Das schwierige Erbe des Grenzgängers Langen
Langen führte seinen Verlag auf sehr autonome Weise, so daß zu seinen Lebzeiten
viel von seinem Grenzgängertum im Buchverlag und in den Zeitschriften Nieder¬
schlag fand. Dieser persönliche Führungsstil war nur möglich, weil Langen, was
schon um die Jahrhundertwende bei den sogenannten ‘IndividualVerlegern’ selten
war, ohne fremdes Kapital arbeitete. Neben seinen Einkünften aus dem Verlag ver¬
fügte er über Einkommensquellen aus dem Familienbesitz und setzte ähnlich wie die
Mitglieder seiner Industriellenfamilie nicht auf ein Pferd, sondern investierte in ver¬
schiedene Unternehmungen. Die finanzielle Unabhängigkeit erlaubte es ihm, Auto¬
ren zu fördern, die sich nicht gleich durchsetzten, Zeitschriften wie den Simplicissi¬
mus und später den März, die beide zunächst defizitär arbeiteten, über Durststrecken
hinweg zu halten. Sie garantierte ihm als Zeitschriftenherausgeber darüber hinaus
weitgehend politische Freiheit, sieht man von den Einschränkungen ab, die der An¬
zeigenteil ihm auferlegte. Auf alle Fälle besaß Langen als Buch- und Zeitschriften-
verleger erheblich mehr Spielraum als die stark von politischen und wirtschaftlichen
Mächtegmppen abhängige Massenpresse des Wilhelminischen Deutschland. Das än¬
derte sich nach seinem Tod.
Als Albert Langen völlig unerwartet kurz vor Vollendung seines 40. Lebensjahres
starb, waren seine beiden Söhne noch Kinder, die nach der Trennung Langens von
Dagny Bjömson in Paris geblieben waren. In seinem Testament setzte der Verleger
ein Kuratorium von vier langjährigen Mitarbeitern ein, das den Verlag treuhände¬
risch verwalten sollte.17 Die Kuratoren sahen sich aber von Anfang an mit finanziel¬
len Schwierigkeiten konfrontiert, die ihren Freiraum stark einschränkten. So verlor
der Verlag bald nach dem Tod des Gründers sein europäisches Profil. Während des
Ersten Weltkrieges machte er, wie die meisten bürgerlichen Verlage, den patrioti¬
schen Kurswechsel mit und stieg ohne Zögern auf Kriegsliteratur um. Es wurde sogar
eine eigene Reihe mit dem Titel “Langens Kriegsbücher” lanciert. In der Weimarer
Republik erwies sich die von Langen gewünschte Offenheit des Verlages für ver¬
schiedene parallel laufende Literaturströmungen als problematisch, denn sie führte
dazu, daß Werke kulturpolitisch extremer Positionen auf dem Programm standen, auf
der einen Seite beispielsweise Hans Grimms Volk ohne Raum, auf der anderen die
Reihe der avantgardistischen Bauhausbücher.18 Wegen wachsender finanzieller
Schwierigkeiten ging der Verlag 1931 mit dem Georg-Müller-Verlag, der seit 1928
vom “Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband”, einer rechtsnationalen An¬
17 Dem Kuratorium gehörten Korfiz Holm, Dr. Reinhold Geheeb und die Prokuristen Otto
Friedrich und August Gommel an. Die Kuratoren beteiligten sich mit Eigenkapital am Ver¬
lag und wurden zu stillen Teilhabern. Als Langens Söhne kein Interesse am Verlag zeigten,
wurde dieser nach langwierigen Verhandlungen mit der Erbengemeinschaft am 6. Juli 1918
an die Kuratoren verkauft.
18 Zu Recht bemerkt Andreas Meyer, daß sich kulturpolitisch extreme Positionen in der Wei¬
marer Republik auch bei anderen Verlagen beobachten lassen und bis zu einem gewissen
Grad sogar als zeittypisch anzusehen sind. Andreas Meyer, Der Verleger des ‘Simplicis¬
simus’ und seine Nachfolger. Zur Geschichte des Albert Langen Verlags von 1909-1931.
In: Buchhandelsgeschichte, 1988/3, S. 81.
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