Christa Jochum-Godglück
,Woir und ,Bär‘ in germanischer und romanischer
Personennamengebung
Das hier behandelte Thema gehört in den Rahmen des Forschungsprojektes
,Onomastik und Akkulturation‘, das an der Universität des Saarlandes unter
der Leitung von Wolfgang Haubrichs betrieben wird. Der präzisierende
Untertitel des Projekts steckt bereits die Aufgabenstellung sowie Unter¬
suchungsräume und Zeitstellung ab: ,Die Entwicklung der Namengebung,
ihrer Semantik und Motivation in der Begegnung von Christentum, Imperium
und barbarischen gentes zwischen Spätantike und frühem Mittelalter1.1
Das Projekt nimmt seinen Ausgangspunkt bei einer historischen Merkwür¬
digkeit: Anders als in fast allen kulturellen Bereichen, in denen sich im Verlauf
von Spätantike und frühem Mittelalter in großen Teilen des römischen
Imperiums auch römisch-lateinische Traditionen durchsetzen konnten,2 3 ist dies
gerade für den Bereich der Namengebung nicht der Fall. Die römische
Namengebung hatte sich - abweichend von den benachbarten indogerma¬
nischen Namensystemen - zu einem dreigliedrigen Namenformular mit dem
Familiennamen als Kern, vorangestelltem Praenomen mit Differenzierungs¬
funktion innerhalb der Familie und nachgestelltem Cognomen, zumeist einem
persönlichen Beinamen, hin entwickelt (z.B. Publius Cornelius Scipio). In der
Kaiserzeit löste sich das System der tria nomina aus einer Vielzahl von Gründen
allmählich auf: Als erstes geriet das Praenomen außer Gebrauch, dann das
Gentilizium. Funktionale Konkurrenz hatte das verbleibende Cognomen mit
dem ab dem 2. nachchristlichen Jahrhundert aufkommenden Supemomen oder
Signum erhalten, das mit einer qui/quae e/-Formel ,der/die auch [...] heißt4
(bzw. signo ... ,mit Signum ...‘) dem alten Namen folgte und dann zunehmend
an dessen Stelle trat. ' Mit dem Wiedererreichen der archaischen Einnamigkeit
etwa in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts war auch der Gleichstand mit dem
germanischen und mit anderen aus römischer Perspektive barbarischen Namen-
1 Das Projekt ist Teil des DFG-Schwerpunktprogramms 1173 ,Integration und
Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter4. - Abkürzungen: Adj. =
Adjektiv; ae. = altenglisch; ahd. = althochdeutsch; anord. = altnordisch; F. =
Femininum; germ. = germanisch; lat. = lateinisch; M. = maskulinum; N. =
Neutrum.
2 Vgl. z.B. für die Bereiche Recht, Religion, Technik überblickshaft Melville/Staub
2008, passim.
3 Zum römischen Namensystem vgl. aus philologischer Perspektive Kajanto 1977;
Rix 1972; Rix 1995; Salomies 1987; Solin 1977; Solin 2002; Solin 2003, aus
historischer Sicht Doer 1937, S. 7ff.; Mitterauer 1993, S. 30fF.; Castritius 1997; eine
knappe Darstellung auch bei Jochum-Godglück/Schorr 2008, S. 378f.
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