tionell zu bezeichnende Generation der Jahrgänge bis ca. 1930 alltagsbestimmend10 11.
Die kulturelle Beharrungstendenz des Kirchspiels stellt eine regionale Ausnahme in
der Heideregion dar: Benachbarte Trachtengebiete, die sich bereits von der Tracht
gelöst hatten, „sahen mit Spott auf die Schleifer herab“1 Ein Grund für dieses Phä¬
nomen kann in dem ‘SchutzwalT gesehen werden, der durch die kontinuierliche, bis
in die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur andauernde Besetzung der Pfarrstelle
mit sorbischen Geistlichen entstand, die als sorbische „Patrioten“ wirkten12. Träger
einer als sorbisch verstandenen Lebensweise sind vor allem die Frauen: Sie stellen
die Garanten der dörflichen Trachten- und Brauchgemeinschaft dar und sind haupt¬
sächlich für die Subsistenzwirtschaft verantwortlich. Den Männern hingegen obliegt
die Vervollständigung des ökonomischen Bedarfs durch Lohnarbeit in der entweder
gräflich-dörflichen Kleinindustrie bzw. dominant in der seit der Jahrhundertwende
erstarkenden Industrie der nahen Stadt Weißwasser, die 1920 zu den weltweit führen¬
den Glasproduzenten gehört13. Mit dieser Arbeitsteilung ist die Partizipation an zwei
Arbeits- und Lebenswelten verbunden: Die Lebenswelt der Frauen ist die der sor¬
bischsprachigen und bäuerlich orientierten Innenwelt des Dorfes, die der Männer die
deutschsprachige Außenwelt der Industrie. Die Männer pendeln zwischen diesen
beiden Welten, sie sind Grenzgänger zwischen einer deutschen Arbeits- und Lebens¬
welt, in der Sorbisches als Differenz problematisch wird: „Ihr wendschen Hunde“
lautet eine typische in der Außenwelt erfahrene Diskriminierungsformel. Die Diskri¬
minierungserfahrungen der Frauen in der nationalsozialistisch geprägten Schulzeit,
in der sie vom Lehrer die sorbischen Hauben heruntergerissen bekommen14 bzw. der
10 Zur Generationsentwicklung bis heute vgl. Cordula Ratajczak, Generationen antworten.
Der Wandel von Lebensstrategien in der Generationenfolge als Reaktion auf den Umbau
einer Lebenswelt, in: Skizzen aus der Lausitz, (alltag & kultur 3), hrsg. v. Institut für Euro¬
päische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin & Sorbisches Institut/Serbski insti-
tut Bautzen, Köln u.a. 1997, S. 23-52.
11 Albrecht Lange, Die ‘halbdeutsche’ Tracht in Schleife, in: Lötopis C 19, Bautzen 1976, S.
108.
12 Vgl. Helmut Faßke, Der Schleifer Dialekt - eine lebendige Existenzform der sorbischen
Sprache, in: Zur Wortfolklore der Schleifer Region, Folklore der Schleifer Region Heft 4,
hg. vom Haus für sorbische Volkskultur - Sorbisches Folklorezentrum Bautzen o. J., S. 32f.
13 Vgl. Albrecht Lange, Der Wandel der Volkstracht um Muskau im Rahmen der kapitalisti¬
schen Entwicklung des Dorfes, in: Lötopis C 23, Bautzen 1980, S. 9-17; Eberhard Blu-
me/Hanspeter Gmers/Lutz Stuck, Zur wirtschaftlichen Entwicklung des Kreises Weißwas-
ser/OL in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Heimatkundliche Beiträge für den Kreis
Weißwasser/OL Heft 7, Weißwasser 1991.
14 Ein Angehöriger des Jahrgangs 1928 verknüpft die Erfahrung des Hauben-Herunterreißens
bei seinen Mitschülerinnen während seiner Schulzeit kausal mit nationalsozialistischer an¬
tisorbischer Politik: „Ich wollte gerade sagen, ich bin ja bei den Nazis gegangen, da war das
Sorbentum verboten. Unterbunden, nicht, unterbunden, wie muß ich sagen. Z.B hat der
Lehrer Ulmann bei uns die Hauben runtergerissen, weil die unten drunter angeblich nicht
gewaschen waren.“ Auch Karin Bott-Bodenhausen erwähnt in ihrer Oral-History-Studie
über Sprachverfolgung in der NS-Zeit bei den Sorben eine ähnliche Geschichte einer Ange¬
hörigen des Jahrgangs 1935 im gleichen Kirchspiel über einen Lehrer, der das Herunterrei¬
ßen der Haube als Strafe für nicht genügende Schulleistungen einsetzt: „Und wehe, ich
137