nem »Europa der Regionen4 die einzige Chance bietet, ein Gegengewicht gegen
den zentralistisch organisierten Globalstaat zu bilden. Nur im Sinne eines sol¬
chen Verständnisses einer Kulturregion, die immer nur das Ergebnis eines ge¬
schichtlichen Prozesses sein kann, können wir heute bedenkenlos die »regiona-
listische Internationale4 singen.
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Inzwischen sind beide Länder Teile der Europäischen Union geworden: Auf
den grünen Inseln und weiten Sandern des Grenzraumes macht sich die natio¬
nalstaatliche Grenze daher kaum noch bemerkbar. Pandoras Büchse hat sich
auch nicht (mehr) geöffnet, wie es in vielen Regionen der Welt geschehen ist,
Desungeachtet schreitet die Einebnung und Nivellierung der Kulturregion fort
und macht einer Monokultur des Beliebigen Platz. Die Überwindung der Be¬
grenzungen, die sich als etwas Unzeitgemäßes im Zeitgemäßen ausweisen, läu¬
tet auch den Abgesang auf die regionalsprachliche Vielfalt ein: Vielerorts steht
die unökonomische Mehrsprachigkeit (mit mehreren privatisiert gebrauchten
Sprachen) bereits unmittelbar vor dem Umschlag in die Einsprachigkeit. Den
schwindenden Sprachminderheiten geht es auch deshalb schlecht, weil man es
ihnen zu leicht macht: Nicht zuletzt das Prinzip der individuellen Gewissensent¬
scheidung steht der Durchführung eines allgemeinen und sicher auch wirkungs¬
vollen Sprachenschutzes im Wege. Überwunden werden konnten mit diesem
Grundsatz freilich die Nationalitätenkonflikte, wie sie in dem nachfolgenden
Gedicht von Franz Grillparzer in aesopischer Manier versinnbildlicht werden:
SPRACHENKAMPF
Zu Aesops Zeiten sprachen die Tiere,
Die Bildung der Menschen ward so die ihre,
Da fiel ihnen aber mit einmal ein,
Die Stammesart sollte das Höchste sein.
„Ich will wieder brummen“, sprach der Bär,
Zu heulen war des Wolfs Begehr,
„Mich lüstets zu blöken“, sagte das Schaf,
Nur einer, der bellt, schien dem Hunde brav.
Da wurden allmählich sie wieder Tiere,
Und ihre Bildung der Bestien ihre.
Der Weg der neuem Bildung geht
Von Humanität
Durch Nationalität
Zur Bestialität.29
29 Grillparzer: Sämtliche Werke, I (1960), S. 500.
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