„IR HERREN MACHENT FRIDEN“
Gewaltdarstellung und Konfliktebewältigungsstrategien
in den Saarbrücker Chanson de Geste-Bearbeitungen
Bernd Bastert
Seit Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wurden die Elisabeth von Nas¬
sau-Saarbrücken zugeschriebenen Chanson de geste-Bearbeitungen ‘Herpin’, ‘SibiHe’,
‘Loher und Maller’ und ‘Huge Scheppel’1 meist unter dem Deutungsmuster des Übergangs
bzw. der Überschneidung interpretiert. Als Überschneidungsphänomen gilt dabei z.B. die
Tatsache, daß ein genuin französischer Stoff von einer in Frankreich geborenen, durch
französische Sprache und Literatur geprägten Fürstin, die durch ihre Heirat mit dem Gra¬
fen von Nassau-Saarbrücken später nach Deutschland gelangte, einem deutschsprachigen
Publikum vermittelt wurde. Verschiedendich hingewiesen wurde auch auf die ambivalente
Form dieser Übersetzungen: ursprünglich mündlich tradierte bzw. Oralität suggerierende
Reimvorlagen wurden in die moderne Prosaform umgesetzt, wobei die alten, einen münd¬
lichen Vortrag anzeigenden Formeln, wie z.B. die Eingangssentenz, größtenteils jedoch
beibehalten wurden. Am nachhaldgsten hat auf die Interpreten der Saarbrücker Prosahis¬
torien aber zweifellos die Vorstellung des Epochenumschwungs vom Mittelalter zur Neu¬
zeit gewirkt, der in den Texten auf unterschiedliche Art nachzuweisen versucht wurde. Als
symptomadsch für den ‘Herpin’, ‘Sibille’, ‘Loher und Maller’ und ‘Huge Scheppel’
manchmal zugesprochenen unentschiedenen Aggregatszustand zwischen ausgehendem
Mittelalter und beginnender Neuzeit kann vielleicht schon das Faktum bezeichnet wer¬
den, daß sie in älteren Arbeiten eher als literarischer Ausfluß politischer und kultureller
Entwicklungen verstanden werden, die ins Mittelalter zurückweisen, während in jüngeren
1 Zitiert wird nach folgenden Handschriften, Drucken und (Mikrofiche-) Editionen: Historie von Herzog
Herpin. Übertragen aus dem Französischen von Elisabeth von Nassau-Saarbrücken. Farbmikrofiche-
Edition. Literarhistorische Einführung und Beschreibung der Handschrift von Ute von Bloh. München
1990 (Codices illuminati medii aevi 17); Huge Scheppel/Königin Sibille. Übertragen aus dem Französischen
von Elisabeth von Nassau-Saarbrücken. Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 12 in scrinio.
Farbmikrofiche-Edition. Einführung zum Text und Beschreibung der Handschrift von Jan-Dirk Müller.
München 1993 (Codices illuminati medii aevi 26); vgl. auch Der Roman von der Königin Sibille in drei Prosafas¬
sungen des 14. und 15. Jahrhunderts. Mit Benutzung der nachgelassenen Materialien von Fritz Burg heraus¬
gegeben von Hermann Tiemann. Hamburg 1977 (Veröffentlichungen aus der Staats- und Universitäts¬
bibliothek Hamburg 10), S. 117-173; Hoher und Maller. Übertragen aus dem Französischen von Elisabeth
von Nassau-Saarbrücken. Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek, Cod. 11 und 11a in scrinio.
Farbmikrofiche-Edition. Literar- und kunsthistorische Einführung und kodikologische Beschreibung
von Ute von Bloh. München 1995 (Codices illuminati medii aevi 35); für einige Passagen wurde die Pra¬
ger Handschrift des Hoher und Maller (Närodni Muzeum, Cod. I.a.3) herangezogen (ich danke Ute von
Bloh für die Erlaubnis, eine Mikroverfilmung dieser Hs. einsehen zu dürfen); Der Huge Scheppel derBlisa-
beth von Nassau-Saarbrücken. Nach der Handschrift der Hamburger Stadtbibliothek mit einer Einleitung
von Hermann Urtel. Hamburg 1905 (Veröffentlichungen aus der Hamburger Stadtbibliothek 1); für ei¬
nige Passagen herangezogen ist der Erstdruck von 1500 in folgender Ausgabe: Rornane des 15. und 16.
Jahrhunderts. Nach den Erstdrucken mit sämtlichen Holzschnitten hrsg. von Jan-Dirk Müller, Frank¬
furt/M. 1990 (Bibliothek der frühen Neuzeit 1), S. 179-339.
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