Dimanche”: Mythologeme des elsässischen Autostereotyps der “petite patrie alsaci¬
enne” - wie Kirchturm, Fachwerkhäuser, Kopfhäubchen, Maibaum beziehungsweise
Freiheitsbaum und Girlandenschmuck -, zu deren publizistischer und bildlicher Ver¬
breitung Jean-Jacques Waltz entscheidend beitrug, verbinden sich hier mit patrioti¬
schen Loyalitätsbekundungen für die “Grande patrie” Frankreich. So wird beispiels¬
weise auf einer Abbildung im Kapitel “L’Alsace Heureuse”, das die Zeit zwischen
1815 und 1870 schildert, die Darstellung des Empfangs König Karls X. (1825-30) in
einem Dorf des Niederelsaß gezeigt, eine visuelle Darstellung der Identifikation der
elsässischen Dorfgemeinschaft mit der politischen Zentralmacht (Abbildung n°3),
die im Begleittext in geradezu überschwenglicher Weise idealisiert und als symboli¬
sche Verkörperung der ‘guten, alten Zeit’ gesehen wird18.
III Symbolische Grenzziehungen: Dichotomien und Stereotypisierungen
Der vor allem als Kinder- und Jugendbuch konzipierte, bebilderte Band Mon village.
Ceux qui n 'oublientpas aus dem Jahre 1913 stellt ein anderes charakteristisches Bei¬
spiel für die Verbindung von pittoresker Folklore und politischem Diskurs bei Jean-
Jacques Waltz, insbesondere in seinen vor 1918 erschienenen Werken, dar. Die
Struktur des Buches, das 16 Einzelkapitel zu Themen wie “L’Ecole”, “Le 14 Juillet”,
“Fêtes Patronales”, “Fête de l’Empereur”, “Touristes” und “Arbre de la Liberté” ent¬
hält, wird beherrscht von dem grundlegenden Gegensatz zwischen Eigenem und
Fremdem, zwischen einer als intakt und homogen beschriebenen elsässischen Dorf¬
gemeinschaft und ihrer Infragestellung und Bedrohung durch die deutschen Ein¬
dringlinge: Touristen, Verwaltungsbeamte, Gendarmen und Lehrer. Diese grundle¬
gende dichotomische Struktur durchzieht alle dargestellten Wirklichkeitsbereiche:
so etwa den Gegensatz zwischen dem mit Enthusiasmus gefeierten Fest des 14. Juli
und den inszenierten, aufgezwungenen Feierlichkeiten zu Kaisers Geburtstag; die
Opposition zwischen dem in Pension geschickten alten französischen und dem neuen
deutschen Volksschullehrer, der mit stereotypen Darstellungsregistem als streng und
hochmütig beschrieben wird, “un monsieur hautain et dur, avec un faux-col en caout¬
chouc et un veston de drap vert.”19; und schließlich der polarisierte Gegensatz zwi¬
schen deutschen und französischen Touristen, die der Erzähler zum Anlaß nimmt,
nicht nur stereotype Werturteile über das Benehmen der Touristen von jenseits des
Rheins zu fällen20, sondern auch die instinktiv-emotionale Sympathie der Elsässer
für die über die Grenze gekommenen französischen Touristen zu betonen: ’’Les petits
Alsaciens aiment les Français d’instinct, presque sans les connaître", heißt es im
18 [Waltz] (wie Anm. 15), hier S. 86: “Ajoutez à cela un gouvernement qui nous laissait vivre
en paix, un temps favorable aux bonnes récoltes, des vendanges miraculeuses [...] et vous
ne serez pas surpris si les Alsaciens qui ont connu ce temps-là ne peuvent vous en parler
qu’avec des larmes dans les yeux.”
19 [Jacques Waltz], Mon village. Ceux qui n’oublient pas. Images et commentaires par l’oncle
Hansi. Pour les petits enfants de France, Paris, 1913, 35 S., ND Paris 1976, S. 6.
20 Vgl. [Waltz] (wie Anm. 15) S. 16: “Souvent on voit passer des touristes étrangers, de l’autre
rive du Rhin. [...]. Ils traversent le village avec ce pas arrogant, de cet air dédaigneux et hau¬
tain que prennent les parvenus pour faire oublier d’où ils sortent. [...].
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