegen schön niederdeutsch
Beiendorpe geheißen. Ein anderer Name auf -dorpl-dorf war in dieser
Urkunde nicht genannt. Soweit ich es beurteilen kann, erwecken auch die Be-
stimmungswörter der am 21. September 937 niedergeschriebenen germani-
schen Dorfnamen nicht den Eindruck, in einem reinen Niederdeutsch aufs
Pergament gebracht worden zu sein.
Theodor Sickel (1826-1906), der in den Monumenta Germaniae die
Urkunden Ottos 1. herausgegeben hat und der übrigens aus Aken an der Elbe
stammte (42 km südöstlich Magdeburg) - Theodor Sickel also meinte, dass
die Urkunde vom 21. September 937 auf,Magdeburger Diktat1 beruhe. Wenn
man diesen Satz aus der Fachsprache der Diplomatiker in ein verständliches
Deutsch übersetzt, bedeutet er, dass die betreffende Urkunde einen Magde-
burger Sprachgebrauch verrate. Zumindest muss der Leser diesen Eindruck
gewinnen.
Der Diktator im Sinne der Urkundenlehre ist der Mann, der den Wortlaut
der Urkunde schafft - im Unterschied zum Mundator, der diesen Wortlaut in
kunstvoller Schrift auf ein Blatt Pergament überträgt.
Ein Magdeburger Sprachgebrauch müsste niederdeutsch sein - es sei denn,
man wollte annehmen, dass an dem Ort eine Schreibstube bestanden habe, die
sich des Hochdeutschen bedient hätte, wie knapp 600 Jahre später die Kanzlei
in Wittenberg, also die Kanzlei der Kurfürsten von Sachsen, eine andere Spra-
che schrieb, als in dem damals niederdeutschen Wittenberg geredet wurde.
Nun verfügen wir aber über keine Hinweise, dass in Magdeburg zu Beginn
des 10. Jahrhunderts überhaupt eine feste Schreibstätte bestanden hätte.
Ich kann mich nicht mit der stillschweigenden Voraussetzung befreunden,
dass nichtlateinische Aufzeichnungen während des Früh- und des frühen
Hochmittelalters in der Mundart ihres Entstehungsortes erfolgt sein müssten.
Eine solche Annahme ist noch nicht einmal für das Spätmittelalter unbedingt
gültig. Zum Beispiel stammt das erste amtliche Magdeburger Schriftstück in
deutscher Sprache aus dem Jahre 1261. Aber es ist hochdeutsch abgefasst. Die
erste niederdeutsche Urkunde Magdeburgs ist 33 Jahre jünger.41
41 Bischoff, Karl: „Magdeburg. Zur Geschichte eines Ortsnamens“, in: Beiträge zur
Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 72 (1950) S. 392-420, hier S. 405.
378
Der Diktator der Urkunde vom 21. September 937 stammte gewiss nicht
aus Magdeburg. Otto 1. hatte zur Stiftung des Moritzklosters zehn Bischöfe
versammelt, darunter den Erzbischof von Mainz sowie die Oberhirten von
Speyer und Würzburg, ln ihrem Gefolge dürfte es nicht an Geistlichen
gemangelt haben, die hochdeutsch redeten. Vielleicht stammte der Verfasser
der Urkunde aus ihren Reihen. Die ersten Mönche des Magdeburger Moritz-
klosters kamen aus St. Maximin in Trier. Falls sie aus der Nähe dieser Stadt
gebürtig waren, müssten sie moselfränkisch oder moselromanisch als Mutter-
sprache geredet haben.
Die Verhochdeutschung niederdeutscher Ortsnamen blieb nicht auf die Ur-
kunde vom 21. September 937 beschränkt, übrigens auch nicht auf Magdebur-
ger Urkunden. Mitunter können wir den verhochdeutschenden Schreibern so-
gar in die Werkstatt blicken: Eine Urkunde, die Otto I. angeblich am 29. Juli
961 in Ohrdruf ausstellte, ist in zwei Ausfertigungen überliefert (A und B).4~
Beide Fassungen nennen einen Ort, der Waterdal hieß und der seither wüst
geworden ist (nordwestlich Magdeburg). Beide Fassungen haben den Ortsna-
men zu Wazzeresdal (A) / Vuazzeresdal (B) verhochdeutscht oder halb ver-
hochdeutscht.4' Ganz hochdeutsch müsste er ja wohl * Wuzzerestal lauten. Im
selben Atemzug wird das Dorf Dönstedt erwähnt (das heute einen Teil der Ge-
meinde Bebertal bildet, nordwestlich von Magdeburg). In der Fassung A
lautet der Name Dununsteti. Das wird in der Fassung B zu Tununsteti. Sie ver-
hochdeutscht also den Anlaut.
Die Verhochdeutschungen erfolgen jedoch nicht durchgehend: Beide
Fassungen nennen den Ausstellungsort Ordorp. Da die Ausstellungsorte
regelmäßig im Schlussteil der Urkunde stehen, hat die Verfasser vielleicht die
Geduld verlassen, die niederdeutschen Namen in hochdeutsche umzuwandeln. * 43
Zu diesen Urkunden jetzt: Fluschner, Wolfgang: „Giebichenstein, Radewell, Trotha
- die Herrschaft von St. Mauritius zu Magdeburg über das Gebiet der späteren Stadt
Halle im Spiegel ottonischer Diplome (952-973)“, in: Werner Freitag (Hg.):
Geschichte der Stadt Halle, Bd. 1: Halle im Mittelalter und der Frühen Neuzeit,
Halle 2006, S. 65-77.
43 Urkundenhuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), Nr. 27, S. 39 (= D O. I.
232). Urkundenbuch der Stadt Halle, ihrer Stifter und Klöster, Teil 1: 806-1300
(Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, Neue Reihe
10). Arthur Bierbach (Hg.), Magdeburg 1930, Nr. 4, S. 5-7. Die Drucke des Halle-
schen Urkundenbuchs verdienen im Allgemeinen den Vorzug. Siehe dazu Räder,
Olaf: Pro remedio animae nostrae. Das Urkundenwesen der Erzbischöfe von Mag-
deburg bis zum Tode Wichmanns von Seeburg 1192, phil. Diss. Berlin HU 1991, S.
18f. Das Erzstiftische Urkundenbuch war schon 1924 abgeschlossen, kam aber erst
1937 heraus. Seine Druckbogen wurden jedoch von Bierbach benutzt (Urkunden-
buch der Stadt Halle [wie oben], S. XXII). Das hat den sonderbaren Zustand zur
Folge, dass in einem Buch von 1930 aus einem Buch zitiert wird, das erst 1937 er-
schienen ist. Zur Lage der Wüstung Waterdal: Urkundenbuch des Erzstifts Magde-
burg (wie Anm. 12), S. 41, Anm. 12.
379
Die Ohrdrufer Urkunde von 961 bringt übrigens die früheste Erwähnung
des Giebichensteins, einer Burg auf dem heutigen Stadtgebiet von Halle an
der Saale, die den Namen eines halb sagenhaften burgundischen Königs trägt.
A hat die Form Giuiconsten, B dagegen Giuicansten. In einer Urkunde Ottos
II. aus dem Jahre 973, die allerdings nur in einer Abschrift des 15. Jahr-
hunderts überliefert ist, heißt die Burg Gibikonstein.4" Ob die Verhoch-
deutschung des Grundwortes sten > stein schon im Ausstellungsjahr erfolgte,
lässt sich nicht entscheiden. Die Urkunde von 961 wird uns noch aus anderen
Gründen beschäftigen.
Einstweilen wollen wir einen Blick auf den Sachverhalt werfen, dass sich
in Urkunden, die in Magdeburg ausgestellt sind, die Vemiederdeutschung von
Ortsnamen beobachten lässt, die tief aus dem oberdeutschen Sprachraum
stammten. Zur Erläuterung ist zu sagen, dass die Schenkungen, die das Mo-
ritzkloster und später das Erzbistum Magdeburg erhielten, sehr weit gestreut
waren. Zum Beispiel betrafen sie Buxtehude im Norden,4*1 Deventer im Nord-
westen4 oder Weißenburg im Eisass im Südwesten.44 4S 46 47 48 49 50 Übrigens habe ich nicht
gesagt, dass Buxtehude oder Deventer im hochdeutschen Sprachgebiet gele-
gen hätten.
Jedenfalls bestätigte Kaiser Otto II. am 5. Juni 973 dem Erzbistum Magde-
burg eine Besitzübertragung von Orten im Nahegau, im Speyergau und im
Maingau, die auf seinen Vater zurückging. Die zu bestätigende Urkunde war
966 in Rufach (Rouffach) im Eisass ausgestellt worden und hatte unter an-
derem den Ort Spirdorf erwähnt (Speyerdorf, sö. Neustadt an der Wein-
straße).44 In der Magdeburger Bestätigung von 973 wird daraus Spirthorp.'()
Die Urkunde von 973 war ein Erzeugnis des „Liudolf H [...] eines lokalen
Empfängernotars für Magdeburg."51
Wir kommen nun zum dritten Teil, nämlich romanisch-germanischen Inter-
ferenzen, genauer italienisch-deutschen. Es ist mir bekannt, dass das Romani-
44 Ein böser Druckfehler findet sich bei Neuß. Erich: Halle/Saale, in: Provinz
Sachsen.Anhalt (wie Anm. 26), S. 179. Es muss heißen: 973 „ist erneut von
,Gibikonstein ...‘ die Rede.“
45 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), Nr. 76, S. 110 (= D O. II.
31). Vgl. Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 771.
46 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), Nr. 20, S. 28 (= D O. 1.
205).
47 Ebd. Nr. 16, 18 und 22, S. 24, 26f. und 31 (= D O. I. 159, 181 und 216).
48 Ebd. Nr. 66, S. 95f. (= D O. I. 365).
49 Ebd. Nr. 50, S. 71 (= D O. I. 333).
50 Ebd. Nr. 77, S. 111 (= D O. II. 32).
51 Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 60.
380
sehe der Apenninenhalbinsel keine einheitliche Sprache bildete. Aus Bequem-
lichkeit nenne ich es hier jedoch italienisch.
Die Möglichkeit, dass Namen aus dem Gebiet nördlich der Alpen - seien es
germanische, seien es slawische - in Schriftwerken italienisch gefärbt erschei-
nen, ist zunächst einmal dann gegeben, wenn sie aus der päpstlichen Kanzlei
stammen. Aber das ist nur eine Möglichkeit; und sie musste nicht unbedingt
eintreten.
Die erste überlieferte Papsturkunde, die Magdeburg betrifft, wurde am 12.
Februar 962 ausgestellt. 2 (Von älteren Stücken wissen wir; überliefert sind sie
jedoch nicht.) Mit ihr wollte Johannes XII. Magdeburg zum Erzbistum
erheben, natürlich auf Betreiben Ottos I. Das Unternehmen scheiterte völlig.
Erst 968 unter Johannes XIII. wurde das betreffende Erzbistum gegründet.
Was die Lautungen oder die Schreibungen, also die Phonologie oder die
Graphematik der nördlichen Namen angeht, so bietet die Urkunde Johannes’
XII. nur geringe Auffälligkeiten. Z.B. erscheint Salzburg als Salsaburg: ,jSal-
saburgensis [...] qcclesiq“ (Gen.).52 53 Von dem dortigen Erzbistum ist deswe-
gen die Rede, weil es wie die anderen vier Erzbistümer des ostfränkisch-deut-
schen Reichs, die gleichfalls genannt werden, die Erhebung Magdeburgs un-
terstützen sollte. Zu erwarten wäre Salzburgensis ecclesia wie in einer Urkun-
de Johannes’ XIII. von 967 (oder rein lateinisch Iuvavensis ecclesia wie 962 in
einer anderen Urkunde Johannes’ XII.).54
Die Urkunde Johannes’ XII. vom 12. Februar 962 zeigt jedoch bemerkens-
werte Interferenzen auf dem Gebiet des lateinischen Ländemamenschatzes.
Ich kann dieses Gebiet nur streifen. Eine solche Art von Interferenzen ergab
sich daraus, dass alte Ländernamen teils so verwendet wurden, wie es im
Sprachgebrauch des Altertums üblich war, teils aber zur Bezeichnung neuer
politischer Gebilde dienten: Der Papst wandte sich an alle Welt: (reveren-
tissimis confratribus archiepiscopis, episcopis, abbatibus, monachis, primati-
bus, cuncto clero et populo) in Saxonia, Gallia, Germania, Bauuaria constitu-
tis. Mit den vier Ländernamen umschrieb er offensichtlich das Staatsgebilde,
das die neuzeitliche Wissenschaft das ostfränkisch-deutsche Reich nennt. Ge-
genwärtig herrscht allerdings die Mode, vom nordalpinen Reich zu sprechen.
Man darf gespannt sein, wann Frankreich als das nordpyrenäische Reich
erscheint und England mit dem Namen des westkanalischen Reichs bedacht
wird.
52 Papsturkunden 896-1046 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-
Hist. Kl,, Denkschriften 174, 177 und 198). Harald Zimmermann (Hg.), 3 Bde.,
Wien 1984-1989, hier Bd. 1: 896-996, Nr. 154, S. 281-284 [im Folgenden: Zimmer-
mann: PUU].
53 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), Nr. 28, S. 42. Zimmer-
mann: PUU (wie Anm. 52), Bd. 1, Nr. 154, S. 283.
54 Zimmermann: PUU (wie Anm. 52), Bd. 1, Nr. 179, S. 352 und Nr. 152, S. 278.
381
Saxonia und Bauuaria bezeichnen die Gebilde, die von den Zeitgenossen
auch regnum Saxonum und regnum Baiuvariorum genannt wurden. Das ost-
fränkisch-deutsche Reich bestand nämlich aus Reichen (regna), wie das
heutige Deutschland aus Ländern besteht. An einer anderen Stelle seiner Ur-
kunde sprach Johannes XII. ausdrücklich vom regnum Saxonum, indem er
sagte, das Magdeburger Kloster (das zum Sitz des Erzbistums erhoben werden
sollte) liege in Sachsen, und zwar an der Elbe: Magdaburgense monasterium
in regno Saxonum iuxta Albiam constructum,5S
Gallia meinte in der betreffenden Urkunde gewiss das Lothringen des 10.
Jahrhunderts. Hier hatten die Erzbistümer Köln, Mainz und Trier ihren Sitz.
Der Name Gallia für Lothringen war zu jener Zeit nicht ungewöhnlich.'" Das
ein Jahrtausend alte Wort diente also dazu, ein politisches Gebilde zu bezeich-
nen, das erst im 9. Jahrhundert entstanden war und das auch regnum Lotharii
genannt werden konnte. Andererseits vermochte Gallia zur selben Zeit das
Land zwischen dem Rhein, den Alpen, dem Mittelmeer, den Pyrenäen und
dem Atlantischen Ozean bezeichnen. In diesem Fall wurde es im Sinne Cae-
sars gebraucht. Damit sind die Verwendungsmöglichkeiten des Wortes keines-
wegs erschöpft.
Böse Schwierigkeiten bietet Germania. Der Name konnte - wiederum im
Sinne Caesars - alles Land rechts des Rheins und links der Donau bezeichnen,
wobei im Norden das Meer und im Osten die Weichsel als Grenze gelten
mochten oder galten (was sie bei Caesar noch nicht tun konnten). In diesem
Germanien lag Sachsen ganz und Baiern zum Teil, nämlich mit dem Stück,
das sich nördlich der Donau erstreckte.
Wenn Germania von Johannes XII. im Sinne Caesars gemeint war, fragt
man sich, warum Sachsen gesondert aufgeführt wurde. So ist die Meinung ge-
äußert worden, Saxonia habe gar nicht im ursprünglichen Text der (nur ab-
schriftlich überlieferten) Urkunde gestanden.57
Nun gab es einen Sprachgebrauch, in dem Germania zur Bezeichnung
Frankens diente.^8 Er hatte seine Wurzeln im Latein des vierten
nachchristlichen Jahrhunderts. Andererseits bezogen sich francus und seine * *
55 Ebd. Bd. 1, Nr. 154, S. 283.
Brühl, Carlrichard: Deutschland - Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln /
Wien 1990, S. 138f. und 148-150.
Beumann, Helmut: Theutonum nova metropolis. Studien zur Geschichte des Erz-
bistums Magdeburg in ottonischer Zeit (Quellen und Forschungen zur Geschichte
Sachsen-Anhalts 1), Köln / Weimar / Wien 2000, S. 95 und 103f.
* Vgl. Ewig, Eugen: „Beobachtungen zur politisch-geographischen Terminologie des
fränkischen Großreiches und der Teilreiche des 9. Jahrhunderts“, in: Eugen Ewig /
Hartmut Atsma (Hg.): Spätantikes und fränkisches Gallien: gesammelte Schriften
(1952-1973) (Beihefte der Francia 3/1), Bd. 1, München 1976, S. 323-361, hier S.
326-330 (zuerst 1964).
382
Ableitungen im italienischen Latein des 10. Jahrhunderts auf das westfrän-
kisch-französische Reich. Es ist daher möglich, dass Germania im Schreiben
Johannes’ XII. ,Franken* 1 meinte. Im Latein des ostfränkisch-deutschen Reichs
hieß dieses Land Francia. Lässt man die vermutete Bezeichnung von Germa-
nia zu, dann hätte die päpstliche Urkunde Sachsen, Lothringen, Franken und
Baiern genannt, die ohne Zweifel Bestandteile des Reiches Ottos 1. gebildet
haben. Aber dann bleibt unklar, warum Schwaben (Alamannia) nicht erwähnt
wurde.
Mit den vorhergehenden Ausführungen sind wir auf den Begriff des italie-
nischen Lateins gestoßen. Was darunter zu verstehen ist, möchte ich an einem
einfachen Beispiel klar machen: Wenn das Wort transalpinus Jenseits der
Alpen‘ in Italien gebraucht wird, bezieht es sich natürlich auf das Land oder
die Leute nördlich der Alpen. Wenn dasselbe Wort in Deutschland gebraucht
wird, müsste es sich eigentlich auf das Land oder die Leute südlich der Alpen
beziehen. Es gab jedoch lateinische Schriftsteller, die zwar in Deutschland
beheimatet waren und auf deutschem Boden ihre Werke verfassten, die aber
transalpinus zur Bezeichnung des Landes oder der Leute nördlich der Alpen
verwendeten. Das heißt, sie schrieben italienisches Latein - zumindest im
gegebenen Zusammenhang. Das nächstliegende Beispiel bildet Adalbert von
Magdeburg in seiner Fortsetzung der Chronik des Regino von Prüm (siehe
oben). Zum Jahre 966 erzählt er, wie Otto I. mehrere abtrünnige italienische
Große „ins Land jenseits der Alpen nach Franken und Sachsen verbannte“: in
transalpinas partes Franciae vel Saxonie custodiendos direxit.59 Möglicher-
weise wirkt die Stelle nicht durchschlagend, weil sie scheinbar aus der Sicht
Ottos I. geschrieben ist, der sich zur Zeit der Ereignisse in Italien befand.
Dieser Einwand wird sich gegen die Worte Thietmars von Merseburg (t 1018)
nicht erheben lassen, die besagen, Otto III. habe sich nach Rom begeben,
nachdem er apud Transalpinos alles geordnet hatte.60 Gemeint sind die
Gebiete, die aus Merseburger Sicht diesseits der Alpen lagen. Thietmar ist hier
unter den Einfluss einer italienischen oder italienisch gefärbten Vorlage
geraten. Anderswo spricht er ganz richtig von cisalpinae partes oder cisalpini
antistites, wenn er das Land oder die Bischöfe nördlich der Alpen meint.61
5y Regino (wie Anm. 29), S. 177. Die Übersetzung von Albert Bauer und Reinhold
Rau, in: Quellen zur Geschichte der Sächsischen Kaiserzeit (wie Anm. 29), S. 229:
„ließ [...] über die Alpen [...] in Gewahrsam bringen“, wird dem lateinischen Wort-
laut nicht gerecht: Transalpinaepartes heißt nicht einfach .über die Alpen1.
i'° Thietmari Merseburgensis Episcopi Chronicon 4, 47 (MGH. Scriptores rerum ger-
manicarum, Nova series 9). Robert Holtzmann (Hg.), 2. Aufl., Berlin 1955, S. 186.
Thietmar von Merseburg: Chronik (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte
des Mittelalters 9). Werner Trillmich (Hg.), 8, Aufl., Darmstadt 2002 [= 1957]. S.
164f.
61 Thietmar 5, 20 (12) und 6, 30 (23), hrsg. von R. Holtzmann (wie Anm. 60);
Thietmar, hrsg. von W. Trillmich (wie Anm, 60), S. 214f. und S. 274f.
383
Der Sprachgebrauch Italiens tritt nun auch in Urkunden Ottos I. zutage, die
weit nördlich der Alpen ausgestellt worden sind oder die von sich behaupten,
dort ausgestellt worden zu sein. Damit kehren wir nach Ohrdruf und zu der
Urkunde oder zu den beiden Ausfertigungen der Urkunde zurück, in der vom
Giebichenstein die Rede war. Nach der Meinung der Urkundenforscher sind
sie mehrere Jahre nach ihrem Ausstellungsdatum und anderswo als am angeb-
lichen Ausstellungsort ausgefertigt worden. Die spätere Beurkundung ändert
nichts daran, dass Otto I. die Güterübertragungen 961 in Ohrdruf vorgenom-
men hatte.
Schon Theodor Sickel stellte fest, dass die angeblich in Ohrdruf 961 aus-
gestellten Urkunden (es sind insgesamt fünf), italienische Einflüsse verraten/1“
Er äußerte das ganz unabhängig von den Dingen, um die es hier geht. In ähn-
licher Weise sprach Josef Fleckenstein von „deutsch-italienischen Gemein-
schaftsproduktionen.“6'
Nach Huschner stammen die beiden Ausfertigungen der Ohrdrufer Urkun-
de, die uns beschäftigt, von zwei berühmten Männern: die erste von Adalbert
(= ,Liudolf H‘),62 * 64 also dem Fortsetzer der Reginoschen Weltchronik und nach-
maligen Erzbischof von Magdeburg, die zweite von einer noch bekannteren
Persönlichkeit, nämlich dem Bischof Liudprand von Cremona (= ,Liudolf
F‘).65 Liudprand von Cremona hat sich auch als Geschichtsschreiber betätigt.
Als Abgesandter Ottos I. weilte er am byzantinischen Kaiserhof und verfasste
darüber einen Bericht. Übrigens konnte er griechisch.
Huschner geht davon aus, dass Adalbert und Liudprand ihre jeweilige
Ausfertigung der Ohrdrufer Urkunde hergestellt haben, während sie sich 965
miteinander in Wiesbaden befunden hätten. Jeder der beiden habe nicht nur
als ,Diktator1, sondern auch als ,Mundator‘ gewirkt. 66
Nach Hartmut Hoffmann handelt es sich bei den Schreibern der beiden
Urkunden nicht um Adalbert von Magdeburg und Liudprand von Cremona.67
Wenn Hoffmann Recht haben sollte, wäre nur bewiesen, dass Adalbert und
Liudprand nicht die ,Mundatoren‘ waren. Als ,Diktatoren' hätten sie beide
wirken können - nur wäre das dann eine bloße Vermutung. Am italienischen
Sprachgebrauch, der in den betreffenden Urkunden hervortritt, würde sich
auch dann nichts ändern, wenn die beiden hohen Herren überhaupt keinen
Anteil an der Herstellung der Schriftstücke gehabt hätten.
62 MGH (wie Anm. 1), S. 315.
Nach Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 588.
64 Ebd. S. 666.
65 Ebd. S. 684.
66 Ebd.
67 Hoffmann: „Notare, Kanzler und Bischöfe“ (wie Anm. 36), S. 446-449 und S. 468-
471.
384
Beide Ausfertigungen enthalten nun das Wort t(h)eutonicus, und zwar in
außersprachlichen Zusammenhängen, nämlich als Personenbezeichnung.
Diese Verwendung des Wortes stammt aus Italien - oder genauer: Der
Sprachgebrauch der Urkunde folgte hier italienischen Vorbildern unmittelbar.
Es geht an der betreffenden Stelle um mancipiis Teutonicis et Sclavanicis
(Abi.). Mancipia waren eine Art von Unfreien.68 Das Wortpaar mancipia Teu-
tonica et Sclavanica wurde innerhalb der Urkunden Ottos I. nur noch einmal
gebraucht, als nämlich der Kaiser am 12. April 965 zugunsten des Moritz-
klosters eine Schenkung vomahm; und hier sind die betreffenden Abschnitte
einfach aus der Urkunde von 961 abgeschrieben.69
Nicht als Adjektive, sondern als Substantive kommen Theutunici vel Sclavi
in einer Urkunde für Magdeburg vor, die Otto 1. angeblich am 23. April 961
zu Wallhausen ausgestellt hat.7 Überliefert ist sie nur in einer Abschrift des
15. Jahrhunderts. Da kann man sich fragen, ob Theutunici in der Urschrift ge-
standen hat. Das Schriftstück bildet nämlich bloß die veränderte Fassung einer
im Original überlieferten Urkunde, die denselben Ausstellungstag und -ort
ausweist. Diese Vorgängerin spricht zwar von Sclauani, aber nicht von
Teutonici.1]
Heinz Thomas meint, dass die beiden Urkunden in ähnlicher Weise wie die
Ohrdrufer erst mehrere Jahre nach der beurkundeten Rechtshandlung ausge-
fertigt worden sind, wahrscheinlich 964 und in Italien.7" Huschner ist sogar
der Ansicht, dass die zweite der beiden Urkunden (nur diese braucht uns hier
zu beschäftigen) erst unter Otto III. hergestellt worden sei, und verweist darauf,
dass mehrere der in ihr genannten Heiligen italienische Bezüge aufwiesen. Als
den Schöpfer dieser Urkunde sieht derselbe Forscher den Notar Liudolf I an, bei
dem sich ,die Übernahme bestimmter Diktatelemente aus der südalpinen
Urkundenpraxis feststellen läßt/ Nach Huschner war Liudolf 1 kein anderer
Mann als der Erzbischof Giselher von Magdeburg (reg. 981-1004).73
68 Siehe zu den betreffenden Urkunden auch Thomas, Heinz: „Die Deutschen und die
Rezeption ihres Volksnamens“, in: Werner Paravicini (Hg.): Nord und Süd in der
deutschen Geschichte des Mittelalters. Akten des Kolloquiums, veranstaltet zu
Ehren von Karl Jordan, 1907-1984, Kiel 15.-16. Mai 1987 (Kieler Historische
Studien 34), Sigmaringen 1990, S. 19-50, hier S. 30-35.
64 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), Nr. 31, S. 46 (= D O. 1.
281); Urkundenbuch der Stadt Halle, Bd. 1 (wie Anm. 43), Nr. 5, S. 7f.
7(1 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), Nr, 24, S. 34f. (= D O. I.
222b).
71 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), Nr. 23, S. 32f.
72 Thomas: „Die Deutschen“ (wie Anm. 68), S. 32.
Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 694f. und S. 777-
779. Hoffmann: „Notare, Kanzler und Bischöfe“ (wie Anm. 36), S. 453f. lehnt diese
Gleichsetzung ab - womit nichts gegen den italienischen Sprachgebrauch gesagt ist.
385
In den älteren Urkunden, die den sogenannten Magdeburger Sprachge-
brauch verraten, erscheinen zwar familiae Sclavorum; aber die verschiedenem
Gegenwörter lauten anders: familiae colonorum / familias litorum / familias
servorum. 74
Was das Wort teutonicus angeht, so findet es sich abgesehen von den eben
behandelten Stellen noch zweimal in den Urkunden Ottos I.: Teutonica lingua
in der Bedeutung ,auf deutsch1 steht 944 in einer Verfügung zugunsten des
Bistums Utrecht.7" 969 schließlich diente das Wort als Personenbezeichnung:
Teutonici ,die Deutschen1. Die betreffende Urkunde stammt tief aus dem Sü-
den Italiens und ist von dem Italiener B‘ verfasst, bei dem es sich nach
Huschner um den Bischof Hubert von Parma handelte.76
Die Aussage, mancipia teutonica oder sclavica beziehe sich auf außer-
sprachliche Gegebenheiten, ist auch dann richtig, wenn alle mancipia teutoni-
ca germanisch und alle mancipia sclavica slawisch gesprochen haben. Die
Unterscheidung zwischen beiden Gruppen erfolgte nämlich wegen ihrer ver-
schiedenen Rechtsstellung und nicht wegen ihrer verschiedenen Mutter-
sprache, wie die oben angeführten Beispiele der familiae Sclavorum und der
familiae litorum usw. zeigen. Unabhängig davon ist eine Sprachbezeichnung
etwas anderes als eine Personenbezeichnung.
Wir verlassen die Namen und wenden uns zum Schluss Interferenzen auf
dem Gebiet des Begriffswortschatzes zu. Dabei begnügen wir uns mit einem
einzigen Beispiel, nämlich aldiones. Als mittellateinisches Wort war es in
Italien gebräuchlich und bezeichnete eine Art abhängiger Leute. Folglich
kommt es auch in Urkunden fränkischer und deutscher Könige und Kaiser für
italienische Empfänger vor. Seiner Herkunft nach ist aldiones germanisch. s
4 Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg (wie Anm. 12), Nr. 3, S. 5-7 (= D O. 1. 16):
familias colonorum / familias litorum / familias colonorum / familias servorum (je-
weils mehrmals) / familias Sclavorum (Z. 31). Vgl. D O. I. 18 (937 für Quedlin-
burg) familias Sclavorum ohne Gegenwort. D O. I. 16 und 18 hat Poppo A verfasst:
Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 54, Anm. 163. Die
Urkunde Ottos I. vom 7. Juni 939 für das Moritzkloster kennt familias litorum /
servorum / colonum / colonorum / Sclavorum: Urkundenbuch des Erzstifts Magde-
burg (wie Anm. 12), Nr. 4, S. 8 (= D O, I. 21).
75 D O. I. 62 (wie Anm. 1), S. 144, Z. 1.
76 D O. I. 371, S. 509, Z. 1 lf.; Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17),
Bd. 1,S. 101 f. und 110.
Tiefenbach, Heinrich: Studien zu Wörtern volkssprachiger Herkunft in karolingi-
schen Königsurkunden: ein Beitrag zum Wortschatz der Diplome Lothars /. und
Lothars II. (Münstersche Mittelalter-Schriften 15), München 1973, S. 14-16.
* Zur Etymologie: Kuhn, Hans: „Vor- und frühgermanische Ortsnamen in Nord-
deutschland und den Niederlanden“, in: Kuhn: Kleine Schriften (wie Anm. 27), S.
115-173, hier S. 157f.; Ders.: „Aldius. § 2“, in: RGA (wie Anm. 14), Bd. 1, Berlin /
New York 1973, S. 136; Tiefenbach: Studien (wie Anm. 77), S. 16-17; Olberg,
386
Aber davon wusste man im 10. oder 13. Jahrhundert nichts, denn die damali-
gen Gelehrten verfügten ja über keine germanistischen Kenntnisse.
Nun findet sich aldiones/aldii (und die weibliche Form aldiae) auch in eini-
gen Kaiserurkunden für deutsche Empfänger, zuerst 998 für Memleben, als
Otto III. diesem Kloster die Burg civitatem (Akk.) Wiehe schenkte: „cum [...]
servis et aneillis, aldiis et aldiabus.“79 Der Ausstellungsort der Urkunde war
Rom und ihr Schöpfer der nachmalige Bischof Siegfried (,SigefrecT) von
Piacenza.80 Aldii und aldiae stehen offensichtlich statt liti und Iitae. Hier ist
italienisches Latein an die Stelle deutschen Lateins getreten. Das wäre nichts
weiter Besonderes.
Jedoch hat das Wort aldiones zu kühnsten Schlüssen Anlass gegeben, weil
es 1040 in einer Urkunde Heinrichs III. für die Naumburger Kirche vor-
kommt: cum [...] utriusque sexus familiis aldionibus vel smurdis* Es bezeu-
ge, dass während des 6. Jahrhunderts Langobarden aus Italien ins „Land an
der Saale“ gekommen wären.8' Dabei wurde übersehen, dass es sich bei den
Naumburger ,Aldionen‘ von 1040 um Slawen handelte, nämlich eine Gruppe
wendischer Abhängiger, die Smurden oder Smerden genannt wurden.8' Die * So
Gabriele von: Die Bezeichnungen für soziale Stände, Schichten und Gruppen in den
Leges Barbarorum (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 11), Berlin / New York
1991, S. 86-88; Wagner, Norbert: „Liut, Alt-, gastaldius und ähnliches“, in: Mün-
chener Studien zur Sprachwissenschaft 57 (1997) S. 169-177, hier S. 173- 175.
l) D O. III. 305, MGH. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 2, 2, S. 73.
f'" Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17), Bd. 1, S. 339.
sl Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg, Teil 1: 967-1207 (Geschichtsquellen der
Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, Neue Reihe 1). Felix Rosenfeld (Hg.),
Magdeburg 1925, Nr. 45, S. 36. D H. III. 60, MGH. Die Urkunden der deutschen
Könige und Kaiser, Bd. 5, Berlin 1926-1931 [= Nachdruck München 1980], S. 78.
Siehe auch Wießner, Heinz: Das Bistum Naumburg, Bd. 1,2 (Germania Sacra, Neue
Folge 35,2), Berlin / New York 1998, S. 743.
Wenskus, Reinhard: „Zur fränkischen Siedlung im Saalegebiet“, in: Reinhard
Wenskus / Hans Patze (Hg.): Ausgewählte Aufsätze zum frühen und preußischen
Mittelalter. Festgabe zu seinem siebzigsten Geburtstage, Sigmaringen 1986, S. 201 -
212, hier S. 207 (zuerst 1977). Vgl, übrigens Springer, Matthias: „Umsiedlung“, in:
RGA (wie Anm, 14), Bd. 35, Berlin-New York 2007, S. 302-308.
So schon Dobenecker, Otto: Regesta diplomatica neenon epistolaria historiae
Thuringiae, Bd. 1, Liechtenstein 1986 (= Jena 1896), Nr. 743, S. 156. H. Breßlau:
„Der Ausdruck aldiones, der hier für die slawischen Smurden angewandt wird,
erklärt sich daraus, daß der Verfasser der Urkunde ein Italiener war“, in: MGH. Die
Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 5 (wie Anm. 81), S. 78. Ebenso
vermutete Hans von Voltelini beim Vorkommen des Wortes aldiones auf dem
Boden Frankreichs und Deutschlands „italienischen Einfluß“, in: Deutsches Rechts-
wörterbuch., Bd. 1, Weimar 1914-1932, Sp. 477f. Siehe auch Tiefenbach: Studien
(wie Anm. 77), S. 16.
387
betreffende Urkunde hat der Notar ,Kadeloh B‘ verfasst, der aus Italien
stammte.84 Offensichtlich benutzte er aldiones, um ein (nach seinem Ge-
schmack) gut lateinisches Wort zu gebrauchen, das dem Leser das barbarische
smurdi verdeutlichen sollte. Ein anderer Urkundenverfasser hatte sich im selben
Jahr 1040 so ausgedrückt: cum mancipiis utriusque sexus et colonis, qui vulgo
vocantur smurdi. Auch diese Urkunde galt der Naumburger Kirche.*"
Das Wort smerdilsmurdi hängt mit einem Verb zusammen, das ,stinken1
bedeutete. Das Substantiv, nach dem das lateinische smerdi!smurdi gebildet
wurde, war mit der Bedeutung ,Bauer1, ,Leibeigener', ,gemeiner Mann' ge-
meinslawisch,86 ist also nicht etwa aus den deutsch-wendischen Verhältnissen
zu erklären.
1065 taucht aldiones noch einmal in einer Naumburger Urkunde auf: cum
[...] mancipiis Smurdis et aldionibus,87 Es klingt, als ob hier die Smurden und
die Aldionen zwei verschiedene Personengruppen gewesen wären; aber der
Schöpfer des Schriftstücks, der „weder über besondere Kenntnisse verfügte
noch auch besondere Neigung für sein Amt mitgebracht zu haben scheint,“88
hat aldionibus ohne Überlegung hingeschrieben, offenbar unter dem Eindruck
der Urkunde von 1040. Wenn eine Ausdrucksweise als vorbildlich erschien,
wurde sie nachgeahmt, auch wenn sie irreführend oder sogar fehlerhaft war.
So galten die falschen Datierungen des Italieners ,Kadaloh A‘ als maßgeblich,
der nach Huschner übrigens derselbe Mann war wie der Bischof Kadaloh von
Naumburg (1030-1045).89 Später findet sich das Wort aldiones in Naum-
burger Urkunden nicht mehr. Jedenfalls weisen die Wortverzeichnisse des Ur-
kundenbuchs des Hochstifts Naumburg keine weiteren Stellen nach - im Un-
terschied zu smurdi.90
,H4 Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 844f., Anm. 283.
Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg, Teil 1 (wie Anm. 81), Nr. 42, S. 33; D H.
III. 18, MGH Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 5, Berlin 1926-
1931 [= Nachdruck München 1980], S. 25.
Sh Zur Etymologie und Verbreitung: Vasmer, Max: Russisches Etymologisches Wör-
terbuch, Bd. 2, Heidelberg 1955, S. 671. Ich danke Herrn Prof. Dr. Ernst Eichler
(Leipzig) für diesbezügliche Hinweise.
s D H. IV. 140, MGH. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 6, Berlin
u.a. 1941-1978, S. 183. Weitere Belege bei Eichler, Emst: Studien zur Frühge-
schichte slawischer Mundarten zwischen Saale und Neiße (Deutsch-Slawische For-
schungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte 19), Berlin 1965, S. 95, Anm. 5.
xx So v. Gladiß, in: MGH. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd. 6 (wie
Anm. 87), S. XXXIV; vgl. S. LVII.
x9 Huschner: Transalpine Kommunikation (wie Anm. 17), Bd. 2, S. 890f. und 997.
90 Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg, Teil 1 (wie Anm, 81), S. 448 und 450.
Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg (Quellen und Forschungen zur Geschichte
Sachsen-Anhalts 2), Bd. 2. Hans K. Schulze (Hg.), Köln u.a. 2000, S. 1084 und 1119.
388
Mit aidio haben einige Forscher das Wort altiste (Nom. plur.) in Zusam-
menhang gebracht,91 das 1239 in einem Vertrag zwischen dem Kloster Nien-
burg an der Saale und dem Grafen Heinrich 1. von Anhalt vorkommt (neben
littones und censuales ecclesie).9^ Diese Vorgehensweise ist nicht berechtigt.
Ich komme hier in die mich beunruhigende Lage, Peter Stotz widersprechen
zu müssen, der meinte: „Im Anhaitischen ist eine Bildung altista ,halbfreier
Kolone‘ belegt; diese beruht auf einem Wort germanischen Ursprungs (vgl.
aldio ...).“93 Der Verfasser stellt altista neben solche Neubildungen wie
psalmista oder chronista. Aber diese sind von Wörtern abgeleitet, die inner-
halb der mittellateinischen Literatur überaus verbreitet waren: psalmus und
chronica. Aldio kam in Mitteldeutschland jedoch ganz selten vor. Auch rückt
der Inhalt der anderen Bildungen auf -ista diese Wörter in die Nähe der Zu-
sammensetzungen von der Art, der die altindischen Grammatiker den Namen
Tatpurusa gegeben haben; vgl. dt. Liebhaber, Weintrinker, Erblasser,44 Ein
psalmista ist einer, der Psalmen dichtet oder singt; ein chronista einer, der
Chroniken schreibt. Was aber soll ein ]a/dionista angestellt haben? Falls
Bildungen wie algorista oder alchimista als Gegenbeispiel dienen sollten,
wäre zu erwidern, dass diese den mathematisch-naturwissenschaftlichen Betä-
tigungen des 13. Jahrhunderts entsprungen sind und nicht in den ländlichen
Alltag des Hochmittelalters gehören.
Wenn altista tatsächlich von aldiones abgeleitet wäre, müsste es sein Da-
sein einer völligen Verballhornung verdanken. Auch bliebe es eine einmalige
Bildung. Möglicherweise haben wir einfach eine Verlesung vor uns. Die Ur-
kunde von 1239 ist nämlich nur als „Transsumpt“ aus dem Jahre 1288 über-
liefert.9" Das Mittellateinische Wörterbuch setzt altista als eigenes Stichwort * 93 94 95
von Voltelini (wie Anm. 83), Sp. 478.
9* Codex diplomaticus Anhaltinus, Bd. 2. Otto von Heinemann (Hg.), Osnabrück 1986
[= Dessau 1875], Nr. 145, S. 116.
93 Stotz, Peter: Handbuch zur lateinischen Sprache des Mittelalters, Bd. 2 (Handbuch
der Altertumswissenschaft 2, 5, 2), München 2000, S. 277.
94 Hirt, Hermann: Handbuch des Urgermanischen, Teil 2 (Indogermanische Biblio-
thek, 1. Abtlg., 1. Reihe 21,2), Heidelberg 1932, S. 120.
95 Heinemann: Codex diplomaticus Anhaltinus (wie Anm. 91), S. 117. Zu der betref-
fenden Urkunde siehe Vogtherr, Thomas: „Das Kloster Nienburg zwischen Magde-
burg und Anhalt (1166-1239)“, in: Mitteilungen des Vereins für Anhaitische
Landeskunde 10 (2001) S. 11-38, hier S. 35f. Zum Kloster Nienburg: Wewetzer,
Cornelia (Hg.): Auf den Spuren der Ottonen IV. 1000 Jahre wie ein Tag: 8. August
1004 bis 8. August 2004; Protokoll der wissenschaftlichen Tagung anlässlich 1000
Jahre Weihe des Benediktinerklosters Nienburg/Saale am 13./14. August 2004 (Bei-
träge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalts 36: Auf den Spuren der
Ottonen 4), Halle 2005.
389
an, verweist allerdings auch auf aldio/aldius
Etwa dreißig Urkunden, die mit einem absichtlich sehr eingeengten Blick
betrachtet worden sind, haben gereicht, einen Aufsatz zu füllen. Falls er zu all-
gemein sprachwissenschaftlichen Betrachtungen anderer Urkunden anregen
könnte, wäre ich erfreut. Beschränkt man sich auf die Stücke, die von Konrad
1. und seinen Nachfolgern einschließlich Ottos III. ausgestellt bzw. auf ihren
Namen gefälscht wurden, so hat man eine Anzahl von ungefähr 1300 zu be-
rücksichtigen.
Summary
Germanic-Slavonic-Romance Interferences in Magdeburg
Charters of the 10th Century and elsew here
The article examines onomastic interference documented in the 10th century
royal charters related to Magdeburg. This material is completed by examples
taken from historiographical sources. By analysing these documents the
author discusses three types of onomastic interference: 1. Germanic-Slavonic,
2. Low German-High German and 3. Germanic-Romance interference.
Starting with the premise, that royal charters should not only be used for
historical research, but should also be regarded as linguistic documents
representing medieval language usage and should therefore be explored by
historians and linguists in cooperation, the author works out some
observations, which should be taken into consideration for further research. 96
96 Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 1, Berlin 1967, Sp. 518.
390
Ernst Eichler
Die Germania Slavica und Germania Romana im
toponymischen Vergleich
1. Sprachlicher Ausgang
In der vergleichenden Sprachwissenschaft, die im 19. und 20. Jahrhundert so
intensiv gepflegt wurde, haben namenkundliche Fragen eher eine geringe Rol-
le gespielt. Eigennamen standen am Rande und wurden für Vergleiche kaum
herangezogen. Erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts sind bestimmte Aufgaben
gestellt worden, die die Einbeziehung von Namen als produktiv und ertrag-
reich ansahen. Ein historisches Sprachgebiet wie das deutsche - hier das
mittelalterliche - war sprachlich nicht homogen, sondern vielmehr heterogen.
Betrachten wir es nach den verschiedenen Richtungen, stehen folgende Kon-
taktgebiete als Forschungsfelder vor uns: 1. das germanisch-romanische Kon-
taktgebiet - die Germania Romana (GR) mit ihren weiteren Unterglie-
derungen, 2. das deutsch-slavische Berührungsgebiet - die Germania Slavica
(GS) von der Ostsee bis zur Adria, 3. das Kontaktgebiet des skandinavischen
Raumes, das Kontaktprobleme innerhalb des Germanischen, so des Nieder-
sächsischen zu den nordischen Sprachen bietet, schließlich der Mittel-
meerraum.
In diesem Beitrag sehen wir die Germania Romana und die Germania
Slavica unter dem Blickwinkel eines möglichen toponymischen Vergleichs,
den wir schon früher angestrebt haben. Betrachten wir das deutsche Sprachge-
biet von heute, so erkennen wir sehr bald, dass an seinen Randzonen mannig-
fache Berührungen mit anderen Sprachen abgelagert sind, dies kann als eine
Universale gelten. Weil das Sprachsystem Appellative und Namen umfasst,
betrifft dies nicht nur die Lehnwortforschung, sondern auch die Namenfor-
schung als Anliegen der Sprachkontaktlinguistik. Unser Thema ist nur ein
Ausschnitt aus diesem mannigfachen Teppich europäischer Sprachkontakte in
ihren unterschiedlichen Räumen und Zeiten. Es bleibt zunächst nur am Rande,
aber mit ständig wachsender Geltung auf Grund ihrer Aussagekraft - einge-
bunden in das Konzept der historischen Landeskunde, die im westlichen und
östlichen deutschen Sprachbereich etabliert und ausgeformt wurde: in den
zwanziger Jahren von Theodor Frings unter Beteiligung am Gemeinschafts-
werk Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden. Geschichte
Sprache - Volkskunde (1926); ein Jahrzehnt später erschien das Werk
Kulturräume und Kulturströmungen im mitteldeutschen Osten (1936), mit ein-
gehenden Bemühungen, die multidisziplinäre Forschung der Rheinlande auf
den Osten zu übertragen, also auf das historische slavische Sprachgebiet. In
mehreren Beiträgen wurde auch der Namenschatz in seiner Aussagekraft be-
fragt. Der Leipziger Germanist Helmut Protze hat Frings’ Interesse an der Na-
menforschung eingehend gewürdigt (Protze 1957). Worum es bei der Zusam-
391
mentuhrung von Sprache, und somit auch von Namen und Geschichte, vor
allem Siedlungs- und Kulturgeschichte wie auch Archäologie, geht, kann nicht
besser verdeutlicht werden als an ausgewählten, aber sehr deutlichen Beispie-
len eines der Altmeister der Germanistik. Theodor Frings führte aus (Frings
1956, S. 135):
Der Vorbruch der deutschen Altstämme, die Entfaltung der Siedler-
ströme seit dem 12. Jh.„ die Besiedlung [...] im Elbe-Oder-Gebiet hat
in der Geschichte des Abendlandes nur eine Parallele: die Eroberung
Spaniens durch die nordspanischen Romanen im Kampf mit den Ara-
bern... In Spanien greifen nördliche Mundarten als Katalanisch, Spa-
nisch, Portugiesisch [...] miteinander und fingerförmig gegen Süden,
über die Saalelinie entfalten sich mit den Siedlungsbahnen die Sprach-
ströme gegen Osten. - Wir verdeutlichen die Überleitung aus dem Alt-
ins Neuland mit dem Siedlungsforscher noch einmal an einem beson-
ders einfachen Fall, der zugleich in die Sprachgeschichte gehört: an der
südnördlichen Namenstufung der ,neuen Dörfer1 [...]: Neundorf,
Naundorf, Niendorf, und ergänzend weisen wir auf eine gleich gelager-
te Stufung: die südlichen Ortsnamen auf -grün, -reut, -heim, die mittle-
ren auf -rode und -dorf die nördlichen auf -stedt.
Hier wird die Zusammenschau von Sprache (und somit Namen) und Ge-
schichte deutlich gezeigt, in ihrer Aussagekraft hoch gewertet und sie ist zu-
gleich eine Ermutigung für eine europäisch ausgerichtete Betrachtung, wenn
Spanien und Deutschland vergleichend genannt werden: dies bedeutet eine
europäische Perspektive. Daher haben wir auf der XIII. Polnischen Onomas-
tischen Konferenz in Olsztyn/Allenstein (2001), einem Ort der polnischen,
deutschen, baltischen und indogermanischen Namenwelt, im südlichen Ost-
preußen gelegen, Forschungen zur europäischen Onomastik, also eine Euro-
onomastik, vorgeschlagen, die zusammenführen, neue Ergebnisse erbringen
und das Prestige des Namens dem Appellativum gleichstellen muss.
2. West und Ost in der Toponymie und Kulturmorphologie
Bei dem Versuch, einen Vergleich zwischen den beiden Räumen der Germa-
nia Slavica und der Germania Romana anzustellen, darf man die allgemeine
kulturmorphologische Dimension, wie sie Frings herausstellte, nicht
ignorieren. Doch wird die Problematik eines solchen Vergleichs bald offenbar,
denn Germania Slavica und Germania Romana unterschieden sich wahrlich
grundlegend in der Zeit und in ihren Sprachräumen und kulturellen Äuße-
rungen. Wolfgang Haubrichs hat dies in seiner Geschichte der deutschen Lite-
ratur von den Anfängen bis zum Beginn der Neuzeit - Die Anfänge: Versuche
volkssprachiger Schriftlichkeit im frühen Mittelalter (2. Aufl. 1995)
ausführlich dargelegt. Einer seiner wichtigsten Sätze lautet: „Schreiben ist
sakraler Dienst“ (Haubrichs 1995, S. 170). In ganz neuer Sichtweise tritt die
deutsche Literatur dieser Zeit in den Gegensatz zu den Regionen zwischen
Ostsee und Donau, wo vergleichbare Zeugnisse der schriftlichen Kultur, der
392
Literalität, selten sind - dort herrscht eher Oralität, mit geringer schriftlicher
Überlieferung. ,Litterati", wie sie Haubrichs beschreibt, fehlen im Osten, sie
werden erst später von sich hören lassen (vgl. Hengst 2005). Sie sind prak-
tische Handreichungen für die christliche Mission, also Gebete und Unterwei-
sungen. Das stimmt überein mit zahlreichen toponymischen Äußerungen zur
christlichen Mission, die wir in den sechziger Jahren dargestellt und unserer
Analyse der altsorbischen Namentypologie, vor allem der Toponymie, einge-
ordnet haben. Ein West-Ost-Kontrast für den Raum zwischen Elbe/Saale und
Oder und dem Donauraum erscheint zu einfach, denn in der christlichen Mis-
sion ist auch ein Nord-Süd-Kontrast zu beobachten, obgleich die angelsäch-
sische Mission, Magdeburg und Mecklenburg ausbauend und auf Gnesen aus-
greifend, mit der südlichen, also mit den Bistümern Merseburg, Zeitz und
Naumburg bis an die Donau und Regensburg, im Süden über Freising nach
Salzburg, mit dem germanisch-romanischen Raum verbunden ist.
3. Toponymische Integration in der German/a /tomana und
Germania S/avica
Die bisherigen Vorarbeiten bieten eine feste Basis im Westen wie im Osten.
Die wichtigste Frage, wie romanische und slavische Toponyme in den deut-
schen Namenschatz gelangt sind, ist von internationaler Bedeutung. Künftig
ist zu erforschen, inwieweit in der Germania Romana und in der Germania
Slavica parallele und divergente Entwicklungen verlaufen sind. Bestimmte
Indizien haben dazu geführt, vor allem im Bereich der so genannten Endungen
von Toponymen in der Germania Slavica wie solcher auf -en, -aun und ande-
rer, Parallelen aufzudecken. Ist man soweit bereit, einen Blick von Westen
nach Osten und von Osten nach Westen zu werfen, so wird man eine Fülle
von Strukturen entdecken, die als Ergebnisse der Integration parallel verlaufen
sind und in der historischen Entwicklung im Westen wie im Osten im Integra-
tionsprozess der betreffenden Sprachen dasselbe Resultat ergeben haben. Dies
ist überwiegend in jüngerer Zeit, sprachhistorisch in frühneuhochdeutscher
Periode, geschehen. Hier sind die Namentypen ohngeachtet ihrer Provenienz
einander angenähert, ja egalisiert worden. Dies ist auch anderswo an den
Rändern des deutschen Sprachgebietes zu beobachten und erfordert einen
europäischen Blick. Öffnen wir den Blick über Westeuropa hinaus, so bieten
die süd- und osteuropäischen Regionen mit ihren mannigfaltigen Interfe-
renzerscheinungen reiche Möglichkeiten eines Vergleichs der Prozesse, wie
sie sich über Jahrhunderte vollzogen haben. Man muss eine Öffnung nach
Süden und Osten erreichen, um die so genannten ,westlichen1 Interferenz-
phänomene in ihrem Ursprung und Verlauf mit anderen Regionen zu konfron-
tieren. Aus dem slawisch-deutschen Bereich nenne ich hier eine Erscheinung,
die die Interferenz in Deutschland weitgehend beherrscht und die ich als Na-
mensimplizia charakterisiert habe, da sie im ostmitteldeutschen Raum ein
weitgehend wirkender Integrationsmechanismus ist. Hier sind Integrate wie
393
Groitzsch und Roitzsch, wie Gautzsch und Leutzsch eigentlich ,namenkund-
licher Alltag". Hier sieht man die tiefgehend wirkende Kraft der Akzentuation
auf die Integrate, so dass aus mehrsilbigen Grundformen nun einsilbige wur-
den. Wie weit hat diese Tendenz gegriffen und inwiefern ist sie bestimmend
gewesen, denn auch deutsche (oder germanische) Basen sind dieser Tendenz
unterworfen worden? Ein wichtiges Beispiel der Kenntnisnahme, scheinbar
eine abgelegene Landschaft der Interferenzvorgänge, die erst in der frühen
Neuzeit vom Russischen umfasst wurde, ist der Norden Russlands. Aleksandr
Konstantinovic Matveev, ein hoch verdienter Forscher an der Universität
Ekaterinburg, hat in einer zweibändigen Monografie die Substrattoponymie
des russischen Nordens erforscht und grundlegende Erkenntnisse dargelegt
(vgl. Matveev 2001). Unvergessen sind auch die Forschungen Max Vasmers
zur Völkerkunde Osteuropas, die er in Leipzig und Berlin anstellte und in
seinen bekannten Akademieabhandlungen in den zwanziger bis vierziger
Jahren publizierte (vgl. Vasmer 1971). Unser Blick muss auch auf das Außen
gerichtet sein, in dem in vielfältiger Art die sprachliche Interferenz domi-
nierte.
4. Resultate der Integration
Während die toponymischen Integrate auf ihre Endelemente in auffälliger
Weise, wie es etwa die Ortsnamen Gaßein und Roßwein anzeigen, Aufmerk-
samkeit erregen und ebenso andere auf -en-l-in- usw., wie wir sie in der nach-
folgenden Gegenüberstellung vorstellen, sind die einsilbigen toponymischen
Integrate, so genannte Simplizia, in der Germania Romana Germania Slavica
sehr auffällig, da sie nicht nur auf Ortsnamen, sondern auch auf andere Na-
menarten (vor allem auch Familiennamen, die von Ortsnamen abgeleitet sind)
zutreffen und sie maßgebend gestaltet haben. Wir geben hier nur eine kurze
Gegenüberstellung der mit Endelementen versehenen Integrate in der Germa-
nia Romana und Germania Slavica, dann der so genannten toponymischen
Simplizia (verschiedener Herkunft).
Germania Romana Germania Slavica
-ein Gaflein Roßwein
-en Rofen Dresden
-in Patzin, Ranggetin Berlin, Stettin
-aun Padaun Wellaun-e
-un Sasgalun Raguhn
-an Meran Lauban
-itz Birgitz Dölitz
-itsch Maditsch Delitzsch
-ena Veldidena Lützschena
Sowohl in der Germania Romana als auch in der Germania Slavica sind
durch die sprachlichen Integrationsprozesse auffällige Namenformen, meist
394
einsilbig, entstanden, die wir als ,integrative onymische Simplizia1 bezeichnen
- dies stellt eine wichtige Parallelität zwischen der Germania Romana und der
Germania Slavica dar; es können dafür viele Beispiele angeführt werden. In
beiden Bereichen hat vor allem der Akzent eine dominierende Rolle gespielt,
indem er die Lautfolgen entschieden gestaltete und Kontraktionen, offenbar
ohne semantische Motivierung, verursachte. Aus der Germania Slavica kann
eine lange Liste von einsilbigen toponymisehen Integraten angeführt werden,
von der wir hier nur einige Beispiele nennen, und zwar aus Pommern: Beiz,
Benz, Bork, Daarz, Drien, Freetz, Freist, Gahns, Gans, Gnast, Ganz,
Garz/Gartz, Gatz, Giilz, Gust, Kambz, Kliesz, Klütz, Krien, Kruhtz, Lanz,
Lühs, Liips, Preest, Preetz, Prust, Reetz, Reitz, Schmaatz, Schmilz, Schwenz,
Slupp, Staarz, Streitz, Triebs, Volz, Ziimz usw. (vgl. Eichler 2005). Die
Integration, die vor allem die Suffixe - soweit in den Grundformen
vorgegeben - als Endformanten bestimmten, führte hier zu Integrations-
formen, die in vielen Fällen auf Konsonanten der ¿-Laute (Spiranten und
Affrikaten, also -s und -z Itsf) endeten, wie schon aus den oben angeführten
Integraten entnommen werden kann. Übrigens sind diese Namenformen nur
aus historischen Abhandlungen ersichtlich, da die Orte heute in Polen liegen
und jetzt entsprechende polnische Formen führen. Aus der Germania Romana
können ohne Mühe zahlreiche Beispiele aus romanischen Vorformen ange-
führt werden, aus den schon vorliegenden Untersuchungen, z.B. aus Tirol:
Arzl, Bradl, Dias, Ebbs, Eis, Ennz, Fann, Flung, Furggl, Gaul, Gfrans, Gleif
Glis, Golz, Graun, Grins, Gschnitz, Imst, Ipf Id, Igls, Ischgl, Jam, Juns,
Käppi, Kauns, Krün, Lans, Mals, Mauls, Nischl, Ötz, Pfass, Pfitsch, Pfuss,
Prutz, Rids, Sass, Sill, Tux, Zams, Zirl. Diese Namenformen entstanden als
Produkte eines langen Prozesses, der Integration vor allem romanischer
Grundformen, die den toponymisehen Bezeichnungen zugrunde liegen und
meist zwei- oder mehrsilbig waren. Der Auslaut von Spiranten ist auch hier
deutlich - es geht wohl um eine Parallelität zwischen der Germania Slavica
und Germania Romana (vgl. Anreiter 1997).
Eine umfangreiche, bisher kaum unternommene Untersuchung muss die
Integrationsmechanismen bestimmter Grundformen, wie sie in der Germania
Romana und Germania Slavica Vorlagen, ins Auge fassen und wenn möglich
auch klassifizieren, um eine mechanische Konfrontation von Namenformen,
die am Ende einer mehr oder weniger langen Kette von Integrationsresultaten
stehen, auszuschließen. Dies erfordert ein Konzept, das die parallele und dif-
ferente Nomination toponymischer Zeichen untersucht und sich intensiv den
Regularitäten der Substratonomastik widmet, die wir seinerzeit herausgestellt
haben, ohne allerdings den Vergleich zwischen Germania Romana und
Germania Slavica zu thematisieren (vgl. Eichler 1968).
Eine Reihe grundsätzlicher theoretischer und methodologischer Fragen ist
bei einem Vergleich zwischen der Toponymie in der Germania Romana und
der Germania Slavica zu beantworten, wobei die vorhandenen Vorarbeiten
ihrerseits von unterschiedlichen Positionen ausgehen. Oftmals stand in der
395
Vergangenheit die Etymologie des betreffenden Toponyms im Vordergrund,
weniger der morphologische Habitus1, d.h. die Eingliederung in die Ziel-
sprache. Zunächst sind zwei Richtungen zu beobachten: ein Mischtyp, der
darin besteht, dass eine zweigliedrige Struktur der Ausgangssprache verhaftet
ist, dagegen die morphologische Integration ein deutsches Grundwort beige-
iugt hat, z.B. dt. Attenhoven, franz. Attincourt aus Ottenhofum und román.
Ottonecurtis (Besse 1997, S. 315), entsprechend in der Germania Slavica
Ortsnamen wie Borsdorf zum slavischen Personennamen Bor. Dieser Typ ist
in beiden Bereichen der Germania Romana und Germania Slavica zahlreich
vertreten. Ein zweiter Typ besteht darin, dass in beiden Bereichen bestimmte
Endungen (auslautende Morpheme) auftreten, die völlig übereinstimmen und
der Integration vorromanischer bzw. slavischer Grundformen dienen, z.B.
-itsch in Ortsnamen wie Maditseh {Germania Romana) und Daumitsch (Ger-
mania Slavica); -un in Ballun (Germania Romana) und Dargun (Germania
Slavica) usw. Weitere Endelemente sind -an, -atsch, -aun, -in, -ein und -is.
Einen dritten Typ können wir in der Herausbildung von so genannten topony-
mischen Simplizia sehen, die nach einer meist längeren lautlichen Entwick-
lung entstanden sind. Es ergibt sich auf diese Weise eine Blickrichtung, die
von der etymologischen Analyse abführt und den Blick auf die integrative
Phase des Romanischen und des Slavischen ins Deutsche lenkt und versucht,
hier an den ,Flanken1 im Westen und Osten Parallelen und Differenzen
auszumachen, sie zugleich auch in die Geschichte der deutschen Sprache ein-
zugliedern und sie dort nicht länger auszublenden. Mitteleuropa ist ein multi-
linguales Aktionsfeld, das sich gerade in der Onymie zeigt - bis heute. Hier
können Fragestellungen angeschlossen werden, die die Globalisierung linguis-
tisch beleuchten.
Bibliographie
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Tiroler Raum, Innsbruck 1997.
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1999 an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz - Wolfgang Kleiber
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allem in Pommern)“, in: Jolanta Ignatowicz-Skowronska (Hg.):
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Szczecin 2005, S. 31-41.
Hengst, Karlheinz: „Sprachliche Zeugnisse für Kirche und geistliches Wirken
im Kontaktraum zwischen Slawen und Deutschen im Pleißenland vom 10.
bis 12. Jahrhundert“, in: Peter Sachenbacher (Hg.): Kirche und geistiges
Lehen im Prozeß des mittelalterlichen Landesausbaus in Ostthiiringen/-
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thüringens 2), Langenwiesbach 2005, S. 13-22.
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Vasmer, Max: Schriften zur slavischen Altertumskunde und Namenkunde.
Herbert Bräuer(Hg.), Bd. I-II, Berlin 1971.
Summary
A Toponymical Comparison of the Germania Slavica with
the Germania Romana
The objective of this paper, taking up previous research on the toponymy of
the two contact areas, is twofold: firstly, to point out parallels and differences
occuring mainly in the field of name typology, and secondly, to formulate
topics for further research. In this context, special emphasis is dedicated to the
relations between phonological and morphemic factors being especially mani-
fest in the development of toponymical integrates and occuring with high
incidence in the Germania Slavica.
397
Martin Hannes Graf
Sprachkontakt, Kulturkontakt und die niederger-
manischen Matronen-Gottheiten1
1. Einleitendes
Die rheinischen Matronen(bei)namen des zweiten und dritten Jahrhunderts
bilden in der Sprachkontaktforschung und der historischen Sprachwissen-
schaft eher ein Randthema/ Auch in der vergleichenden Religionsgeschichte
(der römischen Provinzen) wird dem Matronenkult erst in jüngerer Zeit ver-
mehrte Aufmerksamkeit geschenkt.' Dabei sind, Varianten nicht berücksich-
1 Die vorliegende Studie konnte im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts
„Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen. Historische Perspektiven“
(Universität Zürich) erarbeitet werden.
Eine nennenswerte Ausnahme bildet in der jüngeren Standard- und Lehrbuch-
literatur wohl nur Scardigli, Piergiuseppe: Der Weg zur deutschen Sprache. Von der
indogermanischen zur Merowingerzeit (Germanistische Lehrbuchsammlung 2),
Bern 1994, S. 163-174. Spezialliteratur wird an Ort und Stelle genannt. Besonders
erwähnt sei jedoch bereits vorab Mees, Bernard: „Early Rhineland Germanic“, in:
North-Western European Language Evolution 49 (2006) S. 13-49
Vgl. Gschlößl, Roland: Im Schmelztiegel der Religionen. Göttertausch bei Kelten,
Römern und Germanen, Mainz 2006, passim sowie besonders S. 47-59. Zentral sind
die Beiträge des Göttinger Akademiekolloquiums von 1987 in dem Sammelband
Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet
von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nord-
europas (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des
Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland und
des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande, Beihefte 44), Köln 1987.
Daneben siehe insbesondere Spickermann, Wolfgang: „Die germanischen Provin-
zen als Feld religionsgeschichtlicher Untersuchungen“, in: Wolfgang Spickermann
(Hg.): Religion in den germanischen Provinzen Roms, Tübingen 2001, S. 3-47;
Spickermann, Wolfgang: Germania Superior. Religionsgeschichte des römischen
Germanien I (Religion der Römischen Provinzen 2), Tübingen 2003. Es scheint
zudem, dass mit dem Projekt F.E.R.C.A.N. der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften die Matronenreligion jedenfalls in ihrer keltischen Ausprägung
wachsende Beachtung erfährt. Vgl. dazu etwa Häussler, Ralph: „Alte und neue
Götter in der Römischen Provence“, in: Wolfgang Spickermann / Rainer Wiegels
(Hg.): Keltische Götter im Römischen Reich. Akten des 4. Internationalen Work-
shops „Fontes Epigraphici Religionis Celticae Antiquae“ (F.E.R.C.A.N.) vom 4,-
6.10.2002 an der Universität Osnabrück (Osnabrücker Forschungen zu Altertum
und Antike-Rezeption 9), Möhnesee 2005, S. 59-93, besonders S. 79f., und andere
in demselben Tagungsband veröffentlichte Beiträge. Einen ganz wesentlichen For-
schungsfortschritt bietet darin insbesondere Spickermann, Wolfgang: „Keltische
Götter in der Germania Inferior? Mit einem sprachwissenschaftlichen Kommentar
399
tigt, in einem verhältnismäßig großen Raum zwischen Rhein, Maas und Mosel
mit einem Zentrum zwischen Köln, Bonn und Aachen weit über hundert ver-
schiedene Kultnamen* 4 5 von Matronengottheiten bezeugt, die Gesamtzahl allein
der niedergermanischen und keltischen Matronennamen beläuft sich auf über
1300 Belege. Die Namen liegen zudem, da sie in Stein gemeißelt sind, in Ori-
ginalüberlieferung vor und bedürfen zu ihrer Beurteilung keiner überliefe-
rungsgeschichtlichen Kunststücke, wenngleich die epigraphische Arbeit an
gut 1700 Jahre alten Denkmälern mit mancher Schwierigkeit der Wiederher-
stellung und korrekten Lesung konfrontiert ist. Was die Edition der Denkmä-
ler anbelangt, so ist man zu einem großen Teil auf die verstreuten Fundberich-
te und Einzeluntersuchungen angewiesen; immerhin sind aber äußerst viele
der Inschriften unter anderem in den Teilbänden von CIL XIII sowie in der
„Epigraphischen Datenbank Heidelberg“ (EDH) leicht aufzufinden, und nebst
der Monographie von Siegfried Gutenbrunner von 19368 liefert insbesondere
Reicherts Lexikon6 * zu den germanischen und einem Teil der keltischen
Namen die detaillierten Angaben zu Fundorten, zum Dedikantenkontext, zu
Lesarten sowie weitere kleine Hilfen für die Arbeit an den Namen.
Im Folgenden soll ein Ausschnitt aus der reichen Überlieferung von Matro-
nennamen unter kontakt- respektive interferenzonomastischen Gesichtspunk-
ten betrachtet werden, wobei insbesondere real- beziehungsweise kultur- und
religionshistorische Hintergründe mit zu berücksichtigen sein werden, da das
betreffende Gebiet in den ersten Jahrhunderten nach Christus in ganz besonde-
rem Ausmaß von einer sprachlichen, ethnischen und religiösen Vielfalt ge-
prägt war.8
von Patrizia de Bemardo Stempel“, in: ebd., S. 125-148.
4 Nach der Terminologie von Hainzmann, Manfred: „Götter(bei)namen - Eine An-
näherung“, in: Wolfgang Spickermann / Rainer Wiegels (Hg.): Keltische Götter im
Römischen Reich. Akten des 4. Internationalen Workshops „Fontes Epigraphici
Religionis Celticae Antiquae" (F.E.R.C.A.N.) vom 4.-6.10.2002 an der Universität
Osnabrück (Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption 9),
Möhnesee 2005, S. 1-14, hier S. 5.
5 Gutenbrunner, Siegfried: Die germanischen Götternamen der antiken Inschriften.
(Rheinische Beiträge und Hülfsbücher zur germanischen Philologie und Volks-
kunde 24), Halle a. d. Saale 1936.
6 Reichert, Hermann: Lexikon der altgermanischen Namen. 1. Teil: Text (Thesaurus
Palaeogermanicus 1), Wien 1987.
Manche Einträge bei Reichert (wie Anm. 6) sind jedoch mit Vorsicht zu genießen,
vgl. dazu Graf, Martin Hannes: Schaf und Ziege im frühgeschichtlichen Mittel-
europa - Sprach- und kulturgeschichtliche Studien (Archaeolingua, Main Series
19), Budapest 2006, S. 69.
x Vgl. Weisgerber, Leo: Die Namen der Ubier (Wissenschaftliche Abhandlungen der
Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 34), Köln /
Opladen 1968, S. 268 und passim.
400
2. Die religiöse Welt der Spätantike am Rhein
Über die Religionen und die Religiosität in den römischen Nord- und West-
provinzen sind wir dank schriftlicher Aufzeichnungen und insbesondere
materieller Hinterlassenschaften im Allgemeinen recht gut unterrichtet, ob-
schon sich dem heutigen Betrachter die Kultpraktiken selten in allen Einzel-
heiten erschließen. Die Religion der römischen Antike nördlich der Alpen ist
nebst ihrer unbestreitbaren intellektuellen Seite immer auch stark von materi-
ell-sichtbaren Aspekten geprägt, von Praktiken, die ins Spektakel, in die
öffentliche, kollektive Frömmigkeit mündeten, deren Überreste sich dem mo-
dernen Betrachter noch immer in den monumentalen Sakralbauten, den Kult-
stätten oder auch den filigranen Votivgaben präsentieren. Prominente Denk-
mäler einer solchen wenig privaten und vielfach prunkvollen und politisch
und militärisch instrumentalisierten Religiosität sind beispielsweise die häufi-
gen, viele Meter hohen Jupitergigantensäulen.9 Glaubenspraktiken und Litur-
gien' sind schwer zu rekonstruieren, doch tritt uns in vielen der Steindenkmä-
ler auch eine reiche Bilderwelt entgegen, die, so nimmt die Forschung an,
auch tatsächliche religiöse Aktivitäten wie Opferhandlungen, Kultmahlzeiten
und ähnliches wiedergeben10 und damit einen kleinen, doch nicht unbedeuten-
den Einblick in die Welt der spätantiken Religiosität ermöglichen. Die äußerst
komplexen und beweglichen ethnischen Verhältnisse in den Nord- und West-
provinzen offenbaren eine bemerkenswerte Vielzahl von Religionsformen,11 12
ein Nach-, Neben- und Miteinander religiöser Praktiken und Moden, Hundert-
schaften von Göttern, die in ihrer demonstrativen Publizität gleichzeitig
wiederum eine Art ,Religion als Privatsache' markieren, insofern die Durch-
führung von und die Teilnahme an religiösen Praktiken zwar zur römischen
Bürgerpflicht gehörte, es aber einer Vielzahl von Personen freigestellt blieb,
welche Götter sie in welchem Zusammenhang zu verehren gedachten. Ein
Söldner aus dem Orient durfte problemlos Mithras verehren oder andere dii
patrii, ja Soldaten scheinen in ihren Mannschaftsunterkünften gar private
Kultnischen oder ganze dem Privatkult vorbehaltene Sakralbezirke zur Verfü-
gung gehabt zu haben,1' während sie in ihrer Eigenschaft als römische Bürger
9 Dazu vgl. Bauchhenss, Gerhard / Noelke, Peter: Die Iupitersäulen in den germa-
nischen Provinzen (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn
und des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande/Beiheft 41), Köln 1981.
10 Zu letzteren etwa vgl. Herz, Peter: „Matronenkult und kultische Mahlzeiten“, in:
Peter Noelke (Hg.): Romanisation und Resistenz in Plastik, Architektur und
Inschriften des Imperium Romanum. Neue Funde und Forschungen. Akten des VII.
internationalen Colloquiums über Probleme des provinzialrömischen Kunst-
schaffens, Köln, 2. bis 6. Mai 2001, Mainz 2003, S. 139-148
11 Vgl. Gschlößl: Schmelztiegel (wie Anm. 3), S. 12-26.
12 Vgl. Höpken, Constanze: „Ein Lamm im Topf: Zeugnisse von Kultausübung im
Flottenlager Köln-Alteburg“, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 36 (2006) S.
401
gleichzeitig am Kaiserkult teilzunehmen hatten. Bestimmte Berufsgruppen
durften ihre genii verehren, und einheimische lokale mitteleuropäische Reli-
gionsformen der indigenen keltischen und germanischen Bevölkerungs-
gruppen lebten ebenso weiter oder formierten sich neu und reihten sich in den
Religionenpluralismus ein.1' Zu letzteren gehört der Matronenkult, der sich in
der Gestalt der inschriftlich belegten Epiklesen* 14 15 16 17 auf mehreren Ebenen als
Produkt einer kulturellen Kontaktsituation erweist, in der sich Römisches,
Keltisches, Germanisches und wohl auch vorindogermanisches Substrat traf,
vermischte und gegenseitig zu neuen Formen anregte. Wolfgang Spickermann
konnte zeigen, dass unter den Religionsgruppen, die er schematisch nach den
epigraphischen Zeugnissen in ,römisch', .öffentlich', .Kaiserkult', .militä-
risch', .bodenständig' und .orientalisch' einteilte, die .bodenständige' Gruppe
den mit Abstand größten Anteil an den bezeugten Religionen der Germania
Inferior hatte.1:1 Und in der bodenständigen Gruppe sind die (germanischen)
Matronenweihungen in Niedergermanien mit 49 Prozent aller Weihungen
wiederum am häufigsten."' Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass
auch die Matronenweihungen bei aller Bodenständigkeit in römischem
Gewand daherkommen, insofern sie das Medium der epigraphischen lateini-
schen Schriftlichkeit verwenden. Sie sind „gleichermaßen Zeugnis der Roma-
nitas und finanziellen Potenz der Weihenden, die damit ein votum dokumen-
tierten.“1 In den Inschriften kommen progressive Züge der sprachlichen
Wiedergabe einheimischer Eigentümlichkeiten, wie beispielsweise das so
genannte „halbe H“ (4),18 das gestrichene B19 oder germanische Flexions-
formen, nur zögerlich zum Ausdruck oder konnten sich nicht durchsetzen.
Ferner hatten erzwungene oder freiwillige Siedlungsumlagerungen und damit
verbundene neue ethnische Zusammensetzungen zur Folge, dass eine Zerglie-
derung der religiösen Ausdrucksformen eintreten konnte und die wohl zentrale
Funktion der Matronen, die Schutzfunktion, neue Bereiche für sich
erschließen konnte. Spickermann drückt es treffend wie folgt aus:
83-90, besonders S. 87.
1 ’ Dazu Herz: „Matronenkult“ (wie Anm. 10), S. 147 prägnant: „Der Mensch der da-
maligen Zeit war unter religiösen Aspekten sicherlich kein eindimensionales, son-
dern eher ein polyvalentes Wesen.“
14 Zur Terminologie vgl. Hainzmann: „Götter(bei)namen“ (wie Anm. 4).
15 Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 128.
16 Ebd., S. 127.
17 Ebd.
Ix Vgl. dazu Vennemann, Theo: „4“, in: Sprachwissenschaft 19 (1994) S. 235-270.
19 halamard[o], CIL XIII, 8707.
402
[D]ie Schutz- [sic] und lebensspendende Funktion der göttlichen Ahnfrauen
konnte durch neue Gruppenbildungen von der ursprünglichen Trägergruppe
abstrahiert und auf römische vici, auf Flüsse und Gewässer, an denen man nun-
mehr siedelte, oder auch auf größere Personen verbände bezogen werden.20
Dieser wesentliche Punkt ist, auf Sprachliches übertragen, im Rahmen
interferenzonomastischer Grundsätze dahingehend zu präzisieren, dass die
Integration fremder Elemente ins eigene System bereits onymisiertes Material
umfasst haben kann. Deswegen sind Hybridbildungen, wie sie unten noch zur
Sprache kommen werden, teilweise nur in ihrer Oberflächenstruktur als solche
zu verstehen respektive setzen nicht zwingend Zwei- oder Mehrsprachigkeit
voraus. Gebilde dieser Art sind streng genommen nicht mehr als Namen im
engeren Sinne anzusprechen, da sie in der Art einer lokalen Deixis lexika-
lische Bedeutungen übernehmen. Hier bietet es sich daher umso mehr an, von
adjektivischen Beinamen oder Epitheta zu sprechen. Ferner sind nach dem
Gesagten ethnische Zuordnungen in den meisten Fällen unmöglich, weswegen
sich als terminologische Feinheit der neulich geprägte Begriff sprach-germa-
nisch für in phonologisch-morphologischer Hinsicht ,Germanisches4 anbie-
tet.21 Hinsichtlich der Religionsformen kann wohl dasselbe gesagt werden:
Bei allen Unwägbarkeiten in der ethnischen Bestimmung der in den Epiklesen
überlieferten Dedikantennamen ist deren gelegentlich nachzuweisende sprach-
liche Eindeutigkeit kein Garant für eine tatsächlich bodenständige4 Religions-
ausübung. Interferenzen, Überlagerungen, Fluktuationen dürften an der Tages-
ordnung gewesen sein - umso mehr, als ein eklektizistisches Religionsver-
ständnis in den Funktionsgleichheiten der indogermanischen Götterwelten an-
gelegt war, wie sie von Georges Dumézil seinerzeit nachgewiesen wurden,
selbst in fremden oder neu geschaffenen Religionen wie den populären Myste-
rienkulten (Mithras, Eleusis, Sarapis, Isis usw.). Henotheistische Ausprä-
gungen wie der Mithraskult dürften sogar die Basis für den Erfolg des
Christentums gelegt haben, das seinerseits synkretistischen Prozessen gegen-
über offen war (s.u.). Auf das bekannte Phänomen der Interpretatio Romana
kann hier nicht eingegangen werden;22 * es sei im Hinblick auf die Matronen-
religion nur erwogen, dass beispielsweise Epitheta mit hydronymischem Kern
20 Spickermann: „Keltische Götter'4 (wie Anm. 3), S. 130.
A Der meines Wissens von Albrecht Greule geprägte Terminus sprach-germanisch
beruht auf einem nomenklatorischen Kompromiss, der sich in einer von Archäolo-
gen, Historikern und Linguisten geführten Diskussion um ethnische Aussagemög-
lichkeiten im Hinblick auf die Frühgeschichte der Thüringer ergeben hat und der
sich in der Folge als verhältnismäßig praktikabel erwiesen hat.
Zur formal-systematischen Analyse dieses Phänomens auf sprachlicher Ebene vgl.
Hainzmann: „Götter(bei)namen“ (wie Anm. 4), S. 6f.
403
durchaus mit mediterranen Nymphen zu vergleichen sein dürften respektive
umgekehrt, dass mediterrane Nymphen die (sprachliche) Gestalt transalpiner
Matronen annehmen konnten.''
3. Geographische Verbreitung und soziale Hintergründe des
Matronenkults
Die Verehrung von Matronen ist, abgesehen von einer gewissen Streuung
nach Britannien, Hispanien und Südgallien, insbesondere auf Norditalien und
den römisch besetzten Teil Germaniens (insbesondere Niedergermanien) und
Ostgallien zwischen Rhein und Maas beschränkt, und hier wiederum beson-
ders konzentriert im Gebiet der Ubier um die römische Colonia Claudia Ara
Agrippinensium (CCAA), das heutige Köln. Damit gehört das Matronenkult-
wesen ganz zentral in einen europäischen Kemraum, in den nicht nur die viel
behandelte keltisch-germanische Kontaktzone'4 mit den Germani Cisrhenani2?
fallt (die sich überdies teilweise mit dem dubiosen Nordwestblock überla-
gert),* 25 26 sondern der seit der Kaiserzeit auch durch massive römische Präsenz
bereichert wurde - ein Gebiet notabene, das im Gegensatz zum westlich
gelegenen Nordgallien sprachlich kaum romanisiert wurde. Wie in Ober-
germanien finden sich die meisten epigraphischen Zeugnisse denn auch in
Niedergermanien im Bereich der größten militärischen Präsenz an den Reichs-
grenzen.2 Bekanntermaßen erlebte das Matronenkultwesen gerade im ubi-
schen Raum eine seiner größten Blüten, doch hat man durch die Umsiedlung
der Ubier vom linken auf das rechte Rheinufer (38 vor Christus) nur mit einer
2’ Herz: „Matronenkult“ (wie Anm. 10), S. 145 verweist auch auf die Wesensmobilität
der Campestres, die in Afrika als di Campestres, in Spanien als Mars Campester,
nördlich der Alpen als Matres Campestres, Beschützerinnen des Exerzierplatzes,
wiedergegeben werden konnten.
4 Dazu vgl. insbesondere Rübekeil, Ludwig: Diachrone Studien zur Kontaktzone
zwischen Kelten und Germanen (Sitzungsberichte/Österreichische Akademie der
Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 699), Wien 2002.
25 Vgl. Lund, Allan A.: Die ersten Germanen. Ethnizität und Ethnogenese. Heidelberg
1998, S. 42-50; Weisgerber, Leo: Rhenania Germano-Celtica. Gesammelte Ab-
handlungen, Bonn 1969, S. 275-296.
26 Vgl. Meid, Wolfgang: „Hans Kuhns ,Nordwestblock'-Hypothese. Zur Problematik
der ,Völker zwischen Germanen und Kelten*, in: Heinrich Beck (Hg.): Germanen-
probleme in heutiger Sicht (Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergän-
zungsbände 1), Berlin / New York 1986, S. 183-212. Die ausführliche erste Präsen-
tation der Hypothese bei Hachmann, Rolf / Kossack, Georg / Kuhn, Hans (Hg.):
Völker zwischen Germanen und Kelten. Schriftquellen, Bodenfunde und Namengut
zur Geschichte des nördlichen Westdeutschlands um Christi Geburt, Neumünster
1962; hier siehe insbesondere Karte 13 (o. S.).
2 Vgl. Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 126.
404
bedingten Kultkontinuität von vorrömischer Zeit in die Umiagerung nach
Köln zu rechnen. Denn es ist davon auszugehen, dass die
Einführung römischer Verwaltungsstrukturen und der Zuzug von Siedlern aus
anderen Reichsteilen Einfluß auf die religiöse Organisation hatte. Somit muß es
sich [bei den Matronen] um Gottheiten mit umfassender Zuständigkeit für länd-
lich geprägte soziale Gruppen gehandelt haben, die als Sippengottheiten mit
diesen mitzogen und sich auch der neuen Kultorganisation anpaßten. Wurden sie
etwa vorher in heiligen Hainen bzw. Bäumen verehrt, bekamen sie im Zuge der
Romanisation Kultbilder und steinerne Heiligtümer in Form von Umgangstem-
peln, wobei die von ihnen beschützte Sippe in einer als curia verfaßten Form das
,Kultmanagement' übernahm.2S
Sozialgeschichtlich ist das Matronenkultwesen also, wie es in der Kaiser-
zeit begegnet, das Produkt einer Umlagerung von einer ruralen in eine urbane
oder jedenfalls organisiert rurale Situation der Villen-Ökonomie im Umkreis
der Garnisonen am Rhein.2'* * Und sie ist darüber hinaus das Produkt einer Kon-
solidierung von einer Miiitärgesellschaft zu einer Zivilgesellschaft ab der
zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts, in der römische Veteranen, in einer Art
Ausbauphase der Umlandbesiedlung von Köln, Italisches und Indigenes zu
einer neuen religiösen Ausdrucksform veredelten. Die Namen der Gottheiten
reflektieren dabei, vereinfacht ausgedrückt, die alten, ihr Überlieferungskon-
text (Steininschriften) die neuen Gegebenheiten. Sicher ist dabei, dass die ein-
N Spickermann: „Die germanischen Provinzen“ (wie Anm. 3), S. 31. Ähnlich
Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 129. Vgl. dazu auch Derks, Ton:
Gods, Temples and Ritual Practices. The Transformation of Religious Ideas and
Values in Roman GauI (Amsterdam Archaeological Studies 2), Amsterdam 1998, S.
122.
29 Zur Ortsumlagerung gehört ebenso der oft betonte Einbezug der ehemaligen, für
eine ländliche Gesellschaft charakteristischen Baumkultstätten in die neuen rö-
mischen Umgangstempel. Bäume bilden darüber hinaus die häufigsten ornamen-
talen Beigaben auf den Matronensteinen. In den Namen selbst ist der Baum eben-
falls bisweilen ausgedrückt, so in den Beinamen Dervonnis und Dervonihus (CIL 5,
5791, Mailand) beziehungsweise Alatervis (CIL 7, 1084, Cramond) mit keltischem
*deruos- beziehungsweise germanischem *trewan- ,Baum‘ oder ,Eichef Vgl. dazu
auch von Petrikovits, Harald: Aus rheinischer Kunst und Kultur. Auswahlkatalog
des Rheinischen Landesmuseums Bonn (Kunst und Altertum am Rhein 9), Düssel-
dorf 1963, S. 58. Zur Bedeutung der Baumomamentik vgl, nun aber neu auch
Bauchhenss, Gerhard: „Ziegel, Vögel, Baum und Schlange. Zu den Rückseiten
zweier Matronenaltäre vom Bonner Münster“, in: Wolfgang Spickermann / Rainer
Wiegels (Hg.): Keltische Götter im Römischen Reich. Akten des 4. Internationalen
Workshops ,, Fontes Epigraphici Religionis Celticae Antiquae “ (F.E.R.C.A.N.) vom
4.-6.10.2002 an der Universität Osnabrück (Osnabrücker Forschungen zu Altertum
und Antike-Rezeption 9), Möhnesee 2005, S. 149-163, hier besonders S. 154f. und
passim.
405
heimischen Kulte dazu dienten, „einen Teil der ethnischen und persönlichen
Identität zu bewahren, nicht in der Vielfalt anderer religiöser und ethnischer
Gruppen aufgesogen zu werden, sondern als Thraker oder Syrer in einer
zunächst fremden Umwelt bestehen zu können“ - wie es etwa Peter Herz für
Soldaten aus dem Osten formuliert.30 Greg Woolf geht in dieser Beziehung
gar noch einen Schritt weiter und vermutet im Matronenkult eine bewusste
Reaktion auf den Kosmopolitismus der germanischen Provinzen im spätrömi-
sehen Reich, einen gesteigerten Regionalismus und führt dazu den Vergleich
mit neuzeitlichem religiösen Fundamentalismus. Die Matronennamen seien
dabei in ihrem klassisch römischen Überlieferungskontext „something of a
shock“, der aber „deliberately engineered“ sei,31 32 und ferner: „The goddesses
are enigmatic, their epithets unfamiliar, perhaps ostentatiously difficult to
pronounce.“3" Damit ist eine relativ radikale Sichtweise eröffnet, die aber in
ihrem Kern durchaus bedenkenswert ist, insofern die Gruppenvereinzelung,
wie ich sie hier nennen möchte, nicht in jedem Fall in einer frühgeschichtlich-
vorrömischen Bevölkerungsstruktur verwurzelt sein muss, sondern das Bild
einer noch nicht konsolidierten multiethnischen Gesellschaft darstellt. Deren
Elemente stehen dabei nur bedingt in Widerstreit. Der Matronenkult repräsen-
tiert einen Weg der Identitätsbewahrung zwischen römisch-imperialem
Lebensstil und lokaler Verwurzelung, der so attraktiv war, dass er früh über
fundamentalistische Züge hinauskam und ernsthafte Alternativen zum Kaiser-
kult, zum klassischen römischen Religionswesen und anderen etablierten Reli-
gionsformen bot. Die Matronenreligion entstand aber bei aller Produktivität
und exotischer Attraktivität nicht aus dem Nichts heraus, sondern führte
vielerlei Anlagen unterschiedlichster Ausprägung zusammen. Vor allem muss
man davon ausgehen, dass eine - vielleicht präanthropomorphe - Form des
Matronenkults beziehungsweise dessen religiöses Konzept schon vor dem Er-
scheinen der Römer im Rheingebiet existiert hat."
311 Herz, Peter: „Einheimische Kulte und ethnische Strukturen. Methodische Über-
legungen am Beispiel der Provinzen Germania Inferior, Germania Superior und
Belgica“, in: Heinz E. Herzig / Regula Frei-Stolba (Hg.): Labor omnibus unus.
Gerold Walser zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden. Kollegen und Schü-
lern (Historia, Einzelschriften 60), Stuttgart 1989, S. 206-218, hier S. 207.
31 Woolf, Greg: „Local Cult in Imperial Context: The Matronae Revisited“, in: Peter
Noelke (Hg.): Romanisation und Resistenz in Plastik, Architektur und Inschriften
des Imperium Romanum. Neue Funde und Forschungen. Akten des VII. internatio-
nalen Colloquiums über Probleme des provinzialrömischen Kunstschaffens, Köln,
2. bis 6. Mai 2001, Mainz 2003, S. 131-138, hier S. 133.
32 Woolf: „Local Cult“ (wie Anm. 31), S. 138.
Vgl. Herz: „Matronenkult“ (wie Anm. 10), S. 146.
406
4. Zeithorizont
Zeitlich manifestiert sich das Matronenkultwesen vor allem im 2. und 3. Jahr-
hundert, wobei, wie angedeutet, einerseits ältere Vorstellungen aus einer
schrift- und bildarmen Zeit vorausgesetzt werden müssen und andererseits die
synkretistische Integration der immer als Dreiergruppen angerufenen Matro-
nen ins Christentum dank christlicher Trinitätsvorstellungen im weiteren
Sinne nicht schwer gefallen sein dürfte.34 Es ist schwierig, einen Beginn des
Matronenkultwesens anzusetzen, da Religionen im Allgemeinen weder einen
Anfang noch ein Ende haben. Bei dem vorliegenden Phänomen ist es jedoch
insofern sinnvoll, von einem ,Beginn4 zu sprechen, als mit der römischen
Kolonisierung der bevölkerungsarmen rechtsrheinischen Gebiete und dem
Zuzug indigener Elemente tatsächlich eine regelrechte Religionsmode um sich
zu greifen beginnt, die als Verquickung römischer Formen und indigener Vor-
stellungen anzusehen ist. Nicht zu Unrecht spricht man deswegen bisweilen
von einer „Neuschöpfung galloromanischer Religionssysteme“3> auf der Basis
einheimischer Religionsformen, die aus der Kontaktsituation insbesondere an
Orten ohne Bevölkerungskontinuität in rechtsrheinischen Gebieten ihre Ener-
gie schöpfte. Von einem ,Ende‘ zu sprechen ist wiederum sinnvoll, insofern
mit dem fortschreitenden 3. Jahrhundert das betreffende Gebiet einer zuneh-
menden Verunsicherung und Bedrohung durch vermehrt erscheinende vor-
und frühalemannische Gruppierungen anheim fiel, was letztlich die Verlegung
der römischen Garnisonen zur Folge hatte. Mit der ,Entromanisierung4 ver-
schwinden denn auch die Matroneninschriften und damit wenigstens die
schriftlichen Manifeste jenes Phänomens.
4 Vgl. Zender, Matthias: „Die Verehrung von drei heiligen Frauen im christlichen
Mitteleuropa und ihre Vorbereitungen in alten Vorstellungen“, in: Matronen und
verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger
Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas (Bonner
Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des Rheinischen Amtes
für Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland und des Vereins von
Altertumsfreunden im Rheinlande, Beihefte 44), Köln 1987, S. 213-228.
Kemkes, Martin: „Bei allen Göttern... Gallorömische Religion an Neckar, Rhein
und Donau“, in: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (Hg.): Impe-
rium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau, Esslingen am
Neckar 2005, S. 200-207, hier S. 200.
407
5. Ethnika
Das zu besprechende Gebiet kann in seiner indigenen Besiedlungsstruktur nur
anhand der Kartierung von Völkemamen, die in antiken Texten erwähnt
werden, ethnische Zuordnungen erfahren, was jedoch in vielerlei Hinsicht eine
mit Unwägbarkeiten behaftete Angelegenheit ist. Die dem Tacitus-Kommen-
tar von Rudolf Much beigegebene Karte etwa zeigt für das erste Jahrhundert
nach Christus in erster Linie eindeutig keltische Ethnonyme.36 Die Tatsache,
dass es sich bei einigen dieser Ethnonyme um die vieldiskutierten Germani
Cisrhenani handelt (Condrusi, Eburones, Caeracates, Paemani, Sunuces),
trägt auch wenig zur Klärung der Verhältnisse bei. Bei den späteren Ubiern
um Köln wenigstens dürfte die germanische Ethnizität unbestritten sein.'7
Innerhalb der römischen Bevölkerung und noch mehr innerhalb der mobilen
römischen Armee muss zusätzlich mit weiteren, anderen Volksangehörigen
gerechnet werden, wobei im rechtlichen Sinne, abgesehen von den Auxiliar-
truppen, alle Soldaten der Legionärstruppen römische Bürger waren. Bildeten
innerhalb der Legionen Italiker in der frühen Kaiserzeit den Hauptanteil, so
wuchs im Laufe der Zeit insbesondere der Anteil der Südgallier stark an.
Unter den Auxiliartruppen waren die so genannten peregrini, die ,Fremden1,
vielfach zahlenmäßig überlegen, und man hat demnach mit Menschen aus
allen Gegenden des Imperiums zu rechnen, von Spanien über Nordafrika bis
in den Orient und nach Britannien.38 Für den vorliegenden Zusammenhang
sind insbesondere die italischen und südgallischen Elemente von Interesse,
denn Menschen aus diesen Gebieten könnten möglicherweise erheblichen
Anteil an der Blüte des Matronenkultwesens in Niedergermanien gehabt
haben.39 Sie könnten einheimische religiöse Traditionen mitgebracht haben,
M' Much, Rudolf / Lange, Wolfgang (Hg.): Die Germania des Tacitus. Erläutert von
Rudolf Much. 3., beträchtlich erweiterte Aufl., unter Mitarbeit von Herbert Jankuhn,
Heidelberg 1967 (Kartenbeilage o. S.). Vgl. auch die Karte bei Weisgerber: Namen
der Ubier (wie Anm. 8), S. 6. Zur Identifizierung von nomen und gens in diesem
Zusammenhang vgl. beispielhaft Rübekeil, Ludwig: „Canninefates. Nomen und
Gens in der keltisch-germanischen Kontaktzone“, in: Actas do XX. congreso inter-
nacional de ciencias onomásticas, Santiago, 1999, A Coruña 2002, S. 1237-1247.
Zu den Ubiern vgl. immer noch Ewig, Eugen: „Die Civitas Ubiorum, die Francia
Rinensis und das Land Ribuarien“, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 19 (1954) S.
1-28.
38 Siehe Karte bei Spickermann: „Die germanischen Provinzen“ (wie Anm. 3), S. 47.
’4 Bereits erwogen wurde, dass römische Veteranen aus Norditalien, insbesondere aus
dem Po-Gebiet und dem Piemont, eine wichtige Funktion im Ausbau der Villen-
ökonomie innegehabt haben und in diesem Zusammenhang einheimische Religions-
formen mitgebracht haben könnten, ln einer sehr bedenkenswerten Hypothese
drückt es Ton Derks: Gods, Temples (wie Anm. 28), S. 128, wie folgt aus: „It is
also certain that, on completion of their term of Service, many soldiers did not
retum to their native country, but married indigenous women and settled in the
408
die auf dem Weg der Interpretatio Germanica (allerdings in römisch-mediter-
ranem Gewand) in der keltisch-germanischen Kontaktzone neue Ausdrucks-
formen gefunden haben - ein Szenario, das besonders unter der Prämisse der
keltischen ,Herkunft4 der Matronenreligion nicht unwahrscheinlich ist, gerade
auch, weil cisalpin-keltische Traditionen in den Nordprovinzen Impuls gebend
gewirkt haben könnten.40
6. Gesellschaft und Sprache
Man geht im Allgemeinen davon aus, dass hauptsächlich Angehörige der
römischen Verwaltungsoberschicht, teilweise auch der Offiziersschicht und
Personen der indigenen Bevölkerung an der Ausübung der Matronenkulte be-
teiligt waren. Einen Zugang zu diesem Problembereich gewähren bis zu einem
gewissen Grad die Namen der Dedikanten und Dedikantinnen, ferner sind
auch kombinatorische Untersuchungen zu Altarqualität und Stand der Dedi-
kanten aufschlussreich.41 *
Aufgrund der in den römerzeitlichen Inschriften so mannigfach zutage
tretenden Personen, Personengruppen und Gottheiten hat man sich bisweilen
noch weiter gefragt, ob aus diesen Quellen Informationen zur Gesellschafts-
struktur in politischer, sozialer oder ethnischer Hinsicht gewonnen werden
können. Es wurde beispielsweise in Erwägung gezogen, dass die aus der euro-
päischen Frühgeschichte bekannte Verehrung von Muttergottheiten4“ auf eine
colonia or in the surrounding countryside. They quickly became completely estab-
lished in the indigenous society and felt such a bond with it that they no longer
regarded their place of birth, but the Ubian capital of Cologne as their home town,
[...] In this process ,Ubian’ and Italic elements merged. The matrons of course kept
their traditional native names: for the cult focused on material ancestors, and these
were men who married into the community.“
40 Vgl. zu den keltischen Göttemamen in Niedergermanien insbesondere Spicker-
mann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 136 mit weiterer Literatur.
41 Vgl. dazu grundsätzlich Weisgerber: Namen der Ubier {wie Anm. 8), passim sowie
Weisgerber: Rhenania Germano-Celtica (wie Anm. 25), S. 385-411.
4“ Polome, Edgar C.: „Some aspects of the cult of the mother goddess in western
Europe“, in: Lee B. Jennings / George Schulz-Behrend (Hg.): Vistas and Vectors.
Essays Honoring the Memory of Helmut Rehder, Austin 1979, S. 193-208; Ders.:
„Muttergottheiten im alten Westeuropa“, in: Matronen und verwandte Gottheiten.
Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission
für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas (Bonner Jahrbücher des Rheini-
schen Landesmuseums in Bonn und des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpfle-
ge im Landschafts verb and Rheinland und des Vereins von Altertumsffeunden im
Rheinlande, Beihefte 44), Köln 1987, S. 201-212; Simon, Erika: „Griechische
Muttergottheiten“, in: ebd., S. 167-169; Petersmann, Hubert: „Altgriechischer
Mütterkult“, in: ebd., S. 172-199.
409
gynaikokratisch organisierte Gesellschaft schließen ließe. Das soll hier nicht
problematisiert werden, aber auf jeden Fall ist es wahrscheinlich, dass es sich
um Kulte handelte, die von einzelnen, auf erweiterter Familienbasis beruhen-
den Personenverbänden ausgeübt wurden.4. Darauf weisen insbesondere die
Matronenbeinamen, die einen Lokal-, Gentil- oder Kuriaibezug aufwiesen * 44
Wohlgemerkt bezieht sich dies aber nur auf die Kultpraxis selbst, nicht direkt
auf die Namenbildung.
Und damit kommt man für die Matronenepiklesen dem Kern der Dinge am
nächsten: Sie sind - auch vor dem Hintergrund der oben unter den geogra-
phischen Gesichtspunkten gemachten Beobachtungen - Ausdruck eines Grup-
penbewusstseins, eines Gruppenverständnisses, wie es in dieser Dichte und
Intensität für Kontaktsituationen ganz charakteristisch ist. Polyethnische und
multikulturelle Gesellschaften tendieren zu einer Gruppenvereinzelung, in der
die Gefährdung der Identitäten in der Ausbildung neuer kollektiver Bezugsfor-
men gedämpft wird. Oder um es mit einem onomastischen Grundsatz zu
sagen: Namengebung ist ein Akt von Individualisierung in einem Kontext, wo
Individualität nicht mehr gewährleistet ist. Die Matronenbeinamengebung
diente unter diesem Gesichtspunkt der regionalistischen Präzisierung und Dif-
ferenzierung, die in Abgrenzung zum Kosmopolitismus teils seltsame Blüten
treiben konnte. Typen von Bezugsformen der Matronenepiklesen verdeutlicht
folgende Übersicht.4'
4' Rüger, Christoph B. „Gallisch-germanische Kurien“, in: Epigraphische Studien 9
(1972) S. 251-260.
44 Vgl. dazu Graf: Schaf und Ziege (wie Anm. 7), S. 90-93.
4' Die Namenformen sind aus dem üblichen Dativ des Plurals in den Nominativ ge-
setzt. Die Rekonstruktionen, Typisierungen und (Teil-)Deutungen beruhen, wo sie
angegeben sind, zum größten Teil auf denen von Neumann, Günter: „Die germa-
nischen Matronen-Beinamen“, in: Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse
eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die
Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Lan-
desmuseums in Bonn und des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege im
Landschaftsverband Rheinland und des Vereins von Altertumsfreunden im Rhein-
lande, Beihefte 44), Köln 1987, S. 103-132; sie berücksichtigen Etymologie und
Morphologie der lexikalischen Kerne. Zur Morphologie der Suffixe und Suffixkon-
glomerate vgl. Vennemann, Theo (gen. Nierfeld): „Morphologie der niederrheini-
schen Matronennamen“, in: Edith Marold / Christiane Zimmermann (Hg.): Nord-
westgermanisch (Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergänzungsbände
13), Berlin / New York 1995, S. 271-299.; ferner Mess: „Early Rhineland Germa-
nic“ (wie Anm. 2) S. 19-27.
410
Beispiele für Lokalbezug:
(1) Mah(a)linehae (z.B. CIL XIII, 8221, Köln) <— germ. *mapla- ,Ver-
sammlung1
(2) Aumenahenae (z.B. CIL XIII, 12054, Köln), Nersihenae (CIL XIII,
7883, Jülich), Rumanehae (z.B. CIL XIII, 7869, Jülich) (Hydronyme)
(3) A/biahenae (z.B. CIL XIII, 7934, Ober-Elvenich) <— *Albiniacum
(Ortsname, Elvenich)
(4) Iu/ineihae (CIL XIII, 7882, Müntz) <— luliacum (Ortsname, Iulia-
cum/Jülich)
(5) Tumaestiae (CIL XIII, 7902, Sinzenich) <— *töma-mais-to- (Flurname,
etwa ,geschlagene Lichtung4)
(6) [Suebae] Sidinae (EDH-Nr. HD001278, Köln) <— (Flurname, etwa ,am
Flussufer4)
(7) Aviaitinehae (CIL XIII, 8531, Bürgel) <— *axvi-aihti- (Flurname, etwa
Grundbesitz, wo es viele Schafe gibt4)
(8) Chuchenehae (z.B. CIL XIII, 12009, Merzenich) (Flurname, etwa
,Hügel4)
(9) Mediotautehae (CIL XIII, 8222, Köln) < germanisiert < kelt. *medio-
tout-ikä (Gebietsname, etwa ,zu beiden Seiten des Stammes wohnend4)
Beispiele für Gentilbezug:
(10) Frisiavae (CIL XIII, 8633, Xanten) (<— Frisiavones; z.B. CIL VI,
32866, Rom)
(11) Hamavehae (CIL XIII, 7864, Altdorf) (^- Chamavi; z.B. Tacitus,
Annal. 13, 55, 2)
(12) Euthungae (CIL XIII, 8225, Köln) («— Euthungi; z.B. Amm. Marc. 17,
6, 1)
(13) Cantrusteihiae (z.B. CIL XIII, 3585, Hoeylaert bei Brüssel) (<—
CortdrusF! Caesar, BG 2, 4, 10; Pagus Condrustis? CIL VII, 1073,
Britannien)
Beispiel für Personalbezug:
(14) Arvagastae (CIL XIII, 7855, Modersheim) <— Arvagast (PN, z.B. CIL
XIII, 8262, Köln)
41 1
Beispiele fur Kurialbezug:
(15) Gesahenae (z.B. CIL XIII, 7889, Rödingen) <— Gesationes46 (EDH-Nr.
HDO 14812, Jülich; hydronymisch?)
(16) Etrahenae (z.B. CIL XIII, 7890, Rödingen) <— Etrates47 (EDH-Nr.
HD009439, Holzweiler; hydronymisch?)
(17) Austriahenae (z.B. EDH-Nr. HDO 16606, Morken-Harff) <— Austriates
(EDH-Nr. HDO 16612, Morken-Harff)
(18) Am(f)ratninehae (z.B. EDH-Nr. HD001335, Eschweiler-Fronhoven) <-*■
Curia Amratinna* 4* (EDH-Nr. HD009436)
(19) Vacallinefijhae Leudinae (CIL XIII, 12020; EDH-Nr. HD027289,
Pesch)49
Die angegebenen Namentypen verdeutlichen, dass topo- respektive hydro-
nymische Bezugsformen neben erweitert-personalen, insbesondere gentilen und
kurialen eine beachtliche Rolle in der religiösen Organisation spielten. Die
Namen drücken einen starken Bezug der Menschen zur natürlichen Umgebung
aus; zum örtlich-naturlandschaftlichen Lebensraum ebenso wie zur sozialen
Gruppe in verschiedener Abstufung. Darüber hinaus macht die Vielfalt und
Diversifizierung der Gottheiten in günstigen Fällen auch deren Mehrfach-
überlieferung - deutlich, dass sich die Bevölkerung des betreffenden Raumes
auf keine einheitlich-ausgeglichene Struktur zurückführen lässt, sondern viel-
mehr auf ein heterogenes Konglomerat von kleineren und größeren Kollektiven.
46 Alföldy, Geza: „Epigraphisches aus dem Rheinland II“, in: Epigraphische Studien 4
(1967) S. 1-43, hier S. 2-9.
4 Vgl. Rüger: „Gallisch-germanische Kurien“ (wie Anm. 43).
48 Vgl. ebd.
44 Kurialbezug unter der Voraussetzung, dass der Beiname Leudinae zu germ, *leudiz
(vgl. zur Etymologie Orel, Vladimir: A Handhook of Germanic Etymology, Leiden
Boston 2003, S. 242) zu stellen ist und damit zu einer nicht weiter spezifizierten
Personengruppe, die sich über den Gruppencharakter als Vacallinehae-Kurie iden-
tifiziert. Dies ist freilich nicht nachzuweisen, zumal mit Leudin- auch eine detopo-
nymische Erweiterung vorliegen kann (zu Leudium, Leudiacum ~ Lüttich?), vgl.
Gutenbrunner: Die germanischen Götternamen (wie Anm. 5), S. 180, was dann
lediglich besagen würde, dass die Verehrer der Vacallinehae aus Leudium, Leudia-
cum o.ä. stammen. Der Beiname ist dreimal bei den Vacallinehae in Pesch über-
liefert, dazu scheint er auch dem Mercurius Leud[...Janus aus Derichsweiler bei
Düren beigegeben worden zu sein (CIL XIII, 7859). Man könnte immerhin in Er-
wägung ziehen, dass analog zu anderen Fällen der leudinische/leudicinische (leu-
diacanische) Merkur ein männliches Gegenstück zu den leudinischen Vacallinehae
darstellt, wie der Bonner gebrinische Merkur als Gegenstück der Aufanien aufge-
fasst werden kann (s.u.).
412
Unmittelbaren Ausdruck von Sprach- und Kulturkontakt findet man in
einigen sprachlichen Formen selbst. Inschriften sind, wie häufig beobachtet,
von gesprochener Sprache ganz besonders intensiv durchdrungen, da sie durch
keinerlei Überlieferungsabsichten geschönt worden sind. Dazu zählen in Kon-
taktsituationen Unsicherheiten in der Flexionsmorphologie, wie denn allge-
mein im Sprachkontakt das Kasussystem als erstes von einer gewissen Dege-
neration oder Kontamination betroffen ist.50 Gut sichtbar ist dies in der Ver-
wendung des lateinischen Dativs Plural der femininen d-Stämme mittels
Übergeneralisierung der Endung -bus bzw. -äbus statt der Endung -Ts in den
adjektivischen, eigentlich vokalisch zu deklinierenden Beinamen, vgl. fol-
gende Beispiele:
(20) Matronis Octocannis (z.B. CIL XIII, 8571, Gripswald) <-»■ Matronis
Octocannabus (CIL XIII, 8572, Gripswald)
(21) Matronis Atufrafmehis (z.B. CIL XIII, 7986, Berkum) «-► Matronis
Atufrafinehabus (z.B. CIL XIII, 7985, Berkum)
(22) Matronis Asericinehis (z.B. CIL XIII, 7978, Odendorf) <~+ Matronis
Asericinehabus (z.B. CIL XIII, 7981, Odenhausen)
Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch die seltener auftau-
chenden germanischen Flexionsendungen des späturgermanischen Dativs Plu-
ral -ims < *-(i)miz mit früher Synkopierung und graphischer ^-Repräsentation
der auslautenden Lenis:
(23) Matronis Saitchamims (ILS 4807, Hoven bei Zülpich) <-» Matronis
Saitchamiabus (4807a, Hoven bei Zülpich)
(24) Matronis Aßims (ILS 4799, Wesseling) +-+ Matronis Aßiabus (ILS
4798, Köln)
(25) Matronis Vatvims (z.B. CIL XIII, 7892, Rödingen) <-► Matronis
Vatviabus (z.B. CIL XIII, 7891, Güsten bei Jülich)51 52
Aus den Beispielen (20)-(22) wird nicht direkt ersichtlich, wie es zu der
Flexibilität im Deklinationssystem gekommen ist. Es scheint aber, dass hier
das Festlandkeltische zu der Heteroklisie beigetragen haben könnte, wie Bei-
spiele aus dem gallischen Raum vermuten lassen/" Auch das klassische
50 Vgl. Riehl, Claudia Maria: Sprachkontaktforschung: eine Einführung, Tübingen
2004, S. 90.
51 Siehe dazu nebst der üblichen Literatur auch Philippson, Emst Alfred: „Neues über
den Mütter- und Matronenkult am Niederrhein“, in: Modern Language Notes 65
(1959) S. 462-465.
52 Vgl. z.B. die gallischen Inschriften paxpeßo NapavoiKaßo oder EXavencaßo bei
Schmidt, Karl Horst: „Die keltischen Matronennamen“, in: Matronen und ver-
wandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger
413
Latein kennt in gewissen Fällen feminine -äfo/.v-Ausgänge in der 1. Dekli-
nation. Sie sind aus Paarformen zur Genusdifferenzierung bei normalerweise
homonymen Kasussuffixen (dis et deäbus,ßlils et filiäbus) oder in Anlehnung
an Fälle mit obligatorischen derartigen Formen (duäbus, ambäbus) entstanden
und haben sich später verselbständigt/ ’ Die Matronenbeinamen-Beispiele, die
das Nebeneinander der Formen in engster räumlicher Nachbarschaft zeigen,
sind aber eher als Flexionsunsicherheit denn als stilistische Variation zu
werten.
Die Beispiele (23)-(25) zeigen einen noch weiter gehenden Sprachkontakt,
insofern die belegten Dubletten Varianten desselben Namens in der Verschrif-
tung in zwei Sprachen darstellen. Die Komplexität der Kontaktsituation wird
in ihrem vollen Ausmaß ersichtlich, wenn man sich den medialen Prozess von
der Auftragsvergabe bis zur anzunehmenden lllokution im Sinne einer realen
Epiklese oder Invokation im Zusammenhang des religiösen Aktes beispielhaft
anhand der beiden Saitchamiae-Weihungen53 54 vergegenwärtigt:
(a) Primus, Sohn des Freiatto,55 letzterer wohl ein ,Sprach4-Germane,56
und Quintus Cominius Primio, vermutlich aufgrund der ubischen -io-
Ableitungen ebenfalls ein Germane, erfüllen ein Gelübde und
beschließen, den von ihnen verehrten saitchamischen Matronen nach
Erfüllung eines Wunsches einen Weihestein zu stiften: gern und nach
Gebühr (libens merito).
(b) Es wird ein nach (provinzial)römischem Vorbild herzustellender
Weihestein in Auftrag gegeben: Die Stifter oder allfällige Mittels-
personen fertigen eine Vorlage für den Steinmetz an.
(c) Umsetzung des bereits formalisierten Weihespruchs in die Vorlage.
Diese enthält die graphische Repräsentation des auszudrückenden
Votivgeschenks in lateinischen Lettern.
(d) Spielraum in der Verschriftung bietet einzig der pluralische Götterbei-
Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas, Köln 1987
(Bonner Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des Rheinischen
Amtes für Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland und des Vereins
von Altertumsfreunden im Rheinlande, Beihefte 44), S. 133-154, hier S. 136 und
besonders 139f.
53 Vgl. Meiser, Gerhard: Historische Laut- und Formenlehre der lateinischen
Sprache, Darmstadt 1998, § 92,7c (S. 131).
54 ILS 4807 (Hoven bei Zülpich): Matronis / Saitchamims / Primus Freiat/tonis l. m.
sowie ILS 4807a (ebd.): Matron(is) /Saitehamia[b(us)] Q. Cominius /Primio I. m.
Siehe zur patronymischen Namengebung und zu diesem speziellen Fall Weisgerber:
Namen der Ubier (wie Anm. 8), S. 136.
56 Vgl. Weisgerber ([1969] wie Anm. 41), S. 392.
414
name und dessen spezifische Kasuscinbindung in der Weihung. Auf
dem einen Stein wird die lateinische, auf dem anderen die germanische
Form des Dativs Plural gewählt.
(e) Die Inschrift wird durch den Steinmetzen nach der Vorlage ausgearbei-
tet oder im unmittelbaren Rahmen der Weihung gefertigt (mit schrift-
magischen Intentionen, dazu siehe sogleich).
(f) Kommunikation mit den Gottheiten durch die Setzung des Steins -
möglicherweise in einer Zeremonie, in der die Weihung nach der Art
einer mündlichen Epiklese oder Invokation im Rahmen einer Opfer-
feier oder dergleichen ausgesprochen wird. Zentral ist dabei der Aspekt
der Auratisierung der Schrift: Der Steinblock als Manifest eines Gelüb-
des wird durch die Schrift zum Medium. Die in Stein gemeißelte
Schrift ist dabei nicht nur Informationsträger mit Bedeutungsfunktion,
sondern sie ist im Wesentlichen Andacht und anrufende Verehrung.
Dazu dienen die invokative Form und darüber hinaus insbesondere die
Nennung des pluralischen Göttemamens (die angerufenen Göttinnen
sind nach der traditionellen Etymologie ,Zaubergöttinnen1 bzw. ,Göt-
tinnen, die durch Zauber ihre Gestalt ändern können4).57 Durch die im
Text angelegte Beurkundung des Gelübdes ergibt sich also eine gestei-
gerte Wirkungsmacht. Dabei kann der Klang des Namens durchaus im
Sinne Woolfs als ,shock’ intendiert gewesen sein. Zusätzlich oder
alternativ mag bei dieser Art der Schriftmagie auch die Beschriftung
als Prozess bereits magischen Charakter besessen haben. Doch dies
und alles Weitere entzieht sich unserer Kenntnis.
Der skizzierte hypothetische Prozess ist überlagert von mehreren sprach-
lichen Problemen, die es zu beachten gilt. Fraglich ist beispielsweise, ob Pri-
mus Freiattonis und Quintus Cominius Primo die tatsächlichen Personen-
namen der weihenden Personen waren, oder ob sie für die epigraphische Form
einer zusätzlichen Latinisierung unterzogen wurden. Zur Debatte steht auch,
welche Überlegungen bei der ersten oder jeder neuen, selbständigen Ver-
schriftung eines Göttemamens angestellt wurden und wie die erstaunliche Ein-
heitlichkeit in der Namenschreibung erzielt wurde.5* Die Fragen lassen sich
Vgl. Gutenbrunner: Die germanischen Götternamen (wie Anm. 5), S. 163f., dazu
auch Birkhan, Helmut: Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit. Der
Aussagewert von Wörtern und Sachen für die frühesten keltisch-germanischen
Kulturbeziehungen (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-
historische Klasse 272), Wien 1970, S. 473 (Anm. 1362), S. 532.
5f< Nota bene bei markanten Unterschieden der allgemeinen epigraphischen Ausar-
beitung (vgl. Derks: Gods, Temples [wie Anm. 28], S. 130; Woolf: „Local Cult“
[wie Anm. 31], S. 131). Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 129,
spricht in Bezug auf die Sprache von einem „Bemühen um eine der Phonetik ent-
sprechende, möglichst genaue schriftliche Wiedergabe“ und führt dazu die Inschrif-
415
ohne direkte und eindeutige Zeugnisse nicht beantworten, doch sie machen
deutlich, dass man es bei der Beurteilung der Sprachkontaktphänomene, wie
sie in den Matroneninschriften zutage treten, mit zu vielen Unbekannten zu
tun hat, als dass man allein aufgrund der Namen zu schlüssigen Resultaten
gelangen könnte - weswegen in den obigen Abschnitten die sozial- und
religionshistorischen Hintergründe etwas hervorgehoben wurden. Sicher ist
einzig, dass in den Verschriftungsprozess eine Persönlichkeit involviert war,
die des ,Germanischen4 mächtig war: Im Gegensatz zu den lateinisch
flektierten Matronennamen, in denen grundsätzlich bereits onymisierte Nomi-
nalstämme vorliegen können, die nicht zwingend von ,bodenständigen4 oder
,indigenen‘ Personen verschriftet und in den Weiheprozess eingebunden
worden sein müssen, setzt die Kenntnis germanischer Flexionsmorpheme
Sprecher des Germanischen voraus, die man, überspitzt formuliert, außer in
den drei Weihungen an die Saitchamims, Aflims und Vatvims nirgends direkt
greifen kann. 4 Insofern ist Theo Vennemanns Analyseverfahren durchaus
stringent, denn verfolgt man dessen Vorgehen, so hat man es beinahe aus-
nahmslos mit Namenbildungen zu tun, deren semantische ,Verstehbarkeit4
nicht mehr gewährleistet sein musste. Nach Vennemann liegen den Namen im
Kern durchweg Hydronyme zugrunde, von denen wiederum Siedlungsnamen
abgeleitet sind/1" Die Ableitungen sind am Ende mit Ausnahme der genannten
germanischen Flexionsformen (Dat. Plur.) und möglicherweise germanischen
,Matronennamensuffixen4 {-eh- < -/c-)61 immer lateinisch. Für die lexikali-
schen Kerne werden von Vennemann in der Regel hydronymische Basen
postuliert, die mit ihrer alteuropäischen Grundlage für die Beurteilung der
Sprache der Matronenverehrer keine Rolle spielen. Vermeidet man eine
solche Sichtweise und rechnet, wie oben in den Beispielen erwähnt, mit ver-
schiedenen Typen von Ableitungsbasen und Zugehörigkeitsgruppen, so erge-
ben sich trotz der gesteigerten Komplexität Auswegsmöglichkeiten. Weiter
führen insbesondere Namen, die gewissermaßen hybrid sind, also Merkmale
von zwei Sprachen aufweisen. Bei den Matronennamen sind es, wie gezeigt,
ten mit .halbem H4 und andere sprachliche Spezifika ins Feld. Herz: Matronenkuli
(wie Anm. 10), S. 147 und Anm. 39, betont insbesondere die „Varianzen bei der
Wiedergabe der Vokale, wobei das Bemühen um eine möglichst getreue Wiederga-
be aufschlußreich für die religiöse Mentalität“ sei.
Weitere (meines Erachtens unsichere) Beispiele für Matronenbeinamen mit -ims-
Ausgang bei Vennemann, Theo: „Die mitteleuropäischen Orts- und Matronenna-
men mit f p, h und die Spätphase der Indogermania44, in: George E. Dunkel (Hg.):
Früh-, Mittel-, Spätindogermanisch. Akten der IX. Fachtagung der Indogerma-
nischen Gesellschaft vom 5. bis 9. Oktober 1992 in Zürich, Wiesbaden 1994, S.
403-426, hier S. 404, mit eigenen Lesungen des Autors.
,>(l Vennemann: „Morphologie“ (wie Anm. 45). Kritisch dazu Herz: Matronenkult (wie
Anm. 10), S. 144.
61 Vennemann: „Morphologie“ (wie Anm. 45), S. 275.
416
in der Regel drei Sprachen, von denen sich das Lateinische als Verschriftungs-
oder Mittlersprache anhand der Flexionsmorphologie und der Lautsubstitu-
tionsmechanik (beziehungsweise Graphemsubstitutionen) einfach ausblenden
lässt. Folgende Beispiele verdeutlichen dies:62
(26) Seccahenis (CIL XIII, 8846, Euskirchen) < *sekkon-ikä- (a < o, Suffix-
substitution; PN Seccus o.ä.63)
(27) Boudunneihis (z.B. CIL XIII, 8217, Köln) < *bhoudhi-on-ikä sieg-
reich4 65 (Suffixsubstitution), germ, möglicherweise in Baudihillie64 (GB)
(28) Vacallinehis (z.B. CIL XIII, 7952, Antweiler) < *upo-kall(i)-in-ikä
(kelt. callio ,HuP<0) (Va < uo [kelt. /7-Verlust], Suffixsubstitution)
Die Namen zeichnen sich durch Lautsubstitutionen aus sowie insbesondere
durch die Germanisierung von Suffixen. Dabei ist aber bei der Verschriftung
nicht zwingend von Sprechern des Germanischen auszugehen, da es sich bei
den lautlichen Differenzen um gewissermaßen verspätete Exonymbildungen
handeln kann: Keltische Namen in germanischer Verwendung, lateinisch ver-
mittelt. Keltisches Wort- und Namenmaterial wird also unter germanische
Wortbildungsregeln gefasst, was die grundsätzliche Richtung des Sprach-
kontakts demonstriert. Dies gilt ebenso für das oben angeführte Beispiel (13).
Stellt man dem Matronennamen Cantrusteihiae das Ethnonym Condrusi oder
den Gebietsnamen Condrustis gegenüber und geht in der anlautenden Silbe
von urgerm. *ham- aus, so weist der Matronenname germ. ¿/-Vokalismus und
-t- vs. -d- auf, der Anlaut hingegen zeigt weiterhin indogermanisch-keltischen
Lautstand. Weitergebildet beziehungsweise in der zu erwartenden Ausprägung
(allerdings mit kontaktassimiliertem n für m) erscheint das Präfix im Matro-
nennamen Chantrumanehis (CIL XIII, 7968, Billig), der bisher jedoch
ungedeutet ist.
Die Forschung hat dabei argumentiert, dass das Matronenkultwesen insge-
samt keltischen Ursprungs sei,66 da ältere Belege ohne germanischen Kontext
in Gallien und Oberitalien zu finden seien. Am Rhein sei durch römische
Söldner gewissermaßen die Produktivität dieser Religionsform angeregt
worden und auf die Germanen übergesprungen. Folgende Belege für einen
Rekonstrukte nach Schmidt: „Die keltischen Matronennamen“ (wie Anm. 52), S.
145f.
63 Vgl. Weisgerber: Rhenania Germano-Celtica (wie Anm. 25), S. 144 und Anm. 225.
64 Vgl. Reichert: Lexikon (wie Anm. 6), S. 128.
65 Vgl. Delamarre, Xavier: Dictionnaire de la langue gauloise. Une approche lingu-
istique du vieux-celtique continental (Collection des Hesperides), 2e édition revue et
augmentée, Paris 2003, S. 98f.
66 Schmidt: „Die keltischen Matronennamen“ (wie Anm. 52), S. 149.
417
Namenkontakt werden aber von der germanistisch orientierten Sprachwissen-
schaft noch immer als in umgekehrter Richtung verlaufende Erscheinungen
behandelt:
(29) Ollogabiabus (z.B. CIL XIII, 7280, Mainz) versus Alagabiabus (CIL
XIII, 8529, Bürgel)
(30) Ambiomarcis (CIL XIII, 7789, Remagen) versus Ambiamarcis (z.B.
CIL XIII, 7898, Floisdorf)
Dabei ist Alagabiabus wohl eher eine Germanisierung von kelt. gabi- <
idg. *ghebh- ,geben1, da ja die o-Stufe gab- als Ableitungsbasis für Nomina
agentis im Germanischen ungewöhnlich wäre. Überhaupt ist die primäre Ab-
leitung von starken Verben sprachgeschichtlich die jüngere Bildungsweise;
der a-Vokalismus als germanisches Charakteristikum ließe sich einzig dann
rechtfertigen, wenn es sich nicht um eine Ableitung von der Verbalwurzel
handelte, sondern um eine Ableitung vom dehnstufigen Nomen, doch ist diese
Abstraktbildung erst jung bezeugt. Aktuell geht man daher eher von einer
relativ konsequenten Germanisierung keltischer Theonyme aus und nicht von
einer Keltisierung germanischer Theonyme.6 Im Falle von Ambiamarcis
versus Ambiomarcis könnte sogar Ambio- die ältere germanische Form sein
beziehungsweise Ambia- eine Flypergermanisierung darstellen, da idg. o als
germ. o vor Bilabial artikulationsphonetisch durchaus plausibel gemacht wer-
den kann, wie die ethnonymischen Beispiele Lang-o-bardi oder Marc-o-
marmi zeigen.6S Die bei einer Großzahl von Matronennamen erstaunlich
durchgängige Behandlung der Ableitungsmorphologie, die germanischen
Charakter hat, macht deutlich, dass der ubisch-niedergermanische Kult einen
wesentlich sprach-germanischen Anteil besitzt, der nur mit sprach-germa-
nischer Bevölkerung erklärt werden kann. Selbst nach Abzug von morpho-
logischen Mechanismen (oder Modeerscheinungen), wie man sie allenfalls in
den -ahenae-BWdungtn erkennen mag, bleibt doch die Vielzahl der germa-
nischen oder germanisierten Theonyme an sich bestehen und verdeutlicht die
große Wertschätzung, die die Matronengottheiten in der Bevölkerung ge-
nossen.
Im Zusammenhang mit den Germanisierungen sei ein letztes Beispiel
gesondert behandelt: * 68
6 Vgl. de Bemardo Stempel, Patrizia: „Indogermanisch und keltisch ,geben1: konti-
nentalkeltisch Gabiae, gabi/gabas, keltib. gabizeti, altir. ro-(n)-gab und Zuge-
höriges“, in: Historische Sprachforschung 118 (2005) S. 185-200, hier S. 191.
68 Dafür kann die Position von idg. o vor Bilabial verantwortlich gemacht werden oder
aber der nicht haupttonige Mitteisilbenakzent, vgl. zu letzterem auch Ariouistus,
Charioualdus, XapwyaiaoiXapioptjpog bei Streitberg, Wilhelm: Urgermanische
Grammatik. Einführung in das vergleichende Studium der altgermanischen Dialek-
te, Heidelberg 41974, S. 46f, und S. 192,
418
(3 1) Mercurius Gebrinius (Bonn69)
Der in jüngerer Zeit mehrfach behandelte, umstrittene Name des im Aufa-
nienheiligtum von Bonn beheimateten [Mercurius] Gebrinius deutet nämlich
als agentivische primäre -ro-Adjektivableitung von der erwähnten Verbal-
wurzel mit dem ubischen Pseudogentilizium -inius (mit der morphologischen
Basis germ. *-lnio-) auf germanische Provenienz. Der Beiname ist in mehr-
facher Hinsicht bemerkenswert:
1. Er weist unter der Voraussetzung der angesetzten Wurzel *gllebh- und
phonologisch aufgrund des entgleisten Vokalismus {*ghebh- anstelle
von zu erwartendem *gfleHbh-) ins Germanische. Die weitere Deutung
hängt davon ab, wie weit man eine Lexikalisierung ansetzen mag oder
nicht. Geht man von der Primärbedeutung aus, so hat man, abzüglich
des (im Zusammenhang mit Mercurius wohl Zugehörigkeit aus-
drückenden) Genti 1 suffixes, von einer ungefähren Bedeutung ,Geber4
oder aber eher: ,Zupacker4 auszugehen. Letzteres fuhrt über den Weg
der Lexikalisierung zu der Bedeutung ,männliches Zuchttier4, und
hierin wird man vermutlich den eigentlichen Kern des Beinamens zu
verorten haben. Der Name ließe sich demgemäß als Gegenstück zu
kelt. *gabros verstehen, das mit der Entfaltung der laryngalischen
Wurzel zu a analog gebildet ist wie Gebr[ini]us. Die ¿/«-»^-Opposition
ist durchaus - und nicht nur im Hinblick auf die Sprachkontakt-
thematik - von Belang. Gerhard Bauchhenss argumentiert mit Patrizia
de Benardo Stempel zwar, dass mit dem Verlust des indogermanischen
,Schaf-Worts im Keltischen Ableitungen von idg. *kapro- zum Zuge
kamen und dass damit Gebrinius als ,Widder4 aufzufassen sei (gemäß
den Darstellungen auf einigen Altären),'0 doch übergeht er, dass das
Theonym eben nicht fGabrinius lautet, sondern Gebrinius.71 Auch * 1
M Belege bei Reichert: Lexikon (wie Anm. 6), S. 31 lf,, dazu aber Graf: Schaf und
Ziege (wie Anm. 7), S. 69.
0 Bauchhenss: „Ziegel, Vögel44 (wie Anm. 29), S. 150, Anm. 11.
1 Primärumlaut kann jedenfalls für eine Entwicklung *Gabrinius > Gebrinius nicht
verantwortlich gemacht werden, auch nicht im Keltischen, wo analoge vokalharmo-
nische Phänomene erst später auftreten (im Kymrischen, Comischen, Bretonischen,
vgl. Lewis, Henry / Pedersen, Holger: A Concise Comparative Celtic Grammar.
Third edition, second impression with the Supplement of 1961 by Henry Lewis,
Göttingen 31961 [1989], § 181-183). Siehe Gutenbrunner, der sich im ersten sprach-
wissenschaftlichen Beitrag zu Gebrinius (Gutenbrunner, Siegfried: „Gallisches“, in:
Zeitschrift für celtische Philologie 20 [1936] S. 391-399 [I. Mercurius Gebrinius: S.
391-394]) Gedanken zur Etymologie des Beinamens gemacht hat, erwägt S. 392
unter anderem einen Anschluss an kelt. *gabros im Sinne einer „umgekehrten
Schreibung44 einer (nicht belegten!) Nebenform *gebros mit dem Übergang von e >
a in der Umgebung von g. Gutenbrunner verwirft diese Möglichkeit allerdings so-
419
Spickermann, der eine Ableitung von kelt. *gabro- als „sicher“ qualifi-
ziert und sich dabei auf einen sprachwissenschaftlichen Anhang von
Patrizia de Bemardo Stempel zu seinem Beitrag beruft,72 übergeht die
lautlichen Probleme. 73 Die Semantik liegt viel eher allgemein im
Bereich von ,männlichem Zuchttier bei Kleinvieh1 (insbesondere bei
Ovicapriden). Für die genauere Spezifizierung stellen das Keltische
wie das Germanische Wortfelder zur Verfügung, die groß genug sind -
und die vor dem Hintergrund einer differenzierten Landwirtschaft
(insbesondere einer bis in den Bereich des Industriellen gehenden)
Kleinviehzucht im Untersuchungsraum auch vorauszusetzen sind.74
Darum ist der unbedingte Ersatz des im Keltischen abgegangenen idg.
,Schaf-Worts durch dasjenige für die Ziege nicht aussagekräftig
genug. Vielmehr erweist sich der Name entweder als direktes germa-
nisches (das ist urverwandtes) Gegenstück zu kclt. *gabros, oder es
handelt sich um eine Germanisierung, die sich im Sprachkontakt
ergeben hat.
2. Dazu sei als ,missing link’ die 1870 zerstörte Stele von Gerstheim (Ei-
sass; CIL XIII, 5971) genannt. Eine im Halbrelief gearbeitete Männer-
figur in einer Cuculla, die einen Beutel vor sich hält, trägt die Unter-
schrift GABRO.75 Es ist leider nicht nachzuweisen, dass es sich hierbei
gleich wieder, da sie mit zu vielen Unbekannten operiert. Außerdem ist der
skizzierte Wandel nur vor g belegt.
Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 134 und Anm. 50, unter Beru-
fung auf Patrizia de Bemardo Stempel (ebd., S. 140).
Vgl. auch Hupe, Joachim: „Studien zum Gott Merkur im römischen Gallien und
Germanien“, in: Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes
und seiner Nachbargebiete 60 (1997) S. 53-227, hier S. 120, für den der Beiname
„bis heute nicht schlüssig gedeutet“ ist. Albrecht Greule danke ich für den Hinweis,
dass Namen der Struktur gNbr- beziehungsweise *geb-(a-) + r-Suffix im Germa-
nischen durchaus möglich sind, vgl. dazu Wahlberg, Mats (Hg.): Svenskt ortnamns-
Iexikon, Uppsala 2003, S. 158, sub voce ,Jävsjön‘: Der Gewässername (1742
Giœvra, 1800 liöfrd) enthält im Bestimmungswort ein adjektivisches Element der
Bedeutung ,gebend1, der Name als ganzer würde ,fischreiches Gewässer1 oder ähn-
lich bedeuten (im Sinne von ,Geber-See1). Auch der Ortsname Gebra (1162
Gevere), südöstlich Bleicherode, Thüringen, scheint auf diese Struktur zurückzu-
gehen, siehe dazu Walther, Hans: Namenkundliche Beiträge zur Siedlungsge-
schichte des Saale- und Mittelelbegebietes bis zum Ende des 9. Jahrhunderts, Berlin
1971, S. 264, dessen sonderbare Etymologie („ahd. *Gebäre ,Leute an der Fluß-
biegung1, zu idg. *ghebh- ,biegen, sich krümmen1“) ich allerdings nicht nachvoll-
ziehen kann.
4 Vgl. Graf: Schaf und Ziege (wie Anm, 7), S. 107-130 und passim.
Abgebildet bei Espérandieu, Émile: Recueil général des bas-reliefs, statues et
420
um eine Merkurdarstellung handelt. Sprachlich gesehen gehört der Na-
me jedenfalls in den Bereich des Keltischen, wie eine ganze Reihe wei-
terer Ga/ir-Namen aus der Gallia Narbonensis, Lugdunensis, Aqui-
tania, Belgica, Germania Inferior und Superior sowie den Agri Decu-
mates erweist.* 76 * *
3. Die erwähnte ubische -/mwx-Derivation in Gebrinius scheint aufs Ger-
manische zu weisen, da abgesehen von den sprachlichen Gesichtspunk-
ten statistisch gesehen jeder fünfte Ubier ein solches Gentiliz trug. Die
Ableitung hat, wie die Verbreitungskarte von Weisgerber zeigt,7' je-
doch auch Verwandte im südlichen Frankreich und könnte damit, vor-
sichtig formuliert, mit einem keltischen homographen Namensuffix
kontaminiert sein.™
4. An Außersprachlichem lässt sich bemerken, dass sich Mercurius
Gebrinius mit einiger Wahrscheinlichkeit als das männliche Gegen-
stück der weiblichen Aufanien im Bonner Tempelbezirk betrachten
lässt:79 „A Husband for the Mother Goddess“, wie Christoph B. Rüger
den Gott genannt hat.MI Tatsächlich erscheint Merkur in den römischen
Provinzen vor allem des Westens immer wieder im Zusammenhang
und im Ensemble mit weiblichen Gottheiten. Die Konstellation in der
busies de la Gaule Romaine, Bd. 7, Paris 1918, S. 217, Nr. 5644.
76 Zusammenstellung der Belege bei Graf: Schaf und Ziege (wie Anm. 7), S. 43; zum
Gabro von Gerstheim ebd., S. 71.
Weisgerber: Rhenania Germano-Celtica (wie Anm. 25), S. 425.
s Vgl. Herz: „Einheimische Kulte“ (wie Anm. 30), S. 207f; Weisgerber, Leo: „Zu
den rheinischen -mms-Bildungen“, in: Edith Ennen / Günter Wiegelmann (Hg.):
Festschrift Matthias Zender. Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesge-
schichte, Bd. 2, Bonn 1972, S. 931-948; Ders.: „Homographe Namensuffixe“, in:
Rudolf Schützeichel / Matthias Zender (Hg.): Namenforschung. Festschrift für
Adolf Bach zum 75. Geburtstag am 31. Januar 1965, Heidelberg 1965, S. 32-37.
9 Die gegenteilige Ansicht bei Hupe: „Studien zum Gott Merkur“ (wie Anm. 73), S.
100, ist weitgehend haltlos, da es, wie der Autor selber angibt, durchaus positive
Evidenz für gemeinsames Auftreten der Matronen mit Merkur gibt und darüber
hinaus Merkur eine sehr deutliche Affinität zu weiblichen Gottheiten aufweist,
darunter insbesondere Rosmerta und Maia, aber auch Diana, Minerva und Venus
(vgl. Graf: Schaf und Ziege [wie Anm. 7], S. 89). Vgl, zu dieser Frage auch Derks:
Gods, Temples (wie Anm. 28), S. 119.
xo Rüger, Christoph B.: „A Husband for the Mother Goddess - Some Observations on
the Matronae Aufaniae“, in: Brian Hartley / John Wacher (Hg.): Rome and her
Northern Provinces. Papers presented to Sheppard Frere in honour of his retire-
ment from the Chair of the Archaeology of the Roman Empire, University of
Oxford, Oxford 1983, S. 210-219.
421
Civitas Ubiorum scheint daher, wie vieles andere, keltische Hinter-
gründe zu haben - mögen diese transalpin-indigenen Ursprungs oder
importiert sein. Zudem passt sie zu dieser Art von Fruchtbarkeits-
kulten, in denen theriomorphe Ausprägungen von Gottheiten eine
Rolle spielten. Insbesondere die Ziege als Begleiterin von Fruchtbar-
keitsgöttinnen ist ein ,Leitmotiv1 frühgeschichtlicher Religionen, fer-
ner der Bock als das befruchtende Prinzip, die Ziege als das nähren-
de,81 * 83 man denke an Amaltheia, die Amme des Zeus und, etwas weiter
metonymisch abstrahiert, das auf den Matronensteinen außerordentlich
häufig anzutreffende Signum des Füllhorns (das Horn Amaltheias).
Die frühgeschichtlich orientierte Sprachkontaktforschung hat herausge-
stellt, dass: ,,[t]he vitality and persistance of fertility cults is a characteristic of
contact situations.“8' Dies vor allem unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen
scheinen in religiöser Hinsicht vor allem fruchtbarkeitsbezogene Bräuche am
wenigsten von gegenseitiger Neutralisierung in Kontaktsituationen betroffen
zu sein, zum anderen führen Kontaktsituationen sozusagen zur verstärkten
Klumpenbildung, insofern sich kleinere bis mittelgroße Gruppierungen
formieren, die, wie wohl auch in unserem Fall, in der Form der erwähnten
Kurien, Personalverbänden auf erweiterter Familienbasis, um die Aufrechter-
haltung religiöser Praktiken bemüht sind. Dass es insbesondere fruchtbarkeits-
bezogene religiöse Praktiken sind, die vor andere Praktiken zu stehen ge-
kommen sind, hat basale ökonomische Gründe. Die Matronengottheiten hatten
für Erntesegen und den Schutz des Einzelnen und vor allem der sozialen
Gruppe zu sorgen, sie waren, wie es Friedrich Drexel schon 1922 formuliert
hatte, gewissermaßen „Bauernheilige11, die einen „stark ländlichen oder ge-
radezu landwirtschaftlichen Charakter11 trugen.8:1 Sie waren die attraktiven
Gottheiten der kleinen, ländlichen Kultanlagen im Umkreis der Villen. Dass
es eine Matronentriade, die Bonner Aufanien mit ihrer bislang höchsten
Belegzahl, gewissermaßen zu höheren Ehren gebracht hat, liegt nicht, wie
man früher angenommen hat, in deren scheinbar prototypischer Wesensart, die
81 Eliade, Mircea: Patterns in Comparative Religion, Cleveland / New York 1970;
Polome: „Some aspects“ (wie Anm. 42), S. 199.
8~ Markey, Thomas L.: „Social Spheres and National Groups in Germania11, in:
Heinrich Beck (Hg.): Gennanenprobleme in heutiger Sicht, Berlin / New York
1986 (Ergänzungsbände zum Reailexikon der germanischen Altertumskunde 1), S.
248-266, hier S. 257.
83 Drexel, Friedrich: „Die Götterverehrung im römischen Germanien“, in: Berichte
der Römisch-Germanischen Kommission, vierzehnter Bericht 1922, Berlin 1923, S.
1-68, hier S. 44. Auch Sonderfunktionen der Matronen sind wohl anzunehmen, so
wie Nehalennia/Isis gleichzeitig für Fruchtbarkeit und Schutz der Seefahrenden
zuständig war. Eine eher eindimensionale Funktionalität im Matronenkult vermutet
Woolf: „Local Cult“ (wie Anm. 31), S. 136 und passim, jedoch spärlich begründet.
422
einen Produktivitätsschub über das ubische Zentrum hinaus ermöglicht hätte.
Die Blüte des Aufanienkults gleicht einer Rückkoppelung aus der ländlichen
Peripherie in die Welt der Minervier-Offiziere und deren Familien: reflek-
tierter Kulturkontakt, in dem der Reiz des Exotischen tatsächlich „deliberately
engineered“ erscheint/4
Abkürzungen:
CIL Corpus Inscriptionum Latinarum, Berlin 1862 ff.
EDH Epigraphische Datenbank Heidelberg, <http://www.uni-
heidelberg.de/institute/sonst/adw/edh/>
(10. August 2009)
1LS Dessau, Hermann: Inscriptiones Latinae Selectae, 5 Bde.,
Berlin 1892-1955.
Summary
Language Contact, Culture Contact and the Names of the
Matronaexn the Lower Rhine Area
The study offers a survey of the religious, geographic, social and ethnic back-
grounds of the Matronae cult located between Moselle, Meuse and Rhine
during the second and third century AD. With regard to the origin and some
formation aspects of the phenomenon, representative types of Matronae
epithets are studied considering their specific reference forms (local, ethnic,
personal, curial). The paper focuses on names which exhibit characteristics of
language contact (Germanic-Celtic-[Latinj) and therewith shows that the
Matronae religion is primarily rooted in the Celtic culture. The names exhibit
various germanic traits in morphology and phonology such as the feminine
theonyms Saitchamims and Vatvims or the masculine theonym Gebrinius, the
latter documented in a sanctuary for the Aufaniae underneath the Münster-
kirche in the city of Bonn. The name is strongly influenced by germanic pho-
nology, while its connection to the Celtic *gabros is still highly visible. The
Matronae religion is based on fertility rites which tend to become exceedingly
attractive in contact situations. Moreover, Roman veterans seem to have
supported the diffusion of the cult amongst the territory of the Ubii and
initiated the enormous productivity of the cult and its various cult-names.
M Zur Kritik an der Ansicht, das Bonner Aufanien-Heiligtum sei prototypisch für den
niedergermanischen Matronenkult, vgl. Derks: Gods, Temples (wie Anm. 28), S.
124ff. und 130.
423
Maria Vòllono
Germ, /w/ in langobardischen Anthroponymen bis
774
Grapho-phonetische Überlegungen, Diatopie und Diachronie
der Varianten
Die Wanderung der Langobarden nach Norditalien im Jahre 568 unter der
Führung König Alboins und die Errichtung eines dauerhaften langobardischen
Königreichs' hat neben sprachlichen Spuren im Bereich der Lexik auch dazu
geführt, dass sich zahlreiche Personennamen germanischen Ursprungs ver-
breiteten, wo bislang eine traditionelle lokale Onomastik, meist lateinischen
Ursprungs, Gültigkeit gehabt hatte. Das germanische Namensystem hat die
Namengebung im Bereich der Langobardenherrschaft stark und nachhaltig
geprägt. Personennamen sind eine wichtige historische und sprachliche Quel-
le, vor allem für das frühe Mittelalter, aus dem schriftliche Quellen nur sehr
spärlich auf uns gekommen sind. So lässt sich die fortschreitende Assimilation
der Langobarden an ihre romanische Umgebung ab dem 8. Jahrhundert etwa
daran ablesen, dass es in den langobardischen Territorien Italiens in ver-
stärktem Maß zur Bildung von Hybridnamen kommt, d.h. Kombinationen
eines germanischen und eines romanischen Elements. Dies ist ein beredtes
Zeugnis einer bilingualen Gesellschaft im regnum Langobardorum, die frei-
lich einem dauernden Wandel hin zu einer immer deutlicher ausgeprägten
sprachlichen und nicht zuletzt kulturellen Dominanz der Romanen unter-
worfen war.1 2 3 Im Einzelnen spiegelt sich der Grad der Akkulturation in der
Phonologie, der Morphologie und der Semantik der Namen wider; bei der
Auswertung dieser nicht nur kulturgeschichtlich, sondern auch linguistisch be-
deutsamen Zeugnisse der sprachlichen Assimilation bleiben jedoch Kriterien
wie die Unterscheidung von Kopie und Original, Interferenzerscheinungen
sowie die geographische und zeitliche Ausbreitung eines bestimmten Phäno-
mens stets zu berücksichtigen.
1 Zum Folgenden vgl. auch die Überblicke bei Jamut 1982; Ders. 1993, S. 173-194;
Dclogu 1995, S. 290-319.
2 Francovich Onesti 2000, S. 357-374; Dies. 2004, S. 204-220; Haubrichs 2004a, S.
85-105; Haubrichs 2004b, S. 179-203; Haubrichs 2005, S. 67-102; Haubrichs 2008,
S. 87-140; Wagner 2000, S. 152ff.
3 Seit der Darstellung der Sprache der Langobarden durch Bruckner 1895 ist die ein-
schlägige Forschung ausgehend von verlässlichen Neueditionen der Quellen sowohl
im Bereich der Lexik als auch in der Personennamenforschung auf eine völlig neue
Grundlage gestellt worden. Für die Onomastik, die langobardischen Namen, sind
vor allem die Arbeiten von Arcamone 1972, 1976, 1980, 1986, 1997a; Francovich
425
Eines der phonetisch-phonologischen Phänomene, die den Grad der Akkul-
turation und Assimilation der germanischen Zuwanderer an die romanische
Umgebung bzw. das Maß der germanisch-romanischen Interferenz wider-
spiegeln können,* 4 * 6 * ist die grapho-phonetische Wiedergabe, konkret die Erhal-
tung oder aber die Umwandlung von germ. /w/ in den langobardischen
Anthroponymen bis zum Jahre 774. Germ. /w/ bleibt sowohl im Bereich der
Lexik als auch bei Personennamen normalerweise erhalten, kann aber auch
einem eindeutigen Romanisierungsprozess unterworfen werden, woraus etwa
die Form <gu> resultieren kann. Je nach Stellung im Wort kann germ. /w/
außerdem noch verschiedene andere Formen annehmen. Wenn sich etwa der
Halbvokal /w/ im Anlaut im zweiten Teil zusammengesetzter Namen findet,
nimmt er gewöhnlich vokalischen Wert an. Eine eingehende Untersuchung
der grapho-phonetischen Wiedergabe des Halbvokals Av/ unter Beachtung der
diatopischen Verteilung und der Chronologie der jeweiligen Quellen wird
wahrscheinlich eine differenziertere Bewertung dieses Phänomens ermög-
lichen. Es soll also im Folgenden der Frage nachgegangen werden, mit wel-
chen Graphien germ. Av/ wiedergegeben wird; dabei muss vor allem nach der
jeweiligen Position des /w/ - Initialstellung oder Anlaut des Zweitgliedes
eines komponierten Namens - differenziert werden. Weitere Kriterien sind die
Chronologie der Belege und ihre sprachgeographische Distribution.
Das von mir zu diesem Zweck zusammengestellte und untersuchte Korpus
besteht vor allem aus den langobardischen Personennamen, die in den Urkun-
den des Codice Diplomatico Longobardo (568-774) überliefert sind/ Urkun-
den, die nach 774 entstanden sind, d.h. nach dem Ende des langobardischen
Reiches in Norditalien, - auch wenn sie zum Teil noch reiches langobardi-
sches Sprachmaterial enthalten - habe ich nur selten und unter ganz be-
stimmten Umständen in die Diskussion mit einbezogen; gegen die Verwen-
dung dieses Materials spricht z.B., dass man nach 774 u.a. in verstärktem Um-
fang mit Namen aus anderen germanischen Traditionen - etwa fränkischen
oder alemannischen - rechnen muss/1 Weitere, ergänzend analysierte Quellen
sind das im Jahre 560 von Prokop verfasste Werk Bellum Gothicum (im Fol-
genden: Prokop), ' die vor 671 entstandene anonyme Origo gentis Langobar-
dorum (im Folgenden: OGL),8 der Prolog des Edictus Rothari (643, im Fol-
Onesti 1994, 1999, 2004, 2005; Haubrichs 2004ab, 2005, 2008, 2009; Jamut 1972;
Petracco Sicardi 1977, 1981 und Wagner 1986, 1987, 1992, 2000 relevant. Grund-
legende Sammlungen für die Onomastik des frühen Mittelalters sind: Förstemann
1900; Schönfeld 1911; Kaufmann 1968; Reichert 1987-1990.
4 Vgl, dazu zusammen fassend Goetz/Haubrichs 2005, Teil 1, S. 1-50.
Im Folgenden CDL genannt.
6 Vgl. dazu Arcamone 1972, S. 247-260.
Ed. Haury/Wirth, II, Leipzig 21963.
x Ed. Bracciotti 1998.
426
genden: Prol.ER),9 einige Originalinschriften aus dem 6. bis 8. Jahrhundert,10
die Historia Langobardorum des Paulus Diaconus (gegen 780 abgeschlossen,
im Folgenden HL)11 und die Historia Langobardorum Codicis Gothani (ent-
standen ca. in den Jahren 807-810, im Folgenden: Cod. Goth.),12 eine Überar-
beitung der Origo gentis Langobardorum, die u.a. einige Personennamen
überliefert, die mit denen der Origo zu vergleichen sind. Ich werde dabei je-
weils nur einige der in diesen Quellen überlieferten Personennamen betrach-
ten, deren grapho-phonetische Besonderheiten sich für eine exemplarische
Analyse und Darstellung anbieten.
Da germanische (langobardische) Personennamen meist innerhalb lateini-
scher Texte tradiert werden, bestehen die grapho-phonetischen Besonderhei-
ten in der schriftlichen Überlieferung der Namen v.a. in der Anpassung (in
morphologischer wie in phonologischer Hinsicht) an das Fatein des frühmit-
telalterlichen Italien. Ein adäquates Verständnis des Lautwertes von germ. /w/
setzt also eine Einbeziehung der phonologischen Verhältnisse im Lateini-
schen, in diesem Fall des halbvokalisehen bzw. halbkonsonantischen latei-
nischen [w], voraus; letzteres war zunächst eine stellungsbedingte Variante
von [u] - vgl. faueo/fautor - und entwickelte sich seit der frühen Kaiserzeit
(in den meisten Fällen) allmählich zu einem bilabialen Reibelaut [ß] (ausge-
sprochen wie spanisch -b-/-v-). In großen Teilen der Romania entwickelte sich
dieser bilabiale Reibelaut dann - wohl spätestens im 5. Jahrhundert n. Chr. -
weiter zu der stimmhaften labiodentalen Frikative [v], vgl. it. avere, frz.
navire. Die Entwicklung vom lat. bilabialen Halbvokal [w] über die bilabiale
Spirans zur labiodentalen Frikative bewirkte aber zugleich, dass das lateini-
sche Phonemsystem für germanische Wörter, die ins Lateinische aufgenom-
men wurden, keinen Laut und demzufolge auch kein Schriftzeichen mehr
besaß, um das [w] (entsprechend der Aussprache von engl, water) adäquat und
iautgerecht wiedergeben zu können. Für diese Wörter wurde daher die Schrei-
bung <uu>, also die Verdoppelung des traditionellen Zeichens <u> verwendet.
Mit diesem Doppelzeichen wurde in der Folge der germanische Halbvokal in
den germanischen Volkssprachen und in den ins Lateinische entlehnten Wör-
tern (wie z.B. wadium) und Eigennamen germanischen Ursprungs darge-
stellt.13
Das neue Doppelzeichen <uu>, welches in den Handschriften im Übrigen
erst vom 11. Jahrhundert an auch als ein einziges, zusammengewachsenes
9 Ed. Beyerle 1947 [Neudruck 1962].
10 Rugo 1974, Bd. 1; 1978, Bd. 4; 1980, Bd. 5.
11 Edd. Bethmann/Waitz 1878.
12 Ed. Waitz 1878; vgl. auch Bracciotti 1998.
13 Vgl. Stotz 1996, S. 150ff.
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Zeichen <w> erscheint,14 tritt ausnahmsweise auch da ein, wo sich im Latei-
nischen der ursprüngliche Halbvokal erhalten hatte, so nach dem Nexus ng
oder nach s: lingwa, sartgwine, conswetudo.'5
Meist wurde jedoch in diesen Stellungen das ursprüngliche <u> verwendet,
da ja - etwa in der Verbindung [ng] - durch das <g> sichergestellt war, dass
<u> korrekt halbvokaiisch ausgesprochen wurde.16 Dies erklärt wiederum,
dass analog hierzu das biliabale [w] in germanischen Lehnwörtern und Namen
häufig mit <gu> (und nicht mit <u>) wiedergegeben wurde. Die Schreibung
<gu> diente jedoch wohl nicht nur als rein graphischer Ausspracheindikator:
Germanische Wörter, die ins Lateinische entlehnt wurden und mit w-
anlauteten, wurden auch mit einem g-Vorschlag als [gw] ausgesprochen: vgl.
afrk. wardön ,beobachten4 > it. guardare. Auch germanische Eigennamen mit
[w-] werden dementsprechend in lateinischen Texten der Romania vielfach
mit <gu> wiedergegeben. Die Sondergraphie <gu> für germ. /w/ in mittel-
lateinischer Textüberlieferung hat also zunächst als Ausfluss romanischer
Sprachentwicklung und Schreibtradition zu gelten,17 18
Frühes Vergleichsmaterial für germ. /w/, das als <gu, qu, g> wiederge-
geben wird, bieten folgende germanische Namen:
Quintrio < Wintrio bei Fredegar a. 658/60 (kopial Ende 7. Jh./Anfang 8.
Jh.);ls Quolenus < *Wolenus bei Fredegar a. 658/60 (kopial Ende 7.
Jh./Anfang 8. Jh.);19 Oualderada neben sonstigem Uualderada in derselben
Urkunde (a. 756 Campione bei Como, CDL 1/123); Quolfvinus < *Wulfawini-
a. 744 Raetoromania.20 In den südlicheren Regionen der Romania begegnen
germanische Namen, welche die Graphie <gu> aufweisen, noch früher: In
Afrika ist in Inschriften der vandalische Name Guiliaruna < * Wilja-runa (2.
Hälfte 5. Jh.) mit früher Romanisierung des /w/ > als <gu> belegt,21 so wie
14 Bischoff '2004. Es ist dabei zu beachten, dass die Editionen nicht immer zuver-
lässig darüber Aufschluss geben, ob in den Handschriften <uu>, <vv> oder <w>
steht.
15 Stotz 1996, S. 150ff; Möhren 2000, S. 28.
16 Der Halbvokal [w] erhielt sich im Lateinischen auch nach anlautendem s- in suavis,
suadere u.ä. (Stotz 1996 § 113.3). Zu diesem komplexen und kontrovers disku-
tierten Phänomen vgl. u.a. Parodi, 1898, S. 177-240; Schwarz 1912, S. 236-240;
Väänänen 1937 muH963; Funcke 1938; Politzer 1952, S. 211-215; Meier 1960, S.
32-46; Bonioli 1962; Barbarino 1978; Blumenthal 1972; Banniard 1997; Möhren
2000, S. 5-81; Pitz 2003, S. 97-138.
1 Haubrichs/Pfister 1989, S. 27.
18 Vgl. Ebd„ S. 29.
19 Vgl. Ebd.
20 Wartmann 1863,1, Nr. 8.
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Guitifrida (2. Hälfte 6. Jh.);“ der ostgotische Name Guiliarit < *Wilja-rid- ist
a. 533 (Capua, Grabinschrift) nachweisbar;2' der westgotische Name Guidri-
gildum (Akk.) < *Widrigild- a. 590."4
ln der Regel wird der Halbvokal [w] im Langobardischen im Anlaut
sowohl im Bereich der Lexik als auch in den Personennamen zunächst noch
bewahrt (wadia, wifa, weg-, Will-, Wirti- etc.); in der späten Langobardenzeit
bekommt der Laut aber ebenso einen g-Vorschlag; der Laut [gw] wird als
<gu> oder <qu> wiedergegeben. Vor dunklem Vokal wird meistens <gu> zu
[g] simplifiziert; vor [u] kann [w] schwinden {Ulf- < *wulfa-z ,Wolf). Dieser
Befund bedarf weiterer Differenzierung:
In den älteren Handschriften des Edictus Rothari und in den vor 750
erstellten Privat- und Notarsurkunden aus dem oberitalienischen Raum taucht
für germ. /w/ im Anlaut fast regelmäßig die Graphie <uu> oder mit ähnlichem
Lautwert <vu> auf. Ein Namenelement, das in der langobardischen Personen-
namengebung besonders produktiv ist und anlautendes [w] aufweist, ist z.B.
germ. *watda- herrschen, walten'. Dieses Namenelement bildet häufig bithe-
matische Personennamen: Im Anlaut eines komponierten Namen kann es als
Waldi-, Uua/di, Gualdi-, Walde-, Uualde-, Gualde-, Qualde-, OvaAö-, Uuald-,
Walt-, Uualt-, Gualt-, Wal-, Uual-, Gual- erscheinen. Eine nähere Betrachtung
der mit germ. *walda- ,herrschen, walten4 gebildeten Personennamen ergibt
folgendes Bild: vor 750 dominiert in den älteren Quellen und in Norditalien
für germ. /w/ im Anlaut die konservative Graphie mit dem Doppelzeichen
<uu>. In Prokop III, 35 ist der Name OvdAÖapov (a. 539-546 Pannonien)
belegt, welcher im Prol.ER Walthari bzw. Waltari in der OGL (4,21; 4,22;
5,1) und in der HL I, 21 lautet; im Cod. Goth. 4,5 kommen Walteri,
Walterenem, Waltarene vor.2:i Die Privat- und Notarsurkunden bieten folgen-
de Beispiele: Uualfrit (a. 758 Varsi [Parma], CDL 11/129); Uualtprand (Lucca
a. 718 K. a. 756/57, CDL 1/22); „manus UualderatmG (a. 739 Lucca, CDL
1/69); Uualderada (a. 748 Pisa, CDL 1/93). Ab 750 mehren sich die Graphien
mit <gu>, vgl. Gualfridi (a. 754 Pisa, CDL 1/116), Gualfredi (a. 766 Fagiano
[Viterbo], CDL 11/196). Nach 750 wandelt sich das Bild im Zuge der fort-
schreitenden Romanisierung allmählich; noch sind aber zum Teil konservative
Graphien anzutreffen, wie Uualfusus (a. 765 Chiusi, CDL 11/187) oder 21 22 * 24 25
21 Es hat hier noch keine konsonantische Gemination des -ja- im germanischen Thema
*wilja- .Willen' stattgefunden, vgl. Francovich Onesti 2002, S. 160f.
22 Das erste Namenelement geht auf germ. *witi- .Strafe' zurück, vgl. u.a. Orel 468
(ahd. wizi).
2' Der Name scheint im ostgotischen Italien sehr häufig und beliebt gewesen zu sein,
vgl. dazu Francovich Onesti 2005, S. 7-28, hier S. 20.
24 Reichert 1987, S. 776.
25 Anlautendes germ. /w/ bleibt in der Historia Langobardorum des Codex Gothanus
immer erhalten, vgl. Bracciotti 1998, S. 73.
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Uualp(er)t (a. 752 Lucca, CDL 1/105); vgl. auch die Hypochoristika Uualdoni
(a. 770 „Teuolariolo“ [Parma], CDL 11/249; a. 772 Bergamo, CDL 11/262) und
Uualtulo (a. 772 Lucca, CDL 11/273).
Germ. *walö ,Gemetzel4 dagegen ist in Namen bereits früh, d.h. vor 750,
mit romanischer Schreibung anzutreffen: Gualistolo ist bereits a. 723 in Lucca
belegt (CDL 1/31); der Name weist ansonsten auch in der Suffigierung frühe
Romanisierung (lat. Suffix -ulus) auf."' Auch Namen, die mit dem germa-
nischen Element *wilja- ,Willen4 gebildet sind, werden früh romanisiert. Dies
gilt etwa für Guilinandu (a. 739 Lucca, CDL 1/70), Guilichis, der a. 748 in
Pistoia (K. 12. Jh., CDL 1/96) belegt ist, und Guillerad (a. 767 Pistoia K. 12.
Jh., CDL 11/206).
Bemerkenswert sind Fälle, bei denen ein Nebeneinander von beiden Gra-
phien vorkommt: vgl. a. 771 in Lucca „Sign(um) + man(us) Uualaprandi
cl(erici) filii Quarnuli21 testis44 (CDL 11/771) oder a. 756 in Campione bei
Como (CDL 1/123) den Namen Qualderada neben sonstigem Uualderada der
gleichen Urkunde.'s Dies spricht gegen eine Betrachtung dieser Graphien als
rein dem Schreibgebrauch einzelner Schreiber geschuldetes Phänomen und für
eine noch im 8. Jahrhundert lebendige langobardische Sprache.24
Wie bereits erwähnt, wird [gu] vor dunklem Vokal meistens zu [g] simpli-
fiziert. Dies zeigt sich am Beispiel von germ. *wulfa- ,Wolf, das in Namen
sehr früh romanisiert wird, man vergleiche etwa Gulfari, -eni (a. 599 Istria,26 * * * 30
a. 754/55 Asti, CDL 1/119), Gulferamu (a. 768-774? Pisa, CDL 11/295); Aus-
fall des [w] vor [u] zeigt z.B. der frühe Name Ulfari (a. 590 Treviso, HL IV/
3). Eine nicht romanisierte Graphie zeigt dagegen z.B. der Name Vulfreni (im
Genitiv) a. 674 in Pavia (K. 9.-10. Jh., CDL IIl,l/6).31
26 Nicht auszuschließen ist Interferenz mit dem lat. Namen Calistus.
Statt *Warnuli.
's In dem aus Benevent stammenden Codex Matritensis Regius 413 (11. Jh.), der u.a.
die OGL überliefert, ist auch der Name Gualderada (OGL 4,17) mit romanischem
Ersatzlaut überliefert, der ansonsten (in dem als dem verlorenen Original nahe
kommend geltenden Codex Mutinensis) als Uualderada vorkommt, vgl. Bracciotti
1998, S. 69. Zu den graphischen Gewohnheiten der süditalienischen langobar-
dischen Überlieferung vgl. Bruckner 1895, S. 127: „ln den südlicheren Teilen
Italiens lässt sich die Schreibung uu oder u in späterer Zeit nur noch selten nach-
weisen.“
^ Vgl. Haubrichs 2005, S. 71: „Wichtig ist nun, dass das langobardische Namen-
system noch im achten Jahrhundert morphologisch produktiv und semantisch intakt
und aktiv ist.“
30 Der Name ist bei Gregorius Magnus, Epistola IX, 160 (kopial) nachgewiesen.
31 Ein Vulfelaici t Vulülaico ist bei Gregor von Tours (6. Jh.) belegt, vgl. Francovich
Onesti 1999, S. 222.
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ln der Überlieferung des Herzogtums Spoleto'2 finden sich fast ausschließ-
lich (kopiale) Belege, die die Graphie <gu> aufweisen: vgl. „pro absolutione
[...] viri mei Guerolfr (a. 747 S. Giacinto [Sabina] K. 1 1. Jh., CDL V/10); in
der unmittelbar nachfolgenden Urkunde heißt allerdings dieselbe Person: „ego
Bona relicta quondam Averölfi" gastaldii castri Pantani“ (a. 748 Spoleto K.
11. Jh., CDL V/ll).34 Anno 747 ist in Spoleto (K. 11. Jh., CDL V/8)
Guinilapus und in derselben Urkunde Guilpert belegt. Nach 750 zeigen
Namen, die germ. /w/ im Anlaut aufweisen, fast durchgängig Romanisierung
des Anlauts: vgl. die Namen Gualtarinus (a. 763 „Musileo“ [Rieti] K. 1 1. Jh.,
CDL V/36), Gualdipertus (a. 765 „in casale Mutella“ [Rieti], CDL V/44);
Guileratus (a. 768 St. Vitus [Rieti] K. 11. Jh., CDL V/50). Anlautendes
konservatives germ. /w/ zeigt der (ags.?) Name Wigbertus (Abt des Klosters
Farfa), der in der Constructio monasterii Farfensis (a. 769?) vorkommt und a.
770 als Guicbertus mit romanischem Ersatzlaut im Chronicon Farfense belegt
ist. Weitere Belege mit konservativer Graphie bieten Vvilifusus (a. 718 „curtis
Germaniciana“ [Sabina] K. 1 1. Jh., CDL V/l) und Vvino,-onis (a. 720 [690]
Rieti K. 11. Jh., CDL V/2).
Weiter südlich, im Herzogtum Benevent, finden sich in den für die lango-
bardische Zeit relevanten Diplomen sowohl Namen überliefert, die im Anlaut
die Graphie <uu> (bzw. das zusammengewachsene Zeichen <w>) aufweisen,
als auch solche, die in ihren Schreibungen mit <gu> eine Romanisierung
widerspiegeln. Bei den Herzogsurkunden von Benevent handelt es sich um
Kopien der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts.3> Die in den Beneventa-
nischen Diplomen überlieferten Namen weisen vorwiegend Graphien mit
<uu> bzw. <w> auf: vgl. z.B. Wadulfus (a. 721 [706?] Benevent K. 12. Jh.,
CDL IV,2/8); Uuadulfus36 (a. 745 Benevent K. 12. Jh., CDL IV,2/24). Weitere 32 33
32 Es handelt sich dabei um die von Herbert Zielinski in Bd. V des CDL edierten
Privaturkunden (insgesamt 104 Privaturkunden), die im Herzogtum Spoleto erstellt
worden sind und die von 718 bis 787 (Datum der jüngsten, unter dem letzten lango-
bardischen Herzog Ildeprand erstellten chartula) datieren. Die Urkunden sind ur-
sprünglich kopial im Regestum Farfense überliefert, das von dem Mönch und
Archivist Gregor von Catino Anfang des 12. Jahrhunderts kompiliert wurde.
33 Vermutlich eine Verschreibung aus <Vv>.
14 Es handelt sich um zwei aufeinander folgende Urkunden, die im Namen der Witwe
Bona ausgestellt werden: In den Urkunden wird deshalb auf die Zustimmung des
Mundwalds hingewiesen.
Da es sich um Kopien handelt, werden in der Edition der Diplome aufgelöste Ab-
kürzungen im Text nicht kenntlich gemacht; die Graphien <u> oder <v> werden
außerdem nach modernem Gebrauch normalisiert. Die Begründung dafür ist, dass
diese Abkürzungen möglicherweise nur auf den Kopisten zurückgehen und nicht so
im Original gestanden haben müssen. Die Personennamen dagegen werden getreu
der Graphie der Vorlage wiedergegeben, vgl. Zielinski (CDL, Bd. V, S. 3*ff.).
(l Der Name lässt sich vielleicht mit dem aus Lucca a. 739 (CDL 1/69) belegten
431
Belege bilden Warnecausus (a. 724 [709?] Borfaniana K. 12. Jh,, CDL
IV,2/l3);3 Warnefrid (a. 740 Siponto K. 12. Jh., CDL IV,2/15). Die romani-
sche Schreibweise ist sehr selten anzutreffen: einen sicheren Beleg dafür
bietet der Name Gualdichis (a. 743 Benevent K. 12. Jh., CDL IV,2/21). Die
sonst fehlende Romanisierung erklärt sich auch im Hinblick auf die besondere
Quellentypologie: Stil und Sprache der Diplome unterliegen eher als Privat-
urkunden dem Einfluss der Sprach- und Stilmodelle der königlichen
cancellería, weshalb die eher gepflegte Sprache der Diplome nicht immer die
ansonsten im jeweiligen Umfeld auftretenden grapho-phonetischen Besonder-
heiten aufweist.38 Die Zahl der (nur kopial überlieferten) Privaturkunden aus
Benevent ist im Vergleich zu der der herzoglichen Diplome sehr gering.39 40
Einschlägige Belege liefern etwa a. 766 Benevent (K. 12. Jh., CDL V/7): hier
ist der Name Guettulus belegt;411 ansonsten sind Namen anzutreffen, die -
obgleich aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts überliefert - eine konser-
vative Graphie bewahren, vgl. Vvileramus (a. 784 Benevent K. 1 1 Jh.). Einen
frühen Beleg aus dem 6. Jahrhundert liefert ein Epitaph aus Castel Lucera
(Herzogtum Benevent): Die Inschrift überliefert den langobardischen Namen
Vvinelaupo, der durch anlautendes konservatives <vv> gekennzeichnet ist.41 42
In den spät (9. Jh.) überlieferten Namen des Codex diplomaticus Cavensis
(es wurden hier nur die aus Salerno und Umgebung stammenden, im Original
erhaltenen Privaturkunden berücksichtigt)4' wird germ. /w/ im Anlaut als
Namen Uuattulus vergleichen, wenn in diesem Fall keine Verwechselung für
Uualtulus (a. 772 Lucca, CDL 11/273) vorliegt: Der Name bildet sich wahrschein-
lich aus germ. *wahtu- .Wächter4, bzw. aus germ. *hwat- ,scharf, oder aus germ.
*wapu- ,Muskel4.
Vgl. Wamecautium (Ende 6. Jh. HL IV, 13); Uuamesausus (a. 738 Massa Mustiba
[Chiusi], CDL 1/66); Uuarnicausus (a. 746-747 Chiusi, CDL 1/92; a. 760 Lucca,
CDL 11/143), Uuamicaus (a. 753 Lucca, CDL 1/108). Das zweite Namenelement
zeigt hier Durchführung der 2. Lautverschiebung, und zwar der Medienverschie-
bung (anlautendes g- > c-).
Vgl. dazu Arcamone, 1986, S. 365-377.
'4 Die beneventanischen chartulae sind in Zielinski, Bd. V des CDL ediert worden;
zum Teil sind sie von Cuozzo/Martin 1991, S. 115-210, neu ediert worden. Zur er-
staunlich geringen Zahl der überlieferten Privaturkunden im Herzogtum Benevent
vgl. vor allem Magistrale 2003, S. 507-544.
40 Der Name ist vielleicht zu Wechtari (663 Vicenza-Friuli, HL V/23) zu stellen, der
sich aus germ. *wihti- .Kampf und germ. *harja-z ,Heer4 zusammensetzt.
41 D • M. / HIC REQUIESCIT / VVINELAVPO IN / SOMNO • PACIS, in: Rugo
1978, Bd. 4, S. 47.
42 Morlicchio 1985 widmet den im Codex diplomaticus Cavensis überlieferten lango-
bardischen Namen eine eingehende Studie. Vgl. dazu neuerdings Francovich Onesti
2003, S. 357-381.
432
<vv> und nicht mit der romanisierten Graphie <gu>, die aufgrund der Spät-
datierung, der diatopischen Verteilung der Namen und der Parallelentwick-
lung in den zentralen Gebieten Italiens eigentlich zu erwarten wäre, wiederge-
geben: Vvalfreda (a. 824 Samo), Vvalfusu (a. 857 Barbazzana), Vvalperto (a.
844 Tostaccio).4-1 Es zeichnet sich hier entweder eine graphische Tradition ab,
die bewusst konservative Graphien bevorzugt; denkbar ist aber auch eine
phonologische Erklärung, die von den Besonderheiten der süditalienischen
Dialekte ausgeht, wo anlautendes (und intervokalisches) [g] zum Schwinden
tendiert und wo jedes [w] (auch germ. /w/) entweder ganz schwindet oder als
[u, v] erscheint.* 44 45 46 Nur einmal ist der Name „Qualdiperto clericus“ (a. 850
Nocera) belegt, mit romanischem Ersatzlaut (in hyperkorrekter Schreibung)
des anlautenden germ. /w/, neben sonstigem Vvaldiperti (a. 848 Tostaccio),
Vvaaldipertus (a. 854 Tostaccio) u.ä.47
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in Oberitalien vor 750 romani-
sierte Schreibungen nur vereinzelt Vorkommen. Diesbezüglich schreibt
Möhren, der jüngst eine detaillierte Darstellung der Entwicklung des lat. [w]
vor allem in der Galloromania und darüber hinaus der grapho-phonetischen
Wiedergabe des germ. bzw. fränk. /w/ vorgelegt hat und dabei am Rande auch
die italoromanischen Verhältnisse behandelt, dass die Entwicklung des lateini-
schen [w] zur labiodentalen Frikative in Italien schneller fortschritt als in der
Galloromania.4'1 Für die Gallia Cisalpina rechnet er allerdings mit einem jahr-
hundertelangen Schwanken zwischen [w] und [b], weshalb das lang, [w] mit
dem lat. [w] noch übereinstimmen konnte. Die Gallia Cisalpina „connaissait
encore le w latin (du moins comme Variante) auquel le w langobard pouvait
s’accorder sans peine dans Fecrit.“4 Nach 750 mehren sich die Beispiele, die
<gu> aufweisen; bemerkenswert sind dann Belege, die im 8. Jahrhundert ein
Nebeneinander von romanisierten und nicht romanisierten Graphien aufweisen.
Im südlichen Herzogtum Spoleto sind fast ausschließlich romanische
Graphien mit <gu> vertreten. Für das Herzogtum Benevent erlaubt die spärli-
che Überlieferung von Privaturkunden keine definitive Aussage: bemerkens-
wert ist auf jeden Fall die Überlieferung der Namen in den beneventanischen
Diplomen, wo fast ausschließlich konservative Graphien Vorkommen. Die
spätere Tradition aus dem Codex diplomaticus Cavensis bietet erstaunlicher-
47 Morlicchio 1985, S. 78f.
44 Sabatini 1963, S. 56, Anm. 2; Morlicchio 1985, S. 134f.
45 Vgl. Bruckner 1895, S. 127; Morlicchio 1985, S. 78.
46 Möhren 2000, S. 57.
47 Ebd., S. 29f. Vgl, auch Sabatini 1963, S. 147f. In einigen oberitalienischen Dia-
lekten hat sich anlautendes germ. /w/ zu [v] entwickelt: vgl. altvenezianisch vere
,Krieg" < afrk. *werra ,Krieg". Nach Rohlfs § 168 hat sich dieses [v] höchstwahr-
scheinlich aus einem vorhergehendem [gu] entwickelt. Bruckner 1895, S. 128,
denkt dagegen an Erhalt von ursprünglichem anlautendem germ. Iw/.
433
weise noch für das 9. Jahrhundert reichliche Belege für genuine Schreibungen.
Im Anlaut des Zweitgliedes eines Kompositums hatte der bilabiale Halb-
vokal [w] für die romanischen Sprecher einen vokalischen Lautwert, weshalb
die Zeichen <u> oder <o> dafür angesetzt wurden,4S Die konservativen
Graphien mit dem Doppelzeichen <w, -uu (~uv)> oder mit <-v> - letzteres
dürfte bilabiale Aussprache gehabt haben - kommen in der Regel nur in der
älteren Überlieferung vor (z.B. in den ältesten Handschriften des Edictus
Rothari), als der Romanisierungsprozess noch nicht stark fortgeschritten war.
Die grapho-phonetischen Entwicklungen von germ. /w/ im Anlaut eines
Zweitgliedes bithematischer Namen hängen aber nicht zuletzt vom
entsprechenden Namenelement ab: Es werden im Folgenden in exempla-
rischer Weise die grapho-phonetischen Besonderheiten von germ. *walda-z
,Herrscher4, *warda-z ,Wächter1, *wini-z ,Freund4 und *wulfa-z ,Wolf
dargestellt. Die grapho-phonetischen Entwicklungen dieser Namenelemente
sind nicht nur chronologisch, sondern auch geographisch gut einzuordnen.
Das Namenelement germ. *wa/da-z ,Herrscher4 wird als Zweitglied eines
komponierten Namens im Anlaut in der Urkundenüberlieferung tendenziell zu
[u] und (mit weiterer romanischer Senkung) zu [o] vokalisiert; dies hängt
nicht zuletzt mit dem Sekundärakzent des germanischen Zweitgliedes zusam-
men.44 Daher lauten die am meisten vertretenen Graphien -uald, -oald: vgl.
Arnuald (a. 720 Lucca, CDL 1/28), Ans oald (a. 736 Varsi, CDL 1/59); frühere
Belege bieten Faroaldus (HL 111/13; a. 718 [703] „curtis Germaniciana“
[Sabina] K. 11. Jh., CDL V/l; a. 774 Bergamo K. 9. Jh., CDL 11, 293), auch
als Farualdus (HL IV/16, VIGO) und Faruald (a. 761 Rieti K. 11. Jh., CDL
IV, 1/14; a. 768-774? Pisa, CDL 11/295) belegt. Konservative Graphien sind
nur vor 750 belegt, wie Adivvald, der in einer auf den Anfang des 7. Jahr-
hunderts datierten Inschrift aus Mailand vorkommt,* 49 50 Hariwald, Ariouuald (a.
625 Turin, Prol.ER.),51 * Teudvald (a. 715 Pavia K. 9.-10. Jh., CDL 111,1/13),
Gaidvald (ebd,). Auch weiter südlich gibt es Beispiele für solche konserva-
tiven Graphien, wie in Benevent (Monte S. Angelo) der Name Romovaldus,
der in einer Inschrift des 8. Jahrhunderts überliefert ist, wo auch noch der
Name Osfaldvus verzeichnet ist/2
Der Ausfall von /w/ mit Entwicklung zu -ald ist in den Urkunden in der
Regel eine spätere Erscheinung: Rachinald (a. 761 Lucca, CDL 11/149);
Raginaldus (a. 771 Milano?, CDL 11/252); Rachinaldu (a. 773 Gurgite
4X Bruckner 1895, S. 129f., sowie Stotz 1996, S. 150ff.
49 Arcamone 1997b, S. 379-382.
50 Rugo 1980, Bd. 5, S. 29.
51 Dem entspricht in der OGL Aroal, s. weiter unten.
Rugo 1978, Bd. 4, S. 34. Francovich Onesti 1999, S. 204, schließt für den Namen
eine transalpine Herkunft (ags.?) nicht aus.
434
[Lucca], CDL 11/280); ein früheres Beispiel bietet der Name Hunaldum, der
bereits im Jahre 615 (kopial) belegt ist,5 der aber nach 750 als Unoaldi (im
Genitiv, a, 764-770 Montecassino K. 12. Jh., CDL V/9) erscheint. Die weitere
Simplifizierung zu -old mit Ausfall des /w/ und Verdunkelung des Vokals ist
erst spät (nach 750), und zwar nur ein einziges Mal - in Pisa belegt, vgl.
Arioldus (a. 754 Pisa K. 11, Jh., CDL 1/116), der Name ist sonst als Arioa/d
(a. 759 Pavia, CDL 11/137) belegt.
Die Variante <ovald> kommt vereinzelt, und zwar in Süditalien vor, vgl.:
Romovald (a. 719 Benevent K. 12. Jh., CDL IV,2/5).53 54 55 Aus der Variante
<ovald> hat sich wahrscheinlich über Labialisierung die Graphie -opalt ent-
wickelt, die in Ariopalto (625, Ep ist. Lang/') belegt ist.56 Die Graphie mit der
stimmlosen auslautenden Okklusive -oalt, -ualt ist sehr selten: zweimal ist sie
in Benevent vertreten, vgl. Grimoalt 664-67157 und Romualt 7. Jh/8; einmal
kommt sie in Lucca a. 724 (CDL 1/35), vgl. den Namen Romualtus, vor.
Die Variante -oal mit Ausfall des dentalen Elements (vgl. den Namen
Aroal in der OGL) ist selten und charakteristisch nur für die norditalienischen
ältesten Quellen.59 Aus dem süditalienischen Raum sind jedoch zwei Belege
zu verzeichnen, die ebenfalls Ausfall der Dentale zeigen: Es handelt sich um
die Namen Audoale (a. 758-774 Canosino K. 12. Jh., CDL IV,2/54) und
Eudoal (a. 769 Benevent K. 12. Jh., CDL IV,2/48), die in zwei herzoglichen
Diplomen überliefert sind; in letzterem Fall fügt ein späterer Korrektor in Rot
den Okklusivlaut hinzu und gibt also die Lesung Eudoald an. Wenn hier nicht
grundsätzlich ursprünglich eine Verschreibung für -oald vorliegt, wie auch
vom Korrektor vermutet wird, dann zeigen diese zwei Belege eine enge
Verbindung zur ältesten langobardischen Schreibtradition, eine Annahme, die
von der besonderen Art der Quellentypologie auch gestützt wird.
Im Bereich der Lexik bietet die spätere süditalienische Tradition einen ähn-
lichen Fall: Im Codex diplomaticus Cavensis ist einmal mundoal,Mundwald4
53 Columbae sive Columbam abbatis Luxoviensis et Bobbiensis epistolae, ed.
Gundiach 1892.
4 „Romouuald summus dux gentis Langobardorum.“ Der Personennamen Romuald
gehört zur langobardischen Adelstradition, und zwar zur Tradition der duces von
Friaul und Benevent, vgl. dazu Arcamone 1997a, S. 157-175, hier S. 158;
Haubrichs 2005, S. 88f.
55 Epistolae Langobardicae Collectae, ed. Gundiach 1892.
56 ln diesem Fall ist freilich auch nicht auszuschließen, dass es sich bei dem zweiten
Element um das Etymon -bald (,tapfer4) handelt.
Der Name kommt in der Historia Langobardorum Beneventanorum vor.
' Der Name ist in der Vita Barbati episcopi Beneventani belegt.
'4 Francovich Onesti 1999, S. 201 und S. 232.
435
(a. 842) belegt.'1'1 ebenfalls mit Ausfall der Dentale. Da die Transkription der
Urkunden des Codex diplomaticus Cavensis offenbar nicht immer ganz zuver-
lässig ist, wäre jedoch in diesem Fall eine Überprüfung aus paläographischer
Sicht wünschenswert.'’1
Auch die grapho-phonetischen Entwicklungen des germanischen Namenele-
ments *warda-z Pächter1- als Zweitglied bithematischer Namen lassen sich gut
geographisch einteilen: Die konservative Graphie <uu> ist nur einmal früh im
norditalienischen Treviso belegt; nur in Oberitalien kommt auch die Graphie
-oardus vor, vgl. Aloardus (a. 769 Pavia, CDL 2/226), Eoardus (772 Brescia K.
9.-10. Jh., CDL 111/44). Einen frühen (kopialen) Beleg für die Graphie -oardus
bietet Fredegar, wo der Name Th aloardus, Taloardus (575 Sitten, Wallis)
vorkommt.ln der Toskana ist -uart{us, -o, -u) mit stimmloser Auslauts-
okklusive sehr oft belegt, vgl. Aluartus (a. 728 Lucca, CDL 1/42; a. 748 Pisa,
CDL 1/93), Aluarto (a. 765 Pisa, CDL 11/183), Aluartu (a. 772 Roselle
[Grosseto], CDL 11/263), Ansuartus (a. 771 Lucca, CDL 11/258). In Süditalien
wird in diesem Fall germ. /w/ zu [b] labialisiert, vgl. den Namen Abardus63 mit
<b> für [w], der in Benevent für das Jahr 748 (K. 12. Jh., CDL V/4) belegt ist.
Die besondere und nur für Süditalien belegte Schreibweise hängt mit dem süd-
italienischen Betazismus zusammen: im Zuge dessen fiel die labiodentale
Spirans [v], die wahrscheinlich längere Zeit eine bilabiale Aussprache hatte und
womit germ. /w/ wiedergegeben wurde, mit der Aussprache von [b], das auch 60 61 62
60 In der logischen Funktion eines Dativs Pf: ,j?ro hoc opsecrare cepimus eundem
viribus nostris quam et adelmanno imperialis comes et filium iohanni et atenolfo
filium ermegnardiet iohanne filium tracconi, qui sunt parentibus atque mundoal
nostris“ (842 „in civitate lucerie“, Codex diplomaticus Cavensis 1 21/22).
61 Zum Appellativ mundoald vgl. Völlono 2005, S. 477-502. Zur Edition des Codex
diplomaticus Cavensis vgl. Galante 1980, S. 5: Die Edition zeige „pecche relative
sia alia trascrizione, realizzata a volte in maniera superficiale, a volte addirittura
tralasciata, nei casi di originali guasti o sbiaditi, sia alia errata datazione dei docu-
menti, sia agli indici e all’apparato critico, quasi del tutto inesistente.” Allerdings
mag die Fehlerquelle in Einzelfällen auch bei den mittelalterlichen Schreibern gele-
gen haben: Schon die Herausgeber des Codex diplomaticus Cavensis, Bd. 1, LVIII,
bemerkten: „Quoad vero orthographiam chartarum, nulla regula fuit, praeter
Notariorum arbitrium. Hi litteram H, pro lubitu suo, quandoque vocibus adiciunt,
alias demunt; saepe, litteram D pro T, frequentius B pro V scribere solent.” Außer-
dem erfolgt die im Norden im Zuge der Karolingischen Reform erfolgte Besserung
der lateinischen Sprache in Süditalien erst ab dem 12. Jahrhundert, was sich auch in
der graphischen Unsicherheit in den Urkunden des süditalienischen Raums wider-
spiegelt, vgl. dazu Cencetti 1954, S. 57.
62 Vgl. auch Francovich Onesti 1999, S. 180 und S. 232.
Das erste Namenelement ist mit germ. *hanha- ,Ross‘ zu identifizieren, vgl. Arca-
mone 1975.
436
bilabial war, zusammen, womit es dann auch graphisch substituiert wurde.64
Das Namenelement germ. *wini-z ,Freund1 wird als Zweitglied eines kom-
ponierten Namens im Anlaut in der Urkundcnüberlieferung tendenziell zu [u]
oder zu [o] vokalisiert: Die Graphie <uhin> ist nur für Süditalien relevant, vgl.
Raduhin (a. 766 Benevent K. 12. Jh., C’DL V/7), Laduhin (a. 761 Marsi K. 11.
Jh., CDL V/29). In der Toskana und in der OGL herrscht dagegen <uin> bzw.
<uini> (im Nominativ), vgl. Aiduini (a. 744 Volterra, CDL 1/84), Aluini (a.
735-736 Chiusi?, CDL 1/57), Auduin, -i (OGL; Cod Goth 5; a. 750 Chiusi,
CDL 1/97; a. 752 Sovana, CDL 1/104; a. 765 Viterbo, CDL 11/184), Gaiduin
(a. 755 Lucca, CDL 1/118), Laduini (a. 735 Chiusi, CDL 1/57), Sinduin, -/ (a.
722 Lucca, CDL 1/30; a. 723 Lucca, CDL 1/31). Die Variante <oin> ist vor
allem in der Toskana und in Oberitalien belegt, vereinzelt kommt sie auch im
Süden vor sowie in der älteren Überlieferung und bei Paulus Diaconus, vgl.
Aloin (a. 715 Pavia, a. 739, a. 772 Lucca, a. 751 Benevent), Aldo in (a. 713
Pavia), Audoin (Prol.ER.; HL 1/22; a. 715 Siena K. 9.-10. Jh., CDL 1/19),
Paldoin (a. 720 Lucca K. 8. Jh., CDL 1/27), Garoin (a. 768 Monza K. 11. Jh.,
CDL 11/218; a. 769 Pavia K. 10. Jh., CDL 11/23 1).65 Ausfall des germ. [w]
zeigt die Graphie <ini>, die nur einmal in Chiusi a. 750 (CDL 1/97) belegt ist,
vgl. Audini,66 neben Auduini in derselben Urkunde.
Vor nachfolgendem [u] ist germ. /w/ im Anlaut des zweiten Komposi-
tionsgliedes von Personennamen in der Regel ausgefallen, wie aus den zahl-
reichen Namen auf -ulf oder -olf zu entnehmen ist (*wulfa-z ,Wolf ist als Na-
menelement sehr produktiv und bildet Namen mit germanischen und latei-
nischen Elementen67 68). Den Ausfall des germ. /w/ kann man früh beobachten:
Ansolf (a. 720 Pisa, CDL 1/23); Teuderolfus (a. 774 Bergamo K. 9. Jh., CDL
11/293). Namen, die mit germ. *wulfa-z gebildet sind, werden außerdem früh
latinisiert, vgl. Unu/fum (a. 662, HL V/2-4); Cunulfus (a. 715 Siena K. 9.-10.
Jh., CDL 1/19) und den obigen Beleg aus Bergamo. Die Variante -ulf ist also
am stärksten in Norditalien vertreten, und zwar in den älteren Quellen (s.o.);6X
vgl. auch den Namen Agilvif der in einer auf den Anfang des 7. Jahrhunderts
datierten Ziegelinschrift aus Mailand vorkommt.69 Eine weitere Inschrift aus
Benevent (Monte S. Angelo) belegt für das 8. Jahrhundert den Namen
Radvnvlfv (im Genitiv),70 der ebenfalls -ulf aufweist. In der Toskana kommt
64 Löfstedt 1961, S. 149ff., Morlicchio 1985, S. 134f.
65 Weitere Belege in: Francovich Onesti 1999.
66 Vgl. Francovich Onesti 1999, S. 233.
6 Vgl. Christa Jochum-Godglück in diesem Band.
68 Vgl. Francovich Onesti 1999, S. 233.
69 Rugo 1980, Bd. 5, S. 29.
70 Rugo 1978, Bd. 4, S. 34.
437
eher -olf\or, wobei jedoch -ulf nicht selten ist. Die Graphie <ph> für [f] ist
vor allem im Süditalien vertreten, vgl. Gisulphus (a. 760 „in Septepontio“
[Spoleto] K. 11. Jh., CDL V/28; a. 761 Rieti K. 11. Jh„ CDL V/32),
Audolphus (a. 778 Rieti K. 11. Jh., CDL V/86), Gisolphus (a. 764 Rieti K. 11.
Jh., CDL V/40), Theodulphus (a. 762 Cotno);71 die Graphie <ulful> (+ lat.
Suffix -ulusl)72 ist nur zweimal in Siena belegt: Gisul'fful] und Mcmulful (a.
715 Siena K. 9.-10. Jh., CDL 1/19). Die Graphie <ulft> ist sehr selten belegt,
vgl. Droctulft (Ende 6. Jh., HL III/18, 19); die Graphie <alf> ist einmal a. 763
in Farfa (K. 11. Jh., CDL V/37), vgl. Rimalfus, belegt. 73
Sehr selten sind Namen belegt, bei denen sich /w/ im Anlaut des zweiten
Kompositionsgliedes mit <gu> bzw. mit der hyperkorrekten Graphie <qu>
entwickelt hat. Beide Beispiele kommen aus der Toskana: a. 752 Sovana
(CDL 1/104) ist „Sign(um) + m(anus) Uuineghild(i)74, qui sup(er)nom(en)
uocatur Inquircio75“ belegt (mit einem Nebeneinander von romanisierter und
nicht romanisierter Graphie). Bei S. Cassiano (Lucca) ist a. 755 (K. 8. Jh.,
CDL 1/ 120) der Name Auriquandali (im Genitiv) < *Auri-wandal belegt. An-
sonsten ist diese Schreibweise weit häufiger im absoluten Anlaut vertreten.
Die vorliegende Untersuchung des langobardischen onomastischen Sprach-
materials kann vielleicht aufzeigen, wie differenziert das Bild bei der Betrach-
tung bestimmter linguistischer Erscheinungen im Hinblick auf die Chrono-
logie und die areale Distribution der Graphien sein kann. Konkret zeigt beson-
ders das Nebeneinander von genuin germanischen Graphien und romanischen
Schreibweisen, wie komplex die romanisch-germanische Akkulturation und
Assimilation im Einzelnen verlaufen sein muss.
71 Jamut 1972, S. 240.
72 Tischler 1987, S. 21.
Wahrscheinlich eine Verschreibung aus <u>; vgl. auch ,.JUmolfus notarius“ (a. 753
Spoleto K. 11. Jh., CDL V/18).
4 Es sei auch daraufhingewiesen, dass das zweite Element -ghildi die Setzung des h
nach der Okkiusive vor hellem Vokal zur Sicherung der Aussprache als Verschluss-
laut nach romanischem Sprachgebrauch aufweist, vgl. dazu Wagner 1986, S. 67-77.
7? Nach Wagner 1986 bildet sich der Name aus *In- + *wirkjo- ,der gewaltig wirken-
de1; vgl. aber Francovich Onesti 1999, S. 232, wo folgende (wohl eher unwahr-
scheinliche) Deutung vorgeschlagen wird: *In- + *pwerha- ,quer, köhlerisch1 (vgl.
got. pwairhs, ags. pwerh).
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Summary
Germ, /w/ in Langobardic Personal Names until 774. Grapho-
phonetic Considerations, Diatopy and Diachrony of Variants
There are no textual remains of the language of the Langobards, who were led
to northern Italy by King Alboin in 568. Therefore, importance needs to be
given to those appellatives found in Latin texts, particularly the numerous
personal names. From the 8th century onward the process of the Langobards’
444
assimilation to their Romance environment is reflected in the increasing
number of hybrid names within the Langobardic territories of Italy. The
degree of acculturation is evident both in the phonology and the morphology
as well as the semantics of the names.
There are several phonetic-phonological phenomena, which reflect the
degree of the Langobards’ acculturation and assimilation showing the extent
of Germanic-Romance interference. One of these is the grapho-phonetic re-
presentation - in particular the preservation or transformation - of Germ, /w/
in Langobardic anthroponyms until 774. Germ, /w/ is usually preserved both
in lexis and in personal names. However, it can also undergo a process of
Romanization, from which the form <gu> can result. In addition, Germ, /w/
can be found in various other forms depending on its position within a word,
e.g. when it is the initial sound in the second part of compound names, it tends
to acquire vocalic quality. A sound inquiry into the grapho-phonetic represen-
tation of the half-vowel /w/, which takes into account the diatopic distribution
and the chronology of the respective sources, is likely to yield a more diffe-
rentiated assessment of this phenomenon. The following study thus examines
the various spellings of Germ, /w/ in relation to its different positions - initial
position or initial sound in the second part of compound names. Further
criteria are the chronology of the sources and their geographical distribution.
The study is mainly based on the records contained in the Codice Diplomatico
Longobardo.
445
Christa Jochum-Godglück
,Woir und ,Bär‘ in germanischer und romanischer
Personennamengebung
Das hier behandelte Thema gehört in den Rahmen des Forschungsprojektes
,Onomastik und Akkulturation‘, das an der Universität des Saarlandes unter
der Leitung von Wolfgang Haubrichs betrieben wird. Der präzisierende
Untertitel des Projekts steckt bereits die Aufgabenstellung sowie Unter-
suchungsräume und Zeitstellung ab: ,Die Entwicklung der Namengebung,
ihrer Semantik und Motivation in der Begegnung von Christentum, Imperium
und barbarischen gentes zwischen Spätantike und frühem Mittelalter1.1
Das Projekt nimmt seinen Ausgangspunkt bei einer historischen Merkwür-
digkeit: Anders als in fast allen kulturellen Bereichen, in denen sich im Verlauf
von Spätantike und frühem Mittelalter in großen Teilen des römischen
Imperiums auch römisch-lateinische Traditionen durchsetzen konnten,2 3 ist dies
gerade für den Bereich der Namengebung nicht der Fall. Die römische
Namengebung hatte sich - abweichend von den benachbarten indogerma-
nischen Namensystemen - zu einem dreigliedrigen Namenformular mit dem
Familiennamen als Kern, vorangestelltem Praenomen mit Differenzierungs-
funktion innerhalb der Familie und nachgestelltem Cognomen, zumeist einem
persönlichen Beinamen, hin entwickelt (z.B. Publius Cornelius Scipio). In der
Kaiserzeit löste sich das System der tria nomina aus einer Vielzahl von Gründen
allmählich auf: Als erstes geriet das Praenomen außer Gebrauch, dann das
Gentilizium. Funktionale Konkurrenz hatte das verbleibende Cognomen mit
dem ab dem 2. nachchristlichen Jahrhundert aufkommenden Supemomen oder
Signum erhalten, das mit einer qui/quae e/-Formel ,der/die auch [...] heißt4
(bzw. signo ... ,mit Signum ...‘) dem alten Namen folgte und dann zunehmend
an dessen Stelle trat. ' Mit dem Wiedererreichen der archaischen Einnamigkeit
etwa in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts war auch der Gleichstand mit dem
germanischen und mit anderen aus römischer Perspektive barbarischen Namen-
1 Das Projekt ist Teil des DFG-Schwerpunktprogramms 1173 ,Integration und
Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter4. - Abkürzungen: Adj. =
Adjektiv; ae. = altenglisch; ahd. = althochdeutsch; anord. = altnordisch; F. =
Femininum; germ. = germanisch; lat. = lateinisch; M. = maskulinum; N. =
Neutrum.
2 Vgl. z.B. für die Bereiche Recht, Religion, Technik überblickshaft Melville/Staub
2008, passim.
3 Zum römischen Namensystem vgl. aus philologischer Perspektive Kajanto 1977;
Rix 1972; Rix 1995; Salomies 1987; Solin 1977; Solin 2002; Solin 2003, aus
historischer Sicht Doer 1937, S. 7ff.; Mitterauer 1993, S. 30fF.; Castritius 1997; eine
knappe Darstellung auch bei Jochum-Godglück/Schorr 2008, S. 378f.
447
Systemen erreicht, die traditionell einnamig waren - womit eine wesentliche
Voraussetzung für Begegnung und Austausch der beiden Namensysteme
gegeben war.4 * 6 Mit der allmählichen Öffnung der romanischen Namengebung in
spätantiker Zeit für Aspekte der Bedeutung waren dann die Bedingungen für
diesen Austausch mit dem von Beginn an semantisch geladenen und für die
Namenspender und -träger transparenten germanischen Namensystem, das
schließlich mit überraschender Deutlichkeit dominierte, noch weiter verbessert
worden. Überhaupt wird man von einer ,Erfolgsgeschichte1 des germanischen
Namensystems sprechen können, denn um das Jahr 800 sind etwa 80 bis 90%
aller Personennamen im westlichen und mittleren Europa germanische Namen,
wenn auch regional große Unterschiede bestehen."
Ziel des Projekts ist nun die Untersuchung aller sprachlichen Phänomene,
die sich aus dem Aufeinandertreffen des römischen und des germanischen Na-
mensystems in Spätantike und frühem Mittelalter ergeben haben. Hierzu
gehören zum einen Prozesse der Desintegration, der Abgrenzung und des
Schwundes. Zum anderen sind es alle Erscheinungen lautlicher, morpholo-
gischer und lexikalisch-semantischer Art, die aus den Kontakten der beiden
Namensysteme resultieren und die in ihren zeitlichen, räumlichen und
funktionalen Dimensionen darzustellen sind. Untersuchungsgebiet sind die
Begegnungsräume der spätantiken-römischen Zivilisation und der gentilen
Gesellschaften zunächst von Nord- und Mittelitalien, der Gallia sowie den
Rheinlanden, der Donau- und der Alpenregion; die Iberische Halbinsel wird
vergleichend mit berücksichtigt. Wichtigste Materialgrundlage hierzu ist die
Datenbank des von Historikern und Philologen gemeinsam getragenen, inter-
disziplinären Unternehmens ,Nomen et gensf Dieses sammelt die Perso-
nennamen der germanischen Völker und Reiche der Völkerwanderungszeit und
des frühen Mittelalters, also der Zeit des beginnenden 4. Jahrhunderts bis um
die Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert, aus den rechtsrheinischen Gebieten des
fränkischen Reiches sowie aus Gallo-, Ibero- und Italoromania. Die Daten-
bank, die ihre Belege vor allem aus Urkunden, erzählenden Quellen wie Heili-
genviten und historiographischen Werken, Polyptycha, Nekrologien und
Mönchslisten schöpft, enthält inzwischen rund 60.000 Belege.1’ Daneben
wurden die einschlägigen Repertorien germanischer Personennamen heran-
gezogen, die auch die Namen außerhalb des Kontinents berücksichtigen und
4 Zum germanischen Namensystem vgl. Schramm 1957; Greule 1996; Sonderegger
1997; Haubrichs 2009, S. 196ff; eine knappe Darstellung auch bei Jochum-
Godglück/Schorr 2008, S. 375ff.
Vgl. Haubrichs 2004d, S. 85ff; Haubrichs 2008, passim.
6 Zu Datenbank und Forschungsprojekt vgl. Geuenich 2002; Geuenich/Haubrichs/
Jamut 2002; Hägermann/Haubrichs/Jamut 2004; Goetz/Haubrichs 2005; Geuenich/
Runde 2006; Kettemann/Jochum-Godglück 2009.
448
zudem teilweise über die Zeitstellung des Projekts hinausreichen.7 Ergänzend
und vergleichend zu den in Form schriftlicher Quellen überlieferten Personen-
namen werden zudem inschriftlich, vorwiegend auf Stein, aber auch auf Mün-
zen überlieferte Namen mit berücksichtigt.s
Das hier behandelte Thema gehört nun in den Bereich der Begegnung und
ihrer Folgen bei romanischer und germanischer Namengebung auf dem Gebiet
der Semantik. Zunächst muss es also um Beschreibung und Vergleich der
semantischen Felder der beiden Namensysteme gehen. Aus welchen sprach-
lichen Reservoirs haben die beiden Namensysteme geschöpft? Sind diese
weitgehend unterschiedlich - wie dies etwa für die der kriegerischen Sphäre
entstammenden Namen der Fall ist, die im germanischen Namensystem
überaus häufig sind, im romanischen aber weitgehend fehlen4 - oder ergeben
sich semantische Berührungsfelder mit hoher Schnittmenge? Und wenn ja:
Sind dies parallele, aber eigentlich unabhängig voneinander entstandene,
zufällige Entwicklungen oder liegen hier gegenseitige Beeinflussungen vor?
Eine dieser semantischen Überschneidungen1" ergibt sich aus der Tatsache,
Vgl. v.a. Förstemann 1900; Kaufmann 1968; Reichert 1987; Nedoma/Reichert 1990;
Morlet 1971/1972; Bruckner 1895; Francovich Onesti 1999; Francovich Onesti
2002; Piel/Kremer 1976 u.a.m.
* Zu deren grundsätzlicher Relevanz für die Onomastik vgl. Flaubrichs 2006b, S.
293f. Für steininschriftlich überlieferte Namen berücksichtigt wurden das
Onomasticon provinciarum Europae Latinarum (OPEL) 1994/2002, v.a. die
epigraphischen Arbeiten fur die Rheinlande und das Moselgebiet (Boppert 1971;
Merten 1990; Monsees 2000; Schmitz 2001; Nikitsch 2004), für die Gallia
(Gauthier 1975; Descombes 1985; Prévôt 1997), die Schweiz (Corpus
inscriptionum meäii aevi Helvetiae 1977/1997) und für Italien (Rugo 1974/1980).
Genutzt werden auch die Epigrafik Datenbank Clauss - Slaby: http://compute-
in.ku-eichstaett.de:8888/pls/epigr/epiergebnis_de; die Epigrapische Datenbank
Heidelberg: http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/adw/edh/index.html .de;
die Datenbank für Steindenkmäler der Archäologischen Gesellschaft Wiener Stadt-
archäologie: http://www. ubi-erat-lupa.org/site/index. asp?show=menue/dummy_
abfrage.shtml; die Epigraphische Datenbank Bari: http://www.edb.uniba.it/find.php;
die Epicrafic Database Roma: http://www.edr-edr.it/index it.html. Für die
merowingischen Namen auf Monetarmünzen aus dem Bestand der Bibliothèque
nationale de France vgl. Felder 2003, aus diesem Bestand für das Gebiet der
Schweiz auch Geiger 1979.
Diejenigen Elemente germanischer Personennamen, die - z.T. sehr variationsreich -
Aspekte von violentia und potestas thematisieren, gehören v.a. den semantischen
Feldern ,Kampf, ,Heer/Krieger1, Eigenschaften von Kriegenf, ,Waffen1,
.adeliges Selbstverständnis* *, .Macht* und .Herrschaft* an. Zu den insgesamt
wenigen Namen, die im römischen Namensystem, dort zumeist als Cognomina, auf
kriegerische Eigenschaften und Ideale Bezug nehmen, zählen etwa Pollens, Röbustus,
Agilis, Vëlôx und - stark verbreitet - Victor. Vgl. Jochum-Godglück/Schorr 2008, S.
375ff. Vgl. auch weiter unten mit Anm. 38.
10 Ein weiterer, jedoch weitaus weniger frequenter Bereich mit deutlicher Abhängig-
449
dass in beiden Systemen gerne die Bezeichnungen für Tiere zur Bildung von
Personennamen verwendet wurden. Bevorzugt sind es die Begriffe für starke,
kraftvolle, unberechenbare Tiere. Am Beispiel zweier solcher ,willder Tiere\
nämlich Wolf und Bär hier und Lupus und Ursus dort, sollen im Folgenden
Räume und Formen der Begegnung der mit diesen gebildeten Personennamen
skizziert und mögliche Abhängigkeiten geklärt werden.
Unter den germanischen theriophoren Personennamen* 11 12 13 sind Bildungen mit
der Bezeichnung für den Wolf am häufigsten. Germ. *wulfa-z M., das für
mehrere indogermanische Sprachen als Personennamenelement nachgewiesen
ist (z.B. altindisch Vrkala, Vrkaajina, griechisch Avicav&og, AvKopr/9rjg,
tschechisch Vlk, Vlkimir, slowenisch Vlkonja, polnisch Suchowilk),1 kann
auch innerhalb des germanischen Namensystems als eines der produktivsten
und häufigsten Bildungselemente gelten.1' Die ,Nomen-et-gens‘-Datenbank
mit ihrem vorwiegend westgermanischen Material enthält rund 28014 mit dem
Element *wulfa-z gebildete Namen, und diese bilden ca. 3,7% des Gesamt-
bestandes der Belege.15 Es gibt kaum ein Namenelement, mit dem *wulfa-z
nicht als Zweitelement zu einem Kompositum Zusammentritt:16 * Häufig sind
etwa Zusammensetzungen mit den Elementen germ. *hardu-z Adj. ,hart',
keit germanischer Namenbildungen von römischen Personennamen sind religiös
motivierte Namen. Romanische theophore Bildungen entstammen dem Kontext der
Ausbreitung des Christentums und seiner Etablierung als Staatsreligion im
weströmischen Reich. Namen wie Dominicus ,der dem Herrn Gehörige',
Deusdedit, Quodvultdeus und Adeodatus ,der von Gott Gegebene' haben dann im
Germanischen sicherlich zu Bildungen mit *gupa-z/guda-z M. ,Gott' und v.a. den
Zweitelementen *pewa-z M. ,Diener' oder *skalka-z M. .Knecht' (z.B. a. 747/88
Godescalk ,Gottesdiener') beigetragen. Vgl. Haubrichs 2004b, S. 414f.; Haubrichs
2006a, S. 160.
11 Grundlegend zu dem Namentypus Müller 1968, v.a. 1970.
12 Vgl. Müller 1970, S. 4, S. 112; McCone 1987, passim.
13 Vgl. Förstemann 1900, Sp. 1639fif.; Müller 1970, S. 4ff.; Geuenich 1976, S. 27 (für
das Material des Klosters Fulda); Wagner 2004, S. 250.
14 Förstemann 1900, Sp. 1639ff. listet rund 470 Namen mit dem Element *wulfa-z auf,
was im Wesentlichen auf den weit nach 800 hinaufreichenden Zeithorizont der
Belegaufnahme zurückzuführen ist.
!S Ausdrücklich ist darauf zu verweisen, dass sich die Angaben zur Frequenz von
Namen und Namenelementen vorerst auf die in der Datenbank bislang vorhandenen
Einzelbelege beziehen müssen und entsprechend vorläufig sind. Die Zuweisung der
urkundlichen Erwähnungen zu Personen, die zu differenzierteren statistischen
Aussagen fuhren wird, ist eines der Ziele des Forschungsprojekts ,Nomen et gens'.
16 Vgl. die Übersichten bei Förstemann 1900, Sp. 1640ff; Müller 1970, S. 138ff.,
sowie die Ergebnisse der ,Nomen et gens'-Datenbank.
450
germ. *agi-z M. ,Furcht, Schrecken1,1' germ. *walda-z N. ,Macht1, als Nomen
agentis auch ,Herrscher1 bzw. Adj. ,mächtig1 oder germ. redi-z M. ,Raf.
Hingegen sind nur wenige Personen mit dem Namen *haifsti-wulfa-z (mit
germ. *haifsti-z F. ,Streit, Anstrengung1) bezeugt, wovon der bekannteste der
Langobardenkönig Aistulf (Regierungszeit 749-756) ist.1 s Selten sind auch
*hulta-wulfa-z (mit germ. *hulta-n N. ,Holz, Wald1)1' oder *swarta-wulfa-z
(mit germ. *swarta-z Adj. ,schwarz1).20 Und nur einmal belegt ist Ende des 7.
Jahrhunderts ein Laulfus21 mit germ. *lagu-z M. ,der/die See, Wasser1 als
Erstelement,* 19 * 21 22 23 24 * * und auch nur im Reichenauer Verbrüderungsbuch nachzu-
weisen ist Gailulfus23 mit germ. *gaila-z Adj. ,lustig, üppig1. Auch Bildungen
mit *wulfa-z als Erstelement sind sehr zahlreich: 4 Hier sind stark vertretene
Komposita etwa *wulfa-berhta-z (zu germ. *berhta-z Adj. ,glänzend, be-
rühmt1) oder *wulfa-ganga-z (zu germ. *ganga- M./N. ,Gang1).2:1 Komposita
mit *wulfa-z als Zweitelement sind in unserem Datenmaterial viermal häufiger
als solche mit dem ,WolP als Erstelement, wobei einzelsprachlich und je nach
Quelle starke Unterschiede bestehen.“*’ Im Vergleich zu den Komposita
1 Zu dem Namenelement vgl. Jochum-Godglück 2005. Zu den frühesten sicheren
Elementen für das Namenelement *agi-z zählt bezeichnenderweise der Name Agiul-
fus, der bei Hydatius für Mitte des 5. Jahrhunderts als Gote in Sevilla genannt wird.
Is Vgl. Jochum-Godglück [im Druck b]. Vgl. auch Anm. 39.
19 Belege bei Förstemann 1900, Sp. 927.
2(1 Belege bei Förstemann 1900, Sp. 1379.
21 Beleg bei Reichert 1987, S. 459.
22 Zum Namen vgl. Wagner 2000b, S. 382.
23 Das Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau, fol. 131A3+. - Weitere Beispiele für
seltene oder nur einmal nachgewiesene Komposita mit *wulfa-z als Zweitelement
bei Wagner 2004, S. 250ff.
24 Vgl. Förstemann 1900, Sp. 1639ff., Sp. 1646ff; Müller 1970, S. 4ff; Geuenich
1976, S. 27; Wagner 2004, S. 250.
22 Vgl. Förstemann 1900, Sp. I646f., Sp. 1649; Müller 1970, S. 7. Zu weiteren
Namenelementen aus dem semantischen Bereich von ,Kampf und Krieg1, die
häufig mit *wulfa-z Komposita bilden, vgl. weiter unten mit Anm. 38ff.
2h Im Polyptychon von St.-Remi aus Reims aus dem 9. Jahrhundert liegt der Anteil der
Personennamen mit *wulfa-z als Erstelement zu denen mit *wulfa-z als Zweit-
element mit dem Verhältnis 1:3 etwas höher. Felder 2003, S. 357, stellte für sein
Untersuchungskorpus, die merowingischen Münzen der Bibliothèque nationale de
France, nur wenige Komposita mit *wulfa-z als Erstelement fest. Auch für die
Langobardia ist der Anteil der Namen mit *wulfa-z als Erstelement auffällig niedrig
(vgl. Morlicchio 1985, S. 152). Zum Verhältnis der Namen mit *wulfa-z als Erst-
oder Zweitelement im Westgermanischen vgl. auch Müller 1970, S. 7.
451
weniger frequent sind eingliedrige Kurznamen (die stark flektierte Form Wulf,
Wolf und ihre «-stämmige Variante Wulfo, Wolfo) sowie Suffixbildungcn (z.B.
Wulfilo, got, Wulfila)1 Gelegentlich wurden zur Bezeichnung des Wolfes in
Namen auch Hüllnamen mit Elementen wie germ. *hunda-z M, .Hund" und
germ. *widu-z M. .Wald1 in Kombination mit Namenelementen wie *ganga-
gebildet.'3
Der .Bär1 in Namen begegnet gewissermaßen in verschiedenem Fell.
Neben germ. *berön M. (ahd. bero) gab es im Germanischen zur Bezeichnung
des Bären auch als Variante die //-stämmige Erweiterung germ. *bernu-z M.,
zunächst ein verhüllender Deckname mit der Bedeutung ,der Braune1.24 Als
weiterer Tabuname konnte sich, nachdem die ursprüngliche Bedeutung von
*berön/*bernu-z nicht mehr durchsichtig war, eine Substantivbildung zu dem
Adjektiv germ. *brüna-z .braun, glänzend1 (ahd. brün) ausbilden.30 Möglich
sind hier Interferenzen in der schriftlichen Überlieferung zu Namen mit dem
Element germ. *brunjön F. (ahd. brunna) .Brustpanzer, Brünne1. In der Regel
sind zweigliedrige Personennamen mit Fugenvokal zu *brunjön zu stellen
(z.B. Brunichildis, die Gattin König Sigiberts I.).* 28 29 30 31 * Namenbildungen mit
*brüna-z sind nicht sicher vor Beginn des 8. Jahrhunderts belegt. ’" Mit ,Bär‘
gebildete Namen stellen in unserem Datenmaterial etwa ein Viertel der mit
.Wolf komponierten, liegen aber in der Beliebtheitsskala theriophorer Namen
insgesamt gleich hinter den IFo//üNamen. Komposita mit *berört als Erst-
element sind im 677. Jahrhundert stark verbreitet, solche mit *bernu-z
scheinen zumindest regional etwas später produktiv geworden zu sein.33 34
Häufig sind Komposita mit den Elementen *walda-z, *hardu-z und *harja-z.
Als Zweitelement spielen *beröu bzw. *bernu-z keine große Rolle.'4 Die
Simplizia *berön und *bernön sind recht gut vertreten, mehrheitlich aber nicht
Vgl. Förstemann 1900 Sp. 1643f.; Morlet 1971, S. 231; Müller 1970, S. 7f.;
Datenbank .Nomen et gens1.
28 Vgl. Schramm 1957, S. 82f.; Müller 1970, S. 69ff. Beispiele für *widu-merja-z
(germ. *merja-z .berühmt1) ,der Waldberühmte1 im Burgundischen und Gotischen
nennt Haubrichs [im Druck],
29 Vgl. Lloyd/Springer 1988, Sp. 563ff.; Kluge 1995, S. 79f.
30 Vgl. Schramm 1957, S. 170; Lloyd/Lühr/Springer 1998, Sp. 37ff.
31 Vgl. Jochum-Godglück 2006, S. 63.
Vgl. Förstemann 1900, Sp. 338ff.; Datenbank ,Nomen et gens‘. Bei Reichert 1987
fehlen sie.
33 Vgl. Felder 2003, S. 91 für Gallien.
34 So die Abfragergebnisse der ,Nomen et gens1-Datenbank. Vgl. auch Müller 1970,
S. 15f; Felder 2003, S. 91.
452
sehr früh zu datieren.35 36
Die vielfältigen theriophoren Namenbildungen stellen unter den germa-
nischen Anthroponymen insgesamt eine beachtlich große Gruppe dar. Gerade
die Verwendung der Bezeichnungen für starke, aggressive Raubtiere wie
Wolf, Bär, Löwe36, weniger häufig auch Eber usw. in Namen schien beson-
ders geeignet, dem Wunsch des Menschen nach Identifizierung mit be-
stimmten Tieren und deren positiv besetzten Eigenschaften Ausdruck zu ver-
leihen und damit mentale Unterstützung für eine kriegerisch orientierte Ge-
sellschaft zu bieten: „So pflegen auch die Barbarenvölker ihren Kindern
Namen von wilden Tieren, Raubvögeln und anderen Bestien zu geben, die mit
Zerstörung zu tun haben, da sie es für ehrenvoll halten, solche Kinder zu
haben, die kriegstüchtig und blutdurstig sind“, heißt es im Opus imperfectum
in Matthaeum eines unbekannten Autors des 5./6. Jahrhunderts.3 Dass die mit
bestimmten Tierbezeichnungen gebildeten Namen von deren Trägem und
auch denen, die die Namen vergaben, als ,Kriegernamen" verstanden wurden,
belegen zudem die auffällig zahlreichen Komposita aus Tierbezeichnungen
und Elementen aus den Wortfeld ,Kampf und Krieg"38: z.B. Hildulfus,
Gundulfus, beide mit der Bedeutung ,Kampf-Wolf, ,im Kampf bewährter
Wolfs-Krieger", Hildibern und Gundbern mit der Bedeutung ,Kampf-Bär",39 *
Gerwulf,Speer-Wolf und Gerbern ,Speer-Bär‘,4<l Brandolf,Schwert-Wolf,'41
35 Vgl. Müller 1970, S. 16. Die ,Nomen et gens"-Datenbank enthält kaum Belege vor
dem 8. Jahrhundert,
Zu romanischen und germanischen Personennamen mit der Bezeichnung für den
Löwen vgl. Jochum-Godglück [im Druck a],
'7 Sicut so ¡ent et barbarae gentes nomina filiis imponere ad devastationem
respicientia bestiarum, ferarum, vel rapacium volucrum, gloriosum putantes filios
tales habere, ad bellum idoneos, et insanientes in sanguinem. Quelle zitiert bei
Müller 1970, S. 178.
38 Die germanischen Personennamen lassen sich im Wesentlichen vier Wortfeldern
zuordnen. Neben ,Kampf und Krieg" sind dies ,Macht, Herrschaft und Gesell-
schaft", ,Werte und Ethos" sowie ,Mythos und Kult". Zur Typologie vgl. Sonder-
egger 1997, S. 14f.; Haubrichs 2004c, S. 179f.; Haubrichs 2009, S. 196ff. Vgl. auch
weiter oben mit Anm. 9.
39 Die wichtigsten, semantisch eng verwandten Namenelemente zur Bezeichnung
kriegerischer Handlungen sind germ. *hildi-z F., *gunp- F., *wiga- N. (in Namen-
zweitelementen auch als Nomen agentis *wiga-z M. mit der Bedeutung ,Krieger"
gedeutet), hapu- M. FJ*hadu- M. und badu~ M. (in Namcnzweitelementen auch als
Nomen agentis *badwa-z ,Krieger" gedeutet)/*6ac/wö F. Alleine die mit diesen
Namenelementen gebildeten Personennamen machen 7% der in der Datenbank
,Nomen et gens" enthaltenen Namenbelege aus. Vgl. Jochum-Godglück/Schorr
2008, S. 381 ff. Von ähnlicher Bedeutung, aber seinem Vorkommen nach selten ist
das Element *haifsti-z. Vgl. Jochum-Godglück [im Druck b],
411 Germ. *gaiza-z M. ,Speer" (ahd. ger) ist mit 2,6 % der Belege aus der ,Nomen et
453
Schiltolf ,Schild-Wolf,4“ Helmolf ,Helm-Wolf,43 Wolfhari ,Wolf-Krieger‘
und Berher , Bär-Krieger'41 * 43 44 * 46 usw. Die enge semantische Nähe zwischen
Namenkomposita mit gunp- und dem Zweitelement *harja-z zu solchen mit
*wulfa-z und *berön/*bernu-z als Zweitelement formulierte jüngst Norbert
Wagner: „Neben Guntheri treten Gundolf und Gundbern. Mit ihren Zweitglie-
dem ,Wolf und ,Bär' variieren sie lediglich dessen Zweitglied ,Krieger,
Kämpfer4, indem sie ihn unter dem Bild kampfstarker Tiere sehen, ihn mit
ihnen vergleichen und gleichstellen. Die Apellativa güdwulf hildewulf wTg-
xvulf sowie güpbeorn, alles Umschreibungen in der altenglischen Heldenepik
für den Krieger, für Guntheri und Wigheri, sind die genauen Entsprechungen
jener Personennamen. Dichtung und Personennamengebung berühren sich
hier.“43
Die Anzahl derjenigen Elemente, die sowohl mit *wulfa-z als auch mit
*berön/*bernu-z zu Namenkomposita zusammentreten, ist hoch. Gleichwohl
gibt es Namenelemente, die in Kombination mit *wulfa-z häufig, mit
*berön/*bernu-z eher selten sind. Hierzu zählen etwa Bildungen mit germ.
*agi-z M. ,Furcht, Schrecken', mit /-Erweiterung *agila-z. Ob sich hieraus
aber auf eine sich in Namen abgebildete, ambivalente Sichtweise vom Wolf
schließen lässt, in die sich neben seinen vorbildhaften Eigenschaften wie
Kraft, Stärke etc. auch Furcht einflößende und Abscheu erregende Aspekte
mischten, während der Bär aufgrund seiner physischen Überlegenheit zwar
einerseits Schrecken auslöste, andererseits aber auch eine höhere kultische
Verehrung genoss,4<1 ist fraglich. Auch der ,Schreckens-Wolf war nicht
gens'-Datenbank die häufigste und vielleicht auch bekannteste Bezeichnung für
eine germanische Waffe. *Gaiza- ist als Erst- und Zweitelement gebräuchlich,
gemeingermanisch verbreitet und spätestens ab dem Anfang des 4. Jahrhunderts
nachzuweisen. Vgl. Jochum-Godglück/Schorr 2008, S. 386.
41 Germ. *branda-z M., das in Personennamen die Klinge eines Schwertes, die mit
einer lodernden Flamme verglichen wird, bezeichnet, war vor allem als
Zweitelement produktiv. Im Langobardischen war das Namenelement besonders
stark verbreitet. Vgl. Jochum-Godglück/Schorr 2008, S. 377 und S. 387.
4' Germ. *skeldu-z M. ,Schild' ist in nur wenigen Namen nachzuweisen. Vgl.
Jochum-Godglück 2006, S. 62.
43 Germ. *helma-z M. ,Helm‘ ist sowohl als Erst- wie auch als Zweitelement von
Personennamen gut vertreten. Vgl. Jochum-Godglück 2006, S. 63.
44 Zur Interpretation des Namenelements germ. *harja-z M. als Nomen agentis mit der
Bedeutung ,Kämpfer, Krieger' vgl. Wagner 2008; ebenso Jochum-Godglück 2005;
Jochum-Godglück/Schorr 2008, S. 383.
4-1 Wagner 2008, S. 16lf. (Hervorhebungen beim Autor). Vgl. auch bereits Schramm
1957, S. 78ff.
46 So Müller 1970, S. 143ff
454
negativ konnotiert, sondern bot sich als Identifikationsfigur in einer Gesell-
schaft geradezu an, die von kriegerischen Lebensentwürfen mit entsprechend
kämpferisch orientierten Vorbildern durchdrungen war. Dass Bär und Wolf in
der frühmittelalterlichen Vorstellungswelt als Symbole durchaus gleichwertig
verwendet wurden, zeigt etwa die Fredegar-Chronik des 7. Jahrhunderts bei
der Schilderung der Visionen König Childerichs. Dieser erblickte nachein-
ander Löwen, Leoparden und Einhörner, dann Bären und Löwen und schließ-
lich Hunde, was von Basina, der Frau Childerichs, als metaphorisches Omen
für den sukzessiven Abstieg des Königsgeschlechtes interpretiert wird:
Während Childerichs Sohn Chlodwig als das Idealbild des kriegerischen Herr-
schers mit dem ,König der Tiere4, dem Löwen, assoziiert wird, entsprechen
seine Enkel den hierarchisch untergeordneten, ihrer Wertigkeit nach jedoch
ähnlich eingestuften Tieren Bär und Wolf: Deinde generantur ex Ulis qui
ursus et lupis fortidudinem et voracitatem eorum similabunt47
Eine vorwiegend im Westgermanischen vorkommende, aber recht umfang-
reiche Sondergruppe unter den theriophoren Komposita machen die bitherio-
phoren, mit zwei Tiemamen komponierten Namen aus, die insbesondere die
Elemente ,Wolf und ,Bär‘ häufig verwenden. Wiederum ist es das Element
*wulfa-z, das sehr kompositionsfähig ist und mit zahlreichen Bezeichnungen
für Tiere einen Namen bildet: Häufig sind Verbindungen mit dem Raben
(germ. *hrabna-z M.) und dem Adler (germ. *arnu~z M.). Ebenfalls häufig
sind Komposita aus den beiden theriophoren Elementen ,Wolf und ,Bär‘,
wobei beide sowohl als Grund- wie als Bestimmungswort fungieren können.
Letztere sowie *arnu-wulfa-z und *ebura-wulfa-z (zu germ. ebura-z M.
,Eber‘) sind gemeingermanisch bezeugt und gehören zur ältesten Schicht
theriophorer Komposita.4* Solche Bildungen sind wohl als Ausdruck der
Intensivierung des Identifikationswunsches mit einem potenten Kampftier zu
deuten.49
Ihr semantisches Gegenstück haben theoriophore Bildungen mit ,Wolf und
,Bär4 in den romanischen Namen Lupus und Ursus und deren variationsrei-
chen Diminutiven und Suffix-Ableitungen wie Lupulus, Lupio, Lupulanus,
Lupulinius, Lupercilla, Lupolina, Ursulus, Ursilla, Ursiculus, Ursicinus,
Ursatius usw. Solche Namen sind v.a. inschriftlich, und zwar mehrheitlich als
Cognomina, ab dem 1. vorchristlichen Jahrhundert in fast allen Teilen des
römischen Reiches nachzuweisen.50 Die Beliebtheit der Bezeichnungen für
47 Fredegarii et aliorum Chronica, liber III, cap. 12, S. 97.
48 Vgl. Müller 1970, S. 162ff.
49 Vgl. Müller 1970, S. 168f; Beck 1986, S. 303.
50 Belege bei Schulze 1904; Solin/Salomies 1988, passim; Onomasticon provinciarum
Europae Latinarum (OPEL) 1994/2002; http://www.uni-heidelberg.de/institute/
sonst/adw/edh/index.html.de; http://www.ubi-erat-lupa.org/site/index.asp?show=
menue/dummy abfrage.shtml; die Hispania Epigraphica: http://www.ubi-erat-
455
,wilde Tiere1 auch bei der innerfamiliären Namenvergabe zeigen etwa
Beispiele wie die im Noricum grabinschriftlich für das 2. Jahrhundert tradier-
ten Namen des Ursicinus und seines Vaters Ursusdie ebenfalls in das 2.
Jahrhunderte datierende, aus Ligurien stammende Weiheinschrift der Manilia
Lupa und ihrer beiden Söhne Lupus und Ursus für den verstorbenen Ehemann
und einen weiteren Sohn,'' die auf einer Weiheinschrift des 1. Drittels des 3.
Jahrhunderts aus der Provinz Dalmatia überlieferte Septimia Ursina und ihrer
Tochter Lupula* 51 * 53 54 55 56, oder die Brüder Ursus, Aper und Lupus einer Grabinschrift
aus Volterra in der Toscana'4 und andere mehr. Hier zeichnet sich bereits der
durch Transparenz und Gebrauch der Appellative Lupus und Ursus begünstig-
te, allmähliche Übergang zur zunehmend auch sozialen Bedeutung der ent-
sprechenden Namen ab, indem durch Variation und Nachbenennung familiäre
Bindungen ausgedrückt werden können.
Vor allem ab dem 6. Jahrhundert wurde nun für Mittel- und Westeuropa
sowie für Norditalien ein erheblicher Anstieg der Lupo- und Urso-Namen
notiert - dies sowohl in der schriftlichen Überlieferung wie in inschriftlichen
Quellen'-' - was allerdings, zumindest was den Umfang der Namenbildungen
anbelangt, nicht unwidersprochen blieb. Einer der Gründe für diese unter-
schiedliche Beurteilung dürfte darin liegen, dass Lwpo-Bildungen gelegentlich
mit solchen Namen, die mit dem germanischen Element *leuba-z Adj. ,lieb‘
komponiert sind, interferieren können, da der Diphthong [eu] im Romanischen
auch zu [u] vereinfacht werden konnte.'6 U.a. von Wilhelm Bruckner und
lupa.austrogate.at/ hispep/public/index.php; http://www.edb.uniba.it/find.php;
http://www.edr-edr.it/index it.html; (vgl. Anm. 8).
51 http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/adw/edh/index.html.de, Nr. HD038924
(vgl. Anm. 8), gesehen am 29.6.2008.
''2 http://www.edr-edr.it/index_it.html, Nr. EDRO10635 (vgl. Anm. 8), gesehen am
13.8.2008.
http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/adw/edh/index.html.de, Nr. HD042304
(vgl. Anm. 8), gesehen am 29.6.2008.
54 CIL XI,1 Nr. 1777.
55 Vgl. Meyer-Lübke 1905/1917, TI. 1, S. 65f.; Jud 1907, S. 56; Morlet 1972, S. 72, S.
113; Gauthier 1975, S. 89ff. und passim (für die Provinz Belgica Prima); Haubrichs
1998, S. 387f.; Haubrichs 2001, S. 171 (für die Provinz Belgica Prima, das
Mittelrheingebiet und die nördlichen Rhein- und Maaslande); Haubrichs 2006a, S.
418, S. 455f. und passim (für die Provinz Raetia II und das westliche Noricum; mit
Belegen vorwiegend des 879. Jahrhunderts und Rückschluss auf ältere
Verhältnisse); Arcamone 1985, v.a. S. 135ff.; Morlicchio 1985, S. 150ff. (für die
Langobardia). - Für deren Erhebung vgl. auch die Datenbank .Nomen et gens‘
sowie die Literatur zu inschriftlich überlieferten Belegen unter Anm. 8.
56 Kaufmann 1968, S. 230; Piel/Kremer 1976, Nr. 169 S. 193ff.; Kremer 2008, S.
37 lf.; Haubrichs 2009, S. 218.
456
Emst Förstemann wurden auch sicher mit Lupo- gebildete Namen unter das
Element *leuba-z bzw. *lub- subsumiert, und lediglich für einen viel zu
geringen Anteil eine romanische Bildung in Erwägung gezogen;57 dies gilt
besonders, wenn es sich um /?-Schreibungen handelt, für die nur für den
bairisch/alemannischen Raum die Medienverschiebung veranschlagt werden
kann. Von Förstemann wurde zudem lediglich ein kleiner Teil der Urso-Na-
men als romanisch beurteilt, die große Masse aber als Nebenform zu dem ger-
manischen Stamm *hrussan N. , Ross4 gestellt.58 Die gleichwohl zu konsta-
tierende Zunahme der mit Lupo- und Urso- gebildeten Namen v.a. ab dem 6.
Jahrhundert wird auch durch die Datenbank ,Nomen et gens‘ bestätigt. In
unserem Material, das im Wesentlichen ab Beginn des 4. Jahrhunderts
einsetzt, übertrifft die Anzahl der Urso-Be lege insgesamt diejenigen der mit
Lupo- gebildeten. Während die Lupo-Belege etwa 10% der Bildungen mit
,Wolf ausmachen, sind es bei den DTso-Belegen sogar 40% gegenüber den-
jenigen mit ,Bär\ Belege mit Drso-Bildungen sind im 4. und 5. Jahrhundert
im Untersuchungsraum eher spärlich vertreten59 und vermehren sich ab dem 6.
Jahrhundert erheblich. Für die mit Lupo- gebildeten Namenbelege sieht der
Befund ähnlich aus, allerdings setzt der Anstieg der Belege etwas früher, in
der 2. Flälfte des 5. Jahrhunderts, ein. Vergleichbar fallt der Befund bei den
inschriftlich überlieferten Namen aus, wenn auch regionale Unterschiede
bestehen, dies sowohl im Hinblick auf die Verbreitung der epigraphischen
Quellen insgesamt wie auch auf diejenige der dort überlieferten theriophoren
Vgl. Bruckner 1895, S. 280 und S. 149 mit Anm. 2; Förstemann 1875, S. 244;
Förstemann 1900, Sp. 1020; im Anschluss auch Kaufmann 1968, S. 230 und S. 238.
Vgl. auch Kremer 1996, S. 212. Von Arcamone 1997, S. 167f., und Morlicchio
1985, S. 150, wurden die Schwierigkeiten bei der Beurteilung eines Namens als
romanisch Lupus/Lupo oder einer Ableitung hierzu bzw. zu germ. *leuba-z zwar
ebenfalls betont, der Anteil der /w/w-Bildungen aber deutlich höher veranschlagt.
Vgl. auch Reichert 1987, S. 479ff. (vgl. auch Anm. 67).
58 Vgl. Förstemann 1900, Sp. 1483, im Anschluss auch Kaufmann 1967, S. 370, mit
Annahme von r-Metathese und Aphärese bei romanisierten Formen. Ablehnend
hierzu Wagner 1997, S. 297 mit Anm. 73. Müller 1970, S. 18, ging zwar für das
Gros der «rso-Biidungen ebenfalls von einem „echt germanischen“ Stamm aus,
setzte aber germ. *ursja(n) an, das er in Verbindung mit anord. orri ,Birkhahn4, ae.
yrre, ierre ,zornig4 (mit grammatischem Wechsel) stellte. Anders hierzu auch
Felder 2003, S. 338 mit Anm. 339. Entsprechend wurden Hybridformen wie
Ursipert, Ursram, Ursmar oder Ursulf fälschlich als ,rein germanische Bildungen4
beurteilt. Vgl. dazu auch weiter unten mit Anm. 107.
4 Hierher gehören etwa der v.a. bei Ammianus Marcellinus bezeugte römische
Heermeister germanischer Herkunft Ursicinus (zu seiner Person vgl.
Jones/Martindale/Morris 1971/1992, S. 985f.) sowie der für die zweite Hälfte des 4.
Jahrhunderts bezeugte Alamannenkönig gleichen Namens (zu seiner Person vgl.
Fischer 2006).
457
Namen. Während etwa in den gallischen Provinzen Viennensis60 und Aqui-
tania Prima'1 Urso- und Bildungen nicht stark verbreitet sind, kommen
sie im Bereich Belgica Prima auffällig häufig vor. Hier sind immerhin rund
15% der auf christlichen wie nichtchristlichen Inschriften bezeugten Personen
(mehrheitlich des 5. Jahrhunderts) nachzuweisen, die mit den Bezeichnungen
für „bêtes sauvages“ gebildete Namen tragen - neben Ursus und Lupus ist
dies vor allem Leof~ Wiederum sind Fälle wie die aus Trier überlieferten
Eltern Vrsolus und Romula mit ihrer Tochter Ursa" und die Brüder Ursus,
Ursicinus und Ursinus114 Zeugnisse für die Anzeige sozialer Bindung per
Namenmodifikation und Nachbenennung.
Die Zunahme der Lupo- und Oxo-Namen wurde nun schon häufiger ger-
manischem Einfluss zugeschrieben,60 61 62 63 64 65 66 wenn auch dessen Modus unter-
schiedlich beurteilt wurde. Jakob Jud, der als einer der ersten den auffälligen
Anstieg beobachtete und in direkte Abhängigkeit zu den germanischen, mit
Wolf und Bär gebildeten Namen stellte,66 ging dabei von Übersetzungen der
germanischen Namen aus. Diese „noms traduits“ ordnete er bei den latei-
nischen Namen unter eine „catégorie spéciale“.6 Von Ausnahmen abgese-
hen66 wird man jedoch nicht von bloßen Übersetzungen oder Romani-
60 Vgl. Descombes 1985, § 261 S. 183, Nr. 244 S. 633ff„ Nr. 49 S. 288ff., Nr. 292 S.
746 (Zeitstellung Anfang 6. Jahrhundert, für Vrsulus eventuell Ende 5.
Jahrhundert).
61 Vgl. Prévôt 1997, Nr. 29 S. 149ff.
62 Vgl. Gauthier 1975, v.a. S. 89ff. und passim.
63 Vgl. Gauthier 1975 Nr. 72 S. 241 ff. (Zeitstellung Ende 5./Anfang 6. Jahrhundert).
64 Vgl. Gauthier 1975, Nr. 169 S. 242f; Merten 1990, S. 50f. (Zeitstellung 4.-6. Jahr-
hundert).
65 Vgl. Meyer-Lübke 1905/1917, Tl. 1, S. 65f; Gauthier 1975, S. 89ff. und passim;
Zum germanischen Einfluss vgl. auch Morlicchio 1985, S. 150ff.; Haubrichs 2006a,
S. 418; Elaubrichs 2008, S. 108f (vgl. auch die nachfolgenden Anm. 66-69).
„Tout en admettant l’existence de noms déjà latins Lupus et Ursus, il n’est pas
téméraire de supposer que la fréquence extraordinaire des noms Lupo et Urso, à
partir du 6e siècle, est due en grande partie aux noms germaniques Bero et WulfoP
Jud 1907, S. 56 Anm. 2 unter dem Namen Urso.
6 Vgl. Jud 1907, S. 56 Anm. 2 unter dem Namen Urso und passim; im Anschluss an
Jud auch Morlet 1972, S. 72, S. 112; vgl. auch Förstemann 1900, Sp. 1020 und Sp.
1483E, der „zuweilen“ bei dem mit von ihm als viel zu gering eingeschätzten Lupo-
und f/rso-Bildungen von Übersetzungen der germanischen Entsprechungen
ausging; im Anschluss an Förstemann auch Kaufmann 1986, S. 370; so auch Müller
1970, S. 8 mit Anm. 29, S. 17 Anm. 88. Vgl. auch Anm. 57.
66 In diesem Sinne auch Reichert 1987, S. 479.
458
sierungen germanischer Namen in lateinischen Texten,69 sondern von sprach-
lich äquivalenten Bildungen in wechselseitigem Sprachverständnis reden
können. Für die Romanen waren die bereits vor allem als Cognomina ge-
nutzten Namen Lupus und Ursus und ihre Derivate ihrer Bedeutung nach
durchsichtig geblieben, da ihre appellative Grundlage ebenfalls weiter in
Gebrauch war. Mit dem intensiven Kontakt zu den germanischen gentes und
ihrem Namensystem begegnete auch die mit ihrem semantischen Angebot
sicher attraktive Gruppe dieser Kampftiernamen, die in der eigenen Sprache
eine Entsprechung hatten. Wenn wie in einer Urkunde von 737 aus Lucca in
der Toskana ein Ursu(s) mit dem germanischen Beinamen Partei ,hart wie
eine Bank, Schläger* (zu germ. *banki-z M. ,Bank*)70 oder 761 der u(ir)
d(euoti) Lupicino als Sohn des Banco erwähnt werden,71 legt dies nahe, dass
die Zunahme der Lupo- und Oso-Bildungen auch mit der semantischen
Adaption der Kriegermetaphorik der germanischen Tiemamen einherging. Für
die Germanen bot die Verwendung der Lupo- und L/rso-Namen die Gelegen-
heit, die ihnen ihrer Bedeutung nach durchsichtigen und ihres identifikato-
rischen Angebots wegen beliebten Namen auch im ,lateinisch-romanischen
Gewände* als Signal ihrer Anpassungsbereitschaft einzusetzen.
Hierzu passt nun das vermehrte Aufkommen von Namen mit Urso- und
Lupo- gerade in den romano-germanischen Kontakträumen,72 was aber auch
nicht eigentlich erstaunen muss. Tatsächlich sind sie in deren Kerngebieten
besonders häufig: in der Langobardia sowie in den lange bewahrten, roma-
nischen Reliktgebieten der gallischen und germanischen Provinzen, v.a. der
Ile-de-France, der Moselromania, der Rheinlande und im bairischen Raum
südlich der Donau sowie im westlichen Österreich, die sich aus sprachwissen-
schaftlicher Perspektive aus Personennamen (urkundlich wie inschriftlich
überlieferten) sowie auch aus Toponymen und Lehnwörtern rekonstruieren
lassen. ' Besonders auffällig ist die Verbreitung der Urso- und Lwpo-Namen
69 Vgl. Bach 1978, S. 115: „Ein merowing. Heerführer, der offenbar den Namen Wolf
führte, wird von Venantius Fortunatus Lupus genannt.“ (Hervorhebung beim
Autor), ln diesem Sinne auch Müller 1970, S. 8 Anm. 29, S. 9, S. 17 Anin. 17.
70 Codice diplomatico longobardo I, Nr. 61 S. 193. Zu dem Element germ. *banki-z
vgl. Franchovich Onesti 1999, S. 184, S. 241, S. 251; Francovich Onesti 2000, S.
369.
1 Codice diplomatico longobardo II, Nr, 150 S. 65.
Diese Beobachtung bereits bei Meyer-Lübke 1905/1917, TI. 1, S. 65f.
Eine Übersicht über die romanischen Reliktgebiete des deutschen Sprachraumes
(jeweils mit umfangreichen Literaturangaben) findet sich bei Haubrichs 2003; zum
Aussagewert der für Spätantike und Frühmittelalter überlieferten Grabinschriften in
den germanischen und gallischen Provinzen für Dichte und Dauer der Romanizität
vgl. Schmitz 2001. Zu den Nachweisen für die Urso- und Z^/Jo-Namen vgl. weiter
oben mit Anm. 11 ff.
459
in der Moselromania; dort ist, neben dem Rheintal, die Verbreitung von Grab-
inschriften im Vergleich mit der Fundsituation von Germania Prima, Germa-
nia Secunda und Belgica Prima am stärksten. 4 * 6 7 * Möglicherweise hängt die dor-
tige Konzentration gerade der Bildungen mit Urso- auch damit zusammen,
dass der Name auch im Keltischen vertreten war und dann als Traditionsname
im romanischen Umfeld weiter bestehen konnte.75 In anderen Regionen hin-
gegen lassen sich kaum Fälle des untersuchten Namentypus nachweisen. Hier-
zu gehört vor allem der alemannische Raum, insbesondere die Gebiete östlich
des Schwarzwaldes. ,(' Dort ist mit einer frühen und durchgreifenden Germani-
sierung zu rechnen, was sich auch durch die toponymischen Befunde stützen
lässt. Zu den wenigen Beispielen theriophorer Namengebung mit einem roma-
nischen Namen gehört hier der von Balther von Säckingen in seiner Vita
Fridolini für das 7. Jahrhundert erwähnte Grundherr Urso mit seinem Bruder
Landolfus (germ. *landa-n N. ,Land‘ + *wulfa-z)\11 allerdings wird hier
bereits die Vorliebe zur Verwendung theriophorer Namen, und zwar sowohl
eines romanischen als auch eines germanischen, in der familialen Namenge-
bung augenfällig.
Tatsächlich zeigen eine ganze Reihe von weiteren Beispielen die Träger
von Lupo- und t/rso-Namen zusammen mit solchen germanischer Personen-
namen innerhalb einer Familie, was nur vor dem Hintergrund einer bilingu-
alen Mischkultur verständlich ist: ln Gallien ist der zu Beginn des 7. Jahr-
hundert bezeugte Erzbischof von Sens, Lupus, als Sohn des Betto (zu germ.
*berhta-z Adj. ,glänzend, berühmt1) und der Mutter Austregilda (germ.
4 Vgl. Gauthier 1975, passim; Schmitz 2001, passim.
Vgl. Wodtko/Irslinger/Schneider 2008, Art. *h2rtko- m., auch f. ,Bärk, S. 343ff,
v.a. S. 345 mit Anm. 8. Belege wie Artus, Artila, Artula etc. bei Delamarre 2003, S.
55. Vgl. auch Gauthier 1975, S. 90ff. (hier S. 90) und passim: „Le lion, le loup et
fours sont des animaux vigoureux et hardis: en donnant de tels noms aux enfants,
on leur souhaitait des qualités guerrières que le christianisme pourtant ne prisait
guère. 11 y a là, sans aucun doute, une influence à la fois du substrat celtique et du
superstrat germanique: par exemple, on trouve encore 43 cognomina dérivés de
lupus dans le matérial non chrétien recensé par CIL XIII. [Gallia, germanische
Provinzen], alors qu’on ne relève que 8 cognomina de ce type dans l’index de CIL
XII [Provincia Narbonensis, Alpes Gratiae et Poeninae, sowie die westlichen Teile
von Alpes Cottiae und Alpes maritimae] et 9 dans celui de CIL VIII [Afrika].
L’ours et le loup sont aussi largement mis à contribution dans l’onomastique
germanique.“ Der Name Ursus ist im Raum des CIL XIII in 20 heidnischen und 8
christlichen Inschriften bezeugt. Vgl. Boppert 1971, S. 89. Zur Frequenz der mit
Ursus gebildeten Ableitungen vgl. Onomasticon provinciarum Europae Latinarum
(OPEL) 1994/2002, S. 187f.
6 Vgl. Haubrichs 2004a, passim.
7 Vita Sancti Fridolini, S. 290ff. Vgl. auch Haubrichs 2000, S. 33ff, mit Kritik an der
Neuedition der Vita. Zu dem Alemannenkönig Ursicinus vgl. Anm. 59.
460
*austra-z M. ,Osten4 + germ, *ge/djö, Nomen agentis zu *geldan ,vergelten,
rächen4) bezeugt; als deren Brüder werden Austrinus (*austr-m-az, mit dem
gleichen Erstelement und dem Suffix -Tn-az), und Aunarius (germ. *awjan
,Heil4 + *harja-z ,Krieger4), die Bischöfe von Orléans und Auxerre, aufge-
führt. s ln einer Originalurkunde von 629/637, ausgestellt von König Dagobert
I. für den vir inl(uster) Ursinus, werden auch dessen Bruder Beppolenus
(germ. *bib- (?) + romanisches hypokoristisches Suffix -lenus)* 79 sowie der
Vater Chrodolenus (germ. *hröfa~z M. ,Ruhm, Ansehen4, mit romanischer
Graphie <chr> für romanischen Lautersatz für germ. [hr], + -tenus) und der
Onkel Cha[i]medes genannt/0 Ein bekannter Fall ist auch der bei Gregor von
Tours Ende des 6. Jahrhunderts genannte Herzog der Champagne Lupus mit
seinem Bruder Magnulfus (germ. * magana- N. , Macht4 + wutfa-z) und seinen
Söhnen Romulfus (germ. *hröma-z M. [ahd. (h)ruom] ,Ruhm, Ansehen4+
* wutfa-z) und Johannes/' wobei Magnulfus und Romulfus auch als Hybrid-
namen interpretierbar waren (Magnulfus mit lat. magnus ,groß4, Romulfus mit
Roma ,Rom4 als Erstelement)/2 Vielleicht wird man hier als Vorfahren eine
romanisch-germanische Mischfamilie annehmen können, die mit Vergabe der
Namen für das Brüderpaar ihre Kenntnis von der Bedeutungsgleichheit von
lupus und *wulfa-z einsetzte und bei den durch Frontvariation die diachrone
Familienbindung anzeigenden Namen Magnulfus und Romulfus deren Mehr-
deutigkeit bewusst nutzte, schließlich mit Johannes einen Namen mit hebrä-
ischer Etymologie wählte, der in der romanischen Namengebung unter christ-
lichem Einfluss im frühen Mittelalter stark an Popularität gewonnen hatte.
Besonders für die Langobardia sind, vor allem für das 8. Jahrhundert,
teilweise auch schon für die 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts, etliche Fälle aus-
zumachen, die nur im Kontext ihres mehrsprachigen altitalienisch-lateinisch-
langobardischen Umfeldes zu erklären sind. Zunächst begegnen etliche
Beispiele, bei denen — wie in dieser Region in der Phase zunehmender
Romanisierung erwartbar - die Väter noch langobardische Namen tragen,
* Vita Lupi episcopi Senonici, cap. 2, S. 179. Vgl. ausführlicher demnächst Jochum-
Godglück [im Druck c].
79 Anders Wagner 2006, S. 162f., der einen bei Gregor von Tours genannten dux
Beppolenus als rein germanische Bildung mit der um das Deminutivsuffix -Um
erweiterten Kurzform *Bippo interpretiert.
Xl) Die Urkunden der Merowinger, Nr. 32 S. 88f,
M Belege mit Nachweisen bei Reichert 1987, S. 479, S. 484, S. 575; Vgl. dazu
Wagner 1997, S. 296f.; Haubrichs 2004c, S. 197 Anm. 67.
x2 Vgl. Haubrichs 2008, S. 109; von einer Hybridbildung bei Romulfus und anderen,
mit Rom- und einem germanischen Zweitelement gebildeten Namen gehen
Arcamone 1997, S. 74f., und Francovich Onesti 1999, S. 237, aus. Zur Diskussion
vgl. auch Kaufmann 1968, S. 20lf. Zum ,Fall4 des Lupus und seiner Familie vgl.
demnächst ausführlicher Jochum-Godglück [im Druck c].
461
während den Söhnen bereits zum Zeichen der Anpassung an die italoro-
manische Umgebung auch romanische Namen gegeben werden: Paulus Dia-
conus nennt in seiner Historia Langobardorum für die erste Hälfte des 8. Jahr-
hunderts den explizit als Langobarden bezeichneten Munichis (germ. *muni-z
M. ,Erinnerung, Gedenken4, mit romanisch beeinflusster graphischer Wieder-
gabe von germ. [g] durch <ch> + germ. *glsa-z M. ,Pfeil, Stab4) mit seinen
Söhnen Ursus, dem dux von Ceneda, und Petrus, dem dux von Friaul.83 In
einer Originalurkunde von 744/45 aus Volterra wird Fridualdus (germ.fripu-z
M. ,Friede4 + germ. *w'alda-z ,Macht bzw. Herrscher4) als Vater des vir
devotus Ursus genannt;*4 verwandt mit diesen sind der u(ir) h(onestus)
Emithancu (germ. *erm(an)a-z, Adj. ,groß, erhaben4, mit Entwicklung *erm-
> em- + germ. panka-z M. ,Dank4),8' der Sohn des Emma (zu germ.
*erm(an)a-z) und Gatte der Teußada (germ. *theudö F. ,Volk4 + germ. *flädi-
z Adj. ,schön4, nur als Zweitelement weiblicher Personennamen, zu germ.
*ßedi-z F. ,Schönheit, Glanz4), Tochter des Muccio (germ. *mug-, zu ahd./as.
mugan ,können, vermögen4), sowie der u(ir) d(euotus) Aiduin (germ. *haidu-z
M. Beschaffenheit, Art4, mit romanischer /i-Aphaerese, + germ. *weni-z M.
,Freund4)*6 - offenbar also bis auf Ursus eine Familie mit rein germanischer
Namengebung. Asfrid (germ. *ansu-z M. ,Halbgott4, mit romanischem
Schwund des [n] in der Konsonanten Verbindung [ns], + germ. *fripu-z M.
.Friede4) ist der Vater des 760 mehrfach bezeugten pr(es)b(itero) Lupo, der
auch mit der hypokoristischen Form Lopulo/Lupulo in den Quellen
erscheint.87 Der 736 bezeugte Audoald (germ. *auda-z M. + .Besitz,
Reichtum4 + *walda-z .Macht bzw. Herrscher4), aus der Versilia, einem
Gebiet in der nordwestlichen Toscana, stammend, ist Vater des u(ir)
h(onestus) Lupo.** 765 wird in Mailand der u(ir) d(euotus) Ursus als Sohn des
v' Paulus Diaconus, lib. VI cap. 24 S. 223; Zu den Personen vgl. Jarnut 1972, S. 364,
S. 374. Gelegentlich erwogen wurde die Gleichsetzung von Ursus, dem dux von
Ceneda, und Ursus, dem dux von Persiceta. Letzterer war verheiratet mit Ariflada,
die einen germanischen Namen trug (germ. *harja-z M. ,Heer4 + germ. *flädi-z
Adj. ,schön4, nur als Zweitelement weiblicher Personennamen, zu germ. *fledi-z F.
,Schönheit, Glanz4); das Paar hatte die Kinder Ursa und Johannes, dessen Sohn
Ursus hieß (vgl. Krawinkler 1992, S. 65f. mit Anm. 188; anders Jarnut, S. 373). In
diesem Falle wäre der Name Ursus, mit Movierung bei Ursa, gleich über drei
Generationen als Signal familiärer Zugehörigkeit genutzt worden.
'4 Codice diplomatico longobardo I, Nr. 84 S. 250.
Zum Namen vgl. Francovich Onesti 1999, S. 190f.; Wagner 2000a, S. 157.
x6 Codice diplomatico longobardo I, Nr. 84 S. 249f.
s7 Codice diplomatico longobardo II, Nr. 144 S. 51f., Nr. 147 S. 58f., Nr. 235 S. 299,
Nr. 239 S. 306, Nr. 240 S. 309.
** Codice diplomatico longobardo I, Nr. 56 S. 182f.
462
Theudulf (germ. *theudö F. ,Volk4 + *wulfa-z) bezeichnet.*9 Eine Verkaufs-
urkunde von 774 aus Verona nennt Brunuri (germ. *brüna-z + germ. *harja-z
M. ,Kämpfer, Krieger1),90 den Vater des Ursus.9] Für das Jahr 720 führt eine
Urkunde aus Rieti das Quartett der Brüder Lupulus, Ursus, Siso (zu germ.
*sega-z/*segu-z M. ,Sieg‘, mit romanischer Graphie <s> für [g] oder mit s-
Erweiterung *Sigiso, mit intervokalischem [g]-Schwund* 90 91 92) und Vvino (zu
germ. *weni-z M. ,Freund1) auf; der Vater heißt Rimolfus (germ. *rim-, Kurz-
form zu *remi-z N. ,Ruhe, Stille4 + *wulfa-z).93 Das Auftreten der ,wilden
Tiere4 in germanischen und romanischen Formen innerhalb eines Familien-
stammbaumes wie bei den letzten Beispielen legt nahe, dass man sie als Äqui-
valente empfunden hat und Bildungen mit ursus und lupus in die Funktion
germanischer Namen eintreten konnten. Wenn in einer Originalurkunde aus
Lucca von 770 die Brüder Lupus, Audipert, Altipert und Auriprand als Söhne
des clericus Aurimo (zu germ. *auza- ,leuchten4, mit Entwicklung germ. [z]
zu westgerm. [s], oder zu lat. auro- ,leuchten' + Suffix94) aufgeführt werden,95
so zeugt dies von einem besonders ausgeprägten Sprachbewusstsein, das sich
in fein ziselierter Namengebung ausdrückt: Das Verwandtschaftsverhältnis
zwischen dem Vater und dreien seiner Söhne wird durch die stabenden Namen
sowie bei Audipert!Altipert die Frontvariation des Erstelements (germ. *auda-
z M. ,Besitz, Reichtum4, germ. *a/da-z Adj. ,erfahren, verständig4) bei stabi-
lem Zweitelement *berhta-z und umgekehrt die Heckvariation bei
Aurimo!Auriprand (*branda-z M. ,(Feuer)Brand4, in Namen ,Schwert einer
Klinge4) markiert. Die Benennung des vierten Sohnes mit dem romanischen
Namen Lupus dürfte dabei dann kaum zufällig sein. Sie zeugt von einer vor-
sichtigen Bereitschaft zur Annäherung an die romanischen Verhältnisse - wo-
bei vielleicht auch die unbekannte Mutter eine Rolle spielte -, während bei der
Bildung der übrigen Namen die Möglichkeiten germanischer Namengebung
breit ausschöpft werden. Komplex sind auch die Verhältnisse im Fall des 760
bezeugten vir honestus Arnolfo (bitheriophor: germ. *arnu-z M. ,Adler4+
*wulfa-z) als Vater zweier Söhne, von denen einer den germanischen Namen
Aiolfo (*agi-z M. ,Furcht, Schrecken4, mit romanischem zwischenvokalischen
x9 Codice diplomatico longohardo II, Nr. 190 S. 176.
90 Zur Namenkoniposition, die die Graphie <u> für [a] des Zweitelements voraussetzt,
vgl. Francovich Onesti 1999, S. 187f. Zu dieser im Langobardischen seltenen
Schreibung vgl. auch Morlicchio 1985, S. 131.
91 Codice diplomatico longobardo II, Nr. 290 S. 425.
92 Zu den ¿--Erweiterungen von Stämmen vor allem in der Langobardia, vgl. Haubrichs
2009, S. 207.
93 Codice diplomatico longobardo V, Nr. 2 S. 12.
94 Vgl. Francovich Onesti 1999, S. 183, S. 25 lf.
95 Codice diplomatico longobardo II, Nr. 242 S. 313.
463
Schwund des [g], + *wulfa-z) trägt, der andere den romanischen Fabrulo
,Schmiedchen* (zu lat ./aber M. ,Künstler, Schmied4 mit dem romanischen,
hypokoristischen Suffix -m/o96 97 *); eine Tochter ist mit einem Urso, die andere
mit P(er)tulo verheiratet, dessen Name eine Bildung aus dem germanischen
*berhta-z Adj. ,glänzend* und wiederum dem -M/o-Suffix ist.9 Wenn hier
auch die romanischen Namen Lupus und Ursus in der linearen Familienfolge
keine Rolle spielen, wird an diesem Beispiel mit der Frontvariation des Erst-
elements bei Arnolfo!Aiolfo bei gleichzeitiger Alliteration und der Wahl eines
romanischen Namens für den zweiten Sohn wieder die sprachliche Flexibilität
bei der Namenvergabe erkennbar. Die zufällig durch Einheirat in die Familie
gekommenen Namen Urso und P(er)tulo sind zudem mit dem Nebeneinander
romanischer und germanischer Formen Zeugnisse für den hohen Anteil an
Kampftiemamen in der Namengebung zweier Familien sowie zugleich für den
allmählichen Prozess einer Annäherung an die romanische Gesellschaft.
Abweichend zur Abfolge von germanischen Namen bei den Vätern, roma-
nischen Namen bei den Nachkommen, begegnen auch die umgekehrten Fälle,
bei denen Väter mit romanischen Namen ihren Kindern germanische Namen
gaben. Sie gehören ebenso in das langobardisch-romanische Umfeld und sind
Indizien dafür, dass auch die Romanen das fremdsprachige Namengut teil-
weise in ihre Namengebung integrierten, was sicherlich oft auch aus Prestige-
gründen geschah; daneben sind auch Fleiratsbeziehungen als Ursache mög-
lich: 760 ist in Pescia in der Provinz Pistoia ein Ursus als Vater des Seipert
(germ. *sega-z/*segu-z ,Sieg\ mit romanischem zwischenvokalischem
Schwund des [g], + germ. *berhta-z Adj. ,glänzend, berühmt*),9X 763 aus der
Nähe von Verona ein Urso als Vater von Grimoald (germ. *gnman/grlma-z
N./M. ,Gesichtsmaske, Helm mit Maske* + germ. *walda-z N. ,Macht bzw.
Herrscher*) belegt.99 100 101 Birrica (hypokoristische Form zu *berönm) ist nach
einer 750 datierenden Originalurkunde aus Pisa Sohn des Ursowl In der
ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts mehrfach bezeugt sind Ursus mit seinem
Vater, dem Bischof von Lucca, der den Namen Talesperianus trug,
wahrscheinlich ein lateinischer Satzname mit der Bedeutung ,so hoffen wir*
und deutlich romanischer Lautentwicklung, sowie seinem Onkel Sichimundus
(germ. *sega-z/*segu-z ,Sieg‘, mit romanisch beeinflusster graphischer Wie-
dergabe von germ. [g] durch <ch>, + germ. *munda-z M. ,Schützer*); Ursus
96 Das Suffix -ulo ist in der Langobardia erst ab dem 8. Jahrhundert nachweisbar. Vgl.
Haubrichs 2004c, S. 183.
97 Codice diplomatico longobardo II, Nr. 141 S. 46.
" Codice diplomatico longobardo II, Nr. 145 S. 54.
99 Codice diplomatico longobardo U,Nr. 172S. 133.
100 Zu dem Namen vgl. Morlicchio 1999, S. 185.
101 Codice diplomatico longobardo I, Nr. 98 S. 284.
464
hatte die Töchter Ursa und Anstruda (germ. *ansu-z M. ,Halbgott4 + germ.
*f?nl}?i-z F. ,Kraft, Stärke4).10“ Möglicherweise handelt es sich hier bereits um
eine germanisch-romanische Mischfamilie, die ihre Bindung an beide
Traditionen mit der Variation von Ursus-Ursa zum einen und dem ger-
manischen Namen Anstruda zum anderen betonte. Bereits für die zweite
Hälfte des 7. Jahrhunderts bezeugt ist der dux von Friaul, Lupus, mit seinen
Kindern Arnefrit (germ, *arnu-z M. ,Adler4 + germ. *fripu-z M. ,Friede4) und
Theuderada (germ. *theudö F. ,Volk4 + germ. *redi-z M. ,Rat‘) bezeugt. Aus
der Ehe der Theuderada mit Romualdus (germ. *hröma-z M.103 + germ.
*walda-z N. ,Macht bzw. Herrscher4), dem Sohn König Grimualds (germ.
*grJman/gnma-z N./M. ,Gesichtsmaske, Helm mit Maske4 + germ. *walda-z),
gehen drei Söhne hervor, von denen einer Gisulfus (germ. *gTsa-z M. ,Pfeil-
schaft, Stab4 + *wulfa-z), die beiden anderen Grimualdus und Arichis (germ.
*harja-z M. ,Heer4+ *gisa-z) heißen.104 Unsicher ist, ob der Name Lupus hier
auf einen Romanen schließen lässt, oder - wahrscheinlicher - ein lango-
bardischer Amtsträger bereits einen romanischen Namen trug.105 Deutlich
wird jedenfalls - neben der Alliteration bei Grimuald-Grimuald-Gisulf der
Wiederaufnahme des Namen Grimuald bei dem Enkel des Königs und der
Variation des Erstelements mit stabilem Zweitelement *xvalda-z - auch die
Wiederaufnahme des ,Wolfs-Motivs4 mit Variation romanisch-germanisch in
der Genealogie von Großvater-Enkel.
Für Interferenzräume besonders typisch sind die bereits angesprochenen
sog. Hybridnamen, die aus der Kombination von romanischen und ger-
manischen Elementen entstehen, wobei hier die Elemente Lupo- und Urso-
einen erheblichen Anteil ausmachen. Dies gilt sowohl für Gallien wie für die
Langobardia.10'’ Bei der Bildung romano-germanischer Hybridnamen wurde 102 103 104 105 106
102 Codice diplomatico longobardo I, Nr. 30 S. 109 und S. 111 f., Nr. 70 S. 214 und
öfter.
103 Zur Möglichkeit einer Hybridbildung vgl. weiter oben mit Anm. 82.
104 Paulus Diaconus, lib. V cap. 17-20 S. 192ff, cap. 22 S. 194, cap. 25 S. 195. Zu den
Personen, der Genealogie der duces von Friaul und ihrer innerfamiliären
Namengebung vgl. Jamut 1972, passim; Krawinkler 1992, passim; Haubrichs 2005,
S. 89; Haubrichs 2009, S. 233.
105 So Krawinkler 1992, S. 49 mit Anm. 100: „Lupus ist der erste friulanische Herzog
mit einem eindeutig lateinischen Namen,44
106 Eine Zusammenstellung der Hybridbildungen mit romanisch *lupo- und *urso- für
den Raum nördlich der Alpen bietet Haubrichs 2004c, S. 189 und S. 191, wieder in
Haubrichs 2008, S. 109f. Die dortige Auflistung ist zu ergänzen durch den bei Anso
von Lobbes in der Vita Ursmari und der Vita Erminonis des für die zweite Hälfte
des 7. Jahrhunderts bezeugten Bischofs von Lobbes namens Ursmarus (Vitae
Ursmari et Erminonis episcoporum; zu seinem Namen vgl. auch weiter unten mit
Anm. 110). Zu den Hybridbildungen in der Langobardia vgl. Arcamone 1997, S.
174f.; Morlicchio 1985, S. 101 ff., hier v.a. 106ff., S. 113; Francovich Onesti 1999,
465
die Struktur germanischer zweigliedriger Personennamen exakt übernommen,
was nicht selten dazu führte, entsprechende Namen talschlich als rein germa-
nische Bildungen einzustufen.1(1 Umgekehrt zu diesen romanisch-germa-
nischen entstanden germanisch-romanische Hybridnamen nach dem Muster
romanischer Personennamen aus einem germanischen Namen oder Namen-
element und einem romanischen Suffix. Da die Bildung von Hybridnamen bei
denjenigen, die sie prägen, das Wissen um die Bedeutung der jeweiligen
Namenelemente voraussetzt, sind aus ihrem Auftreten bzw. Ausklingen auch
chronologische Hinweise auf den Verlauf der Akkulturationsbewegung zu
gewinnen: Nach dem Verstummen der germanischen Idiome war auch
germanische Namenbildung nicht mehr lange genuin möglich. Das früheste
Beispiel für eine solche romano-germanische Hybridbildung mit den Bezeich-
nungen der hier behandelten Tiere, gleich eine bitheoriphore Bildung aus
urso- und *wulfa-z, nennt wiederum Gregor von Tours mit einem Ursulfus aus
der Galloromania.108 Er gehört zu den frühesten Hybridbelegen überhaupt und
damit in die erste Etappe der Amalgamierung romanischer und germanischer
Namentraditionen auf gallischem Boden. Hier beginnen Hybridbildungen im
Süden und schieben sich im Verlauf des 7. und 8. Jahrhunderts allmählich
nach Norden, um dann dort langsam abzuflauen. Im 8. Jahrhundert setzen
Hybridbildungen in der Langobardia aber erst ein. In diese Phase, kurz vor
dem Zusammenbruch des langobardischen Reiches im Jahre 774, gehört etwa
der in einer Originalurkunde aus Lucca genannte 772 (Jrsip(er)t, der Sohn des
Gump(er)t (*guma-n ,Mann‘ + *berhta-z Adj. ,glänzend, berühmt1 ),l<19 wie-
derum ein Fall, der das Verwandtschaftsverhältnis Vater-Sohn mit der
Variation des Erstelements, jetzt durch ein romanisches Element, anzeigt und
wohl zugleich die Anpassung an das romanische Umfeld signalisiert. Ein -
wenn auch spätes - Zeugnis für die Deutung des Namens Ursmarus als
hybride Bildung aus einem romanischen und einem germanischen Element
findet sich bei Folkwin in seiner um 980 verfassten Gesta abbatum
Lobiensium, die auf Ursmarus, den ersten Abt des Klosters Lobbes Bezug
nimmt: * 10
hier v.a. S. 234ff.; Francovich Onesti 2000, passim; Francovich Onesti 2004, v.a. S.
206ff.; Haubrichs 2009, S. 220f. Für die Toscana wurden immerhin 26% der für die
Zeit der langobardischen Herrschaft überlieferten Personennamen als Hybrid-
bildungen eingestuft, wobei 4% romano-germanische, der Rest germanisch-roman-
ische Bildungen sind (vgl. Franchovich Onesti 2000, S. 363).
10 Vgl. Arcamone 1997, S. 174; Haubrichs 2009, S. 220. Vgl. auch weiter oben mit
Anm. 58.
108 Beleg bei Reichert 1987, S. 738.
109 Codice diplomatico longobardo II, Nr. 273 S. 385.
466
Vielleicht hat er [Ursmarus] den Namen nicht ohne eine vorausweisende
Bedeutung bekommen. Ursmarus heißt es nach den zwei in Gallien üblichen
Arten von Sprachen, nämlich der lateinischen, welche die Eindringlinge
verdorben haben und der ,deutschen4; eine Bezeichnung, die sehr gut zu dem
heiligen Mann passt. (Forte nec sine quodam praesagio tale sortitus est nomen.
Ursmarus enim ex duobus usitatis Galliae locutionum generibus dicitur, Latina
videlicet, quam usurpantes vitiarunt, et Teutónica; congruum plane beato viro
vocabulum.y]0
Die Begegnung von germanischem und romanischem Namensystem im
frühen Mittelalter vollzog sich in ganz unterschiedlicher Weise. Die eingangs
gestellte Frage, ob sich im Bereich des semantisches Feldes der mit Tierbe-
zeichnungen gebildeten Namen - germanischen und romanischen - eher
unabhängig voneinander entstandene, parallele Entwicklungen beobachten
lassen oder wechselseitige Beeinflussungen vorliegen, lässt sich recht ein-
deutig beantworten: Bei den untersuchten Namen, die mit den Bezeichnungen
für die , wilden Tiere1 Bär/Wolf und Ursus/Lupus gebildet wurden, zeichnet
sich als Besonderheit ab, dass im Prozess des Sich-aufeinander-Zubewegens
offenbar das germanische System fördernd auf das romanische wirkte, und
sich zumindest ein größerer Teil der Lupo- und LYso-Namen ab der 2. Hälfte
des 5., v.a. ab dem 6. Jahrhundert diesem Einfluss verdankt.
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476
Summary
’Wolf and ’Bear’ in Germanic and Romance Name-Giving
Names embedding animal designations, i.e. so-called theriophoric names, are
particularly common among Germanic anthroponyms. Names containing
Germ. *wulfa-z M. ,wolf are most numerous, followed by those formed with
Germ. *berdn M. or *bernu-z M. ,bear\ These Germanic personal names find
their semantic counterpart in the Romance names Lupus and Ursus as well as
in the varied diminutives and suffix-derivations of those latter.
It is striking that mainly from the 6th century onwards Romance names
increase noticeably, the majority of which is already accounted for as
cognomina as well as in inscriptions in almost all parts of the Roman Empire
from the 1st century BC on. Their importance apparently declined, however,
in the 4th and 5th centuries. The article investigates whether we can speak of
independently formed, parallel developments or whether interferences can be
detected when exploring the semantic field of those Romance and Germanic
anthroponyms embedding animal descriptions, which mainly appear in areas
of Romano-Germanic interference. It can be shown that a major portion of the
Lupo- and LTvo-names formed mainly from the 6th century onwards is owed
to the increasing predominance of the Germanic name system. We are
therefore looking at one of the numerous linguistic phenomena that can be
explained by the encounter of the Roman and the Germanic name systems
during Late Antiquity and the early Middle Ages.
477
Irmtraut Heitmeier
Toponymie als Spiegel von Politik und Raumorga-
nisation
Zur Namenlandschaft des Tiroler Raumes in rö-
mischer und frühmittelalterlicher Zeit
Mehrschichtige Namenlandschaften in Sprachgrenz- und Begegnungsräumen
werden üblicherweise als Produkte sprachlicher Kontakt- und Ausgleichs-
phänomene verstanden, die Ursachen für Konstanz oder Verlust älterer
Namen in der Konkurrenz verschiedensprachiger Bevölkerungsgruppen und
ihren jeweiligen Kommunikationsmöglichkeiten gesucht. Dass sich über die
sprachliche Seite hinaus auch herrschaftlich-organisatorische Bedingungen im
Namenbild niederschlugen, wurde für das frühe Mittelalter in Zusammenhang
mit der Einrichtung königlicher Villikationen, mit Fiskalgutverwaltung sowie
allgemein im Kontext des Landesausbaus auf breiter Basis beobachtet.1
Bezogen auf die vordeutsche Namengebung sowie auf deren Erhalt über den
Sprachwechsel der Bevölkerung hinaus fanden derartige Einflüsse bisher
jedoch weniger Beachtung, auch wenn längst die Übereinstimmung von Kon-
tinuitätszonen mit Altstraßen, römischen Kastellen und ehemaligen civitas-
Mittelpunkten auffiel. Das gilt für die Moselromania um Trier und Metz
ebenso wie für die Basler oder Salzburger Romania.2 Auch der Nordtiroler * So
Vgl. Nitz, Hans-Jürgen: „Siedlungsstrukturen der königlichen und adeligen Grund-
herrschaft der Karolingerzeit der Beitrag der historisch-genetischen Siedlungsgeo-
graphie“, in: Werner Rösener (Hg.): Strukturen der Grundherrschaft im frühen
Mittelalter (Veröffentlichungen des Max-Planck-lnstituts für Geschichte 92),
Göttingen 1989, S. 411-482; Jochum-Godglück, Christa: Die orientierten Sied-
lungsnamen auf-heim, -hausen, -hofen und -dorf im frühdeutschen Sprachraum und
ihr Verhältnis zur fränkischen Fiskalorganisation, Frankfurt am Main 1995. Als
Fallbeispiele: Haubrichs, Wolfgang: „Gelenkte Siedlung des frühen Mittelalters im
Seillegau“, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 30 (1982) S. 7-39;
Ders.: „Das palatium von Thionville/Diedenhofen und sein Umland im Spiegel
frühmittelalterlicher Siedlungsnamen und Siedlungsgeschichte. Eine toponomasti-
sche und interferenzlinguistische Studie“, in: Jens Haustein / Eckhard Meineke /
Norbert Richard Wolf (Hg.): Septuaginta quinque. Festschrift für Heinz Mettke
(Jenaer germanistische Forschungen N.F. 5), Heidelberg 2000, S. 171-189.
So bereits: Buchmüller, Monika / Haubrichs, Wolfgang / Spang, Rolf: „Namenkon-
tinuität im frühen Mittelalter. Die nichtgermanischen Siedlungs- und Gewässer-
namen des Landes an der Saar“, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend
34/35 (1986/87) S. 24-75, hier S. 48: „Es ist auch deutlich, daß die römischen Alt-
straßen, die Vici, Kastelle und spätrömischen Bergbefestigungen eine Rolle für die
galloromanische Bevölkerungskontinuität im frühen Mittelalter gespielt haben.“
Neuerdings im Überblick: Haubrichs, Wolfgang: „Die verlorene Romanität im
479
Raum im Übergangsbereich zwischen dem bayerisch-alemannischen Vor-
alpenland und dem romanisch-sprachigen Süden weist eine mehrschichtige
Namenlandschaft und zudem kleinräumig wechselnde Integrationsverhältnisse
auf. Hier bot ein archäologisch-historisch-landeskundliches Forschungsprojekt
zur Frühgeschichte die Möglichkeit/ nach den historischen Bedingungen
dieser Entwicklungen zu fragen.
Obwohl Nordtirol und insbesondere das Inntal eine hohe Siedlungsgunst
besitzt, war es weder zu Beginn der Römerzeit noch im frühen Mittelalter ein
Siedlungsraum, der neue Bevölkerungsgruppen anzog - dies in erster Linie
deshalb, weil es nach archäologischen wie sprachlichen Zeugnissen ein längst
besiedelter Raum war und über alle Umbrüche hinweg auch blieb. Aufgrund
seiner geographischen Lage im Norden der beiden wichtigsten Übergänge im
mittleren Alpenraum, des Brenner- und Reschenpasses, war es jedoch in jeder
Epoche ein Begegnungs- und Austauschraum schlechthin und darüber hinaus
für alle politischen Kräfte, die von Süden nach Norden oder von Norden nach
Süden strebten, von höchster strategischer Bedeutung, was von der römischen
Eroberung bis in fränkische Zeit für eine gezielte herrschaftliche Erfassung
und lückenlose Herrschaftsübergänge sorgte. Organisatorisch stand dabei das
Inntal als Passfußraum und Zubringer beziehungsweise Verteiler des Verkehrs
von oder nach Norden und Osten im Vordergrund. Das verdeutlicht Abbil-
dung 1 mit einer Karte, die den historischen Tiroler Verkehrsraum und seine
Einbindung in das transalpine Straßensystem im mittleren Alpenabschnitt
zeigt.
deutschen Sprachraum", in: Gerhard Emst / Martin-Dietrich Gießgen / Christian
Schmitt / Wolfgang Schweickard. (Hg.): Romanische Sprachgeschichte, Bd. 1/1,
Berlin / New York 2003, S. 695-709; Ders,: „Romanisch-Germanische Sprachbe-
ziehungen, Westliches Deutschland, Luxemburg und germanophones Frankreich“,
in: Heinrich Beck / Dieter Geuenich / Heiko Steuer (Hg.): Reallexikon der Germa-
nischen Altertumskunde, Bd. 25, Berlin / New York 22003, S. 251-258, besonders S.
254-257.
Das Projekt wurde vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Wien finanziert und an der Universität Innsbruck (Institut für Klassische Archäo-
logie) durchgeführt. Zu dessen Ergebnissen ausführlich: Heitmeier, Irmtraut: Das
Inntal. Siedlungs- und Raumentwicklung eines Alpentales im Schnittpunkt der poli-
tischen Interessen von der römischen Okkupation bis in die Zeit Karls des Großen
(Schlem-Schriften 324; Studien zur Frühgeschichte des historischen Tiroler Raums
1), Innsbruck 2005.
480
Abb 1: Nord-Süd-Verbindungen im mittleren Alpenraum
Es ist das Verdienst von Karl Finsterwalder, in den 1970er-Jahren die
mittelalterlichen Sprachverhältnisse Tirols einigermaßen flächendeckend
untersucht und in den einschlägigen Karten des Tirol-Atlas vorgelegt zu
haben.4 Er kam zu folgenden Ergebnissen ( Abbildung 2): Im zentralen Tal-
4 Finsterwalder, Karl: „Sprachschichten in den Ortsnamen Tirols (1975) [Kartenbei-
lage]“; Ders.: „Diphthongierung und Akzentuierung in den Örtlichkeitsnamen
481
raum bis zum Zillcr im Osten und entlang der Brennerstraße sprach die Bevöl-
kerung zum Teil noch bis ins 12. Jahrhundert Romanisch, während das Unter-
inntal sowie das westlich anschließende Oberinntal mit dem Ötztal wesentlich
früher in den deutschen Sprachraum integriert wurde. Letzteres wurde jedoch
von einem wiederum spät erfassten Raum entlang der Reschenstraße und im
Vinschgau umschlossen."
Abb. 2: Die Integration Tirols in den deutschen Sprachraum
Der Befund passt insofern ins Bild, als sich auch hier die konservativen
Sprachräume im Einzugsbereich der großen Hauptstraßen über Reschen und
Brenner befinden.* 6 * Andererseits überrascht die lang dauernde Bilingualität im
zentralen Talraum, da sie nur schwer vereinbar ist mit der Vorstellung, dass
Nordtirol spätestens 591 dem bairischen Herzog unterstellt und in der Folge-
zeit entsprechend aufgesiedelt worden sei.
Tirols (1976) [Kartenbeilage]“; Ders.: „Die Ortsnamen in Tirol (1976) [Kartenbei-
lage]“, alle in: Karl Finsterwalder / Hermann M. Ölberg (Hg.): Tiroler Ortsnamen-
kunde, Bd. 1: Gesamttirol oder mehrere Landesteile betreffende Arbeiten (Sehlem-
Schriften 285), Innsbruck 1990 [künftig zitiert als TOK 1]. Dieser Band enthält auch
die zugehörigen Karten G5-G8 des Tirol Atlas (Troger, Ernest / Institut für Geo-
graphie/Abt. Landeskunde der Universität Innsbmck [Hg.]: Tirol-Atlas, Innsbruck
1969-2006) als Nachdruck.
Die wesentlichen Kriterien dafür sind Akzentverlagerung und Diphthongierung.
Vgl. Finsterwalder: „Diphthongierung und Akzentuierung“ (wie Anm. 4), S. 42-56.
6 Vgl. oben zu Anm. 2.
Repräsentativ: Haider, Peter W.: „Antike und frühestes Mittelalter“, in: Josef
482
Vergleicht man dazu die Kartierung der Namenschichten (Abbildung 3),
die ebenfalls Karl Finsterwalder vornahm.s so deckt sich der Befund weit-
gehend mit dem vorher gezeigten Bild der Sprachregioncn. Die vordeutschen
Namen (dunkle und graue Punkte) konzentrieren sich im zentralen Talraum
und entlang der Brennerroute, die deutschsprachigen (ungefüllte Kreise)
finden sich - was die guten Tallagen angeht - im unteren und konzentriert im
oberen Inntal. Auf den ersten Blick ergibt sich damit eine erhebliche Überein-
stimmung von Sprach- und Namenkontinuität.
Dieser scheinbar so klare Befund wird nun dadurch verkompliziert, dass
sich in dem sprachkonservativen Bereich des mittleren Inntals gerade die
frühesten Interferenzen niederschlugen. Hier gibt es den einzig sicheren Fall
von Tenuesverschiebung im Kastellnamen Teriolis > Zirl* 9 während die Ety-
mologie des Flussnamens Ziller (< idg. *Tilaros7) nicht unumstritten ist;10 in
Fontana u.a. (Hg.): Geschichte des Landes Tirol, Bd. 1, Bozen / Innsbruck '1990, S.
133-292, hier S. 237f.; Reindel, Kurt: „Das Zeitalter der Agi lolfinger“, in: Max
Spindler (Hg.): Handbuch der bayerischen Geschichte, Bd. 1, München 1981, S.
101-245, hier S. 144ff.
K Finsterwalder: „Sprachschichten“ (wie Anm. 4), S. 29-41.
9 799 Cyreolu. Bitterauf, Theodor (Hg.): Die Traditionen des Hochstifts Freising
(Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte N.F. 4),
München 1905 [Neudruck 1967], Nr. 177 S. 170.
10 Kommission für Mundartkunde und Namenforschung (Hg.): Altdeutsches Namen-
483
beiden Fällen ist aber aufgrund der Bedeutung des Straßenortes wie des
Flusses als Raumgrenze exonymer Einfluss nicht auszuschließen.11 12 13 14 Medien-
verschiebung zeigen die Namen Ampass < 12. Jh. Ambans < kelt. *amb-an
(,am Bach4)1^ und Wilten < Veldidena,1 3 Letzteres belegt aber auch Anlaut-
substitution von lat. [v] > ahd. [w]. Im Oberinntal hingegen blieb der Name
des wichtigsten Ortes Telfs unverschoben, gleiches gilt für Kundl im Unter-
inntal.14 Das bedeutet, dass entlang der Brennerstraße zwar früh, wegen der
kaum aussagekräftigen Tenues-Verschiebung aber kaum vor dem 7. Jahr-
hundert mit germanophonem Einfluss zu rechnen ist, während sich gleich-
zeitig eine starke Konstanz des Ortsnamenbildes und ein konservatives
Sprachverhalten der Bevölkerung abzeichnet. Umgekehrt weist das Oberinntal
eine frühe althochdeutsche Namengebung und sprachliche Integration auf,
ohne dass älteste Lautentwicklungen erkennbar wären - ein Befund, der erklä-
rungsbedürftig ist.
Bei den deutschsprachigen Namen im Oberinntal (Abbildung 3, ungefüllte
Kreise) handelt es sich im Bereich der Altsiedellagen im Tal um die oft
behandelte Gruppe personaler Namen, überwiegend mit dem Suffix -ing
gebildet, die traditionell als Niederschlag bairischer Siedlung (,Landnahme4)
im Inntal gelten (Abb. 4).15
buch: die Überlieferung der Ortsnamen in Österreich und Südtirol von den
Anfängen bis 1200, Bearbeitet von Isolde Hausner und Elisabeth Schuster, Wien
1989ff., S. 31. Kritisch: Anreiter, Peter: Breonen, Genaunen, Fokunaten: Vor-
römisches Namengut in den Tiroler Alpen (Archaeolingua Series Minor 9),
Budapest 1995, S. 101-104.
11 So auch Haubrichs, Wolfgang: „Baiem. Romanen und Andere. Sprachen, Namen,
Gruppen südlich der Donau und in den östlichen Alpen während des frühen Mittel-
alters“, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 69 (2006) S. 395-465, hier
S. 443.
12 Altdeutsches Namenbuch (wie Anm. 10), S. 31; Finsterwalder: „Sprachschichten“
(wie Anm. 4), S. 30; Anreiter: Breonen (wie Anm. 10), S. 137.
13 Der antike Name der Straßenstation und des spätrömischen Nachschublagers ist in
dem römischen Straßenverzeichnis der Tabula Peutingeriana überliefert. Fälschlich
als erschlossen gekennzeichnet in: Altdeutsches Namenbuch (wie Anm. 10), S.
1137.
14 Die Lautentwicklung im Gesamttiroler Raum wurde zuletzt in kompakter Form dar-
gestellt von Haubrichs: „Baiem, Romanen und Andere“ (wie Anm. 11), S. 440-447.
15 So schreibt etwa Karl Finsterwalder 1971: „Die Stoßrichtung einer solchen baiwari-
schen Besitzergreifung vom Land im Gebirge, [...] ist in der Tatsache angedeutet,
daß ein und dieselbe ing-Ort-Bildung, Pollingen, Pollinga zweimal auftritt, am
Alpenrand bei Weilheim und hier (schon 763).“ Vgl. Ders.: „Statik und Dynamik -
Sprachepochen und geschichtliche Ereignisse im Ortsnamenbild Tirols“, in: TOK I
(wie Anm. 4), S. 15-28, hier S. 21. Doch auch 1997 stand diese Meinung noch fest:
„Im 6. Jahrhundert strömten Alemannen und Baiem, also germanische Stämme
484
Tf PetUtóuLeiy
Pfuifenhofenom°rn ' 1
** V
Personaler Name mit Grundwort
Personaler Name mit Suffix -ing
pagus Poapintal r-i •••<
Femstraßen k i i « m c t *
KarUf^cinnJJaqe TtraMliav i600 0Cß.lbjEJQrpt » Hfitmorr.Kan oqraptor £ Gdrtrxr. 3304
Abb. 4: Patronymische Siedlungsnamen im Oberinntal
Tatsächlich setzen in Pfaffenhofen und in Telfs-St. Georgen im früheren 7.
Jahrhundert Bestattungen ein, die zeigen, dass sich hier ,neuel Leute ansiedel-
ten, Krieger mit ihrem Gefolge und ihren Familien.16 Es sind, von einem Sax-
fund am Eingang des Ötztals abgesehen, die einzigen Waffengräber des Inn-
nach Nordtirol. Sie kamen in mehreren Wellen. Die erste Welle - vom Alpenvor-
land über den Seefelder Sattel bzw. über das Außerfern und das Mieminger
Plateau“, so Anreiter, Peter: „Die Besiedlung Nordtirols im Spiegel der Namen“, in:
Onoma 33 (1997) S. 98-113, hier S. 108. Von historischer Seite: Haider: Antike
(wie Anm. 7), S. 235: „Ergänzt wird dieser [archäologische] Befund durch die Ver-
teilung der Ortsnamen mit der Endung auf -ing, die eine bajuwariscne Siedlungs-
tätigkeit besonders deutlich im Inntal zwischen Zirl und der Mündung des Ötztales
[...] zeigen.“ Die Verbindung zwischen Bodenfunden und Ortsnamen stellte schon
Liselotte Plank 1964 in ihrer Dissertation her. Plank, Liselotte: „Die Bodenfunde
des frühen Mittelalters aus Nordtirol", in: Veröffentlichungen des Tiroler Landes-
museums Ferdinandeum 44 (1964) S. 99-209, besonders Karten S. 135 und S. 136.
Vgl. Plank: „Bodenfunde“ (wie Anm. 15); Läppert, Andreas: „Die Adelsbestat-
tungen in Pfaffenhofen und die inneralpine Landnahme der Baiuwaren“, in: Brinna
Otto / Friedrich Ehrl (Hg.): Echo: Beiträge zur Archäologie des mediterranen und
alpinen Raumes, Johannes B. Trentini zum 80. Geburtstag gewidmet von seinen
Freunden und Verehrern (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 27), Inns-
bruck 1990, S. 209-222; Ders.: „Das frühgeschichtliche Gräberfeld von Pfaffen-
hofen im Oberinntal“, in: Archaeologia Austriaca 77 (1993) S. 165-199.
485
tais.1 In der Kirche von PfaffenhofenIN wurden zwei Grüfte mit reichen Män-
nerbestattungen des 7. Jahrhunderts aufgedeckt, die auf hochrangige Stellung
der Toten hinweisen und im Kontext der Waffengräber die Vermutung zulas-
sen, dass es sich hier um fränkische Militärbefehlshaber im Inntal handelte,
die die Passrouten sichern sollten;14 ob diese und ihr Gefolge bairischer oder
alemannischer Herkunft waren, muss dabei zunächst offen bleiben.'0
Daneben gab es aber auch weiterhin eine einheimische Population, hier
überwiegend wohl sozial niedrigeren Standes, die sich vor allem aufgrund
ihrer Körpergröße deutlich von den Zugezogenen unterschied.'1 Dies wie auch
die weiterbenützte frühchristliche Kirche in Pfaffenhofen zeigen, dass es hier
nie zu einer Siedlungsunterbrechung kam; trotzdem kennen wir nur einen
deutschen Siedlungsnamen.
Die geschlossene Gruppe der personalen deutschsprachigen Siedlungs-
namen des Oberinntals wurde im 8. Jahrhundert mit dem Raumnamen in pago
PoapintaI zusammengefasst." Die fraglichen Siedlungen liegen nicht entlang
der Femstraßen - dort findet man nicht nur keinen einzigen -ing-Namen,
sondern auch keine personalen Toponyme -, sondern zwischen den Straßen in * 18 * * 21 22
Dieser bereits von Liselotte Plank 1964 herausgestellte Befund gilt bis heute. Plank:
„Bodenfunde“ (wie Anm. 15), S. 102ff.
18
Sydow, Wilhelm: Kirchenarchäologie in Tirol und Vorarlberg. Die Kirchengra-
bungen als Quellen Jur Kirchen- und Landesgeschichte vom 5. bis in das 12. Jahr-
hundert (Fundberichte aus Österreich, Materialheft A 9), Wien 2001, S. 39f. und S.
121-124.
14 Nicht nur sprachliche Gründe sprechen gegen die bisher gängige Annahme, den
Baiem wäre spätestens nach 591 der spätere Tiroler Raum überlassen worden (vgl.
Anm. 7). Anzunehmen ist vielmehr, dass das Alpengebiet der ehemals rätischen
Provinzen unter direkter fränkischer Oberhoheit verblieb, was für das Alpenrheintal
und Churrätien aufgrund einer deutlich besseren schriftlichen Überlieferung immer
so gesehen wurde, was aber mit landeskundlichen Indizien auch für die Tiroler Tä-
ler zu erschließen ist. Parallel zu Zacco in Chur, in dem die Forschung einen fränki-
schen Militärbefehlshaber sieht, ist eine entsprechende Position auch im Tiroler
Inntal anzunehmen. Ausführlich Flehmeier: Inntal (wie Anm. 3), S. 200ff, („Die po-
litische Zugehörigkeit des Inntals“) sowie 324ff, („Nordtirol und die Merowinger“).
Zu Churrätien: Kaiser, Reinhold: Churrätien im frühen Mittelalter, Basel 22 0 08.
'° Zur Diskussion dieser Problematik siehe Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3), S. 217-
224, 267-269.
21 Gregor, Hans-Joachim: „Frühmittelalterliches Skelettmaterial aus Pfaffenhofen,
Oberinntal (Grabungen 1950-1961)“, in: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmu-
seums Ferdinandeum 51 (1971) S. 49-78; Gaber, Othmar / Künzel, Karl-Heinz: „Un-
tersuchungen frühgeschichtlicher Skelette aus dem Gräberfeld von Pfaffenhofen im
Inntal, Tirol“, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 77 (1993) S. 201-225.
22
Traditionen des Hochstifts Freising (wie Anm. 9), Nr. 177 S. 170.
486
strategisch eher unbedeutender Position. Hinzu kommt, dass sie annähernd
gleich große Gemarkungen ohne größere Expansionsmöglichkeiten im Tal
besitzen,'3 Beides weist darauf hin, dass es sich hier um gelenkte Siedlung
handelt in einem begrenzten Raum, der dem frühen ,Adel‘ zu Siedlung und
Herrschaftsbildung überlassen wurde. Das kommt in der personalen Talbe-
zeichnung Poapintal (< PN Poapo) ebenso zum Ausdruck wie in den Sied-
lungsnamen Inzing (< PN Inzer4), Hatting (< PN Hatto), Polling (< PN Polio),
Flaurling (< roman. PN Florinus!), Leibifing (< PN Liubolf) und Pettnau (<
PN Petto).25 Diese Personennamen sind in den Quellen des 8. Jahrhunderts
ausnahmslos belegt und finden sich in zahlreichen Ortsnamen des bayerischen
und alemannischen Voralpenlandes wieder.26 Bemerkenswert ist dabei das
Vorkommen des romanischen Namens Florinus, was keineswegs heißen
muss, dass der Namenträger der einheimischen Grundherrenschicht des Inn-
tals entstammte,27 sondern als Beispiel für die Integration einer romanischen
Oberschicht in die Führungsschicht des frühen fränkischen Reichs anzusehen
ist. Gerade bei der Oberinntaler Adelsgruppe lässt sich dies bis ins späte 8.
Das wohl etwas jüngere Eigenhofen besaß am schmalen nördlichen Innufer nur
noch eine hochwassergefahrdete Lage, so dass ein Urbar des Klosters Polling aus
dem 14. Jahrhundert festhält: sed isti homines depauperati sunt exundatione aquae
(Sighart, Joachim: „Ein Wachstafelbuch aus dem Kloster Polling“, in: Abhand-
lungen der Historischen Klasse der Königlich-Bayerischen Akademie der Wissen-
schaften 9,2 [1865] S. 341-356, hier S. 353). Weiterer Siedlungsausbau konnte nur
in vertikaler Richtung erfolgen, wie die nach den Talorten benannten Hochlagen
zeigen, z.B. Hattingerberg, Pollingberg.
'4 Eine ebenso mögliche Erklärung mit dem Personennamen Inti/Into erscheint auf-
grund der Beobachtungen zur kaum eingetretenen Tenues-Verschiebung im Inntal
eher unwahrscheinlich.
“5 Zu den urkundlichen Belegen der Siedlungsnamen siehe Heitmeier: Inntal (wie
Anm, 3), S. 229-231. Dass gerade der Mittelpunkt dieses Adels-pagus, wo die
curtis des namengebenden Poapo zu suchen ist, Pfaffenhofen heißt und damit
keinen patronymischen Namen trägt, ist irritierend. Einiges spricht dafür, dass es
sich hier nicht um den ursprünglichen Siedlungsnamen handelt, insbesondere der
Umstand, dass es in Tirol aufgrund der im Vergleich zum Voralpenland anderen
Bedingungen der Seelsorgeorganisation sonst keine Siedlungsnamen mit ahd./mhd.
pfaffo ,Pfaffe, Geistlicher4 gibt. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass aus einem ur-
sprünglichen *Poapinhofen durch sekundäre Motivation Pfaffenhofen wurde. Auch
der Name Poapintal wird nach 800 nicht mehr erwähnt, was wohl so zu inter-
pretieren ist, dass mit dem Verlust der Herrschaftsgewalt der Adel hier auch topo-
nymische Präsenz einbüßte.
26 Vgl. dazu Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3), besonders S. 250-252.
"7 Florinus findet sich überwiegend in westrätischen Zusammenhängen. Man ver-
gleiche den Namen Flurlingen bei Schaffhausen, aber auch die Verehrung des heili-
gen Florinus, die im Vinschgau/Engadin ihren Anfang nahm.
487
Jahrhundert verfolgen, da 799 noch ein Gaio (< lat./roman. Gaius) Güter in
pago Poapintal an die Freisinger Kirche tradiert.Angesichts dieser Akkul-
turationsphänomene sowie der archäologisch erkennbaren Bevölkerungstradi-
tion, die auch in den westlich anschließenden Oberinntaler Siedlungsnamen
Rietz, Stams, Mötz und Silz aufscheint, muss das Fehlen vordeutscher Flur-
namen'^ in den Dörfern mit deutschen Namen erstaunen und ist nur mit der
völlig neuen Siedlungs- und Flurorganisation in diesem Talabschnitt zu erklä-
ren. Der Dominanz und Präsenz der deutschsprachigen Oberschicht dürfte
auch der im Vergleich zum zentralen Talraum schneller vollzogene Sprach-
wechsel zuzuschreiben sein.
Spiegelt sich somit in den Oberinntaler -mg-Namen eine herrschaftspoli-
tisch-verwaltungstechnische Maßnahme des fränkischen Königs - am wahr-
scheinlichsten Dagoberts I. in den 620er-Jahren so ist für das Verständnis
der starken Namentradition im zentralen Talraum (Abbildung 3) weiter auszu-
holen und mit dem römischen Alpenfeldzug 15 vor Christus zu beginnen. Mit
dieser Militäraktion sicherten die Römer vor allem die Passierbarkeit der
Pässe, die sich bis dahin in der Macht der einheimischen Bevölkerung befan-
den. Entlang der Brennerstrecke (Abbildung 5) übernahmen die römischen
Straßenstationen durchweg bereits bestehende Namen wie Vipiteno (Sterzing),
Matreio (Matrei), Veldidena (Innsbruck-Wilten), Scarbia (Scharnitz),30 was
als Hinweis darauf verstanden werden darf, dass auch bereits bestehende
organisatorische Einrichtungen unter römischer Oberhoheit weitergeführt
wurden. '1 Anders sieht der Befund im Unterinntal aus, wo mit Masciaco (bei
Münster) und Albiano (bei Kufstein) zwei Stationsnamen römischen S
S Traditionen des Hochstifts Freising (wie Anm. 9), Nr. 177 S. 170. Zu Gaio:
Haubrichs: „Baiem, Romanen und Andere“ (wie Anm. 11), S. 453.
° Einzig die beiden Stellenbezeichnungen Tabland bei Mieming und Toblaten bei
Inzing gehen auf roman. tabulatu , Heustadel1 zurück, das hier aber als Lehnwort
namengebend gewesen sein dürfte.
° Walser, Gerold: Die römischen Straßen und Meilensteine in Raetien (Kleine
Schriften zur Kenntnis der römischen Besetzungsgeschichte Südwestdeutschlands
29; Itinera Romana 4), Stuttgart 1983, S. 29.
'' Vgl. ähnliche Beobachtungen bei Staab, Franz: Untersuchungen zur Gesellschaft
am Mittelrhein in der Karolingerzeit (Geschichtliche Landeskunde 11), Wiesbaden
1975, S. 64ff, besonders S. 85. Namenkonstanz im Verlauf von Femstraßen betont
wiederholt Wolfgang Haubrichs u.a. in Ders.: „Galloromanische Kontinuität
zwischen unterer Saar und Mosel. Probleme und Chancen einer Auswertung der
Namenzeugnisse“, in: Günter Holtus / Johannes Kramer / Wolfgang Schweickard
(Hg.): Italica et Romanica. Festschrift für Max Pfister zum 65. Geburtstag, Bd. 3,
Tübingen 1997, S. 211-237, hier S. 219f. Vgl. auch den Beitrag von Kleiber, Woif-
gang: „Die neuentdeckte römische Straßenverbindung zwischen Baar (Hüfingen)
und Breisgau (Zarten) im Blickwinkel der Namenkunde“, in: ebd., S. 239-252.
488
Ursprungs überliefert sind.12 Im Unterschied zur Hauptstrecke darf hier von
einer Neuorganisation ausgegangen werden, die vermutlich notwendig war,
weil auf keine bestehenden Einrichtungen zurückgegriffen werden konnte.
Wie lange die beiden Stationen bestanden, ist unsicher, da wohl noch vor der
Mitte des 3. Jahrhunderts der Unterinntalverkehr durch einen enormen Berg-
sturz bei Rattenberg völlig lahm gelegt und - bedingt durch die allgemeine
Krise des Reiches - offenbar erst nach Jahrzehnten wieder aufgenommen
wurde.* 33
3' Walser: Die römischen Straßen (wie Anm. 30), S. 37.
33 Die Datierung des römerzeitlichen Bergsturzereignisses gelang erst vor wenigen
Jahren Gemot Patzelt am Institut für Hochgebirgsforschung der Universität Inns-
bruck. Dazu neuerdings die Diplomarbeit von Neuhauser, Georg: Der Pletzach-
Bergstnrz bei Kramsach - Naturkatastrophe, unüberwindbares Hindernis oder Aus-
gangspunkt wirtschaftlichen Aufschwungs?, Innsbruck 2006. Die Wiederaufnahme
des Verkehrs spiegelt sich in den archäologischen Funden, die nach einer deutlichen
Unterbrechung erst im 4. Jahrhundert wieder einsetzen. Heitmeier: Inntal (wie
Anm. 3), S. 77-79. Das Itinerarium Antonini, das die Namen Masciaco und Albiano
enthält, soll unter Kaiser Caracalla (211-17) entstanden sein, aber einen Stand aus
nachdiokletianischer Zeit wiedergeben (vgl. Walser: Die römischen Straßen [wie
Anm. 30], S. 29). Stammt der Eintrag der beiden Namen aus der Erstredaktion,
steht ihr Weiterbestehen nach dem Bergsturz in Frage. Sind sie jedoch Inhalt der
Spätredaktion, könnte dies ein Hinweis auf Neuerrichtung nach Wiederaufnahme
des Verkehrs sein.
489
■— - wahrscheinlicher Verlauf der Hauptstraßen 0 Station namentlich belegt
■ ■ • • wahrscheinlicher Verlauf der älteren Wege O Station erschlossen
—— Wasserstraße ** Flußhafen
PP-PH n I ,vrvm\
w a io 20
Kilometer
KmlenqrundJage: TirabAdas, 1:600 000; Kofuept I. Hdundcr, Kaitogiophif: E. Gärtner. 2004
Abb. 5: Römische Straßen und Straßenstationen
490
Während sich im Inntal nur geringe Spuren römischer Zivilsiedlung ab-
zeichnen, da nur vereinzelt villae rusticae durch archäologischen Befund
nachgewiesen sind’4 und sich im Gegensatz zu den zahlreichen Prädiennamen
in Südtirol solche im Norden kaum finden,45 erhielten der Nordtiroler Raum
und insbesondere das zentrale Inntal infolge der diokletianisch-konstantini-
schen Reichsreform im 4. Jahrhundert große militärische Bedeutung.36 Die
Brennerstraße nach Norden und der Wasserweg auf dem Inn Richtung Osten
dienten als Hauptrouten zur Versorgung des Legionslagers Regensburg und
der Donaukastelle. Am Platz der alten Straßenstation Veldidena (Innsbruck-
Wilten) entstanden befestigte Lagerhallen und auf einem Felsriff am Inn, dem
Martinsbühel bei Zirl, wurde das Kastell Teriolis errichtet, wo eine Einheit der
Legio III Italica stationiert wurde.' Zu dieser militärischen Neustrukturierung
gehörte eine Raumorganisation im zentralen Talbereich, die sich in der Topo-
nymie niederschlug (Abbildung 6). Umgeben von dichtem vorrömischem
Namengut findet sich hier eine Reihe von Namen, die, einzeln kaum aussage-
Vgl. Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3), S. 97ff.
Abgesehen von den beiden erwähnten Stationsnamen Masciaco und Albiano ging
Karl Finsterwalder im alpinen Inntal von drei Prädiennamen aus: Wattens <
*Vattanu(m), ferner Gabeluner, 1627 Gagelohn (Flurname in Koisass) < * *Caculla-
nu(m) oder *Cacalianu(m) sowie Absam < *(ad) Abudianos ([um 1000] Abazanes:
Redlich, Oswald [Hg.]: Die Traditionsbücher des Hochstifts Brixen [Acta Tirolen-
sia 1], Innsbruck 1886, Nr. 46 S. 19). Dabei lässt sich zumindest für Wattens eine
vorrömische Herkunft diskutieren, was bereits Finsterwalder tat und was durch die
von C’ristian Kollmann angeführte Namenparallele auf einer rätischen Inschrift im
Nonsberg untermauert wird. Bemerkenswert ist, dass sich die Namenbildungen mit
eindeutig lateinischen Personennamen (Albins, Aurelius), nämlich Albiano bei Kuf-
stein und Erl < *Aurelianu(m) (925 ad Orilatr. Gesellschaft für Salzburger Landes-
kunde [Hg.]: Salzburger Urkundenbuch, Bd. 1: Traditionscodices, bearb, von Willi-
bald Hauthaler, Salzburg 1910, Nr. 15 S. 82) unmittelbar am Alpenrand bereits auf
norischem Boden befinden. Finsterwalder, Karl: „Siedlungsepochen in der Ortsflur
von Absam im Spiegel der Orts- und Flurnamen“, in: Ders. / Hermann Ölberg
(Hg.): Tiroler Ortsnamenkunde, Bd. 2: Einzelne Landesteile betreffende Arbeiten:
Südtirol und Außerfern. Nachträge, Register (Schlem-Schriften 286), Innsbruck
1990 [künftig TOK II], S. 690-703, hier S. 690f; Ders.: „Die Namenschichten im
Raume von Wattens und in den Tuxer Voralpen“, in: ebd., S. 704-732, hier S. 704-
708; Ders.: „Exkurs über die Ortsnamen Koisass, Weer, Pili und die vordeutsche
Flumamensehicht dieser Talsiedlungen“, in: ebd., S. 733-739, hier S. 735; Koll-
mann, Cristian: „Rätische Prädialnamen in Südtirol?“, in: Der Schiern 73 (1999) S.
707-714, hier S. 709; Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3), S. 41 und S. 100; zuletzt
Haubrichs: „Baiem, Romanen und Andere“ (wie Anm. 11), S. 442,
Dazu ausführlich Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3), Kap. E III: „Die militärische Ent-
wicklung“, S. 87-95 sowie S. 161-163.
Notitia dignitatum occ. XXXV, 22. Otto Seeck (Hg.), Berlin 1876, S, 201.
491
kräftig, in der Gruppe ein signifikantes Bild zeichnen:3*
Vi 11 (Stadt Innsbruck) < lat. villa ,Landgut
Pradl (Stadt Innsbruck) < lat. pratalia , Wiesenland*
Gaßeins < roman. (ad) cavallinos (campos) , Roßböden*, der alte Name
der Wiesenhöfe am östlichen Mittelgebirge
Miihlau (Stadt Innsbruck), 1288 Mvlaenne,39 < roman. molinu ,Mühle1
Arzl (Stadt Innsbruck) < lat. arcella ,kleine Burg1 mit dem Flurnamen ,in
der Vill‘
Rum-Schnall, 1504 Ofenschnal < wohl lat. officinalis ,zu einer (Schmie-
de-)Werkstatt gehörig*
Thaur-Pfuhl, 1127/28 in Phulle < lat. foveulla ,kleine Grube*, eher jedoch
< roman. fulla ,Walke, Walkmühle*40
Gampas (heute Heilig Kreuz bei Hall) < lat. carnpus ,Feld*
Aßing im Westen direkt oberhalb der römischen Gebäude im Michelfeld,
(ca. 985-993) Aua/unesA] < lat. aquae longae, westlad. ave(s) lunges
,lange Wasser*
Wollbell, etwas westlich davon, < lat./roman. val bella ,schönes Tal* * 39 40 41
Folgende Namen behandelt von Finsterwalder in TOK II (wie Anm. 35), S. 628
(Vill), I S. 45 und II S. 624 (Pradl), II S. 638 {Gaßems), I S. 36 (Miihlau), II S. 627
{Arzl), II S. 685 (Rum-Schnall), I S. 2 \ 5 ff {Gampas), I S. 30 und 44 {Aßing), I S. 44
{Wollbell).
39
Meinhards II. Urbare der Grafschafl Tirol (Fontes rerum Austriacum II 45/1).
Oswald Zingerle (Hg.), Wien 1890, S. 50.
40 Die Traditionen und das älteste Urbar des Klosters St. Ulrich und A fra in Augsburg
(Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte N.F. 35). Robert Münte-
fering (Hg.), München 1986, Nr. 13 S. 23; dort, wie auch im Tiroler Urkundenbuch,
fälschlich auf Vill bezogen. Zur Identifizierung: Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3) S.
91 Anm. 211. Finsterwalder schlug als Erklärung viullu ,kleiner Weg* oder foveulla
,kleine Grube* vor {TOK II [wie Anm. 35], S. 630 und S. 683); Ersteres wird der
großräumigen Verbreitung des Namens in der Flur (vgl. Heitmeier: Inntal [wie
Anm. 3], Abb. 20 nach S. 110) nicht gerecht, Letzteres passt nicht auf das Gelände,
könnte aber vielleicht auf ein Gewerbe wie das Gerberhandwerk hinweisen. Das
dazu nötige Wasser ist vorhanden. Doch fragt man sich, warum die ausgeübte
Tätigkeit nicht beim Namen genannt wurde. Dies wäre der Fall bei einer Erklärung
mit lat./roman. fulla ,Walke* von fullare ,walken, mit Füßen treten* (Meyer-Lübke,
Wilhelm: Romanisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg 61992, Nr. 3560 S.
304; besonders Schorta, Andrea: Rätisches Namenbuch, Bd. 2: Etymologien [Roma-
nica Helvetica 63], Bern 1964, S. 154), weshalb dieser Deutung der Vorzug ge-
geben wird. Die neuzeitliche Schreibung mit h {Pfuhl) beruht auf Ersatzdehnung für
abgefallenes -a.
41 Traditionen Brixen (wie Anm. 35) Nr. 16 S. 8. Hier noch mit fälschlicher Identifi-
zierung mit Flains bei Sterzing, das jedoch 827 als Valones belegt ist (Traditionen
des Hochstifts Freising [wie Anm. 9], Nr. 550a S. 472).
492
Diese Namen haben ein Charakteristikum gemeinsam: Es handelt sich
durchwegs um appellativische Namen mit beschreibendem Charakter (Afling,
Wollbell) oder Funktionsangabe (Vill, Prctdl, Gaßeins, Pfull, Arzl, Mühlau,
Gampas). Sie unterscheiden sich deutlich von der personalen Benennung von
Landgütern entsprechend dem Typus der genannten Stationsnamen Albiano
und Masciaco, die üblicherweise den Namen des Erstbesitzers enthalten. Im
Unterschied zur patronymischen Benennung einzelner Güter verweisen die
Funktionsnamen auf eine großräumige, das ganze Innsbrucker Becken um-
fassende Organisation. Sie bestand einerseits aus landwirtschaftlichen
Großbetrieben, deren Mittelpunkte durch die beiden F7//-Namen ausgewiesen
werden, wozu aber sicher auch die ,Sillhöfe1 in unmittelbarer Nachbarschaft
des Lagers von Veldidena gehörten. Diese Organisation besaß in Pradl und
Gafleins Weideschwerpunkte und in Mühlau einen zentralen Mühlenort. Im
Norden lassen sich verschiedene Gewerbe erkennen, wobei am deutlichsten
Thaur-Pfuhl in Erscheinung tritt. Die Erstnennung von Pfuhl42 zeigt, dass auch
dieser Name einmal die Qualität eines Siedlungsnamens besaß, seine Ausbrei-
tung als Flurname über die ganze westliche Hälfte der Thaurer Flur bis nach
Rum könnte - will man nicht Namenmigration annehmen - auf eine beacht-
liche Größenordnung des Gewerbebetriebs hinweisen. Hier wurde offenbar
die direkt vor Ort produzierte Schafwolle zu Loden verarbeitet.4"1 Auch der
Name Ofenschnal zwischen Arzl und Rum weist auf ein größeres Werk-
stättengelände hin; dabei spricht die Lage außerhalb der Dörfer besonders für
das wegen der Feuergefahr gefährliche Schmiedehandwerk. Möglicherweise
ist in diesem Bereich auch mit Töpfereien oder Ziegeleien zu rechnen, die in
Arzl und Rum bis in die Neuzeit eine wichtige Rolle spielten.
Im Gegensatz zu den zahlreichen vorrömischen Toponymen im mittleren
Inntal verweisen die lateinischen Namen also auf Neueinrichtungen in rö-
mischer Zeit. Darüber hinaus verdeutlichen die unpersönlich-appellativische
Namengebung einerseits und die Großräumigkeit des Funktionsverbandes
andererseits, dass hier eine Organisation auf institutioneller Basis vorliegt,
was nur bedeuten kann, eine Einrichtung durch die staatlich-römische Verwal-
tung, sei es durch die zivile Provinzverwaltung, den Fiskus oder das Militär.
Dass Letzteres zutrifft, zeigt die enge Vergesellschaftung der Namen Pradl
und Gampas, die an die Termini technici prata (legionis) und campus erin-
nern, wobei Ersteres allgemein das militärische Nutzland, Letzteres das
Siehe Anm. 40.
Vgl. den Flurnamen Flinn/Pßin < (o)vilina oder (o)vilinica zu ovile ,Schafhürde1
nördlich des Rumer Ortskems und fast im westlichen Anschluss an die Pfull-Na-
men. Tiroler Landesarchiv Kat. 20/4 und 20/23 für die Flumummem 1802-1810
und 1823-24, Zur Namenerklärung siehe Finsterwalder, Karl: „Die Flumamen-
schichten in Rum“, in: TOK II (wie Anm. 35), S. 681-689, hier S. 684, der sprach-
lich auch eine Ableitung von valle erwägt, was hier inhaltlich jedoch weniger Sinn
ergibt.
493
Übungsgelände bezeichnet.44 Der topographische Bezug auf das weite
Wiesen- und Weidegelände im Mündungsbereich der Sill bei Pradl sowie die
Lage von Gampas am Nordufer des Inn, südlich der Thaurer und Absamer
Wirtschaftsflur, d.h. also in einem landwirtschaftlich nicht genutzten Bereich,
sprechen für diese Deutung. Auch die Betonung der Pferdeweiden am öst-
lichen Mittelgebirge (Gaßeins < cavallinos) dürfte den militärischen Charak-
ter unterstreichen. Es sieht also danach aus, dass im 4. Jahrhundert mit der
festen Truppenstationierung auch die hierzu notwendigen Versorgungsstruk-
turen vor Ort geschaffen wurden, die neben Pferdeweiden vor allem Weide-
und Wiesenland für den enormen Viehbedarf der Truppen vorsahen, daneben
aber auch die Herstellung handwerklicher Erzeugnisse ermöglichten.* 4" Die
Werkstätten für Ausrüstung und Waffen sowie die Lodenherstellung für
Militärmäntel passen gut ins Bild. Da gerade das mittlere Inntal klimatisch
gute Bedingungen für den Getreidebau aufweist,4'" ist durchaus vorstellbar,
dass die drei großen horrea in Wüten, die mit 17 x 62 Metern immerhin den
Speicherbauten von St. Irminen in Trier vergleichbare Ausmaße besaßen,
nicht nur der Aufnahme von Nachschubgütern aus Italien, sondern auch als
Sammelstelle für die lokalen Produkte dienten.
Petrikovits, Harald von: „Militärisches Nutzland in den Grenzprovinzen des Römi-
schen Reiches (1977)“, in: Ders.: Beiträge zur römischen Geschichte und Archäolo-
gie II (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des Rhei-
nischen Amtes für Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland und des
Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande, Beihefte 49), Köln 1991, S. 61-71.
Möcsy, Andreas: „Zu den Prata Legionis“, in: Studien zu den Militärgrenzen Roms.
Vorträge des 6. Internationalen Limeskongresses in Süddeutschland (Bonner Jahr-
bücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des Rheinischen Amtes für
Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland und des Vereins von Alter-
tumsfreunden im Rheinlande, Beihefte 19), Köln 1967, S. 211- 214. Prata-Namen
finden sich regelhaft in der Nähe von Straßenstationen und Kastellen, wie Brederis
bei Clunia (Altensiadt/Vorarlberg) oder Pratteln bei Basel/Augst. Eine systema-
tische Zusammenstellung wäre aufschlussreich.
4" Zur Truppenversorgung siehe Petrikovits, Harald von: „Die Versorgung der
römischen Streitkräfte (1979)“, in: Petrikovits: Beiträge II (wie Anm. 44), S. 73-74;
Gechter, Michael: „Das römische Heer in Niedergermanien“, in: Heinz Günter
Horn (Hg.): Die Römer in Nordrhein-Westfalen, Stuttgart 1987, S. 128-130 (Logis-
tik). Für Größe und Bedeutung des Tierbestandes spricht, dass die Legionen eigene
pecuarii unter den immunes hatten. Als Beispiel für gewerbliche Produktion im
Umfeld eines Legionslagers: Schmidts-Jütting, Ingrid: „Die gewerblich geprägte
villa rustica von Regensburg-Neuprült“, in: Ludwig Wämser / Bernd Steidi (Hg.):
Neue Forschungen zur römischen Besiedlung zwischen Oberrhein und Enns: Kollo-
quium Rosenheim, 14.-16. Juni 2000 (Schriftenreihe der Archäologischen Staats-
sammlung München 3), Remshalden-Grunbach 2002, S. 91-96.
4(1 Telbis, Hans: Zur Geographie des Getreideanbaus in Nordtirol (Schlem-Schriften
58), Innsbruck 1948.
494
Abb. 6: Militärisches Nutzland in römischer Zeit.
495
lür^rpt I HrtRKKT.
Die beschriebene lateinische Toponymie des mittleren Inntals ist also als
Niederschlag staatlich-römischer Raumorganisation zu verstehen und gibt an
sich noch keine Auskunft über die Sprach- und Bevölkerungsverhältnisse,
etwa die Ansiedlung lateinischsprachiger Personen oder die sprachliche Ro-
manisierung der einheimischen Bevölkerung. Für Letzteres ist auf die Mikro-
toponymie zurückzugreifen.47 Insgesamt verweisen verschiedene Indizien wie
das Fehlen von Inschriften, das Totenbrauchtum oder der geringe Nachweis
römisch geprägter Zivilsiedlungen auf eine starke Konstanz des einheimischen
Elements mit überwiegender Weiterführung der bestehenden Siedlungsstruk-
turen überall dort, wo keine Neuorganisation stattfand, was zur Kontinuität
der zahlreichen vorrömischen Toponyme passt.
Während nun im 7. Jahrhundert der fränkische ,Amtsadel‘ sich mit seiner
Gefolgschaft im Oberinntal niederließ und seine neu organisierten Siedlungen
mit patronymischen Namen versah, blieb die vorrömisch-römische Topony-
mie im mittleren Talabschnitt und entlang der Femstraßen in hohem Maße
erhalten, so dass heute beispielsweise auf den südlichen Innsbrucker Mittelge-
birgen nicht nur die Namen der Dörfer vorrömischen, sondern auch ein hoher
Prozentsatz der Flurnamen vordeutschen Ursprungs sind.4s Diese Namentradi-
tion korrespondiert mit Hinweisen, die einen nahtlosen herrschaftspolitischen
Übergang von den Römern zu den Ostgoten und weiter zu den Franken
erkennen lassen. So ist mit einiger Wahrscheinlichkeit das rätselhafte Thedori-
copolis des Geographen von Ravenna mit dem militärischen Mittelpunkt des
Inntals TeriolistZirl gleichzusetzen, wobei eine politisch motivierte Ausdeu-
tung des vorrömischen Namens 7i(h)e(do)r/(c)o(po)/A denkbar ist.4 i Dass * 80
4 Finsterwalder, Karl: „Romanische Vulgärsprache in Rätien und Noricum“, in: TOK
I (wie Anm. 4), S. 387-418, besonders S. 414f.
4X An Ortsnamen sind zu nennen: Im Osten aus dem Silltal kommend Tarzens, Patsch,
Laus, Rans, Sistrans, A¡¿Irans, Ampass, Rinn, Tulfes; im Westen Raitis, Mutters,
Natters, Götzens, Axams mit den Weilern Omes und Zifres sowie Grinzens. Hinzu
kommen die Flurnamen Luvens und Seifens, Griffens*, Mails, Misails*, Kerzes* (<
1435 Kärtzeins, BayHStA KU Frauenchiemsee 430). Mit Ausnahme der mit
Asterisk gekennzeichneten Namen sind alle behandelt bei Ölberg, Hermann M.:
Das vorrömische Namengut Nordtirols. Ein Beitrag zur Illyrierfrage, Diss. masch.
Innsbruck 1962, sowie bei Anreiter: Breonen (wie Anm. 10). Zu Zifres siehe auch
Anreiter, Peter: Keltische Ortsnamen in Nordtirol (Innsbrucker Beiträge zur
Sprachwissenschaft, Vorträge und Kleinere Schriften 65), Innsbruck 1996, S. 78-
80, sowie Gruber, Andrea: „Siedlungsgeschichte von Axams im Licht der Namen-
kunde“, in: Österreichische Namenforschung 28 (2000) S. 17-37, hier S. 25. Zu
Kerzes: Gruber, Andrea: „Axams. Die Geschichte eines Dorfes im Spiegel seines
Namenschatzes“, in: Wissenschaft und Verständlichkeit. Überlegungen zu einem
Flurnamenbuch. XVII. Namenkundliches Symposium, Kais a. Gr. 2002, S. 1-25,
hier S. llf., sowie jetzt: Grötschnig, Andrea: Axams. Namen und Siedlungs-
geschichte (Innsbrucker Beiträge zur Onomastik 5), Wien 2008, Nr. 289 S. 179f.
49 Volk, Peter: „Zur Identifizierung der The(o)doricopolis des Anonymus von Raven-
496
derselbe Herrschaftsmittelpunkt später nach dem merowingischen Reichsheili-
gen in St. Martinsberg > Martinsbühel umbenannt wird, spricht für sich. Auch
das Fortleben des Raumnamens pagus Vallenensium bis ins späte 8. Jahrhun-
dert legt Herrschafts- und Verwaltungskontinuität nahe.* 50 Letztere stützte sich
aber ganz wesentlich auf die Vallenenses, die ,lnntalbewohner‘. Denn im
mittleren Inntal war aus der ansässigen Bevölkerung eine organisierte Ge-
meinschaft hervorgegangen, die den Namen des vorrömischen Stammes der
Breonen weiterführte und deren Funktion in der Spätantike zunehmend milita-
risiert wurde, so dass sie mit den exercitales der frühmittelalterlichen Salz-
burger Überlieferung verglichen werden kann.51 52 * 54 Ihre Aufgabe bestand zu-
nächst in der Gewährleistung des Nachschubs, der über die Brennerroute kam
und weiter nach Regensburg und an die Donaukastelle befördert werden
musste. Die horrea in Wüten bildeten dabei die Verteilerstation nach Norden
und Osten. In ostgotischer Zeit hatten sie die nördlichen Zugänge der Pass-
straßen nach Italien zu sichern, gemäß Theoderichs Feststellung: Raetiae
namque munimina sunt et claustra provincicte. Hier sollte der ostgotische dux
für die Ruhe des italischen Reiches (tranquillitas regni) sorgen."2 Im 7. Jahr-
hundert schließlich ging es darum, die fränkische Position im ehemals
raetischen Alpenraum gegen die Baiem im Norden wie die Langobarden im
Süden zu behaupten."' Diese Breonen, die schon Venantius Fortunatus um das
Jahr 565 am Inn lokalisiert,"4 bildeten noch im 8. Jahrhundert nicht nur eine
politische Gemeinschaft, deren concives man sein konnte, sie besaßen auch
na“, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 1 (1971) S. 123-128. Zur Diskussion:
Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3), S. 1 80ff.
50 Der Name erscheint 763 in der Gründungsurkunde des Klosters Schamitz:
Uallenemium expago (Trad. Freising, wie Anm. 9, Nr. 19 S. 47). Doch auch in der
um 770 verfassten Vita Corbiniani spricht Arbeo von Freising noch von den partes
Vallenensiunr. Vita Corbiniani: Bischof Arbeo von Freising und die Lebensge-
schichte des heiligen Korbinian. Hubert Glaser / Sigmund Benker / Franz Brunhölzl
(Hg.), München / Zürich 1983, Kap. 37, S. 146. Der Name verschwindet nach dem
Sturz Herzog Tassilos und der Neuordnung des Raums durch Kar! den Großen.
Dazu Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3), S. 350ff.
51 Heitmeier: Inntal (wie Anm, 3), S. 170ff; zum Vergleich mit den exercitales S.
178f,
52 Flavius Magnus Aurelius Cassiodorus: Cassiodori Senatoris Variae (Monumenta
Germaniae Historica AA 12). Theodor Mommsen (Hg.), Berlin 1894, S. 1-385, hier
S. 203f.
Vgl. die Zusammenfassung dieser Entwicklung in Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3),
Kap. M, S. 355ff.
54 Venantius Fortunatus: Venanti Honori Clementiani Fortvnati Presbyteri Italici
Opera poetica (Monumenta Germaniae Historica AA 4,1). Friedrich Leo (Hg.),
Berlin 1881, S. 2.
497
eine eigene Oberschicht, die Arbeo von Freising mit dem im 8. Jahrhundert
noch elitären Epitheton nobilis bedachte. In seiner Vita Corbiniani berichtet er
von einem Wunder, das sich anlässlich der Translation des Heiligen von
Freising nach Mais/Meran ereignete: Der nobilis tarn genere quam formae
Romanus Dominicas [...] Preonensium plebis concives wurde in Uallenensium
partibus von einem Fieber geheilt.'5
Im Unterschied zum Oberinntal ist demnach entlang der Brennerstraße und
im zugehörigen organisierten Passfußraum nicht nur von einer starken Bevöl-
kerungs-, sondern darüber hinaus von einer ausgeprägten institutioneilen und
funktionalen Kontinuität auszugehen, die einerseits die Konstanz der Topo-
nymie forderte, andererseits aber auch die Identität der ansässigen, in die alten
Strukturen eingebundenen Bevölkerung soweit stärkte, dass sie ihre traditio-
nelle Sprache weiter benutzte. Die frühen germanophonen Einflüsse in diesem
Raum dürften auch hier auf die Anwesenheit nicht-einheimischer Herrschafts-
träger zurückgehen, die aber im Unterschied zum Oberinntal lediglich verwal-
tende Funktion besaßen und damit weder neue Siedlungsnamen noch die
Durchsetzung der althochdeutschen Sprache bewirkten.
Angesichts der offensichtlichen Kontinuität im Einzugsbereich der Nord-
Süd-Straße lohnt ein Blick auf die römischen Straßenstationen im Unterinntal.
Hier ist festzustellen, dass der Name der Station Albiano bei Kufstein über-
haupt nicht weiterexistierte, Masciaco nahe der Zillermündung möglicher-
weise als Flurname und im Namen von Schloss Matzen überlebte, doch ist das
nicht gesichert.* 56 Unklar ist auch, wo sich die Station zuletzt befand, da infol-
ge des erwähnten verheerenden Bergsturzes unmittelbar östlich bei Rattenberg
im 4. Jahrhundert eine Verlegung der Straße und der zugehörigen Einrich-
tungen vom linken auf das rechte Innufer anzunehmen ist.
Interessanterweise findet sich im Bereich dieser Stationen jeweils ein Sied-
lungsname, der auf eine frühe kirchliche Einrichtung hinweist: Münster nahe
dem ehemaligen Masciaco und Zell bei Kufstein im Umfeld von Albiano.
Dieses Zell ist bereits in dem nach dem Sturz Herzog Tassilos 788/90 in Salz-
burg angelegten Güterverzeichnis der Notitia Arnonis genannt, wo es heißt:
Ad Caofstein ecclesia cum territorio et cello/a, ubi fratres nostri manibus
laborant.51 Es handelt sich also um einen Salzburger Wirtschaftshof, der - da
Vita Corbiniani (wie Anm. 50), Kap. 37, S. 146.
56 Finsterwalder geht von einer Entwicklung Masciacum/Mascianum (Handschrift des
10. Jahrhunderts; dazu Ölberg: Das vordeutsche Namengut [wie Anm. 48], S. 213)
> *Maciacum > Matzen aus. Finsterwalder, Karl: „Die Schichten der Ortsnamen auf
-ing und die Altsiedlung am Rande und im Innern der Alpen“, in: TOK I (wie Anm.
4), S. 419-437, hier S. 427.
5" Notitia Arnonis 6, 27, hrsg. von Fritz Losek, in: Quellen zur Salzburger Frühge-
schichte (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung
44; Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Ergänzungsband
22). Herwig Wolfram (Hg.), Wien / München 2006, S. 9-153, hier S. 80.
498
das Güterverzeichnis die Schenkungen aus Herzogshand aufführt - auf her-
zoglichem Boden errichtet worden war. Wilhelm Stürmer hat auf die
Bedeutung dieser frühen Zellen für „Paßhut und Hospiz“ entlang der Fern-
straßen hingewiesen,>K was sich südlich und westlich von Salzburg in einem
ausgesprochenen Raumerschließungssystem abzeichnet (Abbildung 7), das
wohl in einem Zusammenwirken der Salzburger Bischöfe mit den bairischen
Herzogen entstand. Als Älteste ist die Maximilianszelle in Bischofshofen
anzusehen, gefolgt von Zell am See und vermutlich Zell bei Kufstein. Auf-
grund der Namen- und Lageparallele ist auch Zell am Ziller anzuschließen,
auch wenn dafür frühmittelalterliche Quellenbelege fehlen.
Bezüglich Zell bei Kufstein ist deutlich, dass hier nicht mehr der Verkehr
aus dem Inntal Richtung Regensburg organisiert wurde, für den die Station
Albicmo zuständig war, sondern durch die Einbindung in das bairische Her-
zogtum eine völlig neue Raumorientierung stattgefunden hatte, die die Ziller-
taler- und Tauernübergänge anpeilte. Grundsätzlich gingen in der Umgebung
von Kufstein nicht alle vordeutschen Namen verloren, wie die Siedlungs-
namen Ehbs und Erl zeigen, doch war Zell eine neue Einrichtung in neuem
funktionellen Zusammenhang. Wie bereits in römischer Zeit verweist die un-
persönlich appellativische Benennung auf den fiskalischen, hier herzoglich-
bischöflichen Kontext.
Stornier, Wilhelm: „Engen und Pässe in den mittleren Östalpen und ihre Sicherung
im frühen Mittelalter“, in: Mitteilungen der geographischen Gesellschaft in
München 53 (1968) S. 91-107; Ders.: „Feinstraße und Kloster. Zur Verkehrs- und
Herrschaftsstruktur des westlichen Altbayem im frühen Mittelalter“, in: Zeitschrift
für bayerische Landesgeschichte 29 (1989) S. 299-343.
499
Abb. 7: Frühmittelalterliche Raumorganisation Beispiel 1: Das Zellensystem
an den Passstraßen
Der zweite Fall, Münster im Raum des ehemaligen Masciaco, liegt genau
gegenüber der Zillermündung. Der Ziller gilt in römischer Zeit als Grenze
zwischen den Provinzen Raetien und Noricum und muss auch im frühen
Mittelalter eine raumordnende Funktion besessen haben, die die Voraus-
setzung dafür war, dass hier 739 die Bistumsgrenze zwischen Salzburg und
Säben-Brixen festgelegt wurde. Der Name Münster am nördlichen Innufer
könnte darauf hindeuten, dass ein Frühkloster an die Stelle der römischen
Straßenstation Masciaco trat und einerseits dessen Hospizaufgabe an der
Kreuzung der Achensee-Zillertal-Achse mit dem Inntal übernahm, anderer-
seits die Grenzposition am Ziller besetzte.54 Beweisbar ist dies beim jetzigen
archäologischen Forschungsstand nicht.* * * * 60 * * Deutlich zeichnet sich jedoch in der
Toponymie ab, dass Münster der Mittelpunkt einer frühmittelalterlichen
Siedlungs- und Wirtschaftsorganisation war, die das typische Bild einer Villi-
9 Der Name ist aufgrund seiner späten Belegung im 13. Jahrhundert und der
zwischenzeitlich stattgefundenen Bedeutungserweiterung von Münster inhaltlich
nicht mehr eindeutig zu deuten. Dazu wie zur Problematik der grundherrschaft-
lichen Zuordnung: Heitmeier: Inntal (wie Anm. 3), S. 297.
60 Unter der Kirche wurden die Überreste eines römischen Gebäudes gefunden, doch
fand keine Untersuchung außerhalb statt. Sydow: Kirchenarchäologie (wie Anm.
18), S. 82.
500
kation zeigt (Abbildung 8). Eine solche wird gekennzeichnet durch ein herr-
schaftliches Zentrum, dem Siedlungen mit unterschiedlicher Funktion und
Dienstleistung zugeordnet sind. Manche dieser Siedlungen tragen lediglich
typisch schematische Namen, andere lassen ihre Funktion im Namen erken-
nen, wie Hans-Jürgen Nitz das für Holzhausen oder Roßdorf dargelegt hat.61
Im Fall von Münster findet sich wenig südlich der Funktionsname Hof
daneben Haus und Hub, nordwestlich Asten und Habach, südöstlich Wiesing
mit Bradl. Hof ist als wirtschaftlicher Mittelpunkt der Villikation anzusehen,
in Haus und Hub befanden sich abhängige Betriebseinheiten, während Asten <
wohl 1181 Ouste,62 zu ahd. ouwist ,Schafstall, Schafhürde1, eine auf Schaf-
zucht spezialisierte Wirtschaftseinheit anzeigt. Der Habach < 1138/40
Hegebah,63 64 zu mhd. hag ,Hecke, Zaun, Begrenzung464 markiert die Grenze der
Organisation. Zwischen Hub und dem benachbarten Wiesing im Westen liegt
eine lang gestreckte Flur namens Bradl, das wie Pradl bei Innsbruck-Wilten
von roman. prata/ia ,Wiesenland4 herzuleiten ist. Da sich pratum-Namen im
Alpenraum häufig an alten Straßenzügen sowie in der Umgebung ehemaliger
römischer Straßenstationen finden, dürfte auch dies ein Funktionsname sein,
der auf öffentliches Weideland hinweist.65 Wiesing wird daher eher als Über-
setzungsname zu Bradl denn als Ableitung von einem Personennamen zu
verstehen sein.66 Damit zeichnet sich in aller Klarheit eine frühmittelalterliche
Nitz: „Siedlungsstrukturen“ (wie Anm. 1).
6‘ Die Urkunden der Abtei St. Georgenberg-Fiecht vom 10. Jahrhundert bis 1300
(Tiroler Geschichtsquellen 27). Christian Fomwagner (Hg.), Innsbruck 1989, Nr. 9
S. 12
65 BayHStA KL Ebersberg 2.
64 Zur irregulären Umlautbildung siehe Finsterwalder, Karl: „Ungewöhnlicher Umlaut
in zusammengesetzten Ortsnamen und Appellativen“, in: TOK I (wie Anm. 4), S.
254-260, besonders S. 259f.
65 Zu nennen wäre Prad im Vinschgau an der Abzweigung der Stilfserjoch-Straße oder
- hier besonders parallel Prada im Oberhalbstein (Graubünden), in dessen un-
mittelbarer Nachbarschaft das Frühkloster Mistail (< monasterium) gegründet
wurde. Dazu u.a. Kaiser: Churrätien (wie Anm. 17), S. 132; Heitmeier: Inntal (wie
Anm. 3), S. 298f. Vgl. auch Anm. 44.
66 Auch Steinberger verstand den Namen Wiesing bereits als „Zwillingsnamen“ zu
Bradl. Steinberger, Ludwig: „Noricum, Baiem, Bayern - Namen, Sprache und Ge-
schichte“, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 18 (1955) S. 81-143, hier
S. 118f; Finsterwalder hingegen stellt Wiesing als echten -/«g-Namen zum Perso-
nennamen Wiso. Vgl. z.B. Ders.: „Sprachschichten in den Ortsnamen Tirols44, in:
TOK I (wie Anm. 3), S. 40; oder: „Diphthongierung und Akzentuierung in den Ört-
lichkeitsnamen Tirols“, in: TOK I (wie Anm. 3), S. 47. Entsprechend Ölberg,
Hermann M.: „Zu den ältesten Namen in Wiesing, Exkurs 2“, in: „Bachmann,
501
Neustrukturierung dieses Siedlungsraumes ab, die vermutlich nötig war, weil
die Flur von Münster am stärksten von der verheerenden Wirkung des er-
wähnten Bergsturzes und des dadurch bedingten Inn-Hochwassers betroffen
war. Die zurückgelassenen Schlamm- und Schotterschichten hatten das Wirt-
schaftsland für mehrere Jahrhunderte wertlos gemacht. Bezeichnend erscheint
der Hinweis auf Schafzucht im Namen des Weilers Asten, der so verstanden
werden kann, dass dieser Teil der Flur zum Zeitpunkt der Neuorganisation
noch immer nicht zu mehr als zur Schafweide taugte. Nach Ausweis des Flur-
namens Tegerfeld zu ahd. *tegar ,groß‘ muss die Wiederaufnahme der
Bewirtschaftung spätestens bis zum frühen 8. Jahrhundert erfolgt sein.
Während es unter diesen Umständen nicht verwundert, dass in der unmittelba-
ren Flur von Münster keine vordeutschen Flurnamen erhalten sind, finden sich
diese im Randbereich bei Wiesing. Bradl wurde schon genannt, dazu gesellt
sich Blell zu roman. plagiu- ,Böschung, Hang1 mit Diminutivsuffix -ellu und
Profeld, das ebenfalls roman. pratu- enthält.6 Hier könnte die Neuorganisa-
tion um Münster tatsächlich noch einen funktionellen Anschluss an die römi-
sche Straßenstation besessen haben.
Abb. 8: Frühmittelalterliche Raumorganisation Beispiel 2: Die Villikation um
Münster * 67
Hanns: Wiesing, Grundzüge seiner mittelalterlichen Geschichte“, in: Studien zur
Namenkunde und Sprachgeographie. Festschrift fiir Karl Finsterwalder zum 70.
Geburtstag (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 16), Innsbruck 1971, S.
173-201, hier S. 200f.
67 Ölberg: „Zu den ältesten Namen in Wiesing“ (wie Anm. 66), S. 200.
502
So eindeutig die frühmittelalterliche Neuorganisation aufscheint, so offen-
sichtlich blieb in der Umgebung vordeutsche Toponymie erhalten: Voldöpp
im Osten, Brixlegg, Gallzein und Schweiz am rechten Innufer, am linken Vamp
und Stans69 sowie in Jenbach Schals (< 1312 Schalles) für den Ortsteil um die
Kirche,* 69 70 vom Namen des alles überragenden Gebirgsstockes Rofän ganz zu
schweigen. Nicht umsonst rechnete Finsterwalder die linke Talseite bis Vol-
döpp noch zu dem bis ins Hochmittelalter bilingualen Raum (Abbildung 2).
Der Raum Münster - Wiesing steht somit dem Oberinntaler Poapintal als
ebenfalls im Frühmittelalter neu strukturierter Raum gegenüber. Doch im
Gegensatz zum Poapintal, wo der ,AdeT Siedlungen gründete und seine Herr-
schaft in patronymischen Namen demonstrierte, trägt die Villikationsver-
fassung des Münsterer Raumes fiskalischen Charakter, wobei offen bleibt, ob
diese unmittelbar vom König oder bereits von der Kirche getragen wurde. Ur-
sache für diese Neuordnung war hier die Notwendigkeit, einen Stützpunkt für
den Verkehr am Schnittpunkt der Achensee-Zillertal-Achse mit dem Inntal zu
schaffen und Präsenz im Grenzraum gegen den bairischen Dukat zu beweisen.
Während die Adelsherrschaft im Oberinntal eine schnelle deutschsprachige
Integration auch des weiteren Talverlaufs bewirkte, beschränkte sich die fiska-
lische Organisation um Münster auf eine deutsche Benennung der neuen
Funktionsorte und der neu verfassten Flurteile, ohne dabei vorhandene vor-
deutsche Namen zu beseitigen, insbesondere dort nicht, wo diese in einem
funktionalen Zusammenhang standen (z.B. Bradl- öffentliche Weide). Klein-
räumig scheint sich auch hier bereits vor 1100 die deutsche Sprache durchge-
setzt zu haben, wie die Anfangsbetonung bei Bradl und Blell anzeigt. Doch
nur wenige Kilometer weiter weisen der Kleinraumname Gallzein südlich
Jenbach und Voldöpp östlich Münster Endbetonung auf. Die Sprachverhält-
nisse müssen auf engstem Raum gewechselt haben.
Grundsätzlich gewinnt man im Tiroler Inntal den Eindruck, dass sich in
einem Raum, in dem es weder zu Beginn der Römerzeit noch im frühen
Mittelalter zu größeren Bevölkerungszuzügen kam, wo vielmehr die Herr-
schaftsübernahme durch fremdsprachige Herrschaftsträger im Vordergrund
stand, Kontinuität oder Diskontinuität der Siedlungs- und Raumnamen - nicht
M Ursprünglich ein Hydronym. Vgl. Anreitcr: Breonen (wie Anm. 10), S. 97-99.
69 Alle Namen behandelt von Karl Finsterwalder. Vgl, Finsterwalder, Karl / Ölberg,
Hermann M. (Hg.): Tiroler Ortsnamenkunde, Bd. 3: Einzelne Landesteile betreffen-
de Arbeiten: Südtirol und Außerfern. Nachträge, Register (Schlem-Schriften 287;
Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte 17), Innsbruck 1995.
70 Stolz, Otto: „Das Steuerbuch des Inntales von 1312“, in: Quellen zur Steuer-,
Bevölkerungs- und Sippengeschichte des Landes Tirol im 13., 14. und 15. Jahr-
hundert (Schlem-Schriften 44), Innsbruck 1939, S. 45-87, hier S. 66; Finsterwalder,
Karl: „Namengeschichte von Jenbach“, in: TOK II (wie Anm. 35), S. 740-749, hier
S. 740f.
503
der Mikrotoponymie - vor allem eine Frage von Herrschafts- und Rechts-
tradition war. Wo neue Organisationsstrukturen entstanden, wurden Sied-
lungen und Funktionseinrichtungen neu, d.h. in der Sprache der neuen Ober-
schicht benannt. Das gilt für das militärische Nutzland in römischer Zeit wie
im frühen Mittelalter für die ,Adels‘-Siedlungen im Oberinntal oder für
Münster und Zell als funktionale, aber neu ausgerichtete Nachfolger römi-
scher Einrichtungen. Wo hingegen Organisationsstrukturen weitergeführt
wurden, wie entlang der Femstraßen von vorrömischer in römische Zeit und
von der Spätantike ins Frühmittelalter, oder wenn darüber hinaus Herrschafts-
legitimation aus der Übernahme älterer Rechte abgeleitet wurde, wie im
Bereich des ehemaligen militärischen Nutzlandes und in Zusammenhang mit
dem Gemeinwesen der Breonen, blieben die bestehenden Namen als Aus-
druck der Konstanz der Verhältnisse erhalten und dies auch dort, wo mög-
licherweise ein Dazu- oder Danebensiedeln anderssprachiger Bevölkerungs-
teile anzunehmen ist. Zu denken gibt, dass sich die dichteste Kontinuität der
vordeutschen Toponymie in dem Bereich findet, der bereits in römischer Zeit
am intensivsten von der staatlich-militärischen Organisation erfasst wurde.
Berücksichtigt man dazu den Hintergrund, dass das Ostgotenreich seine Herr-
schaftslegitimation unmittelbar vom oströmischen Kaiser bezog, der Franken-
könig Theudebert die Herrschaft in Raetien aber als ostgotisches ,Erbel über-
nahm, so erscheint deutlich, dass überall dort, wo sich Herrschaft auf
bestehende Rechte stützte und auf funktionsfähige Strukturen zurückgreifen
konnte, diese auch weitergeführt wurden und mit ihnen die zugehörige Topo-
nymie. Siedlungs- und Raumnamen spiegeln in Tirol also weit mehr als
Sprachkontinuität, sie dürfen als Abbild der rechtlichen und strukturellen
Kontinuität dieses Raums verstanden werden. Letztere scheint aber wiederum
wesentlich verantwortlich zu sein für das Weiterleben einer Sprache, denn
überall dort, wo neue Herrschaftsrechte zum Tragen kamen wie die des
,Adels* im Oberinntal, aber auch die des bairischen Dukats östlich des Ziller
setzte sich die althochdeutsche Sprache schneller durch als im zentralen Tal-
abschnitt.
Summary
Toponymy reflecting Political Issues and Spatial Organi-
sation. Place Names in North Tyrol during Late Antiquity
and Early Middle Ages
The valley of the river Inn in North Tyrol lays on the northern bottom of the
two most important passes in the central parts of the Alps, the Brenner- and
the Reschenpass. Therefore the valley was a prefered area of communication
in ail periods and, especially in Roman and Medieval times, important for
trade-organisation as well as for strategic functions. Placed between the
504
German speech area in the North (Bavaria, Alemannia) and the Romance
speaking South, the place-names of the valley show different strata of
languages (pre-Roman, Latin and German) and report different modes of
linguistic integration changing within short distances. So the areas near the big
transalpine routes were very conservative in preserving the existing place-
names and using the traditional language. Nevertheless, here we find the first
indications of linguistic interferences in the Early Middle Ages. In com-
parison, the other parts of the Inn-valley show a lot of place-names of Old
High German origin, but no example for early phonetic alterations.
The results of a research-project at the University of Innsbruck combining
archaeological, historical and philological questions are able to explain the
phenomena. Regarding the types of the place-names (German/pre-German;
personal/non personal) and their semantics one can notice that in the Roman
and Early Medieval period new names not necessarily prove the arrival of
people speaking another language, but very often indicate new organisation of
land and new structures of settlement. So the names of Latin origin in the
centra] part of the valley around modern Innsbruck mark the establishment of
Roman troops (“militärisches Nutzland”), whereas the local population
remained and preserved many place- and field-names of pre-Roman origin. In
the 7th century a new group of Old High German-speaking landlords gave
patronymic German names to settlements in the upper part of the valley, even
to those who had existed without interruption from Roman times so far. Those
names don’t indicate a German “Landnahme” but represent rule and power of
the landlords. On the other hand, along the transalpine routes, the strong
tradition of toponymy and spoken language has been caused by the
continuation of fiscal rights and administrative structures from Roman to
Medieval times. Here, members of a German-speaking upper class only left
phonetic traces. According to this study, the language of place-names (not of
the micro-toponymy!) took place due to political factors such as spatial
organisation, representation of power or legitimation of rule on the right of a
prior authority and less to the spoken language of the people. So it seems that
in a region like the Inn-Valley the toponymy tells more about the continuity or
discontinuity of power and rights than about the contact of languages.
505
Andreas Schorr
Zur Namengeografie galloromanischer Lehn- und
Reliktwörter in Mikrotoponymen des Saar-Mosel-
Raums
1. Einleitung
Die Erforschung der galloromanischen Namenrelikte östlich der heutigen
deutsch-französischen Sprachgrenze hat in den letzten Jahrzehnten beträcht-
liche Fortschritte gemacht (Literaturberichte Haubrichs 2003a-b; 2005; Pitz
2008; Post 2004). Insbesondere die Moselromania hat mittlerweile im
Bewusstsein der wissenschaftlichen und auch der breiteren Öffentlichkeit in
der betroffenen Region eine gewisse Aufmerksamkeit gefunden. Sie wurde
von germanistischer Seite und auch aus der Perspektive der Romanistik
erforscht, gerade in jüngster Zeit mit neuen Studien (Barme 2006a; 2006b;
2008; Kramer 2002). ln diesem Beitrag werden nun einige noch weniger
bekannte Aspekte der Mikrotoponymie kleinräumiger Kontinuitätsareale in
der Mittelzone zwischen dem einst kompakten Sprachgebiet der Romanen an
der Mittelmosel und der heutigen Sprachgrenze in Lothringen aufgezeigt. Die
Quellenbasis bilden Flurnamen aus dem Archiv für Siedlungs- und Flurnamen
des Saarlandes und des germanophonen Lothringen (ASFSL), die der Autor
zusammen mit Martina Pitz (Lyon) unter der Leitung von Wolfgang Haub-
richs in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt
Galloromanische Relikte in der Toponomastik Ostlothringens und des
Saarlandes. Ihr Aussagewert für eine interdisziplinäre Kontinuitätsdiskussion
ausgewertet hat. Die Kartierung von Flurnamenwörtem romanischer Herkunft
wird kontrastiert mit den Ergebnissen der Siedlungsnamenforschung des
Raumes sowie einer Studie zu den Flurnamenräumen im Saarland und in
Ostlothringen (Schon* 2000). Die Validität der auf Flurnamen basierten
Sprachdaten wird durch den Vergleich mit den Resultaten der
Siedlungsnamenforschung aufgezeigt. Kleinere Abweichungen zwischen den
jeweiligen Ergebnissen können durch die Dynamik sprachgeografischer
Entwicklungen des Spätmittelalters und der Neuzeit erklärt werden.
2. Das Untersuchungsgebiet
Das Untersuchungsgebiet setzt sich zusammen auf deutscher Seite aus dem
Saarland und auf französischer Seite aus den historisch deutschsprachigen
Teilen des Moseldepartements sowie dem Krummen Eisass, das sind die
sprachlich zum lothringischen Rheinfränkischen gehörigen unterelsässischen
Kantone Saar-Union, Drulingen und Lützelstein (Petite-Pierre). Aus den
zeitlich und z.T. auch methodisch unterschiedlichen Untersuchungen zum
507
Verlauf der deutsch-französischen Sprachgrenze wurde die Untersuchung von
Constant This (1887) gewählt und auf den Karten 1 und 4 dargestellt. Sie
spiegelt einen inzwischen auch historisch gewordenen Verlauf, jedoch liegen
östlich dieser Linie - von wenigen Ausnahmen abgesehen - die Aufnahmeorte
für die Mundarterhebung der Flurnamen im Saarbrücker Ortsnamenarchiv
(ASFSL), die auch einige heute französischsprachige Orte mit stark deutsch
geprägter Mikrotoponymie umfassen. Grundlage für die tentative Rekons-
truktion einer früheren Sprachgrenzlinie im Übergang von Früh- zu Hoch-
mittelalter auf den Karten 2 und 3 waren die unten angeführten Siedlungs-
namenstudien sowie die Untersuchung zum historischen Verlauf der Sprach-
grenze von Hans Witte (1894). Die historische Verbreitung von sprachlichen
Erscheinungen im Raum hängt für die frühen Verhältnisse stark von den
Siedlungskammern und der die Kommunikation eher hemmenden Waldbe-
deckung ab. Auf Karte 1 wurde durch den Schriftzug Vosagus der historisch
gesicherte (Dokumentation bei Puhl 1999, S. 396-412 und Karte 5), weiter
nach Norden reichende Verlauf des Vogesenwaldes angedeutet, der für die
frühmittelalterliche Orientierung des gegen Osten abgeschotteten Raumes
nach Nordwesten eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte.
3, Flurnamenräume
Wenn in dieser kleinen Studie die Flurnamengeografie mit der Siedlungsna-
mengeografie in Verbindung gebracht wird, so steht dies in der Tradition
dieser Forschungsrichtung (Ramge 1996, S. 1170). Die kontaktonomastische
Herangehensweise ist im Fach etabliert. Hans Ramge stellt etwa fest: „Wegen
ihrer kleinräumigen Ortsbezogenheit und ihres Reliktverhaltens sind Flurna-
men wichtige Zeugnisse für Sprachkontakt und Sprachwechsel in verschie-
densprachig besiedelten Räumen“ (Ramge 1996, S. 1171). Teile des Unter-
suchungsgebietes, nämlich der ehemals zur preußischen Rheinprovinz gehö-
rige Anteil des Saarlandes, wurden schon in den Arbeiten der Rheinischen
Schule in Bonn mit berücksichtigt, am nachhaltigsten in der mit zahlreichen
Verbreitungskarten versehenen Studie Heinrich Dittmaiers zu den Flurnamen
des Rheinlandes (1963). Auch die durch die Rheinische Schule angeregten
Arbeiten Emst Christmanns (1938; 1965) betreffen das Untersuchungsgebiet,
schwerpunktmäßig den ehemals pfälzischen Teil des Saarlandes, den heutigen
Saarpfalz-Kreis. Im Anhang seiner Saarbrücker Dissertation hat Gerhard
Bauer, im Anschluss an die Arbeiten der Rheinischen Schule und diejenigen
von Emst Christmann, den ehemaligen Landkreis Saarbrücken flurnamen-
geografisch betrachtet (Bauer 1957, S. 263-272 mit den Karten 1-8).
Durch die Arbeiten von Hans Ramge (1985; 1987a; 1987b), die insbeson-
dere die von ihm so benannten ,Flurnamenräume4 für den hessischen Raum
profilieren konnten, wurde eine eigene Untersuchung der Verhältnisse im
Saar-Mosel-Raum inspiriert, ausdrücklich unter Beachtung der Flurnamen-
lagerungen im französischen Teil des Untersuchungsraumes bis zur Sprach-
grenze (Schorr 2000). Es konnten dabei drei Beharrungsräume und zwei Inno-
508
vationsräume herausgearbeitet werden, die grosso modo der Verteilung des
Moselfränkischen und des hier erheblich jüngeren Rheinfränkischen ent-
sprechen. Die Innovationsräume, kurz als ,ElsasskeiP (Schorr 2000, S. 41-43
mit den Karten 8, 9 und 21) und ,Pfalzkeif (Schorr 2000, S. 48-51 mit den
Karten 18-21) bezeichnet, legen Zeugnis ab von der Dynamik der mittelal-
terlichen und frühneuzeitlichen Kommunikationsverhältnisse: Die alte Wald-
grenze des Vosagus wurde überwunden und der Saar-Mosel-Raum sprachlich
zunehmend mit den oberrheinischen Landschaften Pfalz und Eisass verflochten.
Die 2000 lediglich als Skizze und thesenhaft vorgelegten Beobachtungen
wurden durch eine umfassende Sammlung und Analyse des einschlägigen
toponymischen Materials mittlerweile bestätigt (Kunz/Völlono 2009). Die
,lothringisch-saarländischen Flumamenräume4 bilden neben der Siedlungs-
namenverteilung (s.u.) die Grundlage für die Interpretation der geografischen
Verteilung romanisch beeinflusster Flurnamen des Untersuchungsgebietes.
4. Typen und Verteilung vorgermanischer Siedlungsnamen
Die Verteilung der vorgermanischen Siedlungsnamen des Untersuchungsge-
bietes ist auf Karte 1 dargestellt. Materialgrundlage waren die umfangreichen
und detaillierten Untersuchungen zu den frühen Ortsnamenschichten des Saar-
Mosel-Raumes, die in den letzten Jahrzehnten entstanden. Einige dieser
Arbeiten beschäftigen sich mit mehreren Siedlungsnamentypen im gesamten
Untersuchungsgebiet (Buchmüller-Pfaff/Haubrichs/Spang 1986/1987 und
1989; Buchmüller-Pfaff 1991; Pfister 1992b mit Karten 2-6; Haubrichs 1998).
Zahlreiche der hier interessierenden Namen wurden auch im Zusammenhang
mit den frühmittelalterlichen pagws-Nennungen behandelt (Puhl 1999).
Weitere Studien wurden kleineren Arealen, z.B. dem Saarbrücker Raum
(Haubrichs/Stein 1999), der Obermosel und der unteren Saar (Haubrichs
1997a) gewidmet.
Die vordeutschen Siedlungsnamen lassen sich unterschiedlichen sprach-
lichen Schichten und morphologischen Typen zuordnen. Unter den vorro-
manischen Siedlungsnamen finden sich z.B. keltische Siedlungsnamen wie
Naumen (Kirschnaumen, Obernaumen, beide im Kanton Sierck-les-Bains),
1131/52 Kop. Nunmagon, aus kelt. *novio- ,neu‘ und kelt. magos ,Feid;
Markt4 (Buchmüller-Pfaff/Haubrichs/Spang 1986/1987, S. 42). Weitaus öfters
und in allen Teilräumen (s.u.) gut repräsentiert ist der noch in der Spätantike
und womöglich bis ins Frühmittelalter produktive Typus der -(i)acum-Namen,
z.B. in der Hochwaldromania (s.u.) vertreten mit Krettnich (D, Merzig-
Wadern), 1306 Krettenich, gallorom. *Crat(t)iniacum (Buchmüller-Pfaff
1990, S. 276 Nr. 429). Zu den selteneren Kontinuitätszeugen gehören die
romanischen Siedlungsnamen, z.B. Lübeln (Longeville-les-Saint-Avold im
Kanton Falkenberg/Faulquemont), 1005 Longavilla, rom. longa villa ,großer
Hof (Buchmüller-Pfaff/Haubrichs/Spang 1986/1987, S. 59).
Sprachliche Kontinuität bezeugen auch aus romanischen Flurnamen
gebildete Siedlungsnamen: Ein Beispiel aus dem Bereich der Niedromanen ist
509
Falk (Falde im Kanton Busendorf/Bouzonville), 936 de Falto, rom. * va Ile tum
zu lat. vallis + rom. Suffix -è tum (Buchmüller-Pfaff/Haubrichs/Spang
1986/1987, S. 66 Nr. 76). Weitere Zeugen sprachlicher Kontinuität sind die
Gewässernamen, die sekundär wieder Anlass zur Benennung von Siedlungen
gaben, z.B. gleich zweifach Bisten nach dem Lauf der Bist, im Quellbereich
Bisten in Lothringen (Bisten-en-Lorraine im Kanton Bolchen/Boulay-en-
Moselle) und am Unterlauf Bisten (D, Saarlouis). Der Gewässername wird auf
idg. *Bhedihrtä oder *B>,etf,h2-stä (dehnstufig zu idg. *bhec/'h2- ,stechen,
graben4, vgl. Rix 2001, S. 66) zurückgeführt (Buchmüller-Pfaff/Haubrichs/
Spang 1986/1987, S. 78f. Nr. 120a-b mit weiteren Hinweisen). Eine Anzahl von
Siedlungsnamen wurde mit Lehnappellativen romanischer Herkunft gebildet.
Ihr Aussagewert ist nicht gleichzusetzen mit demjenigen primärer, über das
Romanische vermittelter Siedlungsnamen, doch treten sie in Kontinuitätszonen
stärker auf, wie z.B. das mit einem -(i)acum-Namen vergesellschaftete Auers-
macher (D, Saarpfalz), 777 Auricas Mac her a, dessen erster Nainenbestandteil
als *Auriacas zum Personennamen Aur(i)us + -(i)acum-Suffix gedeutet wird,
während der zweite Namenbestandteil zum Lehnwort Macher < lat. maceria F.
,Gartenmauer4 (s.u. Nr. 20) gestellt wird (Buchmüller-Pfaff/Haubrichs/Spang
1986/1987, S. 44 Nr. 5).
Mit dem alten deutschen Begriff für den Romanen, Wahle (ahd. walah,
mhd. walhe), wurden Siedlungsnamcn gebildet (vgl. Karte 1), die aus Sicht
der germanophonen Bevölkerung die Außenorte der romanophonen Areale
benannten (Buchmüller-Pfaff/Haubrichs/Spang 1986/1987, S. 60-62; Pfister
1992b, S. 93 Karte 2), z.B. am Rand der Hochwaldromania Wahlen (D,
Merzig-Wadem), 11. Jh. Wala, ahd. *hi den Walahön (Buchmüller-Pfaff/
Haubrichs/Spang 1986/1987, S. 61 Nr. 61a). Nicht kartiert wurden die so
genannten Doppelnamen (Besse 1997; Pitz 2001), die wie deutsch Boiehen
und französisch Boulay (< *Bollacum zum Personennamen Bollus, Buchmül-
ler-Pfaff 1990, S. 113f. Nr. 120) in romanischer und germanisch-deutscher
Sprachentwicklung dokumentiert sind und sich zweifellos der frühen regionalen
Zweisprachigkeit verdanken. Die kartierten Punkte hätten aber vielfach
außerhalb des jüngeren, kleineren und für die Flurnamenüberlieferung relevan-
ten germanophonen Areals gelegen und zudem Dopplungen erzeugt mit Karten-
punkten für Siedlungsnamen, die über das Romanische vermittelt wurden.
5. Verdichtungsräume galloromanischer Siedlungskontinuität
Durch die Forschungen der letzten Jahrzehnte konnten im Untersuchungs-
gebiet mehrere Verdichtungsräume galloromanischer Kontinuität des Früh-
mittelalters festgestellt werden, die auf Karte 1 mit römischen Ziffern
eingezeichnet sind: Die Kontinuitätszone an Obermosel und Unterer Saar
(Haubrichs/Pfister 1992; Haubrichs 1997a) ist der südwestliche Ausläufer der
Moselromania (vgl. Raum I auf Karte 1), der sich außerhalb des Unter-
suchungsgebietes nördlich fortsetzt. In ursprünglicher, sich dann aber gewiss
lockernder Verbindung zur Moselromania steht die Hochwaldromania (Elsen-
510
hast 1983; Pfister 1983; 1990, S. 21; 1992b, S. 84f.; 1995, S. 69f.), die sich
nördlich des Untersuchungsgebietes auch in die rheinland-pfälzischen Teile
des Hochwaldes fortsetzt (Raum 11 auf Karte 1). Die im Zusammenhang zu
betrachtenden Kontinuitätszonen an der Nied und im Waldgebiet des Warndts
(Raum 111 auf Karte 1) erstrecken sich beiderseits der heutigen deutsch-
französischen Staatsgrenze (Haubrichs 1982, S. 35; 1986; Pfister 1992b, S.
83f., 1995, S. 67f.). Eine kleinere Kontinuitätszone an der Oberen Saar samt
linker Zuflüsse und der Bliesmündung (Raum IV auf Karte 1) lässt sich
südlich von Saarbrücken fassen (Haubrichs 1983; Pitz/Stein 2000). Eine
weitere Kontinuitätszone in der lothringischen Weihergegend (Raum V auf
Karte 1) geht im Wesentlichen auf die später germanophonen Teile des
frühmittelalterlichen Seillegau (Saulnois) zurück und hat Anschluss an die
Romania continua des Metzer Landes (Haubrichs 1982; Puhl 1999, S. 334-
351 mit Karte 5). Die südlichste Landschaft galloromanischer Kontinuität im
Untersuchungsgebiet findet sich am Westabhang der Vogesen am franzö-
sischen Oberlauf der Saar und ihrem rechten Zufluss, der Eichel (Raum VI auf
Karte 1). Wolfgang Haubrichs konnte diese Kontinuitätszone insbesondere
anhand der Weißenburger Urkundenüberlieferung rekonstruieren (1983).
Knapp östlich der kartierten Fläche liegt die galloromanische Reliktzone
der Westricher Hochfläche (Dolch/Greule 1986/1987; Pfister 1990, S. 22;
1992b, S. 84). Die galloromanische Siedlungskontinuität bricht also östlich
des Untersuchungsgebietes nicht völlig ab, jedoch erreicht sie nicht die
Bedeutung wie in den weiter westlich gelegenen Gebieten.
6. Flurnamenwörter romanischer Etymologie
Im Folgenden sind die Namenwörter aufgeführt, welche die Grundlage für die
Karten bilden. Es handelt sich um Flurnamenbildungen auf der Grundlage von
Lehnwörtern, die durchaus unterschiedliche Verbreitungsgebiete aufweisen:
Weit über das Untersuchungsgebiet hinaus reichen die Areale von Arke (<
arca, Nr. 2), Kamp (< campus, Nr. 8), Kan(d)el (< canälis, Nr. 9), Lei(e) (<
*lei, Nr. 21) und Sabel (< sabulum bzw. *sabellum, Nr. 29). Eine Ver-
schiebung im Vergleich zur allgemeinen Bedeutung macht eine regionale
Entlehnung bei Merter/Mertel (< mortärium, Nr. 23) und Schemel (<
scamellum, Nr. 30) wahrscheinlich. Eine spezielle Lautform lässt bei Elter (<
altäre, Nr. 1) auf frühe Integration schließen. Eine Besonderheit im Genus
und damit wohl alte Lagerung kann man bei Kelter M. [!] (< calcatörium, Nr.
5) erkennen. Regional enger begrenzt und auf diese Weise den Kembereichen
der Moselromania und benachbarter Kontinuitätszentren zuzuordnen sind
Britzei (< brittula/pretula, Nr. 4), Kolmet (< calvomonte, Nr. 6), Kehm (<
cammmus, Nr. 7), Karl (< carrälis, Nr. 10), Kos (< *kassanos, Nr. 11), Klef(<
clivus, *clevus, Nr. 13), Kummer (< *komberos, Nr. 14), Kirel(ter) (<
*corneolus, Nr. 15), Fontel/Füntel (< *fontellus bzw. *fontänelIa, Nr. 16),
Gro(f) (< *grauä, Nr. 17), Junke/Jünke (< iuncus, Nr. 19), Ginfer (< iuniperus
bzw. *ieniperus, Nr. 20), Olk (< *olkä, Nr. 25), Pichter/Piter(t) (< *pictüra,
511
Nr. 26), Planter (< plantärium, Nr. 27), Schaute (< scutum, Nr. 31),
WaberIWober (< *uobera etc., Nr. 32). Ausgesprochene Reliktlage und ein
Bezug zur Moselromania sind kennzeichnend für Gotte (< gutta, Nr. 18) und
Naf/Nef(< *näuä, Nr. 24), wohingegen die Reliktlage in Sprachgrenznähe die
Namenwörter Kirkel (< circulus, Nr. 12), Macher/Mecher (< mäceria, Nr. 22)
und Prättel/Prattel (< prätellum, Nr. 28) charakterisiert. Ein Hapax lego-
menon und deshalb schwer zu beurteilen ist Biiferei (< boväria, Nr. 3).
An die Belegreihe schließen sich in einigen Fällen kurze Hinweise zur
Deutung beziehungsweise zu Abgrenzungsproblemen zu anderen Namenwör-
tem an. Eine ausführliche linguistische Diskussion wird in diesem auf die
Namengeografie fokussierten Beitrag nicht angestrebt und bleibt einer spä-
teren Darstellung der Projektergebnisse Vorbehalten. Wenn gallische bzw.
keltische Etyma angegeben werden, so ist doch klar, dass die Vermittlung an
die rhein- und moselfränkischen Dialekte immer über das Romanische erfolg-
te. Die Karten 2 und 3 kontrastieren germanische mit romanischen Flurnamen
einer jeweils gemeinsamen Ausgangsform. Sie waren für eine frühere Publi-
kation vorgesehen (Schorr 2001 ) und werden hier nachgeliefert.
Die Ortsnamen werden in der jeweils amtlichen Form angegeben, und die
Orte werden durch das Länderkürzel (D für Deutschland bzw. F für Frank-
reich) sowie durch die Angabe des Landkreises (für Deutschland) oder des
Kantons (für Frankreich) geografisch eingeordnet. Die Urkatasterformen sind
mit einem vorangestellten Kreis (o) gekennzeichnet die mündlich überliefer-
ten Formen (in mundartnaher Schreibung) durch eine vorangestellte Raute (0).
Die Abkürzungen der Archive sind folgende: AD = Archives Départemen-
tales, BNF = Bibliothèque Nationale de France, LA = Landesarchiv, LHA =
Landeshauptarchiv, StB = Stadtbibliothek.
1) altäre altärium N. ,Altar" - Elter (ältere Form mit Erstbetonung und
moselfränkischem r-Umlaut, jüngere Neuentlehnung aus dem kirchlichen
Bereich Altor mit Endbetonung) M. dass. (Wort: Du Cange 1: 202-205; FEW
24: 351-353; Kluge/Seebold 2002: 35; LuxWb I: 21 [nur Altor]- Meyer-Lübke
1935: 29f. Nr. 381; PfälzWb 1: 186 [hist. Elter]; RheinWb I: 154f.; Name:
Gröhler 383f.; Jungandreas 1962: 337; Nègre 1990-91: 440 Nr. 6133
[Ableitung]). Belege: Düren (D, Saarlouis): 1510 Kop. 16. Jh. dt. vor Elter
Stein (AD Moselle H 1026 fol. 77f.), о Vor Älterstein, 0 for Älterstän;
Gronig (D, St. Wendel): 1791 Or. dt. in Eltersteins Dell (LHA Koblenz
24/975); — Holving (F, Sarralbe): 1725 Or. dt. auff Thebels elter (AD
Moselle 4 E 265), о Teufelsälter, 0 Däiwelsälter; — Kerling-lès-Sierck (F,
Sierck-les-Bains): 1748 Or. ffz. Elter {AD Moselle H 3636).
2) area F. ,Kiste1 2 * 4 - Arke F. ,Kiste, Fischkasten, Schleuse4 (Wort: Du
Cange 1: 357f.; FEW 25: 92-94; Kluge/Seebold 2002: 57; Meyer-Lübke 1935:
49 Nr. 611; Post 1982: 83 Nr. 61 mit Karte 15; PfalzWb 1: 325 s.v, +Arke\
RheinWb 1: 242; Name: Gröhler 149, zu arcus M., area F. beide .Bogen4;
Nègre 1990-91: 1369L Nr. 25430-25444). Belege: Dreisbach (D, Merzig-
512
Wadern): 1498 dt. ane der Arcken (LHA Koblenz 143/709 S. 26); — Mettlach
(D, Merzig-Wadern): 1485 dt. das Archwasser {LHA Koblenz 143/530 S. 119),
1665 Or. dt. biss ahn den obersten Erken St. Johann Kirch (LHA Koblenz
143/451 S. 8). Vermischung möglich mit arcus M. ,Bogen1 - Ark M. Brücken-
pfeiler1 (Wort: LuxWb III: 296; Meyer-Lübke 1935: 50 Nr, 618; Post 1982: 79
Nr. 55; RheinWb 1: 241; Name: Gröhler 148f.; Jungandreas 1962: 28L).
3) boväria miat. ,Ochsenstall‘ - Büferei (Wort: Du Gange 1: 749; FEW 1:
476; Name: Nègre 1990-91: 1707 Nr. 30039 [zu einem PN gestellt]). Beleg:
Roussy-le-Village (F, Cattenom): 1687 Kop. 1695 in der Büejferey (StB Tr
1644/384: 716). Vielleicht handelt es sich wegen der Endung -erei eher um
eine jüngere Grenzentlehnung. Jungandreas (1962: 98) nimmt mlat. bovarius
,Kuhhirte1 als Grundlage für den Flurnamen Boveyrs bei Pommern (D,
Cochem-Zell) an.
4) brlttula/pretula ,Schnittlauch1 - Britzei F. (M.?) ,Schnittlauch1. (Wort:
FEW 1: 538; Meyer-Lübke 1935: 118 Nr. 1315; Post 1982: 222f. Nr. 357).
Belege: Auersmacher (SB): 1786-1788 Or. dt. im kurtzen Bretzel (LA
Saarbrücken 22/3141-3142), 9 Pretzel Felle/em Pretzel\ — Durstei (F,
Drulingen): 1692 Or. dt. in der Britzeismatt (AD Bas-Rhin E 5825) [vielleicht
auch Rufname]; — Insming (F, Albestroff): 1739 Or. frz. Bretzelmatt (AD
Moselle E dépôt 351 3 CC 3); — Kœnigsmacker (F, Metzervisse): 1620 Or.
dt. Britzei (AD Moselle H 3667-3). Schwierigkeiten bereitet das maskuline
Genus der Simplex-Belege. Jungandreas schlägt für die ähnlich lautenden
Flurnamen Bretschel in Metzdorf und Mesenich (D, Trier-Land) (1962, S.
109) und Pritzille zwischen Brauneberg und Osann (D, Bernkastel-Wittlich)
(1962, S. 834) moselrom. *prëtsel (< *präticellum ,kleine Wiese1) als Etymon
vor. Auch bei Annahme dieser Grundlage würde es sich um ein romanisches
Relikt handeln. Ebenso basiert die mittel- und oberdeutsche Gebäck-
bezeichnung Bretzel oder Brezel F. auf romanischer Grundlage (Kluge/See-
bold 2002, S. 150); allerdings wären wegen der weiten Verbreitung des
Wortes die Belege für die hier behandelte Fragestellung auszuscheiden.
5) calcatörium N. ,Kelter1 - Kelter M. [!] ,Trauben- und Obstpressen1
(Wort: Du Gange 2: 23; FEW 2.1: 67; Follmann 1909: 282; Kleiber 1990-
1996: Kommentar Karte 96; Kluge/Seebold 2002: 483; LuxWb 2: 330;
Meyer-Lübke 1935: 138 Nr. 1493; PfälzWb 4: 170 [F.]; Post 1982: 204f. Nr.
314; RheinWb 4: 407-409; Steffens 2006: 87ff; Name: Dittmaier 1963: 137;
Halfer 1989: 268 Nr. 682; Jungandreas 1962; 186 s.v. Kelterhaus, Nègre
1990-91: 356 Nr. 5660 [Korsika]: Post 1982: 204f. Nr. 314). Belege: Berg-
sur-Moselle (F, Cattenom): 1562 Kop. 16. Jh. dt. beim kelter (AD Moselle 1 E
169), 1626 Or. frz. bey dem kelter (AD Moselle 1 E 172), 1757 Or. frz.
keltergevan (AD Moselle H 4555); — Sierck-les-Bains (F, Sierck-les-Bains):
1591 Or. dt. die kelterfohr (AD Moselle 3 E 7273), о Kelter Faur, 0 Kelterfur,
— Créhange (F, Faulquemont): 1688 Or. dt. in der kelter wiesen (AD Moselle
10 F 380), 1754 Or. dt. in der kelter wiess (AD Moselle 10 F 379), о Keltre
viss, 0 Kelterwis; — Hettange-Grande (F, Cattenom): 1696 Or. frz. kelter-
513
weingarth - kelterwies - keiterbergh {AD Moselle 4 E 536), о Keltervise -
Kelterberg, 0 Kœlterwis - Kælterbierg; — Veymerange (F, Thionville):
1697/98 Or. frz. keltergarth (AD Moselle 4 E 581); — Volkrange (F,
Thionville): 1698 Or. frz. en caltergarde - en keltergardt (AD Moselle 4 E
44); — Buding (F, Metzervisse): 1704 Or. frz. sur kelter - auff dem kelter
(AD Moselle E dépôt 120 1 G 1), о Ketter [sic], 0 Kelter. Das maskuline
Genus für Kelter ist im Moselfränkischen bis zur Moselmündung verbreitet
(Kleiber 1990-1996).
6) ealvomonte rom. < calvus möns .kahler Berg‘ - Kolmet/Kelmit u.ä.
(Wort: FEW 2.1: 106 s.v. calvus; Name: Jungandreas 1962: 149f.; Nègre
1990-91: 319 Nr. 5258L, 1157f. Nr. 21642, 21725, 21755, 21761, 21763-
21765). Belege: Inglange (F, Metzervisse): 1629 Kop. 17. Jh. dt. im Gross
Kolmet - wieder den kleinen Kolmet (Privatbesitz), 1734 Or. frz. Grand
Kolmet - Petit Kolmet (AD Moselle 4 E 276), о Grand Co/matte, 0 от
Kolmat\ — Lommerange (F, Fontoy): 1624/26 Kop. 18. Jh. frz. a Colmont
(Privatbesitz), о Saison de Collemont; — Loudrefmg (F, Albestroff): 1686 Or.
frz. Ke/matte - le Kelmate (AD Meurthe-et-Moselle В 1 1909), о Kolmatt, 0
Käälmit; — Montenach (F, Sierck-les-Bains): 1714 Or. frz. Saison de Colmet
- Canton de Colmet (AD Moselle 4 E 382), о Co ¡mette, 0 Kolmet.
7) cammlnus M. ,Wegl (< gall. *kammano- mit Suffixwechsel) - Kehm
M. ,Altstraße, Römerstraße‘ (Wort: Delamarre 2003: 100; Du Cange 2: 52;
FEW 2.1: 144ff.; Follmann 1909: 282; Haubrichs 1997b: 107-109; LuxWb 2:
346; Meyer-Lübke 1935: 144 Nr. 1552; PfälzWb 4: 174 s.v. +Kemmel; Name:
Gröhler 1933: 144; Dittmaier 1963: 137f; Halfer 1989: 252; Jungandreas
1962: 153f.; Nègre 1990-91: 283 Nr. 4076; Pitz 2004: 203f. Nr. 78 [suffigale
Ableitung]; Schorr 2000: 44f. mit Karte 12). Belege: Basse-Ham (F,
Metzervisse) 1445 Kop. 1699 dt. Vnser Lieben Frawen Achten Bouent Kernen
In Metzer Straissen (StB Trier 1644/381 S. 792); — Nennig (D, Merzig-
Wadem): 1502 Kop. 1693 dt. von Bübingen herab biss yff den Kernen (StB
Trier 1644/372 S. 1081); — Uckange (F, Florange): 1574 Or. dt. Hochkem -
ahn dem Hochkwem (AD Moselle H 1023), о Haut Kern', — Sentzich (F,
Cattenom): 1627 Or. dt. hinder dem Kehm (AD Moselle H 4544); — Bousse
(F, Metzervisse): 1719-20 Or. frz. sur stein Kehm - Metzer Kehm (AD
Moselle 4 E 52).
8) cämpus M. .Ebene, Fläche, flaches, ebenes Feld1 - Kamp M.
,umfriedete Landparzelle, Forstbaumschule‘ (Wort: Du Cange 2: 67-69; FEW
2.1: 156ff.; Kluge/Seebold 2002: 464; LuxWb 2: 275; Meyer-Lübke 1935:
145f. Nr. 1563; PfälzWb 4: 40; Post 1982: 114 Nr. 119; RheinWb 4: 124;
Name: Dittmaier 1963: 128 mit Karte 20a; Gröhler 1935: 130ff.; Jungandreas
1962: 155; Nègre 1990-91: 1303 Nr. 24226; Pitz 2004: 203 Nr. 77 [suffigale
Ableitung]). Belege: Tettingen-Butzdorf (D, Merzig-Wadem): 1720 Or. dt.
Hueff langst Campholtz (LHA Koblenz 1 C/15239 S. 56), о Bei Kampholz, 0
bei Kampeis; — Wellingen (D, Merzig-Wadem): 1498 Kop. 17. dt. uff dem
Camp (StB Trier 1672/347 fol. 143 г), о Im Kamp, 0 um Kamm.
514
9) canälis M. F. (< Adj. canälis ,rohrförmig4) - Kan(d)el M. F. ,Rinne,
v.a. Dachrinne1 (Wort: Du Cange 2: 71; FEW 2.1: 168ff.; Follmann 1909:
273; Kluge/Seebold 2002: 464 s.v. Kanal und 465 s.v. Kandel, LuxWb 2: 484
(I), Mcyer-Lübke 1935: 146 Nr. 1568; PfälzWb 4: 43f.; Post 1982: 56 Nr. 10;
RheinWb 4: 129f.; Name: Dauzat/Rostaing 1978: 35 s.v. Cheneau, Dittmaier
1963: 128; Halfer 1988: 132 Nr. 257; Gröhler 1933: 229; Jungandreas 1962:
158f.; Nègre 1990-91: 1070f. Nr. 20200-20002, 20207, 20210) — Belege:
Berg-sur-Moselle (F, Cattenom): 1562 Kop. 17. Jh. dt. vffd(er) Kandel Achten
(AD Moselle 1 E 169); — Bettelainville (F, Metzervisse): 1398 Кор. 17./18.
Jh. lat. in Капе/ (AD Moselle H 1714 fol. 523v); -— Colmen (F, Bouzonville):
1698 Or. dt. zu der Cannell (AD Moselle 4 E 109), о Kandel, 0 um Kündet.;
Dagstuhl (D, Merzig-Wadern): 1546 Or. dt. in Kanel Grunde (AD Bas-
Rhin E^5576 fol. 18r).
10) carrälis Adj. (in via carralis ,Karrenstraße‘) - Karl F. dass. (Wort:
FEW 2.1: 433, 436; Name: Dittmaier 1963: 13lf; Halfer 1988: 253 Nr. 630;
Jungandreas 1962: 164-166; Jungandreas 1979: Karte 15; Nègre 1990-91:
1362 Nr. 25304-25306). Beleg: Beyren-lès-Sierck (F, Cattenom): 1630 Kop.
1652 dt. an der Karell (AD Moselle H 3615).
11) cassänus (< gall. *kassanos) M. ,Eiche‘ - Kos, Kas, Kees, Kais M.
,Eiche; einzeln stehender Baum‘ (Wort: Delamarre 2003: 109; Du Cange 2:
203f. s.v. casnus; FEW 2.1: 459ff.; LuxWb 2: 481; Meyer-Lübke 1935: 167
Nr. 1740; PfälzWb 4: 83 s.v. Käs; Post 1982: 232 Nr. 381 mit Karte 49;
RheinWb 4: 1273 und 9: 1328; Name: Dittmaier 1963: 133; Gröhler 1933:
157ff.; Halfer 1988: 163 Nr. 354; Jungandreas 1962: 170; Nègre 1990-91: 267
Nr. 3965). — Belege: Freybouse (F, Grostenquin): 1411 Kop. 16. Jh. dt.
Keissenstock (AD Moselle H 1026), 16. Jh. dt. zu Keissen Stock (AD Moselle
H 1026 fol. 55r); — Hemmersdorf-Kerprich (D, Saarlouis): 1707 Or. frz.
Kesbaum (LA Saarbrücken Best. A Hzgt. Lothr. S. 44), о Beim Kesbaum, 0
beim Käsbam.
12) cïrcùlus M. ,Kreis4 - Kirkel M. (Wort: FEW 2.1: 703ff.; Meyer-Lübke
1935: 184 Nr. 1947; Name: Haubrichs 2004: 301; Nègre 1990-91: 1152 Nr.
21575). Belege: — Bliesen (D, St. Wendel): 1789 dt. hinter Kirkel (LHA
Koblenz 24/955 fol. 69ff), о Hinter Kirkel, 0 henner Kergel; —
Brenschelbach (D, Saarpfalz): 1763 Or. dt. in der Auerbach oder auf Kirekelt
(LA Speyer F 20/37); — Ormesheim (D, Saarpfalz): 1746 Or, dt. in der
Kirckelbach (LA Saarbrücken Best, von der Leyen Nr. 2983), о Kirkelbach, 9
in de Kärkelbach; — Schwalbach (D, Saarlouis): 1654 Or. dt. uff dem
Kirckelberg (LHA Koblenz 218/810), 1711 Or. dt. beym Kirckeler Berg (LHA
Koblenz 218/736). Die Flurnamen beziehen sich nicht auf den Ort bzw. die
Burg Kirkel (D, Saarpfalz), deren Name indes auf demselben Etymon beruht.
13) cllvus/*clëvus (regionallat.) M. ,Abhang4 - Klef M. F. ,Abhang4
(Wort: Du Cange 2: 374 s.v. clibus; FEW 2.1: 789; Meyer-Lübke 1935: 188
Nr. 1993; Post 1982: 109 Nr. 109 mit Karte 23; Name: Dauzat/Rostaing 1978:
36 s.v. Clevieux [Ableitung]; Dittmaier 1963: 148 mit Karte 22; Jungandreas
515
1962: 216f.; Nègre 1990-91: 1196 Nr. 22336-38; Pfister 1982: 224; Schorr
1996: 45f.; Schorr 2001: 314f.; vgl. Karte 3). — Bierfeld (D, St. Wendel): a.
1720 Or. vffm Cleff (LH A Koblenz 1 C/14850), o Auf dem Klef-Am Klefweg,
0 Kleefweech; — Eiweiler (D, St. Wendel): o Gleff 0 Gleef, — Nohn (D,
Merzig-Wadem): o Klaeferberg - Klaeferwies, 0 Kleewerberch -
Kläwwerwiss; — Orscholz (D, Merzig-Wadern): 1485 die Kleff (LHA
Koblenz 143/530 S. 99), a. 1665 Or. dt. die Kleff (LHA Koblenz 143/451 S.
8), o Auf Kläff, 0 op der Kleef - Kleefstecker, — Primstal-Mettnich (D, St.
Wendel): o Vorm Falkenklef, 0 Falkeklaaf.
14) combrus (mlat.) M. ,Astabfälle‘ (< kelt. *komberos M. Zusammen-
fluss1) - Kummer M. Zusammengetragenes, Schutthaufen1 (Wort: Dela-
marre 2003: 122; Du Cange 2: 421 s.v. combra, combri-, FEW 2.2: 938f.;
Kluge/Seebold 2002: 546; LuxWb 2: 426 [II]; Meyer-Lübke 1935: 196 Nr.
2075; PfälzWb 4: 687f.; Post 1982: 113f. Nr. 117; RheinWb 4: 1718; Name:
Dittmaier 1963: 171; Nègre 1990-91: 258f. Nr. 3921). — Beleg: Mailing (F,
Sierck-Ies-Bains): 1648 Or. dt. vffm Kommer (AD Moselle 3 E 7320), 1740
Or. frz. sur Koumer (AD Moselle 12 J 64).
15) *corneo!us (vlat.?) (Ableitung zu cornea) M. ,Kornelkirsche1
Kirel(ter) F. ,Kornelkirsche1 (Wort: FEW 2.2: 1240ff; Kluge/Seebold 2002:
529; LuxWb 2: 347; Meyer-Lübke 1935: 207 Nr. 2235 s.v. còrnea; RheinWb
4: 532 und 1269; Name: Jungandreas 1962: 245 [zu corylus M. ,Hasel-
strauch1]). — Belege: Montenach (F, Sierck-Ies-Bains): 1714 Or. frz. Kiril(t)-
baumbtgen (AD Moselle 4 E 382), o Kirlbaum\ — Oberleuken (D, Merzig-
Wadem): 1720 Or. dt. bey dem Kirlbäumgen (LHA Koblenz 1 C/15221 S.
36). Der Umlaut erklärt sich über / in der folgenden Silbe in ahd.
kurnil(boum), die moselfränkische Baumbezeichnung und die daraus gebilde-
ten Namen zeigen ferner «-Ausfall nach r (vgl. Dorn > Dore, RheinWb 1 :
1419).
16) *fontellus M. ,kleiner Brunnen1 M. oder *fontänella F. (afrz.
fontenele) dass. - Fontel/Füntel M. F. ,kleiner Brunnen, Ausgussrohre?1
(Wort: Du Cange 3: 543 s.v. fontenella; FEW 3: 696ff.. fontana afrz. fontenele
,petite fontaine1; RheinWb 2: 893 [Fündel F. .Ausgussrohre1 in Aachen];
Name: Dittmaier 1963: 81; Jungandreas 1962: 405, 423; Nègre 1990-91: 1084
Nr. 20431-20433). Belege: Biding (F, Grostenquin): 1686 Kop. 1730 dt. die
Funtel - Funtel in der Claussen — die Fundein (AD Moselle E supplément 85
2 CC 2); — Marth (D, St. Wendel): 1739 dt. auff Fondei (LA Speyer Best.
Zweibrücken 1 Akte Nr. 1033 fol. 46), o Am Fonei, 0 am Fonel\ — Saint-
Médard (F, Dieuze): 1524 Or. dt. oben an Funtel - vff Füntel - vff Funthel -
neben Füntell (AD Meurthe-et-Moseile H 2482). Der Beleg Funtel in der
Claussen aus Biding könnte daraufhinweisen, dass im Saar-Mosel-Raum wie
in Aachen (RheinWb) die Bedeutung ,Ausgussrohre1 oder ,Wasserablass1
anzusetzen ist.
17) *grauä (kelt.) F. ,Sand, Kies1 - Gro(f) F. ,Sandbank1 (Wort: Dela-
marre 2003: 183f.; Du Cange 4: 106 s.v. gravairo und 107: gravela, gravella,
516
graveriez, FEW 4: 249; Follmann 1909; 214; Meyer-Lübke 1935: 328 Nr.
3851; Post 1982: 105f. Nr. 106; RheinWb 2: 1342 [2b]; Name:
Dauzat/Rostaing 1978: 51 s.v. Grave, Dittmaier 1963: 91; Gröhler 1933:
1 16f.; Jungandreas 1962: 461; Nègre 1990-91: 254f. Nr. 3883-3902; Pitz
2004: 205 Nr. 85; Schorr 2001: 312f.; vgl. Karte 3). Belege: Sierck-les-Bains
(F, Sierck-les-Bains): a. 1496 Or. vff der graen (AD Moselle 6 F 67), a. 1603
Or. Nieden der grawen (AD Moselle 3 E 7273), о Grau, 0 op der Groo; -
Kœnigsmacker (F, Metzervisse): a. 1722 Or. auffder Grauen (AD Moselle Fl
3650); — Bliesmengen-Bolchen (D, Saarpfalz): a. 1740 Or. oben ahn der
Grawen (LA Speyer С 33/17 Nr. 31).
18) gütta F. .Tropfen1 - Gotte F. ,Tropfen; Rinnsal* (Wort: Du Cange 4:
442; FEW 4: 344-353; Meyer-Lübke 1935: 334 Nr. 3928; Name:
Dauzat/Rostaing 1978: 51 s.v. Goutte, Dittmaier 1963: 90 mit Karte 18;
Jungandreas 1962: 455; Kleiber 1992: 15f. mit Karte 5 und Karte 8; Kühn
o.J.: 1 lOf. Nr. 97 mit Karte 1; Nègre 1990-91: 1088 Nr. 20498; Pfister 1990:
16f. mit Karte 2; Pfister 1992a: 67f. mit Karte 6; Schorr 2001: 31 lf.; vgl.
Karte 3). Beleg: Wadrill (D. Merzig-Wadem): a. 1720 Or. Rodthecken in der
Godden (LHA Koblenz 1 C/14876 S. 78), о In der Goth - Die unterste
Hirschgoth, 0 en der Gott. Auf Karte 3 wird dokumentiert, dass das
Namenareal von Gotte, das auf ein Wortareal von moselromanisch gutta ver-
weist, recht nahe an das heutige Goutte-Areal (Belege vgl. Schorr 2001) im
Moseldepartement heranreicht, näher als auf den älteren Kartierungen (Pfister
1990; 1992a) zu ersehen war.
19) iuncus M. ,Binse* - Junke/Jünke F. ,Binse* (Wort: FEW 5: 65ff.;
Follmann 1909: 267; LuxWb 2: 230; Meyer-Lübke 1935: 376 Nr. 4619; Post
1982: 100 Nr. 94; RheinWb 3: 1253; Name: Dauzat/Rostaing 1978: 57 s.v.
Jonche-, Dittmaier 1963: 123; Jungandreas 1992: 572f.; Nègre 1990-91: 1249E
Nr. 23286-23300 [suffigale Ableitungen]). Belege: Bliesbruck (F,
Sarreguemines): 1503 Kop. ca. 1600 dt. die Junckhenbach (LA Speyer F 4
Bliesbrücken 1); — Oberstinzel (F, Fénétrange): 1573 vffs Juncke(n) (AD
Moselle 8 F 5 Nr. 1); — Sentzich (F, Cattenom): 1627 uff Junken Bruch (AD
Moselle H 4544); — Kœnigsmacker (F, Metzervisse): 1722 Or. dt. bey den
Juncken (AD Moselle H 3650).
20) iunïperus/*ietiïpërus M. ,Wacholder* - Ginfer M. ,Wacholder* (Du
Cange 4: 449 s.v. junibarus; FEW 5: 74-76; Follmann 1909: 195; LuxWb 2:
15; Meyer-Lübke 1935: 376f. Nr. 4624; RheinWb 2: 1190 s.v. Geneverbaum;
Name: Jungandreas 1962: 448; Nègre 1990-91: 1248 Nr. 23253-23265 [z.T.
suffigale Ableitungen]; Schorr 1996: 46-50; Schorr 2002: 1587 mit Karte 1).
Belege: Sierck-les-Bains (F, Sierck-les-Bains): 1764 Or. frz. Gimfren (AD
Moselle 6 J 107), 1768 Or. frz. canton de Genevre dit vulgairement in den
Ginffer (AD Moselle J 107), о In den Gaenfern, 6 an de Gänfern; — Wochem
(D, Merzig-Wadem): о Auf der Ginferheide; — Garche (F, Thionville): о
Ginffer en.
21) *lëi (galî., < kelt. */ïwank-) ,Fels, Stein* - Lei(e) F. (Wort: Follmann
517
1901; 333, Kluge/Seebold 2002: 566; LuxWb 3: 22; PfälzWb 4: 911 f.; Post
1982: llOf. Nr. 113; RheinWb 5: 355; Name: Dittmaier 1963: 184;
Greule/Kleiber 1999: 165; Jungandreas 1962; 594f., Schorr 2001: 313f.; vgl.
Karte 3). Belege: Büschfeld (D, Merzig-Wadern): 1591 Weisse Ley;
Besseringen (D, Merzig-Wadern): 1614 dt. biß auf die Ley (LH A Koblenz
143/451); — Mettlach (D, Merzig-Wadern): 1665 Or. dt. den Heuw Wegh in
biss auff die Ley (LHA Koblenz 143/451 S. 8); — Völklingen (D,
Saarbrücken): 1672 Or. dt. auf den Leyen (LA Saarbrücken Best. Nassau-
Saarbrücken 11 2980); — Alsweiler (D, St. Wendel): 18. Jh. dt. an der Lai; —
Hofeld-Mauschbach (D. St. Wendel): 1721 Or. dt. oben in der Ley (LHA
Koblenz 1 C/l 5181 S. 137), о In der Ley, 0 en der Lcej.
22) mäceria F. .Gartenmauer4 - Macher/Mecher F. ,Schutthaufen,
Steinlesehaufen4 (Wort: Du Gange 5, 160; FEW 6.1: 9; Kluge/Seebold 2002:
633; Meyer-Lübke 1935: 423 Nr. 5204; Pfalz Wb 4: 1091; Name: Dittmaier
1963: 194; Gröhler 1933: 59; Haubrichs 2004: 297-301 mit Karte 1;
Jungandreas 1962: 635; Nègre 1990-91: 1411-1413 Nr, 25843-25856; Pfister
1983: 132f.; Pitz 2004: 205f. Nr. 86 [suffigale Ableitung]; Schmitt 1996: 473f.
mit Karte 2; Schorr 2000: 47 mit Karte 16). — Niedaltdorf (D, Saarlouis):
1363 Or. dt. eynen daieh veldez vnder mecheren (AD Moselle 4 E 7); —
Freybouse (F, Grostenquin): 1411 Kop. 16. Jh. dt. an Mecheren (AD Moselle
H 1026); — Ensheim (D, Saarbrücken): 1458 Kop. 1736 biß zu der Machren;
— Varsberg (F, Boulay-Moselle): 1461 Or. dt. uff der Machern (LA
Saarbrücken Best. Nassau-Saarbrücken II 3114 fol. 2).
23) mortärium N. .Mörser; Mörtelpfanne; Mörtel4 - Merter/lVlertel N. M.
F. ,Lehmgrube, Wasserloch, Mardelle4 (Wort: Du Gange 5: 524; FEW 6.2:
149f; Follmann 1909: 360; Kluge/Seebold 2002: 633; Meyer-Lübke 1935:
467 Nr. 5693; Name: Dittmaier 1963: 207; Jungandreas 1962: 644f; Nègre
1990-91: 1438 Nr. 26220-26223; Schorr 2000: 47f. mit Karte 17). Belege:
Dalhain (F, Château-Salins) 1305 Or. lat. in Eimersmerter, 1351 Or. lat. in
Eimersmorter (beide Belege AD Meurthe-et-Moselle H 3213); — Basse-
Vigneulles (F, Faulquemont): 1329 Kop. 14. Jh. lat. i(n) loco d(ic)to zu
mortere (BNF Paris ms. lat. 10030 fol. 74r); -— Saint-Avold (F): 1459 Or. uff'
der Merteln (AD Meurthe-et-Moselle В 743 Nr. 21); — Nennig (D, Merzig-
Wadern) 1523 Or. dt. vff Wolffsmerter (LA Saarbrücken Bübingen А 48 S. 7),
о Auf Wolfmörder, 0 op Wolfsmierder.
24) *näuä (kelt.) F. ,feuchtes BachtaL - Naf/Nef F. (Name:
Dauzat/Rostaing 1978: 178 s.v. Naves; Dittmaier 1963: 211; Greule/Kleiber
1999: 163 mit Abbildung 1; Jungandreas 1962: 722; Kleiber 1983: 160f. mit
Karten 1 und 2; Nègre 1990-91: 49f. Nr. 1086-90 [Hydronyme]; Pfister 1990:
17; Schorr 1996: 44f.; Schorr 2001: 310f.; vgl. Karte 3). Beleg: Wahlen (D,
Merzig-Wadern): о In Neef- In Neefwies, 0 en Niaf - en Niafwiss. Der in
Wahlen, das auf das Ethnonym ahd. walah ,Romane4 zurückgeht (Buch-
müller-Pfaff/Haubrichs/Spang 1989, S. 5 Nr. 61a), belegte Flurname Neef der
auf der Stufe des erst im 9. Jahrhunderts vollzogenen Lautwandels von â > é
518
(Pfister 1990) ins Moselfränkische entlehnt wurde (die Diphthongierung in der
heutigen Dialektform ist später eingetreten), bezeugt, dass auch die südliche
Hochwaldromania zu dieser Zeit noch lebendiger Teil der Romania östlich der
heutigen Sprachgrenze war.
25) *olkä (kelt.) F. ,pflügbares Land1 - Olk F. ^herrschaftlicher?)
Wingert1 (Wort: Delamarre 2003: 240; Du Gange 6: 40f; FEW 7: 339T;
LuxWb 3: 260; Meyer-Lübke 1935: 496 Nr. 6050; RheinWb 6: 397; Name:
Gröhler 1933: 129f.; Dittmaier 1963: 218; Jungandreas 1962: 769f.; Post
1982: 114f. Nr. 120; Nègre 1990-91: 280 f. Nr. 4045-40; Greule/Kleiber 1999:
163; Schorr 2001: 307f; vgl. Karte 2). Belege: Völklingen (D, Saarbrücken):
a. 1753-1754 Or. in der Olk, o In der Olk, 0 in der Olk. — Petit-Réderching
(F, Rohrbach-lès-Bitche): 3 724 Or. dt. in der Olck (AD Moselle E dépôt 540 1
G 1), o Holck - Oben am Ho Ick , 0 Olk - owwe an der Olk; — Saarfels (D,
Merzig-Wadem): 1531 Kop. dt.y>7 der Olken (StB Trier 1671/348 fol. 100r), o
ln der Olk, 0 in der Olk.
26) *pictüra (sprechlat.?) - Pichter/Piter(t) F. (M.) ,umzäuntes Stück
Land, v.a. Weinberg1 (Wort: RheinWb 6: 806; Name: Jungandreas 1962:
801 f.; Jungandreas 1979: Karte 13; Dittmaier 1963: 228; Kleiber 1974: 22;
Melchers 1962; Post 1982: 192 Nr. 284; Schorr 2001: 304f.; vgl. Karte 2).
Beleg: Sehndorf (D, Merzig-Wadem): a. 1628 Or. in der Pithert (LHA
Koblenz 52,17/5), a. 1753 Or. in der petert Ga. (Bistumsarchiv Trier 11,3/9),
o Petert, 0 Péitert. Das Namen bildende Wort wurde noch nicht überzeugend
etymologisiert, doch ist es sicherlich als ein durch das Romanische
vermitteltes Lehnwort im Moselfränkischen anzusprechen. Der Diphthong in
der Mundartform setzt einen - vielleicht sekundären - Langvokal voraus.
27) plantarium N. ,Pflanzung4 - Planter M. ,Rebneuanlage‘ (Wort: Du
Gange 6: 355; FEW 9: 23; LuxWb 3: 363; RheinWb 6: 930; Name: Gröhler
1933: 151, Jungandreas 1962: 815f; Dittmaier 1963: 230 mit Karte 29;
Haubrichs 1999: 54 mit Karten 3 und 4; Kleiber 1975: 134-136 mit Karte 1;
Kleiber 1983: 171 f. mit Karte 5; Nègre 1990-91: 1295 Nr. 24065 und 1327
Nr. 24703; Post 1982: 192 Nr. 285; Schorr 2001: 305-307; vgl. Karte 2).
Belege: Elvange (F, Faulquemont): 1548 Kop. frz. Pleiteren (AD Moselle H
1029 S. 16), 1697 Or. frz. sur le chemin de Pleintern - terres de Pleintern
(AD Moselle 4 E 138), o Langst Plinter Weg - Plinter unter die Capelle; —
Créhange (F, Faulquemont): 1663 Or. frz. la Plenteracht (AD Moselle 10 F
379); — Haute-Kontz (F, Sierck-les-Bains): 1696 Or. frz. joignant le chemin
de Plenter (AD Moselle 4 E 308), o Plenten - Plenter, 0 de Plente; — Haute-
Vigneulles (F, Faulquemont): 1697 Kop. dt. in dem Planter Gärtten (AD
Moselle E supplément 308, 3 CG 2); — Farébersviller (F, Freyming-Merle-
bach): a. 1698 Or. dt. uffm Plenter (AD Moselle 4 E 153), a. 1736 Or. dt.
auffm Plenter — unden am Plenter Feld (AD Moselle 4 E 154), o Plinter, 0
Plenter.
28) prätellum mlat. (klass.-lat. pratulum) N. ,kleine Wiese4 -
Prättel/Prattel N. dass. (Wort: Du Cange 6: 478; FEW 9: 333ff.; Meyer-
519
Lübke 1935: 558 Nr. 6732 s.v. pratum', Name: Dauzat/Rostaing 1978: 195,
Dittmaier 1963: 234 s.v. Pradel und 235 s.v. Predels; Jungandreas 1962: 104,
828f. und 832; Nègre 1990-91: 1313-1315 Nr. 23431-24440, 24457-24460,
24473-24478). Belege: Frémestroff (F, Grostenquin): 1526 Or. dt. vff Prattel
(LHA Koblenz 218/774 S. 18), 1607 Or. dt. vff Prättel (LHA Koblenz
218/730 S. 364), 1742 Or. frz. Protei (AD Moselle 10 F 448), o Bratel, 0
Prottel; — Guenviller (F, Freyming-Merlebach): 1717 Or. frz. dans le
Pretelgen (AD Moselle 4 E 223), o Brettelchen, 0 Prättelchen; —
Guinkirchen (F, Boulay-Moselle): 1700 Or. frz. Prettel - sur Prettel (AD
Moselle 4 E 220), o Pretel.
29) sabülum/*sabellum N. ,grobkörniger Sand' - Sabel/Sawel M. ,(grob-
körniger) Sand1 (Du Cange 7: 249; FEW 11:5; Follmann 1909: 430; LuxWb
4: 307; Meyer-Lübke 1935: 619 Nr. 7486; Post 1982: 113 Nr. 116; RheinWb
7: 661; Name: Dauzat/Rostaing 1978: 210 s.v. Savel; Dittmaier 1963: 254;
Halfer 1988: 100; Haubrichs 2004: 301-304 mit Karten 2-3; Jungandreas
1962: 909f; Nègre 1990-91: 1290 Nr. 23966-23971 [mit Suffixvarianten]).
Belege: Kédange-sur-Canner (F, Metzervisse): 1693 Or. frz. Sabelfelt (AD
Moselle 4 E 298), o Sabelfelt; — Kœnigsmacker (F, Metzervisse): 1560 Kop.
dt. Sabel Veit - 1601 Or. dt. Sabellfeldt - 1635 Or. dt. im Sabel/ Veldt (AD
Moselle H 3650); — Mechern (D, Merzig-Wadem): 1669 Kop. dt. in der
Sabelkaullen (StB Trier 1644/380 S. 1118), 1669 Kop. dt. vnden der
Sabelkaullen (StB Trier 1644/380 S. 1119).
30) scamellum spätlat. (klass.-lat. scabellum) N. ,Bänkchen1 - Schemel M.
,Schemel1 (hier als Wiesenmaß) (Wort: Du Cange 7: 331; FEW 1 1: 274ff.;
Kluge/Seebold 2002: 789; LuxWb 4: 120; Meyer-Lübke 1935: 633 Nr. 7647;
PfälzWb 5: 924f. [3: Flächenmaße]; RheinWb 7: 895L; Name: Dittmaier
1963: 263f; Jungandreas 1962: 938 und 947; Nègre 1990-91: 1188 Nr.
22193). Belege: Wadern (D, Merzig-Wadem): 1594 Or. dt. der Rundschemel
bey der Chrichinger Wiessgen - der Schemel - ein klein Schemelgen (LHA
Koblenz 38 1/844); — Wedem (D, Merzig-Wadem): 1619-1757 Or. dt. der
Schemel im Briiel (LHA Koblenz 38/859); — Schwalbach (D, Saarlouis):
1654 dt. unden den Schemeln in der Scheibelter Wiesen - 1654 Or. dt. in der
Scheibelter Wiss under den Schemeln - 1654 Or. dt. in der Scheibelter Wiesen
und den Schemeln (LHA Koblenz 218/810). Die mit dem ansonsten weit ver-
breiteten Lehnwort Schemel gebildeten Flurnamen wurden wegen einer klein-
räumigen Besonderheit hier mit aufgenommen: Die semantische Entwicklung
der lexikalischen Basis zu einem Wiesenmaß erfolgte im Hochwaldvorland
vielleicht schon zu Zeiten lebendiger Romanität und das Wort wurde dann mit
dieser Spezialbedeutung in die moselfränkische Mundart der Region entlehnt.
31) scütum N. ,Langschild1 - Schaute F. M. ,Schaufel, überstehendes
Brett, Bienenwabe1 (Wort: Du Cange 7: 38if.; FEW 11: 354ff; Follmann
1909: 470; Lux 4: 1 10; Meyer-Lübke 1935: 640 Nr. 7759; Post 1982: 153 Nr.
203; Name: Dittmaier 1963: 261). Belege: Sierck-les-Bains (F, Sierck-les-
Bains): 1594 Or. dt. in Schuten (AD Moselle 3 E 7274); — Rustroff (F,
520
Sierck-les-Bains): 1597 Or. dt. in Schaudten (AD Moselle 3 E 7273), 1683 Or.
dt. im Klein Schauten — in Schauten (AD Moselle 3 E 7335), 1686 Or. dt. in
Schauten (AD Moselle H 4497), o Schouten, 0 Schauten; — Kœnigsmacker
(F, Metzervisse): 1616 Or. dt. inn der Schautten (AD Moselle H 3650), 1680
Or. dt. in der Schauten (AD Moselle H 3650); — Laumesfeld (F, Sierck-les-
Bains): 1722-26 Or. frz, la Chautte (AD Moselle 4 E 293).
32) *uobera/*uoberno- neben *uabera/*uaberno- (kelt.) ,Waldquelle,
Wald‘ - Waber/Wober M. ,feuchte Mulde, nasser Wald‘ (Wort: Delamarre
2003: 325; FEW 14: 92 f.; Meyer-Lübke 1935: 758 Nr. 9107a; Name:
Dauzat/Rostaing 1978: 229 s.v. Vaivre; Dittmaier 1963: 360; Gröhler 1933:
121 f.; Jungandreas 1962: 1079L; Kleiber 1983: 159 f. mit Karten 1 und 2;
Nègre 1990-91: 278 f. Nr. 4034-43, Puhl 1999: 412-416; Greule/Kleiber 1999:
162f.; Schorr 2001: 309E; vgl. Karte 3). Belege: Steinbach (F, Drillingen):
1692 Or. dt. in der Wohermatten (AD Bas-Rhin E 5825); — Achen (F,
Rohrbach-lès-Bitche): 1733 Or. dt. am Woher (AD Bas-Rhin 8 E 434-1); —
Sarre-Union (BR, Sarre-Union): a. 1737 Or. dt. am Woher - auff den Woher
Wald (AD Bas-Rhin 8 E 434-6); — Sarrewerden (BR, Sarre-Union): ca, 1750
Or. dt. der Woberbösch Weeg (AD Bas-Rhin 8 E 434-60), o Oberste
Woherhuschgaerten, 0 oberste Woberbuschgärte; — Rexingen (BR,
Drillingen): o Auf der Wobermatt — ln der Wobermatt, 0 en de Wobematt.
7. Ergebnisse
Als wichtigstes Ergebnis ist - in Bezug auf das gesamte Untersuchungsgebiet
die erstaunliche Übereinstimmung der Verbreitungsmuster romanischer
Relikte in Flurnamen mit den Ergebnissen der Gewässer- und Siedlungs-
namenforschung hervorzuheben (Karte 4). Durch die getrennte Betrachtung
von Mikro- und Makrotoponymen, die ja ihre jeweils eigene Geschichte
haben, konnte die eigenständige Aussagekraft jeder Namenklasse für die
Kontinuitätsdiskussion erhärtet werden. Die Validität der andernorts schon
vielfach erprobten kombinierten Auswertung der beiden Namenklassen wird
auf diese Weise natürlich nicht grundsätzlich in Frage gestellt.
Da nur in den wenigsten Fällen von echten Namenrelikten gesprochen
werden kann, meistens jedoch von Lehnwörtern, die Anlass zur Flumamen-
bildung gaben, werden damit auch die Ergebnisse der Lehnwortforschung der
Region bestätigt (Post 1982), die indes für Lothringen bis jetzt nicht auf einer
kleinräumigen Basis geleistet werden konnte. Die Flumamenkartierung weist
gegenüber Dialektwörterbüchem den Vorteil eines engmaschigen Rasters und
- im Falle des ASFSL mit seinen Archivbelegen - einer größeren historischen
Tiefenschärfe auf. Die Beschränkung der Benennungsbereiche in der Flurna-
menbildung setzt der Methode andererseits Grenzen.
Einige Unterschiede in den Ergebnissen der Gewässer- und Siedlungs-
namenforschung im Vergleich zur Flumamenforschung erfordern eine Er-
klärung. Es fällt auf, dass der für das frühe Mittelalter gut gesicherte
romanische Siedlungsraum an der oberen Saar und ihrem Nebenfluss Eichel
521
(Raum VI auf den Karten 1 und 4) bislang lediglich durch Flurnamen mit dem
Lehnwort Wabert Woher (s,o. Nr. 32) weiter abgesichert werden kann. Die
weitgehende Ausräumung von romanischen Relikten kann mit spätmittel-
alterlichen und frühneuzeitlichen Sprachbewegungen begreiflich gemacht
werden (,Elsass-Keil‘, s.o.), die ihrerseits ihren Niederschlag in der Flur-
namengebung gefunden haben. Eine ost-westliche Sprachbewegung aus dem
Unterelsass hat nicht nur lexikalische Alemannismen wie Matte ,Wiese' und
Reben ,Weinberg' an den Westabhang der Vogesen gebracht, sondern auch
älteres Wortgut verdrängt, das sich dann nicht mehr in Flurnamen nieder-
schlagen konnte. Eine weitere Kontinuitätszone an der Bliesmündung (Raum
IV auf Karte 4) bleibt hingegen trotz des Einflusses ost-westlicher Sprach-
einflüsse aus dem pfälzischen Raum entlang der Altstraße Mainz-Worms-
Kaiserslautem-Saarbrücken-Metz-Paris (,Pfalz-Keil', s.o.) gut fassbar. Die
übrigen, mehrheitlich moselfränkisch geprägten Räume (I, II, III, V auf Karte
4) sind weitgehend archaisch und bilden die alten Verhältnisse am besten ab.
Allenfalls in der Hochwaldromania (Raum II) machen sich die ost-westlichen
Sprachströmungen etwas stärker bemerkbar: Im Vergleich zur Siedlungs- und
Gewässernamenüberlieferung sind die einschlägigen Flurnamen dort weniger
stark repräsentiert.
Auffallend ist die Ausräumung von altem Namengut im Süden, im nun
französischsprachigen Teil des lothringischen Weihergebietes (Raum V auf
Karte 4, südlicher Teil). Der frühneuzeitliche Sprachenwechsel war hier nicht
nur ein Kommunikationsprozess, sondern auch die Folge verstärkter
Aufsiedlung mit frankophonen Neusiedlern nach den Kriegen des 17.
Jahrhunderts. Die onomastische Diskontinuität tritt dadurch deutlich schärfer
hervor als bei einem Sprachwechsel einer ortsansässigen Bevölkerung, wie sie
im Nordosten von Metz zu beobachten ist (westlich des Raumes III auf Karte
4). Eine kleine Kontinuitätszone scheint, ergänzend zu den durch die
Siedlungs- und Gewässernamen bezeugten, westlich von Saarbrücken an der
mittleren Saar zu bestehen, doch handelt es sich bei näherer Betrachtung bei
den dortigen Flurnamen in der Hauptsache um weiter verbreitete Lehnwörter
(z.B. auf der Leyen in Völklingen, s. Nr. 21) und um solche, die auf den
inzwischen dort aufgegebenen Weinbau hinweisen (z.B. ebenfalls in Völk-
lingen in der Olk, s. Nr. 25). Durch die Verlagerung des spezialisierten Win-
zerwortschatzes (früher und kontinuierlicher Weinbau ist für die mittlere Saar
nicht wahrscheinlich) kann so schnell ein falscher Eindruck entstehen^. Die
Unterschiede im Detail der Verbreitungsmuster zeigen deutlich, dass die
vergleichende (und nicht rein additive) Betrachtung von meist jüngeren, auf
Lehnwörtern basierenden Flurnamen mit älteren, weitgehend unverrückbaren
Siedlungs- und Gewässernamen für eine Kontinuitätsdiskussion methodisch
lohnend ist.
522
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Summary
On the Name Geography of Romance Loan and Relict Words
in the Field Names of the Saar-Moselle Region
This article deals with the areal distribution of 32 field name types based on
Romance loan words. The area under investigation is a German-speaking zone
encompassing Eastern Lorraine and Western Alsace in France and the
Saarland in Germany; it thus connects the extinct speech area of the so-called
Mosella Romana of the Moselle Valley between the cities of Trier and
Cochem in today’s Rhineland-Palatinate in the North with the present-day
French-speaking area in the South-West of central Lorraine. The mapping of
the onomastic data in the present-day German-speaking area enables us to
establish six circumscribed sectors, in which Romance continuity can be
traced. The distribution and the dimensions of those sectors can be contrasted
with both earlier results of onomastic research into pre-Roman and Romance
names of inhabited places and a study of German field name areas. The
mapping results of Romance based field names are consistent with the areal
distribution of pre-Roman and Romance place names. Minor differences in the
results can be explained by the historical change of the area’s linguistic geo-
graphy since the Middle Ages, which also left its mark in the German field
name areas mentioned.
530
53
532
Rheinland-Pfalz
Luxemburg
OBERMOSEL
| Flurnamen mit dt. Woher n iv v \ y v V V V v
Q Flurnamen mit. frz. woivre „ V v
—» Flurnamen mit dt. Nef H. v
e=j Flurnamen mit frz. neve, nef
Untereisass
▼ Flurnamen mit dt. Gotte
V Flurnamen mit frz. goutte
• Flurnamen mit dt. Gro, Grau
O Flurnamen mit frz. greve
A Flurnamen mit dt. Lei
* Flurnamen mit dt. Klef
{•) Orientierungsort
..... deutsch-französische Sprachgrenze um 1000 n. Chr. (schematisch)
KARTE 3: Romanische Naturflumamen im Saar-Mosel-Raum
533
534
Ruth Kunz
Der Saar-Mosel-Raum als lexikalischer und ono-
mastischer Begegnungs- und Interferenzraum. Das
DFG-Projekt ,Nordwörteri und ,Siid Wörter'
Systematisch betriebene Sammlungen von Flurnamen eignen sich in beson-
derer Weise für sprach- und siedlungsgeschichtliche Untersuchungen des Rau-
mes, in dem diese Namen entstehen und überliefert werden, denn gerade die
Flurnamen haben eine große Nähe zur sprachlichen Grundschicht, ihre kom-
munikative Reichweite ist relativ gering,1 sie konservieren im appellativischen
Wortschatz untergegangene Wörter, sie sind datierbar und sie besitzen darüber
hinaus im Vergleich mit anderen Materialkategorien noch weitere Vorzüge:
„Nicht zuletzt die dem Appellativbereich noch am nächsten stehenden Flur-
namen eignen sich hervorragend als Quelle für die historische Dialektgeo-
graphie. Sie sind nicht nur durch eindeutige Lokalisierbarkeit gekennzeichnet,
sondern führen auch durch relativ dichtes Vorkommen zu engmaschigeren
Belegnetzen“ (Debus 1983, S. 932). Eine kombinierte Flur- und Siedlungs-
namensammlung Für das Saarland und das germanophone Lothringen wurde
von Wolfgang Haubrichs (in den Anfängen vor rund 30 Jahren noch unter
Mitwirkung von Hans Ramge) in Saarbrücken aufgebaut: das Archiv für Sied-
lungs- und Flurnamen des Saarlandes und des germanophonen Lothringen
(ASFSL). Das Untersuchungsgebiet des ASFSL, im Folgenden auch Saar-
Mosel-Raum genannt, ist in Abb. 1 dargestellt. Es umfasst außer dem Saar-
land die deutschsprachigen Teile der lothringischen Departements Moselle,
Meurthe-et-Moselle und Vosges bis zur historischen Sprachgrenze nach ihrem
1 Vgl. die Anmerkungen Wolfgang Kleibers über den altertümlichen landwirtschaft-
lichen Sachwortschatz: „Die Ergebnisse der historischen Wortgeographie [...] mah-
nen zur Vorsicht gegenüber übertrieben dynamischen Auffassungen von der Flexi-
bilität des Wortschatzes. Gewisse Denotatklassen kleben geradezu am Boden.“
(Kleiber 1975, S. 148) - Im Folgenden verwendete Abkürzungen und Zeichen,
außer den üblichen (in alphabetischer Reihenfolge): afrz. = altfranzösisch, ahd. =
althochdeutsch, aengl. = altenglisch, afries. = altfriesisch, anord. = altnordisch,
asächs. = altsächsisch, Dep. = Departement, dt. = deutsch, Fä. = Fälschung, fern. =
feminines Genus, fmhd. = frühneuhochdeutsch, frz. = französisch. Gde. = Gemein-
de, germ. = germanisch, got. = gotisch, Jh. = Jahrhundert, Kop. = Kopie, kopiale
Überlieferung, Kr. = Kreis (auch in Zusammensetzungen wie Landkr.), Krst. =
Kreisstadt, Kt. = Kanton, lat. = lateinisch, lit. = litauisch, mask. = maskulines
Genus, mfrz. = mittel französisch, mhd. = mittelhochdeutsch, mnd, = mittelnieder-
deutsch, mnl. = mittelniederländisch, neutr. = neutrales Genus, nhd. = neuhoch-
deutsch, Or. = Original, originale Überlieferung, PI. = Plural, urgerm. = urgerma-
nisch, * = rekonstruierte Form, < = entstanden aus, /.../ = Phonem, [...] = phoneti-
sche Transskription, (...) = Graph, Graphem.
535
für die Zeit um 1500 ermittelten Verlauf sowie die historisch und sprachge-
schichtlich zu Lothringen gehörigen Kantone des sogenannten Krummen
Eisass im Departement Bas-Rhin. Der eingezeichnete Sprachgrenzverlauf
stellt die Verhältnisse um 1900 dar.~
Abb. 1: Das Untersuchungsgebiet des Archivs für Siedlungs- und Flurnamen
des Saarlandes und des germanophonen Lothringen (ASFSL)
Das Saarbrücker Archiv umfasst mittlerweile rund 500.000 nach historisch-
philologischen Kriterien erfasste Belege mit zugehörigem Datensatz, der
außer der Namenform den syntaktischen Kontext sowie Angaben zu Datie-
rung, Überlieferungsart, Quelle etc. enthält. Alle erhobenen Belege wurden in 2
2 Zum Verlauf der Sprachgrenze in Lothringen vgl, This 1887, Witte 1894, Levy
1929 und Toussaint 1955.
536
einer relationalen Datenbank erfasst,1 * 3 Das flächendeckende, chronologisch tief
geschichtete und elektronisch abrufbare Namenmaterial des ASFSL bietet
eine hervorragende Quellengrundlage für differenzierte wortgeographische
Untersuchungen auf der Basis des Flurnamenschatzes.
Mit den Materialien des ASFSL und unter Anwendung der Methoden der
Flurnamengeographie4 versuchte das von der Deutschen Forschungsgemein-
schaft (DFG) geförderte Projekt ,Nordwörter' und ,Südwörter'. Alte
Wortschichten in Siedlungs- und Flurnamen und ihre Aussagefähigkeit für die
Stellung des Saar-Mosel-Raumes innerhalb der Westgermania die wortgeo-
graphische Stellung des Saar-Mosel-Raumes zu erhellen. Wie lautgeogra-
phische Forschungen bereits aufzeigen konnten, ist der Untersuchungsraum
des ASFSL in einer sonst im deutschen Sprachgebiet nicht anzutreffenden
Weise ein Begegnungs- und Interferenzraum nördlicher und südlicher Sprach-
erscheinungen. Er ist von einer Reihe von Isoglossen durchzogen (Wiesinger
1983, S. 847 Karte 47.8; Will 1979, S. 33 Abb. 9 und S. 93 Abb. 35), deren
augenfälligste, die dat/das-Linie, den Saar-Mosel-Raum zu einer Schnittstelle
zwischen den Großdialekten des Moselfränkischen und des Rheinfränkischen
macht. Untersuchungen der spätmittelalterlichen Literatursprache des Raumes
haben bereits ergeben, dass sich dessen Stellung zwischen nördlichen und süd-
lichen Erscheinungen auch in der Lexik zeigt (Bichsei 1999; Haubrichs 2002;
Ders. 2007). Durch die wortgeographische Bearbeitung von Flurnamenmate-
rial aus den ASFSL-Beständen konnten im Saar-Mosel-Raum Flumamenräu-
me ausgemacht werden, die teils als Beharrungs-, teils als Innovationsräume
zu charakterisieren sind. Außerhalb des Untersuchungsgebietes haben diese
Räume Anschluss nach Norden hin an den zum Herzogtum Luxemburg gehö-
rigen Teil des Gutlandes, an das Trierer Land sowie an den Hunsrück, nach
Osten hin zur Pfalz und nach Süden hin über die Vogesen zum alemannisch-
elsässischen Oberrhein (Schorr 2000, S. 34-51 und S. 79 Karte 21). Das For-
schungsprojekt ,Nordwörter' und ,Südwörter' hatte es sich zur Aufgabe
gemacht, alte lexikalische Verbindungen des Saar-Mosel-Raumes zu den
ripuarischen und niederfränkischen Dialektgebieten im Norden und Nord-
westen (daher der Terminus ,Nordwörter‘) sowie von Süden vordringende
Neuerungen mit oberdeutsch-alemannischen Bezügen (,Südwörter‘ also)
nachzuweisen. Die Bearbeitung der Quellen des ASFSL unter diesem Aspekt
schloss an die wortgeographischen Studien von Gotthard Lerchner sowie die
flumamengeographischen Arbeiten von Wolfgang Kleiber und Hans Ramge^
1 Eine ausführlichere Beschreibung des Saarbrücker Archivs mit Literaturhinweisen
zu den Anfängen und zur Konzeption des ASFSL sowie zu der besonderen Bedeu-
tung des Archivs als Voraussetzung und Grundlage für die auf die Sammel- und Er-
fassungsphase folgenden Auswertungsprojekte findet sich in Kunz 2008, S. 375f.
mit Anm, 2.
4 Zu deren Forschungsgeschichte vgl. Ramge 1996.
Vgl. die bibliographischen Hinweise im Literaturverzeichnis.
537
in benachbarten westmitteldeutschen und westoberdeutschen Räumen an. Ein
wichtiges Kriterium, das zur Charakterisierung eines Namenwortes als ,Nord-
wort' oder ,Südwort' führte, war ein klar erkennbares wortgeographisches
Verbreitungsmuster in anderen - vor allem in den dem Untersuchungsgebiet
benachbarten - Regionen. Weitere Kriterien waren die areale Verteilung
innerhalb des Untersuchungsgebietes sowie die chronologische Einordnung
des Namenwortes. Eng verknüpft ist die Analyse der Stellung des Saar-Mosel-
Raumes in sprachhistorischen und wortgeographischen Dimensionen'’ mit der
Frage der sprachlichen Genese des Westmitteldeutschen überhaupt, insbeson-
dere mit dem Forschungsdesiderat der Analyse der sprachlichen Charakte-
ristik des Stammes der merowingischen Franken: „Daß dieser Stammesver-
band jemals eine einheitliche Sprache gesprochen hat, ist sehr fraglich, ja un-
wahrscheinlich, wie denn auch im Laufe der Sprachentwicklung des frühen
Mittelalters die nördlichen Regionen des fränkisch besiedelten Gebietes in
Lautung und Wortschatz sich stärker an den Sprachen nordseegermanischer
Stämme, der Friesen, Sachsen und Angelsachsen, die südlichen Bezirke aber
eher an dem auf der Grundlage eibgermanischer Stammessprachen gewachse-
nen Althochdeutschen orientieren“ (Haubrichs 1996, S. 559).
Die Zwischenstellung des Saar-Mosel-Raumes auf lautlicher und wortgeo-
graphischer Ebene legt die Annahme „einer gestaffelten Aufsiedlung durch
Gruppen unterschiedlicher Provenienz“ nahe; hinsichtlich der Frankonisierung
des Raumes „wird die Frage, ob diese fränkische Aufsiedlung zum größeren
Teil von Westen, aus dem Herzen des expandierenden Merowingerreichs -
und damit aus dem Bereich des spätestens im 10. Jahrhundert endgültig er-
loschenen ,Westfränkischen' oder aber von Norden, vom Kölner Raum aus
erfolgte, nach wie vor äußerst kontrovers beurteilt“ (Pitz 2005, S. 330).
Das an der Universität des Saarlandes angesiedelte und von Wolfgang
Haubrichs geleitete DFG-Projekt ,Nordwörter‘ und,Südwörter‘ wurde jüngst
abgeschlossen; die Publikation der Ergebnisse erfolgte 2009. Forschungsge-
schichtliche und methodische Grundlagen sowie der Zeugniswert von Flurna-
men für die Erhellung alter sprachlicher Beziehungen am Beispiel des Saar-
Mosel-Raumes sind dargestellt in Pitz/Schorr 2003, passim; erste Einzelergeb- 6
6 Auf die Bedeutung einer solchen methodischen Koppelung weist Wolfgang Kleiber
hin: Er betont zu Recht, dass die „historische Sprachgeographie frühmittelalter-
licher ,Stämme' bzw. der betr. politischen Einheiten' [...] noch wenig entwickelt
[ist]. Beispielsweise wäre auf die Entdeckung eines ingwäonischen (niederfränki-
schen) Superstrats am nördlichen Oberrhein auf der Basis onomastischer und
appellativischer Zeugnisse hinzuweisen. [...] Derartige primär namenkundliche Ein-
zelforschungen müssen vorläufig als Ersatz dienen für das fehlende Bild einer früh-
mittelalterlichen Sprach- und Wortgeographie“ (Kleiber 1998, S. 891 f.).
KunzWöllono 2009. - Mit ausgewählten Namenwörtern aus dem Denotatbereich
,Hügel', die innerhalb der Germania eine eher nördlich bzw. eine eher südlich gela-
gerte Verbreitung zeigen, befasst sich Kunz 2008.
538
nisse der Projektarbeit wurden bereits beschrieben in Haubrichs 2004, S. 304-
313; Ders. 2005, S. 405-407 und S. 410 mit Karten 3 und 4.
Exemplarisch seien hier nun zwei Namenwörter, eines aus dem Katalog der
,Nordwörter4 und eines aus dem Katalog der ,Südwörter4, hinsichtlich ihrer
Etymologie, ihrer Semantik, ihres appellativischen und toponymischen Vor-
kommens innerhalb der Germania sowie ihrer arealen Verbreitung und ihres
Alters im Saar-Mosel-Raum beschrieben.
Ein Namenwort mit eindeutigem Bezug zum Norden des deutschen Sprach-
raumes, ein ,Nordwort4 also, ist mersch ,sumpfig4 (substantiviert: ,Sumpf-
gebiet4; standardsprachlich Marsch fern. ,Niederung4):
Auf urgertn. *mari- ,See, Meer4 gehen unter anderem ahd. meri
mask./neutr., aengl. mere mask. ,See, Sumpf und afries. mere neutr. zurück;
vgl. auch asächs. meri fern. < urgerm. *marm (L.ühr 2000, S. 13f.). Aus
*mari- und dem germ. -iska-Suffix* wurde ein die Zugehörigkeit zum Grund-
wort ausdrückendes denominales Adjektiv gebildet. Das aus der Suffigierung
resultierende germ. *mariska- Adj. ,zum Meer gehörig4 setzt sich, nun
substantiviert, fort in asächs. mersk ,Sumpf, Marschland4,9 mnd. mersch,
marsch, masch fem./neutr. ,Marsch, wasserreiches Weideland4, afries. mersk
fern. ,Marsch4, mnl. mersc, mersch, meersch, marsch, maersch mask./fem.
,Niederung, Weideland4 und aengl. mer(i)sc mask. ,Marsch, Sumpfland4
(Darms 1978, S. 160f.; Holthausen 1925, S. 71; Ders. 1954, S. 52; Ders. 1974,
S. 220; Kluge 2002, S. 601; Mittelniederdeutsches Handwörterbuch Bd. II/1,
Sp. 965; Middelnederlandsch woordenboek Bd. 4, Sp. 1469-1472; Orel 2003,
S. 261; Vroegmiddelnederlands woordenboek Bd. 3, S. 3048E). Anord. merski
neutr. ,Marschland4 (in poetischer Verwendungsweise) ist aus dem Mittel-
niederdeutschen übernommen (De Vries 1961, S. 385). Das Nordgalloroma-
nische hat das Wort schon früh aus dem Germanischen übernommen; afrz.
und mfirz. maresc mask. hat die Bedeutung ,terrain pénétré par des eaux qui
n’ont pas d'écoulement4 (Französisches Etymologisches Wörterbuch Bd. 16,
S. 519-522; dort auch weitere Belege).
Toponymisch ist germ. *mariska- seit dem 8. Jahrhundert belegt. Für das
Vorkommen in Flurnamen findet sich im Urkundenbuch des Klosters Fulda
ein Frühbeleg aus dem Jahr 762. Im Zusammenhang mit der Schenkung von
Hofstätten und Weingärten bei Mainz heißt es hier: prata in duobus locis foris
mumm civitatis Mögende in superiore Merisge et in subterioraw
Krähe 1969, Bd. 3, S. 196 § 148.
Mersk ist ein altsächsisches Glossenwort. Wells 1990, S. 410 gibt feminines Genus
an, Holthausen 1954, S. 52 macht keine Angabe zum Genus.
Urkundenbuch des Klosters Fulda Nr. 37, S. 64; vgl. auch Sonderegger 1960, S.
194.
539
Frühe Siedlungsnamenbelege zu germ. *mariska- sind:11
Mörsch (Stadt Frankenthal [Pfalz]): 765 Fä. vor 1175 Mers\ 766 Kop. um
1190 in Merische\
Forismarische (unidentifiziert, Provinz Nord- oder Südholland): 776 Kop.
1170-1175 Forismarische; selber Text, Kop. 1 183-1195 in Fresia in loco qui
dicitur Forsmarsche;
Mersch (Luxemburg), mundartlich Miersch (vgl. Luxemburger Wörterbuch
Bd. 3, S. 149): 853 Or. Mariscus, 893 Or. Marse, 940 Or. Merisc;
Mörsch (Gde. Rheinstetten, Kr. Karlsruhe): 940 locus Meriske.
Im Mittelniederdeutschen wird /е/ vor r + Konsonant zu /а/ gesenkt. Am
Lautstand toponymischer Belege ist zu erkennen, dass die Senkung überwie-
gend erst im 15./16. Jahrhundert eingetreten ist. So ist z.B. der Landschafts-
name Marsch (nördlich von Dannenberg im östlichen Niedersachsen) 1330/52
als Mersch und 1593 dann mit eingetretener Senkung als Marsch belegt
(Schmitz 1999, S. 19 und S. 248 § 35). Seit dem 17. Jahrhundert geht Marsch
mit femininem Genus in hochdeutsche Texte ein.
Das rezente Appellativ die Marsch ist erwartungsgemäß vor allem in den
Mundartwörterbüchern der Regionen enthalten, in denen es alluviale Niede-
rungen an großen Flüssen und an der Nordsee, z.B. die Holsteiner Elbmar-
schen und Dithmarschen,1“ oder überhaupt niedrig gelegenes, wasserreiches
Weideland, das ebenfalls Marsch genannt wird, gibt. In den Mundarten an der
Nordsee ist das schon im Mittelniederdeutschen als Variante auftretende
Masch11 die geläufige Form. Ein Beleg aus Hamburg aus dem 15. Jahrhundert
lautet in der mersch\ 1568 heißt es, ebenfalls in Hamburg, marsch, später
Masch (Hamburgisches Wörterbuch Bd. 3, Sp. 262; Mittelniederdeutsches
Handwörterbuch Bd. II/1, Sp. 965; Schleswig-Holsteinisches Wörterbuch Bd.
3, Sp. 596). Zahlreiche Flurnamen dieses Raumes sind, je nach Alter, mit
Mersch, Marsch oder Masch gebildet (Jellinghaus 1899, S. 281 f.; Scheuer-
mann 1995, S. 136).
Das Appellativ reicht heute als Marsch, in Dialekten auch als Masch, bis
nach Westfalen und den nordhessischen Kreis Kassel (Udolph 2002, S. 134;
Belege bei Förstemann Bd. 2, Sp. 219f.; Gysseling Bd. 1, S. 690 u.ö.; Kün-
zel/Blok/Verhoeff 1988, Register S, 488; Laur 1992, S. 450 und Register S. 729;
Udolph 1994, S. 364-377. - Zu (a) vgl. Dolch/Greule 1991, S. 314f.; zu (d) vgl.
Diemer 1967, S. 43f.: Die Verfasserin weist auf die Lage der Siedlung am Hoch-
gestade des Rheins sowie in der Nähe des feuchten Hardtgebietes hin. - Englische
wersc-Namen sind verzeichnet bei Watts 2004, S. 400, S. 409 u.ö.
Vgl. von Polenz 1956.
Der Ausfall des r kann erst spät, nach der Senkung des /e/ zu /a/ vor r + Konsonant,
erfolgt sein.
540
Vilmar 1868, S. 263; Woeste 1930, S. 170) und ist hier Neutrum, welches im
Mittelniederdeutschen noch die seltenere Variante neben sonst vorherrschen-
dem Femininum war.
Darüber hinaus ist kein dialektales Vorkommen mehr festzustellen; jedoch
hat Mersch als Namenwort in der Bedeutung ,nasses, sumpfiges Gelände1
noch eine weitere areale Verbreitung:
In Südhessen ist das Namenwort Mersch, welches in rezenten Belegen
gelegentlich mit hyperkorrekter Schreibung14 15 als Mörsch, Morsch begegnet, in
Flurnamen gut bezeugt. Die Überlieferung setzt im späten 13. Jahrhundert ein
(Ramge [Hg.] 2002, S. 676; Südhessisches Wörterbuch Bd. 4, Sp. 636). Auch
im Rheinland weisen nur noch Flurnamen auf einstiges appellativisches Vor-
kommen von Mersch hin. Im niederfränkischen Gebiet begegnen diese rechts
und links des Rheins; im Ripuarischen kommen sie in den Kreisen Ahrweiler,
Bonn, Düren und Jülich vor, im Moselfränkischen in den Kreisen Bernkastel
und Cochem und im Rheinfränkischen im Kreis Bad Kreuznach (Dittmaier
1963, S. 197f.); sie reichen also nahe an das mit einem frühen urkundlichen
Beleg vertretene Mainz (siehe oben) heran.
In Luxemburg stehen die Flurnamen Meresch, Meersch, Miersch für
sumpfiges Gelände (Anen 1945, S. 35); die oben angeführten historischen Be-
lege für die luxemburgische Gemeinde Mersch zeugen vom hohen Alter des
Namenwortes in diesem Raum.
Mersch ist vereinzelt seit dem späten 13. Jahrhundert und verstärkt seit dem
14. Jahrhundert in Flurnamen der Regionen Rheinhessen (Ramge 1967, S.
207; Zemecke 1991, S. 344) und Pfalz (Christmann 1951, S. 126; Pfälzisches
Wörterbuch Bd. 4, Sp. 1301 f.; Zink 1923, S. 154) belegt; einige der rezenten
pfälzischen Flurnamen zeigen die hyperkorrekte Schreibung Mörsch.
ln den südrheinfränkischen Raum ragen die südlichsten Belege des Namen-
wortes Mersch:L" Die Gemarkung Hochstetten im Kreis Karlsruhe hat einen
zugehörigen Flurnamen aus dem Jahr 1702: 2 Viertel im Mörsch in Krummen
Äggern (Schneider 1960, S. 15 lf.).
Die Kartierung der Flumamenbelege des Saar-Mosel-Raumes (vgl. Abb. 2)
zeigt eine schwache Verbreitung fast im gesamten Untersuchungsgebiet dies-
seits der Sprachgrenze. Nach Südosten hin laufen die Belege langsam aus.
Wie oben dargestellt wurde, finden sich die südlichsten Belege des deutsch-
sprachigen Raumes überhaupt im Raum Karlsruhe, also in relativ kurzer
Distanz zum Untersuchungsgebiet.
14 Vgl. z.B, das Verhältnis ahd. leffif mhd. leffel - nhd. Löffel'. Die Form mit sekundä-
rer Rundung des /e/ zu /öl ist in die Standardsprache eingegangen.
15 Vgl. auch den oben aufgefiihrten historischen Siedlungsnamenbeleg von Mörsch im
Kreis Karlsruhe.
541
Abb. 2: mersch in Flurnamen des Saar-Mosel-Raumes
Einzelne mit mersch gebildete Flurnamen - in Elwingen/Elvange (Kt.
Faulquemont, Dep. Moselle), Gänglingen/Guinglange (Kt. Faulquemont, Dep.
Moselle), Redingen/Redange (Kt. Fontoy, Dep. Moselle) - reichen bis an die
Sprachgrenze heran, überquert wird diese jedoch nicht. Der älteste Beleg16
findet sich in Kattenhofen/Cattenom (Kt. Cattenom, Dep. Moselle) und somit
16 Alle hier und im Folgenden aufgefiihrten Flumamenbelege des Saar-Mosel-Raumes
sind dem Saarbrücker Archiv für Siedlungs- und Flurnamen des Saarlandes und des
germanophonen Lothringen (ASFSL) entnommen; auf den Nachweis der dort doku-
mentierten Archivsignaturen wird hier aus Platzgründen verzichtet. - Erläuterungen
zur Belegreihe: Bei den Flumamenbelegen auf französischem Staatsgebiet wird,
sofern erforderlich, jeweils der deutsche sowie der französische (amtliche) Sied-
lungsname angegeben. Mundartbelege sind in eckige Klammem gesetzt; das
Zeichen o zeigt rezente Belege an.
542
im moselfränkischen Dialektraum (vgl. oben den luxemburgischen Siedlungs-
namen Mersch mit seinen Frühbelegen):
Alsweiler (Gde. Marpingen, Landkr. St. Wendel): о In der Merschbach [en
dn 'memjbax], über dem Merschbacherborn [memjbaxn'boro]. Altviller (Kt.
Saint-Avold 1, Dep. Moselle): о Mersch visse, Biem mersch brone. Bettwei-
ler/Bettwiller (Kt. Drulingen, Dep. Bas-Rhin): 1692 Or. dt. inn der morsch
matten. Diedenhofen/Thionville (Dep. Moselle): о Rue du mersch [ry: dy:
'menf]. Düppenweiler (Gde. Beckingen, Landkr. Merzig-Wadem): 1663 Or.
dt. beim halben birnbaun langst die kleinen merschenwies / das merschen-
stiick / spitze samt dem garten neben dem merschenstück, 1704 Or. dt. in der
mörges, 1721 Or. dt. merschenstück, 1769 Or. dt. das merschenstück, о Die
Mersch [en dn memj], Bei der Mersch [bai de memj], In der Meersch [en dn
memj], Die Kleine Mersch [di: memj]. Elwingen/Elvange (Kt. Faulquemont,
Dep. Moselle): 1521 Кор. 16. Jh. dt. уff mersch. Enchenberg (Kt. Rohrbach-
lès-Bitche, Dep. Moselle): о Merch-berg. Gänglingen/Guinglange (Kt. Faul-
quemont, Dep. Moselle): 1685 frz. au dessus du morsborn, 1691 Or. frz.
mersche / dessus mersch ! en hault de mersch / la petite maix / en metzborne /
au dessus de metzborne / moucheborne, о Petit mersch [da menf], Oberst
mersch ['ibcjmenj], Grand mersch [do menj], Au-dessus de merschbronn sur
le neuf chemin [do 'memjboron], Morschbronn ['memjborn], Courts au-dessus
de merschbronn [di: kuntsn i:bt? memjboron], Portions de merschbronn [do
'memjboron], Au-dessus de merschbronn [do 'memjboron], Tournailles au-
dessus des portions de merschbronn [do 'memjboron], Merschbronn wies [do
'memjboron], Au-dessus des portions de merschbronn [do 'memjboron], Her-
bitzheim (Kt. Sarre-Union, Dep. Bas-Rhin): о Märschebrunne [Wnjobruno].
Hofeld-Mauschbach (Gde. Namborn, Landkr. St. Wendel): 1779 Or. frz.
merchwiese. Holling (Kt. Boulay-Moselle, Dep. Moselle): 1724 Or. frz.
meriche, о Mersch [memj]. Holving (Kt. Sarralbe, Dep. Moselle): 1725 Or.
dt. im mersch acht. Homburg (Saarpfalz-Kr.): 1603 Кор. dt. am merssbacher
pfadt. Kattenhofen/Cattenom (Kt. Cattenom, Dep. Moselle): 1358 Or. frz.
au merxe, 1403 Or. frz. merch, о Morsch [momj]. Kirrberg (Krst. Homburg,
Saarpfalz-Kr.): 1603 Kop. dt. am merssbacher pfadt. Königsmachern/Koe-
nigsmacker (Kt. Metzervisse, Dep. Moselle): 1620 Or. dt. in mersch, 1638
Or. dt. yff merss, 1663 Or. dt. im mersch, 17. Jh. Or. dt. im mersch / in den
kurtzen schiegen im mersch, о Mersche, Mersch eck. Mailing (Kt. Sierck-les-
Bains, Dep. Moselle): 1600 Or. dt. im mersch, 1740 Or. frz. merche / dans
marsche. Metzing (Kt. Behren-lès-Forbach, Dep. Moselle): 1687 Or. dt. in
der merss wissen, о Merschwiese ['memjVLs]. Püttlingen/Puttelange-aux-
Laes (Kt. Sarralbe, Dep. Moselle): 1726 Or. dt. im morsch / die morsch wiess
/gross morsch / im grossmörsch / im klein morsch, о Mersche ['men]’]. Redin-
gen/Rédange (Kt. Fontoy, Dep. Moselle): о Au merche 1-2. Rehlingen (Gde.
Rehlingen-Siersburg, Landkr. Saarlouis): о Oberst Mersch ['o:vnjt men]-],
Unterst Mersch ['onnjt memj]. Rettel (Kt. Sierck-les-Bains, Dep. Moselle):
543
1540 Kop. 1626 dt. ime mersse. Schweyen (Kt. Volmunster, Dep. Moselle): o
Mersch wies ['memJVis]. Tholey (Landkr. St. Wende!): 1699 dt. auff mersch-
bach wissen / in merschbach. Wallerfangen (Landkr. Saarlouis): 1402 Or. dt.
in marchvelt. Wolfersweiler (Gde. Nohfelden, Landkr. St. Wendel): o In
Mörschbach [in niemj'bax], Auf dem Eich vor der Mörschbach [of dm 'ae:ij
fom de 'memj'bax], In der Mörschbach [in da ’memjbax], An der Hardjenseits
der Mörschbach [an da hae:t jemzaits da 'memjbax].
Die älteren historischen Belege lauten meist mersch oder merche. Jüngere
historische und rezente Belege zeigen häutig die hyperkorrekte Schreibung
morsch. Bei den Belegen au merxe aus Kattenhofen/Cattenom (Kt. Cattenom,
Dep. Moselle) sowie Ja petite maix aus Gänglingen/Guinglange (Kt. Faulque-
mont, Dep. Moselle) handelt es sich um romanisierte Schreibungen.
Bis auf eine Ausnahme nicht in die Belegliste aufgenommen wurden mit
dem Gewässernamen Morschbach, Mörschbach gebildete Flurnamen: Das
Bestimmungswort dieses Namens ist eine ^-Ableitung von urgerm. *möra-
,Morast, sumpfartiges Land'; Letzteres ist eine Vrddhi-Ableitung von urgerm.
*mari-. Zu *möra- stellen sich ahd. mhd. muor neutr., asächs. mor, aengl. mör
,Sumpf, Moor' (Darms 1978, S. 162-166; Lühr 2000, S. 13f). Auch außerhalb
des Untersuchungsgebietes finden sich entsprechende Flurnamenbelege wie
1471 im morszfelde, 1588 bei den Morschweyden, 1604 im Morsch (Südhessi-
sches Wörterbuch Bd. 4, Sp. 636; vgl. auch Dittmaier 1963, S. 207 mit Hin-
weis auf niederländisches Vorkommen und Schönfeld 1950, S. 48). Der rezen-
te Flurname Mörschbach aus Wolfersweiler (Gde. Nohfelden, Landkr. St.
Wendel) wurde trotz des oben Gesagten aufgenommen, weil der Mundart-
beleg auf Mersch schließen lässt (vgl. Alsweiler [Gde. Marpingen, Landkr. St,
Wendel], dessen Mundartbeleg gleichlautend ist).
Auffällig ist der Originalbeleg in marchvelt aus Wallerfangen (Landkr.
Saarlouis): Marsch erscheint in appellativischer Verwendung und als Namen-
wort lediglich bis zum Münsterland und Nordhessen, südlich davon kommt
nur Mersch vor. Die Abwanderung des Wortes aus seinem Stammgebiet an
der Nordseeküste muss demnach stattgefunden haben, bevor die Senkung zu
Marsch und der /r/-Schwund zu Masch eingetreten sind. Daher handelt es sich
beim Wallerfanger Flurnamen, wenn keine Verschreibung oder Verlesung
vorliegt, auch wegen des fehlenden (sch) vielleicht um eine Bildung mit
einem anderen Appellativ, möglicherweise mit Mähre, hier dann in der nicht
movierten, umlautlosen Form,1
Auch ein ,Südwort', ein Namenwort also mit eindeutig zu definierenden
Bezügen zum Oberdeutschen, soll hier exemplarisch vorgestellt werden: Es
handelt sich um die Pflanzenbezeichnung Rebe fern., deren kollektiver Plural
in der speziellen Bedeutung ,Weinberg' in der Flurnamengebung des Saar-
1 Vgl. ahd. marahscalc < germ. *marha- mask. ,Pferd', sonst ahd. mer(i)ha, mhd.
merhe aus der movierten Form germ. *marhlljö- fern. ,Stute'.
544
Mosel-Raumes produktiv wurde und die ältere Bezeichnung Wingert ver-
drängt hat.1* Die Überlieferungssituation der Pluralform die Reben liefert
einen anschaulichen Beleg für den relativ späten wortgeographischen An-
schluss des Saar-Mosel-Raumes an das Oberrheinisch-Alemannische. In dem
Bereich des Untersuchungsgebietes, in dem das Namenwort belegt ist,* 19 setzt
die urkundliche Überlieferung von Flurnamen im 13. Jahrhundert ein; die
ältesten Rebe-Belege jedoch gehören dem 14. Jahrhundert an (Pitz/Schorr
2003, S. 99).
Nhd. Rebe fern, führt über frnhd. reb, räb fern. ,Weinrebe4 und mhd. rebe
fem./mask. ,Rebe; Reb-, Weingarten (Plural)4 auf ahd. reba, repa, rceba fern.
,Rebe, Weinstock4 zurück (Baufeld 1996, S. 1S8; Graff Bd. 2, Sp. 353; Lexer
Bd. 2, Sp. 356; Schützeichel 1995, S. 234; Splett Bd. I, 2, S. 729f.; Wells
1990, S. 474). Die Herkunft ist nicht geklärt. Vielleicht liegt eine Zugehörig-
keit zu einem indogermanischen Verbalstamm *reh,p- ,kriechen4 vor, der
unter anderem durch lat. repere ,kriechen, schleichen4 und lit. repliöti
,kriechen4 repräsentiert wird. Dann wären zunächst allgemein Ranken oder
Schösslinge gemeint gewesen und, in Bezug auf den Weinstock, die Ausläufer
der Rebe (Kluge 2002, S. 671; LIV S. 500; Pfeifer 2004, S. 1094; Pokorny
Bd. 1, S. 865). Die althochdeutschen Belege stammen aus Weinbaugebieten
des alemannischen, bairischen und ostfränkischen Raumes und beziehen sich
durchgängig auf den Weinstock; Rebe ist also schon früh ein Winzerwort
gewesen (Deutsches Wörterbuch Teilbd. 14, Sp. 323; Althochdeutscher und
altsächsischer Glossenwortschatz Bd. 7, S. 340f.). In einer westober-
deutsch/alemannischen Quelle des späten 8. Jahrhunderts ist das Wort noch
mit dem verdeutlichenden Bestimmungswort ahd. win ,Wein‘ zusammenge-
setzt: uuinreba, uuinrebun (Chronologisches Wörterbuch des deutschen Wort-
schatzes [ChWdW8], S. 235f.).
Mit der Verbreitung des Weinbaus vom Rhein her ist das Wort auch in das
niederdeutsche Sprachgebiet gelangt: Mnd. rebe fern, bezeichnet außer Wein-
rebe, Weinstock4 auch den ,Stock einer rankenden Pflanze4 (Mittelniederdeut-
sches Handwörterbuch Bd. II/2, Sp. 1890); dazu im Ablaut steht mnd.
winrave(n) mask. ,Weinstock4 (Mittelniederdeutsches Wörterbuch Bd. 5, S.
732f.).
Für das Fachwort Rebe finden sich nur noch einzelne Belege mit maskuli-
nem Genus, welches früher im Schwäbischen noch weiter verbreitet war und
auch schon im Mittelhochdeutschen auftritt. In der Schriftsprache hat sich im
18. Jahrhundert das Femininum durchgesetzt (Alanne 1950, S. 98; Ders. 1957,
S. 7; Besse 2004, S. 30).
Zu Rebe als Terminus des Fachwortschatzes des Weinbaus vgl. jetzt Steffens 2006,
S. 278-280 (darin S. 279f.: historische Belege aus dem Saar-Mosel-Raum sowie
eine Dokumentation zu Rebe in der pluralischen Bedeutung ,Weinberg‘).
19 Vgl. die Kartierung der Flumamenbelege in Abb. 3.
545
Bereits seit mittelhochdeutscher Zeit lässt sich der Plural Reben in der
Bedeutung ,Weinberg, Rebland''11 nachweisen (Deutsches Wörterbuch Teilbd.
14, Sp. 326), sowohl literarisch, beispielsweise bei Konrad von Würzburg,21
als auch urkundlich: Die im Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkunden-
sprache auf der Grundlage des Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis
zum Jahr 1300 erfassten winzersprachlichen Ausdrücke reben PI. ,Rebland,
Weinberg1, rebeacker ,Rebacker, Weinberg4, rebestücke ,Stück Rebland4 etc.
sind im elsässischen Departement Haut-Rhin, im Raum Freiburg im Breisgau
und in Zürich verbreitet (Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkunden-
sprache Bd. 2, S. 1412-1414). Die historische Verbreitung von Reben, Reb-
stiick u.ä. (Simplex und Kompositum werden in der Darstellung nicht unter-
schieden) als appellativische Bezeichnungen für Weinberg und Weinbergs-
güter vom 13. bis zum 15. Jahrhundert beschreibt und kartiert Kleiber 1980, S.
1 lf. und Karte 5: Um 1400 gilt, wie eine Auswertung von Urbaren aus 114
südwestoberdeutschen Skriptorien ergeben hat, am Oberrhein südlich einer
Linie Weißenburg-Karlsruhe, abgesehen vom Bodenseeraum, wo zu dieser
Zeit entgegen der heutigen Geltung von Reben noch Weingarten vorherrscht,
ausschließlich Reben, Rebstück etc., nördlich und südöstlich davon das ältere,
gemeingermanische (ahd. wmgarto, asächs. wmgardo, aengl. wingeard,
anord. vingardr, got. weinagards) Wingert ,Weingarten4.2“ Die Ausbreitung
des alemannischen Wortes Reben wird als eine von oberrheinischen Winzern
getragene sprachliche Innovation interpretiert.
Auf Weinbautätigkeit verweisen der im 9. Jahrhundert erstmals erwähnte,
mit ahd. reba gebildete Name Repagowi, heute Marktgemeinde Regau im
Bezirk Vöcklabruck, Oberösterreich, sowie der zuerst im 11. Jahrhundert als
Rebedorf belegte Ortsteil Rebdorf, Gde. Eichstätt, Oberbayem (Förstemann
Bd. 2, Sp. 558).
Der kollektive Plural Reben ,Weinberg4 ist als Appellativ und als Flurname
fast ausschließlich auf die alemannischen Mundarten beschränkt. Reben und
/te^-Komposita herrschen ab dem 13. Jahrhundert gegenüber Weingarten vor.
In einigen alemannischen Mundarten hat der Plural generell die kollektive
Bedeutung angenommen (Alanne 1957, S. 6).23 Puhl 2008, S. 454 stellt Wen-
Die semantische Entwicklung verläuft von ,Schößling1 über , Weinstock1 zu ,Sum-
me der Weinstöcke1, also ,Weinberg', vgl. Kleiber 1980, S. 1 lf.; Weber 1949, S. 6
und S. 34.
_1 Lied. 24,8: acker, wisen unde reben (Lexer Bd. 2, Sp. 356).
Vgl. auch Müller 1960, S. 127f. und Karte 9: Komposita mit Rebe- und der kollek-
tive Plural Reben als Weinbergbezeichnungen seien Sonderentwicklungen des west-
lichen und südlichen Alemannischen gegenüber Wingert/Weingarten des übrigen
deutschen Sprachgebietes.
"3 Eine weitere Verbreitung hat der Singular Rebe, mhd. rebe mask./fem., der einzelne
Weinstöcke bzw. dessen Triebe, Wildreben oder die Waldrebe bezeichnet, ln dieser
546
düngen wie in den Reben schaffen, die Reben hacken etc. zusammen, die sich
auf die Arbeit des Winzers im Weinberg beziehen, aber auch appositioneile
Fügungen wie ein Stück Reben oder ein B/etz Reben. Mit der Orientierung an
der Pflanzenbezeichnung Rebe stelle sich „die oberrheinische Winzersprache
in einen fundamentalen Gegensatz zu den übrigen Winzeridiomen des deut-
schen Sprachgebiets [...], die an der Kennung Wein- festhalten“ (Puhl 2008,
S. 462). Als Fachterminus für das mit Reben bepflanzte Stück Land - den
Weinberg also - gilt der Plural Reben am Hoch- und am Oberrhein sowie
abseits des Flusslaufs im Schweizer Seeland und an der schweizerischen
Rotten/Rhöne im Kanton Wallis. Die nördlichsten Belege, die WKW Karte 29
nachweist, liegen linksrheinisch im elsässischen Arrondissement Guebwiller,
Departement Haut-Rhin, rechtsrheinisch im Landkreis Rastatt. In diesem
Raum ist auch, mit größerer Belegdichte, das Kompositum Rebberg verbrei-
tet.'4 Nach Norden hin, entlang des Rheins und seiner Zuflüsse, sowie im Süd-
osten kommt verstärkt der Ausdruck Wingert vor, welcher unter den Wein-
bergbezeichnungen den größten Verbreitungsraum hat, während die schrift-
sprachlich gewordene Bezeichnung Weinberg dialektal auf das Ostmitteldeut-
sche beschränkt ist;2" im Österreichischen gilt Weingart(en) (WKW Karte 29).
Appellativische Nachweise für den kollektiven Plural Reben ,Weinberg4
bieten die Wörterbücher der schwäbisch-alemannischen Mundarten: Das
Badische Wörterbuch Bd. 4, S. 215 führt ein vor allem südbadisches Vorkom-
men und ein Nebeneinander von Reben und Rebberg an. Nach Auskunft des
Schwäbischen Wörterbuches Bd. 5, Sp. 197 gilt der kollektive Plural beson-
ders am Bodensee. Das Wörterbuch der elsässischen Mundarten Bd. 2, S. 218
sowie das Schweizerische Idiotikon* 26 27 Bd. 6, Sp. 37 verzeichnen ebenfalls den
Plural Reben in der Bedeutung ,Weinberg4.'7
Bedeutung kommt Rebe auch in Bayern, in der Pfalz, in Lothringen, in Südhessen
und im Rheinland vor (Bayerisches Wörterbuch Bd. 2, Sp. 5f.; Follmann 1909, S.
406; Hessen-Nassauisches Volkswörterbuch Bd. 2, Sp. 794; Pfälzisches Wörter-
buch Bd. 5, Sp. 419f.; Ramge (Hg.) 2002, S. 756; Rheinisches Wörterbuch Bd. 7,
Sp. 202f.; Südhessisches Wörterbuch Bd. 4, Sp. 1280f.; Vielsmeier 1995, Bd. 1, S.
390).
"4 Nach Alanne 1957, S. 7 konkurriert Rebberg im Elsässischen und Schweizerischen
mit Reben im Sinne von ,Weinberg4.
Das Durchsetzen der Bezeichnung Weinberg gegenüber Konkurrenten mit größe-
rem Geltungsareal (Wingert, Rebberg) wurde durch deren Verwendung in der
Lutherbibel begünstigt (Besch 2001, S. 344f.).
26 Lokal begrenzt bezeichnet hier auch die Singularform den Weinberg (Schweize-
risches Idiotikon Bd. 6, Sp. 41; vgl. auch Besse 2004, S. 30). Zu den Weinbergbe-
zeichnungen in den Kantonen St. Gallen, Graubünden, Schaffhausen, Thurgau und
Zürich vgl. Weber 1949, S. 33f.
27 Das Wörterbuch der deutschen Winzersprache, von dem bisher drei elektronische
547
Im südwestdeutschen Raum ist der kollektive Plural Reben ,Weinberg4
auch in urkundlich belegten Flurnamen anzutreffen: Der Flurname Rebgassen,
1542 Rebgaßenn, aus dem Kaiserstuhl bezieht sich auf eine Gasse in die
Reben, also in den Weinberg (Wenninger 1997, S. 103). ln der Freiburger
Bucht (Breisgau) dominiert seit dem 13./14, Jahrhundert Reben, jedoch hält
sich daneben noch in einigen Orten die Bezeichnung Weingarten (Roos 1966,
S. 306). Eine ähnliche Beobachtung macht Puhl 2008, S. 460 in Bezug auf das
Eisass: Die Durchsicht der ortsbezogenen Regesten zur Geschichte des
elsässischen Weinbaus von Medard Barth~N zeige für das 13. bis 16. Jahrhun-
dert Reben als vorherrschendes Appellativ, daneben seien aber auch Rebacker,
Rebstiick, Rebgarten und Rebland belegt. In Barths Material sei Weingarten
nicht als Appellativ vertreten, streue aber als Flurname über das gesamte
Eisass.
Wie anhand von Flumamenbelegen aufgezeigt werden konnte, hat sich
unter alemannischem Einfluss die jüngere Weinbergbenennung Reben bis in
die südwestliche Pfalz und das Saarland ausgedehnt. Zwischen Zweibrücken,
Saarbrücken und Saargemünd/Sarreguemines häufen sich Flurnamen wie In
den Reben, Reben-, Rebberg, -garten, -acker, -weg, -klamm, Wüstreben etc.
(Christmann 1965, S. 191; Zink 1923, S. 173: „Im alten Bliesgau steht oft
Rebe statt Wein“).
Im Untersuchungsgebiet setzt die Überlieferung von Яебе/7-Flumamen in
der Mitte des 14. Jahrhunderts ein; die ältesten dieser Namen (mit Erstbeleg
bis 1500) sind hier aufgeführt:28 29
Bermering (Kt. Albestroff, Dep. Moselle): 1440 Kop. 1501-1550 dt. in den
hindersten reben, ca. 1500 Kop. 1501-1550 dt. unden an den reben / oben an
den anderen reben, 16. Jh. Ende Kop. 17. Jh. Anfang dt. vnden an den reben /
in dem bruche vur den reben. Bliesbruck (Kt. Sarreguemines-Campagne,
Dep. Moselle): 1500 Or. dt. an berts nickels reben ! schülers reben, 1503 Kop.
ca. 1600 dt. neben den reben, 1631 Or. dt. von deß beckers rebe, о In den
reben [en do 'rswoj. Bliesmengen-Bolchen (Gde. Mandelbachtal, Saarpfalz-
Kr.): 1399 Kop. dt. bei Herrn schöfers reben / bei Herrn deilmanns reben,
1417 Kop. dt. bei Herrn schöfertz reben / bei deilmans reben, 1419 Kop. 1588
dt. des redirs reben and wingarte, 1580 Kop. 16. Jh. dt. scHweitzers hensels
Vorab Versionen erschienen sind, verzeichnet zahlreiche Belege rund um die Pflan-
zenbezeichnung Rebe. Der Artikel „Rebe“ in WDW-CD 1 (= Besse/Haubrichs/Puhl
2006) enthält unter anderem Dialektformen für den kollektiven Plural in der Bedeu-
tung .Weinberg1, die ganz vereinzelt aus dem Rheinfränkischen und mit großer
Beleghäufung aus dem Alemannischen kommen.
28 Barth 1958, S. 13-165.
29 Eine ausführlichere Belegliste alter Flurnamen des Saar-Mosel-Raumes, die mit
Reben, Reb(en)berg und Reb(en)garten gebildet sind, ist in Kunz/Völlono 2009 ent-
halten. - Erläuterungen zur Belegreihe: siehe Anm. 16.
548
reben / bei braubachs reben, 1655 Or. dt. am reben ! reben auf der höhe /
reben oben der hohlgassen, 1655 Кор. 1707 dt. von den reben im horn im
höllberg, 1671 dt. ahn den reben / die alten reben, 1690 Or, dt. unten an den
braun reeben / in braunbachs reeben / an braunbachs reeben / bey gnädiger
herrschafft reeben, 1737 Or. dt. die 3. ahning reeben ahm höhlberg ! längdte
ahn den reeben ahm alienberg / under die reeben, о In den alten Reben [en da
'alto 're:vo], Reben am Herrnfeld ['re:vo am 'henrofelt], Bolger Reben [en do
'bolçn re:ivo], Alte Reben am Habkircher Weg [di 'alto 're:vo am 'hakhiojn
ve:j], Dürkastel/Château-Voué (Kt. Château-Salins, Dep. Moselle): 1474 Or.
dt. vnden vnd oben an den reben. Frauenberg (Kt. Sarreguemines-Campagne,
Dep. Moselle): 1421 Кор. 1570 dt. schweitzers hensels reben, 1553 Kop. 18.
Jh. frz. han nickels reben. Gisselfingen/Gelucourt (Kt. Dieuze, Dep. Mo-
selle): ca. 1500 Or. dt. vff die reben. Hudingen/Hampont (Kt. Château-
Salins, Dep. Moselle): 1443 Kop. 16. Jh. frz. in den jungen reben. Kirch-
berg/Kerprich-lès-Dieuze (Gde. Val-de-Bride, Kt. Dieuze, Dep. Moselle):
1393 Or. dt. hasen reben. Lixingen/Lixing-Iès-Rouhling (Kt. Sarreguemines-
Campagne, Dep. Moselle): ca. 1494 Or. dt. oben an den reben I der bongart
vnden an den reben, 1708 Or. dt. hinter den reben unten ahm (...) Zotten, о
Reberg ['re:benç]. Lubeln/Longeville-lès-Saint-Avold (Kt. Faulquemont,
Dep. Moselle): 1440 Kop. 16. Jh. dt. in denn hindersten reben. Ormesheim
(Gde. Mandelbachtal, Saarpfaiz-Kr.): 1463 Kop. 16. Jh. dt. onden an mengens
reben. Saarwerden/Sarrewerden (Kt. Sarre-Union, Dep. Bas-Rhin): bald
nach 1350 Or. dt. garten bi den reben, ca. 1750 Or. dt. reben. Weiterswei-
ler/Weiterswiller (Kt. La Petite-Pierre, Dep. Bas-Rhin): 1361 Or. dt. by
hundes reben / by der heylgen reben, 1366/67 Or. lat. vor der herren reben /
zu kegelines reben, о Kaisersberg reben, Orthai reben, Herrenreben
[hero'rewo].
Die ältesten Belege für den kollektiven Plural Reben finden sich in Saar-
werden/Sarrewerden (Kt. Sarre-Union, Dep. Bas-Rhin) und in Weiterswei-
ler/Weiterswiller (Kt. La Petite-Pierre, Dep. Bas-Rhin), beide im sprachhisto-
risch zu Lothringen gehörigen sogenannten Krummen Eisass gelegen, ferner
in Kirchberg/Kerprich-lès-Dieuze (Gde. Val-de-Bride, Kt. Dieuze, Dep.
Moselle) und in Bliesmengen-Bolchen (Gde. Mandelbachtal, Saarpfalz-Kr.).
Diese Belege gehören einem Namenraum an, der über die Vogesen zum ale-
mannisch-elsässischen Oberrhein hin offen ist und der von A. Schorr als
Eisasskeil bezeichnet wird. '0 Von hier aus erfolgte im Saar-Mosel-Raum eine
Ausbreitung in nordwestlicher Richtung. J?e/>e-Namen finden sich in den
früheren Weinbaugebieten an oberer und mittlerer Saar, am Unterlauf der
Blies und im Seillegau. Über den kartierten Bereich hinaus ist Rebe als Grund-
wort nicht weiter nach Norden vorgedrungen (vgl. auch Dittmaier 1963, S.
242; Schorr 2000, S. 42f. und S. 67 Karte 9).
30
Zum ,Eisasskeif vgl. Schorr 2000, S. 34 und S. 79 Karte 21.
549
Als kollektiver Plural Reben und als Bestimmungswort der Komposita Reb-
berg und Rebgarten hat das Namenwort das ältere, gemeingermanisch ver-
breitete und in Flurnamen des Saar-Mosel-Raumes diesseits der Sprachgrenze
noch gut bezeugte Wingert verdrängt. Die Belege mit zusammengesetzten
Reb(en)-NsLxnex\ sind jünger als die eingliedrigen Namen: Reb(en)-berg ist im
Untersuchungsgebiet ab ca. 1500 nachzuweisen, Reb(en)-garten erst ab dem
17. Jahrhundert.
Das Wörterbuch der deutsch-lothringischen Mundarten weist Rebe als 1
1 Anmerkung zur Kartierung der Flumamenbelege: Kartiert und dabei durch unter-
schiedliche, in der Kartenlegende erläuterte Symbole unterschieden wurden Reben
PI. (Flurnamen mit Erstbeleg bis a. 1500, die in der beigegebenen Belegliste aufge-
fuhrt sind, erhielten ein eigenes Symbol), ferner die Komposita Reh(en)berg und
Reb(en)garten.
550
Appellativ nach in den Gemeinden Forbach (Kt. Forbach, Dep. Moselle), Mit-
tersheim (Kt. Fénétrange, Dep. Moselle), Rommelfingen/Romelfing (Kt.
Fénétrange, Dep. Moselle), Hommartingen/Flommarting (Kt. Sarrebourg,
Dep. Moselle) und Rieding/Réding (Kt. Sarrebourg, Dep. Moselle), die im
südlichen Teil des germanophonen Lothringen gelegen sind, aber auch im
zum westmoselfränkischen Dialektraum gehörenden Sierck/Sierck-les-Bains
(Kt. Sierck-les-Bains, Dep. Moselle) (Follmann 1909, S. 406).
Aus der Bearbeitung und chronologischen, phonologischen, morphologi-
schen, semantischen und sprachhistorisch-wortgeographischen Analyse dieser
und einer Reihe weiterer ,Nordwörter1 und ,Südwörter1 resultieren wertvolle
Erkenntnisse, beispielsweise hinsichtlich der Bedeutung von Namenwörtem in
einer interdisziplinären Diskussion, auch für die Sprach- und Siedlungs-
geschichte kleiner Räume sowie für die areallinguistische Beurteilung des
Saar-Moscl-Raumes. Für eine historische Onomastik im Bereich zwischen
Mosel und Saar werden damit neue Forschungsperspektiven eröffnet.
Die von der Lautgeographie schon früher gewonnenen Erkenntnisse über
die sprachliche Stellung des Untersuchungsraumes zwischen nördlichen und
südlichen Einflüssen können nun mit den Methoden der historischen Wort-
geographie komplementiert werden. Die aus der Bearbeitung lexikalisch-ono-
mastischen Materials gewonnenen Einsichten charakterisieren den Saar-
Mosel-Raum sehr viel deutlicher als bisher als einen Begegnungs- und Inter-
ferenzraum nicht nur zwischen nördlichen und südlichen Spracher-
scheinungen, sondern auch zwischen nördlichem Altwortschatz und südlichen
lexikalischen Neuerungen.
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Summary
The Saar-Moselle Region as an Area of Lexical and
Onomastic Encounter and Interference. The DFG Project
‘Northern Words’ and ‘Southern Words’
The project at hand (‘Northern words’ and ‘Southern words’. Old Word
Layers in Place Names and Field Names and their Informational Value
regarding the Position of the Saar-Moselle Region within West Germania)
applies the methods of field name geography and analyzes toponymie material
compiled at the ASFSL (Archive of Place Names and Field Names of the
Saarland and Germanophone Lorraine) in Saarbmcken. As sound geography
research has shown, the Saar-Moselle region is an area of encounter and inter-
ference of northern and southern linguistic phenomena. Yet it also needs to be
characterized as such on the basis of word geography. This first became evi-
dent in analyses of the region’s late medieval literary language and has been
confirmed by the word geographic investigation of the ASFSL inventory
undertaken as part of the ‘Northern words’ and ‘Southern words’ project. To
illustrate the intentions of the project, two examples are given: one of a
‘Northern word’ (a word with an older word geographic connection to
Ripuarian, Low Franconian, Low German and Dutch) and one of a ‘Southern
word’ (a word to be placed in an Upper German-Alemannic context). The
‘Northern word’ is mersch adj. ‘marshy’ or Mersch noun ‘marsh’, which is
recorded in Old Saxon, Middle Low German, Old Frisian, Middle Dutch as
well as in Old English and can be traced from the 14th century onwards in
field names of the Saar-Moselle region. The ‘Southern word’ is Reben, whose
collective plural form has come to mean ‘vineyard’ and was not only a
productive element in Alemannic but has also been a name element within the
toponymy of the area under investigation since the 14th century.
561
Erika Waser
Lutzeren - Lucerna. Die zwei Überlieferungsformen
des Namens Luzern
1, Einleitung
Der Name Luzern beschäftigt Chronisten, Gelehrte und Forschende seit über
500 Jahren. Bis heute wurde keine abschließende Deutung gefunden. In seiner
Dissertation Die Ortlichkeitsnamen der Stadt Luzern im Mittelalter hat Ange-
lo Garovi im Jahre 1975 die Literatur mit den bisherigen Deutungsvorschlä-
gen zum Stadtnamen Luzern aufgearbeitet. In den letzten 30 Jahren sind keine
Forschungsbeiträge mehr erschienen, welche die Untersuchung weiterfuhren
(vgl. Meyer 1932, S. 164, S. 499f.; Garovi 1975, S. 17-24 mit weiterer Lite-
ratur; Garovi 1983; LSG, S. 558).
Im Rahmen des Forschungsprojekts „Luzerner Namenbuch“ wurde die
historische Dokumentation für den Namen Luzern neu aufgearbeitet und er-
weitert. Für die unterschiedlichen Namenformen, die in den urkundlichen
Belegen auftauchen, zeichnen sich klar zwei Überlieferungsreihen ab. Im vor-
liegenden Aufsatz geht es nicht primär um die Auseinandersetzung mit den
Namendeutungen. Die Präsentation der Beleggrundlagen soll als Vorarbeit
dienen für eine neue Diskussion des schwierigen Namens Luzern.1
2. Zur Geschichte der Stadt Luzern
2.1. Die erste Siedlung
Die Stadt Luzern liegt am Ausfluss der Reuss aus dem Vierwaldstättersee. Die
städtische Siedlung entwickelte sich seit dem 12. Jahrhundert aus einem
Marktflecken am rechten Reussufer, dort wo sich heute die Altstadt befindet.
Vor der Mitte des 12. Jahrhunderts wurde am westlichen Rand der Felsplatte,
auf der sich die Altstadt ausbreitet, die erste Brücke über die Reuss gebaut. Sie
diente vor allem dem lokalen Verkehr (vgl. Meyer 1932, S. 228ff.; Siegrist
1978, S. 117ff. mit weiterer Literatur; Glauser 1978, S. 54f., 2002, S. 43f;
Wanner 1998, S. 49f.).
Ob und wo eine frühere Siedlungsstelle bestanden hat, ist nicht bekannt. Es
fehlen Reste einer prähistorischen Siedlung. Die archäologischen Zeugnisse
aus der jüngeren Urgeschichte, der Bronze- und der Eisenzeit, sind spärlich
und wenig gesichert. Aus der Römerzeit stammen nur einige Münzfunde (vgl.
1 Für das kritische Lesen des Textes und für die Unterstützung bei der Herstellung
des Manuskriptes danke ich meinen Mitarbeitern lie. phil. Alex Baumgartner und
lie. phil. Peter Mulle. Frau Elsbeth Kully danke ich für die Übersetzung der Zusam-
menfassung ins Englische.
563
Amrein 1939, besonders S. 115ff.; Speck 1978, mit Fundkarte S. 14). Im Jahre
2003 stieß ein Sporttaucher bei Kehrsiten am Vierwaldstättersee auf eine neo-
lithische Seeufersiedlung, wie sie in diesem voralpinen See bis anhin nicht
entdeckt worden war. Die Fundstelle liegt etwa sieben bis neun Meter unter der
Wasseroberfläche (vgl. Eberschweiler 2005, S. 17f.; Hügi 2006, S. 7ff). Es ist
folglich nicht ausgeschlossen, dass auch bei Luzern neolithische Siedlungsreste
im See verborgen liegen (vgl. Amrein 1939, S. 66ff; Speck 1978, S. 20).
2.2. Der Stadtsee
Der Spiegel des Vierwaldstättersees lag in prähistorischer Zeit acht bis zehn
Meter unter dem heutigen Stand von 435 Meter über Meer. Durch die Abla-
gerungen des Chrienbachs, eines gefürchteten Wildwassers aus dem Pilatusge-
biet, und in geringerem Masse durch das Delta des Würzebachs am gegen-
überliegenden Ufer wurde der Seespiegel im Verlaufe der Zeit angehoben.
Noch im 9. Jahrhundert lag der Wasserspiegel um zwei Meter tiefer als heute.
Eine weitere Stauwirkung hatten die Flussverbauungen für die Mühlen an der
Reuss im Mittelalter. Das Seeufer verlief einst südöstlich des heutigen Stadt-
sees zwischen Tribschen und Lido. Mit der Anhebung des Wasserspiegels
wurde das Ufer kontinuierlich zurückverschoben und erreichte erst im 12./13.
Jahrhundert die heutige Altstadt (vgl. Kaufmann 1886/87, S. 9f.; Martin 1951,
S. 21f„ mit Luftaufnahme S. 70ff.; Speck 1978, S. 20; Glauser 1978, S. 54f.).
Der Bereich des Stadtsees war bis ins Mittelalter eine sumpfige, schilf-
reiche Untiefe, die nur schwer schiffbar war. ln alten Fischereiakten heißt
dieses Gebiet Schachert. Älteren Berufsfischem ist diese Bezeichnung noch
bekannt (vgl. LNB Mat.).
2.3. Das Kloster im Hof
Die Geschichte der Stadt und ihres Namens ist eng mit der Geschichte des
Klosters im Hof verbunden. Im Jahre 840 ist das Kloster in der sogenannten
Lotharurkunde erstmals bezeugt. In dieser Urkunde, die original vorhanden
ist, bestätigt Kaiser Lothar I. dem Abt des Klosters Murbach im Eisass die von
seinem Urgroßvater Pippin (751-768) dem Kloster Luzern geschenkten Diens-
te von fünf freien Männern und deren Nachkommen zu Emmen. Die Urkun-
denstelle lautet:
840 noverit [...] quia vir venerabilis Sigimarus abba ex monasterio,
quod dicitur Vivarium Peregrinorum situmque est in ducatu Alsacense
super fluvium Morbac et constat esse constructum in honore sancti
Leodegarii [...] detulit nobis sacrae memoriae genitoris nostri Hludo-
wici auctoritatem, in qua erat insertum, qualiter attavus noster Pipinus
quondam rex et ipse postmodum in sua elemosina concessissent
monasterium [grammatikalisch richtig: monasterio] Luciaria vel
monachis ibidem degentibus homines ingenuos quinque his nominibus
Waldonem, Vulfarium, Vulfinum, Wolfoldum et Vulbertum cum filiis
564
et posteris eorum commanentes in loco nuncupante villa Emau super
fluvium Riusa (QW I 1 Nr. 10)
In deutscher Übersetzung heißt dieser Textausschnitt:
Deshalb sei [...] zur Kenntnis gebracht, dass der ehrwürdige Herr
Sigimar, Abt aus dem Kloster, das ,Pilgerweiher‘ heisst, und im
Herzogtum Eisass, am Fluss Murbach liegt und bekanntlich zu Ehren
des heiligen Leodegar [...] erbaut worden ist, uns eine Urkunde unseres
Vaters Ludwig, heiligmässigen Andenkens vorgelegt hat, in der
enthalten war, wie unser Urgrossvater Pippin, einstmals König und er
hernach selbst als Gottesgabe dem Kloster Luzern oder den dort
weilenden Mönchen fünf freie Leute namens Waldo, Wulfari, Wulfin,
Wolfold und Wulbert mitsamt ihren Söhnen sowie deren Nach-
kommen, wohnhaft am Ort, den man Hof Emmen heisst, am Wasser
der Reuss [...] übertragen haben. (Schnyder 1980, S. 14f., 19f.)
Nach dieser Urkunde zu schließen wurde das Kloster im Hof bereits im 8.
Jahrhundert gegründet. Nachdem der bescheidene Benediktinerkonvent in
eine Krise geraten und abgegangen war, soll er in der Mitte des 9. Jahrhun-
derts durch den späteren Abt Wichard neu belebt worden sein. In der Folge
kam das Kloster zu umfangreichen Besitzungen, was im Luzemer Traditions-
rodel festgehalten ist (vgl. QW I 1 Nr. 9.1-6). Der Rodel enthält die sechs
ältesten Traditionsurkunden des Benediktinerklosters Luzern. Die Datierung
ist umstritten. Die Schrift des Rodels wird heute ins 12. Jahrhundert datiert.
Fraglich ist, ob eine Vorlage aus dem 9. Jahrhundert, wie sie der Text vorgibt,
existiert hat. Aufgrund von Form und Inhalt des Textes vertritt Hans Schnyder
die Echtheit der Überlieferung. Regula Schmid ordnet den Luzemer Tradi-
tionsrodel in die Reihe der Traditionsbücher ein, in denen klösterliche Ge-
meinschaften mit zusammengeschriebenen Texten ihr Alter und ihre Bedeu-
tung sichern und ihre Ansprüche behaupten wollten (vgl. Brandstetter 1912;
Dürrer 1929; Schnyder 1964, 1976/77, besonders S. 108; Beck 1972; Gössi/
Schnyder 1986, mit weiterer Literatur; Wanner 1998, S. 51; Schmid 2004,
besonders S. 42f.). Im Traditionsrodel ist erstmals das Patrozinium St. Leode-
gar erwähnt: 9. Jh. Kopie 12. Jh. „ad Lucernense monasterium, quod est cons-
tructum in honore sancti Leodegarii martyris“ (QW I 1 Nr. 9.5; Schnyder
1978, S. 478ff).
Seit dem 12. Jahrhundert fließen die urkundlichen Quellen über das Kloster
im Hof vermehrt. Im Jahre 1135 ist das Kloster als eine von Murbach abhän-
gige Propstei genannt (QW 1 1 Nr. 118).
Die Klostergebäude befanden sich dort, wo heute die Hofkirche steht, un-
gefähr 600 Meter östlich der Altstadt auf einem kleinen Geländevorsprung
über dem See. Eine Textstelle in der ersten Traditionsurkunde beschreibt den
Standort folgendermaßen: 9. Jh. Kopie 12. Jh. „in quodam loco, qui Lucerna
ex antiquitate est dictus, iuxta fluvium, qui Rusa vocatur, qui de sumitate
magni laci fluit“ (QW I 1 Nr. 9.1). Das Kloster lag damals am Ausfluss des
Sees, an der Reuss.
565
3. Zur Überlieferung des Namens Luzern
3.1. Die ältesten Belegformen
Die Überlieferung des Namens Luzern beginnt im 9. Jahrhundert mit einer
Nennung des Klosters Luzern in der oben erwähnten Lotharurkunde aus dem
Jahre 840. Der Urkundentext impliziert, dass bereits 100 Jahre früher ein
Mönchskonvent bestanden habe. Folglich könnte auch dessen Name ins 8.
Jahrhundert zurückgehen. Schreiber der Lotharurkunde war der Notar Remi-
gius aus der kaiserlichen Kanzlei in Straßburg (vgl. Schnyder 1980, S. 12). Mit
der Nennung Luciaria liegt der erste Originalbeleg für den Namen Luzern vor.
Im Hochmittelalter erscheint im Traditionsrodel des Klosters eine weitere
Namenform, nämlich Lucerna und das entsprechende Adjektiv Lucernense: 9.
Jh, Kopie 12. Jh. „ego Wiehardus presbyter [...] in quodam loco, qui Lucerna
ex antiquitate est dictus“ (QW I 1 Nr. 9.1).
In dieser ersten Urkunde, der eigentlichen Gründungsurkunde, wird vorge-
geben, dass der Ort, an dem der Priester Wichard eine Zelle errichtete, seit
alters Lucerna geheißen habe. Der Name müsste also älter als das im 9. Jahr-
hundert wieder hergestellte Kloster sein. Der Traditionsrodel entstand wie
oben erwähnt im 12. Jahrhundert in der klösterlichen Kanzlei. Für die Über-
lieferung und Deutung des Namens Luzern ist aus den Traditionsurkunden
sicher zu entnehmen: Seit dem 12. Jahrhundert ist aus dem klösterlichen Um-
feld die urkundliche Form Lucerna bezeugt.
Der Traditionsrodel überliefert einige weitere Namen aus der Umgebung
von Luzern. Es sind Erstbelege, die sich zum Teil nur schwer in ihre Überlie-
ferungsreihen eingliedern und deuten lassen, wie Fräckmünd < 9. Jh. Kopie
12. Jh. ab altitudine Fracti Montis (QW I 1 Nr. 9.2), Kriens < in Chrientes
(QW I 1 Nr. 9.2), Riimüg [?] < usque ad Rimulcum (QW I 1 Nr. 9.4). Ohne
hier näher auf diese Belegformen einzugehen, seien damit die Schwierigkeiten
angesprochen, die uns latinisierte Formen aus lateinischen Urkunden bei der
Einreihung und bei der Deutung von Namen bereiten können.
3.2. Die Belegsammlung
Die historische Dokumentation des Luzerner Namenbuches enthält gut 260
Belegformen zum Namen Luzern. Besondere Aufmerksamkeit richteten wir
beim Exzerpieren natürlich auf die Belege der ersten Überlieferungsjahre. Sie
wurden möglichst vollständig gesammelt. Vom 13. Jahrhundert an berück-
sichtigten wir die Namen in gezielter Auswahl. Dabei wurde beachtet, ob ein
Namenbeleg ein Ortsname oder ein Herkunftsname ist, in welchem Kontext er
steht und ob die Urkunde in lateinischer oder deutscher Sprache abgefasst ist.
Auswahl der Belege:
840 noverit [.,.] quia vir venerabilis Sigimarus abba ex monasterio, quod dicitur Viva-
rium Peregrinorum situmque est in ducatu Alsacense super fluvium Morbac et constat
esse constructum in honore sancti Leodegarii et sancti Petri apostolorum principis vel
566
sanctae dei genetricis semperque virginis mariae, detulit nobis sacrae memoriae genito-
ris nostri Hludowici auctoritatem, in qua erat insertum, qualiter attavus noster Pipinus
quondam rex et ipse postmodum in sua elemosina concessissent monasterium Luciaria
vel monachis ibidem degentibus homines ingenuos quinque his nominibus Waldonem,
Vulfarium, Vulfinum, Wolfoldum et Vulbertum cum filiis et posteris eorum comma-
nentes in loco nuncupante villa Emau super fluvium Riusa in pago Aregaua (QW I 1
Nr. 10)
9. Jh. Kopie 12. Jh. Unde ego Wichardus presbyter quamvis indignus ex intimo deside-
rio compunctus in quodam loco, qui Lucerna ex antiquitate est dictus, iuxta fluvium,
qui Rusa vocatur, qui de sumitate magni laci fluit, in honore sancti Mauricii et
sociorum eius et sancti Leodegarii martyris et omnium sanctorum parvum tugurium
construxi (QW 1 1 Nr. 9. I)
9. Jh. Kopie 12. Jh. Omnibus fidelibus notum fieri volumus tam presentibus quam
futuris, qualiter ego Atha et soror mea Chriemilta in omnipotentis dei nomine omnem
hereditatem nostram dare optamus ad monasterium Lucernense pro remedio animarum
nostrarum [...] omnes res nostras, quas in Chrientes habemus [...] id est ab altitudine
Fracti Montis usque ad Lacum et inde ad medietatem fluminis Rus^ (QW I 1 Nr. 9. 2)
9. Jh. Kopie 12. Jh. Nos fratres Heriger et Witowo tradimus ad monasterium
Lucernense, ubi venerandus vir dei Wichardus gregi dei preesse dinoscitur, et hoc est,
quod donamus, omne, quod ad nos pertinet in Maltrensi marcha (QW I I Nr. 9. 3)
9. Jh. Kopie 12. Jh. Notum sit omnibus presentibus quam futuris, qualiter nos fratres
Kibicho, Odker, Walkcr pro remedio animi? nostrg ad monasterium Lucernensium
fratrum, ubi Wichardus abbas preest, omnia, qu? ad nos pertinent de Swanda usque ad
Rimulcum (QW 1 ! Nr. 9. 4)
9. Jh. Kopie 12. Jh. Nos fratres Hartman et Prunolf donamus ad Lucernense monasteri-
um, quod est constructum in honore sancti Leodegarii martyris, totum conquestum
nostrum pro remedio aniin^ nostr$ monachis ibidem deo servientibus, videlicet totam
sylvam, qu? vocatur Emmuwalt, in longitudine et in latitudine, quq ad nos pertinet, ut
firmiter teneant atque possideant sine ullius contradictione, usque ad Langenouva (QW
I 1 Nr. 9. 5) 9
9. Jh. Kopie 12. Jh. Notum sit omnibus presentibus quam futuris, qualiter ego Reccho
in dei nomine desideravi seculum relinquere et pro remedio anim^ meq donavi ad
Lucernense monasterium monachis ibidem deo servientibus, quicquid in Chussenacho
et in Alpenacho, (i)n Samono, in Kisewilare habui, firmiter tenendum et in perpetuo
possidendum (QW 1 1 Nr. 9. 6)
917/918 Kopie 12. Jh. ad locum Lucernam [...] predicti loci Lucerne (Gfd 84, 68)
1135 Marquardus praepositus Lucernensis (QW I 1 Nr. 118)
um 1150 Kopie um 1500 omnis generatio de Rotenburg [...] votum habet, quod predia
sua tradat huic ecclesie Lucemensi pro remedio animarum suarum (QW I 1 Nr, 139)
um 1160 Kopie 14. Jh. jus ecclesie de Lucerna (QSG 3 III 34)
1178 Morbacensis electus C. [...] consilio quoque fratris sui prepositi Lucernensis O.
[,..J plebaniam, quam ipse cum omnibus antecessoribus suis Lucerne optinuerant [...]
resignavit [...] ecclesia in villa sita, qu? Capella dicitur (RqLU 11,1)
567
1185 Udolrici prepositi de Lucerra (UBZH I Nr. 340)
1199 nostre ecclesie Lucemensi [...] in loco Lucernensi (QW I l Nr. 205)
1210 Acta apud Lucernam [...] Waltherus, prepositus Lucern(ensis) (QW I 1 Nr. 234)
1210 Actum in loco, qui dicitur Luceria (QW I 1 Nr. 235)
1213 Acta sunt hec in Lucerna [...] Waltherus prepositus Lucernensis (QW I 1 Nr. 247)
1217 Hainricus decanus de Luceria (UBZH I Nr. 382)
1218 Heinricus decanus Lucernensis (QW I 1 Nr. 260)
1219 Waltherus et loanncs de Lucerna (QW 1 1 Nr. 263)
1223 in ecclesia Lucernensi (UBZH I Nr. 421)
1224 Walterus de Lucerron (QW I 1 Nr. 286)
1227 prior de Lucerna (FRB II Nr. 69)
1229 in ecclesia Lucernensi [...] Wemherus scolasticus Lucernensis [...] Hugo, Arnol-
dus, Heinricus cives Lucernenses (QW I 1 Nr. 312)
1231 in curia Lucernensi (QW 1 1 Nr. 329)
1234 Prehendam Lucerne [...] ecclesia in civitate sita, que Capella dicitur [...] in eccle-
sia Lucernensi (RqLU 1 1, 3-5)
1234 in curia plebani Lucernensis (QW I 1 Nr. 348)
1234 Acta sunt hec Lucerne (QW 1 1 Nr. 351)
1236 Cuno plebanus Lucernensis (QW I 1 Nr. 378)
1238 Acta sunt hec in curia Lucernensi (QW I 1 Nr. 389)
1238 Oliverus scolasticus Lucernensis [...] cives Lucernenses (QW I 1 Nr. 392)
1241 Datum in civitate Lucernensi (QW I 1 Nr. 437)
1243 Acta sunt hec in curia Lucernensi [...] Cuno plebanus de Lucerna [...] Waltherus
minister de Lucerna (QW I 1 Nr. 463)
1243 Kopie 15. Jh. in parrochia Lucernensi [...] ad ecclesiam [...] Lucernensem [...]
Testes [...] magister C. plebanus Lucernensis [...] magister G. de Lucera (UBZH II Nr.
583)
1244 inter nos et cives Lucernenses (QW I 1 Nr. 477)
1246 Waltherus minister de Lucerna (QW 1 1 Nr. 510)
1249 W. et B. domini de Eschebach [...] tenent in feodum, Langenowe et quoddam
pratum in Lucerna [...] Datum Lucerne (Gfd 1, 179)
1254 in parrochia Lucernensi, in Loco qui domus Consilii dicitur (Gfd 2, 46)
1257-77 Waltherus minister, consules et universitas civium Lucernensium [...] in
Lucerna [...] burgus noster Lucernensis [...] in civitate Lucernensi (RqLU I 1, 6f.)
568
1257-80 her Walther der anman, der rat und du menigi der burger von Lucerren
(RqLU I 1, 10)
1257 Actum in capella Lucernensi (QW 1 1 Nr. 808)
um 1259 Kopie um 1300 De Luceria (QW II 3, 4)
1261 Datum Lucern(e) in festo Math(e)i (QW 1 1 Nr, 897)
1275 Datum Lucerie (QW 1 1 Nr. 1155)
um 1275 Wer. der Biuttenner von Lucerrun (QW II 3, 343)
um 1275 Peter von Lucerrun
1275 künden wir, aebtissin Elsebeth von Ziurich [...] de wir [...] hern Iacobe dem
Müller [...] han virluwen ze rehtem lene meister Iohannes wib von Wiedinkon, der
Schulmeister ze Lucern ist (UBZH IV Nr. 1600)
1279 von deme gotzhuse von Lucernen [...] Wir Dietmar, der probest von Lucerne,
henken zeme urkunde unser ingesigele an disen brief (QW 1 1 Nr. 1304)
1282 des rates und der gemeinsami der burger von Lucerren [...] vor dem amman in
der stat zu Luzeren [...] Dir briev wart gegeben [...] zu Lüzeren (QW I 1 Nr. 1366)
1283 Der brief wart gegeben zu Luzerne (QW I 1 Nr. 1400)
1285 vor dem amman von Luzeren (UBZH V Nr. 1932)
1287 dem gotzhus von Lucern [...] Dem luprester von Lucerrun [...] Dem Spital von
Lucern [...] Dirre brief wart gegeben 1287 ze Lucerne (QW I 1 Nr. 1516)
1288 ze unsem lieben bürgern von Lucerron (QW I 1 Nr. 1568)
1290 Kopie 1338 Acta sunt hec in capitulo monasterii Lucernensis (RqLU I 1, 16)
1290 her Walther von Hunwile der amman von Lucerron [...] Dis beschach ze
Lucerron (QW 1 1 Nr. 1633)
1290 unser lieben burger von Lucernon [...] meister Johans der Schulmeister von
Lucerne (QW I 1 Nr. 1638)
vor 1291? Kopie vor 1318 Das gotzhus von Lucerren das het xv meierhoffe an den von
Lucerron [...] Ze Lucerren einest in der wehen (!) margt von einer none unz an die
anderen (RqLU I 1, 19)
1292 der rät und die burger von Lucerren (QW I 2 Nr. 7)
1292 die burger von Lucerne (...] Der brief wart geben ze Lucerren (QW I 2 Nr. 8)
1293 daz die burger von Lucerne den lantfride hant geswom [...] Diz beschach ze
Lucerne (QW I 2 Nr. 41)
1293 Actum et datum Lucerie (QW I 2 Nr. 53)
1297 Dis geschach ze Lucerren vor dem nidem tor (QW I 2 Nr. 145)
1298 die burger von Lucerron (QW I 2 Nr. 179)
1299 Datum in Luceria (QW I 2 Nr. 201)
569
1299 Diser brief ward gegeben ze Lucern (QW I 2 Nr, 203)
1299 Datum Lucerie (QW I 2 Nr. 204)
1300 burgenses de Luceria (QW 1 2 Nr. 234)
1300 ze Luzzeren (QW I 2 Nr. 235)
1302 von Lutzern [...] von Luzern (QW 1 2 Nr. 288)
1303 in domo fratrum Minorum in Lucerna (QW I 2 Nr. 345)
um 1306 Kopie um 1420 Dis sint nutze und rechte, du die herschaft hat an luten und an
güte in der stat ze Lucern, die für eigen köft ist von dem gotzhus von Mürbach. Die
hofstetten in der stat und in den vorstetten ze Lucern (QSG 14, 215f.)
1307 Rüdolf der Techan, kilcherre ze Emmon [...] (stellt [...] als Bürgen) [.,.] Petem an
der Brügge schultheizen ze Lucerren [...] Wemhem von Greppon (QW 1 2 Nr. 434)
1308 Dis sint recht und gewonheit, die die burger von Lucerren hant gehebet und har-
bracht von alter har under den aepten von Murbach und under den vögten von Roten-
burg (RqLU 1 1, 22)
1308 wir die burger von Lucerne (QW 1 2 Nr. 446)
1309 bi der Kapellen ze Lucerren (QW I 2 Nr. 482)
1309 dem schulthezzen, dem rate und der gemeinde von Lucerne (QW 1 2 Nr. 483)
1309 die tallüte ze Urserren (erklären, daß sie [...] versöhnt [...] seien mit den Bürgern
von) Lüceren [...] mit den bürgeren von Lucerren (QW 1 2 Nr. 516)
1313 as ze Lucerron gewonheit ist (QW 1 2 Nr. 659)
1313 unser hus, das wir haben ze Lucerne (QW I 2 Nr. 679)
1314 ze Lucerren in dem huse des gotshuss von Engelberg (QW I 2 Nr. 711)
1314 per cives de Luceria (QW I 2 Nr. 718)
13 14 ze Luzeron (QW I 2 Nr. 724)
1314 Diz geschach ze Lucerne in dez probstes huse (QW I 2 Nr. 727)
13 14 ze Lutzerren (QW I 2 Nr. 733)
1314 In parrochia Lucern(ensis) (QW II 3, 62)
1315-21 Diz ist der rat ze Lucerne uberein körnen, das si diz went han unt richten, swer
ez verschult (RqLU I 1,27)
1315 ze Luzern (QW I 2 Nr. 754)
1315 von Lucern [...] ze Lucern (QW I 2 Nr. 776)
1315 Iohannes dictus Wagen de Luceria (QW I 2 Nr. 803q)
um 1315 Dis sint die zinse, die dem gotzhus ze Lucerren werden sun von dem keiner
von Kriens von dien güteren ze Kriens (QW II 3, 78)
570
1315-21 swele unser burger sich in die Waltstette ziet [...] de der iemer me ze Lucerne
in ünserr stat sol elos unt rechtlos sin (RqLU I 1,56)
1316 universi homines in suburbiis muris opidi Lutzernensis contiguis commorantes
(QW I 2 Nr. 861)
1317 die erbem lute die burger von der stat ze Lucern (QW I 2 Nr. 895)
1318 ln dem Hof ze Lucerren Heinrich der Ziegler (QW II 3, 108)
1319 in der stat ze Lucerren (QW I 2 Nr. 993)
1320 ich Walther von malters, Schultheisze ze Lucerren [...] da ich ze gerichte saz vf
dem hove ze Lucerren [...] Diz beschach ze Lucerren uf dem houe (StALU Urk
127/1895)
1320 mit [...] den bürgern von Lutzerren (QW I 2 Nr. 1025)
um 1320 Item parochia Lucernen(sis) (QW II 3, 87)
1322 ze Lucern (QW 1 2 Nr. 1124)
1 322 magistro Walthero de Luceria scolastico (QW I 2 Nr. 1140)
1323 (?) ein burger von Luzerne (QW I 2 Nr. 1190)
1 323/24 von Lutzerren (QW I 2 Nr. 1191)
1324 zu Lucern [...] in dem Hofe zu Lucerren (RqLU I 1,61)
1324 ein ielicher buman, usman und burger zu Lucerren [...] von allen gutem, die in
der parrochie zu Lucerrn ligent (RqLU I 1,62)
1324 (Heinrich) de Luceria (QW I 2 Nr. 1240)
1324 ze Lucern in das gotzhus (QW I 2 Nr. 1246)
1324 die phleger [...] des spitals ze Lutzerren (QW I 2 Nr. 1248)
1325 ze Lutzerne (QW I 2 Nr. 1273)
1. H. 14. Jh. Das ist des Gotzhuses recht Von Luceron in dem Hoff Ze Malters
(GAMal Tablar 3.1)
1326 ze Lutzerren (QW I 2 Nr. 1315)
1326 ze Lutzern (QW 1 2 Nr. 1352)
1326 Datum Lucerne (QW I 2 Nr. 1355)
1327 di Vischentz, di da lit ze Lucern vf dem Lucerner Sew vnd vf der Rvs (StALU
UA 18)
1328 ze der Capelle, so man ze Lutzern einen rat setzet [...] die stat ze Lutzern (RqLU I
L 85)
1328 talman ze Urserron [...] den bürgern von Lutzerren (QW I 2 Nr. 1436)
1329 an dem margt ze Lucern (QW 1 2 Nr. 1484)
571
1330 wir du gemeinde beidü richer und armer burger ze Lutzerren (RqLU I 1,95)
1330 mit [...] der stat ze Lucern (QW 1 2 Nr. 1555)
1330-32 dem schultheisson und dem rate von Lucerrun (QW I 2 Nr. 1613)
1331 Johannes de Arowe, doctor puerorum Lucerie (RqLU I 1,91)
1331 ze Lutzerren in der stat (QW I 2 Nr. 1585)
1331 vro Anna, Johans des Kelners tochter von Lucerren (QW II 3, 25)
1332 in oppido Lucernensi (QW I 2 Nr. 1615)
1332 dem rat und dien bürgeren zu Luzeren [...] ze Luzerne (QW I 2 Nr. 1630)
1332 in Luceria (QW 1 2 Nr. 1639)
1333 Johans von Branberg, schultheisse ze Lutzerren (QW I 3 Nr. 22)
1334 vnserm Burgrafen ze Habspurch bei Lutzern (StALU Urk 127/1897)
1424 Waltherus de langnöw ciues in luceria (StALU cod KB 150, 8r)
1442 Da sol hans von lucern Den buw ze lucermatt volfuren zum besten (RP 5B 31 v)
1445 von dem gut dz da stosset an heinis seilers reben [...] hans von Lutzeren hetz nu
(StfAHof cod 290, 4v)
1471 Juncher Caspar von hertten stein altt schulttheiss von lutzeren (StALU Urk
407/7488)
1. H. 16. Jh. barbara von lutzeren (StfAHof cod 250, 38r)
1533 Den [...] herren Schultheissen, deinen vnd grossen Ratten der Statt Lucern
(StALU UB 2)
[...]
3.3. Die zwei Traditionsreihen
Ausgehend von den beiden ältesten Belegen Luciaria und Lucerna zeichnen
sich in der Belegsammlung zwei unterschiedliche Traditionsreihen ab. Die
beiden Überlieferungsformen konkurrieren während Jahrhunderten. Im Fol-
genden bezeichnen wir die Formen einerseits als Lutzeren, nach dem jüngsten
Beleg in der Luciaria-Reihe, anderseits als Lucerna.
3.3.1. Die Form Lutzeren
Tür Lutzeren ergibt sich die folgende verkürzte Belegreihe:
840 Luciaria
1185 Üdolrici prepositus de Lucerra
1210 Luceria
1224 Waltherus de Lucerron
1257-80 von Lucerren
572
1275 Lucerie
um 1275 Peter von Lucerrun
1282 von Lucerren, zu Luzeren
1300 ze Luzzeren
1320 von Lut zerren
1445 von Lutzeren
[-]
Am Anfang dieser älteren und wohl volkssprachlichen Traditionsreihe
Lutzeren steht die Form Luciaria, die zu Lucerna > Lucerrun > Lucerren >
Lutzeren weiterführt. Die lateinisch geprägte Namenform Luciaria stammt aus
einer frühmittelalterlichen Kaiserurkunde, deren Schreiber in der Kanzlei in
Straßburg saß. Luciaria wird später noch als 1210 Luceria (QW 1 1 Nr. 235)
und 1275 Lucerie (QW 1 1 Nr. 1155) weiter tradiert. Diese beiden Belegfor-
men erscheinen in unserer Sammlung nur in lateinischen Urkunden, letztmals
in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.
Bereits seit dem 12. Jahrhundert ist in Herkunftsnamen eine deutsch ge-
prägte Belegform überliefert, nämlich 1185 „Üdolrici prepositus de Lucerna“
(UBZH I Nr. 340) und 1224 „Waltherus de Lucerrorf‘ (QW I 1 Nr. 286). Dass
es sich bei diesen Belegen um Herkunftsnamen handelt, ist bemerkenswert.
Herkunftsnamen neigen eher zur Erstarrung als Ortsnamen. In der chronolo-
gischen Belegreihe eines Siedlungsnamens können die Herkunftsnamen des-
halb eine ältere Lautstufe bewahrt haben. Soweit ersichtlich erscheinen diese
deutsch geprägten Formen seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aus-
schließlich in deutschsprachigen Urkunden. Bemerkenswert ist der Eintrag in
der zweiten überlieferten Fassung des Geschworenen Briefs von 1257-80 „der
rat und du menigi der burger von Lucerren“ (RqLU 1 1,10). In der ältesten
überlieferten Fassung, die nur wenig früher in lateinischer Sprache nieder-
geschrieben wurde, lautet die entsprechende Textstelle 1257-77 „consules et
Universitas civium Lucernensium“ (RqLU I 1,6). Letztmals ist Lutzeren in
unserer Sammlung im 16. Jahrhundert im Herkunftsnamen barbara von
lutzeren (StfAHof cod 250, 38r) bezeugt.
Der sprachlichen Form nach ist Luciaria > Lutzeren eine Namenbildung mit
dem femininen Suffix lateinisch -ària. Dieses ist als Lehnsuffix ins Alemanni-
sche eingedrungen und hat sich zu althochdeutsch -arra > Schweizerdeutsch
-ere(n) entwickelt. Das althochdeutsche Suffix -arra ging durch /-Schwund und
Konsonantenverdoppelung aus -ària hervor. Die r-Geminate, die in der Regel
nach kurzem Vokal entsteht, erscheint in alemannischen Quellen auch nach
Langvokal (vgl. Braune 2004, § 118). Lucerrun > Lucerren sind regelrechte
Formen im obliquen Kasus. In der Belegreihe Luciaria > *Luzarra > Lucerna >
Lucerrun > Lucerren > Lutzeren ist die Entwicklung dieses Lehntypus fast mus-
tergültig durchgeführt. Noch nicht geklärt ist der Zeitpunkt der Aufnahme von
Luciaria in die alemannische Volkssprache, falls es sich tatsächlich um einen
voralemannischen Namen handelt. Die Überlieferungssituation schließt nicht aus,
dass dieser Erstbeleg aus der Lotharurkunde die latinisierte Urkundenform einer
ursprünglich alemannischen -¿irra-Bildung ist. Diese Frage bleibt vorläufig offen.
573
Das Suffix ist dcnominativ und bezieht sich auf Sachen und Personen.
Namen mit dem Suffix -äria > -ere(n) nennen einerseits Stellen, wo eine
Sache in großer Menge vorkommt oder hergestellt wird. Andererseits bezeich-
nen sie den Besitz oder den Wohnsitz einer Person. Das Suffix kann Umlaut
bewirken, muss jedoch nicht (vgl. Gubler 1920, S. 85ff; Szadrowsky 1938, S.
31 ff; Bach 1953, § 225; Sonderegger 1958, § 249; Weibel 1973, S. 133ff.;
Waser 1996, S. 1218f.)- Als Beispiele für entlehnte -dr/G-Bildungen gelten un-
ter anderem lateinisch calcäria > Schweizerdeutsch Chalchere(n) ,Kalkofen'
und lateinisch (taberna) caseäria > Schweizerdeutsch Chäsere(n) ,Ort, wo ge-
käst wird', wobei zu beachten ist, dass Chalchere(n) und Chäsere(n) auch erst
später zu Schweizerdeutsch Chalch und Chäs gebildet sein können (vgl.
Szadrowsky 1938, S, 37ff; Bach 1953, § 225). Das Suffix -äria, das von den
Alemannen als Bildungselement für Orts- und Flurnamen übernommen
wurde, blieb im Schweizerdeutschen lange lebenskräftig und führte bis in die
jüngste Zeit zu neuen Namenbildungen mit Appellativa oder Personennamen.
Bereits im Jahre 894 bezeugt ist tahssanarra für das heutige Dachslern in der
Zürcher Gemeinde Niederweningen (vgl. Meyer 1948, Nr. 1728, zitiert
thassanarra; Szadrowsky 1938, S. 34). Zu diesem Typus gehört auch der Hof-
name Lutzere(n) in der Berner Gemeinde Bolligen, der nicht altbelegt ist.
Szadrowsky stellt ihn zum Familiennamen Lutz (vgl. Szadrowsky 1938, S. 49;
ONB 1/3).
Während die lateinische Namenform Luciäria auf dem Suffix akzentuiert
war, musste die Betonung in den Formen Lücerra > Lücerrun > Lücerren >
Lützeren auf der ersten Silbe liegen. Nur so lässt sich die Suffixabschwächung
erklären. Falls Luciaria tatsächlich die älteste authentische Form der Lutzeren-
Reihe ist, so hat sich der Akzent im alemannischen Munde der germanischen
Erstbetonung zufolge auf die erste Silbe verlagert. Auf Erstbetonung deuten
auch die Flur- und Gewässernamen-Komposita hin, die ausgehend von der
Namenform Lützeren gebildet wurden und seit dem 13. Jahrhundert belegt
sind, zum Beispiel:
1290 ze Lucermatton (QW I 1 Nr. 1633), heute Lützelmatt,
1297 Küssenach bi Lucersewe (QW 1 2 Nr. 145),
2. Hälfte 14. Jh. an lucer weg (StALU Urk 133/1949a),
1463 ob der Lucerhalten (RqLU 1 3, 10),
1566 an lucerbach (StALU Urk 1000/20150), heute Lutzerbach, Quellbach des Würze-
bachs.
Zu beachten ist vor allem der aktuelle Name Lützelmatt, der sich seit dem
17. Jahrhundert aus Lutzermatt herausgebildet hat. Die Umdeutung von
Lutzermatt zu Lützelmatt im Sinne von ,kleine Matte4 ist nur zu erklären,
wenn der Name erstbetont war (vgl. Brandstetter 1890, § 64; Garovi 1975, S.
18; Id. III 1570).
574
3.3.2. Die Form Lucerna
Für die Form Lucerna ergibt sich die folgende verkürzte Belegreihe:
9. Jh. Kopie 12. Jh. Lucerna
9. Jh. Kopie 12. Jh. ad monasterium Lucernense
1178 Lucerne
1275 ze Lucern
1302 von Luzern
[...]
Der Namenbeleg Lucerna stammt aus dem Traditionsrodel, der im 12. Jahr-
hundert in der Kanzlei des Klosters niedergeschrieben wurde. Das zugehörige
Adjektiv lautet Lucernense. Lucerna ist in der Überlieferung jünger als die
Lutzeren-Form, obwohl die Textstelle „in quodam loco, qui Lucerna ex
antiquitate est dictus“ vorgibt, dass bereits früher ein Ort dieses Namens exis-
tiert habe. Die lateinische Namenform Lucèrna entwickelte sich über Lucèrne
> Lucérn zum heutigen Namen Luzérn, mundartlich Ijb'tsasim]. Der Akzent
liegt durchwegs auf der zweiten Silbe.
Die beiden Formen Lutzeren und Lucerna konkurrieren bis ins 16. Jahr-
hundert, teilweise in derselben Urkunde: 1287 „dem gotzhus von Lucern [...]
Dem luprester von Lucerrun [...] Dem spital von Lucern [...] Dirre brief wart
gegeben 1287 ze Lucerne“ (QW 1 1 Nr. 1516). Die Belegreihe zeigt zudem
Vermischung und Verschmelzung der beiden Formen wie im folgenden Bei-
spiel: 1290 „unser lieben burger von Lucernon [...] meister Johans der Schul-
meister von Lucerne“ (QW 1 1 Nr. 1638). So konnte sich Lucerren auch durch
Verkürzung und Akzentverlagerung zu Lucern entwickeln. Dabei orientierte
sich die Betonung an lateinisch Lucèrna > Luzérn und nicht, wie Johann
Ulrich Hubschmied meinte, an einer Tendenz der deutschen Sprache, den Ak-
zent auf die schwere Mittelsilbe zu verlagern wie in lebéndig, Hollunder,
Allmand (vgl. Hubschmied-Katalog; Meyer 1932, S. 500; Garovi 1975, S. 19,
25). Seit dem 16. Jahrhundert ist Lucern > Luzern der gültige Name für die
Stadt.
4. Zur Deutung
4. 1. Das Referenzobjekt
Bei der Deutung eines Namens stellt sich die Frage nach dem Referenzobjekt.
Für einen Siedlungsnamen sind der benannte Ort, dessen Lage, Beschaffenheit
und Besitzverhältnisse zu untersuchen. Für den Siedlungsnamen Luzern liegt
noch Vieles im Dunkeln. Bis heute ist nicht bekannt, auf welche Stelle sich
die älteste Nennung ursprünglich bezogen hat. Dies erschwert die Suche nach
einem Namenmotiv, das uns zusammen mit den sprachlichen Formen den
Weg zu einer gültigen Namendeutung weisen kann.
Die ältesten urkundlichen Belege beziehen sich auf das Kloster. Ein Eintrag
575
im Traditionsrodel nimmt jedoch Bezug auf einen älteren Ort: 9. Jh. Kopie 12.
Jh. „in quodam loco, qui Lucerna ex antiquitate est dictus“ (QW I 1 Nr. 9.1).
Obwohl diese Textstelle nicht unkritisch übernommen werden darf, ist die
Existenz einer Vorgängersiedlung zu erwägen. Wo ist dieser Ort zu suchen?
War es die Stelle des Klosters selber auf einem kleinen Geländevorsprung
über dem See? Gegen diesen Standort spricht, dass Klöster häufig in Neuro-
dungen und nicht an bereits bestehenden Siedlungsstellen errichtet wurden.
Lag der Ort flussabwärts auf der Felsplatte, wo sich später bei der ersten
Reussbrücke die Stadt entwickelte? Oder ist dieser Ort am schönen, sonnigen
Hang über dem Kloster zu suchen, wo seit dem 13. Jahrhundert die Lutzer-
matten > Lützelmatt belegt ist? Vielleicht befand sich die Siedlung direkt am
See und ist gar nicht mehr ausfindig zu machen, da sie durch die Hebung des
Seespiegels im Wasser versunken ist. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob
die Bevölkerung dieser Siedlung voralemannischen Ursprungs war.
Die Namendeutung hat von der Form Luciaria > Lutzeren auszugehen. Zur
Klärung der Beziehung zwischen Name und Objekt können wir folgende
alternativen Überlegungen anstellen:
Luciaria wurde im lateinisch-klösterlichen Umfeld geprägt wie das spätere
Lucerna und bezeichnete das erste Kloster.
Luciaria beruht auf romanischer bzw. galloromanischer Grundlage und be-
nannte eine frühe Siedlung. Der Name wurde in die alemannische Volksspra-
che aufgenommen und als *Luzarra > Lutzeren weiter tradiert. In diesem Fall
wäre für eine gültige Erklärung des Namens sinnvollerweise die Hilfe der Ro-
manisten beizuziehen.
Luciaria ist eine latinisierte Urkundenform und steht für einen ursprünglich
alemannischen Flur- bzw. Siedlungsnamen *Luzarra > Lutzeren.
4.2. Die bisherigen Deutungen
Für die Erklärung des Namens Luzern wurden etruskische, keltische, romani-
sche und deutsch-alemannische Grundlagen gesucht. Letztmals wurden diese
Erklärungsansätze von Angelo Garovi zusammengestellt. Mehrere davon sind
verfehlt und werden sinnvollerweise nicht mehr weiter tradiert (vgl. Meyer
1932, S. S. 499f.; Bühlmann 1969; Garovi, 1975, S. 17ff.).
Teilweise versuchte man, die beiden Namenformen, die in der Forschung
seit dem 19. Jahrhundert beachtet wurden, in einer Traditionsreihe zu verbin-
den, was nur ungenügend gelang. Unter anderem wurde Lutzeren als mundart-
liche Form von Luzern erklärt und eine angebliche Mundartform Luzääre,
[Ja'tsasTo], geschaffen (vgl. Gatschet 1867, S. 57; Brandstetter 1919, S. 4).
Die Lautung Luzääre mit höchstalemannischem Sprossvokal entspricht nicht
der Luzemer Mundart und kann nicht mit Lutzeren in Verbindung gebracht
werden. Sie gilt südlich der in der schweizerdeutschen Dialektgeographie
bekannten gäärn/gääre-Linie als regelrechte Mundartform des Namens
Luzern (vgl. SDS II, S. 138). Die Form Luzääre wurde irrtümlicherweise auch
von Bruno Boesch (vgl. Boesch 1954, S. 243) und Stefan Sonderegger (vgl.
576
Sonderegger 1966/67, S. 270) angeführt.
Bei der Erklärung des Namens Luzern ist von zwei Traditionsformen aus-
zugehen. Diese Erkenntnis hat erstmals Guntram Saladin deutlich gemacht
(vgl. Saladin 1951/52, S. 54f).
Im Folgenden sind die bisherigen Deutungsvorschläge nur soweit aufge-
führt, als sie vom Namenmotiv und von der Bildungsweise des Namens her
für die weitere Diskussion dienen können.
4.2.1. Der Ort bei der Hechtreuse
Am häufigsten rezipiert wurde die sprachlich haltbare Etymologie von Johann
Ulrich Hubschmied. Er erklärte die älteste Namenform Luciaria mit roma-
nisch lüciäria, einer Bildung mit der Tierbezeichnung lateinisch lücius
,Hecht1 und dem Suffix -ària. Die Bedeutung ist demnach ,Stelle, wo Hechte
gefangen werden' oder ,Hechtreuse' (vgl. Hubschmied-Katalog; Meyer 1932,
S. 499; Saladin 1951/52, S. 54; Boesch 1954, S. 243f.; Sonderegger 1966/67,
S. 270; Garovi 1975, S. 17f.; LSG, S. 558). Der lateinische Fischname lücius
lebt weiter in italienisch luccio. Aus dem Italienischen wurde er ins Surselvi-
sche entlehnt, wo er vereinzelt in mundartlich lutscha belegt ist. Es ist mög-
lich, dass dieser Fischname in voralemannischer Zeit am Vierwaldstättersee
volkstümlich war (vgl. REW, Nr. 5143; FEW 5, S. 436; DRG 11, S. 589). Für
den Ort Luzern, der am Ausfluss der Reuss aus dem See liegt, ist diese Erklä-
rung inhaltlich vertretbar.
4.2.2. Der Ort beim Sumpf
Weniger beachtet wurde der Deutungsvorschlag von Albert Gatschet, der im
Jahre 1867 für Luzern die Grundlage romanisch lozzeria zu lozza , Morast'
vorschlägt. Die Bedeutung ist ,Sumpfpartie'. Zu diesem Ansatz stellte
Gatschet übrigens auch den Berner Hofnamen Lutzere(n), was für diesen 1534
als Lusserenn belegten Namen wohl nicht zutrifft (vgl. Gatschet 1867, S. 57;
ONB 1/3, S. 190). Gatschets Vorschlag wurde später auch von Garovi aufge-
nommen (vgl. Garovi 1975, S. 24; Garovi 1983, S. 255f). Das vorgeschlagene
Namenmotiv kann für Luciaria > Lutzeren sachlich begründet werden. Der
Stadtsee, an dem der Ort Luzern liegt, war früher eine mit Schilf bestandene,
sumpfige Untiefe.
Ein vergleichbarer Name besteht in Luzzara, dem Namen eines Ortes auf
der rechten Seite des Po in der italienischen Provinz Reggio Emilia. Der Name
wird von oberitalienisch lozza ,Schlamm', zu lateinisch luteus ,schlammig',
hergeleitet (vgl. Dizionario, S. 366; FEW 5, S. 476). Luzzara soll bereits im 8.
Jahrhundert in einer Urkunde Karls des Großen belegt sein, nämlich 781 in
Luciaria (MGH DD Karol. I, S. 326). Die Urkunde ist allerdings eine
Fälschung aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts.
577
4.2.3. Ein alemannischer -amz-Name
Josef Leopold Brandstetter versuchte als Erster, den Namen Luzern auf eine
deutsche Grundlage zu stellen. Er erklärte Lutzeren als Kompositum mit
einem Personennamen Luz und dem Appellativ althochdeutsch arin, er in, ver-
wandt mit lateinisch ärea ,Platz bei einem Hof (vgl. Id. I, S. 461 f.; Ahd. Wb.
III, S. 397f.). Die Kurzform Luz stellte Brandstetter zu einer Vollform Liutger,
fränkisch Leudegar und glaubte, somit die Namendeutung ,Leodegarshof zu
erreichen. Seine Deutung stützte er mit dem Beleg 1314 „de agro suo retro
curiam Leodegarii“ (QW II 3, 64). Damit sollte auch das frühe Patrozinium
des heiligen Leodegar untermauert werden (vgl. Brandstetter 1912, S. 27,
1919, S. 4L; Garovi 1975, S. 23ff.).
Gegen Brandstetters Herleitung vom Heiligennamen Leodegar wandten
sich entschieden Guntram Saladin und Robert Dürrer. Saladin hielt entgegen,
dass eine alemannische Form Liutger für Leodegar nicht existiere. Eine Kurz-
form hätte zudem Lütz lauten müssen (vgl. Saladin 1929, S. 41 ff., 1951/52, S.
54). Dürrer führte gegen Brandstetters Deutung chronologische Gründe an.
Der Zeitabstand zwischen dem Tod des heiligen Leodegar im Jahre 678 und
dem Auftreten des Namens in einer möglichen Urkunde von König Pippin
(+768) sei für die Herausbildung einer Kurzform zu klein, selbst wenn erst
von der Nennung Luciaria in der Lotharurkunde von 840 ausgegangen würde
(vgl. Dürrer 1929, S. 2). Dazu ist nachzutragen, dass das Patrozinium des hei-
ligen Leodegar erst sicher im 12. Jahrhundert im Traditionsrodel festgehalten
ist, was einen Zusammenhang des Siedlungsnamens mit dem Heiligennamen
ausschließt (vgl, QW I 1 Nr. 9.5). Brandstetter hatte zudem noch nicht er-
kannt, dass Luciaria > Lutzeren eine Suffixbildung ist. Seine Deutung vermag
inhaltlich und formal nicht zu genügen.
Gut ein halbes Jahrhundert später wurde die Diskussion des Namens auf
deutscher Grundlage von Martin Müller fortgesetzt. Er stützte sich auf den
Aufsatz „Das Althochdeutsche der Vorakte der älteren St. Galler Urkunden“
von Stefan Sonderegger (1961) und erstellte für Luciaria eine Vorakte-Form
*Luzar(r)un, die sich aus dem Personennamen Luz, Kurzform zu Ludwig, und
dem Suffix althochdeutsch -arrun zusammensetzt. Die Bedeutung ist ,bei den
Höfen, beim Wohnsitz des Luz‘. Die Form Luciaria wertete Müller „nicht als
sprachliches Originalgut, [...] sondern als stilisierte und latinisierte Form“
(Müller 1971, besonders S. 539). Seine Deutung untermauerte Müller mit dem
appenzellischen Beleg um 1300 von Guncerrun, den Stefan Sonderegger als
*Gunzarrun, Dativ Singular zu *Gunzarra < *Gunzaria ,bei den Höfen, beim
Wohnsitz des Gunzo‘ erklärt (vgl. Sonderegger 1958, § 249).
Müller sieht Lutzeren richtig als -ärra-Bildung. Namen mit einem Ruf-
oder Familiennamen und dem Suffix -ärra > -ere(n), welche den Wohnsitz
oder Besitz anzeigen, sind im Schweizerdeutschen sehr zahlreich. Sie sind in
unseren Namensammlungen jedoch durchwegs jung (vgl. Szadrowsky 1938,
S. 48ff; Hammer 1973, S. 156f.; Waser 1996, S. 1219). Personale -ärra-Bil-
dungen aus frühalthochdeutscher Zeit sind bisher nicht belegt. Gegen Müllers
578
Deutungsvorschlag sind deshalb große Vorbehalte angebracht, zumal eine
Kurzform Luz in den zeitgenössischen Urkunden des in Frage kommenden
Raumes nicht vorzukommen scheint (vgl. Garovi 1975, S. 24; LSG, S. 558).
Von der Namenbildung her ist eine alemannische Herleitung zu favorisie-
ren. Für einen Flurnamen Luz-ärra müsste jedoch noch ein passendes Etymon
gefunden werden. Bisher wurden Namen mit Lutz- in der Regel zur Kurzform
eines Personennamens gestellt (vgl. Fischer IV, S. 1354; Sonderegger 1958;
FLNB 5, S. 335; Ramge 2002, S. 659, u.a.). Wegen der Verbreitung und Häu-
figkeit dieses Namengliedes ist zumindest in einigen Fällen an eine appellati-
vische Grundlage zu denken.
4.3. Ein neuer Aspekt: Der Lutzerbach
In unserer Namensammlung findet sich ein Gewässername, der bis heute in
der Forschung nicht bekannt war. Er lautet Lutzerbach, erstmals belegt 1566
an lucer bach (LNB Mat.). Die Ähnlichkeit mit der Form Lutzeren und den
Komposita wie Lutzermatten, Lutzersee ist auffallend. Es ist deshalb sinnvoll,
diesen Gewässernamen in die Diskussion des Namens Luzern einzubringen.
Der Name Lutzerbach gilt heute für einen Quellarm des Würzebachs. Der
Würzebach, der nach einem Hof Wiirze(n) in seinem Mündungsgebiet benannt
ist, verfügt über ein beachtliches Einzugsgebiet östlich von Luzern. Er mündet
beim Lido in einem Delta in den Stadtsee. Möglicherweise hieß einst der
ganze Bach von der Quelle bis zur Mündung Lutzerbach. Der Quellarm, der
heutige Lutzerbach, könnte noch ein Rest davon sein.
Für die Erklärung der Namenformen Lutzeren und Lutzerbach ergeben sich
daraus die folgenden zwei Möglichkeiten:
Lutzerbach ist wie Lutzermatten ein Kompositum mit dem Flur- oder Sied-
lungsnamen Lutzeren.
Lutzerbach geht auf einen älteren suffigierten Gewässernamen *Lucera
oder ähnlich zurück. Er wurde erst später durch Anfügung des Grundwortes
-bach zum Kompositum. Das Etymon dieses wohl voralemannischen Bachna-
mens müsste noch herausgearbeitet werden. Der Gewässername *Lucera wur-
de auf eine Siedlung im Mündungsgebiet des Baches übertragen, die uns ur-
kundlich als Suffixbildung Luciaria > Lutzeren begegnet. Der Gewässername
war anschließend für den Wasserlauf nicht mehr verfügbar. Der Bach wurde
neu mit Würzebach bezeichnet. Der alte Bachname lebt noch in einem Quell-
arm fort.
Zwischen der Hofkirche und dem Lido erstreckt sich ein nach Süden expo-
nierter, siedlungsfreundlicher Hang. Es ist vorstellbar, dass die fragliche Sied-
lung in diesem Bereich zu suchen ist. Hier ist seit dem 13. Jahrhundert auch
das Gut Lutzermatten belegt.
Vom Vorgang der Namengebung her vergleichbar ist der Dorfname
Marbach im Eptlebuch, der ursprünglich ein Gewässername war und einen
Grenzbach bezeichnete, der beim Dorf in den Schonbach mündet. Auch hier
handelt es sich um eine Namenübertragung vom Bach auf die im Mündungs-
579
bereich dieses Baches gelegene Siedlung. Der ehemalige Marbach wurde an-
schließend zu Steiglebach umbenannt. Sein Oberlauf heißt heute noch Mar-
bachgrabe(n) (vgl. Waser 1996, S. 65 lf.).
4.4. Der Lichtort
Die zweite und jüngere Überlieferungsform Lucerna stammt aus der latei-
nisch-klösterlichen Tradition. Der ältere und wohl nicht mehr verstandene
Name Luciaria >Lucerra > Lucerren wurde im klösterlichen Umfeld zu latei-
nisch lucerna ,Leuchte4 (vgl. REW, Nr. 5137; FEW 5, S. 433f.) umgedeutet
und mit einem Lichtwunder in Zusammenhang gebracht. Die Legende erzählt,
dass an der Stelle des späteren Klosters ein Licht gesehen wurde, worauf man
dort eine Kapelle erbaute. Die Erzählung ist in der Eidgenössischen Chronik
von Melchior Russ festgehalten und überliefert die erste Erklärung für den
Namen Luzern'.
1482 Derselben Statt Lutzemn Ursprung und Namen [...] von der Statt
do ytz das [...] Gottshuss, Sancti Leodogarij gebuwen harkommen ist,
und genempt worden Lutzern, wan an denselben enden von ettlich
cristglaubigen seligen mönschen, ein brinnent Licht, oder Lutzern
gesehen worden ist, darnach als man zahlt von der heilsamen Geburt,
der Junckfrauen, sechshundert und drissig Jar [...] Jst gebuwen worden
St. Niclaus Cappell (Russ 10)
Die Legende vom brennenden Licht an der Stelle der späteren Hofkirche
wurde von Petermann Etterlin und Diebold Schilling in ihren Chroniken wei-
ter tradiert:
1507 Von der gebürt [...] Jesu Christi funffhundert unnd drü jar gezelt
[...] ist da vor vil jaren alwegen gesechen worden uff der hoffstatt, do
yetz das löbliche, wirdig gotzhuße sant Leodegarde uff dem Hoffe zü
Lutzern stat, ein brünnet liecht von ettlichen seligen lütcn. Umb des
willen ist in dem obgenanten jare ein capel an das ende gebuwen
worden, die man hat genempt sant Niclaus capel (Etterlin 52)
1513 ln dem jar alß man zalt [...] fünff hundert und drüy jar [...] ist zü
den selben zitten, ouch ettliche jar darvor allwägen gesähen worden an
dem end und uff der hoffstatt, da jetz das wirdig gotzhuß im Hoff der
stifft zü sant Leodegarien stat, ein brünend liecht von ettlichen saligen
lüten, und von des selben liechtz wägen ward in dem obgenanten jar
ein cappell dahin gebuwen und derselben cappell der namcn geben sant
Niclaus cappell, die nü eine güte zitt also stünd bitz uff die zitt, das von
Wickardo, einem hertzogen von Schwaben, ein erliche kilch da ward
gebuwen, die aber vorhin den namen Lucern von des liechtz wägen,
das man da glich alß ob es in einer lattemen brunnen alwegen gesach,
und ward sollich gotzhuß nach der regel sant Benedicten und in der ere
sanct Leodegarien, des wirdigen bischoffs und marteres, ouch sant
Mauritzen und siner geselschafft gewicht (Schilling 14)
580
Ein Lichtwunder wurde auch an anderen Orten mit dem Heiligen Leodegar
in Verbindung gebracht, so im Kloster Murbach im Eisass (vgl. Rohrer 1882,
S. 285).
Renward Cysat führte eine Anzahl weiterer Erklärungen zum Namen
Luzern an, die sich alle in irgendeiner Art auf ein reales oder ideelles Licht
beziehen:
um 1600 Von dem namen der statt Lucern [...] Wannenhar die statt
Lucem disen eerennamen bekommen, davon sind vnder den chroni-
canten vnd historj schrybem vnglyche meinungen. Ettliche die habend
vß einfallt vber dz gemäld [...] der statt oder der stifft vff dem Hoff
einen engel malen laßen mit einem liecht jn der latemen, ein Lucern
damitt zuo bedüten, wölliehs aber von allen verständigen [...] für ein
absurdum vnd gar vngefuegtes geachtet worden Die andre meinung
halltend ettlich allso vnd richtend es dahin, das, so man von Vrj heruß
vber seew jmmerzuo den hohen engen gebirgen nach vff Lucern zuo
fart, sobald man für die vndre Naß, dz jst der nider bergspitz am vnder-
waldner gstat vngfar iiij stund wytt von der statt Lucern, kompt, so
thuot es sich alles vff vnd erbreitet sich, glych wasser vnd land vnd gibt
ein gächlinge heittere vnd gläntze vber die statt vß, dann hindenhalb
derselben kein gebirg jst, so dem gesicht was abhallten möge. Die
dritten wollend dann, das glych wie das nächtlich liecht, so man lange
zytt ob dem ort vff, da jetz die stiffitkillch jm Hoff statt [...] gesehen ein
praesagium oder vorbedüttung gewesen, das diser sälige mann [...]
Wychardus [...] an disem ort, da er dann diß herrlich stifft gestifftet,
dem christlichen volck vorlüchten würde. Eben allso ouch diß ein vor-
bedüttung gewesen vff das liecht der statt Lucern, das dise statt mittler-
wyl glych wie ein heitterer stem vß einer trüeben wolcken herfürbricht
jr liechtschyn vnd glantz von wegen jres herrlichen [...] regiments [...]
durch die gantze wellt hinweg geben vnd so vilen andern vorlüchten
wurde [...] Vadianus [.,.] et Myconius [...] vermeinent, dise statt habe
jren namen von dem allten wasserthum jm seew, wölche thüm, von
den allten Pharos genant, den schifflüten by nacht durch ein angezündt
füwr den port gewyset (CysColl I 1,63-65)
Die Form Lucerna ist als religiös motivierte Umdeutung der älteren, volks-
sprachlichen Form Lutzeren zu verstehen. Dahinter stand wohl in erster Linie
der Wunsch der Mönche nach der Verherrlichung des Klosters. Mit dem
Lichtwunder wurde ein Namenmotiv geschaffen. Einen vergleichbaren
Klostemamen trägt die 1 143 gegründete und den Regeln der Prämonstratenser
unterstellte Abtei La Lucerne im Departement Manche in der Normandie. Die
Gemeinde heißt heute La Lucerne d’Outremer (vgl. Dürrer 1929, S. 3 Anm. 5;
http://www.abbaye-luceme.fr).
Im Stadtnamen Lucerna > Luzern wurde auch metaphorisch die Schönheit
und Bedeutung dieser städtischen Siedlung gepriesen. Daher rührt der Beina-
me Leuchtenstadt, der für die Stadt Luzern gebräuchlich ist.
581
5. Schlussbetrachtung
In der urkundlichen Überlieferung des Namens Luzern zeichnen sich deutlich
zwei unterschiedliche Namenformen ab. Die ältere und ursprünglichere Form
Luciaria führt über Lucerna zu Lützeren. Sie liegt den Flur- und Gewässerna-
men-Komposita Lutzermatt, Lutzerweg, Lutzersee und Lutzerbach zugrunde.
Für diese Namenform wurden vor allem romanische sowie deutsch-alemanni-
sche Deutungsansätze gesucht. Bis heute konnte der Name nicht abschließend
erklärt werden.
Die jüngere Form Lucèrna > Lucèrne > Luzérn stammt aus der lateinisch-
klösterlichen Tradition. Der wohl nicht mehr verstandene Name Luciaria >
Lucerra wurde im Umfeld des Klosters zu lateinisch lucerna ,Leuchte1 umge-
deutet und mit einem Lichtwunder bei der heutigen Klosterkirche in Zusam-
menhang gebracht. Die beiden Formen konkurrierten während Jahrhunderten,
bevor sich die lateinisch-klösterliche Form als Stadtname Luzern durchsetzte.
Die Überlieferungsgeschichte des Namens Luzern zeigt, wie ein älterer,
nicht mehr verstandener Name durch einen jüngeren, religiös motivierten
Klostemamen abgelöst wurde. Für die Verdrängung eines volkssprachlichen
Namens durch einen Patroziniumnamen oder einen Namen aus dem religi-
ösen, kirchlichen Umfeld gibt es zahlreiche Beispiele (vgl. Bach 1954, § 521;
Reitzenstcin 1996, S. 1593ff), In Hasle im Entlebuch stand seit dem 15. Jahr-
hundert der alte Name der ehemaligen Eremitensiedlung Witenbach mit dem
jüngeren, religiösen Namen der Wallfahrtskirche Heiligkreuz in Konkurrenz.
Nachdem sich der Name Heiligkeuz für den Wallfahrtsort gefestigt hatte, ver-
schwand der Name Witenbach (vgl. Waser 1994, 1996, S. 420L, 1184f.).
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587
Summary
Lutzeren - Lucerna. The two Transmitted Forms of the Name
Luzern
Within the research project „Ltizemer Namenbuch“ (Lucerne Place Name
Dictionary) the basic evidences of the name of Luzern have been re-examined
and extended. Two different forms of traditions can clearly be traced: It is in a
Carolingian charter of 840, the so-called „Lotharurkunde“ that the name
Luzern is mentioned for the first time, namely monasterium Luciaria. In the
„Luzemer Traditionsrodel“ (book of traditions), dated today to the 12th
century and originating from the conventual chancellery, the name of the
place appears as Lucerna. The content of this list, however, refers to events
going back to the 9th century.
The older and probably more original form Luciaria leads first to Lucerra
and then to Lutzeren. The latter seems to be the basis for compounds of place
names and water names like Lutzermatt, Lutzerweg, Lutzersee and Lutzer-
bach. For this name Celtic, Romanic as well as German-alemannic explana-
tions were brought forward. The younger form Lucérna > Lucerne > Luzérn
has its roots in the Latin-monastic tradition. In this context the name Luciaria
> Lucerra was re-interpreted as coming from Latin lucerna ,lantern’ and thus
connected to a light-miracle near the actual conventual church. Both forms co-
existed for centuries before the Latin-monastic form prevailed in the name of
the town Luzern.
588
Christian Zschieschang
Sprachkontakte an der unteren Neiße im Spiegel der
Ortsnamen
I. Die Regionen östlich von Elbe und Saale wurden jahrhundertelang und zum
Teil bis heute andauernd vom Sprachkontakt und von sprachlichen Interfe-
renzerscheinungen in markanter Weise geprägt. Dies gilt in besonderer Weise
für die geographischen Namen. Die Zahl der ursprünglich slavischen Namen-
bildungen, die als Integrate in den deutschen Sprachgebrauch übergingen, geht
in die Abertausende, und Interferenzonomastik ist in der Namenforschung
dieser Regionen ein Dauerbrenner, wie nicht zuletzt auch einige Beiträge des
vorliegenden Bandes zeigen.
Die regionale Bearbeitung entsprechender Erscheinungen, zumeist im
Zusammenhang mit der lexikographischen Erschließung der Ortsnamen, ist
ein seit Jahrzehnten erprobtes Verfahren, das in einem interdisziplinären Kon-
text unter anderem auch am Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschich-
te und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig gepflegt wird (vgl.
http://www.uni-leipzig.de/gwzo). Hier erfolgte auch die toponomastische Be-
arbeitung der Region um die untere Neiße im heutigen polnisch-deutschen
Grenzgebiet, die zum Thema sprachlicher Interferenzen eine Reihe von Beob-
achtungen erbrachte, welche die Grundlage des folgenden Beitrages bilden.
2. Die Neiße, heute die östliche Begrenzung Deutschlands, entspringt im
Isergebirge und verläuft in ihrem Unterlauf durch das Norddeutsche Tiefland.
Die Landschaft dort ist flach bis hügelig. Die Siedlungsentwicklung im Früh-
und Hochmittelalter, wie sie sich in der typologischen Strukturierung der
Ortsnamen spiegelt (Abb. 1), ging von einem relativ eng begrenzten älteren
Siedlungsareal aus (vgl. Zschieschang 2007, S. 78-80; Zschieschang [im
Druck]). Dieses nutzte die siedlungsgünstigen Niederungsgebiete an der
Neißemündung und der unteren Lubst. In späterer Zeit, jedoch noch vor dem
Einsetzen des hochmittelalterlichen Landesausbaus, kam es zu umfangreichen
Siedlungserweiterungen in alle Richtungen, soweit es das naturräumliche Um-
feld zuließ, insbesondere aber nach Südosten, der Lubst flussaufwärts folgend.
Die Forschungsmethodik, die diesen Verbreitungskarten zugrunde liegt, lehnt
sich eng an die zahlreichen Studien der Leipziger Onomastik zu verschiede-
nen Regionen an.1
1 Diese hier darzustellen oder nur zu skizzieren, würde den Rahmen dieses Beitrages
sprengen. Daher kann hier nur auf die wichtigsten Arbeiten verwiesen werden:
Walther 1967; Eichler/Walther 1970, S. 75-90: Eichler/Walther 1984, S. 64-75;
Hengst 2003, S. 30-34; Donat/Reimann/Willich 1999, S. 62-112; Brachmann/Fos-
ter/Kratzke/Reimann 2003, S. 101-141.
589
ln Bezug auf die sprachliche Einordnung gilt die Neißeregion als Grenz-
land zwischen der altsorbischen und der altpolnischen Ausprägung der
slavischen Sprachen.“ Da seit dem 13. Jahrhundert dieses Übergangsgebiet
zwischen der Lausitz und Schlesien zu großen Teilen germanisiert war,
kommt der Untersuchung der geographischen Namen hierbei eine Schlüssel-
rolle zu. Diese erlauben es, die Abgrenzung der sprachlichen Eigenheiten -
vor allem handelt es sich um Lautentwicklungen - weit östlich der Neiße zu
lokalisieren (Popowska-Taborska 1965). Allerdings hat man sich als Scheide
zwischen Altsorbischem und Altpolnischem eher einen allmählichen Über-
gang im Sinne eines Dialektkontinuums {Holzer 1999, S. 253; Schuster-Sewc
1969, S. 23f.) als eine linienhafte Sprachgrenze vorzustellen; die Sorabistik
spricht von einem niedersorbisch-polnischen Übergangsdialekt.' Ob aus
diesen Sprachentwicklungen die Ausdehnung des alten sorbischen Siedlungs-
gebietes zu bestimmen ist, ist allerdings eine ganz andere Frage. Die Orts-
namen an der unteren Neiße zeigen keine deutlichen polnischen Sprachausprä-
gungen. Alle lautlichen Merkmale verweisen auf eine Zugehörigkeit zum Alt-
sorbischen.2 * 4
3. Die durch die Toponymie indizierten Siedlungsareale korrespondieren
mit den mageren Informationen zur historischen Landschaftstopographie.
Während für die Bewohner der Region südlich und östlich des heutigen Spree-
waldes im Frühmittelalter die Bezeichnung Lusici überliefert ist, trug die
Region an der unteren Neiße den Namen Selpoli.5
Gegenwärtig bezeichnen sich die in der Niederlausitz ansässigen Sorben als
Serby bzw. Dolnoserby. Im deutschen offiziellen Sprachgebrauch, bedingt
durch die jüngere Geschichte, gilt die Formulierung Niedersorben/Wenden.
Die niedersorbische Form für den Landes- bzw. Landschaftsnamen Nieder-
lausitz lautet Dolrta Luzyca, während die frühmittelalterliche Bewohner-
bezeichnung Lusici keine Fortsetzung fand, abgesehen von den sekundären
Bildungen Luzycan, Luzycanar, Luzycar ,Lausitzer (Sg.)‘.6 Was heute selbst-
verständlich ist, dass es nämlich in der Lausitz Sorben gibt, ist für das Früh-
mittelalter hingegen nicht überliefert. In jener Zeit ist die Bezeichnung Surbi,
Sorabi (Schuster-Sewc 1983, S. 139) zwar als eine mehreren anderen Enti-
2 Zum Altsorbischen und seiner Abgrenzung AAO 1, 9 (mit weiterer Literatur) und
Herrmann 1985, S. 48-50.
Popowska-Taborska 1965, S. 124; Schuster-Sewc 1969, S. 15; Schuster-Sewc 1998,
S. 45; Holzer 1999, S. 252 und Abb. S. 267; ähnlich Schuster-Sewc 1982, S. 125f.
4 Zu diesen und weiteren in diesem Beitrag angerissenen Aspekten vgl. das im Ent-
stehen begriffene Ortsnamenbuch der östlichen Niederlausitz.
Zum Namen Eichler 1985, S. 140; zur geographischen Situation Herrmann 1985,
Tafel 1; Brankack/Metsk 1977, S. 20; Zschieschang 2007, S. 82-85.
6 Vgl. Starosta 1999, S. 211; Muka 1926/28, 1, S. 796.
590
täten übergeordnete Bezeichnung belegt, aber ausschließlich mit Bezug auf
die Gebiete zwischen Elbe und Saale.7 Einen Hinweis darauf, dass sich die
slavischen Bevölkerungsgruppen an Spree und Neiße ebenfalls als Sorben
empfanden, gibt es erst mit dem Einsetzen der sorbischsprachigen Schrift-
lichkeit im 16. Jahrhundert (Nowy zakon Sserpsky, vgl. Schuster-Sewc 1983,
S. 141). Waren die Lusici und die Milzener in der heutigen Oberlausitz, für
die das gleiche gilt, im Mittelalter tatsächlich noch keine Sorben, wie es die
Quellenlage nahe legt? Wenn nicht, dann wäre die spätere Ausweitung des
Begriffes auf die Bewohner der heutigen Ober- und Niederlausitz zu erklären.
Überlegungen, dass hierfür politische und soziale Entwicklungen maßgeblich
waren, sind mit den historischen Prozessen nicht so recht in Einklang zu
bringen (Schuster-Sewc 2004, S. 3-6).
Nun liegt aus dem äußersten Osten des altsorbischen Gebietes, aus der
Umgebung der Stadt Krosno/Crossen an der Mündung des Bober in die Oder,
ein Quellenbeleg vor, der hier vielleicht weiterhilft:
(1202) F129X „(ex parte Zcirbie), que nunc Guntheresberc et Monchedorf vocatuC
(SUB 1, S. 255, Nr. 333)
Offensichtlich wurde im Zuge von Umstrukturierungen der Siedlungs-
landschaft und der Gründung deutschrechtlicher und deutsch benannter Dörfer
- Güntersberg und Münchsdorf - eine ältere Namenform aufgezeichnet. Die
Formulierung ex parte Zarbie wird seit langem zweifelsfrei als Ortsname
interpretiert (Muka 1984, S. 490; Schuster-Sewc 2004, S. 6), und als nach
1945 die polnischen Behörden polnische Namenformen für die neuerworbe-
nen Gebiete suchen mussten, griffen sie auf diese altüberlieferte Form zurück,
womit Münchsdorf heute den Namen Sarbia trägt.
Betrachtet man aber den Quellenkontext genauer, so könnte ex parte Zarbie
auch auf eine andere Weise zu interpretieren sein:
(1202) F129X „(Item Wilschek castellanus de Lubus contulit fratribus) in Lübens
(partem Osecnice, que sita est) iuxta Croznam (ex parte Zarbie), que nunc
Guntheresberc et Monchedorf vocatur, (quam comes Stephanus castellanus de Sagan
et tribunus Mirozlaus) cum vicinia (circui)verunt vice mea" (SUB 1, S. 255, Nr. 333)s
Die Passage, die die beiden Neugründungen Güntersberg und Münchsdorf
aufführt, scheint sich eher auf partem Osecnice zu beziehen. Die Lage dieses
Ortes wurde durch die Angabe que sita est iuxta Croznam ex parte Zarbie * S.
Zum Namen Eichler 1985, S. 143f., sowie die Ausführungen von Emst Eichler bei
Herrmann 1985, S. 12; zum geographischen Bezug der Benennung Herrmann 1985,
S. 9, und Brankack/Metsk 1977, Kartenbeilage; Gringmuth-Dallmer 2000, S. 97,
Abb. 54 suggeriert dagegen in einer etwas unglücklichen Darstellungsform, dass die
Sorben einer von mehreren ,Stämmen1 an der unteren Mulde gewesen seien.
s Die eingeklammerten Passagen, im Urkundenbuch in Petitdruck, kennzeichnen die
aus der Vorlage vom Jahr 1202 (SUB 1, S. 50f., Nr. 77) übernommenen Passagen.
591
genauer spezifiziert, also: ,die gelegen ist in der Nähe von Crossen auf der
sorbischen Seite bzw. in der sorbischen Richtung oder Gegend1. Die geo-
graphische Situation stimmt mit dieser Formulierung überein; diese Sied-
lungen befinden sich westlich von Crossen, also aus der Sicht dieser Stadt in
Richtung des sorbischen Gebietes.
Gestützt wird diese Überlegung auch durch die dieser Fälschung zugrunde-
liegende Urkunde, die die neuangelegten Dörfer noch nicht kennt, aber die
gleiche Lagebeziehung nennt:
1202 „Item Wilzchec castellanus de Lubus eisdem fratribus in presentia mea et
multorum meorum nobilium contulit partem Ossechnice, que est sita ex parte Zarbie,
quam comes Stephanus castellanus meus de Sagan cum tribuno Mirzlau de Crösten et
cum quam pluribus circumsedentibus vice mea circuiviC (SUB 1, S. 50f., Nr. 77)
Damit wäre ein bescheidenes Indiz gewonnen, dass der Name Serby in der
für das nordöstliche Niedersorbische und das Altpolnische typischen Form
Sarb- (Schuster-Sewc 2004, S. 5f.) schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts für
die Niederlausitz gebräuchlich war.
4. Mit diesem Fall sind wir schon in der nächsten Phase der Siedlungs-
entwicklung, in der des hochmittelalterlichen deutschrechtlichen Landesaus-
baus bzw. der deutschen Ostsiedlung, die mit einem intensiven slavisch-
deutschen Sprachkontakt einherging. Gut überlieferte Beispiele, anhand derer
die damit verbundenen Prozesse im Detail studiert werden können, sind
selten; eines wurde gerade vorgestellt. Vieles bleibt jedoch im Dunkel der
fehlenden Quellenüberiieferungen.
Allerdings ist auch die geographische Verbreitung der Ortsnamen, die in
dieser Zeit entstanden sind, aussagekräftig. Hierbei handelt es sich bekannter-
maßen um Komposita, zumeist mit dem Grundwort -dorf wie z.B.
Berthelsdorf Gebersdorf, Münchsdorf Weitere Grundwörter liegen nur selten
vor. Diese Komposita konzentrieren sich einerseits im Süden in einem breiten
Streifen zwischen Neiße und Bober und markieren hierbei ein Gebiet, das im
Zuge eines großflächigen Landesausbaus erschlossen wurde (Abb. 2). Im oben
genannten älteren Siedlungskem schieben sie sich zwischen die zahlreichen
älteren altsorbischen Namen. Offenbar ging hier ein intensiver Landesausbau
mit der teilweisen Umstrukturierung der davor entstandenen, durch slavische
Benennungen geprägten Siedlungslandschaft einher (dazu auch Schräge 1990,
S. 134f,).
Das Miteinander von deutschsprachigen Zuwanderern und sorbisch spre-
chenden Alteingesessenen wird an den sogenannten Mischnamen besonders
deutlich.9 Diese sind überall in der deutsch-slavischen Kontaktzone verbreitet,
9 Grundlegend: Naumann 1964; Walther 1993; Debus/Schmitz 1990; Eichler 2000.
Vgl. für die hier aufgelisteten Namen z.T. Schräge 1990, S. 163, 165 und 177, die
aber in Ermangelung einer vollständigen Ortsnamenuntersuchung nicht alle Namen
nennt.
592
meistens zu einem relativ geringen Prozentsatz. Der Terminus Mischname ist
in dem Sinne semantisch diffus (Eichler 2000, S. 190), dass er offen lässt, was
,Misch1 zum Ausdruck bringen soll. Obwohl verschiedentlich Alternativen
angeregt wurden, wie „hybride Bildungen“ (Walther 1993), „Kontaktbil-
dungen“ oder „bilinguale Kontaminationen“ (beide bei Walther 1971, S. 111),
hat sich die Bezeichnung Mischnamen doch in einem interdisziplinären Kon-
text so fest etabliert, dass es schwer sein wird, sie zu verdrängen.
Zwei Gruppen sind zu unterscheiden. Einerseits Kombinationen eines
slavischen Personennamens mit einem deutschen ortsnamenbildenden Grund-
wort, die an der unteren Neiße zahlreich vorliegen:10
Bialowice / Billendorf / Betojce (1381 Belendorff)
Cielmöw / Zilmsdorf / Celimojce (1415 Cziimersdorj)
Jaszkowice / Jeschkendorf / Jezkojce (1381 Jeskendorff)
Marszow / Marsdorf / Marisojce (1350 Marsdorff)
Mirkowice / Meiersdorf (1381 Myirstorff u.a.)
Strzeszowice / Tzschacksdorf / Tsesojce (1391 Czechanstorff)
Bronice / Brinsdorf (1452 Bronsdorff)
Bomsdorf / Bönojce (1327 Bogemilsdorf)
Ratzdorf / Radsow (1316 Razlawestorph)
Schlagsdorf / Stawkojce (1456 Slagßdorfer tetzen)
Groß Tzschacksdorf / Tsesojce (1495 Czechsdorff)
Chwaliszöw / Quolsdorf [II] / Falojce (1293 Qualisdorf)
Chwaliszowice / Quolsdorf [1] / Khwalecy (1555 zu Qualßdorff)
Janiköw / Jenkendorf / Jenkecy (1419 Jenkendorff)
Mielno / Mellendorf / Mjelin (1419 Melinsdorf)
Mieszköw / Beinsdorf / Bjenisow (1597 Benißdorff)
Wierzbiycin / Kochsdorf / Kochanojce (1601 Kochsdorf)
< *Beian+dorf
< *CeIim+dorf
< *Jezk-n+dorf
< *Mar-s+dorf
< * Mir-s +dorf
< *Cech-ns+dorf
< *Bronis+dorf
< *BogumHs+dorf
< *Rosiavs+dorf
< *Siav-k-s+dorf
< *Ce/achs+dorf
< *Chwai/ls+dorf
< *Chwai/ls+dorf
< *Jan-k-n+dorf
< *Melin+dorf
< *ßenis+dorf
< *Koch-s+dorf
Diese Namen11 nehmen das gleiche Areal ein wie die Komposita, die im
Bestimmungswort einen deutschen Personennamen aufweisen (Abb. 2). Somit
belegen sie, dass am hochmittelalterlichen Landesausbau auch Personen betei-
10 Die umständliche Nennung dreier durch Schrägstrich getrennter Ortsnamenformen
spiegelt die Sprachkontaktsituation der Region: Zu Beginn wird die heute gültige
polnische Namenform genannt, danach die bis 1945 amtliche deutsche, und schließ-
lich die sorbische. Genaueres zu den in der Übersicht aufgelisteten Namen, ihrer
lexikographischen Bearbeitung, ihrer Überlieferung usw. vgl. bei Zschieschang
2007 und in dem im Entstehen begriffenen Ortsnamenbuch der östlichen Nieder-
lausitz.
11 Hinzu kommen einige Toponyme, die nicht sicher zu erklären sind und aus diesem
Grunde nicht mit kartiert wurden: Cisowa / Zeisdorf / Sisowa (1391 Czystorff) <
*Öiz+dorf o.ä.; tuköw / Groß/Klein Bogendorf / Babeg/Babjezk (1460 Bobindorff)
< *Bog-n+dorf Sadzarzewice / Sadersdorf / Sazarejce (1477/1557 Sadirßdorff) <
*Sad-s+dorf, Swibna / Zwippendorf / Swibna (1381 Czwippendorf) < *Svib-
n+dorf, Simmersdorf / Zymjerojce (1510 Simersdorf) < *C/Semirs +dorf und Watz-
/Wutschdorf < *Vad-s/*Uc/sk-+dorf
593
ligt waren, die - vorsichtig ausgedrückt - einen slavischen Namen trugen,
denn es ist nicht zwingend anzunehmen, dass jeder Träger eines slavischen
Namens auch slavischer Abstammung bzw. slavischer Muttersprache war.
Der entgegengesetzte Fall - die Kombination einer deutschen toponymi-
schen Basis mit einem slavischen Ortsnamensuffix - ist viel seltener:
Kumiattowice / Kummeltitz / Kumjeltojce (1373 Kummelticz) < *Kuniwalt+ici
G^bice (Gubinskie) / Arntitz / Amsica (1347 Omtitz) < *Amb(ah)t+ici
Lubsko-Hynköw / Hinkau (1375 Hinkau) < *Hink+ov-
Der einzige typische Fall ist hier Kumiattowice, bestehend aus dem Perso-
nennamen Kuniwalt und dem patronymischen Suffix -ici. Eigenartig ist Arntitz
als Kombination eines mittelhochdeutschen deutschen Appellativs ambahte
o.ä. ,Amf oder vielleicht einer abgeschliffenen Personenbezeichnung ambet-
liute, am(be)t-man (Lexer 1, S. 49) mit dem gleichen Suffix. Die übrigen
Fälle12 sind in ihrem Basislexem unsicher, da Hink auch auf einen slavischen
Personennamen zurückgehen könnte. Somit bleibt die areale Einordnung
(Abb. 2) undeutlich.
Einer dieser Namen ist jedoch noch für eine andere Problemstellung
aussagekräftig. In der deutsch-slavischen Kontaktzone ist nicht davon auszu-
gehen, dass jede Siedlung nur einen einzigen Namen trug. Vielmehr dürften
Slaven und Deutsche aus ihrem jeweils eigenen Sprachsystem heraus ver-
schiedene Benennungen geprägt haben (Eichler 2000, S. 193; Eichler 2001, S.
40; Wenzel 2004, S. 30). Leider sind solche Namenpaare nur in seltenen
Fällen überliefert, wie z.B. für Lubsko-Hynköw!Hinkau, für das eine deutsche
Form auf -dorf und eine sorbische auf -ov- belegt ist: 1370 Hinckindorf -
1375 zu der Hinkau (Wedekind 1846, S. 305; Lehmann 1968, S. 308, Nr. 804;
Worbs 1834, S. 192, Nr. 529). Es ist zwar nicht sicher zu entscheiden, ob der
zugrundeliegende Personenname Hink slavischen oder deutschen Ursprungs
ist, aber in diesem Kontext ist das nachrangig. Viel bedeutsamer ist das Indiz
auf aktive zweisprachige Kommunikation, das aus dieser Beleglage hervor-
geht. In diesem Fall konnte sich die deutsche Form offenbar nicht gegenüber
der sorbischen durchsetzen. Dies spricht für eine bestimmende Rolle des
Sorbischen im Spätmittelalter in der Umgebung dieses Ortes.
Für einen anderen Fall, Bukowina!Buchholz, sind die Verhältnisse umge-
kehrt: Hier setzte sich die deutsche Benennung, belegt ab 1753 Buchholtz,
durch (Schenk, 39 C), während sich die sorbische, noch 1635 als Buka über-
liefert (Hanschke 1920, S. 36), verlor.
Gelegentlich lassen die Quellen auch genauere Einblicke in die Prozesse der
Namengebung, -änderung und -bewahrung im Kontext des Sprachkontakts zu.
Weiter oben wurde Osecnicha bereits vorgestellt. Dieser Name lässt sich von
altsorbisch *oseki> , Verhau, Rodung4 herleiten, was möglicherweise auf eine
12 Chojnowo / Kunow / Kunowa (1495 Kunow u.a.) < *Kon+ov- ist nicht sicher zu er-
klären und wurde daher nicht kartiert.
594
Grenzbefestigung im Verlauf einer Handelsstraße schließen lässt.1. Diese Sied-
lung wurde im Zuge hochmittelalterlicher Umstrukturierungen durch zwei neu
gegründete Dörfer ersetzt, die neue, deutsche Namen trugen - Münchsdorf und
Güntersberg - und Teil eines größeren geschlossenen Gebietes sind, das sich zu
beiden Seiten der Oder zwischen der Bober- und der Neißemündung ausbreitet,
und in dem das schlesische Kloster Leubus Landesausbau betrieb.13 14 15
In einem anderen Fall wird für das Jahr 1223 berichtet, dass Herzog Hein-
rich I. von Schlesien villam [...] Zarnovo nach deutschem Recht umsetzen will
(Blunck et al. 1921, S. 136f.). ln der Folge macht der ursprüngliche Name des
Ortes der Neubenennung Neuendorf Platz: 1315/Ende 15. Jh. Item Nova villa
(CDSil. 14, S. 14513); 1491 Neuendorf (von Mansberg 1908, S. 269), heute
polnisch Czarnowo.
Das Bild, das von der Verbreitung sorbisch sprechender Bevölkerungsgrup-
pen im 14. Jahrhundert zu gewinnen ist, bleibt „im einzelnen wenig ausge-
prägt und schwankend“ (Lehmann 1966, S. 39). So setzte sich Kunice
Zarskie/Kunzendorf, gelegen mitten im Sorauer Landesausbaugebiet, aus
einem deutschen und einem wendischen Dorf zusammen, wie es das Landre-
gister aus dem Jahr 1381 übermittelt (Schultze 1936, S. 66), das wyndische
dorffwav aber mit nur 4,5 Hufen ausgesprochen klein (Lehmann 1966, S. 21).
Unweit davon sind in D^browiec/Dubrau ein „altes“ und ein „neues Dorf4
belegt, die wohl im Laufe der Zeit zusammenwuchsen (Schultze 1936, S. 97f.)
und evtl, in gleicher Weise als ältere ,wendische4 Siedlung und jüngeres
deutsches4, während des Landesausbaus angelegtes Dorf zu verstehen sind.
5. Der deutsch-sorbische Sprachkontakt hielt an der unteren Neiße noch
lange an. Hier wirkten die Verfasser der ältesten erhaltenen sorbischen
Schriftdenkmäler aus dem 16. Jahrhundert, Miktaws Jakubica und
Hieronymus Megiser,16 und die sorbische Sprache hielt sich in bestimmten
Arealen bis ins 19. Jahrhundert.1 Dem in dieser Zeit erwachenden landes-
kundlichen Interesse ist es zu verdanken, dass noch sorbische Ortsnamen-
formen schriftlich festgehalten wurden, z.B.:
13 Vgl, zu analog gebildeten Ortsnamen wie Oschatz in Sachsen Dickers/Hardt 1994,
S. 191; HOS 2, S. 141, und Eichler SO, 3, S. 42f.
14 HHS Schlesien, S. 277-279; Kuhn 1973, S. 380f., 387f. und Kartenbeilage. Vgl.
auch die signifikante Benennung beider Orte - der namengebende Günter war ein
Abt des Klosters (Kuhn 1973, S. 388).
15 Beachte die Anmerkung des Herausgebers zur Quelle: „namentlich die Ortsnamen
häufig arg verstümmelt.“
16 Dazu Schuster-Sewc 1967; Schuster-Sewc 1969, S. 15-22; Teichmann 1995; Teich-
mann 1996.
1 Metsk 1957; Metsk 1958/59; Petry 1960, S. 273; Lehmann 1963, S. 45 und 139;
Lehmann 1966, S. 25-40.
595
Lazy / Läsgen / Lesk(ej):
1761 Lask (Hauptmann 1761, S. 413)
1843 Lask (Haupt/Schmaler 1841/43, S. 298)
1846 Löschen, [nso.] Ljesko (Schneider 1846, S, 340)
1847 Lask (Zwahr 1847, S. 182)
Lubsko / Sommerfeld / Zemr:
1719 Somerfeld, Sorabis Semrin (Frencel 1719, S. 23)
1761 Zemr (Hauptmann 1 761, S. 421)
1843 Zemr, -rja (Haupt/Schmaler 1841/43, S. 300)
1847 Zemr (Zwahr 1847, S. 401)
Strzegöw / Strega / Stsegow:
1761 Schczegow (Hauptmann 1761, S. 418)
1843 Stregow = Stsegow, -a [sic!] (Haupt/Schmaler 1841/43, S. 299)
1847 Schczegow (Zwahr 1847, S. 297)
Einen tiefen Einschnitt bedeutete die Angliederung der Gebiete östlich von
Oder und Neiße im Jahr 1945 an Polen und die darauf folgende Aussiedlung
der deutschen Bevölkerung. Hierbei sind für die Region östlich der unteren
Neiße Bedenken der polnischen Behörden überliefert, dass man einige Ange-
hörige des sorbischen Brudervolkes, die östlich der Neiße noch ansässig
gewesen sein sollen, nicht so einfach zusammen mit den Deutschen aussiedeln
könnte. Aber das blieb eine Episode (Siatkowska 1992).
Bedeutsamer war der sich in jenem Jahr vollziehende hundertprozentige
Namenwechsel, der mit dem Übergang der Gebiete östlich von Oder und
Neiße an Polen verbunden war.
Bereits wenige Jahre vor 1945 kam es zu Umbenennungen von Ortsnamen,
allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Toponyme, die deutlich auf
slavische Herkunft verwiesen, sollten quasi ausradiert werden (dazu für das
Gebiet der DDR Lietz 2005). In jener Zeit wurden in der Region östlich der
unteren Neiße 12 bzw. 11Ix von 230 Orten umbenannt:
Dobritsch, Klein- (Dobroszöw Maty) > ab 1936 Kleinboberau
Nablath (Nabioto; Nabloto) > ab 1937 Nahberg
Niemaschkleba (Niemaszchleba; Njamaskleb(-a)) > ab 1889 Wiesental
Niemaschkleba (Chlebowo; Njamaskleb(-a)) > ab 1935 Lindenhain
Pokuschel (Gr^zawa; Pokuzel) > ab 1937 Rotfelde
Sablath (Zablocie; Zabloto) > ab 1938 Randenberg
Tzschacksdorf (Strzeszowice; Tsesojce) > ab 1937 Schacksdorf
Tzschecheln (D^binka; Tsechlin) > ab 1937 Eichenrode
Tzscheeren (Czema; Cema) > ab 1937 Grünaue
Tzschernowitz (Czamowice; Camojce) > ab 1937 Schernewitz
Tzschiegern (Przyborowice; Cygrin) > ab 1937 Schiegern
Zukleba (Suchleb; Suchy Kleb) > ab 1936 Steinfelde * *
lx Abzüglich des bereits 1889 umbenannten Niemaschkleba, das wohl umbenannt
wurde, um die Namengleichheit zu Niemaschkleba, Kr. Guben (heute Chlebowo)
zu beseitigen.
596
Die Übersicht zeigt, dass es dabei in einigen Fällen zu Vereinfachungen der
Schreibweise kam, die in praktischer Hinsicht durchaus nachzuvollziehen
sind. Zum größeren Teil handelt es sich jedoch um eine Ersetzung von deut-
lich auf das slavische Substrat weisenden Namen durch dezidiert deutsche Bil-
dungen.
Der Namenwechsel nach 1945 hatte hingegen einen anderen Charakter. Er
stand unter einem enormen Zeitdruck, schon um ein reibungsloses Funktio-
nieren der Verwaltung zu gewährleisten. Wenn es auch zu slavischen Neu-
schöpfungen kam, gab es doch das Bestreben, bei der Namengebung die histo-
rische Namenentwicklung zu berücksichtigen und, darauf aufbauend, sinn-
volle Neubildungen unter Berücksichtigung der urkundlichen Überlieferung
zu schaffen. Wie weit man dabei ging, verdeutlichen die folgenden Fälle:
Sarbia (Münchsdorf) < 1202 und (1202) F129X ex parte Zarbie (SUB I, 188 (257);
SUB 1, 255 (333))
Czarnowo (Neuendorf) < 1223 villam [...] Zarnovo (KD Crossen, 136f.)
Hier erfolgte ein Rückgriff auf relativ isolierte historische Belege, die nur
ausgewiesenen Linguisten und Historikern bekannt gewesen sein konnten,
und diese wurden auch tatsächlich in die Umbenennungsprozesse konsequent
einbezogen.19
6. Der deutsch-slavische Sprachkontakt in der Region unmittelbar östlich
der Neiße war nicht nur ein zeitlich begrenztes Phänomen, sondern bildete
hier jahrhundertelang ein prägendes Element der Sprachlandschaft. Die im
zeitlichen Ablauf wechselnden Konstellationen sind überaus vielfältig und
gekennzeichnet durch (1.) den dialektgeographischen Übergang zwischen
sorbischen und polnischen Dialekten, (2.) die sprachlichen Auswirkungen des
hochmittelalterlichen Landesausbaus, der mit einer umfangreichen Zuwan-
derung deutschsprachiger Siedler verbunden war und eine deutsch-slavische
Kontaktsituation schuf, (3.) die bis in die Neuzeit hinein lebendig gebliebene
niedersorbische Sprache und schließlich (4.) die polnische Inbesitznahme nach
dem Zweiten Weltkrieg. Diese vielfältige Situation schlug sich in erheblichem
Maße in der Toponymie nieder, wovon dieser Beitrag einen Eindruck
vermitteln sollte.
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Summary
Language Contact at the Lower Reaches of the Neiße in the
Light of Toponymy
East of the river Neiße German-Slavonic language contact can be observed
from the Early Middle Ages to the 20th century. A wide range of different
interferences results from this long period. The transition zone of Old Sorbian
and Polish dialects runs in this region. Slavonic settlement first concentrated
602
in the landscape around the lower reaches of the Lubsza (Lubst), a tributary to
the Neiße, and later spread over broader parts of the country. In the High
Middle Ages massive immigration of German-speaking settlers led to an
intense German-Sorbian language contact. The phrase ex parte Zarbie found
in a contemporary document indicates, that Lower Lusatia was considered
Sorbian by its eastern neighbours already around 1200 {in contrast to the Early
Medieval Lusici), while the first referring to sorbian inhabitants of this region
only dates from the 16th century. The Lower Sorbian language was in active
use east of the Neiße until the early 19th century. In the context of strong
activities to replace Slavonic toponymic traces with clearly German names
under Nazi rule some settlements here were renamed too. But only a few years
later, in 1945, every settlement got a totally new name by the Polish admi-
nistration. Despite of the political circumstances, great efforts were made to
take the historical background into consideration, which led to intense
cooperation with Polish onomasts.
603
Abb. 1: Slavische Ortsnamen
I den älteren slavisehen Bildungstypen zugehöriger Name
• den jüngeren slavischen Bildungstypen zugehöriger Name
(Q) Ort zur Orientierung
604
Abb. 2: Deutsche Ortsnamen und Mischnamen
■ deutscher Ortsname
• Slavisch-deutscher Mischname
★ Deutsch-Slavischer Mischname
(O) Ort zur Orientierung
605
Volker Kohlheim
Die Integration der nichtgermanischen Heiligen-
namen in das spätmittelalterliche deutsche Rufna-
mensystem
1. Der Kontakt zweier Namensysteme
Bekanntlich werden zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert in zunehmendem
Maße nichtgermanische Namen, vorwiegend von Heiligen und neutestament-
lichen Personen, in das deutsche Rufnamensystem integriert. Hierbei handelt
es sich typologisch um einen interlingual-interkulturellen Kontakt, bei dem
ein fremdes Namensystem mit dem heimischen nicht durch eine interethnische
koareale Kontaktsituation, sondern durch interkulturelle Übermittlung in Be-
rührung kommt. Ursprünglich aus verschiedenen Sprachen stammend, haben
die nichtgermanischen Heiligennamen ihre letzte Überformung vor der Inte-
gration in die einzelnen regionalen europäischen Namensysteme durch die
graeco-lateinische Septuaginta-Vulgata-Tradition und Hagiographie erhalten
und unterscheiden sich insbesondere morphologisch grundlegend von dem
deutschen Namensystem germanischer Herkunft. Letzteres ist vor allem durch
seine Zweigliedrigkeit charakterisiert, während die zu integrierenden Fremd-
namen, auch wenn sie in ihren Ursprungssprachen durchaus mehrgliedrig wa-
ren wie der größte Teil der hebräischen Namen, von der deutschsprachigen
Übernehmerpopulation als eingliedrig empfunden werden mussten. Im Gegen-
satz zu etwa Chun-rat, Hein-rich und Fried-rich waren für die deutschen Na-
menbenutzer des 13. Jahrhunderts die Xenonyme Johannes und Elisabeth in
keine onymischen Bestandteile analysierbar. Allerdings war einer Integration
dieser beiden Namensysteme schon insofern Vorschub geleistet worden, als
das altdeutsche Namensystem selbst schon vor dem Kontakt mit dem fremden
in einem grundlegenden Strukturwandel begriffen war. So hatten sich die ur-
sprünglich relativ frei miteinander kombinierbaren Anfangs- und Endglieder
weitgehend in positionsgebundene Morpheme verwandelt, die entweder nur
die Anfangs- oder nur die Endposition im Namenwort einnehmen konnten.
Ein Beispiel aus der Regensburger Überlieferung möge diese Entwicklung
verdeutlichen: ln den Traditionen des Hochstifts Regensburg und des Klosters
St. Emmeram, die vom 8. bis zum 13. Jahrhundert reichen, erscheint das
Anfangsglied Amal- kombiniert mit zwölf Endgliedern, nämlich mit -bert,
-birgal-pirc, -burc, -drud, -frid, -gerl-ker, -gis, -heid, -heri, -rieh, -suind,
-wichl-wic, dazu die Formen Amalo und Amalunc. Von dieser kombinato-
rischen Vielfalt ist im Regensburger Urkundenbuch, das vor allem Urkunden
aus dem 14, Jahrhundert (bis 1378) enthält, nichts mehr zu finden; in seiner
reichhaltigen Namenüberlieferung sind nur noch Amluneh und die dazuge-
607
hörige Koseform Empel nachweisbar.1 2 * In namentypologischer Hinsicht hatte
sich also das deutsche Rufnamensystem schon vor dem Kontakt mit dem - aus
heimischer Sicht - eingliedrigen fremden Namensystem aus eigenem Antrieb
in die Richtung eines monomorphematischen Systems entwickelt. Dies ist an
anderer Stelle ausführlich dargestellt worden" und musste daher hier nur kurz
erwähnt werden. Etwas gründlicher wird uns die graphematisch-phonolo-
gische Integration der Fremdnamen beschäftigen,'1 die im Folgenden aus
einem bisher kaum behandelten Blickwinkel betrachtet werden soll.
2. Die Integration der nichtgermanischen Namen auf kultu-
rell-spiritueller Ebene
Die Integration der nichtgermanischen Rufnamen in das deutsche Namen-
system vollzieht sich auf zwei Ebenen, auf der kulturellen und auf der sprach-
lichen. Dabei besteht bei den Personennamen ein grundlegender Unterschied
zur Integration von fremdsprachlichen Ortsnamen, muss doch die Entschei-
dung für den nichtgermanischen Personennamen von jedem Namengeber in
bewusster Wahl immer wieder neu getroffen werden. Dass dabei weniger ein
sprachliches als ein beträchtliches spirituell-kulturelles Resistenz-Potenzial
überwunden werden muss, können selbst wir im 21. Jahrhundert noch spüren,
wenn wir uns den Widerstand bewusst machen, der gegen die Vergabe der
griechisch-lateinischen Form des hebräischen Namens Yehösüa', nämlich
Jesus, in Deutschland bis zum Jahre 1998 juristisch bestand und wohl bei den
meisten von uns gefühlsmäßig auch heute noch bestehen wird. Im Grunde ist
erst durch das Gerichtsurteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main von
1998,4 5 das die Vergabe dieses Vornamens erlaubte, die über 800-jährige kul-
turelle Integration der nichtgermanischen Namen mit religiöser Konnotation
in Deutschland an ihr Ende gekommen.
Seit Edmund Nieds Untersuchung über „Heiligenverehrung und Namen-
gebung“ vom Jahre 1924 hat man sich daran gewöhnt, das Aufkommen der
nichtgermanischen Heiligennamen als namengeberischen Reflex der zwei-
fellos ungeheuerlich gesteigerten Heiligenverehrung und des ausgeprägten
Systems der Schutzpatronate im späten Mittelalter zu sehen. Hinweise darauf,
dass keineswegs ein mechanischer Zusammenhang zwischen der spirituellen
Ebene und der sozial-kulturellen, zu der die Namengebung zu rechnen ist, an-
genommen werden darf," finden nur geringes Echo. Dabei dürfte inzwischen
1 R. Kohlheim/V. Kohlheim 2002, S. 82-86,
2 Kohlheim 1977a, S. 100-112.
Hierzu auch Kohlheim 1996b mit weiterer Literatur.
4 Aktenzeichen 20 B 149/98.
5 Bortolami 1997, S. 149.
608
feststehen, dass es sich bei der Akzeptierung der nichtgermanischen Heiligen-
namen um einen Jahrhunderte währenden Diffusionsprozess handelte, der,
von Byzanz seinen Ausgang nehmend, um das Jahr 900 auf die byzantinisch
beeinflussten Gebiete Italiens überspringt und Nordwesteuropa in vollem
Ausmaß erst im 14. bis 16. Jahrhundert erreicht.6 während die intensivierte
Form der volkstümlichen Heiligenverehrung sich auch in Mittel- und Nord-
westeuropa viel früher durchgesetzt hatte, wie an Wallfahrten, Altarstiftungen
und zahlreichen anderen Zeugnissen nachweisbar ist.7 Eine Parallelität zwi-
schen der arealen Ausbreitung der volkstümlichen hoch- und spätmittelalter-
lichen Formen der Heiligenverehrung und der Heiligennamengebung ist
jedenfalls nicht feststellbar. Die Ergebnisse der Untersuchung von Peter
Wenners, die zeigen, dass in der östlich der Kieler Förde gelegenen Probstei
der Prozentsatz der Heiligennamen noch bis 1650, also lange nach der Re-
formation, ständig zunimmt,8 * sprechen ebenso wie neuere Untersuchungen
über die Bremer6 und Bayreuther Rufnamen10 gegen einen direkten Zusam-
menhang von Heiligenverehrung und Namengebung.
Warum aber stellt sich die Integration der neuen Namen als ein derart lang
andauernder Prozess dar? Dafür sind auf der kulturellen Ebene zwei Gründe
verantwortlich zu machen: Zunächst einmal musste bei der Annahme der
neuen Namen mit einer kulturellen Tradition im namengeberischen Bereich
gebrochen werden, und zwar mit der sich seit dem Hochmittelalter etabliert
habenden Sitte der innerfamilialen Nachbenennung.11 Der Namengeber, der
sich für einen nichtgermanischen Heiligennamen entschied, wandte sich damit
automatisch gegen den Jahrhunderte lang geübten Brauch, Kinder nach Fami-
lienmitgliedern zu nennen. Zwar war diese Sitte in den bürgerlichen Schichten
- von den ländlichen wissen wir in dieser Hinsicht weniger - nicht starr aus-
geprägt, doch, wie Beispiele aus Regensburg zeigen, recht wirkmächtig, vor
allem im Patriziat.12 Es steht nun fest, dass in den städtischen Gesellschaften
des Spätmittelalters die neuen Namen erstaunlicherweise zunächst gerade bei
den patrizischen Führungsschichten Widerhall fanden. Auch hierfür ist die
Erklärung vielschichtig: Einerseits waren es diese zumeist aus Femhändlern
6 Kohlheim 1996a, S. 1051-1052.
Vgl. Angenendt 21997, S. 196f.
8 Wenners 1988, S. 237.
y Kohlheim 2003.
1(1 Kohlheim 2000a.
11 Vgl. Wagner 1984.
12 Vgl. z.B. zur Nachbenennung innerhalb der Regensburger Patrizierfamilie der
Gumprecht, bei welcher der „Leitname“ Gumprecht schließlich zum Familienna-
men wurde, Kohlheim 2000b, S. 72.
609
bestehenden Gruppen, die durch ihre Kontakte nach außerhalb das neue
Namengebungsprinzip kennen lernten, es demonstriert bekamen. Andererseits
sind es in der Regel die sozial herausgehobenen Schichten, die sich innovato-
risches Verhalten, besonders, wenn es zugleich einen Bruch mit überliefertem
Herkommen bedeutet, am ehesten leisten können, die Sanktionen am
wenigsten zu fürchten haben.1’ Allerdings befinden sich gerade diese
Schichten dann insofern in einer Konfliktsituation, als bei ihnen die familiale
Tradition, nicht zuletzt der Besitzsicherung wegen, eine besondere Rolle
spielt. Hier wirkt nun das gleichzeitige Aufkommen der vererblichen
Familiennamen erleichternd für die Annahme der neuen Namen, denn es sind
mehr und mehr die fest werdenden Beinamen, die die Funktion der Kenn-
zeichnung des Generationenzusammenhangs übernehmen und somit die Ruf-
namen von dieser Aufgabe entlasten.13 14
Der zweite Grund für die zögerliche Übernahme der Heiligennamen auf der
spirituell-kulturellen Ebene war schon eingangs angedeutet worden. Immer
wieder gilt es, sich bei der Untersuchung der Integration der nichtgermani-
schen Heiligennamen in das autochthone Namensystem deutlich zu machen,
dass nicht die Namen selbst es waren, die sich verbreiteten, sondern nur ihre
Vergabe als Rufnamen, also ein neues Namengebungsprinzip. Die Namen
selbst waren ja zum weitaus größten Teil den spätmittelalterlichen Namenge-
bem schon lange bekannt, gerade durch die Heiligenverehrung. Dass aber die
Tatsache, dass diese nichtgermanischen Namen die Namen von hoch verehr-
ten Heiligen waren, nicht nur fördernd, sondern vielleicht sogar hemmend auf
ihre Vergabe als Namen sterblicher Menschenkinder wirken konnte, wird
kaum einmal gesehen. Zweifellos handelt es sich hierbei um ein Hereinholen
des Bereichs des Heiligen ins Irdische und Alltägliche, in gewissem Sinn um
eine Profanierung, die man z.B. bei dem Namen Maria in Deutschland bis in
die frühe Neuzeit hinein vermied und die wir, wie schon erwähnt, beim Na-
men Jesus noch heute spüren.
Zusammenfassend kann bezüglich der Integration der nichtgermanischen
Heiligennamen in das heimische Namensystem auf kulturell-spiritueller Ebene
festgestellt werden, dass es sich um einen Jahrhunderte währenden Diffusions-
prozess nicht primär von Namen, sondern eines Namengebungsverhaltens,
eines neuen Namenvergabe-Prinzips handelt, dem auf kultureller wie spiri-
tueller Ebene mit beträchtlichen Widerständen begegnet wurde. Mit der Heili-
genverehrung hat dieser Verbreitungsprozess vor allem insofern etwas zu tun,
als durch sie das neue Namenmaterial bereitgestellt wurde. Allerdings muss
wohl auch gesehen werden, dass durch die extrem volkstümlichen Formen der
Heiligenverehrung, wie sie im Spätmittelalter üblich waren, eine gewisse Pro-
13 Vgl. Kohlheim 1977b, S. 27-33, mit weiterer Literatur.
14 Vgl. Kohlheim 1990, S. 35.
610
fanierung dieser Namen von Heiligen einherging," die den Abstand zwischen
den Bereichen des Heiligen und des Menschlichen verringerte.
3. Die Integration der nichtgermanischen Namen auf sprach-
licher Ebene
Bezüglich der sprachlichen Integration der nichtgermanischen Namen in das
heimische Namensystem ist zu berücksichtigen, dass diese Namen zum
größten Teil aus Liturgie und Heiligenverehrung bereits bekannt waren und
das nicht nur in ihren lateinischen Formen. Durch Legenden und volkssprach-
liche, paraliturgische Kultdichtungen bis hin zu Tanzliedern15 16 waren die Na-
men der Heiligen den Gläubigen schon lange vermittelt worden, bevor sie
auch als Taufnamen vergeben wurden. Das bedeutet, dass sich bereits vor
ihrem Eindringen in den Rufnamenschatz der verschiedenen Sprachland-
schaften Deutschlands volkssprachliche lntegrat-Traditionen nichtgermani-
scher Heiligennamen herausgebildet hatten, die dann in den einzelnen Regi-
onen unterschiedlich zum Tragen kamen.
Im Rahmen seiner Studien zum althochdeutschen Georgslied weist Wolf-
gang Haubrichs z.B. nach, dass dieser Heiligenname vom Verfasser dieser
Dichtung nicht etwa direkt von der Form der lateinischen Legende her in das
Althochdeutsche integriert wurde, sondern dass der Autor von der romani-
schen Form des Namens ausging, und zwar von seiner nordfranzösischen
Variante Gorjo, bei der das -e- der Hiatusgruppe -eo- zugunsten des betonten
Vokals -o- getilgt wurde.17 18 ln der südfranzösischen Schreibtradition blieb das
-e- jedoch erhalten, und diese Tradition war es, die nach Süddeutschland aus-
strahlte," wie auch an Regensburger Urkundendatierungen nach dem Tag des
Heiligen Georg abzulesen ist, die noch im 14. Jahrhundert überwiegend sanl
Georien tag19 20 beziehungsweise sand Georin abentA) lauten. Dass diese
Schreibweise aber nicht die volkssprachliche Aussprache widerspiegelt, son-
dern, wenngleich es sich um sprachlich integrierte Formen handelt, wiederum
eine Tradition, zeigt das erste Auftreten des Namens als Rufname, wofür sich
im Regensburger Urkundenbuch der Beleg Jeorg - mit anlautendem phone-
15 Als Beispiel für diese Profanierung kann die bekannte Tatsache dienen, dass der
Heilige, wenn er etwa eine Bitte nicht erfüllt hatte, sogar bestraft werden konnte;
vgl. Angenendt 21997, S. 212f.
16 Vgl. Haubrichs 21995,S. 323-342.
17 Haubrichs 1979, S. 85.
18 Ebd. mit zahlreichen Belegen.
19 RUB I, Nr. 274, 1312, April 17.
20 RUB I, Nr. 434, 1322, April 23. Ebenso Nr. 502, 1326, April 24. - Sand Georien:
Nr. 527, 1327, April 24; Nr. 672, 1332, April 24, usw.
611
tisch korrektem J— findet.21 22 Auch weiterhin ist Jorg die häufigste Schreib-
weise,“” ganz in Übereinstimmung mit der Feststellung von Wolfgang
Haubrichs, „daß ge- auch in der Südgruppe nur graphisch zu verstehen ist, in
der Grundsprache aber *jorjo gesprochen wurde.““3
Etwas anders stellt sich das Verhältnis zwischen integrierten und originären
Formen in den Urkundendatierungen nach dem Tag des Heiligen Ägidius dar.
Hier erscheint das lateinische Äquivalent des Namens des provenzalischen
Einsiedlers und Klostergründers - ob Ägidius tatsächlich das Etymon von
Franz. Gilles ist, ist ja durchaus zweifelhaft24 25 - abwechselnd mit derselben
Form, die auch als Taufname gebraucht wird: Zwischen 1295 und 1366 ist ne-
ben achtmal sand Egidii tag funfzehnmal sand Giligentsand Gilgen tag be-
legt. Anders als bei den Datierungen nach dem Georgstag stehen sich hier die
unveränderte lateinische Form - mit lateinischer Deklination - und die volks-
tümliche Namenform gegenüber; es fehlt die vermittelnde teilintegrierte Form
des Heiligennamens. Im Übrigen erscheint Gylig als Taufname in Regensburg
erst ein knappes Jahrhundert nach seinem Auftreten als Urkundendatierung ab
1326 ^ nur in der integrierten Form Gylig/Gilg, einer romanisch-germanischen
Mischform, entstanden aus französisch Gilles mit germanischem -¿-Suffix.26 In-
wiefern für die Entstehung dieses Integrats die Homophonie mit dem mittel-
hochdeutschen Lehnwort gi/ge, gilg ,Lilie1 eine Rolle spielt, muss offen bleiben.
Die bisherigen Ausführungen zeigen also zweierlei: erstens, dass keines-
wegs immer an den verschiedenen Orten, an denen nichtgermanische Heili-
gennamen, also Xenonyme, als Rufnamen übernommen werden, diese auch
dort, ausgehend vom Ortsdialekt, spontan in diesen integriert werden, sondern
weitgehend bereits in integrierter Form übernommen werden, und zweitens,
dass mit verschiedenen Schichten von Integraten zu rechnen ist: Der Name
des Heiligen gehört selbst in der sprachlich integrierten Form immer noch
einer anderen, höheren Sphäre an als der Name eines Menschen. Damit mag
21 RUB I, Nr. 277, 1312, Dez. 4: der Jeorg Wilde.
22 Kohlheim 1977a, S. 60.
23 Haubrichs 1979, S. 85, Anm. 70.
24 Morlet 1997, S. 461, und Tanet/Horde 2000, S. 207, s.v. „Gilles“ schließen sich K.
Michaelsson an, der die Ableitung von lateinisch Eggius der von dem griechisch
nicht belegten Namen *Aigidios vorzog. Für die Gleichsetzung von französisch
Gilles mit dem seit dem 5. Jahrhundert nachgewiesenen spätlateinischen Namen
Aegidius (vgl. De Felice 1986, S. 137f., s.v. „Egidio“) spielen diese etymologischen
Erwägungen jedoch keine Rolle. Möglicherweise wurde Aegidius lediglich als latei-
nisches Äquivalent für einen Namen germanischer Herkunft wie Gillo (nachge-
wiesen bei Mestayer 1990, S. 164) genommen, ähnlich wie in Spanien lateinisch
Ignatius für baskisch Enneko.
25 RUB I, S. 734, 1326: umb Gyligen [...] chnecht.
26 Morlet 1997, S. 460, s.v. „Gilg".
612
es Zusammenhängen, dass z.B. Notker in seiner althochdeutschen Übersetzung
des lateinischen Prologs zu des Boethius De consolatione Philosophiae einge-
deutschte Formen für Orts-, Länder- und Völkernamen verwendet, nicht aber
für christliche Namen,27 und hierin findet wohl auch die besonders von Klaus
Walter Littger prononciert vorgetragene These, „daß die Wahl beliebter
[Fremd-] Namen mit dem Vorhandensein ähnlicher heimischer begründet
werden kann“,2* ihren tieferen Sinn. Erst langsam tritt im Fall von Georg eine
Angleichung auch bei den Urkundendatierungen an die volkstümliche Form
mit anlautendem J- ein.29
Noch deutlicher treten diese beiden Schichten integrierter Xenonyme bei
Matthias und Matthäus zutage. Matthias und Matthäus erscheinen in den Datie-
rungen deutschsprachiger Regensburger Urkunden in ihren jeweils leicht inte-
grierten Schreibungen säuberlich getrennt ab 130930 beziehungsweise 131431.
Ganz anders verhält es sich bei der Schreibung der entsprechenden Rufnamen
Regensburger Bürger, wofür die Patrizier Matthias oder Matthäus Reich, Vater
und Sohn, als Beispiel gelten können: Als Matheis wird ihr gemeinsamer Name
ab 134032 43-mal realisiert, als Mathias 14-mal und als Matheus 20-mal.33 Auch
die Frequenz der Allonome Mathias und Matheus bringt keine Lösung der
Frage, welches Nomem diesen Realisierungen zugrunde liegt: Unter Aus-
schaltung der Belege für die Kontamination Matheis überwiegen bis zum Jahr
1356 die Realisierungen Mathias, danach Matheus, doch bedeutet das nicht,
dass hier eine Form die andere ablöst: So erscheint z.B. Matheis Reich zwischen
1361 und 1363 der Reihe nach als Matheus (RUB II, 405), Matheis (RUB II,
410), Matheis (RUB II, 433), Mathyas (RUB II, 490), Matheus (RUB II, 501),
Matheus (RUB II, 506), Mathias (RUB II, 513) und nochmals Mathias (RUB II,
514).'4 Dass ein und derselbe Schreiber sehr wohl bei der Datierung nach dem
Tag des Heiligen die differenzierte, eindeutige Namenform verwendet, während
er im selben Dokument für eine zeitgenössische Person die Kontaminationsform
Matheis schreibt, zeigt ein Eintrag im so genannten „Wundenbuch“: МИГ° ccc
xlv au sand Mathias abeut in der vasten [...]: Matheisen ii Ib. [...].35
2> Sonderegger 1989, S. 84-86.
28 Littger 1975, S. 178.
24 RUB I, Nr. 485, 1325, April 26: nach sand Jo1rgen tag.
30 RUB I, Nr. 206, 1309, Febr. 24: an sant Mathias tag in der vasten.
31 RUB I, Nr. 298, 1314, Sept. 20: an sand Matheus abent.
3" RUB I, Nr, 902, 1340, März 16: Herman und Matheis di Reichen.
33 Kohlheim 1977a, S. 279.
34 Ebd.
35 RUB I, S. 755.
613
4. Ergebnisse
Dieser kurze Vergleich zwischen der Form des Heiligennamens in den Datie-
rungen Regensburger Urkunden und als Rufname realer Personen hat vorläu-
fig folgende Ergebnisse gebracht: Erstens: Die sprachliche Integration der
fremden Heiligennamen vollzieht sich nicht jeweils immer neu in den unter-
schiedlichen Regionen, sondern die Namen sind oft schon vor ihrer Annahme
als Rufnamen aus kultischen und anderen Texten in teil-integrierter Form be-
kannt, wobei die Integration, wie die Beispiele Georg und Aegidius zeigten,
unter Umständen in räumlich weiter Ferne hat stattfinden können. Auch Inte-
grale aus anderen Sprachen können aufgenommen werden. - Zweitens: Selbst
in der Spätzeit des Übemahmeprozesses zeigen die Differenzen zwischen dem
Namen in der Datierung und dem Namen als Personenname, dass der Name
des Heiligen immer noch einen anderen Status hat als der eines menschlichen
Wesens.
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Mit einem Überblick über die Vornamen im gleichen Zeitraum (Kieler Bei-
träge zur deutschen Sprachgeschichte 11), Neumünster 1988.
Summary
The Integration of non-Germanic Saints’ Names into the
Late Medieval German System of First Names
The integration of saints’ and biblical names into the German name system of
the Late Middle Ages took place on two levels: on the cultural-spiritual level
and on the linguistic level. The very length of time which was needed for the
successful integration of the foreign names into the German name system is a
clear indicator of the cultural and spiritual resistance which stood in the way
of a fast diffusion of these names, which, though they were mostly well-
known from liturgy and other, more popular usage, were hitherto not used as
given names.
The study of the integration of these names on the linguistic level leads to
two results: 1.: In many cases the linguistic integration did not take place in
the respective region, but in a linguistically different, sometimes far-away
area. 2.: Graphemic differences between names of saints in the date-lines of
medieval documents and names of real persons demonstrate that the name of a
saint still has another, higher status than the name of a human being.
616
Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung e.V.
Verzeichnis der lieferbaren Titel
I Hans-Walter HERRMANN, Geschichte der Grafschaft Saarwerden bis zum Jahre 1527,
1959; Darstellung vergriffen, Quellen in 3 Lieferungen, 1957-1962; erhältlich 2. u. 3.
Lieferung (S.257-676) zus. 4,00 €
3. Maria ZENNER, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920-
1935, 1966,434 S. 3,00 f
4. Eduard HLAW1TSCHKA, Die Anfänge des Hauses Habsburg-Lothringen. Genealogische
Untersuchungen zur Geschichte Lothringens und des Reiches im 9., 10. und 11. Jahrhundert,
1969, 209 S 3,00 f
5. Manfred POHL, Die Geschichte der Saarländischen Kreditbank Aktiengesellschaft, 1972,
146 S„ 14 Tab. 3.00 €
9. Marie-Luise HAUCK,Wolfgang LÄUFER, Epitaphienbuch von Henrich Dors. Genealogia
oder Stammregister der durchlauchtigen hoch- und wohlgeborenen Fürsten, Grafen und Her-
ren des Hauses Nassau samt Epitaphien durch Henrich Dorsen, 1983, 286 S. 6,00 €
10. Jürgen KARBACH, Die Bauernwirtschaften des Fürstentums Nassau-Saarbrücken im 18.
Jahrhundert, 1977, 255 S„ 7 Tab. 3,00 €
14. Heinrich KÜPPERS, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, 1984, 362 S. 4,00 €
15. Wolfgang HAUBRICHS, Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters. Philologische, onomas-
tische und chronologische Untersuchungen. 1986, 267 S. 3,00 €
16. Emst KLEIN, Geschichte der saarländischen Steinkohlengrube Sulzbach-Altenwald (1841-
1932), 1987, 146 S. 3,00 €
17. Thomas HERZIG, Geschichte der Elektrizitätsversorgung des Saarlandes unter bes. Berück-
sichtigung der Vereinigten Saar-Elektrizitäts-AG. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte des
Saarlandes, 1987, 414 S 3.00 €
18. Hans-Walter HERRMANN, Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende
(1871-1918), 1990, 184 S. 3.00€
19. Hans-Walter HERRMANN, Die alte Diözese Metz. L’ancien Diocèse de Metz, 1993, 320 S.
4.00 €
20. Stefan FLESCH, Die monastische Schriftkultur der Saargegend im Mittelalter, 1991, 239 S.
3.00 €
21. Rainer HUDEMANN, Rolf W'ITTENBROCK, Stadtentwicklung im deutsch-französisch-
luxemburgischen Grenzraum (19. u. 20. Jh.). Développement urbain dans la région fronta-
lière France-Allemagne-Luxembourg (XIXe et XXe siècles), 1991, 362 S. davon 36 S. Abb.
4.00 €
22. Wolfgang HAUBRICHS, Reinhard SCHNEIDER, Grenzen und Grenzregionen. Frontières
et régions frontalières. Borders and Border Regions, 1994, 283 S. 3,00 €
23. Stefan LEINER, Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegungen, räumlicher
und sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes 1856-1910, 1994,
283 S. 3,00 €
24. Wolfgang HAUBRICHS, Wolfgang LÄUFER u. Reinhard SCHNEIDER, Zwischen Saar
und Mosel. Festschrift für Hans-Walter Herrmann zum 65. Geburtstag, 1995, 526 S. ¡0,00 €
25. Dieter MUSKALLA, NS-Politik an der Saar unter Josef Bürckel. Gleichschaltung -
Neuordnung - Verwaltung, 1995, 714 S 5,00 €
27. Thomas TRAPP, Die Zisterzienserabtei Weiler-Bettnach (Villers-Bettnach) im Hoch- und
Spätmittelaltcr, 1996, 409 S. 4,00 €
28. Hans-Christian HERRMANN, Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft.
Sozialpolitik und Gewerkschaften im Saarland 1945 bis 1955, 1996, 584 S. 4,00 €
29. Roland MARTI, Sprachenpolitik in Grenzregionen. Politique linguistique dans les régions
frontalières. Language Policy in Border Régions. Polityka jçzykowa na pograniczach, 1996,
371 S. 3,00 €
30. Jean-Marie Y ANTE, Le péage lorrain de Sierek-sur-Moselle (1424-1549). Analyse et
éditions des comptes, 1996, 371 S 3,00 €
31. Frank LEGL, Studien zur Geschichte der Grafen von Dagsburg-Egisheim, 1998, 699 S. 8,00 €
32. Klaus RIES, Obrigkeit und Untertanen. Stadt- und Landprosteste in Nassau-Saarbrücken im
Zeitalter des Reformabsoiutismus, 1997, 492 S. 8,00 €
33. Reinhard SCHNEIDER, Grenzgänger, 1998, 225 S. 4,00 f
34. Zwischen Deutschland und Frankreich. Elisabeth von Lothringen, Gräfin von Nassau-
Saarbrücken, hrsg. von Wolfgang HAUBR1CHS und Hans-Walter HERRMANN unter
Mitarbeit von Gerhard Sauder, 2002, 702 S., Format 4°, über 70 teils farbige Abb. 56.00 €
35. Roland MARTI, Grenzkultur - Mischkultur?, 2000, 397 S. 4,00 €
36. Marcus HAHN, Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956-1970. Regionale Politik
zwischen Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland und Kohlekrise, 2003, 477 S.
15.00 €
37. Hans-Walter HERRMANN, Rainer HUDEMANN und Eva KELL unter Mitarbeit von
Alexander König, Forschungsaufgabe Industriekultur. Die Saarregion im Vergleich, 2004,
409 S. 12,00 €
38. Hans-Henning KRÄMER, 75 Jahre Saar Ferngas AG. Zur Geschichte der saarländischen
Gasversorgung, 2004, 536 S. 5,00 €
39. Wolfgang FREUND, Volk, Reich und Westgrenze. Deutschtumswissenschaften und Politik
in der Pfalz, im Saarland und im annektierten Lothringen 1925-1945, 2006, 552 S. 30,00 €
40. Frank G. BECKER. „Deutsch die Saar, immerdar!“. Die Saarpropaganda des Bundes der
Saarvereine 1919-1935,2007,501 S. 29,00€
41. Rainer HUDEMANN, Armin HE1NEN in Zusammenarbeit mit Johannes Großmann u.
Marcus Hahn, Das Saarland zwischen Frankreich, Deutschand und Europa 1945-1957. Ein
Quellen- und Arbeitsbuch mit CD-ROM zum Abstimmungskampf 1955 von Susanne
DENGEL, 2007, XII u. 678 S. 29,00 €
42. Ruth KUNZ, Maria VÖLLONO, ,Nordwörter1 und ,Südwörter1 im Saar-Mosel-Raum. Alte
Wortschichten in Toponymen eines exemplarischen interferenzraumes, 2009, 551 S.
29.00 €
43. Wolfgang HAUBRICHS, Heinrich TIEFENBACH (Hg.), Interferenz-Onomastik. Namen in
Grenz- und Begegnungsräumen in Geschichte und Gegenwart. Saarbrücker Kolloquium des
Arbeitskreises für Namenforschung vom 5.-7. Oktober 2006, 2010, 620 S. 29,00 €
Bestellungen richten Sie bitte an:
Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung e.V.
Dudweilerstr. 1 (Landesarchiv),
66133 Saarbrücken-Scheidt
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Internet: www.kommission.saarland.de