zehnte vor dem Ersten Weltkrieg, bildeten die deutsche Annexion Elsaß-Lothringens
und das eigene Grenzgängertum zwischen Deutschland und Frankreich die beiden
prägenden biographischen und historischen Erfahrungshorizonte. 1873 in Colmar als
Sohn eines Bibliothekars und Museumskonservators geboren, besuchte er zunächst
das deutsche Gymnasium in Colmar und anschließend die Ecole des Beaux-Arts in
Lyon, mit einer Spezialisierung im Bereich des technischen Zeichnens. 1896 nach
dreijährigem Studium ins Elsaß zurückgekehrt, war er anfangs als technischer Zeich¬
ner und Designer tätig, unter anderem in dem Textilbetrieb Hertzog in Logelbach im
Oberelsaß, schuf sich jedoch allmählich eine eigene, unabhängige Existenz, indem er
in Colmar eine Zeichen- und Malschule eröffnete, Postkarten und Werbeplakate ent¬
warf und druckte, die Illustrationen für die Chronik eines Colmarer Kaufhauses
zeichnete und um die Jahrhundertwende auch seine ersten publizistischen Werke zu
veröffentlichen begann: Zeichnungen für die ersten Jahrgänge der Revue Alsacienne
Illustrée; sowie die noch ganz auf pittoreske Landschaftsmotive ausgerichteten Bild¬
bände Vogesenbilder und Tours et Portes d’Alsace. Erst die aggressivere - oder als
aggressiver empfundene - Kulturpolitik des Deutschen Reiches im Elsaß Ende der
90er Jahre bildeten für Jean-Jacques Waltz den Auslöser, seiner Aktivität als Zeich¬
ner und Publizist eine dezidiert politische Richtung zu geben. Hierzu zählte etwa die
in der elsässischen Öffentlichkeit sehr kontrovers - und überwiegend mit Ablehnung
- diskutierte historistische Restaurierung der Hochkönigsburg, deren feierliche Er¬
öffnung im Jahre 1908 Waltz zum Anlaß für eine Serie ironischer Karikaturen nahm,
die er in der zweiten, deutlich politisch geprägten Serie seiner Vogesenbilder veröf¬
fentlichte. Zwischen 1900 und 1914 folgte eine Serie weiterer, bebilderter, von Waltz
selbst illustrierter Bände, die sich vor allem zwei Themenbereichen zuordnen lassen:
zum einen dem Bereich politischer und sozialer Karikatur. Zu ihm gehören vor allem
die zunächst in deutscher und dann, ab 1912, in französischer Sprache publizierten
Bücher Die Westmarken, Alldeutsche Bilder und Blätter von Hansi, dem Alldeut¬
schen (1912) und Professor Knatschke. Des großen deutschen Gelehrten und seiner
Tochter ausgewählte Schriften (1908). Das letztgenannte Werk stellt eine beißend¬
satirische Auseinandersetzung mit der Person des Gymasiallehrers Karl Gneisse, sei¬
nes ehemaligen Geschichtslehrers und Direktors am Gymnasium in Colmar dar, die
in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg rasch zu einem Bestseller avancierte und bereits
1910 eine Verkaufsauflage von über 10.000 Exemplaren erreichte3.
Der zweite Tätigkeitsbereich des Jean-Jacques Waltz betraf die Popularisierung ei¬
ner spezifischen, patriotisch geprägten Form der elsässischen Geschichte, die sich in
seiner Histoire d’Alsace, racontée aux petits enfants von 1912 sowie in den gleich¬
falls mit zahlreichen Zeichnungen aus der Feder von Waltz versehenen Bildbänden
Mon Village (Ceux qui n ’oublient pas) von 1913 und Le Paradis tricolore. Petites
villes et villages d'AIsace déjà délivrée von 1918 artikulierte. Nicht zuletzt seine Ver¬
urteilung durch deutsche Gerichte, die ihn wegen staatsfeindlicher Äußerungen in
den drei letztgenannten Werken zwischen 1908 und 1914 mehrfach zu empfindli¬
chen Geld- und Gefängnisstrafen verurteilten - dem letzten Gerichtsurteil durch ein
Leipziger Gericht im Jahre 1914 zu einem Jahr Gefängnis entzog er sich durch die
3 Frédéric Waltz, Bibliographie des œuvres, in: Saisons d’Alsace 1 (1952), Hommage à
Hansi, Jean-Jacques Waltz, 1873-1951, S. 85-87, hier S. 86.
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