Die unterschiedliche Behandlung der Ladiner je nach Provinzzugehörigkeit hat
dazu geführt, daß das ursprüngliche Ziel des friedlichen Nebeneinanders der
verschiedenen Volksgruppen Deutsche-Italiener-Ladiner nicht im gewünschten
Maße erreicht werden konnte.
Wenn man nun die optimistisch stimmenden Abstimmungszahlen der Ladiner
analysiert, so muß man leider feststellen, daß die Zunahme von 14 % seit der
Zählung von 1971 mit Vorsicht aufzunehmen ist. 1972 trat nämlich die wich¬
tigste Bestimmung des Pakets, der sog. Proporz, in Kraft; d.h. alle öffentlichen
Stellen müssen seither nach dem Verhältnis der drei Sprachgruppen, Deutsch,
Italienisch und Ladinisch vergeben werden. Die Ladiner der Provinz Bozen
konnten jetzt 4,2 Prozent oder 239 der staatlichen Stellen beanspruchen. Dazu
Kramer (Holtus/Kramer 1987, 594): „Seit 1981 ist man zur Erklärung über die
Sprachgruppenzugehörigkeit verpflichtet. Der Proporz bestimmt auch die Zu¬
teilung von öffentlich geförderten Wohnungen.“4 Diese materiellen Hinter¬
gründe stimmen nachdenklich und lassen bezweifeln, ob die Frage der Sprach¬
gruppenzugehörigkeit nur entschieden werden kann nach dem Kriterium: aktive
ladinische Sprachbeherrschung, ja oder nein?
Die materiellen Anreize für die Ladiner des Grödner- und des Gadertals erklä¬
ren die Bemühungen der Fassaner, innerhalb ihrer Provinz Trient Rechte zu er¬
halten, die mit denen der Ladiner in Südtirol vergleichbar sind. Die Sensibili¬
sierung der Bevölkerung für die Belange von Minderheiten führte zu ersten Er¬
folgen: Die Fassaner besitzen heute ein Kulturinstitut, das die gediegene Zeit¬
schrift Mondo Ladino herausgibt. Ladinisch wird in der Unterstufe der Schulen
unterrichtet. Die Provinz Belluno hinkt mit ihren Förderungsmaßnahmen hin¬
terher. Dazu Kramer (Holtus/Kramer 1987, 596): „Buchensteinische Sonder¬
bestimmungen fehlen; ein Gesetzesentwurf der Provinz Belluno stellt finan¬
zielle Unterstützung in Aussicht (La USC di Ladinis 13,1, 1984, 7).“
Wenn wir rein sprachliche Fakten berücksichtigen, z. B. die Erhaltung des -s
als Pluralform (/’ urgya - iureyes) oder die Palatalisierung des CA (CASA >
64za / CAPUT >cef), so können wir von ca. 65.000 Zentralladinem sprechen:
ca. 40.000 wohnen in der Provinz Belluno und sind unterprivilegiert (Pelle-
grini, Saggi Ladini 132)5; ca. 25.000 sind Dolomitenladiner, davon ca. 7.000
Fassaner, halbprivilegiert6, ca. 8.000 Gadertaler und 6.000 Grödner, privile-
Peterlini, Oskar: Der ethnische Proporz in Südtirol, Bozen 1980; Bettelheim, P./Bene-
dikter, R.: Apartheid in Mitteleuropa? Wien 1983.
Bom 1992, 27, spricht von 6 000 - 7 000 Ladinern in der Provinz Belluno. Hier dürfte es
sich nur um die ladini atesini des Buchensteins (Livinallongo) und die Ladiner von
Cortina d’Ampezzo handeln.
Eher zutreffen könnten dagegen die Daten, die in Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria
(Hrsg.): Die Minderheiten im Alpen-Adria-Raum, Deutsche Fassung, Klagenfurt 1990,
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