Deutschland eingeführt wird.25 Im Bessemer-Konverter lässt sich in 10 bis
20 Minuten die gleiche Menge Roheisen entkohlen, für die man im Puddel-
verfahren 24 Stunden braucht. Dieses Verfahren ermöglicht erst die Massenstahl-
Erzeugung. Allerdings lässt sich mittels dieses Verfahrens nur weit gehend
phosphorfreies Roheisen zu Stahl Verblasen. Daher kommt Minette-Roheisen,
aber auch Roheisen aus Lahn-Dill-Erzen und aus fast allen anderen deutschen
Erzen, für die Stahl-Erblasung im Bessemer-Konverter nicht in Frage.
Bessemer-Stahl ist härter und belastbarer als Puddelschmiedeeisen und kann
daher insbesondere die "weiche Schiene" aus Schmiedeeisen bis 1870 aus dem
deutschen Markt verdrängen.26 29 Der technologischen Überlegenheit des
Bessemer-Verfahrens steht allerdings entgegen, dass Bessemer-Roheisen wegen
der hohen Aufwendungen für Importerze nur zu deutlich höheren Kosten als
Puddelroheisen produziert werden kann.2 Für die Eisenhüttenindustrie an der
Saar ist durch die Einführung dieses Verfahrens ein gravierender Standortnach¬
teil gegenüber der Industrie an der Ruhr zunächst nicht entstanden, obwohl sich
letztere seit 1870 auf Grund ihrer Lage an leistungsfähigen Wasserstraßen relativ
günstig mit phosphorfreiem spanischen Erz und Roheisen versorgen kann.2*
Die für die saarländische Eisen schaffende Industrie entscheidende Erfindung ist
das Thomas-Verfahren zur Stahlerzeugung, das 1878 in England patentiert wird.
Im Thomas-Konverter kann phosphorhaltiges Roheisen verarbeitet werden. Die
Qualität ist der des Bessemer-Stahls ähnlich. Damit gewinnt die Minette schlag¬
artig einen enormen Wertzuwachs.
Bereits 1879 wird an der Ruhr der erste Thomas-Stahl erblasen. Die aus ihm
hergestellten Schienen sind von hervorragender Qualität. Da der Thomas-Stahl
etwas weicher als Bessemer-Stahl ist, kann er in Produktionsbereiche vorstoßen,
für die letzterer wenig geeignet ist, z.B. in die Blech- und Drahtfabrikation.
Zudem kann Thomas-Stahl merklich billiger als Bessemer-Stahl erzeugt werden,
da phosphorhaltige Erze auf dem mitteleuropäischen Markt billiger als phos¬
phorarme angeboten werden und daher auch das entsprechende Roheisen zu
einem geringeren Preis erschmolzen werden kann.2" Es erfolgt daher an Rhein
und Ruhr eine sehr schnelle Umstellung auf das neue Verfahren, wobei für die
dortige Hüttenindustrie zunächst die lothringische Minette so gut wie keine
Rolle spielt, da sie so stark mit Frachtkosten belastet ist, dass an der Ruhr
erzeugtes Minette-Roheisen teurer wäre als Bessemer-Roheisen aus spanischen
25 Martin (Anm. 5), S. 82-85.
26 Döring (Anm. 1), S. 51 -52.
27 Martin (Anm. 5), S. 85; Döring (Anm. 1), S. 103 nennt einen Beispielbetrieb, bei dem
1878 die Selbstkosten für Bessemer-Roheisen um 50% höher liegen als die für Puddelroh¬
eisen.
28 Döring (Anm. 1), S. 51-52.
29 Martin (Anm. 5), S. 87.
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