Die Szene spielt in einem Innenraum. Der Rest einer Bogenöffnung, ohne die sonst übli¬
chen Stützen, ist ein Nachhall der traditionellen Form der Innenraumdarstellung mittels
eines Einblicks durch eine Außenarchitektur — eine Bildformel, die der Maler häufig ver¬
wendet. Die Dimensionen des wenig tiefen Zimmers lassen sich am Raster des Kachelbo¬
dens ablesen. Die Kacheln sind ungefähr in Zentralperspektive verkürzt. Ganz anders da¬
gegen das Fußbodenmuster in dem Gang links, der durch eine Türöffnung sichtbar wird:
Die stark nach oben gekippte Fluchtung der Fliesen ist von perspektivischer Konstruktion
weit entfernt und steht in Widerspruch zur Konstruktion des Hauptraumes. Die Fliesen
wirken hier eher wie ein Flächenornament und nehmen auf formaler Ebene die motivi¬
sche Öffnung der Tür wieder zurück.
Nicht nur die Gestaltung des Innenraumes verleiht der Szene eine geschlossene Wirkung.
Auch die Figurenkomposition folgt einer entsprechend strengen Organisation mit sym-
metrisierenden Tendenzen um die Mittelachse. So entspricht Lewes lang ausgestrecktes
Bein dem hinteren Rocksaum Flories. Beide Schrägen werden in den Röcken der jeweili¬
gen Begleitfiguren, Lewes Mutter links und einer Hofdame rechts, wiederholt. Sie verstär¬
ken die Dreiecksform, die die beiden zentralen Figuren umschließt und einander zuord¬
net. Auch in anderen Bereichen wird diese Zuordnung zum Ausdruck gebracht, so bei¬
spielsweise in der Ähnlichkeit der Köpfe mit den Kronen, die auf gleiche Höhe gebracht
sind. Selbst die Fenster an der Rückwand des Zimmers unterstützen die Zusammenord¬
nung, indem sie Lewe und Florie von den seitlichen Gruppen abtrennen und gleichzeitig
den freien Raum zwischen ihnen als ihren Handlungsraum definieren. Diese formale Ges¬
taltung bildet das Gerüst für die motivische Annäherung, die sich im Aufsetzen der Krone
und in der Hand zeigt, die Florie in Lewes gelegt hat. Auf diese Geste scheint Lewe mit
seiner freien rechten Hand nochmals hinzuweisen, ebenso der König links hinter ihm.
Lewes Körperhaltung impliziert insgesamt eine Bewegung zu Florie hin, vor allem durch
die weit ausgreifende Schrittstellung und den ihr zugeneigten Oberkörper. Die Dynamik
dieser Figur wird durch die auffallende Farbgebung des Gewandes mit der vierteiligen
Streifenfolge in Rot-Weiß-Grün-Ocker zusätzlich gesteigert. Neben Florie, die ihm die
Krone aufgesetzt hat, ist er damit als wesentlicher Träger der Handlung ausgezeichnet.
Für die Wichtigkeit der anderen Figuren im Erzählzusammenhang gibt es motivische und
formale Hinweise: Die Hauptfiguren tragen aufwendig gemusterte Kleidung. Außerdem
verfügen sie im Vergleich zu der gedrängten Gruppe der Hofdamen rechts über mehr
Handlungsfreiraum. Die Hofdamen raffen in höfischer Haltung ihren Rock in Hüfthöhe.
Formal verketten sich ihre Unterarme zu einer Reihe, die in Flories Unterarm endet und
die Geste der ineinander gelegten Hände unterstreicht. Die Gruppe der Hofdamen nimmt
nicht aktiv an der Gestik der Hauptfiguren teil, sondern sie bereitet sie formal vor und
verstärkt sie in ihrer Wirkung. Während auch der Zeigegestus des Königs eine Verstär¬
kung von Lewes weisender Hand ist, erweisen sich die redenden Hände der Herzogin als
eigenständig. Dies liegt durchaus im Sinne der Bilderzählung, denn sie stellt die für den
Fortgang der Handlung entscheidende Frage nach Lewes Herkunft, die im nächsten Bild
zum Wiedererkennen des verlorenen Sohnes führt. Bereits hier wird aber auf formaler
Ebene schon eine besondere Beziehung zwischen Lewe und der Herzogin angedeutet:
Lewes zurückgesetztes Bein setzt dicht vor ihrem Rock an und gleicht sich ihm unten im
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