VERÖFFENTLICHUNGEN DER
KOMMISSION FÜR SAARLÄNDISCHE LANDESGESCHICHTE
UND VOLKSFORSCHUNG
Stadtentwicklung im
deutsch-franzôsisch-
luxemburgischen
Grenzraum (19. u. 20. Jh.)
Développement urbain
dans la région frontalière
France - Allemagne - Luxembourg
(XIXe et XXe siècles)
herausgegeben von/sous la direction de
Rainer Hudemann, Rolf Wittenbrock
KOMMISSIONSVERLAG:
SAARBRÜCKER DRUCKEREI UND VERLAG GMBH
SAARBRÜCKEN 1991
ST ADTENTWIC K LUNG
IM DEUTSCH-FRANZÔSISCH-LUXEMBURGISCHEN
GRENZRAUM
(19. UND 20. JAHRHUNDERT)
DÉVELOPPEMENT URBAIN
DANS LA RÉGION FRONTALIÈRE
FRANCE - ALLEMAGNE - LUXEMBOURG
(XIX' ET XXe SIÈCLES)
Veröffentlichungen
der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
21
Stadtentwicklung
im deutsch-franzosisch-luxemburgischen
Grenzraum (19. u. 20. Jh.)
Développement urbain dans la région frontalière
France-Allemagne-Luxembourg (XIXe et XXe s.)
herausgegeben von Isous la direction de
Rainer Hudemann, Rolf Wittenbrock
Saarbrücken 1991
Kommissionsverlag: SDV Saarbrücker Druckerei und Verlag GmbH
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum:
(19. und 20. Jahrhundert) / hrsg. von Rainer Hudemann und Rolf Wittenbrock. -
Saarbrücken: Saarbrücker Druckerei und Verlag, 1991
(Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung; 21)
ISBN 3-925036-55-5
NE: Hudemann, Rainer (Hrsg.); Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung: Veröffentlichungen der Kommission. . .
Gesamtherstellung: Neunkirchener Druckerei und Verlag, Neunkirchen
ISBN-Nr. 3-925036-55-5
ISSN-Nr. 0454-2533
Vorwort
Die in diesem Band vereinten Beiträge gehen im Kern auf ein Kolloquium zum
Thema "Moderne Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenz-
raum im 19. und 20. Jahrhundert" zurück, das vom 10. bis 12. Mai 1990 in Mett-
lach/Saar stattfand. Es stand unter der Leitung von Prof. Dr. Jean-Louis Cohen
(Paris), Dr. Jean-Paul Lehners (Luxemburg) sowie den Herausgebern.
Dieses erste interdisziplinäre Treffen von Forschern aus den drei Ländern, veranstal-
tet in Kooperation mit dem Deutsch-französischen Komitee für die Erforschung der
deutschen und französischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, konnte durch-
geführt werden dank der Förderung des durch Dr. Werner Kremp vertretenen Elisa-
beth-Selbert-Kollegs der Friedrich-Ebert-Stiftung und durch das ’Programme Franco-
Allemand du Centre National de la Recherche Scientifique’. Etwa 40 Historiker,
Kunsthistoriker, Architekten, Soziologen und Geographen nahmen eine Bestands-
aufnahme der bisherigen Erforschung der Urbanisierung in diesem Raum vor. Gleich-
zeitig diente die Tagung der Vorstellung unterschiedlicher wissenschaftlicher Frage-
stellungen und Methoden sowie dem interdisziplinären Dialog. Dabei verdeutlichte die
Bandbreite der in den Referaten und Beiträgen erörterten thematischen Aspekte die
Vielfalt des Forschungsfeldes. Zugleich wurde aber auch klar, daß die vorhandenen
Forschungsdefizite eine weitere enge grenzüberschreitende Kooperation erfordern, die
durch eine Zusammenarbeit der verschiedenen an der Urbanisierungsforschung
beteiligten Disziplinen zu ergänzen ist.
Die Mehrzahl der vorgetragenen Referate wurde in aus- oder umgearbeiteter Form
in den Band aufgenommen. Einige thematisch verwandte Beiträge kamen hinzu. Dem
grenzüberschreitenden Forschungsgegenstand und der jeweiligen Muttersprache der
Autoren entsprechend wurden die Aufsätze in deutscher oder französischer Sprache
abgefaßt. Allerdings erleichtern kurze Zusammenfassungen in der jeweils anderen
Sprache am Schluß dieses Buches das Verständnis.
Der Kommission für saarländische Landesgeschichte und Volksforschung danken wir
für die Aufnahme in ihre Schriftenreihe, ihrem Geschäftsführer Prof. Dr. Hans-Walter
Herrmann zudem für seine freundliche Beratung.
Die Drucklegung wurde ermöglicht durch Zuschüsse der Vereinigte Saar-Elektrizitäts
AG (VSE), der Landeshauptstadt Saarbrücken und weiteren Förderern, die nicht ge-
nannt werden möchten. Der Satz wurde im Historischen Institut der Universität des
Saarlandes hergestellt. Für die sorgfältige Anfertigung der Karten und Graphiken
nach oft schwierig zu bearbeitenden Vorlagen gilt unser besonderer Dank Raimund
Zimmermann. Für die Mitarbeit bei der informationstechnischen Aufbereitung der
Texte danken wir Stefan Leiner, Dr. Armin Heinen und vor allem Franz-Josef Hahn,
5
für Unterstützung bei der Erstellung des Registers Eva Kirchdörfer, Antje Schlamm
und Rainer Knauf. Sehr hilfreich war uns auch die Unterstützung von Christine Men-
gin und Ulrich Hohns bei der Zusammenstellung biographischer Hinweise.
Die Mehrzahl der hier vorgelegten Beiträge beruht auf intensiven Forschungen in
verschiedenen Landes-, Departements- und besonders Stadtarchiven unseres Grenz-
raums. Ohne die Hilfsbereitschaft und kompetente Beratung der Archivare wäre diese
Publikation nicht möglich gewesen.
Saarbrücken, im April 1991
Rainer Hudemann
Rolf Wittenbrock
6
Inhaltsverzeichnis
Vorwort.............................................................................5
Inhalt ..........................................................................7
Rainer Hudemann
Grenzübergreifende Wechselwirkungen in der Urbanisierung -
Fragestellungen und Forschungsprobleme .............................................9
Joachim Jacob
Vom Bauerndorf zum Industrieort - Neunkirchen in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts ..............................................................21
Jean-Paul Lehners
Wohnen in Düdelingen zu Beginn des 20. Jahrhunderts................................35
Antoinette Lorang
Der Werkwohnungsbau der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. in Esch/Alzette
(Luxemburg) und die Rolle deutscher Architekturleitbilder von 1870 bis etwa 1930 .. 59
Annette Maas
Kriegerdenkmäler und Gedenkfeiern um Metz. Formen und Funktionen
kollektiver Erinnerung in einer Grenzregion (1870/71-1918)....................... 89
François Roth
Thionville ou l’esquisse d’une politique urbaine................................. 119
Sigrid Schmitt
Saargemünd von 1890-1918. Stadtplanerische Probleme einer Kleinstadt
in Elsaß-Lothringen.............................................................. 129
Jean-Jacques Cartal
L’extension de Metz. La ville comme paysage ..................................... 147
Stefanie Woite
Die Anlage des Bahnhofs in Metz im Spannungsfeld unterschiedlicher Inter-
essen von Einwohnerschaft, Stadtverwaltung und Reichsbehörden (1898-1908) .... 159
Stefan Fisch
Planung als Eigentumsbeschränkung in der Obrigkeitsstadt - Bemerkungen
zur Straßburger Stadtentwicklung 1871-1918 .................................... 179
Stéphane Jonas
La création de la cité-jardin de Stockfeld à Strasbourg (1907-1912) ............. 199
Rolf Wittenbrock
Die Anfänge kommunaler Wohnungspolitik im deutsch-französischen
Grenzraum: Die Stadt Saargemünd 1910-1930 ....................................... 237
7
Ute Schneider
Armenfürsorge in Alt-Saarbrücken, St. Johann und
Malstatt-Burbach (1880-1909) .................................................... 263
Stefan Leiner
Die Saarbrücker Städtevereinigung von 1909. Problemlösungsstrategie zwischen bür-
gerlichen Interessen, urbanen Sachzwängen und wilhelminischem Obrigkeitsstaat ... 281
Architektur und Stadtplanung in besetzten Gebieten:
Deutschland und Frankreich 1940-1950............................................. 307
Jean-Louis Cohen, Hartmut Frank: Aux origines d’une architecture
européenne?.......................................................... 307
Jean-Louis Cohen: Marcel Lods: La Charte d’Athènes à Mayence ............. 317
Hartmut Frank: Eine neue alte Stadt. Schmitthenners Mainz Projekt ........ 318
Wolfgang Voigt: Eine Hauptstadt für das annektierte Elsaß:
Paul Schmitthenners Plan für das "Neue Straßburg".................... 322
Wolfgang Voigt: Eine Fabrik Ernst Neuferts im Elsaß: Prototyp für die
Serienproduktion und Normung ....................................... 324
Ulrich Hohns: "Eine tief innere Scheu vor dem rechten Winker-
Ländlicher Wiederaufbau in Lothringen um 1942 ....................... 325
Rémi Baudouï: L’équipe des urbanistes de la Sarre......................... 329
Rémi Baudouï: Georges-Henri Pingusson et la reconstruction de Sarrebruck .. 330
Hartmut Frank: Die Stadtlandschaft Diedenhofen............................. 332
Berufsbiographische Kurzportraits ......................................... 335
Christine Mengin
Occupation et Monuments historiques: Le Bureau d’architecture du Gouverne-
ment militaire de la Zone française d’Occupation (1946-1949)...................... 337
Résumés - Zusammenfassungen....................................................... 345
Verzeichnis der Karten, Abbildungen und Tabellen.................................. 353
Verzeichnis der Mitarbeiter dieses Bandes......................................... 356
Personenregister ................................................................. 357
Ortsregister...................................................................... 360
8
Rainer Hudemann
Grenzübergreifende Wechselwirkungen in der Urbanisierung
Fragestellungen und Forschungsprobleme
Der Bahnhof der Stadt Metz - ein Symbol deutschen Herrschaftswillens in Lothringen
und zugleich Zeugnis technischer Hochentwicklung der Zeit vor dem I. Weltkrieg. Als
solches ist das 1908 eingeweihte Bauwerk, für dessen Architektur die mittelalterliche
Goslarer Kaiserpfalz ein Vorbild abgab, bekannt. Dem Touristen, der sich für mehr
als den mittelalterlichen Kern der alten Reichsstadt interessiert, wird als Ausdruck
dieses Herrschaftswillens gerne eine in halber Höhe am Bahnhof angebrachte Statue
gezeigt: ein grimmig dreinschauender Roland, Verkörperung germanischen Geistes,
Inbegriff martialischer Angriffsmentalität des deutschen Kaiserreiches - so scheint es
(Abb. 1). Photos in einem alten Führer von Metz aus der Zeit vor dem I. Weltkrieg1
zeigen allerdings einen ganz anderen Roland, eine freundlich-würdige, hoheitsvolle
Gestalt (Abb. 2). Was ist hier geschehen?
Tatsächlich diente als Vorbild für den ursprünglichen Roland der erste deutsche
Kommandant von Metz nach 1871, Feldmarschall Gottlieb von Haeseler. Seiner
Statue schlug man, wie vielen anderen Statuen im Elsaß und in Lothringen, in der
Zeit nach dem Waffenstillstand 1918 den Kopf ab, und später ersetzte man die ganze
Gestalt. Der heutige Roland am Metzer Bahnhof repräsentiert in Wirklichkeit nicht
das Selbstverständnis des Deutschen Kaiserreiches, und noch weniger den mittel-
alterlichen Symbolgehalt des Roland als Freiheitsstatue, sondern er ist ein Spiegel der
Vorstellungen, die man sich in Frankreich von germanisch-deutschem Wesen machte.
Vielleicht macht man sie sich auch noch heute - der Tourist erfährt von dem Aus-
tausch der Statuen jedenfalls in der Regel nichts.
Der Roland und sein Schicksal zeigen die komplizierte Verflechtung deutscher und
französischer Einflüsse in dieser Grenzregion geradezu symbolhaft. Im Jahre 1918
sollte die Zerstörung der ursprünglichen Statue den Bruch mit allem, was das Reich
in Elsaß-Lothringen aufgebaut hatte, markieren.2 Tatsächlich behielt man aber nicht
nur den Bahnhof - mit Ausnahme des Roland - bei. Im Gegenteil: man führte auf
vielen Gebieten trotz des offiziell verkündeten Bruches das weiter, was die Deutschen
begonnen hatten, und brachte Eigenes darin ein.
Der Metzer Bahnhof führt damit auf die Spur von Entwicklungen, die über das
regionale Beispiel hinausweisen. Gerade konfliktbeladene Grenzräume, deren tren-
nende Wirkung meist im Vordergrund der Betrachtung steht, haben in vielfältiger
Weise zu der Verflechtung von nationalen Traditionen und Einflüssen auf trans-
1 H.M. Will, Neuer Führer durch Metz und über die Schlachtfelder von Gravelotte - St.
Privat, Vionville - Mars-la-Tour, Colombey - Nouilly, Metz o.J. (ca. 1910), S. 8.
2 Grundlegend zur Reichslandzeit in Lothringen: François Roth, La Lorraine annexée (1870-
1918), Nancy 1976.
9
nationaler Ebene beigetragen. Die Entwicklung der modernen Stadt, mit ihrer von
Architektur und Kunst über Umwelt, Technik und Verkehr bis zu Urbanisierungskon-
zepten, Vereinswesen und Repräsentationskörperschaften weit gespannten Thematik,
bietet besonders vielfältiges Anschauungsmaterial für Wirkungen, aber auch für
Grenzen solcher wechselseitiger Einflüsse.
In dem vorliegenden Band versuchen französische, luxemburgische und deutsche Ar-
chitekten, Kunsthistoriker, Soziologen und Historiker, derartigen Einflüssen am Bei-
spiel der Grenzregion zwischen Frankreich, dem Benelux und Deutschland nach-
zugehen. Es ist ein erster Anfang, eine Zwischenbilanz des Forschungsstandes und ein
Ausloten von möglichen Ansätzen, um die Fragestellung in weiterer Arbeit zu vertie-
fen.
Die ursprünglich verstärkt von der mittelalterlichen Geschichte ausgehende Stadtge-
schichtsforschung hat für den Bereich des 19. und 20. Jahrhunderts nicht nur in
Frankreich, sondern seit gut zwei Jahrzehnten auch in Deutschland einen breiten Auf-
schwung genommen.3 Methodisch gesehen, konzentrierte sie sich auf einer ersten
Ebene zunächst stark auf Städtemonographien und auf nationale Untersuchungsge-
genstände. Inzwischen verstärkt sich, auf einer zweiten Ebene, die Ausweitung zu in-
ternational vergleichenden Untersuchungen.4 Auf einer dritten Ebene haben die
möglichen Wechselwirkungen zwischen nationalen Entwicklungen in einem sich all-
mählich integrierenden Europa dagegen bislang wenig Aufmerksamkeit gefunden.
Schon angesichts der quantitativen Bedeutung, welche die Urbanisierung heute für
das Alltagsleben der großen Mehrheit der Bevölkerung gewonnen hat, kann am Bei-
spiel der Stadtentwicklung nach Grundlagen und Hindernissen für das Zusammen-
wachsen Europas gefragt werden, das bislang vor allem auf der politisch-diplomati-
schen Ebene untersucht wird.5 Welche Wechselbeziehungen bestanden, welche prak-
3 Einen Zugang zu der Fülle der Forschungen und Hilfsmittel vermitteln beispielsweise:
Christian Engeli u. Horst Matzerath (Hrsg.), Moderne Stadtgeschichtsforschung in Europa,
USA und Japan, Stuttgart u.a. 1989. Im Überblick u.a. Georges Duby (Hrsg.), Histoire de la
France urbaine, Bd. 4-5, Paris 1983-1985; Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in
Deutschland, Frankfurt/M. 1985; Wolfgang R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20.
Jahrhundert, Göttingen 1989. Im folgenden kann nur beispielhaft zitiert werden. Unter großen
Monographien der neueren deutschen Forschung siehe z.B. Wolfgang R. Krabbe, Kom-
munalpolitik und Industrialisierung. Die Entfaltung der städtischen Leistungsverwaltung im 19.
und frühen 20. Jahrhundert. Fallstudien zu Dortmund und Münster, Stuttgart 1985, sowie
Horst Matzerath, Urbanisierung in Preußen 1815-1914, 2 Bde., Stuttgart 1985. Als Beispiel für
die neuere Diskussion: Jürgen Reulecke (Hrsg.), Die deutsche Stadt im Industriezeitalter,
Wuppertal 1978, sowie Hans Jürgen Teuteberg (Hrsg.), Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhun-
dert. Historische und geographische Aspekte, Köln u. Wien 1983. Ein Schwerpunkt auf der
Zeit des Kaiserreiches und vielfältige Defizite für die Epoche nach 1918 sind unübersehbar.
4 Erheblichen Einfluß gewann hier auch die britische Forschung, darunter: Anthony Sutcliffe,
Towards the Planned City, Oxford 1981; ders, (Hrsg.), The Rise of Modern Urban Planning
1800-1914, London 1980; Nicholas Bullock u. James Read, The movement for housing reform
in Germany and France 1840-1914, Cambridge u.a. 1985.
3 Weit gefächerte Anregungen für eine tiefergehende Erforschung der Grundlagen europäi-
scher Einigungsprozesse gibt Hartmut Kaelble, Auf dem Weg zu einer europäischen Gesell-
schaft. Eine Sozialgeschichte Europas 1880-1980, München 1987.
10
11
tische Wirkung hatten sie, welche Konvergenzen, aber auch Divergenzen zeichnen
sich zwischen Ländern und Regionen ab? In welchem Verhältnis stehen Interferenzen
und Abschottungsvorgänge? Welche Rolle spielt die allmähliche Angleichung von Ur-
banisierungsprozessen für die ökonomischen und gesellschaftlichen Grundlagen euro-
päischer Einigung?
Grenzräume erscheinen als ein besonders interessanter Mikrokosmos für die Untersu-
chung solcher Interferenz-, aber auch Abschottungsprozesse. Im deutsch-französisch-
luxemburgischen Grenzgebiet ist nicht zuletzt durch die wiederholten Grenzwechsel
und die Besatzungsherrschaften im 19. und 20. Jahrhundert die Verflechtung bei
gleichzeitiger nationalpolitischer Polarisierung besonders intensiv gewesen. Läßt die
Dominanz nationaler Planungs- und Steuerungskonzepte grundsätzlich eine diver-
gierende Stadtentwicklung beiderseits der staatspolitischen Trennungslinien erwarten,
so erfolgten hier zugleich doch besonders vielfältige Überlagerungs-, Ausgleichs- und
Assimilationsprozesse.
Die Schwierigkeit, das auch methodisch noch wenig beackerte Gebiet urbaner Diver-
genz- und Konvergenzprozesse als Faktoren europäischer Einigungstendenzen aufzu-
hellen, spiegelt der vorliegende Band nicht zuletzt darin wider, daß er zunächst an
einem recht bescheidenen Rahmen ansetzt und unter anderem mit "Mikro-Beispielen"
einzelner Städte beginnt. Städtemonographien und nationale Arbeiten bleiben allein
schon wegen der Vielfältigkeit des Gegenstandes "Stadt" und der damit verbundenen
Schwierigkeit seiner differenzierten Aufarbeitung eine unverzichtbare Grundlage für
übergreifende Fragestellungen. In unserem Zusammenhang sollen die Einzelbeispiele
allerdings wesentlich dazu dienen, sachlich und methodisch wenigstens in ersten An-
sätzen Grundlagen für die Erforschung der Interferenz-Problematik aufzubereiten.
Ausgangspunkt des Kolloquiums, aus dem ein wesentlicher Teil dieses Bandes hervor-
gegangen ist, waren Überlegungen und Untersuchungen einer informellen Arbeits-
gruppe von Historikern, die sich im Rahmen eines weitergespannten, interdisziplinä-
ren Forschungsschwerpunktes zum Thema "Grenzen und Interferenzen" an der Uni-
versität des Saarlandes6 zusammengefunden hat. Ihre Arbeiten sind wesentlich ge-
prägt und gefördert worden durch die eigenen Forschungen von Rolf Wittenbrock,
der die allgemeinen Fragestellungen zunächst ausgehend von der Verflechtung unter-
schiedlicher nationaler Bauordnungskonzepte untersuchte7 und dabei zugleich eine
Vielzahl von Anregungen für weitere Untersuchungen erarbeitete. Seiner Initiative
und seiner Ausdauer ist auch das Zustandekommen dieses Buches zu verdanken.
Arbeiten anderer Wissenschaftler wiesen auch dann, wenn sie an sich unter anderen
Fragestellungen durchgeführt wurden, eine Vielzahl von Berührungspunkten auf, aus
denen weiterführende gemeinsame Überlegungen hervorgehen konnten. Am nächsten
6 Wolfgang Brücher u. Peter Robert Franke (Hrsg.), Probleme von Grenzregionen: Das
Beispiel Saar-Lor-Lux-Raum. Beiträge zum Forschungsschwerpunkt der Philosophischen
Fakultät der Universität des Saarlandes, Saarbrücken 1987.
7 Rolf Wittenbrock, Bauordnungen als Instrumente der Stadtplanung im Reichsland Elsaß-
Lothringen (1870-1918), St. Ingbert 1989; ders., Baurecht und Stadtentwicklung im Span-
nungsfeld unterschiedlicher nationaler Normensysteme. Der Fall Elsaß-Lothringen (1850-
1950), in: Jahrbuch für europäische Verwaltungsgeschichte 2 (1990), S. 51-76.
12
kamen den Saarbrücker Fragen die Ergebnisse einer deutsch-französischen Arbeits-
gruppe von Architekten und Historikern, die unter Leitung von Jean-Louis Cohen
und Hartmut Frank, als wir selbst erst begannen, bereits vor dem Abschluß eines
umfangreichen, von der VW-Stiftung geförderten Forschungsprojektes zur Architek-
turentwicklung im Raum Elsaß-Lothringen-Saarland-Rheinland-Pfalz in der Zeit von
1940 bis 1950 standen.8 Ein Résumé ihrer Arbeiten, die im Rahmen des Deutschen
Architekturmuseums in Frankfurt publiziert werden sollen, ist in diesen Band aufge-
nommen. Um beide Arbeitsgruppen herum entstand der Plan einer auf Forschungs-
perspektiven hin orientierten Zwischenbilanz, der hier vorgelegt wird. Ihr Schwer-
punkt liegt, durch den Forschungsstand bedingt, auf der Zeit vom deutsch-franzö-
sischen Krieg 1870/71 bis zur Rekonstruktion nach dem II. Weltkrieg, während zeitlich
weiter ausgreifende Zusammenhänge eher noch als Perspektiven erscheinen.
Bewußt wurde versucht, über den in der deutschen Forschung vorrangig untersuchten
Bereich der Großstädte hinauszugehen und von kleinen Orten, die in der Industriali-
sierung zu Städten wurden (Neunkirchen, Esch-sur-Alzette, Dudelange), über tradi-
tionsreiche (Thionville) oder auch jetzt erst aufstrebende (Saargemünd) Mittelstädte
bis zu den Großstädten (Metz, Straßburg) Städte unterschiedlicher Größenordnung
zu erfassen. In den Hein- und Mittelstädten stellten sich viele Probleme anders,
kamen insbesondere die Modernisierungszwänge häufig erst phasenverschoben an
oder zeitigten andere Folgen. Die Funktion der Öffentlichkeit war hier eine andere
als in den Großstädten, Notabein behielten ein vergleichsweise größeres Gewicht. Zu-
gleich wurden damit unterschiedliche Funktionen von Städten erfaßt, von Verwal-
tungszentren (Alt-Saarbrücken) über Verwaltungs- und Festungsstädte (Straßburg,
Metz) zu Industriestädten (Neunkirchen, Dudelange, Malstatt-Burbach im heutigen
Saarbrücken). Im Fall der Großstadtbildung in Saarbrücken trafen 1909 mit einer
Wohn- und Verwaltungs-, einer Wohn- und Einkaufs- sowie einer Industriestadt
unterschiedliche Typen direkt aufeinander. Die Vielfalt der sich überlagernden Funk-
tionen der Städte im Grenzraum läßt es allerdings noch verfrüht erscheinen, im
Anschluß an die vor allem in der deutschen Forschung seit Christallers Zentralorts-
theorie intensiv geführte Diskussion zu einer Typologie der zu untersuchenden Städte
zu kommen.
Eines der Kernprobleme bildet das Spannungsverhältnis von Zentrum und Peripherie,
von Hauptstadt und Grenzraum. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts - wenngleich
jeweils auf älteren Traditionen fußend - entwickelten sich in Frankreich und Deutsch-
land Strukturen der Verstädterung und Grundzüge der Stadtplanung, die sich schon
aus Gründen technischer Sachzwänge vielfach berührten, aber in wesentlichen Cha-
rakteristika auch voneinander unterschieden. Das galt zunächst für die Planungs-
instrumentarien: Trotz des ausgeprägten Zentralismus wurden Eingriffs- und Steue-
rungskompetenzen von Staat und Kommunen, zunächst im wesentlichen auf Fluchtli-
nien und feuerpolizeiliche Vorschriften beschränkt, in Frankreich im Zeichen des
8 Jean-Louis Cohen u. Hartmut Frank (Hrsg.), Deutsch-französische Beziehungen 1940-1950
und ihre Auswirkungen auf Architektur und Stadtgestalt. Rapport intermédiaire, octobre 1987
(hektogr.).
13
laissez-faire-Liberalismus erst nach dem I. Weltkrieg stärker ausgestaltet, im Gegen-
satz zur Modernisierung solcher Instrumentarien im deutschen Bereich seit dem
ausgehenden 19. Jahrhundert;9 damit wurden deutsche Stadtplanungen um die Jahr-
hundertwende zum Vorbild für viele Länder, darunter das bislang eher französisch-
belgisch geprägte Luxemburg. Unterschiede auch im äußeren Bild der Städte: Den
seit dem Ancien Regime entwickelten, unter beiden Napoleons ausgestalteten großen
Boulevards und Sternplätzen mit zentraler optisch-verkehrstechnischer Plazierung
bedeutender historischer oder moderner Bauwerke - Stichwort Haussmannscher
Städtebau - setzte die deutsche Stadtplanung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert
zunehmend den Rückgriff auf mittelalterliche Bau- und Raumformen, auf gebrochene
Perspektiven gekrümmter Straßen und geschlossener Platzanlagen und auf kleinräumi-
ge Einheiten innerhalb der Großstadt entgegen. Die Anlage der sogenannten Metzer
Neustadt10 ist ebenso wie das Viertel nordöstlich des Straßburger Kaiserplatzes11
ein Beispiel dafür, wie die unterschiedlichen Prinzipien aufeinandertrafen und sich
gegenseitig verwoben. Ausfallstraßen in Metz, seit alters als große Alleen angelegt,
wurden im Zuge der südlichen Stadterweiterung perspektivisch und im Verkehrsfluß
durch monumentale Gebäude gebrochen, denen ein ideologisch-programmatischer
Charakter kaum abzusprechen ist: Die Ober-Realschule als Symbol der Germanisie-
rungs-, das Marien-Krankenhaus als solches der Sozialpolitik. Ähnlich die auch in den
Monumentalbauten (Bahnhof, Post) auf kleinräumige Perspektiven orientierte Anlage
des Metzer Bahnhofsviertels. Künstlerischer Städtebau im Sinne von Camillo Sitte,12
wie Jean-Jacques Cartal ihn im folgenden erläutert, griff hier ineinander mit dem in
Stein dokumentierten Herrschaftsanspruch des Deutschen Reiches im Reichsland El-
saß-Lothringen. Für perspektivisch durch Krümmung gebrochene gehobene Wohn-
straßen steht die Rue Salis in Metz ebenso als Beispiel wie die Savignystraße im
Frankfurter Westend. Auch die Bauformen der Jugendstilvillen unterscheiden sich oft
wenig voneinander; und die Türen der auf den Plänen von 1910 bereits eingetragenen
Villen und Mietshäuser tragen häufig nicht ein Datum aus der Reichslandzeit, son-
dern 1924 oder 1928: nach Überwindung der unmittelbaren Nachkriegsdepression
9 Wittenbrock, Bauordnungen (Anm. 7); Stefan Fisch, Administratives Fachwissen und private
Bauinteressen in der deutschen und französischen Stadtplanung bis 1918, in: Jahrbuch für
europäische Verwaltungsgeschichte 1 (1989), S. 221-262.
10 Jean-Jacques Cartal, Dominique Laburte, Paul Maurand, "Metz pittoresque": étude du plan
d’extension de 1903, in: Urbanisme et Architecture en Lorraine 1830-1930, Metz 1982, S. 197-
213; dies., Les villes pittoresques. Etude sur l’architecture et l’urbanisme de la ville allemande
de Metz entre 1870 et 1918, Nancy 1981; François-Yves Le Moigne (Hrsg.), Histoire de Metz,
Toulouse 1986.
11 Zum Kaiserplatz selbst siehe die exemplarische Arbeit von Klaus Nohlen, Baupolitik im
Reichsland Elsaß-Lothringen 1871-1918. Die repräsentativen Staatsbauten um den ehemaligen
Kaiserplatz in Straßburg, Berlin 1982. Die Erforschung der weiteren Stadtplanung in Straß-
burg nach 1871 steht noch in den Anfängen; vgl. im Überblick Georges Livet u. Francis Rapp
(Hrsg.), Histoire de Strasbourg des origines à nos jours, Bd. IV: Strasbourg de 1815 à nos
jours, Strasbourg 1982.
12 Camillo Sitte, Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, 41909, Nachdr.
Braunschweig u. Wiesbaden 1983.
14
schloß der neue Bauboom der Mitte der 20er Jahre im Grenzland nicht selten
unmittelbar an die Planungen aus der deutschen Zeit an. Städte im Grenzraum wur-
den damit zu Schnittpunkten partiell gegensätzlicher Urbanisierungsstrategien und -
prozesse. Im Wohnungsbau sind Luxemburg13 und das in diesem Band von Antoi-
nette Lorang untersuchte Esch-sur-Alzette Beispiele für Synthesen aus unterschiedli-
chen Konzepten in einem seit Jahrhunderten am Schnittpunkt west- und mitteleuro-
päischer Einflüsse stehenden Raum. Solche Synthesen gingen bis in die Formen früh-
industrieller Wohnungsstatistik, wie Jean-Paul Lehners am Fall von Dudelange zeigt.
Die Muster der Interferenzen wurden komplizierter, wenn die Prinzipien
großräumiger Stadtanlage nicht direkt einwirkten, sondern auf "Umwegen". Dies gilt
etwa für die Berliner Stadtplanung des Baurates Hobrecht nach der Jahrhundertmitte,
an welcher sich die deutsche Verwaltung unter anderem in Straßburg bei den Planun-
gen der Stadterweiterung zunächst orientierte. Hobrecht verband alte, auf Rechtecks-
trukturen gegründete Baumuster der Berliner Friedrichstadt mit den Haussmannschen
Ideen, und seine Vorgaben begannen nach 1871 auf die Stadterweiterungen in Elsaß-
Lothringen einzuwirken; französischer Einfluß konnte hier also in preußischer Ver-
mittlung wirksam werden. Die gegen Jahrhundertende im Deutschen Reich aufbre-
chende, den weiteren Ausbau der neuen Straßburger Viertel rasch beeinflussende
Auseinandersetzung mit dem künstlerischen - oder "ästhetischen" - Städtebau spiegel-
te damit nicht nur eine deutsch-französische, sondern zugleich auch eine innerdeut-
sche Debatte wider. Eine weitere Differenzierung der Wirkungsmuster zeigt sich bei
den Bauordnungen, bei denen zu den Einflüssen der Metropolen Paris und Berlin
sowohl die regionalen Ausstrahlungen aus Baden und dem schweizerischen Basel in
das Elsaß kamen als auch, in erneuter Vermittlung, zusätzlich die Fortwirkungen von
Straßburger Reglements in das übrige Elsaß und vor allem nach Lothringen.14
Schließlich wandelten die Einflußmuster sich nach Epochen. Im Elsaß und in Loth-
ringen hielt sich weniger offiziell als faktisch nach 1918 eine starke Fortwirkung der
in der deutschen Zeit geschaffenen Strukturen und Vorentscheidungen, wie es in
diesem Band François Roth für Thionville sowie Sigrid Schmitt und Rolf Wittenbrock
für Saargemünd/Sarreguemines zeigen. Die Stadt Luxemburg stand dagegen, als trotz
der festungsbedingten Behinderungen nach 1875 eine intensivere städtische Erweite-
rungspolitik möglich wurde, zunächst unter dem Einfluß belgischer Bau- und Pla-
nungsnormen, die ihrerseits seit der napoleonischen Zeit stark französisch geprägt
waren. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts setzten sich hier, vermittelt durch Trier und
Straßburg, verstärkt deutsche bzw. preußische Vorbilder für Steuerungsinstrumente
und Normenkonzepte durch, die nach 1918 dominant wurden.15
Genauer zu untersuchen ist auch die Bedeutung der politischen Verfassung für solche
Interferenzen. Der deutsche Föderalismus scheint zunächst die Resistenz der Regio-
13 Antoinette Lorang, Plateau Bourbon und Avenue de la Liberté. Späthistorische Architektur
in Luxemburg, Luxemburg 1988.
14 Ausführlich dazu Wittenbrock, Bauordnungen (Anm. 7).
15 Ders., Baurecht und Stadtplanung im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und
Orientierungen: Die Stadt Luxemburg im 19. Jahrhundert, in: Hémecht 42 (1990), S. 373-405.
15
nen gegen metropolitane Einflüsse eher zu stärken als der französische Zentralismus,
wie Jean-Louis Cohen in den Orscholzer Diskussionen herausarbeitete. Im 20. Jahr-
hundert läßt sich hierfür vielerlei ins Feld führen. Doch zeigen Wittenbrocks Arbeiten
für die Zeit vor 1918 eine überraschende, allen Vorstellungen von forcierter deutscher
Germanisierungspolitik in Elsaß-Lothringen widersprechende Zurückhaltung der
deutschen Verwaltung bei administrativen Stadtplanungsvorgaben, da man sich die
Bevölkerung nicht entfremden, sondern sie gewinnen wollte. Selbst wiederholten
dringenden Forderungen der Kommunen, ihre Planungskompetenzen durch eine
Gesetzgebung auf Reichslandebene zu stärken, kam man deshalb erst kurz vor Aus-
bruch des I. Weltkrieges nach - und dies, obwohl die Baupolitik zu den vorrangigen
Anliegen des Kaisers gehörte, wie der Metzer Bahnhof, die Hochkönigsburg und zahl-
reiche andere unter seinem direkten Einfluß entstandene Bauten zeigten. Die Wir-
kung des Föderalismus scheint hier im Sinne einer regionalen Eigenständigkeit zu-
nächst deutlich, erweist sich bei genauerer Prüfung jedoch als das Gegenteil: Zurück-
haltung als Mittel einer vorsichtigeren und damit möglicherweise effizienteren Durch-
dringungspolitik, die in diesem Fall also gerade nicht ein Spiegel föderalistischer
Tendenzen ist. Hier bleibt viel Forschungsarbeit zu leisten, die über den Bereich der
Stadtentwicklung im engeren Sinne weit hinausweist.
In wiederum bemerkenswerter Ausdifferenzierung der Wirkungslinien begann die el-
sässische Opposition gegen die sich nach der Jahrhundertwende verstärkenden, jetzt
schon durch die demographische Expansion der meisten Städte erzwungenen Bauvor-
haben mit dem Preußischen Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften von
1907 zu argumentieren - ein preußisches Instrument gegen die preußische Verwal-
tung. Nach dem I. Weltkrieg entwickelte sich eben dieses Instrument vor dem Hinter-
grund der elsässischen Autonomiebewegung weiter zu einer Wahrung regionaler
Kompetenzen und Prärogativen gegen die zurückgekehrte französische Zentralgewalt
- mit beachtlichem Erfolg, der allerdings nicht mehr im Zeichen deutscher Gesetzge-
bung, sondern in dem regionaler Identität errungen wurde.16 Die Wirkung ging
jedoch noch weiter: Die im Reichsland entwickelten Instrumentarien zum Schutz
historischer Ortsbilder wurden von der Ecole d’Architecture in Nancy aufgegriffen
und als eigene Konzeptionen in der Zwischenkriegszeit in die innerfranzösische Dis-
kussion eingebracht. Auf diese Weise konnten gerade auch solche Reaktionen, die im
Ursprung - bei den elsässischen Stadterweiterungen - politisch gegen Einflüsse von
außen gerichtet waren, über die regionale Umsetzung zur transnationalen Vermittlung
von Städtebau-Leitbildern beitragen.
Damit wird die Verflechtung des Spannungsfeldes Metropole-Peripherie mit dem wei-
teren Spannungfeld zwischen regionaler Eigenentwicklung und Aus- oder Rückstrah-
lung auf die jeweiligen nationalen Räume deutlich. Im regionalen Rahmen fand zu-
nächst häufig eine Assimilation unterschiedlicher Konzepte statt, wie sie im folgenden
unter anderem Jean-Jacques Cartal für Metz, Stéphane Jonas für die Straßburger
Gartenstadt Stockfeld, Stefan Fisch für die "Grande percée" in Straßburg und Antoi-
16 Zu der im einzelnen komplizierten Entwicklung s. Wittenbrock, Bauordnungen (Anm. 7),
S. 278ff.
16
nette Lorang für Esch-sur-Alzette zeigen. Der Grenzraum wurde hier zur Kontaktzo-
ne nationaler Entwicklungen, nicht zuletzt gestützt durch die grenzüberschreitende
Kooperation und Kommunikation der zuständigen Verwaltungen und die Initiative
einzelner Bürgermeister. Spuren der Herausbildung kommunaler Bürokratien im
Reichsland lassen sich über Jahrzehnte weiterverfolgen - bis hin zu Frankfurts Nach-
kriegsbürgermeister Blaum, der seine frühe Ausbildung in Straßburg erhalten hatte.
Die Abstufung von Bauformen in Zonenbauordnungen setzte sich in Frankreich von
Metz und Straßburg ausgehend durch.17 Besonders wichtig, auch in langfristiger Per-
spektive, wurden die Vermittlungsformen im Bereich des Rechts (Stefan Fisch), in
dem vieles als "droit local" weit über das Ende der deutschen Herrschaft hinaus Be-
stand behielt.18
Parallel zu der regionalen Ebene sind ähnliche Interferenzvorgänge zugleich auf inter-
nationaler Ebene in der mehr konzeptionsbezogenen urbanistischen Diskussion der
Fachleute zu verfolgen; sie verstärkten sich besonders seit den großen Städtebauaus-
stellungen der Jahre vor dem I. Weltkrieg und im Rahmen der Tagungen des Vereins
für Socialpolitik.19 Expertendiskussion und praktischer Städtebau ergänzten sich in
ihren Wirkungen. Die in diesem Band vielfach dokumentierte Tätigkeit des Kölner
Stadtplaners Joseph Stübben in Städten des Grenzraumes ist ein Beispiel dafür. Ein
weiteres Beispiel ist die Gartenstadtbewegung, die, aus England kommend, zunächst
durch preußische und sächsische Vermittlung (Dresden) auf das Elsaß und von hier
aus auf das innere Frankreich Übergriff, wie Stéphane Jonas zeigen kann. Schließlich
fragen Jean-Louis Cohen und Hartmut Frank in diesem Band nach Ansätzen für die
Ausbildung einer europäischen Architektur.
Die Vermittlungsfunktion des Grenzraumes traf auf vielfältige Gegenkräfte. Abgren-
zend wirkte er insbesondere durch die Einflüsse des Militärs, welches die Stadtpla-
nung in weiten Zonen beiderseits der Grenze weitgehend beherrschte und der Haupt-
gegner der Stadtverwaltungen bei ihren Versuchen einer Ausweitung kommunaler
Steuerungskompetenzen war. François Reitel hat dies für die französischen Grenz-
raum-Kontrollzonen, die bis Paris reichten, vielfach gezeigt.20 Doch gerade die spe-
zifische Problemlage im Grenzraum konnte auch Ansätze für eine Überwindung der
nationalpolitischen Gegensätze bieten, und das z.B. in der Stadtentwicklung. So wur-
17 Wittenbrock, Bauordnungen (Anm. 7).
18 Siehe hierzu auch Stefan Fisch, Zur Handhabung des Bau- und Bodenrechts in Straßburg
nach den politischen Umbrüchen von 1870 und 1918, in: Jahrbuch für europäische Ver-
waltungsgeschichte 2 (1990), S. 77-101.
19 Im Überblick über diesen gleichfalls erst in Ansätzen erforschten Bereich siehe für das 20.
Jahrhundert Jean-Louis Cohen, Architektur, in: Jacques Leenhardt u. Robert Picht (Hrsg.),
Esprit - Geist. 100 Schlüsselbegriffe für Deutsche und Franzosen, München 1989, S. 440-446.
20 Vgl. u.a. François Reitel, Le développement des villes lorraines aux XIXe et XXe siècles,
in: Urbanisme et architecture (Anm. 10), S. 17-38; ders., Das Militär und sein Einfluß auf die
Raumordnung in den französischen Grenzregionen, in: Brücher u. Franke (Anm. 6), S. 29-40;
sein Vortrag in Orscholz stand leider, ebenso wie der typologisch angelegte Beitrag des
Geographen Lutz Zaumseil (Humboldt-Universität Berlin), für diese Publikation nicht zur
Verfügung.
17
den die Konflikte um Bahnhofsbau und Stadterweiterung in Metz, die Stefanie Woite
schildert, in einem komplexen Kommunikations- und Interaktionsmuster zu einem der
Themen, bei denen die beiden Bevölkerungsteile sich in gemeinsamer Opposition ge-
gen Militär und Bahnverwaltung zusammenzufinden begannen.21 Annäherungen an
das Problem der mentalitätsgeschichtlichen Aufarbeitung der nationalen Gegensät-
ze22 erlaubt auch die Untersuchung der Kriegerdenkmäler des Krieges 1870/71 und
der Erinnerungsfeiern, wie sie Annette Maas am Beispiel Metz unternimmt. Sie
zeigen zugleich weitere Beispiele für die Ausstrahlung in die jeweiligen nationalen
Räume. Gerade das Gedenken an den Krieg und die hier verwendeten Riten trugen
zumindest zeitweise, bis in die Jahre vor dem I. Weltkrieg, dazu bei, Annäherungs-
punkte innerhalb des Reichslandes und über die neue Grenze hinweg zu schaffen,
obwohl in diesem Bereich der äußere Ausdruck patriotischer Übersteigerung beson-
ders hervorstach.
Die Einflußmöglichkeiten der Bevölkerung auf die Entwicklung ihrer Stadt hingen
nicht zuletzt von dem Verhalten der Eliten ab. Besonders deutlich wird dies wiederum
in der Reichslandzeit: Die Auswanderung23 wesentlicher Teile der kommunalen Füh-
rungsschicht schwächte beispielsweise in Thionville, wie François Roth zeigt, be-
trächtlich das Widerstandspotential der Bevölkerung gegen die deutsche Stadtplanung;
für Metz gilt ähnliches. In Mittelstädten wie Saargemünd (Rolf Wittenbrock) und
Kleinstädten wie Neunkirchen (Joachim Jacob) konnte die beherrschende Stellung
einzelner - alteingesessener oder neu zugezogener - Notabein allerdings auch als
solche, unabhängig von nationalpolitischen Fronten, zu einem wichtigen bremsenden
oder vorantreibenden Faktor der Stadtentwicklung werden. Dagegen waren in den
Großstädten modernere Formen politischer Entscheidungsbildung bereits um die
Jahrhundertwende auch im Reichsland stärker ausgeprägt. Den wichtigen, teilweise
bestimmenden Einfluß von Parteien und Gewerkschaften24 zeigen für Straßburg wie-
derum Stéphane Jonas und Stefan Fisch. Stefan Leiner geht an dem einzigartigen Fall
der Vereinigung dreier Städte zur Großstadt Saarbrücken25 den Wechselwirkungen
von technischen Modernisierungszwängen, budgetären Engpässen und politischen
Herrschaftsverhältnissen unter den Bedingungen des Dreiklassenwahlrechts nach. Die
unterschiedlichen Stadtfunktionen wirkten sich hier, wie Ute Schneider beschreibt,
21 Siehe hierzu auch Rolf Wittenbrock, Die Stadterweiterung von Metz (1898-1903). National-
politische Interessen und Konfliktfelder in einer grenznahen Festungsstadt, erscheint in:
Francia 18/3 (1991).
22 Siehe zum konfessionellen Bereich Alfred Wahl, Confession et comportement dans les
campagnes de l’Alsace et de Bade 1871-1939, 2 Bde., Metz 1980.
23 Alfred Wahl, L’option et l’émigration des Alsaciens-Lorrains 1871-1872, Paris 1974.
24 Vgl. Roth, La Lorraine annexée (Anm. 2), und Hermann Hiery, Reichstagswahlen im
Reichsland. Ein Beitrag zur Landesgeschichte von Elsaß-Lothringen und zur Wahlgeschichte
des Deutschen Reiches 1871-1918, Düsseldorf 1986.
25 Zu den spezifischen Funktionen Saarbrückens vgl. Hans-Walter Herrmann, Saarbrücken -
Stadt an der Grenze, in: Bernhard Kirchgässner u. Wilhelm Otto Keller (Hrsg.), Stadt an der
Grenze (26. Arbeitstagung in Miltenberg 13.-15. November 1987), Sigmaringen 1990, S. 119-
135.
18
ebenso wie das Verhalten der lokalen Notabein und der Industriewerke aus auf die
Ausgestaltung der Armenfürsorge, in der sich durch die Grenzlage und die Auswei-
sung Armer aus Lothringen wiederum spezifische Probleme ergaben.
Der Peripherie-Charakter des Grenzraumes barg neben den Problemen aber auch
noch weitere Chancen. So hart die Lebensbedingungen unter Fremdherrschaft waren,
so zeigt sich doch, daß die besondere Unabhängigkeit der Verwaltungen von öffentli-
cher Kontrolle unter solchen Bedingungen auch Experimentierfelder für Neuord-
nungsversuche ermöglichte. In den Berichten der Arbeitsgruppe Cohen/Frank wird
dies sowohl für die deutsche Besatzung in Elsaß-Lothringen während des II. Weltkrie-
ges wie für die französische Herrschaft im linksrheinischen Deutschland nach dem
Krieg deutlich. Das Ende der Besatzungsherrschaften bezeichnete dann allerdings
auch die Grenzen, die solchen auf eine scheinbare "tabula rasa" nach den Kriegszer-
störungen gründenden Plänen gezogen blieben. Sie reichten von großangelegten, ein-
ander konzeptionell vielfach entgegengesetzten Entwürfen für neue Städte (Cohen,
Frank, Baudoui) bis hin zur Fabrikarchitektur (Voigt) und zur ländlichen Architektur
(Hohns). Trotz der Fehlschläge vieler Planungen im einzelnen ist hier ein besonders
interessantes Terrain erschlossen worden, auf dem deutsche und französische Initia-
tiven sich ebenso gegenseitig verwoben wie funktionalistische, von Le Corbusier beein-
flußte und der Heimatschutzarchitektur im Stile Schmitthenners verpflichtete Projek-
te. Vieles von diesen Ansätzen ist in anderer Form nach dem Ende der Besatzungs-
herrschaften auch weiter wirksam geblieben, von den Normungskonzepten bis zu be-
stimmten Bauformen. Der Grenzraum erwies hier einmal mehr seine Funktion als
Schmelztiegel und Vermittlungsraum, und dies gerade unter historisch besonders pro-
blematischen und leidvollen Bedingungen.
Für die französische Besatzungspolitik in Deutschland passen die von der Arbeits-
gruppe erarbeiteten Ergebnisse zu einer aktiven Urbanisierungspolitik in Mainz, Saar-
brücken, Saarlouis, Neunkirchen und anderen Orten in den Rahmen der jüngeren
Forschung, die neben der bekannten Demontage- und ökonomischen Nutzungspolitik
der Besatzungsmacht das Gewicht konstruktiverer Ansätze in der französischen Politik
betont.26 Frankreich hat in seiner Zone nicht nur eine reine Revanche-Politik betrie-
ben. Sondern zu seinem Ziel einer Sicherheit vor künftigen deutschen Angriffen ge-
hörte auch der Versuch, Grundlagen für eine dauerhafte Zusammenarbeit zwischen
beiden Ländern aufzubauen; vor diesem Hintergrund ist unter anderem der - auch fi-
nanziell - hohe Stellenwert der Kulturpolitik in der französischen Politik zu erklären.
Die Stadtplanung ist eine bislang so gut wie unbekannte, mit der allgemeinen Rekon-
struktionspolitik eng zusammenhängende Facette dieser Politik. Die Denkmalpflege
ist eine weitere. Christine Mengin zeigt in ihrem Beitrag das Dilemma der hochquali-
fizierten zuständigen französischen Besatzungsbeamten zwischen Teilen der Militär-
26 Vgl. resümierend zum Forschungsstand beispielsweise Institut français de Stuttgart (Hrsg.),
Die französische Deutschlandpolitik zwischen 1945 und 1949, Tübingen 1987; Franz Knipping,
Jacques Le Rider u. Karl J. Mayer (Hrsg.), Frankreichs Kulturpolitik in Deutschland 1945-
1950, Tübingen 1987; Rainer Hudemann, L’Occupation française en Allemagne. Problèmes
généraux et perspectives de recherche, in: Henri Ménudier (Hrsg.), L’Allemagne occupée
1945-1949, Brüssel 1990, S. 221-242.
19
Verwaltung, welche die ökonomische Nutzung in den Vordergrund stellten, und ande-
ren Kräften, die auf eine differenziertere und konstruktiv-aktivere Politik setzten. Der
Bereich der Städteplanung und Denkmalpflege birgt, wie die Kurzbeiträge zeigen,
Material, das von erheblicher allgemeiner Relevanz nicht nur für Wechselwirkungen
zwischen beiden Ländern, sondern auch für die allgemeine Bewertung der Besat-
zungspolitik beider Seiten ist.
Wechselwirkungen und Interferenzen hingen in ihren Chancen wie in ihren Grenzen
von vielfältigen Faktoren ab. Das Verhältnis Stadt-Umland, das Verhalten der Eliten,
der Entwicklungsstand von Gewerkschaften, Parteien und Vereinswesen, die Wirt-
schaftsstruktur, der Ausbau des Verkehrswesens und die demographische Dynamik
der einzelnen Regionen und Städte gehören dazu ebenso wie der verfassungspoliti-
sche Rahmen, die Gegensätze auf der nationalen Ebene oder das Eigengewicht
technischer Entwicklungen vor allem im Bereich der modernen Leistungsverwaltung.
Trotz aller Differenzierung im einzelnen ist jedoch deutlich, daß der deutsch-franzö-
sisch-luxemburgische Grenzraum nicht nur eine trennende Funktion für das Verhältnis
der Länder zueinander hatte, sondern in vielfältiger Weise zum Ansatzpunkt für
gegenseitige Einflüsse und für die Annäherung zwischen den Ländern wurde.
Die Literatur und die Sozialpolitik sind Bereiche, in denen dies besonders deutlich ist
und an die hier nur als Stichworte erinnert sei. In der Literatur stehen dafür Namen
wie Ernst Moritz Mungenast oder René Schickele.27 In der Sozialpolitik gelten Teile
des deutschen Sozialleistungssystems des Kaiserreiches bis in die Gegenwart fort.28
Vor allem hat das deutsche Sozialversicherungssystem in der Zwischenkriegszeit das
französische zwar nicht unmittelbar geprägt, aber durch die Rückgliederung von
Elsaß-Lothringen nachhaltig auf seine Ausbildung und Weiterentwicklung eingewirkt;
Abgeordnete aus Elsaß-Lothringen gehörten zu den wichtigsten Sozialpolitikern in der
Chambre des Députés der Dritten Französischen Republik. Nach dem II. Weltkrieg
förderten Beamte aus der ursprünglich deutsch geprägten Verwaltung Elsaß-Loth-
ringens umgekehrt als Besatzungsbeamte in Deutschland Initiativen zu tiefgreifenden
Reformen des deutschen Systems, dessen Schwächen - vor allem in der Orientierung
der Leistungen an sozialen Schichten - sie aus eigener Erfahrung kannten.29
Die Stadtentwicklung im Grenzraum steht in ihren Interferenzfunktionen damit in
einem breiteren Kontext, der gleichfalls erst ansatzweise erforscht ist. Sie bietet
besonders vielfältige Beispiele, deren weitere Untersuchung nicht nur von regionalge-
schichtlicher Relevanz ist, sondern auch eine Vertiefung der systematischen Problema-
tik der Funktion von Grenzräumen für transnationale Vermittlungsvorgänge ver-
spricht.
27 Vgl. auch Gerhard Schmidt-Henkel, Die deutschsprachige Literatur in Lothringen seit 1871
im historischen Prozeß, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 38/39 (1990/91), S.
105-117.
28 Raymond Triby, Les Assurances sociales dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin
et de la Moselle. Naissance et évolution 1883-1984, Strasbourg 1985.
29 Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuord-
nung 1945-1953, Mainz 1988.
20
Joachim Jacob
Vom Bauerndorf zum Industrieort -
Neunkirchen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Bei der Betrachtung Neunkirchens im Zusammenhang mit Problemen der Stadtent-
wicklung im 19. Jahrhundert ist zunächst der einschränkende Hinweis darauf ange-
bracht, daß Neunkirchen zu den jüngsten Gemeinden mit Stadtrecht in der Region
gehört: Erst am 23. Dezember 1921 wurden die Gemeinden Neunkirchen, Nieder-
neunkirchen, Kohlhof und Wellesweiler vereinigt und der neuen Gemeinde die Stadt-
rechte mit Wirkung zum 1. April 1922 verliehen.1 Damit ging ein innergemeindlicher
Konflikt zu Ende, der fast 50 Jahre lang - seit 1876 - die Bürgerschaft, die Verwaltung
wie auch den Gemeinderat beschäftigt hatte.
Verwaltungsrechtlich war Neunkirchen also während des 19. Jahrhunderts keine Stadt,
obwohl es bereits 1875 11197 und zum Zeitpunkt der Verleihung der Stadtrechte 1922
38000 Einwohner zählte. Eine erweiterte Definition des Stadtbegriffes, unter Einbezug
z.B. sozioökonomischer oder städtebaulicher Kriterien, läßt es jedoch berechtigt er-
scheinen, Neunkirchen als Vertreter des Typus der "Industriedörfer" der Saarregion,
zu denen auch Völklingen und Malstatt-Burbach zu zählen sind, mit durchaus städte-
typischen Problemen zu betrachten.2
Im folgenden Aufsatz soll versucht werden, die Phase der Frühindustrialisierung in
Neunkirchen von etwa 1800 bis zur Mitte des Jahrhunderts zu betrachten. Es sollen
einige Entwicklungslinien während der Frühindustrialisierung aufgezeigt werden, da
in dieser Phase wesentliche Voraussetzungen der späteren Expansion geschaffen
wurden. Der Schwerpunkt der Darstellung soll auf der wirtschaftlichen Entwicklung
liegen, war es diese doch allein, die aus dem Bauerndorf Neunkirchen eine Gemeinde
städtischen Charakters werden ließ.
Die umfangreichste Publikation zur Geschichte Neunkirchens stammt aus dem Jahre
1955.3 Von zahlreichen Autoren bearbeitet und in ansprechender Aufmachung darge-
boten, diente sie neben der Information auch der Stadtverwaltung zur Selbstdar-
stellung. Neben der Beschreibung nahezu jeden Bereichs städtischen Lebens wird da-
rin auch die historische Entwicklung Neunkirchens, z.T. anekdotisch, z.T. chronolo-
gisch behandelt. Wesentlichen Raum in diesem historischen Teil nimmt die Phase der
Hochindustrialisierung ein, die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wird in einigen
Abschnitten behandelt, eine Darstellung des Alltags oder sozialgeschichtliche Bezüge
1 Stadtverwaltung Neunkirchen (Hrsg.), Stadt Neunkirchen (Saar). Stadt des Eisens und der
Kohle, Neunkirchen 1955 (Künftig: Stadtbuch), S. 165.
2 Rolf Wittenbrock, Industriedörfer und Verstädterung, in: Industriekultur an der Saar. Leben
und Arbeit in einer Industrieregion 1840-1914, hrsg. von Richard van Dülmen, München 1989,
S. 84-95.
3 Stadtverwaltung Neunkirchen (Anm. 1).
21
fehlen jedoch fast ganz. Die weiteren Publikationen zur Geschichte Neunkirchens
bauen im wesentlichen auf den Beiträgen des "Stadtbuches" von 1955 auf, für dessen
historischen Teil Bernhard Krajewski verantwortlich zeichnete. Vom gleichen Ver-
fasser sind - vor 1955 und später - zahlreiche heimatkundliche Beiträge veröffentlicht
worden, die den Autor als den profundesten Kenner der Lokalgeschichte ausweisen.
Nachdem die Stadt Neunkirchen zu Beginn der 1980er Jahre aufgrund der Entwick-
lungen in der Montanindustrie in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt
war, wurden auch in der Literatur die zugrundeliegenden historischen Ursachen für
die krisenhaften Entwicklungen verstärkt behandelt. Die Arbeiten sind aber wiederum
zumeist auf die Zeit nach 1850 gerichtet und primär wirtschaftshistorisch orientiert.4
Sie bieten dennoch einen tieferen Einblick in die historische Situation und die jeweili-
gen Konfliktlagen, als dies in den bis dahin für lokale wirtschaftshistorische Fragen
einzig herangezogenen Publikationen des Neunkircher Eisenwerkes der Fall war.5
Die Probleme der Urbanisierung in den zu Städten werdenden Industriedörfern
behandelt Rolf Wittenbrock in einem neueren Aufsatz, wobei er die Entwicklung in
Völklingen, Malstatt-Burbach und Neunkirchen vergleicht.6 Der Autor untersucht
überblicksartig die Entwicklungen der drei durch die Hüttenindustrie am nachhaltig-
sten geprägten saarländischen Gemeinden während der Phase ihrer Stadtwerdung und
zeigt Gemeinsamkeiten wie aber auch lokale Besonderheiten auf. Die in diesem
Aufsatz aufgeworfenen Fragestellungen dürften - nicht zuletzt auch durch das bis
dahin fast völlige Fehlen von Arbeiten zur Urbanisierungsproblematik in der Saarre-
gion - die Zielrichtung wie auch die Schwerpunkte der weiteren Behandlung der
Thematik bestimmen.
Die Ausgangstage
Der geographische Rahmen wird durch die Verwaltungsgrenzen der Bürgermeisterei
Neunkirchen während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgegeben. Neunkir-
chen war eine Bürgermeisterei im Kreis Ottweiler, der sich am südlichen Rand des
Regierungsbezirkes Trier befand, welcher seit 1815 zur preußischen Rheinprovinz
4 Helmut Frühauf, Eisenindustrie und Steinkohlenbergbau im Raum Neunkirchen/Saar, Trier
1980; ders., Frühindustrielle Entwicklungstendenzen im Montanwesen an der Saar: das
Beispiel Neunkirchen, in: Der Anschnitt 34(1982), S. 11-23; ders., Der Montanindustriestand-
ort Neunkirchen/Saar (1820-1910), in: Der Rhein-Neckar Raum an der Schwelle des Indu-
strie-Zeitalters, Mannheim 1984, S. 199-217; Verkehrsverein Neunkirchen (Hrsg.), Deutsches
Industriemuseum in Neunkirchen? (=Neunkircher Hefte 6), Neunkirchen 1983 <enthält im
wesentlichen Vortrag von R. Slotta>; Gerd Meiser, Stahl aus Neunkirchen, Saarbrücken 1982;
Rolf E. Latz, Die saarländische Schwerindustrie und ihre Nachbarreviere 1878 -1938, Saar-
brücken 1985.
5 100 Jahre Neunkircher Eisenwerk unter der Firma Gebr. Stumm, Saarbrücken 1906;
Fünfviertel Jahrhunderte Neunkircher Eisenwerk und Gebrüder Stumm, Neunkirchen 1935.
6 Rolf Wittenbrock (Anm. 2), S. 84-95.
22
gehörte. Zur Bürgermeisterei Neunkirchen zählten die Gemeinden Neunkirchen,
Niederneunkirchen, Spiesen, Wellesweiler, Kohlhof sowie der Forbacher Hof.7
Seine Lage im Talkessel der Blies an der Einmündung des Sinnerbachs machte Neun-
kirchen zu einem Verkehrsknotenpunkt. Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts führte die Staatsstraße Saarbrücken - Bingen durch Neunkirchen, gleichzeitig
war auch die Straße nach Homburg in Richtung Zweibrücken eine wichtige Verkehrs-
verbindung (Abb. 1). Der bauliche Zustand dieser Straßen war allerdings sehr
schlecht: Bürgermeister Couturier mußte 1816 mehrfach vom Landrat ermahnt
werden, die notwendigen Maßnahmen zur Sanierung der schlechten Straßen und
Wege in Neunkirchen endlich durchführen zu lassen.8 Diese verkehrsgeographische
Lage brachte Neunkirchen in Berührung mit sämtlichen Truppenbewegungen, die aus
Frankreich Richtung Mittelrhein, wie auch umgekehrt mit sämtlichen Bewegungen
preußischer Truppen, die in Richtung Frankreich vorgenommen wurden. Die daraus
resultierenden Einflüsse auf die Bevölkerung (Einschränkung des Nahrungsspielrau-
mes, ansteckende Krankheiten oder Anstieg der nichtehelichen Geburten) zeigen sich
im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts teilweise auch in Neunkirchen.9 Dies
belegen einerseits die Eintragungen des evangelischen Pfarrers von Neunkirchen in
den Jahren 1813 und 1814 sowie die Entwicklungen der Todeszahlen in Neunkirchen,
deren rapides Ansteigen in den Zeiten der Truppendurchzüge, insbesondere in den
Jahren 1813ff., eine Korrelation von Verkehrslage und demographischer Entwicklung
deutlich werden lassen.
Die politisch-verwaltungsmäßige Entwicklung Neunkirchens war in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts von den Entscheidungen bestimmt, die unter der Herrschaft der
französischen Republik gefällt worden waren. Bezüglich der Gemeindeverfassung
wurde von Preußen die unter französischer Herrschaft eingeführte Munizipalver-
fassung auf dem linken Rheinufer übernommen und erst im Rahmen der Gemeinde-
ordnung für die Rheinprovinz vom 23. Juli 1845 geändert.10
Durch die französische Regierung war die kommunale Verwaltung in den erworbenen
Gebieten neu geordnet worden. Zunächst wurde der rechtliche Unterschied zwischen
Stadt und Land aufgehoben und damit die Bevorzugung der Stadtbewohner been-
det.11 Der Maire, später Bürgermeister, wurde vom Präfekten ernannt, der ihn
jederzeit abberufen konnte.
7 Georg Barsch, Beschreibung des Regierungs-Bezirks Trier, 2 Bde, Trier 1846/49; Bd. 2, S.
53f.
8 StA Neunkirchen, AI-334, Bll. 1-3, Neunkirchen künftig NK; vgl. auch Gert Fischer,
Wirtschaftliche Strukturen am Vorabend der Industrialisierung: der Regierungsbezirk Trier,
Köln/Wien 1990, S. 49.
9 Bernhard Krajewski, Aus bewegten Zeiten - Von Krieg und Kriegsnot, in: Stadtbuch (Anm.
3), S. 105-147, S. 113ff.
10 Fünfviertel Jahrhunderte (Anm. 5), S. 155.
11 Theodor Ilgen, Organisation der staatlichen Verwaltung und Selbstverwaltung, in: Die
Rheinprovinz 1815-1915, 2 Bde, hrsg. von Joseph Hansen, Bonn 1917, Bd. 1, S. 87-148, S. 90.
23
Gleichzeitig wurde ein Munizipalrat gewählt, dessen Wahl durch den Landrat bestätigt
werden mußte. Das Wahlrecht zu diesem Rat war nicht mehr an den Besitz von Land
gebunden, sondern an die Zahlung einer bestimmten Steuersumme. Dies erweiterte
zwar den Kreis der Wahlberechtigten gegenüber der Zeit des Ancien Régime, ein all-
gemeines Wahlrecht aller männlichen Erwachsenen war jedoch damit nicht verbun-
den. Die Aufgaben dieses Rates beschränkten sich auf die Überprüfung der Gemein-
derechnungen, die Verteilung der gemeindlichen Arbeiten, wie z.B. Wegebau, die
Verteilung der der Gemeinde zugewiesenen Güter, u.a. von Weiden oder Brandholz,
und der Abgabe von Gutachten bei Bauvorhaben.12 Neben den gewählten Mitglie-
dern, meist Bauern und einigen Handwerkern, waren die größeren Grundbesitzer in
der Gemeinde als geborene Mitglieder mit Sitz und Stimme im Gemeinderat ver-
treten.
Die Verschiebung der politischen Führungsrolle von den Bauern auf nunmehr wichti-
ger werdende soziale Schichten wird deutlich bei der Betrachtung der politischen
Führungskräfte Neunkirchens: So war von 1806 bis 1825 Franz Couturier Bürgermei-
ster, ein Händler und Fabrikant aus Sarreguemines, der erst durch den Kauf des alten
Neunkircher Schlosses 1803 Grundbesitzer und Bürger in Neunkirchen geworden
war.13 Die Nachfolger Couturiers als Bürgermeister waren alle bereits preußische
Verwaltungsfachleute.
Die enge Verbindung zwischen der Gemeinde und dem dominierenden Wirtschafts-
unternehmen wird darin deutlich, daß einer der Beigeordneten der Gemeinde entwe-
der der Hüttenbesitzer oder ein höherer Angestellter des Hüttenwerkes war und dies
im extremsten Falle sogar das jüngste Mitglied des Gemeinderates sein konnte. So
war es am 24. Oktober 1833 geschehen, als der 29jährige Carl-August Kromayer, der
Verwalter der Eisenhütte, zum Beigeordneten ernannt wurde, vorbei an allen alt-
eingesessenen - und älteren - Bauern und Handwerkern.14
Die Rolle der politisch führenden Schicht in Neunkirchen mußten die Bauern in
Neunkirchen teilweise abtreten, ihnen blieben jedoch durch den Landbesitz z.T.
erhebliche Vorteile gegenüber den nicht landbesitzenden Schichten, deren Anteil an
der Bevölkerung insbesondere durch die mit der Industrialisierung einsetzende
Zuwanderung zunahm. Dies hatte eine immense Nachfrage nach Siedlungsplätzen zur
Folge, wodurch die Alteingesessenen erhebliche ökonomische Vorteile gegenüber der
neu zuziehenden Bevölkerung hatten. Die Bedeutung der Landwirtschaft für das
Leben der Neunkircher wird auch darin deutlich, daß ein Großteil der bis 1850 im
Gemeinderat behandelten Angelegenheiten sich um Belange der Landwirtschaft
drehte.15
Zwei Beispiele seien noch genannt, die die Situation der Menschen und das Angewie-
sensein auf elementare Subsistenzmittel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
12 Barsch (Anm. 7), Bd. 1, S. 155.
13 Bernhard Krajewski, Von Wald und Weide, Ackerbau und Rotthecken, in: Stadtbuch
(Anm. 1), S. 55-74, S. 59.
14 StA NK, A-I 67, Bl. 53ff.
15 Krajewski, Von Wald und Weide (Anm. 13), S. 71.
24
Abb. 1: Neunkirchen 1818 (nach der Tranchot-Karte)
25
deutlich machen sollen: Im Zuge der Maßnahmen der preußischen Regierung, die zur
Bestandserhaltung und Aufforstung der Wälder durchgeführt wurden,16 versuchte
diese 1839 die alten Nutzungsrechte der Gemeinde am Staatswald abzulösen. Dieser
Maßnahme wurde vom Bürgermeister Aich mit Hinweis auf die schlechte wirtschaftli-
che Situation vieler Gemeindeangehöriger heftig widersprochen. Es kam zu einer
Einigung, die vorsah, daß die Neunkircher weiterhin neben dem Holz, das sie zum
Bauen von Geschirren benötigten, "ein festgesetztes Quantum Reisig, Raff- und Lese-
holz, einschließlich Späne,... Streulaub gegen Kulturleistungen im Wald,..das Recht auf
Grasrupfen" haben sollten sowie das Recht, Schweine und Rinder im Wald weiden zu
können. Die endgültige Ablösung gegen jährliche Zahlungen an die Gemeinde gelang
der Regierung erst 1855, nachdem durch den industriellen Aufschwung der Wald
seine Funktion als Subsistenzgrundlage für viele Menschen verloren hatte.17
Als zweites Beispiel soll die 1827 erlassene Feldpolizeiordnung für Neunkirchen die-
nen.18 Der Schöffenrat (=Gemeinderat) beschloß das Verbot des Weidens von
Einzelvieh auf Feldern, Wiesen und an den Wegen sowie des Krautens auf fremden
Feldern. Dieses Verbot richtete sich gegen die Besitzer von Kleinvieh, die zwar die
Mittel hatten, eine Ziege zu erwerben, denen es aber an Land fehlte, um diesem Vieh
eine ausreichende Nahrung zu verschaffen. Da das "wilde Weiden" vorher stillschwei-
gend geduldet wurde, ist der Beschluß zu diesem Zeitpunkt wohl darauf zurückzufüh-
ren, daß diese Art der Viehfütterung überhand genommen hatte. Die Landbesitzer,
deren Vertreter im Gemeinderat saßen, wehrten sich gegen diese Versuche der
landlosen Unterschichten, ihrem Vieh, das mit seinen Produkten oft einen wesentli-
chen Teil der Nahrung seiner Besitzer bildete, wenigstens die notwendigsten Sub-
sistenzgrundlagen zu verschaffen.
Wirtschaftliche Entwicklung
Bei der Besitzübernahme durch die Stumms 1806 befand sich das Eisenwerk in Neun-
kirchen im "primitiven Zustand eines nur handwerklichen Betriebes"19, der allerdings
65 Hüttenarbeiter beschäftigte.20 Die Werksanlagen umfaßten zwei Hochöfen mit
Gebläseeinrichtungen, zwei Groß-, einen Kleinhammer, eine Schlackenpoche, zwei
Erzwäschen, zwei Formhäuser, eine Sandgießerei und zwei Kohlenscheuern21; da-
neben besaß das Werk das Recht zur Ausbeutung des gesamten Eisenerzes in der
Herrschaft Ottweiler. Mit der Besitzübernahme durch die Stumms, die die ersten
privaten Besitzer des Eisenwerkes wurden, war verbunden, daß in Zukunft für Holz
aus den ehemals landesherrlichen Waldungen vom Werk eine Abgabe zu entrichten
16 Arnold Scholl, Die Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Kreise
Ottweiler, Diss. Frankfurt 1932, S. 84.
17 Krajewski, Von Wald und Weide (Anm. 13), S. 57ff.
18 Abgedruckt in: Adressbuch von Neunkirchen von 1888, Neunkirchen 1888, S. 32-34.
19 N. Ph. Rauguth, Das Eisenwerk, in: Stadtbuch (Anm. 1), S. 267-304, S. 275.
20 Bernhard Krajewski, 700 Jahre Neunkirchen, Neunkirchen 1981, S. 33.
21 Rauguth (Anm. 19), S. 274.
26
rijfiJ'CfH'ì*'
Abb. 2:
Situationsplan des Neunkircher Eisenwerkes 1827 (LHA Ko-
blenz, Best. 702/2567)
27
war, wovon die früheren Pächter teilweise befreit waren, da ein Teil des Holzbezuges
im Pachtzins enthalten war. Bei dem damaligen Stand der Technologie, bei dem zur
Eisenschmelze Holzkohlen in großen Mengen benötigt wurden, bedeutete dies einen
erheblichen Kostenfaktor.22
Das Werk bestand 1806 aus zwei getrennten Produktionsstätten: der Unterschmelz,
an der Landstraße von Saarbrücken nach Ottweiler in der Bliesaue gelegen, und der
Oberschmelz oder Sinnerthaler Hochofen, am Sinnerbach (Abb. 2). Die Unterschmelz
war als das Hauptwerk anzusehen, es war doppelt so groß und bedeutend älter als die
Oberschmelz. Die Landstraße teilte die Unterschmelz räumlich und produktionstech-
nisch in zwei Teile: südlich der Straße, begrenzt durch den großen Hütten-Teich, der
die Energie für die Blasebälge lieferte, war die Roheisenerzeugung plaziert; nördlich
der Landstraße befand sich die Weiterverarbeitung, wie Frischfeuer und Hämmer,
deren Antriebsenergie der aufgestaute Sinnerbach lieferte. Auf der Oberschmelz gab
es lediglich einen reinen Hochofenbetrieb, der mit dem Nordteil des Werkes ver-
bunden war. Die Produktionsanlagen des Werkes, die in den Tälern der Blies und des
einmündenden Sinnerbachs gelegen waren, bildeten zusammen mit den dazugehörigen
Arbeiterhäusern und Betriebsgebäuden, sowie einem zur Hütte gehörigen Hofgut den
Ort Niederneunkirchen, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch in keinem baulichen
Zusammenhang zu (Ober)Neunkirchen stand. In den 1830er Jahren begann im
Eisenhüttenwesen in Neunkirchen allmählich der Übergang vom Handwerks- zum
Industriebetrieb.23
Eine Lösung des Brerinstoffproblems, das bei zunehmender Holzverknappung immer
dringlicher wurde, wurde durch die Errichtung eines Puddelwerkes in Neunkirchen
1831 erreicht. Das Puddelverfahren, seit 1783 in England in den Produktionsprozeß
eingeführt und patentiert, benötigte Steinkohle als Brennstoff, im Gegensatz zu dem
bis dahin auch in Neunkirchen24 angewandten Herdfrischverfahren, das mit Holz-
kohlen als Brennstoff arbeitete. Diese technologische Fortentwicklung bei der Eisen-
und Stahlproduktion bedeutete eine Erhöhung der Produktivität je Arbeitskraft, eine
Reduzierung der Gestehungskosten, da der Brennstoff (Kohle) billiger als die Holz-
kohle war, sowie nicht zuletzt eine Qualitätsverbesserung des produzierten Eisens und
Stahls.
Die technologische Entwicklung bei der Roheisenerzeugung ging so schnell voran, daß
bereits 1842 Neunkirchen das erste Werk in der Saarregion war, das die Hochöfen
ausschließlich mit Koks feuerte.25 Die Einführung des Puddelverfahrens und die
Roheisenerzeugung auf Koksbasis sind die ersten Merkmale industrieller Eisen- und
Stahlerzeugung im Eisenwerk Neunkirchen.26 Daneben wurde 1831 mit dem Puddel-
22 Fünfviertel Jahrhunderte (Anm. 5), S. 16.
23 Frühauf, Entwicklungstendenzen (Anm. 4), S. 13ff.
24 Anton Haßlacher, Das Industriegebiet an der Saar und seine hauptsächlichsten Industrie-
zweige (= Mitteilungen des Historischen Vereins für die Saargegend, Heft 12), Saarbrücken
1912, S. 109.
25 Rauguth (Anm. 19), S. 277.
26 Frühauf, Entwicklungstendenzen (Anm. 4), S. 18.
28
werk das erste Walzwerk an der Saar errichtet. Die Bearbeitung des Eisens, die
bislang unter dem Hammer geschehen war, wurde nun von Walzen vorgenommen.
Das bedeutete einen gleichmäßigeren Druck auf das zu bearbeitende Material und
hatte eine Qualitätssteigerung der Produkte zur Folge. Das Neunkircher Eisenwerk
gehörte neben vier anderen Hütten im Zollverein zum Schienenkartell, das wegen
seiner fortgeschrittenen Produktionsmethode für die belgischen und englischen
Exporteure der Eisenbahnschienen eine ernstzunehmende Konkurrenz im Zollvereins-
gebiet darstellte. Der Antrieb der Walzen erfolgte bis 1835 noch mit Wasserkraft,
danach mit einer kohlenbetriebenen Dampfmaschine.27
Diese Einführung neuer Technologien (Roheisenerzeugung auf Koksbasis, Puddelver-
fahren, Dampfkraft statt Wasserkraft) bedeutete, daß sich das Eisenwerk von seinen
natürlichen Standortfaktoren (Holzkohle, Wasser, in geringerem Maße Erze) gelöst
hatte. Die Produktion konnte nun frei von Behinderungen durch Wasser- oder
Holzkohlenmangel laufen. Die nun mögliche Massenproduktion von gewalztem Eisen
und Stahl machte die Vervielfachung der Puddelöfen zur Herstellung genügender
Mengen von Vorprodukten nötig und ließ den eigentlichen Großbetrieb entstehen,28
der eine Erhöhung der Arbeiterzahl zur Folge hatte, die allerdings in erster Linie auf
eine Zunahme der ungelernten Hilfsarbeiter zurückzuführen war. 1849 waren von den
234 Mitarbeitern des Eisenwerkes 66 Puddlingsarbeiter sowie 63 Walzer. Das Neun-
kircher Eisenwerk war innerhalb weniger Jahre (1819-1835) zum Unternehmen mit
der zweithöchsten Beschäftigtenzahl in der südlichen Rheinprovinz geworden.29
Im untersuchten Zeitraum befanden sich im Gemeindegebiet mehrere Kohlengruben:
Die "herrschaftliche Grube zu Wellesweiler" sowie die "herrschaftliche Grube im
Kohlwald", die zwar nicht auf dem Neunkircher Bann lag, allerdings unmittelbar an
diesen angrenzte.30 Im Jahre 1821 kam noch die Grube König dazu, der 1848 noch
die Anlage Heinitz im Holzhauertal folgte.31
Im November 1815, am Ende der französischen Herrschaft, kurz vor dem Übergang
des Landes und der Gruben an Preußen, wurden die Gruben in Neunkirchen folgen-
dermaßen beschrieben: "Die herrschaftliche Steinkohlengrube Wellesweiler [...] baut
auf sechs verschiedenen Flözen. Sie ist mit 120 Mann belegt und fördert jährlich
ungefähr 10.000 Fuder Kohlen. Im Kohlwald werden verschiedene Flöze abgebaut.
Die Flöze sind in sieben Stollen aufgeschlossen und schon größtenteils abgebaut [...].
Die Grube ist mit 87 Mann belegt, welche jährlich 8.000 Fuder Kohlen fördern."32
Damit war Wellesweiler nach der Belegschaftszahl die zweitgrößte Grube in den
preußischen Saarkreisen. 1821 wurde westlich von Neunkirchen ein neuer Stollen
27 Fünfviertel Jahrhunderte (Anm. 5), S. 21f.
28 Hans Ehrenberg, Die Eisenhüttentechnik und der deutsche Hüttenarbeiter, Stuttgart
1906(= Münchener Volkswirtschaftliche Studien, Bd. 80), S. 55.
29 StA NK A-I 134, Bl. 14ff.; vgl. Fischer (Anm. 8), S. 442.
30 Hugo-Hermann Pilger, Die Industrie des Saarlandes zwischen dem Ersten und dem Zweiten
Pariser Frieden, in: Saarbrücker Bergmannskalender 1969, S. 71-83, S. 82.
31 Frühauf, Entwicklungstendenzen (Anm. 4), S. 16, 21
32 Pilger (Anm. 30), S. 81f.
29
angehauen: der Friedrich-Wilhelm-Stollen der neu eröffneten Grube König.33 Diese
sollte die Fettkohlenflöze erschließen, deren Kohle gut verkokbar war, und als
Zulieferer für das unweit gelegene Eisenwerk dienen.
Der Übergang zum Tiefbau auf der Grube König erfolgte erst mit einiger Verspätung
1846, das waren 20 Jahre nach der Einführung dieses Abbauverfahrens auf der ersten
preußischen Grube im Saarrevier!34 35 Bis dahin hatte die Grube König Wellesweiler
den ersten Rang innerhalb der Neunkircher Gruben längst abgelaufen: Die Beleg-
schaft von König stieg von 45 Mann (1835) über 203 Mann (1840) auf 1.130 Mann
(1850), bei Wellesweiler waren es: 124 Mann (1835), 275 Mann (1840) und 155 Mann
(1850).33 König war gemessen an der Fördermenge hinter der Grube Gerhard die
zweitgrößte Grube im Saarrevier.
Die guten Lagerverhältnisse im Bereich der Grube König sowie die Hoffnung auf
Mehrabsatz von Steinkohle nach der Anbindung an das Eisenbahnnetz veranlaßten
die Bergverwaltung, einen weiteren Abbaupunkt südwestlich von Neunkirchen zu
planen. Dieser wurde 1847 als Heinitzstollen in Betrieb genommen und sollte in
wenigen Jahren, nach der Anbindung an das Eisenbahnnetz, einen gewaltigen Auf-
schwung nehmen.36
Andere Gewerbezweige waren im Vergleich zu den bereits geschilderten Bereichen
in Neunkirchen von geringerer Bedeutung.37 In der Gewerbestatistik von 1822 fin-
den sich neben dem Eisenwerk eine Barchentfabrik, betrieben von Franz Couturier,
ehrenamtlicher Bürgermeister, und zwei Ziegelhütten, davon eine in Elversberg bei
Spiesen.38 Die Barchentfabrik, die Baumwollgewebe, die als Bett- und Leibwäsche
gebraucht wurden, herstellte, beschäftigte 1824 ca. 20 Arbeiter.39 In den 1830er
Jahren bestand diese Fabrik weiter, doch Bürgermeister Aich bemerkte bei der
"Gewerbestatistik von 1836": "Dieser Betrieb geht schwach, weil der Eigenthümer
< mittlerweile Couturiers Schwiegersohn Johann Krier, J.J.> es zu kostspielig findet,
gute Waren zu fabrizieren, und seinen Arbeitern den Lohn zu sehr beschränkt."40
1841 findet sich kein Hinweis mehr auf die Barchentfabrik.41
Die Zahl der Ziegelhütten stieg in den 1830er Jahren auf drei, die jeweils drei bis vier
Arbeiter beschäftigten,42 um zu Beginn der 40er Jahre auf vier Ziegelhütten anzu-
33 Otto Gross, Die Kohlengruben, in: Stadtbuch (Anm. 1), S. 305-324, S. 312.
34 Haßlacher (Anm. 24), S. 37.
35 Gross (Anm. 33), S. 312.
36 Frühauf, Entwicklungstendenzen (Anm. 4), S. 21.
37 E. von Schlechtendal, Versuch einer Statistischen Darstellung des Kreises Ottweiler ( =
Amtlicher Verwaltungsbericht für die Jahre 1859-61), Neunkirchen 1863, S. 122; Scholl (Anm.
16), S. 151.
38 StA NK AI-395, Bl. 12.
39 Ebd., Bl. 22.
40 Ebd., Bl. 84.
41 Ebd., Bl. 143-150.
42 Ebd., Bl. 84.
30
wachsen, wovon wiederum eine von Couturier betrieben wurde.43 Gründe für das
Anwachsen dieser Betriebe zur Baustoffherstellung liegen zum einen im Bedarf, der
durch die Erweiterung der Werksanlagen des Eisenwerkes geschaffen wurde, wie auch
in der privaten Nachfrage nach Baumaterial, die aufgrund des Bevölkerungswachs-
tums zugenommen hatte.44
Von 1837 bis 1848 bestand in Neunkirchen auch eine Flaschenglasfabrik unter der
Leitung von Franz Couturier, die 1840 an einem Ofen mit sechs Hafen 34 Menschen
Arbeit gab. Erst 1847 wurde mit der Kesselfabrik "Eduard Böcking" eine metallver-
arbeitende Fabrik in Neunkirchen gegründet, die aufgrund der steigenden Nachfrage
nach ihren Produkten bald expandieren sollte.45 Bierbrauereien gab es 1845 ins-
gesamt fünf in Neunkirchen, deren Gründung von Verwaltung und Regierung "zur
Errichtung guter Bierbrauereien" mit Zuschüssen gefördert wurde.46
Die Situation im Neunkircher Handwerk war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts von Anpassungskrisen geprägt. 1764 lebten in Neunkirchen - bei 1250 Ein-
wohnern - 66 Handwerker.47 Den größten Anteil hatten die Leinenweber mit 14. Im
Bauhandwerk (Maurer, Schreiner, Zimmerer) arbeiteten sechs Personen. Im Nah-
rungsmittelhandwerk gab es fünf Bäcker, drei Metzger und drei Müller. Zu den
Handwerkern wurden auch 38 Eisenschmelzer gezählt. Insgesamt waren in Neun-
kirchen 24 verschiedene Handwerks- und Gewerbezweige nachgewiesen.
Die politischen Veränderungen seit Beginn des 19. Jahrhunderts (Gewerbefreiheit)
erlaubten jedem die Gründung von Handwerksbetrieben. Diese Möglichkeiten wurden
auch wahrgenommen, bot doch die Landwirtschaft nur noch in eingeschränktem
Maße genügend Subsistenzmöglichkeiten. Die zunehmende Verarmung der bäuerli-
chen Bevölkerung - und die damit verbundene geringe Kaufkraft - bewirkte allerdings,
daß ein Großteil der Handwerker nicht über das Einkommensniveau der Bauern
hinauskam.48
Der Steuereinnehmer beklagte anläßlich der Eintreibung der Gewerbesteuer die
schlechte Lage der Handwerker, "die oft nur 2-3 Monate im Jahr beschäftigt wa-
ren."49 So waren 1838 83 Handwerker ganz von der Gewerbesteuer befreit, bei
vielen von ihnen findet sich der Beisatz: "arbeitet nur im Taglohn" oder "arbeitet nur
43 Ebd., Bl. 45, 111, 143ff.
44 Bernhard Krajewski, Kleinindustrie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Heimat-
kundliche Plaudereien, 5(1981), S. 50; Schlechtendal (Anm. 37), S. 129.
45 StA NK, AI-395, Bl. 94, 143ff; Karl Josten: Sonstige Industrie, in: Stadtbuch (Anm. 1), S.
325-329, S. 325f.; vgl. auch den Beitrag von Hans-Walter Herrmann, Der Siegeszug der
Dampfmaschine in der Saarindustrie, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend, Jg.
24(1981), S. 165-216, insb. S. 208ff.
46 StA NK, AI-132, BL 73f.
47 "Generaltabelle aus dem Oberamt Ottweiler aus dem Anfänge des Jahres 1764”, abgedruckt
bei Schlechtendal (Anm. 37), S. 27-29.
48 Karl Josten: Das Handwerk, in: Stadtbuch (Anm. 1), S. 339-345, S. 340.
49 StA NK AI-44, Bl. 41 passim.
31
auf den Gewerken",50 d.h. in diesem Falle auf dem Eisenwerk. Die Situation vieler
Handwerker unterschied sich um die Jahrhundertmitte kaum mehr von der der
Arbeiter auf dem Eisenwerk oder der Grube, vielmehr besaßen die Hauer der
Bergwerke im Vergleich zu diesen Handwerkern größere wirtschaftliche Sicherheit, da
sie quasi unkündbar waren.
Die Industrialisierung bot allerdings immer neuen Handwerkern Existenzmöglichkei-
ten. So finden wir 1840 den ersten Mechaniker in einer Gewerbeaufstellung51, da-
neben finden wir nun, aufgrund der zunehmenden Nachfrage in Verbindung mit der
Bevölkerungszunahme, Tapezierer, Lackierer und Barbiere.52
Daneben bestand noch in der Lebensmittelversorgung die Möglichkeit zur Expansion:
Die Zahl der Bäcker stieg im Zeitraum von 1822 bis 1862 von neun auf 20, die der
Fleischer von sieben auf 16. Kaufleute gab es 1822 drei in Neunkirchen, "Krämer mit
Kurzwaren" zehn; die "kaufmännischen Geschäfte hatten keinen sehr bedeutenden
Umfang."53 Der Handel beschränkte sich "hauptsächlich auf die innere Consumtion,
die eigenen Erzeugnisse und die eigenen Fabrikate."54 Die Anzahl der Märkte im
Kreis Ottweiler war groß, wovon allerdings die meisten von geringer Bedeutung
waren. Die Wochenmärkte im Kreis werden als schlecht besucht beschrieben, mit
Ausnahme des Neunkircher.55 In Neunkirchen fanden daneben drei Jahrmärkte
statt: Am dritten Dienstag im Mai, am 1. Sonntag nach Bartholomäus sowie am 2.
Dienstag im Oktober, wovon allerdings nur der zweite von Bedeutung gewesen sein
soll.56
Zur Verkehrssituation ist schon die Verkehrslage Neunkirchens - zwar an einer
Durchgangsstraße gelegen, jedoch Nachteile durch die Topographie - beschrieben
worden, die insbesondere wegen des Fehlens einer kostengünstigen Verbindung zu
den Absatzgebieten für die Massengüter Kohle und Eisen schlecht war und deren
Verbesserung durch den Anschluß an das Eisenbahnnetz erst die stürmische Entwick-
lung Neunkirchens während der Industrialisierung ermöglicht hat. Der Bau der
Eisenbahnen brachte ab Mitte der 1840er Jahre für mehr und mehr Menschen
Verdienstmöglichkeiten, insbesondere aus dem Umland. Seit 1832 führte die "Eilpost-
linie Saarbrücken-Bingen" zweimal wöchentlich durch Neunkirchen; das Personenfahr-
geld war jedoch mit acht Silbergroschen je Meile recht hoch.57 Die erste Briefsam-
50 StA NK, AI-320, Bl. 51.
51 Ebd., Bl. 86.
52 Josten, Handwerk (Anm. 48), S. 340.
53 Schlechtendal (Anm. 37), S. 129ff.
54 Statistisch-Topographische Beschreibung des Reg.Bez. Triers, Trier 1830, S. 159.
55 Schlechtendal (Anm. 37), S. 134.
56 Barsch (Anm. 7), Bd. 1, S. 36.
57 Bernhard Krajewski, in: Heimatkundliche Plaudereien, Bd. 3 (1977), S. 21.
32
melstelle in Neunkirchen, das noch zum Postzustellbezirk Ottweiler gehörte, wurde
1837 eröffnet, eine eigene "Postexpedition" erhielt Neunkirchen erst 1844.58
Bevölkerungswachstum und Stadtentwicklung
Gegen Ende des Jahres 1850 lebten ungefähr 5.400 Menschen in der Bürgermeisterei
Neunkirchen; um 1800 hatten hier knapp 1.800 Menschen gelebt. Der natürliche
Bevölkerungszuwachs betrug 2.600 Personen, der Wanderungsgewinn belief sich auf
ca. 1.000 Personen.59 Der natürliche Bevölkerungszuwachs war auf den Rückgang
der Sterblichkeit, insbesondere der Kindersterblichkeit der Altersgruppe von 1-15
Jahren, zurückzuführen. In den 1830er Jahren ist der Beginn der "demographischen
Transition", d.h. der Wechsel von einer "alten Bevölkerungsweise" mit hohen Gebur-
ten- und Sterberaten zu einer Bevölkerungsweise, in der die Sterblichkeit bei gleich-
bleibender Geburtenrate abzusinken beginnt, in Neunkirchen anzusetzen.
Die Siedlungsschwerpunkte Neunkirchens begannen aufeinander zuzuwachsen: Nie-
derneunkirchen, um die Hütte gelegen, Wellesweiler im Bliestal und Neunkirchen am
Schloßberg streckten ihre Ausläufer aufeinander zu, und von dem neu errichteten
Bahnhof aus wurde der dazwischenliegende Raum besiedelt. Die neu dazugekom-
menen Menschen suchten Siedlungsplätze. Dies blieb nicht ohne Folgen für die
sozialen und hygienischen Verhältnisse. Weder der verfügbare Wohnraum noch die
kommunale Infrastruktur konnten mit dem Bevölkerungswachstum mithalten: Straßen
und Wege wie auch Wasserver- und -entsorgung entsprachen den gesteigerten Bedürf-
nissen in keiner Weise. Ähnliches galt für die sozialen Einrichtungen. "Weder die
materielle noch die finanzielle Ausstattung der Kommunen ermöglichte eine angemes-
sene Erfüllung der nun sprunghaft gestiegenen Anforderungen."60 Die Kommune
konnte erst gegen Ende des Jahrhunderts durch den Aufbau einer spezialisierten
Verwaltung auf die kommunale Entwicklung Einfluß nehmen und diese zu gestalten
versuchen.
Hier war jedoch neben der fehlenden Spezialisierung der Verwaltung auch die Besitz-
struktur für eine geordnete Entwicklung hemmend: Der Gemeinde gehörten um 1850
lediglich 4% der Freilandflächen, während sich allein in Händen des Hüttenbesitzers
Stumm 18% befanden. Dies gab den privaten Besitzern von baureifem Land weitge-
hende Interventionsmöglichkeiten, die diese im Hinblick auf eine optimale Kapitalver-
wertung ihres Bodens zu nutzen wußten. Das bedeutete, daß zunächst der Bau von
Wohnraum im Vordergrund stand und andere Aspekte, wie Parks oder öffentliche
Anlagen, bei der kaum entwickelten Planung zu kurz kamen.
Mit dem Aufbau von Versorgungseinrichtungen, wie dem 1875 eröffneten Wasserwerk
oder dem 1892 errichteten Schlachthof sollte dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts der Abstand Neunkirchens zu den umliegenden Landgemeinden hinsichtlich
58 Verschönerungsverein Neunkirchen (Hrsg.), Führer durch Neunkirchen und Umgebung,
Neunkirchen, o.J., S. 30.
59 Schlechtendal (Anm. 37), S. 49; StA NK, AI-29.
60 Wittenbrock (Anm. 2), S. 87.
33
der Versorgungsiage weiter ausgebaut werden, was dann 1907 mit der Eröffnung der
Straßenbahn seinen vorläufigen Abschluß fand.
War Neunkirchen um 1800 noch ein - wenn auch schon recht großes - Bauerndorf, in
dessen Nähe sich eine ehemals herrschaftliche Eisenhütte und einige Kohlengruben
befanden und das aufgrund wildreicher Wälder in seiner Umgebung zum Standort
eines herrschaftlichen Jagdschlosses ausgewählt worden war, so hatte es um 1850
bereits die nahe Kreisstadt Ottweiler an Einwohnerzahl wie auch an Bedeutung für
den Kreis eingeholt, wenn nicht gar überholt. Eine technologisch hochentwickelte
Eisenhütte, auf deren Schienen die Eisenbahnen die Industrialisierung vorantrieben,
drei Steinkohlengruben, darunter die nach der Förderleistung zweitgrößte Grube des
Saarreviers, deren Absatzmarkt bis tief nach Süddeutschland reichte, und der An-
schluß an das deutsche und französische Eisenbahnnetz machten Neunkirchen um
1850 zu einem wichtigen Zentrum der Montanindustrie in den Saarkreisen und dem
südlichen Teil der preußischen Rheinprovinz. Die Ausstrahlungskraft seiner - in den
Anfängen steckenden - Industrie ging über die politischen Grenzen in das agrarische
Hinterland (Hunsrück, Pfalz) hinaus: Die Arbeitsplatzsuche im Umfeld des Neunkir-
cher Eisenwerkes stellte sich vielen Menschen in diesem Raum als Alternative zur
Auswanderung dar.
Hatte Neunkirchen bereits um 1850 zahlreiche Stadtgemeinden an Einwohnerzahl wie
auch an Bedeutung für sein Umland weit überflügelt, so sollte es doch noch über 70
Jahre dauern, bis es - rechtlich - zur Stadt wurde. Bei der Untersuchung der Gründe
für diese Verzögerung sollte insbesondere die Rolle der handelnden Akteure und
deren spezifische Interessenlagen unter die Lupe genommen werden.
34
Jean-Paul Lehners
Wohnen in Düdelingen zu Beginn des 20. Jahrhunderts7
In der Literatur zur Industrialisierung Luxemburgs findet man des öfteren den Begriff
der ausgebliebenen Verproletarisierung der Luxemburger Industriearbeiterschaft.1 2
Dabei wird das Wohnen fast nur im Rahmen der "traditionellen Vorliebe für das
eigene Haus" angesprochen,3 während die verschiedenen Aspekte der Wohnbedin-
gungen der Arbeiterschaft als wichtiges Indiz für das Vorhandensein oder Fehlen
eines Industrieproletariats weitgehend unbeachtet bleiben. Vor allem zeitgenössische
Untersuchungen im Bereich des Wohnungswesens sind bisher in dieser Perspektive
von der Forschung kaum ausgewertet worden, obwohl sie weitere Hinweise über
einen zentralen Lebensbereich der Industriearbeiterschaft enthalten. Eine auf empiri-
schen Daten beruhende Analyse der Wohnbedingungen jedoch kann für die Debatte
um die ausgebliebene Proletarisierung in Luxemburg eine zusätzliche Dimension
eröffnen und eine sozialhistorische Kategorienbildung dadurch absichern, daß neben
der sonst dominierenden Positionsbestimmung im Produktionsprozeß nun auch der
Bereich der Reproduktion erfaßt wird.
Detaillierte Angaben über die Wohnverhältnisse in einer rasch wachsenden Industrie-
siedlung enthält eine Häuser- und Wohnungsuntersuchung, die 1905/6 für einige
Gemeinden im Montanrevier im Süden Luxemburgs erstellt wurde. Schon die Auto-
ren dieser Wohnungsenquete waren sich darüber im klaren, daß die Lösung des
1 Dieser Artikel, eine erweiterte Fassung des Vortrags in Orscholz, entstand im Rahmen
meines vom Luxemburger Staat geförderten Forschungsprojekts "Structures familiales et vie
ouvrière au Luxembourg (1800-1920)" (MEN/CUL 87/001) am Centre Universitaire in
Luxemburg. Zum Konzept dieses Forschungsprojekts s. Jean-Paul Lehners, Demographische
und soziale Aspekte der Industrialisierung im Luxemburger Eisenerzbecken (1850-1920). Ein
Werkstattbericht, in: Historische Forschung mit kleio, hrsg. v. Thomas Engelke, Jürgen
Nemitz, Carolin Trenker, St. Katharinen 1990 (Halbgraue Reihe zur Historischen Fach-
informatik. Serie A, Band 8), S. 57-67. Ich danke den Teilnehmern des Orscholzer Kollo-
quiums für wertvolle Hinweise, besonders Rolf Wittenbrock. Ich danke ebenfalls Stefan
Leiner und Rolf Wittenbrock aus Saarbrücken sowie Mars Lorenzini aus Düdelingen für die
Durchsicht des Artikels, letzterem zusätzlich für eine Reihe wichtiger lokalhistorischer
Kenntnisse. Dank gebührt schließlich Peter Feldbauer aus Wien, den Mitarbeitern des
Nationalarchivs in Luxemburg sowie der Gemeindeverwaltung in Düdelingen für bereitwilligste
Auskunft.
2 So etwa bei Heinz Quasten, Die Wirtschaftsformation der Schwerindustrie im Luxemburger
Minett, Saarbrücken 1970, S. 164ff. Quasten beruft sich auf die Arbeiten von André Heider-
scheid, Aspects de sociologie religieuse du diocèse de Luxembourg, Luxemburg 1961-1962 (2
Bände); Paul Weber, Histoire de l’économie luxembourgeoise, Luxemburg 1950 sowie J. G.
Leibbrandt, Zware industrie in een agrarische omgeving. Rapport over de door Utrechtse
Studenten in de Sociologie gemaakte excursie naar het Groothertogdom Luxemburg in
Juni/Juli 1957, Utrecht 1957.
3 Quasten (Anm. 2), S. 167.
35
Wohnproblems ein zentrales Aufgabenfeld der sozialen Frage darstellte, und damit
erhielt auch diese Untersuchung eine sozialreformerische Zielsetzung: "Eines der
bedeutsamsten Erbteile, welche das zwanzigste Jahrhundert von dem neunzehnten
übernahm, ist der weitere Ausbau der ’sozialen Frage’, die Fortarbeit an der Lösung
jener Fragen, welche die Hebung der wirtschaftlich Schwachen bezwecken, und aus
welchen sich gegenwärtig besonders die Lohnfrage und die Wohnungsfrage her-
vorheben".4
Die Wohnungsenquete von 1905/6
Verfasser dieser in zwei Bänden publizierten Erhebung war die Ständige Kommission
für Statistik, die Ende 1905/Anfang 1906 eine äußerst detaillierte "Häuser- und
Wohnungsuntersuchung" in acht ländlichen bzw. industrialisierten Gemeinden des
Luxemburger Landes mit insgesamt 23 Ortschaften durchgeführt hatte.5 Es handelt
sich um den seltenen Fall einer Erhebung im Bereich von kleinen Ortschaften, die
sich noch auf dem Weg der Entwicklung zur Stadt befinden, während die Sozialen-
queten der Zeit sich - es ist darauf zurückzukommen - weit häufiger Mittel- und
Großstädten zuwendeten.
Die Tabellen in Band 1 umfassen meistens alle Ortschaften bzw. Gemeinden, wobei
einerseits für verschiedene Bereiche nur ganz allgemein zwischen ländlichen und
industriellen Ortschaften unterschieden, andererseits eine Aufteilung nach einzelnen
Ortsteilen bzw. nach den einzelnen Straßen für eine beschränkte Anzahl von Frage-
stellungen vorgenommen wird. In Band 2 werden die einzelnen Ortschaften und
Gemeinden separat behandelt; bestimmte Ortsteile werden, im Gegensatz zu Band 1,
systematisch eigens hervorgehoben. Die Kommission hatte zuvor sämtliche Häuser
der Gemeinde auf der Basis eines zweiteiligen vorgedruckten Erhebungsformulars
untersucht (Wohnungskarte, Abb. 1). Die dort gestellten Fragen sind den Fragestel-
lungen in einer Reihe deutscher Studien sehr ähnlich.6
Schon 1903 hatte die Kommission erwogen, "der Wohnungsfrage überhaupt und der
Arbeiterwohnungsfrage insbesondere näher zu treten" (HW1, S. 6). Im Staatsbudget
für das Jahr 1905 waren 5000 Fr. für diese Untersuchung vorgesehen (HW1, S. 6). Es
wurde hervorgehoben, daß das Medizinalkollegium sich im Mai 1905 gegen die Studie
aussprach, "weil es in hygienischer Hinsicht keinen Vorteil davon erwarte, der nur
durch polizeiliche Maßregeln zu erreichen sei" (HW1, S. 7).
4 Häuser- u. Wohnungsuntersuchung in den Gemeinden Differdingen, Düdelingen, Esch a. d.
Alzette, Hollerich, Arsdorf, Mertert, Rodenburg und Klerf. Publikationen der ständigen
Kommission für Statistik. Heft XVI. Erster Teil. Häuserstatistik, Luxemburg 1908; Heft XVIII.
Zweiter Teü. Wohnungsstatistik, Luxemburg 1909 (im folgenden zit. als HW1 bzw. HW2);
hier HW1, S. 3.
5 Zur Entstehungsgeschichte der Kommission s. Georges Als, Statistique et études écono-
miques au Luxembourg. Histoire et problèmes, Luxembourg 1990 (Cahiers économiques 80),
S. 25ff.
6 Siehe dazu weitere Informationen in den Schlußbemerkungen.
36
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9. an cinjelne ober an mehrere ©erfonen ein 3immcr abgetreten,
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11. allgemeiner 3ufta"b ber ©Bohnung: — a) gut erhalten, bernad;«
läffigt ? — b) troden, feucht? auSfefjungen über bie ©Bob*
nung im allgemeinen:__________:__________________________________
12. .Jiöhe beS ©erbienfteS refp. ©opaltcS beS ©BobmmgSinbabcrS:____
____ ben_____________________________190______
Abb. 1: Erhebungsforrnular der Kommission (HW 1, S. 8-9), Ausschnitt
37
Die Studie stellte eine große Leistung dar, jedoch keine Luxemburger Einzelleistung;
sie reiht sich ein in den Kontext der Entwicklung der Methoden der empirischen
Sozialforschung einerseits, der Sozialenqueten andererseits. Ähnliche Studien existie-
ren etwa für Basel und für Wien; im Deutschen Reich wurden Gutachten und Berich-
te des "Vereins für Socialpolitik" über "die Wohnungsnot der ärmeren Klassen in
deutschen Großstädten und Vorschläge zu deren Abhülfe"7 erstellt. In Luxemburg
wurde Mitte 1907, ein Jahr nach der Häuser- und Wohnungszählung der Kommission
für Statistik, eine ausführliche Berufs- und Gewerbezählung durchgeführt.8 Schließlich
erschien in demselben Jahr, also auch 1907, eine Broschüre mit dem Titel "Einiges
über Wohnverhältnisse der ärmeren Arbeiterbevölkerung in Luxemburg", zusammen-
gestellt vom "Verein für die Interessen der Frau" und herausgegeben in Verbindung
mit dem "Verein für Volks- und Schulhygiene".9 Eine der Initiatorinnen des erst-
genannten Vereins war Aliñe Mayrisch-de Saint Hubert, die Frau von Emile May-
risch, seit 1897 Direktor des Düdelinger Hüttenwerkes.
Düdelingen im Spiegel der Wohnungsstatistik
Die Enquete erfaßte in detaillierter Weise auch die Wohnverhältnisse in der Indu-
striesiedlung Düdelingen, wobei die Daten in der Zeit von November 1905 bis ein-
schließlich Januar 1906 erhoben wurden.10
Die Gemeinde Düdelingen, im Süden von Luxemburg an der Grenze zu Frankreich
gelegen, bestand aus den drei Ortschaften Düdelingen, Büringen und Budersberg.
Düdelingen ist eine der vielen Ortschaften, die sich sehr rasch im Zuge der Industria-
lisierung vom Dorf zur Industriesiedlung entwickelten und dabei Anfang des 20.
Jahrhunderts durch einen großherzoglichen Beschluß den Titel "Stadt" verliehen
erhielten, Düdelingen im Jahr 1907.11
Am 5. Juli 1882 erfolgte die Gründung des "Eisenhütten-Actien-Vereins Düdelingen"
(S.A. des Hauts Fourneaux et Forges de Dudelange) mit Bau einer Hüttenanlage und,
wichtig und erstmalig in Luxemburg, mit der Anwendung des Thomas-Verfahrens zur
Entphosphorisierung des Eisens, d.h. mit der Möglichkeit, Stahl zu produzieren.
7 Germaine Goetzinger, Sozialenquete 1907, in: Letzebuerger Almanach ’89, S. 58; zu den
eventuellen Inspiratoren der Studie von 1905/6 siehe auch die Hinweise am Schluß dieses
Beitrags.
8 Publikationen der ständigen Kommission für Statistik, Berufs- und Gewerbezählung vom 12.
Juni 1907, Luxemburg 1909/10 (Bände XXI bis XXXII).
9 Wie Anm. 7.
10 Hierzu ein quellenkritischer Hinweis: Da die Untersuchung im Winter vorgenommen
wurde, ergeben sich möglicherweise Verzerrungen bei der Einwohnerzahl, bedingt durch die
Abwesenheit der saisonalen Arbeitskräfte, etwa der Bergarbeiter im Tagebau oder der
Bauarbeiter; dasselbe gilt im übrigen auch für die Volkszählungen, deren Stichtag der 1.
Dezember war.
11 Zur Stadteinweihung s. Léon Koerperich, Robert Krantz u. Jean-Pierre Conrardy, Düdelin-
ger Chronik, Bd. 2, Esch/Alzette 1982, S. 15ff.
38
Bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts war die Bevölkerung Düdelingens relativ
konstant geblieben; seither haben wir es mit einem rapiden Bevölkerungsanstieg zu
tun, der bis zum Ersten Weltkrieg andauerte und den abrupten Übergang vom Dorf
zur Industriesiedlung verdeutlicht (Abb. 2).12
Jahre
■I Häuser ¡11111 Haushaltungen EZZ3 Einwohner
Abb. 2: Häuser, Haushaltungen und Einwohner in der Gemeinde Düdelingen
1871-1905 (HW1, S. 11)
Die Kommission zählte im ganzen 1059 Häuser mit 1837 Wohnungen (HW2, S. 70).
Dabei behandelte sie manchmal die Gemeinde als Ganzes, unterteilte sie jedoch in
folgende drei Gruppen, wenn es darum ging, differenziertere Statistiken aufzustellen:
zunächst die beiden Ortschaften Büringen und Budersberg zusammengenommen; sie
sind nur wenige Kilometer von Düdelingen entfernt (Düdelingen-Büringen 1,9 km mit
12 Zur Vermeidung des Begriffes "Stadt" in dieser Studie: Ich ziehe den Begriff "Industrie-
siedlung" bzw. "Industrieortschaft" dem Begriff "Stadt" vor, dessen Bedeutung vielschichtig ist
und zu Mißverständnissen Anlaß geben kann. Ob der Ort Düdelingen Anfang des 20. Jahr-
hunderts dem Stadttypus zuzurechnen ist, einfach dadurch, daß er den Titel "Stadt" verliehen
erhielt, soll in einer anderen Studie näher erörtert werden; so stellt sich etwa die Frage nach
dem Vorhandensein oder dem Fehlen eines Bürgertums, das an Stadtentwicklung und an
Miethäusern interessiert ist, sowie nach einem öffentlichen Interesse an der Verbesserung der
Infrastruktur. Für die in diesem Artikel behandelte Fragestellung ist die nähere Erörterung
dieser Themen meiner Meinung nach nicht ausschlaggebend. Zum Thema Verstädterung
neuerdings: Jürgen Kocka, Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der
Klassenbildung im 19. Jahrhundert, Bonn 1990, S. 53-60, hier S. 53; für das Saarland: Rolf
Wittenbrock, Industriedörfer und Verstädterung, in: Industriekultur an der Saar. Leben und
Arbeit in einer Industrieregion 1840-1914, hrsg. v. Richard van Dülmen, München 1989, S. 84-
95.
39
fast vollständig bebauter Verbindungsstraße, Düdelingen-Budersberg 2,2 km) und
haben die ganze Zeit hindurch ihren ländlichen Charakter bewahrt (Abb. 3). Dann,
im Ort Düdelingen selbst, der Ortsteil "Italien", wo das erste Haus 1883 errichtet
wurde, mit der Gafelterstraße. Die Begründung der Kommission für diese Sonderbe-
handlung lautete, daß sich dort größtenteils kleinere Arbeiterwohnungen befanden.
Die drei Straßen Ober- und Unteritalien sowie die Gafelterstraße "weichen von den
übrigen Ortsteilen zu sehr ab, als daß wir sie zusammen behandeln könnten" (HW2,
S. 70). Im Viertel "Italien" hatten sich, wie der Name es sagt, hauptsächlich italieni-
sche Arbeiter niedergelassen. Die Kommission behandelte damit die Ortsteile, die an
der einen Seite entlang der 1883 gebauten Eisenbahnlinie liegen, getrennt. Auch auf
der östlichen Seite der Eisenbahnlinie bildete sich ein neues Viertel: das Wohnviertel
"Schmelz" mit u.a. der Hüttenstraße, in dem besonders Deutsche und Belgier sich
ansiedelten. Fast 60 % der Ausländer verteilten sich auf die drei Strassen "Ober- und
Unteritalien" sowie auf die Hüttenstraße.13 Leider hat die Kommission dieses zweite
Viertel nicht gesondert behandelt.14 Die dritte Kategorie bildete schließlich der Rest
der Ortschaft Düdelingen.
Quantitative Wohnungsversorung
Zur Entwicklung der Häuser- und Wohnungszahl von 1871-1905 (vgl. Abb. 2) stellte
die Kommission fest, daß die ihr für diese Statistik zur Verfügung stehenden Daten
aus den Ergebnissen der Volkszählungen stammten und daher nur aggregierte Daten
auf Gemeindeebene enthielten. Erst ab der Volkszählung von 1900 wurden die
Wohnhäuser pro Ortschaft ausgezählt und nicht nur pro Gemeinde (HW1, S. 16).
Außerdem bestanden Zweifel, ob die Daten immer vorschriftsmäßig erhoben wurden,
auf welche Weise z.B. doppelte Wohnhäuser gezählt wurden, "welche sich zwar unter
einem gemeinsamen Dache befinden, jedoch vom Dache bis in den Keller durch eine
Brandmauer getrennt sind" (HW 1, S. 12). Unregelmäßigkeiten sind auch bei der
Durchschnittszahl der Haushaltungsmitglieder möglich, da Arbeitergruppen häufig
gemeinsame Küchen führten und die Zahl ihrer Mitglieder laufend schwankte, "je
13 Robert Weber, Die Ausländer in Düdelingen um die Jahrhundertwende. Beitrag zur
Geschichte der Einwanderung nach Düdelingen von 1898 bis 1919, Luxemburg 1982 (mémoi-
re, stage pédagogique, masch.), S. 69.
14 Zur Viertelbildung: Robert Weber (Anm. 13), S. 69-72. Allg, Bruno Fritzsche, Das Quartier
als Lebensraum, in: Arbeiterexistenz im 19. Jahrhundert. Lebensstandard und Lebensgestal-
tung deutscher Arbeiter und Handwerker, hrsg. v. Werner Conze u. Ulrich Engelhardt,
Stuttgart 1981, S. 92-113; Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland,
Frankfurt a. Main 1985, S. 91-109; Wolfgang R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20.
Jahrhundert, Göttingen 1989, S. 88ff. Zur Rolle der Bahnhöfe als entscheidende Orientie-
rungspunkte s. etwa Rolf Wittenbrock (Anm. 12), S. 85. In Düdelingen wurde mit dem Bau
des Hüttenwerks vor dem Bau der Eisenbahn begonnen.
40
Abb. 3:
Pläne der Gemeinde Düdelingen (gezeichnet von Alain Bourmer)
41
nachdem sie sonstwo unter günstigen Bedingungen Kost und Wohnung finden"
(HW1,S. 13).15
Bei der Auswertung fällt zunächst ein Kuriosum auf: 1871 übertraf die Zahl der be-
wohnten Häuser die Zahl der Haushaltungen; auf 327 Häuser entfielen nur 320 Woh-
nungen. Wenn wir die Hypothese eines Rechenfehlers ausschließen (leider fehlt das
Urmaterial, das eine Überprüfung der hier aggregierten Daten ermöglichen würde),
bleibt die von der Kommission angegebene Vermutung, mehrere Familien hätten zwei
Häuser zugleich belegt, was auf dem Lande nicht unbedingt außergewöhnlich sein
mußte, "da oft ein Teil der Familienangehörigen in einem anstoßenden Hause schläft"
(HW1, S. 12).
Konnte der starke Bevölkerungsanstieg auf dem Wohnungssektor aufgefangen wer-
den? Die Zahl der Personen pro Haus betrug in der Gemeinde Düdelingen (HW1,
S. 12): 1871 4,86 Personen pro Haus, 1890 9 Personen, 1895 10,41 Personen.16 Die
Zahlen sprechen für sich. Die Bevölkerung wuchs eindeutig schneller als die Zahl der
Wohnungen und Häuser, so daß es zu einer rapiden Verschlechterung kam. Außer-
dem ging die Entwicklung in Sprüngen vor sich. So stieg etwa die Einwohnerzahl
zwischen 1880 und 1885 um über 124 %, während die Zahl der Häuser nur um 33 %
zunahm, ein katastrophales Ergebnis auch im Vergleich zu den anderen untersuchten
Industriegemeinden Differdingen und Esch an der Alzette (HW1, S. 16). Dazu die
Kommission: "Die ungemein rasche Entwicklung, wir möchten sagen das plötzliche
Emporschießen der Großindustrie hat inbetreff der Wohnverhältnisse unverkennbar
etwas beklemmendes an sich: aus allen Himmelsgegenden wird die Bevölkerung durch
den gebotenen Erwerb herbeigelockt, doch denkt niemand, vordran dieser neuen
Bevölkerung auch nur ein einigermaßen genügendes, menschenwürdiges Obdach zu
sichern und so kommt es denn, daß Viehställe primitivster Bauart zu Menschen-
wohnungen benutzt werden müssen. Die Benutzung dumpfer, ungesunder Kellerwoh-
nungen gehört dann nicht mehr zu den Ausnahmen. Erst nachdem die Großindustrie
eine Zeit lang festen Fuß gefaßt, denkt man allmählich auch an das Erstellen von
Arbeiterwohnungen" (HW1, S. 16).
15 Diese Schwankungen, bedingt durch den Bedarf an Arbeitskräften, führten dazu, die
Variationen der Bevölkerungszahl in den alle fünf Jahre vorgenommenen Volkszählungen mit
Vorsicht zu verwenden (Problem der runden Zahlen). Außerdem ist für eine weitere Unter-
suchung die Unterscheidung zwischen luxemburgischer und ausländischer Bevölkerung
vorzunehmen. Die Gesamteinwohnerzahl der Gemeinde Düdelingen wuchs z. B. zwischen
1900 und 1910 um 23,59 %, die der ausländischen Bevölkerung um 13,09 %, die der luxem-
burgischen Bevölkerung um 30,60 %, s. Paul Didlinger, Die Entwicklung der ausländischen
Bevölkerung der Stadt Esch/Alzette von 1900-1925, Luxemburg 1978 (mémoire, stage pédago-
gique, masch.), S. 234, und Benito Gallo, Les Italiens au Grand-Duché de Luxembourg,
Luxembourg 1987, S. 18.
16 Die im Viertel "Brill” von der Hüttengeselischaft errichteten Arbeiterwohnungen waren
vermutlich ein Faktor, der den Engpaß auf dem Wohnungsmarkt etwas gemildert hat, denn
schon 1900 sank die Anzahl der Personen pro Haus auf 10,13 und 5 Jahre später auf 9,51, s.
Léon Koerperich u. Robert Krantz, Düdelinger Chronik, Bd. 1, Esch/Alzette 1980, S. 178.
42
Wieviele Kellerwohnungen es genau in Düdelingen gab, entzieht sich unserer Kennt-
nis. Die Kommission hat deren neun in der Gemeinde ermittelt (HW2, S. 306).
Aufgrund des Bautenreglements von 1907 waren Kellerwohnungen "unzulässig sowohl
für Menschen als für Vieh".17
Unterscheidet man zwischen den ländlichen Ortschaften und dem Industrieort Düde-
lingen, so ergeben sich für 1900 in Düdelingen fast 1,9 Wohnungen pro Haus, in
Büringen dagegen nur 1,2 und in Budersberg 1,0. Diese Unterschiede treten noch
deutlicher hervor bei der Einwohnerzahl pro Haus: In Düdelingen kommen 10,9
Personen auf ein Haus, in Büringen 5,7 und in Budersberg 5,1 Personen, also um die
Hälfte weniger als im Hauptort Düdelingen (HW1, S. 17f.): ein Hinweis auf die
geringe Aussagekraft von allzugroben Mittelwerten für den Gesamtort.
Unterscheidet man noch genauer nach Straßen, so zeigen sich markante Unterschie-
de, z.B. zwischen Unteritalien (585 Bewohner, 16,7 Einwohner pro Haus), Oberitalien
(1041 Einwohner, 14,1 Personen pro Haus) auf der einen, dem Marktplatz, der
Marktstraße (39 Einwohner, 4,9 Personen pro Haus) und der Schulstraße (37 Ein-
wohner, 4,6 Personen pro Haus) auf der anderen Seite (HW1, S. 16*f.). Dies verweist
gleichzeitig auf die geringe Entwicklung des Siedlungskerns im Vergleich zu den
Randvierteln.
Nicht alle Häuser und Wohnungen waren bewohnt. Zu den leerstehenden Wohnungen
lassen sich, in Anlehnung an die Arbeit der Kommission (HW1, S. 23f.), folgende
Hypothesen formulieren:
1. Ein gewisser Teil der Wohnungen bzw. Häuser steht bei jeder Untersuchung leer
wegen Umzügen, Instandsetzung usw. Zur Zeit der Untersuchung wurden generell 2,5
bis 3 % leerstehende Wohnungen als normal angesehen (HW1, S. 22).18
2. Wenn der Prozentsatz der leerstehenden Wohnungen diese Ziffer unterschreitet,
ist das ein Hinweis auf offene Wohnungsnot: Reparaturbedürftige Häuser und
Wohnungen werden nicht instandgesetzt und verfallen; außerdem stehen dann die
hohen Mietzinsen in keinem Verhältnis mehr zum eigentlichen Wert der Wohnung.
Düdelingen-Ort, mit 0,8 % leerstehenden im Verhältnis zu den bewohnten Wohnun-
gen, wäre also in dieser Situation (HW2, S. 70). Dazu bemerkte die Kommission, daß
"in den teilweise bewohnten Häusern nur die Wohnungen mit einer geringeren Anzahl
Räume belegt sind und dies als die wohlfeileren, während die besseren bzw. die teue-
17 Stadtverwaltung Düdelingen, Reglement v. 28. November 1907 betr. Anlage von Straßen
und Neubauten; Gemeindearchiv Düdelingen, Sitzungsprotokolle des Gemeinderats, hier S.
784 (im folgenden zit. als Bautenreglement).
18 Zum Thema "leerstehende Wohnungen" s. allg. Karl Seutemann, Die Deutsche Wohnungs-
statistik, ihr gegenwärtiger Stand und ihre Bedeutung für die Wohnungsreform, Göttingen
1902 (= Die Wohnungsfrage und das Reich. Eine Sammlung von Abhandlungen herausgege-
ben vom Verein Reichs-Wohnungsgesetz, Heft 6), hier S. 37-39. Wischermann weist auf die
notwendige Unterscheidung zwischen leerstehenden Wohnungen und ausschließlich gewerb-
lich genutzten leerstehenden Räumen hin, s. Clemens Wischermann, Wohnungsnot und
Städtewachstum. Standards und soziale Indikatoren städtischer Wohnungsversorgung im späten
19. Jahrhundert, in: Arbeiter im Industrialisierungsprozeß. Herkunft, Lage und Verhalten,
hrsg. v. Werner Conze u. Ulrich Engelhardt, Stuttgart 1979, S. 201-226.
43
reren Wohnungen, als dem Verdienst des Arbeiters nicht entsprechend, leer stehen
bleiben" (HW1, S. 54).
Diese Bemerkungen gelten nur für die Industriesiedlung. In den ländlichen Orten gab
es wenig oder keine leerstehenden Wohnungen oder Häuser; trotzdem kann man
nicht von Wohnungsmangel reden. Da die meisten Wohnungen Eigentumswohnungen
waren, gab es weniger Umzüge, bei denen Wohnungen oder Häuser zwangsläufig eine
gewisse Zeitlang leerstehen (HW1, S. 23).19
Unterschiede zeigten sich auch in der Häufigkeit des Wohnungswechsels (HW2, S.
120). In Düdelingen-Ort wurden die Mietwohnungen durchschnittlich 2,5 Jahre
bewohnt, im Viertel "Italien" nur 1,6 Jahre. Diese Mobilität hing mit dem häufigen
Wechsel des Arbeitsplatzes zusammen;20 sie erschwerte, mit verschiedener Gewich-
tung natürlich, das Leben von Arbeitnehmern und -gebern, von Vermietern und
Mietern.
Topologische Merkmale
Eine weitere Aufschlüsselung der Häuser erfolgt in der Wohnungsenquete nach Ein-
und Mehrfamilienhäusern. 58 % der Häuser in der Gemeinde Düdelingen waren
Einfamilienhäuser, also blieben 42 % für die Mehrfamilienhäuser. Eine Untersu-
chungsebene tiefer treten die Unterschiede klar zutage. In den zwei ländlichen Orten
waren über 90 % der Häuser Einfamilienhäuser (46 von 48 Häusern in Büringen, 66
von 72 Häusern in Budersberg), in Düdelingen 54 % (501 von 928 Häusern). Es stellt
sich die Frage, ob bei dem relativ hohen Prozentsatz an Einfamilienhäusern über-
haupt von einer Stadtsiedlung gesprochen werden kann. Ein anderes Indiz dafür, ob
der Ort dem Stadttypus zugerechnet werden kann, ist die Anzahl der Stockwerke pro
Haus. In sämtlichen Orten, die von der Kommission untersucht wurden, gab es kein
Haus mit mehr als drei Stockwerken. Im Ort Düdelingen fand sich kein Haus mit
mehr als zwei Stockwerken (2 % der Häuser hatten nur ein Erdgeschoß, 91 % ein
Stockwerk und 7 % zwei Stockwerke); in den beiden Dörfern der Gemeinde gab es
kein Haus mit mehr als einem Stockwerk (HW1, S. 24). Hierzu bemerkte die Kom-
mission: "Hier hat der Boden geringeren Wert, weshalb es sich nicht lohnt, mit
bedeutenden Unkosten die Gebäude in die Höhe zu treiben, anstatt dieselben an
Bodenfläche gewinnen zu lassen. Zudem haben wir im allgemeinen in den ackerbau-
treibenden Ortschaften nur mit Eigentümerwohnungen zu tun, weshalb es sich als
nutzlos erweist, ein überflüssiges Stockwerk nebst Mansarden dem für die Bedürfnisse
einer Familie genügenden Gebäude hinzuzufügen" (HW1, S. 34).
19 Leider läßt sich der interessante Zusammenhang zwischen der Anzahl leerstehender
Wohnungen und der Anzahl der Kündigungen nicht bestimmen, da letztere Zahlen fehlen.
20 Über 70 % der Aufenthalte von Ausländern waren kürzer als ein Jahr, dabei gab es für 70-
80 % der Ausländer nur einen Aufenthalt in Düdelingen; s. Weber (Anm. 13), S. 117, 120.
War Düdelingen ein riesiges "Durchgangslager”? Zum Begriff s. Michael John, Wohnverhält-
nisse sozialer Unterschichten im Wien Kaiser Franz Josephs, Wien 1984, S. 58.
44
Erwähnt sei hier auch noch das Vorhandensein von fünf Anstalten im Ort Düddingen
mit insgesamt 116 Bewohnern, auf die in der Untersuchung von 1905/06 leider nicht
näher eingegangen wird.
Wichtig für die Entwicklung der Industriesiedlung ist auch die Erbauungszeit der
Häuser (Tab. 1), wobei jedoch folgende Hinweise zu beachten sind. Es gibt Abwei-
chungen zwischen den Resultaten der Volkszählung und dem Resultat der Wohnungs-
untersuchung (HW1, S. 76; s. auch HW1, S. 74). Stichdatum der Volkszählung war
der 1. Dezember. Die Neubauten, die zu dem Datum noch nicht fertiggestellt bzw.
noch nicht bewohnt waren, wurden nicht in Betracht gezogen, im Gegensatz zur
Wohnungsuntersuchung, bei der sie für das betreffende Jahr als Neubauten vermerkt
wurden. Zudem sind bei der Interpretation der Tabelle die unterschiedlichen Zeit-
intervalle zu beachten (1871-1880, 1901-1904). Die Angaben für die Jahre 1871 und
früher sind wenig zuverlässig. Trotzdem sind etwa der Unterschied zwischen Industrie-
und Agrarort, die "rezente" Entwicklung des "Italien"-Viertels und die sprunghafte
Entwicklung des Bauwesens, u.a. in Zusammenhang mit dem Ausbau der Hütte, aus
der Tabelle abzulesen.
Erbauungszeit der Häuser B 1 E 6 J E « v 3
Ortschaften 1905 1904 1900 1895 1890 1880 1870 1 X & « g E OjC <U a 112 ^ V c £
und bis bis bis bis bis und 2 j= S | 2 .a g 2 Q Je t %
1906 1901 1896 1891 1881 1871 früher > 3 1 1
Düdelingen 6 66 147 93 278 73 136 296 178 325
Ober- und Unteritalien 12 7 35 37 34 4 - 27 26 76
Budersberg und Büringen 1 4 2 8 32 24 49 103 2 15
Gemeinde 19 77 184 138 344 101 185 426 206 416
Tab. 1: Erbauungszeit der Häuser (HW1, S. 74)
Schließlich ist der Hausbestand nach dem Status der Bewohner zu gliedern nach
Eigentümern, Mietern und Inhabern einer Dienstwohnung. Vier Klassen von Häusern
wurden unterschieden: reine Miethäuser, Teilmiethäuser, nur vom Eigentümer
bewohnte Häuser und Häuser mit reinen Dienst- oder Freiwohnungen, d.h. "solche,
die dem Inhaber infolge eines Amtes oder Arbeitsverhältnisses zur freien Benutzung
überlassen sind" (HW2, S. 4).
Eine Differenzierung kann nach drei Kriterien vorgenommen werden: nach Häusern,
nach Wohnungen und nach Wohnräumen. Im Hausbestand von Düdelingen21 gab
21 Falls Düdelingen im Zusammenhang mit dem Ttalien"-Viertei erwähnt wird, handelt es sich
immer um den Ort Düdelingen abzüglich der drei Straßen Ober- und Unteritalien sowie
Gafelt.
45
es fast 36 % reine Miethäuser, in "Italien" dagegen über 57 %. Der Prozentsatz der
Eigentümerhäuser im Ort Düdelingen war dementsprechend relativ hoch: 37 %
gegenüber 20,9 % in "Italien" (HW1, S. 109). In den reinen Eigentümerhäusern gab
es weniger Wohnungen als in den reinen Miethäusern: viele Eigentümerhäuser
bestanden aus nur einer Wohnung. Die Nur-Miethäuser wiesen andererseits eine
höhere Zimmerzahl auf.
Es ist also erforderlich, die drei Untersuchungsebenen Haus, Wohnung und Zimmer-
zahl nebeneinander zu berücksichtigen, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu
kommen. Deshalb sollen im weiteren Verlauf der Untersuchung die Wohnungen
stärker in den Mittelpunkt rücken. Zunächst zur Einteilung der Wohnungen in
Eigentums-, Miet- oder Dienstwohnungen (Tab. 2).
Ortschaften Zahl der Von je 100 Wohnun- gen sind:
Eigentümer- Wohnungen Mietwohnungen Freiwohnungen Wohnungen überhaupt Eigentümer- Wohnungen Mietwohnungen Freiwohnungen
Düdelingen 479 878 59 1416 33,8 62,0 4,2
Italien und Gafelter 53 211 2 266 19,9 79,3 0,8
Budersberg, Büringen 108 13 7 128 84,4 10,1 5,5
Im ganzen 640 1102 68 1810 35,4 60,9 3,7
Tab. 2: Zahl der Eigentums-, Miet- und Dienstwohnungen (HW2, S. 70)
Die Mietwohnungen waren im Quartier "Italien", genauso wie bei den Häusern,
zahlreicher als in der engeren Ortschaft Düdelingen. Im "Italien"-Viertel waren vier
Fünftel aller Wohnungen von Mietern bewohnt, im Rest Düdelingens drei Fünftel
(HW2, S. 70). Dabei lagen im engeren Düdelingen nur 11,2 % der Mietwohnungen
in Einfamilienhäusern, in den beiden Dörfern jedoch über 53 % (HW2, S. 71). Was
die Anzahl der Wohnungen pro Haus anbelangt, waren in Düdelingen und im Ortsteil
"Italien" ein Drittel der Mietwohnungen in Häusern mit vier und mehr Wohnungen
untergebracht. In den beiden Dörfern fehlten jedoch die Häuser mit mehr als drei
Wohnungen überhaupt (HW2, S. 71).
Zur Gliederung der Daten nach den Berufen der Haushaltsvorstände verfügen wir
leider über keine Zahlen, die einen Vergleich zwischen den häuserbesitzenden und
den besitzlosen Erwerbstätigen erlauben (HW1, S. 66). Die Berufsgruppen wurden
eingeteilt in a) selbständige Inhaber sowie leitende Beamte; b) Arbeiter, Taglöhner,
Gesellen usw. (Tab. 3). Im Bergwerks- und Hüttenwesen nahm die Kommission
folgende Unterscheidung vor: "Bei a wurden gezählt die Besitzer und Unternehmer,
46
die Direktoren, Ingenieure und andere Beamten wie Buchhalter, Korrespondenten
und Steiger; bei b sind sämtliche Arbeiter einbegriffen, z. B. auch die Maschinisten,
Lokomotivführer, Wiegemeister und Pförtner" (HW2, S. 13; s. auch HW1, S. 65).
Im ganzen wurden fast drei Fünftel aller Wohnungen von Haushaltungen genutzt, bei
denen der Haushaltsvorstand im Bergwerks- oder Hüttenwesen beschäftigt war, am
häufigsten natürlich im Viertel "Italien" (HW2, S. 79),22 Was die Zimmer anbelangt,
so war der Anteil der Arbeiter an den Zimmern überall kleiner als der Anteil an den
Wohnungen. Die Arbeiter waren jedoch bei den Bewohnern pro Wohnung wieder
stärker vertreten, so daß man sagen kann, daß die Wohnungen dieser Haushalte
"weniger Zimmer, die Zimmer dagegen mehr Bewohner zählen als alle Wohnungen
im Durchschnitt der Gemeinde" (HW2, S. 79).
Hervorzuheben bleibt, daß in der Gemeinde Düdelingen 21,3 % der Hausbesitzer
Arbeiter waren, ein hoher Prozentsatz im Vergleich zu den anderen Industrieorten
(HW1, S. 67).23
Bei der Berücksichtigung der Eigentumsverhältnisse ergibt sich folgendes Bild: Von
sämtlichen Mietern entfielen "auf die Bergwerks- und Hüttenarbeiter 70,6 %, von den
Eigentümerwohnungen jedoch nur 30,5 %. [...] Neben den Bergwerks- und Hütten-
arbeitern sind noch die landwirtschaftlichen und gewerblichen Taglöhner bei den
Mietwohnungen stärker vertreten als bei den Eigentümerwohnungen, während alle
übrigen Berufsgruppen bei den Eigentümerwohnungen stärker vertreten sind" (HW2,
S. 80).
Qualitative Merkmale
Zeitgenössische Untersuchungen ergaben, daß mit wachsender Zahl der Stockwerke
im allgemeinen die Zahl der Häuser mit Mansardenräumen abnimmt (HW1, S. 37).
In Düdelingen war jedoch das Gegenteil festzustellen: mit wachsender Zahl der
Stockwerke nahm auch die Anzahl der Mansardenräume zu (HW1, S. 36), was darauf
hinzuweisen scheint, daß diese Mansarden zu Wohnzwecken benutzt wurden (HW1,
S. 39).
Auch wenn im Ort Düdelingen 92 % der Häuser einen Keller, 91 % einen Speicher,
87 % Keller und Speicher und nur 4 % weder Keller noch Speicher (HW1, S. 22-25)
aufwiesen und Häuser ohne Keller und Speicher meistens nur in kleineren Bauten zu
finden waren (HW1, S. 26), ändert sich das Bild ein wenig, wenn man die Wohnungen
in Betracht zieht. Auf dieser Ebene waren 12 % ohne Speicher und Keller, nur 74,9
% hatten Speicher und Keller (HW1, S. 24, HW2, S. 83). Im Quartier "Italien" war
die Lage viel schlechter: Dort hatten nur 41,7 % der Wohnungen Keller und Spei-
22 Im Hüttenwerk arbeiteten im Jahre 1906 2428 Personen, davon 1032 Italiener und 355
Deutsche; 700-800 Personen arbeiteten im Bergbau, davon 50-60 % Italiener; s. Dudelange.
L’usine centenaire 1882-1982, Luxemburg 1982, S. 90, 94.
23 Diese Zahl bedarf natürlich einer näheren Erklärung, die im augenblicklichen Stand der
Untersuchung noch nicht geleistet werden konnte. Es stellt sich etwa die Frage, in welche
Kategorie die Kommission die Arbeiter eingestuft hat, die als Bauunternehmer tätig waren.
47
eher, während 39,5 % weder über einen Speicher noch einen Keller verfügten (HW2,
S. 83). Auch hier gilt, wie bei vielen anderen Resultaten, daß die Eigentumswohnun-
Beruf der Haushaltsvorstände Auf die verschiedenen Ber teilen sich wie folgt ufsarten ver- e 100
Wohnungen Zimmer Bewohner
Düdelingen
1. Bergwerks- und Hüttenwesen a 5,7 8,9 5,3
b 55,6 43,1 57,5
2. Landwirtschaft und Gewerbe a 14,5 17,9 13,4
b 5,2 4,2 4,4
3. Gast- und Schankwirte a 6,4 10,2 8,6
4. Handel a 3,5 5,2 3,6
5. Andere Berufe a 8,0 9,7 6,4
b 1,1 0,8 0,8
Im ganzen a 38,1 51,9 37,3
b 61,9 48,1 62,7
Italien und Gafelter
1. Bergwerks- und Hüttenwesen a 1,5 3,3 0,8
b 63,9 58,9 67,9
2. Landwirtschaft und Gewerbe a 4,9 3,9 2,6
b 6,8 4,2 4,6
3. Gast- und Schankwirte a 13,2 19,8 16,7
4. Handel a 4,1 4,8 4,1
5. Andere Berufe a 5,6 5,1 3,3
Im ganzen a 29,3 36,9 27,5
b 70,7 63,1 72,5
Budersberg, Büringen
1. Bergwerks- und Hüttenwesen b 28,1 24,1 33,6
2. Landwirtschaft und Gewerbe a 41,4 50,1 38,2
b 10,2 5,7 8,2
3. Gast- und Schankwirte a 4,7 6,3 4,8
4. Handel a 1,5 1,6 2,5
5. Andere Berufe a 10,2 8,2 8,4
b 3,9 4,0 4,3
Im ganzen a 57,8 66,2 53,9
b 42,2 33,8 46,1
Gemeinde Düdelingen
1. Bergwerks- und Hüttenwesen a 4,6 7,3 4,1
b 55,0 43,4 58,0
2. Landwirtschaft und Gewerbe a 15,0 19,1 12,9
b 5,7 4,3 4,6
3. Gast- und Schankwirte a 7,3 11,1 9,9
4. Handel a 3,4 4,8 3,7
5. Andere Berufe a 7,9 9,0 5,9
b 1,1 1,0 0,9
Im ganzen a 38,2 51,3 36,5
b 61,8 48,7 63,5
Tab. 3: Gliederung der Wohnungsinhaber nach Berufen (HW2, S. 78)
48
gen bessere Verhältnisse aufwiesen als die Mietwohnungen und daß im Viertel
"Italien" bedeutend ungünstigere Verhältnisse herrschten als im restlichen Düdelingen,
ein Ergebnis, das die Vorgehensweise der Kommission, dieses Viertel separat zu
behandeln, vollauf rechtfertigt.
Zu den Problemen, die sich beim Fehlen von Kellern und/oder Speichern ergaben,
vermerkte die Kommission: "Wo diese Räume fehlen, müssen in den Wohnzimmern
eine Menge Gegenstände aufbewahrt werden, die den [...] ohnehin sehr beschränkten
Raum, besonders der Mietwohnungen, noch mehr einengen. Wir erinnern nur an die
Unterbringung des Feuerungsmaterials. Ferner ist das Vorhandensein eines Wasch-
hauses von großem Werte; wo ein solches fehlt, muß die Wäsche in der Küche, die
des öfteren auch als Wohnzimmer benutzt wird, vorgenommen werden" (HW2, S. 21;
s. auch FIW1, S. 26). Und weiter heißt es: "Beim Fehlen des Speichers kommt noch
dazu, wenigstens während der schlechten Jahreszeit und auch das ganze Jahr über,
wenn ein freier Platz nicht zur Verfügung steht, das Trocknen der Wäsche in den
Wohnzimmern" (HW2, S. 21). Und schließlich: "Wenn man nun bedenkt, daß manche
Familien nur über einen Wohnraum verfügen, der zugleich als Küche, Stube und
Schlafzimmer benutzt wird, so gewinnt man die Überzeugung, daß es in solchen
Wohnungen nicht nur an dem nötigen Raum mangelt, sondern daß auch notgedrun-
gen in solchen Räumen der größte Wirrwarr herrschen muß. Derselbe Raum muß
alsdann zu allem benutzt werden, wovon das Trocknen der Wäsche überm Ofen nicht
immer das ungesundeste ist" (HW1, S. 26f.).
Auch das Vorhandensein von Aborten ist ein wichtiger Indikator für Wohnqualität und
Hygiene. "Von sämtlichen 1102 Mietwohnungen haben deren nur 226 oder 20,5 %
einen eigenen Abort, 0,3 % haben keinen Abort, so daß noch 873 Wohnungen oder
79,2 % verbleiben, die einen Abort mit anderen Wohnungen gemeinsam haben"
(HW2, S. 83). Von den Häusern der Gemeinde hatten 4,2 % keinen Abort (HW1, S.
103). In Ober- und Unteritalien samt Gafelterstraße waren 13,2 % der Häuser ohne
Abort, "ein Zustand, der zu ernsten Bedenken Anlaß gibt, wenn man dort die dicht-
gedrängte Arbeiterbevölkerung inbetracht zieht und zugleich dem Unrat Rechnung
trägt, der hier in den meisten Häusern vorherrscht" (HW1, S. 55). Hinzuweisen ist
auch auf die Bedeutung der Abflußverhältnisse mit dem Risiko der Vergiftung von
Boden und Brunnenwasser, ein Problem, das bis heute im "Italien"-Viertel nicht gelöst
ist.
Das wichtigste Kriterium für die qualitative Ausstattung war die Größe einer Wohnung,
die anhand der Zimmerzahl pro Wohnung, der Grundfläche und des Rauminhalts zu
analysieren ist. Als Zimmer wurden bei der Wohnungsenquete "alle Räume gezählt,
die zu einer Wohnung gehören und zu Wohnzwecken dienen können, also auch die
Küchen, Mansardenzimmer, usw.; ausgeschlossen sind nur die Geschäfts- das sind
Ladenräume sowie die Arbeitsräume und die zu Geschäftszwecken dienenden Neben-
räume, wie Zimmer, die zum Aufbewahren von Waren dienen usw." (HW2, S. 306; s.
auch HW1, S. 27, S. 47). Ein Beispiel: Eine aus zwei Zimmern und einer Küche
bestehende Wohnung wurde zu den Wohnungen mit drei Zimmern gezählt. Dieser
Hinweis ist wichtig, da z.B. in verschiedenen deutschen Statistiken die Küche nicht als
49
Zimmer gerechnet wurde. Die Luxemburger fanden ihr eigenes Vorgehen zweckmäßi-
ger, da bei der mißlichen Wohnlage die Küchen auch als Wohnzimmer benutzt
wurden. Sie lehnten sich damit an ähnliche Wohnstatistiken aus Wien, London und
Paris an (HW2, S. 306).
Ein erster Anhaltspunkt ergibt sich aus der durchschnittlichen Zimmerzahl der
Wohnungen: die Eigentumswohnungen verfügten über 5,8 Zimmer pro Wohnung, die
Dienstwohnungen über 6,9 Zimmer, die Mietwohnungen über 3,1 Zimmer (HW2, S.
72). Größere Wohnungen, d.h. solche mit sechs und mehr Zimmern fanden sich auch
viel häufiger bei Eigentumswohnungen und besonders bei Dienstwohnungen als bei
Mietwohnungen (HW2, S. 73). Von 100 Einwohnern der Gemeinde Düdelingen
lebten 36 in Eigentumswohnungen, 61 in Mietwohnungen und nur 3 in Dienstwohnun-
gen (HW2, S. 73), im Ortsteil "Italien" 17,1 % in Eigentumswohnungen, 82,4 % in
Mietwohnungen und 0,5 % in Dienstwohnungen.
Die Anzahl der Zimmer pro Wohnung ist als Indikator für die Qualität der Wohn-
verhältnisse jedoch erst geeignet, wenn sie in Relation gesetzt wird zur Zahl der darin
lebenden Menschen. Man sprach von Übervölkerung, d.h. von überfüllten Wohnungen,
wenn mehr als zwei Personen im Durchschnitt in einem Zimmer untergebracht
waren.24 Als Ergebnis für die Mietwohnungen stellte die Kommission fest, daß " die
Zimmerzahl der Mietwohnungen im allgemeinen eine unzureichende ist oder in
anderen Worten, daß die Zahl der durchschnittlich auf ein Zimmer entfallenden Be-
wohner zu groß ist. Hierdurch wird nun bedingt, daß einerseits in vielen Fällen die
Wohnzimmer gleichzeitig als Küche oder als Arbeitszimmer und andererseits die
Schlafzimmer gleichzeitig als Wohnzimmer oder als Küche oder als Arbeitszimmer
benutzt werden" (HW2, S. 19). Statistisch waren bei den Eigentümerwohnungen nur
3,4 % als überfüllt anzusehen, bei den Mietwohnungen 28,5 %. Im Ortsviertel "Ita-
lien" war fast die Hälfte aller Mietwohnungen überfüllt (HW2, S. 74f.).
Für die Gesamtbevölkerung der Gemeinde hieß dies: Fast 31 % waren in überfüllten
Wohnungen untergebracht, in den Mietwohnungen sogar 47,4 %, in Eigentümerwoh-
nungen nur 5,4 %; in den Dienstwohnungen niemand (HW2, S. 75). Im Vergleich
dazu, falls dieser Vergleich berechtigt ist: Paris 14 %, London 26 %, Wien 28 %!
Auch hier sei auf die besonderen Verhältnisse des Ortsteiles "Italien" hingewiesen, wo
9,6 % der Personen in Eigentumswohnungen in überfüllten Wohnungen lebten, aber
68,3 % der Mietbewohner in überfüllten Mietwohnungen (HW2, S. 76).
Bei den Mietwohnungen fällt ferner auf, daß ein hoher Anteil der Zimmer gleichzeitig
mehreren Funktionen diente (z.B. Küche und Wohnzimmer, Wohn- und Schlafzim-
mer, Küche-, Wohn- und Schlafzimmer). Auch das ist ein Beweis für den katastropha-
len Wohnungsmangel im untersuchten Ort (HW2, S. 81). Zu vermerken ist schließlich
das gänzliche Fehlen der Badezimmer in den Mietwohnungen, während immerhin 13
Eigentumswohnungen und 12 Dienstwohnungen über ein Bad verfügten (HW2, S. 82).
24 Zu anderen Definitionen von "Übervölkerung" s. etwa Wischermann (Anm. 18), S. 217
(mehr als 5 Bewohner auf ein heizbares Zimmer und mehr als 9 Bewohner auf 2 heizbare
Zimmer; seit der Jahrhundertwende erweitert auf 6 bzw. 10 Bewohner); s. auch Krabbe (Anm.
14), S. 90-95.
50
Die Baureglements enthielten Mindestzahlen für die beim Neubau zu beachtenden
Grundflächen und Raumvolumen. So schrieb das Düdelinger Bautenreglement eine
Zimmerhöhe von mindestens 2,80 m vor, bei Mansarden genügten 2,20 m.25 Als
Grenze für ein gesundes Leben galt allgemein eine Minimalhöhe von 2,60 m. In der
Gemeinde Düdelingen hatten fast die Hälfte der Eigentumswohnungen und 42 % der
Mietwohnungen weniger als 2,60 m Zimmerhöhe (HW2, S. 84).
Ähnlich unbefriedigend war die Belichtung zahlreicher Räume. Für die Licht- und
Fensterflächen sah das Bautenreglement in Düdelingen mindestens 1/12 der Boden-
fläche des Zimmers vor (HW2, S. 26).26 Fast der vierte Teil der direkt beleuchteten
Zimmer in der Gemeinde Düdelingen erreichte diese Norm nicht, in den beiden
Dörfern waren sogar ein Drittel der Zimmer unzureichend belichtet, vorwiegend in
älteren Häusern (HW2, S. 88). Auch die laut Bautenreglement erforderliche minimale
Zimmergrundfläche von 8 m2 wurde nicht in allen Fällen erreicht.
Hinsichtlich des Rauminhalts der Wohnungen unterschied die Kommission einen
zweifachen Luftraum, und zwar "einmal denjenigen Raum, der für jede Person im
allgemeinen, die in einem geschlossenen Zimmer wohnt und schläft, gefordert wird,
in anderen Worten den Wohnraum, alsdann denjenigen, der als unbedingtes Mindest-
maß für die Schlafzimmer erachtet wird, der absolute Schlafraum oder einfach
Luftraum, wenn von Schlafzimmern die Rede geht" (HW2, S. 35).
Der Mindestschlafraum betrug nach Bautenreglement 10 cbm pro Person (HW2, S.
35).27 In ihrer Untersuchung verwies die Kommission darauf, daß in den Staats-
gefängnissen Luxemburgs ein Schlafraum von mindestens 24 cbm Luftraum pro
Person vorgeschrieben war (HW2, S. 35f.). "Der Mindestschlafraum von 10 Kubikme-
ter pro Person ist nur für reine Schlafzimmer zulässig. Für Räume, die nebenbei auch
als Wohnzimmer oder als Küche benutzt werden, muß der Mindestluftraum ent-
sprechend höher sein, während er wieder eine Steigerung erfahren muß für die
Zimmer, die nebenbei als Küche und Wohnzimmer oder als Küche, Wohn- und
Arbeitszimmer benutzt werden. Unter Berücksichtigung dieser Umstände werden die
unzureichenden Schlafzimmer mithin noch zahlreicher." (HW2, S. 43f.). Hinzu kommt,
daß man als Wohnraum das Doppelte des Schlafraums benötigte, also 20 cbm pro
Person (HW2, S. 36).
Auch in diesem Bereich wurden die genannten Normen nicht erreicht: Die Hälfte der
Mietwohnungen hatte weniger als 20 cbm Wohnraum pro Kopf (HW2, S. 94). Von
sämtlichen Mietern der Gemeinde lebten 66,4 % in unzureichenden Wohnräumen
^Bautenreglement S. 783. Als Vergleich: für die Stadt Luxemburg 2,50 m. Zum Baurecht in
der Stadt Luxemburg neuerdings: Rolf Wittenbrock, Baurecht und Stadtplanung im Span-
nungsfeld unterschiedlicher Interessen und Orientierungen. Die Stadt Luxemburg im 19.
Jahrhundert, in: Hémecht. Zeitschrift für Luxemburger Geschichte. Revue d’histoire luxem-
bourgeoise 42 (1990), S. 373-405. Zu Elsaß-Lothringen: Rolf Wittenbrock, Bauordnungen als
Instrumente der Stadtplanung im Reichsland Elsaß-Lothringen (1870-1918). Aspekte der
Urbanisierung im deutsch-französischen Grenzraum, St. Ingbert 1989, hier S. 13-21.
26 Bautenreglement Düdelingen, S. 784.
27 Ebd.
51
(HW2, S. 95). Eine zusätzliche Klassifikation nach Berufen ergab für die Arbeiter die
ungünstigsten Resultate, Aber, so sagte die Kommission, es waren "auch bei den
bessergestellten Berufsgruppen die Bewohner der Wohnungen mit unzureichendem
Luftraum noch sehr zahlreich vertreten" (HW2, S. 98).
Der benötigte Luftraum in den Schlaf- bzw. Wohnzimmern hängt natürlich auch
davon ab, wieviele Betten in diesen Zimmern stehen, wieviele Stunden am Tag diese
Betten belegt sind und wieviele Personen ein Bett teilen. In Düdelingen betrug die
durchschnittliche Belegung 1,7 Personen pro Bett (HW2, S. 104), ein Wert, der von
der Kommission als bedenklich bezeichnet wurde: "Im allgemeinen stellen wir fest,
daß die obigen Durchschnittszahlen viel zu hoch sind, und den hygienischen und
moralischen Anforderungen nicht mehr entsprechen; denn um zu solch hohen Durch-
schnittszahlen zu gelangen, müssen viele Betten von 3 und sogar von mehr Personen
benutzt werden. Dies will jedoch nicht sagen, daß alle Betten gleichzeitig von einer
solchen Zahl Personen benutzt werden. Der Tag und Nacht durchgehende Betrieb in
der Eisenindustrie verlangt sowohl Tag- als Nachtarbeiter, sodaß die aus der einen
Schicht heimkehrenden Arbeiter, die von den Arbeitern der andern Schicht eben
verlassenen Betten, ohne daß diese einmal kalt werden, sofort wieder in Anspruch
nehmen" (HW2, S. 50).
In diesem Zusammenhang erörterte die Kommission auch das Problem des Kost- und
Schlafgängerwesens: "Daß die Bewohner der Mietwohnungen einen Teil ihrer Schlaf-
zimmer an Fremde wieder abtreten, um durch das zu besorgende Mobiliar und die zu
leistende Arbeit einen kleinen Nebenverdienst zu haben, ist verständlich. Wenn
jedoch diese Platzabtretung so weit geht, daß Fremde in die Schlafzimmer der
Familienangehörigen aufgenommen werden und sogar [...] bisweilen dasselbe Bett
teilen, so sind diese Zustände direkt als verwerflich zu bezeichnen" (HW2, S. 51).
Wohnungen mit Kost- und/oder Schlafgängern waren in der Gemeinde sehr ver-
breitet, denn in 22 % aller Wohnungen wurde diese Art des Nebenverdienstes
genutzt. Dabei stach wiederum das Viertel "Italien" hervor: Dort wurden in fast 42 %
der Wohnungen mit fast 65 % der Einwohner Fremde beherbergt und/oder beköstigt
(HW2, S. 109). Je höher die Anzahl der Zimmer, desto größer die Anzahl der Woh-
nungen mit Fremden. 19 % der Eigentums- und Dienstwohnungen sowie 24 % der
Mietwohnungen waren davon betroffen. Im "Italien"-Viertel wohnten in diesen
Mietwohnungen im Durchschnitt 11,2 Personen (HW2, S. 109). Das Kost- und
Schlafgängerwesen war im übrigen ein fast rein männliches Problem: Nur 9 weibliche
Zimmermieter oder Pensionäre wurden in Düdelingen angetroffen (HW2, S. 112).
Die Bemerkung der Kommission, daß "durch Nichtaufnahme von Schlafgängern die
Zahl der Wohnungen mit unzureichendem Wohnraume mindestens um ein Drittel
vermindert werden" könnte (HW2, S. 110), ließ allerdings die Frage offen, wo man
diese Schlafgänger dann untergebracht hätte.
52
Wohnungsfrage, Industrialisierung und Proletarisierung in Luxemburg - Ergebnisse
und Fragen
Kommen wir zurück zu der Frage der ausgebliebenen Proletarisierung. Um diese These
zu bestätigen, hätten sich in Bezug auf die Wohnsituation u.a. folgende Merkmale
ergeben müssen: Beachtung der Bauvorschriften, geringer Anteil von Kost- und
Schlafgängern an der Wohnbevölkerung, Mindestanteil an leerstehenden Wohnungen,
Vorhandensein von Aborten, Badezimmern, Mansarden, Kellern und Speichern in
einer großen Anzahl von Häusern bzw. Wohnungen, wenig überfüllte Wohnungen,
angemessene Zimmerzahl pro Wohnung, 1 Person pro Bett, Fehlen von Keller-,
Speicher- und Stallwohnungen sowie Zunahme der Häuser- und Wohnungszahl
proportional zum Wachstum der Bevölkerung.
Die Ergebnisse der Häuser- und Wohnungsuntersuchung wiesen eindeutig nicht in
diese Richtung. Sie zeigten überdies den "halboffenen" Charakter der Wohnungen
vieler Arbeiterfamilien,28 bedingt etwa durch das Schlafgängerwesen, die gemeinsa-
me Benutzung der Aborte oder die Aufteilung der Wohnung in einem Mehrfamilien-
haus auf mehr als ein Stockwerk, so daß die Wohnung kein "abgeschlossenes Ganzes"
mehr bildete (HW2, S. 26).
Die Unterschiede zwischen dem Viertel "Italien" und der übrigen Gemeinde sowie
zwischen dem Hauptort Düdelingen und den beiden Dörfern Büringen und Buders-
berg, die zumeist in einer günstigeren Situation als Düdelingen waren, wurden darge-
stellt. Tabelle 4 gibt Vergleichszahlen mit den beiden anderen Industriezentren des
Luxemburger Eisenerzbeckens Differdingen und Esch-sur-Alzette.29
In wesentlichen Punkten zeigte dabei die Gemeinde Düdelingen, im Vergleich zu
Differdingen und Esch, die ungünstigsten Verhältnisse auf. So wies Düdelingen die
höchste Zahl an überfüllten Mietwohnungen und die höchste Zahl der Wohnungen
mit unzureichendem Wohnraum sowie die niedrigste Zahl an leerstehenden Wohnun-
gen auf. Hier lebten relativ mehr Einwohner in unzureichenden oder gar feuchten
Wohnräumen und in Wohnungen mit weniger als 8 m2 Wohnfläche pro Person. In
mehr Wohnungen als in den beiden anderen Orten wurde ein Abort von fünf oder
mehr Familien gemeinsam benutzt. Insgesamt war der Wohnstandard aber auch in
den beiden anderen Orten keineswegs als ausreichend zu bezeichnen.
28 S. etwa Heidi Rosenbaum, Formen der Familie, Frankfurt a. Main 1982, S. 436; dort auch
Anmerkungen zur kontroversen These, daß die "halboffene'’ Familienstruktur eine Basis für
solidarische Aktionen abgegeben habe und so etwa das Schlafgängerwesen positiv zu bewerten
sei. S. auch Josef Ehmer, Wohnen ohne eigene Wohnung. Zur sozialen Stellung von Unter-
mietern und Bettgehern, in: Wohnen im Wandel. Beiträge zur Geschichte des Alltags in der
bürgerlichen Gesellschaft, hrsg. v. Lutz Niethammer, Wuppertal 1979, S. 132-150, hier S. 132.
29 Daß das einfache Nebeneinander bestimmter Faktoren vom statistischen Standpunkt aus
nicht sehr ergiebig ist, liegt auf der Hand. Multivariate statistische Verfahren, etwa die von
Wischermann in diesem Zusammenhang eingesetzte Clusteranalyse (Wischermann, Anm. 18,
S. 220ff.), erlauben eine dichtere Beschreibung der Daten. Es ist geplant, diese Verfahren im
weiteren Verlauf des Forschungsprojekts anzuwenden. Zur Clusteranalyse allg. s. Johann
Bacher, Einführung in die Clusteranalyse mit SPSS-X für Historiker und Sozialwissenschaftler,
in: Historical Social Research/Historische Sozialforschung, Vol. 14, 2(1989), S. 6-167.
53
Diese im statistischen Befund erkennbaren Mängel in der Wohnungsversorgung
wurden auch von den Zeitgenossen wahrgenommen. So schrieb am 13. März 1897 der
Brigadier der Gendarmerie an den Bürgermeister von Düdelingen: "Es herrscht hier
wirklich Mangel an Arbeiterwohnungen, obgleich 2/3 der Arbeiter unverheiratet sind
oder keine Familie bei sich haben; jedes Stübchen, ja selbst jede Dachluke oder
Kellerraum ist bewohnt und zwar zu Preisen, welche fast alle um die Hälfte zu hoch
gegriffen sind. Es gibt sehr viele Zimmer hier, in welchen 8-10 oder auch mehr ledige
Arbeiter, welche ihre Menagen selbst machen, wohnen, kochen und schlafen; auch die
meisten Familien sind schlecht logiert, sie haben gewöhnlich nur 2 Zimmer; diejeni-
gen, welche 3 oder mehr Zimmer haben, halten Kostgänger, so daß alles, vom Keller
bis zum Dachstübchen, überfüllt ist. Gelegentlich einer Untersuchung konnte ich
festhalten, daß in der Schenke R. 3 ledige Arbeiter ein möbliertes Dachstübchen mit
nur 1 Bett für 10 Mark pro Monat gemietet und abwechselnd in dem Bette schlie-
fen".30 Am 18. September desselben Jahres schrieb Hüttendirektor Mayrisch gleich-
falls an den Bürgermeister: "Niemand kann hier den Mangel an ordentlichen und
gesunden Arbeiterwohnungen in Abrede stellen. Die diesbezüglichen Zustände sind
in den Arbeitervierteln haarsträubend in Bezug auf Hygiene und Moralität, und
mögen die Oberbehörden sich hiervon de visu überzeugen können. Die Hausmieten
sind erdrückend und wucherartig, indem hier für das kleinste luft- und lichtlose
Zimmer mindestens 10 F monatlich erhoben werden".31
Natürlich verbesserte sich die Wohnsituation durch den Bau von Arbeiterwohnun-
gen.32 Allerdings war ihre Zahl so gering, daß ein deutlicher Abbau der Mängel
damit nicht verbunden war. So kann, zumindest auf dem Gebiet des Wohnens, kaum
von einer ausbleibenden Proletarisierung die Rede sein.33
30 Freundliche Mitteilung von Mars Lorenzini; s. auch: Dudelange. L’usine centenaire (Anm.
22), S. 74. Leider gibt es wenige Texte zur Wohnerfahrung, also zur subjektiven Wahrneh-
mung des Wohnens im Luxemburger Industriegebiet; s. etwa den am 25. Dez. 1903 ver-
öffentlichten Text über "Weihnachten in den Baracken", in: "Der arme Teufel", in Auszügen
abgedruckt in: Janine Wekenkel-Frisch, Der arme Teufel. Sozialdemokratische Zeitung.
Monographie d’un journal socialiste luxembourgeois (1903-1929), o. O. o. J. (Luxemburg
1978), S. 80f. Zur Wohnerfahrung s. etwa Michael John, Hausherrenmacht und Mieterelend.
Wohnverhältnisse und Wohnerfahrung der Unterschichten in Wien (1890-1923), Wien 1982.
31 Dudelange. L’usine centenaire (Anm. 22), S. 74.
32 Im Plan der Hütte von 1883 war schon hinter der Hütte eine "Place pour Cité ouvrière"
vorgesehen (Dudelange. L’usine centenaire, Anm. 22, S. 26f.). 1886 wurde der Bau von sechs
Arbeiterhäusern vom Verwaltungsrat beschlossen, s. ibid., S. 39. 1887 entstanden in der
Suftgenerstraße 12 Häuser mit 31 Wohnungen; s. Weber (Anm. 13), S. 70; Dudelange, ibid.,
S. 55.
33 Hierbei soll jedoch nicht vergessen werden, daß noch 1947 nur 17 % der Wohnungen eine
Dusche besaßen, 51 % eine Toilette; s. Georges Als, Population et Economie du Luxembourg
1839-1989, Luxemburg 1989, S. 33f.
54
Düdelingen Differdingen Esch/ Alzette
Leerstehende Wohnungen 0.9 1.5 2,8
Mietwohnungen 60,9 64,8 72,6
Wohnungen in Einfamilienhäusern 33,3 34,9 27,8
Häuser mit 5 u. mehr Wohnungen 13,4 15,6 22,5
Mansardenwohnungen 4,1 4,5 5.4 ..
Wohnungen mit 5 u. mehr Zimmern 36,6 28,8 25,4
Personen in Wohnungen mit 5 u. mehr Zimmern 48,3 39,3 33,6
Zahl der Bewohner pro Wohnung 5,4 5,1 5A _
Personen in überfüllten Wohnungen 30,7 29,0 34,9
Überfüllte Mietwohnungen 28,5 23,6 24,6
Mieter in überfüllten Mietwohnungen 47,4 40,0 43,2
Zimmer pro Wohnung fal 5,6 5,4 5,3
3,3 3,1 2,7
(t) 4,2 3,9 3,8
Personen pro Wohnung (a) 5,1 5,4 5,0
(b) 5,5 5,0 5,1
ft) 5,4 5,1 5,1
Personen pro Zimmer (a) 0,9 1,0 0,9
(b) 1,7 1,6 1,9
(t) 1,3 1,3 1,3
Von 100 Wohnungen kommen auf (a) 38,2 37,4 40,6
61,8 62,6 59,4
Zimmer mit Zimmerhöhe über 2,80 m 32,1 40,2 49,8
Zimmer mit Zimmerfläche unter 10 m2 16,3 10,8 13,7
Zahl der Zimmer mit weniger Lichtfläche als 1/12 der Bodenfläche 20,8 32,8 17,8
Personal in Wohnungen mit Wohnfläche un- ter 8 nr pro Person 49,6 44,4 49,0
Wohnungen mit Wohnraum unter 20 cbm 36,5 30,6 33,8
Personen mit unzureichendem Wohnraum 49,1 42,7 46,3
Personen in Wohnungen mit weniger als 10 cbm Schlafraum 46,1 40,1 40,7
Haushaltungen mit Schlafgängern 22,2 18,1 13,9
Wohnungen mit eigenem Abort 40,2 47,3 38,5
Wohnungen mit Abort, der von 5 oder mehr Familien gemeinsam genützt wird 11,6 9,2 10,3
Feuchte Wohnungen 9,3 3,9 7,6
Personen in feuchten Wohnungen 11,6 4,5 8,7
Erklärungen: a. "die obere soziale Schicht"
b. "die lohnarbeitenden Klassen t. Total (HW2, S. 308)
Tab. 4:
Vergleichszahlen zur Wohnlage in drei Industrieorten
(Eigene Zusammenstellung)
55
Zum Schluß sei auf den provisorischen Charakter dieses Werkstattberichts hingewie-
sen. Zukünftige Überlegungen werden auf jeden Fall die Ergebnisse ähnlicher Unter-
suchungen im Ausland einbeziehen müssen. Dabei wird man nicht einfach Ergebnisse
von Mittel- und Großstädten zum Vergleich heranziehen können.34 Zu dem Zeit-
punkt der Erhebung der Luxemburger Wohnungsstatistik hatte die Stadt Berlin, in der
z.B. 1861 eine Volkszählung mit ähnlichen Fragen zur Wohnsituation stattfand, bereits
die Zweimillionengrenze überschritten. Das "Statistische Jahrbuch deutscher Städte",
Ausgabe 1912, untersuchte z.B. 79 Städte, die jedoch alle mehr als 50 000 Einwohner
hatten.
Vergleichsmaterial ist am ehesten dort zu suchen, wo eine ähnliche Entwicklung von
der Dorf- zur Industriesiedlung stattgefunden hat, mit Beibehaltung des ländlichen
Umfeldes, mit dem Festhalten an dörflichen Gewohnheiten wie (Klein)tierhaltung, mit
dem Ausbleiben großer kultureller Leistungen etc. Ich bin bis jetzt bei meinen
Nachforschungen nicht auf ähnlich strukturiertes, ausführliches, vergleichbares Daten-
material aus anderen Industriesiedlungen desselben Typs wie Düdelingen gestoßen.
Es liegen, wie schon angedeutet, genügend Studien über größere Städte vor, es wird
auch gelegentlich in den Untersuchungen der Luxemburger Kommission darauf
hingewiesen;35 zu Vergleichszwecken können diese Daten aber nicht herangezogen
werden.
Was die Nachbargebiete Luxemburgs betrifft, so gibt es z.B. in Metz für denselben
Zeitraum eine Untersuchung mit ähnlichen Fragestellungen (z.B. Räume pro Woh-
nung, Übervölkerung, Berechnung des Luftraumes, Schlafburschen/Untermieter,
Personen pro Bett, Aborte) und ähnlichen Ergebnissen (etwa starke Übervölkerung,
katastrophale Situation der Aborte, Mietwucher). Sie beruht jedoch, im Unterschied
zur Luxemburger Untersuchung, nur auf einer Stichprobe von 70 Häusern mit 427
Wohnungen und 1626 Menschen.36
Es kann also noch keine Antwort auf die Frage geben, "ob die in den Städten zu be-
obachtenden zentralen Entwicklungen generellen, das heißt universellen Charakter
haben, ob sie spezifisch nationale Züge tragen oder ob sie sinnvoll nur im Rahmen
der einzelnen Stadt zu behandeln sind".37 Zu den Möglichkeiten, Vergleiche anzu-
stellen, scheint es schließlich interessant, die Argumente der Kommission selbst wie-
34 S. etwa für Wien Peter Feldbauer, Stadtwachstum und Wohnungsnot. Determinanten unzu-
reichender Wohnversorgung in Wien 1848 bis 1914, Wien 1977 sowie die schon erwähnten
Arbeiten von John und Ehmer (Anm. 28 u. 30); s. auch Franz J. Brüggemeier u. Lutz Niet-
hammer, Schlafgänger, Schnapskasinos und schwerindustrielle Kolonie. Aspekte der Arbeiter-
wohnungsfrage im Ruhrgebiet vor dem Ersten Weltkrieg, in: Fabrik, Familie, Feierabend.
Beiträge zur Sozialgeschichte des Alltags im Industriezeitalter, hrsg. v. Jürgen Reulecke u.
Wolfhard Weber, Wuppertal 1978, S. 135-175.
35 So etwa auf die Arbeit von J. Bertillon über Paris.
36 Bruno Weil (Hrsg.), Die Wohnverhältnisse in der Stadt Metz. Im Auftrag der Wohnungs-
kommission, Straßburg 1906.
37 Christian Engeli u. Horst Matzerath (Hrsg.), Moderne Stadtgeschichtsforschung in Europa,
USA und Japan. Ein Handbuch, Stuttgart u.a. 1989, S. 9.
56
derzugeben, die auch heute noch zum Teil Gültigkeit haben: "Auch haben wir davon
Abstand genommen, Vergleiche mit dem Auslande anzustellen, weil wir zunächst für
unsere Landgemeinden Vergleichsobjekte überhaupt nicht vorfanden. Dasselbe ist der
Fall für unsere Industrieortschaften, die wegen ihrer äußerst raschen Entwicklung nur
sehr schwer mit Ortschaften des Auslandes verglichen werden können. Wenn man
dazu noch in Betracht zieht, daß sich diese Industrieortschaften aus fast rein ländli-
chen Gemeinden entwickelt haben und noch heute mit ländlichen Elementen teilweise
durchsetzt sind, so wird man uns zugeben, daß wir vollgiltige Vergleiche mit Unter-
suchungen des Auslandes, die sich fast sämtlich auf Ortschaften mit rein städtischem
Charakter erstrecken, überhaupt nicht aufstellen konnten" (HW2, S. 316).
Zusätzlich dazu scheint eine Analyse des historischen Kontexts, in dem die Zählung
vorgenommen wurde, angebracht. Ein halbes Jahr nach der Durchführung der
Häuser- und Wohnungsuntersuchung wurde am 29. Mai 1906 in der Abgeordneten-
kammer ein Gesetz über die Erbauung von billigen Arbeiterwohnungen verabschiedet,
nach Ansicht der Autoren der Studie "ein großer Schritt nach vorwärts" (HW1, S. 3).
Es stellt sich die Frage nach einem direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen
der statistischen Erhebung und den Debatten in der Abgeordnetenkammer.
Schwieriger zu beantworten wird die Frage sein, wer die Untersuchung durchführte,
welche Modelle als Vorbild dienten und an welchen Methoden man sich orientierte.
Eine Durchsicht der eventuell noch vorhandenen Bestände der Bibliothek der Ständi-
gen Kommission für Statistik könnte in dieser Frage weiterhelfen. Folgende Autoren
bzw. Studien werden in beiden Bänden namentlich erwähnt: Ludwig Sinzheimer ("Die
Arbeiterwohnungsfrage"); Hans Freiherr v. d. Goltz ("Die Wohnungsinspektion und
ihre Ausgestaltung durch das Reich"); Rudolf Eberstadt (Handbuch des Wohnungs-
wesens); Karl Johannes Fuchs; Hellemans ("Entwurf zu einem Regiemente über die
Erbauung billiger Wohnungen"); die Hygieniker Erismann, Schuster, Sonderegger; J.
Bertillon (eine mit der Volkszählung von 1891 verbundene Wohnungsunter.suchung);
Friedrich Engels ("Die Lage der arbeitenden Klassen in England"); Entwurf eines
deutschen Reichsgesetzes über die Wohnungsinspektion; das Großh. Hessische Gesetz
vom 1. Juli 1893; die Verordnungen der Städte Düsseldorf, Dresden, Leipzig, Dessau,
Hamburg u.a. Es stellt sich außerdem die Frage, ob die Autoren der Untersuchung
die Studie von Karl Seutemann über die deutsche Wohnungsstatistik gekannt haben,
in der ausführlich über die verschiedenen Erhebungskriterien einer Wohnungsunter-
suchung referiert wird.38
Schließlich gilt es, die Studie einzureihen in die langfristige Wohnsituation in Düdelin-
gen vom Beginn der Industrialisierung in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts bis in
die 80er Jahre unseres Jahrhunderts, in denen gerade in Düdelingen Anstrengungen
unternommen wurden, durch das Projekt "Renaissance du Brill" die Renovierung
einer größeren Arbeitersiedlung als eine "Alternative zum bestehenden Wohnungs-
bau"39 darzustellen, wobei "alt und neu in ausgewogener Harmonie" nebeneinander
38 Seutemann (Anm. 18).
39 "Renaissance du Brill", Titel der 1979 erschienenen 2 Broschüren.
57
und ineinander existieren sollen: "Plädoyer für menschenwürdiges, kommunikatives
Wohnen". Dabei stellt sich auch für Luxemburg die Frage nach dem Sinn und der
Funktion solcher Baumaßnahmen. Führt der mit den Renovierungsarbeiten ver-
bundene Umbau der Arbeitersiedlungen zu einer Sinnentstellung oder legitimiert sich
die Historisierung aktuellen Wohnens dadurch, daß auf diese Weise ein bleibendes
Zeugnis der Industriegeschichte Luxemburgs im Zeitalter der Desindustrialisierung
erhalten bleibt?
58
Antoinette Lorang
Der Werkwohnungsbau der Gelsenkirchener Bergwerks A.G.
in Esch/Alzette (Luxemburg) und die Rolle deutscher
Architekturleitbilder von 1870 bis etwa 1930*
Im Februar des Jahres 1911 hält der Generalsekretär der deutschen Gartenstadt-
gesellschaft Dr. Hans Kampffmeyer auf Einladung der luxemburgischen Regierung
einen Vortrag im hauptstädtischen "Cercle Municipal" zum Thema "Die Gartenstadt-
bewegung und ihre Bedeutung für Luxemburg".* 1
Damit verbunden ist eine Ausstellung der deutschen Gartenstadtgesellschaft, die
Pläne und Modelle von Arbeiterhäusern und Gartenstadtsiedlungen aus verschiedenen
Ländern, insbesondere Deutschlands, vorstellt. Als Modell eines Luxemburger Arbei-
terhauses wird ein Entwurf des belgischen Architekten E. Hellemans präsentiert, das
in der Luxemburger Ingenieurszeitschrift folgendermaßen beschrieben wird: "L’ensem-
ble de la maison jumelle, destinée aux Ardennes, respire une paisible et modeste
aisance; ses formes sont simples; l’emploi des ardoises pour la couverture et le
revêtement des façades de l’étage lui donnent le ton local de nos vieilles maisons de
l’Oesling dont les toitures sont toutefois moins coupées et à pentes plus rapides,
répondant de la sorte mieux aux exigences de notre climat. La disposition intérieure
est bonne et commode; le nombre de pièces suffira aux besoins d’une famille assez
nombreuse et ayant des enfants des deux sexes."2
Zu demselben Zeitpunkt baut die Gelsenkirchener Bergwerks A.G. im luxemburgi-
schen Esch/Alzette ihre erste Arbeitersiedlung. Auch diese wird in dem Bericht der
Ingenieurszeitschrift erwähnt:
"Signalons ensuite la colonie ouvrière que la ’Gelsenkirchener B.G.’ construit actuelle-
ment à Esch-s.-l’Alzette; les plans en question sont mis en parallèle avec les photogra-
phies des anciennes colonies des usines. Il faut dire que les nouveaux projets tran-
chent favorablement sur leurs voisins, au type assez banal et uniforme, alignés en
lignes droites. Les groupes de Gelsenkirchen sont éparpillés sur un terrain à pente
Dieser Aufsatz ist eine erste Annäherung an das Thema "Einwirkung deutscher und französi-
scher Architekturleitbilder und Stadtplanungskonzepte in Esch/Alzette und Thionville 1870 bis
1940", das im Rahmen des Forschungsprojekts "Moderne Stadtentwicklung im deutsch-franzö-
sisch-luxemburgischen Grenzraum im 19. und 20. Jahrhundert" untersucht werden soll.
Für die freundliche Unterstützung bei der Materialbeschaffung danke ich der Gemeinde
Esch/Alzette und den Mitarbeiter/innen der Division du Géomètre sowie der ARBED (Archi-
ves, Service photographique).
1 Bulletin Mensuel. Organe Officiel de l’Association des Ingénieurs Luxembourgeois, Mars
1911, S. 43.
2 Exposition de la Société allemande des Cités-Jardins, in: Bulletin Mensuel (Anm. 1), S. 42.
59
douce et seront bien mis en valeur par les perspectives variées qui s’ouvrent dans les
petits chemins courbés, divisant la cité en jolis quartiers."3
Esch/Alzette - Historischer Rückblick 1839-1918
Esch/Alzette liegt im Südwesten Luxemburgs unmittelbar an der französischen Grenze
mit den Orten Russange, Villerupt und Audun-le-Tiche. Im Jahre 1841, nach der
Abtretung (1839) der heutigen Provinz Luxemburg (wallonisch-sprachiger Teil des
Landes) an das seit 1830 unabhängige Königreich Belgien, wird Esch Kantonalhaupt-
ort. Es zählt 1392 Einwohner/innen und 225 Gebäude auf einer Fläche von 10 ha.
Landwirtschaft und vor allem Kleingewerbe bestimmen die Struktur der kleinen
Siedlung. Das Dorf liegt leicht erhöht über dem Fluß Alzette, dessen Ufer häufig
überschwemmt werden. Die umgebende Landschaft ist z.T. sumpfig. Der Ort ist
ovalförmig angelegt mit einem regelmäßigen Straßennetz und ein- bis zweigeschos-
sigen, teils angebauten, teils freistehenden traufständigen Häusern mit Sattel- oder
Walmdach, Gehöften vom Typ des Lothringer Quereinhauses und einem zentralen
Dorfplatz vor der Kirche. Im Osten liegt das aus dem 18. Jahrhundert stammende
Berwart-Schloß.
Die industrielle Revolution, deren Motor die Eisenindustrie ist, verändert den Süden
Luxemburgs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts grundlegend und läßt
Esch/Alzette zur "Métropole du Fer" (Abb. 1), Dudelange zur "Forge du Sud" auf-
steigen.
So entstehen im Südwesten von Esch/Alzette ab 1870 auf Initiative von Dominique-
Alexis und Pierre Brasseur die "Brasseurschmelz" (Société Anonyme des Hauts
Fourneaux Luxembourgeois), im Südosten die "Metzeschmelz" (Société Metz & Cie
und Société des Mines du Luxembourg et Forges de Sarrebruck) als Konkurrenzun-
ternehmen. Die Finanzierung erfolgt mit ausländischem, zunächst belgischem Kapital.
Da Luxemburg jedoch seit 1842 Mitglied des Deutschen Zollvereins ist, werden
daneben bald deutsche Investitionen maßgeblich. Durch die Annexion Elsaß-Lothrin-
gens 1871 mußte das deutsche Reich großes Interesse an einer Einflußnahme auf die
industrielle Entwicklung Luxemburgs gewinnen: "Die Eingliederung Elsaß-Lothringens
ins Deutsche Reich, verbunden mit dem Zollanschluß Luxemburgs an Deutschland,
schloß die sogenannte "Dreiländerecke" (Luxemburg-Lothringen-Saar) zu einer
wirtschaftlichen Einheit zusammen. [...] Zugleich kam der deutsche Schutztarif von
1879 der jungen aufstrebenden lothringisch-luxemburgischen Eisenindustrie sehr
gelegen. Die Voraussetzungen zu einer großartigen Entwicklung der Luxemburger
Eisenindustrie und der damit verbundenen Zunahme deutschen Einflusses in Luxem-
burg gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren also gegeben."4
3 Ebd., S. 43.
4 Gilbert Trausch, Der Einfluß Deutschlands in Luxemburg um 1900, in: Bibliothek-Buch-
Geschichte, Kurt Köster zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Günther Pflug, Brita Eckert und Heinz
Friesenhahn, Frankfurt/M. 1977, S. 496.
60
Abb. 1:
61
1892 übernimmt die Gesellschaft "Aachener Hütten-Aktien-Verein Rothe Erde" die
"Brasseurschmelz". 1902 erwirbt die Gesellschaft die Bergwerke und Hütte des
benachbarten Audun-le-Tiche. 1907 wird sie mit der Gelsenkirchener Bergwerks A.G.
und der Schalker Gruben- und Hüttenverein A.G. zur Rhein-Elbe-Gelsenkirchener
Bergwerksgesellschaft. Die frühere "Metzeschmelz" dagegen gehört seit 1911 der
A.R.B.E.D. (Aciéries Réunies Burbach-Eich-Dudelange), die aus der Fusion der drei
Gesellschaften "Forges d’Eich, Le Gallais, Metz & Cie", "Société Anonyme des Mines
du Luxembourg et des Forges de Sarrebruck" und "Société Anonyme des Hauts
Fourneaux et Forges de Dudelange" hervorgegangen ist. Die wirtschaftliche Anbin-
dung Luxemburgs an Deutschland wird durch die Abhängigkeit vom deutschen
Absatzmarkt für seine Industrieprodukte und von deutschen Koks- und Kohleimpor-
ten verstärkt.
Durch die Industrialisierung findet auch auf kommunalpolitischer Ebene eine Um-
strukturierung statt. Bald sitzen in der Escher Stadtverwaltung Vertreter der Industrie.
Ein besonders markantes Beispiel für die Einflußnahme des Industriebürgertums auf
die städtebauliche Entwicklung von Esch/Alzette ist hier zu verzeichnen. Unter der
Bürgermeisterschaft des Hüttendirektors Léon Metz erfolgt im Jahre 1908 der
Verkauf des Escher Waldes Clair-Chêne im Westen der Ortschaft mit einer Fläche
von ca. 100 ha - das entspricht etwa zwei Dritteln des zu dieser Zeit bebauten städti-
schen Territoriums - zwecks Errichtung eines neuen Hochofenwerks durch die Gel-
senkirchener Bergwerks A.G. (1909-1912).
Der Bau der Hochöfen und die Ausbeutung der Minette zieht eine starke Einwande-
rung nach sich. 1851 zählt Esch 1.489 Einwohner/innen. Diese Zahl steigt bis 1930
explosionsartig auf fast 30.000, das bedeutet eine Multiplikation der Bevölkerung um
den Faktor 20. Während sich 1880 5.082 Einwohner/innen 574 Häuser teilen (8,8 pro
Haus), sind es 1910 16.522 in 1.350 Häusern (12,1 pro Haus) auf einer Gesamtfläche
von 150 ha.5 Bemerkenswert ist der hohe Ausländeranteil an der Bevölkerung. Kurz
vor dem Ersten Weltkrieg sind mehr als 50% der in der Industrie Beschäftigten
Ausländer. Frauen sind nur zu einem geringen Anteil in der Luxemburger Industrie
beschäftigt. Sie werden in verstärktem Maß während des Ersten Weltkrieges in der
Produktion eingesetzt, als Ersatz für die zum Kriegsdienst in ihre Heimatländer
abziehenden Ausländer. 1910 gibt es in Esch 3.327 Deutsche und ebenso viele Italie-
ner; Franzosen und Belgier, aber auch Polen, sind in geringerer Anzahl vertreten. Die
italienischen Einwanderer sind vor allem im Bergbau beschäftigt, die Polen bringen
häufig Fachkenntnisse für die Grubenarbeit mit, während die Deutschen zu einem
großen Teil das technische Know-how für die Hüttenbetriebe besitzen und vor allem
Beamten- und Ingenieursposten einnehmen.
1906 wird Esch zur Stadt erhoben. In einem halben Jahrhundert hat sich der Ort
stark verändert und eine städtische Infrastruktur erhalten. Es entstehen zahlreiche
Schulen, eine Bibliothek, ein Krankenhaus, ein Stadtpark. Auffallend und bedingt
einerseits durch die Präsenz vor Ort, andererseits durch die Qualität deutscher Maß-
5 Angaben zur Häuserzahl nach: Janine Camy, Esch-sur-Alzette d’un village à une ville,
Mémoire 1980, S. 47.
62
arbeit, ist die starke Beteiligung deutscher Unternehmen an der Ausführung techni-
scher Gemeindeprojekte: 1883 beauftragt die Gemeindeverwaltung den Ingenieur
Koelvel aus Zweibrücken mit der Schaffung eines modernen Wasserversorgungs-
systems, das ab 1885 funktioniert.6 1889 geht die Genehmigung zur Errichtung eines
Gaswerks an einen Herrn Franke aus Bremen. 1906 erwirbt die Thüringer Gasgesell-
schaft dieses Unternehmen.7 1910 beauftragt die Gemeinde die deutsche Firma
Städtereinigung und Ingenieurbau (Wiesbaden) mit dem definitiven Ausbau des Ka-
nalsystems; derselben Firma wird etwas später die Ausarbeitung eines Stadterweite-
rungsplans anvertraut.8
Das Bevölkerungswachstum, das in Esch durch den großen Arbeitskräftebedarf
bedingt ist, bringt eine akute Wohnungsnot mit sich. Die zugezogenen Arbeiter kom-
men z.T. als Kostgänger bei Familien unter; verschiedene Industriebetriebe bauen
Barackenhäuser auf dem Grubengelände.9 Die Gesellschaft Metz & Cie läßt die
Wirtschaftsgebäude ihres Schlosses als Wohnräume herrichten. Diese sogenannte
"Metze Kasäre" beherbergt 1871 115 Grubenarbeiter.10 1873 baut die "Société des
Mines et Forges de Sarrebruck" in der Nähe ihrer Grube "Hoehl" (rue des Mineurs)
eine Gruppe von acht Doppelhäusern, die den Namen "Saarbrécker Kasäre"11 (Saar-
brücker Kaserne) erhalten, obwohl es sich hier nicht um Kasernenbauten, also um
Massenwohnhäuser handelt (Abb. 2). 1894 wird eine weitere kleine Gruppe von
Doppelhäusern in der rue Katzenberg errichtet. Die erste größere Arbeitersiedlung
mit 70 Wohnungen wird 1901 (rue des Mines) und 1904 (rue Renaudin) von der
Gesellschaft Aachener-Hütten-Aktien-Verein errichtet (Abb. 3). Sie besteht aus ge-
radlinig aufgereihten traufständigen Doppelhäusern. Es sind schiefergedeckte Putz-
bauten mit Satteldach. Einziger Schmuck ist die Backsteinfassung der Fenster und
Türen. Die Häuser haben einen hinteren Anbau mit Waschküche und Abort. Die
Anbauten werden auch als Stall für Kleinvieh genutzt. Seitlich im Anbau befindet sich
der Hauseingang. Die Küche ist gegenüber der kleineren Stube als Wohnküche
ausgewiesen. Die Häuser haben Gärten und kleine Vorgärten. Sie entsprechen dem
bürgerlichen Ideal vom Arbeiterwohnhaus als isoliertes Einzel- oder Doppelhaus im
Gegensatz zum Mehrfamilienhaus oder zur "Kaserne", im Sinne einer Förderung der
Kleinfamilie und der moralischen Erziehung der Arbeiter. Die Siedlung besticht durch
ihre regelmäßige Anlage, verbreitet jedoch gleichzeitig eine gewisse Eintönigkeit
6 La Ville d’Esch de 1839 à 1939 - Centenaire de l’Indépendance, Esch-Alzette 1940, Le
service des travaux d’Esch-sur-Alzette, S. 54.
7 Ebd., Usine à Gaz Esch-sur-Alzette, S. 142.
8 Ebd., Le plan, l’extension urbaine et l’organisation foncière de la ville d’Esch-sur-Alzette, S.
59.
9 Sylvie Kremer-Schmit, L’industrie du Fer à Esch-sur-Alzette et ses effets pendant la période
de 1845 à 1870, in: Galerie, Revue Culturelle et Pédagogique 4(1986) No 4, S. 540.
10 Ebd.
11 Jean-Luc Mousset, L’Industrialisation du Luxembourg de 1800 à 1914, Musée d’Histoire et
d’Art, Guide du Visiteur, Luxembourg 1988, S. 135.
63
durch die gleichförmige Gestaltung der Häuser, die heutzutage durch individuelle
Veränderungen ’behoben’ wird. Im Verhältnis zu der Anzahl an Arbeitern, die in der
Industrie beschäftigt sind, ist das Angebot an Werkswohnungen äußerst bescheiden.
Die Statistik über Wohnungsverhältnisse registriert für das Jahr 1906 43,2% überfüllte
Wohnungen in Esch/Alzette, wobei eine Wohnung dann als überfüllt gilt, "wenn die
Zahl der Familienmitglieder die doppelte Zahl der Zimmer übersteigt, z.B. wenn in
einer Wohnung von 3 Zimmern 7 Leute wohnen."12 Für den Bau der "Adolf Emil-
Hütte" (1909-1912) und ihre Inbetriebnahme kommt noch einmal ein bedeutender
Nachschub an Arbeitern, Facharbeitern, Beamten, und die Bevölkerung steigt zwi-
schen 1911 und 1912 von 16 537 auf 22 120.13 Einer von den Zugezogenen, die über
eine Beamtenwerkswohnung verfügen, ist beispielsweise ein gewisser Josef Bauer, der
am 26. August 1889 in Aachen in den Dienst tritt, am 1. Dezember 1912 nach Esch-
Belval überwiesen und am 1. Juni 1919 zum Angestellten befördert wird.14
Der Werkwohnungsbau der Gelsenkirchener Bergwerks A.G.
Aus dem historischen Rückblick geht hervor, daß deutsche Wirtschaftsunternehmen
seit dem Beginn der städtebaulichen Entwicklung von Esch/Alzette bis kurz nach dem
Ersten Weltkrieg stark vertreten sind. Am Beispiel der Gelsenkirchener Bergwerks
A.G. soll im folgenden untersucht werden, wie sich die Präsenz der deutschen Gesell-
schaft architektonisch manifestiert und welche Einwirkung sie auf den lokalen Werk-
und Sozialwohnungsbau ausübt.
Die Bauten der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. zeichnen sich durch ihre besondere
Architektur und ihre Wohnqualität aus. 1913 ist die Zahl der Häuser in Esch auf
1.920 angestiegen, wobei die Arbeitersiedlungen fast die Hälfte der zwischen 1910 und
1913 errichteten Neubauten ausmachen. Darüber hinaus führt die deutsche Gesell-
schaft einen neuen Typus der Arbeiter- und Beamtensiedlungen in Luxemburg ein.
Diese Siedlungen unterscheiden sich sowohl im Haustyp als auch in der Gesamtanlage
von den früheren Werksiedlungen in Esch/Alzette. Das Prinzip des Einfamilienhauses
wird beibehalten, der schematische Charakter der früheren Siedlungen jedoch aufge-
hoben. Die Arbeiter- und Beamtenhäuser sind ähnlich wie beispielsweise in den
Gartenstädten (Hellerau bei Dresden) als Reihenhäuser konzipiert, die sich aus
verschiedenen Einzelhaustypen zusammensetzen und so eine Vielfalt von Variationen
ermöglichen, die zu einem abwechslungsreichen Gesamtbild führen (Abb. 5). Die
Gruppierung der Häuser definiert zugleich den Straßenraum, der sich platzartig er-
12 Publikationen des Statistischen Amts, Heft 53, Die Wohnungsverhältnisse in Gross-Luxem-
burg und in den grösseren Ortschaften des Kantons Esch nach dem Stand vom 1. Dezember
1927, Luxemburg 1928, S. 12 u. 14,
13 Vgl. Camy (Anm. 5), S. 77.
14 Liste der Pensionierten, Witwen und Hinterbliebenen, die z.Z. noch eine Werkswohnung
der Abteilung Belval-Rothe Erde innehaben, Belval, den 21. Juni 1941, in: Archives Centrales
ARBED (AC.A) 831, Maisons ouvrières et d’employés, Heft 23/64.
64
Abb. 2: Doppelhäuser ’Saarbrécker Kasäre’, rue des Mineurs
65
weitert oder torähnlich verengt und zur Wohnstraße wird. Die Straßen verlaufen nicht
alle geradlinig, sondern im Bogen oder dem Gelände entsprechend.
Zwei größere Arbeitersiedlungen (insgesamt ca. 250 Häuser "Auf der Acht" und an
der "Ehleringer Straße", vgl. Abb. 6) sind zwischen 1910 und 1913 nach diesem
Muster von der Gelsenkirchener Gesellschaft ausgeführt worden (vgl. Abb. 4). Die
Häuser sind ein- bis zweigeschossige schiefergedeckte Putzbauten mit rustiziertem
Sockel und haben ein steiles, z.T. tief ansetzendes Mansarddach, z.T. Zwischendächer,
die Erdgeschoß und erstes Obergeschoß voneinander trennen und die Horizontale der
Häusergruppen betonen. Als vertikale Elemente treten große Giebelfronten auf, die
das charakteristische Erscheinungsbild der Siedlung markieren. Raumabschließende
Eckgebäude fungieren als eine Art Torbauten. Zu diesen Grundschemata gibt es Va-
rianten im Detail, etwa die Ausformung des Hauseingangs als Loggia oder mit Über-
dach.15 Die Häuser haben z.T. Vorgärten. In der Regel befindet sich eine Stube und
eine Küche im Erdgeschoß, zwei Schlafzimmer im ersten Obergeschoß, dazu Keller
und Speicher. Hinter dem Haus liegt ein Garten und ein Anbau mit Stall (Abb. 7). Es
gibt auch größere Wohnungen mit einem zusätzlichen Raum pro Geschoß. Die
Zimmer liegen hintereinander mit seitlichem Treppenhaus oder nebeneinander mit
seitlicher oder zentraler Treppe. Die Küche ist z.T. etwas größer als die Stube und
wird zuweilen als "Wohnküche" bezeichnet. Die Größe der Küche bewegt sich um 17
bis 18 qm, die der Stube um 12 bis 18 qm. Der Abort befindet sich in der Regel
außerhalb der Wohnung neben dem Stall.
Die Häuser sind massive Konstruktionen, die im Verhältnis zur allgemeinen Wohnsi-
tuation der Arbeiterschaft zu Beginn des Jahrhunderts einen größeren Wohnkomfort
bieten und folglich begehrte Objekte sind. Die Vermietung der Häuser unterliegt
jedoch einer strengen Aufsicht, die mittels der "Hausordnung und Mietbestimmungen
für die Wohnungen der Gelsenkirchener Bergwerks-Akt.-Gesellschaft" in Form von
34 Artikeln geregelt wird. Wie bei Werkswohnungen damals üblich, sind neben
Sicherheitsvorkehrungen und Instandhaltungsregelungen die Anbindung der Arbeiter
an das Werk über die Arbeitszeit hinaus und die Kontrolle über ihre Familie und ihr
Haus festgelegt: "Jeder Hausbewohner hat den Anordnungen der Angestellten, welche
für die Befolgung der nachstehenden Vorschriften zu sorgen haben, unweigerlich
nachzukommen. Diesen Beamten, welche einen Ausweis über die Zuständigkeit auf
Verlangen vorzuzeigen haben, ist der Zutritt zu den Wohnungen zu gestatten. [...]
Untervermietungen an Familien sowie das Halten von Kost- und Schlafgängern, wel-
che bei der Gelsenkirchener Bergwerks-A.G. beschäftigt sind, ist nur mit Genehmi-
gung der Häuserverwaltung gestattet. [...] Ruhestörungen, sowie Zusammenrottungen
auf Straßen und Plätzen sind verboten."
Auch auf das äußere Erscheinungsbild der Siedlung ist zu achten: "Alle von der Gel-
senkirchener Bergwerks-A.-G. angelegten Anpflanzungen (auch Straßenanpflanzun-
gen) sind auf das sorgfältigste zu pflegen, und während trockener, heißer Jahreszeit
sind die Anlagen genügend mit Wasser zu besprengen (morgens vor Sonnenaufgang
15 Eine Typologie der Bauten wird nach der Vervollständigung des Planmaterials zu erstellen
sein.
66
S S % r K C t l 1 Ti l • 12f ,5 C m*
Abb. 3: Grundrisse und Situationsplan der Häuser in der rue
Renaudin und rue des Mines
67
oder abends nach Sonnenuntergang). [...] Falls Anpflanzungen infolge unterlassener
Pflege eingehen, werden diese auf Kosten des Wohnungsinhabers, bei gemeinschaftli-
chen Gärten und Straßenanpflanzungen allen Bewohnern, welche die Pflege zu besor-
gen haben, angerechnet, sobald nicht rechtzeitig der Schuldige bekannt gegeben wird.
[...] Falls durch die Aufstellung von Gartenhäuschen pp. oder die Anlegung von An-
pflanzungen von Seiten des Bewohners das gute Aussehen der gesamten Bebauung
gestört werden sollte, kann von der Gelsenkirchener Bergwerks-A.G. die Entfernung
solcher Anlagen verlangt werden".
Das Mietverhältnis gilt nur so lange, als der Wohnungsinhaber bei der Gelsenkir-
chener Bergwerks A.G. "in Arbeit steht".16 Die Voraussetzungen, die unerläßlich
sind, um zu einer Werkswohnung der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. zu kommen,
sind entsprechend schwer zu erfüllen. Das Interesse der Gesellschaft geht mit Si-
cherheit über das hinaus, was Emil Mayrisch bezüglich des Düdelinger Economats
ausspricht: "Warum wir das gethan haben? Nicht aus Philanthropie, noch weniger aus
Mitleid, sondern aus Interesse. Aus dem Interesse, zu Mitarbeitern am gemeinsamen
Unternehmen vollwertige Menschen heranzubilden, die in vollem geistigen und
materiellen Gleichgewicht ihre Kräfte unbeschränkt betätigen können."17
Die paternalistische Unternehmensführung handelt "aus Interesse und nicht aus
Nächstenliebe", um den Arbeiterparteien und den Gewerkschaften das Wasser
abzugraben. Die Wohnungsvergabe und die Versorgung der Arbeiter durch betriebs-
eigene Lebensmittelzentralen sind geeignete Mittel, die Arbeitnehmer unter Kontrolle
zu behalten. Dazu sollen individuelle Merkmale bei den Arbeitern so weit als möglich
unterbunden werden, was sich bis in die Wohnungseinrichtung fortsetzt - indem es
beispielsweise den Arbeitern, im Gegensatz zu den Beamten, aus angeblich hygieni-
schen Gründen nicht erlaubt ist, ihre Wohnung zu tapezieren. Der im Verhältnis zu
anderen Arbeiterunterkünften freundlichere Charakter der von der Gelsenkirchener
Bergwerks A.G. angelegten Arbeitersiedlungen täuscht darüber hinweg, daß sich die
Arbeiter dem Zugriff ihres Arbeitgebers nicht entziehen können.
Wo die "Urbilder" der Gelsenkirchener Siedlung herkommen, ob sie als vorgefertigte
Modelle in Luxemburg eingeführt wurden oder speziell für die dortige Situation
entworfen wurden, bleibt noch zu prüfen. Ähnlichkeiten gibt es beispielsweise mit
Gelsenkirchener Bauten, etwa der Schievenfeldsiedlung, und mit den Gartenstadt-
siedlungen. Doch handelt es sich bei den Escher Arbeiterkolonien nicht um Garten-
städte, eher um Gartenvorstädte. Es sind keine autonomen Orte mit einer Infrastruk-
tur, sondern ausschließliche Wohnviertel. Auch fehlt der sozialreformerische Aspekt
im Sinne der Gartenstadtbewegung mit ihrer Forderung nach Gemeinbesitz an Grund
und Boden wie auch ihre erzieherische Absicht zwecks einer "Harmonie der Men-
schengesellschaft". Für die Werkswohnungen gilt eher das Gegenteil: Die soziale Se-
16 Hausordnung und Mietbestimmungen für die Wohnungen der Gelsenkirchener Bergwerks
AG. in Esch-Alzette und Deutschoth, Esch im Oktober 1918, AC.A 831, Maisons ouvrières
et d’employés, Heft 28/42.
17 Emil Mayrisch, Düdelingen, 18. November 1906, in: Norbert Quintus, D’Aarbecht an de
Gallerien, Luxemburg 1988, S. 133.
68
Abb. 4:
Werksiedlungen in Esch/Alzette 1900 - 1925
69
gregation der Arbeiter zu bewirken und sie einer ständigen Kontrolle zu unterziehen.
Ähnliches gilt für die formal nach Gartenstadtvorbild angelegte, sehr beeindruckende
Thyssensiedlung im benachbarten lothringischen Hagondange mit 500 Häusern, in der
die hierarchische Rangordnung der Arbeiter und Angestellten durch die Disposition
der baulichen Anlagen besonders gut zum Ausdruck kommt.
Die Siedlung "Auf der Acht" in Esch/Alzette entsteht direkt am nordwestlichen Stadt-
rand (vgl. Abb. 4), in geringer Entfernung zur neuen Adolf-Emil-Hütte, die gleichfalls
im Auftrag der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. von 1909-1912 gebaut wird. Die
Werksiedlung kontrastiert mit der hier entstehenden Reihenhausbebauung durch den
weiträumigen Charakter der Anlage und deren besondere Architekturformen.
Die "Ehleringer Kolonie" wird isoliert, ohne städtebauliche Anbindung an Esch und
auch nur in mittelbarer Nähe zu dem Gelsenkirchener Hochofenwerk, an der Abzwei-
gung Beleser und Ehleringer Straße, errichtet. Beide Siedlungen sind nicht in sich ge-
schlossen und scheinen abrupt abgebrochen, da die begonnene Bebauung einzelner
Straßenzüge nicht fortgesetzt und erst später von anderen Auftraggebern in anderer
Manier vollendet wird. Ähnliches stellt Cäcilia Schmitz für den Gelsenkirchener Raum
fest: "Das Prinzip der geschlossenen Siedlungsentwicklung ist im Gelsenkirchener
Raum nicht zu einem städtebaulichen Gesamtkonzept weiterentwickelt worden, die
Gartenvorstädte oder gartenstadtähnlich angelegten Siedlungen stellen nur Ansätze
dar."18
Zu den beiden bereits erwähnten Arbeitersiedlungen kommt ein weiterer Gebäude-
komplex auf dem Gelände der "Terres Rouges"- Hüttenanlage am Südwestrand der
Stadt, vom Zentrum getrennt durch die Eisenbahnanlagen. Die Gelsenkirchner
Bergwerks A.G. errichtet dort eine Beamtenkolonie mit sechs Einfamilienhäusern und
sechs Junggesellenwohnungen (avenue des Terres Rouges), eine kleine Gruppe
Arbeiterhäuser (rue Barbourg), ein Ledigenheim (in der Nähe der "Saarbrecker
Kasäre") sowie ein Verwaltungsgebäude und ein Beamtenkasino. Die Architekturfor-
men scheinen das Ergebnis einer Mischung traditionalistischer und moderner Ar-
chitekturbestrebungen zu sein. Verwaltungsgebäude und Beamtenkasino ähneln stark
den von Richard Riemerschmid projektierten Gebäuden für den Marktplatz der
Gartenstadt Hellerau und die Fabrikanlage "Dresdner Werkstätten für Handwerks-
kunst".19
18 Cäcilia Schmitz, Bergbau und Verstädterung im Ruhrgebiet. Die Rolle der Bergwerksunter-
nehmen in der Industrialisierung am Beispiel Gelsenkirchen, in: Der Anschnitt, Zeitschrift für
Kunst und Kultur im Bergbau, Bochum 1987, Beiheft 5, S. 82.
19 Kristiana Hartmann, Deutsche Gartenstadtbewegung. Kulturpolitik und Gesellschaftsreform,
München 1976, S. 88f. u. S. 100.
70
Abb. 5: Werksiedlung der Gelsenkirchener Bergwerks A.G., rue Leon Weyrich
Abb. 6: "Ehleringer Kolonie" der Gelsenkirchener Bergwerks A.G.
71
Der Werkwohnungsbau der Gesellschaften ARBED und Société Métallurgique des
Terres Rouges
Die Baukomplexe der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. sind außerhalb des Stadtzen-
trums von Esch/Alzette angesiedelt. Durch ihre Form und Anlage heben sie sich deut-
lich ab von der damals bestehenden und der nachfolgenden, sie umgebenden Bebau-
ung. Untersuchen wir die Einwirkung dieser deutschen Leitbilder, so ergibt sich als er-
stes die Frage, wie diese neue Werksiedlungsform und der deutsche, heimatlich ge-
färbte Architekturstil sich auf den Werkwohnungsbau der ortsansässigen Industriebe-
triebe auswirkt. Als Auftraggeber von Werkwohnungen werden hier im zweiten und
dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts die ARBED und die Société Métallurgique
des Terres Rouges tätig.
Trotz der wirtschaftlichen Anbindung Luxemburgs an Deutschland ist die 1911 ge-
gründete ARBED, was ihre Finanzierung angeht, ein belgisches Unternehmen. Nach
dem Ersten Weltkrieg übernimmt sie mit Hilfe von belgischem und französischem Ka-
pital die deutschen Industriebetriebe, die infolge der Friedensabkommen als links-
rheinische Niederlassungen nicht mehr aufrechterhalten bleiben können. 1919 erfolgt
der Austritt Luxemburgs aus dem deutschen Zollverein, 1922 wird die Wirtschafts-
union mit Belgien in Kraft gesetzt. 1919 werden die Hüttenanlagen der Gelsenkirche-
ner Bergwerks A.G. (Esch, Belval, und Rothe Erde in Aachen) von einem franzö-
sisch-belgisch-luxemburgischen Konsortium, der Société Métallurgique des Terres
Rouges mit den Hauptaktionären Schneider-Creusot (Frankreich), ARBED und Ban-
que de Bruxelles (Belgien) aufgekauft.20 Schneider-Creusot gewinnt in der Folgezeit
als bedeutender Aktionär Einfluß auf die ARBED.21 Was Wohnungsfragen angeht,
wendet sich die Luxemburger Gesellschaft sowohl an Schneider in Le Creusot als
auch an ihre Abteilung Burbacher Hütte oder an den Eschweiler Bergwerksverein in
Kohlscheid (Deutschland).22
Mittels der Wohnungsbaugesellschaft "SAMOD" (Société anonyme pour la construc-
tion de maisons ouvrières à Dudelange) errichtet die ARBED 1916 in dem angren-
zenden Ort Schifflange, "Im gelben Bommert" eine Arbeitersiedlung mit insgesamt 98
Wohnungen (Abb. 8-9)23. Sie umfaßt drei Häusergruppen mit je 14 Wohnungen und
sieben Häusergruppen mit je 8 Wohnungen vom Typ K und L. Das Prinzip der Rei-
henhäuser wird beibehalten. Die Bauten sind entlang zweier Straßen aufgereiht, rue
de la Forêt, die im Wald als Sackgasse endet, und rue des Aulnes, beide in Hanglage.
Die Häuser der 14er Gruppe "am Waldweg" werden architektonisch als je ein großes
Gebäude aufgefaßt. Zwei Gebäude unterscheiden sich dadurch, daß die mittlere
Hausgruppe einmal als vorspringender Gebäudetrakt ausgebildet ist (entgegen dem
20 Denis Scuto, Sous le signe de la grande grève de mars 1921. Les années sans pareilles du
mouvement ouvrier luxembourgeois 1918-1923, Esch-sur-Alzette 1990, S. 54.
21 Ebd., S. 55.
22 So im Fall von Mietverträgen oder Mietbestimmungen, AC.A 831, Maisons ouvrières et
d’employés, Heft 28/42.
23 Pläne: AC.A SAMOD.
72
Abb. 7: "Ehleringer Kolonie": Grundriß und Situationsplan einer Häusergruppe
in der rue de l’acier, Erdgeschoß und Obergeschoß
73
dem Plan, wo dieser Teil zurückgestellt ist) und einmal als giebelständiger Bau. Der
dritte Komplex besteht aus Häusern, die leicht gegeneinander versetzt sind. An
einzelne Häuser der Siedlung der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. erinnert noch die
Einteilung der Häuser in Sockel, Erdgeschoß und die sehr hohe Dachpartie, die
Überdächer der Eingänge und die Giebelausbildung des mittleren Gebäudetrakts. Die
Wohnungen haben Küche, Stube, zwei Schlafzimmer, Keller und Stall. Die Küche hat
ca. 17 bis 19 qm, die Stube durchschnittlich ca. 14 qm. Stall und WC liegen im Keller-
geschoß, das wegen der Terrainlage ebenerdig zugänglich ist.
Die Häusergruppen zu je acht Wohnungen zeigen ein deutlicheres Bestreben nach ei-
ner stärker rhythmisierten Gruppierung. Diese Häuser haben ein Obergeschoß. Laut
Projektbeschreibung sind die Wohnungen des Typs K zur Hälfte im Erdgeschoß und
im Obergeschoß gelegen, Typ L hat eine Wohnung pro Geschoß (Abb. 10-11 und 12).
Die Küche hat durchschnittlich ca. 17 qm, neu ist hier die Spülküche, die im Anbau
neben dem Stall liegt. Die Stube hat ca. 14 bis 15 qm. An der äußeren Erscheinung
der Häusergruppen vermitteln die Übergänge mit den torartigen Gartenzugängen
eine gewisse Ähnlichkeit mit den deutschen Vorbildern. Die Häuser der Siedlung "Im
gelben Bommert" kommen in ihrer Fassadengestaltung im Vergleich mit den Werks-
bauten der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. einer Häusergruppe der Ehleringer Ko-
lonie am nächsten. Das Gesamtbild der ARBED-Siedlung ist freilich wesentlich ein
förmiger als das der Ehleringer Kolonie, gewinnt jedoch durch die vortreffliche Lage
am Waldrand. Die ARBED hat diese Wohnungen aufgrund der Dienstjahre, der fa-
miliären Situation und der beruflichen Qualifikation des Antragstellers vergeben.24
Von 1922 bis 1927 baut die Société Métallurgique des Terres Rouges 350 Arbeiter-
wohnhäuser in Esch/Alzette, "Auf dem Weierwues".25 Die Siedlung ist in halboffener
Bauweise angelegt. Gegenüber den bisher betrachteten Arbeiterhäusern ist hier eine
Neuerung festzustellen, indem neben den Reihenhäusern für eine Familie nun auch
Häusergruppen mit drei Stockwerken für mehrere Familien gebaut werden. Die Fas-
sadengliederung ist nun weit entfernt von der abwechslungsreichen Gruppierung der
Siedlungen "Auf der Acht" oder der "Ehleringer Kolonie" und wird definiert durch
eine strenge Regelmäßigkeit und eine Reduzierung der baulichen Gliederung auf we-
nige Elemente, wie die Rhythmisierung durch Risalite und die Rahmung der Eingänge
mit einer Hausteinfassung und einem Überdach. Die Häuser haben Walmdächer und
sind verputzt. Die Wohnungen sind in zwei bis vier Zimmer aufgeteilt und haben kein
Bad. Die halboffenen Häuserblocks verfügen über eine große Innenhoffläche, die frü-
her von den Bewohner/innen zur Anlage von Gärten genutzt wurde und heute z.T.
mit Garagen verstellt ist. Es handelt sich bei diesen Häuseranlagen um ein von frühe-
ren Siedlungen völlig verschiedenes Konzept mit dreigeschossigen Mehrfamilienhäu-
sern in halboffener Bauweise, d.h. einer für Wohnviertel in städtischer Randlage typi-
schen Form. Was die architektonische Formensprache anbelangt, so ist eine starke
24 Nadine Schmitz, Le paternalisme social d’Emile Mayrisch (1900-1930), o.O. 1989 (Mémoire
de Maîtrise - Université de Paris IV 1989), S. 72.
25 Camy (Anm. 5), S. 36. Die Pläne der Häuser rue Clair-Chêne 10-20 und rue des Fran-
ciscains 32-50 sind im Besitz der Gemeinde, Division du géomètre.
74
Abb. 8: Arbeitersiedlung der ARBED "Im gelben Bommert", um
1916
Abb. 9;
fl
Lageplan der Siedlung "Im gelben Bommert’
75
Tendenz zur Vereinfachung der Bauglieder festzustellen, ohne auf traditionelle
Elemente (Walmdach, Risalit, Dreieckgiebel) gänzlich zu verzichten. Gewisse Ähn-
lichkeiten bestehen in der Fassadengestaltung der Häuser in der rue Clairchöne in
Esch/Alzette und den Wohnhäusern in der Saargemünder Straße 53-57 und 59-63 in
Saarbrücken-Güdingen von 1926 oder in der Püttlinger Straße 8-10A in Völklin-
Deutsche Leitbilder
Mietbestimmungen
Läßt sich allgemein feststellen, daß es in Esch/Alzette nicht zu einer integralen
Nachahmung der importierten deutschen Siedlungsmodelle gekommen ist, so sind
dennoch deutsche Einflüsse im Bereich des Wohnungsbaus zu registrieren, die
angesichts des gegenwärtigen Forschungsstands hier nur stichpunktartig behandelt
werden können.
So übernimmt die Société Métallurgique des Terres Rouges mit wenigen Abweichun-
gen im genauen Wortlaut die "Hausordnung und Mietbestimmungen für die Wohnun-
gen der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktien-Gesellschaft in Esch-Alzette u. Deutsch-
oth".26 27 Der Paragraph zur Untervermietung fehlt hier, ebenso die Bedingung zur
Wohnungsaufgabe bei Aufhebung des Arbeitsvertrags. Diese Bestimmungen sind
dagegen in den "Mietbestimmungen und Hausordnung für die Arbeiterwohnungen"
der "Vereinigte Hüttenwerke Burbach-Eich-Düdelingen Werk Esch"28 (Werk Esch
= Esch/Schifflange, frühere "Metzeschmelz") verzeichnet: "Vermieten an andre Fami-
lien ist nicht statthaft. Das Halten von mehr wie 2 Kostgängern ist nur mit Erlaubnis
der Vermieterin gestattet. [...] Der Mieter, welcher seine Arbeit bei der Gesellschaft
’Vereinigte Hüttenwerke Burbach-Eich-Düdelingen’ aufgiebt, ist verpflichtet, die
Wohnung am Tage seines Austritts aus dem Dienst der Gesellschaft zu räumen".
Dafür ist das Verbot der "Zusammenrottung" in den Mietbestimmungen des Werks
Esch verschwunden. Die Verpflichtung zum Unterhalt der Grünanlagen ist in den
Verträgen von ARBED und Terres Rouges ebenfalls nicht mehr anzutreffen. Für die
verschiedenen Abteilungen der Industriebetriebe gab es unterschiedliche Bestim-
mungen, für manche Wohnungen detailliertere Hausordnungen, vom Schrubben der
Fußböden - die "nur mittels eines nassen Tuches oder einer nassen Bürste bewerkstel-
ligt werden" dürfen - bis zu folgendem Verbot: "Betten, Wäsche, Besen und der glei-
26 Saargemünder Str. Nr. 53-59 und 59-63, in: Industriesiedlungen, Eisen- und Stahlwerke,
Glashütten, Eisenbahn, hrsg. v. Harald Glaser und Willi Kräuter, Stadtverband Saarbrücken
1989, S. 39 u. S. 55.
27 Gedruckte Hausordnung von 1924, AC.A 831, Maisons ouvrières et d’employés, Heft
28/42.
28 AC.A 831, Maisons ouvrières et d’employés, Heft 28/42.
76
Abb. 10: Arbeitersiedlung der ARBED "Im gelben Bommert"
(8 Wohneinheiten), Obergeschoß
Abb. 11:
II
Arbeitersiedlung der ARBED "Im gelben Bommert1
(8 Wohneinheiten), Erdgeschoß
77
chen Gegenstände dürfen nicht zum Fenster hinausgehängt resp. gelegt oder gestellt
werden."29
Der soziale Wohnungsbau
Neben dem Werkwohnungsbau der Unternehmer wird der soziale Wohnungsbau
wichtig für die Lösung der Arbeiterwohnungsfrage in Luxemburg. Den "Billigwoh-
nungsbau" regelt in Luxemburg das Gesetz vom 29. Mai 1906. Über die Vorgehens-
weise der Regierung in Bezug auf das Gesetz heißt es in einer Studie von 1912:
"Ne disposant pas de moyens suffisants pour tenter des essais économiques ou
politiques de grande envergure, nous sommes généralement forcés d’imiter l’exemple
de nos voisins, de prendre de leurs législations ce qui nous paraît applicable à notre
situation, de tenter de le corriger et d’arriver souvent à le mutiler, suivant nos besoins
et l’évolqtion de nos esprits. Voilà pourquoi notre législation a quelque chose d’hété-
rogène et présente parfois l’image d’une vraie mosaïque. Imbus d’un côté de principes
français, nous nous adaptons ailleurs entièrement à l’esprit allemand. Chose sem-
blable a eu lieu pour notre loi sur les habitations à bon marché."30
Nach Pütz ist das luxemburgische Gesetz zum ’Billigwohnungsbau’ "un système in-
termédiaire entre les deux systèmes allemand et anglais d’un côté, français et belge de
l’autre."31 Nach diesem Gesetz können Darlehen erstens an lohnabhängige Personen
vergeben werden, die noch kein Haus besitzen, sowie zum Bau oder Ankauf einer
"billigen Wohnung" oder um Hypotheken zurückzuzahlen. Zweitens an Gesellschaften,
die sich ausschließlich mit dem Bau, dem Verkauf oder der Vermietung von solchen
Wohnungen befassen, falls sie dem sozialen Zweck entsprechen. Drittens an Gemein-
den, wenn diese Kredite ausschließlich für den Bau oder den Ankauf von Sozialwoh-
nungen verwendet werden.32
In Esch gibt es 1921 291 Familien, die dringend eine Wohnung suchen, 50 weitere
wohnen unter unwürdigen Bedingungen.33 Zur Behebung der Wohnungsnot wird
1919 in Ausführung des Gesetzes von 1906 die Gesellschaft "Société Anonyme pour
la Construction d’Habitations à bon marché Luxembourg" gegründet. Aktionäre der
Gesellschaft sind: der Staat und die Stadt Luxemburg, die staatliche Sozialversiche-
rungsgesellschaft, die ARBED sowie die Gemeinden Esch, Differdingen und Düdelin-
gen. Architekt der Gesellschaft ist ab 1923 François Gangler, der seine Ausbildung als
Architekt und Ingenieur in Weimar erhielt.
29 Hausordnung für die Wohnungen der BeleserstraBe 7-15, Société Métallurgique des Terres
Rouges, Scté. Ame. Division d’Esch, AC.A. 831, Maisons ouvrières et d’employés, Heft 28/42.
30 Zit. n. Léo Pütz, L’Industrie du Bâtiment au Grand-Duché de Luxembourg après la Guerre.
Etudes juridiques et économiques de ’l’Echo de l’Industrie’, Luxembourg 1932, S. 65.
31 Ebd.
32 Ebd., S. 66f.
33 Ebd., S. 37.
78
Abb. 12: Häuserprojekt der "Gemeinnützigen anonymen Baugesell-
schaft", Aufriß
Abb. 13: Häuserprojekt der "Gemeinnützigen anonymen Baugesell-
schaft", Grundriß
79
Im Kontext dieser Untersuchung sind zwei Häuserprojekte der "Gemeinnützigen an-
onymen Baugesellschaft in Luxemburg" besonders interessant.34 Das erste ist ein
Entwurf für eine Häusergruppe mit sechs Wohnungen von 1927, die einen deutschen
Architektureinfluß verraten und z.T. an einzelne Baugruppen aus der Siedlung "Auf
der Acht" und der "Ehleringer Kolonie" erinnern (Abb. 12-13). Von der deutschen
Siedlung übernommen wird hier der rustizierte Sockel, die Proportionen des Gebäu-
des mit Erdgeschoß und Mansardendach sowie die einfassenden giebelständigen
Eckbauten. Im Erdgeschoß haben die Häuser eine Wohnküche und ein Wohnzimmer.
Der Eingangsbereich ist als kleine Diele ausgewiesen, wo sich am Treppenaufgang der
Abort befindet. Im Obergeschoß gibt es zwei Zimmer und eine Kammer. Das Bestre-
ben um eine abwechslungsreichere Rhythmisierung der Fassade kommt bei dem
Entwurf für die Zehnergruppe zum Ausdruck (Abb. 14). Durch die betonende Gestal-
tung der Eingangsbereiche verschiedener Häuser wird die Ähnlichkeit mit der deut-
schen Werksiedlungsarchitektur hier noch verstärkt. Die Küche im Erdgeschoß hat
etwa 12 bis 13 qm, das Wohnzimmer ist in den Häusern mit vorgebauten Eingängen
etwas größer. Die Häuser haben keinen Anbau. Diese für die rue Karl Marx und die
rue Jean Jaurès geplanten Entwürfe werden nicht ausgeführt. Die Gesellschaft für
,fbillige Wohnungen" errichtet in den 20er Jahren in der rue Karl Marx u.a. Doppel-
wohnhäuser mit zwei und vier Wohnungen und Krüppelwalmdach.
Der Grund für den Einfluß deutscher Architekturvorbilder im Bereich des Billigwoh-
nungsbaus muß im Zusammenhang mit den verantwortlichen Architekten gesehen
werden. Außer François Gangler, von dem der Entwurf für die Zehnhäusergruppe
stammt, arbeiten noch andere Architekten für die Gesellschaft, wie beispielsweise
Joseph Jentgen, der in seinem gesamten Oeuvre einen ausgesprochen deutschen
Architekturstil vertritt und der in den 20er Jahren zahlreiche Bürgerhäuser im Stadt-
teil Limpertsberg in Luxemburg-Stadt ausführt. Daß der Werkwohnungsbau der
Industrieunternehmen generell Pate steht bei der Konzeption der Sozialwohnungen,
ist durchaus denkbar, handelt es sich doch in beiden Fällen um eine ähnliche Bauauf-
gabe.
Die Wohnhäuser der Hüttendirektoren und -ingenieure
1869 erwirbt die "Société des Hauts-Fourneaux Metz & Cie" ("Metzeschmelz") das
Gelände mit dem früheren Berwart-Schloß zum Bau ihrer Hochofenanlagen und
benutzt das Schloß als Wohnung für ihre Hüttendirektoren. Das aus dem 18. Jahrhun-
dert stammende Gebäude ist ein französischer Bautypus, das Hauptgebäude besteht
aus einem Trakt mit Mittelrisalit, zur Hofseite mit Eckpavillons. Die Wirtschafts-
gebäude riegeln die Anlage zur Luxemburgerstraße ab. Das Schloß wird entsprechend
den Bedürfnissen der neuen Bewohner umgebaut und erhält ein zweites Obergeschoß.
Bis 1928 wohnen dort die Familien von Léon Metz und Hubert Müller-Tesch. Wie
bereits erwähnt, dienen die Wirtschaftsgebäude zeitweilig zur Unterbringung von
Arbeitern und Angestellten. Die architektonische Hierarchie von Direktorenwohnung
34 Die Baupläne sind im Besitz der Gemeinde Esch/Alzette, Division du Géomètre.
80
und Arbeiterbehausung spiegelt in diesem Fall besonders deutlich die Fortsetzung
alter Herrschaftsverhältnisse im Industriezeitalter wider.
Auf demselben Terrain "Am Schloss" errichtet die ARBED-Gesellschaft 1912 acht
Wohnungen für ihre Beamten, und zwar vier Wohnungen in Einzelbauten und vier
Wohnungen in Doppelhäusern (Abb. 15). Die Häuser sind "so weit von der Straße
zurückversetzt, daß Vorgärten entstehen".35 In der Genehmigungsanfrage der AR-
BED wird auch das Versprechen ausgedrückt, mit der Wohnhausarchitektur "das
Straßenbild abwechslungsvoller zu gestalten". Die Häuser sind in der Tat sehr unter-
schiedlichen Typs. Interessant ist die Zusammenstellung: Von der Villa im klassizisti-
schen Stil des Ingenieurs Arthur Kipgen (Abb. 16) über die Doppelhäuser der Inge-
nieure Leopold Biver und Max Ottinger mit eher ländlichem Einschlag bis zu den
Einzelhäusern des Direktors Hubert Hoff und des Hochofen-Direktors Auguste Metz,
die in ihrer Form einem zeitgenössischen deutschen Villenbautyp nahekommen, der
für die 20er Jahre in Luxemburg wegweisend wird. Die Häuser stammen von den
Luxemburger Architekten Paul Flesch und Paul Funck.
Als Pendant zu diesen ARBED-Gebäuden kann der Baukomplex aus Beamtensied-
lung, Beamtenkasino und Verwaltungsgebäude angesehen werden, den die Gelsenkir-
chener Bergwerks A.G. in unmittelbarer Nähe ihrer Hüttenanlage 1910/11 errichtet.
Die Beamtenhäuser bestehen aus einer Häuserreihe und sind ähnlich konzipiert wie
die Arbeiterhäuser, nur geräumiger und mit Bad ausgestattet. Die Häuser enthalten
Wohnungen für Beamtenfamilien und Junggesellen. Die Junggesellenwohnungen (zwei
pro Haus) haben merkwürdigerweise keine Küche. Unterhalt und Unterhaltung für
die Beamten bot das Hüttenkasino (Abb. 17), das sich an die Beamtensiedlung an-
schließt. Festsaal, Kegelbahn, Speisesaal und andere Aufenthaltsräume sind neben
einem Wohnbereich in einem großen Bau untergebracht, der den Architekturstil der
Arbeiter- und Beamtensiedlungen fortsetzt und an englische Landhäuser erinnert. Es
ist ein zweiflügeliger Bau in der Avenue des Terres Rouges, der zur Zeit als Musik-
konservatorium umgebaut wird. Das Kasino hat eine stark gegliederte, unregelmäßige
Fassade, an der die großen Giebelfronten auffallen. Die Hauptschauseite ist auf die
rue d’Audun gerichtet, vorgelagert ist ein kleiner Park. Der Eingang ist wie bei den
Arbeiterhäusern als Loggia ausgebildet. Mansarddach, Zwischendächer und vor- und
rückspringende Bauteile sind hier ebenfalls charakteristisch.
Dieser Baustil ist in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in Luxemburg untypisch. Um
so bemerkenswerter ist die Tatsache, daß in den 20er Jahren eine Bauweise zum
Durchbruch kommt, die eine ausgesprochen deutsche Prägung hat und z.T. an diese
Bauten der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. erinnert. Die Tendenz wird besonders
deutlich im bürgerlichen Wohnungsbau. Das herrschaftliche Doppelhaus Ed. Gillain
35 Genehmigungsanfrage bei der Gemeinde v. 18. Mai 1912, Division du Géomètre. Aus dem
Brief geht hervor, daß die ARBED die offene Bauweise bestimmt und daß kein Bebauungs-
plan seitens der Gemeinde vorliegt.
82
Abb. 15: Beamtenwohnungen der ARBED "Am Schloß"
83
und Otto Mayer36 in der rue Emile Mayrisch in Esch/Alzette scheint direkt von der
Architektur des Hüttenkasinos inspiriert zu sein (Abb. 18). Auch die umliegenden
Wohnhäuser, wie die Häusergruppe 42-46, die 1928 von dem Architekten Gust Scho-
pen37 errichtet wurde, verraten deutsche Einflüsse, die jedoch nicht direkt auf die
Bauvorbilder der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. zurückzuführen sind.
Vergleichen wir diese Escher Bürgerbauten mit der entsprechenden Architektur der
Stadt Luxemburg, etwa im Stadtviertel Limpertsberg, so treffen wir dort auf dieselben
Bauformen. Möglicherweise konnten die deutschen Bauvorbilder in Esch/Alzette
durch die Unterbrechung der Bautätigkeit im Ersten Weltkrieg erst spät als Bauvor-
bilder rezipiert werden. Gegenüber dem historistischen Formenapparat, mit dem die
aufstrebende Mittelschicht zu repräsentieren trachtet, bringen die eingeführten Neu-
bauten eine "modernere" Formensprache hervor, für die erst in den 20er Jahren der
Boden bereitet ist. 1919 wird der Zollanschluß Luxemburgs an Deutschland aufgelöst.
Seit 1922 ist Luxemburg wirtschaftlich an Belgien angeschlossen. Wenn sich nun
gerade in den 20er Jahren auf dem Gebiet der Architektur deutsche Einflüsse fest-
stellen lassen, so bedeutet dies, daß die wirtschaftliche Anbindung hierfür entweder
nicht ausschlaggebend ist oder daß sich deren Auswirkungen verzögert bemerkbar
machen infolge der Unterbrechung durch den Krieg und die nur langsam wieder in
Gang kommende Wohnbautätigkeit danach. So kann sich z.B. der Zuzug deutscher
Architekten auswirken, wie im Fall von Gust Schopen (aus Aachen) und Georges
Stoves (aus Castrop), die in den 20er Jahren zahlreiche Aufträge in Esch/Alzette
ausführen. Die Neuorientierung nach Deutschland im Bereich der Architektur hängt
auch mit der Tatsache zusammen, daß die Luxemburger Architekten ihre Ausbildung
nicht mehr überwiegend im französischsprachigen Raum erhalten, sondern daß
deutsche Hochschulen neben der Pariser Ecole des Beaux Arts an Bedeutung gewin-
nen. Warum sich dieser Wandel vollzieht, bleibt noch zu untersuchen.
Von Bedeutung für den deutschen Architektureinfluß in Luxemburg ist nicht zuletzt
das Wirken des Urbanisten Josef Stübben, der bereits 1901 einen Stadterweiterungs-
plan für die Stadt Luxemburg entworfen hat und in den 20er Jahren weitere Pläne für
die Hauptstadt und für die Ausdehnung von Esch/Alzette anfertigt. Der Plan von
Esch/Alzette ist ein Flächennutzungsplan mit Zoneneinteilung, die auf der Vorgefun-
denen Situation aufbaut. Darüber hinaus ist der Stübben-Plan als Instrument für eine
differenzierte Bebauung angelegt. Den Kleinwohnungsbau sieht Stübben "vorzugswei-
se in den westlichen und östlichen Vierteln nahe den Industriewerken" angesiedelt, die
"vornehmeren Wohnungen" im Bereich der von ihm vorgesehenen Grünanlagen und
die Geschäftshäuser entlang der Hauptstraßen mit dreigeschossiger Bebauung. Klein-
wohnungen und 'Vornehmere Wohnungen" sollen "nicht mehr als zwei Vollgeschosse
36 Der Teil des Doppelhauses im Auftrag von Otto Mayer wurde 1923 von dem aus Castrop
stammenden, 1913 in Luxemburg eingewanderten Architekten Georges Stoves gebaut.
37 Gust Schopen ist in Aachen geboren und 1914 nach Esch/Alzette gekommen.
84
Abb. 17: Beamtenkasino der Gelsenkirchener Bergwerks A.G.
Abb. 18: Bürgerliches Doppelhaus in der rue Emile Mayrisch
85
betragen" und teils als offener, teils als halboffener Reihenbau angelegt werden.38
Diese von Stübben propagierte Hierarchisierung ist im Wohnungsbau von Esch/Al-
zette deutlich zu sehen.
Das Geschäftszentrum von Esch/Alzette
Während die deutsche Bergwerksgesellschaft ihr Bauprogramm in Esch/Alzette durch-
führt, schreitet auch der Bau der Hauptgeschäftsstraße fort. Bemerkenswert ist in un-
serem Zusammenhang das 1910 auf Nummer 64 errichtete Haus mit großem Giebel,
das sich formal eng an die Vorbilder der Arbeiter- und Beamtenhäuser anlehnt. Die
Häuserzeile besteht aus einer Reihe historistischer Einfamilienhäuser sowie Geschäfts-
und Mietshäuser als Eckbauten des Baublocks. Sie erinnern an französische und bel-
gische Vorbilder. Gegenüber dem aufwendigen Dekor, der diese Wohn- und Ge-
schäftshäuser auszeichnet, erscheint das "deutsche" Haus vergleichsweise "nüchtern",
was die Fassadenbehandlung angeht. Daß dieser Baustil im Geschäftszentrum von
Esch/Alzette ohne Nachfolge bleibt, ist kaum verwunderlich. Die architektonische In-
szenierung der Geschäftsleute ist gebunden an die Wahrung eines gewissen Images,
das sowohl der Selbstdarstellung der Eigentümer gerecht werden als auch Aushänge-
schild für ihre Produktwerbung sein muß. Repräsentativ ist in diesem Sinne in der
Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und vielfach auch noch danach nur der historistische
Formenapparat. Eine deutliche soziale Trennungslinie manifestiert sich auf diese
Weise durch eine bewußte oder unbewußte Ablehnung der "sachlicheren" Formen-
sprache der deutschen Architekturmodelle, die zunächst nur mit der Industrie und der
Arbeiterschaft gleichgesetzt werden. Noch heute, da der Verkauf dieser Häuser er-
folgt, ist es in manchen Kreisen verpönt, in eine Arbeitersiedlung zu ziehen.
Die deutsche Gartenstadtbewegung und ihre Bedeutung für Luxemburg
Angeregt durch das englische Vorbild der durch Ebenezer Howards Schrift "Garden
Cities of To-morrow" (1898) populär gewordenen Gartenstadtidee, entsteht 1902 die
deutsche Gartenstadtgesellschaft. Sie tritt dafür ein, im Vorfeld großer Städte neue,
durchgrünte Trabantenstädte mit autonomer industrieller Grundlage und Arbeiter-
wohnsiedlungen zu gründen, und sie wirbt im Sinne einer bürgerlichen Lebensreform
für eine Verbesserung der Wohnsituation der Arbeiter und für fortschrittliche politi-
sche Verhältnisse: "Unter einer Gartenstadt versteht man nicht eine beliebige Stadt
mit ein paar Gärten in ihren Mauern. (Findige Spekulanten bezeichnen ihre nichts
weniger als gemeinnützigen Gründungen neuerdings mit Vorliebe als Gartenstädte.)
Eine Gartenstadt ist eine planmäßig gestaltete Siedlung auf wohlfeilem Gelände, das
dauernd im Obereigentum der Gemeinschaft erhalten wird, derart, daß jede Spekula-
tion mit dem Grund und Boden dauernd unmöglich ist und der Wertzuwachs der
Gesamteinwohnerschaft erhalten bleibt. Sie ist ein neuer Stadttypus, der eine durch-
38 J. Stübben, Stadtbauplan für Esch AD. Azette im Grossherzogt. Luxemburg, in: Stadtbau-
kunst Ater und Neuer Zeit, Jg.VIII, Nr. 7 (1927), S. 128 u. 129.
86
greifende Wohnungsreform ermöglicht, für Industrie und Handwerk vorteilhafte Pro-
duktionsbedingungen gewährleistet und einen großen Teil seines Gebietes dauernd
dem Garten- und Ackerbau sichert."39
Das Gemeinschaftseigentum als Prämisse der Gartenstadt ist eine Losung, die in
Luxemburg nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Der Generalsekretär der deutschen
Gartenstadtbewegung Kampffmeyer ist zu optimistisch, wenn er folgende Empfehlun-
gen an Luxemburg erteilt: "Es sollte deshalb in Luxemburg, gerade so wie das in
England und Deutschland geschehen ist, ein ’Landeswohnungsverein’ gegründet wer-
den. In ihm sollten sich alle an der Wohnungsreform interessierten Kreise zusammen-
schließen, also: Regierung, Gemeinden, Organisationen von Beamten und Arbeitern,
soziale Vereine, wie der Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose und der Verein zur
Bekämpfung des Alkoholismus, der Ingenieurverein und ähnliche, ferner die Indu-
striellen, Architekten, Ärzte und sozialinteressierte Einzelpersonen. Die Aufgaben
dieses Landeswohnungsvereins wären sehr mannigfaltig: Er sollte vor allem die Be-
völkerung für das Verständnis des Wohnungs- und Ortserweiterungsproblems erzie-
hen. Er sollte die öffentliche Meinung und die Parteien für die oben erwähnten ge-
setzgeberischen und praktischen Maßnahmen gewinnen. Er sollte eine Baubera-
tungsstelle einrichten, in der Baulustigen, Bauunternehmern, Gemeinden, Industriellen
und Genossenschaften in allen Fragen des Wohnungs- und Siedlungswesens Rat er-
teilt wird. [...] Er sollte schließlich in geeigneten Fällen Baugenossenschaften gründen,
die mustergültige Häuser für ihre Mitglieder bauen. [...] Ich bin überzeugt, dass ein
solcher Verein mit verhältnismässig wenig Mitteln viel zur Besserung der Wohnungs-
verhältnisse zu Luxemburg beitragen könnte."
Ein solcher Verein kommt indes in Luxemburg nicht zustande, ebenso wenig ent-
stehen Wohnungsbaugenossenschaften. Vielmehr wird hier durchgehend das Privatei-
gentum gefördert. Das Gesetz zum "Billigwohnungsbau" regelt die Kreditzuweisung an
Minderbemittelte zwecks Kauf oder Bau eines Eigenheims. Die in Ausführung des
Gesetzes 1919 gegründete "Gemeinnützige anonyme Baugesellschaft in Luxemburg"
(Société anonyme pour la construction d’habitations à bon marché) errichtet bis 1931
insgesamt 356 Häuser, von denen sie 307 verkauft.40 Das Einfamilienhaus mit Gar-
ten in der Randstadt wird als Ideal propagiert. Die staatliche Wohnungsbaupolitik
verfolgt damit eine ähnliche Richtung wie die Industriebetriebe mit dem Werkwoh-
nungsbau im Sinne ihrer Förderung der Kleinfamilie. Das Eigenheim wird in ver-
stärktem Maß als ein Stabilisierungsfaktor der Familie angesehen. Die repressiven
Mietbestimmungen der Industrieunternehmen und die Erziehung der Arbeiter zu
Hauseigentümern stellen das Gegenteil der von der Gartenstadtbewegung aufgestell-
ten Forderungen im Sinne einer Selbstbefreiung der Menschen dar. "Wenn [...] in der
Gartenstadt die Einzelhäuser zu einheitlichen Gruppen und Straßenbildern zusam-
mengeschlossen werden, so ist das nichts zufälliges, nichts willkürliches, sondern es ist
39 Kampffmeyer (Anm. 1).
40 Pütz (Anm. 30), S. 58.
87
der sinnfällig gewordene logische Ausdruck einer bestehenden sozialen Gemein-
schaft."41 - "Und diese Harmonie der äußeren Form muß ihrerseits wieder zurück-
wirken auf das Leben, das unter seinem Einfluß aufblüht, innigeren Zusammenschluß
fördernd, und weitere Betätigungsmöglichkeiten für ein Gemeinschaftsleben bie-
tend."42 Die Werkswohnungen der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. ähneln nur formal
der Gartenstadt, wodurch ihnen immerhin ein Platz in der Ausstellung der deutschen
Gartenstadt zuteil wurde. Ob dies im Sinne Kampffmeyers war, ist zu bezweifeln.
Abbüdungsnachweis:
1. Foto:
2. Foto:
3. Foto:
6. Dokument:
8. Foto:
15.Foto:
Livre du Cinquantenaire de la Ville d’Esch-sur-Alzette 1906-1956,
Esch-sur-Alzette 1956
ARBED
Quintus, op.cit.
Gemeinde Esch/Alzette, Division du Géomètre
Sammlung Emile Bastian
Detail aus der Reproduktion eines Gemäldes von G. Peltier "Aciéries
Réunies de Burbach-Eich-Dudelange, Usine d’Esch, 1913"
Die Aufnahmen 9,10,11 wurden mit Hilfe des Service photographique der ARBED gemacht,
die übrigen Fotos entstammen meiner Sammlung.
41 Hans Kampffmeyer, Die Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der
Gartenstädte für den Städtebau, in: Keller, Wagner, Osthaus u.a., Bauordnung und Bebau-
ungsplan, ihre Bedeutung für die Gartenstadtbewegung, Berlin u. Leipzig 1911, S. 42.
42 Raymond Unwin, Baugenossenschaft und Städtebau, in: Gartenstadt, H. 1, Jan. 1910, S. 2.
88
Annette Maas
Kriegerdenkmäler und Gedenkfeiern um Metz
Formen und Funktionen kollektiver Erinnerung in einer Grenzregion
(1870/71-1918)1
Die Schlachten um Metz - Colombey-Borny am 14. August, Gravelotte - Mars-la-Tour
am 16. August und die Entscheidungsschlacht bei St. Privat am 18. August 1870 - wur-
den nicht nur als eine rein militärische Auseinandersetzung erlebt, sie waren auch für
das kollektive Bewußtsein beider kriegführender Nationen von großer Bedeutung.
Bereits in den ersten Kriegswochen war der Nimbus der französischen Unbesieg-
barkeit zerstört worden durch die überraschend schnelle deutsche Siegesfolge, welche
auf deutscher Seite ein ungeheures Siegesbewußtsein, eine Welle nationaler Begeiste-
rung, auslöste. Das Jahr 1871 stand für die Erfüllung der langgehegten Hoffnung auf
nationale Einigung. In Siegesfeierlichkeiten, Festspielen, Gedenktagen und Denk-
malseinweihungen wurde Patriotismus zu einer real erfahrbaren Größe.
Auf französischer Seite stand verständlicherweise weniger die Verherrlichung der Ge-
genwart im Mittelpunkt als die schwere Aufgabe der Bewältigung der Niederlage in
nationaler Trauerarbeit. Das Trauma des verlorenen Krieges, die "provinces perdues"
und die Erinnerung an das "année terrible", das die gesamte Nation gezeichnet hatte,
mußten durch Überhöhung des patriotischen Heldentums kompensiert werden. Die
Hoffnung, das gedemütigte Frankreich könnte am großen Leid wachsen und eines
Tages wieder erstarken, half, die Niederlage in Ansätzen zu verarbeiten.
Sowohl das Siegesbewußtsein als auch der Schmerz der Niederlage manifestierten sich
in der Errichtung von Denkmälern,2 überwiegend in der Sonderform des Krieger-
bzw. Schlachtendenkmals. Solche Denkmäler wurden entweder am Bestattungsort der
1 Der vorliegende Artikel stützt sich auf ausführlichere Analysen meiner 1988 an der Uni-
versität Nancy II bei Prof. Pierre Barrai und Prof. Etienne François erstellten Maîtrisearbeit:
"Kriegerdenkmäler um Metz (1870/71-1918). Mentalitätsgeschichtliche Untersuchungen im
deutsch-französischen Spannungsfeld." Auf eine vollständige Darstellung der systematischen
und formalen Auswertung der Kriegerdenkmäler hinsichtlich raumzeitlicher Verteilung,
Ikonographie und Inschriften mußte in vorliegendem Artikel verzichtet werden. Alle reprodu-
zierten Fotos stammen von der Verfasserin; Abbildung 3 in Privatbesitz.
Zum Krieg 1870/71 s. Eberhard Kolb, Der Weg aus dem Krieg. Bismarcks Politik im Krieg
und die Friedensanbahnung 1870/71, München 1989; La guerre de 1870/71. Actes du 20e
colloque historique franco-allemand, hrsg. v. Philippe Levillain u. Rainer Riemenschneider,
Bonn 1990, sowie François Roth, La guerre de 70, Paris 1990.
2 Zu dieser nationalen Besonderheit s. Eugène Poiré, Les Monuments Nationaux en Allema-
gne, Paris 1908, S. IV: "La défaite, cependant, avec tout ce qu’elle entraîne à sa suite de
calamités publiques et de détresses privées, est-ce un souvenir à conserver par le marbre et le
bronze. Cette statuomanie militaire, destinée à commémorer des malheurs nationaux, doit
surprendre beaucoup les étrangers qui nous visitent, car elle est spéciale à notre pays, et elle
ne se manifeste nulle part ailleurs."
89
Gefallenen auf dem Schlachtfeld, in enger Anbindung zum traditionellen Grabmal,
oder in den Heimatgemeinden bzw. in den Garnisonsstädten aufgestellt. Das Krie-
gerdenkmal übernahm nicht nur die Funktion der Erinnerung an die Toten, es klagte
darüber hinaus das verlorene Leben ein, um das Überleben sinnvoll zu machen. Der
Sinn des gewaltsamen Todes, seine Rechtfertigung wurden von den Überlebenden in
den Denkmälern festgeschrieben : "Mortui viventes obligant". Gemäß der grundlegen-
den Thesen Kosellecks bietet der Kriegstod eine dreifache Identifikationsmöglich-
keit:3 Erstens werden die Toten in besonderer Weise erinnert - als Helden, Helden-
brüder, Gefallene, Kameraden... - , zweitens binden sich, wenn aus der Erinnerung
Konsequenzen für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln gezogen werden sollen, die
Überlebenden in das von dem Denkmal ausgehende Identifikationsangebot ein, und
drittens wird der Toten als Tote gedacht.
Die Einbindung in das Identifikationsangebot setzte voraus, daß die Toten für die-
selbe Sache gefallen waren, für die auch die Denkmalsstifter einstehen wollten. Diese
Absicht blieb aber nur so lange gültig, wie das erbrachte Opfer sinnvoll mit gesell-
schaftlichen Forderungen verknüpft werden konnte. Die beabsichtigte Botschaft war
somit zwangsläufig zeit- und raumgebunden.4 Denkmäler wurden zugleich Zeugen
der Vergänglichkeit und der Vergangenheit, obwohl sie auf Dauer ausgerichtet waren.
Seit der Französischen Revolution und besonders seit den Befreiungskriegen stieg die
Zahl der Kriegerdenkmäler stetig an. Der "Tod für das Vaterland" als absoluter Wert
erhielt eine neue metaphysische Komponente. Die Übertragung des Heldentums in
die Sphäre des Heiligen schuf somit eine neue übernatürliche Identifikationsmög-
lichkeit. Der innerweltliche Zusammenhang zielte, da die transzendental-religiöse
Sinnstiftung des Todes an Überzeugung verlor, auf die politische und soziale Zukunft
der Überlebenden.5 Nicht nur der Soldatentod selbst, sondern auch die Erinnerung
daran wurden politisch funktionalisiert. "Den Gefallenen zum Gedächtnis, den Leben-
den zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung"6 lautete die
3 Reinhart Koselleck, Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Identi-
tät, hrsg. v. Odo Marquard u. Karlheinz Stierle, München 1979, S. 255-275, hier S. 256.
4 Koselleck (Anm. 3), S. 257 u. Antoine Prost, Les anciens combattants et la société française
1914-1939, Bd. 3, Mentalités et idéologies, Paris 1977, S. 51f.: "Chaque groupe historique
interprète la guerre à la lumière de ses propres traditions, de ses propres idéaux et croyances.
Chacun nous propose ainsi sa lecture de l’événement. Les monuments aux morts s’offrent à
nous comme un système de signes, complexe mais cohérent, où se livre le sens que chaque
famille spirituelle, idéologique ou morale prétend donner à la guerre."
5 Philippe Contamine, Mourir pour la patrie, in: Les lieux de mémoire, hrsg. v. Pierre Nora,
La Nation, Bd. 3, Paris 1986, S. 11-43, hier S. 35f. u. Elisabeth Guibert-Sledziewski, Pour la
patrie: mort héroïque et rédemption, in: La Bataille, l’Armée et la Gloire 1745-1871, Actes du
colloque international de Clermont-Ferrand, hrsg. v. Paul Viallaneix u. Jean Ehrard, Cler-
mont-Ferrand 1985, Bd. 1, S. 199-208, hier S. 200ff.
6 Zum ersten Mal erschien diese Widmung 1821 auf Schinkels Kreuzbergdenkmal in Berlin,
errichtet in Erinnerung an die Befreiungskriege; 1870/71 galt diese Inschrift der gesamtem
deutschen Nation.
90
Widmung auf vielen Kriegerdenkmälern des 19. Jahrhunderts und galt in unzähligen
Variationen für Sieges- und Erinnerungsmale.
Nicht nur der Sieger durfte Ruhm und Ehre für sich beanspruchen, auch der Ver-
lierer konnte kraft einer Inversionslogik zur Identifikation mit dem Vaterland auf-
fordem, um die Niederlage in nationaler Trauerarbeit verarbeiten zu können.7 Diese
Umkehrung der üblichen Argumentationskette mußte als nationale Besonderheit in
Frankreich gerechtfertigt werden, zumal die stilistischen Mittel der Kriegerdenkmals-
gestaltung auf beiden Seiten sehr ähnlich waren und die Tradition der gemeinsamen
Gefallenenbestattung im Krieg von 1870/71 noch praktiziert wurde.8
Metz mit den unzähligen Kriegergräbern und zahlreichen Kriegerdenkmälern auf den
ehemaligen Schlachtfeldern war durch die Kriegsereignisse von 1870/71 geprägt und
national gespalten. Die alljährliche Erinnerung an die Augustschlachten vor Metz
waren für den alteingesessenen, frankophonen Bevölkerungsteil, für die "indigènes",
schmerzlicher Rückblick auf die militärische Niederlage, die Besatzungszeit und die
Folgen der Annexion. Für den deutschen Bevölkerungsteil, die eingewanderten Alt-
deutschen, waren die Erinnerungstage eine Möglichkeit, die tiefe Bindung an das
neue deutsche Reich selbstbewußt zu manifestieren.9 Verschärft wurde die lokale
Problematik durch die nur wenige Kilometer westlich von Metz verlaufende neue
Grenze, die Elsaß-Lothringen von Frankreich trennte. Dieser Grenzverlauf bewirkte
eine Teilung der Schlachtfelder in Erinnerungsorte mit unterschiedlicher nationaler
Zugehörigkeit, an denen der Ereignisse von 1870/71 in voneinander abweichender,
teilweise entgegengesetzter Absicht gedacht wurde. Abhängig von der Zugehörigkeit
zu Deutschland oder Frankreich gab es nicht nur verschiedene Orte der Erinnerung,
Gravelotte und Mars-la-Tour, sondern auch die Zeitpunkte der Gedenkfeiern wichen
voneinander ab.
Eine Infragestellung des Krieges als eine zunehmend anachronistische Form der
Konfliktlösung unterblieb auf beiden Seiten, obwohl das Ausmaß der Schlachten um
Metz auf dem riesigen Schlachtfeld allgegenwärtig war. Sieg oder Niederlage, beide
mußten zukunftsweisend, staatstragend legitimiert werden.
Strukturelle Anfänge des Erinnerungskultes in den ersten Jahren nach 1870/71
Da im Frankfurter Friedensvertrag die Soldatengräberpflege zum ersten Mal zum
Verhandlungsgegenstand zweier Frieden schließender Staaten gestellt worden war,10
7 Koselleck (Anm. 3), S. 263.
8 Ebd., S. 268.
9 François Roth, La Lorraine annexée. Etude sur la Présidence de Lorraine dans l’Empire
allemand (1870-1918), Nancy 1973, S. 422: 1890 waren die Altdeutschen mit 47% Anteil an
der Metzer Zivilbevölkerung den Alteingesessenen (44%) überlegen.
10 In Art. 16 verpflichteten sich die Vertragspartner, die Gräber der auf ihrem Gebiet bestat-
teten Soldaten zu respektieren und zu unterhalten. Nationale Differenzierungen dieser Leitli-
nie für den Sonderfall Elsaß-Lothringen in: Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen, Nr.7, 2. Febr.
1872 und für Frankreich in: Journal Officiel, Gesetz v. 4. April 1873 (15. April 1873).
91
wurde den Sammel- und Massengräbern das dauernde Ruherecht zuerkannt. Somit
behielt ein Schlachtfeld, auf dem Gräber und Denkmäler bis heute vom Schlachten-
verlauf Zeugnis ablegen, seinen historisch authentischen Charakter. Auf deutscher
Seite sollte darüber hinaus bewußt der Eindruck eines riesigen Erinnerungsfeldes be-
wahrt werden.11 Selbst wirtschaftliche Interessen der deutschen Großindustrie wur-
den in diesem Zusammenhang als zweitrangig eingestuft.12
Dieser rechtliche Rahmen zur Erhaltung der Kriegergräber ermöglichte einen konkre-
ten Freiraum für organisierte Formen des Gefallenen- und Erinnerungskultes, der zur
Hauptaufgabe verschiedener nationaler Vereine wurde. Dabei entwickelten sich die
jährlichen Augustfeierlichkeiten zum Spiegel der verschiedenartigen nationalpoliti-
schen Identitäten und Zukunftserwartungen der beiden Bevölkerungsgruppen in Metz.
Die erste, auf die Stadt begrenzte Organisation "L’oeuvre de l’entretien des tombes
et du monument de Chambière" ging auf eine Initiative aus der frankophonen, ka-
tholischen Bevölkerung zurück. Sie setzte ihren Gefallenen am 7. September 1871 ein
Denkmal auf dem Militärfriedhof Chambière (Abb. I),13 das in seiner Ikonographie
weithin sichtbar auf Trauer und Tod verwies.14 An diesem Tag ruhte das öffentliche
Leben im trauernden Metz,15 und nach der Gedenkmesse zog der Trauerzug - eine
schweigende Protestdemonstration von etwa 30 000 Menschen - zum Denkmal. Der
Metzer Bürgermeister Paul Bezanson wandte sich den Gefallenen mit den Worten zu:
"Si nous avons arrosé de notre sang cette terre si éminemment française du moins les
Messins qui survivent et leurs derniers neveux conserveront pieusement, avec cette
énergie qui leur est propre, le culte du souvenir".16 Der Bischof von Metz schloß sei-
ne Gedenkansprache mit den Worten: "Je m’arrête à ce mot, il est si doux! l’espé-
rance",17 wobei er Bezug nahm auf die Inschriften des Denkmals. Christlich-religiö-
11 Archives Départementales de la Moselle, Metz (künftig ADM), 12 AL 257. Bei Umbettun-
gen 1892/93 wurde dieses Problem erörtert mit dem Verweis auf eine allerhöchste Anordnung
Wilhelms I. und später auf einen Ministerialerlaß v. 12. Aug. 1893.
12 Beabsichtigte Probebohrungen zur möglichen Anlage neuer Erzgruben in dem für die
Industrie interessanten Gebiet durften nur unter Bewahrung des Schlachtfeldcharakters
vorgenommen werden, s. ADM, 12 AL 258, u.a. Schreiben des Kreisdirektors an den Bezirks-
präs. v. 26. Okt. 1910.
13 E. Bezanson de Viville, L’oeuvre de l’entretien des tombes et du monument de Chambière
à Metz, in: Le Pays Lorrain et le Pays Messin 7 (1910), S. 667-672, hier 668f.
14 Die Denkmäler der annektierten Bevölkerung auf reichsländischem Boden wurden über-
wiegend als Trauerdenkmal (wie in Metz durch die Anbringung einer mit Trauerflor verhüll-
ten Urne auf einem Obelisken) auf dem Gemeindefriedhof errichtet (vgl. Gorze, Sablon,
Longeville), wobei auf Grund des Hausrechtes der Gemeinde eine Auseinandersetzung mit
der deutschen Seite vermieden werden konnte. Einziges deutsches Exemplar dieses Denkmal-
typs: Denkmal der 12. Infanteriebrigade bei Vionville von 1872.
15 Jean-Pierre Jean, La Lorraine et ses champs de bataille, Metz 1908, S. 150f.
16 Bezanson (Anm. 13), S. 670.
17 Jean (Anm. 15), S. 154.
92
Abb. 1:
Denkmal der Stadt Metz auf dem Militärfriedhof Cham-
biere, errichtet 1871
93
se Zitate standen politisch-aktuell uminterpretiert für die schreckliche Erfahrung des
Verlustes der nationalen Zugehörigkeit und besonders für die Belagerung und Ann-
exion der französischen Stadt: "Malheur à moi! Fallait-il naître pour voir la ruine de
mon peuple, la reine de la cité, et pour demeurer au milieu d’elle pendant qu’elle est
livrée aux mains de l’ennemi." (Масс. Bl, 2,7)18 Die Verbindung von patriotischer,
ehrenvoller Pflichterfüllung und christlicher Hoffnung implizierte eine politische Inter-
pretation der Inschriften in ihrer Gesamtheit, als Hoffnung auf die Rückkehr zu
Frankreich. "Souvenir" und "Espérance" sollten die Schlüsselworte bei allen franzö-
sischen Erinnerungsfeiern werden. Die Gedenkmesse wurde von nun an am 7. Sep-
tember abgehalten, 1885 vom Metzer Bischof Dupont des Loges als eine auf Ewigkeit
zu lesende Messe festgelegt.19 Sie galt bis zur Enthüllung des französischen Regio-
naldenkmals 1908 bei Noisseville als die Hauptveranstaltung, die seit der Annexion
"tout ce que la Lorraine comptait encore de vrais Lorrains" auf reichsländischem Bo-
den vereinte.20 Nach der Ablösung des letzten französischen Bürgermeisters 1877
verengte sich der formale Handlungsspielraum des Totengedenkens. Trauerschärpen
mit Inschriften und Perlenkränze wurden von der deutschen Verwaltung verboten und
mußten am Denkmal entfernt werden21.
Trotz der Einschränkung und Überwachung von deutscher Seite blieben die Gedenk-
messe und der Besuch des Denkmals die wichtigste Identifikationsmöglichkeit mit der
verlorenen französischen Nation und ein emotional-psychologisches Zeichen des
inneren Zusammenhalts der alteingesessenen Metzer Bevölkerung, wie es Maurice
Barrés eindringlich in "Colette Baudoche" schilderte.22 Gedenkmesse und Denkmal
symbolisierten den Bestattungsort der "patrie" und vereinten zugleich alle Hoffnungen
auf eine bessere Zukunft, die ohne eine Rückkehr zu Frankreich nicht denkbar
schien.23
Im Gegensatz zu dieser in kurzer Zeit entstandenen homogenen Form des lokalen
Erinnerungskultes konnten auf deutscher Seite die Einzelaktionen verschiedener Ver-
eine erst 1890 in einer Dachorganisation, der "Vereinigung zur Schmückung und
fortdauernden Erhaltung der Kriegergräber und Denkmäler bei Metz", koordiniert
18 ADM, 12 AL 290. Das Erinnerungsblatt an die Einweihungsfeierlichkeiten "Monument
funèbre érigé par la ville de Metz, inauguré le 7 septembre 1871" dokumentiert auch die
weiteren Inschriften.
19 Jean (Anm. 15), S. 162: "...assurer aux soldats français à la cathédrale de Metz un service
solennel et des prières qui dureront autant que la Lorraine."
20 Zit. nach Berthe Poirier, Le culte du souvenir en Lorraine, in: Revue de Paris 5 (1919), S.
622-640, hier S. 624. Vgl. auch Roth (Anm. 9), S. 426 u. ders., La Lorraine dans la guerre de
1870, Nancy 1984, S. 99.
21 Bezanson (Anm. 13), S. 671f.
22 Maurice Barrés, Colette Baudoche. Histoire d’une jeune fille de Metz, Paris 1909.
23 Le Lorrain v. 8. Sept. 1884: "Le glas funèbre l’appelle autour de l’autel où l’on prie pour
ses glorieux morts de 1870, et autour de cette tombe sous laquelle nous avons enseveli la
patrie morte avec nos coeurs et tant de milliers de ses héroïques enfants...", ähnlich Le
Lorrain v. 8. Sept. 1885.
94
werden. Neben privaten Grabbesuchen ging die erste Initiative vom 1872 gegründeten
Metzer Turnverein aus, der bei seinen Ausflugsfahrten Kriegergräber schmückte.24
Der nach öffentlichem Aufruf am Sedanstag 1874 gegründete Kriegerverein Metz
sollte zu einer treibenden Kraft des Gefallenenkultes, zum ständigen Ansprechpartner
und zur Kontaktstelle für alle übrigen Kriegervereine des Reiches werden. Der Vor-
schlag des Turnvereins, "alljährlich an einem bestimmten Tag gemeinschaftlich auf die
Schlachtfelder zu wandern und im Rückblick auf die Großtaten des Geschlechts von
1870 auf dem durch dessen Blut geweihten Boden das Gefühl wach zu rufen und zu
kräftigen, in der Stunde der Gefahr es ihnen gleichzutun an Vaterlandsliebe und Hel-
denmut", fand zunächst keinen Anklang.25 Weiterhin konkurrierten beide Vereine
miteinander, die Besucher blieben zunächst auf die Vereinsmitglieder und Vertreter
der in Metz stationierten landsmannschaftlichen Truppenteile beschränkt.26
"Größere Tage, als die Augusttage der Metzer Schlachten, gibt es in der deutschen
Kriegsgeschichte nicht. [...] Es ist Pflicht und Tugend eines Volkes, seine großen Er-
eignisse treu im Gedächtnis zu halten, und die Begeisterung dafür kommenden Ge-
schlechtern als eine lebendige Flamme des Patriotismus zu überliefern. Natürlich ver-
bot die Rücksicht auf unsere Mitbürger französischer Nationalität eine gemeinsame
Gedenkfeier in der Stadt."27 Dieses Bedürfnis nach Erinnerung beschränkte sich in
den ersten Jahren auf einen engen militärischen Rahmen und pathetische Trauer. Ab
1877 wich die religiös betonte Erinnerung einem immer stärker werdenden Patriotis-
mus. In den Vordergrund der Erinnerungsreden traten nun Berichte über einzelne
Etappen der Gefechte, verbunden mit dem an die jüngere Generation gerichteten
Appell, "der Vaterlandspflicht nachzukommen",28 dem Vorbild der gefallenen Hel-
den "zu gleicher Treue und Hingebung bis in den Tod" zu folgen.29
Zu den Feierlichkeiten 1887 wurden ca. 1000 und im darauffolgenden Jahr 1200 aus-
wärtige Gäste gezählt, überwiegend Mitglieder von Kriegervereinen aus Norddeutsch-
land30- ein Zeichen dafür, daß die Feierlichkeiten nicht nur bei der Metzer Bevöl-
kerung, sondern auch auf Reichsebene an Bedeutung gewannen.31 Den 15. August,
Feiertag der alteingesessenen katholischen Bevölkerung, legte der Turnverein als Ter-
24 G. Fischer, Die Kriegergräber und Denkmäler von 1870 bei Metz, in: Elsässisch-Lothringi-
sche Mitteilungen 12 (1930), S. 365f., gibt als ehemaliges Vorstandsmitglied der "Vereinigung"
einen Rückblick auf deren Tätigkeit; die angegebenen Jahreszahlen mußten jedoch an Hand
von Presseberichten korrigiert werden.
25 Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1875.
26 Metzer Zeitung v. 17. Aug. u. 18. Aug. 1880, v. 21. Aug. 1883 u. v. 15. Aug. 1885.
27 Metzer Zeitung v. 20. Aug. 1872.
28 Metzer Zeitung v. 28. Aug. 1877.
29 Metzer Zeitung v. 20. Aug. 1880.
30 Metzer Zeitung v. 13. Aug. 1887 u. 17, Aug. 1888.
31 Erst 1885/86 hatten die Feierlichkeiten einen größeren Kreis der Metzer Bevölkerung
erfaßt. Vgl. hierzu Metzer Zeitung v. 15. Aug. u. 17. Aug. 1886.
95
min der Hauptgedenkfeier fest, da er "als ständiger Feiertag und in der Mitte der Ge-
denktage gelegen, am geeignetsten erscheint".32 Der Kriegerverein hatte zuvor be-
schlossen, einen Jahresbericht über die Schmückung der Kriegergräber zu verfassen,
um so dafür "Sorge zu tragen, daß auch den fernsten deutschen Kameraden das Werk
der Liebe und Achtung vor unseren Helden von 1870-71 bis ins Kleinste bekannt
wird."33 Doch bis Ende der 1880er Jahre konkurrierten beide lokalen Vereine um
die Gunst der stetig anwachsenden altdeutschen Bevölkerung, deren Gefühl, nun in
einer deutschen Stadt zu leben, erst um 1890 stark genug war, um auf eine einheit-
liche nationale deutsche Gedenkfeier hinzuwirken.
Kriegerdenkmäler und Gedenkfeiern der frankophonen Minderheit
Für die alteingesessene frankophone Bevölkerung war die Gedenkmesse am 7. Sep-
tember bis zur Einweihung des französischen Denkmals bei Noisseville 1908 die ein-
zige Möglichkeit, auf annektiertem Gebiet profranzösische Gemeinschaft zu erleben.
Auf französischem Boden wurde, nur wenige Kilometer von Metz entfernt, jedes Jahr
seit der Enthüllung des Nationaldenkmals 1875, in Mars-la-Tour in großem Rahmen
und unter Zustrom der annektierten Bevölkerung eine nationale Gedenkfeier abge-
halten, Pendant zur großen deutschen Erinnerungsfeier. Weitere Möglichkeiten für
die annektierte Bevölkerung waren später Ausflüge in das nahe Frankreich am 13.
und 14. Juli, um dort den Nationalfeiertag zu erleben.34
Eine wichtige Funktion innerhalb des französischen Erinnerungskultes auf nationaler
Ebene übernahm neben lokalen Einzelinitiativen der "Souvenir Français". Im Klima
des neuerwachenden französischen Nationalismus wurde er Ende 1887 in Paris auf
Initiative des emigrierten Elsässers Xavier Niessen als "Société nationale pour l’édifi-
cation et l’entretien des tombes des militaires et marins français morts pour la patrie"
gegründet,35 er blieb jedoch bis 1907 eine auf Frankreich begrenzte Organisation.
Gleiches gilt für die im Jahre 1888 gegründete "Association des combattants de Gra-
velotte et de l’armée du Rhin". Ihr erklärtes Ziel war, "de perpétuer dans les familles
les traditions de dévouement et de sacrifice à la Patrie".36 Als Erinnerungstag wurde
der 16. August, der Tag der Schlacht von Gravelotte - Mars-la-Tour, gefeiert. Mars-
la-Tour entwickelte sich sehr schnell zur national-religiösen Wallfahrtsstätte der
französischen Nation. Kriegerdenkmäler, Gedenkkirche, Kriegsmuseum, die 1906
32 Metzer Zeitung v. 8. Aug. 1888. Inwieweit es sich um eine explizit politisch-ideologische
Terminwahl handelt, konnte an Hand der Quellen nicht belegt werden.
33 Metzer Zeitung v. 12. Aug. 1887.
34 Roth (Anm. 9), S. 426.
35 Jean-Pierre Jean, Le Livre d’Or du Souvenir Français. Lorraine - Alsace - Luxembourg -
Lorraine sarroise, Metz 1929, deuxième partie, S. 9f.
36 François-Yves Le Moigne, Les francs-tireurs de Metz et la société des vétérans de 1870, in:
Annuaire de la Société d’histoire et d’archéologie de la Lorraine 88 (1974), S. 57-87, hier
S.74L
96
errichtete Jeanne d’Arc-Statue und vor allem das am 2. November 1875 errichtete
Nationaldenkmal wurden zum Symbol einer den Gefallenen gegenüber einzulösenden
nationalen Ehrenschuld.
Im Jahre 1875 von Frédéric-Louis Bogino geschaffen, stellt das Nationaldenkmal
(Abb. 2) eine klassische Frankreichgestalt dar,37 die in ihren Armen einen Gefalle-
nen hält, den sie mit Lorbeer bekränzt. Die zu ihren Füßen sitzenden Kinder greifen
nach dem Gewehr, das dem Gefallenen entgleitet, und nach einem Hoffnung sym-
bolisierenden Anker. Frankreich in stolzer Trauer, den Blick vom französischen Mut-
terland zur Grenze gerichtet, zeigt die Erhabenheit des gedemütigten Landes, das
seine Hoffnung nie aufgeben wird.
Indem man das Denkmal auf einer Krypta errichtete, in welche die Gebeine von etwa
1500 französischen Soldaten aus Einzelgräbem überführt wurden, sollte der Erinne-
rungsort durch die Gegenwart der Toten legitimiert werden,38 zumal nur ein sehr
kleiner Teil der ehemaligen Schlachtfelder Frankreich verblieben war. Die Inschrift
des Denkmals auf der Rückseite faßt Initiative und Absicht zusammen: "Erigé le 2
novembre 1875 au moyen d’une souscription nationale, due à l’initiative d’un comité
local, afin de perpétuer la mémoire des glorieux enfants de la France, morts au
champ d’honneur pour la défense de la Patrie. Honneur à ces braves, ne les oublions
pas." Die Einweihungsfeierlichkeiten gaben die formale Struktur für die bis zum
Ausbruch des Ersten Weltkrieges stattfindende Erinnerungsfeier, "le pélérinage pa-
triotique", vor.39 Nach der auf ewig zu lesenden Totengedenkmesse zog man in einer
Prozession unter Führung der Geistlichkeit zum Denkmal, an dem Militär und Ve-
teranenvereine, verschiedene Heimat- und Sportvereine Aufstellung genommen hat-
ten. Nach Segnung der Krypta und des Denkmals wurden mehrere Reden gehalten,
Abschluß und Höhepunkt war die Rede des jeweiligen Ehrengastes.40 Danach waren
die offiziellen Gäste zu einem Bankett beim Bürgermeister geladen, die übrigen Teil-
nehmer besuchten nach einer Erfrischung die Schlachtfelder. Verantwortlich für diese
organisatorische Kontinuität war der Dorfgeistliche Abbé Faller. Auf ihn ging die
Initiative zur Erinnerungsfeier, zur Umgestaltung der Dorfkirche in eine Erinne-
rungskirche 1877 und zum Militärmuseum 1902 zurück. Leitmotivisch zog sich die In-
terpretation der Denkmalssymbolik durch alle Erinnerungsreden: "Nous ne pouvons
nous borner à élever des monuments de marbre ou d’airain. [...] Mais nous avons
d’autres obligations à remplir, nous devons surtout honorer nos chers morts en nous
37 Im Gegensatz zu den Trauerdenkmälem auf annektiertem Gebiet sind Frauengestalten als
kriegerische Jeanne d’Arc (Batilly 1892, Mars-la-Tour 1906), Marianne (Bruville 1894), Maria
(Ste.-Marie-aux-Chenes 1872) für die französische Denkmalskonzeption jenseits der Grenze
determinierend. Gründe für die fehlenden deutschen Viktoria- oder Germaniadarstellungen
(Ausnahme: Westphaliadarstellung am Denkmal des I.R. Nr. 13 in Colombey, 1895) könnten
in der besonderen Bedeutung der Schlachtfelder gelegen haben, die man eher mit betont
männlichen Symbolen von Macht und militärischer Tugend assoziierte.
38 Emile Badei, Mars-la-Tour et son monument national, Nancy/Mars-la-Tour 1897, S. 59.
39 Ebd., S. 51.
40 Roth (Anm. 20, Guerre), S. 99f.
97
inspirant de leur âme immortelle, en recueillant le précieux héritage des sentiments
qui ont dicté leur sacrifice, en trempant notre patriotisme dans leur sang. Ils nous de-
mandent d’aimer la France, [...] de nous unir dans un effort unanime pour rendre à
la Patrie sa traditionnelle autorité et sa grandeur."41
In den ersten Jahren blieb das Publikum auf einen kleinen, lokalen Kreis beschränkt.
Nachdem die Teilnahme militärischer Vertreter, meist aus Verdun, und der allgemei-
ne Zustrom immer stärker wurde, konnte 1885 zum ersten Mal in großem festlichem
Rahmen gefeiert werden. 1887 wurden bis zu 10 000 Besucher gezählt, die teilweise
in Sonderzügen angereist waren.42 Zwei in traditionelle Tracht einer Elsässerin und
Lothringerin gekleidete Mädchen, die während der Festveranstaltung Geld sammel-
ten, verkörperten die "provinces perdues".43 Zum ersten Mal reagierte in diesem
Jahr die deutsche Presse, indem sie die Feierlichkeiten als "tollstes Revanchegetau-
mel" beschrieb.44 Bis zum großen Erinnerungsjahr 1895 stiegen die geschätzten
Teilnehmerzahlen kontinuierlich von 10 000 auf 25 000 an.45
Die Feierlichkeiten in den Jahren 1890 bis 1895 wurden vom Bischof von Nancy und
Toul, Charles-François Turinaz, geprägt. Bei der Überführung zweier Gefallener 1890
in die Krypta führte Bischof Turinaz aus: "Ces enfants d’hier sont les soldats d’au-
jourd’hui et de demain. Ils ont juré de servir la France, de combattre et de mourir
pour elle [...] je l’affirme sur la cendre de ces héros, sur ces champs de bataille
consacrés par leur sang, je l’affirme sur tous vos coeurs, ces soldats rendront à notre
pays sa puissance, sa grandeur et sa gloire."46
Bis 1905 jedoch schwand auch hier, wie auf deutscher Seite, die Anziehungskraft der
Gedenkfeiern, die Sammlung nach innen wurde wichtiger als aggressiver Revanchis-
mus, der von Bischof Turinaz stark akzentuiert worden war. Nach Berichten der
"Metzer Zeitung" kam es 1902 zu Tumulten während der Gedenkrede des Bischofs,
als er sich scharf gegen die eigene republikanische Regierung in Paris wandte.47 Der
als Bedrohung empfundene deutsche Imperialismus nach Agadir 1905 verstärkte dann
wieder die patriotische Kampfbereitschaft, die nun aber nicht mehr ohne innerfranzö-
41 Badei (Anm. 38), S. 52, Rede des Marquis de Chambon, 2. Nov. 1875.
42 Ebd., S. 84.
43 Ebd. u. Le Lorrain v. 20. Aug. 1885.
44 Metzer Zeitung v. 20. Aug. 1885, von einem Berichterstatter der Kölner Zeitung.
45 Nach Badei (Anm. 38), S. 86f. wurden 1890 mehr als 10000 Teilnehmer und 1891 etwa
25000 gezählt. Nach Schätzungen der Metzer Zeitung v. 18. Aug. 1893 waren es 20000 und
1895 25000 Besucher in Mars-la-Tour (Metzer Zeitung v. 18. Aug. 1895). Der Erinnerungstag
war kein offizieller Feiertag wie der 15. August im Reichsland; trotz der Erntezeit nahmen
immer mehr "Annektierte", darunter bemerkenswert viele Frauen, Kinder und Geistliche
daran teil. Vgl. Metzer Zeitung v. 19. Aug. 1893.
46 Badei (Anm. 38), S. 87. Die vollständige Rede in: Turinaz, Evêque de Nancy et de Toul,
Discours patriotiques, Nancy/Paris 1900, S. 155ff.
47 Metzer Zeitung v. 21. Aug. 1902, Erwähnung des Spitznamens "Tambourinaz".
98
Abb. 2: Französisches Nationaldenkmal in Mars-la-Tour von 1875
99
sische Kritik blieb: "Patriolâtrie. Donc ce 16 août 1906, comme ces précédentes
années, nos ’pontifes’ en patriolâtrie s’en furent à Mars-la-Tour, délayer dans leur sa-
live la ’gloire des Armes’ et l’espoir des revanches et ce pour l’ébaudissement des im-
béciles qui vénèrent surtout la Patrie lorsqu’elle leur fournit l’occasion d’une balade
et d’un gueuleton."48 In seiner Gedenkrede 1909 wandte sich Jules Claretie gegen
diesen "Antipatriotismus", von ihm als "fraternité invertie" empfunden.49 Bis zum
Ausbruch des Ersten Weltkrieges verstärkte sich wieder der gegen das Deutsche
Reich gerichtete Nationalismus in einer großen Symbolvielfalt. So bezogen 1912 die
bei der Feier in Mars-la-Tour anwesenden Soldaten an der Grenze Aufstellung, und
einer nach dem anderen begab sich zu dem verhaßten Grenzpfahl, um die ehemalige
Heimaterde zu grüßen.50
Kriegerdenkmäler und Siegesfeiern der altdeutschen Bevölkerung
Im nun deutschen Metz wurde der eigentliche Siegestag des deutsch-französischen
Krieges, der Sedanstag, zunächst offiziell nicht gefeiert, obwohl "aus allen deutschen
Gauen der Jubel der Sedanfeier zu uns dringt, die wir uns eine offizielle Feier ver-
sagen müssen, gerade weil wir den blutig erkauften Boden bewohnen".51 1895 wurde
dieser Sachverhalt damit begründet, daß "das berühmte Wort von der Schonung der
Gefühle" von oben gesprochen worden war.52 Nur der Kriegerverein feierte den
Sedanstag als seinen Gründungstag. Die 15-Jahrfeier der Ereignisse von 1870 beging
der Kriegerverein mit einem stillen Umzug durch die Stadt, die erste "öffentliche
Kundgebung von patriotischer Seite"53, die am Sedanstag stattfand. Zehn Jahre
später zur großen 25-Jahrfeier waren staatliche Stellen und Werkstätten teilweise
geschlossen,54 1896 wurde die Feier militärischerseits durch Beflaggung der Dienst-
gebäude, Forts und Kasernen begangen, ohne daß aber der großartige offizielle
Rahmen der Jubelfeiern im übrigen Deutschen Reich erreicht worden wäre.55 Diese
Tatsache wurde 1900 mit folgenden Worten ironisiert: "Wir wollen unsere Feste
48 Zit. nach dem Auszug aus einem Artikel aus "La vie sociale dans l’arrondissement de Briey"
von 1906 bei Daniel Bontemps, L’anniversaire de la Bataille de Mars-la-Tour avant 1914, in:
Revue lorraine populaire 47 (août 1982), S. 224-227, hier S. 225; zu berichtigen dortige Anm.
8, es muß sich um die Feierlichkeiten von 1906 handeln.
49 Jules Claretie, Quarante ans après. Impressions d’Alscace et de Lorraine 1870-1910, Paris
1910, gesamte Rede S. 225ff.
50 Metzer Zeitung v. 22. Aug. 1912.
51 Metzer Zeitung v. 4. Sept. 1874. Die folgenden Ausführungen sind als Differenzierung zu
Roth (Anm. 9), S. 427 u. ders. (Anm. 20), S. 101 zu sehen.
52 Metzer Zeitung v. 1. Sept. 1895.
53 Metzer Zeitung v. 4. Sept. 1885.
54 Metzer Zeitung v. 4. Sept. 1895.
55 Metzer Zeitung v. 4. Sept. 18%.
100
ungefeiert lassen, weil wir unsere ’französischen Waffenbrüder’ damit vor den Kopf
stoßen”.56 Erst unter dem militärischen Ausnahmezustand von 1915 wurde der Se-
danstag zum nationalen Feiertag erklärt.57
Diese Auseinandersetzung um den Sedanstag in Metz zeigt die Diskrepanz zwischen
ziviler, eher zurückhaltend agierender Verwaltung und dem fordernden Einfluß des
Militärs. Konnte infolge abwägender Rücksichtnahme - gegen das Militär und die
Agitation in deutschen Zeitungen - des Sedanstages nicht mit einer großartigen Feier
gedacht werden, so übernahm seit 1889 der 15. August, die große Gedenkfeier der
deutschen Bevölkerung in Gravelotte, eine Ersatzfunktion. Während der französische
Erinnerungskult, bedingt durch äußere Faktoren, sehr schnell eine feste und homoge-
ne Organisationsform gefunden hatte, blieb auf deutscher Seite die Konkurrenz des
Turn- und Kriegervereins in der Trägerschaft der Gedenkfeiern bestehen, öffentliche
Kritik an dieser organisatorischen Zersplitterung wurde erst 1888 laut.58 Erst jetzt,
als das Gefühl einer eigenen deutschen Identität im annektierten Metz, bedingt durch
die hohe Anzahl der eingewanderten Altdeutschen, stärker werden konnte, wollte
man in Einheit dem neuen beglückenden Nationalgefühl Ausdruck geben. 1889 fand
zunächst probeweise die erste, allgemeine deutsche Gedenkfeier statt.59 Der seit
1880 amtierende erste altdeutsche Bürgermeister Halm konnte für die Gedenkrede
gewonnen werden, denn gerade er sollte dem Fest "das Gepräge einer allgemeinen
Feier der deutschen Bürgerschaft von Metz" 60 geben. Im Mittelpunkt seiner Ge-
denkrede stand dann auch die Mahnung der Toten, "den Vorpostendienst, den auch
wir für das Deutschtum an der westlichen Reichsgrenze zu leisten haben, im bürgerli-
chen Leben würdevoll zu üben, einig, d.h. ’echt deutsch’ zu sein."61 Ein Extrazug
mit Fahrpreisermäßigungen hatte Hunderte von Teilnehmern aus der Stadt zur Feier
gebracht.62
Schon bei dieser Generalprobe zeichnete sich der formale Rahmen ab, in dem sich
die Feier bis 1913 jedes Jahr am 15. August bewegen würde. Abgesehen von 1891, als
man in St. Privat feierte, wählte man als Veranstaltungsort die Höhe von Gravelotte
mit ihren Denkmalsanlagen, die für den Besucherandrang geeignet waren.63 Durch
die Teilnahme der verschiedenen Gamisonskapellen, Kirchenchöre und des Metzer
56 Metzer Zeitung v. 30. Aug. 1900.
57 Metzer Zeitung v. 3. Sept. 1915.
58 Metzer Zeitung v. 8. Aug. u. 10. Aug. 1888.
59 Metzer Zeitung v. 2. Aug. 1889.
60 Metzer Zeitung v. 4. Aug. 1889.
61 Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1889.
62 Ebd. u. Metzer Zeitung v. 13. Aug. 1889.
63 In Frage kamen das Denkmal des I.R. Nr. 67, eine stufenförmige Anlage, das Denkmal des
Jägerbataillons Nr. 8, das in einer terrassenförmigen Anlage die Schlucht von Gravelotte
überragte, und das Denkmal des I.R. Nr. 42, auf freiem Feld gelegen. Ab 1911 wurde die
Feier in der Gedenkhalle von Gravelotte abgehalten.
101
Männergesangsvereins erhielt die Feier einen betont ernsten Feldgottesdienstcharak-
ter (Abb. 3). Im Anschluß gab es bei Erfrischungen in der Schlucht ein Militärplatz-
konzert, das mit dem großen Zapfenstreich beendet wurde. Nach dieser gelungenen
Generalprobe fand die Idee, in einer Dachorganisation aller Vereine und Verbände
des öffentlichen Lebens in Metz in patriotisch-verbindender Weise gemeinsam der
Toten zu gedenken, ihre Verwirklichung in der Konstituierung der "Vereinigung” am
20. Mai 1890. Statutenmäßig wurden als Hauptaufgabe die Gestaltung der nationalen
Gedenkfeier am 15. August jeden Jahres in Gravelotte festgelegt, ferner Unterhalt
und Schmückung der Kriegergräber und Denkmäler, Sammlung von Erinnerungen an
die Kämpfe um Metz und Veröffentlichung eines jährlichen Rechenschaftsberichtes,
der an alle Interessenten verschickt wurde.64 Bezeichnend für die "Vereinigung" war,
daß sie die wichtigsten zivilen und militärischen Vereine des deutschen gesellschaftli-
chen Lebens in Metz umfaßte. Im Gründungsjahr zählte die "Vereinigung" 20 Ver-
eine, im Jahre 1900 51 und 1912 98 Vereine als stimmberechtigte ordentliche Mit-
glieder, die sich in verbindendem Patriotismus in Zusammenarbeit mit den Metzer
Bürgern, der Landesverwaltung und dem Generalgouvernement der Festung immer
aktiver zeigten.65 Nach Auseinandersetzungen um finanzielle Fragen mit dem Kyff-
häuserbund und dem 1890 gegründeten Elsaß-Lothringischen Kriegerlandesverband
konnte die "Vereinigung" ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Kriegervereinswesen
behaupten,66 und sie erreichte 1907 die vertragliche Festschreibung ihres Einflußge-
bietes. Demnach wurde der Wirkungskreis der "Vereinigung" auf die ehemaligen
Kriegsschauplätze in der Umgebung von Metz bis nach Spichern beschränkt, für die
übrigen Gebiete des Reichslandes war der Landesverband zuständig.67
Schon bei der ersten Feier 1890, nachdem die "Vereinigung" die Organisation der
Jahresgedenkfeier übernommen hatte, wurden über 4 000 Besucher gezählt.68 Ende
64 ADM, 12 AL 199. Jahresberichte der "Vereinigung", jeweils mit Abdruck der Satzungen, u.
Metzer Zeitung v. 11. Aug. 1900 mit der Angabe, daß der Jahresbericht allein an 6000
Kriegervereine verschickt wurde. Der Interpretation von Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler
in Deutschland, Bd. 2: Einigungskriege, Heidelberg 1985, S. 141f., daß es sich bei der "Ver-
einigung" um eine Selbsthüfeorganisation handelte, die entstanden sei, weil von französischer
Seite nur das Notwendigste zum Gräberunterhalt getan wurde, muß entschieden widerspro-
chen werden.
65 ADM, 12 AL 199. Auszählung der Mitgliederverzeichnisse und Angaben in der Metzer
Zeitung v. 11. Aug. 1900.
66 ADM, 12 AL 257. Brief des Elss.-Loth. Kriegerlandesverbands an die "Vereinigung" v. 19.
Nov. 1904 mit einem Vorschlag zur Eingliederung in das Kriegervereinswesen, da Beiträge der
Kriegervereine als Mitglieder der "Vereinigung" dem Landesverband verloren gingen, ADM,
12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1905, S. 3ff: Ab 1906 wurden die Beiträge der
betroffenen Kriegervereine direkt an den Kyffhäuserbund bezahlt.
67 ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1906 (Geschäftsjahr 1. April 1906-31.
März 1907), S. 19ff.
68 ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1890, S. 43 u. Metzer Zeitung v. 17.
Aug. 1893; wiederholt wurden die Besucher als Vertreter aller Berufsklassen bezeichnet.
102
Abb. 3: Programm der deutschen Gedenkfeier in Gravelotte 1908
103
der 90er Jahre, nach den großen Feierlichkeiten des 25jährigen Jubiläums mit über
40000 Schlachtfeldbesuchem,69 schienen die Feierlichkeiten an Attraktivität und in-
tegrativer Funktion zu verlieren, hohe Militärs der Garnison und höhere Vertreter der
deutschen Verwaltung erschienen nicht mehr so zahlreich wie früher, bedeutende
Festredner wurden seltener, die Feierlichkeiten zersplitterten in Einzelaktionen.70
Erst ab 1904 wurden die Feierlichkeiten wieder zu einem bedeutsameren nationalen
Sammelpunkt, der 1910 mit der 40-Jahrfeier einen neuen Höhepunkt erreichen sollte.
Inhaltlich dominierte bei den Gedenkreden bis etwa 1893 die Reichseinigung, rück-
blickend wurden die Schlachten zu "Feldern der Ehre, die [...] die blutige Saat emp-
fangen, aus der die köstliche Frucht des Vaterlandes, Einigkeit und Größe, ent-
sprossen", die es dankend zu bewahren galt mit dem Gelübde 'Treu wollen wir sein,
unsere Pflicht, treu dem Vaterlande, treu dem Kaiser, treu unserem Gott bis in den
Tod!"71 Ab 1894 war eine zunehmende Instrumentalisierung dieser patriotischen
Grundwerte festzustellen, um auf innen- und außenpolitische Probleme und Spal-
tungstendenzen einzuwirken bzw. Spaltungstendenzen entgegenzutreten. In der
Hauptgedenkrede 1894 richtete sich der Reichseinigungsmythos gegen die Sozialde-
mokratie: "Missetäter aller Länder und Völker haben einen Bund der Gesetzlosen ge-
schlossen, geführt, beraten von entarteten Männern der Wissenschaft. [...] Wollen wir
nicht die teuer erkauften Errungenschaften, das nationale Gedeihen, [...] von innen
heraus zerfressen lassen, so müssen wir den Kampf frisch aufnehmen."72 1895 gab
die "Metzer Zeitung" ihrem Leitartikel den Titel "Sozialdemokratie und Jubelfeier",
wobei die fehlende Geschlossenheit der sozialdemokratischen Partei bezüglich der pa-
triotischen Feste regelrecht ausgeschlachtet wurde.73
Wichtigste Konnotationen der Gedenkreden blieben weiterhin "Ruhmestaten", "Hel-
denmut", 'Tapferkeit" und die Mahnung der gefallenen Helden an die Überlebenden,
ihnen nachzueifem im Dienst an "König und Reich". Außenpolitische Ereignisse tra-
ten erst 1900 eher zögernd in den Blickpunkt des Interesses.74 In den folgenden Jah-
ren wurde der Gedanke der Einheit innen- und außenpolitisch immer stärker akzentu-
iert.75 1903 stand der Wert der Einheit auch im Mittelpunkt der kollektiven Schwur-
formel: "Beim Anblick dieser Gräber wollen wir Treue geloben an Kaiser und Reich.
69 ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1895/96, S. 43, S. 60ff. u. Metzer
Zeitung v. 20. Aug. 1895.
70 Metzer Zeitung v. 15. Aug. 1897, z.B.: Gedenkfeiern des Ost- und Westpreußenvereins am
14. Aug. bei Noisseville.
71 Metzer Zeitung u.a. v. 18. Aug. 1891 u. v. 17. Aug. 1893.
72 Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1894.
73 Metzer Zeitung v. 20. Aug. 1895, der einzige Hinweis auf deutsche Kritik an den Er-
innerungsfeiern in Metz überhaupt.
74 Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1900: Interpretation des Boxeraufstandes als neue Bewährungs-
probe.
75 "Wüster und wilder Parteihader" und die "Irrlichter des Materialismus" sollten bekämpft
werden, vgl. Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1901.
104
Wir hier in der Westmark wollen ein Vorbild geben dem ganzen Land als Hüter hei-
liger Traditionen."76
Von 1911 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde die Gedenkfeier in militä-
rischem Rahmen in der Gedenkhalle von Gravelotte abgehalten.77 Auf das schon
zur Tradition gewordene Volksfest, nun als "kirmesartige Nachfeier" verurteilt, wurde
ganz verzichtet.78 Der Kriegszustand änderte Form und inhaltliche Konzeption der
Gedenkfeier. Das Militär übernahm sowohl die Schmückung der Kriegergräber von
1870 und 1914 um Metz als auch die Organisation der Gedenkfeier. In Anwesenheit
oberster Militärvertreter, der Landwehr und des Landsturms, des Pfadfinderkorps
Metz und der Jugendkompagnie wurde der alte Heldenmythos auch auf die Gefalle-
nen des soeben ausgebrochenen Krieges übertragen: "Wahrlich - ohne 1870 kein 1914
und ohne das Heldengeschlecht von damals kein Heldengeschlecht von heute".79
Und noch bis 1918 wurde in Durchhalteparolen zur Verteidigung von Elsaß-Lothrin-
gen aufgerufen.80
Ansätze zu einem gemeinsamen Totengedenken und das Scheitern der Integrationsbe-
mfihungen
Neben den bereits erwähnten nationalen Funktionen der Kriegerdenkmäler und der
Jahresgedenkfeiern zeichnete sich eine besondere Entwicklung im konfliktgeladenen
und emotional belasteten Grenzraum ab. Hier klangen schon kurz nach dem Krieg
Ansätze zu einem versöhnlichen Miteinander an, das bis zum Ausbruch des Ersten
Weltkrieges erstaunliche Formen einer lokalen Annäherung entwickelte. In den ersten
Jahren nach dem Krieg wurden vermehrt mutwillige Beschädigungen an deutschen
Kriegergräbern und Denkmälern gemeldet. Der Verdacht, daß es sich dabei um eine
offene Konfrontation und Aggression, um eine systematische Denkmalszerstörung
durch die frankophone Bevölkerung handele, wurde jedoch schon damals wider-
legt.81
Bei den Einweihungen der verschiedenen Denkmäler wurden auch die Gräber der
französischen Gefallenen geschmückt.82 Der Respekt vor den Gefallenen des ehe-
76 Metzer Zeitung v. 18. Aug. 1903.
77 ADM, 12 AL 287 u. ADM, 12 AL 198. Der 1895 errichtete nationale Aussichts- und
Gedenkturm bei Gravelotte wurde aus militärstrategischen Gründen schon 1902 niedergelegt;
ein Wiederaufbau an anderer Stelle war nicht möglich, so daß 1905 als Ersatz die nationale
Gedenkhalle eingeweiht wurde.
78 Metzer Zeitung v. 12. u. 16. Aug. 1911.
79 Metzer Zeitung v. 16. Aug. 1915.
80 Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1917 u. 17. Aug. 1918.
81 ADM, 12 AL 258. In den wenigen Fällen, in denen der Schuldige gefunden wurde, handel-
te es sich um Viehschaden oder Jungenstreiche, zur allgemeinen Empörung in einem Falle um
den Streich deutscher Schüler der Realschule in Metz, s. ADM, 12 AL 198.
82 Metzer Zeitung u.a. v. 28. Aug. 1877 u. v. 14. Aug. 1879.
105
maligen Kriegsgegners, militärischer Ehrbegriff und Traditionen der christlichen
Todesinterpretation wurden zur Basis einer zunächst noch zögernden, in den ersten
Jahren noch problematischen Annäherung und Verständigung.83 Bis 1886 kam es
wiederholt zu Zwischenfällen am französischen Denkmal auf dem Friedhof Cham-
bière.84 Die Kommandantur von Metz, die für den Friedhof zuständig war, unter-
band die Vorkommnisse durch stärkere Kontrollen.85
Bis Anfang der 90er Jahre hatte sich die Lage so weit stabilisieren können, daß
gemeinsame Projekte der Ehrung der Gefallenen auf beiden Seiten möglich wurden.
1893 konnten direkt an der Grenze auf französischem Boden bestattete deutsche
Gefallene des 1. Gardegrenadierregiments in einer deutsch-französischen, militäri-
schen Feierstunde exhumiert und mit dem bereits errichteten Grabdenkmal auf
deutsches Gebiet überführt werden. Bei diesem Zusammentreffen am 17. Juni bei St.
Ail-Amanvülers dankte der Militârattaché der deutschen Botschaft in Paris, von
Schwarzkoppen, im Namen des betroffenen Regimentes der französischen Verwaltung
und dem Militär mit folgenden Worten: "Nous sommes très touchés des honneurs
militaires rendus par vos soins à nos vaillants soldats tombés sur le champ de bataille
et nous tenons à vous exprimer au nom de l’armée allemande [...] toute notre recon-
naissance. En vous associant avec une si parfaite courtoisie et dans un sentiment
d’union et d’humanité à cette solennelle cérémonie, vous nous donnez une nouvelle
preuve de bonne et sincère confraternité müitaire dont nous gardons un ineffaçable
souvenir."86 Bei dem Zusammentreffen erwiesen die anwesenden Generäle, Général
Jaumont, Kommandant des 6. französischen Armeekorps und Graf von Haeseler,
kommandierender General des in Metz stationierten 16. Armeekorps, sich die Ehre,
wobei die Grenze überschritten wurde.87 Auf deutscher Seite wurde diesem Treffen
internationale Bedeutung zugemessen.88 Von französischer Seite wurde die Unter-
83 Metzer Zeitung v. 24. Aug. 1880. Bericht über das respektvolle Zusammentreffen von
deutschen und französischen Militärangehörigen anläßlich der Gräberschmückung 1880.
84 ADM, 12 AL 294. Bericht der Kommandantur Metz an das Gouvernement v. 15. Nov.
1886. Die Darstellung von François Roth, Le Souvenir Français en Lorraine annexée
1907-1914, in: Mémoires de l’Académie Nationale de Metz, Metz 1973, Bd. 1, S. 53-69, hier
S. 53, Anm. 2, ist dahingehend zu differenzieren, daß die Gedenkmesse ohne Zwischenfälle
verlief, der anschließende Friedhofe- und Denkmalbesuch jedoch bis etwa 1886 für die
deutsche Verwaltung sehr problematisch war, da es immer wieder blau-weiß-roten Fahnen-
schmuck und deutschfeindliche Aufschriften gab.
85 ADM, 12 AL 294. Brief des Polizeidirektors an den Bezirkspräs. v. 23. Dez. 1886. Seit 1886
konnte dieser Teil des Friedhofe nur noch über den vom Friedhofewärter kontrollierten
Haupteingang erreicht werden.
86 Badei (Anm. 38), S. 94ff. bezieht sich in der Darstellung des Ablaufes der Feierlichkeiten
auf einen Bericht des Chefredakteurs des "L’Est Républicain'1 Léon Goulette v. 18. Juni 1893.
Goulette selbst verfaßte eine kleine Schrift: L’entrevue de St. Ail-Amanvillers, 17 juin 1893,
Nancy 1893, die wahrscheinlich Jean (Anm. 35) als Grundlage diente; vgl. auch Metzer
Zeitung v. 18. Juni 1893.
87 Badei (Anm. 38), S. lOlf.
88 Metzer Zeitung v. 18. Juni 1893 u. ADM, 12 AL 261.
106
Stellung einer beabsichtigten Beeinflussung der Reichstagswahlen vom 15. Juni 1893
und der darauffolgenden Stichwahl vom 24. Juni 1893 zurückgewiesen: "Non, nous ne
croyons pas à tant de machiavélisme, pourquoi ne pas reconnaître plutôt l’idée de
joindre les bières d’Habonville à celle des militaires enterrés à Amanvillers et à St.
Privât?"89
Entscheidend für dieses Zusammentreffen war die Tatsache, daß es sich um eine mili-
tärische Angelegenheit handelte. Die allgemeine militärische Ehrvorstellung, verknüpft
mit Elementen christlicher Ethik des Totenkultes, wurde hier zum ersten Mal zur Ba-
sis der Zusammenarbeit. War diese zunächst von höchster Entscheidungsebene ver-
anlaßt, so setzte sich die positive Grundeinstellung bis in die Veteranenvereinigungen
beider Staaten fort, die dann in gemeinsamen Denkmalprojekten und Kranzniederle-
gungen der Toten gedachten. Die Vorbereitungen für die 25-JahrFeier 1895 verliefen
von deutscher Seite offiziell in einer gemäßigten, rücksichtsvollen Weise. Die Kriegs-
veteranen wurden von der deutschen Verwaltung angehalten, jede Demonstration an
der Grenze, ihr Überschreiten mit Fahnen und Musikbegleitung und in Uniform zu
unterlassen, um jede Provokation zu vermeiden.90 Widmungsschleifen an auf franzö-
sischem Boden sich befindenden deutschen Denkmälern, üblicherweise in den jeweili-
gen Landes- oder Nationalfarben gehalten, mußten durch einfache, weiße Schleifen
ersetzt werden, alle Denkmäler wurden geschmückt, und an den französischen Denk-
mälern wurden Perlenkränze niedergelegt.91 Die großen Gedenkfeierlichkeiten ver-
liefen in einem ernsten, respektvollen Rahmen, und die positive Atmosphäre der
"Versöhnung der Gemüther" zeigte Rückwirkungen auf nationaler Ebene.92 Auf offi-
ziellem diplomatischem Weg konnte die Instandhaltung des Denkmals der Großher-
zoglichen Hessischen 25. Infanteriedivision auf französischem Boden erwirkt werden,
darüber hinaus genehmigte die französische Regierung die Errichtung eines einfachen
Steinkreuzes auf der deutschen Gräberanlage mit der Inschrift "Dulce et décorum est
pro patria mori".93 Ein weiteres, einfaches Gedenkkreuz (Abb. 4) wurde 1898 von
der "Vereinigung" auf deutschem Boden bei Vionville errichtet mit der Inschrift: "Hier
ruhen 2000 - 3000 deutsche und französische Krieger gefallen in der Schlacht bei
Vionville Mars-la-Tour am 16. August 1870".94
89 Goulette (Anm. 86), S. 15.
90 Metzer Zeitung v. 4. Aug. 1895.
91 Gedenkschrift über die 25jährige Erinnerungsfeier der siegreichen Schlachten bei Metz, VI.
Jahresbericht der Vereinigung zur Schmückung und fortdauernden Erhaltung der Krieger-
gräber bei Metz 1895/96, Metz 1896, S. 13ff.
92 Metzer Zeitung v. 17. Aug. 1895.
93 Gedenkschrift (Anm. 91), S. 52.
94 Ab etwa 1895 ist diese Sonderform gemeinsamer Erinnerung festzustellen, die der gemischt
nationalen Bestattungspraxis in Massengräbern während des Krieges entsprach. Allerdings war
die Zahl dieser Denkmäler überaus gering, als gemeinsames Denkmal bezüglich Planung und
Ausführung kann nur das Denkmal von 1908 bei Mey gelten.
107
Diese sepulkrale Symbolik ermöglichte ein gemeinsames Gedenken auf religiöser
Grundlage, frei von nationaler Färbung. Im religiösen Freiraum konnte der Toten als
Tote gedacht werden, und in der neutralen lateinischen Inschrift kamen die Aner-
kennung des ehrenvollen Soldatentodes und sekundär der Gedanke der Waffenbrü-
derschaft zum Tragen. Diese Verbindung von religiösen Elementen mit dem Ehrenko-
dex zeigte sich auch in der von Kaiser Wilhelm II. am 18. August 1899 gehaltenen
Einweihungsrede am Denkmal des 1. Garderegiments zu Fuß bei St. Privat. Das
Denkmal, eine mächtige Bronzefigur des geflügelten, geharnischten Erzengels Micha-
el, der sich stolz und selbstbewußt auf das in der Scheide ruhende Schwert stützt, ging
auf persönliche kaiserliche Anregung zurück.95 Für das machtdemonstrierende
Denkmal fand der Kaiser gemäßigte Worte: "Der gepanzerte Erzengel stützt sich,
friedlich ruhend, auf das Schwert, geziert mit dem stolzen Motto des Regimentes:
’Semper talis!’. Ich will daher, daß dieser Figur auch die allgemeine Bedeutung verlie-
hen werde. Sie steht auf diesem blutgetränkten Feld gleichsam als Wächter der hier
gefallenen braven Soldaten der beiden Heere, sowohl des französischen wie unseres.
Denn tapfer und heldenmütig sind auch die französischen Soldaten in das ruhmvolle
Grab gesunken." Er schloß die Rede mit dem Hinweis auf die göttliche Vorsehung
und die Gewißheit, daß "auf den heutigen Tag die um den höchsten Richterthrone ge-
scharten Seelen aller derer, die sich einst in heißem Ringen auf dieser Stelle gegen-
überstanden, in ewigem Gottfrieden vereint auf uns herabsehen."96
Religiöse und berufsethische militärische Anknüpfungspunkte übernahmen eine Mitt-
lerfunktion, die Verbindungs- und Annäherungsmöglichkeiten innerhalb des Gefalle-
nenkultes ermöglichten. Nach einer allgemeinen Entspannungsperiode, gekennzeich-
net von nachlassender Aggressivität während der Gedenkfeiern und spürbarem Be-
sucherrückgang, zeigten sich vor dem Hintergrund der ersten Marokkokrise 1905
neue, gegensätzliche Reaktionen auf beiden Seiten. Am 11. Mai 1905 wurde in Ge-
genwart Wilhelms II. die Gedenkhalle als Nationaldenkmal auf dem großen Krieger-
friedhof in Gravelotte eingeweiht. Die Tatsache, daß der Kaiser keine Einweihungs-
rede hielt, wurde öffentlich mit der Rücksichtnahme auf die gespannte Situation
erklärt.97 Trotz der Zurückhaltung des deutschen Kaisers gab die in Mars-la-Tour
1906 errichtete kriegerische Jeanne d’Arc-Statue mit Standarte dem französischen Ge-
fühl der Bedrohung durch den deutschen Imperialismus Ausdruck. Dicht an der
Grenze postiert übernahm Jeanne d’Arc, die gute Lothringerin, Schutz- und Wehr-
funktion gegenüber dem potentiellen deutschen Aggressor.98
95 Metzer Zeitung v. 4. Aug. 1899.
96 Metzer Zeitung v. 19. Aug. 1899.
97 ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1905, S. 24ff.
98 Einhellig wurde ihr in der französischen Presse patriotisch-defensiver Charakter zuerkannt.
Vgl. hierzu: Michèle Lagny, L’image de Jeanne d’Arc en Lorraine 1870-1921, in: Annales de
l’Est 30 (1978), S. 25-70, hier S. 34f.
108
Abb. 4: Gedenkkreuz bei Vionville von 1898
109
Paradoxerweise fällt gerade in diese gespannte Zeit der Beginn der Zusammenarbeit
zwischen der "Vereinigung" und dem "Souvenir Français", allerdings war sie auf die lo-
kale Ebene von Metz begrenzt. Man weihte gemeinsam Denkmäler ein," dem Vor-
sitzenden der "Vereinigung" wurde am 21. April 1907 ein Ehrendiplom des "Souvenir
Français" verliehen,* 100 und man plante gemeinschaftlich ein Kriegerdenkmal. Es
sollte als Grabmal für ein Gemeinschaftsgrab der auf Grund der Erweiterungsarbeiten
der Festungswerke Mey umzubettenden deutschen und französischen Gefallenen ge-
setzt werden.101 Am 8. November 1908 konnte der kleine, massive Sandsteinobelisk
(Abb. 5) mit militärisch ehrender Symbolik, Lorbeer, Eichenlaub und Eisernem Kreuz
und der in deutsch und französisch gehaltenen Hauptinschrift eingeweiht werden.102
Auch auf französisch-nationaler Ebene wirkte sich diese lokale Gemeinschaftsinitiative
positiv aus, und man reagierte mit wohlwollendem Entgegenkommen bei deutschen
Denkmalsplanungen auf französischem Staatsgebiet.103
Das Jahr 1908 stand ganz im Zeichen von Noisseville. Dabei konnte nun der "Souve-
nir Français" im Kontext eines wiedererwachenden Irredentismus und im Rahmen
einer gelockerten deutschen Vereinsgesetzgebung auch im Reichsland an Einfluß ge-
winnen. Auslösende Funktion kam hierbei dem Projekt zu, bei Noisseville den ge-
fallenen französischen Soldaten auf reichsländischem Boden im Osten von Metz ein
Denkmal zu setzen.104 Doch große Hürden mußten auf dem deutschen Verwal-
tungsweg überwunden werden.105 Ausgangspunkt der Diskussionen über die offiziel-
" So u.a. das Monty-Denkmal in Rothendorf am 23. Juli 1906 und das französische Denkmal
nach Restaurierung auf dem Gemeindefriedhof von Vallières am 1. April 1907; vgl. ADM, 12
AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1906, S. 14ff.
100 Jean (Anm. 15), S. 188f. mit Bezugnahme auf einen Zeitungsartikel aus "Le Temps" v. 21.
April 1907. Die Verleihung erfolgte als Auszeichnung und Zeichen des Dankes für den
"concours permanent et dévoué qu’elle [die "Vereinigung", A M.] donne en toutes circon-
stances aux tombes des soldats français morts pour la patrie autour de Metz et notamment à
l’érection toute récente du monument de Vallières."
101 Ebd., S. 195ff.
102 "Den am 14.8.1870 bei Mey für ihr Vaterland gefallenen Kriegern" und mit einem subtilen
Unterschied "Aux officiers et soldats tombés glorieusement à Mey le 14 août. Errichtet von
der Vereinigung zur Schmückung und fortdauernden Erhaltung der Kriegergräber und
Denkmäler bei Metz unter der Mitwirkung des Souvenir Français", vgl. hierzu Roth (Anm.
84), S. 56, Anm. 10, der das Denkmal von Mey als Beispiel der Zusammenarbeit zwischen
"Souvenir Français" und irrtümlicherweise dem "Elsaß-lothringischen Kriegerlandesverband"
erwähnt.
103 So z.B. die Restaurierungsarbeiten am Denkmal der Großherzoglich Hessischen 25.
Infanteriedivision, s. ADM, 12 AL 292.
104 Roth (Anm. 84), S. 53ff. behandelt ausführlich die Entstehungs-und Rezeptionsgeschichte
dieses Denkmals.
105 Jean (Anm. 35), deuxième partie, S. 9ff. u. ADM, 12 AL 291 sowie Roth (Anm. 84), S. 54.
110
Abb. 5: Deutsch-französisches Grabdenkmal bei Mey von 1908
111
len Gestaltungsmöglichkeiten war die Einweihung eines deutschen Denkmals im Ok-
tober 1907 auf französischem Boden bei Vüliers-sur-Mame.106 Bei den Einwei-
hungsfeierlichkeiten in Noisseville am 3. und 4. Oktober 1908 hatte die deutsche
Verwaltung großes Entgegenkommen gezeigt. Französischem Militär wurde die
Teilnahme nicht verweigert, die Veteranen durften ihre Kriegsauszeichnungen tragen,
und neben der deutschen Fahne wehte zum ersten Mal offiziell im Reichsland die
Trikolore. Während der Einweihungsfeierlichkeiten wurde immer wieder die ver-
söhnende Völkerverständigung über die Gräber hinweg als Zeichen des Friedens
gewertet.107 In der Bronzegruppe des regional finanzierten Denkmals (Abb. 6) hält
ein einen Kriegshelm tragender Genius einen sterbenden Krieger in seinen Armen.
Der regionale Charakter des Denkmals wurde neben dem Finanzierungsmodus durch
die am Fuß sitzende, in lothringische Tracht gekleidete trauernde Frauengestalt
versinnbildlicht - Symbol für das dem Mutterland entrissene Lothringen. Dieses
spezifisch lothringische Selbstverständnis klang auch in der Gedenkrede des Reichs-
tagsabgeordneten de Wendel an: "Aux enfants de la terre Lorraine qui m’écoutent, je
rappellerai que la fidélité au souvenir des morts, l’esprit de sacrifice, le respect du
passé, l’attachement aux traditions locales, sont des vertus essentielles à toute race qui
veut durer."10® Die anschließend zunächst auf deutsch, dann auf französisch ge-
haltene Rede des Bezirkspräsidenten von Lothringen, Graf von Zeppelin-Aschhausen,
der das Denkmal in den Schutz der deutschen Verwaltung nahm, erhellte deren Moti-
vation, ein französisches Denkmal auf reichsländischem Boden zu erlauben: "Honorer
leur mémoire [celle des vaillants combattants, A M.] était un acte de piété, une belle
et noble entreprise. C’est comme un acte de ce genre, conçu sans aucune arrière-pen-
sée, que je considère l’érection de ce monument." Damit verband er den Wunsch
eines verständnisvollen Miteinanders:109 "Je voudrais volontiers y voir l’indice que
dans la vie aussi on peut, par un estime, par une entente réciproque, entretenir des
relations de bon voisinage", was einen sehr positiven Eindruck auf die Zuhörer hinter-
ließ.
Ob Noisseville tatsächlich ein Zeichen des Aufbruchs in eine neue Zeit war, konnte
sich nur an den nachfolgenden Wochen und Monaten zeigen. Zunächst intensivierte
sich die Zusammenarbeit zwischen der "Vereinigung" und dem "Souvenir Français".
106 ADM, 12 AL 291. In der allgemeinen Berichterstattung findet sich der Hinweis, daß die
französische Presse den Rahmen der Einweihungsfeierlichkeiten des deutschen Denkmals (des
Kgl. sächsischen Schützen-Füsilier-Regiments № 108 und des II. Jägerbataillons № 13) bei
Villiers auf analoge Gestaltungsfreiräume für Noissevüle untersuchte.
107 Inauguration du Monument de Noisseville élévé aux Soldats Français Tombés en 1870 sur
les Champs de Bataille à l’Est de Metz, Metz 1908, S. 26ff.
108 Ebd., S. 67.
109 Ebd., S. 70 u. S. 91f. "Le Journal" aus Paris vermutet "que ce discours a été lu et approuvé
en haut lieu, que cette journée, du reste, sera historique pour les provinces annexées: elle doit
marquer le commencement d’une ère nouvelle." Zur besonderen französischen Wertschätzung
des Grafen von Zeppelin-Aschhausen vgl. ebd., S. 92.
112
Abb. 6: Französisches Regionaldenkmal bei Noisseville von 1908
113
Höhepunkt der Verständigung waren die Gedenktage im August 1909, sie wiesen weit
über den lokalen und regionalen Rahmen hinaus. Aus Paris waren Vertreter der "As-
sociation des combattants de Gravelotte et de l’armée du Rhin" zur Teilnahme an den
französischen Feierlichkeiten in Mars-la-Tour angereist, um am Vortag in einer klei-
nen Feier Kränze in der Gedenkhalle von Gravelotte niederzulegen, die die Inschrif-
ten "A nos chevaleresques adversaires" und "A nos frères d’armes" trugen.110
Doch Noisseville hatte für die deutsche Verwaltung unerwartete Konsequenzen, da
die Reaktionen der annektierten, durch die deutsch-französischen Spannungen natio-
nalpolitisch stark sensibilisierten Bevölkerung nicht vorhersehbar waren. Im Vorfeld
der nun jährlich wiederkehrenden Erinnerungsfeier in Noisseville am 29. August, Da-
tum des Ausbruchversuches Bazaines aus dem belagerten Metz 1870, skizzierte die
"Metzer Zeitung" schon 1909 die veränderte Situation mit folgenden Worten: "In den
Schaufenstern einiger hiesiger Geschäfte hat heute wieder [...] das Spiel mit den fran-
zösischen Farben begonnen zum Ergötzen zahlreicher Jugendlicher und der Landbe-
völkerung. Die dabei fallenden Ausdrücke lassen aber doch erkennen, daß ein Teil
des hauptsächlich junglothringischen Menschenschlages (sociétés) alles andere eher
pflegt als deutsche Gesinnungen, [...] und daß es ein außerordentliches Wagnis ist,
durch Gestattung solchen Aushanges an bestimmten Tagen, [...] Leidenschaften sich
entflammen zu lassen, die unter dem Deckmantel der Ehrung der Gefallenen, die für
ihr ’französisches’ Vaterland gefallen sind, im Geheimen wachgehalten werden".111
15 000 bis 20 000 Menschen begaben sich 1909 nach der Gedenkmesse in Noisseville
zum französischen Denkmal, wobei die von Jean-Pierre Jean, dem Initiator des Denk-
mals und Mitglied des "Souvenir Français", gehaltene moderate Gedenkrede von pro-
französischen Manifestationen begleitet wurde.112 Die Diskussion um diese Feier-
lichkeiten und um die Rolle des "Souvenir Français" gipfelte dann in einer vehement
geführten Auseinandersetzung zwischen der "Metzer Zeitung" und "Le Lorrain".113
Der Bezirkspräsident betrachtete die Zeitungsattacken als übertrieben und hielt an
seiner Grundüberzeugung fest, daß die einheimische frankophone Bevölkerung Nois-
seville nicht als eine willkommene Demonstrationsmöglichkeit gegen das "Deutsch-
tum" gestalte.114
Die Einweihung des französischen Denkmals bei Weißenburg, elsässisches Pendant zu
Noisseville, am 17. Oktober 1909,115 brachte innerhalb der deutsch-französischen
Beziehungen auf lokaler und regionaler Ebene wie auch der innerdeutschen Beur-
110 Metzer Zeitung v. 16. Aug. 1909, u. ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für
1909, S. lOff.
111 Metzer Zeitung v. 28. Aug. 1909.
112 Metzer Zeitung v. 30. Aug. 1909, darin auch Hinweis auf Anweisungen der deutschen
Sicherheitskräfte, sich bei profranzösischen Sympathiebekundungen zurückzuhalten.
113 Metzer Zeitung u.a. v. 2. u. 3. Sept. 1909 u. Le Lorrain in der gleichen Zeit.
114 Roth (Anm. 84), S. 57.
115 Jean (Anm. 35), S. 28ff.
114
teilung der Lage eine Zäsur. Der Statthalter sah seine Überzeugung bestätigt, daß der
"Souvenir Français" eine politisch motivierte Organisation sei, die die profranzösischen
Tendenzen in der Bevölkerung künstlich aufrechterhalte. Unterstützt wurde er vom
kommandierenden General des 16. Armeekorps, von Prittwitz und Gaffron, der eine
direkte Gefährdung der Germanisierung sah und für radikale Maßnahmen ein-
trat.116 Das Mißtrauen auf deutscher Seite wuchs beständig an, da das Wiedererwa-
chen profranzösischer Tendenzen nicht mehr zu übersehen und zu verharmlosen war.
Ende des Monats wurden generell Erinnerungszüge in Begleitung von Musik, franzö-
sischen Fahnen und Banner mit französischer Aufschrift sowie Festbankette im Rah-
men von Gedenkfeierlichkeiten verboten.117 Nach diesen ersten, eher halbherzigen
Maßnahmen verlagerten sich die immer stärker werdenden profranzösischen Manife-
stationen mit großer Symbolvielfalt in den legalen Rahmen der verschiedenen Sport-
bzw. Musikvereine. 1909 zählte der "Souvenir Français" im Reichsland etwa 2000 aus
frankophonen Gebieten kommende Mitglieder.118 Daneben wurden in diesem Geist
patriotische Vereine gegründet, wie z.B. "La Lorraine sportive", die enge Verbindun-
gen zu Frankreich unterhielten,119
Zwischenfälle häuften sich, die von der deutschen öffentlichen Meinung immer schär-
fer in den Vordergrund gespielt wurden. Im Vorfeld der 40jährigen Erinnerungsfeier,
die mit der Zusage des Kaisers zu einem allgemeinen deutschen Veteranen-Gedenk-
fest stilisiert wurde,120 kam es zum ersten Mal zu einer öffentlichen Konfrontation
zwischen deutschen und französischen Zeitungen.121 Der gegenseitige, nationalpoli-
tisch motivierte Schlagabtausch nahm ein solches Ausmaß an, daß sich die "Metzer
Zeitung" genötigt sah, den angereisten Veteranen einen positiven Stimmungsbericht
zu liefern.122 Entgegen der gespannten Atmosphäre verliefen die Feierlichkeiten je-
doch in ernstem, würdevollem Rahmen. Zwischenfälle an der Grenze wurden nicht
bekannt, das Tragen von militärischen Ehrenzeichen der Veteranen wurde von beiden
Seiten diesseits und jenseits der Grenze geduldet.123 Dieser Rücksichtnahme auf lo-
kaler Ebene standen antifranzösische Überzeugungen auf regionaler und nationaler
Ebene entgegen, wobei gegen den "Souvenir Français" polemisiert wurde, denn "der
116 Roth (Anm. 84), S. 58.
117 Jean (Anm. 35), S.28ff.
118 Roth (Anm. 84), S. 59f., eine Liste der "Fondateurs et Collaborateurs du Souvenir Français
et du Souvenir Alsacien-Lorrain" in: Jean-Pierre Jean, Lorraine et Alsace, Metz 1922, S.117ff.
119 Roth (Anm. 84), S. 60ff.
120 ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1908, S. 25f. u. nach dem Jahres-
bericht der "Vereinigung" für 1910, S. 8: Aufruf an die Kriegsteilnehmer von 1870/71, ver-
öffentl. in etwa 300 deutschen Zeitungen.
121 Metzer Zeitung v. 3. Aug. 1910.
122 Metzer Zeitung v. 13. Aug. 1910: "Wir versichern den Veteranen, [...] daß die lothringische
Bevölkerung nicht auf dem Tiefstand eines Teiles der lothringisch-einheimischen Presse steht."
123 Rheinisch-Westfälische Zeitung v. 15. Aug. 1910.
115
’Souvenir Français’ ist ein französischer Verein, der von Paris aus dirigiert wird und
seinen Geist von dort empfangt. Er ist ein guter Leiter der französischen Stimmung.
Die Erinnerung, der Kultus der Vergangenheit wird aber in Paris, wir möchten sagen
naturgemäß, in einem anderen Sinne betrieben wie in Berlin. Die Erinnerung ist da
nur Mittel zum Zweck. [...] So ist es gekommen, daß der Kultus der im 70er Kriege
Gefallenen eine weitere ständige, laufende Quelle zur Entfremdung zwischen Einhei-
mischen und Eingewanderten geworden ist. Gerade der Totenkult wäre, richtig auf-
gefaßt, hervorragend gewesen, eine Einigung und Annäherung zwischen beiden Bevöl-
kerungsteilen zu begründen."124
"Die Post" berichtete mit Bezugnahme auf einen Artikel der "Rheinisch-Westfälischen
Zeitung" von einer kühlen und ablehnenden Haltung in Metz; die Deutschen hätten
nicht einmal geflaggt: "Rücksicht auf die Geschäfte und saftlose Politik des ’Laisser
faire, laisser aller’ und sonstige Gefühlsduselei haben dies veranlaßt. Das ist der
Krebsschaden des Deutschtums in den Reichslanden."125 Dieser Vorwurf an eine
unentschlossen agierende deutsche Verwaltung zeigt in Ansätzen den Zugzwang, in
dem sich die Landesregierung in Elsaß-Lothringen befand, und deutet die gegensätz-
lichen Strategien des moderaten Bezirkspräsidenten von Lothringen und der harten
Linie der Landesregierung und des Militärs an.
Doch auch auf französischer Seite verstärkte sich die nationale Haltung, der Mythos
der "provinces perdues" trat wieder überdeutlich in den Vordergrund,126 ein "redres-
sement national" war nicht mehr aufzuhalten.127 Dennoch wurde die Zusammenar-
beit der "Vereinigung" und des "Souvenir Français" bis August 1911 fortgeführt.128
Die Schmückung des französischen Denkmals auf dem Metzer Gamisonsfriedhof am
15. August 1911, verbunden mit der Niederlegung eines Palmzweiges durch Maurice
Barrés, verlief ohne Aufsehen,129 obwohl sich die Lage durch den "Panthersprung
nach Agadir" verschärfte hatte. Wie angeheizt die Stimmung war, zeigte sich dann
auch im August 1912, als bei den Feierlichkeiten auf beiden Seiten eine starke mili-
tärische Präsenz zu verzeichnen war. Auf Druck des Militärs, unterstützt durch na-
tionale Propaganda der reichsdeutschen Zeitungen und einer stark erregten öffentli-
chen Meinung, wurde eine härtere Gangart gefordert. Der für Noisseville mit allen
daraus resultierenden Konsequenzen persönlich verantwortlich gemachte Bezirksprä-
124 Metzer Zeitung v. 24. Aug. 1910, Leitartikel: Gedanken anläßlich der Gedächtnisfeiern,
von einem Berichterstatter aus Straßburg (18. Aug. 1910).
125 Die Post v. 17. Aug. 1910.
126 Claretie (Anm. 49), Vorwort u. S. VIII. Er versteht sein Werk als Zeichen der Erinnerung,
das er "commme un hommage au pied du monument de Mars-la-Tour" niederlegt.
127 Roth (Anm. 83), S. 63.
128 ADM, 12 AL 199. Jahresbericht der "Vereinigung" für 1911, S. 33f. Öffnung eines
deutsch-französischen Sammelgrabs, Exhumierung und Überführung der französischen Toten
in die Gruft des Gemeindedenkmals von Batilly.
129 Metzer Zeitung v. 16. Aug. 1911, vgl. hierzu auch Roth (Anm. 84), S. 65f.
116
sident von Zeppelin-Aschhausen demissionierte, und nun besetzten streng national ge-
sinnte deutsche Beamte führende Stellungen in der deutschen Verwaltung.130
Man glaubte, nur durch immer strengere und schärfere Restriktionen der öffentlichen
profranzösischen Nationalbekundungen Herr werden zu können. Im April 1911 wurde
"La Lorraine Sportive" verboten, Ende desselben Jahres ihre Nachfolgeorganisation
"Jeunesse Sportive".131 Trotz der Gefahr eines möglichen Verbotes und um dem
Vorwurf zu entgehen, eine von Paris gelenkte Organisation zu sein, wurde im Februar
1912 der "Souvenir Alsacien-Lorrain" als eine legale, unabhängige und eigenständige
Sektion des "Souvenir Français" gegründet. Aber auf Grund der sich immer mehr ver-
härtenden politischen Fronten wurde auch er am 23. Januar 1913 verboten.132
Noch im gleichen Jahr ertönte bei der Gedenkfeier in Noisseville der französische
Fahnenappell, für die deutsche Seite ein unerhörter Affront.133 Fast lautlos verhall-
lte dieser letzte Appell, denn mit den strengen Verboten schien die frankophone Be-
völkerung ihren kämpferischen Geist verloren zu haben und wieder in die alte Si-
tuation der Abkapselung, der Emigration nach innen, zu flüchten.
Die Sonderstellung des Militärs im Deutschen Reich wurde kurz darauf in der Krisen-
situation der "Zabem-Affäre" besonders deutlich, als infolge der kaiserlichen Ent-
scheidung zugunsten des Militärs Vertreter der zivilen Verwaltung des Reichslandes,
darunter auch der Statthalter Graf von Wedel, Ende Januar 1914 ihren Rücktritt ein-
reichten.134 Mit der Proklamation des Kriegsgefahrzustandes am 31. Juli 1914 wurde
die Germanisierung mit allen Mitteln vorangetrieben, die dieser Form der Annähe-
rung ein Ende setzte.
Bilanz
Die Kriegerdenkmäler um Metz spiegeln in ihrer Rezeptionsgeschichte die besondere
lokale Grenzraumsituation wider. Sie übernahmen hinsichtlich der deutsch-französi-
schen Beziehungen und des Verhältnisses der alteingesessenen, frankophonen Bevöl-
kerung zu den eingewanderten Altdeutschen besondere Funktionen. In den Einwei-
hungs- und Erinnerungsreden diesseits und jenseits der neuen Grenze kamen die ent-
gegengesetzten "mémoires collectives" in einem stilistisch sehr ähnlichen, redundanten
Symbolrepertoire zum Ausdruck. Reichsgründungsmythos und Revanche übernahmen
in Verbindung mit den Kriegerdenkmälern integrative und identitätsstiftende Funk-
tionen für die jeweilige nationale Gruppe. Nationale Überzeugung und Vaterlands-
130 Roth (Anm. 84), S. 65f.
131 Ebd., S. 63ff.
132 Ebd., S. 66ff. Roth betont, daß der "Souvenir Français" auf die frankophonen Gebiete
begrenzt war und als Wiederaufleben des "esprit protestataire" zu interpretieren sei, der vor
allem die Erinnerungskomponente betonte. Noissevüle wurde zum Beleg dafür, daß die
Germanisierung unter der jüngeren Generation nicht den erwünschten Erziehungserfolg hatte.
133 Roth (Anm. 84), S. 67.
134 Roth (Anm. 9), S. 589.
117
liebe wurden vor Ort am vorbildlich patriotischen Handeln der Helden gefestigt und
unter ein neues Versprechen, den Gefallenen nachzueifem, gestellt.
Trotz klarer nationaler Abgrenzungen ermöglichte die gemeinsame Erinnerung eine
Annäherung über die Gräber hinweg. Schon relativ früh wurden die Kriegerdenkmä-
ler und -gräber zu Kristallisationspunkten einer lokal begrenzten, versöhnenden An-
näherung, wobei das gemeinsame Gedenken auf der Grundlage des ethisch-religiösen
Respekts vor den Toten und des militärischen Ehrbegriffs beruhte.
Diese Tendenz der Annäherung schien tragbar, da die deutsche Zivilverwaltung in
Metz versuchte, einen "modus vivendi" gegenüber der annektierten Bevölkerung zu
finden. In ausgeprägter Zurückhaltung und Rücksichtnahme auf emotional belastete
Themen wurden eigene nationale Interessen ausgeklammert, wie z.B. der Sedanstag,
selbst gegen den erbitterten Widerstand des auf harte Germanisierungsstrategien set-
zenden ansässigen Militärs und später der nationalen Presse. Auch Wilhelm II. nahm
bei seinen Besuchen in Metz in Habitus und Reden Rücksicht auf die besondere
Grenzraumproblematik.
Klimax der Integrationsbemühungen schien Noisseville zu sein, das aber konzeptions-
bedingt an regionale Identität und nationale Zugehörigkeit rührte und zusammen mit
dem elsässischen Pendant in Weißenburg profranzösischer Identitätsstiftung Vorschub
leistete. So wurde in einer nicht zu verleugnenden Tragik der Versöhnungspolitik ein
Ende gesetzt. Der auch noch in Krisenzeiten erstrebte lokale Interessenausgleich be-
mühte sich um den Abbau nationaler Antagonismen, sowohl auf deutscher als auch
auf französischer Seite. Die Polarisierung zweier "mémoires collectives", verschärft
durch die neue Grenze, konnte letztendlich weder längerfristig gemildert noch über-
brückt werden, wobei der Versuch eines Integrationskonzeptes an den übermächtigen
Antagonismen der Nationalstaaten auf verschiedenen Konfliktebenen scheiterte.
118
François Roth
Thionville OU L’ESQUISSE D’UNE POLITIQUE URBAINE7
Pendant trois siècles, Thionville a été une ville fortifiée de la frontière française de
l’Est au même titre que Verdun, Toul, Montmédy et Longwy, L’existence paisible des
habitants - militaires, propriétaires et artisans, vignerons et paysans - fut temporaire-
ment perturbée par les sièges de 1792, 1814, 1815 et 1870. Au fil des générations
cependant, rien de fondamental ne changeait dans les structures, les fonctions, les
activités d’une ville qui oscillait entre 5000 et 7000 habitants. L’annexion à l’Empire
allemand (1871) a été une rupture considérable avec un passé français vieux de deux
siècles. Il fallut cependant attendre le début du XXème siècle pour que fut prise une
décision qui rompait avec le passé et engageait la ville dans de nouvelles voies. En
détruisant les vieux remparts, la municipalité faisait sauter un carcan et ouvrait
Thionville sur sa campagne et sur un environnement industriel en pleine croissance.
Enfin, cette ville recevait des possibilités d’expansion dont on peut mesurer au-
jourd’hui, quatre-vingt dix ans après, les résultats.
Notre propos ici est de montrer comment et avec quels objectifs une politique
municipale d’urbanisme fut mise en oeuvre au début du XXème siècle et d’en mesu-
rer les résultats en 1914, au moment où la déclaration de la première guerre mondia-
le interrompait brusquement, et pour une décennie, un remarquable essor.
Une petite forteresse tranquille
Au milieu du XIXème siècle, Thionville était une petite forteresse plantée sur la rive
gauche de la Moselle. Sa superficie était seulement de 16 hectares alors que celle de
Metz était de 391 hectares. Un passage étroit débouchait sur un pont (de pierre
depuis 1846) qui traversait le fleuve et conduisait à deux ouvrages placés sur la rive
droite. La valeur militaire de cette place était médiocre. En novembre 1870, elle
n’avait pas résisté à trois jours de bombardements allemands.
A l’intérieur des remparts, l’espace dévolu aux bâtiments civils était réduit et quatre
mille personnes s’entassaient dans des maisons hautes bordant des rues très étroites.
Les autres habitants (1600 à 1800) étaient des paysans et des vignerons qui vivaient
dans les hameaux de Beauregard, Saint-François, La Malgrange, Sainte-Anne, Saint-
Pierre, La Briquerie, Haute et Basse Guentrange. Dans ces derniers hameaux se
1 Ce texte repose sur un dépouillement attentif de débats du conseil municipal de Thionville
et des journaux de l’époque, la Diedenhofener Zeitung (centriste), la Diedenhofener Bürger-
zeitung (libéral) et l’Echo de Thionville (1928-1940). Il sera repris et élargi dans l’Histoire de
Thionville à paraître prochainement (Editions Serpenoises). Pour plus de références, on peut
consulter Roth (François), Thionville sous l’annexion (1870-1918), in Cahiers Lorrains, 1983.
Roth (François), La Lorraine annexée, 1870-1918, Nancy, 1976. Wittenbrock (Rolf), Bauord-
nungen in Elsaß-Lothringen (1870-1918), St. Ingbert, 1989.
119
trouvaient des vignes réputées. Le ban communal s’étendait sur 1362 hectares, soit 85
fois plus que la surface de la forteresse! Comme les autres villes de la Moselle,
Thionville était une cité de soldats, de propriétaires et de vignerons. Néanmoins, par
rapport à Metz et à Trêves, vieilles villes romaines et épiscopales, son statut urbain
était très inférieur.
L’annexion à l’Empire allemand en 1871 apporta des changements imprévus et
considérables dont la portée se fit sentir surtout à moyen terme. Soldats et fonction-
naires français cédèrent la place à des Prussiens. Une partie des habitants émigra,
principalement ceux qui étaient de langue et de culture françaises et qui n’acceptaient
pas la présence allemande. Malgré ces départs, la population civile progressa: 7207
habitants en 1871, 8111 en 1885, 9167 en 1895. Les nouveaux habitants étaient des
Lorrains de la campagne, des Alsaciens, des Luxembourgeois, des Allemands de la
province rhénane. Beaucoup appartenaient aux classes populaires. Une partie d’entre
eux s’installa à l’extérieur des murs, au faubourg de Beauregard. Mesurons l’ampleur
des mouvements en examinant les résultats du recensement de 1895: sur 9167 habi-
tants, 4354 étaient nés en Alsace-Lorraine, 4301 dans un autre état allemand, 521
dans un pays étranger (Luxembourg et France), 2273, soit moins du quart étaient nés
à Thionville. Cette population nouvelle était de langue et de culture germaniques avec
une forte minorité de religion protestante.
Contrairement à ce qui se passa à Strasbourg, Metz, Sarreguemines, Sarrebourg,
l’administration allemande ne prit pas directement en main le pouvoir municipal.
Jusqu’en 1904, les maires restèrent des Thionvillois de souche, des "indigènes" comme
on disait alors. Sous leur paisible magistrature, la vieille ville conserva le même visage.
Les maisons détruites ou brûlées lors du siège avaient été reconstruites et la garnison
prussienne s’était installée dans les casernes abandonnées par les Français. La for-
teresse, à peine modifiée dans sa structure, assurait une protection qui, probablement,
aurait été peu efficace en cas de guerre, vis-à-vis d’une frontière française distante
d’une vingtaine de kilomètres tout au plus.
A l’intérieur de la vieille ville, la construction d’un réseau d’adduction d’eau potable
fut réalisée sans que les finances de la ville en souffrirent, par le maire Pierre Mar-
chai (1886). A cet égard, Thionville avait enfin comblé un retard de vingt ans par
rapport à Metz. Au-delà de l’enceinte, une décision de l’administration allemande se
révéla capitale pour l’avenir: la gare fut déplacée en 1878 sur la rive droite de la
Moselle à l’emplacement d’un ouvrage fortifié détruit. Au fil des années, la gare de
Thionville prit de l’importance avec l’ouverture des lignes de la Moselle et de la Sarre
et avec l’accroissement du trafic des produits pondéreux (charbon, coke, minette)
utilisés par la métallurgie. A la fin des années 1880, Thionville devint une plaque
tournante de l’industrie du fer. Dans ce contexte, le faubourg de Beauregard où
s’installaient les cheminots, prit une rapide extension.
L’opération d’urbanisme dont Thionville va être bénéficiaire s’inscrit dans un contexte
économique, militaire, culturel dont il faut dégager les composantes.
Le premier facteur entraînant fut incontestablement l’essor de l’industrie minière et
sidérurgique qui bénéficia, à partir de 1890, d’une croissance soutenue. Les firmes de
la Sarre et de la Rhénanie-Westphalie investirent en Lorraine où elles foncèrent des
120
mines, installèrent des hauts-fourneaux et firent venir des cadres et des ouvriers. Pour
répondre aux besoins massifs de main-d’oeuvre, les travailleurs italiens arrivaient
nombreux dans le district de la minette en France, en Allemagne, au Luxembourg.
Sur le ban de Thionville, l’industriel prussien Karl Roechling achetait un domaine à
Beauregard avec l’intention d’y construire une usine à fonte alimentée par le minerai
de sa concession toute proche d’Angevillers. Le premier haut-fourneau fut allumé en
1898, trois autres suivirent. La fonte produite était expédiée par voie ferrée dans une
autre usine du groupe à Völklingen où elle était traitée. Comme l’usine d’Uckange
fondée par Stumm, l’usine de Beauregard était une usine-fille de la Sarre. Les cadres
et la maîtrise venaient de cette région et Karl Roechling installa à Thionville l’un de
ses fils Robert, et ouvrit une succursale de la banque Roechling. Pour suivre ces
affaires, le district minier de Metz fut dédoublé et un ingénieur des mines vint s’instal-
ler à Thionville. Devant la rareté du personnel de maîtrise et d’encadrement, une
école pratique des mines fut ouverte en 1902 afin de former des portons et des chefs
d’équipe qualifiés. Thionville devenait ce qu’elle n’avait jamais été jusqu’alors, une
ville industrielle et une ville de services. En effet, le trafic des produits pondéreux ne
cessait de croître. Pour entretenir le matériel ferroviaire qui, jusque-là, était réparé à
l’atelier de Montigny-lès-Metz, l’administration des chemins de fer d’Alsace-Lorraine
en construisit un second à Basse-Yutz, localité industrielle située sur la rive droite de
la Moselle promue au rang de Cité cheminote. Tout cet élan a incité les responsables
à faire de Thionville une ville moderne.
Le second facteur favorable est d’ordre militaire. Les activités nouvelles avaient
besoin d’espace. Pour le trouver, le débastionnement s’imposait. Il fallait libérer la
ville du carcan des murailles et des multiples servitudes. Cette solution était à portée
de main car les progrès de l’artillerie et la puissance des nouveaux explosifs étaient
tels que les fortifications de pierre à la Vauban, étaient totalement périmées. Pour les
remplacer, le génie militaire avait engagé la construction d’un réseau de fortifications
bétonnées, semi-enterrées, les ’Feste’. L’essentiel était situé autour de Metz; pour sa
part, le secteur de Thionville qui lui était rattaché, comprenait les trois forts de
Guentrange, d’Illange et de Koenigsmacker. Rien ne s’opposait plus au déclassement
et au démantèlement des murailles de Thionville et de Metz. Dans le cas de Thionvil-
le, le maire, Nicolas Crauser, appuyé par le conseil municipal, engagea des négocia-
tions avec les autorités militaires. Il était appuyé par toute l’administration civile, le
directeur de Cercle, le Président de Lorraine et les hauts-fonctionnaires du Reichs-
land. En raison de la complexité du dossier et des exigences financières des militaires,
la procédure traîna en longueur. Crauser se rendit plusieurs fois à Berlin. De guerre
lasse, il s’adressa à l’Empereur qui venait chaque année en Lorraine et qui s’intér-
essait à Thionville, la cité de son "ancêtre" Charlemagne. Le 27 juin 1901, à bord du
yacht le ’Hohenzollern’ amarré en rade de Kiel, Guillaume II signait le déclassement
de la vieille enceinte de Thionville.
Les travaux de démolition commencèrent bientôt et dégagèrent au profit de la ville
une surface de 56 hectares (trois fois et demi celle de la vieille cité), libre de servitu-
de. En compensation, la ville fit au génie militaire d’importantes concessions. Elle
aliéna 70 hectares de forêts pour la construction du fort de Guentrange. A plusieurs
121
reprises, Guillaume II visita les travaux et vint pour la dernière fois au printemps
1914.
Dans la ville nouvelle, le militaire était loin d’être exclu. Il avait fallu réserver un vaste
emplacement pour une nouvelle caserne d’infanterie (aujourd’hui caserne Jeanne
d’Arc). Sans comparaison avec Metz, Thionville restait une ville militaire avec en
temps de paix une garnison de 3000 hommes (un régiment d’infanterie, des hussards,
des unités du génie, de l’artillerie et de l’intendance, un hôpital). Une bonne centaine
d’officiers habitaient en ville. Le général-major commandant la place de Thionville
était l’une des personnalités de la ville et, en temps de guerre, était destiné à exercer
l’autorité suprême.
Le troisième facteur favorable est d’ordre politique et culturel. Depuis les années
1880, les villes allemandes étaient en Europe à la pointe du mouvement d’urbanisme
et d’aménagement. Loin de laisser jouer l’individualisme anarchique des particuliers,
les autorités municipales prévoyaient et finançaient les travaux de voirie, les réseaux
d’eau, de gaz, d’électricité et surtout l’aménagement des quartiers nouveaux. Dans
beaucoup de villes allemandes, la destruction partielle ou totale des vieilles fortifica-
tions avait ouvert des perspectives dont les architectes et les urbanistes avaient su
heureusement tirer parti. Les exemples de Cologne et de Strasbourg étaient dans tous
les esprits et des spécialistes comme Camillo Sitte et Joseph Stübben avaient acquis
en la matière une grande réputation. L’action des municipalités était favorisée par
une législation qui leur permettait de mettre en oeuvre des plans d’urbanisme et
d’imposer aux particuliers des règles strictes.
Le plan d’urbanisme de Thionville publié en 1902 (111. 1), qui portait la marque du
célèbre urbaniste de Cologne Joseph Stübben, avait été préparé et fut mis au bureau
municipal d’urbanisme (créé en 1900) dirigé par l’architecte municipal Frorath. Ce
dernier entra en conflit avec le maire Nicolas Crauser qui lui reprocha de se livrer
parallèlement à des activités privées. Crauser révoqua l’architecte (mars 1904).
Frorath se défendit comme un beau diable et fit appel; il ne fut pas réintégré, mais
l’affaire fit une victime: Nicolas Crauser qui avait été désavoué par le Statthalter
Hohenlohe donna sa démission (novembre 1904) après dix-sept ans de mandat et se
retira à Nice où il mourut oublié quelques années plus tard. Le conseil municipal où
les Allemands immigrés avaient la majorité souhaita, pour mener à bien le plan
d’urbanisme, un maire de fonction. Il choisit un fonctionnaire, le conseiller de préfec-
ture de Metz, le Regierungsrat Bôhm. Celui-ci s’entoura de trois adjoints immigrés et,
sous son mandat (1904-1910) réalisa les travaux d’extension. Appelé à de plus hautes
fonctions, il donna sa démission en 1910. Le conseil municipal proposa au Statthalter
le nom du premier adjoint, le pharmacien Heinrich Berkenheier. Celui-ci était arrivé
à Thionville en 1871 avec son père cantinier militaire. Il représentait la nouvelle
bourgeoisie de type allemand, celle qui considérait Thionville comme sa propre ville.
Ce cas d’ascension sociale, loin d’être unique, doit être souligné; il était le signe de la
formation d’une nouvelle catégorie dirigeante où les professions libérales et les
commerçants remplaçaient les propriétaires. Beaucoup d’entre eux étaient des Alle-
mands du Reich. Ils furent les artisans du nouveau Thionville.
122
Ill.l: Die Stadterweiterung Diedenhofens (J. Stübben 1902)
123
Le nouveau Thionville
La période qui s’étend de 1903 à 1914 fut extraordinairement féconde. Comme à
Metz, on réalisa et on construisit beaucoup à Thionville. Les opérations d’urbanisme
peuvent être examinées sous trois angles complémentaires: l’équipement urbain, la
conception et la réalisation des nouveaux quartiers et la construction privée.
L’extension considérable de l’espace urbain imposa à la municipalité un effort particu-
lier pour créer une nouvelle voirie et relier au centre ville les faubourgs et les annexes
car tous les habitants de la commune demandaient à bénéficier des mêmes services.
La jonction avec Beauregard le faubourg industriel, fut particulièrement soignée. A
Beauregard se trouvaient l’usine Roechling, l’usine à gaz, la centrale électrique et
l’hôpital municipal installé dans les locaux de l’ancien collège des Frères (1898). La
destruction des remparts unifiait le territoire communal et permit à la municipalité
d’assujetir à l’octroi les habitants des hameaux ruraux qui, jusque-là, échappaient à cet
impôt. Pour apaiser leurs protestations, la municipalité promit de leur fournir les
mêmes prestations qu’aux autres contribuables: eau, gaz, électricité, téléphone. Elle
améliora la voirie, construisit des trottoirs, fit ouvrir des bureaux postaux auxiliaires,
des cabines téléphoniques publiques. Le plus délicat et le plus coûteux fut l’extension
du réseau d’adduction d’eau car le débit des sources de Morlange qui l’alimentaient,
était désormais insuffisant. On dut installer une station de pompage dans le lit de la
Moselle à Manom et avoir recours à l’eau d’exhaure de la mine d’Angevillers. Alors
qu’à Metz le gaz et l’électricité étaient produits par une régie municipale, la ville de
Thionville passa des contrats avec des sociétés privées allemandes.
En 1914, l’équipement urbain de Thionville était tout à fait convenable. Dans les rues,
l’éclairage électrique avait remplacé les vieux réverbères à gaz (1910). Les hameaux
étaient si bien reliés au centre que le maire Heinrich Berkenheier comme les vieux
notables, s’était installé à Guentrange dans une propriété vendue par les héritiers
Plassiart, et venait chaque matin à la mairie. Il faut enfin signaler la mise en place
d’un réseau de tramway reliant à Thionville l’ensemble de la vallée de la Fentsch.
Le plan d’urbanisme publié en 1902 dessinait le schéma de la future extension autour
de la vieille ville. Deux larges avenues (aujourd’hui Poincaré et Clemenceau) enca-
draient la vieille ville sur un tracé est-ouest perpendiculairement à la Moselle. Elles
étaient recoupées par trois boulevards semi-circulaires (Vaubanring, Hohenlohe Ring,
Carolingerring) qui rejoignaient l’axe vieille ville - Beauregard parallèle à la Moselle.
Un réseau de rues secondaires divisait l’ensemble en 44 blocs. Des emplacements
importants avaient été réservés pour la construction d’une grande caserne, de divers
bâtiments publics, de lieux de culte; des espaces verts, des jardins et des promenades
étaient prévu en bordure de la Moselle. Places, percées et dégagements avaient été
conçus pour une circulation fluide. Les urbanistes avaient vu grand et il faudra une
quarantaine d’années pour que le cadre tracé soit rempli. De nombreux bâtiments
publics furent alors construits: l’église catholique de Beauregard (1898), le temple
protestant, la synagogue (1913), le gymnase, l’hôtel des postes, la direction de cercle,
le casino des officiers, une immense caserne (aujourd’hui caserne Jeanne d’Arc). Pour
l’essentiel, le financement de ces constructions avait été assuré par le Reichsland et
par le Reich. Dans certains cas, la ville avait dû supporter des charges qui étaient
124
venues s’ajouter aux dépenses de voirie et d’équipement. En conséquence, il avait
fallu augmenter la pression fiscale et recourir massivement à l’emprunt, principale-
ment auprès de la caisse d’épargne. En 1914, l’ensemble des emprunts se montait à
environ quatre millions de marks, soit un endettement équivalent à cinq années des
ressources fiscales de la ville.
La construction des maisons d’habitation avait été laissée à l’initiative des particuliers.
Ceux-ci étaient tenus de respecter les dispositions du réglement d’urbanisme. Le
démarrage des constructions fut assez lent. Les premières maisons furent habitées en
1905. On connaît par la presse les noms de François Payotte et d’Elisabeth Job, qui
furent les premiers habitants d’une maison neuve de la nouvelle ville. En 1914, une
centaine de maisons privées (les trois-quarts étaient des maisons de trois étages avec
125
mansardes) avaient été construites et étaient habitées. Autour du lycée et de l’école
des mines, en bordure du parc, plusieurs parcelles étaient loties. C’était le nouveau
quartier chic. Au sud, entre la vieille ville et Beauregard, autour de la poste, on
trouvait des maisons de belle facture. Les lotissements réservés aux postiers et aux
cheminots n’avaient pas encore été construits. En revanche, autour de l’usine à gaz et
au voisinage de l’usine Roechling, deux colonies ouvrières étaient déjà habitées.
Pourquoi cette relative lenteur? Il semble que les candidats à la construction aient été
moins nombreux que la municipalité l’avait espéré. Les lots avaient été vendus par
soumission de gré à gré et la mairie avait dû baisser les prix pour attirer des acqué-
reurs. La plupart d’entre eux étaient des habitants de la région: des propriétaires, des
rentiers, des commerçants, des membres des professions libérales. Les fonctionnaires
étaient rares, les militaires encore plus (en revanche, c’était des locataires potentiels).
On trouvait aussi des agents d’affaires et des entreprises qui cherchaient à loger leur
personnel, des conseillers municipaux aisés que leur mandat mettait au courant des
affaires à réaliser.
On est très mal informé sur les modalités et le déroulement de la construction privée:
architectes, entreprises du bâtiment, marchands de matériaux, artisans. En 1912,
douze architectes étaient installés à Thionville, le conseiller municipal Griebel étant
l’un des plus actifs. La plupart d’entre eux avaient été formés dans un institut poly-
technique allemand comme semblent l’indiquer les conceptions architecturales.
Quelques grandes entreprises messines de travaux publics comme la "Lothringer
Baugesellschaft" et "Haase und Schott" ont construit à Thionville. La plupart des
maisons individuelles paraissent être l’oeuvre d’entreprises locales. Dans la ville même
on trouvait une vingtaine d’entreprises petites et moyennes dont deux appartenaient
à des Italiens. L’un d’eux, Pierre Zangiacomi paraissait si bien intégré qu’il jugea
opportun de demander en 1912 la nationalité allemande.
Les matériaux utilisés étaient le calcaire blanc, gris ou jaune de préférence au grès
rose plutôt rare. L’alliance de la pierre et de la brique était assez fréquent (la poste).
Dans ce cas, le rez-de-chaussée et les encadrements étaient en pierre, les étages en
brique rouge, grise ou jaune. Tous les styles sont représentés: néo-gothique, néo-
renaissance, néo-classique, néo-baroque. Beaucoup de façades sont décorées de
pignons et de balcons en encorbellement. La maison du vétérinaire Koehring (sur
laquelle on peut encore lire la plaque de cuivre en allemand) est d’une luxuriance
gothique assez étonnante. L’immeuble, occupé actuellement par le Crédit Mutuel, est
construit en calcaire avec des lignes classiques assez sobres. Il est orné d’une tourelle
d’angle en léger décrochement par rapport au bâiment principal qui est supporté par
des pilastres ioniques lourds et chargés.
Les propriétaires résidaient habituellement dans leur demeure et louaient à plusieurs
locataires. Donnons un exemple caractéristique: aux numéros 1 et 2 de l’avenue des
Carolingiens, l’architecte Bergmeier ocupait un appartement et louait à cinq loca-
taires: un rentier, un commerçant, deux officiers et le directeur de l’usine à gaz. Le
maire Berkenheier qui avait quitté sa maison neuve pour le château de Guentrange,
louait des appartements à trois commerçants dont un disposait d’un local commercial,
à un capitaine et à un inspecteur des chemins de fer. Comme à Metz, ces apparte-
126
ments de la nouvelle ville étaient seulement accessibles à des personnes aisées ou à
des salariés disposant de revenus élevés. Les ouvriers et employés étaient relégués à
Beauregard ou dans la vieille ville. Quant aux immigrés, ils s’entassaient dans les
maisons les plus vétustes.
111. 3: Cahier des Charges, extrait Metzerseite
L’avenir paraissait radieux. Lors de leur passage, tous les personnages officiels ne
tarissaient pas d’éloges et prévoyaient un rapide développement de la ville. L’allocu-
tion prononcée en mai 1914 par le Statthalter von Dallwitz venant inaugurer l’Exposi-
tion des Arts et Métiers, des Arts Industriels, du Commerce, des Arts décoratifs et de
l’Horticulture, résumait un optimisme général.
Les projets allaient bon train. La société Roechling prévoyait la construction d’une
aciérie. Deux sociétés rhénanes, Phoenix et Gute Hoffnungshütte avaient acheté des
concessions minières et des terrains et envisageaient d’importants investissements
industriels. A brève échéance, Thionville allait devenir la "métropole du fer" (Eisen-
metropole). C’était ambitieux, car entre le rêve et la réalité, l’écart demeurait considé-
rable. Malgré les progrès réalisés et le doublement de la population, Thionville, avec
ses 15600 habitants, 25000 avec Basse-Yutz, restait une petite ville. A l’échelle du
Bezirk Lothringen, elle venait loin derrière Metz, un peu après Sarreguemines. A
127
l’échelle du Reich, c’était une toute petite ville et la comparaison avec Sarrebruck ou
les villes de la Ruhr ou de Saxe, était à cet égard, éloquente.
Commme à Metz, la déclaration de guerre de juillet 1914 arrêta net tout un élan. Les
chantiers furent interrompus et les projets industriels remis à des jours meilleurs.
Immédiatement, le militaire prit le pas sur toutes les autres préoccupations et le
général commandant la place forte concentra entre ses mains tous les pouvoirs.
Conclusion
Cette brève période - 1900-1914 - a été décisive pour l’avenir de Thionville. Les
urbanistes allemands ont dessiné le squelette d’une ville nouvelle, tracé les grands
axes, dégagé les directions de l’urbanisation future et implanté les services publics. Il
a fallu plus d’un demi-siècle pour que le cadre soit rempli et que l’urbanisation
s’engage dans d’autres conceptions. Thionville, grande ville, "métropole du fer", ce que
certains avaient entrevu ou rêvé avant 1914, les nazis ont, entre 1941 et 1944, songé
à le réaliser. Le grand Thionville (GroB-Diedenhofen) qui réunit à la ville neuf
communes voisines, serait l’embryon d’une ville de 100 000 habitants et plus qui
pourrait alors entrer dans le cercle des grandes villes allemandes. Un arrêté du
Gauleiter Bürckel prévoyait la planification de l’espace de Thionville et des architec-
tes et des urbanistes esquissèrent des projets qui restèrent lettre-morte. C’est pour-
quoi le plan d’urbanisme de 1902 reste à nos yeux essentiel, car il a donné au Thion-
ville du XXème siècle sa structure, l’aménagement de son espace, son réseau de
circulation et une partie de son patrimoine architectural. Ce fut une décision fondatri-
ce et les Thionvillois doivent être reconnaissants aux élus, aux employés municipaux,
aux urbanistes et aux architectes qui l’ont conçue puis mise en oeuvre.
128
Sigrid Schmitt
Saargemünd 1890 - 1918
Stadtplanerische Probleme einer Kleinstadt in Elsaß-Lothringen
Die politische und administrative Situation des Reichslands brachte auch für die
städtebaulichen Handlungsstrategien und -möglichkeiten der kleineren Städte spezifi-
sche Probleme mit sich. In der folgenden Untersuchung der Stadtplanung und Stadt-
entwicklung von Saargemünd zwischen 1890 und 1918 sollen die technischen und
administrativen Aspekte und Verfahrensweisen im Mittelpunkt stehen, an denen
beispielhaft einige allgemeinere Probleme der Reichslandstädte deutlich werden. Wie
weit nahmen die Vorgesetzten Behörden Einfluß auf die Stadtplanung? Welche
anderen externen und internen Einflüsse prägten die Stadtplanung? Folgte die
tatsächliche Bebauung den Planungsvorgaben?
Die Grundlage der Untersuchung bildet das Quellenmaterial des Stadtarchivs von
Saargemünd. Die Quellenlage ist für diese Periode sehr gut; neben den Planungs-
unterlagen für größere Alignementvorhaben liegt auch eine große Anzahl von Plänen
vor.
Kurzer Rückblick auf die Geschichte der Stadt Saargemünd
Die ummauerte mittelalterliche Stadt lag am Fuße des Schloßberges in einem Mäan-
der der Saar und hatte die Form eines unregelmäßigen Fünfecks. Die Hauptstraße
war Teil der alten Handelsstraße von der Lombardei nach Flandern. Nach der
Beseitigung der Wälle (1725) dehnte sich die Stadt nach allen Richtungen aus, vor
allem nach Osten (1748 Bau der Katholischen Kirche, 1784 Kaserne). Die bauliche
Ausdehnung auf das rechte Saarufer erfolgte nach der Errichtung der neuen Brücke
im Jahre 1832. Durch die Ansiedlung von zahlreichen Fabriken und Behörden begann
seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die industrielle und kommerzielle Entwicklung von
Saargemünd. So kann man sagen, daß Saargemünd seit dem 18. Jahrhundert eine
Stadt von wachsender administrativer und wirtschaftlicher Bedeutung war.1
Zur Zeit der Angliederung des Reichslandes Elsaß-Lothringen war Saargemünd eine
Kleinstadt; sie gehörte zum Bezirk Lothringen und war Hauptstadt des Kreises
Saargemünd. Ihr unterstanden 4 Kantone und 25 Gemeinden.2 Saargemünd war nun
keine Grenzstadt mehr. Sie hatte die Möglichkeit, sich schneller zu entfalten und zu
1 Henri Hiegel, Sarreguemines, principale ville de l’Est Mosellan, Sarreguemines 1972, S. 11
u. 13-16. Didier Hemmert, L’esprit d’entreprise à Sarreguemines au milieu du 19e siècle, in:
Les cahiers lorrains No. 1, 1987, S. 64f. Sylvie Bertrand, Sarreguemines. Deux places urbaines,
Nancy 1986.
2 Der Regierungsbezirk Lothringen, Statistisch-topographisches Handbuch, Verwaltungs-
schematismus und Adreßbuch, hrsg. v. G. Lang, Metz 1874.
129
entwickeln als andere lothringische Städte, da sie nicht durch militärische Auflagen
behindert wurde und sich durch ein rasches Bevölkerungswachstum auszeichnete,
verursacht durch die Immigration aus anderen deutschen Staaten, die Verstärkung der
Garnison und eine expandierende Wirtschaft. Die Wohnungsproduktion paßte sich
der bis 1890 stürmisch verlaufenden Bevölkerungsentwicklung an, wie Daten von
Volkszählungen zeigen (Abb. 1).
100000 3
100 “I-------------1 i i i i i
1871 1880 1890 1900 1910 1918
Janreszarii
—Anzahl der Einwohner —s*" bewohnte Häuser
Quelle: Staatshandbücher für Elsaß-Lothringen, 1870ff.
Abb. 1: Einwohnerzahl und Anzahl bewohnter Häuser in Saargemünd
Entwicklung des lokalen Baurechts in Saargemünd
Die städtebauliche Expansion erforderte Entscheidungen darüber, wie Ver-
größerungen der Städte durch Vorschriften zu kontrollieren und zu steuern waren.
Die Stadtplanung des 19. Jahrhunderts bedeutete in der Regel eine Stadterweiterung.
Durch die stürmische ökonomische und demographische Entwicklung war der Bedarf
an Flächen und Wohnraum sehr groß. Die unmittelbare Aufgabe der Stadterweite-
rung war es, neue Wohnungen zu schaffen und den Verkehr zu erleichtern.3 Zu den
wichtigsten Planungsinstrumenten, mit denen die Stadterweiterung durchgeführt
wurde, zählten erstens die Festlegung von Fluchtlinien, die öffentliche und private
Flächen voneinander trennten und den Verlauf und die Form der zukünftigen Plätze
3 Gerd Albers, Geistesgeschichtliche Entwicklung des Städtebaus, in: Medizin und Städtebau,
hrsg. v. P. Vogeler u. E. Kuhn, Bd. 1, Nr. 1, München 1957, S. 189. Reinhard Baumeister,
Stadterweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftlicher Beziehung, Berlin
1876.
130
und Straßen bestimmten, und zweitens die Aufstellung von baupolizeilichen Vor-
schriften, nach denen sich die Bebauung der privaten Flächen richtete,4
Bis 1870 gab es für die Städte des späteren Reichslands kein kodifiziertes Baurecht,
und die baupolizeilichen Bestimmungen beschränkten sich meistens auf eine Festle-
gung der Straßen- und Baufluchten. Im Rahmen dieser Restriktionen konnte der
einzelne Grundbesitzer beliebig vorgehen. Die deutsche Verwaltung änderte nichts
hinsichtlich der Anwendung des Baufluchtenrechts, das aus den Gesetzen des franzö-
sischen Straßenbauwesens übernommen wurde.5 Erst als die Expansion der Städte
die Ausbildung veränderter Normen zu einem unabweisbaren Bedürfnis gemacht
hatte, kam es zu einer weitgehenden Beschränkung der Baufreiheit.6
Auch die Stadt Saargemünd stand vor dem Problem, daß ortspolizeiliche Bestimmun-
gen zur Bewältigung städtebaulicher Aufgaben nicht ausreichten. Der Gemeinderat
beschloß, sich mit den übrigen Mittelstädten Elsaß-Lothringens in Verbindung zu
setzen, um den Landesausschuß zu einer Gesetzesänderung zu veranlassen.7 Da eine
allgemeine landeseinheitliche Bauordnung von der Regierung nicht ins Auge gefaßt
wurde, war eine baupolizeiliche Ordnung für die Mittelstädte unbedingt notwendig
geworden, Den Weg ortspolizeilicher Bauverordnungen hatten z.B. Straßburg (1892),
Mülhausen (1882), Schlettstadt und Colmar (1893) eingeschlagen.8 Die Frage der
Bauordnung mußte also von den Städten auf lokaler Ebene erörtert werden.
Bis zur endgültigen Lösung dieses Problems vergingen noch viele Jahre. Die Ver-
waltung von Saargemünd wollte dabei auch eine Regelung herbeiführen, die in
einheitlicher Weise die Verpflichtung der Stadt zum Bau neuer Straßen und die
Zuschußpflicht der Anlieger für den Bau der Straßen, Kanalisation und Wasser-
leitungen festlegte.9 Der Entwurf der Bauordnung wurde in mehreren Sitzungen der
Baukommission des Gemeinderats erörtert, und am 5. Juni 1899 trat die Bauordnung
nach der Genehmigung durch den Bezirkspräsidenten für die Stadt Saargemünd in
Kraft.10
Eine Analyse der Saargemünder Bauordnung zeigt, daß die in zahlreichen anderen
Städten als Vorbild benutzte Normal-Bauordnung von Reinhard Baumeister nicht als
Vorlage diente. Vielmehr orientierte sich der Text fast ausschließlich an der Straß-
4 Hans Jürgen Selig, Münchner Stadterweiterungen, München 1978, S. 12.
5 H. Pauli, Die Bezirke, Kreise und Gemeinden, in: Das Reichsland Elsaß-Lothringen, hrsg.
v. Georg Wolfram, Bd. II, 1. Teil, Verfassung und Verwaltung von Elsaß-Lothringen, Frank-
furt/M. 1936, S. 220f.
6 Rolf Wittenbrock, Bauordnungen als Instrumente der Stadtplanung im Reichsland El-
saß-Lothringen (1870-1918). Aspekte der Urbanisierung im deutsch-französischen Grenzraum,
St. Ingbert 1989, S. 45 u. 294.
7 Gemeinderatsbeschlußbuch (künftig: GRBB) v. 8. Okt. 1893.
8 Straßburger Correspondenz, Nr. 60, 21. Mai 1894.
9 GRBB v. 14. März 1896, Mitteilung über die Frage der Bauordnung. GRBB v. 9. Mai 1896,
Bauordnung.
10 Bauordnung von Saargemünd v. 5. Juni 1899.
131
burger Bauordnung von 1892, die sich wiederum eng an die 1882 für den Stadtkreis
Berlin konzipierte Bauordnung anlehnte.11 Die Saargemünder Bauordnung blieb un-
verändert bis nach dem Ersten Weltkrieg in Kraft.
Die Aufstellung des Bebauungsplans
Die Bauordnung diente als ein erstes Instrument der Stadtverwaltung zur Regelung
und Ordnung der stark angewachsenen Bautätigkeit der Stadt. Zur gleichen Zeit
erfolgte auch die Ausarbeitung des Bebauungsplanes. Die Ausarbeitung von Aligne-
ment- und Bebauungsplänen für die zur Besiedlung vorgesehenen Stadtflächen und
den Ausbau des Verkehrsnetzes stand seit 1893 im Mittelpunkt der Planungstätigkeit
der Gemeinde. Die Erstellung des städtischen Bebauungsplanes wurde am 1. August
1900 durch den Katasterfeldmesser Schittenhelm im Maßstab 1:2000 abgeschlossen
(Abb. 2).
Die Projektierung der Stadterweiterung erfolgte nicht in einem Zug, sondern setzte
sich aus mehreren Teilprojekten zusammen. An den Planaufstellungen waren neben
dem jeweiligen Stadtbaumeister, der sich mit der Erstellung der Pläne zu befassen
hatte, auch Anlieger, der Gemeinderat und höhere Beamte mit Anregungen und
Kritik beteiligt. Die Stadtbaumeister Saargemünds kamen aus ganz verschiedenen
Landesteilen des Deutschen Reiches, da in Elsaß-Lothringen eine Ausbildung dieser
Art nicht möglich war.12 Auch ihre Gehilfen und die Techniker stammten aus den
übrigen Gebieten des Deutschen Reiches und brachten die dort gesammelten Kennt-
nisse und Erfahrungen mit. Zudem hatte Bürgermeister Freudenfeld, der erste Be-
rufsbürgermeister der Stadt, die Verwaltungsbibliothek mit wichtigen Werken der zeit-
genössischen Fachliteratur gefüllt. Durch Zeitschriften und regen fachlichen Erfah-
rungsaustausch auf Tagungen verbreiteten sich Stadtplanungsstrategien und -normen
in kürzester Zeit.13 Außerdem wuchsen die Anforderungen an die für Planung und
Ausführung zuständige Stadtverwaltung. So war es durchaus üblich, städtische Erwei-
11 Wittenbrock (Anm. 6), S. 198. Der Saargemünder Text orientierte sich an der Straßburger
Bauordnung, war aber durch modifizierte bauhygienische Vorschriften an die Bedürfnisse
einer Kleinstadt angepaßt.
12 Berufebiographische Angaben nach den Personalakten im Stadtarchiv von Sarreguemines:
1878-1893 Anton Molz, geb. in Koblenz, vor 1878 als Bautechniker bei der Eisenbahndirek-
tion in Straßburg tätig. In Saargemünd wurden das Schulhaus in der Citestraße, das Amtsge-
richtsgebäude, der neue Friedhof und eine Reihe von Straßenanlagen von ihm projektiert und
ausgeführt.
1893-1897 Alois Berang, geb. im Elsaß; nach seiner Lehre arbeitete er als Bauführer bei der
Eisenbahn, war 1884-93 Assistent beim Gemeindebaumeister Ennen in Forbach und erhielt
in Saargemünd die Stelle eines Stadtbauführers.
1897-1899 Georg Hartmann, geb. in Geisenheim, studierte an der Technischen Hochschule in
Karlsruhe und arbeitete vorher als Architekt in Privatbüros in Elberfeld und München.
1899-1914 Paul Gläser, geb. in Chemnitz; Informationen über Ausbildung und Tätigkeit vor
der Anstellung in Saargemünd sind im Stadtarchiv Sarreguemines nicht aufzufinden.
13 Wittenbrock (Anm. 6), S. 296 u. 309.
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===== geplante Straßenanlagen
KOENIGREICH PREUSSEN
1 Forsthaus Buchholz 11 Amtsgericht
2 Wasserwerk 12 Kreisdirektion
3 Bezirksgefangnis 13 Kath. Schule
4 Hospital 14 Prot. Schule
5 Gymnasium, Realschule 15 Lazarett
6 Eisenbahndirektion 16 Oktroi
7 Bahnhof 17 Prot. Kirche
8 Rathaus 18 Kavallerie-Kaserne
9 Güterbahnhof 19 Infanterie-Kaserne
10 Kath. Kirche 20 Proviantamt
^eunktr01^
terungsprojekte zur Planung oder Begutachtung auswärtigen Experten vorzulegen.14
Da auch in Saargemünd solche Fachkontakte bestanden, läßt sich insgesamt folgern,
daß der deutsche Einfluß auf die Stadtplanung sehr groß war.
Die Beteiligung der Bürger an der Gestaltung des Platzes der Alten Kaserne
Bis 1872 hatte die Bevölkerung des Reichslandes die Möglichkeit zu entscheiden, ob
sie für Frankreich optierte und auswanderte oder ob sie zum Deutschen Reich
gehören wollte. In Saargemünd optierten ungefähr 200 Haushaltsvorstände für
Frankreich, aber davon wurden 92 Optionen annulliert, weil die betreffenden Perso-
nen das Land nicht verlassen hatten.15 Die Zahl der Optanten setzte sich vor allem
aus Arbeitern der Faiencerie, Angestellten und Beamten der französischen Ver-
waltung (Zoll, Polizei, Steuer usw.), Richtern und Anwälten zusammen.16 Eine große
Zahl von Saargemünder Bürgern entschied sich zu bleiben. Die Besetzung des Ge-
meinderats und die Liste der Höchstbesteuerten weist den Gemeinderatsbüchern
zufolge für die 70er und 80er Jahre eine starke Kontinuität auf. Hier finden sich in
den Jahren vor und nach 1870 immer dieselben Personen. Von den Honoratioren der
Stadt hatten zwar einige die französische Nationalität angenommen, wohnten und
arbeiteten jedoch in Saargemünd. Ein Vertreter dieser Gruppe war der Plüschfabri-
kant Emil Huber. Er sorgte ebenso wie andere Fabrikbesitzer (Utzschneider, Dur-
lach) dafür, daß seine Arbeiter, die für die französische Nationalität optiert hatten, in
französischen Zweigbetrieben untergebracht werden konnten.17 In Saargemünd war
er eine Persönlichkeit, die zwar am politischen Leben nicht teilnahm, sich aber auf
ökonomischem und kulturellem Gebiet stark engagierte. Andere Bürger der Stadt
akzeptierten die deutsche Nationalität und betätigten sich auch politisch. Der Fabrik-
besitzer Eduard Jaunez setzte sich als Bürgermeister von Saargemünd (1873-1877 und
1886-1887) für die Belange der Stadt ein und vertrat als Abgeordneter im Reichstag
von 1877-1890 die Angelegenheiten Lothringens.18
Die Saargemünder Bürger, die Einheimischen und die Immigranten, zeigten um die
Jahrhundertwende ein großes Interesse an folgendem, vom Gemeinderat vorangetrie-
benen Projekt: die Gestaltung des Platzes vor dem Bahnhof und die Überführung
über die Eisenbahn.
14 Christian Engeli, Stadterweiterungen in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Wilhelm
Rausch (Hrsg.), Die Städte Mitteleuropas im 19. Jahrhundert, Linz 1983, S. 62.
15 Hiegel (Anm. 1), S. 92. Insgesamt wurden 1483 Haushaltsvorstände in der Matrice des
contributions von 1870 aufgeführt.
16 AM Sarreguemines, Matrice des contributions 1870.
17 Henri Hiegel, L’option et l’émigration dans l’arrondissement de Sarreguemines de
1870-1914, in: Annuaire de la section d’histoire et d’arch. de la Lorraine, 1974, S. 90 u. 101.
18 François Roth, Les Lorrains entre la France et l’Allemagne. Itinéraires d’annexés, Metz
1981, S. 77f.
134
Der Platz vor dem Bahnhof wurde von der Alten Kaserne eingenommen (Abb. 3).
Diese war 1784 auf einem der Stadt gehörenden Areal mit finanzieller Hilfe der
Bürgerschaft und städtischen Mitteln errichtet worden; anschließend hatte die Stadt
die Neubauten der französischen Militärverwaltung überlassen.19
Ende des 19. Jahrhunderts genügte die Alte Kaserne mit ihren ungesunden und
schlechten Räumlichkeiten den militärischen Ansprüchen nicht mehr. Die Stadt
machte dem Militärfiskus den Vorschlag, das erforderliche Terrain für einen Neubau
zur Verfügung zu stellen und auch für die Errichtung der erforderlichen Gebäude zu
sorgen, wenn er bereit sei, den Platz der Alten Kaserne freizugeben. Dadurch erhielte
die Stadt die Möglichkeit, den Eingangsbereich vor dem Bahnhof zu verschönern.
Zudem hatte die Reichseisenbahnverwaltung die Absicht, bei der Einführung der Be-
ninger Linie in den Bahnhof und der Erweiterung des Bahnhofs selbst eine Über-
führung über die Bahngeleise von der an der Alten Kaserne liegenden Straße aus
durchzuführen. Dies war nur möglich, wenn das jetzt von den Kasemengebäuden in
Anspruch genommene Grundstück mitgenutzt werden konnte.20 Nach langen Ver-
handlungen über die finanzielle Abfindung und die Eigentumsverhältnisse kam es
schließlich zu einer Einigung zwischen Stadt und Militärverwaltung. Der Abbruch der
19 A Touba, Die Alte Kaserne von Saargemünd, in: Bulletin de la société des amis des pays
de la Sarre, 1934, Nr. 10.
20 GRBB v. 18. März 1895.
135
Alten Kaserne sollte aber erst erfolgen, wenn die neuen Gebäude und die Ersatz-
bauten fertiggestellt waren.21
Inzwischen mußte sich das Stadtbauamt über die künftige Gestaltung des Geländes
Gedanken machen. Da dies von größter Wichtigkeit für die Stadt war, wandte sich
Bürgermeister Loeper an Baurat Stübben in Köln. Dieser arbeitete einen Plan aus, in
dem er die Wünsche des Gemeinderates nach einem schönen Eingang vom Bahnhof
in die Stadt, der Anlage einer Rampe zu einer Eisenbahnüberführung, zwei Bauplät-
zen für monumentale Bauten und nach möglichst vielen Privatbauplätzen berücksich-
tigte (Abb. 4).22 Die Stadtväter waren weitgehend mit der Gestaltung des Geländes
einverstanden, aber die Nachteile des Bebauungsplanes waren augenfällig. Erstens
verliefen zwei Straßen direkt nebeneinander und zweitens blieb zwischen der Auffahrt
zur Brücke und der Vogesenstraße eine Fläche in Form eines Dreiecks offen, die sich
wegen des Geländeanstiegs nur schwer bebauen lassen würde.23 Diese Probleme
weckten auch das Interesse der Saargemünder Bürger, die zahlreiche Vorschläge für
die Platzgestaltung einbrachten. Es kam zu einer regen öffentlichen Diskussion, die
über Jahre hinweg in der Saargemünder Zeitung geführt und festgehalten wurde. Ein
sehr engagierter Artikelschreiber war der Mühlenbesitzer Emil Bloch (Abb. 5); er
schlug vor, auf dem Terrain eine Post und ein Landgericht zu bauen, und empfahl zur
Zierde der Stadt und aus gesundheitlichen Gründen eine Gartenanlage. Andere
wiederum forderten die Einrichtung eines Marktplatzes und die Errichtung einer
Markthalle, weil der alte Markt in der Stadtmitte zu klein sei.24
Bei der Aufstellung dieses Bebauungsplanes stießen viele Interessen aufeinander:25
1. Die Geschäftsleute der Stadt befürchteten durch die Errichtung neuer Geschäfts-
häuser in der Nähe des Bahnhofs extreme finanzielle Einbußen für ihre Wohnungen
und Läden. 2. Die Stadtväter hofften, durch den Verkauf der Grundstücke ihre hohen
Ausgaben decken zu können. Daher bevorzugten sie Pläne, in denen die Bauplätze
möglichst raumsparend angelegt waren. 3. Eine bequeme Verbindung des Geländes
der Alten Kaserne mit dem neuen, jenseits der Eisenbahnlinie entstandenen Stadtteil
war aus verkehrstechnischen Aspekten wünschenswert.
Die Gespräche über Korrekturen und Änderungen zogen sich bis in das Jahr 1910
hin. Inzwischen gab es im Gemeinderat Überlegungen, auf dem Gelände ein Landge-
richt zu erbauen. Diese Idee war schon 1881 auf dem Bezirkstag erörtert worden, als
ersichtlich geworden war, daß das alte Gebäude des Landgerichts den Ansprüchen
21 Saargemünder Zeitung v. 21. Dez. 1898 über den Kaufvertrag betr. Alte Kaserne v. 1. Dez.
1898. Die Kaserne sollte nach zwei Jahren abgerissen werden.
22 AM Sarreguemines, O 1/9, Erläuterungsbericht von Baurat Stübben v. 10. Nov. 1899.
23 GRBB v. 4. Dez. 1899.
24 Saargemünder Zeitung, Nr. 68, 21. März 1900. Saargemünder Zeitung, Nr. 80, 5. April
1900, Artikel von Bloch.
25 Saargemünder Zeitung, Nr. 53, 3. März 1901. Straßburger Bürgerzeitung, Nr. 89, 17. April
1900.
136
mehr genügte.26 Jedoch gelang erst 1910 nach langen Verhandlungen eine Einigung
zwischen dem Landesfiskus und dem Bezirk Lothringen, in der sich der Bezirk
entschloß, wegen der hohen Unterhaltungskosten des Landgerichtsgebäudes das
Eigentum an diesem der Landesverwaltung zu überlassen. Diese wiederum verpflich-
tete sich als Gegenleistung, einen Neubau auf eigene Kosten zu errichten. Da das
neue Dienstgebäude auch das Amtsgericht der Stadt aufnehmen sollte, erklärte sich
die Stadt bereit, ein Drittel des benötigten Bauplatzes an der Alten Kaserne unent-
geltlich an die Landesverwaltung abzutreten.27
Abb. 5: Skizze vom Platz der Alten Kaserne, angefertigt v. Emil Bloch, 1900
Die Erbauung dieses monumentalen Bauwerks erforderte eine andere Platzgestaltung.
Stadtbaumeister Gläser arbeitete deshalb 1910 einen neuen Bebauungsplan aus (Abb.
6), in dem die 1901 vorgesehene Verbindung zwischen Bahnhof und der Kreuzung
Kasernen- und Vogesenstraße, die sich s-förmig am Fuße der Parkstraßenrampe
entlangzog, aufgegeben wurde. Statt dessen wählte er eine rechtwinklig auf die Mitte
des Landgerichtsneubaus führende, breite Verbindungsstraße zwischen Herzog-Jo-
hann-Straße und Vogesenstraße. Für den Fußgängerverkehr waren in den Anlagen
vor dem Gerichtsgebäude Diagonalverbindungen geplant worden. Außerdem sah der
Stadtbaumeister vor, eine weitere Querstraße von der Chamborant- bis zur Vogesen-
straße zu schaffen, um die dazwischenliegende Fläche (Baublock IV) zur Bebauung
nutzen zu können.28
26 AM Sarreguemines, M 1/16, Metzer Zeitung, Nr. 267, 12. Nov. 1908.
27 AM Sarreguemines, M 1/16, Vertrag zwischen der Stadt Saargemünd und dem Landesfiskus
v. 10. Aug. 1910.
28 AM Sarreguemines, O 1/9, Erläuterungsbericht zum Bebauungsplan Alte Kaserne v. 1. Febr.
1910. Am 10. Sept. 1910 wurde der Bebauungsplan vom Bezirkspräsidenten genehmigt.
138
Für die Bebauung der Baublöcke wurden vom Ministerium folgende Forderungen ge-
stellt: Die Stadt verpflichtete sich, den Erwerbern der zu beiden Seiten des Terrains
für das Landgericht liegenden Bauplätze bei der Veräußerung die Bedingung auf-
zuerlegen, die zu errichtenden Gebäude, vornehmlich die dem Gericht zugekehrten
Fassaden, in einer der Lage entsprechenden Weise auszugestalten. Außerdem sollten
die Gartenanlagen, die nicht überbaut werden durften, nur nach den Plänen des
Kaiserlichen Ministeriums zur Ausführung gelangen.29 Die Forderung, die Pläne der
Abb. 6: Bebauungsplan für das Gelände der Alten Kaserne am Bahnhof,
angefertigt v. Stadtbaumeister Gläser 19IO30
Privatbauten an die Bauabteilung des Kaiserlichen Ministeriums einzusenden, ver-
ursachte beträchtliche Aufregung unter den Bürgern. Das Ministerium wollte gerne
Fassadenskizzen anfertigen, um ein einheitliches Platzbild im Sinne des Stadtbildes
von Nancy zu erreichen31, aber diese Bevormundung fand in Saargemünd nur wenig
Anklang. Die Vorschläge des Ministeriums zur Fassadengestaltung wurden nicht
ausgeführt, und der Gemeinderat beschloß, die Bauerlaubnis zu erteilen, wenn die
Gebäude entsprechend der besonderen Bedeutung des Landgerichtsplatzes errichtet
würden.32
29 AM Sarreguemines, M 1/16, (Anm. 26).
30 Auf den Plan des Stadtbaumeisters wurde nachträglich eine direkte Fußverbindung zum
Bahnhof eingezeichnet, die aber nicht realisiert wurde.
31 GRBB v. 17. Sept. 1910.
32 AM Sarreguemines, M 1/16, Sitzung des Gemeinderats v. 26. März 1912.
139
Die Gestaltung des Landgerichtsgebäudes lag in den Händen des Ministeriums für
Landwirtschaft und öffentliche Arbeiten. Der Gemeinderat hatte nur Fotografien
eines Gipsmodells gesehen und war über den nüchternen Kasernen- und Fabrikgebäu-
destil ziemlich entrüstet.33 Die Stadtväter wünschten sich einen wirkungsvolleren und
schöneren Bau, ähnlich dem des Oberlandesgerichtes von Colmar. Zumindest aber
wollten sie die Säulenstellung vor dem Mittelrisalit der Hauptfront gerne beibehalten.
Die Regierung allerdings tendierte aus finanziellen Gründen zu einer Architekturform
ohne kostspielige Ornamente. Sie bevorzugte eine würdige Schlichtheit, ähnlich den
beiden Ministerialgebäuden am Kaiserplatz in Straßburg.34 Schließlich erkannte sie
aber doch das Bedürfnis der Saargemünder Bürger nach einer eindrucksvollen Portal-
gestaltung an, weil dadurch dem Bauwerk ein würdigeres und monumentaleres Aus-
sehen verliehen und der Eingang zur Stadt aufgewertet würde.35
Nach dem Ersten Weltkrieg stellte sich bald heraus, daß das Landgerichtsgebäude zu
groß geplant worden war. In den freien Zimmern wurden Abteilungen der Stadtver-
waltung untergebracht, die bislang in militärischen Bauten Quartier bezogen hat-
ten.36 Auch heute noch überrascht dieses Gebäude und die umgebende Platzarchi-
tektur den Besucher durch seine Monumentalität.
Debatte um die Bebauung des Geländes zwischen Bergstraße und Wustweilerstraße
Dieses Stadtviertel im Südwesten der Stadt zwischen der Bergstraße und der Wust-
weilerstraße wurde wegen des steilen Anstiegs des Geländes lange Zeit spärlich
bebaut und nur von zwei Ausfallstraßen, der Bergstraße und dem Hambacherweg,
durchzogen.
Im Jahre 1895 wurde die Ausarbeitung eines Alignementsplanes dringend notwendig,
da in diesem bislang durch die Eisenbahnlinie von der übrigen Stadt getrennten
Gebiet in den 80er Jahren viele neue Wohnhäuser entstanden. Aufgrund des Baus
einer weiteren Eisenbahnlinie nach Beningen 1894 und der Erweiterung des Emp-
fangsgebäudes schlug die Reichseisenbahnverwaltung aus sicherheitstechnischen Über-
legungen den Bau einer Überführung von der alten Kaserne bis zu der Straße, die zur
Closerie führte, vor.37 Der Gemeinderat nahm die Angaben der Eisenbahnver-
waltung über die Rampen- und Brückenanlage zur Kenntnis und beauftragte darauf-
hin Stadtbaumeister Bérang, mit diesen Daten einen Alignement- und Nivellement-
plan für die neu anzulegenden Straßen zwischen der Bergstraße und dem Hamba-
33 AM Sarreguemines, M 1/16, Sitzung des Gemeinderats v. 11. Aug. 1911.
34 AM Sarreguemines, M 1/16, Verhandlung v. 17. Sept. 1910.
35 AM Sarreguemines, M 1/16, Sitzung des Gemeinderates v. 22. Sept. 1910.
36 AM Sarreguemines, M 1/16, Resolution von Bürgermeister Nominé v. 27. Sept. 1926.
37 AM Sarreguemines, GRBB v. 8. Nov. 1894 und O 1/2960 Bericht des Bürgermeisters
Wemeke von 1903 (ohne genaues Datum).
140
cherweg auszuarbeiten.38 Dieser 1896 von ihm angefertigte Plan folgte weitgehend
den traditionellen Methoden der Stadterweiterung und beschränkte sich auf ein
rechtwinkliges Muster. Zum einen wurde damit beabsichtigt, eine bequeme Ver-
bindung zwischen der Bahnhof- und der Bergstraße zu schaffen, um den Schülern und
dem Lehrpersonal des Gymnasiums und der Realschule den Umweg durch die
Innenstadt zu ersparen; zum anderen schuf die Erschließung dieses Teils der Stadt ein
schönes Bebauungsgebiet.39 Nach einer Verfügung des Gemeinderats sollte dieses
Gebiet von Geschäftshäusern, Mietskasernen und Fabriken, "die lautes Geräusch
verursachen und starken Rauch entwickeln", weitgehend frei bleiben.40 Diese geplan-
te Bebauung war für den in Aussicht genommenen Hospitalbau von Bedeutung. Der
Plan von Stadtbaumeister Hartmann 1898 verband das Terrain für das geplante
Hospital mit der Kerb- und der Bergstraße; diese Verbindungen verliefen alle in
gerader Richtung und überzogen das Gelände mit einem Netz aus Rechtecken. Ein
kleiner Schmuckplatz und die Vorgärten sorgten für die Begrünung und Durchlüftung
des Stadtteiles. Stadtbaumeister Hartmann zeigte mit diesem Entwurf, wie man es
nicht machen sollte. Das Gelände war völlig ungeeignet für diese Art der
Straßenführung, da zu viele Aufschüttungen und Abtragungen notwendig gewesen
wären, um diesen Plan auszuführen.
Auch der Gemeinderat gab sich mit diesem Plan nicht zufrieden und wandte sich hil-
fesuchend an den Baurat Stübben. Dieser besuchte im Januar 1899 Metz und unter-
brach seine Rückreise nach Köln zu einer kurzen Besichtigung von Saargemünd.41
Stübben wird zu den Gründern der Städtebaudisziplin gezählt. Sein Ziel war eine
technisch und sozial funktionierende Stadt, ein "ordentliches Ganzes"42, in dem
neben der Verkehrsfrage in erster Linie die Wohnungs- und Bodenfrage technisch
gelöst werden sollte. Dies ließ sich aber nur durch eine umfassende Stadtplanung
erreichen.43 Stübbens Handbuch des Städtebaus44 konzentriert sich auf Darstellun-
gen der städtebaulichen Entwurfselemente zeitgenössischen Städtebaus und der
verschiedenen Straßen- und Platzformen. Dabei berücksichtigte er auch künstlerische
Zielsetzungen.45
38 GRBB v. 10, März 1896.
39 AM Sarreguemines, O 1/3, Bericht betr. Baufluchtenplan v. 28. Okt. 1896.
40 AM Sarreguemines, O 1/3, Gemeinderatssitzung v. 15. Juli 1898.
41 AM Sarreguemines, O 1/9, Schreiben Stübbens an den Bürgermeister v. 21. Jan. 1899.
42 J. Stübben, Über Stadterweiterung, in: Deutsche Vierteljahreszeitschrift für öffentliche
Gesundheitspflege 1886, S. 11.
43 Gerhard Fehl, Stadtbaukunst contra Stadtplanung, in: Stadtbauwelt 65 (1980), S. 38.
44 J. Stübben, Der Städtebau, Darmstadt 1890.
45 Helmut Holl, Gestaltungsregeln im neueren Städtebau, München 1982, S. 19.
141
Seine Vorstellungen schlugen sich erwartungsgemäß in der Bewertung zum Bebau-
ungsplan für die Stadt Saargemünd nieder.46 Statt der geraden Linien des Stadtbau-
amtes sah er für das hügelige Gelände eine mehr landschaftliche, parkartige Gestal-
tung mit gekrümmten Straßen vor, die sich dem Gelände möglichst anpaßten (Abb.
7). Da die Kerbstraße nicht bis zur Bergstraße geradeaus geführt werden konnte, weil
sie dann zu steil würde, führte sie zum Parktor und stieg von dort in einer weiten
Kurve langsam an. Der Stadtpark nahm in seiner Skizze die Mitte des der Stadt
gehörenden Geländes ein, das im Westen durch das Hospitalgebäude seinen Abschluß
fand. Schwierigkeiten ergaben sich vor allem durch die Höhenunterschiede, die aber
von Stübben geschickt in die Gestaltung der Parkanlage einbezogen wurden. Sein Plan
konnte auch die auf dem Huberschen Anwesen projektierten und z. T. schon in An-
griff genommenen Straßenzüge mit einbeziehen.
Am 6. Juli 1899 wurde der Bebauungsplan vom Gemeinderat angenommen und ge-
mäß der gesetzlichen Vorschrift zu einer vierwöchigen Untersuchung ausgelegt. Die
weitere Ausarbeitung erfolgte nicht durch Baurat Stübben, sondern durch das Stadt-
bauamt, dessen neu eingestellter Stadtbaumeister Gläser auf der Grundlage der Vor-
arbeiten von Stübben im Jahre 1900 den Bebauungsplan "In der Kerb" vorlegte.47
Mit der Ausführung ging es nur langsam voran, wobei immer klarer wurde, daß die
Terraingestaltung südlich der Bergstraße zur Bebauung sehr ungünstig war und eine
umfangreiche Geländeregulierung erforderte. Aus diesem Grund verteuerte sich nicht
nur der Straßenbau, auch die Bautätigkeit wurde gehemmt. Daher beschloß 1911 der
Gemeinderat, das Projekt etwas abzuändem: Das Gelände des Parks vergrößerte der
Stadtbaumeister durch Aufgabe der projektierten Straße innerhalb der Grünanlagen
aus repräsentativen und gesundheitlichen Erwägungen und verringerte so zugleich die
Kosten. Neu war die Idee, bei der Bemessung der Straßenbreite und Querprofile den
neuzeitlichen Grundsätzen Rechnung zu tragen und mit dem Prinzip einer durch-
gängig 12 m breiten Straßenanlage im Interesse des Ortsbildes zu brechen. Das neue
Straßenlängenprofil setzte sich nicht nur aus Geraden, sondern auch aus Kurven
zusammen; diese Anordnung hatte nicht nur den Vorteil, größere Abtragungen zu
umgehen, sondern bot auch eine angenehme Abwechslung des bislang streng geome-
trischen Straßenbildes. Außerdem gelang es, eine Verbesserung der Raumwirkung der
Straße im Sinne von Schultze-Naumburg zu erzielen. Paul Schultze-Naumburg,48 von
den Ideen des Stadtbaukunsttheoretikers Camillo Sitte geprägt, war ein Vertreter der
Denkmal- und Heimatschutzbewegung des frühen 20. Jahrhunderts. Die Forderungen
46 AM Sarreguemines, O 1/3, Schreiben Stübbens an Loeper v. 30. April 1899.
47 AM Sarreguemines, O 1/3, Beschreibung des Alignements "In der Kerb" v. 4. April 1900.
48 Paul Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten, Bd. IV: Städtebau, München 21909.
142
Abb. 7: Skizze zu einem Bebauungsplan für die Kerb, J. Stübben 1899
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wmm Summ
BEBAUUNGSPLAN
Sektion 8.
Z*IMhn ßtrysfrusr - K'sffHTft'rsÄ'ijif
FltfMt nt Frstm Bttkkli
Abb. 8: Bebauungsplan zwischen Berg- und der Wustweilerstraße, Gläser 1914
143
dieser Bewegung49 richteten sich auf die Erhaltung und Pflege kultureller Traditio-
nen verbunden mit den Errungenschaften des technisch-industriellen Fortschritts.
Die vorgesehenen Straßenanlagen von Stadtbaumeister Gläser ermöglichten in der
Hauptsache eine günstige Verwertung der Grundstücke und einen billigen Straßen-
bau, genügten aber auch ästhetischen Aspekten. Über den weiteren Ausbau der
Straßen machte sich der Gemeinderat noch keine Gedanken, denn die Entwicklung
Saargemünds schritt nur langsam voran. Die Ausführung sollte je nach Bedürfnis und
Maßgabe der vorhandenen Mittel erfolgen (Abb. 8).50
Der Bebauungsplan für das Gelände von der Bergstraße bis zum Hambacherweg sah
auch die Ausdehnung der Straßen vom Hambacherweg bis zur Wustweilerstraße vor.
Dabei konnte der privat aufgestellte Bebauungsplan für das Gelände, das der Seiden-
händler Huber erworben hatte, um seine Villa und seinen Park darauf zu errichten,
miteinbezogen werden.51 Dieser private Bebauungsplan existiert jedoch nur noch in
den städtischen Bebauungsplänen. Sonstige Informationen über den Urheber, den
Zweck und die Verwendung lassen sich nicht ausmachen. Der den Blauberg betreffen-
de Teil des 1914 angefertigten Planes zeigte nicht mehr die für 1900 so typischen
rechtwinkligen Formen (Abb. 2), sondern bevorzugte eine geschwungene Straßenfüh-
rung.
Der Erläuterungsbericht von Gläser sah eine Verbindung entlang der Bahn, zwischen
Bergstraße und Wustweilerstraße, vor. Dabei schnitt die projektierte Straße die nord-
östliche Ecke des Huberschen Anwesens. Dies stieß bei dem Eigentümer Huber auf
wenig Verständnis, da damit nach seiner Ansicht der schönste Teil seines Parks
zerstört werden würde. Er selbst machte deshalb dem Gemeinderat einige Vorschläge,
wie man den Schaden an seinem Eigentum möglichst gering halten könnte.52 Ob-
wohl der Stadtbaumeister Gläser der Ansicht war, in Zukunft auf diese Straße nicht
verzichten zu können, da bereits kleinere Ansiedlungen auf dem Berggelände ent-
standen waren, beschlossen Baukommission und Gemeinderat die Beschränkung des
Bebauungsplanes auf das Terrain zwischen Bergstraße und Hambacherweg.53 Damit
war der Einspruch Hubers gegenstandslos.
Die Bebauung des Blaubergs wurde immer wieder hinausgezögert. Nur einige Projek-
te wurden durchgeführt, wie z.B. das Lyzeum, das Bezirkskommando, die Eisenbahn-
49 Helmut Böhme, Stadtgestaltungslehre contra Stadtplanungswissenschaft, in: Die Alte Stadt,
2-3 (1989), S. 144. Praktischen Niederschlag fanden diese Vorstellungen in den verschieden-
sten Ortsstatuten, die um 1900 vermehrt in den Städten im Interesse der Orts- und Denkmals-
pflege erlassen wurden, z.B. das Ortsstatut zum Schutz des Ortsbildes von Saargemünd von
1912.
50 AM Sarreguemines, 01/4, Erläuterungsbericht von Gläser über die Abänderung des Bebau-
ungsplanes v. 28. März 1914.
51 Katastermutterrolle, Nr. 1005; Emil Huber erwarb die Parzellen auf dem Blauberg (unge-
fähr 20 ha) in der Zeit von 1869-1903.
52 AM Sarreguemines, O 1/3, Einspruch von Jean Emile Huber v. 17. April 1913.
53 AM Sarreguemines, O 1/3, Schreiben Gläsers an den Bürgermeister v. 30. Jan. 1914; Sitzung
des Gemeinderates v. 10. Febr. 1914.
144
direktion und verschiedene Straßen (Parkstraße, Paulinastraße, Schulstraße). Hier läßt
sich deutlich der gründerzeitliche, deutsche Einfluß in der Architektur der Häuser
erkennen. Erst in der Zwischenkriegszeit erschloß die Stadt das Gelände und sorgte
mit einer lockeren Villenbebauung und großen Gärten für ein angenehmes Bild. Bis
in unsere Zeit finden sich in diesem Viertel keine Fabriken oder Geschäftshäuser, so
daß der Blauberg heute, wie es geplant worden war, als ein reines Wohngebiet exi-
stiert, das mit seinem Park die grüne Lunge der Stadt bildet.
Die städtebauliche Entwicklung Saargemünds erlebte in der Zeit der deutschen Ver-
waltung einen gewaltigen Aufschwung, verbunden mit einem großen Bevölkerungs-
wachstum und einer regen Bautätigkeit. Mit Hilfe von Bebauungsplänen und der
Bauordnung versuchten die Stadtväter diese bauliche Entwicklung zu kontrollieren
und zu steuern. Die Projektierung erfolgte nicht an einem Stück, sondern setzte sich
aus mehreren Teilprojekten zusammen. Die Verfasser der Pläne, die stark von
deutschen Städtebautheorien beeinflußt wurden, versuchten ihre Ideen zu verwirkli-
chen, wobei sie jedoch oft Kompromisse hinsichtlich finanzieller, topographischer und
lokaler Gegebenheiten der Kleinstadt schließen mußten. Von einem Eingreifen
Vorgesetzter deutscher Behörden in planerische Angelegenheiten der Stadt Saar-
gemünd konnte keine Rede sein. Ihre Rolle beschränkte sich auf die Genehmigung
der Projekte, für die sie auch die Finanzierung sicherten (z.B. Landgericht).
Der Erste Weltkrieg unterbrach bald darauf die Realisierung zahlreicher Planungs-
ansätze. Trotz der auf einen völligen Bruch mit der Reichslandzeit gerichteten franzö-
sischen Politik der Zwischenkriegszeit wurde in den 20er und 30er Jahren an die
Planungen des Kaiserreiches unmittelbar wieder angeschlossen. Besonders deutlich
wird dies bei der Betrachtung des Geländes rechts der Saar zwischen Blies, Saar und
der Grenze zu Neunkirchen. Heute wird auch dort das Stadtbild von den damals
geplanten Straßen geprägt.
145
146
Jean-Jacques Cartai
L’Extension de Metz, la ville comme paysage
L’extension de Metz hors ses murs se fit à partir de 1903 sous la direction d’un
architecte allemand Konrad Wahn. 11 y mettra en application d’une manière exem-
plaire les théories urbanistiques allemandes de la deuxième moitié du 19ème siècle.
Enoncé dans les ouvrages de Baumeister, Sitte et Stübben, l’art de bâtir les villes
devait tenir compte à la fois des aspects fonctionnels, hygiéniques, juridiques, écono-
miques et esthétiques. C’est l’aspect esthétique et son rapport avec l’art du paysage,
tel qu’il fut élaboré au 18ème siècle, qui retiendra ici notre attention.
Le principe de l’unité dans la diversité
Le principe esthétique fondamental avancé dans les traités d’urbanisme allemands du
19ème siècle est celui de l’unité dans la diversité. Il est énoncé tel quel en 1876 par
Reinhard Baumeister dans son ouvrage "Stadterweiterungen in technischer, baupoli-
zeilicher und wirtschaftlicher Beziehung".1 Dans ce traité il déclare: "Das ästhetische
Grundgesetz der Einheit in der Mannichfaltigkeit (sic) ist auch von einem Stadtplan
oder wenigstens von dessen einzelnen Bezirken zu fordern".2
En disant cela, Baumeister reprend à propos de l’art urbain un principe avancé par
Gustav Theodor Fechner la même année dans "Vorschule der Ästhetik".3 Fechner
faisait la constatation suivante: afin de retenir l’attention d’un observateur, un sujet
doit présenter une certaine diversité. Dans le cas contraire l’activité perceptive suscite
une impression de monotonie, d’uniformité, d’ennui, de vide, de pauvreté qui incite
l’observateur à se tourner vers un autre sujet. Il est cependant nécessaire que les
différents éléments composant le sujet soient reliés par des aspects communs pour
éviter l’impression de dispersion, d’absence d’unité qui à leur tour conduiraient au
désintérêt. Selon Fechner, une oeuvre d’art nous plaira à la fois par ses parties
constitutives qui s’enchaînent et par la diversité des éléments présentés. "Das sind
thatsächlich verschiedene Seiten des Gefallens, die beim vollen Genügen Zusammen-
treffen müssen"4 remarque l’auteur et il poursuit ainsi: "dass der Mensch, um Gefal-
len an der receptiven Beschäftigung mit einem Gegenstände zu finden - denn mit der
activen befasst sich die Aesthetik wesentlich nicht - eine einheitlich verknüpfte
1 Reinhard Baumeister, Stadterweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftli-
cher Beziehung, Berlin 1876.
2 Baumeister (N. 1) = voir Note 1, p. 97.
3 Gustav Theodor Fechner, Vorschule der Ästhetik, Leipzig 1876.
4 Fechner (N. 3), 3ème édition 1925, p. 54.
147
Mannichfaltigkeit daran dargeboten finden muss"5. L’auteur désigne par "relation
unitaire de la multiplicité" une correspondance qui lie les parties d’un ensemble selon
certaines modalités tout en permettant une divergence selon d’autres modalités.
Fechner conclura: "An sich kann einheitliche Verknüpfung nicht ohne Mannich-
faltigkeit bestehen, denn ohne solche hätten wir einfache Identität".6
Camillo Sitte dans son "Art de bâtir les villes", publié en 18897 se réfère implicite-
ment à ce principe lorsqu’il s’exclame: "Trois places et trois paysages urbains diffé-
rents les uns des autres et formant chacun un ensemble harmonieux".8 En même
temps apparaît ici l’idée d’une ville qui se présente au spectateur comme une succes-
sion de vues différenciées.
Il en va de même pour Joseph Stübben. Lui aussi écrit en 1890 dans son "Städtebau":
"Dabei ist das ästhetische Grundgesetz von der Einheit in der Mannichfaltigkeit
niemals zu verleugnen"9 et il requiert des perspectives agréables et des points de vue
fascinants.
On peut constater que les trois auteurs, Baumeister, Sitte et Stübben fondent l’esthéti-
que urbaine sur un même principe. Nous sommes confrontés en même temps à une
esthétique qui rejoint l’art du paysage. La ville est considérée comme une succession
de tableaux variés et identifiables que traverse un spectateur. Camillo Sitte fera même
ressortir à leur propos le rôle social qu’ils sont susceptibles d’assurer. Il parle de la
fierté des habitants et de leur sentiment d’appartenance à une communauté.
Metz pittoresque
Commencée en 1903 l’extension de Metz (111. 1) offre une remarquable application
des principes esthétiques qui sous-tendent l’art urbain allemand de cette époque. A
titre d’exemple on pourrait citer à Metz les lieux suivants: le Ring (actuelle Avenue
Foch) (111. 2-3), son débouché sur le canal (actuellement extrémité de la bretelle de
raccordement avec l’autoroute A 31), le parc urbain en bordure de canal (entre
Boulevard Clemenceau et canal), et le quartier d’habitation qui jouxte le parc (actu-
ellement Rue Migette, Rue Bossuet, Rue Paul Ferry, Rue du Génie). Ils offrent des
tableaux variés. Chaque tableau se présente comme un tout identifiable.
Le Ring constitue la limite entre la ville ancienne et l’extension. C’est une avenue
urbaine atteignant 45 mètres de large. Elle offre un espace vert central planté d’une
double rangée d’arbres. Cette avenue est bordée d’un côté par des grands immeubles
de commerce et de rapport mitoyens de 18 mètres de haut. Elle est bordée de l’autre
côté de villas urbaines isolées ou jumelées dont la taille concorde avec le tissu ancien
5 Ibid.
6 Ibid., p. 55.
7 Camillo Sitte, L’art de bâtir les villes. Traduction de D. Wieczorek. Ed. de l’Équerre, 1980.
8 Sitte (N. 7), p. 63.
9 Joseph Stübben, Der Städtebau. Reprint de la 1ère édition, Braunschweig und Wiesbaden
1980, p. 51.
148
adjacent. Ici la hauteur est de l’ordre de 12 mètres. Ces constructions présentent un
jardinet entre façade et trottoir. Ainsi le Ring offre deux visions différentes de la ville.
L’identité de chaque tableau est préservée dans ce cas précis par le rideau d’arbres
qui les sépare visuellement. L’unité de l’ensemble est garantie par les alignements et
des prescriptions relatives à la hauteur des immeubles. La variété est introduite par
le traitement architectural particulier de chaque construction.
111. 1: Le Plan d’extension de Metz 1903
149
A son extrémité le Ring débouche sur les bords du canal et offre une vue sur les
coteaux boisés de l’autre côté de la Moselle qui contrastent avec le tissu urbain que
nous venons de quitter. Le bord du canal était et est toujours occupé par un parc
urbain de style paysager qui profite de la proximité de l’eau. Là aussi une vue est
offerte sur les coteaux de Moselle au niveau du Boulevard Saint-Symphorien. Dans
ces deux cas on tira parti du génie du lieu pour créer des tableaux intéressants.
Baurat Heidegger, dans un article de la Metzer Zeitung n° 139 en date du 18 juin
1901, s’exprime ainsi à propos de l’actuel Boulevard Clemenceau: "Wird diese Strasse
eine der herrlichsten Promenadenstrassen der Welt werden und auf ihrem Lauf von
der Mittelbrücke bis zum Botanischen Garten eine fortdauernde Reihe der herrlich-
sten, wechselreichsten Landschaftsbilder zeigen wie selten eine Stadt solche wird
aufweisen können".
Les rues du quartier de villas situées au bord du canal se différencient nettement de
l’avenue urbaine qui limite ce quartier. L’avenue en question est celle de Nancy. Elle
est bordée d’immeubles de rapport mitoyens de cinq niveaux (111. 4). Des plantations
d’alignement soulignent son caractère d’avenue. Elle mesure 25 mètres de largeur.
L’introduction de petits commerces, la largeur des trottoirs qui permet actuellement
l’installation de marchés, contribuent à diversifier cet espace. On doit noter que la
diversification architecturale est favorisée réglementairement. Par exemple, les
dépassements de hauteur autorisés aux carrefours induisent leur marquage. La tolé-
rance de légers dépassements sur l’alignement par des petits éléments architecturaux
tels que les balcons et oriels permet la diversification des façades.
Les rues du quartier d’habitations individuelles adjacent présentent des maisons de
trois niveaux; la largeur des rues est de 10 mètres (11!. 5). Dans ce quartier l’unité de
l’ensemble est générée par le mode d’occupation du sol fixé réglementairement (co-
efficient d’utilisation du sol - hauteur maximum - nombre d’étages). Ce quartier était
réservé à l’origine exclusivement à l’habitat individuel sous forme discontinue ou con-
tinue dans une limite de 50 mètres, avec l’obligation d’un jardin devant la maison. La
diversité des rues de ce quartier provient de la variation des masses constructives à
l’intérieur d’une fourchette prescrite, elle relève aussi du traitement particulier de cha-
que maison et de son jardin. Cette variété s’inscrit dans un registre formel identifiable
par une population venue d’Allemagne de fraîche date.
D’autres séquences d’espaces comme ceux conduisant de la Place de la Gare à l’ac-
tuelle Place Mondon témoignent de l’habileté et des savoir-faire dont font preuve les
urbanistes de cette époque.10 Parmi ceux-ci il importe de souligner ceux qui ont trait
à la clôture visuelle de l’espace et aux transitions d’un espace à un autre (111. 6-7). Les
deux sont liés. La première condition pour qu’un espace soit lisible relève de la con-
stitution de ses limites matérielles, donc d’une clôture visuelle afin que le regard ne
s’échappe pas. Les moyens sont divers: clôture frontale comme le démontre une
perspective du quartier de villas ou courbure de la voie commme c’est le cas pour le
10 Voir à ce sujet: Dominique Laburte, Jean-Jaques Cartai, Paul Maurand, Les villes pittores-
ques. Etude sur l’architecture et l’urbanisme de la ville allemande de Metz entre 1870 et 1918,
Villers-les-Nancy 1981.
150
111. 2: Le Ring. Immeubles
de rapport et de com-
merce
111. 3: Le Ring. Villas urbaines
151
Ring. L’effet de limite peut être aussi obtenu par une clôture partielle. C’est le cas du
retour des immeubles de l’Avenue de Nancy lorsqu’une rue du quartier de villas dé-
bouche sur cette avenue. Le resserrement des constructions et leur plus grande hau-
teur à cet endroit, produit un effet de porte qui assure la transition entre la zone ur-
baine dense et la zone d’habitat individuel de faible densité. Dans ce même ordre
d’idées, nous avions montré que le Ring planté assurait la transition entre deux par-
ties différentes de la ville. Il va de soi que la maîtrise des transitions est une nécessité
impérieuse lorsqu’on introduit délibérément la variété dans la ville et que l’on souhai-
te préserver l’harmonie de l’ensemble.
Urbanisme pittoresque et art du paysage
Produire des tableaux variés, respecter le principe fondamental relatif à "l’unité de
l’ensemble et la liaison des rapports"11 nous ramène à l’art du paysage tel qu’il est
envisagé au 18ème siècle dans les jardins paysagers. Développé d’abord en Angleterre
cet art du paysage gagne rapidement le continent. Christian Cay Lorenz Hirschfeld y
consacre son ouvrage volumineux "Théorie der Gartenkunst" publié en 1779 à Leipzig.
En France l’oeuvre du Marquis René Louis de Girardin publiée en 1777 fournit des
exemples particulièrement prégnants pour établir un parallèle entre art du paysage et
art urbain tel qu’il est envisagé en Allemagne à la fin du 19ème siècle.
Le titre de l’ouvrage de Girardin est le suivant: De la composition des paysages, ou
des moyens d’embellir la nature autour des habitations, en joignant l’agréable à l’utile.
Nous retiendrons "l’agréable et l’utile" et remarquerons à propos de ce titre qu’un
siècle plus tard Sitte et Stübben conviennent de leur côté que la beauté des villes
devrait constituer un des modes de résolutions des problèmes qu’elles posent. En
particulier pour Stübben la beauté en matière de planification est parfaite convenance
aux exigences techniques et fonctionnelles.
Poussons un peu plus loin l’analyse de l’oeuvre de Girardin. Pour lui un aménagement
paysager doit présenter une nature "toujours piquante par ses variétés infinies".12
C’est une réaction à la monotonie et la "froide symétrie"13 qui caractérisent selon
Girardin les jardins réguliers. D’un autre côté, il requiert que 'Tous les objets qui
peuvent être aperçus du même point doivent être entièrement subordonnés au même
tableau, n’être que des parties intégrantes du même tout, et concourir par leur
rapport et leur convenance à l’effet et à l’accord général".14 Ces remarques de Gi-
rardin mettent bien l’accent sur la diversité et l’unité en tant que principe esthétique.
On ne peut s’empêcher de rapprocher la dernière déclaration de Girardin d’une
remarque de Sitte qui précise: "N’est important pour l’art que ce qui peut être vu et
11 René Louis Marquis de Girardin, De la composition des paysages. Reprint de l’édition
originale 1777. Edition du champ urbain Paris 1979, p. 35.
12 Girardin (N. 11), p. 13.
13 Girardin (N. 11), p. 12.
14 Girardin (N. 11), p. 25.
152
\)mm*
111. 4: Avenue de Nancy
111. 5: Transition entre Ave-
nue de Nancy et la
Rue Paul Ferry
153
embrassé du regard, c’est-à-dire chaque place ou chaque rue prise séparément".15
En d’autres mots, qu’il s’agisse du jardin paysager ou de la ville paysage, l’ordre
spatial à instaurer n’est pas nécessairement le même pour des espaces qui ne peuvent
pas être perçus en même temps.
Une autre exigence exprimée à propos de l’art urbain par Sitte et Stübben, comme
le génie du lieu qu’il convient d’utiliser pour produire la variété souhaitée, plutôt que
de bouleverser les terrains, constituait un leitmotiv du jardin paysager. Girardin
l’exprime ainsi: "Contentez-vous donc toujours de ce que la nature vous donne, sachez
vous passer de ce qu’elle vous refuse".16
Une déclaration de Girardin à propos des fabriques et constructions dans un jardin
paysager retient notre intérêt à savoir: "C’est donc l’effet pittoresque qu’il faut
principalement chercher pour donner aux bâtiments le charme par lequel ils peuvent
séduire et fixer les yeux. Pour y parvenir, il faut d’abord choisir le meilleur point de
vue pour développer les objets et tâcher, autant qu’il est possible, d’en présenter
plusieurs faces".17 Cette exigence constitue en quelque sorte le pendant à celle
exprimée par Camillo Sitte, lorsqu’il cite en exemple la "sage économique des an-
ciens"18 qui utilisaient un même édifice public pour la fermeture de plusieurs espa-
ces.
Cette possibilité fut mise en oeuvre à Metz. La poste sert de fermeture visuelle à
deux places distinctes. Il en va de même pour la grande façade de la gare qui clôt
visuellement plusieurs perspectives, ce qui facilite aussi le repérage dans le tissu
urbain.
La parenté conceptuelle que nous venons d’esquisser entre art du paysage et art
urbain allemand du 19ème pourrait être étayée par l’analyse de l’oeuvre de Ch.C.L.
Hirschfeld citée plus haut. Le traité de Hirschfeld s’inscrit en droite ligne dans
l’histoire du jardin paysager. On ne sera donc pas étonné qu’il y soit question au plan
des principes de l’unité et de la variété19 et que l’espace soit découpé en tableaux
susceptibles d’éveiller les émotions d’un spectateur. Cet aspect sera souligné par une
déclaration comme: "So gab der Pinsel seiner Einbildungskraft den Scenen, die er
unter Hànden bekam, aile Künste der Landschaftsmalerey".20 Hirschfeld évoque ain-
si le talent de William Kent qui aménagea de nombreux jardins en Angleterre.
Enfin nous sommes tentés de mettre en parallèle les fabriques érigées dans les jardins
paysagers du 18ème et certains édifices publics de Metz construits lors de l’extension
15 Sitte (N. 7), p. 97.
16 Girardin (N. 11), p. 57.
17 Girardin (N. 11), p. 88.
18 Sitte (N. 7), p. 63.
19 Christian Cay Lorenz Hirschfeld, Theorie der Gartenkunst, Reprint G. Olms Verlag,
Hildesheim - Zürich - New York 1985. I p. 145 et p. 166 - 1ère édition [Weidemann Erben
und Reich] Leipzig 1779-1785.
20 Hirschfeld (N. 19), IV p. 5.
154
111. 6: Clôture visuelle par
courbure de la Rue
Migette
155
de 1903, en particulier la Gare, la Poste et le Temple (111. 8-9). L’utilisation d’un style
néo-roman fait fortement ressortir ces édifices du tissu urbain. Cette différenciation
stylistique se justifie au même titre que les emprunts à l’antiquité et l’emploi du style
gothique voire saxon pour certaines fabriques dans les jardins paysagers anglais. Dans
les deux cas nous avons affaire à des édifices qui ont un but utilitaire mais ils sont là
aussi, et avant tout, pour alimenter l’imaginaire collectif: ils racontent une histoire.
Dans le cas du jardin de Stourhead, les temples classiques de Flore et le Panthéon
évoquent le périble d’Enée. La tour du roi Alfred nous rappelle la fondation du
premier royaume saxon en Angleterre. On y trouve aussi des fabriques gothiques
notamment la Bristol High Cross. Dans l’esprit du 18ème en Angleterre le style
gothique était considéré comme un style national, il était susceptible de désigner des
moments héroïques du passé comme la chevalerie et d’éveiller des souvenirs patrioti-
ques. Il en va de même pour la Poste, la Gare et le Temple de Metz de style néo-
roman qui renouent avec un passé prestigieux de l’empire allemand. C’est-à-dire nous
sommes en présence de bâtiments et d’espaces avec lesquels les nouveaux venus
d’Allemagne pouvaient s’identifier.
Dans "Urbanisme"21, Le Corbusier critique fortement l’art urbain tel qu’il était
envisagé en Allemagne. Il disait: "Le mouvement est parti d’Allemagne, conséquence
d’un ouvrage de Cantillo Sitte sur l’urbanisme, ouvrage plein d’arbitraire: glorification
de la ligne courbe et démonstration spécieuse de ses beautés inconcurrençables.
Preuve était donnée par toutes les villes d’art du Moyen-Age: l’auteur confondait le
pittoresque pictural avec les règles de la vitalité d’une ville. L’Allemagne a construit
récemment de grands quartiers de villes sur cette esthétique (car il n’était question
que d’esthétique).
Pourtant un demi-siècle plus tard, en 1960, Kevin Lynch étudie les qualités visuelles
de la ville.22 Son étude, faite à partir d’une enquête menée dans quelques villes
américaines, porte sur une qualité particulière: "la clarté apparente ou lisibilité du
paysage urbain".23 C’est cette qualité qui permet, selon Lynch, à un observateur de
structurer et d’identifier son milieu. Il pense qu’elle joue aussi un rôle social. "Elle
peut fournir aux communications de groupes la matière première des symboles et
souvenirs collectifs".24 - "Ce serait le cas pour une ville que l’on pourrait percevoir
au bout d’un certain temps comme une structure fortement continue, composée d’élé-
ments nombreux à la fois distincts et clairement liés entre eux".25
21 Le Corbusier, Urbanisme, Paris: Vincent Fréal et Cie, p. 9-10.
22 Kevin Lynch, L’image de la cité. Dunod, Paris 1969. Traduction de: The image of the city,
M.I.T. Press 1960.
23 Lynch (N. 22), p. 3.
24 Lynch (N. 22), p. 5.
25 Lynch (N. 22), p. 12.
156
111. 8: Bristol Cross Stourhead
111. 9: Le Temple vu du plan d’eau
157
Lynch n’est pas le seul à renouer avec les qualités visuelles des espaces urbains. En
Angleterre Gordon Cullen publie en 1961 Townscape.26 Townscape est un néologis-
me crée à partir de "landscape". Ici encore une fois la ville est envisagée comme
paysage que traverse un spectateur. La démarche de Cullen se rapproche beaucoup
de celle de Sitte. Il propose en effet une analyse séquentielle de certaines villes an-
glaises anciennes pour en tirer des leçons afin de remédier à l’indigence spatiale de
l’urbanisme d’après-guerre. Sa démonstration s’appuie sur des croquis de situations
urbaines rapportées à des plans qui indiquent les positions de l’observateur. Il illustre
ainsi les effets produits par des configurations typiques de certains espaces urbains.
Ce que nous voulons souligner par là, c’est que ces démarches en matière de projet
se fondent sur les perceptions qu’un observateur pourra avoir des espaces en les
parcourant et que c’est lui qui jugera les effets produits. Il semble bien que cette
tentative ait réussi à Metz puisqu’on y a produit des espaces qui gardent encore
aujourd’hui toute leur prégnance.
26 Gordon Cullen, Townscape. The architectural press 1968. 5ème édition. 1ère édition 1961.
158
Stefanie Woite
Die Anlage des Bahnhofs in Metz im Spannungsfeld unter-
schiedlicher Interessen von Einwohnerschaft, Stadtverwal-
tung und Reichsbehörden (1898 - 1908)
In den Rahmen der Erforschung moderner Stadtentwicklung im deutsch-französisch-
luxemburgischen Grenzraum fällt die Untersuchung der Konflikte um die Metzer
Bahnumbauten zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die traditionsreiche Garnisonsstadt
Metz hatte 1871 mit der deutschen Annexion des Elsaß sowie des französischen De-
partements "Moselle" ihre politische und militärische Zugehörigkeit gewechselt und
eine neue Rolle im strategischen System der nun zuständigen Machthaber erhalten.
Die deutsche Führung maß der militärischen Nutzung der Eisenbahn im Grenzgebiet
eine besondere Rolle bei und verfolgte den entsprechenden Ausbau des dortigen
Eisenbahnnetzes. Aus diesem Grund war eine rege Eisenbahnbautätigkeit zu erwar-
ten.
Darüber hinaus wurden die Städte des deutsch-französischen Grenzraumes zur Selbst-
darstellung des expansiven deutschen Nationalstaats genutzt. Kaiser Wilhelm II., der
die Reichsideologie verkörperte, war persönlich an der Gestaltung der elsässisch-lo-
thringischen Städte interessiert.1 Der Wille der deutschen Regierung, die künftige
Präsenz in diesem Raum zu manifestieren, wird gerade an Straßburg deutlich.2
Aber auch Metz hatte seine besondere Bedeutung durch seine Tradition als alte deut-
sche Reichsstadt, die nun zur Fundierung der deutschen Angliederung des Grenzrau-
mes instrumentalisiert wurde. In einer Zeit von ausgeprägtem nationalen Pathos bot
es sich geradezu an, die Annexion von Metz als Rückkehr ins Reich zu feiern und sie
somit angeblich zu legitimieren. Metz sollte nun deutsche "Modellstadt" werden.3 Der
Herrschaftswechsel fiel in eine Epoche der sprunghaften militär- und verkehrstechni-
schen sowie städtebaulichen Entwicklung und gab den deutschen Projekten eine neue
Dimension. Die politische Durchsetzbarkeit wurde erheblich durch die Tatsache er-
leichtert, daß im annektierten Gebiet die Eliten entweder nach Frankreich emigriert
oder zur Bedeutungslosigkeit verurteilt waren. Durch das Zusammentreffen dieser
Faktoren ergaben sich hier - wie selten sonst - günstige Rahmenbedingungen für die
Umsetzung politischer und militärischer Konzepte des Kaiserreiches: Kaum ein Ge-
biet eignete sich besser als die elsässischen und lothringischen Städte, Nationalismus,
1 Francois Roth, Metz et Nancy: le rôle des facteurs nationaux de 1870 à 1930, in: Urbanisme
et Architecture, hrsg. v. François-Yves Le Moigne, Metz 1982, S. 173-195, hier S. 176.
2 Klaus Nohlen, Baupolitik im Reichsland Elsaß-Lothringen. Die repräsentativen Staatsbauten
um den ehemaligen Kaiserplatz in Straßburg, (Kunst, Kultur und Politik im Deutschen
Kaiserreich, Bd.l), Berlin 1981, S. 103-119.
3 Roth (Anm.l), S. 176.
159
Militarismus und moderne Stadtplanung in Bezug zueinander zu setzen: "Les villes
des territoires annexés deviennent alors le théâtre où se joue la représentation of-
ficielle de l’ère wilhelmienne".4
Wenige Projekte wiederum konnten besser als Bahnbauten die drei Phänomene mo-
derne Stadtplanung, Militarismus und Nationalismus verbinden. Die bedeutende Rolle
eines Bahnhofs für die Verkehrsgestaltung in einem Raum ist offensichtlich. Auf die
militärische Bedeutung des Metzer Bahnhofs haben v.a. Claude Turrel in seinem
Buch "Metz. Deux mille ans d’architecture" und besonders François Reitel in ver-
schiedenen Aufsätzen hingewiesen. Reitel zeigte, wie sehr die Anlage des Metzer
Bahnhofs selbst, aber auch des Viertels um den Bahnhof für große Truppenbewegun-
gen zugeschnitten war. Bekannt geworden aber ist der Metzer Bahnhof wegen seines
dritten Aspekts, seiner Rolle in der Selbstdarstellung des Reiches. "Nul ne conteste
cependant l’évidence de la germanisation et la symbolique éloquente d’un édifice
comme la nouvelle gare de Metz.", schreibt Thomas von Joest.5 Auch André Schontz
beschreibt ausführlich in einer Reihe der S.N.C.F. die architektonische Besonderheit
des Metzer Hauptbahnhofs.6 Die Verbindung baulicher Elemente aus dem Mittelal-
ter mit der Symbolik einer aufstrebenden Industrienation und Darstellungen eines na-
tionalen Überlegenheitsgefühls machen den Bahnhof zu einem bedeutenden Beispiel
wilhelminischer Architektur.
Der Metzer Bahnhof, der sich uns heute als Beleg deutscher Herrschaft in Lothringen
präsentiert, soll hier unter einem neuen Aspekt untersucht werden: In seiner Be-
deutung als eines der wichtigsten Bauprojekte in der Stadt Metz unter deutscher Ver-
waltung. Der Aufsatz will darstellen, wie die Auseinandersetzungen um die Bahnum-
bauten zu einem Prüfstein wurden für die Aktionsfähigkeit der neu zusammengewür-
felten, heterogenen Einwohnerschaft. Am Beispiel von Metz soll untersucht werden,
ob die von reichsdeutschen Behörden formulierten städtebaulichen und infrastruktu-
rellen Gestaltungsziele unverändert erhalten blieben oder ob nicht mit andauernder
deutscher Präsenz vor Ort eine von lokalen Wünschen und Bedürfnissen geprägte In-
teressenkoalition entstand, die - gemeinsam mit den französischen Kräften - eine
neue, spezifische Identität herausbildete und sich von den Vorgaben und Zielen der
Berliner Zentralinstanzen deutlich abgrenzte. Zugleich ist nach dem Verhalten der
französischen Bevölkerung zu fragen, also des Teils der Grenzbewohner, der seine
bisherige nationale Zugehörigkeit aufgeben und sich mit den neuen Machthabern ar-
rangieren mußte. Wie reagierten die Alteingesessenen auf die Dynamik der fremden
Gestaltungsvorhaben in ihrer Stadt? Die Situation des französischen Bevölkerungsteils
war zwiespältig. Einerseits war er eindeutig ungefragt annektiert worden und hatte
allen Grund, sich gegenüber den neuen Herrschern ablehnend zu verhalten; anderer-
4 Thomas von Joest, Présence de l’architecture allemande 1871-1914, in: Monuments histori-
ques, H. 141, oct.-nov. 1985, S. 53-59, hier S. 57.
5 Ebd., S. 54.
6 André Schontz, La Gare de Metz - pourquoi?, in: numéro spécial d’information SNCF
Région Metz, 4e trimestre 1983.
160
seits aber hatte die französischen Regierung die Annexion akzeptiert. Er mußte daher
in seinem eigenen Interesse einen modus vivendi finden, wenn er die Situation mitge-
stalten wollte. Im Blickpunkt stehen die städtischen Akteure. Nicht erschöpfend be-
handelt werden im Rahmen dieser Arbeit die Vorgänge in den deutschen Zentralbe-
hörden selbst.
Erste Projekte
Schon bald nach der Annexion wurden erste deutsche Pläne zu einer Umgestaltung
der Bahnanlagen und einzelner Städte im neu gewonnenen Gebiet entworfen.7 Wenig
später kam unabhängig davon die Diskussion um die Erweiterung von elsaß-lothringi-
schen Städten, darunter auch Metz, in Gang.8 Die deutschen Neubürger in Metz er-
achteten die Stadterweiterung als unumgänglich für die wirtschaftliche Entwicklung
der Stadt.9 Ziel war die Niederlegung der Festungswälle im Südosten, wo eine Neu-
stadt mit Villenviertel im Süden entstehen sollte.10 Die Alteingesessenen standen der
geplanten Veränderung mehrheitlich desinteressiert oder ablehnend gegenüber,11
und so konnte die Stadterweiterung nicht in Angriff genommen werden, bevor die
Reichsdeutschen Mitte der 80er Jahre auch im Gemeinderat über die Mehrheit ver-
fügten. Die nun einsetzenden Auseinandersetzungen zwischen Stadtverwaltung und
Militärgouvernement um das freizugebende Gelände erwiesen sich als äußerst zäh.
Auch das Militär hatte großes Interesse am südlichen Teil der Stadt.12 Erst der neue
Bürgermeister Kramer erreichte durch verstärkten Einsatz, etwa durch Reisen nach
Berlin 1896, durch direkte Vorsprache beim Kaiser bei dessen Besuch in Metz und
schließlich durch ein Immediatgesuch im Januar 1898, daß der von der Stadt ge-
wünschte Abschnitt zwischen dem "Deutschen Tor" und dem "Zitadellentor" zur
Niederlegung freigegeben wurde.13 Optimistisch planten die neuen, sogenannten
altdeutschen Metzer unter Stadtbaurat Wahn die Gestaltung der südlichen Neustadt
(Abb. 1).
Zu dieser Zeit herrschten in Metz bezüglich eines Bahnprojekts nur Spekulationen.
Aus der Presse wußte man seit Februar 1898, daß das Militär eine strategisch günsti-
gere Verbindung zwischen den Festungsstädten Metz und Thionville durch östlich an
7 Hermann Kaufmann, Die Bahnhofeanlagen in Metz, Metz 1900. S. 5.
8 Brief v. Bürgermeister Halm an den Kriegsminister v. 24. Juli 1890, in: Archives Départe-
mentales de la Moselle (=ADM), 10 AL 1013.
9 Halm an den Kriegsminister (Anm. 8).
10 Halm (Anm. 8) und Immediatgesuch der Metzer an den Kaiser v. 6. Jan. 1898 in: ADM, 10
AL 1013.
11 Schreiben des Hauptmann Hofmann aus Queuleu v. 18. Jan, 1898 in: ADM, 10 AL 1013.
12 Immediatgesuch v. 6. Jan. 1898 (Anm. 10).
13 Sitzungsprotokoll des Gemeinderats v. 10. Febr. 1898, S. 41.
161
der Stadt vorbeiführende Bahngleise erreichen wollte.14 Die bestehende, große Um-
führungsschleife im Westen sollte nur noch für den Ost-West-Verkehr genutzt wer-
den. Da diese Informationen inoffiziell waren und das Stadtbauamt zur Ausarbeitung
des Bebauungsplans genaue Angaben über eventuelle Veränderungen durch Bahnum-
bauten benötigte, versuchte die Stadtverwaltung im März, Details zu erhalten.15
Ohne Erfolg. Wiederum aus der Presse erfuhren die Metzer im April 1898, daß in
Berlin Pläne entwickelt worden waren und daß ein erhöhter Etat der Reichseisenbahn
für die Metzer Umbauten bereits zur Verfügung stand.16 Auf offizielle Informatio-
nen mußte die Stadt noch einige Monate warten. In Berlin gab es wegen der Bahnplä-
ne Konflikte, so daß sich die Festlegung auf ein Projekt bis in den Herbst verzö-
gerte.17 Im Oktober 1898 schließlich, als Stadtverwaltung und Militärbehörden noch
intensiv über die Entfestigung verhandelten, wies der Kriegsminister die Stadt darauf
hin, daß mit erheblichen Änderungen am Bebauungsplan durch die Bahnumbauten zu
rechnen sei.18 Der Kriegsminister bot der Stadt daher an, bei den Verhandlungen
zwischen seinem Ministerium und dem Reichsamt für das Eisenbahnwesen ihre Inter-
essen zu vertreten. Erst bei dieser Besprechung im November 1898 wurde der Stadt-
verwaltung klar, welche Bahnumbauten die Zentrale im einzelnen geplant hatte und
wie sie sich auf die Stadt auswirken würden.19
Die Reichseisenbahnverwaltung in Berlin hatte tatsächlich den Umbau des bestehen-
den Bahnhofs zu einem größeren Durchgangsbahnhof mit kürzerer, östlich von Metz
geführter Verbindung nach Norden beschlossen.20 Den Güterbahnhof plante man in
weniger wertvollem, tiefer liegendem Gelände in Richtung Südwest. Zwischen der öst-
lichen Umführungslinie und dem neuen Güterbahnhof war der Kanalhafen geplant.
Auch im Norden waren einige Veränderungen vorgesehen. Der Berliner Entwurf ließ
mitten im Gebiet der geplanten Neustadt eine gewaltige Bahnanlage entstehen, und
statt der Festungswälle hätten Bahndämme die Stadt behindert (Abb. 2). Eine ausrei-
chende Verbindung zwischen Altstadt und den südlichen Vororten wurde nach Mei-
nung des Stadtbaurats Wahn unmöglich gemacht, und die Stadt erhielt eine "We-
spentaille".21
14 "Lothringer Zeitung" v. 16. Febr. 1898.
15 Rede Wahns vor dem Polytechnischen Verein, abgedr. in der "Lothringer Zeitung" v. 24.
April 1901.
16 "Lothringer Zeitung" v. 27. April 1898.
17 "Lothringer Zeitung" v. 3. Nov. 1898. Die Konflikte werden nicht näher erläutert.
18 Schreiben des Kriegsministers v. 27. Okt. 1898, verlesen im Gemeinderat in der Sitzung v.
10. Nov. 1898, Protokoll S. 385.
19 Bericht von Heister in der Gemeinderatssitzung v. 22. Dez. 1898, Protokoll S. 439-57.
20 Ebd.
21 Wahn (Anm. 15).
162
Abb. 1: Studie betr. Lage und Richtung der Eisenbahn, Haupt-
verkehrs-, Ring- und Promenadenstraßen, Baurat Wahn
1898 (ADM, 10 AL 1013)
163
Die Stadtvertreter, von der Entwicklung überrascht, waren mit diesem Projekt daher
keinesfalls einverstanden.22 Ganz deutlich widersprachen die Pläne aus Berlin denen
der Stadt selbst. Die Ausarbeitung des Bebauungsplans war unter diesen Umständen
nicht möglich. Statt dessen rückte die Bekämpfung der drohenden Bahnpläne in den
Mittelpunkt. Bürgermeister und Gemeinderat entschlossen sich noch einmal, mit der
bewährten Unterstützung des Bezirkspräsidenten von Lothringen, von Hammerstein-
Loxten,23 zu einem direkten Appell an den Kaiser. Wieder gab Wilhelm II. dem Im-
mediatgesuch statt. Schon einige Tage später hatte er das Projekt abgelehnt und an-
geordnet, daß die Reichseisenbahn bei der Projektausarbeitung die Interessen der
Stadt stärker berücksichtigen solle.24 Auch der Kriegsminister beurteilte die Metzer
Anfrage positiv.25 Die überraschende Unterstützung läßt vermuten, daß das Projekt
das Militär ebenfalls nicht zufriedenstellte. Meinungsverschiedenheiten über das Pro-
jekt hatte es, wie erwähnt, an "höherer Stelle" gegeben.
Die Konzepte der Bahnbehörden im Meinungsstreit
Die Metzer waren nun dank der kaiserlichen Entscheidung aufgefordert, ihre Wün-
sche beim Militärgouvernement anzumelden.26 Unter Zeitdruck arbeitete Stadt-
baurat Wahn mit dem renommierten Kölner Baurat Joseph Stübben einen städtischen
Vorschlag aus: Die gesamte Bahnanlage sollte nach Osten verlegt werden, Personen-
und Güterbahnhof getrennt. Durch eine Auslagerung des Güterbahnhofs würde der
geplanten Neustadt mehr Raum gelassen, der Personenbahnhof bliebe in enger Ver-
bindung mit der Stadt.27 Diese städtische Planung spiegelte jedoch kaum die Wün-
sche der Bevölkerung wider, die sich inzwischen zu artikulieren begann.28 Und als
die Generaldirektion der Reichseisenbahnen in Straßburg, die mit den Verhandlungen
mit Metz betraut worden war, dann das städtische Projekt mit eisenbahntechnischen
und finanziellen Einwänden ablehnte,29 ließ es auch die Stadt selbst schnell fallen.
22 Gemeinderatssitzung v. 22. Dez. 1898.
23 Das zweite Immediatgesuch v. 27. Jan. 1899 (in ADM, 10 AL 1013) erwähnt dessen
Vorträge beim Kaiser, Kontakte mit dem Staatsminister und dem Ministerium für öffentliche
Arbeiten.
24 Bericht des Bürgermeisters im Gemeinderat am 24. April 1899, Protokoll S. 176.
25 Protokoll der Vorbesprechung zur Konferenz am 14. Dez. 1900 in Metz in ADM, 10 AL
1013.
26 Bericht des Bürgermeisters (Anm. 24).
27 Wahn (Anm. 15).
28 "Le Messin" v. 15. März 1899 mit Zitat der "Gazette de Lorraine"; "Lothringer Zeitung" v.
12. März 1899 und "Le Lorrain" v. 15. März 1899.
29 Bericht (Anm. 24).
164
Abb. 2:
Gestaltung der Bahnanlagen bei Metz, Entwürfe I. und
II. (ADM, 10 AL 1013)
Sie hatte an der Bevölkerung vorbeigeplant und suchte nun "pflichtschuldig"30 deren
Beteiligung durch eine Bürgerversammlung Mitte März 1899.
Die Bürgerversammlung war die erste Gelegenheit, ohne Einschaltung der meinungs-
bildenden Presse, öffentlich zum Thema "Stadterweiterung" Stellung zu nehmen, und
sie wurde von vielen genutzt. Außer z.T. hohen Beamten der Zivilbehörden, Gemein-
deratsmitgliedern und Repräsentanten der Handelskammer waren auch die "alten
Metzer" zahlreich vertreten.31 Das anfangs konstatierte Desinteresse der ehemals
französischen Bevölkerung schien aufzuweichen angesichts der Wichtigkeit dieser Ent-
wicklung für die Stadt. Um so bedauerlicher, daß ihr Interesse nicht aufgegriffen wur-
de. An der "lebhaften Diskussion"32 blieben sie, auf Grund der Sprachbarriere, unbe-
teiligt. Die Veranstaltung blieb eine rein deutsche, und die Einheimischen fühlten sich
als "quantité négligeable" behandelt.33
Trotz der Einseitigkeit der Meinungsäußerung wurde in der Bürgerversammlung deut-
lich, daß die Metzer selbst eigentlich keinen neuen Bahnhof wollten, daß er aber -
falls unvermeidbar - so nah wie möglich an der bestehenden Innenstadt errichtet wer-
den sollte.34 Die Stadt schlug der Reichseisenbahn daher eine neue Lösung vor. Der
zweite städtische Entwurf beließ Personen- und Güterbahnhof beieinander, verlegte
aber den Bahnkomplex etwas nach Süden.35 Durch die höhere Lage des Terrains
hoffte man, die im ersten städtischen Entwurf seitens der Reichseisenbahnverwaltung
kritisierten Unterführungen zu vermeiden. Aber auch die weiteren Vorschläge der
Stadt erhielten keine Chance. Durch "mangelnde Sachkenntnis" hatte sie sich in den
Augen der Reichseisenbahn disqualifiziert.36 Der Verhandlungsstil der Bahnbehörde
zeigt deren zunehmende Ungeduld, und schon bald, im April des Jahres 1899, kon-
frontierte sie die Stadt mit einem neuen Projekt. Es verlegte das Empfangsgebäude
des Personenbahnhofs an die Nordgrenze des neuen Güterbahnhofs, der wie im er-
sten Bahn-Projekt belassen wurde.37 Dieser zweite Entwurf (vgl. Abb. 2) ließ mehr
Gelände für die Neustadt, zu seiner Umsetzung mußte allerdings der bestehende Ka-
nalhafen zugeschüttet werden. Die Bahnhofsfrage wurde dadurch mit der Moselkana-
lisierung verknüpft, was sich im Verlauf der weiteren Diskussion als großer Nachteil
erwies. Bürgermeister Kramer war sich dieser Gefahr sehr bewußt, obwohl er gegen-
über dem Gemeinderat den zweiten Reichseisenbahnvorschlag als prinzipielle Verbes-
30 "Lothringer Bürgerzeitung" v. 21. Nov. 1899.
31 "Lothringer Zeitung" v. 21. März 1899.
32 Gemeinderatssitzung v. 16. Mai 1899, Protokoll S. 205.
33 "Le Lorrain" v. 21. März 1899.
34 Resolution der Bürgerversammlung v. 18. März 1899 in: ADM, 10 AL 1013.
35 Bericht des Bürgermeisters vor dem Gemeinderat am 24. April 1899, Protokoll S. 177.
36 Schreiben der Straßburger Generaldirektion v. 14. Juni 1899, verlesen im Gemeinderat am
23. Juni 1899, Protokoll S. 268.
37 Rede Wahns (Anm. 15).
166
serung bezeichnete.38 Er setzte zwar in Anbetracht kaiserlicher Ungeduld durch,
daß die Lage des Personenbahnhofs akzeptiert wurde,39 arbeitete aber selbst eine
Variante aus, die eine Teilerhaltung des Hafens ermöglichen sollte. Die Generaldirek-
tion der Reichseisenbahn in Straßburg war jedoch zu einem Dialog nicht (mehr?) be-
reit.40 Die Ungeduld des Kaisers gegenüber den Metzern erlaubte auch ihr, das er-
zwungene Entgegenkommen aufzugeben.
Die ablehnende Haltung der Reichsbehörden mobilisierte den Widerstand des Ge-
meinderats. Der Gemeinderat, nicht der Bürgermeister, übermittelte der Bahnverwal-
tung den Standpunkt der Metzer Bevölkerung, die nach wie vor kein Interesse an der
Verlegung des Bahnhofs hatte und auch nicht bereit war, die Bahnumbauten in ir-
gendeiner Weise zu unterstützen.41 Der Gemeinderat bezog damit verständlicherwei-
se die Position seiner Wähler, mit denen er in diesen Monaten eine seltene Überein-
stimmung erlebte. Die lebhaften Debatten zeigen, wie sehr einige Gemeinderatsmit-
glieder dadurch zum Engagement motiviert wurden. Schwieriger war die Situation des
Bürgermeisters, der juristisch zugleich Repräsentant der kommunalen Interessen und
Exekutivorgan der ranghöheren Behörde war und in seiner täglichen Arbeit vor Ort
nicht ohne Unterstützung des Gemeinderats arbeiten wollte. Ihm mußte an einer Ver-
mittlung der Standpunkte gelegen sein.
Nachdem sich Mitte Juni 1899 an der Frage der Hafenaufhebung die Fronten zwi-
schen Reichseisenbahnverwaltung und Gemeinderat offen verhärtet hatten, suchten
die städtischen Behörden hinter den Kulissen, fernab der politisierten Öffentlichkeit,
neue Wege der Verständigung. Den Einstieg in eine neue Verhandlungsrunde bot et-
wa einen Monat später eine Besprechung, an der neben den bisherigen Partnern auch
Bezirkspräsident v. Hammerstein und Vertreter der Bahnbehörde aus Berlin teilnah-
men.42 Im Mittelpunkt stand dabei die Hafenfrage. Während die Stadt für eine Ver-
legung in den Norden plädierte, beharrten die Eisenbahnbehörden auf einer Hafenan-
lage in Montigny im Süden von Metz. Das war ein schwerer Schlag für die Stadt, denn
dieses Konzept gefährdete den Ausbau des gesamten Gebiets zu einem Villenviertel
und fügte somit "den wichtigsten Interessenten der künftigen Stadterweiterung ganz
bedeutenden Schaden"43zu. Ein Interessenausgleich schien unmöglich, und auch wei-
tere Gespräche in den folgenden Monaten erbrachten keine Annäherung der gegen-
sätzlichen Standpunkte.
Im Laufe des Herbstes 1899 formulierte sich der Widerstand der Metzer Bevölkerung
deutlicher. Auf einer Bürgerversammlung Mitte Dezember trafen sich diesmal vor al-
38 Gemeinderatssitzung v. 27. April 1899, Protokoll S. 178.
39 Gemeinderatssitzung v. 16. Mai 1899, Protokoll S. 205.
40 Schreiben der Generaldirektion v. 14. Juni 1899, verlesen im Gemeinderat am 23. Juni
1899, Protokoll S. 286.
41 Gemeinderatssitzungen v. 23. Juni 1899, S. 269 u. 6. Febr. 1900.
42 Brief Kramers an Statthalter Hohenlohe v. 30. Juli 1899 in: ADM, 10 AL 1013.
43 Ebd.
167
lern altdeutsche Metzer.44 Ihre Position war weit entfernt von der der deutschen, re-
gierungsfreundlichen Presse. Zumeist vertraten sie den gleichen Standpunkt wie die
nicht erschienenen Alt-Metzer, denn sie kritisierten das Vorgehen der Reichseisen-
bahn und anderer Behörden und waren der Meinung, diese allein seien für die Pro-
bleme der ungeduldig erwarteten Stadterweiterung verantwortlich.45 Die Bürger for-
derten den Erwerb des gegenwärtigen Bahngeländes im Süden als Bebauungsterrain
und die Verhinderung von trennenden Bahnanlagen zwischen Alt- und Neustadt.46
Im Interesse der Bewohner des Nordostens, einschließlich der Vorortbewohner, sollte
die bestehende Lage des nördlichen Bahnhofs Devant-les-Ponts beibehalten werden.
An eine grundsätzliche Änderung der Bahnpläne dachte auf der Versammlung jedoch
keiner mehr. Vorschläge dazu fanden keine Unterstützung, obwohl ein entsprechen-
der Projektentwurf von Oberst Kaufmann in der Öffentlichkeit allgemein positiv beur-
teilt wurde. Kaufmann, der von Anfang an die Diskussion durch seine Stellungnahmen
sehr belebt hatte, sprach sich in einer Broschüre hauptsächlich für die Beibehaltung
des Bahnhofs - wie im ersten Projekt der Reichseisenbahnverwaltung - mit Zusam-
menlegung von Güter- und Personenbahnhof aus.47 Für dieses Zurück war es jedoch
zu spät. Die Verzögerung der Stadterweiterung lastete auf allen.
Die Suche nach einem Interessenausgleich
In Berlin war man fest entschlossen, die Entwicklung voranzutreiben. Nur kurze Zeit
nach den erfolglosen Verhandlungen im November 1899 entschied die Reichseisen-
bahnbehörde, im Falle einer andauernden städtischen Weigerung, den Beitrag zur
Hafenverlegung zu zahlen, ihren ersten, im April 1898 entwickelten Entwurf doch aus-
zuführen.48 Darüber wäre man in Metz möglicherweise eher erfreut gewesen. Schok-
kierend war die Drohung der Bahnbehörde, sich in diesem Falle gleichzeitig von den
Militärs das Gelände für eine spätere Ausführung des zweiten Plans reservieren zu
lassen. Eine Ausführung wurde zudem abhängig gemacht von der Bereitschaft der
Stadt, der Reichseisenbahnverwaltung die bei der Ausführung des ersten Entwurfs
(Umbau des bestehenden Bahnhofs) entstandenen Kosten zurückzuerstatten. Es ist
schwer einzuschätzen, wie ernst es der Bahnbehörde mit dieser Drohung war und ob
die übrigen beteiligten Behörden in Berlin sich letztlich darauf eingelassen hätten. Si-
cher wäre eine derartige Vorgehensweise von großem Nachteil für Metz selbst ge-
wesen und hätte die Stadterweiterung unmöglich gemacht. Das mußte dann auch der
Gemeinderat einsehen. Mit knapper Mehrheit entschloß er sich Anfang Februar 1900,
44 "Lothringer Zeitung" v. 15. Dez. 1899.
45 Gemeinderatssitzung v. 6. Febr. 1900, Protokoll S. 25.
46 Resolution der Bürgerversammlung v. 16. Jan. 1900 in: ADM, 10 AL 1013.
47 Kaufmann (Anm. 7), S. 15.
48 Gemeinderatssitung v. 6. Febr. 1900.
168
den "Gang nach Canossa" anzutreten und den von der Bahn geforderten Zuschuß zur
Hafenverlegung zu bewilligen.49
Das Ergebnis der Gemeinderatssitzung war ein persönlicher Sieg des Bürgermeisters
Kramer, der mit großem Einsatz um die Zustimmung der Gemeinderäte gerungen
hatte und auf alle Fälle jede weitere Verzögerung vermeiden wollte. Das war keine
dankbare Aufgabe gewesen. Wegen seines Nachgebens gegenüber den Reichsbehör-
den wurden ihm auch herbe Vorwürfe gemacht. Kramer war nach Darstellung seiner
Kritiker der "gefügige Bürgermeister", dem der "Mammonwunsch der Reichsbehörde
einfach Befehl"50 war. "Widerlicher Byzantinismus"51 wurde ihm vorgeworfen. Die
Ablehnung fand laut Pressemeldungen gerade bei der französischsprachigen Bevöl-
kerung Unterstützung.52 Die Stimmung in der Stadt verschlechterte sich sehr. Wach-
sendes Desinteresse an der Stadterweiterung,53 besonders auf seiten der alteingeses-
senen Bevölkerung, war eine der Folgen.
Erneut unter bewußtem Ausschluß der Öffentlichkeit versuchte die hartnäckige Stadt-
verwaltung, doch noch Einfluß auf die Gestaltung der Bahnanlagen zu nehmen.54
Obwohl nicht erkennbar war, was der Stadtverwaltung Hoffnung auf Erfolg gab, hatte
sich Stadtbaurat Wahn an den Hamburger Ingenieur Gleim gewandt und ihn veran-
laßt, auf Grund einer Denkschrift Wahns eine Variante auszuarbeiten, die der Stadt
weniger Schaden zufügen sollte.55 Eine Deputation aus Metz, darunter auch Wahn
selbst, legte dann das sogenannte "Projekt Gleim" in Berlin vor,56 Es unterschied sich
vom zweiten Entwurf der Reichseisenbahn vor allem durch die getrennte Lage von
Güter- und Personenbahnhof. Der Güterbahnhof sollte südöstlich im Seilletal ange-
legt, dadurch ein großer zusammenhängender Baukomplex nahe der Neustadt vermie-
den und die Teilerhaltung des Hafens ermöglicht werden.57
Berlin zeigte Interesse,58 leitete das Gleim’sche Projekt an die Bahnbehörden in
Straßburg weiter und sagte den Besuch eines Reichseisenbahnbeamten in Metz zu.59
Die Bereitschaft der Bahnbehörde, Gleims Vorschlag als Alternative zum eigenen
Projekt zu akzeptieren, war vorhanden. Das zeigt auch die Tatsache, daß er bei der
49 Ebd.
50 "Lothringer Bürgerzeitung" v. 4. Aug. 1899.
51 "Lothringer Bürgerzeitung" v. 21. Nov. 1899.
52 "Le Lorrain" v. 24. Nov. 1899 und "Lothringer Bürgerzeitung" v. 10. Dez. 1899.
53 "Le Progrès de l’Est" v. 1. März 1900 u. "Gazette de Lorraine" v. 13. Mai 1900.
54 Gemeinderatssitzung v. 26. April 1900, Protokoll S. 118 u. "Le Messin " v. 11. Mai 1900.
55 Rede Wahns (Anm. 15).
56 Gemeinderatssitzung v. 10. April 1900, Protokoll S. 104.
57 Rede Wahns (Anm. 15) u. "Metzer Zeitung" v. 8. Aug. 1900.
58 Gemeinderatssitzung v. 26. April 1900, Protokoll S. 117.
59 Ebd. une fzung v. 8. Mai 1900, Protokoll S. 125.
169
Veröffentlichung der Projektpläne im Sommer 1900 - wenn auch außer Konkurrenz -
mit ausgelegt wurde.60 Die Reichseisenbahn stellte den Gleim’schen Entwurf damit
öffentlich zur Diskussion. Diese erstaunliche Kooperationsbereitschaft hatte ihren
Grund sicher mit in der Qualität des Entwurfs. Die Güterbahnhofsfrage hatte bisher
im Schatten des militärisch bedeutenderen Personenbahnhofs gestanden, und mögli-
cherweise hatte man der Gestaltung des Güterbahnhofs nicht die gleiche Aufmerk-
samkeit geschenkt. An einer Lösung, die mehr als bahntechnische und finanzielle An-
forderungen erfüllte, konnte vor allem die Stadt selbst ein Interesse haben. Von ihr
mußte die Initiative zu einer für die Stadt günstigeren Lage kommen. Metz hatte nun
das Glück, durch die Ortskenntnisse von Stadtbaurat Wahn und die Fachkenntnis des
bekannten Ingenieurs Gleim eine Variante anbieten zu können, die keine Nachteile
für die Reichseisenbahn mit sich brachte und somit diskutabel wurde.
Bevor sich die Bahnbehörde jedoch der Mühe einer endgültigen Planänderung unter-
zog, wartete sie die Reaktion der Metzer ab. Diese war anfangs mager.61 Vielleicht
war ein Grund die Urlaubszeit. Erst allmählich bemühten sich die Betroffenen und
äußerten ihre Meinungen. Für das Projekt Gleim gab es große Unterstützung.62 So-
gar eine Unterschriftenaktion kam Mitte August in Metz und einigen Vororten zugun-
sten seines Entwurfs zustande.63 Kurz vor Ende der Beschwerdefrist entschloß sich
der Gemeinderat zu folgender Haltung:64 Die Lage des Personenbahnhofs wurde so
angenommen, wie ihn die Reichseisenbahn in ihrem zweiten Entwurf vorgeschlagen
hatte. Bezüglich des Güterbahnhofs unterstützte er die Variante Gleims und schlug
vor, über Personen- und Güterbahnhofsfrage getrennt zu verhandeln, um jede weitere
Verzögerung der Stadterweiterung zu vermeiden.
Mit der Bitte, den Güterbahnhof nach Gleims Vorschlag anzulegen, teilte der Ge-
meinderat das Anliegen einer Beschwerdeschrift von knapp 4000 Metzer Bürgern und
Vorortbewohnem. Diese Willensäußerung vom Sommer 1900 verdient Beachtung, da
sie durch ihre Zweisprachigkeit und die Größe des Teilnehmerkreises zumindest
ebenso repräsentativ ist wie die beiden Bürgerversammlungen. In dieser Schrift brach-
ten die Unterzeichnenden zwar Verständnis für die Notwendigkeit eines Durchgangs-
bahnhofs und einer strategisch günstigeren Bahnverbindung zum Ausdruck, kritisier-
ten aber die Zusammenlegung von Personen- und Güterbahnhof.65 Auch sie unter-
stützten im wesentlichen den Entwurf Gleims, weil dadurch die Magnyerstraße als
große Avenue der Südstadt erhalten bliebe. Der Beschwerdebrief der knapp 4000
60 "Metzer Zeitung" v. 8. Aug. 1900.
61 Ebd.
62 "Lothringer Zeitung" v. 14. Aug. 1900.
63 "Metzer Zeitung" v. 25. Aug. 1900.
64 Gemeinderatssitzung v. 21. Aug. 1900, Protokoll S. 261f.
65 "Voruntersuchung betr. die Umgestaltung der Bahnanlagen und des Bahnhofs bei Metz.
Einspruch gegen das Projekt der Eisenbahnverwaltung", in: ADM, 10 AL 1013 (Unterschriften
sind nicht erhalten).
170
Metzer war mit seinem mitunter scharfen Ton die spektakulärste Kritik an der
Reichseisenbahn. Ihr warf man vor, aus "Bequemlichkeit" und "rücksichtslos" die In-
teressen der Stadt zu opfern.
Während die öffentliche Diskussion im Sommer 1900 in Schwung geraten war, erlebte
die Handelskammer erst während des Einspruchverfahrens ein langsames "Erwachen
aus dem Todesschlaf'66. Ende September 1900 erst beschäftigte sie sich intensiver
mit der Bahnhofsfrage, bis dahin hatte sie die größere Aufmerksamkeit den in Loth-
ringen neu anzulegenden Eisenbahnstrecken67 und der Lage des Kanalhafens68 ge-
widmet. Die Diskussion um den Personenbahnhof stellte in den Augen der Handels-
kammer lange vor allem einen Störfaktor für die Stadterweiterung dar. Erst die Be-
handlung der Güterbahnhofsfrage weckte ihr Interesse so stark, daß sie den
Gleim’schen Entwurf mit der Entsendung einer Delegation nach Berlin unterstützen
wollte.69
Die Einschätzung der Handelskammer, die Diskussion um die Bahnumbauten sei ein
Störfaktor für die Stadterweiterung, entsprach durchaus der Realität: Die Verhand-
lungen zwischen der Reichseisenbahn und der Stadt zogen sich weiter hin, bis der
Kaiser - sicher im Sinne des ungeduldigen Kriegsministers - durch eine Kabinettsorder
der Verzögerung ein Ende setzte. Diese Order vom 20. Oktober 1900 betraf die Ka-
nalhafenfrage,70 über die auf Antrag des Ministeriums von Elsaß-Lothringen, ver-
mutlich durch Fürsprache des Statthalters, seit März zwischen den Metzer und Berli-
ner Behörden beraten wurde.71 Durch die Order, den bestehenden Hafen zuzuschüt-
ten und nur ein Provisorium im Süden anzulegen, sollten die Voraussetzungen für die
Bahnumbauten geschaffen werden. Die Order war zugleich ein Entgegenkommen an
die Metzer, da sie die endgültige Lage des Hafens im Norden zumindest offenließ. Sie
brachte aber nicht die gewünschte Erleichterung in der Angelegenheit, sondern - im
Gegenteil - neuen Zündstoff für die Diskussion in der Stadt.72
Definitive Entscheidungen
Um den Schwierigkeiten der Stadt und dem Drängen des Kaisers auf Beschleunigung
der Metzer Entwicklung ein Ende zu bereiten, setzte der Kriegsminister gemeinsam
mit dem Leiter der Reichseisenbahnverwaltung für den 14. Dezember 1900 eine Kon-
66 "Lothringer Bürgerzeitung" v. 15. Dez. 1900.
67 "Tagesordnungen der Sitzungen der Handelskammer zu Metz 1889-1906" in: ADM, 8 AL
48 u. 8 AL 49.
68 Gemeinderatssitzung v. 21. Nov. 1899, Protokoll S. 428.
69 Gemeinderatssitzung v. 26. April 1900, Protokoll S. 118.
70 Gemeinderatssitzung v. 9. Nov. 1900, Protokoll S. 370.
71 Gemeinderatssitzung v. 5. April 1900, Protokoll S. 89f. u. v. 10. April 1900, Protokoll S. 102.
72 Gemeinderatssitzung v. 9. Nov. 1900, Protokoll S. 372 u. "Metzer Zeitung" v. 10. Nov. 1900.
171
ferenz aller Beteiligten an.73 Neuer Teilnehmer war ein Vertreter des Reichsschatz-
amtes. Das Reichsschatzamt war bisher in der Diskussion übergangen worden, und
die Besprechung sollte auch dazu dienen, diesen Fehler des Kriegsministeriums wie-
dergutzumachen.74 Die vom Kriegsminister gewünschte Entscheidungsbefugnis aller
Beteiligten brachte der Reichsschatzamtvertreter auf persönlichen Wunsch des
Reichskanzlers jedoch nicht mit. Der Reichskanzler verfolgte in der Angelegenheit of-
fensichtlich eine vom Kaiser unabhängige Politik. Der Kaiser hatte das Projekt der
Reichseisenbahn und die zum Grundstückserwerb notwendigen Gelder schon geneh-
migt. Wichtigstes Anliegen der Vorbesprechung, die noch ohne die Stadt durchgeführt
wurde, mußte daher die Informierung und Einbeziehung des Reichsschatzamtes sein.
Dessen Vertreter interessierte sich besonders für die Haltung des Kaisers in dieser
Frage und die finanzielle Beteiligung der Stadt Metz. An der Entscheidung für die
Variante Gleim - Ostverlegung des Bahnhofs und abgetrennte Lage des Güterbahn-
hofs - wurde nicht mehr gerüttelt (Abb. 3).
Am Nachmittag des gleichen Tages fand die eigentliche Konferenz mit den städti-
schen Vertretern statt. Am Vormittag hatte Bezirkspräsident Hammerstein deren In-
teressen verteidigt. In der z.T. heftigen Diskussion kam es noch einmal zu der typi-
schen Rollenverteilung zwischen der Stadtverwaltung als konziliantem Partner der
übergeordneten Behörden und dem den Widerstand verkörpernden Gemeinderat. En-
gagiertester Vertreter des Gemeinderats war bemerkenswerterweise der alt-deutsche
Stadtrat Heurich. Er nutzte diese Konferenz, um mit scharfen Worten deutlich zu ma-
chen, daß die Stadt sich als Opfer der Interessen der Reichseisenbahn und vor allem
des Militärs fühlte. Gegenüber Heurich entlud sich daher auch der Unbill der Berliner
Behörden, und es zeigte sich, wie wenig Verständnis man in Berlin für die Metzer In-
teressen hatte. Man stritt noch um verschiedene finanzielle Fragen und versuchte - er-
folglos -, die Stadt zu weiteren Zahlungen heranzuziehen. Dabei ging es nur teilweise
um den konkreten finanziellen Vorteil, wichtiger war sicher, daß die Verhandlungen
mit Metz ein Exempel statuieren sollten für Verhandlungen mit anderen Städten.
Trotz mancher Meinungsverschiedenheiten in Detailfragen waren die Vertreter der
Zentralbehörden entschlossen, eine definitive Lösung der Grundprobleme zu errei-
chen. In Einzelverhandlungen sollten die übrigen Fragen gelöst werden. Zur letzten
Hürde entwickelte sich die volle Anerkennung des kriegsministeriellen Erlasses vom
27. Oktober 1898 seitens des Gemeinderats. Der Erlaß regelte im wesentlichen Fra-
gen zum Umgang mit militärfiskalischem Gelände und begünstigte nach Meinung des
Gemeinderats die Bodenspekulation. Die Mitglieder des Gemeinderats weigerten sich
daher, den Erlaß anzuerkennen. Wieder drohte eine Verschleppung der Stadterweite-
rung. Mit vereinten Kräften gelang es dem Bürgermeister und Bezirkspräsidenten er-
73 Schreiben des Kriegsministeriums an das Ministerium in Elsaß-Lothringen v. 5. Dez. 1900
in den Archives Départementales du Bas-Rhin (= ADBR), AL 87 (3436).
74 "Protokoll über die am 14. Dezember 1900 im Stadthause zu Metz abgehaltene Vorbespre-
chung über die Stadterweiterung von Metz und die neuen Bahnanlagen" in: ADM 10 AL
1013. Darin auch das Folgende.
172
Abb. 3:
Umgestaltung der Bahnanlagen bei Metz, endgültiger
Entwurf (ADM, 10 AL 1013)
173
neut, den Gemeinderat umzustimmen. Hammerstein warf seine gesamte Autorität, die
er durch seinen bisherigen Einsatz erworben hatte, in die Waagschale. Er wies die
Stadtvertreter in einem eindringlichen Brief darauf hin, daß Metz durch die persönli-
che Begünstigung durch den Kaiser jetzt zur Kooperation verpflichtet sei; er signali-
sierte den Metzern auch, daß noch größere Unkosten auf sie zukämen, würden sie
jetzt nicht einlenken.75 Die Ungeduld in Berlin hatte ein Höchstmaß erreicht. Das
mußte nun auch der Gemeinderat einsehen und gab auch in dieser Frage letztendlich
nach. Ende Dezember 1900 war der Weg frei. Anfang Januar 1901 konnte das end-
gültige Stadterweiterungsabkommen zwischen Militärfiskus und Stadt beraten wer-
den.76 Auf städtischer Ebene, in Metz selbst, war damit der Kampf vorerst ausgetra-
gen.
Neues Aktionsfeld wurde Berlin, die Zentrale. Hier mußten im Januar 1901 die Bud-
getforderungen der Reichseisenbahn für die Metzer Umbauten vom Reichstag geneh-
migt werden.77 Diese Gelegenheit nutzten engagierte Metzer, darunter auch Vertre-
ter der Handelskammer, um Einfluß zu nehmen auf Abgeordnete und in dieser Frage
zuständige Kommissionsmitglieder. Sie brachten Beschwerden sowohl gegen Einzelfra-
gen des Projekts als auch gegen das gesamte Projekt vor.78 Über die Repräsentativi-
tät der verschiedenen Beschwerden für die Metzer Öffentlichkeit war man uneinig.
Die frankophone Presse vermittelte den Eindruck, die Metzer Bevölkerung lehne das
Bahnprojekt allgemein und grundsätzlich ab, während die deutschsprachige Presse
den Widerstand einer Minderheit zurechnete.79 Letztere Einschätzung setzte sich
dann auch in Berlin durch.80 Nachdem die Metzer Proteste die Kommissionsmitglie-
der für eine Zeit so verunsicherten, daß eine Genehmigung der Summe für die
Reichseisenbahn nicht mehr gewährleistet war und eine Subkommission nur für diese
Angelegenheit gebildet wurde, entschieden die Abgeordneten schließlich, die Metzer
Proteste als Ergebnis von Agitation zurückzuweisen. Dem Antrag der Reichseisen-
bahn wurde grundsätzlich stattgegeben.
75 Brief Hammersteins an Kramer v. 23. Dez. 1900, Nachlaß Hammerstein-Loxten zu seiner
Tätigkeit in Elsaß-Lothringen im Bundesarchiv Koblenz.
76 Materialien zur Vorbesprechung und den Konferenzen über die Stadterweiterung in: ADM,
10 AL 1013.
77 Bericht Möllers im Reichstag am 13. Febr. 1901 in "Stenographische Berichte über die
Verhandlungen des deutschen Reichstages, X. Legislaturperiode 11. Session 1900/1901 2.Bd.,
Berlin 1901, S. 1340.
78 Ebd. u. "Metzer Zeitung" v. 16. Jan. 1901.
79 "Metzer Zeitung" v. 25. u. 28. Dez. 1900.
80 Bericht Möllers im Reichstag (Anm. 77).
174
Von der Planungsfeststellung zum Abschluß der Bauarbeiten
In Metz kamen im März 1901 die allgemeinen Verhandlungen über das Stadterweite-
rungsgelände zum Abschluß. Die Voraussetzungen für die Umgestaltung der Metzer
Bahnanlagen waren geschaffen. Letzter Anstoß für die Umsetzung wurde der Erlaß
des Kaisers vom 21. April 1901, der vor allem die Verlegung des Hauptbahnhofes
nach Osten und die Anlage des Güterbahnhofs in der Seille-Niederung festlegte.81
Gleichzeitig erklärte der Kaiser die Angelegenheit als dringlich und im öffentlichen
Interesse stehend. Zu dieser Zeit lag in Berlin und kurz darauf in Metz schon der Be-
bauungsplan zur Begutachtung vor.82 Der Stadterweiterungsvertrag zwischen Reichs-
fiskus und Stadt wurde Ende August 1901 abgeschlossen.83 Zur Bahnfrage legten die
beteiligten Behörden darin fest, daß das derzeitige Bahngelände kostenlos von der
Bahnverwaltung bis zu einem Jahr nach vollständiger Inbetriebnahme des neuen
Bahnhofs benutzt werden konnte; bis dahin mußten alle noch offenen Fragen zwi-
schen Stadt- und Reichseisenbahnverwaltung geregelt und der städtische Beitrag zur
Hafenverlegung bezahlt sein.
Ende September 1901 wurden die neuen Pläne zur Gestaltung der Metzer Bahnanla-
gen im Rathaus ausgelegt.84 Noch während letzte, erfolglose Versuche, die Gestal-
tung der Bahnanlagen zu beeinflussen, unternommen wurden, schrieb die Generaldi-
rektion im Dezember 1901 den Wettbewerb für die Gestaltung des Hauptbahnhofge-
bäudes aus.85 Sie gab eine Reihe von Bestimmungen heraus zur Anordnung und
Größe der einzelnen Gebäudeteile und bezüglich des Baumaterials.86 Der Baustil
wurde im wesentlichen freigestellt. Aufgefordert waren deutsche Architekten. Unter
den Mitgliedern des Preisgerichts befand sich nur ein Metzer, der Dombaumeister
Tornow. Gewinner wurde der Berliner Architekt Jürgen Kröger mit seinem Projekt
"Licht und Luft", das jedoch erst nach einer Überarbeitung in der Königlichen Akade-
mie für Architektur ausgeführt wurde. Die sechs Jahre der Projektausarbeitung verlie-
fen ruhig im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren der Projektplanung. Die gro-
ßen Entscheidungen waren gefallen. Kleine Zwischenfälle bei den Vermessungsarbei-
ten (es war verschiedentlich zur Entfernung der Signalstangen gekommen)87 oder
81 "Kaiserlicher Erlaß v. 21. April 1901 betr. die Umgestaltung der Eisenbahnanlagen in Metz"
in: ADM, 15 AL 477.
82 Gemeinderatssitzungen v. 2. u. 24. Aug. 1901.
83 "Vertrag zwischen dem Reichs-(Militär-)fiskus und der Stadt Metz" v. 27. Aug. 1901 in:
ADM, 10 AL 1013.
84 Gemeinderatssitzung v. 26. Sept. 1901, Protokoll S. 442.
85 Schontz (Anm. 6).
86 "Deutsche Konkurrenzen" Bd.14, Heft 167/168, S. 1-11. Darin auch das Folgende.
87 Schreiben der Generaldirektion v. 13. April 1902 an den Bezirkspräsidenten in: ADM, 15
AL 478.
175
Widerstände des südlichen Vororts Sablon, der sich als Opfer der Bahnbehörde
fühlte,88 blieben Nebengefechte.
Das letzte größere Konfliktfeld betraf nicht mehr die Gestaltung der Bahnanlagen
selbst, sondern deren Auswirkungen, die Veränderung der städtischen Verkehrsach-
sen. Schon in der großen Konferenz vom Dezember 1900 war diese Problematik the-
matisiert worden. Es gab einige Diskussion darum in der Folgezeit, wobei besonders
das Bemühen um den Erhalt des Mazellenviertels herausragt. Das Viertel um den
Mazellenplatz war ein alter, wirtschaftlich reger Teil der Innenstadt. Die Pläne der
Bahnumbauten sahen vor, die Durchfahrt am Mazellentor aufzuheben und den Ver-
kehr auf einer neuen Seite zur Seille hin zu verlegen.89 Geschäftsleute und Hausei-
gentümer des Viertels mußten fürchten, nun ins wirtschaftliche Abseits zu geraten. Sie
verfaßten daher im Frühjahr 1903 eine aufwendige Eingabe und forderten die Stadt-
verwaltung auf, die Erhaltung des bestehenden Durchgangs bei der Bahnbehörde zu
erwirken. Die Bahnbehörde lehnte - erwartungsgemäß - den viel zu spät gestellten
Antrag ab.90 Die Antragsteller ließen sich nicht entmutigen und wandten sich an die
Handelskammer, die sie für eine Weile tatsächlich unterstützte, dann aber auch auf-
gab.91 Ebenso erfolglos blieb die Unterstützung für das Mazellenviertel durch den
neuen Reichstagsabgeordneten Jaunez.92 Interessant an dem Bemühen um den Er-
halt des Mazellenviertels ist daher nicht das Ergebnis, sondern Art und Verlauf. Kon-
flikte auf dem Gebiet der Stadterweiterung waren deutlich aus dem Ghetto der
Pressedebatte herausgetreten. Bemerkenswert ist auch in diesem Fall wieder die ge-
mischt nationale Zusammensetzung der Petenten, die sich in ihrer zweisprachigen
Eingabe eher konziliant zeigten. Die Akteure, kleinere Handwerker, Kaufleute und
Hausbesitzer, wichen damit von den früheren zweisprachig abgefaßten Petitionen im
Stil ab. Zweisprachiger Protest war nicht mehr mit heftiger Kritik an den höheren Be-
hörden gekoppelt. Möglicherweise ist das ein Hinweis auf die kooperativere Haltung
einiger Alteingesessener, sicher jedoch auf die schwindenden Berührungsängste zwi-
schen den nationalen Gruppierungen.
Inzwischen hatten sowohl die allgemeine Stadterweiterung als auch die Bahnumbau-
ten Fortschritte gemacht. Ab November 1901 hatte die Stadt an der Erstellung eines
Baufluchtenplans gearbeitet.93 Im Juni 1902 war der Bebauungsplan fertiggestellt.94
Mit ihm wurde die heute noch Wilhelminische Neustadt entworfen. Im März 1903 be-
gannen die Geländearbeiten für den Güterbahnhof, und im November waren trotz er-
88 Schreiben der Generaldirektion v. 8. Okt. 1903 an den Bezirkspräsidenten in: ADM, 15 AL
478.
89 Text der Eingabe v. 12. März 1903 in: ADM, 15 AL 478.
90 Brief des Bürgermeisters v. 1. Nov. 1903 an den Bezirkspräsidenten in: ADM, 15 AL 478.
91 Ebd. u. Sitzung der Handelskammer v. 21. Nov. 1903 in: ADM, 8 AL 48.
92 "Le courrier de Metz" v. 13. Nov. 1903 in: ADM, 15 AL 478.
93 Gemeinderatssitzung v. 7. Nov. 1901, Protokoll S. 542f.
94 "Metzer Zeitung" v. 27. Juni 1902.
176
heblicher bautechnischer Schwierigkeiten schon die ersten Mauern des Hauptbahnho-
fes zu sehen. Die Art der Fundamentierung war außergewöhnlich und erregte die
Aufmerksamkeit der Fachkreise.95 Im Mai 1905 konnte der neue Güterbahnhof er-
öffnet werden. Im August 1908, nach Wochen "fieberhafter" Arbeit,96 ging - ein Jahr
später als vorgesehen - schließlich auch der Personenbahnhof in Betrieb. Der ent-
schlossene Wille, der hinter diesem Projekt stand, läßt sich gerade durch den finan-
ziellen und technischen Aufwand in dieser Phase erkennen.
Die festliche Einweihung am 17. August 1908 verlief planmäßig. Hochgestellte Militär-
und Zivilvertreter würdigten das Projekt.97 Die Errichtung der neuen Bahnanlagen
begründete der Vertreter der Reichseisenbahn allein wirtschaftlich,98 die militärische
Bedeutung wurde mit keinem Wort erwähnt. Die Stadtverwaltung hingegen lenkte die
Aufmerksamkeit auf die Mitglieder der lokalen Zivilverwaltung, die sich immer um
die Vermittlung mit den Zentralbehörden bemüht hatten: Der nicht mehr in Lothrin-
gen amtierende Bezirkspräsident Hammerstein und der ehemalige Bürgermeister
Kramer.99 Im Rückblick wußte man deren Einsatz durchaus zu schätzen. In der
Schuldzuweisung im damit offen angesprochenen Konflikt fällte der Staatssekretär in
seiner Einweihungsrede erwartungsgemäß ein anderes Urteil als die städtischen Ver-
treter. Am Schluß standen die Wünsche auf eine bessere Zusammenarbeit in der Zu-
kunft.
Ergebnisse
Die Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Bahnanlagen in Metz waren eng
mit dem umfassenderen Projekt der Stadterweiterung gekoppelt. Die Stadterweiterung
war der Wunsch der neuen, mit der Zeit in Metz dominierenden altdeutschen Bevöl-
kerungsgruppe. Ihr gelang es nach einigen Jahren, Vorstellungen, die sich an der Ent-
wicklung in vielen anderen deutschen Städten orientierten, in ihrer neuen Heimat um-
zusetzen. Wie in anderen deutschen Festungsstädten plante die städtische Elite auch
hier, die Ausdehnung und Entwicklung der Stadt durch eine Entfestigung voran-
zutreiben. Die Stadterweiterung war damit das erste große gemeinsame Projekt der
heterogenen Stadtgemeinde.
Mit diesem kollidierten die Pläne der miltärischen Führung in Berlin. Metz lag an der
Schnittstelle zweier unterschiedlicher innerdeutscher Interessenströmungen, der mili-
tärischen und der zivilen. Spezifisch für Metz war einerseits die starke Dominanz des
Militärs im Grenzraum und andererseits eine kommunale Zivilverwaltung, die noch
wenig in der Einwohnerschaft verankert war. Eine solche Machtverteilung begünstigte
95 "Deutsche Bauzeitung" Jg. 40, Nr. 58 v. 21. Juli 1906, S. 398-401 u. Nr. 60 v. 28. Juli 1906,
S. 412-414.
96 "La Gazette de Lorraine" v. 27. Aug. 1908 .
97 "Le Lorrain v. 19. Aug. 1908 u. "La Gazette de Lorraine" v. 19. Aug. 1908.
98 "Le Lorrain" v. 19. Aug. 1908.
99 "La Gazette de Lorraine" v. 19. Aug. 1908.
177
die Interessen der Bahn gegenüber den städtischen Wünschen. Die große Chance für
die sich allmählich herauskristallisierenden Interessen der altdeutschen Metzer war
Wilhelm II., dem an einer günstigen Entwicklung der Stadt Metz zu liegen schien.
Diese Chance konnte die neue städtische Elite jedoch kaum optimal nutzen. Ihre Un-
erfahrenheit in der Verwaltung dieser Stadt und die ungenügende Kenntnis der städ-
tischen Gegebenheiten ließ sich erst mit zeitlicher Verzögerung aufholen. Der man-
gelnde Kontakt zu den Alteingesessenen stellte eine Schwachstelle dar. Es gab zu Be-
ginn der Projektdiskussion so gut wie keine Kommunikation zwischen den nationalen
Gruppen. Verantwortlich dafür waren sicher überwiegend die zugewanderten Bürger,
die eine Beachtung der Alteingesessenen vorerst nicht für nötig hielten. Erst die
gemeinsame Notlage in der Auseinandersetzung mit den Bahnbehörden bewirkte, daß
sich die Gruppen schließlich annäherten.
Unabhängig von der Meinung der Alteingesessenen entwickelten die altdeutschen
Metzer ihren eigenen Standpunkt, der denen der Berliner Behörden widersprach. Im
Laufe der Auseinandersetzung identifizierten sich allmählich auch höhere lokale und
regionale Beamte wie der Bezirkspräsident und auch der Statthalter mit den Inter-
essen der Stadt, so daß man von einer zunehmend selbständigen Politik der Grenz-
raumverwaltung sprechen kann. In der Formulierung der eigenen Position vertraten
die altdeutschen Metzer Standpunkte, die sich mit denen der Alteingesessenen deck-
ten. Denn es gab bei diesen offensichtlich nicht nur die Haltung der Totalablehnung,
sondern auch die Erkenntnis, durch Schweigen die Entwicklung der eigenen Stadt
nicht beeinflussen zu können. Die Entdeckung gemeinsamer Standpunkte lockerte die
nationalen Kommunikationsgrenzen innerhalb der Stadt und führte zu ersten Ansät-
zen gemeinsamer Interessenvertretung. Sowohl aus dem Block der Altdeutschen als
auch aus dem der Alteingesessenen lösten sich Gruppierungen heraus, die eine ge-
meinsame Politik dem Einzelkampf vorzogen.
Die Auseinandersetzungen um die Bahnumbauten haben damit die Dynamik, die be-
reits durch die Stadterweiterung in Metz initiiert war, verstärkt und die innerstädtische
Kommunikation gefördert. Ein klar definierter Gegner, die Reichseisenbahnverwal-
tung, erleichterte die Solidarisierung der Betroffenen und gab dem Konflikt eine inte-
grative Wirkung. Stadtverwaltung und Stadtbewohner hatten einen kollektiven Lern-
prozeß durchgemacht.
178
Stefan Fisch
Planung als Eigentumsbeschränkung in der Obrigkeitsstadt
Bemerkungen zur Straßburger Stadtentwicklung 1871-1918
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkte sich im Laufe des besonders in
Deutschland, weniger in Frankreich beschleunigten Urbanisierungsprozesses das
Wachstum der Städte, der großen vor allem. Als immer mehr Neubaugebiete ent-
standen, suchten die städtischen Verwaltungen nach Mitteln und Instrumenten zur
Durchsetzung ihrer Vorstellungen von einer geordneten Entwicklung; und auch diese
Vorstellungen selbst wandelten sich mit der Zeit. Zunächst ging es besonders um die
Kostenverteilung bei der Erfüllung gemeinsam zu tragender Aufgaben, wozu klassi-
sche wie der Straßenbau und neue wie die Anlage von Kanalisation und Wasserlei-
tung zählten. Um die Jahrhundertwende verschärfte sich mit Wohnungselend und
Bodenspekulation der Blick auf die sozialen Probleme gerade der Großstädte, und
städtische Planung stellte sich neuartige, stärker sozialpolitische Ziele, wie kommunale
Bodenpolitik und vorbeugende öffentliche Hygiene. Diese Vorgänge sollen hier - mit
vergleichenden Seitenblicken - am Beispiel der Straßburger Stadtplanung der Reichs-
landzeit (1870/71 -1918) untersucht werden, wobei das Spannungsfeld von gewohnten
französischen und neuartigen deutschen Rechtskonzeptionen und Verwaltungs-"Men-
talitäten" eine besondere Rolle spielt.
Neuartige Instrumente zur Durchsetzung städtischer Planungsvorstellungen im
Konflikt mit Eigentümer-Interessen seit der Ära Otto Back
Die Instrumente der Baufluchtlinie (alignement) und des Anliegerbeitrags (taxe de
riverain) bei der Stadterweiterung im alten Festungsrayon seit 1875
Der Rauch der Brände in der Straßburger Altstadt nach der deutschen Beschießung
1870 war kaum verzogen, da sprach Generalfeldmarschall Moltke schon davon, daß
man den "steinernen Panzer" der französischen Befestigungen rund um die Stadt
"aufbrechen" müsse. Moltke wollte eine neue, jetzt nach Westen gewendete Festung
bauen lassen. Sie sollte finanziert werden durch den Verkauf des nicht mehr benötig-
ten alten Festungsgeländes an die Stadt. Die Stadt wiederum sollte den von ihr zu
entrichtenden Kaufpreis durch den Weiterverkauf der Terrains als Bauland an Private
decken; letzten Endes sollten damit die Grundstückskäufer das ganze Entfestigungs-
und Befestigungs-Unternehmen finanzieren.1 So kam der größere Teil des alten
inneren Festungsrayons, der seit Kriegsende dem Deutschen Reich gehörte, durch
Ankauf en bloc am 2. Dez. 1875 gegen 15,5 Millionen Mark in den Besitz der Stadt
1 François Igersheim, Strasbourg capitale du Reichsland. Le gouvernement de la Cité et la
politique municipale, in: Histoire de Strasbourg des origines à nos jours, Bd. 4, hrsg. von
Georges Livet u. Francis Rapp, Strasbourg 1982, S. 195-266, hier S. 211-217.
179
Straßburg; etwas weniger als die Hälfte des Rayons war und blieb allerdings in
privater Hand (Abb. 1).
yß vertraglich erworbenes Gelände
Zeichn.: R. Zimmermann
Abb. 1: Erwerb militärfiskalischen Geländes durch die Stadtver-
waltung (Vertrag v. 2. Dez. 1875)
Darin unterschied sich die Straßburger Entfestigung grundsätzlich von der etwas
späteren Kölner Entfestigung seit 1880: Die Stadt Köln konnte das gesamte Festungs-
gelände erwerben; und als sie es nach seiner Parzellierung (durch ihre Beamten unter
Leitung von Joseph Stübben) weiterverkaufte, stellte sie in den Verkaufsverträgen
Bedingungen für Art, Höhe und Ausmaß der geplanten Bebauung. Der alte pri-
vatrechtliche Grundsatz der Dispositionsfreiheit des Eigentümers ermöglichte der
Stadt Köln, wie vorher schon der Stadt Mainz,2 der Sache nach beim privatrecht-
lichen Verkauf eine neuartige öffentliche Stadtplanung im gesamten Gebiet der Neu-
2 Dort griff das Verkaufsreglement der Stadt einer späteren Bauordnung vor, vgl. Michael
Kläger, Die Mainzer Stadt- und Festungserweiterung. Kommunale Politik in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts (= Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz. 28), Mainz 1988, S.
119.
180
Stadt.3 In Straßburg dagegen ließ sich eine kommunale Planung nicht allein auf
Grund von Eigentümerrechten der Stadt durchsetzen, weil der Stadt gar nicht das
ganze betroffene Gelände gehörte; und dennoch gelang es der Stadt, diese Chance zu
nutzen und "Herrin ihrer Geschichte"4 zu werden. Dazu waren neue öffentlich-recht-
liche Vorschriften unumgänglich notwendig. In diese Richtung hatte schon die Entfe-
stigung und Stadterweiterung der Stadt Mainz 1870/72 gewiesen: Nachdem ganz im
Anfang der Projektierung ein Verein der betroffenen Grundbesitzer bereit gewesen
war, durch Zahlungen an die Festungsverwaltung einen Teil der Baubeschränkungen
im Rayon durch Geldzahlungen abzulösen, war der Damm gegen die Belastung von
betroffenen Anliegern gebrochen. Das führte zu zwei wichtigen hessischen Landes-
gesetzen, dem vom 25. Febr. 1873, wonach die neu geschaffenen Bauplätze je nach
ihrer Verwertbarkeit in sechs Steuer-Zonen eingeteilt und zu einer "außerordentlichen
Communalsteuer" herangezogen wurden, sowie dem vom 13. Juli 1875, wonach die
Anlieger zu den Straßen- und Kanalisationskosten beitragen mußten.5
Auch in Straßburg lag das Entfestigungsgebiet nach dem Ankauf durch die Stadt im
Jahre 1875 teils in städtischer, teils in privater Hand. Mit dem Entfestigungsgesetz
vom 14. Febr. 18756 wurde zunächst das bisherige Bauverbot im Schußfeld des alten
Festungsrayons aufgehoben. Der von der deutschen Verwaltung kommissarisch einge-
setzte Straßburger Bürgermeisterei-Verwalter Otto Back gab zwei Planungsprojekte
für die Neustadt in Auftrag, bei Baurat August Orth in Berlin7 und bei dem seit 1849
in Straßburg tätigen Stadtbaumeister Jean Geoffroy Conrath. Zu ihrer Diskussion
berief er eine "außerordentliche Kommission" von Fachleuten aus Wissenschaft und
Verwaltung. Bei ihren sechs Tage dauernden Beratungen und Ortsbesichtigungen im
September 1878 konnte der Karlsruher Ingenieur-Professor Reinhard Baumeister,
dessen erstes modernes Städtebau-Lehrbuch gerade im Druck war,8 wohl erstmals
seine Ideen praktisch umsetzen, als er bauordnungsähnliche Vorschriften verlangte.
Er trat u.a. für Brandmauern zur Erhöhung der Feuersicherheit und Vorgärten auch
auf privatem Grund ein; und vor allem wollte er damals schon einen Lichteinfalls-
winkel von mindestens 45° vorschreiben,9 um so wenigstens in die neuen Viertel der
3 Vgl. Stefan Fisch, Joseph Stübben in Köln und Theodor Fischer in München. Stadtplanung
des späten 19. Jahrhunderts im Vergleich, in: Geschichte in Köln, H. 22 (1987), S. 89-113.
4 August Orth, Entwurf zu einem Bebauungsplan für Straßburg, bearbeitet im Auftrag der
Stadtverwaltung, Leipzig 1878, S. 2.
5 Gesetzestexte bei Kläger (Anm. 2), S. 274-276 u. S. 277-281.
6 Bénédicte Leclerc, L’urbanisme à Strasbourg. Fin XIXe - début XXe. [Masch.] D.E.A,
E.H.E.S.S. Paris o.J., S. 18.
7 Vgl. Orth (Anm. 4).
8 Reinhard Baumeister, Stadt-Erweiterungen in technischer, baupolizeilicher und wirtschaftli-
cher Beziehung, Berlin 1876.
9 Reinhard Baumeister in: Protokolle über die Sitzungen der Commission zur Feststellung des
Bebauungsplans für die Stadt Straßburg, Straßburg 1879, S. 44-46.
181
arg zusammengedrängten Stadt mehr "Luft und Licht" bringen.10 Doch in der Kom-
mission bekämpfte dann eine Alt-Straßburger Minderheit, zwei freie Architekten und
der Präsident der Handelskammer diesen Entwurf vehement. Für sie wich er viel zu
stark von den "gegenwärtig geltenden und [...] im allgemeinen genügenden" franzö-
sischen Rechtsauffassungen11 ab; in ihren Augen hinderte die Regelungssucht von
Back und Baumeister unzulässig den gewohnten freien Gebrauch des (Grundeigen-
tums. Das Eigentum nämlich war für Frankreich seit der Erklärung der Menschen-
und Bürgerrechte vom 26. Aug. 1789 in der Tat ein "unverletzliches und heiliges
Recht"12 geworden, freilich über einige sehr etatistische Zwischenphasen, zuletzt
unter Haussmann in Paris, in denen eine Verwaltung mit fast unumschränkten
Vollmachten den Fortschritt der Gesellschaft antreiben wollte.13 Mit der inzwischen
in der Praxis sehr liberalistisch gewordenen französischen Auffassung vom Eigentum,
die das Bewußtsein der Alt-Straßburger Gesellschaft gegenüber dem alten wie dem
neuen Staat mit großer Beharrungskraft prägte, hatte man noch nach vierzig Jahren
deutscher Herrschaft zu rechnen: Weil seit der Revolution eine "Abneigung gegen
jeden polizeilichen Zwang [und eine] hohe Wertschätzung nicht nur der persönlichen
Freiheit, sondern [...] auch des Privateigentums" herrsche, werde "in keinem deutschen
Staate das Eigentum so hoch geschätzt wie in Elsaß-Lothringen", schrieb ein hoher
Straßburger Beamter.14 Im übrigen Deutschland war dagegen mittlerweile, nach
einer Welle der Boden-Freisetzung im Gefolge der Bauernbefreiungen, wieder eine
stärker einschränkende Bindung gerade des städtischen Bodeneigentums üblich
geworden: In den meisten deutschen Staaten durfte nur mit einer förmlichen "Bauge-
nehmigung" und unter Beachtung von "Baufluchtlinien", die die Stadt erlassen hatte,
neu gebaut werden; für Mainz war sogar schon eine Art Wertzuwachssteuer und dazu
der Anliegerbeitrag eingeführt worden. Bauwilligen Alt-Straßburgem war dagegen nur
10 Eine gründliche und alle ihre Quellen nennende Studie bieten Claude Denu u. Eric
Ollivier, Der Bebauungsplan für die Erweiterung der Stadt Straßburg. Le plan d’extension de
la ville de Strasbourg. 1871-1880. [Masch., Text nur frz.] Dossier I.AU.S. Strasbourg 1978,
hier bes. S. 136f.; viele Abbildungen bietet darauf aufbauend ein Dossier der Agence d’urba-
nisme pour l’Agglomération Strasbourgeoise mit dem Titel: Le projet urbain dans l’histoire de
Strasbourg. Colloque des 30 et 31 octobre 1981, Strasbourg 1981; zur Bedeutung Straßburgs
als "laboratoire" für neue Ideen in der Stadthygiene vgl. Viviane Claude, La germanisation de
Strasbourg après 1871, in: Les Annales de la recherche urbaine, no. 37 (1988), S. 38-45.
11 Architekt Petiti, in: Protokolle (Anm. 9), S. 46.
12 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte v. 26. Aug. 1789, Art. XVII.
13 Vgl. dazu die das Enteignungsrecht betreffenden Abschnitte in der grundlegenden, auch die
Judikatur berücksichtigenden Studie von Alfons Bürge, Das französische Privatrecht im 19.
Jahrhundert. Zwischen Tradition und Pandektenwissenschaft, Liberalismus und Etatismus (lus
Commune, Sonderheft), erscheint voraussichtlich 1991, S. 331-340 u. 356-391. - Ich danke
Herrn Bürge für freundlichst gewährten Einblick in die Druckfahnen.
14 Heinrich Emerich, Der Schutz des Ortsbildes. Das Elsaß-Lothringische Landesgesetz
betreffend baupolizeiliche Vorschriften v. 7. November 1910 (Gesetzblatt v. 21. Nov.), sowie
das Ortsstatut und die Verordnung zum Schutze des Ortsbildes von Straßburg v. 23. Novem-
ber 1910, Straßburg 1911, S. 23, 42, 70.
182
das viel weniger einschneidende französische "alignement" vertraut. Dabei ging es um
einen rein privatrechtlichen "einfachen Abgränzungsakt"15 zwischen dem Grund-
eigentümer und dem Staat (das "alignement" galt nicht für Gemeindestraßen) als den
beiden gleichberechtigten Straßenanliegern. Völlig unberührt blieb dabei die gesamte
Gestaltung des Bauwerks, soweit es nicht an, sondern hinter der Grenzlinie lag.
Mit dem § 1 das Landesgesetzes über die Beschränkungen der Baufreiheit in den
neuen Stadtteilen von Straßburg vom 21. Mai 187916 trat an die Stelle dieses nach-
barrechtlichen französischen "alignements" die stärker öffentlich-rechtliche preußisch-
deutsche Konzeption der "Fluchtlinie". Ihre Genehmigung war nun Voraussetzung für
die Durchführung jedes Bauvorhabens im gesamten Stadterweiterungsgebiet. Damit
hatte die Stadtverwaltung in Straßburg, ganz in der französischen Verwaltungstradi-
tion allein vom Bürgermeister vertreten, ein von ihr zunehmend stärker genutztes
Interventionsrecht gewonnen - und damit auch Befugnisse bei der Baugestaltung. Daß
diese deutschen "Fluchtlinien" nicht nur in Straßburg, sondern auch im traditionell
noch immer stark nach Frankreich orientierten Bayern, auch "Alignements" genannt
wurden, darf nicht über den prinzipiellen Unterschied in der Sache hinwegtäuschen,
daß es in Deutschland auch im Bereich der baulichen Gestaltung der Städte zu einer
viel stärker obrigkeitlichen Bestimmung über das Handeln des einzelnen kam. Die
Städte machten hier den Bauherren etliche Vorschriften - durchaus im Interesse des
Ganzen, man denke nur an Gefahrenschutz, Verkehrsbedürfnisse und Gesundheits-
vorsorge. Diese Bestimmungen waren anfangs ein reines Spezialgesetz für Straßburg,
nicht einmal für unmittelbar benachbarte Vororte wie Schiltigheim, konnten dann
aber auf Grund des Landesgesetzes vom 6. Januar 1892 - nach deren Antrag - auf
zahlreiche andere Städte des Reichslandes übertragen werden.17 Damit verwandelte
das elsaß-lothringische Landesgesetz von 1879, ähnlich dem preußischen Fluchtlinien-
gesetz von 1875, das Baurecht nach und nach in ein Werkzeug der administrativen
Stadtgestaltung. Das Stadtbild sollte nicht mehr zufälliges Ergebnis aus unkoordi-
nierten Bauentscheidungen vieler einzelner Grundeigentümer sein, sondern durch ein
planvolles Wirken der Stadtverwaltung geformt werden,18 die nun auf der Basis der
von Reinhard Baumeister formulierten Empfehlungen des Vereins deutscher Ar-
chitekten- und Ingenieur-Vereine von 1874 und seines Entwurfs einer reichsweit
15 Otto Mayer, Theorie des französischen Verwaltungsrechts, Straßburg 1886, S. 256-266, hier
S. 257; in Übereinstimmung mit dem französischen Recht des "alignement" war auch nach
1870 zunächst nur das Bauen an Staats-, Bezirks- und Vizinalstraßen genehmigungspflichtig.
16 Eingehende Darstellung der Entstehung dieses Gesetzes bei Rolf Wittenbrock, Bauord-
nungen als Instrumente der Stadtplanung im Reichsland Elsaß-Lothringen (1870-1918).
Aspekte der Urbanisierung im deutsch-französischen Grenzraum, St. Ingbert 1989, S. 134-145;
die wesentlichen Bestimmungen abgedruckt in: Straßburg und seine Bauten, hrsg. v. Archi-
tekten- und Ingenieur-Verein für Elsaß-Lothringen, Straßburg 1894, S. 386f. Anm. 1.
17 Wittenbrock (Anm. 16), S. 146-162.
18 Stefan Fisch, Administratives Fachwissen und private Bauinteressen in der deutschen und
französischen Stadtplanung bis 1918, in: Formation und Transformation des Verwaltungs-
wissens in Frankreich und Deutschland (18./19. Jh.), hrsg. v. Erk Volkmar Heyen, Baden-
Baden 1989 (= Jahrbuch für Europäische Verwaltungsgeschichte. 1), S. 221-262, hier S. 247.
183
einzuführenden "Normalbauordnung"19 detaillierte Bauordnungen erließen, in Straß-
burg seit 1892.20
Um diese Gestaltungschance ergreifen zu können, mußte eine Stadt zuvor das drän-
gendste finanzielle Problem dabei lösen: Die Frage, wer die Grundstücks- und An-
lagekosten für die neu zu bauenden Straßen zu tragen hat. Mit dem § 4 des Landes-
gesetzes von 1879 wurden sie in Straßburg auf die Anlieger abgewälzt - das war zwar
nicht gegenüber den Mainzer Verhältnissen seit 1875, wohl aber gegenüber der Praxis
in Frankreich eine grundlegende Neuerung. Noch bis zur Entfestigung von Paris 1926
(vorher gab es nur 1914 eine Sonderregelung für die Kolonie Marokko) kannte das
französische Recht keine vergleichbaren Straßenkosten- oder Erschließungsbeiträge
der Anlieger an neuen Straßen. Für die grundsätzlich andere Lösung dieser Frage
durch Erhebung "konstanter Geldbeiträge", die Baumeister 1878 zusammen mit ande-
ren Bauvorschriften für Straßburg anregte,21 gab es in der deutschen Verwaltungs-
tradition zwei unterschiedliche Begründungen: Im Verzicht auf Zuschußzahlungen der
Anlieger zu den Investitionen der Stadt sah seinerzeit der Bürgermeisterei-Verwalter
Back eine "ungerechte Belastung der Gesamtheit der Gemeindemitglieder zugunsten
Einzelner. Denn erst durch die ordnungsmäßige Herstellung der Straßen erhalten die
anstoßenden Grundstücke die Eigenschaft wirklicher Bauplätze".22 Nach der Jahr-
hundertwende kam unter dem Eindruck der großstädtischen Bodenspekulation die
stärker fiskalische Ansicht hinzu, der Anliegerbeitrag müsse als eine Art einmaliger
Abgabe auf die stetige Wertsteigerung städtischen Baulands erhoben werden.23
In Straßburg wurde der Anliegerbeitrag seit 1879 pauschal nach der Länge der Stra-
ßenfront bemessen; mit seinem Ertrag finanzierte die Stadt die Anlage der Straßen
in der ’Neustadt’, die um bis zu 2,50 m höher gelegt werden sollten. Das war wegen
der Überschwemmungsgefahr notwendig, sollte aber auch schon - vorausschauend -
die später vorgesehene Anlage einer Schwemmkanalisation erleichtern.24 Bis heute
bildet der Anliegerbeitrag (taxe de riverain) zugunsten der Gemeindekassen einen für
die Gemeinden wichtigen Bestandteil des seit 1918/19 so genannten "droit local
alsacien-mosellan", das Rechtsentwicklungen aus deutscher Zeit bewahrt. Gegen
19 Zu Baumeisters Bauordnungsentwürfen Stefan Fisch, Stadtplanung im 19. Jahrhundert. Das
Beispiel München bis zur Ära Theodor Fischer, München 1988, S. 130-132 sowie allgemein
zur Problematik S. 100-111.
20 Wittenbrock (Anm. 16), S. 163-175 (Bauordnung v. 1. März 1892) u. S. 227-239 (Zonenbau-
ordnung v. 12. April 1910).
21 Baumeister, in: Protokolle (Anm. 9), S. 58.
22 Otto Back, Aus Straßburgs jüngster Vergangenheit. Die städtische Verwaltung in der Zeit
vom 12. April 1873 bis zum 25. April 1880, Straßburg 1912, S. 200f.
23 Karl Eichelmann, Die Erweiterung der Stadt Straßburg (auf Grund des Vertrages der Stadt
mit dem Deutschen Reiche v. 2. Dez. 1875) (= Beiträge zur Statistik der Stadt Straßburg i.
E. 6), Straßburg 1907, S. 14.
24 J. Krieger, Topographie der Stadt Straßburg nach ärztlich-hygienischen Gesichtspunkten
bearbeitet, Straßburg 1885, S. 65f. (dazu der Geländequerschnitt Tafel I, Abb. 5A.).
184
Abschaffungsversuche von Paris aus protestierten 1923 schon Jacques Peirotes, der
sozialistische Bürgermeister von Straßburg, und 1935 sogar die Bürgermeister von 38
elsässischen Städten.25 Mit ihrem Erfolg sicherten sie ein auch fiskalisch wichtiges
Autonomierecht, das mittlerweile in über 250 Gemeinden eingeführt ist.26
Unzulänglichkeiten der Enteignung (expropriation) nach französischem Recht bei der
Straßenanlage in der ’Neustadt’ seit 1883
Die Finanzierung von neuen Straßen und Plätzen in der ’Neustadt’ war also seit 1879
gemäß deutscher Verwaltungs- und Rechtskonzeption auf die Anlieger abgewälzt -
aber zuvor mußte die Stadt erst das Eigentum an allen dazu benötigten Grundstücken
erwerben. Bei manchen nach 1870 nach Frankreich gegangenen und verhandlungs-
unwilligen Alt-Straßburger Besitzern war das nicht einfach. Als Druckmittel zur
Beschleunigung der Verhandlungen erstrebte die Stadt Straßburg recht bald eine
Expropriationsbefugnis - nach dem alten Enteignungsrecht, das wie viele andere Ge-
setze aus französischer Zeit weiter in Kraft war.27 Sie beantragte am 14. Sept. 1880,
"auf ein Mal für alle nach dem Bebauungsplan zu erwerbenden Grundflächen"28 die
Prozeduren des französischen Enteignungsgesetzes vom 3. Mai 1841 einzuleiten. Der
Statthalter erließ am 20. Sept. 1882 unter Berücksichtigung der Einwendungen der
Beteiligten während einer vorausgegangenen öffentlichen Anhörung (enquête) die
notwendige Verordnung über die "utilité publique" der geplanten öffentlichen Arbei-
ten. Nach einer öffentlichen Auslegung des Grunderwerbsplans folgte ihr am 3. April
1883 ein im französischen Recht widersinnig so genanntes "Urteil",29 in dem das
Kaiserliche Landgericht Straßburg lediglich die Einhaltung aller Formalitäten zu
bestätigen hatte.
25 Th. Grasser, Die Gemeinde-Verfassung und -Verwaltung in Eisass und Lothringen, Stras-
bourg 1934, als Vortrag zugespitzt dann ders., Les particularités du régime municipal en
Alsace et en Lorraine. La question des libertés locales, Strasbourg 1935 [Sonderdruck aus:
L’Echo des communes. Organe de l’union des employés communaux de carrière d’Alsace et
de la Lorraine]; vgl. auch Joseph Klein, Le droit local de l’urbanisme et son application à
Strasbourg, [Masch.] Mémoire D.E.S.S. Collectivités locales, Fac. de Droit Strasbourg 1982/83,
S. 6-35.
26 Vgl. zur heutigen Praxis Marcel Hauswirth, Le droit communal local en Alsace-Moselle,
Schiltigheim 1987, S. 60-65.
27 Grundlegend: R. Förtsch u. M. Kaspar, Elsaß-Lothringisches Baurecht, enthaltend eine
systematische Darstellung der auf Bauten bezüglichen Rechtsvorschriften des öffentlichen und
Privatrechts, sowie eine Zusammenstellung der dazugehörigen Gesetze und Verordnungen in
deutscher Übersetzung, Straßburg 1878.
28 Zu dieser generellen Enteignungsberechtigung vgl. Archives Municipales de Strasbourg,
Archives Modernes (künftig abgekürzt: AMS-AM), Div. I, 99/636.
29 Sehr kritisch zu dem Gesetz v. 8. März 1810 Mayer (Anm, 15), S. 235-246, hier S. 240: das
sogenannte Urteil "verdient seinen Namen in keiner Weise"; zu erklären sei das nur aus dem
Wunsch Napoleons, mit dem Odium der Enteignung nicht die Verwaltung, sondern die
Gerichte zu behaften. Eine andere, auf ein Wort Napoleons gegen bisher übliche exorbitante
Entschädigungsfestsetzungen durch Experten gestützte Erklärung jetzt bei Bürge (Anm. 13),
S. 336 Anm. 179.
185
Im Prinzip durfte die Stadt Straßburg nun enteignen, aber sie machte dieses Recht in
den 20 Jahren bis 1903 nur in 20 Fällen vor dem Landgericht geltend. Das lag an
Unzulänglichkeiten des Verfahrens: Das Landgericht berief nach einer rein formalen
Prüfung eine "Jury", ein "Geschworenengericht zur Feststellung der Entschädigung"
aus zwölf Mitgliedern unter Vorsitz eines Richters, die - meist nach einer Ortsbesichti-
gung - über die Höhe der Entschädigung entschied. Da alle Geschworenen grundbe-
sitzende Honoratioren sein mußten und aus dem ganzen Gerichtsbezirk, also vielfach
auch vom Lande, kamen, legten sie die von der Stadt zu bezahlenden Entschädigun-
gen ziemlich eigentümerfreundlich fest. In den 20 von ihr angestrengten Enteignungs-
fällen zusammen mußte die Stadt Straßburg schließlich 614 671,36 Mark statt der von
ihr zuerst gebotenen 227 630,49 Mark, also fast das Dreifache bezahlen.
Wie in Frankreich selbst, wo diese Entschädigungspraxis die Fortführung der "hauss-
mannisation" in Paris und in der Provinz sehr bald wegen massiver Überschuldung der
Städte unmöglich gemacht hatte, erwies sich dieses Gesetz auch im Elsaß als unzu-
reichend für die Verfolgung gemeinwohlorientierter Zwecke. Als schließlich nach der
Jahrhundertwende dem Landesausschuß ein eigenes Landesenteignungsgesetz vorlag,
griff in die Schlußphase der Beratungen im September 1904 auch der Straßburger
Gemeinderat mit einer Petition für ein angemesseneres Enteignungsrecht ein.30
Darin hieß es, obwohl die Stadt stets "eine reichliche, über den gewöhnlichen Wert
hinausgehende Entschädigung" angeboten habe, seien bisher die von den Jurys
beschlossenen Beträge doch noch viel höher gewesen. Dadurch sei die Stadt - selbst
bei wohnungspolitisch wichtigen Vorhaben - schon bei den Verhandlungen im Vorfeld
der Enteignung "in die Hand der Grundstücksspekulanten gegeben", denn bei einer
möglichen Enteignung müsse sie noch höhere Kosten befürchten. Ohne "gegen die
Mitglieder der heute bestehenden Jury den Vorwurf zu erheben, als ob sie bewußt
pflichtwidrig handelten", schlug der Straßburger Gemeinderat zur Ergänzung des
Gesetzentwurfes vor, die Jury nur noch zur Hälfte aus der Haus und Grund besitzen-
den Notabeinbourgeoisie zusammenzusetzen. Doch gerade an deren starkem Wider-
stand im Landesausschuß, der noch nicht, wie später der Landtag nach der Landes-
verfassung vom 31.Mai 1911, direkt gewählt war, scheiterte dieser Gesetzentwurf im
November 1904.
Die stärker gegen Boden- und Bauspekulation gerichtete Denkweise der deutschen
Verwaltung lebte in Straßburg in den frühen 30er Jahren unter anderen Vorzeichen
kurzzeitig noch einmal auf, als Charles Hueber, ein autonomistischer Kommunist,
Bürgermeister war und eine "Mehrwertsteuer" als Besteuerung des Bodenwertzuwach-
ses ins Auge faßte. Ihm schlug damals ein städtischer Jurist vor, in Zukunft beim
Ortstermin der Enteignungsjury möglichst wenig vom geplanten Projekt erkennen zu
lassen, weil "erfahrungsgemäß zu erwarten [steht], daß die Geschworenen den sichtbar
werdenden ’Mehrwert’ bereits dem Enteigneten zu Gute kommen lassen, wodurch die
Interessen der Stadt wesentlich nachteilig beeinflußt und deren Wahrnehmung im
30 Petition des Straßburger Gemeinderats an den Landesausschuß v. 28. Sept. 1904, AMS-AM,
Div. I, 52/202.
186
Enteignungsfall fast vereitelt wird".31 Erst ein Dekret von Präsident Lebrun ersetzte
am 8. Aug. 1935 die "jury d’expropriation" in der Fassung des Gesetzes von 1841
durch eine neue "commission arbitrale d’évaluation", unter deren fünf Mitgliedern nur
noch eines die Grundeigentümer vertreten sollte.32
Der heimliche Aufkaufzu Marktbedingungen als Alternative zur Enteignung beim ersten
Abschnitt des "Großen Durchbruchs" ("Grande Percée") seit 1909
Weil das Landesgesetz zur Neuregelung der Enteignung gescheitert war, mußte die
Straßburger Stadtverwaltung einen Ersatz für das wenig taugliche Instrument der
Zwangsenteignung nach dem Gesetz von 1841 finden, als bei ihrem größten inner-
städtischen Stadtplanungsprojekt Land aufgekauft werden mußte. Ein Slumviertel in
der Altstadt nördlich der Langgasse (heutige Grande Rue), in dem Orth schon 1878
nichts als "winklige, enge Straßen, schlechte, niedrige und sehr verbaute Häuser"33
und sanitäre Gefahren sah, sollte nun endlich saniert werden. Dabei sollte ein "Neuer
Boulevard" oder "Großer Durchbruch" zugleich die Verkehrsanbindung der City an
den Bahnhof verbessern; diese "Grande Percée" umfaßt den heutigen Straßenzug Rue
du 22 Novembre - Rue des Francs-Bourgeois - Rue de la Division Leclerc - Rue de
la 1ère Armée, der erst nach 1945 auf der Grundlage der alten Planung fertiggestellt
wurde. Über die Chancen eines früheren innerstädtischen Durchbruchsprojekts hatte
1885 der Kreisarzt Dr. Krieger - noch durchaus im Blick auf die Erfahrungen in
Frankreich - geurteilt: "Leider stehen der Ausführung so große finanzielle Bedenken
entgegen, daß kaum ein zweiter Haussmann dieselben heben könnte".34 Doch der
Nachfolger Backs als Bürgermeister, Rudolf Schwander, fand tatsächlich einen
anderen Weg als den der befürchteten städtebaulichen Stagnation, wie sie in Paris
und Lyon eingetreten war.
Anstatt eine Enteignung einzuleiten, dadurch alle seine Pläne bekannt zu machen und
noch dazu das Risiko hoher Entschädigungszahlungen einzugehen, ließ Schwander
lieber durch drei "besonders geschäftsgewandte Agenten" heimlich die betroffenen
Innenstadtgrundstücke aufkaufen, was unauffällig gelang. Die meisten Gemeinderats-
mitglieder hatte Schwander vorher in persönlichen Gesprächen informiert, aber einen
förmlichen Gemeinderatsbeschluß konnte er bis zum Abschluß des Aufkaufs nicht
herbeiführen - denn dann wäre sein Projekt bekannt geworden und die einsetzende
Spekulation hätte die Preise in die Höhe getrieben. Erst am 10. Mai 1907, als der
größte Teil der 31 205 qm fest oder in Anwartschaft erworben war, erwirkte Schwan-
der den Beschluß des Gemeinderats, daß die Stadt alles benötigte Land von den
31 Schreiben der Abteilung VIb (Conrath) an den Bürgermeister v. 31. Juli 1934, AMS-AM,
Div. I, 107c/27.
32 Ausführlicher zu diesem ganzen Komplex Stefan Fisch: Zur Handhabung des Bau- und
Bodenrechts in Straßburg nach den politischen Umbrüchen von 1870 und 1918, in: Jahrbuch
für europäische Verwaltungsgeschichte 2 (1990), S. 77-102.
33 Orth (Anm. 4), S. 16, 49 und Bildtafel II.
34 Krieger (Anm. 24), S. 113.
187
Agenten kaufen solle. Da diese bis dahin ein beträchtliches Ausfallrisiko getragen
hatten, sollten sie als Provision 5 % statt des üblichen Satzes von 1 % erhalten.35
Bei ihrem Überraschungscoup, der bis dahin in der Tat verborgen blieb, entgingen
der Stadt nur 13 Grundstücke; am Ende mußten sogar nur zwei Grundstücke zwangs-
weise enteignet werden (Abb. 2). Mit dem Aufkauf zu Marktpreisen durch Strohmän-
ner hatte Schwander einen überraschenden, zügigen und wohl auch billigeren Ersatz
für die wenig praktikable Zwangsenteignung nach französischem Recht gewagt. Die
- bis heute erhalten gebliebene - starke Stellung des berufsmäßigen, besoldeten
Bürgermeisters36 im elsaß-lothringischen Gemeinderecht hat es ihm sicherlich er-
leichtert, dieses Risiko einzugehen.
Moderne Zielsetzungen des Straßburger Städtebaus unter Bürgermeister Rudolf
Schwander
Von den Anfängen präventiver hygienischer Intervention bei der Wohnungsinspektion bis
zum "System positiver Wohnungsfürsorge" bei der Sanierung eines Altstadt-Slums
In der Altstadt von Straßburg war die Bebauung wegen des Bauverbots vor den Mau-
ern wie in anderen Festungsstädten (Köln, Metz, Posen) äußerst eng verdichtet, was
auch hygienische Probleme wie Überbelegung, Schmutz und Gestank zur Folge hatte.
Im französischen, sehr stark am Recht des Eigentümers orientierten Rechtsdenken
fehlten aber zunächst Vorschriften zur vorbeugenden Gesundheitspflege; - das hatte
schon bald nach 1870 Reinhard Baumeister als - unzweckmäßige - Straßburger "Frei-
heiten" kritisiert.37 Allerdings war Abhilfe schwer zu schaffen; im Städtebau des 19.
Jahrhunderts war die Umgestaltung des Vorhandenen wegen der intensiven Konfron-
tation mit bestehenden und bis dahin unangefochtenen Eigentumsrechten die schwie-
rigste Form städtischer Intervention in die bauliche Gestalt der Stadt.
Deshalb zeigte Baumeisters Kritik erst 1898 erste Wirkung, als ein Antrag des Ver-
waltungsrechtsprofessors, Gemeinderats und Beigeordneten Otto Mayer38 ein in
Frankreich schon lange außer Anwendung geratenes Gesetz vom 13. April 1850 gegen
ungesunde Wohnungen erneut "reaktivierte". Zwar hatte schon 1881 der Bürgermei-
sterei-Verwalter Stempel auf dieser Rechtsgrundlage eine "Kommission zur Unter-
suchung ungesunder Wohnungen" eingerichtet - sie beanstandete aber nur 75 Häu-
35 Gedrucktes Protokoll der Sitzung des Gemeinderats v. 10. Mai 1907, AMS-AM, Div. I,
183/1386.
36 Grasser, Particularités (Anm. 25), S. 8-10, Klein (Anm. 25), S. 41, sowie Hauswirth (Anm.
26), S. 50-52 (Polizeivollmachten) und 93-95 (Baupolizei).
37 Artikel von Reinhard Baumeister über die Straßburger Stadterweiterung, in: Deutsche
Bauzeitung 15 (1881), S.13f., 17 (Abb.), 26-28, hier S. 26.
38 Erk Volkmar Heyen, Die Verwaltungspraxis Otto Mayers in Straßburg und Leipzig.
Kommunalpolitik auf dem Wege vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat, in: Verwaltungs-
archiv. Zs. für Verwaltungslehre, Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik 71 (1980), S. 44-
59; bemerkenswert Backs Ansicht dazu, "die Theorie sei doch etwas sehr Praktisches" (S. 54).
188
Abb. 2:
Der ’große Durchbruch’ in Straßburg, Archives Municipa-
les de Strasbourg, Fotostelle, Negativ Nr. 721
189
ser,39 Die neue "Wohnungsinspektion" der Jahrhundertwende griff dagegen wirklich
scharf durch; ihre Beamten hatten das Recht zu umfassenden Bestandsaufnahmen
und dann auch zum Einschreiten gegen untragbare Zustände - und beides taten sie
auch jenseits von Haus- und Wohnungstür. So wurde die Wohnungsinspektion zu ei-
ner Gesundheitspolizei, die - endlich - "nicht mehr Halt macht [e] an den Gränzen des
Privatlebens".40
Geschickt setzte die Straßburger Verwaltung dabei den klassischen Ehrenamtscharak-
ter der deutschen kommunalen Selbstverwaltung zugunsten "neuer, unbequemer Auf-
lagen" ein. Das Gegenargument der Hausbesitzer, bisher habe es solche Vorschriften
nicht gegeben, war am besten zu entkräften, wenn diese "in ihrer gesundheitlichen
Notwendigkeit praktisch nicht bestritten werden" konnten. Dazu trage weniger die
Autorität eines Beamten bei als vielmehr das im persönlichen Gespräch gegebene
"Zeugnis [...] einer großen Reihe anderer ruhiger und in der Öffentlichkeit durchaus
angesehener ehrenamtlich tätiger Mitbürger"41 - im Hintergrund dieser Straßburger
Erfahrung ist natürlich auch der Gegensatz zwischen reichsdeutschem Beamten und
altelsässischem Bürger zu spüren. Daß somit der ’öffentlichen Meinung’ die Verbes-
serungsforderungen der Wohnungsinspektion "gerecht" erschienen, nützte entschieden
der Durchsetzung ihrer Forderungen. Falls widerstrebende Hausbesitzer sich auch
nach mehrfacher Belehrung noch weigerten, Verbesserungen und Reparaturen auf ih-
re Kosten vornehmen zu lassen, reichte es gewöhnlich, ihre Namen in der Presse aller
Parteien zu veröffentlichen. Nur 4 % von den etwa 21 000 in zehn Jahren durch-
geführten Wohnungsverbesserungsarbeiten wurden erst nach Aufforderung des Haus-
besitzers durch förmlichen Gemeinderatsbeschluß ausgeführt; dieser Erfolgsbilanz
konnten von 1910-14 noch weitere fast 9 000 positiv erledigte Beanstandungen an
Straßburger Wohnungen hinzugefügt werden.42
Fernziel der Wohnungsinspektion war es, den Weg zu einer "inneren Stadterweite-
rung"43 zu bereiten, zur endgültigen Niederlegung von licht- und luftarmen, aber
übervölkerten Slums in der seit Jahrhunderten baulich verdichteten City. Doch gerade
in diesem innersten Teil der Stadt war der Hausbesitz durch Erbteilung oft seit Gene-
rationen überschuldet; nur durch hochgetriebene Mieten ließen sich die drückenden
Hypothekenzinsen aufbringen, von Tilgung konnte keine Rede sein und erst recht
nicht von Investitionen zur Modernisierung heruntergekommener Bausubstanz. Trotz
ihrer beschränkten Mittel nahm die Stadt Straßburg unter Bürgermeister Schwander
39 Krieger (Anm. 24), S. 122f.
40 Mayer (Anm. 15), S. 218f.
41 Alexander Dominicus, Die obligatorische Wohnungsinspektion, ihre Organisation und
Bedeutung für die positive Wohnungspolitik, Berlin 1913, S. 8-10.
42 Albert Fix, 100 ans de politique de l’habitat. L’Office du Logement de la ville de Stras-
bourg, Obernai 1978, S. 12.
43 Otto Schilling, Innere Stadt-Erweiterung, Berlin 1921; vgl. allein zu Straßburg auch:
L’activité de la ville de Strasbourg dans le domaine de l’hygiène, Paris/Strasbourg 1934, S. 71-
75.
190
daher seit 1907 in ihr "umfassendes System positiver Wohnungsfürsorge" die Sanie-
rung von Altbauten in der Innenstadt durch Anlage des "Neuen Boulevards" oder
"Großen Durchbruchs" auf.
Der Beginn gemeinnütziger städtischer Bodenpolitik (politique de prévoyance foncière à
longue échéance) mit Hilfe des Erbbaurechts beim "Großen Durchbruch" ("Grande
Percée") seit 1909
Der "Große Durchbruch" unterschied sich von anderen derartigen Unternehmungen
deutscher Städte,44 die alle viel kleiner angelegt waren, vor allem dadurch, daß die
Stadt Straßburg das Eigentum am gesamten damals sanierten Altstadtgelände erwarb
und - behielt. Sie vergab nämlich nur das Recht zu seiner Nutzung durch Bebauung
in der neuen Rechtsform eines "Erbbaurechts" auf die Dauer von zumeist 65 Jahren.
Mit den Paragraphen 1012-1017 des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1900 war das
Erbbaurecht neu geschaffen worden: Gegen einen jährlichen Erbbaurechtszins erwirbt
der Erbbaurechtsnehmer das - anders als beim Mietverhältnis - im Grundbuch
verbriefte (und dadurch hypothekarisch beleihbare), veräußerliche und vererbliche
Recht, für eine bestimmte Zeit (z.B. 99 Jahre) ein Bauwerk auf dem Grundstück
eines anderen zu errichten und es zu nutzen; im französischen Recht entspricht dem
ungefähr der "bail emphythéotique". Den wirtschaftlichen Sinn dieses neuen Erbbau-
rechts sah man nach 1900 zunächst darin, daß es kleine Mustersiedlungen mit "Arbei-
terhäusern" von der Sorge um die Baulandbeschaffung und finanzierung befreite.
Gemeinnützige Baugenossenschaften z.B. konnten nun Erbbaurechte an ihrem Grund-
besitz ausgeben; die Kapitalbeschaffungskosten für Landerwerb ließen sich so ein-
sparen. Das Erbbaurecht war damit zunächst das Instrument einer bodenreformerisch
und sozialpolitisch motivierten Subventionierung der nicht unbedingt aus den aller-
ärmsten Gesellschaftsschichten kommenden Bewohner dieser Siedlungen.
Beim Straßburger "Großen Durchbruch" wandte Bürgermeister Schwander dieses ver-
hältnismäßig neue Rechtsinstrument dagegen erstmals auf Geschäftshausareale in
teuerster Innenstadtlage an. Das Erbbaurecht wurde für ihn zum Instrument einer
vorausschauenden Bodenpolitik der Gemeinde. Sie sollte damit "nach einer verhältnis-
mäßig kurzen Zeit hochwertige, in ordentlichem baulichem Zustand befindliche An-
wesen mit dem Grund und Boden in volles, freies Eigentum zurückerhalten";45 alle
künftigen Steigerungen der Bodenwerte sollten somit ihr zu Gute kommen. Eine deut-
sche Börsenzeitschrift sprach 1913 kritisch davon, daß in Straßburg "erstmals" das
Erbbaurecht "der großkapitalistischen Bodenspekulation dienstbar gemacht" worden
sei;46 doch handelte hier gerade nicht das Großkapital, sondern die Stadt Straßburg,
44 Gründliche Darstellung solcher Unternehmen in vielen deutschen Städten bei Schilling
(Anm. 43).
45 Bericht [des Bürgermeisters Schwander v. 10. Mai 1910] an den Gemeinderat betr. die
Durchführung des großen Straßendurchbruchs, Straßburg 1910, S. 11.
46 August Rolf, Praxis des Erbbaurechts, in: Plutus. Kritische Wochenschrift für Volkswirt-
schaft und Finanzwesen 10 (1913), S. 410-414, hier S. 410.
191
und nicht mit spekulativen Gewinnabsichten, sondern zur vorausschauenden Sicher-
stellung des gemeindlichen Grundbesitzes gerade in Citylagen.
Wie aber kam es zu diesem neuartigen Einsatz des Erbbaurechts gerade in der Stadt
Straßburg, einer auf den ersten Blick durchaus durchschnittlichen mittleren Großstadt
im Deutschen Reich? Dabei spielte das im Reichsland Elsaß-Lothringen anders als in
allen anderen deutschen Bundesstaaten auch auf kommunaler Ebene eingeführte fast
allgemeine Wahlrecht eine wichtige Rolle. Es führte zeitweise zu einer sehr starken
Stellung der SPD, die nach badischem oder bayerischem Vorbild stark pragmatisch-
reformerisch eingestellt war.47 Die Gemeinderäte dieser SPD schlugen am 11. Okto-
ber 190648- zusammen mit den linksliberalen Demokraten - den sozialpolitisch sehr
engagierten und dem Kreis um Friedrich Naumann nahestehenden,49 in der Stadt-
verwaltung erfahrenen Beigeordneten Schwandet als Nachfolger des zurückgetretenen
Bürgermeisters Back dem Statthalter zur Ernennung vor. Wenn Schwander beim
"Großen Durchbruch" wollte, "daß das Erbbaurecht praktisch zur Anwendung kä-
me",50 dann ging er damit über die sozialdemokratische Forderung nach Vergröße-
rung, nicht Verringerung des städtischen Grundbesitzes51 sogar noch hinaus - indem
er, wie der Naumannanhänger Bruno Weil es nannte, eine Form fand für "den
besonders dringlichen sozialpolitischen Grundsatz: Erhaltung und gleichzeitige Ver-
wertung des städtischen Grundbesitzes".52 Dabei hatte Schwander an erste Über-
legungen über die wirtschaftlichen Wirkungen des Erbbaurechts angeknüpft, die schon
47 Vgl. dazu den Sammelband von Jean-Claude Richez, Léon Strauss, François Igersheim u.
Stéphane Jonas, Jacques Peirotes et le socialisme en Alsace 1869-1935, Strasbourg 1989.
Peirotes wurde während seiner Wanderschaft als Buchdruckergeselle in München stark von
dem bayerischen SPD-Führer Georg von Vollmar geprägt; er war dann für die SPD Reichs-
tags- (1912-18 Colmar) und Landtagsabgeordneter (1911-18 Straßburg) und Straßburger
Gemeinderat (1902-08 und 1914-18); dann als Mitglied der S.F.I.O. 1919-29 erster gewählter
Maire des wieder französischen Straßburg und Abgeordneter in der Nationalversammlung
(1924-28).
48 Die Sozialdemokratie auf dem Strassburger Rathause. Ein Blick auf Werden und Wirken.
Den Wählern zum Strassburger Gemeinderat zur freundlichen Beachtung gewidmet, Straßburg
1908, S. 13.
49 Vgl. Theodor Heuss, Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit, München 1968,
S. 314; Rudolf Schwander, Elsaß-Lothringen, in: Süddeutsche Monatshefte 29 (1931/32), S.
161-163 (S. 161: "Friedrich Naumanns national-sozialer Gedanke fand offene Herzen, wie
kaum in einem anderen deutschen Lande").
50 Niederschrift einer Besprechung Schwanders mit Vertretern des General-Unternehmers, der
Süddeutschen Disconto-Gesellschaft Mannheim, am 15. Sept. 1910, AMS-AM, Div. I,
184/1389, S. 4; Aufsichtsratsvorsitzender der Bank war damals (1909-1917) Emst Bassermann,
vgl. Lothar Gail, Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989, S. 426.
51 Formuliert in der Programmschrift des sozialdemokratischen Wahlvereins: Sozialdemokratie
(Anm. 48), S. 26, 42 u. 46.
52 Bruno Weil, Erbbaurecht und Straßendurchbruch, in: Straßburger Neue Zeitung, 31.5.1910;
Weil verweist darin auf seinen im "Hilfe"-Kreis schon 1907 gehaltenen Vortrag und seinen
Aufsatz in der "Straßburger Post" v. 11.6.1907.
192
1901, kurz nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches, sein kommunalpoliti-
scher Lehrmeister und Förderer Back angestellt hatte.
Als praktisch denkender, erfahrener Jurist hatte Back nämlich bei der Kontrolle von
Grundstücksgeschäften der städtischen Civil-Hospizien sehr schnell gelernt, kurz- wie
langfristige wirtschaftliche Wirkungen für alle Beteiligten zu betrachten.53 Zwar
mußte ein Erbbaurechtsnehmer damit rechnen, nach Auslaufen seines Erbbaurechts
das von ihm errichtete Gebäude entschädigungslos an den Grundstückseigentümer ab-
zugeben; dafür hatte er aber auch nicht die Zinslast einer Hypothek zur Deckung des
vollen Grundstückspreises zu tragen (normal war damals ein Zins von etwa 5 %), son-
dern nur einen jährlichen Erbbauzins (damals in Höhe von etwa 2,5 % des Grund-
stückswerts). Back erkannte klar, daß das Erbbaurecht "nicht von sich aus günstiger"
sei; genauer, "je geringer der Bodenwerth im Verhältnis ist zum Baukapital, um so un-
günstiger ist das für den Erbbauberechtigten" - ganz anders, als in der damaligen so-
zialpolitischen Diskussion dargestellt, sei das Erbbaurecht also gerade für billige Ar-
beiterhäuser draußen in den Vorstädten gar nicht so sehr empfehlenswert.
Back betrachtete dann das neue Instrument des Erbbaurechts auch von der anderen
Seite, aus der Sicht des Grundstücksbesitzers und zog daraus die entscheidende, von
der Stadt Straßburg beim "Großen Durchbruch" unter Schwander verwirklichte Fol-
gerung: Im Vergleich mit dem Verkauf von Grundstücken und der verzinslichen Wie-
deranlage des Kaufpreises (von ihm unausgesprochen zu den damals üblichen 4 %
angenommen) führe ein niedrigerer jährlicher Erbbauzins von 2,5 % zwar zunächst
zu einem jährlichen Einnahmeverlust in Höhe von 1,5 % des Bodenwertes, aber
langfristig stehe dem nicht nur der Wert der Gebäude bei der Rückgabe des Grund-
stücks nach Auslaufen des Erbbaurechts, sondern auch der vollständig erhalten
gebliebene Grundstückswert gegenüber. Gerade in den Großstädten würden die
Grundstückswerte aber stetig steigen - dieser auf Grund der bis nach der Jahrhundert-
wende beobachteten Bodenpreisentwicklung als sicher erwartete Gewinn, der "ohne
Zuthun des Einzelnen, nur durch die Weiterentwicklung der Volkswirtschaft" entstehe,
sollte, so Backs bodenpolitisches Credo, "wann immer möglich, der Allgemeinheit, und
nicht dem Einzelnen erhalten bleiben. Das ist möglich überall da, wo eine öffentliche
Verwaltung über Bauterrains verfügt, indem sie diese Terrains nicht veräußert,
sondern im Erbbaurecht gibt."
Damit dieses Ziel erreicht wurde, mußten beim "Großen Durchbruch" erstmals auch
Grundstücksnutzer und Investoren das Erbbaurecht in größerem Umfange für City-
Lagen akzeptieren: die Grundstücke waren in der Tat 1912 schon zur Hälfte und 1913
zu mehr als 80 % weitergegeben, und - für manche überraschend - alle im Erbbau-
recht. Für die Straßburger Bauherren war dabei entscheidend, daß bei der neuen
Eigentumsform ihr Kreditbedarf erheblich niedriger lag als beim traditionellen
Kauf.54 Dieser Erfolg ging allerdings auch auf die aktive Förderung durch die Stadt
Straßburg zurück, die bereit war, Verzinsungs- und Tilgungsgarantien für die Bau-
53 Diese Überlegungen Backs in AMS-AM, Div. I, 208/1584.
54 Fix (Anm. 42), S. 23.
193
Hypotheken zu übernehmen55 - denn nur so ließ sich die damals bei der Bestellung
von Kreditsicherheiten bestehende Schwierigkeit aus dem Wege räumen, daß diese
Hypotheken nach Ablauf der Erbbaurechtszeit ersatzlos erlöschen sollten.
Damals war allerdings weder für die Stadt noch für die Erbbaurechtsnehmer ab-
zusehen, daß die Mark von 1914, die allen Verträgen zu Grunde lag, nach zweimali-
ger Abwertung im Jahre 1941 z.B. nur noch 6,25 Pfennig wert sein würde. Die
Indexierung von langfristigen Zahlungsverpflichtungen war vor den Erfahrungen mit
der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg jenseits aller Vorstellungen der Finanz-
praktiker. Rückwirkende Vertragsänderungen mit diesem Ziel, die durch Gesetz in
Deutschland nach der Inflation vorgeschrieben wurden, wirkten sich in Straßburg
nicht aus, da hier der französische Gesetzgeber das Recht des BGB auf dem Stande
von 1918 "eingefroren" hatte. So kam es, daß nach der erneuten Währungsumstellung
1945 und der Abwertung des Franc 1958 die Electricité de Strasbourg zuletzt, im
Jahre 1960, für ihren weitläufigen Verwaltungssitz in bester Innenstadtlage an die
Stadt nur noch 210 neue Francs bezahlte - jährlich. Wenngleich also die erwarteten
jährlichen Einnahmen aus dem Erbbaurechtszins von den Inflationen gefressen
wurden, so hat doch Schwanders Insistieren auf dem Erbbaurecht der Stadt Straßburg
ihren Grundbesitz im ersten Abschnitt des "Großen Durchbruchs" auf Dauer erhalten.
Die Bauten darauf fielen Ende 1960 (nach Auslaufen des auf die Dauer ihrer Kon-
zession verkürzten 47-jährigen Erbbaurechts für die Electricité de Strasbourg) und
dann vor allem 1980 bis 1985 (nach Auslaufen der 65-jährigen Erbbaurechte an 21
weiteren Grundstücken) in der Tat ohne Entschädigungspflicht an die Stadt Straß-
burg56 - ein nicht unwillkommenes Erbe aus der Reichslandzeit. Diese so erfolgrei-
che "politique de prévoyance foncière à longue échéance", die in Frankreich nicht
üblich war und "une des grandes originalités de Strasbourg" darstellte,57 konnte
allerdings nach 1918 wegen des "Einfrierens" des deutschen Bürgerlichen Gesetzbu-
ches nicht mehr ausgedehnt werden.
Die andere Zielsetzung der Straßburger Stadtverwaltung unter Schwander beim
"Großen Durchbruch", der Versuch einer echten Slum-Sanierung unter Einbeziehung
der Bewohner, mißlang freilich in gewisser Weise. Sanierungen zur Verbesserung der
Wohnungsverhältnisse verschlechtern ja erst einmal die Wohnungsverhältnisse noch
mehr - wenn es an Ersatzwohnungen fehlt. Das wußte man zwar schon um 1910,58
gerade in Straßburg, und deshalb erarbeitete die Stadt mit der Straßburger gemein-
nützigen Baugenossenschaft, der heutigen "Société coopérative des locations populai-
55 Bericht (Anm. 45), S. 9f.
56 Für diese und andere Auskünfte danke ich M. Stable von der Electricité de Strasbourg
S.A, M. Kintz und M. Woehrling vom Institut du Droit Local Alsacien-Mosellan in Strasbourg
und M. Bartmann von der Ville de Strasbourg, Dept. IX CD.
57 Sylvie Rimbert, La banlieue résidentielle du Sud de Strasbourg. Genèse d’un paysage
suburbain, Paris 1967, S. 28.
58 Vgl. z.B. Hans Christian Nussbaum, Leitfaden der Hygiene für Techniker, Verwaltungs-
beamte und Studierende dieser Fächer, München 1902, S. 191.
194
res", zwei Alternativen:59 Auf günstig überlassenem städtischem Grund im "Stock-
feld", der alten Allmende von Neuhof, wurde mit Hilfe von Krediten aus dem ange-
sammelten Versicherten-Vermögen der Landesversicherungsanstalt eine "Gartenstadt"
mit 450 Wohnungen errichtet, bevor der Abriß der Innenstadthäuser begann. Doch
obwohl 1911 über 12 000 Besucher eine Musterwohnung besichtigten, gab es anschei-
nend Vermietungsschwierigkeiten wegen der Lage weit vor der Stadt, denn 1913 wur-
de die Miete um 25% der Kosten für die Straßenbahnmonatskarte ermäßigt.60 Zu-
dem gab es in Stockfeld keine Ein-Zimmer- und fast keine Zwei-Zimmer-Wohnungen.
Es scheint, als habe sich doch fast niemand aus dem aufgelassenen altstädtischen Sa-
nierungsgebiet dort angesiedelt. Wie weit aber das damals ebenfalls errichtete Ledi-
genheim ("Foyer des Célibataires" in der rue de Lausanne) mit zunächst etwa 200
Plätzen diese spezifische neu geschaffene Wohnungsnot auffangen konnte, bleibt un-
klar.
Ästhetische Leitlinien für einen künstlerischen Städtebau im Gesetz zum Schutz des
Ortsbildes (protection des sites) von 1910
Der Erlaß eines Landesgesetzes zum Schutz des Ortsbildes am 7. Nov. 1910 führte
den Weg der obrigkeitlichen Intervention in Eigentümer-Rechte schließlich noch weit
über die hygienische Prävention und eine vor allem wohnungs- und sozialpolitisch
motivierte Stadtplanung hinaus, zu ästhetischen Regeln61 für den Städtebau als
Kunst, zu einer neuen Sehweise, die wegführte vom isolierten Blick auf das einzelne
Bauwerk und weg von der Stildiskussion um "gares carolingiennes et ministères
rococo".62 Stattdessen trat nun stärker der Zusammenhang des Ganzen vor Augen:
Abwechslungsreiche Straßen- und Platzbilder sollten als Ideal einer neuen, übergrei-
fenden Stadtgestaltung auch gegen Widerstände einzelner durchgesetzt werden. Im
Vergleich mit anderen deutschen Städten, etwa München, war dieses Gesetz eine
späte Rezeption des schon 1889 erschienenen grundlegenden Buches von Camillo
Sitte.63 Sie war sicher befördert durch die 1905 einsetzende Tätigkeit der beiden Ar-
chitekten Paul und Karl Bonatz64 bei der Erweiterung der Straßburger Civil-Hospi-
59 Stéphane Jonas, Le bâtisseur, in Richez u.a. (Anm. 47), S. 153-156; Fix (Anm. 42), S. 22.
60 Anne Staub, Cités-Jardins à Strasbourg. IL: La Cité de Stockfeld, [Masch.] Mémoire de
diplôme d’architecte Paris, U.P.A no. 6 oJ. (etwa 1974), S. 110-113; Gartenstadt Stockfeld bei
Straßburg i. Eis., Leipzig 1912 (Abbildungen).
61 Wittenbrock (Anm. 16), S. 247-253.
62 So die Einordnung durch Hans Haug im Vorwort des Bildbandes über Théo Berst. Stras-
bourg. Architecture extérieure. Architecture intérieure. Mobilier. Art appliqué 1904 - 1919,
Strasbourg o.J. (1929), S. 1.
63 Camillo Sitte, Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, Wien 1889 u.ö.; zur
frühen Rezeption vgl. Fisch, Stadtplanung (Anm. 3), bes. S. 124-129, 201-203 u. 223-239.
64 Denis Durand de Bousingen, Les architectes Paul et Karl Bonatz. Une préface alsacienne
à une carrière européenne, in: Revue d’Alsace 111(1985), S. 157-168.
195
zien. Sie waren nämlich nicht, wie die meisten anderen Straßburger Architekten,65
bei dem Karlsruher Neugotiker Schäfer ausgebildet, sondern Schüler von Theodor
Fischer in Stuttgart. Er hatte als langjähriger Stadtplaner in München schon seit 1893
die Ideen Sittes in der Praxis vertreten und durch geschwungene Straßenführungen
und versetzte Einmündungen auf unsymmetrisch gestaltete Plätze66 eine künstleri-
sche Raumwirkung angestrebt. Daß die Initiative zu diesem vornehmlich ästhetisch
motivierten Landesgesetz weitgehend auf einen hohen juristischen Beamten der
Straßburger Stadtverwaltung, den berufsmäßigen Beigeordneten Dr. Heinrich Emerich
zurückging, ist kein bloßer Zufall.67 Schon im Generalvertrag mit der Süddeutschen
Disconto-Gesellschaft hatte Bürgermeister Schwander einen Zwang zur "künstleri-
schen" Fassadengestaltung durchgesetzt. Sie war von einer städtischen Sachverständi-
gen-Kommission zu überwachen, deren Vorsitz ein anderer Beigeordneter führte, der
Architekt Moritz Eisenlohr, der seit 1909 einer der wenigen Nicht-Juristen an so
hoher Position einer deutschen Verwaltung war. Diese Fassadenkommission68 ent-
wickelte "Grundsätze für die Ausgestaltung der Fassaden der ’Neuen Straße’", die
stark am damals von Architekten und Heimatschützern wiederentdeckten regionalen
Bauen ausgerichtet waren. Ortstypische Materialien wie der "kräftig rote Vogesen-
sandstein" (statt des verbotenen blank polierten Marmors oder Granits) und Techni-
ken wie die "Altstraßburger Schieferdeckung in Fischblasenform" wurden vorgeschrie-
ben, jede Form auffälliger Werbung war verboten. Die Kommission beaufsichtigte das
alles überaus penibel, bis zur Form der Balkongitter, und sie schreckte auch nicht
davor zurück, bei hartnäckigem Widerstand der Bauherren mehrmals im Namen des
Bürgermeisters das Weiterbauen zu verbieten.
Die Bedeutung der Straßburger Erfahrungen: eine moderne "Obrigkeits-Stadt"
Die zunehmende Komplexität der vielfältigen neuen infrastrukturellen, wirtschaftli-
chen und sozialen Problemstellungen der Urbanisierung wurde von der Straßburger
Stadtverwaltung stets erkannt und oftmals für ihre Zeit beispielhaft gelöst. Der Weg
dazu wurde immer mehr in der engen Verzahnung der Arbeit von Architekten und
Stadtplanern einerseits, Juristen und Verwaltungsexperten andererseits gesucht und
gefunden. Diese Zusammenarbeit verschiedener "Ressorts", unter der Leitung von
Juristen freilich, war sehr typisch für deutsche Stadtverwaltungen in der Zeit des
65 Gründlicher Überblick bei Denis Durand de Bousingen, L’architecture à Strasbourg de 1903
- 1918, in: Annuaire de la Société des Amis du Vieux-Strasbourg 15(1985), S. 59-80.
66 Den Einfluß des Buches von Sitte zeigten schon vorher die Änderungen in den Planungen
für die Neustadt, als um 1899 der große rechteckig-symmetrische Platz etwa auf halbem Wege
der Schweighäuserstraße in eine unregelmäßige Gestalt aufgelöst wurde (heute Kreuzung der
rue Schweighaeuser und ihrer Verlängerung als rue Trubner mit dem boulevard d’Anvers und
dem boulevard Tauler); vgl. dazu zeitgenössische Pläne, etwa Archives Municipales de Stras-
bourg, Archives Administratives, Plans de Strasbourg, 7 (etwa 1891) und 14a (etwa 1899).
67 Vgl. Emerich (Anm. 14).
68 Bericht (Anm. 45), S. 13; die Akten über ihre Tätigkeit 1912-1920 in AMS-AM, Div. VI,
59/281; einige Hinweise auch in AMS-AM, Div. V, 12/49.
196
Kaiserreichs. Sie entsprach der Konzeption von der "Allzuständigkeit" der kommuna-
len Selbstverwaltung unter einem starken Bürgermeister.69
Eine "Bürger-Beteiligung" in modernem Sinne gab es dabei allerdings nicht; die
Selbstverwaltungskörperschaften waren zumeist auf der Basis ungleicher Zensus- oder
gar extrem ungleicher Dreiklassenwahlrechte gewählt. Sie waren daher gewöhnlich
entpolitisierte (Haus-) Besitzerparlamente mit einer breiten Mehrheit aus dem wahl-
berechtigten liberalen Reservoir von "Besitz und Bildung", Besitz vor allem. Selbst
wenn es eine aktive Opposition gab, wie in Mainz zur Zeit der Entfestigung ein
Bündnis aus Demokraten und Katholiken, blieb die politische Auseinandersetzung
reduziert und von oben gebremst; der Versuch der Demokraten, 1870 eine Art
"basisdemokratischer" Befragung aller Bürger (mit gleichem Gewicht jeder Antwort)
durchführen zu lassen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.70
In diesem Kontext starker Verwaltung und schwacher Bürgervertretung läßt sich die
Stadt Straßburg in den Anfangsjahren der Reichslandzeit, bis zur Wahl eines Gemein-
derates im Jahre 1886, wegen der besonderen politischen Konstellation nach der An-
nexion 1870/71, die in eine Quasi-Diktatur ihrer Bürgermeisterei-Verwalter Otto Back
und Friedrich-Georg Stempel mündete, als besonders gutes Beispiel für eine stark von
ihrer Gesellschaft entfernte "Obrigkeits-Stadt" einordnen. Man muß dann, verstärkt
nach der Jahrhundertwende, freilich auch den Übergang zu einer "modernen Obrig-
keits-Stadt" sehen, zum einen wegen der - damals für deutsche Städte allgemein
üblichen - straffen und effizienten Organisation ihrer Verwaltung,71 zum anderen
aber wegen des gerade an der Spitze der Stadt besonders starken und wegen des seit
1896 geltenden fast allgemeinen Gemeindewahlrechts auch sozial wachen Problembe-
wußtseins gegenüber den Wandlungsprozessen der Urbanisierung. Durchaus "moder-
ne" Zielsetzungen wurden in Straßburg gerade mit Hilfe der Strukturen der alten
"Obrigkeits-Stadt" besonders effektiv durchgesetzt: So wurde z.B. die spezifisch
deutsche Tradition vielfacher Intervention in die Sphäre privaten Eigentums beson-
ders intensiv fortgeführt, die für alt-straßburgisches Denken in der französischen
Konzeption "freien" Eigentumsgenusses ungewohnt bleiben mußte. Heute erscheint
sogar der erste französische Nachfolger des letzten deutschen Bürgermeisters Schwan-
der, der Sozialist Jacques Peirotes, als "continuateur"72 dieses städtischen Reform-
69 Vgl. Fisch, Stadtplanung (Anm. 19), S. 53f., 144f., 187-189, 255, 272-274. - In Straßburg
blieb, wie die Arbeit der Fassadenkommission zeigt, das juristisch-bürokratische Denken selbst
in ästhetischen Fragen stärker ausgeprägt, da ein mit Theodor Fischer vergleichbarer Stadt-
planer fehlte.
70 Kläger (Anm. 2), S. 77.
71 Dagegen sei nach 1918 die früher disziplinierte Verwaltung "aus den Fugen geraten, [...]
Zuständigkeiten seien verwirrt und oft unauffindbar geworden", so eine Beschreibung im
katholisch-autonomistischen "Haegy-Werk": Das Elsaß von 1870 -1932, hrsg. im Aufträge der
Freunde des Abbé Dr. Haegy von Josef Rossé, 4 Bde., Colmar 1936-38, Bd. 1: Politische
Geschichte, 1936, S. 547.
72 So eine vielfach ausgeführte Hauptthese des Sammelbandes über Peirotes (Anm. 47), v.a.
bei Stéphane Jonas, Le bâtisseur, S. 149-166.
197
werkes - selbst, wenn es um die "Obrigkeits-Stadt” ging: "Car le développement de la
ville moderne exige des plans et des projets dont l’exécution s’étend sur beaucoup
d’années; il faut donc assurer la continuité des efforts et l’unité des vues, il faut
mettre ces questions vitales au-dessus des luttes électorales et des changements
parfois brusques de la composition des conseils municipaux."73 Als Peirotes das 1924
schrieb, war das nichts anderes als ein Plädoyer für den starken Mann74 nach Art
seiner beiden Vorgänger Back oder Schwander an der Spitze der Stadt, zumal sie nun
- beim Fehlen eines föderalistischen Systems - zusätzlich noch die Rolle eines Wider-
parts gegen den Zentralismus zu übernehmen hatte.
Neben der ambivalenten Kombination von modernen und traditionellen Strukturen
in der Verfaßtheit der Stadt Straßburg unter deutscher Herrschaft dürfen allerdings
die sehr stark personenbezogenen, und damit zufälligen Elemente ihrer Entwicklung
nicht übersehen werden. Sie zeigten sich in der Anerkennung Backs als Bürgermeister
1886 (obwohl er der Stadt von 1873 bis 1880 aufoktroyiert war) und bei der nur 1906
möglichen (schon 1908, nach völligem Ausscheiden der SPD aus dem Gemeinderat,
nicht mehr) Wahl des engagierten Sozialpolitikers Rudolf Schwander zu seinem Nach-
folger. Solche Zufallskonstellationen verbanden sich mit strukturellen Veränderungen
wie der Entwicklung der Administration zu einem arbeitsteilig organisierten kleinen
Stab hochqualifizierter städtischer Verwaltungsbeamter, die wirtschaftliches und ju-
ristisches Denken kreativ75 zu einem neuartigen Blick auf das Ganze der Stadt ver-
banden. Gerade die SPD aber hatte von Anfang an diese beträchtliche Vermehrung
der Zahl von besoldeten Beigeordneten betrieben.76 Es waren schließlich Erfahrun-
gen aus dieser Arbeit im modern-bürokratischen Straßburg Schwanders, die etliche
deutsche Oberbürgermeister in der Zeit der Weimarer Republik geprägt haben - Ale-
xander Dominicus in Schöneberg, Kurt Blaum 1921-33 in Hanau -, und über den
Bruch von 1933 hinaus bis in die Aufbauzeit der Bundesrepublik hinein. Der Anklang
an Schwanders große Konzeption beim Straßburger "Großen Durchbruch" ist noch
1946 unverkennbar, als Kurt Blaum, nun Oberbürgermeister von Frankfurt/ Main, für
seine zerstörte Stadt einen "gesunden Sozialismus der Bodenverwertung" forderte.77
73 Zitiert nach Jonas, Le bâtisseur, in: Richez u.a. (Anm. 47), S. 149-166, hier S. 151.
74 Erst nach 1918 dehnte, um ein anderes Beispiel anzuführen, die Fassadenkommission ihren
Kampf gegen Reklameaufschriften auf das gesamte Stadtgebiet aus, vgl. ihr Rundschreiben v.
25.3.1920 an 45 Malermeister, AMS-AM, Div. V, 12/49.
75 Vgl. im Schreiben des Beigeordneten Emerich an Bürgermeister Schwander v. 3.6.1916 die
Feststellung, man habe sich beim "Großen Durchbruch" von "verwaltungsmäßigen Förmlich-
keiten" loslösen und "ein gewisses Quantum freien kaufmännischen Geistes walten lassen"
müssen, AMS-AM, Div. C (Cabinet du Maire), 49/281.
76 Sozialdemokratie (Anm. 48), S. 16-18.
77 Kurt Blaum, Neugestaltung des Bau- und Bodenrechts (= Wiederaufbau zerstörter Städte.
4), Frankfurt/Main 1946, S. 12.
198
Stéphane Jonas
La création de la cité-jardin de Stockfeld
À Strasbourg 1907-1912
Présenté souvent comme le symbole-victime du conflit historique entre la France et
l’Allemagne, la ville bi-millénaire de Strasbourg est en fait un des grands bénéficiaires
de l’urbanisation des villes allemandes du demi-siècle qui va de la constitution du
Reich jusqu’à la première guerre mondiale. N’oublions pas que l’urbanisme allemand
est alors le meilleur modèle sinon européen, du moins continental, à l’image de
l’économie et de l’industrie de ce pays. Capitale du Reichsland Alsace-Lorraine et
faisant partie d’un des réseaux urbains les plus remarquables de l’Allemagne, celui de
la Rhénanie Supérieure, Strasbourg est un lieu d’innovation aussi en urbanisme et en
architecture.1
En 1914, cette capitale régionale en pleine expansion compte plus de 150 000 habi-
tants et en 45 ans elle a triplé sa population et son espace construit, en devenant une
ville moderne tertiaire, mais aussi industrielle. Touchée par les grandes migrations qui
ont suivi l’annexion, la nouvelle communauté urbaine composée essentiellement
d’autochtones alsaciens et d’arrivants dits Vieux Allemands, ressemble alors à une des
grandes villes de colonisation de la Prusse Orientale ou à une des villes américaines,
avec sa dynamique conflictuelle entre les deux communautés constituantes. Il serait
néanmoins exagéré et hasardeux d’en considérer uniquement l’impact négatif sur la
vitalité de la ville.
Strasbourg 1900 est non seulement une ville interculturelle et interethnique, mais c’est
aussi une ville cosmopolite, où les innovations sociales circulent vite et où le rôle de
l’étranger, der Fremde, redevient important, comme à l’âge d’or local de la période
post-Renaissance de la ville libre d’Occident. Un de ces étrangers éminents, le
sociologue et philosophe berlinois Georg Simmel, nommé Professeur à l’Université en
1914, auteur d’un essai célèbre sur l’étranger en 1908, peut constater sur place et par
expérience personnelle certains aspects de sa figure sociale à l’âge du capitalisme:
l’étranger urbain moderne arrive, mais il ne repart plus, il reste.2
1 Straßburg und seine Bauten, Architekten- und Ingenieur-Verein für Elsaß-Lothringen,
Straßburg 1984; Klaus Nohlen, Baupolitik im Reichsland Elsaß-Lothringen 1871-1918, Berlin
1982; Georges Livet et François Rapp, Histoire de Strasbourg, des origines à nos jours, T. IV.
DNA-Istra, Strasbourg 1982; Denis Durand de Bousingen, L’architecture à Strasbourg de 1903
à 1918: Styles, Ecoles et Hommes, in: Annuaire de la Société des Amis du Vieux Strasbourg,
T. XV. Strasbourg 1983, pp. 59-80; Claude Denu et Eric Ollivier, Der Bebauungsplan für die
Erweiterung der Stadt Straßburg - Le Plan d’extension de la Ville de Strasbourg 1871-1880,
Diplome d’Architecture, LAUS, Strasbourg 1978.
2 Georg Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung,
(Sociologie. Recherches sur les formes de socialisation), Leipzig 1908. (chapitre IX. Exkurs
über den Fremden-Essai sur l’étranger, pp. 685-691). Une traduction en français de l’essai a
199
Deux idées et pratiques nouvelles influenceront d’une manière décisive la naissance
de la cité-jardin de Stockfeld: le mouvement des coopératives d’habitat et le mouve-
ment associatif dit Lebensreform, ce courant de réforme sociale qui traverse alors la
société urbaine du Mitteleuropa et qui pense que la forme urbaine et d’habitat autre
que celle de la Großstadt, la grande ville, peut exercer une influence décisive sur la
société et sur le mode de vie.* 3 La Deutsche Gartenstadtgesellschaft, la Société Alle-
mande des Cités-Jardins, fondée à Berlin en 1902, a été profondément influencée par
ces idées et pratiques. Et la Ville de Strasbourg opte déjà cinq ans après la fondation
de la Deutsche Gartenstadtgesellschaft pour la création d’une cité-jardin.
Au moment de l’émergence de l’idée de créer une cité-jardin à Strasbourg, le parti
libéral protestant dirige la ville avec l’assentiment et la collaboration de la majorité
des deux communautés urbaines de la capitale. Le parti social-démocrate est dans
l’opposition, mais il représente plus de 40% des électeurs et des conseillers munici-
paux. Il symbolise et pratique l’unité de la classe ouvrière des deux communautés, à
l’image de ses deux leaders, le Badois d’origine, Bernhard Boehle (1866-1939), ouvrier
cordonnier, fondateur de la section strasbourgeoise de la SPD, grand patron des
syndicats libres, et l’Alsacien typographe Jacques Peirotes (1869-1935), le futur maire
socialiste après 1918. Boehle sera membre fondateur et dirigeant de la Gemeinnützige
Baugenossenschaft, la Société Coopérative des Logements Populaires de Strasbourg
(SCLP), fondée en 1899, qui construira la cité-jardin de Stockfeld. Les principaux
affrontements politiques pour le pouvoir municipal entre les groupes politiques ne
sont, par conséquent, pas interethniques, mais sociaux et de classe. Un des terrains
d’affrontement est la question urbaine et du logement d’une part et la question
sociale d’autre part; et le grand enjeu politique est alors de trouver comment soulager
la misère des classes laborieuses, notamment par l’amélioration de leurs conditions de
logement.4
été faite par Philippe Fritsch in: Yves Grafmeyer, I. Joseph, L’Ecole de Chicago, Aubier-
Champ urbain, Paris 1979.
3 "Dans la classe moyenne cultivée de l’ère wilhelmienne, les Allemands ’pessimistes en
matière de civilisation’ se rassemblaient en petits cercles pour discuter. Le système de la
grande ville tel qu’ü existait leur faisait craindre le ’déclin de l’Occident’ (Untergang des
Abendlandes) et ils cherchaient à résoudre par la Réforme la ’question sociale’ devenue
pressante pour la nation. Vêtements, danse, habitat, ville, bref la Vie devaient être réformés."
(Franziska Bollerey, Katharina Hartmann, Les cités-jardins, Lebens-Reform, Heller-Au, in:
Architecture en Allemagne, 1900-1933, Catalogue d’Exposition, Centre Georges Pompidou,
Paris 1979, p. 34). Voir aussi: les mêmes auteurs, Der neue Alltag in der grünen Stadt. Zur
lebensreformerischen Ideologie und Praxis der Gartenvorstadtbewegung in: Kunst und Alltag
um 1900, Werkbund-Archiv-Jahrbuch 3, Gießen-Lahn, 1978; Le premier petit cercle qui a
propagé en Allemagne l’idée de la cité-jardin a été la Neue Gemeinschaft, la Nouvelle
Communauté, fondée en 1902 à Berlin, sous l’influence des travaux d’Ebenezer Howard,
notamment par les frères poètes Hart, le peintre Fidus et le naturaliste Bölsche.
4 Léon Strauss, Jean-Claude Richez, François Igersheim, Stéphane Jonas: Jacques Peirotes et
le socialisme en Alsace 1869-1935, BF Editions, Strasbourg 1989; François Igersheim, L’Alsace
des notables 1870-1914, BF Editions, Strasbourg 1981.
200
Il n’est pas question ici d’entrer dans les détails sur le fait que le pouvoir de Berlin a
obligé la Municipalité à bâtir, depuis 1871 et d’une façon prioritaire, des quartiers
nouveaux, une véritable ville nouvelle, la Neustadt, appelés aussi les quartiers alle-
mands, premièrement pour le besoin de la nouvelle fonction de capitale du Reichs-
land et deuxièmement pour accueillir les populations allemandes qui affluaient en
grand nombre vers ce ’nouveau paradis du Sud’. Notons seulement que la bourgeoisie
alsacienne est, vers le début du XXe siècle, déjà assez forte pour imposer son projet
urbain ancien de reconstruction du centre historique gravement endommagé pendant
le siège de 1870, où les conditions d’habitation des couches populaires étaient des
plus précaires. Ce projet local a en effet été constamment retardé par Berlin depuis
l’annexion de l’Alsace-Lorraine.
La mise en place du grand projet urbain dit Grande Percée, Großer Straßendurch-
bruch, voté par la Municipalité en 1907, a été la réponse strasbourgeoise à la question
urbaine et du logement par une politique d’assainissement et d’embellissement du
centre historique (comparez dans ce volume l’article de Stefan Fisch). Il s’agissait de
la réalisation d’une large voie nouvelle Nord-Sud de 1,4 km de long et de la cons-
truction d’un quartier tertiaire nouveau moderne autour de cet axe, par la démolition
de 135 immeubles vétustes de 42 000 m2 de surface au sol. Projet ambitieux qui n’a
pu être terminé qu’en 1950. Pour la première tranche de 400 mètres de long, la rue
du 22 Novembre actuelle, il a fallu rapidement déloger et reloger près de 460 familles
et plus de 300 célibataires âgés. Pour le relogement des 460 familles, les concepteurs
municipaux du projet ont décidé de choisir la forme urbaine de cité-jardin et pour la
réalisation de celle-ci ils ont fait appel à la Gemeinnützige Baugenossenschaft.5
Les principaux acteurs du projet
L’acteur principal du projet est la Ville de Strasbourg, sa majorité municipale libérale
et le maire libéral de gauche, l’Alsacien Rudolf Schwander (1868-1950). Protégé et
collaborateur proche du maire précédent, le Vieil-Allemand Othon Back (1834-1917),
très populaire, mais qui ne voulait plus se représenter, Schwander lui succède dans
des conditions très particulières.6 En effet, il n’était que le deuxième candidat de son
parti libéral, mais les sociaux-démocrates l’ont fait élire en 1906, contre le candidat de
droite Vieil-Allemand du parti libéral. Or, le programme électoral social-démocrate
5 A Arbogast, Un problème d’urbanisme: la Grande Percée à Strasbourg, Strasbourg 1953,
49p.; Compte rendu de l’administration de la Ville de Strasbourg - Verwaltungsbericht der
Stadt Straßburg, Ed. Office Municipal de Statistique de Strasbourg 1935, 1392 p. (bilingue,
période de 1919-1935), p. 503 et suite; Albert Fix, Cent ans de politique de l’habitat. L’Office
du logement de la Ville de Strasbourg, Editions Gyss, Obemai 1978.
6 Aexander Dominicus, Straßburgs deutsche Bürgermeister Back und Schwander, Frank-
furt/Main 21939; Igersheim (N. 4 = voir Note 4); Société Coopérative des Logements
Populaires - Gemeinnützige Baugenossenschaft, Historique depuis la Fondation - Geschichte
der Genossenschaft, Strasbourg 1923-24, 54 p. (bilingue); Stéphane Jonas, Urbanisme réformi-
ste et habitation en Europe au début du XXe siècle, in: Espaces et Sociétés, Nos 34-35, Paris
1980.
201
strasbourgeois de 1902 réclame déjà l’assainissement du centre historique et la cons-
truction des logements ouvriers et des cités-jardins dans la banlieue.
Mais dans la mesure où les socialistes ont régulièrement progressé dans la classe
ouvrière, dans les classes moyennes et parmi les intellectuels, la majorité libérale au
pouvoir dans la ville devait s’ouvrir vers ces mêmes classes, ne fût-ce que pour freiner
l’expansion de la SPD. Cette compétition politique locale entre les libéraux et les
sociaux-démocrates est une des clés politiques de la réussite architecturale urbanisti-
que et sociale de Strasbourg 1900 et ce qui fait aussi que cette ville est alors une des
villes allemandes les mieux réussies. Sans entrer dans le détail, rappelons les grands
projets municipaux réussis avant la naissance de la cité-jardin de Stockfeld: la réalisa-
tion spectaculaire du plan d’extension de 1880, dit plan Conrath, un des meilleurs
plans d’urbanisme de l’Europe de l’époque; la mise en place d’une politique d’urba-
nisme social: assainissement du centre historique, coopératives d’habitat, prévoyance
sociale, résorption considérable des logements insalubres; l’adoption du statut de
fonctionnaire de l’employé et de l’ouvrier municipaux; la mise en place institutionnelle
d’un pouvoir municipal: la loi locale du 21 mai 1879, par laquelle le maire devient le
premier urbaniste de tout le territoire municipal et la loi municipale locale, la Ge-
meindeordnung du 6 juin 1895, qui assure à la municipalité une grande liberté de
gestion7; la création en 1898 d’un Office de signalisation des logements disponibles
et de l’inspection des logements; le Conseil municipal vote en 1899 le prélèvement
des centimes additionnels, le Zusatzpfennig, pour financer la démolition des immeu-
bles insalubres; et la création en 1905 de l’Office municipal des logements.
Le deuxième acteur important du projet de cité-jardin était la Gemeinnützige Bauge-
nossenschaft, qui sera le futur maître d’ouvrage de la cité-jardin de Stockfeld. Cette
mission lui sera confiée par la municipalité, qui a déjà été l’acteur principal de la
naissance en 1900 de cette Coopérative d’habitat locatif tout à fait remarquable, qui
est non seulement la plus ancienne de France, mais aussi une des plus anciennes
d’Allemagne.8 Pour la base sociale de la cité-jardin, il est important de rappeler que
7 "Le Gemeindeordnung - observe Régula - devint très rapidement populaire dans les trois
départements. L’opinion publique y trouvait des garanties contre l’esprit centralisateur de Ber-
lin. Par ailleurs, grâce à la liberté d’action qui leur était laissée, les villes, Strasbourg notam-
ment, ont pu prendre en matière d’hygiène, d’urbanisme, de progrès social [...] des initiatives
d’ordre économique auxquelles rendent hommage des visiteurs d’autres provinces ou des pays
étrangers." Jules Régula. Le droit public et privé applicable en Alsace et en Lorraine, Dalloz,
Paris 1938 (cité par Fix, N. 5, p. 10).
8 Sous l’impulsion de la Commission chargée d’améliorer les logements insalubres (Kommis-
sion gegen die ungesunden Wohnungen) créée en 1897, la Ville de Strasbourg démolit entre
1900 et 1911 plus de 900 logements populaires insalubres. Pour les remplacer, la commission
propose au Maire Back de l’aider à créer à Strasbourg une Société Coopérative. C’est l’origine
de la Gemeinnützige Baugenossenschaft. Le président de la commission, le Vieil-Allemand,
Baron Dr. Hans von der Goltz, deviendra Secrétaire du Comité Directeur de la Coopérative;
ce grand philanthrope est, par ailleurs, l’auteur d’une étude, intitulée Das Armenwesen in der
Stadt StraBburg, La Bienfaisance publique à Strasbourg, Strasbourg 1888. Après plusieurs
réunions tenues au cours de l’été et de l’automne 1899, les seize fondateurs décident en
janvier 1900 de se transformer en Assemblée constituante. Les premiers souscripteurs d’un
capital de 340 000 Marks, versent sur-le-champ 10% du capital et portent la valeur des parts
202
la Coopérative est un modèle original où, dans la direction, cohabitent la Municipali-
té, les philanthropes bourgeois des deux communautés, les syndicats chrétiens et les
syndicats libres. Ainsi, dans le conseil de surveillance de la Coopérative (9 membres),
il y avait deux conseillers municipaux avec droit de blocage, et dans le comité direc-
teur (7 membres) les syndicats libres étaient représentés par le leader socialiste
Boehle, conseiller municipal d’opposition, et les syndicats chrétiens par le chanoine
Paul Müller-Simonis (1862-1930), leader clérical alsacien bien connu. Les autres
membres dirigeants représentaient les groupes socio-professionnels présents au
pouvoir local: banquiers, négociants, architectes, rentiers, professeurs d’Université et
médecins. Ayant déjà à son actif en 1909 la réalisation de deux Siedlungen populaires
de 380 logements situés dans la Neustadt, la Coopérative a reçu la mission municipale
de réaliser le plan ambitieux de reloger les quelque 460 familles touchées par le
projet de la Grande Percée.
Les autres acteurs importants du projet de cité-jardin sont les architectes influents de
la Ville de Strasbourg. Le Stadtbaurat Fritz Beblo (1872-1947), nommé à ce poste en
1906 par le nouveau maire ambitieux, le Dr. Schwander, peu après son élection à la
mairie, reçoit la mission municipale de diriger, sur le plan architectural et urbanisti-
que, l’expansion formidable de Strasbourg, en y introduisant une nouvelle architectu-
re. Ancien élève de Karl Schäfer, architecte et professeur à Karlsruhe, un des grands
leaders du courant architectural régionaliste, le Deutscher Bund für Heimatschutz
fondé en 1905, Beblo non seulement introduit à Strasbourg ce courant architectural
par ses propres réalisations, mais tous les grands travaux municipaux passent par lui,
sur l’ordre même du maire. Il en est ainsi de la Grande Percée et partiellement de la
création de la cité-jardin de Stockfeld.9
Il embauche en 1907 un jeune architecte alsacien, Edouard Schimpf (1877-1916),
ancien élève de Schäfer, régionaliste notoire du courant Heimatschutz, dont le projet
de cité-jardin marquera le plus la cité-jardin de Stockfeld réalisée. En 1905, les frères
Bonatz, Paul (1877-1956) et Karl (1882-1951), gagnent le plus grand projet de cons-
truction civile de Strasbourg, celui de l’agrandissement de l’Hôpital Civil; il s’agit de
la construction de 11 bâtiments sur 18 ha dont le coût est estimé à huit millions de
Marks. Elèves de Theodor Fischer, le grand architecte et professeur à Munich, un des
fondateurs du Werkbund, Karl et Paul Bonatz seront membres fondateurs de cette
association artistique et architecturale célèbre de l’Allemagne. Karl, qui s’installe à
Strasbourg pour diriger l’opération de l’Hôpital Civil, deviendra rapidement un des
sociales à 200 M chacune, somme minimum fixée en Allemagne avant la guerre de 1914. Hans
Kampffmeyer, un des propagandistes de la cité-jardin de Hellerau à Dresde, grand spécialiste
des cités-jardins, considérait le modèle strasbourgeois comme le plus solide sur le plan finan-
cier, avec la Coopérative fondée sous le contrôle de la Municipalité et le rôle reconnu et
souhaité de quelques mécènes philanthropes gros bailleurs de fonds (Hans Kampffmeyer, Le
mouvement en faveur des cités-jardins en Allemagne, in: Vie Urbaine, No. 28, 1925, Paris, pp.
639-668), voir aussi: Hans Kampffmeyer, Die Gartenstadtbewegung (le mouvement des cités-
jardins) Berlin-Leipzig 1909.
9 Nohlen (N. 1); Durand de Bousingen (N. 1).
203
architectes préférés du maire Schwander; il participera au concours de Stockfeld et
l’un de ses projets sera primé, l’autre acheté par la Coopérative.10
Parmi les grands acteurs du projet de cité-jardin nous pouvons compter les deux
principales centrales syndicales: les syndicats libres dirigés par les sociaux-démocrates
et les syndicats chrétiens contrôlés par le parti catholique. De nombreuses études de
l’époque et même actuelles insistent sur l’aspect positif de l’appui des syndicats -
membres et dirigeants - donné au mouvement des cités-jardins de l’Europe. C’était le
cas surtout dans le modèle de cité-jardin où une coopérative était à la base de
l’expérience ou lorsqu’elle était un partenaire important. C’était en somme naturel
dans le cas des syndicats libres, puisqu’ils ont très tôt, sous l’influence de leurs mem-
bres, inclus dans leur statut la défense des idées et des pratiques de la coopération.
Pour des raisons différentes, les syndicats chrétiens de Strasbourg ont eux aussi décidé
d’appuyer le projet. Pour le mouvement des cités-jardins du continent il était aussi un
fait important que l’architecte anglais Raymond Unwin (1863-1940) - qui a construit
avec Parker, pour Ebenezer Howard, sa première cité-jardin à Letchworth en 1904 -
était un socialiste fabien très favorable à la Coopération.11
La Baugenossenschaft consulte donc les deux centrales syndicales - dont les deux
leaders, Bemhard Boehle et Paul Müller-Simonis, siègent dans la direction - au cours
des phases essentielles de l’élaboration du projet. De plus, les syndicats mobilisent
leurs membres pour qu’ils regardent les projets retenus par le concours d’architecture
exposés à l’Aubette à Strasbourg en automne 1909. Les délégués syndicaux auraient
même distribué à cette occasion une brochure tirée à 15 000 exemplaires et diffusée
dans les usines. Le leader alsacien de la SPD, Jacques Peirotes, a obtenu de Schwan-
der et de la Coopérative "qu’une commission spéciale fût élue par le Cartel des syn-
dicats libres et celui des syndicats chrétiens et prît part aux discussions concernant le
plan de la future cité, ainsi que le projet du Foyer du Célibataire", - comme en
témoigne la grande enquête sur le problème de l’habitation à Strasbourg menée en
1925 par l’Union des Syndicats Ouvriers Confédérés de la Région Parisienne.12
10 Jutta Schuchard, Carl Schäfer 1844-1908: Leben und Werk des Architekten der Neugotik,
München 1979; N. Bongratz, F. Werner, P. Dübbers: Paul Bonatz 1877-1956, Stuttgart 1977;
Denis Durand de Bousingen, Les architectes Paul et Karl Bonatz: une préface alsacienne à
une carrière européenne, in: Revue d’Alsace, No. 111, 1985, pp. 157-168; Rudolf Pfister,
Theodor Fischer. Leben und Wirken eines deutschen Baumeisters, München 1968.
11 Raymond Unwin, Town planning in practice - An introduction to the art of designing cities
and suburbs, Fisher Unwin, London 1909 (Le dernier chapitre du livre est consacré à la Coo-
pération).
12 Le Problème de l’Habitation; enquête faite à Strasbourg du 8 au 13 janvier 1925, Edition
de l’Union des Syndicats Ouvriers Confédérés de la Région Parisienne (Seine et Seine-et-
Oise), Paris 1925, 28 p. Le rapport a été présenté par Gaston Guiraud, Secrétaire de l’Union
des Syndicats Confédérés de la Région Parisienne et Raymond Figeac, Rédacteur du journal
Le Peuple.
204
La naissance du projet et la forme urbaine choisie
Le maire Schwander fait adopter par son conseil municipal le 10 mai 1907 le projet
de la Grande Percée. Il a besoin très rapidement de reloger les habitants touchés par
cette opération. Il n’a pas droit à l’erreur parce que le projet de la Grande Percée est
attaqué par l’aile droite de son propre parti et de sa majorité municipale, qui le juge
trop collectiviste à cause de la municipalisation massive du sol urbain central. Avec
l’aide des sociaux-démocrates, il gagnera cependant la bataille de la Grande Percée13
et dans la foulée de cette victoire, le Maire chargera la Coopérative de lui proposer
des formes de relogement pour la population concernée. Pendant les mois suivants
l’idée de la création d’une Gartenvorstadt, faubourg-jardin construit avec l’appui et la
garantie financière de la Ville, l’emporte, et la Coopérative est choisie comme maître
d’ouvrage et futur propriétaire.
La forme urbaine du faubourg-jardin s’impose en Europe justement pendant ces
mois-là - ce qui montre la qualité du milieu culturel et intellectuel de Strasbourg. En
1905, Raymond Unwin réalise dans la banlieue de Londres, pour Henrietta Barnett,
le premier faubourg-jardin à Hampstead. En 1907 paraît en allemand l’ouvrage
d’Ebenezer Howard intitulé ’Garden Cities of tomorrow’ avec une introduction de
Hans Kampffmeyer et une préface de Franz Oppenheimer. Dès cette année-là, la
Deutsche Gartenstadtgesellschaft préconise, comme en témoigne le premier paragra-
phe de ses statuts modifiés en 1907, la création des faubourgs-jardins dans les cas où
la nouvelle communauté résidentielle n’a pas les moyens d’installer dans la cité-jardin
des espaces de travail.14 Ce sont surtout les architectes et artistes du Werkbund,
soucieux de restructurer la banlieue de la Großstadt, la grande ville, et d’offrir des
logements à bon marché aux ouvriers, qui poussent cette forme urbaine de dévelop-
pement de la ville.
L’engagement total de la Municipalité et de la Coopérative dans la création d’une
cité-jardin est un fait très rare sur le continent et en Allemagne, qui est pourtant en
tête de la Gartenstadtbewegung, le mouvement des cités-jardins. Certes à Karlsruhe
a été fondée en 1907 une Association des cités-jardins, mais elle n’a pu commencer
à constuire qu’en 1911. Strasbourg n’est en fait devancé en Allemagne que par la cité-
jardin de Hellerau à Dresde qui est lancée par Karl Schmidt, le célèbre industriel
13 Si l’on examine le projet de Schwander, l’on s’aperçoit qu’il était plus proche des projets
urbains sociaux-démocrates que de ceux des libéraux réformistes. C’est peut-être à cause de
cela que la bourgeoisie locale a refusé de financer le projet de la Grande Percée. Schwander
a financé son projet par la Süddeutsche Diskontogeseîlschaft de Mannheim, qui était un
collecteur de fonds d’épargne de salariés réunis et d’ouvriers.
14 Ebenezer Howard, Garden Cities of To-Morrow, London 1902 (traduit en français en 1969,
Dunod, Paris). La première version a paru en 1898 sous le titre de To-Morrow: A peaceful
Path to Real Reform, London.
"La société s’efforce de faire naître des colonies [...] en fondant des Sociétés particulières, de
gagner les pouvoirs publics à la réalisation de ses buts, aussi bien qu’à seconder toutes les
tentatives ayant des buts analogues. A ceci se rattache avant tout la fondation des groupe-
ments d’habitations, de faubourgs-jardins, de colonies industrielles et extension de villes exis-
tantes dans le sens de la cité-jardin." (H. Kampffmeyer, 1925, N. 8, p. 645).
205
d’artisanat d’art des Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst, en 1908; Hellerau
sera un modèle à suivre pour Strasbourg.
Ajoutons encore un fait local important: la Ville de Strasbourg prépare, depuis 1904
et surtout 1907, la Bauordnung, règlement de construction qui sera publié en 1910 et
deviendra célèbre. Elaboré sous l’influence du concept de zoning, la Bauordnung a
imposé quatre zones de construction: a) des zones protégées ayant une valeur es-
thétique et pittoresque; b) des zones réservées à l’industrie, à l’artisanat et au com-
merce; et deux zones de construction résidentielles avec c) des quartiers d’habitation
à bâtiments hauts de 20 m au maximum et d) des quartiers péri-urbains à construc-
tions isolées limitées à deux étages plus mansarde.
Dans cette dernière zone sera construite la cité-jardin de Stockfeld. Et dès cette
époque il y aura un débat urbanistique serré et passionné sur l’interprétation du
zoning par rapport à la nature urbanistique d’une cité-jardin: devrait-il ou non exister
dans celle-ci des formes modernes de construction, par exemple des mini-bandes?
Pourrait-on de temps en temps y inclure des bâtiments à trois étages avec toiture? En
partant du principe howardien de réunir dans la cité-jardin les avantages de la ville et
de la campagne, les architectes et urbanistes du Werkbund voyaient dans la forme
urbaine de Gruppenbauweise, l’habitat groupé, une forme communautaire plus
appropriée à la nature de la cité-jardin. Mais les tenants régionaux du style du
Heimatschutz refusaient d’aller plus loin que deux maisons jumelées. Le concours sera
le théâtre de cet affrontement. Les concepteurs de la cité-jardin de Stockfeld -
municipalité et coopérative - penchaient pour l’introduction conséquente dans la cité
des mini-bandes de maisons, probablement pour des raisons économiques. En effet,
il est peu probable qu’ils aient déjà pu voir dans la forme ’Gruppenbauweise’ la
forme esthétique et sociologique de la communauté résidentielle parfaite, comme le
voyaient les concepteurs de la cité-jardin de Hellerau à Dresde.15
Le montage financier
Le coût de l’opération était estimé à près de deux millions de Marks. Dans le monta-
ge financier prévu, le rôle financier de la Ville de Strasbourg a été décisif, voire
indispensable. En effet, d’une part elle n’a pas obligé la Coopérative à utiliser l’Erb-
baurecht, pourtant le moyen le plus sûr pour l’acquisition du sol communal où devait
s’ériger la cité-jardin. Il faut savoir qu’à cette époque, l’Erbbaurecht, c’est-à dire le
droit d’exploitation, était le procédé le plus courant pour ce genre d’opération.
D’autre part, le Dr. Schwander qui a suivi de près l’opération, a vendu 12 hectares de
terrain municipal à 60 Pfennig le mètre carré, le prix le plus bas dans l’histoire des
cités-jardins de l’Allemagne. La formule a paru si satisfaisante par la suite que la Ville
15 "Lorsque l’individu, vivant en communauté, doit, dans une certaine mesure, limiter ses désirs
propres en fonction de cette communauté [...] sa maison ne doit pas être séparée de la maison
voisine, mais doit s’unir à elle, pour donner l’impression d’homogénéité." (Hans Kampffmeyer,
Die Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen der Gartenstadt für den Städte-
bau. L’importance des bases économiques et sociales de la cité-jardin pour l’urbanisme, cité
par F. Bollerey et K. Hartmann, N. 3, p. 42).
206
de Mannheim, une autre ville active et inventive de la Rhénanie Supérieure, suivra le
modèle strasbourgeois en matière de construction de cités-jardins. Les contacts
fructueux, pris à l’occasion du financement par Mannheim de l’opération de la
Grande Percée, y étaient certainement pour quelque chose.
D’autre part, la Municipalité se portait garante pour la Coopérative auprès de
l’organisme financeur prévu qui était la Landesversicherungsanstalt, le Service Régio-
nal d’Assurances Vieillesse, un organisme régional collecteur de fonds de l’épargne
populaire et ouvrière. Grâce à cette politique d’économie sociale, la Co-opérative n’a
pas eu besoin de prendre une hypothèque. Le prêt d’un million de Marks à 4% tout
compris a été attribué à une condition très avantageuse pour 40 ans. Certes, la voirie
et les réseaux divers étaient à la charge de la Coopérative, mais son financement n’a
atteint que 3% du coût total de l’opération.
On voit nettement se dessiner à Strasbourg - l’opération de la cité-jardin de Stockfeld
le montre bien - une politique de collectivisation et de municipalisation du sol urbain
par le biais notamment de la construction de logements populaires à bon marché et
par la création d’unités d’habitation de forme communautaire.
Le programme
Le programme de la cité-jardin de Stockfeld a été perdu pendant la première guerre
mondiale ou, comme j’ai l’habitude de le dire, il "est non encore retrouvé". Cependant
l’article écrit sur le concours de la cité-jardin par le Dr. Theodor Goecke, architecte
berlinois et co-directeur, avec Camillo Sitte, de la célèbre revue d’Architecture ’Der
Städtebau’, article paru en 1911,16 contient, je crois, l’essentiel du programme que
nous pouvons ici résumer comme suit:
une hiérarchie des voies a été demandée: rues principales, rues de desserte et
passages de 1,5-2 m de large menant aux jardins;
deux types de jardins ont été demandés: un jardin d’agrément de 3 m de large
devant les maisons, et deux ares de jardin potager, à l’intérieur des îlots;
les maisons unifamiliales devaient être composées dans les proportions suivan-
tes: 15% de maisons mono-familiales; 25% de maisons jumelées et 60% en
mini-bandes de quatre maisons; pour garder le caractère de faubourg-jardin,
une distance réglementaire de 4-7 m devait être respectée entre les maisons;
il n’était à l’origine prévu qu’un type de logement: trois pièces plus cuisine; par
contre le programme prévoyait deux variantes de ce type: un petit trois pièces
plus cuisine et un plus grand; seules les dimensions de la salle de séjour étaient
précisées: 10-14 et 10-11 m2, et celles de la cuisine: 7,5 m2 et 8,5 m2; un aspect
important du programme: 70% des logements devaient être des petits loge-
ments;
16 Theodor Goecke, Gartenstadt Stockfeld im Straßburg-Neuhof, in: Der Städtebau, 8 (1911),
4. Heft. Nous utilisons ici la traduction française faite en 1989 par Francis Weidmann, respon-
sable des relations extérieures à l’Ecole d’Architecture de Strasbourg.
207
une terrasse, un WC intérieur et une petite pièce pour les aliments étaient
demandés;
chaque appartement avait son grenier et sa cave; un bain et une buanderie
dans la cave et un séchage dans le grenier étaient demandés;
selon la tradition alsacienne des cités ouvrières, le niveau du rez-de-chaussée
devait être à un mètre au-dessus du niveau du sol de la rue, pour des raisons
d’hygiène;
hauteur des étages: 2,5 m; épaisseur des murs porteurs: rez-de-chaussée: 39
cm, étage et pignons libres: 25 cm (maisons unifamiliales: 25 cm);
équipements d’utilité publique: un bâtiment administratif avec logement de
service, salles de commission et caisse d’épargne: 3-5 commerces, boulangerie,
boucherie, restaurant près de la forêt; une école pour 14-16 classes;
le prix de revient d’une maison ne devait pas dépasser les 16,50 Marks par
mètre cube de volume construit; une somme forfaitaire était prévue pour les
jardins et les salles de bain;
coût de construction des rues: 8 Marks par m2; achat du terrain: 180 000
Marks, c’est-à-dire moins de 10% du coût total;
le calcul d’un loyer moyen a été fait sur la base de 5,6% d’intérêt, amortisse-
ment compris.
Ces éléments du programme prouvent d’abord la qualité des services de la Coopérati-
ve et de la Municipalité qui l’ont préparé. Sur le plan urbanistique, l’influence de la
tradition des cités ouvrières de l’Alsace et de la Cité de Mulhouse se manifeste dans
le choix des passages qui reliaient les jardins potagers. Mais le système des jardins
organisés à l’intérieur des îlots vient de la tradition de la Rhénanie Inférieure, comme
le montrent notamment les études de Roland Günter sur la cité ouvrière d’Eisenheim
dans la Ruhr.17 Toutefois la nécessité pratique des passages vient du fait que la
Coopérative a envisagé, à cette étape du projet, l’accession à la propriété d’une partie
des maisons par l’option du rachat. Et pour cela, il fallait attribuer à chaque logement
un jardin.
L’autonomie du terrain par rapport au site (la forêt du Rhin) a été demandée, ainsi
que la position du projet par rapport à l’axe de circulation principale existant (Kônigs-
weg - Allée David Goldschmidt actuelle); celui-ci a été considéré aussi dans le pro-
gramme comme l’accès à la cité-jardin et le trajet de la future ligne du tramway qui
devait la relier à Strasbourg.
Le programme a beaucoup insisté sur la création d’un parc d’habitat de qualité et bon
marché. Les dimensions des surfaces habitables moyennes prévues - 45-55 m2 - ex-
priment une certaine prudence dictée par le souci de l’équilibre financier de l’opé-
ration et elles restent dans la tradition constructive de la Coopérative. Ces dimensions
correspondent à l’expérience locale des cités ouvrières patronales de la 2e moitié du
17 Jörg Boström, Roland Günter, Rettet Eisenheim, Bielefeld 1973. Stéphane Jonas, La
révolution industrielle, les questions urbaine et du logement à Mulhouse 1740-1870, Thèse
d’Etat, Strasbourg 1989 (Dir. Prof. Doyen Georges Livet).
208
XIXe siècle en Alsace.18 Rappelons à ce propos que les normes alsaciennes sont
supérieures dans ce domaine à celles de la France, à la même époque.
Soulignons aussi le souci du programme de doter la cité-jardin, dans la tradition
régionale et continentale, d’un réseau convenable de services résidentiels communau-
taires et d’équipements d’utilité publique.19
Pour résumer ce sous-chapitre sur le programme, nous pouvons constater d’après les
textes que nous connaissons actuellement, qu’il ne contient pas des intentions et des
précisions doctrinales, ni sur la coopération ni sur le mouvement des cités-jardins. Par
contre, dans ce programme à caractère technique et fonctionnel, nous avons les
éléments fondamentaux de la formule cité-jardin préconisés par les Anglais et la
Deutsche Gartenstadtgesellschaft: recherche de nouvelles formes de lotissement
urbain pour combattre la spéculation foncière; transfert de la propriété du sol urbain
à une association d’utilité publique; diminution de la densité urbaine par la construc-
tion de maisons à faible hauteur; identification et autonomie de la cité-jardin par
rapport à son environnement; une hiérarchie de voies propre; un dessin architectural
propre; cité centrée sur les espaces sociaux résidentiels et les équipements d’utilité
publique; groupement spécifique de maisons unifamiliales pour créer de nouvelles
solidarités de voisinage tout en gardant une autonomie de la famille; maisons de
qualité à bon marché pour aider les familles peu fortunées.
Le concours: les projets primés et achetés
Les assemblées générales du 27 et du 29 avril et celle du 3 mai 1909 de la Coopé-
rative décident de la création d’une cité-jardin. Rapidement un concours est lancé,
mais qui est ouvert seulement aux architectes exerçant en Alsace-Lorraine. La compo-
sition du jury du concours s’inscrivait dans la tradition locale du pouvoir municipal:
quatre membres sur sept représentaient la municipalité, à savoir un Adjoint au Maire
Hugo Dominicus, président du jury; l’architecte de l’Oeuvre Notre-Dame et celui de
la Cathédrale Johann Knauth (1864-1924), un proche du Maire Schwander, qui
devient dès 1909 un acteur important de la réalisation du faubourg-jardin de Stock-
feld; l’inspecteur de la police du bâtiment et le médecin de la Ville. Les autres
membres étaient les suivants: le délégué de l’administration supérieure, un professeur
d’Université et un entrepreneur. La position du président du jury, Hugo Dominicus,
un Vieil-Allemand influent du conseil municipal, est importante au sein du jury
puisqu’il est membre également, depuis 1901, du Comité directeur de la Coopérative.
Sur les 24 projets présentés, sept ont été retenus par le jury: quatre ont été primés et
18 Stéphane Jonas, La Cité de Mulhouse, 1853, in: Roberta Martinelli et Lucia Nuti, Le Città
di fondazione, Marsilio Editori, Venezia 1978, pp. 211-231; La fondation des villages ouvriers
des Mines de Potasse d’Alsace 1908-1930: une solution particulière de la relation ville-
campagne, in: Revue des Sciences Sociales de la France de l’Est, Strasbourg 1978.
19 Stéphane Jonas, Jean-Paul Treiber, Nouvelles institutions sociales et nouvelles formes
urbaines du Strasbourg 1900: le cas de la Société Coopérative de Logements Populaires de
Strasbourg, in: Cahiers de l’Institut d’Urbanisme, No 1, Strasbourg 1979, pp. 116-134.
209
trois ont été achetés. Les primés ont été les suivants: ’Volkswohl’, Le bien-être du
peuple, des architectes Backes et Zache de Strasbourg, 2.000 Marks (111. 1); ’Grüss-
Gott’, Bonjour, des architectes Heinrich Brabant et Robert Dirr de Metz, 2.000 M; et
’Drei’, Trois, des architectes K. Bonatz, Georg Martin et Karl Wolf de Strasbourg,
1.600 M; ’Im Sonnenschein’, Au Soleil, des architectes G. Schalk, J. Keller et L.
Trimper de Mulhouse, 1.600 M (111. 2). Les trois projets achetés par la Coopérative
ont été les suivants: ’Rot-Weiss’, Rouge-Blanc, de l’architecte Steffen de Rouffach (111.
3); ’Howard’ de l’architecte Edouard Schimpf de Strasbourg; et ’Legende’, Légende,
des architectes Karl Bonatz, Georg Martin et Karl Wolf de Strasbourg (cette équipe
a présenté deux projets).
Je ne peux ici entrer en détail ni dans l’analyse des motivations du jury, ni dans
l’analyse intrinsèque de chaque projet primé et acheté. Nous pouvons cependant
remarquer premièrement que le jury n’a pas décerné un premier prix, ce qui montre
une insatisfaction incontestable de ses membres par rapport aux projets présentés par
les concurrents. D’après les observations du jury présentées par ’Der Städtebau’, il ne
s’agissait pas, dans le cas des sept projets retenus, d’un non respect du programme;
il s’agissait plutôt de la constatation du jury qu’aucun projet en tant que tel n’expri-
mait l’idée que celui-ci se faisait de la Gartenvorstadt à construire à Stockfeld.
Deuxièmement, les projets rachetés apparaissent a posteriori comme les ’victimes’ des
débats internes et des prises de position du jury. Et pourtant deux d’entre eux, je les
considère comme les meilleurs projets du concours: il s’agit des projets ’Howard’ et
’Legende’. Le projet ’Howard’ d’Edouard Schimpf, jeune architecte de la Ville de
Strasbourg depuis 1907, et leader local du courant Bund für Heimatschutz, sera non
seulement acheté, mais en grande partie réalisé dans la future cité-jardin. Le jury a
été frappé par la singularité de ce projet, mais son principal reproche a été qu’il ne
prévoyait que des maisons mono-familiales; reproche sans fondement. Le projet
’Legende’ de Karl Bonatz, architecte de l’extension de l’Hospice Civil de Strasbourg,
et de son équipe, est le projet le plus pur du point de vue des principes de Raymond
Unwin, avec l’introduction intéressante, dans un plan régulier géométrique, des closes
inventés par l’architecte favori de E. Howard et introduits déjà dans la cité-jardin de
Letchworth en 1904, et généralisés dans le faubourg-jardin de Hampstead en 1905.20
Troisièmement, un débat de fond partage en deux camps le jury sur la cité-jardin
future, et les oppositions se cristallisent autour de la forme urbaine adoptée, ce qui
nous renvoie au débat sur le dessin du faubourg-jardin: doit-il être régulier ou irré-
gulier? Nous savons qu’à l’époque ce débat est important sur le plan architectural et
urbanistique, puisqu’il s’agit des références, des styles et des concepts de la ville mo-
20 "Le close: c’est un groupement de maisons autour d’une impasse. Cette impasse débouche
généralement sur une rue, et on peut considérer comme faisant partie du close les maisons
qui, situées sur la rue, annoncent ou ferment ce close. Une fois ce système défini, il existe une
infinité de closes possibles, et Hampstead est un essai de typologie concrète du système, ou
du moins de sa mise en forme." (Jean Castex, Jean-Charles Depaule et Philippe Panerai,
Formes urbaines: de l’îlot à la barre, Dunod, Paris, 1977. p. 58). Dans son livre célèbre (N.
11), publié en 1909, Unwin présente toute une typologie du close.
210
111. 1: Entwurf ’Volkswohl’ (Backes et Zache)
211
deme à construire. D’une manière générale, le dessin régulier prend pour modèle
certes l’Antiquité et la Renaissance, mais surtout le XVIIIe siècle (Cl. N. Ledoux et
les autres) et s’impose dans la Großstadt du XIXe avec Haussmann à Paris et avec
Otto Wagner à Wien. Par contre, le dessin irrégulier prend comme modèle le Moyen
Age et la ville médiévale et reçoit un appui non négligeable, par la publication du
livre de Camillo Sitte, architecte viennois, intitulé ’Städtebau’21 où les principes de
ce modèle sont bien résumés.
Ces deux modèles correspondaient par conséquent à des dessins urbains et d’habitat
non seulement caractérisés, mais sensiblement différents, dans le premier cas par des
rues, des places, des îlots et des plans de formes géométriques simples dominées par
la ligne droite et des parois de maisons symétriques; dans l’autre cas, par des rues,
des places, des îlots et des plans plus organiques, rues sinueuses et parois de maisons
asymétriques. Sous cet angle, le sept projets retenus peuvent être divisés assez
nettement en deux groupes: trois projets de dessins géométriques (’Drei’ et ’Legende’
de Bonatz; ’Howard’ de Schimpf) et quatre projets de dessin organique (’Volkswohl’,
’Grüß-Gott’, ’Im Sonnenschein’ et ’Rot-Weiß’).
Par ses choix prioritaires, le jury a nettement penché pour les projets à dessin organi-
que, comme le montre le seul projet de plan régulier primé: le ’Drei’. Et j’ai l’impres-
sion, dans cette phase de mes recherches, - mais cela n’est qu’une hypothèse person-
nelle, faute de documents précis - que seul la personnalité, la compétence et le
prestige de Hugo Dominicus ont permis cette distinction du ’Drei’. Le jury n’a-t-il pas
remis en cause l’originalité de ce projet, à savoir l’introduction des closes?: "Les baies
ouvertes, régulières, de la route se renouvelant un peu trop souvent, sont elles-mêmes
pleines d’attrait; il paraît douteux cependant que le bon entretien nécessaire à une
telle installation puisse être suffisamment correctement assuré, surtout dans une
banlieue ouvrière."22 Et si mon hypothèse est exacte, c’est par la décision de rachat
d’autres projets par la Coopérative (et derrière elle la Municipalité), que l’équilibre
plus juste entre les deux approches architecturales et urbanistiques a pu être rétabli
et que les meilleurs projets ont pu ainsi être récupérés.
La question de la cité-jardin a décidément été au centre du débat municipal, puisque
l’opposition entre les deux clans s’est prolongée jusqu’aux séances du Conseil Munici-
pal des 8 novembre et 1er décembre 1909, quand la Ville de Strasbourg s’est pronon-
cée sur les projets. En effet, pendant les discussions, le Conseil Municipal a été
partagé entre les projets géométriques jugés par certains ’verkehrsfeindlich’ (hostiles
à la circulation) et entre les projets organiques jugés, par les mêmes, ’verkehrsfreund-
lich’ (favorables à la circulation).
En fait, le jury passe à côté du débat de fond, puisque les deux grandes figures de ce
concours, Karl Bonatz et Edouard Schimpf, dont les projets sont ainsi récupérés,
appartiennent tous les deux, pour le moment et avec leurs projets, au camp des
projets réguliers, mais sont néanmoins opposés par leur conception de 1’urbanisme et
21 Camillo Sitte, Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen, Wien 1889.
22 Ibid., p. 38.
212
111. 2: Entwurf ’Im Sonnenschein’ (Schalk, Keller, Trimper)
Hl- 3: Entwurf ’Rot-Weiß’ (Steffen)
213
de l’architecture; le premier appartenant au Werkbund et le second au Bund für
Heimatschutz. Influencés par Raymond Unwin, et connaissant déjà assez bien ses
travaux écrits et ses cités-jardins réalisées, ils savent bien que ce grand architecte
anglais avait un sens pratique et que pour lui les choix de projets devaient s’opérer
selon des exigences concrètes et des situations particulières. De ce point de vue, pour
Unwin le dessin régulier et le dessin irrégulier étaient tous les deux valables.
Du projet idéal au projet réalisé
Le 1er décembre 1909 le Conseil Municipal approuve ’le plan définitif du faubourg-
jardin de Stockfeld et le 21 décembre le Président du District, Bezirkspràsident, en
fait autant. Mais de quel plan définitif s’agit-il? Cette question est, dans l’historiogra-
phie locale, encore entourée d’un certain flou artistique, où la Coopérative, maître
d’ouvrage et propriétaire, est plus qu’imprécise dans les documents officiels publiés,
il est vrai, après le rattachement de l’Alsace à la France.23
On peut se demander si la Coopérative et la Municipalité ont déjà ce ’plan définitif
en décembre 1909. Ce qui est plus sûr, c’est qu’ils ont pris contact, probablement dès
la fin du concours et au cours de l’automne, avec Edouard Schimpf, architecte de la
Ville. Schimpf a été sollicité pour faire un ’projet définitif, diriger l’exécution des
travaux et entrer au service de la Coopérative. L’architecte strasbourgeois accepte la
proposition, mais quelques mois plus tard il regrettera sa décision...
Ce plan définitif est d’abord un compromis social et politique entre les principaux
acteurs du projet de faubourg-jardin. Le concours architectural passé, la Coopérative
et la Mairie commencent les consultations de leurs propres membres, des syndicats,
des partis politiques composant le conseil municipal, de l’opinion publique et des
milieux d’affaires, pour les gagner à leur cause. Nous avons vu que le conseil munici-
pal a été favorable à un plan définitif économique et à une forme architecturale et
urbanistique d’inspiration régionale et alsacienne. En ce qui concerne la Coopérative,
elle a certes voulu reloger dans la cité future toutes les familles volontaires concer-
nées par l’opération de la Grande Percée, mais en même temps elle a décidé aussi de
défendre les principes coopératifs et les intérêts de ses membres. C’est dans ce sens
que son assemblée générale du 21 septembre a modifié ses statuts: "Une clause fut
23 "La société mit [...] au concours le plan général de la future cité, entre tous les architectes
d’Alsace et de Lorraine. M. Schimpf remporta le prix et fut chargé de l’exécution des travaux.
Il entra aussitôt au service de la société." (Historique, N. 6, p. 12). Cette erreur de la Co-
opérative sur sa propre histoire a été la source de pas mal d’erreurs publiées par la suite par
les historiens et les urbanistes sur le projet du concours d’Edouard Schimpf. Je dois corriger
aussi le passage suivant d’une étude, par ailleurs remarquable, de l’Agence d’Urbanisme pour
l’Agglomération Strasbourgeoise, intitulé Le projet urbain dans l’histoire de Strasbourg,
Strasbourg 1981: "L’architecte Schimpf présente un projet dont la devise est ’Howard’. Il ne
bénéficie que d’un achat, sa proposition étant hors programme puisqu’elle ne comporte que
des maisons unifamiliales." (Cahiers ’Question du logement’ 1911-1912). Le ’Howard’ était
bien dans le programme, puisqu’il a été mentionné, mais pas primé, seulement acheté. Par
ailleurs le projet de Schimpf présente, contrairement à l’assertion du jury, plusieurs projets de
logements groupés par quatre ainsi que quatre minibarres, qui sont visibles sur le plan.
214
ajoutée au paragraphe I. autorisant la construction des habitations à bon marché pour
les célibataires et un droit de priorité fut accordé aux membres de la société pour
l’obtention de logements."24
Pour ce qui est de la position des syndicats, l’Historique de la Coopérative déjà cité
observe que "Les représentants des ouvriers assurèrent à cette occasion le Conseil de
surveillance de leur concours dévoué en vue de l’exécution de ce grandiose projet.
Une commission spéciale, élue par le Cartel des corporations libres et chrétiennes,
avait discuté avec la société les plans du Foyer des célibataires et de la cité-jardin."25
La position des syndicats chrétiens est d’autant plus forte que leur leader, le chanoine
Müller-Simonis, était à ce moment-là le Président du Conseil de Surveillance de la
Coopérative. Mais c’est surtout le parti social-démocrate qui a beaucoup mobilisé
pour la cité-jardin dans le milieu ouvrier local; il est vrai que leur leader, B. Boehle,
était lui aussi membre dudit Conseil de Surveillance.
La Gemeinnützige Baugenossenschaft a également subi des pressions financières à la
suite des résultats du concours et des consultations qui l’ont suivi. Il s’est avéré en
effet que le million de Marks d’emprunt contracté auprès du Service Régional des
Assurances Sociales - somme qui correspondait à 50% du coût estimé de l’opération -
ne serait pas suffisante si l’on voulait réaliser le projet initial. N’oublions pas une
chose essentielle, mais sur laquelle les historiens locaux n’ont jamais insisté, à savoir
que le concours de 1909 a été ouvert sur un programme de 24 hectares, comme en
témoignent tous les projets retenus. Et pour que la demande générale d’un parc d’ha-
bitat varié et de qualité soit maintenue, la Coopérative a, à la demande probable de
la Mairie, pris deux décisions importantes: premièrement, elle a maintenu le program-
me de 460 logements; deuxièmement, elle a seulement acheté la moitié des terrains
offerts et sur l’autre moitié, à savoir sur 12 hectares, elle a fait une option d’achat
pour 15 ans; proposition acceptée par le Dr. Schwander.
Où pouvait-on réaliser des économies? Miser, dès le début, sur un autofinancement,
c’est-à-dire vendre une partie des logements aux locataires - solution envisagée dans
le programme - comportait des risques financiers évidents par le fait qu’il s’agissait
d’une couche populaire à faible solvabilité. La Coopérative a finalement trouvé deux
domaines où l’on pouvait faire des économies: la voirie et l’habitat. Par la réduction
du terrain, la voirie pouvait effectivement être réduite de moitié. Rappelons que dans
le prix avantageux du terrain, n’étaient pas comprises la viabilisation et la mise en
place de la voirie et des réseaux divers. Si le principe du nombre initial de 460
logements devait, coûte que coûte, être maintenu, il n’en est pas moins devenu
évident que cela ne pourrait être réalisé qu’à condition d’une concentration et d’une
24 Historique, (N. 6), p. 22. Pour reloger aussi les célibataires, en grande partie ouvriers,
touchés par l’opération de la Grande Percée, Schwander a confié à la Coopérative la réalisa-
tion d’un Foyer du célibataire. Confié en 1908 à l’architecte strasbourgeois Ernst Zimmerlé,
qui est ainsi devenu architecte de la Coopérative, le Foyer de 200 chambres situé en centre
ville, a été inauguré le 1er octobre 1910.
25 Ibid., p. 12.
215
rationalisation de l’espace bâti sous la forme de l’introduction massive des bandes de
maisons.
Tout compte fait, les bandes faisaient partie de la jeune tradition du mouvement des
cités-jardins. Mais parmi les projets primés, cette forme urbaine et sociale était
totalement absente, puisque leurs auteurs ont présenté (à l’exception de Schimpf et
du groupe Bonatz) des cités-jardins qui ont sous-tendu une conception de pittoresque
ruraliste avec parfois un ton nationaliste alsacien et régionaliste germanique.26 Il a
donc fallu choisir Toiseau rare’ parmi les concurrents qui accepterait l’idée d’un ’plan
définitif fondamentalement nouveau et qui, de plus, serait un homme sûr du point de
vue de la politique municipale du Neubau, architecture nouvelle, introduite par le
Stadtbaurat Fritz Beblo et son équipe. De ce point de vue, le choix de Schimpf était
probablement le meilleur, aussi bien en ce qui concerne son projet ’Howard’, qui
était, selon moi, le mieux adapté à la banlieue de Strasbourg, que par son talent et
son statut d’architecte municipal. Malgré son caractère peu enclin aux compromis et
aux interventions extérieures dans ses projets, l’architecte strasbourgeois a accepté
l’offre d’élaborer un plan définitif à condition que son projet acheté puisse servir de
base de départ; ce qui fut accepté.
Stockfeld, un faubourg-jardin original
En quelques mois Schimpf a élaboré un plan définitif de faubourg-jardin tout à fait
remarquable pour l’époque, comme en témoignent d’une part les quelques documents
graphiques - dessins et plans (111. 4) - qui ont survécu et qui sont partiellement réunis
aux Archives municipales de Strasbourg, et d’autre part la cité-jardin réalisée. Des ar-
chives de dessins d’urbanisme de Schimpf, je voudrais ici présenter deux documents
exceptionnels, jamais publiés et étudiés à ma connaissance depuis leur réalisation par
l’architecte il y a exactement 80 ans: le plan d’urbanisme (111. 5)27 et le plan axono-
26 Les devises des deux projets qui sont le ’Rot-Weiss’ et le ’Volkswohl’ sont à cet égard très
significatives. La devise du projet acheté de ’Rot-Weiss’ est sans doute une allusion très nette
au manifeste intitulé ’Die rot-weiße Zukunft’ de René Schickelé (1883-1940), journaliste et
écrivain alsacien, publié dans la revue ’Stürmer’ en 1902. Dans ce manifeste Schickelé a tenté
de définir le concept culturel et politique de la ’nouvelle alsacienneté’ progressiste. La devise
du projet ’Volkswohl’ qui a obtenu le premier prix, sous-tend le concept Volk, le peuple, tel
qu’il est à l’usage à cette époque de la recherche de l’identité d’un ’Peuple d’Alsace-Lorraine’.
Ce concept est utilisé à cette époque à la fois par le ’catholicisme politique’ et par les sociaux-
démocrates. Et l’historien F. Igersheim note avec justesse que le Volk signifie "une volonté de
rassemblement de la part des uns et des autres". (Igersheim, N. 4, p. 124).
27 Bebauungsplan für die Gartenvorstadt Stockfeld: échelle 1:1000e, 1910; signé par E.
Schimpf en tant que Directeur de la Construction (die Bauleitung) de la Coopérative. Plan
der Gartenvorstadt Stockfeld bei Neuhof. Aufgestellt durch den Architekten Schimpf, Januar
1910, échelle l:2000e; in "Collection de dessins, de concours d’architecture et de constructions
élaborés par Edouard Schimpf, architecte (1877-1916) dans la période de 1905 à 1914", 9 -
Cité de Stockfeld à Strasbourg-Neuhof. "Gartenvorstadt Stockfeld bei Neuhof' 11 feuilles;
Archives de la Ville de Strasbourg. Je remercie Georges Foessel, Directeur et François
Schwicker, archiviste, pour leur coopération.
216
217
218
219
métrique de janvier 1910 de la Cité-jardin de Stockfeld (111. 6). Le plan d’urbanisme
est à la fois fidèle aux principes théoriques anglais et novateur dans l’application de
ses principes aux conditions allemandes et strasbourgeoises. C’est un plan rationnel
et parfaitement géométrique là où la configuration des limites du terrain le permet.
La composition du faubourg-jardin est classique et quelque peu monumentale dans
son ensemble, et pittoresque et pan-germaniste dans les détails. Ne nous laissons pas
tromper par la simplicité apparente de la forme urbaine et de la typologie rationnelle
de l’habitat: Schimpf y a introduit une codification personnelle, fortement chargée des
connotations culturelles pan-germaniques de la Bund für Heimatschutz. Bien délimité
par un tracé de voies rurales et forestières historiques et récentes, ce plan d’urba-
nisme est fondé sur un système d’îlots moderne et particulier. Système moderne parce
qu’il est considéré comme un ensemble de parcelles délimité par le cadre géographi-
que et le passé historique. L’îlot est ici défini déjà comme un groupement de bâti-
ments organisés selon une logique propre assurant à chaque espace urbain un statut
défini. Les îlots sont signalés sur le plan d’urbanisme par un chiffre arabe entouré
d’un cercle.
Le faubourg-jardin est composé par rapport à un noyau quadrilatère de six îlots de
référence de 100 x 100 m délimités par les rues. Ces îlots de référence ne seront ja-
mais intégralement respectés et réalisés, soit à cause de la configuration irrégulière
des limites du terrain, soit en raison de la réduction du projet d’origine. Les grands
carrés de 100 x 100 m sont bien visibles sur le plan et sont parfois délimités dans leur
angle par des maisons-types de II. et IV. Le rôle urbanistique de six îlots de référence
était de dégager les deux axes symboliques de la cité constitués par la rue de la Breit-
lach et la rue Lichtenberg. Nous avons encore deux îlots quadrilatères variés dont la
création est justifiée par la délimitation courbe du terrain du côté Nord-Ouest et
l’existence dans le terrain au même endroit d’un espace bâti semi-enclavé dit Scharf-
eck. Cinq îlots sont complètement bâtis (1, 2, 3, 7 et 9), deux sont bâtis à moitié (4 et
5); quelques constructions sont éparpillées dans des îlots limitrophes résiduels (6, 8,
10 et 11). Comme le montre le tableau sur la répartition du bâti par îlot (Tabl. 1), et
par parcelle, Schimpf a utilisé son système d’îlots pour donner une organisation ra-
tionnelle et une certaine homogénéité aux ensembles paysagers, aux unités de voisina-
ge différentes et variées, malgré le nombre relativement réduit des maisons-types.
Sur le plan d’urbanisme de janvier 1910 Schimpf a porté en chiffres arabes la numé-
rotation des parcelles. Il s’agit d’éléments de morphologie urbaine de premier ordre.
L’organisation des parcelles prouve, s’il en était besoin, que l’architecte strasbourgeois
était aussi un homme de tradition. Il a en effet réussi à répondre à la question dif-
ficile de donner à chaque logement un jardin, tout en restant fidèle à la définition mo-
derne de la parcelle nouvelle, créée ex nihilo. Celle-ci devait pour lui être définie par
le bâti, par la maison. Et la définition souple de la surface des jardins prévus dans le
programme, allant de 2 à 2,5 ares par famille, a permis de dégager deux types de par-
celles: les parcelles allongées raccourcies de 5-6 m de large d’origine rhénane et les
parcelles raccourcies de 15-20 m de large d’origine industrielle. J’ai constaté la per-
220
durance de ces deux types de parcelles dans la création des cités ouvrières de l’Alsa-
maisons-types îlots I. II. Il/a III. IV. V. VI. total n. a. %
N1 2 7 - - 1 - 14 24 11,0
N2 2 7 2 2 - - 16 29 13,3
N3 2 6 - 6 - 12 - 26 11,9
N4 9 20 - 6 1 14 - 50 22,9
N5 2 4 - - 3 - - 9 4,1
N7 2 6 - 16 - - - 24 11,0
N9 - 6 4 18 - 10 - 38 17,5
Nos 6,8,10,11 - 8 - - - - 10 18 8,3
Total n. a. % 19 8,7 64 29,4 6 2,8 48 22,0 5 2,3 36 16,5 40 18,3 218 100
Tabl. 1: La répartition des maisons-types par îlot du plan d’urbanisme d’E.
Schimpf, janvier 1910
Ainsi, les parcelles de 5-6 m de large caractérisent les maisons-types unifamiliales en
bande - T II., T V., au nombre de 84 - qui ont un accès direct sur la voie publique
et le jardin. Les maisons unifamiliales jumelées de T VI. font une petite exception
dans leurs parcelles de 8 m de large, à cause de l’obligation du programme et de la
Bauordnung de laisser une distance de 4-7 m de large entre les bâtiments; celles-ci
ont aussi un accès direct au jardin potager. Je voudrais enfin signaler un aspect
intéressant de l’organisation des parcelles en 1910: les grandes parcelles nouvelles de
15-20 m de large correspondent aux logements groupés par quatre, qui doivent être
divisées, pour les jardins, suivant le nombre de familles qui se trouvent dans les bâti- 28
28 L’historien alsacien, le Prof. Raymond Oberlé, considère que la maison historique mulhou-
sienne la plus typique varie entre 5-7 m de large. (Raymond Oberlé, Martine Stahl-Weber,
Mulhouse, Panorama monumental et architectural, des origines à 1914, Ed. Contades, Stras-
bourg 1983, p. 92 et suite.) Pour la construction du Nouveau Quartier de Mulhouse en 1826-
1830 - le seul exemple en France en dehors de la rue de Rivoli à Paris, du classicisme roman-
tique, d’après Henry-Russell Hitchcock, - les jeunes architectes alsaciens AJ.Félix Fries et
Jean-Godefroi Stotz, concepteurs du Nouveau Quartier, ont introduit des îlots nouveaux avec
des parcelles de 12 à 16 m de large. (Jonas, N. 17, chapitre XI.).
221
raents en bande.29 Pourquoi cetîe division n’est-elle pas portée par Schimpf sur la
carte du Bebauungsplan de 1910? Mon opinion est que l’architecte a voulu faire faire
le partage des surfaces de jardin par la Coopérative.
Semblablement au plan d’urbanisme, Schimpf a réussi, avant de donner sa démission,
à élaborer une typologie du bâti et des logements tout à fait remarquable. Cette
typologie (Tabl. 1) comporte sept maisons et logements types. Leur élaboration
architecturale a été tellement cohérente et satisfaisante que la Coopérative l’a gardée
intégralement, malgré le départ de l’architecte. Et son remplaçant, l’architecte Ernst
Zimmerlé, n’a eu d’autre rôle que de les mettre en chantier. J’insiste sur ce point,
parce que Zimmerlé et l’historiographie locale et allemande ont laissé sur ce sujet pas
mal d’ambiguïtés, en laissant entendre, même dans certaines publications de la
Deutsche Gartenstadtgesellschaft, que le concepteur de Stockfeld était Zimmerlé et
non Schimpf.30
Schimpf a respecté, dans son plan définitif, la volonté de la Coopérative de fixer la
surface des pièces plus cuisine entre 45 et 55 m2. Mais il a rejeté l’idée initiale d’uni-
formiser la grandeur des logements en ne retenant qu’un seul type de trois pièces plus
cuisine avec deux variantes: une salle de séjour plus petite et une autre plus grande.
Il a créé des logements-types avec 2, 3 et 4 pièces plus cuisine (Tabl. 2) tout en
restant dans les normes du programme. L’intégration des appartements dans le
bâtiment-type choisi, et par rapport au jardin et à la rue, est très satisfaisante et
démontre une connaissance de la demande et une conception avancée sur la cité-
jardin à créer en Alsace.
Le parc d’habitat de Stockfeld conçu par Schimpf apporte également, je crois, des
réponses positives au débat du mouvement des cités-jardins du continent sur le nouvel
29 Dans les fonds de Schimpf (N. 27), déposés aux Archives de la Ville de Strasbourg, j’ai
trouvé une carte non datée au 2000e où tous les jardins sont déjà bien dessinés. Cependant
les petites modifications effectuées sur le plan de la cité-jardin de Stockfeld me font penser
que cette carte n’était pas dessinée par Schimpf, mais par son successeur, Ernst Zimmerlé. En
effet, cette carte ressemble étrangement à celle publiée dans la plaquette de Zimmerlé
intitulée Gartenvorstadt Stockfeld bei Straßburg i. Eis., Verlag von Seemann und Co. in
Leipzig 1912, p. 3.
30 Dans sa plaquette de 1912 (N. 29), Zimmerlé omet le nom de Schimpf bien qu’il copie
totalement ses projets, en se contentant de les redessiner. Mais il n’ose signer qu’une seule
maison-type. Il est curieux que Hans Kampffmeyer n’ait rien dit non plus sur l’origine du
projet définitif de Stockfeld, surtout dans la deuxième édition de son livre ’Die Gartenstadt-
bewegung’, publié en 1913 (N. 8). Il attribue cependant, à tort, à Zimmerlé le projet de la
cité-jardin de Stockfeld (Entwurf vom Architekt Zimmerlé, p. 53). En voisin de Strasbourg
qu’il connaît bien, puisqu’il est Landeswohnungsinspektor (inspecteur régional du Logement),
habitant à Karlsruhe, le Secrétaire Général de L’Association Allemande des Cités-Jardins,
Hans Kampffmeyer aurait dû rétablir la vérité historique sur ce point. Cette omission s’expli-
que peut-être par les passions qui opposaient le Werkbund et le Heimatschutz. Heureusement
pour Schimpf, l’ancien Stadtbaurat Fritz Beblo a rétabli la vérité historique sur le concepteur
de Stockfeld dans le sous-chapitre d’un livre écrit sur l’histoire de l’architecture de cette péri-
ode, publié en 1934, in: Georg Wolfram (sous la direction de), Das Reichsland Elsaß-Lothrin-
gen 1871-1918, Band III. Wissenschaft, Kunst und Literatur in Elsaß-Lothringen 1871-1918,
Frankfurt/M. 1934.
222
équilibre a établir à la lumière des expériences anglaises, entre le nombre des loge-
ments/maisons unifamiliaux (Einfamilienhäuser) et les logements/édifices plurifamili-
aux (Mehrfamilienhäuser). Nous savons que ce débat passionnait l’Allemagne qui
subissait au début du XXe siècle une poussée importante d’urbanisation et qui
cherchait une forme urbaine et une densité d’habitat nouvelles. Stockfeld est la
première cité-jardin en Allemagne et sur le continent qui ait résolument opté pour
l’introduction massive d’édifices plurifamiliaux, anticipant ainsi sur les réalisations du
mouvement moderne de l’entre-deux-guerres.31 Près de trois-quarts (73%) du parc
d’habitat de la cité-jardin sera en effet composé de logements plurifamiliaux (Tabl. 3),
avec cependant la réserve suivante: l’habitat groupé ne dépassera pas quatre loge-
ments par escalier commun.
nombre de pièces cuisine comprise 3 4 5 total
prévus dans le programme de 1909 - 458 - 458
projetés par Schimpf en 1910 76 344 38 458
le parc de logements réalisé par Zimmerlé en 1912 77 383 - 460
le parc de logements en 1923 73 346 38 457
le parc de logements en 1980 74 348 38 460
Tabl. 2: La répartition du parc d’habitat par type de logement
Le succès ou l’échec d’une cité-jardin dépend non seulement de son projet social,
mais aussi, et dans une large mesure, de son projet architectural et paysager. La façon
dont Schimpf a conçu les bâtiments et leur mise en scène urbaine/rurale, donne à
Stockfeld une ambiance, un ton, un aspect pittoresque particulier, mais qui ne dénote
pas excessivement la banlieue Sud, populaire et semi-rurale. Malgré leur variété, les
bâtiments de la cité peuvent être regroupés en deux: a) ceux qui regroupent les
logements unifamiliaux (T III., V. en bande et T VI. maisons jumelées) et b) ceux qui
regroupent les logements plurifamiliaux (T I., II., Il./a en bande et T IV. logements
groupés par quatre). Malgré les soins architecturaux apportés à ces derniers bâtiments
plus économiques, il est visible et clair que les préférences de Schimpf vont aux
bâtiments qui abritent les logements unifamiliaux, dont la modénature et l’esthétique
vont être dessinées avec chaleur et dans la tradition pittoresque et gardenesque du
Certes dans les quartiers de la cité-jardin de Hellerau, construits par Richard Riemerschmid
et Hermann Muthesius, l’habitat groupé est dominant, mais il y a aussi les quartiers des villas
où domine la maison unifamiliale.
223
Bund für Heimatschutz: pignons, bois apparent, auvents, combles aménagés, toitures
hautes à deux pans. Mais leur effet d’ensemble ressemble étrangement aux cités-
jardins réalisées vers les années précédant 1918 par les grands architectes du Werk-
bund, telles que Hellerau de Dresde (Riemerschmid, Tessenow, Muthesius), Nurem-
berg (Riemerschmid), Hüttenau (Metzendorf), Bremen (H. Wagner), etc.
types maisons uni- familiales ju- melées logements unifamiliaux en bande logements groupés à 4(bande) total prix du loyer men- suel en Marks (1910-12)
I. - - 76 76 15,5
II. - - 220 220 18,5-23 (3 pièces) 22-24,5 (4 pièces)
Il./a - - 18 18 22-24
III. - 48 - 48 24-26
IV. - - 20 20 23
v' - 36 - 36 26,5-27
V,. 40 - - 40 26,5-27
Total 40 84 334 458
% 8,7 18,3 73 100
Tabl. 3: La répartition des logements par maison-type et par
mode de groupement; le prix du loyer
Même les types économiques tels que le T II. sont dessinés avec soin. Remarquons à
ce sujet que le T IV., très économique, est composé de 2x2 logements sur deux
niveaux réunis en un seul bâtiment à deux croupes. C’est un édifice rhénan bien
typique avec sa toiture haute; Schimpf l’a utilisé comme un bâtiment d’angle légère-
ment avancé par rapport à l’alignement, pour couper partiellement la perspective
ou/et donner une silhouette supplémentaire dans le champ de vision.
Les historiens du mouvement des cités-jardins insistent sur l’importance symbolique-
esthétique de la centralité de la cité. Contrairement aux projets des autres concur-
rents, Schimpf a refusé, déjà dans son projet de concours ’Howard’, la création d’une
place centrale située au milieu géographique du terrain. Il a créé la centralité de son
projet autour de deux axes de voies perpendiculaires Nord-Est et Est-Ouest, qui
traversent le centre géographique du terrain. L’axe Est-Ouest, la rue de la Breitlach,
est un tracé droit (111. 7), composé dans la tradition néo-classique, allant de la maison
224
111. 7:
Breitlacherstraße
225
forestière de la Breitlach, réalisation antérieure utilisée ici comme fond de perspecti-
ve, se situant à la lisière de la forêt rhénane de Stockfeld, jusqu’à une école primaire
projetée, précédée d’une grande place fermée par un ’Saalbau’ à deux niveaux situé
dans l’axe et fermant, lui aussi, la perspective (111. 6). L’autre axe régulier étant une
rue intérieure droite, la rue Lichtenberg, dans les deux quasi-extrémités de cet axe,
Schimpf a crée, d’une façon symétrique, deux petites places identiques.
Je suis convaincu que la forme régulière du plan de la maison forestière, son architec-
ture savante et la forme géométrique des tracés de voies de l’exploitation forestière
qui y arrivent, ont largement inspiré Schimpf pour son choix de la forme régulière de
son Bebauungsplan. L’architecte strasbourgeois rejoint Unwin dans ce domaine, sur
l’importance des données locales de l’environnement immédiat dans le projet. Nous
pouvons constater aussi qu’il s’écarte en même temps du plan d’urbanisme de la cité-
jardin de Hellerau - pourtant cité modèle pour lui sur le plan de l’habitat - dessinée
par Richard Riemerschmid; ce Bebauungsplan est en effet, comme le montre le plan
présenté ici (111. 8), composé de quartiers, d’îlots et de voies irrégulières, s’inspirant,
il est vrai, des données topologiques et géographiques du terrain, mais sous l’influence
de la Hampstead Garden Suburb d’Unwin. Nous pouvons par ailleurs voir, en regar-
dant attentivement le plan d’urbanisme de Hellerau, qu’il a visiblement influencé tous
les projets de concours de Stockfeld primés ou achetés, sauf ceux des deux architectes
les plus célèbres: Bonatz et Schimpf.
L’importance sociologique des deux axes centraux saute aux yeux: on s’aperçoit que
tous les équipements sociaux et commerciaux s’y trouvent: l’école primaire de 16
classes, le bâtiment de l’administration avec la caisse d’épargne, les salles de réunion
de la bibliothèque, le magasin de la coopérative, les commerces privés; sauf quelques
petits commerces desservant les îlots 7 et 9, les plus éloignés du centre, le restaurant
prévu par le programme à la lisière de la forêt et le terrain de jeu pour les enfants -
une nouveauté par rapport au concours - créé dans la forêt. Le programme insiste
aussi sur le maintien de la rue du Kônigsweg, l’allée David Goldschmidt actuelle, et
sur son élargissement pour y introduire le tramway à deux voies qui relie le faubourg-
jardin à Strasbourg (111. 9). Cette rue est le prolongement direct de la rue principale
du faubourg Neuhof.
Schimpf répond consciencieusement à cette demande sur le plan urbanistique,
projette une allée de 18 m de large bordée d’un côté par les habitations et de l’autre
par la forêt. Mais le choix des maisons-types, qui sont toutes économiques et en ma-
jeure partie plurifamiliales, montre aussi les limites esthétiques et urbaines de cette
rue que les prospectus municipaux et de nombreux articles de presse voulaient, à
cause du tramway, symbole technique de la communication moderne, ériger en objet
de vitrine présenté vers l’extérieur. Mais la force de Schimpf était, même dans ce cas,
de tirer des bénéfices urbanistiques et paysagers d’une voie qui était certes la limite
de la cité, mais en même temps un lien puissant avec la forêt. En effet, il transforme
cette ancienne voie irrégulière en une voie régulière par plusieurs angles, pour
accentuer la forme en losange de la partie centrale de son plan définitif, pour mettre
en valeur le rectangle du groupe de la maison forestière de la Breitlach et la petite
place créée devant le restaurant du ’Coucou aux bois’. Voilà une des nombreuses in-
226
novations et créativités de la cité-jardin de Stockfeld et sa contribution au dévelop-
pement du mouvement des cités-jardins de l’Allemagne.
111. 8: Bebauungsplan Gartenstadt Hellerau
Une nouvelle donne urbanistique; mais quelle Colonie?
Le faubourg-jardin de Stockfeld est devenu, en ces années décisives de 1909-1912, un
des symboles et une des réalisations de la politique d’urbanisme social inaugurée par
le nouveau maire libéral de gauche Rudolf Schwander et parachevée ensuite par son
successeur socialiste Jacques Peirotes, à partir de 1919. Schwander a voulu aller vite
et frapper fort avec Stockfeld, comme l’illustrent deux événements significatifs qui
227
inaugurent les préparatifs de l’ouverture du chantier de la cité. Pour montrer sa
volonté d’engagement, son intérêt personnel et le rôle primordial de la municipalité,
Schwander a pris la direction de la Coopérative, en se faisant nommer Président du
Conseil de Surveillance dès le début de 1910. En même temps, un de ses alliés et
complices, l’architecte Johann Knauth, Dombaumeister, architecte de l’Oeuvre Notre-
Dame et de la Cathédrale, - qui est, rappelons-le, nommé à ce poste par le Maire de
Strasbourg - prend la Présidence du Comité Directeur de la Coopérative.
Notons en passant que Johann Knauth faisait partie du jury de concours de Stockfeld
en 1909. Et si nous ajoutons le fait qu’un autre membre influent de l’équipe munici-
pale, l’adjoint au Maire Hugo Dominicus, qui est membre de la direction de la
Coopérative depuis 1901, devient à la même époque Secrétaire du Comité Directeur,
et était en 1909 président du jury du concours de Stockfeld, - cela fait beaucoup de
dirigeants32 de la Municipalité engagés pour la réussite de cette opération urbaine
et sociale. Le démarrage du chantier, prévu dès le début de l’année 1910, est retardé
à cause de la démission de Schimpf et de la grève des ouvriers du bâtiment; cepen-
dant entre le premier juillet 1910 et le 17 décembre, date de l’inauguration officielle
de la cité-jardin, le gros oeuvre de 363 logements est terminé. La majeure partie de
ces logements est habitée en janvier 1911; le restaurant et un magasin sont terminés.
Comme le montre le tableau No 2, Stockfeld est terminé en un temps record grâce
aux moyens exceptionnels mis en euvre. Trente-six mois après le début du chantier,
le faubourg-jardin compte déjà 2.196 habitants. A la fin de l’année 1912, quand la to-
talité des 457 logements est achevée, la population est de 2.604, un chiffre qui ne sera
dépassé qu’une seule fois dans l’histoire de la cité, en 1917.
32 Le Dr. Rudolf Schwander était le Président du Conseil de Surveillance entre 1910 et 1915.
La disparition de son nom de la liste des Présidents de la Coopérative publiée en 1923 dans
l’Historique (N. 6), s’explique certainement par le fait qu’il a accepté en 1918 d’être le dernier
Statthalter (Superpréfet) allemand de l’Alsace-Lorraine et qu’il a par la suite opté pour la
nationalité allemande. Nous retrouverons cependant son nom en tant que Président dans la
publication de la SCLP intitulée 1900-1970, Société Coopérative des Logements Populaires
(SCLP), Editions DNA Strasbourg 1971, p. 2. L’architecte Johann Knauth était le Président
du Comité Directeur entre 1910 et 1913. Nous n’avons en fait que très peu d’écrits sur ce
Vieil-Alemand si influent dans la vie culturelle de Strasbourg, en ce qui concerne les raisons
de son engagement dans la vie de la Coopérative et de la construction de Stockfeld. (Voir
notamment: Lucien Hell, Johann Knauth. Der letzte deutsche Baumeister am Münster zu
Straßburg, in: Jahrbuch der Elsaß-Lothringischen wissenschaftlichen Gesellschaft zu Straßburg,
T. 3, 1930, pp. 11-31). L’Adjoint au Maire Hugo Dominicus est entré dans la direction de la
Coopérative en 1901 et il est devenu Secrétaire du Comité Directeur en 1909, l’année du
concours du faubourg-jardin de Stockfeld. Il quittera brusquement et définitivement Stras-
bourg en 1911 puisqu’il sera nommé Maire de Schöneberg dans l’agglomération de Berlin. Les
propos du Prof. Theodor Goecke, architecte et co-directeur de la revue Der Städtebau, écrits
dans son compte rendu sur le concours de Stockfeld (N. 16), sont très élogieux pour cet
Adjoint spécialiste de l’urbanisme et du logement: "Le président de ce jury était l’adjoint Hugo
Dominicus qui a été élu entre-temps maire de Schöneberg près de Berlin. Son profond
jugement sur ce qui nous fait défaut dans l’urbanisme moderne, malgré les diverses difficultés
ressortant notamment de la réglementation de la construction en vigueur, laisse cependant
espérer une solution heureuse pour l’urbanisation du secteur sud de Schöneberg."
228
Ш. 9: Königsallee
229
A propos de cette population, il nous faut poser deux questions fondamentales:
premièrement, s’agit-il, comme c’était prévu, de la population délogée de l’opération
de la Grande Percée, et dans quelle proportion? Et deuxièmement, dans quelle
mesure cette population correspond-elle à la Neue Gemeinschaft, à la nouvelle
communauté, imaginée par la Société Allemande des Cités-Jardins, communauté qui
devrait régénérer la Großstadt, la grande ville en crise de croissance et d’identité.
En ce qui concerne la première raison d’être de Stockfeld, à savoir reloger les quel-
que 460 familles touchées par la première tranche de l’opération de la Grande
Percée, nous pouvons constater que la Municipalité et la Coopérative n’ont pas réussi
à créer une cité-jardin telle que toutes les familles concernées aient pu ou voulu y
aller et y trouver un logement qui leur convenait. En effet, comme le montrent les
tableaux Nos 6 et 7 sur l’évolution des logements vacants de Stockfeld pendant la
première année décisive et sur la composition sociale des premiers habitants, nous
pouvons estimer qu’environ 85 % seulement des habitants des quartiers insalubres
concernés ont choisi de s’installer dans la cité-jardin. Pour ce qui est du nombre des
familles concernées qui y sont restées d’une façon durable, nous devons nous conten-
ter d’estimations, faute de statistiques fiables. En regardant la mobilité considérable
des familles pendant cette période - plusieurs d’entre elles sont reparties au bout de
quelques semaines - j’estime qu’avant le grand bouleversement de la guerre de 1914-
18 et le départ des Vieux-Allemands expulsés, trois-quarts des familles concernées
issues du centre historique sont restées à Stockfeld. C’est une proportion considérable,
et il serait erroné de parler à ce sujet d’un échec. La vérité est qu’une partie de la
population concernée des logements insalubres à démolir était tellement pauvre
qu’elle ne pouvait pas payer les nouveaux loyers de la cité-jardin pourtant très bas.
Cette population-là, sur laquelle les statistiques municipales se taisent pudiquement,
a sans doute été reclassée dans les logements d’urgence créés depuis plusieurs années
par la Ville, grâce à une politique sociale d’aide et d’assistance aux familles nécessi-
teuses. Mais il est vrai aussi que de nombreuses autres familles, issues de la classe
ouvrière syndicalisée et touchées par le mouvement de la coopération, ont bien
décidé d’habiter à Stockfeld (Tabl. 4).
Une des sources précieuses, dont nous disposons sur les premières familles de la cité,
est le rapport de la visite d’étude faite à Stockfeld par la Deutsche Gartenstadt-
gesellschaft au cours du mois de septembre 1911. Certaines conclusions de cette
enquête ont été publiées dans la revue de la Société intitulée ’Gartenstadt’, par le
Directeur de la rédaction, E. Behmisch,33 qui a estimé, d’après le nombre des loge-
ments vacants, que 8,3% des familles venaient d’ailleurs que de l’opération de la
Grande Percée. Il faut considérer que cette estimation est en-dessous du nombre des
familles venues à Stockfeld d’ailleurs. D’après mes études sur les logements vacants
nouvellement construits et jamais habités jusqu’en octobre 1912, c’est-à-dire un an
après, le nombre des logements vacants est de 11,4%. De plus, il faut ajouter à ce
33 Voir des extraits de cet article dans le bulletin de la Coopérative lancé en 1911, intitulé Das
Stockfeld. Mitteilungen der Gemeinnützigen Baugenossenschaft für die Gartenvorstadt Stock-
feld, No 12, octobre 1912, p. 77.
230
chiffre les départs - c’est-à-dire des retours dans la vieille ville - des familles qui pour
différentes raisons ne voulaient plus rester à Stockfeld: éloignement du lieu de travail,
prix des loyers, inadaptation au mode de vie banlieusard, changement brutal du mode
d’habiter etc. - et leur remplacement par des familles qui étaient attirées par la
propagande de la Coopérative et des syndicats. Il faut en effet savoir que dans chaque
numéro de ’Das Stockfeld’ était publiée une liste complète des logements disponibles
à louer immédiatement, indiquant la maison-type, le loyer et le numéro de la rue.
année hommes femmes enfants total habitants total loge- ments moyenne de personnes par loge- ment
1911 480 515 1.205 2.196 425* 5,5
1912 - - - 2.604 402** 6,5
1913 - - - 2.451 420** 5,8
1914 - - - 2.575 457 5,6
1915 - - - 2.456 457 5,4
1919 - - - 2.324 457 5,1
1980 - - 329 1.071 460*** 2,3
* sans les logements vacants et sans les retraités ** sans les logements vacants *** sans Stockfeld II. construit en 1960/61 (108 logements)
Tabl. 4: L’évolution de la population du faubourg-jardin de Stockfeld
Par ailleurs, ces départs ont fait beaucoup de bruit non seulement à cause des adver-
saires de la politique d’urbanisme social de la Municipalité, mais aussi par le fait des
idéologues de la Lebens-Reform de la direction du mouvement allemand des cités-
jardins, pour qui le modèle strasbourgeois (coopératives, contrôle syndical, habitat
groupé, direction municipale) n’était peut-être pas le modèle idéal. Il faut cependant
remarquer que l’enquête de la Deutsche Gartenstadtgesellschaft a été menée juste-
ment pour démentir ces rumeurs sur le prétendu ’échec’ de l’expérience strasbour-
geoise. Elle a trouvé que le nombre des logements vacants des premiers mois n’était
pas excessif, et qu’il pouvait être attribué à des facteurs très divers - constatés ailleurs
- tels que: la volonté des habitants d’avoir leur jardin attenant à leur maison et par là
la difficulté à louer immédiatement les logements à l’étage; la préférence donnée aux
logements unifamiliaux même plus chers (26-27 Marks par mois), mais qui étaient à
Stockfeld plus rares que les plurifamiliaux (22-24 Marks/mois); le nombre insuffisant
des petits logements de deux pièces plus cuisine - au nombre de 76 - qui contrastait
231
avec la liste d’inscription de 200 familles pauvres attirées par le loyer bas de 15,5
Marks par mois.
Dans le tableau No. 5 j’ai minutieusement reconstitué l’évolution des logements
vacants par maisons-types et par mois pendant la parution du journal ’Das Stockfeld’
date 3 pièces plus cuisine unifamilial plurifamilial 4 pièces plus cuisine plurifamilial total
18. 12. 1911 17 18 10 45
17. 1. 1912 11 16 10 37
22. 2. 1912 8 16 10 34
25. 3. 1912 6 17 10 33
24. 4. 1912 5 15 10 30
6.6. 1912 4 17 9 30
2. 7. 1912 4 17 11 32
6. 8. 1912 2 15 8 25
6.9. 1912 6 13 9 28
26. 10. 1912 15 27 10 52
Tabl. 5: L’évolution des logements vacants du faubourg-jardin de
Stockfeld (1911-1912)
édité par la Coopérative. Il n’y a jamais eu de petits logements de deux pièces plus
cuisine annoncés vacants; ce type de logement a constitué 16,6% du parc d’habitat
total. Mais en dehors de ce type de petit logement, le moins cher, tous les logements-
types ont été touchés par l’attentisme des familles de l’opération de la Grande Percée
et par leur volonté de ne pas accepter tout de suite n’importe quel logement achevé
au hasard de la logique du chantier de construction. Nous voyons ici l’existence
larvaire d’une résistance des habitants du centre historique, dont nous ne connaissons
pas encore tous les motifs et les moyens de lutte. L’évolution en dent de scie des
logements vacants s’explique évidemment par la livraison successive par la Coo-
pérative des logements terminés par l’entreprise de construction. Mais justement
l’existence même des logements vacants est une preuve tangible de la politique
libérale et démocratique de la Coopérative et de la Municipalité de reloger les
habitants touchés par la réhabilitation du parc d’habitat du centre historique et par
l’opération du Grosse Strassendurchbruch, de la Grande Percée.
Ce que les visiteurs-enquêteurs de Berlin ne savaient pas ou ne voulaient pas aperce-
voir, c’est que l’apport extérieur des habitants a été souhaité par de nombreuses
forces vives de Strasbourg et surtout par les syndicats ouvriers qui voulaient faire
232
profiter leurs membres de la formule cité-jardin. Sous cet angle, je considère que
Stockfeld est une expérience intéressante qui s’est inscrite, dès le départ, dans la
tradition allemande du mouvement associatif d’origine sociale et ouvrière, et contre
la tendance sociologique lourde qui poussait les classes moyennes urbaines vers les
cités-jardins, devant la crise de la ville traditionnelle. C’est ce qu’a constaté le jeune
architecte Charles-Edouard Jeanneret, le futur Le Corbusier, pendant son séjour de
1911 en Allemagne, quand il a été chargé par l’Ecole d’Art de la Chaux-de-Fonds,
dont il était un ancien élève, de faire un rapport sur le mouvement d’Art Décoratif en
Allemagne.34 Il y a déjà constaté que toute une spéculation foncière urbaine puis-
sante s’était emparée de la cité-jardin naissante, pour la transformer en des opéra-
tions juteuses de lotissements péri-urbains aménagés pour les besoins des classes
moyennes.
Hans Kampffmeyer lui-même signale que dès le début du mouvement des cités-
jardins en Allemagne "les entrepreneurs privés, [qui] spéculaient en couvrant leur
terrain de petites maisons et de jardins, baptisèrent ces fondations, tout comme celles
d’utilité publique, du nom de cité-jardin, pour utiliser ainsi les bonnes dispositions des
pouvoirs publics à l’égard de ¡’Association allemande des Cités-Jardins, en raison de
son but d’utilité publique."35
La composition socio-professionnelle des premiers habitants de Stockfeld (Tabl. 6),
que je présente ici pour la première fois depuis 1912,36 est une donnée sociologique
significative, puisqu’elle montre d’une façon incontestable que cette cité-jardin est dès
le début une forme pure du faubourg-jardin élaboré et souhaité par les fondateurs
anglais et allemands des cités-jardins. De plus, il est un faubourg-jardin populaire où
prédomine la catégorie sociale fondamentale de la banlieue de la ville de 1900: la
classe ouvrière. Si près de deux tiers des familles (64,2%) sont issues de la classe
ouvrière, c’est non seulement à cause du nombre considérable des familles ouvrières
alsaciennes qui habitaient la partie du centre historique insalubre à démolir, mais
aussi à cause de l’arrivée massive des ouvriers, sous l’influence et l’encouragement de
leurs syndicats, à la place des habitants du centre qui ne voulaient pas quitter la ville
historique. Il faut remarquer le nombre considérable - un quart de la population
totale - des ouvriers non qualifiés qui ont pu, grâce à la politique d’habitat social à
bon mâché de la Coopérative et de la Municipalité, avoir accès aux logements écono-
miques de la cité.
Le nombre élevé du groupe social que constituent les employés (18,1%) n’est pas
vraiment surprenant, puisque nous avons vu que le pouvoir municipal libéral menait,
depuis la création de la Commission du logement en 1897, une politique sociale
municipale pour améliorer les conditions de travail et de résidence des employés
34 Charles Edouard Jeanneret, Etude sur le mouvement d’Art Décoratif en Allemagne, La
Chaux-de-Fonds 1912. Voir le sous-chapitre intitulé "L’art au service de la spéculation: les
cités-jardins", pp. 47-51.
35 H. Kampffmeyer, Le mouvement (N. 8), pp. 649-650.
36 Versuche im Stockfeld; Revue der Presse, in: Das Stockfeld, 1. Jahr, Nr. 12, 1912, pp. 77-
79.
233
municipaux. L’installation des 19 employés de l’Etat dans la cité-jardin permet de
croire que le pouvoir de l’administration du Land est discrètement intervenu pour
aider ses employés à trouver des logements neufs à bon marché; à moins que ces
familles aient tout simplement profité des possibilités offertes par la Coopérative, par
la voie de la publicité des logements vacants disponibles.
catégories socio-profession- nelles v. a. % v. a. %
artisans, petits commerçants - - 27 6,4
et colporteurs
employés: 77 18,1
- petits fonctionnaires et
instituteurs 29 6,8
- employés de l’Etat 19 4,5
- autres employés 29 6,8
ouvriers: 273 64,2
- ouvriers qualifiés 169 39,7
- ouvriers non qualifiés 104 24,5
veuves: 21 4,9
retraités: 27 6,4
Total 425 100
Tabl. 6: La composition socio-professionnelle des premières famil-
les du faubourg-jardin Stockfeld en 1911
Malgré l’éloignement relatif de Stockfeld et sa forme résidentielle nouvelle, 27 arti-
sans et petits commerçants ont pris le risque calculé de s’y installer. Ont-ils suivi leur
clientèle - populaire et fidèle - en quelque sorte? C’est possible. En tous cas ils ont
certainement contribué à la formation d’une ambiance de quartier populaire urbain
dans la cité.
Le nombre non négligeable des veuves et des retraités, respectivement 21 et 27
personnes, peut surprendre, puisque la Coopérative a construit dans la ville un Foyer
des célibataires pour eux. En fait, les veuves âgées et une partie des célibataires
retraités ne voulaient pas s’y installer, jugeant ce foyer comme une forme d’assistance
publique résidentielle. Ils ont accepté, malgré leur âge et leur mode de vie, l’aventure
de vivre dans un cadre de vie totalement nouveau. En tous cas pour la composition
de la population par âge et pour l’équilibre du tissu social, la présence de personnes
âgées était très positive, d’autant plus qu’elles symbolisaient pour la nouvelle commu-
nauté le passé et la perdurance de la mémoire sociale du secteur démoli du centre
historique.
234
Sur le plan des structures sociales résidentielles, le faubourg-jardin Stockfeld repré-
sente dans le développement péri-urbain de Strasbourg l’apparition d’un nouveau type
de banlieue qui est en quelque sorte le refus de l’expansion par des lotissements
spéculatifs et par l’accumulation chaotique, des populations déracinées et installées au
hasard des activités d’aménageurs privés. C’est une colonie de volontaires qui a décidé
de vivre dans un cadre nouveau fondé sur les principes associatifs et coopératifs. Sur
ce plan, Stockfeld est une réponse positive aux aspirations et aux objectifs que le
mouvement des cités-jardins de l’Allemagne avait fixés.
Stockfeld: un faubourg-jardin modèle pour une capitale régionale moderne
Pour conclure, nous pouvons affirmer que la fondation du faubourg-jardin Stockfeld
constitue une innovation urbanistique, architecturale et sociale, tout en s’incrivant
dans une continuité locale. Mais ne nous trompons pas sur le concept de continuité:
il s’agit de la continuité de la période allemande qui a sorti la ville de Strasbourg de
sa stagnation et de sa somnolence de ville de garnison frontalière en lui redonnant sa
dynamique d’antan de grande ville rhénane économique et commerciale. L’innovation
urbanistique et sociale de Strasbourg consistait justement en ce que sa communauté
interethnique et ses dirigeants ont réussi - bien que Strasbourg dépendît de Berlin et
du commandement militaire à la suite de l’annexion de l’Alsace-Lorraine, - à se hisser
dans le peloton de tête des villes allemandes. Celles-ci avaient trouvé des voies
nouvelles vers un développement et un embellissement urbains et architecturaux,
s’étaient dotées de plans d’urbanisme novateurs et modernes. De plus elles ont réussi
à combattre d’une façon efficace la Wohnungsnot, la misère du logement des masses
ouvrières, ce corollaire permanent du capitalisme du XIXe siècle.
Dans le domaine de l’urbanisme, après le succès du plan d’extension de 1879 qui a
doté Strasbourg de quartiers résidentiels modernes mais qui n’a su introduire en
même temps ni le développement harmonieux des faubourgs et de la banlieue, ni
l’assainissement et la restructuration de la ville historique, le projet et la réalisation de
Stockfeld ouvrent, en cette période décisive du développement de l’Europe Occiden-
tale, une voie symbolique, réelle et novatrice. Dans la question du logement, la
continuité a été assurée par le contrôle de la Wohnungskommission, la commission du
logement, du Conseil municipal, créé en 1898, qui, outre le fait qu’elle a fait naître la
Coopérative, a permis à la direction de celle-ci, présidée par l’Adjoint au Maire Hugo
Dominicus en 1907, à engager des réformes profondes et à introduire une politique
d’urbanisme social en matière de logement ouvrier et populaire. En 1907 il y avait
encore dans la commission de 22 membres six membres de celle de 1898, six mem-
bres du conseil municipal, cinq membres de la direction de la Coopérative, maître
d’ouvrage et propriétaire de Stockfeld; le restant des membres faisant partie des
couches les plus influentes de la société civile locale.37 Il est important de rappeler
37 Les six anciens membres fondateurs sont les suivants: Nebelung, inspecteur du bâtiment;
Dali, Préfet de Police; B. Boehle, leader social-démocrate des syndicats libres de Strasbourg;
J. Hug, entrepreneur du bâtiment, membre du Conseil des Prud’hommes; M. Issleiber,
235
qu’un des fondateurs de la Wohnungskommission, qui en restera membre jusqu’en
1918, est le leader social-démocrate Bemhard Boehle, grand patron des syndicats
libres, et qui est pourtant dans l’opposition municipale. Grâce à l’action de cette
commission, des milliers de logements populaires ont pu ainsi être réalisés et amélio-
rés à Strasbourg.
Sur le plan de l’économie sociale et de l’utilité publique, le modèle strasbourgeois de
faubourg-jardin ouvre en Allemagne et sur le continent la voie à un type de cité-
jardin où le pouvoir municipal exerce un contrôle discret mais efficace, lui assurant un
statut coopératif caractérisé par la propriété associative du sol urbain et par le finan-
cement de la construction de la cité sur les fonds d’institutions d’économie sociale. La
gestion de la cité-jardin est fondée sur les principes des coopérateurs de Rochdale,
une des formules les plus démocratiques qu’ait connues le mouvement des cités-
jardins. Avec cette formule, Stockfeld fait partie des trois cités-jardins à base co-
opérative parmi les dix premières de l’Allemagne, fondées entre 1908 et 1910, suivant
celle de Hellerau à Dresde (1908), le grand modèle et précédant celle de Mannheim
(1912).38
En ce qui concerne l’architecture et l’esthétique de Stockfeld, nous avons vu qu’en
optant pour Schimpf, le jury a récompensé un jeune architecte de talent appartenant
au courant du Heimatschutz, mais dont la sensibilité et l’expression artistique restaient
très proches de l’architecture alsacienne. Les options paysagères, gardenesques et
d’habitat sont visiblement inspirées de celles que Riemerschmid et Muthesius avaient
choisies pour la cité-jardin de Hellerau. C’est là pour moi, au moment où je prépare
une exposition pour ce 80e anniversaire de l’inauguration du faubourg-jardin Stock-
feld - une raison de plus de rendre hommage à Hellerau de Dresde, une réalisation
exemplaire qui a été pendant longtemps le phare de toute une génération du mouve-
ment moderne, et qui se porte bien, et s’apprête, avec la réunification de l’Allemagne,
à s’ouvrir davantage aux visiteurs.
Il reste à souhaiter que le mouvement des cités-jardins qui était un grand projet
urbain de notre Europe, que des réalisations telles que Stockfeld à Strasbourg et
Hellerau à Dresde puissent inspirer les décideurs, les animateurs sociaux, les urbanis-
tes, les architectes et les artistes pour relever le défi de la fin de ce siècle, qui n’a
visiblement pas encore trouvé toutes les réponses aux questions que les fondateurs
des cités-jardins ont posées - et auxquelles ils ont partiellement répondu -, pour
construire une ville et créer une vie résidentielle plus accueillantes, plus humaines et
plus heureuses.
architecte, Professeur d’Université; Scheid, fonctionnaire de la Caisse de maladie locale. Les
dirigeants de la Coopérative faisant partie de la Commission du Logement de 1907 sont: Hugo
Dominicus, J. Hug, Prof. Issleiber, le Prof. Dr. Martin Spahn, conseiller municipal, et B.
Boehle.
38 Les dix premières cités-jardins allemandes seraient, d’après H. Kampffmeyer, les suivantes:
Karlsruhe, Hellerau de Dresde, Nürnberg, Hüttenau, Königsberg, Kolonie Reform, Stockfeld
à Strasbourg, Hamburg et Mannheim. Dans cette liste sont mélangées la date de fondation des
Associations des cités-jardins et celle de la création de la cité-jardin, (in: Kampffmeyer, Die
Gartenstadtbewegung, N. 8, p. 41).
236
Rolf Wittenbrock
Die Anfänge kommunaler Wohnungspolitik im deutsch-fran-
zösischen Grenzraum: Die Stadt Saargemünd 1910-1930
Das Bemühen um eine Verbesserung des Wohnungswesens wies in den letzten
hundert Jahren in Deutschland und Frankreich zahlreiche Parallelen auf. So begann
in beiden Ländern um 1890 sich die Erkenntnis durchzusetzen, daß das bisher unan-
gefochten dominierende Prinzip der Wohnungsversorgung durch die Mechanismen
der Marktwirtschaft gravierende soziale Probleme schaffe. Vor allem die Arbeiterbe-
völkerung, so wurde übereinstimmend festgestellt, sei durch das z.T. stürmische
Wachstum der Städte und die damit verbundenen Engpässe im Wohnungsangebot
immer weniger in der Lage, zu angemessenen Preisen Wohnungen zu finden. Der
Mangel an ausreichendem Wohnraum in den Städten, mehr aber noch die verbrei-
teten qualitativen Mißstände in den z.T. gesundheitsschädlichen Quartieren erschienen
als ein zentrales Problem der sozialen Frage, das eine verstärkte gesellschaftliche bzw.
staatliche Intervention erforderte. Die in Frankreich von der bürgerlichen Reform-
bewegung des ’Musée Social’ und der ’Réforme Sociale’ progagierten Maßnahmen zur
staatlichen Förderung des Wohnungsbaus waren weitgehend identisch mit den Zielset-
zungen, die auch deutsche Organisationen wie z.B. der ’Verein für Socialpolitik’ oder
der ’Deutsche Verein für Wohnungsreform’ vertraten.1 Zudem waren es in beiden
Staaten einzelne überragende Politiker wie André Siegfried in Le Havre bzw. der
Frankfurter Oberbürgermeister Otto Adickes, die durch ihre kommunale Praxis und
gesetzgeberischen Initiativen den nationalen Reformbestrebungen wichtige Impulse
gaben.
Abgesehen von diesen programmatischen, organisatorischen und personellen Par-
allelen gab es jedoch in der Erfolgsbilanz bei der Durchsetzung der verschiedenen
Strategien zur Verbesserung des Wohnungswesens erhebliche Unterschiede in beiden
Staaten. Während die in Frankreich 1889 gegründete ’Société Française des habita-
tions à bon marché’ bereits 1894 ein Gesetz zur Förderung des sozialen Wohnungs-
baus durchsetzen konnte, blieben gleichgerichtete Bemühungen des ’Vereins Reichs-
wohnungsgesetz’ in Deutschland erfolglos. Im Deutschen Reich waren damit bis 1918
allein die Länder und Kommunen für die Lösung der Wohnungsfrage zuständig. Al-
lerdings darf aus dem Verzicht auf eine reichsgesetzliche Regelung nicht gefolgert
werden, daß sämtliche Bestrebungen zur Verbesserung der Wohnlage der Arbeiter in
1 Nicolas Bullock u. James Read, The movement for housing reform in Germany and France
1840-1914, Cambridge u.a. 1985, sowie Anthony Sutcliffe, Towards the planned city, Oxford
1981, S. 35-40 u. 138-150.
237
Deutschland gescheitert seien. Vielmehr entwickelten sich andere Strategien, die vor
allem von genossenschaftlichen und gemeinnützigen Organisationen getragen wurden,
die jedoch eine erheblich größere Wirkung erzielten als die durch das Gesetz von
1894 in Frankreich geschaffenen staatlichen Initiativen.2 Die von ihnen noch vor dem
Ersten Weltkrieg errichteten Wohnungen machten - gerade im Vergleich mit Frank-
reich - deutlich, daß staatlich-gesetzgeberische Vorgaben zwar wichtige, aber keines-
wegs hinlängliche Bedingungen zur Bekämpfung der Wohnungsmisere der sozial
schwächeren Bevölkerungsgruppen waren.
Diese in Deutschland und Frankreich entwickelten unterschiedlichen Strategien und
gesetzlichen Normen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus trafen 1918 in den
Städten Elsaß-Lothringens aufeinander. Während der Zeit der Zugehörigkeit zum
Deutschen Reich, die auch im Reichsland durch eine beschleunigte Urbanisierung
gekennzeichnet war,3 blieben zwar wichtige Elemente der französischen Rechtstradi-
tion erhalten, aber in der Lösung der nun erst brisanten Wohnungsfrage hatten sich
die Städte in Elsaß-Lothringen ganz am Modell anderer deutscher Städte orientiert.
Mit dem Wechsel der nationalen Zugehörigkeit nach dem Ersten Weltkrieg stellte
sich nun die Frage, ob die vor 1914 entwickelten Ansätze einer kommunalen Woh-
nungspolitik als tragfähige Grundlage für den weiteren Ausbau wohnungsfürsorgeri-
scher Aktivitäten erhalten bleiben sollten oder ob die Städte in den rückgegliederten
Provinzen sofort die in anderen französischen Städten ausgebildeten Institutionen und
Normen im Bereich des Wohnungswesens übernehmen sollten. Neben einer Bestands-
garantie lokaler Traditionen und Vorschriften einerseits oder einer radikalen Assimi-
lation an das französische Rechts- und Verwaltungssystem auf der anderen Seite
waren natürlich auch Kompromisse in Form von Übergangsfristen oder aber Kom-
binationen aus deutschen und französischen Handlungsstrategien und Normen denk-
bar, die zu einer Synthese unterschiedlicher nationaler Elemente führen konnten.
In dem folgenden Text soll am Beispiel einer Kleinstadt untersucht werden, ob der
Wechsel der nationalen Zugehörigkeit Kontinuitäten oder Brüche in der kommunalen
Wohnungspolitik zur Folge hatte, ob es dabei zu einer Liquidation bestehender
Normen und Gestaltungsziele kam oder ob umgekehrt eine Verschmelzung traditio-
neller, an deutschen Vorbildern orientierter Konzepte mit neuen Strategien französi-
scher Provenienz stattfand. Saargemünd, die zweitgrößte Stadt im Bezirk Lothringen,
2 Gemäß Roger-Henri Guerrand, Les Origines du logement social en France, Paris 1967, S.
302f. waren in Frankreich im Jahre 1903 auf der Grundlage des Gesetzes von 1894 erst in 96
Städten Baugenossenschaften entstanden. Sie errichteten in der Zeit zwischen 1895 und 1902
1360 Häuser, die aus Mitteln des Gesetzes von 1894 gefördert wurden. Zu dieser Zeit gab es
in Deutschland etwa 500 Baugenossenschaften. Allein die Baugenossenschaft von Mönchen-
Gladbach errichtete 615 Häuser. Bis zum Jahr 1915 errichteten Baugenossenschaften und
gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften im Deutschen Reich etwa 125000 Wohnungen, s.
Hans-Günther Pergande, Die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Wohnungswesens und des
Städtebaus, in: Deutsche Bau- und Bodenbank 1923-1973, o.O. 1973, S. 53.
3 Rolf Wittenbrock, Bauordnungen als Instrumente der Stadtplanung im Reichsland Elsaß-
Lothringen (1870-1918). Aspekte der Urbanisierung im deutsch-französischen Grenzraum, St.
Ingbert 1989, S. 72-76.
238
wurde ausgewählt, weil sie in der Reichslandära das stärkste Wachstum aller Städte
in Elsaß-Lothringen zu verzeichnen hatte.4 Diese demographische Dynamik hatte die
Stadtverwaltung nach 1890 veranlaßt, z.B. bei der Suche nach Normen zur gesetzli-
chen Beschränkung der Baufreiheit eine Pionierfunktion für andere Städte im Reichs-
land zu übernehmen.5 So war auch im Bereich der kommunalen Wohnungspolitik ein
Engagement zu erwarten, das den Bedürfnissen, aber auch dem Selbstverständnis
einer aufstrebenden Kleinstadt entsprach.
Allerdings wird damit nicht der Anspruch erhoben, den in dieser Fallstudie ermit-
telten Ergebnissen exemplarische Bedeutung für die Entwicklung der kommunalen
Wohnungspolitik in anderen Städten Elsaß-Lothringens zuzumessen.
Initiativen der Legislative und Exekutive in Elsaß-Lothringen zur Verbesserung der
Wohnungsverhältnisse
Da die Reichsbehörden mit dem Hinweis auf die Reichsverfassung eine Zuständigkeit
für Wohnungsfragen ablehnten und auch verschiedene Reformversuche zur Ver-
ankerung einer reichsgesetzlichen Kompetenz scheiterten, war es die Aufgabe der
einzelnen Bundesstaaten, gesetzliche Rahmenbedingungen zur Verbesserung der
Wohnverhältnisse zu schaffen. Dieser Aufgabe wurden die einzelnen Länder in sehr
unterschiedlicher Weise gerecht.
Als einer der Führer der deutschen Wohnungsreformbewegung, der bayerische
Zentrumsabgeordnete Eugen Jäger, 1911 eine vergleichende Bilanz der Aktivitäten
der deutschen Bundesstaaten in der Wohnungspolitik vorlegte, stellte er lapidar fest:
"Am weitesten zurück ist Preußen".6 Dabei übersah er offensichtlich die noch größere
Zurückhaltung der Verwaltung des Reichslandes Elsaß-Lothringen. Hier wurde
während der gesamten, sich nahezu über fünfzig Jahre erstreckenden Ära der deut-
schen Verwaltung das Prinzip der freien Wohnungswirtschaft verteidigt, wobei die Re-
gierung von der großen Mehrheit des Landesausschusses unterstützt wurde. Dieses
parlamentarische Gremium, in dem aufgrund des indirekten Wahlmodus Honoratio-
ren und Vertreter ländlicher Bezirke eine starke Übermacht bildeten, hatte sich
bereits bei den mehrfachen Debatten um eine Reform des Enteignungsrechts auf die
Seite der Eigentümer und Grundbesitzer geschlagen. So setzte sich nur eine kleine
Minderheit für den Ausbau staatlicher Kontrollen im Wohnungswesen und für eine
zusätzliche Förderung des Kleinwohnungsbaus ein.
Als einzige gesetzliche Handhabe zur Bekämpfung ungesunder Wohnungen verfügten
die Gemeinden in Elsaß-Lothringen über das noch aus französischer Zeit stammende
Gesetz vom 13. April 1850, das ihnen das Recht gab, aus dem Kreis der Gemeinde-
ratsmitglieder eine Wohnungskommission zu bilden, deren Aufgabe darin bestand, als
4 Vgl. Wittenbrock (Anm. 3), S. 79.
5 Wittenbrock (Anm. 3), S. 187-1%.
6 Eugen Jäger, Grundriß der Wohnungsfrage und Wohnungspolitik, Mönchen-Gladbach 1911,
S. 137-140.
239
ungesund gemeldete Mietwohnungen zu besichtigen und gegebenenfalls Sanierungs-
vorschläge zu machen. Allerdings erlangte dieses Gesetz wie in den meisten französi-
schen Städten nur beschränkte Bedeutung, da die meisten Gemeinderäte Auseinan-
dersetzungen mit den Eigentümern vermeiden wollten und deshalb auf die Bildung
von Wohnungskommissionen verzichteten.7
1904 verlangte der Abgeordnete Dr. Hoeffel erstmals eine Verbesserung der Woh-
nungsfürsorge durch einen Erlaß allgemeiner Bauvorschriften für alle Neubauten,
wobei er vor allem sanitätspolizeiliche Motive nannte.8 Der Sprecher der Regierung
verwies darauf, daß ein solcher Antrag wohl kaum mehrheitsfähig sei und daß "der
Schwerpunkt der sozialpolitischen Aufgabe auf dem Gebiet der Wohnungspolitik [...]
in der Hand der größeren Kommunen"9 liege. Zwei Jahre später beklagte sich der
gleiche Abgeordnete erneut über ein mangelhaftes Engagement der Regierung zur
Förderung des Arbeiterwohnungsbaus.10 Er lobte die finanzielle Unterstützung der
Landesversicherungsanstalten für den Kleinwohnungsbau in anderen Staaten und
bedauerte, daß die für Elsaß-Lothringen bewilligten Finanzmittel nur 0,01% der
gesamten, von den Landesversicherungsanstalten bewilligten Kreditsumme im Deut-
schen Reich betrügen.
1909 war es noch einmal der gleiche Abgeordnete, der nun einen förmlichen Antrag
zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse stellte.11 Wiederum verwies er auf den
wachsenden Rückstand gegenüber anderen deutschen Bundesstaaten, wobei er seine
Forderung nach Erlaß einheitlicher Bauordnungen vor allem mit sanitätspolizeilichen
Argumenten begründete. Allerdings war offensichtlich, daß sein Eintreten für eine
bessere Wohnungshygiene vor allem eine Verbesserung der Arbeiterwohnungen zum
Ziel hatte. Der Regierungssprecher sagte eine Prüfung des Antrags zu, machte jedoch
7 Sutcliffe (Anm. 1), S. 134 u. H. Albrecht, Die Wohnungsfrage in Frankreich, in: Schriften
des Vereins für Socialpolitik 97. Neuere Untersuchungen über die Wohnungsfrage, 3. Bd.,
Leipzig 1901, S. 163-184. Nach der Untersuchung von Albrecht "stehen die Bestimmungen des
genannten Gesetzes lediglich auf dem Papier. [...] Auf 36000 Gemeinden kamen im Jahre
1853 nur 228 Kommissionen, im Jahre 1858 520. Zwanzig Jahre später waren die Vorschriften
des Gesetzes fast überall vergessen, und wohl kaum acht oder zehn Gemeinden brachten sie
zur Anwendung" (S. 166f.). Der Straßburger Beigeordnete Dominicus bezeichnete 1905 dieses
Gesetz als "das älteste Wohngesetz in Deutschland", s. Archives Départementales du Bas-Rhin
(künftig ADBR), AL 87(3403).
8 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (künftig Verh.LA), Sitzung v.
15. März 1904, S. 612.
9 Ebd. S. 636, Regierungskommissar Mandel.
10 Verh.LA 27. März 1906, S. 453.
11 Verh.LA 12- Mai 1909, S. 419-424. Der Antrag lautete: "Der Landesausschuß wolle be-
schließen, die Regierung zu ersuchen, zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse spezielle
Verordnungen unter Anpassung an die besonderen Verhältnisse von Stadt und Land zu
erlassen, damit die neuen Wohnungen gemäß den Ansprüchen der Gesundheit hergestellt
werden." Unterstützt wurde der Antrag von dem Abgeordneten Wolf, der auf den Ausbau der
Wohnungsfürsorge in Württemberg hinwies sowie auf das französische Gesetz von 1902 (S.
424).
240
zugleich klar, daß er - in Übereinstimmung mit der Mehrheit des Landesausschusses -
Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Wohnungsfürsorge grundsätzlich ablehne.
Außerdem bestritt er, daß die Verhältnisse im Reichsland schlechter seien als in
anderen Staaten.
In den folgenden Monaten forderte die Landesregierung die drei Bezirkspräsidenten
auf, einen Bericht über die Wohnungsverhältnisse in ihren Amtsbereichen anzuferti-
gen, wobei eine besondere Stellungnahme zu der Frage gewünscht wurde, ob "in
einzelnen Gemeinden Baugenossenschaften oder ähnliche Einrichtungen behufs
Schaffung gesunder Kleinwohnungen ins Leben gerufen und zu deren Unterstützung
staatliche Mittel bereitzustellen"12 seien. Der Bezirkspräsident von Lothringen teilte
in seiner Antwort mit, daß nur die Stadt Metz eine lokale Baugenossenschaft durch
den Kauf von Anteilsscheinen fördere, Diedenhofen dagegen habe von einer Beteili-
gung am gemeinnützigen Bauverein abgesehen und verhalte sich ebenso wie Forbach
und Saarburg ablehnend gegenüber Baugenossenschaften, "um der Privatbautätigkeit
keinen Abbruch zu tun"13. Einen Bedarf an staatlicher Intervention machte nur der
Bezirkspräsident des Unter-Elsaß geltend, der in seiner Antwort auf die zahlreichen
Aktivitäten der Stadt Straßburg verwies und außerdem darauf aufmerksam machte,
daß im Vergleich zu allen anderen deutschen Staaten die gemeinnützigen Baugenos-
senschaften in Elsaß-Lothringen benachteiligt seien, da sie zur Gewerbesteuer her-
angezogen würden.
Aus dem Ergebnis dieser Enquete zog die Regierung den Schluß, daß es keine
Notwendigkeit gebe, die liberale Ordnung der Wohnungswirtschaft zugunsten von
staatlichen Steuerungsmaßnahmen aufzugeben. In dieser Einschätzung der Lage
wurde sie von der Mehrheit der eher konservativen Mitglieder des Landesausschusses
unterstützt. Da die Regierung auch in der Folgezeit eine Verständigung mit den
Honoratioren des Landes für wichtiger erachtete als die Beseitigung von wohnungs-
baulichen Mißständen in einzelnen Städten des Reichslands, scheiterten alle weiteren
Versuche zur Schaffung einer staatlichen Wohnungsgesetzgebung im Reichsland.14
Die mit nationalpolitischen Erwägungen begründete Allianz der Regierung mit den
ländlich-konservativen Eliten im Land führte zu einer Erstarrung, die politische
Führung reduzierte sich zunehmend auf eine passive Landesverwaltung. Der Preis für
diese defensive Haltung war der totale Verzicht auf jegliche Reformpolitik, durch die
man möglicherweise die Unterstützung anderer sozialer Gruppen für die deutschen
Interessen in Elsaß-Lothringen hätte gewinnen können.
12 ADBR, AL 87 (3403), Schreiben der Regierung für Elsaß-Lothringen an die Bezirkspräsi-
denten v. 18. Jan. 1910.
13 ADBR, AL 87 (3403), Antwort des Bezirkspräsidenten v. Lothringen an den Statthalter v.
5. Aug. 1910. Auch der Leiter des Bauamts von Mülhausen lehnte eine Förderung von Bauge-
nossenschaften ab, da dadurch der Wohnungsmangel immer größer und eigentlich künstlich
unterhalten werde, s. ebd., Schreiben des Bezirkspräsidenten des Ober-Elsaß v. 4. Okt. 1910.
14 Die im März 1914 von der Zentrums-Fraktion vorgelegte Resolution zur Schaffung eines
zeitgemäßen Wohnungsgesetzes wurde durch den Kriegsausbruch hinfällig, s. Wittenbrock
(Anm. 3), S. 257.
241
Kommunale Aktivitäten im Bereich der Wohnungsversorgung in Saargemünd vor
dem Ersten Weltkrieg
Im Zusammenhang mit der 1910 von der Landesregierung eingeleiteten Enquete über
die Förderung des Kleinwohnungsbaus wandte sich der Bezirkspräsident von Lothrin-
gen auch an die Stadtverwaltung von Saargemünd.15 In seiner Antwort führte der
Bürgermeister aus: "Für die Bildung von Baugenossenschaften oder ähnlichen Ein-
richtungen liegt kein Bedürfnis vor. Es besteht hier ein gemeinnütziger Bauverein,
welcher schon viele Häuser mit Kleinwohnungen hat erbauen lassen. Auch die
Eisenbahnverwaltung und Private sorgen reichlich für die Errichtung gesunder Woh-
nungen."16
Welches waren nun die wesentlichen Charakteristika dieser Stadt, in der die Woh-
nungsversorgung offensichtlich so problemlos funktionierte? Welches waren die
kommunalen und gemeinnützigen Einrichtungen, die weitere staatliche Fördermaß-
nahmen als überflüssig erscheinen ließen?
Um 1910 verfügte die Stadt an der Grenze zur preußischen Rheinprovinz über 15385
Einwohner. Die Annexion im Jahr 1870 hatte den schon vorher einsetzenden Auf-
schwung der lokalen Gewerbebetriebe nicht gebremst,17 und so beschäftigte die
Porzellanfabrik Utzschneider als größter Arbeitgeber vor dem Weltkrieg 2500 Arbei-
ter. Dieses Unternehmen hatte bereits vor der Annexion aus eigenen Betriebsmitteln
eine Kolonie mit Arbeiterhäusem errichtet, die auch nach 1870 ausschließlich in
privater Regie weiter betreut wurde. Ferner war Saargemünd ein Kreuzungspunkt
mehrerer Eisenbahnlinien, und die Bahnbehörden errichteten für ihre Angehörigen
eine eigene Siedlung, die ebenfalls kommunalen Eingriffen völlig entzogen war.
Zusätzlich zu verschiedenen Industriebetrieben mittlerer Größe verfügte Saargemünd
als Kreisstadt über zahlreiche Verwaltungsbehörden sowie über eine von bayerischen
Regimentern genutzte Garnison, in der 1910 über 1100 Militärpersonen stationiert
waren.
Die Interventionen der lokalen Verwaltung im Bereich des städtischen Wohnungs-
wesens konzentrierten sich auf die Aktionsfelder Wohnungsaufsicht und Wohnraum-
vermittlung, während die Wohnungsbauförderung weniger als kommunale Aufgabe
betrachtet wurde. Ohnehin ist festzustellen, daß die Aktivitäten der Stadtverwaltung
sich in dieser Phase nur sehr zögernd und zurückhaltend entwickelten und niemals der
Versuch gemacht wurde, die Mechanismen der Marktwirtschaft im Bereich des
Wohnungswesens außer Kraft zu setzen. Weder im programmatischen Anspruch noch
in der administrativen Praxis gab es also Ansätze zu einem Interventionssystem, wie
es z.B. von den Befürwortern des Munizipalsozialismus propagiert wurde.
15 Archives Municipales Sarreguemines (künftig AMS), J 40, Bauordnung der Stadt Saarge-
münd, Schreiben des Bezirkspräsidenten v. 28. Jan. 1910.
16 Ebd., Schreiben des Bürgermeisters v. 1. März 1910.
17 Didier Hemmert, L’Esprit d’entreprise à Sarreguemines au milieu du 19e siècle, in: Cahiers
lorrains 1(1987), S. 67-89. Vgl. auch François Roth, La Lorraine annexée (1870-1918), Nancy
1976, S. 450f.
242
a) Wohnungsaufsicht
Das bereits genannte Gesetz von 1850 zur Bekämpfung ungesunder Wohnungen
wurde in Saargemünd in verschiedenen Phasen der Reichslandära angewandt, um
bestimmungsgemäß Mißstände in den als gesundheitsgefährdend gemeldeten Woh-
nungen abzustellen. In der Zeit nach 1878 gab es zu diesem Zweck regelmäßige
Inspektionen der Sanitätskommission, der auch der Kreisarzt sowie der Leiter des
Bauamts angehörten.18 Nach einigen Jahren jedoch wurden die Sitzungsintervalle
immer größer, und schließlich ruhte die Arbeit der Kommission vollends. 1910 wurde
die Wohnungsinspektion reaktiviert, wobei man jedoch auf die Reformbedürftigkeit
des Gesetzes von 1850 hinwies. Ein Kommissionsmitglied forderte z.B. das Recht, alle
Häuser in der Stadt zu inspizieren sowie die Unbewohnbarkeit von Wohnungen
durchsetzen zu können. Aber auch solche Maßnahmen hätten die zentrale Schwierig-
keit nicht beseitigen können, die mit der Durchführung des Gesetzes in der Praxis
verbunden war. Der Aktionswille der Kommissionen wurde vor allem dadurch ge-
bremst, daß die veranlaßten Wohnungsräumungen unerwünschte Folgen für die
kommunalen Finanzen hatten: Gelang es, ungesunde Wohnungen zu räumen, so
mußte zumeist die Stadtverwaltung unmittelbar danach die betroffene Personen-
gruppe als Obdachlose versorgen.
Trotz dieser Mängel tagte die Gesundheitskommission nach 1910 in regelmäßigen Ab-
ständen, und vor allem in der letzten Phase des Ersten Weltkrieges erfüllte die
Wohnungsaufsicht angesichts der zunehmend gravierenden baulichen Mängel eine
wichtige Kontrollfunktion.
b) Wohnraumvermittlung
Nach dem Vorbild anderer Städte auch in Elsaß-Lothringen beschloß der Gemein-
derat 1907 die Einrichtung eines städtischen Wohnungsnachweises, der in der Folge
durchgehend als Wohnungsamt bezeichnet wurde.19 Dieses Amt hatte die Aufgabe,
die Kontaktaufnahme zwischen Wohnungssuchenden und Eigentümern freier Woh-
nungen zu erleichtern. Die Nutzung dieser kommunalen Dienstleistung war kostenlos,
und weder für Mieter noch für Vermieter gab es Meldepflichten oder eine Auflage,
die angebotenen Kontakte in ein Mietverhältnis umzuwandeln.
Vor allem der zwei Jahre zuvor gegründete lokale Hausbesitzerverein begrüßte diese
Initiative und kündigte an, daß seine Mitglieder die Vermittlungsdienste der Stadtver-
waltung in Anspruch nehmen würden. Tatsächlich wurde das Amt von den Ver-
mietern eifrig mit Angeboten beliefert, wobei allerdings die Vermittlungserfolge sehr
bescheiden blieben: In der Zeit vom 1. April bis 31. Juli 1908 konnten von 139 als frei
gemeldeten Wohnungen nur 11 vermittelt werden; in den beiden folgenden Monaten
gestaltete sich die Rate noch ungünstiger, denn von 61 Wohnungen fanden nur 2
einen Mieter.20 Offensichtlich gab es in dieser Zeit ein erhebliches Überangebot an
18 AMS, J V, Berichte der Sanitätskommission.
19 AMS, Q 107, Protokoll der Gemeinderatssitzung v. 26. Nov. 1907.
20 AMS, Q 107, Statistik des Wohnungsamts. Der Anteü an leerstehenden Wohnungen war
auch noch in den folgenden Jahren recht hoch. Um die Zahl der Mieter zu erhöhen, ver-
243
Wohnungen, und die geringen Vermittlungsquoten hatten zur Folge, daß das städti-
sche Wohnungsamt nur ein Schattendasein führte. Mehrfach mußte der Bürgermeister
die Bevölkerung auf die Existenz dieser Einrichtung aufmerksam machen,21 aber erst
nach Kriegsende erlangte diese Behörde eine zentrale Bedeutung für die Verteilung
des städtischen Wohnraums.
c) Die Wohnungsbauförderung
Aufgrund der vorhandenen Wohnungsversorgung sahen weder Gemeinderat noch
Stadtverwaltung einen Bedarf zur Förderung des Wohnungsbaus. Dennoch gab es
vereinzelte Hinweise dafür, daß die kommunalen Beamten eine Unterstützung für den
Bau von Kleinwohnungen und Arbeiterhäusern für sinnvoll hielten. So empfahl der
Bürgermeister 1901 seinem Amtskollegen in Diedenhofen, "zur Erleichterung der
Bebauung von kleinen Wohnhäusern für Arbeiterfamilien [...] für bestimmte Gegen-
den des zu bebauenden Gebietes erleichterte Bestimmungen zu treffen."22 Wenig
später stellte der Stadtbaumeister fest, daß sich die 1899 eingeführte Bauordnung
insgesamt gut bewährt habe, daß aber "beispielsweise die Bestimmungen über lichte
Geschoßhöhe und Gebäudeabstand die Errichtung von Arbeiterhäusern beeinträchti-
gen."23 Dennoch unterblieb eine Revision der lokalen Bauvorschriften.
Ohne eigenes Engagement verfolgten die kommunalen Gremien auch die 1904
erfolgte Gründung des "Gemeinnützigen Bauvereins für die Errichtung billiger Arbei-
terwohnungen in Saargemünd". Die Beratung über einen vom Bürgermeister vor-
geschlagenen Zuschuß zu dieser ersten - und bis weit in die zwanziger Jahre einzigen
- Vereinsbildung zur Förderung des Kleinwohnungsbaus auf lokaler Ebene wurde
zunächst vertagt,24 später aber nicht weiter behandelt. Ein im folgenden Jahr von
diesem Verein eingereichtes Baugesuch wurde wegen Nichtbeachtung baurechtlicher
Vorschriften abgelehnt,25 und so ist festzustellen, daß der Gemeinnützige Bauverein
von der Stadtverwaltung weder eine nennenswerte ideelle noch eine materielle Förde-
rung erfuhr.
Ohnehin beschränkte sich die Bautätigkeit dieses Vereins vor allem auf die ersten
Jahre seines Bestehens. Gemäß seiner Satzung handelte es sich um eine Genossen-
schaft, die sich das Ziel gesetzt hatte, "die Besserung der Wohnungsverhältnisse der
kleinen Leute, insbesondere durch Bau, Erwerb und Verwaltung von Wohnhäusern
suchte der Gemeinderat z.B. 1910, die Beamten verschiedener in Saargemünd angesiedelter
Behörden, die in der Umgebung zur Miete wohnten, auf das Prinzip der Residenzpflicht am
Dienstort festzulegen, s. ebd.
-I Ebd., Bekanntmachungen v. 8. Juni 1917 sowie April 1918. Aus dem Überhang an Leer-
wohnungen darf jedoch nicht gefolgert werden, daß alle sozialen Gruppen in gleicher Weise
über ausreichenden Wohnraum verfügten. Vermutlich gab es für zahlreiche ärmere Familien
eine Wohnungsnot, da sie nicht in der Lage waren, die geforderten Mieten zu zahlen.
22 AMS, Akten betr. Baupolizei im allgemeinen, Schreiben v. 26. Juli 1901.
23 Ebd., Schreiben des Bürgermeisters v. 20. Jan. 1902 an den Bezirkspräsidenten.
24 Sitzung des Gemeinderats v. 25. Febr. 1905.
25 Ebd., Sitzung v. 24. Febr. 1906.
244
zum Zweck der Vermietung oder des Verkaufes an Genossen"26 zu erreichen. Zu
den Gründungsmitgliedern gehörten außer einem Architekten und einem Ge-
schäftsagenten vor allem Handwerker und Büroangestellte. Jedes Mitglied mußte
einen Geschäftsanteil von 200 Mark einzahlen. Eine besondere politische oder philan-
thropische Motivation war bei der Vereinsgründung nicht erkennbar, zumal einige
Mitglieder zugleich dem Vorstand des Hausbesitzervereins angehörten.27
Bis zum Jahre 1913, in dem der Verein 57 Mitglieder zählte, wurden 11 Wohnhäuser
mit insgesamt 30 Wohnungen errichtet, die vorzugsweise an Vereinsmitglieder ver-
mietet wurden. Das für den Bau erforderliche Kapital wurde zu etwa 80% vom
Reichsamt des Innern mit einem Zinssatz von 3% zur Verfügung gestellt, weitere
10% steuerte die Preußische Zentral-Bodenkredit-Anstalt bei. Es ist festzustellen, daß
nach den Gründungsjahren die Mitgliederzahl des Vereins stagnierte und auch keine
weiteren Wohnungsprojekte in Angriff genommen wurden. Offensichtlich beschränkte
sich der Verein in den folgenden Jahren auf die Verwaltung seines Immobilienbesit-
zes.
Die Anfänge kommunaler Wohnraumbewirtschaftung im Ersten Weltkrieg
In den ersten Jahren nach Kriegsausbruch gab es noch keine Engpässe in der Woh-
nungsversorgung. Zwar war jegliche zivile Bautätigkeit zunächst erschwert bzw. ab
1917 verboten, dennoch reichte das Wohnungsangebot wegen nachlassender Nach-
frage aus. Einerseits reduzierte sich die Zahl der Eheschließungen, andererseits
wurden infolge der Kriegsumstände zahlreiche Haushalte aufgelöst oder zusammen-
gelegt.
Da auch notwendige Reparaturen und Erhaltungsarbeiten wegen des Personal- und
Materialmangels in der Regel unterblieben, vergrößerten sich jedoch die qualitativen
Mängel im Wohnungsbestand. Zu diesem Befund kam die städtische Gesundheits-
kommission, die nun - Saargemünd war Kriegsstandort mit einer starken Einquar-
tierung - von einem Offizier geleitet wurde. Dieser kam 1918 nach seiner Inspektion
zu einem vernichtenden Urteil: "Zeichen einer Verwahrlosung findet man hier, wie
wohl nirgends wieder im Deutschen Reich."28 Nach einer detaillierten Beschreibung
der Vorgefundenen Mißstände empfahl er besonders die Gründung einer gemein-
nützigen Wohnungsfürsorge-Gesellschaft, die allerdings ohnehin erst nach Kriegsende
hätte aktiv werden können.
Der Stadtverwaltung fehlten in dieser Ausnahmesituation weitgehend die Mittel, um
für eine Beseitigung der Qualitätsmängel im städtischen Wohnungsbestand zu sorgen.
Sie sah ihre zentrale Aufgabe darin, eine optimale Ausschöpfung der vorhandenen
26 § 2 der Satzung v. 3. Dez. 1904, s. AMS, F/2-431.
27 So war der Geschäftsagent Hauersperger 1909 sowohl Schriftführer im Gemeinnützigen
Bauverein als auch Geschäftsführer des Hausbesitzervereins, s. ebd.
28 AMS, F/2-437, Gutachten des Hygienikers Prof. Berghaus an die Etappen-Inspektion 19 v.
8. Juli 1918.
245
Wohnraumkapazitäten zu erreichen und mögliche Konflikte bei deren Nutzung und
Verteilung zu vermeiden. Zu diesem Zweck beschloß der Gemeinderat bereits am 18.
Dezember 1914 die Einrichtung eines Mieteinigungsamts.29 Zum Vorsitzenden
dieser Schiedsstelle wurde ein Rechtsanwalt berufen, zwei Gemeinderäte fungierten
als Beisitzer, wobei bestimmungsgemäß einer von ihnen zur Gruppe der Vermieter,
der andere zur Gruppe der Mieter gehörte. Das Mieteinigungsamt konnte von
Mietern wie auch Vermietern angerufen werden und hatte die Aufgabe, bei Streitig-
keiten über Kündigungen durch den Vermieter sowie Erhöhungen der Miete "zum
Zwecke eines billigen Ausgleichs der Interessen zu vermitteln"30.
Beide Parteien waren verpflichtet, zu den vom Einigungsamt anberaumten Ver-
handlungsterminen zu erscheinen und auf Verlangen eidesstattliche Erklärungen
abzugeben. Zur Beilegung des jeweiligen Konflikts formulierte das Einigungsamt in
der Regel einen Kompromißvorschlag, dessen Annahme aber für keine der Parteien
verpflichtend war. Kam eine gütliche Einigung nicht zustande, so konnte ein ordentli-
ches Gericht angerufen werden, das in diesem Fall ein Gutachten des Einigungsamts
anforderte.
In den folgenden Monaten zeigte sich, daß diese Vorsorgemaßnahme des Saarge-
münder Gemeinderats zur Erhaltung des sozialen Friedens weitgehend überflüssig
war. Es gingen nur wenige Anträge ein. Da zudem die Stadtverwaltung die materielle
Ausstattung des Amts verzögerte, legte der Vorsitzende nach drei Monaten sein Amt
nieder,31 und am 1. Juni 1915 beschloß der Gemeinderat die Aufhebung des Eini-
gungsamts.
Auf Veranlassung des Garnisonskommandos, das über zahlreiche Streitigkeiten
zwischen Mietern und Vermietern klagte, wurde im März 1916 jedoch erneut die
Schaffung eines Mieteinigungsamts mit den gleichen Aufgaben beschlossen. Wieder
wurde eine paritätische Zusammensetzung der Beisitzer verfügt, allerdings wurde der
Vorsitz einem in Saargemünd stationierten Oberleutnant übertragen.32 Sein Stellver-
treter war ein in der Kreisdirektion beschäftigter Amtsrichter. Nun wurde die Vermitt-
lung der Schiedsstelle häufig angerufen, und in der Zeit vom 12. Mai 1916 bis zum 1.
Januar 1917 wurden insgesamt 145 Anträge bearbeitet. Dabei erreichte man in 106
29 Die Rechtsgrundlage für die Schaffung dieser Ämter bildete eine Verordnung des Bundes-
rats v. 4. Aug. 1914 sowie eine Bekanntmachung des Reichskanzlers v. 15. Dezember 1914, s.
AMS, Q IV, Akten betr. Einigungsamt.
30 § 1 der Bekanntmachung betr. Einigungsämter v. 15. Dez. 1914, Reichsgesetzblatt, Jahrgang
1914, S. 511. Die Aufgaben des neuen Amts wurden in den ’Richtlinien für das Einigungsamt
für Mietangelegenheiten’ in Straßburg wie folgt definiert: "Das Einigungsamt soll die Härten,
wie sie im täglichen Leben und ganz besonders während der Kriegszeit zwischen Mietern und
Vermietern entstehen, mildem und, soweit wie möglich, beseitigen. Es hat somit eine große
soziale Aufgabe, indem es den Männern, Vätern und Söhnen draußen im Felde Beruhigung
verschafft über das Schicksal der in der Heimat Zurückgebliebenen, indem es die wirtschaft-
lich Schwachen vor Ausbeutung schützt und den Faulen und Arbeitsunlustigen scharf ent-
gegentritt", s. ebd.
31 Ebd., Schreiben des Rechtsanwalts Huber v. 19. März 1915.
32 Protokoll der Gemeinderatssitzung v. 7. März 1916, S. 4.
246
Fällen ein Einvernehmen, 25 Anträge wurden zurückgezogen, und nur in 14 Fällen
konnte keine Einigung erzielt werden. Aufgrund dieser Ergebnisse kam der Bürger-
meister zu einem positiven Urteil: "Die Errichtung des Einigungsamtes ist allerseits
begrüßt worden; es hat sehr segensreich zum Wohle der Eigentümer wie Mieter und
Hypothekengläubiger wie -Schuldner in hiesiger Stadt gewirkt".33
Bald aber mußte der Bürgermeister seine Bewertung über den positiven Beitrag des
städtischen Mieteinigungsamts zur Ausschöpfung der städtischen Wohnraumkapazitä-
ten revidieren. Es zeigte sich, daß vor allem die Vermieter sich dem wachsenden
Dirigismus in der Wohnraumvermittlung und der Gestaltung der Mietbedingungen zu
entziehen suchten. Sie sahen darin zunehmend einen ungerechtfertigten Eingriff in die
Verfügungsgewalt über ihr Eigentum und zogen es vielfach vor, unter diesen Bedin-
gungen ganz auf die Vermietung ihrer Wohnungen zu verzichten. Am 27. Februar
1918 klagte der Bürgermeister, "daß Eigentümer das Leerstehen von Wohnungen ver-
schweigen, um sich Mieter ohne Kinder aussuchen zu können, oder aus Angst, die
leerstehenden Wohnungen könnten zu Einquartierungszwecken herangezogen werden.
Durch dieses Verhalten einer Anzahl Eigentümer, welches einen Mangel an vaterlän-
dischem Interesse beweist, wird die ohnehin schon herrschende Wohnungsnot noch
wesentlich vergrößert."34
Offensichtlich hatten sich die mit der Einrichtung des Mieteinigungsamts verbundenen
Ansätze zu einer behördlichen Kontrolle und Steuerung des städtischen Wohnungs-
markts als völlig kontraproduktiv erwiesen, da entgegen der erklärten Absicht der
Verwaltung nun der verfügbare Wohnraum durch die Obstruktionshaltung mancher
Vermieter reduziert wurde.
Die Verwaltung vermochte sich in dieser kritischen Situation, die zudem durch die
kriegsbedingten Belastungen und Unsicherheiten gesteigert wurde, nur durch den
weiteren Ausbau der Interventionsmaßnahmen zu helfen, die unmittelbar zu einer
Wohnungszwangswirtschaft führten. Einerseits erteilte der Bürgermeister der Orts-
polizei den Auftrag, ein Verzeichnis sämtlicher z.Z. leerstehender bzw. in Kürze frei
werdender Wohnungen anzufertigen.35 Andererseits erreichte er eine Ausdehnung
der Kompetenzen des Mieteinigungsamts, das nun faktisch weniger einem Interessen-
ausgleich zwischen Mietern und Vermietern als vielmehr dem Schutz der Mieter
verpflichtet war. Im Sommer 1918 wurde das Mieteinigungsamt ermächtigt,36 gemäß
der Mieterschutzverordnung vom 26. Juli 1917 Entscheidungen über die Wirksamkeit
33 AMS, Q IV, Akten betr. Einigungsamt, Bericht des Bürgermeisters an das Ministerium für
Elsaß-Lothringen v. 15. Febr. 1917.
34 Ebd., interne Notiz für die städtische Polizeiverwaltung v. 27. Febr. 1918. Am 23. März
1918 schrieb der Bürgermeister an das Amtsgericht: "Die Gründe der Eigentümer zur Kündi-
gung sind nach den Erfahrungen des Mieteinigungsamts in sehr vielen Fällen nur Vorwände,
um bei der Neuvermietung einen höheren Mietzins zu erlangen oder aber, um Mieter mit
mehreren Kindern aus der Wohnung zu bekommen."
35 Ebd., Schreiben des Bürgermeisters v. 27. Febr. 1918.
36 Ebd., Schreiben des Ministeriums für Elsaß-Lothringen an den Bezirkspräsidenten v. 18.
Juli 1918.
247
einer Kündigung, die Fortsetzung und Dauer eines Mietverhältnisses sowie die
Erhöhung des Mietzinses zu treffen. Nun erhielt das städtische Gremium also richter-
liche Befugnisse, d.h. die vor dem Einigungsamt abgeschlossenen Vergleiche konnten
gerichtlich vollstreckt werden. Kam eine Einigung nicht zustande, so hatte das Eini-
gungsamt ein Entscheidungsrecht, das nicht mehr anfechtbar war.
Damit wurde das Mieteinigungsamt also zur höchsten Instanz in allen Mietausein-
andersetzungen, was die kommunalen Interventionsrechte auf dem städtischen
Wohnungsmarkt verstärkte. Allerdings hatte die so erweiterte Kompetenz kaum noch
Auswirkungen für die praktische Gestaltung der Wohnverhältnisse. Da im November
1918 sowohl der Vorsitzende des Mieteinigungsamts als auch sein Stellvertreter als
Repräsentanten deutscher Behörden Elsaß-Lothringen verlassen mußten, stellte dieses
nun führungslose städtische Amt seine Arbeit ein.37
Der Ausbau der Wohnungszwangswirtschaft ab 1919
Nach dem Waffenstillstand gab es infolge der Rückgliederung an Frankreich einen
radikalen Austausch der administrativen Eliten, der zahlreiche Umbesetzungen in den
Führungspositionen der Saargemünder Stadtverwaltung nach sich zog. Unabhängig
von den personalpolitischen Zäsuren jedoch blieben die sachlichen Herausforderun-
gen durch die sich verschärfende Wohnungsnot identisch, wobei auch die gesetzlichen
Instrumente für das administrative Handeln zunächst erhalten blieben. Infolge der
politischen Umwälzung verließen Hunderte von deutschen Familien die Stadt, gleich-
zeitig jedoch begann auch der Zustrom von Bewohnern aus dem übrigen Frankreich,
die nun in den verschiedenen Verwaltungen, vor allem dem Zoll und der Eisenbahn,
sowie in den verschiedenen anderen Dienstleistungssektoren, aber auch in Handel
und Gewerbe Beschäftigung fanden oder suchten. Dabei kam es zwar vermutlich im
Vergleich zur Bevölkerungszahl vor dem Krieg nicht zu einem Anwachsen der Ein-
wohnerschaft, aber es gab, bedingt durch die hohe Fluktuation, erhebliche Vertei-
lungsprobleme.38 Zudem standen auch zahlreiche Wohnungen ausgewiesener Deut-
scher unter Sequester und waren deshalb für einige Zeit dem Wohnungsmarkt
entzogen. Diese besonderen Umstände führten zu einer Verschärfung der Wohnungs-
krise, deren Bekämpfung für die neue Stadtverwaltung eine der schwierigsten Auf-
gaben darstellte.
Zwar waren die in deutscher Zeit erlassenen Verordnungen und Gesetze weiterhin
verbindlich, aber infolge der personellen Veränderungen waren die ersten Monate
nach der Rückgliederung durch eine erhebliche Unsicherheit und Orientierungs-
losigkeit geprägt. Die mangelnde Vertrautheit mit den Kommunikationsformen der
37 In der Zeit v. 1. Febr. 1917 bis Nov. 1918 wurden 175 Fälle bearbeitet. Eine genaue
Statistik liegt nicht vor, vgl. Protokoll des Gemeinderats v. 3. Dez. 1920.
38 Die Angaben über die Bevölkerungszahl sind widersprüchlich: Während der Leiter des
Bauamts am 14. Dezember 1920 eine Einwohnerzahl von 16500 Einwohnern und 3985
Haushalten nannte (AMS Q IV/28), wohnten 1921 gemäß der offiziellen Angaben der
Stadtverwaltung nur 14318 Einwohner in 3198 Haushalten in Saargemünd (AMS, Q IV/11).
248
französischen Verwaltungshierarchie sowie die Unkenntnis der in Frankreich gültigen
Nonnen und Gesetze im Bereich der Wohnungspolitik schufen Integrationsprobleme,
die erst durch einen längeren Lern- und Assimilationsprozeß beseitigt werden konn-
ten. So mußte man zunächst durch eine tastende Annäherung erfahren, welche im
übrigen Frankreich gültigen Normen und Handlungsstrategien Lösungsmöglichkeiten
für die spezifischen lokalen Probleme boten. Daß es dabei zu Fehleinschätzungen,
Mißverständnissen und Abstimmungsschwierigkeiten kam, war unvermeidlich.
Im ersten Jahr nach dem Waffenstillstand konnte von einer zielgerichteten kom-
munalen Wohnungspolitik keine Rede sein, und so häuften sich die Klagen darüber,
"daß die Wohnungsnot so groß wurde, daß dem Wohnungswucher Tür und Tor
geöffnet war und die Mieter in jede auch noch so übertriebene Mietforderung einwil-
ligen mußten, wenn sie sich vor einer baldigen zwangsweisen Räumung der Wohnung
sichern wollten."39 Erst im Dezember 1919, mit dem Amtsantritt von Bürgermeister
Nominé40, der dieses Amt 16 Jahre lang innehatte, wurden wieder Ansätze für eine
durchdachte programmatische Konzeption und eine konsequente Verwaltungspraxis
zur Bekämpfung der Wohnungskrise erkennbar. Dabei stützte er sich in seiner
Strategie auf ein Konzept, das in seinen organisatorischen und normativen Elementen
eine Kombination aus bereits in Saargemünd praktizierten Verfahren einerseits und
verschiedenen gesetzlichen Vorschriften französischer Herkunft andererseits darstellte.
Kernstück der von Nominé gewünschten institutionellen Kontinuität war die erneute
Bildung eines Mieteinigungsamts, zusätzlich erließ er für den Bereich des Wohnungs-
wesens zahlreiche Verordnungen, die auf der Grundlage französischer Gesetze für
Saargemünd erhebliche Innovationen brachten.
Der Antrag des Bürgermeisters auf erneute Einrichtung eines Mieteinigungsamts
wurde vom Präfekten im Februar 1920 gebilligt.41 Nachdem auch der Gemeinderat
seine Zustimmung erteilt hatte,42 konnte das Amt unter dem Vorsitz eines französi-
schen, am Landgericht Saargemünd tätigen Richters im März 1920 seine Arbeit
aufnehmen. Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Amts waren die vor dem Waffen-
stillstand verabschiedeten Gesetze des Deutschen Reiches. In den ersten acht Mona-
39 Protokoll des Gemeinderats v. 3. Dez. 1920.
40 Henri-Pierre Nominé wurde 1892 in Saargemünd geboren, absolvierte in Bonn ein Studium
der Landwirtschaft. Am Ende des Krieges war er Leiter des zivilen Versorgungsamts der
Stadt, ehe er im Dezember 1919 zum Bürgermeister gewählt wurde. Er beherrschte im
Gegensatz zu zahlreichen anderen Gemeinderatsmitgliedem die französische Sprache und
wurde 1928 Abgeordneter in der französischen Deputiertenkammer.
41 AMS, Akten betr. Einigungsamt, Schreiben des Bürgermeisters v. 30. Jan. 1920; Antwort
des Präfekten v. 12. Febr. 1920. In Straßburg und Metz war die Arbeit der Mieteinigungs-
ämter unabhängig von den politischen Umwälzungen fortgeführt worden, s. Schreiben der
Straßburger Stadtverwaltung an den Bürgermeister v. Saargemünd v. 15. Dez. 1919.
42 In der Gemeinderatssitzung v. 27. Febr. 1920 begründete der Bürgermeister seinen Antrag
wie folgt: "In Anbetracht der zur Zeit herrschenden großen Wohnungsnot und der dadurch
bedingten Erhöhung der Mietpreise ist beabsichtigt, die Tätigkeit des Mieteinigungsamts
wieder aufzunehmen, um die Bevölkerung der Stadt vor offenbaren Ungerechtigkeiten zu
schützen."
249
ten verhandelte das Mieteinigungsamt insgesamt 94 Anträge, wobei in der Mehrzahl
der Fälle Kündigungen aufgehoben oder um einige Monate verschoben wurden.
Zudem gab es auch Entscheidungen, die eine Erhöhung oder Ermäßigung des Miet-
zinses bestimmten.43 Trotz der allgemein anerkannten erfolgreichen Arbeit des
Amtes wurden in allen Städten Elsaß-Lothringens am 1. Oktober 1922 die Miet-
einigungsämter aufgehoben. Die nun in diesen Städten eingeführte französische
Mietgesetzgebung sah einen Abbau der unter deutscher Herrschaft im Krieg ent-
standenen Ausnahmegesetze vor. Ab diesem Zeitpunkt waren wieder ordentliche
Gerichte für die Lösung von Konflikten zwischen Mietern und Vermietern zustän-
dig.44
Neben den nur für eine Übergangszeit tätigen Mieteinigungsämtern gab es ab 1919
eine Reihe von Verordnungen, die das Ziel hatten, ganz in der Tradition der während
des Krieges begonnenen Interventionspolitik den städtischen Wohnungsbestand
kontrollierend zu erfassen und einer möglichst lückenlosen, kostengünstigen Nutzung
zuzuführen. Im Dezember 1919 wurde das französische Gesetz vom 23. Oktober 1919
zur Bekämpfung unerlaubter Mietsteigerungen auf die Städte des ehemaligen Reichs-
lands übertragen. Es bedrohte die Vermieter mit Strafen, die "in spekulativer, ge-
winnsüchtiger Absicht [...] eine übermäßige Steigerung der Mietspreise über einen der
Erhöhung der Eigentumslasten, der natürlichen Konkurrenz und der Handelsfreiheit
hinausgehenden Satz"45 anstrebten oder vollzogen. Zudem wurden die Vermieter
verpflichtet, durch Schilder an ihren Häusern auf leerstehende oder freiwerdende
Wohnungen hinzuweisen sowie solche Wohnungen den städtischen Wohnungsnachwei-
sen zu melden. Diese Vorschrift, die es in ähnlicher Weise in der deutschen Mieter-
schutzgebung im Krieg gab, präzisierte der Bürgermeister wenig später in einer
städtischen Verordnung.46
43 Protokoll der Sitzung des Gemeinderats v. 3. Dez. 1920. Die Bilanz der Arbeit für das Jahr
1921 wurde wie folgt zusammengefaßt: Tn 14 Sitzungen kamen im ganzen 182 Anträge zur
Verhandlung. 94 Anträge wurden durch Vergleich erledigt, in 59 Fällen wurde die Entschei-
dung durch Beschluß herbeigeführt, wobei zum größten Teile eine Verlängerung des Miets-
verhältnisses ausgesprochen wurde. Während 19 Anträge während der Verhandlung zurückge-
zogen wurden, mußten 5 Fälle abgewiesen und 1 Fall an das Gericht verwiesen werden.
Einstweilige Anordnung zur Festsetzung des Mietverhältnisses wurde in 22 Fällen erlassen",
s. AMS Akten betr. Mieteinigungsamt, undatierte Notiz.
44 1929 wurde nach dem Modell der im Krieg eingerichteten und bis 1922 existierenden
Mieteinigungsämter ein Mietschlichtungsamt (office de pröconciliation) geschaffen. Es
handelte sich um ein vom Hausbesitzerverein und Mieterverein gegründetes und getragenes
Gremium, das jedoch eine finanzielle Unterstützung des Gemeinderats erhielt. Bei seiner
Begründung für den Nutzen einer solchen Schlichtungsstelle erklärte ein Gemeinderatsmit-
glied rückblickend, "daß diese Institutionen zu mindestens 90% aller Mietstreitigkeiten sowohl
im Interesse der Mieter als des Vermieters außergerichtlich geregelt haben, mithin erwiesen
ist, daß dieselben ihren Zweck voll und ganz erfüllen und beiderseitige Unannehmlichkeiten
verhindert sind", s. AMS, Q IV/10, Office de preconciliation locative.
45 Dekret v. 3. Dez. 1919, s. AMS, Q IV/106.
46 Ebd., Erlaß des Bürgermeisters v. 19. Dez. 1919.
250
Trotz der angedrohten Sanktionen und wiederholter polizeilicher Recherchen waren
jedoch nur wenige Vermieter bereit, der geforderten Meldepflicht nachzukommen.47
Vielfach zogen sie direkte Verhandlungen mit zukünftigen Mietern vor, da sie dann
die Vorschriften über die zulässigen Mieterhöhungen leichter umgehen konnten und
vor allem in der Auswahl ihrer Mieter unabhängig waren. Offensichtlich war das
Mißtrauen zahlreicher Vermieter gegen die dirigistischen Maßnahmen zu groß, und
man fürchtete die Zwangseinweisung kinderreicher Familien bzw. unzuverlässiger
Mieter so sehr, daß man die Zahlung einer Strafe vorzog.48
Schließlich kündigte der Bürgermeister am 31. März 1920 an, daß die Stadtverwaltung
leerstehende Wohnungen beschlagnahmen werde.49 Als diese Drohung wenige
Wochen später in die Tat umgesetzt wurde, intervenierte allerdings der Unterpräfekt,
wobei er auf die fehlende Rechtsgrundlage hinwies, so daß der Bürgermeister diese
Maßnahme wieder rückgängig machen mußte.50 Da solche rigorosen Polizeimaßnah-
men nun unterbleiben mußten, konzentrierte die Stadtverwaltung in den folgenden
Jahren ihre Anstrengungen auf die Bereitstellung von Ersatzraum für Mieter, die
keine Wohnungen fanden. 1924 wurden 53 z.T. obdachlose Familien mit 229 Personen
in den provisorisch umgebauten Mannschaftsräumen einer ehemaligen Infanterieka-
seme untergebracht.51
Zu den weiteren Maßnahmen aus dem Arsenal der französischen Mieterschutzgesetz-
gebung gehörte das an bestimmte Bedingungen geknüpfte Kündigungsverbot sowie
das Verbot, zu Wohnzwecken benutzte Räumlichkeiten dem Wohnungsmarkt zu
entziehen.52 Einen noch höheren Stellenwert als diese Vorschriften über Bereitstel-
47 Der Vorsitzende der städtischen Wohnungskommission kam zu folgendem Fazit: "Nous
devons vous avouer notre impuissance en la circonstance. Le trafic des logements se fait
encore et cela sur une plus vaste échelle. Les loueurs de logements agissent à leur guise et
louent à tort et à travers, l’essentiel est qu’ils puissent en retirer le plus grand profit. L’Office
des logements a 120 demandes de logements, sans compter les jeunes gens qui voudraient se
marier et qui ne le peuvent faute de logis", Protokoll der Sitzung der Wohnungskommission
v. 18. Mai 1920, s. AMS, Akten betr. Einigungsamt.
48 1922 wurden 26 Eigentümer wegen Nichtanmeldens leerstehender Wohnungen mit einer
Strafe von 5 Francs belegt, s. Rapport administratif 1922.
49 AMS, Q IV/106. Verordnung v. 31. März 1920.
50 Ebd., Schreiben des Unterpräfekten an den Bürgermeister v. 13. Aug. 1920; Aufhebung der
Verordnung über die Beschlagnahme am 7. Sept. 1920.
51 AMS, F 6, Nr. 2a. Die Akte enthält zahlreiche Hinweise auf skandalöse hygienische Wohn-
bedingungen.
52 Das erstgenannte Gesetz v. 30. Dez. 1922 wurde am 14. Jan. 1924 in den Städten des
ehemaligen Reichslandes eingeführt; das zweite Gesetz fand ab dem 20. Juli 1924 Anwendung,
s. AMS, Q IV/106. Dieses sogenannte Unterdrückungsverbot war bereits Bestandteil des
Gesetzes v. 23. Sept. 1918. Jacques Peirotes, der Bürgermeister von Straßburg, plädierte 1920
dafür, die Vorschriften aus dem Jahr 1918 in einer neuen städtischen Verordnung für ver-
bindlich zu erklären, s. Anlage II zum Sitzungsprotokoll des Gemeinderats der Stadt Straßburg
v. 2. Aug. 1920: Bericht an den Gemeinderat über die Wohnungskrisis in Straßburg, S. 1364
u. 1382. 1922 hatte sich eine in Straßburg vom französischen Generalkommissar einberufene
251
lung und Nutzung des vorhandenen Wohnbestandes hatte jedoch der Kampf gegen
ungerechtfertigte Mieterhöhungen. Der genannte Erlaß vom 17. Dezember 1919 hatte
bereits den ’Mietwucher’ unter Strafe gestellt. In den folgenden Monaten wurden
entsprechende Klagen von Mietern polizeilich aufgenommen, und in einzelnen Fällen
kam es auch zu gerichtlichen Urteilen gegen Vermieter.53
In dieser Phase der verbreiteten Unsicherheit über die Festsetzung der zulässigen
Mieterhöhungen intervenierte der lokale Hausbesitzerverein. Er versuchte, auch
gegenüber seinen Mitgliedern regulierend und disziplinierend in die Mietpreisdebatte
einzugreifen, indem er eine Tabelle mit Richtpreisen veröffentlichte, die eine Erhö-
hung der Mietsätze um 30% gegenüber dem Vorkriegsniveau vorsahen.54 Allerdings
kam es nicht zu einem lokalen Einvernehmen auf der Grundlage dieses auch von der
städtischen Wohnungskommission als angemessen bezeichneten Vorschlags.55 Viel-
mehr wurde zu Beginn des Jahres 1924 das Prinzip der Höchstmieten eingeführt, das
für alle vor dem Krieg errichteten Gebäude eine Mietbegrenzung auf der Basis des
für 1914 errechneten Indexwertes vorsah.56 In Saargemünd durfte der Mietpreis
1924 um maximal 70% den Indexwert von 1914 überschreiten, zwei Jahre später
wurde eine Erhöhung auf 130% erlaubt.
Im Gefolge der zunehmenden Normalisierung des Wohnungsmarkts, bedingt auch
durch die einsetzende private Neubautätigkeit, verstärkte sich um 1930 die Kritik an
dem Fortbestand der staatlichen Interventionsmaßnahmen im Wohnungswesen. Es
häuften sich die Forderungen nach einer Rückkehr zu den Prinzipien eines freien
Wohnungsmarkts, die in Saargemünd vor allem von dem Hausbesitzerverein vor-
getragen wurden. In einer Denkschrift mit dem Titel "La crise du logement à Sarre-
guemines. Situation comparée entre 1910 et 1931" analysierte der Verein die Ursa-
"Commission chargée d’étudier les moyens d’améliorer et de compléter la réglementation sur
les loyers" dafür ausgesprochen, die Bestimmungen des deutschen Gesetzes v. 23. Sept. 1918
über das Unterdrückungsverbot in den Städten des ehemaligen Reichslands zur Anwendung
zu bringen, s. AMS, Akten betr. Einigungsamt, Schreiben des Unterpräfekten an den Bürger-
meister v. Saargemünd v. 19. Febr. 1922. Es bleibt zu untersuchen, ob die vom Straßburger
Bürgermeister propagierte Einführung dieser Vorschrift aus dem Gesetz von 1918 den Erlaß
des französischen Gesetzes v. 20. Juli 1924 ausgelöst oder beeinflußt hat.
53 So verurteilte z.B. die Strafkammer Saargemünd am 10. Dez. 1920 eine Vermieterin zu
einer Geldstrafe von 300 Francs, weil sie im Juni 1920 eine Wohnungsmiete von 32 Francs
forderte, obwohl die gleiche Wohnung einen Monat zuvor erst 16 Francs gekostet hatte, s.
AMS, Akten betr. Mieteinigungsamt.
54 Ebd., Schreiben des Hausbesitzervereins v. 20. Mai 1920. Der Hausbesitzerverein nannte für
seine Initiative folgende Gründe: "Durch die immer unerschwinglicher werdenden Kosten für
Reparaturen und Instandhaltung der Immobüien sowie die Erhöhung der Steuern um mehr
als 50% sah sich der Hausbesitzerverein in die Notwendigkeit versetzt, zur Frage der Miet-
preise Stellung zu nehmen, einerseits um die Interessen seiner Mitglieder zu vertreten,
andererseits aber auch um ungebührlichen Forderungen einzelner Vermieter einen Riegel
vorzuschieben."
55 Ebd., Sitzung der Wohnungskommission v. 24. Juni 1920.
56 Erlaß des Präfekten v. 11. Febr. 1924. Die Rechtsgrundlage war das französische Gesetz
v. 29. Dez. 1923, s. AMS, Q IV/106.
252
chen, den Verlauf und die Folgen der Wohnungskrise, für die er ausschließlich die
Mieterschutzgesetze verantwortlich machte. Einen Wohnungsmangel habe es in
Saargemünd zu keiner Zeit gegeben, die Krise sei vielmehr "la conséquence logique
et naturelle des lois sur les loyers et en particulier de l’avilissement des prix des loyers
et de la restriction des droits des propriétaires."57 In der Fortsetzung dieser Argu-
mentation forderte der Verein ein sofortiges Ende der Wohnungsbewirtschaftung,
wobei die geltenden Mietgesetze als "antisozial" bezeichnet wurden, da die Miet-
preisbindung und das Kündigungsverbot nur für vor dem Krieg errichtete Gebäude
gelte.
Zwar gelang es, die Mehrheit des Gemeinderats für eine Abschaffung der dirigisti-
schen Maßnahmen im städtischen Wohnungswesen zu gewinnen, aber wenig später
kam es zu energischen Protesten des Mietervereins.58 So wurden schließlich 1932 die
Beschränkungen des Kündigungsrechts abgeschafft, während die Mietpreisbindung
weiterhin erhalten blieb.59
Das Bemühen um eine Förderung des Wohnungsbaus mit öffentlichen Mitteln
Allgemein war die Überzeugung verbreitet, daß eine starke Neubautätigkeit das
wirkungsvollste Instrument zur Bekämpfung der Wohnungsnot darstellte und daß ein
gesteigertes Angebot an Wohnungen am ehesten die Möglichkeit eröffne, die zwangs-
wirtschaftlichen Maßnahmen in der Wohnungsbestandspolitik abzubauen. Von ver-
schiedenen Seiten wurde der Gemeinderat zu einer entsprechenden Förderung des
Wohnungsbaus aufgefordert,60 wobei sich besonders der Mieterverein engagierte.61
Allerdings waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen äußerst ungünstig, da die
stark gestiegenen Baukosten die Bautätigkeit erschwerten bzw. ganz zum Erliegen
brachten.62 Auch in Straßburg z.B. hatten sich 1920 die Baupreise gegenüber 1914
57 Denkschrift v. 26. Okt. 1931, Schreiben des Präsidenten des Hausbesitzervereins an den
Bürgermeister, s. AMS, Q IV/11.
58 Ebd., Protokoll der Gemeinderatssitzung v. 25. Jan. 1932: Die Mitglieder plädierten mit 14
gegen 5 Stimmen für eine Abschaffung der Mieterschutzgesetzgebung in Saargemünd und für
eine Rückkehr zur Vertragsfreiheit im Wohnungswesen; Schreiben des Mietervereins Metz an
den Bürgermeister v. 11. Febr. 1932.
59 Ebd., Bekanntmachung v. 5. Dez. 1932.
60 Vgl. Lothringer Volkszeitung v. 24. Sept. 1921 Artikel ’Wohnungsnot’ oder Volkstribüne v.
10. Sept. 1922: "Was hat der Gemeinderat bis jetzt geschaffen? Wohl hat derselbe etwas
erreicht wie z.B. die Kanalisation und anderes mehr, aber wo wurde je etwas für die Arbeiter
bzw. die Mieter geschaffen? Hier in der Lösung der Wohnungsnotfrage ist nun die Möglich-
keit gegeben, Menschlichkeit und soziales Empfinden zu beweisen."
61 1922 erreichte der lokale Mieterverein eine Zahl von über 200 Mitgliedern. Auf einer
Versammlung am 6. Dez. 1922 wurde über kommunale Lösungsmöglichkeiten debattiert, s.
AMS, F 2/437 sowie Le Courrier de la Sarre v. 1. Juni 1923.
62 Der Bürgermeister sprach 1921 von den "coûts inabordables des matières premières et de
la main-d’oeuvre", s. Schreiben an den Bürgerin, v. Saveme v. 19. Juli 1921, AMS, Q IV/107.
253
vervierfacht, so daß auch hier ein vollständiger Stillstand der privaten Bautätigkeit
eintrat.63 Zwar stieg die Zahl der Baugenehmigungen in Saargemünd in den folgen-
den Jahren deutlich an, aber diese Investitionen betrafen vor allem den Industriesek-
tor.64 Um so wichtiger wurden Impulse öffentlicher Instanzen zur Förderung des
Wohnungsbaus, die sich zunächst vor allem auf die Bekämpfung der gravierenden
Mißstände in den Wohnverhältnissen der sozial schwächeren Gruppen konzentrieren
mußten.
Im März 1920 ergriff der Unterpräfekt als Vertreter der staatlichen Aufsichtsbehörde
die Initiative und schlug dem Bürgermeister von Saargemünd die Gründung eines
’Office public d’habitation’ vor.65 Allerdings fehlten zu diesem Zeitpunkt noch alle
gesetzlichen Voraussetzungen, um in den Städten des ehemaligen Reichslands die in
Frankreich durch die Gesetze von 1894 und 1906 definierten und erforderlichen
Organisationsformen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus einzuführen. Die
Übertragung der innerfranzösischen Gesetzgebung auf diesem Sektor machte vor
allem deshalb intensive Beratungen erforderlich, weil es zuvor in Elsaß-Lothringen
keine landesgesetzlichen Regelungen für eine staatliche Wohnungsbauförderung
gegeben hatte, so daß hier eine kontinuierliche Entwicklung nicht möglich war. Auf
eine Anfrage aus Straßburg, ob man in Saargemünd besondere Wünsche in Bezug auf
die gesetzliche Regelung habe, befürwortete der Leiter des städtischen Bauamts
folgende Aufgabenteilung: Die Gemeinde sei für die Bereitstellung der Grundstücke,
der Staat für die Finanzierung der Sozialwohnungen zuständig. Von privaten In-
vestoren wie auch von gemeinützigen Bauvereinen seien hingegen keine Impulse zu
erwarten, "parce que les frais actuels de construction ne sont nullement en rapport
avec les loyers payés"66.
Daß diese Einschätzung richtig war, mußten die Behörden des Generalkommissariats
in Straßburg in der Folgezeit erfahren. Da in der Organisationsstruktur des staatlich
geförderten sozialen Wohnungsbaus in Frankreich die gemeinnützigen Genossenschaf-
ten als Bauträger eine zentrale Rolle spielten, versuchten die Straßburger Behörden
nach 1920, sich auch im ehemaligen Reichsland bei der Einführung der nationalen
Gesetzgebung auf die bestehenden Vereine und Genossenschaften zu stützen. Eine
Anfrage des Präfekten an den Gemeinnützigen Bauverein in Saargemünd, ob der
Verein daran interessiert sei, nach dem Modell der französischen ’Sociétés coopérati-
ves d’habitations à bon marché’ eine zentrale Funktion bei dem Aufbau der Ver-
waltungs- und Entscheidungsstrukturen im Bereich der staatlichen Wohnbauförderung
63 Protokoll der Gemeinderatssitzung der Stadt Straßburg v. 2. Aug. 1920, S. 1369.
64 Die Baugenehmigungen verteilten sich wie folgt: 1919 69, 1920 83, 1921 83, 1922 102, 1923
125,1924 96, s. AMS, Rapport sexennal. Allerdings bemerkte der Leiter des Bauamts zu den
Baugenehmigungen im Jahr 1923, daß "der Wohnungsbau immer noch sehr weit zurücksteht",
s. Verwaltungsbericht des Bürgermeisters für 1923.
65 Schreiben des Unterpräfekten an den Bürgermeister v. 21. März 1929, s. AMS, Q IV/28.
66 Schreiben des Commissaire Général de la République an den Bürgermeister v. 13. Aug.
1920; Antwort des Leiters des städtischen Bauamts v. 14. Dez. 1920, s. ebd.
254
zu übernehmen, blieb zunächst unbeantwortet.67 Erst nach einer Intervention des
Bürgermeisters erklärte der Vorsitzende des Vereins, daß der Verein aus Rentabili-
tätserwägungen nicht in der Lage sei, seine Bautätigkeit wieder aufzunehmen.68 Als
der Unterpräfekt dann den Verein darauf hinwies, daß die französische Gesetzgebung
den Baugenossenschaften zahlreiche Vergünstigungen wie z.B. die Befreiung von
Grundsteuern und Verwaltungsgebühren zugestehe, war der Verein bereit, seine
Satzung den Erfordernissen des französischen Genossenschaftsrechts anzupassen.69
Allerdings reichten auch diese Vergünstigungen nicht aus, um den Verein zu einer
Bautätigkeit zu veranlassen. In den folgenden Jahren beschränkte er sich auf die Ver-
waltung seines vermieteten Immobilienbesitzes, der vor 1910 erbaut worden war.
Dabei wurde er bis in die 30er Jahre von einer weitgehend konstanten Mitglieder-
schaft (40-46 Personen) getragen, und er erwirtschaftete regelmäßig Gewinne, die
jedoch satzungsgemäß begrenzt waren. Zu Investitionen jedoch war der Verein, der
ab 1929 die Bezeichnung ’Société Coopérative des logements populaires’ führte,
wegen der weiterhin eher ungünstigen Baukonjunktur nicht zu bewegen.
Da so die einzige genossenschaftliche Einrichtung zur Förderung des sozialen Woh-
nungsbaus der lokalen Bautätigkeit in der Zwischenkriegszeit keinerlei Impulse
verlieh, blieben als einzige nichtstaatliche Investoren in diesem Bereich die Arbeit-
geber, die für ihre Belegschaftsmitglieder Werkswohnungen bereitstellten. Zu einer
Entlastung des Wohnungsmarkts führte hier das Wirken der 1921 geschaffenen
Stiftung "Claire Oster", die für die Arbeiter in der Porzellanfabrik Saargemünd in
privater Regie bis 1932 immerhin 47 Häuser mit 124 Mietwohnungen errichtete.70
Diese eher bescheidenen Beiträge von privater und genossenschaftlicher Seite zur
Wohnungsbauförderung zeigten, welch entscheidende Bedeutung für die Bauwirtschaft
die Initiativen hatten, die von der Stadtverwaltung aufgrund gesetzlicher Maßnahmen
getragen wurden. In den Städten des ehemaligen Reichslands war am 12. März 1921
die französische Gesetzgebung über den sozialen Wohnungsbau eingeführt worden.
Wie bereits dargestellt, stützten sich die Aufsichtsbehörden beim Aufbau der Verwal-
tungsstrukturen zunächst auf die bestehenden genossenschaftlichen Vereine, was sich -
zumindest für die Stadt Saargemünd - als Sackgasse erwies, da sich der lokale Verein
überhaupt nicht in das nationale Räderwerk des sozialen Wohnungsbaus einfügen
ließ. So waren die staatlichen Aufsichtsbehörden schließlich ganz auf die städtische
67 Schreiben des Präfekten an den Vorsitzenden des Bauvereins v. 6. März 1922, s. AMS, F/2-
431.
68 Ebd., Bericht des Bürgermeisters an den Unterpräfekten v. 23. März 1922 über ein Ge-
spräch mit dem Vorsitzenden des Vereins: "Hauersperger ne voyait nullement la possibüité de
reprendre son activité d’avant-guerre, car le rendement des bâtisses n’était aucunement en
proportion avec les frais de construction."
69 Ebd., Schreiben des Unterpräfekten an den Bürgermeister v. 1. April 1922. Am 28. Juni
1922 erging die Verfügung, daß der gemeinnützige Verein nach der Satzungsänderung "in den
Genuß der von der französischen Gesetzgebung über die Volkswohnungen gebotenen
Vorteile treten könne".
70 AMS, doss. Fondation Claire Oster.
255
Verwaltung angewiesen, die einerseits leichter für staatliche Aufgaben instrumentali-
sierbar war, andererseits aber auch selbst ein großes Interesse an einer effizienten
Förderung der Bautätigkeit hatte.
Im September 1922 startete der Bürgermeister von Saargemünd eine große Offensive
zum Bau neuer Sozialwohnungen. In einem Artikel, der in mehreren Zeitungen
abgedruckt wurde, erläuterte er die Ursachen der Mißstände und entwickelte dann
ein Lösungskonzept zur Beseitigung der lokalen Wohnungsnot.71 Er plädierte für
den Bau zahlreicher preiswerter Häuser, die in Gestaltung und Lage jedoch den
individuellen Wünschen der Bauherren Rechnung tragen sollten. Um die für den Bau
erforderlichen Darlehen aus Staatsmitteln zu erhalten, werde die Stadt gemäß der
französischen Vorschriften ein ’Office d’Habitation à bon marché’ gründen und
geeignetes Baugelände zu günstigen Bedingungen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig
forderte er mögliche Interessenten auf, sich bei der Stadtverwaltung zu melden.
Bald zeigte sich, daß der Bürgermeister damit vorschnell hohe Erwartungen geweckt
hatte, was die mehr als 70 Bauwilligen jedoch erst in den folgenden Jahren erkannten.
Die mangelnde Vertrautheit mit den französischen Genehmigungsvorschriften sowie
die Überschätzung der eigenen kommunalen Kompetenzen im Gefüge einer kom-
plexen Administration führten zu mehreren Pannen, die vor allem für die Bauwilligen
ärgerliche Folgen hatten. Zunächst wurde die im Oktober 1922 vom Gemeinderat
vollzogene Gründung des ’Office de l’habitation à bon marché’ vom Präfekten wegen
eines Formfehlers nicht anerkannt.72
Mit dem Gesetz vom 5. Dezember 1922 veränderten sich dann die formalen Be-
stimmungen für den sozialen Wohnungsbau, so daß der Gemeinderat noch im glei-
chen Monat die Gründung einer ’Société anonyme de Crédit Immobilier de la Ville
de Sarreguemines’ beschloß, die ebenfalls die Aufgabe hatte, Kredite an Bauwillige im
Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zu vermitteln.73 Nach der Gründung dieser
Kreditgesellschaft im März 1923, an der auch Vertreter des Hausbesitzer- und
Mietervereins sowie der Vorsitzende des gemeinnützigen Bauvereins beteiligt waren,
entwickelte die Stadtverwaltung einen großen Elan, um die Bauwilligen auf ihr
Bauvorhaben vorzubereiten. In einer kommunalen Bauberatungsstelle für den Bau
billiger Wohnungen konnten die angehenden Bauherren einzelne Projekte bespre-
71 Das Wohnungs-Problem in der Stadt Sarreguemines. Ein Versuch zu seiner Lösung von H.
Nomine, Maire de Sarreguemines, in: Le Courrier de la Sarre v. 27. 9. 1922 und andere
Zeitungen.
72 AMS, F/2-120, Aktennotiz Baudarlehen v. 29. März 1926. Möglicherweise wurde die
Entscheidung des Präfekten auch durch eine Eingabe des Hausbesitzervereins beeinflußt. In
seinem Brief an den Präfekten v. 23. Okt. 1922 hatte der Hausbesitzerverein den Präfekten
aufgefordert, den Gemeinderatsbeschluß rückgängig zu machen. Der Beschluß des Gemeinde-
rats, den sozialen Wohnungsbau finanziell zu fördern, führe zu einer einseitigen Begünstigung
einer Kategorie von Steuerzahlern, s. AMS, F/2-105.
73 AMS, F/2-120, Gemeinderatsbeschluß v. 29. Dez. 1922. Die Baukosten durften eine be-
stimmte Höhe nicht überschreiten, das erforderliche Eigenkapital betrug 20%, das Darlehen
mußte durch eine Lebensversicherung gedeckt sein. Der Zinssatz sollte 3,5% betragen, die
Tilgungsdauer 40 Jahre.
256
chen, und in Versammlungen aller Bauinteressenten wurden Modelle und Pläne aus-
gestellt.74 Dabei zeigte sich auch bald, daß die aus anderen Teilen Frankreichs
angeforderten Angebote normierter Bautypen für den sozialen Wohnungsbau nicht
den Bautraditionen und dem Ausbaustandard entsprachen, die bisher in Saargemünd
üblich waren und auf die man nicht verzichten wollte.75
In der Erwartung einer abgesicherten Finanzierung begannen 1924 etliche Bauherren
ihr Bauvorhaben, ohne zu ahnen, daß der von der Stadtverwaltung gegründeten und
getragenen Kreditgesellschaft ein Jahr später die ministerielle Genehmigung versagt
wurde. Die Stadt, so wurde argumentiert, verfüge über eine zu hohe Kapitalbeteili-
gung, und außerdem müßten die Vorstandsmitglieder Anteile von 500 Francs zeich-
nen, nicht aber wie bisher nur von 100 Francs. Diese wiederum mit formalen Mängeln
begründete Ablehnung nahmen die Vorstandsmitglieder zum Anlaß, ihre Mitarbeit in
der Gesellschaft aufzukündigen,76 und so wurde die Kreditgesellschaft im Einver-
nehmen mit dem Gemeinderat im April 1926 aufgelöst. Statt mit Hilfe der erwarteten
staatlichen Gelder mußte der Gemeinderat nun die Darlehensanträge von 12 Bauwil-
ligen aus eigenen Mitteln bedienen. Um die im Vertrauen auf staatliche Zuschüsse
bereits begonnenen Bauvorhaben nicht zu gefährden, stellte die Gemeinde dabei ein
Kreditvolumen von 402.000 Francs zu einem Zinssatz von 3,5% zur Verfügung.77
Der größte Mangel der französischen Gesetzgebung zum sozialen Wohnungsbau lag
nach Auffassung der Stadtverwaltung von Saargemünd aber nicht in dem Formalismus
mancher Genehmigungsklauseln, sondern in den viel zu niedrig bemessenen Höchst-
grenzen für die Baukosten, die z.B. 1926 eine Summe von 32.750 Francs nicht über-
schreiten durften. Jahrelang bemühte sich der Bürgermeister um die Genehmigung,
diese Vorschrift zu lockern, wobei er darauf hinwies, daß die in seiner Stadt übliche
solide Bauweise eine Einhaltung dieser Höchstgrenzen in keinem Fall ermögliche.78
Dennoch waren diese Bemühungen erfolglos, und so konnten erst 1930 in Saarge-
74 AMS, F/2-437 sowie AMS, F/2-440. Die Bauberatungsstelle entwickelte selbst Haus-
Normaltypen. An der Informationsveranstaltung am 16. Okt. 1923 nahmen 150 Baulustige teil.
75 Vgl. das Gutachten des Leiters des Bauamts der Stadt Saargemünd über ein Angebot der
’Compagnie de Construction générale et de travaux publics’ v. 20. Juni 1923, s. AMS, F/2-438:
"Das Wort ’billige Wohnungen’ ist hier, rund herausgesagt, mißbraucht. Es wird wohl kaum in
der breiten Öffentlichkeit der Gedanke bestehen, zur Behebung der Wohnungsnot Bauten zu
erstellen, welche hinter der hier üblichen soliden Bauweise zurückstehen."
76 AMS, F/2-105. Vorlage ’Baudarlehen’ an den Gemeinderat v. 29. März 1926.
77 AMS, Rapport sexennal 1919-1925.
78 Vgl. z.B. den Brief des Bürgermeisters an den Unterpräfekten v. 22. Aug. 1928 (AMS, F/2-
433): "Si la législation sur les H.B.M. doit donner, dans notre région, les résultats que l’on
serait en droit d’en attendre, il faut qu’elle soit préalablement adoptée à la situation économi-
que de cette région et que, partant, les maxima légaux soient ou supprimés ou au moins
sensiblement augmentés."
Als Nominé 1928 nach seiner Wahl zum Abgeordneten auch Mitglied einer Kommission
wurde, die mit der Ausarbeitung von Ausführungsbestimmungen zum Gesetz v. 13. Juli 1928
(’Loi Loucheur’) betraut war, entwickelte sich eine Korrespondenz zu dieser Frage zwischen
dem Minister und dem Bürgermeister, s. AMS, F/2-432.
257
münd Häuser mit Unterstützung staatlicher Mittel errichtet werden.79 Der staatlich
geförderte Wohnungsbau, so ist festzustellen, wurde erst mit erheblicher Verzögerung
zu einem effektiven Instrument zur Stärkung der kommunalen Bautätigkeit.80
So beschränkte sich die öffentliche Förderung trotz großer Pläne und Programme auf
wenige und eher bescheidene kommunale Maßnahmen. Neben den bereits genannten
Darlehen stellte die Stadt zur Förderung des Wohnungsbaus fast ihre ganzen eigenen
Baulandreserven zur Verfügung. In einigen Fällen verkaufte sie dabei Bauland zum
Preis von 3 bis 6 Francs, das sie selbst für 10 bis 12 Francs angekauft hatte, so daß
auch hier ein Fördervolumen von ca. 500.000 Francs zu verzeichnen war.81
Schließlich erfolgten noch zwei Revisionen der lokalen Bauordnung mit dem ex-
pliziten Ziel, den Bau billiger Wohnungen zu erleichtern. So wurden 1923 die erfor-
derlichen Mauerstärken für den Kleinwohnungsbau reduziert sowie die zulässigen
Materialbelastungszahlen verändert. In ähnlicher Absicht genehmigte der Gemeinde-
rat ab 1924 eine Herabsetzung der minimalen Geschoßhöhen auf 2,80 m.82
Die kommunale Wohnungspolitik als Problemfeld der Integration in den französi-
schen Staatsverband
Die hier geschilderten kommunalen Aktivitäten zur Bekämpfung der Wohnungskrise
waren verbunden mit einer mühevollen Suche nach tragfähigen Konzepten, die trotz
oder gerade wegen des großen Engagements der Stadtverwaltung auf einen Weg
voller Hindernisse und Probleme führte und mehrfach auch in einer Sackgasse
endete.
Diese Schwierigkeiten hatten ihre Ursache jedoch nicht in der Unvereinbarkeit unter-
schiedlicher nationaler Handlungsstrategien, die nach dem Ersten Weltkrieg in den
Städten des ehemaligen Reichslandes hätten aufeinandertreffen können. Infolge der
wohnungspolitischen Abstinenz des Landesregierung im Reichsland war es hier bis
1914 noch nicht zur Ausbildung eines Instrumentariums zur Förderung des sozialen
Wohnungsbaus gekommen. So konnte nach 1920 die französische Gesetzgebung ohne
Kollisionsgefahr eingeführt werden, und nach einer kurzen Übergangszeit war ab 1922
79 Als durch das Gesetz v. 13. Juli 1928 (’Loi Loucheur’) die Förderbestimmungen verändert
wurden, gab es infolge der aufgestauten Nachfrage ein großes Interesse. 1930 wurden in
Saargemünd 32 Neubauten mit staatlichen Mitteln gefördert, die nun durch die ’Société
départementale de Crédit Immobüier de la Moselle’ bereitgestellt wurden, s. AMS, F/2-439.
80 Auch in den übrigen Städten Frankreichs war die staatliche Wohnungsbauförderung zwi-
schen 1922 und 1928 eher unbedeutend. Zu den Ursachen für diesen Widerspruch zwischen
den programmatischen Zielsetzungen der nationalen Gesetzgebung und einer enttäuschenden
Praxis s. Jean-Paul Flamand, Loger le peuple. Essai sur l’histoire du logement social, Paris
1989, S. 185f.
81 Brief des Bürgermeisters an den Bürgermeister von Thionville v. 20. Nov. 1928, s. AMS,
F/2-437.
82 Abänderung der Art. 27. u. 37 der Bauordnung v. 1. Mai 1923. Als Vorbild für diese
Revision diente die Straßburger Bauordnung v. 1910. Änderung der Bauordnung v. 6. Febr.
1924 s. Wittenbrock (Anm. 3), S. 289.
258
die Assimilation der staatlichen Bauförderungsbestimmungen in den Städten Elsaß-
Lothringens an die im übrigen Frankreich geltenden Rechtsvorschriften abgeschlossen.
Daß sich in den folgenden Jahren die Maßnahmen zur Förderung des sozialen
Wohnungsbaus als weitgehend wirkungslos erwiesen, hatte weniger lokale als natio-
nale Ursachen, kann also nicht auf die spezifischen Rechtstraditionen im ehemaligen
Reichsland zurückgeführt werden.
Während also im Bereich der Wohnungsbauförderung von einem Nebeneineinder
deutscher und französischer Normen und Handlungsstrategien nicht gesprochen
werden kann, gab es im Bereich der Wohnungsbestandspolitik deutliche Kontinui-
tätslinien, wobei die während des Krieges unter deutscher Regie eingeführten Bewirt-
schaftungsmaßnahmen nach 1918 z.T. fortgeschrieben wurden. Nach einer Übergangs-
zeit wurde aber auch hier die französische Gesetzgebung verbindlich, wobei die
Assimilation sich ohne Probleme vollzog, da das Repertoire der Interventionsmaßnah-
men zum Schutz der Mieter in Deutschland und Frankreich weitgehend identisch war.
Daß es trotz aller personeller Brüche bemerkenswerte organisatorische Kontinuitäten
gab, konnte am Beispiel des Mieteinigungsamts verdeutlicht werden. Durch die
Reaktivierung dieses Gremiums deutscher Provenienz versuchte man, die städtische
Wohnungsnot zu bekämpfen, wobei sich die Rechtsgrundlage der dieser Instanz zur
Verfügung stehenden Vorschriften zunehmend zugunsten der französischen Normen-
systeme verschob.
Wenn die vor 1918 praktizierten Maßnahmen und Strategien ohne größere Probleme
nach der Rückkehr zu Frankreich in ein anderes nationales Rechtssystem überführbar
waren, konnte die Ursache für die mangelnde Effizienz der staatlichen Wohnungs-
politik nicht in den spezifischen Traditionen der ehemals zum Deutschen Reich ge-
hörigen Städte gesucht werden. Schon zeitgenössische Beobachter machten dafür
institutionelle Hindernisse in der französischen Administration verantwortlich. So war
der Saargemünder Bürgermeister davon überzeugt, daß nur "eine radikale Rettung
aus dem Formalismus sterilen Bürokratentums"83 die Wirksamkeit staatlicher Inter-
vention erhöhen könne, und er forderte immer wieder die Vereinfachung der kom-
plexen und langen Genehmigungsverfahren durch eine Ausdehnung der Kompetenzen
der lokalen Behörden.84 Nach seiner Auffassung hatte der engstirnige Bürokratismus
in diesem Bereich verheerende Auswirkungen für die gesamte nationale Entwicklung:
"Si elle [la ’loi Ribot’ de 1906, der Verf.] avait été quelque peu remaniée ou même
seulement appliquée d’une manière généreuse et intelligente, elle aurait été suffisante
pour conjurer en France la crise du logement et pour faire de la France un des pays
d’Europe les plus sains et les plus confortables, comme le sont aujourd’hui l’Angleter-
re, l’Allemagne etc."85
83 AMS, Rapport sexennal 1919-1925, S. 25.
84 Vgl. z.B. sein Schreiben v. 5. Sept. 1928 an den französischen Fachminister Loucheur, s.
AMS, F/2-432.
85 ’Le problème de l’Habitation à bon marché’, interner Bericht v. 28. Nov. 1929, s. AMS, F/2-
433.
259
Mit dieser Kritik an der französischen Verwaltungshierarchie hatte der Bürgermeister
einen neuralgischen Punkt angesprochen, der schon vorher von seinem Straßburger
Amtskollegen als das wichtigste strukturelle Problem für die Integration der Kom-
munen in das französische Verwaltungssystem angesprochen worden war. Bis 1918
hatten die Städte im Reichsland im Rahmen der Gemeindeordnung von 1895 über ein
- im Vergleich zu französischen Gemeinden - recht hohes Maß an Selbstverwaltung
verfügt, das sie in der Folgezeit zu verteidigen suchten. Bereits 1920 forderte Peirotes
in seinen Gesprächen mit den französischen Aufsichtsbehörden eine Ausweitung der
Mitwirkungsrechte der Gemeinden im Bereich des sozialen Wohnungsbaus.86 Diese
Position baute Peirotes noch aus, indem er 1923 eine Gesetzesrevision anregte, "qui
faisait des communes le pivot de l’action entreprise pour combattre la crise du loge-
ment."87 Ein Jahr später geißelte er erneut das bestehende System zur Förderung
des sozialen Wohnungsbaus, das sich durch ein großes Mißtrauen gegenüber den
Gemeinden auszeichne und in seiner zentralistischen Struktur eine bürgernahe und
bedarfsgerechte Wohnungsbauförderung verhindere.88 Diese massive Kritik verdeut-
lichte, daß unterschiedliche Auffassungen über die wünschenswerten bzw. zulässigen
Handlungskompetenzen der Gemeinden zur Bildung eines Konfliktpotentials im Ver-
hältnis zwischen den Gemeinden und den französischen Aufsichtsbehörden geführt
hatten, das sich symptomatisch u.a. auch auf den Bereich der kommunalen Woh-
nungspolitik auswirkte. So ergibt sich der Befund, daß einerseits die deutsche Rechts-
und Verwaltungstradition durch ihr Handeln und gesetzgebendes Wirken nicht zu
einer partikularen Entwicklung der staatlichen Wohnungsbaupolitik in den Städten
des ehemaligen Reichslands beigetragen hat. Andererseits aber ist nicht zu verkennen,
daß die in der Reichslandära gestifteten ausgeprägten Selbstverwaltungskompetenzen
und das damit verbundene divergierende Selbstverständnis der Stadtverwaltungen eine
konfliktlose Integration in das französische Verwaltungssystem erschwerten, was zu
Mißverständnissen und Reibungsverlusten auch im Bereich der öffentlichen Woh-
nungsbauförderung führte.
Schließlich ist noch zu fragen, ob und in welcher Weise die deutsche Wohnungs-
baupolitik in der Zeit der Weimarer Republik in der französischen Grenzstadt zur
Kenntnis genommen wurde und ob Saargemünd hier möglicherweise eine Vermitt-
lungsfunktion zwischen zwei unterschiedlichen nationalstaatlichen Systemen über-
86 Office municipal des logements de Strasbourg. Rapport complémentaire sur les mesures
prises par la vüle de Strasbourg contre la crise du logement et la situation actuelle du marché
des logements, Jan. 1921, S. 3.
87 Rede v. J. Peirotes auf dem 15. Kongreß der Association des Maires de France, Hôtel de
Ville de Paris, 16.-17. Dez. 1924, s. AMS, F/2-437.
88 Ebd. Zu einem ähnlichen Urteil kam 60 Jahre später Claude Schnaidt, Les relations diffi-
ciles des architectes, in: Jean-Marie Valentin, Jacques Bariéty u.a. (Hrsg.), La France et
l'Allemagne entre les deux guerres mondiales. Actes du colloque tenu en Sorbonne (Paris IV),
PU Nancy 1987, S. 215: "La marginalité des opérations à l'initiative des offices de logement
social et des municipalités tient à la politique étatique qui multiplie les contrôles de l’usage
des subventions, qui freine délibérément l’ambition des communes de maîtriser l’aménagement
et la gestion de leur environnement."
260
nahm. Während im Straßburger Gemeinderat z.B. der Gesetzentwurf der deutschen
Regierung zur sog. Hauszinssteuer 1920 sehr aufmerksam und wohlwollend kom-
mentiert wurde,89 gab es seitens der Saargemünder Gemeindevertretung keine
vergleichbaren Äußerungen zur Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus in Deutsch-
land. In den Akten der Stadtverwaltung fanden sich kaum Hinweise dafür, daß die
Entwicklung der Wohnungsbaugesetzgebung in Deutschland genau zur Kenntnis
genommen wurde. Erst 1925 stellte ein in seiner Tendenz isolierter Zeitungsartikel
ausführlich die wichtigsten Neuerungen zur Förderung des Bauwesens in Deutschland
vor. Die eingeführten Maßnahmen wurden darin als "bahnbrechend" bezeichnet, und
der Verfasser forderte dazu auf, "vor ausländischen Erfolgen auf diesem Gebiet,
woher sie auch kommen mögen, [...] nicht die Augen zu verschließen."90
Gerade die hier gewählten Formulierungen zeigen, daß die Bereitschaft, die Erfah-
rungen und Konzepte anderer Länder als Modell für die zukünftige Gestaltung der
eigenen Arbeit zu akzeptieren, wenig verbreitet war. Das galt in besonderem Maße
für Deutschland, obwohl oder vermutlich gerade weil die städtebauliche Entwicklung
der Stadt Saargemünd maßgeblich von deutschen Einflüssen geprägt worden war.
Unter den seit 1918 radikal veränderten Rahmenbedingungen galt nun das Prinzip
einer strikten Abgrenzung. Um mögliche Mißverständnisse über die nationalpoliti-
schen Präferenzen auszuschließen, verzichteten wohl auch politische Funktionsinhaber
auf eine intensivere Beschäftigung mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Woh-
nungsnot jenseits der Grenze. So war vor allem der nationale Antagonismus zwischen
Deutschland und Frankreich in der Zwischenkriegszeit dafür verantwortlich, daß die
Grenzstadt zu keinem Zeitpunkt eine Kontakt- oder Brückenfunktion für den Aus-
tausch unterschiedlicher nationaler Strategien zur Förderung des sozialen Wohnungs-
baus erhielt.
89 Protokoll der Gemeinderatssitzung der Stadt Straßburg v. 2. Aug. 1920, S. 1373. Nach einer
detaillierten Erörterung des Gesetzes wurde festgestellt: "Es wird sich empfehlen, für Frank-
reich den Erlaß eines ähnlichen Gesetzes anzuregen."
90 Saargemünder Freies Journal v. 25. Okt. 1925.
261
щ
. 262
Ute Schneider
Armenfürsorge in Alt-Saarbrücken, St. Johann und
Malstatt-Burbach (1880-1909)
Die Entstehung der modernen Industriegesellschaft war an den Lebensraum Stadt
gebunden. Die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Industrialisierung im 19.
Jahrhundert mit sich brachte, fanden ihren stärksten Niederschlag in den Städten. Sie
waren gezwungen als "moderne Interventionsstädte" selbst aktiv zu werden, d.h. ein
umfassendes System "öffentlicher Daseinsvorsorge" aufzubauen. Dazu gehörten, neben
dem Ausbau der städtischen Infrastruktur mit den Versorgungssystemen Gas, Wasser,
Abwasser und Elektrizität, Maßnahmen auf städtebaulichem Gebiet und die Förde-
rung der kommunalen Sozialpolitik in den Bereichen Armenfürsorge und Kranken-
hauswesen.1
Ziel der vorliegenden Arbeit ist, zum einen zu untersuchen, wie die Städte Alt-Saar-
brücken, St. Johann und Malstatt-Burbach im Bereich der Armenfürsorge auf die
Herausforderungen ihrer Zeit reagierten, wie sie die kommunale Armenfürsorge
organisierten, und welche Maßnahmen sie gegen Armut und Verelendung ergriffen.
Da die drei Städte Alt-Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach, die 1909 zur
Großstadt Saarbrücken vereinigt wurden, fast gleichzeitig seit der Mitte des 19.
Jahrhunderts einen demographischen Aufschwung erlebten, bietet sich zum anderen
die interessante Möglichkeit, kommunale Armenfürsorge in drei verschiedenen
Stadttypen zu untersuchen und miteinander zu vergleichen: Alt-Saarbrücken war
Verwaltungsmetropole, Wohn- und Villenstadt, St. Johann Handels- und Einkaufs-
stadt und Malstatt-Burbach Industriestadt mit einseitiger Sozialstruktur, in der die
Arbeiterschaft überrepräsentiert war.2 Der Nutzen einer komparativen Studie am
Beispiel der Saarstädte liegt darin, daß festgestellt werden kann, inwiefern Unter-
schiede oder Übereinstimmungen vorhanden waren und wie die Städte auf etwa
gleichartige Herausforderungen reagierten.
1 Dieter Schott u. Hanni Skroblies, Die ursprüngliche Vernetzung. Die Industrialisierung der
Städte durch Infrastrukturtechnologien und ihre Auswirkungen auf Stadtentwicklung und
Städtebau. Eine Forschungsskizze, in: Die alte Stadt, 1(1987), S. 79-98. Wolfgang R. Krabbe,
Kommunalpolitik und Industrialisierung. Die Entfaltung der städtischen Leistungsverwaltung
im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Fallstudien zu Dortmund und Münster, Stuttgart u.a. 1985,
S. 14-17 u. 309-317.
2 Hanns Klein, Saarbrücken - Territoriales und wirtschaftliches Zentrum der Saar, in: Blätter
für deutsche Landesgeschichte 111(1975), S.153f. Klaus Fehn, Saarbrücken - Großstadtbüdung
im grenznahen Bergbau- und Industriegebiet, in: Stadt und Stadtraum, Hannover 1974, S.
109-111. Um Verwechslungen mit der späteren Großstadt Saarbrücken auszuschließen, wurde
für die links der Saar gelegene Stadt Saarbrücken durchgängig die Bezeichnung Alt-Saar-
brücken gewählt.
263
Im Bereich der Armenfürsorge blieben außerdem die spezifischen Probleme einer
Grenzregion erhalten, da Bayern (bis 1910) und Elsaß-Lothringen (bis 1916) nicht
zum Geltungsbereich des Unterstützungswohnsitzgesetzes gehörten und armenrecht-
lich somit als Ausland galten.3 Die besondere Belastung der Saarstädte durch aus
Elsaß-Lothringen ausgewiesene Personen und eine sozialstatistische Analyse der
städtischen Armenbevölkerung schließen die Untersuchung ab.
Bei der Bearbeitung des Themas mußte von den Beständen des Stadtarchivs Saar-
brücken ausgegangen werden. Dabei ergaben sich folgende Probleme:
Der überlieferte Aktenbestand war sehr lückenhaft, einschlägige Akten fehlten oft. So
fehlt z. B. das Schriftgut zur Entstehung der St. Johanner Armenordnung. Die städti-
schen Initiativen sind heute nur noch faßbar, wenn sie in den Akten überliefert sind.
Daß Alt-Saarbrücken und Malstatt-Burbach z.B. bei der Verteilung von Frühkost für
arme Schulkinder nicht erwähnt werden, heißt nicht, daß es derartiges dort nicht gab.
Es ist nur nichts darüber überliefert. So muß offen bleiben, inwieweit bestimmte
Aktivitäten tatsächlich fehlten oder scheinbares Fehlen durch die ungünstige ar-
chivalische Überlieferung bedingt ist. Die uneinheitliche Registraturführung und
Archivierung in den drei ehemals selbständigen Städten brachte ebenfalls Schwierig-
keiten mit sich. Für einige Bereiche, wie z.B. die Organisation der Armenfürsorge in
Malstatt-Burbach, fanden sich nur knappe Hinweise an anderer Stelle. Auch differier-
te die historische Aussagekraft der Akten der drei Städte erheblich. Diese Probleme
müssen bei einem Vergleich der Armenfürsorge in den drei Saarstädten berücksichtigt
werden.
Die Organisation der Armenfürsorge
Richtungweisend für die Organisation der kommunalen Armenfürsorge im zweiten
deutschen Kaiserreich im Sinne einer rationell organisierten, offenen Armenfürsorge
war das sog. Elberfelder System, das erstmals 1853 in der Industriestadt Elberfeld
eingeführt wurde. Seine wichtigsten Prinzipien waren Ehrenamtlichkeit (Bestellung
von Pflegern), Individualisierung (nur eine geringe Anzahl von Pfleglingen), Dezen-
tralisierung (Quartiersystem) und das Vermeiden von Dauerleistungen.4 St. Johann
und Alt-Saarbrücken führten zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit einigen
Modifikationen dieses System ebenfalls ein.
Die kommunale Armenfürsorge in St. Johann wurde ein Jahr nach Amtsantritt von
Bürgermeister Neff neu gestaltet.5 Die Armenordnung vom 22. März 1889 sah die
3 Christoph Sachße u. Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Vom
Spätmittelalter bis zum 1. Weltkrieg, Stuttgart u.a. 1980, S. 204. Wilhelm Böhmert, Armenwe-
sen und Wohlfahrtspflege, in: Die deutschen Städte, hrsg. v. R. Wuttke, 2 Bde. Leipzig 1904,
S. 65 lf.
4 Sachße u. Tennstedt (Anm. 3), S. 214-216.
5 Albert Ruppersberg, Geschichte der Stadt Saarbrücken, Bd. 2: Geschichte der Städte
Saarbrücken und St. Johann von 1815 bis 1909, der Stadt Malstatt-Burbach und der ver-
einigten Stadt Saarbrücken bis zum Jahre 1914, Nachdruck 21914, St. Ingbert 1979, S. 542.
264
Bildung eines Armenausschusses vor, dessen Zuständigkeit sich über die gesamte
offene und geschlossene Armenpflege erstreckte. Zu seiner Unterstützung wurden 21
Armenpfleger bestellt, die, nach der Aufteilung der Stadt in ebensoviele Armen-
pflegebezirke, jeweils zehn arme Familien oder Personen zu betreuen hatten6 und
deren Aufgabe es war, sich durch Hausbesuche "Kenntniß von den Verhältnissen des
Bittstellers"7 zu verschaffen. Die Familien- und Vermögensverhältnisse der Armen
wurden in einem Fragebogen festgehalten und das Gesuch um Unterstützung in der
nächsten Sitzung des Armenausschusses vorgebracht. Die Funktion des Armenpflegers
war eine erzieherische und kontrollierende (Abb. 1). Die regelmäßige Unterstützung
der Armen in St. Johann erfolgte durch Geld. Sie wurde 14tägig im voraus bezahlt
und bis auf weiteres bewilligt. Nur in Ausnahmefällen erfolgte eine Unterstützung mit
Lebensmitteln oder Brennmaterial.8 (Abb. 2)
Wesentliche Modifikationen in der St. Johanner Armenordnung gegenüber dem
Elberfelder System waren: Das Prinzip der Ehrenamtüchkeit wurde erstens nicht
konsequent durchgeführt, denn die Gemeinde stellte besoldete Armenschwestern
(Speyerer Diakonissen) ein, die die eigentlichen Pflegeaufgaben und fürsorgerischen
Tätigkeiten übernahmen.9 Zweitens wurde die geforderte Mindestzahl von zu ver-
sorgenden Armen nicht eingehalten, denn bei einer strengen Durchführung des
"Elberfelder Systems" sollte jeder Pfleger nur zwei bis vier Arme versorgen. Dieser
Punkt wurde von vielen Städten abgeändert, weil sich die Zahl der Pfleger sonst
beträchtlich erhöht hätte. Drittens wurde in St. Johann, wie in einigen anderen
Städten übrigens auch, die Entscheidungsbefugnis über die zu erteilenden Unter-
stützungen den Pflegern abgenommen. Es hätte eine dritte Verwaltungsebene,
nämlich die der ebenfalls ehrenamtlich tätigen Bezirksvorsteher, eingeführt werden
müssen, in deren Kompetenz die Entscheidungsbefugnis gelegen hätte.10 So blieb die
Kontrolle über die zu verteilenden Haushaltsmittel in der öffentlichen Hand, nämlich
beim Bürgermeister und dem Armenausschuß, dem mehrheitlich Stadtverordnete
angehörten.
Bei der Einführung des modifizierten "Elberfelder Systems" in St. Johann standen
neben der Zielsetzung, die kommunale Armenfürsorge organisatorisch wirksamer und
6 Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand St. Johann Nr. 91, Bestimmungen zur Neueinrichtung des
Armenwesens von St. Johann a.d. Saar, St. Johann 1889, S. 5-6. Ebd. Bestand Alt-Saarbrücken
Nr. 87, p. 43-47. Künftig werden folgende Abkürzungen verwendet: Stadtarchiv Saarbrücken
= StadtA SB; Landeshauptarchiv Koblenz = LHA KO; Bestand = Best.; Alt-Saarbrücken =
AS; St. Johann = SJ; Malstatt-Burbach = MB; Saarbrücken = SB.
7 StadtA SB, Best. SJ Nr. 91, Bestimmungen zur Neueinrichtung des Armenwesens (Anm. 6),
S.7.
8 StadtA SB, Best. SJ Nr. 91, Bestimmungen zur Neueinrichtung des Armenwesens (Anm. 6),
S. 7, 15, 17 und 22f. Ebd. Best. AS Nr. 87, p. 43-47,
9 StadtA SB, Best. SJ Nr. 44. Ebd. Best. SJ Nr. 1405. Ebd. Best. AS Nr. 87, p. 43-47.
10 Christian Jasper Klumker, Fürsorgewesen. Einführung in das Verständnis der Armut und
der Armenpflege, Leipzig 1918, S. 56f. u. 59.
265
effektiver zu gestalten, finanzielle Erwägungen im Vordergrund.11 Dies zeigen die
Pro-Kopf-Ausgaben der Armenvenvaltung - sie blieben im Zeitraum von 1887 bis
1906, also in fast 20 Jahren, ungefähr konstant und lagen jährlich bei durchschnittlich
2,1 Mark pro Kopf12 - und die Tatsache, daß sich der Armenhaushalt erweitern
konnte, ohne gleichzeitig ein Ansteigen des Gesamtsozialhaushaltes zu bewirken.13
In Alt-Saarbrücken kam es erst im Jahre 1904 zu einer Neuordnung des Armenwe-
sens. Der Grund dafür war, daß es bis dahin in Alt-Saarbrücken eine außerordentlich
gut funktionierende Privatwohltätigkeit unter der Leitung des lokalen Frauenvereins
und seiner Vorsitzenden Frl. Amalie Jung gab. 30 Jahre stand sie im Dienst der
Armenfürsorge,14 in ihren Händen lag die praktische Fürsorgetätigkeit. Jung und die
unter ihrer Regie arbeitenden Gemeindeschwestern besuchten die Armen und
verteilten die Unterstützungsleistungen. Die Höhe der Unterstützung, die vom Ar-
menausschuß, dem beschlußfassenden Organ für städtische Armenangelegenheiten,
bewilligt wurde, richtete sich nach Jungs Vorschlägen. Zudem wurden alle Beschlüsse
des städtischen Armenausschusses Jung zur Kontrolle und Einsicht vorgelegt. Es muß
davon ausgegangen werden, daß der Armenausschuß sich ganz nach den Einschät-
zungen und Äußerungen Jungs richtete. Er brachte ihr Vertrauen und Anerkennung
entgegen, denn ihm selbst fehlte die Einsicht in die wirklichen Verhältnisse.
Alle Unterstützungsleistungen, mit Ausnahme der Miete, wurden in Naturalien
erbracht. Mit in der Stadt ansässigen Händlern, Krämern, Metzgern und Bäckern
hatte man ein Gutscheinsystem ausgehandelt, nach welchem die Armen ihre Unter-
stützungen erhielten. In der Regel wurden die Gutscheine bei den Krämern deponiert,
oder die Annenschwestem verteilten die Lebensmittel.15 Durch dieses Verfahren
konnten die öffentlichen Ausgaben entscheidend gemindert und der Mißbrauch
Öffentlicher Gelder verhindert werden. Im Durchschnitt sparte die Stadt durch den
Frauenverein jährlich 5-6000 Mark.16 Die Pro-Kopf-Ausgaben der Alt-Saarbrücker
Armenverwaltung lagen im Zeitraum von 1884-1893 mit einem Durchschnittswert von
1,5 Mark pro Jahr17 noch weit unter den Ausgaben St. Johanns, die im gleichen
Zeitraum durchschnittlich 2,1 Mark pro Jahr betrugen.
11 Barbara Lube, Mythos und Wirklichkeit des Elberfelder Systems, in: Gründerzeit. Versuch
einer Grenzbestimmung in Wuppertal, hrsg. von Karl-Hermann Beeck, Köln 1984, S. 183.
Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt/Main 1985, S. 67.
12 Berechnet nach StadtA SB, Best. SJ Nr. 888, Nr. 1352 u. Nr. 1355.
13 StadtA SB, Best. SJ Nr. 888, Nr. 1352 u. Nr. 1355. Ebd. Best. AS Nr. 87, p. 43-47. Stefan
Leiner, Die technische Leistungsverwaltung in der Großstadtentwicklung Saarbrückens
(1900-1909), unveröffentlichte Magisterarbeit Saarbrücken 1988, S. 55f.
14 StadtA SB, Best. AS Nr. 1750/A P- 131.
15 StadtA SB, Best. AS Nr. 87, p. 6f. u. 13. Ebd. Best. AS Nr. 1750/A p- 73f., 101 u. 133.
16 StadtA SB, Best. AS Nr. 1750/A P- 7, 13 u. 74. LHA KO, Best. 442 Nr. 3826.
17 Berechnet nach StadtA SB, Best. AS Nr. 87, p. 14.
266
Die 2(rtnettpfUgcr*
§ i.
Da# 2tmt eine# Armenpfleger# i ft ein ro i $ t i g e 8 §tiIlHUg HUlT
bürgerliches SertrauenS« unb ®t|renamt unb ftellt an BÜflfffitini Juf-
einen würbigen Dräger beSfelben boh« Aufforber* phi»ntirrIVIhep
u n g e n.
@8 netlangt bie Setf}ätigung non SRä^ftenti ehe
in ^o^ent TERa|e, um untet Aufopferung non 3***
unb TERü^e mit inoljljoollenbem bergen bie Serhält«
niffe bet Atmen iennen gu lernen, iJjre Sitten gu
hören.
ds et^eif^t aber auch ernjtenSinn für © et e<$tig*
feit unb SBa^r^eit, um burch gemiffenfjafte Unter«
fud^ung unb forgfältige Prüfung Art unb ®ia| bet
n ott))nenbigen Unterftü$ung gu finben,bamtt nicht
bie aufguroenbenbenlRittel nerf^ieubert, Unroflrbtge
etroa im ÜJlü|iggang geförbert toerben.
Die Armenpfleger fjaben, bamit bet gefefciieh sorgejeid^nete
3>ne(f ber öffentlichen Armenpflege in möglidjft noüfommenet ÜBeife
erreicht inerbe, ben Armen iijreS SegirfS beftanbig bie forgfältigfte
Aufmerffamfeit gu wibmen.
^nbefonbere ^aben fte bei ben i£|rtr Dbfjui annertrauten Armen
burd) 5Ratti unb Srmatinung baljin gu niirfen, baf DrbnungS«
finn, Arbeitfamfeit unb SBJirthidja ftlichfett in benfelben
geweift unb ihnen bie Armenunterftü^ung möglichft entbehrlich werbe.
Die drgieljung ber Ätnber unb beren Anhaltung gut Arbeit ift
hierbei befonber# im Auge gu bemalten.
Sei Abgabe iljre8 ©ulacfiienS iiaben . bie Armenpfleger ber
ftrengften Unparteilichfett fich gu beteiligen unb ohne An«
feijen ber ifJerfon biejentge ©ewijfen^aftigfeit gu betätigen, welche
bei Uebertragung be8 wichtigen SertrauenS« unb StjrenanUeä eine8
Armenpflegerä bei ihnen uorauagefe^t würbe.
Sei ihrer ©efd}äft#führung haben fte fuf) ftet8 baran gu er« jjfltmulilijt ft*
innem, baff bie Armenfachen berDeffentlichfeit gegenüber oertra.u« JjgnlliiniB ifl
liehe Sehanblung erforbern. InilEllfita
©ang befanberS fallen bie Armenpfleger gegenüber oer«
fchamten Armen, auf welche fte ebenfallä ein forgfältige# Augen«
merf gu richten h“^n> unbebingte Serfcf)tDtegenh*it be«
obachten.
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fte bie Unterftüfcung TRachfudjenben, wenn bie8 nach nadfttjtil. |0lßfH
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ber 2Öai|lrechte erleibet. (Siehe Anlage A. Seite 29.)
Abb. 1: Auszug aus den Bestimmungen zur Neueinrichtung des Armenwesens
von St. Johann a. d. Saar (vgl. S. 265, Anm. 6)
267
Erst der Tod von Amalie Jung im Mai 1903 stellte die Stadtverwaltung vor die
Notwendigkeit, die kommunale Armenfürsorge nach dem Vorbild des "Elberfelder
Systems" neu zu organisieren. Die neue Armenordnung trat am 1. April 1904 in Kraft:
Alt-Saarbrücken war in sechs Armenbezirke, diese wiederum in Unterbezirke, sog.
Pflegschaften, eingeteilt worden. Jedem Armenbezirk stand ein Armenvorsteher, jeder
Pflegschaft ein Armenpfleger vor. Die Zahl der den Armenpflegern überwiesenen
Pfleglinge war geringer gehalten als in St. Johann und sollte nicht mehr als sechs
Arme betragen. Unterstützungsleistungen waren jetzt auch in Geld möglich. Außer-
dem wurde erstmals in den drei Saarstädten eine hauptberuflich tätige und von der
Gemeinde besoldete Armenpflegerin angestellt, die die ehrenamtlichen Armenpfleger
unterstützen sollte. Ihre Aufgabe war es, die Unterstützungsgesuche der Antragsteller
im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und ihre Dring-
lichkeit zu bearbeiten. Sie war anders als die Gemeindeschwestern, die auch in der
Privatkrankenpflege tätig waren, auschließlich Armenpflegerin. Ein Zeichen, daß sich
Sozialarbeit als Beruf etablierte, den man in besonderem Maße für Frauen geeignet
hielt.18
Aufgrund der Aktenlage ist es nicht möglich, die soziale Situation in Malstatt-Burbach
eindeutig zu beurteilen. Nach den Verwaltungsberichten der Stadt sollen nur 0,5-0,6%
der Bevölkerung Armenunterstützungsempfänger gewesen sein. Eine Zahl, die im
Reichsvergleich viel zu niedrig erscheint.19 Mit Sicherheit waren die sozialen Proble-
me in der Industriestadt größer als in den Schwesterstädten. Es steht jedoch fest, daß
Malstatt-Burbach die geringsten Aktivitäten in der Armenfürsorge zeigte. Zwar gab
es kurz nach der Einführung der Städteordnung 1875 eine Armenkommission, deren
Mitglieder Entscheidungsbefugnis über die zu gewährenden Unterstützungen hat-
ten,20 es fehlte jedoch nachweislich bis 1906 eine Armenordnung, in der u.a. der
gezielte Einsatz städtischer Armenpfleger festgeschrieben war.21
Das Fürsorgewesen in Malstatt-Burbach war unorganisiert und uneinheitlich, man
kannte keine bestimmten Grundsätze für die Zuweisung Armer an die offene oder
geschlossene Pflege, Normativsätze für regelmäßige Geldunterstützungen gab es auch
nicht. Alle Unterstützungsempfänger mußten, soweit sie dazu in der Lage waren,
öffentliche Plätze und Straßen ohne Entgelt reinigen. Arbeitsscheue zeigte man an,
Bettler führte man dem Amtsrichter vor. Von der Gemeinde besoldete katholische
18 StadtA SB, Best. AS Nr. 1750/B, p. 1-4. Armenordnung für den Ortsarmenverband Saar-
brücken, S. 7 u. 4-6. Christoph Sachße, Mütterlichkeit als Beruf. Sozialarbeit, Sozialreform
und Frauenbewegung 1871-1929, Frankfurt/Main 1986, S. 103f.
19 Nach Victor Böhmert, Das Armenwesen in 77 deutschen Städten und einigen Landarmen-
verbänden. Specieller Theil. Erste Abteilung, Dresden 1887, S. 118f., lag die Zahl der Unter-
stützten auf 100 Einwohner zwischen 1,6 und 10,7%. Nach LHA KO, Best. 442 Nr. 3862 hatte
Malstatt-Burbach im Zeitraum von 1884-1893 die niedrigste Zahl von Unterstützungsempfän-
gern in den Saarstädten. Diese Angaben scheinen mir falsch zu sein. U.a. auch deshalb war
eine Bestimmung der Zahl der Unterstützungsempfänger nicht möglich.
20 StadtA SB, Best. MB Nr. 852.
21 Ebd., Nr. 244.
268
Abb, 2: Aus der Armenordnung von 1889: Verhaltungsvorschriften für Arme
(vgl. S. 265, Anm. 6)
269
und evangelische Schwestern übernahmen die Armenkrankenpflege. Die Stadt unter-
hielt keine eigenen Anstalten oder besondere Einrichtungen für Arme und Waisen.
Abkommen mit anderen Anstalten bezüglich der Pflege armer Personen wurden auch
nicht eingegangen.22
Besonders negativ fällt für Malstatt-Burbach die wohl übliche Abschiebepraxis von
Armen nach St. Johann ins Gewicht. Allein im Jahr 1891 führten vier Fälle, in denen
Hilfsbedürftigen die gesetzlich vorgeschriebene und erforderliche Unterstützung
verweigert wurde, zu schweren Auseinandersetzungen mit dem St. Johanner Orts-
armenverband. So wurde beispielsweise die standeslose 18jährige Katharina Weber,
Tochter eines Nähmaschinenreisenden mit unbekanntem Aufenthalt, die mit ihren
fünf Geschwistern, die 15, 10, 7, 5 und 2 Jahre alt waren, bei Familie Krancher auf
der Schleifmühle wohnte, mit ihren Geschwistern am Abend des 5. Januar 1891 bei
minus 10°C mitsamt ihrem Mobiliar vor die Tür gesetzt. Der von den Vermietern
herbeigerufene Schutzmann erklärte, sie hätten kein längeres Recht auf Aufenthalt in
Malstatt-Burbach, und schickte die Geschwister, von denen das zweijährige noch
ständig auf dem Arm getragen werden mußte, zu Fuß nach St. Johann, wo sie völlig
verfroren auf dem Polizeibüro ankamen und um Hilfe baten. In einem anderen Fall
brachte ein Schutzmann eine lungenkranke, ehemals in St. Johann beschäftigte
Dienstmagd am dritten Tag ihrer ordentlichen Anmeldung in Malstatt-Burbach an die
Stadtgrenze von St. Johann, wo er ihr ihre Papiere aushändigte. Das Mädchen war
völlig verzweifelt und "in ihrer Bestürzung willens gewesen sich in die Saar zu stür-
zen", wie es in den Akten heißt. St. Johann wies die junge Frau zur medizinischen
Versorgung ins Langwiedstift ein.23
Die Pro-Kopf-Ausgaben der Malstatt-Burbacher Armenverwaltung belegen in signifi-
kanter Weise das äußerst restriktive Vorgehen gegen Arme und das geringe Engage-
ment der Stadt. 1892 und 1893 lagen die Pro-Kopf-Ausgaben mit 1,35 Mark niedriger
als diejenigen in Alt-Saarbrücken,24 welches ja eine bedeutend aktivere Privatwohl-
tätigkeit hatte. Bis zur Jahrhundertwende übertrafen sogar die Ausgaben St. Johanns
bei weitem diejenigen von Malstatt-Burbach.
Nach der Vereinigung der drei Städte zur Großstadt Saarbrücken am 1. April 1909
mußte sich das neue Gemeinwesen zu einer einheitlichen Organisationsform der
Armenfürsorge entschließen. Man entschied sich für die vollständige Einführung des
"Elberfelder Systems". Es lassen sich jedoch nur wenige Fortschritte gegenüber den
vorher schon in Alt-Saarbrücken und St. Johann praktizierten Organisationsformen
erkennen. Hierzu gehören die Bestellung von Armenpflegerinnen, die Übertragung
22 Ebd., Nr. 543.
23 Ebd., Nr. 716.
24 Berechnet nach Voranschlag zum Haushalte für die Stadtgemeinde Malstatt-Burbach für
das Jahr 1893/94, Malstatt-Burbach 1893, S. 27 (Betrag des Vorjahres) und Bericht über den
Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadtgemeinde Malstatt-Bur-
bach für das Jahr 1894/95 nebst Haushaltsetat für das Jahr 1895/96, Malstatt-Burbach 1895,
S. XVIII (Gemeinderechnungen für das Jahr 1893/94).
270
der Entscheidungsbefugnis auf die Bezirksvorsteher und die Integration der Privat-
wohltätigkeit in die kommunale Fürsorge.25
Offen bleibt die Frage, warum man sich noch so spät für das "Elberfelder System" als
Organisationsmodell entschied, da die Erfahrungen aus der Praxis zunehmend seine
Schwächen erkennen ließen. Dies wundert um so mehr, als sich im Reichsland
Elsaß-Lothringen seit 1905 im sog. Straßburger System neue armenfürsorgerische
Grundsätze durchgesetzt hatten. Dort wurde die Quartiereinteilung aufgegeben, man
richtete eine Zentralstelle mit hauptberuflich tätigen Arbeitskräften ein, die die
Unterstützungsgesuche unter formalen Gesichtspunkten hin bearbeiteten; die ehren-
amtlich tätigen Pfleger wurden unabhängig von bestimmten Bezirken, allein nach ihrer
Qualifikation und Eignung eingesetzt,26 Da der Willensbildungs- und Entscheidungs-
prozeß um die Saarbrücker Armenordnung nicht überliefert ist, läßt sich nur ver-
muten, weshalb Saarbrücken dennoch beim Elberfelder System blieb. Fehlende
Informationen über das noch recht junge Modell und Festhalten an dem, was sich
nach Meinung der Stadtverordneten bewährt hatte, dürften wohl ausschlaggebend
dafür gewesen sein, daß echte Neuerungen auf dem Gebiet der Armenfürsorge bei
der Großstadtbüdung nicht unternommen wurden.
Maßnahmen gegen Armut und Verelendung
Alle drei Saarstädte konnten im Kaiserreich Volksküchen aufweisen. In Alt-Saar-
brücken stand die Volksküche unter der Leitung des örtlichen Frauenvereins, der
1886 die 1855 gegründete "Actien-Speiseanstalt" übernahm. Zu dieser Einrichtung
leistete die Stadt einen jährlichen Zuschuß von rund 1000 Mark. In Malstatt-Burbach
entschied man sich - allerdings erst im Dezember 1901 - zu einer ähnlichen Ein-
richtung im katholischen Schwesternhaus, zu der die Stadt ebenfalls einen Zuschuß
leistete.27 Allein St. Johann hatte als einzige der drei Städte eine von der Stadt
selbst betriebene Volksküche.28 Die Initiative zur Gründung ging im Winter 1889
von der "St. Johanner Camevalsgesellschaft" aus, die anregte, im ehemaligen Gerber-
schulhause eine Kinder-Suppenanstalt für arme Schulkinder einzurichten (Abb. 3).
Der darauffolgende harte Winter machte weitere Initiativen nötig, so daß im Januar
1891 im Erdgeschoß des Gerberschulhauses unter der Leitung der Armenverwaltung
eine Suppenanstalt eröffnet wurde. Bis zum Aufbrauchen der geschenkten Lebens-
mittel stand die Anstalt unter der Bezeichnung Armenküche nur den Armen der Stadt
zur Verfügung, die kostenlose Suppenportionen erhielten. Erst ab Februar wurde der
eigentliche Betrieb als Volksküche für alle städtischen Einwohner aufgenommen, jetzt
25 Armenordnung der Stadt Saarbrücken nebst Ausführungs-Bestimmungen und einem
Anhänge, Saarbrücken 1909, S. 3, 4 u. 6.
26 Sachße u. Tennstedt (Anm. 3), S. 218-221. Sachße (Anm. 18), S. 40-48. Klumker (Anm. 10),
S. 61-64. Reulecke (Anm. 11), S. 67.
27 Ruppersberg (Anm. 5), S. 437. StadtA SB, Best. MB Nr. 638.
28 Zum folgenden StadtA SB, Best. SJ Nr. 258 u. 257.
271
wurde nur noch gegen geringes Entgeld Kaffee und Suppe abgegeben, von der Ar-
menverwaltung als arm anerkannte Personen erhielten Freimarken. Zur Auswahl
standen Reis-, Erbsen-, Linsen-, Bohnen-, Gersten- und Griessuppe. Klagen über die
Qualität der Suppenfreiportionen wurden öfters laut. Ein Verwaltungsausschußmit-
glied sprach davon, daß viele Arme die Suppe ablehnten und stattdessen eine Geld-
unterstützung wünschten. Die Suppe werde weiterverkauft, als Schweinefutter ver-
wendet oder einfach weggeschüttet. Nachdem ab 1897 die Kosten für die Freiportio-
nen aus der Armenkasse gedeckt wurden, wirtschaftete die Anstalt erstmals mit Über-
schüssen, die wiederum der Anstalt zugute kamen. Gleichzeitig stieg die Zahl der
verabreichten Freiportionen sprunghaft an, was wohl damit zusammenhing, daß sich
die Qualität der Freiportionen durch die städtischen Zuschüsse verbessert hatte. Die
gegen Geld verabreichten Portionen nahmen dagegen ab. Die St. Johanner Volks-
küche wandelte sich von einer hauptsächlich kommerziell und auf die Gruppe der
Arbeiterschaft zielenden Einrichtung zu einer vorwiegend karitativen Institution und
entwickelte sich zu einem festen Instrument kommunaler Armenfürsorge. Die Ver-
abreichung von Suppe bewährte sich besser als Geldunterstützungen, die sich jeglicher
Kontrolle entzogen. Die Einsparungen der St. Johanner Armenkasse bezifferten sich
im Jahr 1897 auf mindestens 3000-3200 Mark.
Auch bei der Waisenfürsorge gab es keine Zusammenarbeit zwischen den Städten,
jede Stadt versorgte ihre Armen nach ihren individuellen Möglichkeiten. Das Prinz-
Wilhelm und Mariannen-Institut in Alt-Saarbrücken war einziges städtisches Waisen-
haus der Saarstädte und Erziehungsanstalt für arme städtische Waisenkinder und für
eltemverlassene Kinder von Alt-Saarbrücken. Im Sinne einer fortschrittlichen Päda-
gogik unterhielt die Anstalt einen Ökonomiebetrieb, also eine kleine Landwirtschaft
mit Tierhaltung, in deren Wirtschaftsprozeß die Kinder aktiv einbezogen waren. Ziel
war es, die Armen so früh wie möglich zur Wirtschaftlichkeit zu erziehen.29 In St.
Johann und Malstatt-Burbach wurden Waisenkinder in Familienpflege oder in kirch-
lichen Anstalten untergebracht. St. Johann erwog zwar den Bau eines städtischen
Waisenhauses, aus finanziellen Gründen kam es dazu jedoch nicht.30 Die zunehmen-
de Tendenz zur Anstaltspflege im Kaiserreich spiegelt sich deutlich in Malstatt-Bur-
bach wider: Waren zu Beginn des Untersuchungszeitraumes, nachweislich bis 1885,
alle Waisen in Familienpflege untergebracht, so lebten 1907/08 schon 66% aller
Kinder in Heimen. Die Mehrzahl der Malstatt-Burbacher Waisen wurde im katholi-
schen Theresienheim untergebracht.31 Bei der Überweisung Jugendlicher in die
Fürsorgeerziehung nahm Malstatt-Burbach innerhalb der Saarstädte vermutlich einen
traurigen Rekord ein. 1903/04 kamen dort auf 10.000 Einwohner 10,43 in Jugend-
29 Ruppersberg (Anm. 5), S. 422-424. StadtA SB, Best. AS Nr. 98 u. Nr. 182.
30 StadtA SB, Best. SJ Nr. 93.
31 StadtA SB, Best. MB Nr. 684 u. 718.
272
fürsorge überwiesene Jugendliche. Mit diesen Zahlen lag Malstatt-Burbach an fünfter
Stelle in der Rheinprovinz.32
Abb. 3: Aus dem Nachweis "derjenigen Schulkinder der Stadt St. Johann a.d.
Saar, welchen Frühkost verabreicht wird" (vgl. S. 271, Anm. 28)
Ein großes Problem für die Städte, insbesondere für die grenznahen Städte, war die
hohe Zahl der wandernden Obdachlosen, die in Hoffnung auf Arbeit in die Städte
strömten und dort blieben, auch wenn sie keine Arbeit fanden. Alt-Saarbrücken und
St. Johann lösten in den 1880er Jahren dieses Problem in einem gemeinsamen
Vorgehen. Seit März 1870 gab es in Alt-Saarbrücken, zunächst in der alten Herberge
"Zur Reichskrone", seit 1875 im angekauften ehemaligen Palais Savoye am Ludwigs-
platz 9 eine protestantische "Herberge zur Heimat", eine gemeinnützige Anstalt der
Inneren Mission, deren Ziel es war, reisenden Handwerksgesellen und anderen
einfachen Reisenden Unterkunft und billige Verpflegung zu bieten. Ein "Verein gegen
Bettelei", der für die Städte Alt-Saarbrücken und St. Johann gemeinsam bestand,
hatte dort eine Naturalverpflegungsstation für Vagabunden eingerichtet und arbeitete
mit gutem Erfolg. Zwischen 1884 und 1889 wurden jährlich zwischen 1300-2100 Per-
32 Berechnet nach Bericht über den Stand und die Verwaltung (Anm, 24) für das Rechnungs-
jahr 1903 und das Rechnungsjahr 1904, Malstatt-Burbach 1904 und 1905, S. VIII. Die Wirkun-
gen des Fürsorge-Erziehungsgesetzes im Jahre 1903/04, in: Kölnische Zeitung, Ausgabe v. 28.
Juli 1904.
273
sonen beherbergt.33 Malstatt-Burbach war trotz mehrmaliger Aufforderung nicht
bereit, dem bestehenden Verein beizutreten, drückte sich aber auch vor eigenen
Maßnahmen. Nach einer Umfrage über den Stand der Obdachlosenfürsorge unter
den Städten der Rheinprovinz gehörte Malstatt-Burbach zu den Städten, die nichts
oder fast gar nichts taten. Die Stadt gab an, daß außer der notwendigen Kranken-
hauspflege an Unterstützungen für Wanderer bisher nichts gezahlt wurde, daß polizei-
liche Maßregeln zur Unterdrückung der Landstreicherei, des Betteins und der Ar-
beitsscheu ebensowenig bestanden wie private oder städtische Einrichtungen. In der
Zeit von Mai 1903 bis April 1904 wurden in Malstatt-Burbach beispielsweise nur 22
Personen beherbergt, in den Schwesterstädten waren die Zahlen ungleich höher.34
Als sich im Winter 1902 die Situation der Obdachlosen in St. Johann verschärfte und
zahlreiche Personen im "Polizeigewahrsam" untergebracht werden mußten, richtete St.
Johann eine eigene Verpflegungsstation für Obdachlose ein und schloß einen Vertrag
mit dem Wirt der "Herberge zum Vetter Nickel" am Marktplatz 32, der auf Kosten
der Stadt ihm durch polizeilichen Ausweis zugewiesene wandernde Handwerksbur-
schen beherbergte. Seit 1905 gewährte man in St. Johann Obdachsuchenden nur
gegen Arbeit auf dem städtischen Gaswerk Unterkunft, gleichzeitig verlegte man das
städtische Obdachlosenasyl in das außerhalb der Stadt gelegene "Krämershäus-
chen".35
Die besondere Belastung der Saarstädte durch aus Elsaß-Lothringen ausgewiesene
Personen
Nach der Angliederung der Reichslande Elsaß-Lothringen an das Deutsche Reich
nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 behielten die Saarstädte, trotz
der Aufhebung der politischen Grenzen, auf armenrechtlichem Gebiet den Status von
Grenzstädten. Zwar war das ehemals preußische Gesetz über den Unterstützungs-
wohnsitz, nach dem nicht mehr "Heimat", sondern der "gewöhnliche dauernde Auf-
enthalt" zur Unterstützung durch einen Ortsarmenverband berechtigte, seit dem 16.
April 1871 Reichsgesetz, dennoch schlossen sich Elsaß-Lothringen und Bayern nicht
an. Elsaß-Lothringen behielt die französische, aus der Revolutionszeit herrührende
33 100 Jahre Herberge zur Heimat in Saarbrücken. Am Ludwigsplatz 9. Festschrift Herberge
zur Heimat 6600 Saarbrücken 1 Am Ludwigsplatz 9. Palais Doeben 22. Juli 1981. Saarbrücken
1981, S. 6. St. Johanner Volkszeitung, Ausgabe v. 2. Mai 1884. Berechnet nach Verhand-
lungen der ersten ordentlichen Generalversammlung des Rheinischen Vereins wider die
Vagabundennoth, Düsseldorf 1885, S. 24. Saarbrücker Zeitung, Ausgabe v. 29. März 1888. St.
Johanner Zeitung, Ausgabe v. 15. April 1890.
34 StadtA SB, Best. MB Nr. 648. Max Greve, Der Kampf gegen Bettel, Landstreicherei und
Arbeitsscheu. Mitbericht zu den Ausführungen des Professor Dr. jur. von Hippel in Göttingen
anläßlich der 76. Generalversammlung der Rheinisch-Westfälischen Gefängnis-Gesellschaft,
Düsseldorf 1905, Anhang. StadtA SB, Best. SJ Nr. 49.
35 StadtA SB, Best. SJ Nr. 49.
274
Gesetzgebung bei, in Bayern galt das Heimatrecht.36 Während mit Bayern besonde-
re Schwierigkeiten in Armenangelegenheiten nicht belegt sind, gestaltete sich mit
Elsaß-Lothringen die Situation durchaus problematisch.
Grundlage der elsaß-lothringischen Armengesetzgebung waren die Neuregelungen des
Konvents im Verlauf der Französischen Revolution. Eine Verpflichtung zur Unter-
stützung gab es in Frankreich nicht, alle Unterstützungsleistungen wurden aus Almo-
sen und freiwilligen Spenden gedeckt. Den Kommunen standen dabei die Einnahmen
aus Theaterveranstaltungen, Bällen, sonstigen Vergnügungen und speziellen Armen-
lotterien zur Verfügung. Waren die kommunalen Mittel erschöpft, hatte der Staat
keine Verpflichtung zur Unterstützung, obwohl der Arme selbst, kurioserweise, ein
Recht auf Hilfe hatte. In der Praxis schob man die Armen, wenn die Gelder fehlten,
mit einem kleinen Almosen zur nächsten Stadt mit finanzkräftigerer Bevölkerung ab.
Eine Unterstützung von Personen, die keine elsaß-lothringischen Staatsbürger waren,
sahen die Regelungen nicht vor. Dies galt auch noch im Kaiserreich. Merkwürdiger-
weise wurden auch alle sog. Alt-Deutschen als Ausländer betrachtet. Ein Recht auf
Unterstützung hatten in Elsaß-Lothringen nur die Elsaß-Lothringer, für Alt-Deutsche
gestaltete sich die Situation derart, daß dem dauernd Unterstützungsbedürftigen nur
insoweit Hilfe gewährleistet wurde, wie in der Aufenthaltsgemeinde Mittel zur öffent-
lichen Armenpflege vorhanden waren. Für einen vorübergehend unterstützungsbedürf-
tig gewordenen Alt-Deutschen war keinerlei gesetzliche Fürsorge vorgesehen.37 Da-
von betroffen war der riesige Strom deijenigen, die nach der Reichsgründung in der
Hoffnung auf Arbeit nach Elsaß-Lothringen wanderten. War es nicht möglich, den
Lebensunterhalt zu sichern, fielen sie der dortigen Armenfürsorge zur Last. In der
Regel wurden diejenigen Personen, die auf dauernde Unterstützung angewiesen wa-
ren und bei denen keine Besserung der Verhältnisse in Sicht war, ausgewiesen. Nach
dem Gothaer Vertrag von 1851 waren die Grenzstädte verpflichtet, die Ausgewiese-
nen aufzunehmen.38 Somit mußten neben Trier die Saarstädte einen großen Teil der
aus Elsaß-Lothringen Ausgewiesenen beherbergen.
Alt-Saarbrücken hatte eindeutig die Hauptlast der Ausgewiesenen zu tragen, denn das
Bürgerhospital, das vorerst alle Geisteskranke und anderweitig Kranke aufnahm, und
das königlich preußische Landratsamt, dem die Aufsicht über die Ausgewiesenen
oblag, hatten ihren Sitz in Alt-Saarbrücken. Allein 33 Fälle (=68 Personen) mußten
in der Zeit von Januar 1891 bis Juni 1893 versorgt werden. Bei der Mehrzahl der
Personen handelte es sich um Geisteskranke, Krüppel und Waisenkinder. Auch straf-
fällig Gewordene und Frauen mit mehreren Kindern, deren Ehemänner sich nach
36 Sachße u.Tennstedt (Anm. 3), S. 199-204.
37 Heinrich Ruland, Das System der Armenpflege in Alt-Deutschland und in den Reichs-
landen, Leipzig 18%, S. 13ff. u. 35. Victor Böhmen, Das Armenwesen in 77 deutschen
Städten und einigen Landarmenverbänden. Allgemeiner Theil, Dresden 1886, S. 44f.
38 Gothaer Vertrag. Die Übereinkunft deutscher Bundesstaaten wegen gegenseitiger Über-
nahme von Ausgewiesenen. Gotha d.d. den 15. Juli 1851, in: Sammlung in der Praxis oft
angewendeter Verwaltungs-Gesetze und Verwaltungs-Verordnungen für Preußen. In einem
Bande, hrsg. von Fritz Stier-Somlo, Berlin u. München 1912, S. 77-79.
275
Amerika abgesetzt hatten oder eine Haftstrafe verbüßen mußten, waren darunter.39
Für jede dieser Personen mußte zunächst nach einer Konsultation beim Armenarzt
ein geeigneter Aufenthaltsort oder eine Pflegemöglichkeit gefunden werden, dann
mußte der zur Zahlung verpflichtete Ortsarmenverband ausfindig gemacht werden. In
der Regel mußte der Rheinische Landarmenverband die Kosten übernehmen, da die
Ausgewiesenen ihren deutschen Unterstützungswohnsitz nach zweijährigem Aufenthalt
in Elsaß-Lothringen verloren hatten. St. Johann hatte ebenfalls eine recht hohe Zahl
Ausgewiesener aufzunehmen, denn die meisten Personen kamen mit dem Zug an,
und nach der Rechtslage trat die Hilfsbedürftigkeit an dem Ort ein, an dem die
Armen das preußische Gebiet zuerst betraten. Insgesamt mußten z.B. von Mai 1885
bis März 1892 387 aus Elsaß-Lothringen ausgewiesene Personen in den Saarstädten
aufgenommen werden. Von diesen Ausgewiesenen übernahm Alt-Saarbrücken 187
Personen, St. Johann 147 Personen und Malstatt-Burbach 53 Personen.40 Nicht
selten waren langfristige Verhandlungen mit elsaß-lothringischen und preußischen
Behörden notwendig, ehe es zur Ausweisung kam. So wurde z.B. im Fall des Säug-
lings Karl Adolf Diener, dessen Mutter bei der Geburt des unehelichen Kindes starb,
die Ausweisung erst vier Monate nach dem Antrag genehmigt. Inzwischen war der
Säugling, vermutlich wegen mangelnder Pflege und Zuwendung, im Metzer Hospiz
gestorben. Ähnliches ereignete sich im Fall von Helma Mannebarth. Sie war im
September 1901 in der Strafanstalt Hagenau zur Welt gekommen und war die Toch-
ter der in Luxemburg geborenen unverheirateten Dirne Susanna Mannebarth, die in
Hagenau eine zweieinhalbjährige Haftstrafe wegen Diebstahls verbüßte. Auch sie
starb im Frühjahr 1902 in der Strafanstalt Hagenau, noch ehe ihre Ausweisung
genehmigt wurde.
1893 stand im Reichstag eine Änderung des Unterstützungswohnsitzgesetzes an. Alle
drei Städte konnten sich jetzt zu einem einheitlichen Vorgehen entschließen und
sprachen sich für eine Ausdehnung des Unterstützungswohnsitzgesetzes auf Elsaß-
Lothringen aus. Die Initiative ging hierbei von Malstatt-Burbach aus, das nachweislich
von der Ausweisungsproblematik am wenigsten betroffen war. Die Stadt beschloß,
eine Petition zur Änderung des Unterstützungswohnsitzgesetzes an den Reichstag zu
richten. Sie argumentierte damit, daß die Gefahr einer finanziellen Überlastung
Elsaß-Lothringens wegen der rückläufigen Zahl der Auswanderer nicht mehr bestehe,
daß die bisher gehandhabte Praxis der Verteilung der Armen nicht rechtens sei und
daß zusätzlich zu dem umfangreichen bürokratischen Aufwand das eigene städtische
Proletariat vermehrt würde.41 In der Reichstagsdiskussion prallten deutsche und
elsaß-lothringische Vorstellungen aufeinander. Elsaß-Lothringen wollte unbedingt eine
Ausdehnung des Gesetzes verhindern. Mit dem Argument, daß erst eine Steuerreform
durchgeführt werden müsse, damit die Kommunen überhaupt in der Lage seien, die
zu erwartenden Mehrausgaben zu tragen, hatte man schließlich gewichtige Gründe
39 StadtA SB, Best. SJ Nr. 92. Ebd., Best. AS Nr. 1750/A p. 28-33 u. 58f.
40 StadtA SB, Best. SJ Nr. 92.
41 Ebd.
276
gegen die Einführung des Gesetzes in der Hand. Tatsächlich kam es nicht zur Ein-
führung des Unterstützungswohnsitzgesetzes. Dies sollte erst zum 1. April 1910, also
17 Jahre später geschehen.42
Sozialstatistische Analyse der städtischen Armenbevölkerung
Eine quantitative Bestimmung der Armenbevölkerung in Alt-Saarbrücken, St. Johann
und Malstatt-Burbach war aufgrund der Aktenlage nicht möglich. Dennoch können
nach der Auswertung der Listen der Hauptunterstützungsempfänger (Alt-Saarbrücken
für 1904, St. Johann für 1899, Malstatt-Burbach für 1880-1886 und 1899-1901)43
einige Aussagen über die Lebensverhältnisse der Armen in den Saarstädten gemacht
werden. Statistisch erfaßt wurden nur die dauernd Unterstützten, also die Ärmsten
der Armen. Inwieweit diese Aussagen auch auf jene Schicht der Bevölkerung zutref-
fen, die am Rande der Armut lebte und die in Zeiten persönlicher und wirtschaftli-
cher Krisen auf das Niveau der öffentlichen Fürsorge zeitweilig herabsank, muß offen
bleiben. Generell gilt, daß von 100 Selbstunterstützten im Durchschnitt 65% dauernd
unterstützt wurden und 35% vorübergehend. Dabei waren 86% aller Unterstützten
Erwachsene und 14% Kinder.44
Betrachtet man zunächst die Haushaltsstruktur der Armenunterstützungsempfänger,
so ergibt sich folgendes Bild: 31,2% aller Armenhaushalte in Alt-Saarbrücken und St.
Johann waren Einpersonenhaushalte. Nur 23% der unterstützten Haushalte in
Alt-Saarbrücken waren vollständige Familien, d.h. sie bestanden aus Eltern und
Kindern. In diesen Familien dominierten eindeutig Haushalte mit mehr als drei
Kindern. Die Lebensverhältnisse werden so beschrieben: "daß die Familie Spix wohl
sehr zu kämpfen hat, daß sie durchkomme [...] Die Ehefrau ist vollständig erwerbs-
unfähig und auch pflegebedürftig. Die älteste Tochter war [...] bis vor einigen Wochen
krank, am 1. April kommt dieselbe nach Herr Wronker als Verkäuferin. Der 14jäh-
rige Sohn ist Polsterlehrling und verdient noch nichts. Der Ehemann war auf einige
Wochen krank. Nach Aussage des Herrn Dr. Bayer soll derselbe Magengeschwür
gehabt haben. Die Ehefrau ist sehr verschlossen, sie scheint ihre Not nicht offenbaren
zu wollen."45
Bei den insgesamt 37 unvollständigen Familien standen einem Witwer, der sechs
Kinder zu versorgen hatte, 36 alleinstehende, eheverlassene oder verwitwete Frauen
mit einem oder mehreren Kindern gegenüber. Die meisten dieser Frauen arbeiteten
regelmäßig, ihr Lohn reichte jedoch nicht aus, die vielköpfige Familie zu ernähren. So
arbeitete z.B. Witwe Jakob Schwender mit neun Kindern als Tagelöhnerin, Witwe
Klara Jakob Lingel (sechs Kinder) als Büglerin und Ehefrau Philipp Schneider (sieben
Kinder) als Wäscherin. In St. Johann waren 21% aller unterstützten Haushalte
42 Ruland (Anm. 37), S. 37ff. Sachße u. Tennstedt (Anm. 3), S. 204.
43 StadtA SB, Best. AS Nr. 82 u. Nr. 87, p. 23-34. Ebd., Best. MB Nr. 684 u. 244.
44 Böhmert (Anm. 37), S. 109.
45 StadtA SB, Best. AS Nr. 1750/B, p. 156.
277
Zweipersonenhaushalte. Unter ihnen fanden sich vornehmlich alte Ehepaare, bei
denen der Mann keine Altersrente erhielt oder krank war, und alte kranke Menschen,
die von einem im Haushalt lebenden erwachsenen Kind versorgt wurden. Witwe
Michel Becker litt an Epilepsie, Witwe Joseph Dietrich war fast erblindet, auf einem
Auge ganz blind.
Untersucht man die Frage, in welchen Altersgruppen das Risiko, Armenunterstüt-
zungsempfänger zu werden, besonders hoch war, so treten zwei Lebensabschnitte be-
sonders deutlich hervor. Dies war zum einen die Familienphase im Alter von 30 bis
ca. 45 Jahren, Hier verarmten vornehmlich kinderreiche Familien, bei denen der Er-
nährer durch Krankheit oder Arbeitslosigkeit nicht mehr für den Unterhalt der Fa-
milie aufkommen konnte und alleinerziehende Frauen mit mehreren Kindern. Ein
ebenso hohes Risiko zu verarmen brachte das Alter mit sich. Daran hatte sich trotz
Einführung der Sozialversicherung noch nichts geändert. Hier mußten vor allem alte
Ehepaare und alleinstehende Alte die Armenfürsorge beanspruchen.
Differenziert man die Armenunterstützungsempfänger nach Geschlecht, so läßt sich
feststellen, daß bei den unterstützten Männern die Gruppe der Tagelöhner und
Handwerker am stärksten davon betroffen war, auf das Niveau der öffentlichen
Armenfürsorge abzusinken. Tagelöhner - unter dem Begriff wurde auch eine Reihe
von Arbeitern, speziell Hütten- und Industriearbeiter, geführt - hatten eine sehr
schlechte soziale Absicherung. Das Handwerk unterlag in der Hochindustrialisierungs-
phase einem Schrumpfungsprozeß. Da überwiegend selbständige und bessergestellte
Handwerker in den Unterstützungskassen versichert waren und die soziale Absiche-
rung des Handwerks in Form einer Altersversorgung erst 1938 festgeschrieben wurde,
fielen diejenigen Handwerker, die sich im Verdrängungs- und Wachstumsprozeß nicht
behaupten konnten, der Armenfürsorge anheim.46
Die Frauen hingegen waren in ganz besonderem Maße von Armut betroffen, der
drastische Frauenüberschuß unter den öffentlich Unterstützten ist auffällig. "Im
Durchschnitt sämtlicher Armenverbände waren von den dauernd Unterstützten 23,99
Procent Männer und 76,71 Procent Frauen und von den vorübergehend Unterstützten
62,51 Procent Männer und 37,49 Procent Frauen."47 Die Malstatt-Burbacher Unter-
stützungslisten bestätigen diese Zahlen. Danach lag der Prozentsatz der selbstunter-
stützten Frauen in Malstatt-Burbach in den Jahren 1880-1886 zwischen 66% und 78%,
1899 lag er bei 83%, um dann 1900 und 1901 sogar auf 84% und 85% zu klettern.
Von allen unterstützten Frauen waren 73-83% (!) Witwen. Die übrigen Frauen waren
meist kranke, behinderte und unverheiratet gebliebene Frauen, sowie eheverlassene
und getrennt lebende Frauen. Katharina Feith mußte zum Armenamt gehen, weil ihr
46 Karl Heinrich Kaufhold, Das Handwerk zwischen Anpassung und Verdrängung, in: Sozial-
geschichtliche Probleme in der Zeit der Hochindustrialisierung (1870-1914), hrsg. v. Hans
Pohl, Paderborn u.a. 1979, S. 109-113. Detlef Zöllner, Landesbericht Deutschland, in: Ein
Jahrhundert Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritan-
nien, Österreich und der Schweiz, hrsg. v. Peter A Köhler u. Hans F. Zacher, Berlin 1981,
S. 130.
47 Böhmert (Anm. 37), S. 109.
278
Mann, der Schreiner Johann Feith, sich nach Luxemburg abgesetzt hatte und seine
Frau mit zwei unbezahlten Monatsmieten und drei Kindern in Alt-Saarbrücken
zurückließ.48 Rund ein Drittel aller unterstützten Frauen mußten drei und mehr
Kinder versorgen. Ein besonderes Problem im Kaiserreich war die Altersarmut der
Frauen. Gründe dafür waren die im Durchschnitt um zehn Jahre gewachsene Lebens-
erwartung, die im 19. Jahrhundert durch die verbesserten medizinischen Verhältnisse
verminderte ‘Übersterblichkeit’ der Frauen im gebärfähigen Alter sowie die Tatsache,
daß der Tod des Mannes wegen der unzureichenden Hinterbliebenen- und Alters-
sicherungssysteme für die Frauen in vielen Fällen den Gang zum Armenamt bedeute-
te.
Ergebnisse
Das Bewußtsein der Binnengrenzlage blieb den Bewohnern der Saarstädte wegen der
unterschiedlichen armenrechtlichen Regelungen im Bereich der Armenfürsorge
erhalten. In den Akten fanden sich keine Hinweise auf einen möglichen Erfahrungs-
austausch zwischen Elsaß-Lothringen und den Saarstädten. Die konservative Haltung
der Saarbrücker Stadtväter wird bei der Entscheidung deutlich, 1909 das vollständige
Elberfelder System einzuführen, obwohl sich in Straßburg weitaus bessere Grundsätze
zur Organisation der kommunalen Armenfürsorge durchgesetzt hatten.
Ein Vergleich der Leistungen der kommunalen Armenfürsorge in Alt-Saarbrücken, St.
Johann und Malstatt-Burbach zeigt deutlich, daß die Städte in sehr unterschiedlicher
Art und Weise auf prinzipiell gleiche Herausforderungen reagierten.
Die Industrie- und Handelsstadt St. Johann war diejenige Stadt, die am frühesten ihre
Rolle als "Nachtwächterstadt" aufgab und im Sinne einer modernen Interventionsstadt
in der kommunalen Sozialpolitik selbst aktiv wurde. Schon 1889 wurde eine Armen-
ordnung nach Elberfelder Muster erlassen, als einzige der drei Städte hatte St. Johann
eine städtisch geleitete Volksküche, und in der Obdachlosenfürsorge zeigte die Stadt
die größten Aktivitäten von kommunaler Seite.
Die Verwaltungsmetropole, Wohn- und Villenstadt Alt-Saarbrücken war wegen des
Ethos bürgerlicher Frauen, sich in privater Wohltätigkeit zu engagieren, lange von der
Pflicht enthoben, Reformen in der kommunalen Armenfürsorge einzuleiten. Die
Gründe für das gute Funktionieren der Privatwohltätigkeit waren vermutlich das
große Engagement Amalie Jungs und die durch ihre Tätigkeit gegebene personelle
Kontinuität im privaten Fürsorgewesen. Nach ihrem Tod reagierte die Stadt jedoch
schnell und effektiv. Sie führte das "Elberfelder System" ein und stellte erstmals in
den Saarstädten eine besoldete Armenpflegerin ein.
Malstatt-Burbach als junge Industriestadt, die den Verstädterungsprozeß besonders
heftig und schnell erlebte - die Bevölkerung wuchs von Beginn des 19. Jahrhunderts
bis zum Jahr 1910 um das 57,8 fache49 - zeigte von allen drei Städten, trotz ihrer
48 StadtA SB, Best. AS Nr. 1750/B, p. 83f.
49 Jürgen Karbach, Bevölkerungszahlen des Saarlandes 1800-1910, in: Zeitschrift für die
Geschichte der Saargegend, 34/35 (1986/87), S. 261.
279
vermutlich drückenden sozialen Probleme, die geringste Bereitschaft, in der öffentli-
chen Armenfürsorge aktiv zu werden. Bei der Lektüre der Akten hat man den
Eindruck, daß die Armenfürsorge eine überaus lästige und zudem kostenintensive
Pflicht war, der man nur im allemotwendigsten Rahmen Genüge leisten wollte. Es
gab keine Armenordnung und keine städtisch geführten Anstalten. Arme wurden nach
St. Johann abgeschoben, die Stadt weigerte sich, dem in den Schwesterstädten beste-
henden "Verein gegen Bettelei" beizutreten, in vielen Fällen gab man Jugendliche in
die Fürsorgeerziehung.
Dieses indifferente Verhalten wird aber nicht nur in der kommunalen Sozialpolitik
deutlich. Malstatt-Burbach konnte am Ende des städtischen Investitionsbooms auch
die weitaus niedrigste Verschuldung unter den drei Saarstädten aufweisen.50 Die
Stadt war weniger risikofreudig als die Schwesterstädte, weniger bereit, neue Wege zu
gehen und Lösungen für die durch Industrialisierung und Verstädterung entstandenen
Probleme zu finden. Malstatt-Burbach zeigte also generell die geringste Bereitschaft,
als Stadt selbst aktiv zu werden. Die Frage, ob die städtischen Innovationen im
Stadtentwicklungsprozeß der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher als mentale
Prozesse denn als funktionale Antwort auf vorhandene Probleme gesehen werden
müssen, müßte hier, für das Beispiel der Saarstädte, zugunsten der unterschiedlichen
Mentalitäten entschieden werden.
50 Leiner (Anm. 13), S. 48-51 u. 54.
280
Stefan Leiner
Dm Saarbrücker Städtevereinigung von 1909
Problemlösungsstrategie zwischen bürgerlichen Interessen,
urbanen Sachzwängen und wilhelminischem Obrigkeitsstaat
’Wiedervereinigung’ hieß das Schlagwort, welches im Jahre 1890 Malstatter Bürger im
Munde führten.1 Gefordert wurde nach 31 Jahren ’Autonomie’ die erneute Verei-
nigung der zu diesem Zeitpunkt selbständigen Städte Malstatt-Burbach, Saarbrücken
und St. Johann zu einer Großstadt, wie sie in Form der ’Samtgemeinde Saarbrücken’
von der französischen Zeit bis zur Verleihung der Städteordnung an Saarbrücken und
St. Johann im Jahre 1859 bereits in ähnlicher Weise bestanden hatte.
Die Industrialisierung hatte sowohl in dem ehemaligen Dorf Malstatt-Burbach als
auch in den beiden Kleinstädten Saarbrücken und St. Johann einen Prozeß beschleu-
nigter Verstädterung ausgelöst. Die rasche Entwicklung der Montanindustrie im nähe-
ren Umkreis hatte bedeutende Bevölkerungszuwächse in den drei Gemeinden hervor-
gerufen sowie Handel und Gewerbe zu einem Aufschwung verholfen. Malstatt-Bur-
bach war durch die Ansiedlung eines der größten Hüttenwerke an der Saar ebenfalls
1875 zur Stadt aufgestiegen und verfügte um die Jahrhundertwende über die umfang-
reichste Einwohnerschaft im Saarrevier, die alte Marktstadt St. Johann hatte eine
Führungsposition in Handel und Gewerbe errungen, und das traditionsreiche Verwal-
tungszentrum Saarbrücken wurde zunehmend als Wohnstadt seitens des gehobenen
Bürgertums geschätzt (vgl. Abb. 1, S. 2 u. Karten, S. 9).
Während in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in anderen Regionen Deutsch-
lands die Expansion eines Zentralortes häufig zur Eingemeindung des sich um ihn
verdichtenden und auf ihn orientierten Vorortrings führte, kam für die Stadtregion an
der mittleren Saar, wo sich aufgrund der spezifischen Entwicklung die Stadtgrenzen
dreier autonomer Gemeinden mit je eigenen zentralörtlichen Funktionen berührten,
eine andere Lösungsmöglichkeit in Betracht: die Städtevereinigung.
Einerseits ist die Vereinigung der drei Saarstädte ein historisches Kuriosum und schon
daher untersuchenswert, denn sie "blieb vor dem Ersten Weltkrieg eine Ausnahme"2,
andererseits aber enthüllen sich bei näherer Betrachtung des historischen Prozesses,
welcher in die Formulierung der Problemlösungsstrategie ’Städtevereinigungsvertrag’
mündete, charakteristische Strukturen der wilhelminischen Gesellschaft, wodurch die
Städtevereinigungsdiskussion eine exemplarische Relevanz gewinnt. Friedrich Lenger
zufolge wurde in der historischen Forschung bislang "allzu häufig ... städtische Ver-
waltungsgeschichte lediglich als Geschichte des von einer modernen Bürokratie un-
1 Vgl. StA SB, Best. SB, Nr. 684 mit einem nicht näher datierten Ausriß aus der "Malstatt-
Burbacher Zeitung" (MBZ) aus dem Jahre 1890.
2 Vgl. Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt/Main 1985,
S. 82.
281
aufhaltsam vorangetriebenen infrastrukturellen und sozialen Fortschritts geschrieben,
ohne daß die innerstädtischen Konflikt- und Interessenlagen systematisch in den Blick
genommen wurden"3. In der Diskussion um die Zukunft der Saarstädte trat vor dem
Hintergrund konkreter Sachzwänge, die aus der fortschreitenden Vernetzung der
Konurbationszone an der mittleren Saar resultierten, das komplizierte Interessen- und
Beziehungsgeflecht der verschiedenen bürgerlichen Gruppierungen ebenso zu Tage
wie die Herrschaftsstrukturen des preußischen Obrigkeitsstaates. Darum liegt in der
Betrachtung der Saarbrücker Städtevereinigung die Chance, "zu sehen, wie das
Bürgertum seine politischen Gestaltungsmöglichkeiten im lokalen Raum nutzte"4.
Einwohnerzahl
Jahr
(logarithmische Skala) Quelle : Haushaltspläne v. MB, SB, SJ
Abb. 1: Die Bevölkerungsentwicklung in den Saarstädten (1850-1909)
Die Vereinigungsmitiative
Freilich trat ’das Bürgertum’, d.h. die Gesamtheit der gemäß der Kommunalver-
fassung mitwirkungsberechtigten und auch tatsächlich engagierten Einwohner, in
dieser Sache von Beginn an keineswegs als einheitliche Klasse mit deckungsgleichen
Interessen auf. Bereits als Bürgermeister Neff von St. Johann im Jahre 1901 den
3 Friedrich Lenger, Bürgertum und Stadtverwaltung in rheinischen Großstädten des 19. Jahr-
hunderts. Zu einem vernachlässigten Aspekt bürgerlicher Herrschaft, in: Lothar Gail (Hrsg.),
Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert, München 1990 (= HZ-Beih. 12), S. 99f.
4 Ebd, S. 98.
282
Gedanken einer Vereinigung der Saarstädte aufgriff und in einer Stadtratssitzung
erklärte, daß er "diese Vereinigung in jedweder Weise fördern wolle"5, zeichneten
sich innerstädtische Interessenkonflikte ab, die auf eine sehr differenzierte Stimmungs-
lage in den Saarstädten schließen lassen. Die Initiative des ’auswärtigen’ Staats-
beamten stieß auf den Widerstand großer Teile der angestammten Bürgerschaft. So
mußte Neffs Malstatt-Burbacher Kollege Schmook dem Trierer Regierungspräsiden-
ten von Bake in einem persönlichen Gespräch anläßlich eines Informationsbesuches
gestehen, daß bisher in der Stadtverordnetenversammlung noch keine Verhandlungen
hierüber zustande gekommen seien. Er selbst beurteile die Stimmung für eine Städte-
vereinigung negativ, denn in Saarbrücken und St. Johann spreche man von der In-
dustriestadt abschätzig als dem ’Armenhaus’ der Gesamtstadt.6 Noch am 20. Mai
1905 konnte man im "Generalanzeiger für Düsseldorf und Umgegend" lesen: "Das
Mode gewordene Bestreben nach Vereinigung aneinanderliegender Städte und
Gemeinden zu größeren Gemeinwesen wird offenbar staatlicherseits gefördert und da,
wo man sich gegen die Eingemeindung sperrt, wird mit einem kleinen Drucke nachge-
holfen. Auf diesen Umstand ist wohl auch eine halbamtliche Erklärung des hiesigen
[Saarbrücker] Landrats zurückzuführen, daß die Vereinigung der Städte Saarbrücken,
St. Johann und Malstatt-Burbach bevorstehe [...]. Vor einigen Jahren hat man den
Gedanken einer Vereinigung von Saarbrücken und St. Johann in Kreisen der ersteren
Stadt einfach als indiskutabel bezeichnet. Spaßvögel machten den Vorschlag, die Saar
bei Nacht und Nebel zu überwölben und so beim Morgengrauen beide Städte vor die
Tatsache der vollzogenen Vereinigung zu stellen. Saarbrücken gleicht dem schwerfäl-
ligen Russen, St. Johann dem flinken Japaner."7 So wenig flexibel die Saarbrücker
reagierten, umso geschickter entzogen sich offensichtlich die St. Johanner allen
ernsthaften Vereinigungsplänen.
Die Situation der drei Städte am Mittellauf der Saar bot schon im ausgehenden 19.
Jahrhundert viele gute Gründe, die einen Zusammenschluß der drei Gemeinwesen zu
einem früheren Zeitpunkt gerechtfertigt hätten. 'Tatsächlich war es ja schon so, daß
um die Jahrhundertwende die drei Saarstädte keine völlig selbständigen Wirtschafts-
körper mehr waren. St. Johann, die schnellwachsende Geschäftsstadt, hatte sich
hinsichtlich des Absatzes auf die Bewohner der beiden anderen Städte eingestellt, es
5 Vgl. MBZ v. 21. Sept. 1901. Am 14. Okt. 1901 berichtete die MBZ, daß das Ministerium, es
handelte sich hierbei wohl um das preußische Innenministerium, eine Vereinigung der drei
Saarstädte anstrebe.
6 Vgl. StadtA SB, Best. MB (= Malstatt-Burbach), Nr. 515, Pg. 4. Es handelt sich um eine
Aktennotiz Schmooks v. 16. Nov. 1901 über ein Gespräch v. 1. Nov. 1901, in der v. Bake
Schmook fragte, wie die Stimmung in MB bzgl. einer Städtevereinigung sei, da er wisse, daß
in den beiden anderen Stadtverordnetenversammlungen eine Neigung hierfür bestehe. Auf die
abschlägige Antwort Schmooks hin drückte der Regierungspräsident seine Hoffnung aus, daß
die Vereinheitlichung der Polizei, ein erster Schritt auf dem Weg zur Städtevereinigung sei.
Regierungspräsident v. Bake kannte die Verhältnisse im Raum Saarbrücken übrigens sehr gut,
da er von 1891 bis 1899 Landrat und Polizeidirektor im Kreis Saarbrücken gewesen war.
7 StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 2. Der Vergleich bezog sich auf den zur gleichen Zeit im
Fernen Osten ausgetragenen Russisch-Japanischen Krieg.
283
brauchte die Saarbrücker und Malstatt-Burbacher als Kunden. Die Saarbrücker
fanden in ihrer Stadt keine volle Befriedigung ihrer Konsumwünsche und Malstatt-
Burbach, zahlenmäßig den anderen beiden Städten überlegen, bot seinen Einwohnern
zu wenig."8
Im Zuge der durch die Industrialisierung ausgelösten Bevölkerungsexplosion waren
die Saarstädte aufeinander zugewachsen und hatten sich verkehrmäßig, wirtschaftlich
und sozial vernetzt. Diese Vernetzung hatte jedoch nicht das Bewußtsein der breiten
Einwohnerschaft der drei Gemeinden erfaßt. Obwohl einige ’Vordenker’ die ökonomi-
schen und verwaltungstechnischen Vorteile einer Städtevereinigung erkannt hatten,
sperrten sich zahlreiche Bürger ganz intuitiv gegen die Aufgabe ihrer Selbstverwal-
tung. Der zuständige Landrat stellte 1905 fest: "Meines Erachtens beruht vielmehr die
Abneigung des oder jenes zu der schwerwiegenden Abstimmung berufenen Stadtver-
treters in mehr äußerlichen Motiven. [...] Ich meine damit u.A das Aufgeben der
Selbständigkeit der Vaterstadt oder wie der Herr Dr. Muth sich kürzlich ausdrückte
’des eigenen Hauswesens’, die eventuelle Änderung des Namens derselben."9
Die entscheidenden Impulse, die dazu führten, daß das Projekt "Vereinigung der drei
Saarstädte zu einer einzigen Stadt" tatsächlich in Angriff genommen wurde, kamen
deshalb nicht aus Kreisen der angestammten Bevölkerung der Saarstädte. Den Anstoß
gab ein Vertreter der ’importierten’ staatlichen Bürokratie. Richard Bötticher, der seit
1903 als Nachfolger des amtierenden Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks
Trier von Bake das Amt eines Landrates des Kreises Saarbrücken wahrnahm, legte
in einem offenen Brief den Bürgermeistern der drei Saarstädte die Vorteile einer
Städtevereinigung dar: "Welche Summen könnten jährlich in den Städten erspart
werden, wenn es nur eine kommunale Verwaltung gäbe, und wenn die großen städti-
schen Betriebs-Anlagen (Electricitäts-, Gas- und Wasserwerke, Schlacht- und Viehhö-
fe, Kühlhäuser, Markthallen u.s.w.) unter einheitlicher Leitung ständen, wie würden
sich die Gehälter und Löhne verringern, von der Kunst (gemeinschaftliches, den
heutigen Anforderungen entsprechendes Theater) ganz zu schweigen! Wie ganz
anders könnten die in den Saarstädten vorhandenen [sic] Intelligenz, die vielfachen
reichen Kräfte auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiete sich entwickeln, wenn die
einzelnen Kommunen zu einer großen Centrale an der Saar auswüchsen, deren
steigende Bedeutung ein nicht zu unterschätzender Faktor sein dürfte."10 Im folgen-
den wies der Autor auf die Notwendigkeit zum Bau von Kanalisations- und Klär-
anlagen sowie zu Erneuerungsarbeiten an den bestehenden Betriebswerken hin, in die
die Städte unabhängig voneinander große Geldbeträge investieren müßten. Er bemän-
gelte zudem die letzten Endes kostspielige Fehlkoordination bei der Erstellung der
örtlichen Bebauungspläne.
8 Fritz Kloevekom, Wie es zur Vereinigung der Städte kam, in: Saarbrücker Zeitung (SZ) v.
31. März 1934 (Sonderbeüage zum 25jährigen Jubiläum der Großstadt Saarbrücken).
9 StadtA SB, Best. SJ (= St. Johann), Nr. 744, Pg. 18f.: Schreiben des Königl. Landrats
Bötticher an die Bürgermeister der drei Saarstädte 23. Okt. 1905. Allgemeiner Hinweis: Bei
Zitaten wurden Wortlaut und Orthographie der Originale grundsätzlich beibehalten.
10 Ebd.
284
Im Mittelpunkt der Ausführungen des Landrates standen dabei wirtschaftliche Argu-
mente. Dies zeigt zum einen den Stellenwert, den die wirtschaftliche Betätigung der
Städte im Rahmen der kommunalen Leistungsverwaltung bis zu diesem Zeitpunkt in
den Saarstädten gewonnen hatte. Die Leistungsverwaltung war zum Charakteristikum
der ’Stadt des Industriezeitalters’ geworden. Andererseits zeigt sich in dieser Initiative,
wie stark die staatliche Bürokratie gegenüber den bürgerlichen Repräsentationsor-
ganen auf kommunaler Ebene an Gewicht gewonnen hatte. Über die städtische
Beamtenschaft, die Sachwalter der kommunalen Leistungsverwaltung, drückte der
preußische Staat mit einem ’starken Daumen’ auf die bürgerliche Selbstverwaltung in
den Gemeinden. Von daher hatte die Befürchtung des St. Johanner Stadtverordneten
Dr. Muth, daß die Städtevereinigung einem Verlust ’des eigenen Hauswesens’
gleichkomme, nicht nur in emotionaler Hinsicht ihre Berechtigung. In seiner Aussage
klang die Befürchtung an, daß eine Optimierung der Verwaltung zugleich eine
Reduzierung des bürgerlichen Einflusses bedinge. In der Praxis mußte nämlich die
Zusammenlegung der drei Gemeinwesen zu einer Herabsetzung der Zahl der Stadt-
verordneten im Großstadtplenum führen, während sich der Wirkungsbereich des
Bürgermeisters durch die Zusammenlegung der Verwaltung quasi auf das dreifache
seines bisherigen Umfangs vergrößerte. Auf kommunaler Ebene würde einem bürger-
lichen Partizipationsverlust ein staatlicher Machtzuwachs entgegenstehen.
Die Parteinahme der Handelskammer Saarbrücken für die Städtevereinigung
Das ökonomische Argument der Reformbedürftigkeit der dreifachen kommunalen
Leistungsverwaltung im Stadtraum Saarbrücken dominierte die Großstadtdiskussion
der folgenden Jahre und bildete die Basis für eine erfolgreiche kommunalpolitische
Allianz von höherer Staatsbeamtenschaft und aufstrebendem Wirtschaftsbürgertum in
den Saarstädten.11 So machte sich die Handelskammer Saarbrücken zum Anwalt der
Vereinigungsbefürworter, indem sie die Argumentation des Landrats aufgriff und
präzisierte. Alexander Tille stellte die Weichen zur Parteinahme der Handelskammer,
die er im übrigen als Syndikus vertrat, in einem Referat aus Anlaß der Gremiums-
sitzung vom 21. November 1905.12 Für die Beschäftigung der Handelskammer mit
der Vereinigungsproblematik sei entscheidend, "daß die Frage aufs tiefste ins Wirt-
11 Zum Zusammenwachsen der unterschiedlichen bürgerlichen Formationen, zum wachsenden
Konsens von Staatsbeamtenschaft und Wirtschaftsbürgertum vgl. auch Hans-Werner Hahn,
"Die preußische Art ein Land zu verwalten...". Die Beamten, in: Richard van Dülmen (Hrsg.),
Industriekultur an der Saar, München 1989, S. 122ff.
12 Tille reagierte mit seinem Vortrag auf die Haltung St. Johanns in der Vereinigungsfrage.
Die Stadtverordnetenversammlung von St. Johann hatte die Anfrage des Malstatt-Burbacher
Stadtrats zur Aufnahme von Verhandlungen zwecks einer Vereinigung der Saarstädte mit 14
zu 8 Stimmen abgelehnt. Die Initiative von Landrat Bötticher schien zu scheitern. Vgl. StadtA
SB, Best. MB, Nr. 515, Pg. 21: Ablehnungsbescheid aus St. Johann v. 16. Nov. 1905. Die
Stadtverordneten, die sich gegen Verhandlungen ausgesprochen hatten, wurden von Bürger-
meister Neff namentlich benannt. Gleichzeitig machte Neff dem Landrat Mitteilung von der
Abstimmung (17. Nov. 1905). Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 28.
285
schaftsleben, in das soziale Leben und in das Verkehrsleben" der Saarstädte eingrei-
fe.13 Er führt aus: "Von wirtschaftlicher Bedeutung sind dabei für die Handels-
kammer auch nur die bedeutenden Unterschiede in den Kosten und den Erträgnissen
der städtischen Betriebe, deren Grundlagen nur eine Spezialuntersuchung wird
ermitteln können. [...] Wie ein industrieller Großbetrieb und eine Verkehrsunter-
nehmung um so billiger arbeiten, je größer beide sind, so gestaltet sich auch nicht nur
der Betrieb der städtischen Unternehmungen mit zunehmender Größe billiger,
sondern auch die Stadtverwaltung selbst."14 In dieser Hinsicht hätten sich die Ver-
einigungen von Aachen-Burscheid, Köln-Deutz, Duisburg-Ruhrort und Bonn-Pop-
pelsdorf als durchaus erfolgreich erwiesen. Das leidige Problem der falschen Postzu-
stellungen im Raum Saarbrücken könne unter einem einheitlichen Namen "Saar-
brücken" endlich gelöst werden.15 Saarbrücken könne bei einer Einwohnerzahl von
mehr als 100 000 mit der Niederlassung einer "Reichsbankstelle" rechnen.16 Es käme
zur längst überfälligen Koordination der Bebauungspläne in den einzelnen Teilstäd-
ten. Der Bau notwendiger neuer Brücken müsse nicht mehr an den Bedenken eines
Stadtteils scheitern. Man könne ein einheitliches Straßenbahnkonzept im Sinne einer
Ringbahn entwickeln. Bisher seien die Verbindungen zwischen den Städten aus Angst,
eine der Schwesterstädte könne übervorteilt werden, nur in Grundzügen ausgebaut
worden.17 Ein besonderes Interesse habe die Handelskammer, so Tille, an der
staatlicherseits geplanten Mosel-Saar-Kanalisierung für 600-Tonnen-Schiffe. Mit
diesem Projekt sei die Schaffung eines größeren Hafens im Raum Saarbrücken
verbunden. An den Kosten zum Bau des Sicherheitshafens in Höhe von 1,1 Millionen
Mark hätte sich allerdings die Stadt, auf deren Gebiet diese Maßnahme durchgeführt
werden würde, mit einer halben Million Mark zu beteiligen. Diesen Betrag könne eine
der drei Städte alleine kaum aufbringen, was ein weiteres Argument für eine Städte-
13 Vgl. Saarindustrie und Handel Jg. 10 (1905), Nr. 47, S. 248. Die Wochenschrift "Saar-
industrie und Handel" war das Organ der Handelskammer und der wirtschaftlichen Vereine
im Saargebiet. Ab dem Jahre 1906 wurde die Zeitschrift unter dem Namen "Südwestdeutsche
Wirtschaftszeitung" (SWZ) herausgegeben.
14 Ebd., S. 249. Die Einsetzung einer unabhängigen Kommission zur Schätzung der Vermö-
gens- und Betriebswerte wurde daraufhin zu einer der Hauptforderungen der Handelskammer.
15 Malstatt-Burbach sei als junge Industriestadt in Deutschland relativ unbekannt und werde
von daher häufig mit Burbach in Westfalen verwechselt. Auch St. Johann sei weniger bekannt.
Es sei z.B. vorgekommen, daß ein Paket nach "St. Johann bei Brebach. Von Brebach mit der
Kleinbahn zu befördern" adressiert worden sei. Auch zwischen den Städten gebe es wegen
ungenauer Adressierung Zustellprobleme, über die sich vor allem Verwaltungsbehörden be-
klagten.
16 Bisher gab es in Saarbrücken nur eine ’Reichsbanknebenstelle’, die der ’Reichsbankstelle
Metz’ unterstellt war.
17 Da die Initiative zum Bau der Straßenbahn von St. Johann und Malstatt-Burbach, also den
Städten rechts der Saar, ausgegangen war, war Saarbrücken mit dem Ausbau der Straßenbahn
ins Hintertreffen geraten. Nur zögernd wurde das Straßenbahnnetz auf den Stadtbezirk Saar-
brücken ausgedehnt. Vgl. 75 Jahre Gesellschaft für Straßenbahnen im Saartal AG (GSS) -
Saarbrücken (1892-1967), hrsg. v. d. GSS, Saarbrücken 1967, S. 25-66.
286
Vereinigung sei. Ebenso könne der Zusammenschluß der Errichtung einer Großkana-
lisation mit Kläranlage nur zuträglich sein, da sich die Baukosten auf 4,5 Millionen
Mark belaufen würden, wenn jede der drei Städte ihre eigene Kanalisation errichten
würde, während eine einzige Großanlage für alle drei Städte nur zwei Millionen Mark
koste.
Zu den städtischen Betriebswerken bemerkte Tille im einzelnen: "Da die General-
unkosten fast die gleichen bleiben, ob ein Gaswerk eine halbe Million oder anderthal-
be Million Mark umsetzt, und auch sonst der Großbetrieb eine ganz bedeutende
Verbilligung der Herstellungskosten bedingt, so kann es keinem Zweifel unterliegen,
daß ein Gaswerk für alle drei Städte einen erheblich höheren Überschuß bringen
könnte, der entweder durch Herabsetzung des Gaspreises oder durch Erleichterung
der städtischen Steuerlast der Allgemeinheit zugute käme." Zudem seien Renovie-
rungsarbeiten in drei Gaswerken kostspieliger als in einem einzigen. Stelle man den
Betrieb in zwei der drei Gaswerke ein und erweitere die verbleibende Anlage, so
könne man hier den günstigsten Standort für den Kohlenbezug und Koksversand be-
rücksichtigen, was den Überschuß nochmals erhöhe.18 Analog verhalte es sich mit
den Elektrizitätswerken. "Ganz besonders große Ersparnisse" würde die Zentrali-
sierung der Stromversorgung in den Saarstädten erbringen, da man dann in Malstatt-
Burbach auf ein eigenes Elektrizitätswerk verzichten könne. Ertragssteigerungen
erwarte er zusätzlich bei den Wasserwerken und Schlachthöfen.
Ihrer Zustimmung zu den Ausführungen ihres Syndikus gab die Handelskammer
durch folgende Resolution Ausdruck: "Die Handelskammer Saarbrücken hält die
Vereinigung der drei Saarstädte Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach zu
einem einzigen gemeinsamen städtischen Gemeinwesen unter dem alten geschicht-
lichen Namen Saarbrücken aus wirtschaftlichen Gründen für eine dringende Notwen-
digkeit. Sie kann sich nicht der Erkenntnis verschliessen, daß die wirtschaftlichen,
sozialen und Verkehrsaufgaben, welche dem Wirtschaftsmittelpunkte des Saargebietes
heute gestellt sind, durchaus großstädtischer Art sind und sich befriedigend und ohne
allzugroße Steuerbelastung der Einwohner aller drei Saarstädte nur durch eine solche
baldige Vereinigung lösen lassen."19
Die Opposition gegen die Vereinigung
Das Stichwort ’Kommunalsteuern’ entwickelte sich zum neuralgischen Punkt in der
öffentlichen Auseinandersetzung, welche die führenden Kreise von Handel und Ge-
werbe mit ihrer ’Vereinigungsresolution’ verursachten. Die drei Saarstädte erhoben
18 Nur das Malstatt-Burbacher Gaswerk lag in der Nähe von Bahnanlagen, so daß keine
hohen Transportkosten (Kohle) den Betriebsetat belasteten.
19 Die Resolution wurde mangels Beschlußfähigkeit der Novemberversammlung erst am 9.
Jan. 1906 verabschiedet. Vgl. Albert Ruppersberg, Geschichte der Städte Saarbrücken und St.
Johann von 1815 bis 1909, der Stadt Malstatt-Burbach und der vereinigten Stadt Saarbrücken
bis zum Jahr 1914, Teil 3: Geschichte der Stadt Saarbrücken, Bd. 2, Saarbrücken 21914 (ND
St. Ingbert 1979), S. 240.
287
bis dato sehr unterschiedliche Kommunalabgaben. Zum einen existierten in den drei
Gemeinden die unterschiedlichsten Gebühren, Beiträge und indirekten Steuern (Ver-
brauchs- und Luxussteuem), zum anderen forderten sie aufgrund des Kommunalabga-
bengesetzes (KAG)20 als direkte Kommunalsteuern sehr unterschiedliche Zuschlags-
sätze zu den Staatssteuem. Größte Bedeutung ist in diesem Zusammenhang den
Staatseinkommensteuerzuschlägen beizumessen.
Tab. 1: Zuschläge zur staatlichen Einkommensteuer21
1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908
Malstatt-Burbach 90% 90% 90% 100% 100% 100% 100% 100% 100%
Saarbrücken 100% 100% 100% 100% 110% 140% 140% 140% 150%
St. Johann 75% 75% 75% 80% 80% 90% 90% 90% 100%
Schon seit Jahren tobte zwischen den Saarstädten ein erbitterter Kampf um die Gunst
der Steuerzahler. Die Bürger des wirtschaftlich starken St. Johann vermerkten nicht
ohne Stolz, daß sie sich die niedrigsten Staatseinkommensteuerzuschläge unter den
drei Saarstädten leisten konnten. Darum regte sich gerade in St. Johann eine starke
Opposition gegen das Vereinigungsprojekt, da Teile der Bürgerschaft befürchteten,
der höhere Steuerbedarf der beiden Schwesterstädte würde sie dieses Vorteils berau-
ben. Ansiedlungsanreize für Bürger mit Spitzeneinkommen sowie Gewerbetreibende
standen auf dem Spiel. "Die Entwicklung der Höhe der Hebesätze [in Saarbrücken]
war in erster Linie von der Steuerpolitik der Nachbargemeinde St. Johann abhängig.
[...] So war St. Johann infolge seiner günstigeren Entwicklungsbedingungen in der
Lage, seine Steuersätze ständig zu senken und hatte von 1895-1900 mit einem Zu-
schlag von 60% auf die Einkommensteuer den niedrigsten Steuersatz in der Rhein-
provinz. [...] Auch die zweite Nachbargemeinde, Malstatt-Burbach, [...] hatte niedrige-
re Steuersätze als Saarbrücken. Saarbrücken mußte also, um eine Abwanderung in die
Nachbarstädte zu vermeiden, seine Steuersätze ebenfalls senken, obwohl hierbei ein
starker Fehlbetrag unvermeidlich war."22 Aber selbst in Saarbrücken, das die höch-
sten Zuschläge unter den Saarstädten verlangte, hegte Bürgermeister Feldmann Zwei-
fel, ob nicht die größeren Armenhaushalte in St. Johann und vor allem Malstatt-
Burbach im Falle einer Vereinigung zu einer weiteren Belastung für das eigene
Budget werden könnten.
20 Vgl. KAG v. 14. Juli 1893.
21 Vgl. die Haushaltspläne der drei Städte in: StadtA SB, Best. MB, Nr. 1111/ Best. SB, Nr.
18%/ Best. SJ, Nr. 1206.
22 Gerhard Neufang, Das Gesetz der wachsenden öffentlichen Ausgaben, untersucht an der
Entwicklung des Haushaltes der Stadt Saarbrücken. Eine kritische Analyse der städtischen
Finanzen in der Zeit von 1741 bis 1909, Diss. Mainz 1954, S. 81.
288
Abb. 2: Siedlungsflächen von Malstatt-Burbach, Saarbrücken und St. Johann
in den Jahren 1850 bzw. 1906/08
289
Aus diesem Grunde bemühten sich der Saarbrücker Bürgermeister und der St. Johan-
ner Beigeordnete Klein sowie der designierte Beigeordnete Muth 1906/07 in einem di-
plomatischen Alleingang als Ersatzlösung um eine Zweistädtevereinigung zwischen
Saarbrücken und St. Johann. Malstatt-Burbach, der Industrie- und Arbeiterstadt mit
der jüngsten Tradition, brachte man beiderseits ein recht großes Mißtrauen entgegen,
obwohl die Wirtschaftsdaten eher für eine Vereinigung zwischen Malstatt-Burbach
und St. Johann als zwischen Saarbrücken und St. Johann sprachen. Nach den Vor-
stellungen Muths sollte die Gesamtstadt Saarbrücken-StJohann eine gemeinsame
Verwaltung und Betriebsführung erhalten. Eine Vereinigung mit Malstatt-Burbach
sollte bis mindestens 1921 ausgeschlossen sein.23 Die Haushaltsführung, das Steuer-
system und das örtliche Vermögen, die Verfügung über Märkte, Plätze und Straßen
sowie die Auffahrten zu den gemeinsamen Brücken sollten Eigenbereiche der Teil-
städte bleiben. Anleihen sollten allerdings von der Gesamtstadt aufgenommen werden
können. Jede Stadt sollte eine eigene Stadtverordnetenversammlung mit 18 Mit-
gliedern erhalten, die gemeinsam beraten und beschlußfähig sein sollten.24
Dieses Vorgehen führte, nachdem es an die Öffentlichkeit gedrungen war, zur soge-
nannten St. Johanner "Beigeordnetenkrise", die Feldmann zum Rücktritt veranlaßte
und die Vereinigungsgegener letztendlich politisch diskreditierte.25 Der Herausgeber
der St. Johanner Tageszeitung "Saar-Post" Muth und der Syndikus der Saarbrücker
Handelskammer Tille verstrickten sich über ihre unterschiedlichen Ansichten zur Ver-
einigungsfrage in einem publizistischen Grabenkrieg. Hintergrund dieser Auseinander-
setzung war sicherlich der Parteiengegensatz, den beide verkörperten. Während Tille
der Nationalliberalen Partei angehörte,26 vertrat Muth die Zentrumspartei in der St.
Johanner Stadtverordnetenversammlung und im preußischen Landtag. Der Wider-
stand Muths gegen die Vereinigung muß daher auch unter dem Gesichtspunkt der
Auflehnung des Zentrums gegen die politische Vorherrschaft der Rechtsliberalen in
den Stadträten des Kreises betrachtet werden.27
23 Der Termin entspricht der 600-Jahr-Feier der gemeinsamen Stadtwerdung von Saarbrücken
und St. Johann im Jahre 1321.
24 Vgl. StadtA SB, Best. SB, Nr. 684, Pg. 59fF.: "Grundzüge der Vereinigung von Saarbrücken
und St. Johann" (verf. von Muth).
25 Vgl. SZ v. 26.-30. Nov. 1906, St. Johann-Saarbrücker Volkszeitung (VZ) v. 26. Nov. 1906,
Saarpost v. 26. Nov. 1906 u. SWZ, Jg. 11 (1906), Nr. 52, S. 371f. Siehe auch: Ruppersberg,
Geschichte der Stadt Saarbrücken, S. 244 f.
26 Tille handelte sich durch sein scharfes Vorgehen gegen die Vereinigungsgegner schließlich
den Ausschluß aus der Nationalliberalen Partei ein, nachdem es zu einem Prozeß zwischen
Tille und Bürgermeister Feldmann gekommen war, dem der Handelskammersyndikus eine zu
nachgiebige Haltung in der Vereinigungsfrage vorwarf. Vgl. Heinrich Krueckemeyer, 25 Jahre
Stadt Saarbrücken, Saarbrücken 1934, S. 12. SZ v. 20. Feb. 1907: Feldmann wurde zu einer
Geldstrafe von 60 Mark wegen Beleidigung ("loser Bube") und Tille zu einer Geldstrafe von
30 Mark wegen Verleumdung verurteilt.
27 Hinzu kommt, daß der katholische Bevölkerungsteil der Saarstädte in den Stadtverord-
netenversammlungen völlig unterrepräsentiert war. So saßen unter den 24 Stadtverordneten
des Saarbrücker Stadtrats von 1907 nur zwei Katholiken (und ein Altkatholik) neben 21
290
Interessanterweise stellte gerade in St. Johann, wo auch die niedrigsten Steuersätze
bestanden, das Zentrum eine relativ starke Oppositionsgruppe. Die Tatsache, daß hier
eine der bedeutendsten und traditionsreichsten katholischen Pfarreien im Raum der
ehemals protestantischen Grafschaft Saarbrücken ansässig war, kann dieses Phänomen
keineswegs hinreichend erklären, denn die immensen Bevölkerungsverschiebungen im
Zuge der Industrialisierung hatten in allen drei Saarstädten quasi zur Egalisierung des
Konfessionsverhältnisses geführt. Vielmehr wurde in St. Johann im Zusammenspiel
von Steuer- und Wahlgesetzgebung ein bisher wenig beachteter Aspekt des plutokrati-
schen Dreiklassenwahlrechts wirksam, das ansonsten "den Liberalen selbst dann noch
bequeme Mehrheiten in den Gemeindevertretungen [sicherte], als diese bei den
Reichstagswahlen deutlich hinter Zentrum und/oder Sozialdemokratie zurückgefallen
waren"28.
Die Grenze zur Wahlberechtigung zwischen den ersten beiden und der dritten
Wählerklasse war abhängig von einem Durchschnittssteuersatz, der sich aus dem
arithmetischen Mittel der individuellen Steuerveranlagungsgesamtbeträge aller Steuer-
pflichtigen einer Stadt ergab.29 Dieser Durchschnittssteuersatz variierte teils er-
heblich gemäß den nach KAG von der Kommune festzusetzenden Kommunalab-
gaben, welche zumindest seit der Jahrhundertwende den größten Anteil des Gesamt-
steuerbetrages ausmachten. In St. Johann lag aufgrund seiner niedrigen Steuerzu-
schläge der für die Wahlberechtigung in der ersten bzw. zweiten Klasse zu zahlende
Gesamtsteuerbetrag wesentlich niedriger als in seinen beiden Nachbargemeinden. Im
Vergleich hierzu hoben in Malstatt-Burbach und Saarbrücken die oberen steuerlichen
Extremwerte, begünstigt durch die progressive Staffelung der direkten Steuern - und
beim arithmetischen Mittel fallen Extremwerte überproportional ins Gewicht -, den
Durchschnittssteuersatz deutlich an, wodurch "die Wähler der I. und II. Klasse weiter-
hin einen sehr kleinen [...] außergewöhnlich wohlhabenden Ausschnitt der städtischen
Gesellschaft"30 bildeten, die erfahrungsgemäß dem liberalen Lager nahestanden. In
St. Johann dagegen besaßen auch mittlere und untere Einkommensgruppen die
Chance, zumindest in der zweiten Klasse wählen zu können, was dem Zentrum in der
Protestanten. Vgl. StadtA SB, Best. SB, Nr. 660. Zum Gegensatz Zentrum-Nationalliberale in
den rheinischen Städten vgl. Lenger (Anm. 3), S. 113ff.
28 Lenger (Anm. 3), S. 120. Vgl. hierzu allg. Helmuth Croon, Die gesellschaftlichen Auswir-
kungen des Gemeindewahlrechts in den Gemeinden und Kreisen des Rheinlandes und West-
falens im 19. Jahrhundert, Köln/Opladen 1960.
29 Vgl. Wahlgesetz v. 30. Juni 1900. Der Begriff ’Steuerveranlagungsbetrag’ besagt, daß nicht
die tatsächlich gezahlten, sondern die veranlagten Steuern zur Berechnung des Durchschnitts-
steuersatzes herangezogen wurden. Dies betraf alle veranlagten Steuern (Staats-, Kreis-, Be-
zirks- u. Kommunalsteuem), nicht wie bei der Anrechnung zur Wahlberechtigung (Wahlzen-
sus) ausschließlich die direkten Staatssteuem.
30 Lenger (Anm. 3), S. 120.
291
Regel die Behauptung seiner Kandidaten gegen die Liberalen erleichterte.31 Eine
Erhöhung der steuerlichen Hebesätze im Gefolge einer Städtevereinigung war in
diesem Sinne für die Zentrumsfraktion gleichbedeutend mit einer Gefährdung ihrer
politischen Existenz in der St. Johanner bzw. Gesamt-Saarbrücker Stadtverordneten-
versammlung.
Schließlich stand zu befürchten, daß die Vereinigung den Bürgern der Nachbarstädte,
die mit einem höheren Steuersoll zu kämpfen hatten, zu einer steuerlichen Entlastung
verhelfen würde, während die St. Johanner die Defizite dieser Gemeinden über Steu-
ererhöhungen mitfinanzieren müßten. Diese Überlegungen verursachten nicht nur
unter den Katholiken und Zentrumsanhängem, sondern beim Großteil der Geschäfts-
leute der Handelsstadt Bedenken gegen die Städtevereinigung.
Die Presse
Die Vereinigungsfrage beschäftigte ’unabhängige’ Zeitungen ebenso wie die Presseor-
gane der ’Vereinigungsparteien’. Die Vehemenz, mit der die Handelskammer für die
Städtevereinigung eintrat, rief sogar überregional Erstaunen hervor. Eine Frankfurter
Zeitung berichtete am 14. Oktober 1906: "Vor Jahresfrist rief die Großindustrie an
der Saar durch Dr. Alexander Tille eine lebhafte Propaganda für die Vereinigung der
drei Schwesterstädte Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach zu einer Saar-
großstadt hervor. Man war vielfach überrascht über dieses Vorgehen der Großindu-
striellen, denn bis dahin hatten sie den kommunalen Angelegenheiten der Saarstädte
verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt."32
In Reaktion auf die Argumente der Vereinigungsgegner erörtete man allseits die Vor-
und Nachteile der Städtevereinigung. Die Saarbrücker Zeitung veröffentlichte einen
Artikel, in dem "Die Ersparnisse bei Zusammenlegung der Gaswerke der 3 Saar-
städte" auf eine jährliche Einsparungssumme von 78.460,- Mark beziffert wurden.33
Die Wochenschrift der Handelskammer errechnete bei Zusammenlegung der Gasan-
stalten, Elektrizitätswerke, Schlachthöfe und Wasserwerke im ganzen mindestens eine
dauernde Betriebsersparnis von 180.000,- Mark, "was ca. lO.v.H. des [...] Steuersolls
der drei Städte ausmachte."34 Hierauf aufbauend beantwortete man die Frage:
31 Eine detaillierte neuere wahlgeschichtliche Studie zu den Saarstädten steht z.Z. noch aus.
Die ältere Darstellung von Josef Beilot, 100 Jahre politisches Leben an der Saar unter
preußischer Herrschaft (1815-1918), Bonn 1954 deckt den Themenkreis m.E. nicht erschöp-
fend ab.
32 StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 78. Vgl. auch SZ v. 27. Nov. 1905ff., Saarpost v. 1. Dez.
1905ff., VZ v. 11. Nov. 1905fF. Eine umfangreiche Pressedokumentation findet sich in: StadtA
SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 34ff.
33 Vgl. SZ v. 15. Dez. 1905.
34 Vgl. Saarindustrie und Handel, Jg. 10 (1905), Nr. 50, S. 276. In der Wochenschrift der Han-
delskammer Saarbrücken wurde eine ganze Reihe von Artikeln veröffentlicht, die die Vorteile
einer Vereinigung darlegten. Vgl. ebd., Jg. 10 (1905), Nr. 50 u. 51 sowie Jg. 11 (1906) [jetzt:
SWZ], Nr. 6 u. 7 usw.
292
"Welche Steuererspamisse würde die Bevölkerung der Saarstädte durch die Vereini-
gung machen?"35 sehr optimistisch. Unter Einbeziehung weiterer Faktoren errech-
nete man Gesamteinsparungen in Höhe von 650.000,- Mark pro Jahr und durch Sub-
traktion dieses Betrages vom Steuersoll des Jahres 1905, das einen Umfang von
1.700.000,- Mark hatte, kam man zu dem Ergebnis: "Volle 38 Prozent ihrer heutigen
Steuern zahlen also die Einwohner der Saarstädte nur deswegen, weil die Saarstädte
noch nicht vereinigt sind."36 "Es gibt bekanntlich immer noch Leute, die der Mei-
nung sind, Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach seien selbständige Städte.
Im Grunde liegt die Selbständigkeit freilich darin, daß sie alle drei zu hohe Steuern
bezahlen, weil sich jede von ihnen den Luxus einer eigenen Verwaltung und eigener
städtischer Betriebe leistet."37
Der Verein zur Vereinigung der Saarstädte
Als institutioneile Stütze des Vereinigungsanliegens wurde auf Betreiben Tilles im
Herbst 1906 der Verein zur Vereinigung der Saarstädte ins Leben gerufen. Im
Verlauf der konstituierenden Versammlung des Vereins am 25. Oktober 1906 spra-
chen u.a. der Direktor der St. Johanner Betriebswerke Tormin und der Saarbrücker
Architekt Weszkalnys zur Frage der zu erwartenden Ersparnisse sowie zu den an-
stehenden Aufgaben in einer zukünftigen Großstadt.38 Ganz im Gegensatz zu den
Wortführern der Vereinigungsdiskussion, die sich emotional geladene Wortgefechte
lieferten, sprach aus den beiden Fachleuten, die aufgrund ihrer Sachkenntnis rea-
listische Daten vorlegen konnten, die Nüchternheit von Ingenieuren. Tormin ver-
wahrte sich gegen argumentative Kurzschlüsse und sah sich gezwungen, einleitend
festzustellen, daß er "in dem Übergang der Betriebswerke und in der Verteilung ihrer
Erträgnisse eine der größten Schwierigkeiten für eine glatte und für eine rasche
Vereinigung der Städte erblicke."39 Einerseits stellte er damit die Polemik und Naivi-
tät der bisherigen Diskussion bloß, andererseits gelang es ihm, die Auseinander-
setzung anhand detaillierter Fakten auf eine konstruktive Ebene zu heben. Er wider-
legte die Meinung, nur der große städtische Zentralbetrieb ermögliche eine optimale
35 Vgl. ebd., Jg. 10 (1905), Nr. 51, S. 279.
36 Die Gesamtsumme der Einsparungen errechnete der Autor wie folgt:
Verwaltungskostenerspamis (= Hälfte des momentanen Betrags) 100.000,-
Betriebswerkserspamis 180.000,-
Zinseinsparungen wg. geringerem Anlagekapital bei Erneuerungen 120.000,-
Amortisationserspamis 100.000,-
eingesparte Kreissteuer durch Ausscheiden aus dem Kreis 150.000.-
650.000,- Mark.
37 SWZ, Jg. 11 (1906), Nr. 7, S. 46.
38 Vgl. ebd., Nr. 44, S. 290ff,
39 Ebd., S. 294. Der Titel des Vortrags lautete: "Welche Ersparnisse können die Saarstädte
durch Vereinigung ihrer Wasserwerke, Schlachthöfe, Gaswerke, Elektrizitätswerke, Verwal-
tungen und künftigen Kanalisationsanlagen machen?".
293
Gewinnausnutzung. Tormin konnte anhand von Zahlenmaterial beweisen, "daß keines
der [großen deutschen Gas-] Werke - und sie sind teilweise 5-6 mal so groß als unser
späteres Zentralwerk würde - es sind darunter auch ganz modern eingerichtete wie
Krefeld - billiger arbeitet, wie eines unserer Kleinwerke."40 Er sprach sich damit ge-
gen den Bau eines Zentralgaswerkes für die drei Saarstädte aus und regte eine
bessere Ausnutzung der bestehenden Betriebskapazität an. Er gestand allerdings ein,
daß die Gaswerke mittlerweile an ihre Leistungsgrenze stoßen würden. Andererseits
habe der Grund und Boden, auf dem die elf kommunalen Betriebe der Saarstädte
ständen, einen Wert erlangt, der der Restschuld der Werke gleichkomme, diesen
wahrscheinlich auch überschreite. Die städtebauliche Expansion St. Johanns hatte
beispielsweise dazu geführt, daß das einst am äußersten nordöstlichen Stadtrand er-
richtete Gaswerk und der Schlachthof nun auf begehrtem und teurem Baugrund
standen. Deshalb sei in diesem Falle eine Einstellung des Betriebes zu erwägen. Im
Gegensatz zu den Gasanstalten sei es erwiesen, daß sowohl Saarbrücken als auch St.
Johann im Betriebsjahr 1905 mit ihrem Elektrizitätswerk je 5.000 Mark mehr Gewinn
erzielt hätten, wenn der Strom von der Schwesterstadt bezogen worden wäre. Deswei-
teren könne eine Senkung der Versorgungstarife nicht im Interesse der Großstadt
liegen, "weil die Tarifpolitik städtischer Betriebswerke sich von der Steuerpolitik der
Städte nicht trennen läßt. Beschneiden sie die Einnahmen der Werke, müssen sie das
entstehende Defizit durch schärferes Anziehen der Steuerschraube auf anderer Seite
wieder decken."41 Anstatt an eine Senkung der Tarife zu denken, seien die bevor-
stehenden Investitionen zu beachten. Allein die Kosten zum Bau der Kanalisation und
zum Ausbau der Straßenbahn würden zusätzliche Überschüsse der zu rationalisieren-
den Betriebsverwaltung notwendig machen. Mit realistischem Blick für die drängende
Sachlage mahnte der Verwaltungsexperte die Verantwortung der Städte Malstatt-Bur-
bach, Saarbrücken und St. Johann als Träger eines umfangreichen, kostspieligen
Leistungssystems an.
Der anschließende Vortrag des Saarbrücker Architekten Weszkalnys unterstrich die
Ausführungen des Betriebsdirektors von St. Johann. Er erläuterte den Aufwand und
die Kosten der schon fest geplanten Großprojekte, zu denen der Bau des Handelsha-
fens, die Errichtung zweier neuer Brücken und die Erweiterung des Straßenbahnnet-
zes zählten, sowie die Erfordernisse zur Erstellung eines Gesamtbebauungsplanes für
Groß-Saarbrücken.42 Er sprach den Bereich der sozialen Leistungsverwaltung an und
verwies im besonderen auf die Notwendigkeit eines städtischen sozialen Wohnungs-
baus, von Unfallstationen mit den erforderlichen sanitären Einrichtungen, der Rege-
lung des Krankentransportwesens sowie des Aufbaus einer Berufsfeuerwehr.43
40 Ebd., S. 295. Tormin hatte sich für diesen Vortrag eigens die Betriebsberichte der Gas-
werke aus Bonn, Düsseldorf, Barmen, Elberfeld, Kassel, Krefeld und Köln zuschicken lassen.
41 Ebd.
42 Ebd., S. 298.
43 Vgl. ebd., S. 299. Professor Albert Ruppersberg ergänzte diese Überlegungen mit einem
Vortrag zu den "Kulturaufgaben der vereinigten Saarstädte". Er sah die Notwendigkeit zum
294
Die differenzierten Gutachten Tormins und Weszkalnys’ legten statt der bislang mehr
oder minder unreflektiert gebrauchten Schlagworte ’Wirtschaftliche Einsparungen’
bzw. ’Erhöhung der Betriebsüberschüsse’ zwingende Gründe für einen Zusammen-
schluß dar und erwiesen damit die angeblichen Vorteüe sogar als Notwendigkeiten.
Die beiden Technokraten leiteten damit eine zweite, eher sachbezogene Phase der
Vereinigungsdiskussion ein.
Neben die öffentliche Auseinandersetzung traten nun auch offizielle Verhandlungen
zwischen Vertretern der drei Städte. Den Anstoß zu diesen Unterredungen gab die
Einsicht in Sachzwänge jedoch nur bedingt. Den Bürgermeistern, die den gesamten
kommunalen und staatlichen Verwaltungsapparat hinter sich wußten, kam hier eine
Schlüsselposition zu. Die Leistungsverwaltung lieferte den örtlichen Verwaltungsleitern
die Argumente, die staatliche Administration unterstützte sie durch ihre Autorität, die
der Politik der Bürgermeister gegenüber ihren Stadtverordnetenversammlungen den
nötigen Nachdruck verlieh. Bürgermeister Neff von St. Johann und Bürgermeister
Schmook von Malstatt-Burbach, der nach dem Rücktritt Feldmanns zusätzlich zum
kommissarischen Bürgermeister von Saarbrücken ernannt worden war,44 ließen sich
bereitwillig zum Werkzeug des Trierer Regierungspräsidiums machen. Feldmann hatte
sich als einziger der drei Bürgermeister konsequent als Repräsentant kommunaler
Selbstverwaltung verstanden45, während seine beiden Kollegen ihr Amt wesentlich
als Bestandteil der Staatsverwaltung interpretierten. Auf Geheiß des Regierungspräsi-
denten drängten sie die Stadtverordnetenkollegien, die Beschlüsse zu fassen, die den
Vereinigungsprozeß vorantrieben. Das parlamentarische Organ der bürgerlichen
Selbstverwaltung, die Stadtverordnetenversammlung, wurde mit seinen Eigeninter-
essen teilweise regelrecht mißachtet und mit seinen Kompetenzen nur als Hemmnis
im Getriebe der staatlichen Administration empfunden.
Trotz dieser Gegensätze verquickten sich im ’Verein zur Vereinigung der Saarstädte’
in bemerkenswerter Weise die Interessen von Staatsbeamten zumindest mit denen
wirtschaftsbürgerlicher Kreise, die für eine Städtevereinigung eintraten. In der kon-
stituierenden Sitzung des Vereins wurde Landrat Bötticher zum ersten Vorsitzenden
Ausbau des Schulwesens, zur Einrichtung eines Museums und eines Theaters. Das erste der
vier Referate hatte Alexander Tille zum Thema "Die wirtschaftliche Stellung der Saarstädte
in Südwestdeutschland" gehalten. Er brachte jedoch keine Aspekte in die Diskussion ein, die
er nicht schon an anderer Stelle vertreten hätte. Vgl. ebd., S. 291ff.
44 Feldmann schied zum 1. Jan. 1908 aus seinem Amt als Bürgermeister der Stadt Saarbrük-
ken. Paul Schmook übernahm ab dem 1. Okt. 1907 als kommissarischer Bürgermeister die
Geschäfte in Saarbrücken. Er war der Stadtverordnetenversammlung von Feldmann persönlich
hierfür vorgeschlagen worden. Am 15. Aug. 1907 wurde der Malstatt-Burbacher Bürgermeister
mit 12 zu 4 Stimmen (d.h. 8 Enthaltungen !) gewählt. Vgl. SZ, VZ, Saarpost v. 16. Aug. 1907
u. StadtA SB, Best. MB, Nr. 515, Pg. 142..
45 Feldmann war davon überzeugt, daß die Städtevereinigung Nachteile für Saarbrücken mit
sich bringen würde. Als erklärter Vereinigungsgegner trat er von seinem Amt zurück, als er
erkannt hatte, daß die Mehrheit der Saarbrücker Stadtverordneten dem Vereinigungsprojekt
wohlwollend gegenüberstand. Er schlug Schmook als seinen Nachfolger vor, da dieser ein
klarer Vereinigungsbefürworter war und zudem die Saarbrücker Verhältnisse bestens kannte.
Vgl. SZ v. 16. Aug. 1907.
295
des Vereins gewählt. Den Vorstand bildeten bekannte Persönlichkeiten aus den Stadt-
verordnetenversammlungen der drei Saarstädte. Auf einige Anfragen hin wurde es
den St. Johanner Kommunalbeamten ausdrücklich erlaubt, dem Verein beizutre-
ten.4^ So zählte der Verein innerhalb kürzester Zeit über 1.000 Mitglieder.46 47
Von den Vereinigungsprogrammen zum Vereinigungsvertrag
Dem wachsenden administrativen und öffentlichen Druck mußten sich schließlich
auch die Gegner der Städtevereinigung in den Stadtverordnetenversammlungen
beugen. Mittlerweile drohte nämlich Malstatt-Burbach massiv mit dem Kreisaustritt.
Da die Industriestadt einen Bevölkerungsstand von nahezu 50.000 Einwohnern
erreicht hatte, konnte sie von dem Recht Gebrauch machen, aus dem Kreis Saar-
brücken auszuscheiden und einen eigenen Stadtkreis zu bilden. Damit hätten sich
jedoch automatisch die Kreislasten der anderen Gemeinden erhöht. Die Bezirksre-
gierung hatte ein eigenes Interesse am Verbleib Malstatt-Burbachs im Kreis Saar-
brücken. Die junge Industriestadt galt als unruhiges Pflaster, wo der Einzug von
Sozialdemokraten oder anderer sozialrevolutionärer Elemente in den Stadtrat lang-
fristig am ehesten zu befürchten stand. Und durch den Kreisaustritt hätte die Ge-
meinde Anspruch auf eine eigene Stimme im Provinziallandtag erhalten.
Deshalb verabschiedeten die Gemeinderepräsentanten der einzelnen Städte in der
zweiten Hälfte des Jahres 1907 sogenannte ’Vereinigungsprogramme’, die als Grund-
lage für die im Januar 1908 anlaufenden Verhandlungen der ’Städtevereinigungs-
kommission’ gedacht waren. Sie markierten einen entscheidenden Wendepunkt im
Vereinigungsprozeß. Durch den Entschluß zur Aufnahme der Verhandlungen war die
Entscheidung zugunsten der Vereinigung der drei Saarstädte unumstößlich gefallen.
Nun galt es aus der Sicht der Opposition, die nachteiligen Auswirkungen des Zu-
sammenschlusses so gering wie möglich zu halten. Damit bestand plötzlich ein Kon-
sens zwischen den bisherigen ’Vereinigungsfreunden’ und den ’Vereinigungsfeinden’
in den Stadtratsgremien der drei Teilstädte, und dieser schlug sich auch sofort in den
Leitsätzen der einzelnen Städte nieder. Kein Stadtverordneter wollte, daß ’seiner’
Stadt durch die Städtevereinigung ein Nachteil entstünde.
Jede der drei Gemeinden forderte zahlreiche Vorbehaltsrechte. Malstatt-Burbach
meinte aufgrund seiner Bevölkerungsmehrheit "zweifellos mehr als ein Drittel der
Gesamtzahl [der Stadtverordneten]... beanspruchen zu können."48 St. Johann forder-
46 Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 80. Die Genehmigung erteüte Bürgermeister Neff am
24. Okt. 1906.
47 Vgl. SWZ, Jg. 11 (1906), Nr. 52, S. 371f.: Im Oktober gegründet, zählte der Verein zur
Vereinigung der Saarstädte Mitte Dezember 1 048 Mitglieder. Von diesen stammten 424 aus
St. Johann, 413 aus Saarbrücken und 211 aus Malstatt-Burbach.
48 Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 150: "Beschluß der Stadtverordnetenversammlung
[Malstatt-Burbach] vom 12. Dez. 1907: Programmpunkte für die Städtevereinigung". In
Malstatt-Burbach hatte man schon im Juni 1907 "Leitsätze der Stadt Malstatt-Burbach für die
Dreistädtevereinigung" erarbeitet - damals unter dem Eindruck der St. Johann-Saarbrücker
296
te den Fortbestand des getrennten Steuersystems für die drei Teilstädte in einem
Konzept, das sich auffallenderweise im großen und ganzen mit dem Entwurf deckte,
den Muth ziemlich genau ein Jahr zuvor für die St. Johann-Saarbrücker Zweistäd-
tevereinigung mit dem Ziel eines Städtebundes vorgelegt hatte.49 Die Saarbrücker
Stadtverordneten drängten in wesentlichen Punkten auf näher zu bestimmende
Übergangsregelungen.50
Die Vorbehalte der drei Stadtverordnetenversammlungen ließen die Vereinigungsver-
handlungen nur stockend vorankommen. Ein weiterer hemmender Faktor war die
ungeklärte Kanalisationsfrage. Schon im Falle der bereits bestehenden und gewinn-
trächtigen Kommunalbetriebe fanden die Verhandlungspartner nur sehr schwer zu
Kompromissen. Umso unbeweglicher zeigten sich die Vertreter der Teilstädte, wenn
sie über die anteilsmäßige Heranziehung ihrer Kommunen zur Kostendeckung
anstehender Großprojekte debattierten, von denen keine Rentabilität zu erwarten
war. Die Kanalisationsfrage stand dabei eher stellvertretend für alle größeren In-
vestitionen, auf die Tille, Tormin, Weszkalnys und Ruppersberg in ihren Referaten
eingegangen waren.51 Regierungspräsident von Bake hatte die drei Saarstädte schon
mit Schreiben vom 30. Oktober 1904 ermahnt: "Das andauernde Auftreten von Ty-
phus in den drei Saarstädten Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach und die
hochgradige Verschmutzung der Saar durch die aus den Städten in den Fluß ge-
langenden Abfallstoffe läßt eine weitere Herausschiebung der Durchführung der
schon lange als notwendig erkannten Kanalisation in den drei Städten nicht mehr
angängig erscheinen."52 Da sich die drei Gemeinden allerdings nicht einigen konn-
ten, ob es günstiger sei, einen Hauptsammler und eine Kläranlage zu bauen, oder ob
sich besser jede Stadt ihr eigenes Klärsystem zulege, welches Klärverfahren das rich-
tige sei und wer überhaupt die Kosten der zuvor zu erstellenden Gutachten zu wel-
chem Anteil zu tragen habe, verhallten die Forderungen und Drohungen des Regie-
rungspräsidiums unerhört.53
Doch obwohl der ’Verein zur Vereinigung der Saarstädte’ die Saarstädte aufforderte,
die Kanalisationsfrage mit der Vereinigungsfrage unmittelbar zu verknüpfen,54 wurde
die Lösung der Kanalisationsfrage letztlich auf die Zeit nach der Städtevereinigung
Bemühungen um eine Sondervereinigung. Vgl. ebd., Pg. 126-128.
49 Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 140f. Protokoll der Stadtverordnetenversammlung
vom 7. Nov. 1907 (geheime Sitzung) und StadtA SB, Best. SJ, Nr. 684, Pg. 59ff.
50 Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 147f. mit dem Vereinigungsprogramm der Saar-
brücker Finanzkommission v. 27. Nov. 1907.
51 Vgl. SWZ, Jg. 11(1906), Nr. 44, S. 291ff.
52 StadtA SB, Best. SB, Nr. 521, Pg. 5.
53 Vgl. StadtA SB, Best. SB, Nr. 521: "Kanalisationsplan 1903-19087 Nr. 528: "Ausbau der
Entwässerungsanlagen der Stadt Saarbrücken", Best. SJ, Nr. 515/518: "Kanalisation der Saar-
städte", Best. Großstadt, Nr. 5336: "Kläranlage für Gesamtstadt".
54 Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 115: Resolution des Vereins zur Vereinigung der
Saarstädte vom 7. Juni 1907.
297
vertagt. So geschah es auch mit allen weiteren in der Planung befindlichen Projekten
der drei Saarstädte. Bis die Vereinigung vollzogen wurde, stagnierte darum die ge-
samte Stadtentwicklung. Zuerst hatte die Diskussion, in welcher Weise die Kanalisa-
tionsfrage in die Vereinigungsverhandlungen integriert werden sollte, die Unterredun-
gen ins Stocken gebracht, nun verhinderte das mühsame Fortschreiten der Gespräche
die Durchführung notwendiger Stadtentwicklungsmaßnahmen.
Immerhin konnte man sich nun, nachdem diese Entscheidung gefallen war, wenigstens
auf die tatsächlichen Vermögenswerte konzentrieren. Der Regierungsbeauftragte Dr.
Schmidt hatte schon im Jahre 1907 auf Weisung des Regierungspräsidiums eine
Untersuchung der Vermögens-, Schuld- und Steuerverhältnisse der Saarstädte vor-
genommen.55 Die ’Städtevereinigungskommission’, die sich im Januar des Jahres
1908 konstituiert hatte, konnte auf diese Unterlagen zurückgreifen. Sie gab darüber
hinaus einen "Bericht über die Vermögens- und Betriebsverhältnisse der Betriebe der
Saarstädte" in Auftrag, den Betriebsdirektor Tonnin der Kommission am 1. Juli 1908
erläuternd vortrug.56 Es zeigte sich darin, daß die drei Städte tatsächlich über sehr
unterschiedliche Vermögenswerte und Versorgungstarife verfügten. Das Betriebs-
vermögen der Stadt St. Johann wurde auf 1 332 458 Mark beziffert, dasjenige von
Saarbrücken auf 576 990,64 Mark und das von Malstatt-Burbach auf 388 904,65
Mark. Der mittlere Verkaufspreis für einen Kubikmeter Gas lag in St. Johann bei
11,26 Pfennigen, in Saarbrücken bei 12,26 Pf. und in Malstatt-Burbach bei 12,61 Pf.,
für einen Kubikmeter Wasser in St. Johann bei 13,29 Pf., in Saarbrücken bei 20,93 Pf.
und in Malstatt-Burbach bei 14,89 Pf.57 Die Ansprüche, die St. Johann in seinem
Vereinigungsprogramm bezüglich einer autonomen Tarifpolitik geltend gemacht hatte,
entbehrten also nicht der rechnerischen Grundlage.
Als sich angesichts dieser Sachlage die Verhandlungen über den Zusammenschluß der
kommunalen Versorgungsnetze monatelang ergebnislos hinzogen, fragte Landrat
Bötticher Mitte des Jahres 1908 voller Ungeduld bei den Bürgermeistern der Saar-
städte nach: "Was steht eigentlich einer Sache noch hinderlich entgegen, die jetzt fast
55 Landrat Bötticher hatte am 12. Nov. 1906 die drei Stadtverordnetenversammlungen
aufgefordert, beim Regierungspräsidium einen Antrag auf Einsetzung eines Staatsbeamten zur
Durchführung des Vermögensabgleichs zu stellen. Die diesbzgl. Beschlußfassung erfolgte in
den entsprechenden Gremien am 6. Dez. (SJ), 20. Dez. (MB) bzw. 27. Dez. 1906 (SB). Vgl.
StadtA SB, Best. SJ, Nr. 548.
56 Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 805: "Protokolle über die Sitzungen der Städtevereinigungs-
kommission" und ebd., Nr. 548: "Prüfung der Vermögensverhältnisse der 3 Städte". Die Akten
enthalten nur das ’Rohmaterial’ des Berichtes, aber keine Niederschrift des mündlichen Vor-
trags.
57 Eine Errechnung der Stromtarife ersparte sich Tormin, da Malstatt-Burbach über kein
eigenes Elektrizitätswerk verfügte. Eine detaillierte Ergänzung stellen die Bemerkungen des
Saarbrücker Betriebsleiters Buhe vom 24. Mai./2. Juni. 1908 zum statistischen Material des St.
Johanner Betriebsdirektors Tormin dar. Buhes Beurteilung diente der Saarbrücker Delegation
als Gesprächsgrundlage. Vgl. StadtA SB, Best. SB, Nr. 684.
298
von allen einsichtsvollen Leuten dringend gewünscht, je deren längerer Aufschub von
dem Gros der Bevölkerung für verhängnisvoll bezeichnet wird?"58
Wenig später reiste der neue Trierer Regierungspräsident von Baltz in Begleitung des
Saarbrücker Landrats persönlich zur Sitzung der Vereinigungskommission vom 25.
September 1908 an, um sich über den Verhandlungsstand zu informieren.59 Ange-
sichts der Zerstrittenheit, die ihm im Verlauf dieser Verhandlung vor Augen trat, hielt
es von Baltz für angebracht, auch weiterhin an den Beratungen der Städtevereini-
gungskommission teilzunehmen.60 Innerhalb von nur zwei Monaten setzte er eine
Einigung der Städte in den wesentlichen Punkten der Städtevereinigungsfrage durch.
Nach zehnmonatigen eigenständigen Verhandlungen der Kommission, die kein Er-
gebnis erbracht hatten, genügte jetzt eine einzige Sitzung, um die Modalitäten der
Betriebsvereinigung zu beschließen.61 Im Verlauf des Monats Oktober konnte er bei
nur drei Beratungsterminen eine Einigung in allen Steuerfragen erzwingen.62 Der
Regierungspräsident verfolgte dabei die Verhandlungsstrategie, die Vertreter der
einzelnen Städte ihre Ansichten zu den einzelnen Verhandlungspunkten referieren zu
lassen und dann einen eigenen Schlichtungsvorschlag einzubringen, in dem er die
Wünsche der Teilstädte mehr oder weniger berücksichtigte. Sofern er der Auffassung
der Kommunalpolitiker widersprach, begründete er dies mit seiner ’neutralen’ Sicht
der Dinge und dem ’höheren öffentlichen Interesse’ der Städtevereinigung, das Opfer
von den einzelnen Städten verlange. Nach einer kurzen Diskussion wurden die
Vorschläge des Ehrenvorsitzenden in der Regel seitens der Städtevertreter angenom-
men. Eine ernsthafte Gegenwehr leisteten nur die Beauftragten der Stadt St. Johann.
Nicht zuletzt aus deren konsequenter Haltung läßt sich die Festschreibung von
Sonderregelungen im Städtevereinigungsvertrag erklären, wogegen sich das Regie-
rungspräsidium wie das preußische Innenministerium stets vehement gesträubt
hatten.63 * * * Als der Vereinigungsvertrag am 5. Dezember 1908 in einer gemeinsamen
58 StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 178f.: Schreiben des Landrats vom 30. Juni 1908. Bötti-
cher drängte auf eine Einigung noch innerhalb des laufenden Jahres. Bei ihm seien schon
mehrfach Anfragen von Behörden und anderen Stellen diesbezüglich eingegangen.
59 Vgl. ebd., Nr. 805: Protokolle der Sitzungen der Städtevereinigungskommission. Der Ver-
handlungsverlauf bei den Sitzungen der Städtevereinigungskommission kann nicht im Detaü
nachgezeichnet werden, da es sich bei den Protokollen im großen und ganzen um Ergebnis-
protokolle handelt.
60 Regierungspräsident von Baltz nahm ab diesem Zeitpunkt an allen Plenarsitzungen der
Städtevereinigungskommission in der Funktion des Ehrenvorsitzenden und Verhandlungslei-
ters teil. Nur die Unterausschüsse arbeiteten ohne die Beteiligung eines höheren Staatsbeam-
ten.
61 Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 805: Protokoll der Sitzung vom 25. Sept. 1908.
62 Vgl. ebd.: Protokoll der Sitzungen v. 9. u. 21. Okt. sowie v. 4. Nov. 1908.
63 Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744: Schreiben des Ministers des Innern (Berlin) an die
Regierungspräsidenten v. 20. April 1910 mit Richtlinien zum Erlaß von Eingemeindungsgeset-
zen: keinem Vertragspartner sollten Sonderrechte eingeräumt werden. Vgl. StadtA SB, Best.
SJ, Nr. 805: Protokoll der Sitzung der Städtevereinigungskommission v. 25. Sept. 1908. Von
299
Abschlußsitzung der Stadtverordnetenversammlungen der drei Saarstädte einstimmig
angenommen wurde, trug er dennoch im wesentlichen die Handschrift des Regie-
rungspräsidenten,64 dessen Verdienst es in erster Linie war, daß die Vereinigung
noch im Jahre 1908 durchgesetzt wurde. Zusätzlich hatte von Baltz das Schlußpro-
tokoll der Vereinigungskommission, das die Vereinbarungen des Vertrages näher be-
stimmte, durch eine behördliche Verfügung in seinem Sinne ergänzen lassen.65 Er
erreichte damit, gemessen an den Forderungen der Teilstädte, eine größtmögliche
Reduzierung der Sonderrechte.
Der Städtevereinigungsvertrag
Privilegien einzelner Stadtbezirke beschränkte der Städtevereinigungsvertrag allesamt
auf eine Übergangszeit.66 Die Sondertarife der kommunalen Versorgungsbetriebe
sollten über 15 Jahre ihre Gültigkeit behalten.67 Bezüglich des Steuerwesens sah der
Vertrag eine schrittweise Angleichung der drei Steuersysteme in 20 Jahren vor. Die
Fülle von Einzelvereinbarungen zum großstädtischen Steuersystem zeugt in besonde-
rer Weise von den Berührungsängsten, die die stark unterschiedlich strukturierten Sa-
arstädte voreinander hatten. Malstatt-Burbach wurden seine besonders eingeführten
Steuern (Gewerbesteuer, Betriebssteuer, Schankkonzessionssteuer, Aschenabfuhrge-
bühr und Kanalgebühr) für die Dauer von 20 bzw. 15 Jahren belassen.68 Die Grund-
besitzsteuem fror der Vertrag für 15 Jahre ein. Nach Ablauf dieser Frist wurde St.
Johann für weitere zehn Jahre ein Vorzugssteuersatz bei der kommunalen Grund-
und Gebäudesteuer eingeräumt.69 Die St. Johanner genossen damit über die Ver-
Baltz forderte die Städte auf, "alle Schärfen zu vermeiden", "keine übermäßigen Forderungen
zu stellen", eine eventuelle Übergangszeit möglichst kurz und die Übergangsbestimmungen
möglichst einfach zu halten.
64 Vgl. ebd, Nr. 548 und Nr. 744, Pg. 282.
65 Vgl. ebd., Nr. 744, Pg. 263: Verfügung des Regierungspräsidenten v. 20. Nov. 1908. Der
Änderung des Protokolls stimmte die Städtevereinigungskommission am 25. Nov. 1908 zu.
66 Eine Ausnahme wurde allein bezüglich des kommunalen Waldbesitzes gemacht. Den drei
Städten wurde hier auf Dauer ein Eigenvermögen zugestanden. Vgl. §§ 4 f. Städtevereini-
gungsvertrag.
67 Vgl. §§ 1-3 und 13 Städtevereinigungsvertrag und Krueckemeyer (Anm. 26), S. 30:
SB SJ MB
1 cbm Wasser 0,20 ML 0,14 Mk. 0,15 ML
1 cbm Gas 0,16 ML 0,12 Mk. 0,16 Mk.
1 kWh Strom 0,40 Mk. 0,40 Mk. 0,40 Mk.
68 Ebd., § 9 (Gewerbesteuer) für 20 Jahre, § 11 (Betriebs-, Schankkonzessionssteuer, Aschen-
abfuhr-, Kanalgebühr) für 15 Jahre.
69 Ebd. § 10. Der Zuschlag zur staatlichen Grund- und Gebäudesteuer (= kommunale Grund-
und Gebäudesteuer) sollte im Stadtbezirk St. Johann ab dem 16. Jahr nach der Vereinigung
um ein Drittel unter dem Prozentsatz in den beiden anderen Stadtteilen liegen, vom 21. bis
300
einigung hinaus günstigere Steuersätze als die Saarbrücker und Malstatt-Burbacher.
Ähnlich verfuhr man mit der Gewerbesteuer: Der Gewerbesteuerpflichtige in St.
Johann hatte in den ersten 20 Jahren nach der Vereinigung zwischen einem Sechstel
und einem Drittel weniger Abgaben zu zahlen als sein Pendant in den beiden anderen
Stadtbezirken.70 Den ungünstigen Steuerverhältnissen in Saarbrücken trug man
Rechnung, indem man die Bürger der ehemaligen Residenzstadt in der Übergangszeit
verstärkt zur Einkommensteuer heranzog. Demnach hatten sie in den ersten zehn
Jahren nach der Städtevereinigung alleine 50 Prozent des Gesamteinkommensteuer-
solls der Großstadt zu tragen, "dann 2 Jahre lang 37,5 Prozent und dann drei Jahre
lang 25 Prozent".71
Diese Übergangsbestimmungen zum Steuerwesen in den Stadtteilen der Großstadt
Saarbrücken kamen dem Interesse der bürgerlichen Repräsentanten der drei Städte
entgegen, die im wesentlichen auf Kontinuität in der Sozialverfassung ihrer Heimat-
stadt bedacht waren. Durch die Steuergesetzgebung der Großstadt, die in dieser Form
deutlich an die bestehenden Verhältnisse anknüpfte, hatte keine der drei Teilstädte
durchgreifende Änderungen der politischen Mehrheitsverhältnisse zu befürchten, denn
jeder Stadtbezirk bildete zugleich einen eigenen Wahlbezirk, der 15 Stadtverordnete
in den Stadtrat der Großstadt entsandte. Ein Bürger hatte das Wahlrecht also nur in
dem Stadtbezirk, in dem er wohnte und seine Steuern zahlte; er konnte keinen
politischen Einfluß in einem anderen Stadtteil ausüben, d.h. die Saarbrücker und St.
Johanner Bürger mußten nicht den ’Ansturm der Burbacher Arbeiter-Wählermassen’
fürchten. Daneben garantierten die stadtteilspezifischen Steuersätze zumindest in der
Übergangszeit den Fortbestand des binnenpolitischen Status quo.
Entgegen den Vorstellungen des St. Johanner Stadtrats wurde das gesamte Vermögen
der drei Saarstädte, d.h. das Aktiv- wie das Passivvermögen, ab dem Inkrafttreten des
Vereinigungsvertrages der Großstadt zugesprochen.72 Gleichzeitig sollte die Gesamt-
verwaltung unter Führung eines Bürgermeisters ihre Tätigkeit aufnehmen. Autonome
Stadtteilverwaltungen waren, anders als im Vereinigungsprogramm von Saarbrücken,
nicht vorgesehen. Damit wurden die drei Leistungsverwaltungen der Saarstädte von
Beginn an zu einer einzigen verschmolzen. Die Leitung der Betriebswerke der Ge-
samtstadt wurde dem bisherigen St. Johanner Betriebsdirektor Tonnin übertragen.73
zum 25. Jahr um ein Viertel darunter.
70 Ebd., § 9. Der Gewerbesteuersatz sollte in St. Johann bis zum zehnten Jahr nach der Ver-
einigung um ein Drittel, bis zum 15. Jahr um ein Viertel und bis zum 20. Jahr um ein Sechstel
unter dem Prozentsatz der Teilstädte Malstatt-Burbach und Saarbrücken liegen.
71 Ebd., § 8. Hierbei ist zu bedenken, daß unter den Saarbrücker Bürgern verhältnismäßig
viele mit hohen Einkommen zu finden waren. Die Binnenstruktur der Stadt Saarbrücken, in
der sich weniger Gewerbebetriebe angesiedelt hatten als in den beiden Nachbarstädten, führte
dazu, daß die Kommune ihren Steuerbedarf bisher ohnehin zu einem recht großen Anteil aus
der Einkommensteuer decken mußte, da ihr die Gewerbesteuereinnahmen fehlten.
72 Ebd., § 3 und Abs. 2 Schlußprotokoll: "Zu dem Vermögen gehört nicht allein das Aktiv-,
sondern auch das Passivvermögen, d.h. alle Verbindlichkeiten der 3 Städte."
73 Vgl. StadtA SB, Best.MB, Nr. 604, Pg. 380.
301
Der Vereinigungsvertrag erfüllte also die Forderungen der Handelskammer und des
Vereins zur Vereinigung der Saarstädte nach einer Vereinheitlichung der Betriebsver-
waltung. Vertreter dieser beiden Körperschaften hatten dadurch eine große Rentabi-
litätssteigerung der städtischen Betriebe erwartet, von der sie sich schließlich persön-
lich bedeutende Steuerersparnisse erhofft hatten. Die unmittelbare Folge einer
Reduzierung des kommunalen Steuersolls, die durch Gewinnsteigerungen der öffentli-
chen Gewerbebetriebe erzielt werden konnten, sollten individuelle Steuereinsparungen
sein - soweit die Theorie nach KAG.
In der tatsächlichen Großstadtentwicklung nach 1909 kam allerdings ein Faktor zum
Tragen, von dem zwar allerorts die Rede gewesen war, den man bei den optimisti-
schen Zukunftsprognosen rechnerisch jedoch stets beiseite gelassen hatte: die Masse
der anstehenden, aber noch nicht konkret projektierten Investitionsaufgaben.
Betriebsdirektor Tormin hatte bereits in seinem Betriebsbericht in der konstituieren-
den Versammlung des ’Vereins zur Vereinigung der Saarstädte’ die Bedeutung der
Einsparungen durch die Zusammenlegung der Betriebswerke angesichts einiger zu
erwartender Ausgaben recht vorsichtig beurteilt. Investitionen belasteten das Groß-
stadtbudget nämlich neu, und der gesteigerte Finanzbedarf der Kommune mußte
mittelfristig zu einer Erhöhung des Steuersolls führen, das nur durch Gewinnzu-
wächse, die die gemeinsame Betriebsverwaltung erbrachte, bei einem stagnierenden
Gesamteinnahmenbedarf verringert werden konnte. Allein der Städtevereinigungsver-
trag forderte innerhalb der nächsten zehn Jahre jedoch Ausgaben in Höhe von sieben
Millionen Mark, die auf Kostenvoranschlägen beruhten und sich von daher in der
Bauphase nochmals erhöhen konnten. Die Großprojekte ’Kanalisation’ und ’Handels-
hafen’ waren dabei noch nicht einmal berücksichtigt worden.74
Während die Gemeinden Saarbrücken und St. Johann in den 1850er Jahren, Malstatt-
Burbach auch noch in den 1860er Jahren, nahezu schuldenfrei waren, summierte sich
bis ins Jahr 1900 in der Stadtkämmerei von Malstatt-Burbach ein Schuldbetrag von
1.052.700 Mark, in St. Johann beliefen sich die Anleihschulden auf 3.616.801 Mark
und in Saarbrücken verzeichnete man sogar ein Defizit von 3.953.250 Mark. Dies war
das finanzielle ’Erbe’ des kommunalen Investitionsbooms, der zum Ausbau der Was-
serversorgung, dem Bau von stadteigenen Gaswerken, von Elektrizitätswerken,
Schlachthöfen, Schulgebäuden, Krankenhäusern usw. geführt hatte. Selbst nach der
Jahrhundertwende, als in den drei Städten schon ein weitreichendes Infrastruktumetz
bestand, war kein Ende der Schuldenspirale in Sicht. Allein zwischen den Jahren 1900
und 1909 verdreifachte Malstatt-Burbach seine Kreditaufnahme zu einem Betrag von
3,127.174 Mark, Saarbrücken erhöhte seinen Fehlbetrag um den Faktor 1,5 auf
6.172.461 Mark und St. Johann verdoppelte seine Schulden auf 7.148.472 Mark.
Damit sah sich die neue gemeinsame Verwaltung der vereinigten Großstadt Saar-
brücken im Jahre 1909 mit einem Schuldenberg von 16.448.107 Mark konfrontiert.
Die finanzielle Entwicklung der Großstadt sprach den ’Vereinigungsoptimisten’ Hohn,
als im Jahre 1912 der Zuschlagssatz zur Einkommensteuer mit 230 Prozent diesmal
74 Ebd. § 17 und vgl. "Anhang zum Schlußprotokoll betr. die §§ 16 u. 17 des Vertrages" mit
einer genauen Auflistung.
302
eine Maximum-Rekordmarke in der Rheinprovinz erreichte.75 Nicht nur in diesem
Punkt ließen die Stadtväter der Städte Malstatt-Burbach, Saarbrücken und St. Johann
einen realistischen Weitblick vermissen. Die von Lokalinteressen bestimmte Groß-
stadtdiskussion erbrachte einen Städtevereinigungsvertrag, der den Status quo in den
Saarstädten bei einem Mindestmaß an gegenseitigen Konzessionen festzuschreiben
versuchte. Der Städtezusammenschluß trug dabei nur halbherzig einem infrastruktu-
rellen Prozeß Rechnung, der sich schon längst vollzogen hatte.
Abb. 3: Das Verhältnis des Jahresgesamteinnahmenbetrags zur Gesamtver-
schuldung der drei Saarstädte (1850-1909)
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß die Technologieentwicklung auf dem
Versorgungssektor mittlerweile den infrastrukturellen Vemetzungsfortgang in den
Saarstädten schon überholt hatte, dem man mit der Städtevereinigung gerecht werden
wollte. Innerhalb kürzester Zeit nach der Großstadtwerdung mußten die städtischen
Energieversorgungsunternehmen ihre Eigenproduktion einstellen, da sie sich im Ver-
gleich zu regionalen Energieverbünden als unrentabel erwiesen. Schon im Jahre 1908
wurden Stromlieferungsverträge mit der Bergwerksdirektion Saarbrücken abgeschlos-
sen. Im Jahre 1910 stellte die Großstadt Saarbrücken ihre Gasproduktion ein und
bezog ihr Gas von der Haiberger Hütte. Im Jahre 1912 wurde die "Elektricitäts- und
75 Vgl. Wolfgang Krabbe, Kommunalpolitik und Industrialisierung. Die Entfaltung der städti-
schen Leistungsverwaltung im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Stuttgart 1985, S. 338.
303
Gas-Vertriebs-Gesellschaft Saarbrücken AG" (SVG) unter Beteiligung der Großstadt
Saarbrücken gegründet, womit das kommunale Versorgungskonzept endgültig zugun-
sten eines regionalen Energieverbundes aufgegeben wurde.76 Dies bedeutete das
Ende kommunaler Gewinnwirtschaft; allein die schon immer kostenintensiven Berei-
che kommunaler Leistungsverwaltung verblieben in Händen der großstädtischen Ad-
ministration.
Die Städtevereinigung in der Bilanz
Es ist nicht zu verkennen, daß die Städtevereinigung in der ersten Phase der Ausein-
andersetzung bis etwa 1906 trotz aller ökonomisch-fiskalpolitischen Argumentation in
erster Linie als politisches Prestigeobjekt umstritten war. Das lokalpatriotische Kon-
kurrenzdenken in Malstatt-Burbach, Saarbrücken und St. Johann führte zu einer emo-
tionsgeladenen öffentlichen Debatte, die eher kleinstädtischem Profilierungsdrang als
Problembewußtsein und Sachkenntnis entsprang. Erst als mit Gründung des ’Vereins
zur Vereinigung der Saarstädte’ gesicherte Daten zur Stadtentwicklung im Großraum
Saarbrücken präsentiert wurden, gewann man Einsicht in die wirtschaftliche Zwangs-
lage, in der sich die drei Gemeinden mit ihren umfangreichen Leistungssystemen
befanden. Erst zu diesem Zeitpunkt setzte sich das Bewußtsein der Dringlichkeit einer
Städtevereinigung zur Lösung der infrastrukturellen und budgetären Misere in der ur-
banen Agglomerationszone durch. Nachdem mit dem Städtevereinigungsvertrag im
Jahre 1908 schließlich eine Problemlösungsstrategie erarbeitet worden war, mußte
man jedoch erkennen, daß der Urbanisierungsprozeß fortgeschritten war und das Sa-
nierungskonzept auf veralteten Prämissen fußte. Mit der Städtevereinigung konnte
zwar - wie beabsichtigt - ein verbesserter Zugang zu Sozialleistungen, eine Ausweitung
des Bildungs- und Kulturangebots sowie eine Koordinierung der weiteren städtebauli-
chen Entwicklung erreicht werden. Die vorgesehene Finanzierung dieser Zuschußpro-
jekte durch die rationalisierten technischen Gewinnbetriebe war 1909 jedoch nicht
mehr gewährleistet - schlimmer noch: Es zeichnete sich ab, daß der Betrieb der bis-
lang gewinnbringenden städtischen Versorgungsunternehmen selbst mittelfristig nicht
kostendeckend gestaltet werden konnte.
Die gesamte Vereinigungsdekade zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in einer
Stadt, "die ganz überwiegend vom Erwerbsstreben und vom Machtbewußtsein des wil-
helminischen Bürgertums geprägt war"77, gekennzeichnet durch einen großen Riß in
dieser politisch tonangebenden Gesellschaftsformation. Die facettenreichen und sich
in verschiedener Weise überlagernden Diskrepanzen zwischen Wirtschaftsbürgertum
76 Vgl. Thomas Herzig, Geschichte der Elektrizitätsversorgung des Saarlandes unter besonde-
rer Berücksichtigung der Vereinigten Saar-Elektrizitäts-AG. Ein Beitrag zur Wirtschafts-
geschichte des Saarlandes, Saarbrücken 1987, (= Veröff. d. Komm. f. saarl. Landesgeschichte
und Volksforschung XVII), S. 58ff. sowie 125 Jahre Gas für Saarbrücken (1857-1982), bearb.
v. Erich Voltmer, hrsg. v. d. Stadtwerken Saarbrücken AG, Saarbrücken 1982, S. 52 ff.
77 Wilfried Loth, Preußens Bastion im Westen. Wie Saarbrücken Großstadt wurde, in: Klaus-
Michael Mallmann u.a, (Hrsg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarre-
vier 1815-1955, Berlin-Bonn 1987, S. 77-81, hier S. 80.
304
und Bildungsbürgertum, zwischen modernen aufstrebenden Industrievertretem und
traditionsbewußten Gewerbetreibenden, zwischen Protestanten und Katholiken bilde-
ten den Hintergrund der Vereinigungsdebatte und konkretisierten sich im Parteienge-
gensatz von Nationalliberalen und Zentrum.
Der politische Katholizismus hatte die Vormärz-Funktion der Liberalen übernommen
und opponierte für eine Ausweitung des Wahlrechts und der kommunalen Selbstver-
waltung.78 Gerade Zentrumspolitiker bildeten daher in der Saarbrücker Großstadt-
frage eine starke Oppositionsgruppe, die einer Einbuße bürgerlicher Selbstverwal-
tungskompetenzen durch Verhinderung eines Anwachsens des städtischen Leistungs-
verwaltungsapparats vorzubeugen bestrebt war. Außerdem hofften ihre Protagonisten
Muth und Klein offensichtlich, die politische Position des Zentrums sowie den Einfluß
breiterer Wählerschichten in den ersten beiden Wählerklassen durch Vermeidung von
Steuererhöhungen zu sichern, was sich zugleich mit der lokalpolitischen Intention
deckte, der St. Johanner Bürgerschaft ihre fiskalökonomische Besserstellung gegen-
über den Saarbrückern und Malstatt-Burbachern zu wahren.
Die Vormachtstellung der Nationalliberalen in den Stadträten belegt aber, daß das
Bürgertum in seiner überwiegenden Mehrheit "seinen Frieden mit dem preußischen
Obrigkeitsstaat gemacht [hatte] - das war an der Saar nicht anders als in den übrigen
Teilen des Reiches"79. Der Nimbus des nationalen Kaisertums, welcher vom Regie-
rungspräsidenten in seiner Rolle als Ehrenvorsitzender des Vereinigungsausschusses
personifiziert wurde, stellte lokale Interessen in den Schatten. Die staatliche Autorität
galt an der Saar besonders im gesellschaftlich dominanten Wirtschaftsbürgertum un-
angefochten als höchste und letzte Instanz. In ihrer Mehrheit akzeptierten die Bürger
von Malstatt-Burbach, Saarbrücken und St. Johann, wie es scheint, in Konzentration
auf wirtschaftliche Erfolge ihre unkritische, teils servile Rolle als Repräsentanten
einer Untertanengesellschaft. Die staatliche Städtevereinigungsinitiative wurde damit
letztlich aus Überzeugung - wohl auch im Glauben an Werte wie ’Einheit’, ’Größe’
und ’Fortschritt’ - mitgetragen. Dieser Linie folgte insgesamt auch der ’Verein zur
Vereinigung der Saarstädte’, der mit seinem Vorsitzenden, Landrat Bötticher, trotz
der mehrmaligen Artikulation alternativer Vorstellungen immer wieder auf das staatli-
che Vereinigungskonzept einschwenkte.
Die kommunalpolitische Dominanz des preußischen Staates gegenüber den städti-
schen Selbstverwaltungsorganen im Saarbrücker Städtevereinigungsprozeß gründete
jedoch konkret vor Ort auf der Bürgermeisterverfassung der drei Saarstädte. "Wie es
scheint, verstanden es die [...] Bürgermeister [...] durch den Aufbau einer professiona-
lisierten Verwaltung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, ihre verfassungsrechtlich
ohnehin starke Stellung als oberster Staatsbeamter, Verwaltungsleiter und gewählter
Vertreter so weit zu untermauern, daß sie sehr selbständig die städtische Entwicklung
78 Vgl. Karl-Georg Faber, Die kommunale Selbstverwaltung in der Rheinprovinz im 19. Jahr-
hundert, in: Rheinische Vierteljahresblätter 30 (1965), S. 147.
79 Loth (Anm. 77), S. 80.
305
zu beeinflussen vermochten."80 Das Engagement der Bürgermeister Neff und vor al-
lem Schmook, die sowohl untereinander wie auch über Landrat Bötticher mit den
übergeordneten Behörden - häufig durch geheimen Schriftverkehr - in ständigem
Kontakt standen, ermöglichte erst die politische Umsetzung des Vereinigungsgedan-
kens. Die Demission des Saarbrücker Bürgermeisters und Vereinigungsgegners Feld-
mann war daher zum erfolgreichen Abschluß des Vereinigungsprojektes unumgäng-
lich.81 Die Bürgermeister waren Dreh- und Angelpunkte zwischen Stadt und Staat,
zwischen Politik und Verwaltung; ihre Parteinahme entschied in der Vereinigungsfra-
ge über Erfolg oder Scheitern.
Mit den vorgestellten gesellschaftlichen und politischen Konstellationen sowie mit
ihrem Verhältnis als selbstverwaltete Stadtwesen zum preußischen Interventionsstaat
besaßen Malstatt-Burbach, Saarbrücken und St. Johann sicherlich Modellcharakter für
das kaiserliche Deutschland. Der Ausschluß der zahlenmäßig größten Bevölkerungs-
gruppe, der Arbeiter, vom politischen Entscheidungsfindungsprozeß durch das restrik-
tive kommunale Dreiklassenwahlrecht, die politische Rivalität von Zentrumspartei und
Nationalliberaler Partei in den Stadtverordnetenversammlungen, die politische Allianz
von Wirtschafts- und Staatseliten, die immense Bedeutung des Staates als Kommunal-
aufsichtsbehörde, aber auch das Phänomen der verspäteten Großstadtbildung82 in
der Saarbrücker Städtevereinigung beleuchten beispielhaft städtische Realität in der
preußischen Rheinprovinz im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.
Einzigartig im Kaiserreich blieb das historische Ereignis der Drei-Städte-Vereinigung,
wobei drei unmittelbar aneinandergrenzende Gemeinwesen zuerst im Zuge einer in-
dustrialisierungsbedingten Expansionsperiode - komplementär, dabei aber funktional
recht verschieden - zentralörtlichen Charakter gewannen, um sich dann erst als gleich-
berechtigte Teilstädte zu einer großstädtischen Verwaltungseinheit zusammenzuschlie-
ßen. Mit der Städtevereinigung konstituierte sich ein regionales Wirtschafts- und Ver-
waltungszentrum, das sich deutlich von den anderen Stadtgemeinden des weiteren
Umlandes abhob und nach der Herauslösung des Montanreviers aus dem deutschen
Staatsverband infolge des Ersten Weltkrieges Hauptstadtfunktion übernehmen konnte.
80 Lenger (Anm. 3), S. 132.
81 Vgl. StadtA SB, Best. SJ, Nr. 744, Pg. 134: Schreiben d. Regierungspräs. v. 13. Juli 1907 mit
besonderer Kritik an der ’Durchsichtigkeit’ der Verhältnisse im Saarbrücker Rathaus in An-
spielung auf Presseberichte über Bürgermeister Feldmanns Haltung in der Vereinigungsfrage.
82 Vgl. u.a. Heinz Reif, Die verspätete Stadt Oberhausen. Stadtplanung, Stadtentwicklung und
Bodennutzungsinteressen 1846-1929, in: Geschichte im Westen 1 (1986), S. 7-29.
306
Architektur und Stadtplanung in besetzten Gebieten:
Deutschland und Frankreich 1940-1950
In der Geschichte der europäischen Kultur des 20. Jahrhunderts erscheint das Jahr
1945 als eine tiefe Zäsur. Dennoch weisen einige Kontinuitätslinien über dieses Jahr
hinaus und verbinden scheinbar entgegengesetzte Epochen.
Ein von Jean-Louis Cohen und Hartmut Frank geleitetes Projekt ermöglichte einer
deutsch-französischen Forschungsgruppe, in mehrjähriger Arbeit die Pläne und
Projekte, aber auch die ausgeführten Bauten zu untersuchen, die während der Besat-
zungszeit des NS-Regimes in Frankreich (1940-1944) und der Franzosen in den ihnen
unterstehenden deutschen Territorien (1945-1950) entstanden. Diese, unter den Be-
dingungen einer Fremdherrschaft entwickelten Konzepte sind geprägt durch kaum
sichtbare, aber sehr bedeutsame Leitbilder, die für die europäische Architektur der
letzten vierzig Jahre wegweisend geworden sind.1
Jean-Louis Cohen, Hartmut Frank
Aux origines d’une architecture européenne ?
Entre les premières étapes du développement du modernisme en architecture, et les
moments tardifs, les principes idéaux et les formes sont empruntés, distordus et
affaiblis, pour servir des finalités commerciales ou pour être asservies aux politiques
d’Etat en matière monumentale ou dans le champ de l’habitation, notamment dans
les années suivant la Seconde Guerre mondiale. Mais une série d’épisodes inter-
médiaires entre ces phases, aussi contradictoires qu’éloquents, doivent aujourd’hui
être analysés et discutés.
La lecture de ces épisodes peut se faire désormais à partir d’une appréciation plus
sereine des temporalités différencielles de l’architecture et du changement social,
aboutissant à relativiser la notion de "progrès" en général et en architecture en
particulier. La montée du modernisme n’est pas, en effet, comme la première généra-
tion de ses historiographes l’a affirmé, un événement soudain apparaissant au début
des années 1920, pas plus qu’elle n’est le simple prolongement des stratégies culturel-
les élaborées avant 1914 par les prétendus "pionniers du Mouvement moderne". Le
modernisme n’est pas nécessairement relié de façon univoque aux politiques sociales
1 Die in diesem Kapitel abgedruckten Beiträge wurden erstmals in italienischer, teils englischer
Sprache publiziert, in: Casabella. Rivista internationale di architettura - International Ar-
chitectural Review, No. 567, Aprile 1990, S. 40-58.
Am Ende dieses Themenblocks findet sich eine berufsbiographische Übersicht, in der zusätzli-
che Informationen zu wichtigen im Grenzraum tätigen und in den Texten genannten Archi-
tekten verzeichnet sind. Die in dieser Übersicht aufgeführten Namen werden im Text durch
ein * gekennzeichnet.
307
"progressistes", qui parviennent aussi à trouver leur expression dans des formes
architecturales explicitement conservatrices.2
En fait, les politiques de la modernisation n’ont pas nécessairement impliqué la
rénovation de la forme, et ont pu trouver leur expression dans le langage de la
tradition, en opposition à la fois à l’historicisme éclectique et au modernisme le plus
extrême. Les chemins de la modernité passent parallèlement par le traditionnalisme,
par le classicisme, tout autant que par le fonctionnalisme. Le retour aux formes
pré-industrielles, le néo-vernaculaire du Heimatschutz, les Arts and Craft, le Werkbund
ont la même matrice issue de la modernisation, phénomène séculier embrassant le
champ de la politique autant que celui de la culture.
Et quand bien même nous nous crisperions sur la fiction de la montée parallèle du
modernisme et de la modernisation, nous devrions prendre en compte les cas ex-
trêmes dans lesquels les transformations sociales ne sont pas mises en oeuvre de
façon démocratique, c’est-à-dire le cas des régimes autoritaires tel le Nazisme, qui
s’attache, tout en se réclamant de valeurs nostalgiques, à une rationalisation forcée et
brutale.3
L’idée d’une mise en forme globale qui s’exprime dans les mouvements réformateurs
depuis le début du siècle trouve un terrain fertile dans le totalitarisme politique. La
nouvelle conjoncture laissera le champ libre aux grands plans, comme aux politiques
régionales ou locales de règlementation de la forme au travers des Baufïbeln.
Les interprétations hégémoniques depuis Dimitrov et jusqu’à ces dernières années,
selon lesquelles le Nazisme était vu comme un dispositif rétrograde et opposé au
projet de la modernisation ont été mises en cause par les recherches récentes. Une
modernité spécifiquement nazie fait irruption dans notre champ d’observation, alors
que le caractère antifasciste du modernisme fonctionnaliste est parfois douteux. Le
modernisme n’est plus une exclusivité des émigrés.
La forme la plus violente de la modernisation, vers laquelle le nazisme tend, d’ail-
leurs, dès le début, n’est autre que la guerre, et beaucoup de stratégies modernistes
s’affirment en conjonction avec les transformations violentes qu’entraînent les guerres
et les occupations.
L’architecture des temps de guerre.
Walter Benjamin, touchant la limite de son propos sur "L’oeuvre d’art à l’ère de sa
reproductibilité technique", en critiquant le discours militariste de Marinetti, affirme
2 Voir les analyses comparatives effectuées sur cette question: Architecture et politiques
sociales 1900-1940, Les Cahiers de la Recherche Architecturale, Paris, n° 15-17, 1er trimestre
1985. Jean-Louis Cohen, Architektonischer Rationalismus und Modernisierung in Europa
zwischen den Weltkriegen, in: Die Axt hat geblüht, Europäische Konflikte der 30er Jahre in
Erinnerung an die frühe Avantgarde, Düsseldorf, Städtische Kunsthalle, 1987, pp. 68-74.
3 Hartmut Frank (Hrsg.), Faschistische Architekturen. Planen und Bauen in Europa 1930 bis
1945, Hamburg 1985.
308
que la guerre est "une révolte de la technique"4. Les deux occupations sur lesquelles
nous avons travaillé, ces conséquences directes de la guerre, s’ajoutent au déploie-
ment purement meurtrier de la production de masse pour donner un exutoire ar-
chitectural à cette révolte, dans le prolongement direct de l’économie de guerre. Elles
jouent ainsi un rôle d’accélérateur permettant aux apories des stratégies modernistes
de se révéler, plusieurs décennies avant qu’elles deviennent manifestes, à l’échelle des
territoires désormais pacifiques de l’Europe des années 1950 et 1960.
Les deux guerres mondiales apparaissent comme des laboratoires de la modernisa-
tion, des révélateurs des nouvelles politiques sociales centrées sur l’habitation, la santé
et l’éducation, mais aussi des accélérateurs du progrès technique, stimulant de nouvel-
les formes basées sur l’économie de l’espace et des matériaux, et aussi une nouvelle
interprétation de la tradition architecturale, requise par les nationalismes en conflit.
Lors de la Seconde Guerre mondiale, banc d’essai plus vaste que la première pour les
nouvelles techniques de meurtre de masse, le Nazisme exige pour son eugénisme
raciste, ses transferts de populations et ses déportations de masse l’apport des techni-
ques de l’aménagement et du projet architectural.
Les épisodes architecturaux sur lesquels la guerre débouche n’ont guère été étudiés
à ce jour, si ce n’est ceux qui ont vu les usines d’armement tenter de se transformer
en usines de maisons.5 Or, si l’on regarde les usines elles-mêmes, elles seront sans nul
doute un champ d’expérimentation plus concret et plus important pour le fonctionna-
lisme que les cités d’habitation, comme le travail. Pourtant, ces épisodes, absents pour
des raisons compréhensibles, des histoires existantes, interviennent au terme de deux
décennies d’affirmation des formes modernistes (1920 et 1930) et sont donc loin
d’être restés imperméables aux nouvelles possibilités émergeant du champ de l’archi-
tecture. Plus encore que d’une tache aveugle, il s’agit donc d’une sorte de chaînon
manquant entre ces histoires.
Les régions frontières
L’architecture européenne du XXe siècle est traversée par une série de relations
transnationales, que la guerre révèle de façon souvent brutale. Mais ces relations, qui
peuvent être plus ou moins idéales et distantes, peuvent aussi se focaliser sur des
territoires étroitement encadrés et disputés, à l’occasion, par exemple, des trois
conflits opposant la France à l’Allemagne en 1870-1871, 1914-1918 et 1939-1945. De
l’Alsace au pays de Bade, de la Sarre à la Rhénanie, ces territoires constituent une
large région frontalière, une de ces aires de transit entre cultures où, comme Fernand
Braudel l’a montré dès 1949 dans La Méditerranée, les phénomènes d’identité et de
transfert se manifestent le plus clairement. Les occupations pourraient être définies,
au fond, comme n’étant rien d’autre que la poursuite de la guerre par d’autres
moyens, pour paraphraser l’aphorisme de Clausewitz d’une façon pas aussi illégitime
que l’on pourrait le croire. Elles tendent à parachever les objectifs de la guerre, mais
4 Walter Benjamin, "L’oeuvre d’art à l’ère de sa reproductibilité technique", in: L’homme, le
langage, la culture, Paris, Denoël/Gonthier, 1971, p. 180.
5 Gilbert Herbert, The Dream of the Factory-Made House, Cambridge/Mass. 1984.
309
débouchent, le plus souvent, sur de nouveaux conflits. Ces moments d’hégémonie et
de tension extrême sont aussi, souvent, des moments propices aux exhibitions ar-
chitecturales, qui visent à digérer les territoires conquis et à impressionner les popula-
tions locales et les voisins plus distants. La rapidité des interventions, l’efficacité
extrême des décisions d’aménagement, la dimension des commandes facilitent l’affir-
mation de solutions expérimentales. Toutes proportions gardées, les occupations
jouent ici le rôle qui avait été auparavant celui des laboratoires coloniaux pour la
France et l’Angleterre.
Si pratiquement aucune architecture d’occupation à usage civil ne découle de l’occu-
pation du Nord-Est de la France sous contrôle allemand lors de la plus grande partie
de la Première Guerre mondiale, la Seconde Guerre mondiale voit une production
architecturale significative émerger, non seulement dans la France gouvernée par
l’Etat Français de Vichy, qu’elle soit occupée ou non, mais aussi dans l’Alsace et la
Lorraine annexées de facto et directement administrées par les Nazis. Après 1945 et
la capitulation allemande, les Français déploieront, de leur côté, des efforts significa-
tifs sur le terrain de l’architecture en Rhénanie et en Sarre.
Si certaines productions sont communes aux deux politiques comme la construction
de bureaux et de logements pour les forces d’occupation, de ponts ou d’aéroports, les
entreprises du Ille Reich pour construire des fabriques d’armement, des fortifications
à l’échelle du continent ou des autoroutes stratégiques aboutiront à une restructur-
ation globale des entreprises des travaux publics dans les deux pays.
Ce sont plusieurs des tentatives faites pour introduire des plans et des projets moder-
nistes en ces deux moments importants et délicats, sur le plan militaire comme sur le
plan politique, mais relativement inconnus pour ce qui est de leurs prolongements
spatiaux, qu’il s’agit d’évoquer ici.
Les Nazis en Alsace et en Lorraine (1940-1944)
La ré-annexion par les Allemands de l’Alsace et de la Lorraine mosellane ne dure
qu’un peu plus de quatre ans, de juin 1940 à décembre 1944, mais elle n’en produit
pas moins des projets d’architectures frappants. En effet, la politique de l’occupant
correspond à des objectifs différents, prolongeant pour une large part les stratégies
développées depuis 1933 dans les frontières du Reich héritées du traité de Versailles.
Il s’agit, d’une part, de mener une politique d’unification du territoire autour des
grandes infrastructures et, notamment, des autoroutes.6 Il s’agit, d’autre part, d’exal-
ter l’ancrage de l’architecture du nouvel Etat dans des traditions germaniques plus ou
moins fictives. Les entreprises menées dans la Warthegau, région de Pologne occupée
dès 1939, pour y créer de toutes pièces une architecture extérieurement nostalgique
d’une Heimat qui n’avait jamais existée, mais reprenant les plans rationnels expéri-
6 Rainer Stommer u. Claudia Gabriele Philip (Hrsg.), Reichsautobahn, Pyramiden des Dritten
Reichs. Analysen zur Ästhetik eines unbewältigten Mythos, Marburg 1982.
310
mentés par Ernst May à Francfort, sont un bon témoignage des politiques architectu-
rales des occupations nazies.7
Les projets élaborés pour Strasbourg et pour Thionville indiquent la diversité concep-
tuelle du spectre des politiques urbaines de l’occupation nazie. Le concours de 1942
pour le plan d’extension de la ville de Strasbourg voit la présentation de projets
essentiellement monumentalistes et traditionnalistes, parmi lesquels la proposition du
leader de l’Ecole de Stuttgart Paul Schmitthenner* est, avec son accent sur les systè-
mes de transport mécaniques, la plus remarquable. Les dix projets discutés alors
consolident dans une certaine mesure la vision couramment admise de l’architecture
du Nazisme comme grandiose production monumentale.
Cependant, le plan régional élaboré par Rudolf Schwarz* pour la ville de Thionville
et la région de la sidérurgie lorraine, dans lequel le zonage fonctionnel est combiné
avec le thème du Stadtlandschaft, ou paysage urbain, conjugue le symbolisme explicite
d’un réseau de cités occupant les plateaux et orientées vers des centres dominés par
les églises avec les trames fondées sur toute l’expérience de l’urbanisme fonctionnali-
ste, de la May-Gruppe à Miljutin.
Dans le champ de l’architecture, le spectre est encore plus vaste. D’un côté émergent
les projets de monuments aux morts dépourvus de toute utilitarisme que Wilhelm
Kreis* dessine pour des sites français, avant de les dédier, après 1941, aux steppes
russes. De l’autre, apparaissent dans les villages mosellans les fermes construites par
Emil Steffann* après la déportation brutale des paysans français et notamment la
Notkirche de Boust, lieu de prière provisoire, camouflé en grange. L’étude des gaba-
rits et des formes géométriques des bâtiments vernaculaires lorrains se conjugue avec
un souci de la rationalité constructive dans des édifices qui entendent devenir les
prototypes d’une nouvelle architecture régionale.
A l’intérieur même de la culture fonctionnaliste persistant sous le Nazisme, des
courants différents se manifestent. A Rhinau, sur la rive occidentale du Rhin, l’ancien
chef d’agence de Walter Gropius Ernst Neufert*, construit une impressionnante usine
linéaire de composants électroniques pour l’aviation, prototype pour la construction
industrielle telle qu’il la présente dans sa Bauordnungslehre. Le travail de Neufert*,
qui avait enseigné avant 1933 dans l’école d’architecture ayant remplacé le Bauhaus
à Weimar, est un relais essentiel entre la culture du Neues Bauen, limitée par le cadre
municipal des politiques la portant, et les stratégies d’Etat du lile Reich.
En revanche, le travail poursuivi par Richard Docker*, ancien responsable de la con-
struction de la Weissenhofsiedlung de Stuttgart en 1927 et membre du Ring, débouche
sur la formulation d’une norme de construction rationnelle spécialement adaptée aux
Erbhôfe, ces grandes fermes de colonisation construites entre autres dans le Gau
Westmark, dont la capitale est Sarrebruck, et qui unit le Palatinat, la Sarre et la
7 Hartmut Frank, Nostalgie et tradition dans l’habitation allemande des années 20 et 30, la
mise en scène de la Heimat, in: Monique Eleb-Vidal (Hrsg.), La maison, espaces et intimité,
Paris, Ecole d’Architecture Paris-Villemin, 1985, pp. 111-138.
311
Lorraine annexée.8 Sous ces différents visages de l’action des Nazis, la guerre devient
bien, ainsi que le publiciste Alfons Leitl, le "grand metteur en forme"9 d’un territoire
modernisé et réorienté symboliquement vers L’Allemagne.
Les Français en Allemagne (1945-1950)
Dès les premiers mois de l’occupation d’une Allemagne détruite et prostrée, les
responsables du gouvernement militaire de la zone française, situé à Baden-Baden, et
de la Sarre, mènent, quant à eux, une politique active dans le champ de la recon-
struction et de l’architecture. Cette politique s’inscrit dans un dispositif fondé sur
l’exploitation économique et industrielle de zone, visant à en faire un instrument pour
la reconstruction interne de la France. Mais les Français, à la différence des Améri-
cains, ou des Britanniques, s’attachent également à mener une campagne de réé-
ducation culturelle.10 Cette politique tournée vers l’opinion publique du Sud-Ouest
de l’Allemagne s’inscrit dans la continuité de la stratégie anti-prussienne de démem-
brement du Reich, déjà poursuivie après 1918. Elle s’appuie aussi explicitement sur
les traces de la présence française antérieure, des fortifications de Vauban en Sarre
à l’action du Préfet de Mayence Jean Bon Saint-André sous Napoléon.
Dans le champ de l’urbanisme, les deux entreprises majeures sont lancées en Sarre et
à Mayence. En Sarre, région placée sous mandat international entre 1919 et 1935, et
qui ne réintègre la République Fédérale qu’en 1955, un travail collectif unique se
développe autour de l’Equipe des Urbanistes, sous la direction de Marcel Roux.
L’équipe s’appuie sur le gouverneur gaulliste Grandval pour proposer des plans
fonctionnalistes applicables aux villes principales de la Sarre, destinée à devenir une
"colonie industrielle au service de la reconstruction de la France". Du plan de
Georges-Henri Pingusson* pour Sarrebruck, fondé sur le schéma proposé par Le
Corbusier à Saint-Dié, aux plans d’Edouard Menkès* pour Sarrelouis et aux projets
plus modestes sur les petites villes du territoire, un ensemble de solutions est dévelop-
pé pour les niveaux de l’armature urbaine, non sans violentes résistances des profes-
sionnels et des élus allemands.
Le conflit est encore plus aigu à Mayence, ville choisie par les Français pour devenir
la capitale d’un état rhénan vassal, ou Marcel Lods*11 se voit demander entre 1946
et 1948 par le gouverneur de Hesse rhénane, le général Jacobsen, d’établir un plan
8 Steffann* prépare une Baufïbel pour la Westmark, tandis que Hoss* et Docker* s’occupent
de l’élaboration de la WAW (Wiederaufbau-Westmark-Norm). La Baufïbel était prêt pour
l’impression à la fin 1944, et ses épreuves sont conservées dans "Deutsches Architekturmu-
seum”, fond Steffann.
9 Alfons Leitl, recension de la Bauordnungslehre de Neufert*, in: Der Landbaumeister, 1944.
Publiciste prolifique sous le Ille Reich, Leitl publiera après la guerre la revue moderniste la
plus influente de RFA, Baukunst und Werkform.
10 Très tôt, l’originalité de la politique française d’occupation de l’Allemagne a été soulignée:
Frank R. Willis, The French in Germany, 1945-1949, Stanford/Cal. 1962.
11 Voir les mémoires de celui-ci: Marcel Lods*, Le métier d’architecte (entretien avec Hervé
Le Boterf), Paris 1976.
312
d’ensemble. Lods* propose une adaptation littérale des principes de la Charte d’Athè-
nes et des Trois Etablissements Humains, de Le Corbusier. Sous-tendu par un langage
fonctionnaliste, le propos urbanistique de Lods* rencontre une forte opposition dans
la population, et c’est Paul Schmitthenner* que le maire allemand charge d’élaborer
un contre-projet. Schmitthenner* n’est pas moins utopique que Lods* lorsqu’il
propose une ville nouvelle, mais au visage nostalgique.
Le plan de Marcel Lods* a aussi comme adversaire résolu le Grand Prix de Rome de
sculpture Albert de Jaeger*, "conseiller artistique" du général Koenig, commandant
les forces françaises en Allemagne, qui inspire, afin de torpiller définitivement son
plan, la création d’un Conseil Supérieur d’Architecture et d’Urbanisme regroupant
des personnalités françaises telles que Roger-Henri Expert*, Pierre Lavedan, Auguste
Perret* ou Henri Prost, et des figures importantes de l’architecture allemande comme
Paul Bonatz*, Richard Docker* ou Otto-Ernst Schweizer*.
- F fc T & t> E J U 0
JMEK5ME MKgRÜOÆN
111. 1: Georges-Henri Pingusson*: Projet pour l’Ambassade de France
à Sarrebruck, 1948, perspective de la façade sud
313
En fait, cet échec doit être relativisé: c’est l’ensemble des plans initiaux de recon-
struction aux ambitions globalisantes qui seront frappés d’obsolescence par le "mira-
cle" économique de la jeune République Fédérale.
Projet et réalité urbaine
Est-il si surprenant que les tentatives modernistes allemandes de la période nazie
aient eu, en définitive, plus de succès que les entreprises françaises de l’après-guerre?
Le cadre politique totalitaire qui fonde l’existence des stratégies de Ernst Neufert* ou
de Rudolf Schwarz* n’existe plus sous une tutelle française certes cynique et impé-
rieuse, notamment dans les premiers mois, alors que l’Allemagne redécouvre la vie
démocratique, et en particulier l’autonomie municipale. Quand bien même les villes
en ruines y correspondent aux rêves les plus débridés des urbanistes modernistes, ils
n’y trouvent en aucune manière des pages blanches, mais des sociétés locales organi-
sées et influentes, alors même que la pénurie extrême en capitaux et en matériaux de
construction, d’ailleurs aggravée par les prélèvements français, empêche tout chantier
de quelque ampleur. Il faut aussi souligner que les Allemands avaient fortement
subventionné la reconstruction des régions annexées, tandis que les Français y puise-
ront des ressources pour leur propre reconstruction.
Pourtant, en marge des différences politiques majeures opposant les deux cycles de
projet évoqués plus haut, de troublantes coïncidences apparaissent entre deux situa-
tions dont le rapprochement peut à bon droit surprendre.
Le premier thème est celui des nouvelles géométries liées à la rationalisation de la
production. Dans les projets de Neufert* ou de Lods*, les formes urbaines ou ar-
chitecturales ne sont pas fondées sur des choix d’ordre symbolique, liés à la reconduc-
tion de distributions conventionnelles ou à la reprise de traces historiques mais sur
des choix métriques surdéterminés, d’un côté, par les exigences de la rationalité
projectuelle et de la production en série et, de l’autre, par la recherche d’une ventila-
tion et d’un ensoleillement optimals.
Nous sommes là en présence d’un glissement majeur dans les stratégies modernistes,
si l’on accepte l’assertion de Jürgen Habermas, selon laquelle "la modernité est une
révolte contre tout ce qui est normatif'.12 Protagonistes, chacun de son côté, dans la
destruction des systèmes de composition traditionnels, tant Neufert* que Lods* ex-
ploitent les conditions de chaque occupation pour forcer la réalisation de projets qui
sont bel et bien producteurs de normes et de conduites standardisées.
A côté de la question de la norme, ainsi posée, se dégage au travers de la recherche
du type celle de la construction d’un rapport nouveau, médiat, avec les traces de
l’histoire locale, qu’elles soient ou non inscrites dans le sol, des découpages et des
rythmes fonciers, aux gabarits urbains, et aux techniques de construction traditionnel-
les. L’interprétation donnée par Emil Steffann* des villages lorrains dans ses croquis
et dans ses projets, que les choix ultérieurs de Pingusson* ne démentiront pas,
12 Jiirgen Habermas, Modemity-an Incomplete Project, in: Hal Foster (ed.), The Anti-aes-
thetic, Port Townsend, Bay Press, 1983, pp. 3-15.
314
lorsqu’il reviendra en 1948 sur les mêmes lieux après son échec sarrois,13 reflète
cette préoccupation.
Ce sont, à ce point, deux directions différentes à l’intérieur des stratégies modernistes
qui apparaissent et se composent dans chaque conjoncture politique. Les expériences
de rationalisation dimensionnelle, l’épuration de la forme architecturale et la recher-
che de la répétitivité des objets rencontrés d’un côté tendent à la fois vers l’idéalisa-
tion du standard prônée par Le Corbusier et vers l’ascèse pratiquée par Ludwig Mies
van der Rohe. D’un autre côté, la perception organique du paysage, le choix raisonné
de techniques traditionnelles conjuguées avec des techniques modernes utilisées sans
ostentation, tendent vers le subtil jeu de contrastes propre à Alvar Aalto.
Un autre clivage se manifeste aussi entre les tenants d’une forme purifiée, fortement
chargée symboliquement, comme Schwarz* et ceux d’une rationalisation à visée
scientifique comme Neufert* ou Lods*.
La dimension régionale
C’est, en fait, dans un espace assez particulier que s’inscrivent les expériences évo-
quées ici. Elles s’appliquent à des territoires marqués depuis des siècles par l’affron-
tement des cultures française et germanique et par celui d’états nationaux et régio-
naux à la configuration variable, surtout en Allemagne. A partir des conquêtes de
Louis XIV, la pression des hégémonies nationales n’étouffe pas dans ce pays l’affir-
mation d’identités régionales fortes, mais entre dans un jeu complexe avec celles-ci.
Dans la coexistence de stratégies basées sur des principes universalistes et de straté-
gies visant à la révélation par les moyens d’une architecture moderne de types et de
formes issus de la tradition locale, la question régionale ne cesse d’être présente.
Elle opère cependant de deux façons distinctes. Les traditionnalistes s’efforcent de
faire émerger et d’actualiser des caractères spécifiques de l’architecture régionale,
notamment en Alsace: il suffit d’évoquer à ce propos ces deux produits du Heimat-
schutz alsacien que sont du côté allemand Paul Schmitthenner*, et du côté français
l’élève des Beaux-Arts Gustave StoskopP. Sur une base plus théorique, une entreprise
similaire sera engagée par Emil Steffann* en Lorraine.
Dans le même temps, les modernistes comme Rudolf Schwarz* ou, après 1945,
Marcel Lods* et Georges-Henri Pingusson*, s’appuient sur d’autres portions des
régions frontalières pour lancer des opérations parfois plus ambitieuses et plus
radicales que celles qu’ils auraient pu promouvoir dans d’autres parties de l’Allema-
gne ou de la France. De terrain de convergence, la région limite devient laboratoire
pour l’expérimentation des nouvelles doctrines.
Le cadre régional apparaît ainsi à la fois comme un lieu de repli traditionnaliste, et
comme un lieu de surenchère moderniste. Dans les deux cas, il s’agit d’utiliser la
valorisation symbolique de la région-frontière et le surinvestissement économique,
politique et militaire qui s’y applique pour forcer la réalisation d’opérations difficile-
13 Voir les commentaires de Pingusson* sur les fermes allemandes, Plan de reconstruction et
d’aménagement de Boust, Archives du Ministère de la Reconstruction et de l’Urbanisme,
Paris.
315
ment pensables dans d’autres régions, dont l’ancrage national serait moins fragile.
Dans le même temps, la succession accélérée des hégémonies nationales, avec sa
démesure à l’occasion absurde suscite la recherche de nouvelles formes d’identité à
la fois réduite à l’échelle régionale et étendue à une dimension européenne trans-
nationale.
Dans les épisodes évoqués ici, les lignes de front culturelles et politiques sur lesquelles
l’historiographie classique du Mouvement moderne a fondé son discours ne coïncident
guère. Les dirigeants totalitaires du Nazisme apportent leur soutien à des variantes
différenciées du modernisme, alors que les démocrates et les antifascistes français font
confiance à des traditionnalistes raffinés. Ces renversements de position qui peuvent
sembler étonnants marquent les limites d’une histoire fondée sur l’opposition entre les
"bons" modernes et les "méchants" traditionnalistes. Une problématique historique
prenant en compte l’après-modemisme, mais aussi les démarches pas clairement
progressistes dans toute leur ampleur devient ainsi à la fois possible et indispensable
pour penser l’architecture du XXe siècle dans toute son hétérogénéité.
Si nous revenons, d’ailleurs, à l’acception originale du terme d’avant-garde, qui n’est,
après tout, rien d’autre qu’un détachement militaire marchant en avant du gros de
l’armée, nous devrions nous demander où sont les armées architecturales en question
et vers où elles marchent, dès lors qu’elles rejoignent et absorbent les éclaireurs. Les
fragiles traces laissées par les avant-gardes sont le plus souvent rendues illisibles par
les solutions massifiées et brutales qui les suivent. Il n’est donc pas inutile de garder
l’oeil sur quelques - unes de ces pistes historiques, même si aucune distinction définiti-
ve et convaincante ne peut être faite entre des formes de modernisation jugées
positives et des formes jugées négatives.
Nous devrons, en conclusion, relever que T'incomplétude" du projet de la modernité
ne s’inscrit pas seulement dans les circonstances de l’histoire du XXe siècle, mais
aussi, dès le départ, dans l’ambiguité politique des stratégies de la modernité elles-
mêmes, confirmée non seulement par les enquêtes portant sur des tendances se
projetant sur la longue durée, mais aussi par les analyses restreintes à des zones de
conflit plus limitées dans le temps et dans l’espace, comme celles dont il est question
ici. Et même si le projet moderne devait demeurer inachevé d’un point de vue social,
il reste pour l’architecture en tant que style du XXe siècle largement utilisé; les autres
propositions, délaissées par l’historiographie ou déclassées sous prétexte qu’elles
étaient non modernes ont pris un intérêt nouveau.
Nous pensons avoir contribué à ce reclassement, dans notre tentative pour rompre
avec les connotations habituelles associant les systèmes politiques avec des orienta-
tions stylistiques aimées ou détestées et pour cesser de considérer l’année charnière
1945 comme une simple ligne de fracture, afin d’y voir plutôt la pierre de touche de
continuités jusqu’ici estompées.
316
Jean-Louis Cohen
Marcel Lods*: la Charte d’Athènes à Mayence
Dans une ville où les traces des projets et des aménagements de l’occupation na-
poléonienne avaient déjà été exaltées au cours des années suivant la première Guerre
Mondiale, se joue après 1945 une partie essentielle. Une autre figure marquante de
l’architecture moderne de l’entre-deux-guerres, Marcel Lods*, se voit demander entre
1946 et 1948 par le gouverneur de Hesse rhénane, le général Jacobsen, d’établir un
plan d’ensemble pour marquer le nouveau destin de la ville.
Pendant la guerre, le travail d’Adolf Bayer, élève du fonctionnaliste de Karlsruhe
Otto-Ernst Schweizer* se concentre sur un Wirtschaftsplan et sur la modernisation des
espaces urbains centraux. Pionnier de la rénovation urbaine, Heinrich Knipping
entreprend, dès avant les premiers bombardements de 1943, les premiers d’une série
de projets de plus en plus libres, au fur et à mesure des destructions. Ils se concen-
treront sur le centre de la ville, alors que le plan concurrent que Hanns Dustmann,
membre du Wiederaufbaustab d’Albert Speer, propose en 1944-1945 avance un
dispositif nouveau basé sur la construction de deux nouveaux ponts sur le Rhin.
Dans le Bureau du plan qu’il constitue auprès des Services français, Marcel Lods*
sera vite secondé par Bayer, et par le jeune Gérald Hanning*, dont l’apport avait été
décisif pour la mise au point du Modulor et de l’Unité d’Habitation à l’atelier de Le
Corbusier. Il propose une adaptation littérale des principes d’aménagement du
territoire formulés par Le Corbusier depuis le début des années 1930 au cas de
Mayence et de sa région. Son plan régional pour une agglomération suivant le cours
du Rhin et l’ensemble d’unités d’habitation qu’il étudie en 1947 avec Adolf Bayer sur
le terrain de la WallstraBe, comptent parmi les plus radicaux des projets du moder-
nisme corbuséen dans l’Europe de l’après-guerre (DI. 2).
Lods* efface les tracés antérieurs de la ville nouvelle wilhelmienne, pour mettre en
place une grande composition orientée en fonction de l’éclairage solaire optimal. Ce
combat de la lumière contre les ténèbres est soutenu par une campagne de propagan-
de basée sur les étonnantes bandes dessinées de Hanning* opposant la ville ancienne,
confuse et dangereuse, et la 'Ville verte", rangée, efficace et salubre.
Cette volonté d’effacer une partie notable de la ville d’avant 1940 est soutenue par
certaines forces politiques locales, mais elle rencontre une forte opposition dans la
population, alors même qu’une partie de l’administration française combat le plan,
autour du sculpteur Albert de Jaeger*, "conseiller artistique" du général Koenig,
commandant les forces françaises en Allemagne, qui obtient en 1948 le départ de
Lods*.
De Jaeger* crée un Conseil Supérieur d’Architecture et d’Urbanisme (CSAU), d’ail-
leurs réclamé par de nombreux autres services français, à commencer par les très
actifs architectes des Monuments historiques. Tandis qu’il imprime une ligne d’un
conservatisme tempéré à l’ensemble des plans étudiés dans la zone française (Fri-
bourg, Coblence, Worms, etc.), le Conseil enterre définitivement le plan de Lods*,
déclenchant des conflits ouverts à Paris. Au moment où la création de la République
Fédérale met, en 1949, un terme aux ambitions des occupants, le CSAU utilisera le
dossier de Mayence pour enterrer les stratégies radicales des Français.
Hartmut Frank
Eine neue alte Stadt: Schmitthenners* Mainz Projekt
Die Stadt Mainz verfügte im Sommer 1946, als die ersten Einzelheiten der Lods’-
schen* Planung für ein neues Mainz an die Öffentlichkeit durchsickerten, noch über
keine eigene Planungshoheit. Obwohl ungefragt, überwog die Kritik von seiten der
Bürger. Das städtische Planungsamt war aber mit den Alltagsproblemen der Ent-
trümmerung, Notbaumaßnahmen und den ersten Bauprogrammen der französischen
Militärregierung so ausgelastet, daß es zu einer kompetenten Gegenplanung keine
Kapazität frei hatte. Oberbürgermeister Kraus mußte sich deshalb einen kompetenten
Obergutachter außerhalb der Stadt suchen. Eine schwierige Aufgabe, da keine der re-
nommierten Architekturhochschulen in der französischen Zone lag. Für ihn traf es
318
sich gut, daß die Evakuierungswirren des letzten Kriegsjahres dem in Süddeutschland
ausserordentlich bekannten Stuttgarter Architekturprofessor, dem Elsässer Paul
Schmitthenner*, einen Wohnsitz in der französischen Zone verschafft hatten. Obwohl
diesen die Amerikaner wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und seiner prona-
zistischen Aktivitäten zu Anfang der dreißiger Jahre von seinem Stuttgarter Lehrstuhl
beurlaubt hatten, stand er wegen seines couragierten Einsatzes während des Krieges
für von den Deutschen zum Tode verurteilte Elsässer bei der französischen Besat-
zungsmacht in bestem Ansehen und verhandelte bereits mit diesen um die Einrich-
tung einer höheren Architekten-Ausbildungsstätte in Freiburg. Ihn bat der Mainzer
Oberbürgermeister am 5. September 1946 um Unterstützung und ernannte ihn wenig
später zu seinem "verantwortlichen Berater in allen künstlerischen und städtebauli-
chen Fragen des Wiederaufbaus der Stadt Mainz". Schmitthenner* begann sofort mit
der Arbeit an einer Gegenplanung zu Lods*, die er gegen den massiven Widerstand
der lokalen französischen Militärbehörden, aber mit Unterstützung aus Baden-Baden
im Oktober 1947 den zuständigen Behörden vorlegte, dessen öffentliche Vorstellung
ihm aber verwehrt bleiben sollte. Schmitthenner* war 1946, nach der Emgration Paul
Bonatz* in die Türkei und dem Tod von Heinz Wetzel der letzte verbliebene führen-
de Vertreter der traditionalistischen "Stuttgarter Schule", einer vom Deutschen Werk-
bund und vom Deutschen Bund Heimatschutz gleichermaßen beeinflußten Architek-
turdoktrin, die in den Jahren zwischen den Weltkriegen in Deutschland durchaus über
den süddeutschen Raum hinaus tonangebend war. Kaum eine Gutachterberufung
hätte für Lods* und seine Equipe eine größere Provokation sein können. Schmitt-
henner* schätzte vermutlich die Machtverhältnisse von Anfang an so ein, daß er sich
keine Realisierungschancen für sein Projekt versprach. Umsomehr bemühte er sich
um einen Entwurf, mit dem er die Leistungsfähigkeit seiner "Schule" bei der Bewälti-
gung der nicht nur technisch, sondern auch ideologisch außerordentlich komplexen
Problematik des Wiederaufbaus einer weitgehend im Bombenkrieg zerstörten tra-
ditionsreichen Großstadt unter Beweis zu stellen versuchte. Der propagandistische
Effekt dieser Aufgabe wurde dadurch noch besonders zugespitzt, daß sich sein
"realistisches" gegen das "utopische" Projekt eines führenden Schülers des Hauptfein-
des aller Traditionalisten und Regionalisten, Le Corbusier, wenden sollte.
Schmitthenner* möchte Mainz nicht wieder aufbauen wie es war, sondern er plant
wie Lods* ein Neues Mainz. Seine neue Stadt soll die Qualitäten der zerstörten Stadt
unter Vermeidung ihrer technischen und gestalterischen Defizite Wiedererstehen
lassen. Dazu bedient er sich eher der Rezepte der Heimatschutzarchitektur als der
der Denkmalpflege. Er entwirft eine neue alte Stadt, ein besseres, weil technisch
modernisiertes Mainz, das den nostalgischen Erwartungen der Mainzer entgegen-
kommt. Gerade dieses unhistorisch fiktive Moment in seiner Planung, das ihn zu
einem relativ großzügigen Umgang mit historischen Baudokumenten im alten Stadt-
kern verführt, wird ihm später die massive Kritik von seinem langjährigen, in Darm-
stadt Städtebau lehrenden Freund und Weggenossen Karl Gruber einbringen, der die
Stadt in Fragen der Denkmalpflege beriet.
Schmitthenners* Gutachten konzentriert sich auf das Gebiet der historischen Altstadt
(Abb. 3), vorgeblich, um nicht mit Lods’* auf das Gebiet der ehemaligen, gründerzeit-
319
liehen Neustadt konzentrierten Planung zu kollidieren und um diesem so eine "golde-
ne Brücke" für eine mögliche spätere Zusammenarbeit zu bauen. Tatsächlich aber
verfolgt er mit seinen Vorschlägen zu einer geänderten Anordnung der Rheinbrücken
eine Umstrukturierung der Stadt und Modernisierung des Wegnetzes, die weit über
das Gebiet der Altstadt hinauswirkt (Abb. 4). Ganz im Sinne der angepaßten regiona-
listischen Planungen seiner Schule ordnet sein Plan die künftigen Verkehrsbedürf-
nisse, bevor er Gestaltungsvorschläge für das Herz der Stadt formuliert. Hier definiert
er exemplarisch zentrale Orte von suggestiver Symbolik und macht typologische
Vorschläge für eine künftige individuelle Neubebauung. Er gibt die Dimension und
die Proportion der künftigen Geschäftshäuser vor, nicht ihre Gestalt. Im Gegenteil, er
versucht die Breite der möglichen Gestaltungen bei unterschiedlicher Materialwahl
durch Varianten zu beweisen.
Nicht dieses generelle Vorgehen, das Schmitthenner* ja kurz zuvor auch in einem
ebenfalls programmatisch gemeinten Wiederaufbauplan für das völlig zerstörte kleine
Freudenstadt im Schwarzwald entwickelt hatte, sondern die spezielle, an die napoleo-
nische Planung von Eustache de Saint-Far erinnernde Lösung, die er in Mainz
vorschlug, erregte den Widerspruch Grubers, der seinerseits dem Dombezirk als
spirituellem Herz der Stadt seine mittelalterliche Heiligkeit zurückgeben wollte.
Seinen radikalen Gegnern um Lods* mißfällt dagegen die Kompaktheit des Schmitt-
hennerschen* Vorschlages, seine strikte Zurückweisung der zeitgemäßen Konzepte
des fließenden Raumes und der Blickfreiheiten. Die Mainzer Bürger, zumal die inner-
städtischen Grundeigentümer, bekümmerte am Vorabend der Währungsreform und
des Wirtschaftswunders Schmitthenners* generelle Herabzonung des Altstadtgebietes.
Eine so niedrige Ausnützung war in ihren Augen wahrhaft "utopisch", möglicherweise
utopischer als die Hochhausstadt des von Lods* vorgeschlagenen Neuen Mainz.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß Schmitthenner* schon kurz nach dem
Scheitern seines Projektes im Frühjahr 1948 seinerseits im Bereich der Mainzer
Innenstadt ein Hochhaus vorschlagen wird. Sein im Auftrag des von der französischen
Militärregierung eingesetzten Generalbaudirektors Imm zusammen mit Erich Petzold
angefertigter Entwurf eines "Buüding" getauften Geschäftshauses widerspricht ziemlich
generell allen städtebaulichen Vorgaben seines eigenen Wiederaufbauplanes. Er be-
schränkt sich auf den Nachweis, daß seine Gestaltungsmittel sich zur Lösung aller
zeitgemäßen Bauaufgaben eignen. Wie die meisten Architekten seiner "Schule" und
auch seiner Gegner aus dem Lager der Moderne gibt er die Auseinandersetzung um
eine einheitliche städtebauliche Gestaltung der wiederaufzubauenden deutschen Stadt
angesichts des anbrechenden Wiederaufbaubooms auf und konzentriert sich auf die
Gestaltung des einzelnen Gebäudes in einem nicht mehr von Stadtplanem, sondern
von Investoren geformten städtischen Kontext.
320
MAINZ
STADT MITTE
M ■ I 2000
Abb. 3: Plan für den Wiederaufbau von Mainz, Stadt-Mitte, Paul Schmitthen-
ner* 1947 (Schmitthenner Archiv, München)
Verkehrsplan für den Wiederaufbau von Mainz, Paul Schmitthenner*
1947 (Schmitthenner Archiv, München)
Abb. 4:
321
Wolfgang Voigt
Eine Hauptstadt für das annektierte Elsaß:
Paul Schmitthenners* Plan für das "Neue Straßburg"
Hinter der 1940/42 für Straßburg entstandenen Planung verbirgt sich ein komplexes
Projekt voller politischer Symbolik. Nach einem von Adolf Hitler persönlich skizzier-
ten Vorschlag - er hatte die Stadt vier Tage nach dem deutsch-französischen Waffen-
stillstand besucht - sollte die zur deutschen "Gauhauptstadt" erhobene Stadt zum
Rhein hin erweitert und mit der deutschen, am Ostufer liegenden Grenzstadt Kehl
vereinigt werden. Die an mehreren Stellen geplante Überbrückung des Flusses hatte
einen doppelten Sinn: demonstriert werden sollte die Endgültigkeit der Annexion
Straßburgs und des gesamten Elsasses; die für Frankreich so wichtige Rheingrenze
sollte auch symbolisch verschwinden, indem die Stadt über sie hinwegwuchs. Zum
1940 ausgeschriebenen Wettbewerb für ein "Neues Straßburg" lieferte Paul Schmitt-
henner* ein in mehrfacher Hinsicht herausragendes Projekt (Abb. 5). Der bekannte
Traditionalist und Anführer der "Stuttgarter Schule" stammte selbst aus dem Elsaß
und verfügte während der Okkupation über gute Kontakte zum elsässischen Wider-
stand - ein Umstand, der ihm nach 1945 privilegierte Beziehungen zur französischen
Militärregierung in Deutschland sicherte; sein überraschender Auftritt in Mainz gegen
das Projekt von Marcel Lods* wird nur vor diesem Hintergrund verständlich. In
Schmitthenners* Vorschlag wird der am Ende gescheiterte Versuch erkennbar, zwi-
schen elsässischen Emotionen und einer imperialen "großdeutschen" Zukunft zu
vermitteln. Die Verschmelzung der beiden Städte zu einem Stadtkörper bleibt aus.
Zwischen Kehl und Straßburg klafft ein leerer Zwischenraum, dem Schmitthenner*
die Rückseite seines neuen, für die Bauten von Staat, Partei und Militär vorgesehenen
Stadtteils zuwendet. Schmitthenners* "Neues Straßburg" blickt nicht nach Deutsch-
land, sondern introvertiert auf die Vogesen und zu den Türmen der Kathedrale.
Durch eine geringe Verschiebung der Nord-Süd-Achse Hitlers schont er die letzte
vorhandene Bastion der Zitadelle Vaubans, des bedeutendsten Denkmals der 1681
begonnenen französischen Herrschaft über die Stadt. Ein dem Gebäude der NS-Partei
angefügter Glockenturm - das höchste Gebäude des neuen Stadtteils - erhält dieselbe
Höhe wie die Plattform des unvollendeten zweiten Turmes der Kathedrale. Das
verweist auf eine gewünschte historische Kontinuität, unterstreicht aber auch die
Unterordnung des Neuen unter das Alte.
322
Abb. 5:
Projekt für die Stadterweiterung von Straßburg, Paul Schmitthenner
1940 (Schmitthenner Archiv, München)
323
Wolfgang Voigt
Eine Fabrik Ernst Neuferts* im Elsaß:
Prototyp für die Serienproduktion und Normung
In Rheinau bei Straßburg entstand 1941 ein dreigeschossiges Stahlbetongebäude als
Produktionsstätte elektrischer Ausrüstungen für Kampfflugzeuge (Abb. 6). Unter den
wenigen Großbauten, die während der deutschen Okkupation wirklich fertiggestellt
wurden, ist die noch heute bestehende Fabrik im Elsaß der bedeutendste Vertreter
einer konsequenten rationalistischen Haltung, die ihren Ursprung im "Neuen Bauen"
der 20er Jahre nicht verleugnet. Der Entwurf stammte von Emst Neufert*, dem
Bauhaus-Schüler und ehemaligen Bürochef von Walter Gropius in Dessau, der 1938
als ’Beauftragter für Normungsfragen’ ins Amt des Generalbauinspektors Albert
Speer berufen worden war. International bekannt wurde Neufert* nach dem Krieg
durch sein in elf Sprachen übersetztes Handbuch für Architekten, die "Bauentwurfs-
lehre".
Die Fabrik in Rheinau gehört zu den ersten praktischen Versuchen mit dem von
Neufert* entwickelten "Oktameter"-Modul, das von einer Teilung des Meters in acht
gleiche Teile ausgeht. Der Bau hat zwischen den Betonstützen Achsabstände von
genau fünf Metern, d.h. dem vierfachen Wert des Oktameter-Grundmaßes von 1,25
Meter. Das Achsenraster bestimmt auch das Gesicht des Gebäudes. In Abständen von
fünf Metern werden die Fensterbänder von Betonstützen unterbrochen, die für einen
gleichmäßigen Rhythmus sorgen. Betonstützen und Fensterscheiben haben eine Breite
von 62,5 cm und entsprechen damit exakt der Hälfte des Oktameters. Wie die
Fenster, so waren auch alle anderen Bauteile des Gebäudes - Ziegelsteine, Türöff-
nungen, Raumhöhen, Treppenbreiten u.s.w. auf das Oktameter abgestimmt.
Als Prototyp für die Normung des Bauwesens, die unter den Bedingungen der Kriegs-
wirtschaft ihre größten Fortschritte machte, war die Fabrik im Elsaß ein historisches
Ereignis. Das während des Krieges von Neufert* verfolgte Ziel war die Etablierung
eines vom kleinsten bis zum größten Modul kohärenten Maßsystems als Grundlage
für die rationalisierte Serienproduktion von Bauten aller Art. Das auch von Speer und
Hitler als universelle Lösung unterstützte "Oktameter" entfachte 1941 eine konträre
Debatte. Im Streit der Normungsstrategien wurden die besetzten Gebiete zu Testfel-
dern der verschiedenen Positionen. Während im Elsaß das Oktameter erprobt wurde,
operierte Richard Docker* in Lothringen mit seiner gegen Neufert* gerichteten
"Westmarknorm", die die Planung landwirtschaftlicher Gebäude zum Ausgangspunkt
nahm.
324
Abb. 6: Stahlbetongebäude in Rheinau, Ernst Neufert* 1943
(Foto Jacques Rosen)
Ulrich Hohns
"Eine tief innere Scheu vor dem rechten Winkel" -
Ländlicher Wiederaufbau in Lothringen um 1942
Emil Steffann* kam 1941 nach Lothringen. Er war einer der vielen beim "Wieder-
aufbau in der Westmark" eingesetzten deutschen Ortsarchitekten und leitete in der
Gegend von Thionville den Wiederaufbau des 1940 kriegszerstörten Dorfes Boust,
ganz in der Nähe der heutigen Atom-Zentrale Cattenom. Viele Dörfer waren gleich
zu Beginn des Krieges schwer beschädigt worden, und der erste Wiederaufbau
während des Krieges begann hier, auf dem Lande und im besetzten Land. Steffanns*
Methodik und die Ergebnisse seiner Arbeit, die Besonderheiten seiner Architektur,
fallen vollständig aus dem Repertoire des zuständigen "Wiederaufbauamtes" heraus,
325
die Qualität der Häuser - einige sind bis heute erhalten und erst auf den zweiten
Blick als "Neubauten" zu identifizieren - ist unverkennbar. Sein Baumaterial waren die
Trümmer, die er vorfand und die er nicht versteckte.
Ob dies nun ein Zeichen für den Widerstandscharakter der Arbeiten dieses Architek-
ten und seiner Freunde war - Rudolf Schwarz*, Rudolf Steinbach, Alfons Leitl, um
nur einige der prominenteren zu nennen, die schon bald nach 1945 zur rheinischen
Architektur-Avantgarde gehören und in der Zeitschrift "Baukunst und Werkform" ihr
Forum finden sollten -, oder ob es nicht eher ein Indiz für die bemerkenswerte Hete-
rogenität einer vordergründig ausschließlich auf die Optimierung der Landwirtschaft
ausgerichteten Besatzungspolitik ist, die an der schnellen Wiederingangsetzung der
Produktion interessiert war, wird bis heute kontrovers diskutiert. Keineswegs sind die
von Steffann* oder seinem Chef Steinbach aus dem Bestand heraus entwickelten
"Erbhöfe" weniger effizient zu bewirtschaften gewesen als die genormten Bauten
Richard Döckers* und Walter Hoss’*, die zur gleichen Zeit im Gebiet der Saarpfalz
und den südlichen Teilen Lothringens entstanden.
Die Architekten-Freunde in Lothringen hatten hier für einige Jahre ihre Nische
gefunden, die ihnen - allesamt katholisch geprägt und keine Parteigänger der Natio-
nalsozialisten - das verhaßte System bot: Sie arbeiteten an der strukturellen und
formalen Wiederbelebung des lothringischen Hauses und Dorfes, so wie sie es ver-
fallen und zerstört - und menschenleer, weil die Bewohner vertrieben worden waren -
vorfanden. In ihrer Phantasie und in ihren Zeichnungen, in Ansätzen auch in den
verhältnismäßig wenigen realisierten Bauten, fügten sie das Dorf ,rbereinigt" wieder zu
einem einheitlichen Ganzen zusammen. Sie liebten dieses Land und suchten es,
wortreich, mit der Seele; der Krieg schien fern.
Steffann* war besonders an der Gestalt des lothringischen Straßendorfes interessiert,
an der exakten Formulierung seines Übergangs in die freie Landschaft (Abb. 7).
Hatte sich das alte Dorf nach innen gekehrt, so würde jetzt "durch die Verlagerung
der Wirtschaft von der Straße hinter das Haus [...] die alte geschlossene Gemein-
schaftsform des Straßenraums durchbrochen. [...] Das Dorf strahlt nach außen."1
Sein romantisches Konzept hinderte ihn nicht daran, technische Neuerungen der Bau-
produktion einzuführen und eigene, materialsparende Konstruktionen, Fertigteil-
Systeme und Montagegerüste zu entwickeln. Die "eisenarmierte Rundholz-Pfette"
trägt das Dach seines wichtigsten Baues jener Zeit, einer als Scheune getarnten
"Notkirche" aus dem Jahre 1942 (Abb. 8). Steffann* ließ sich die Entwicklung noch
1943 in Luxemburg patentieren. Das Gebäude ist erst in jüngerer Zeit teilweise
abgerissen worden, weil ihm ein Wohnhaus einverleibt wurde; die Dachkonstruktion
blieb erhalten.
Den Forderungen der Aufsichtsbehörde nach optimalem Einsatz neuester Landtech-
nik kam Steffanns* Prinzip der "Auflockerung" des Dorfgefüges bei gleichzeitiger Ver-
dichtung einzelner Baugruppen ohnehin nach. Straßen wurden verbreitert, Bauernhö-
fe umorganisiert und zusammengelegt, Traufhöhen, Durchfahrten und Scheunen den
1 Emil Steffann*, Platzgestaltung im alten Dorf in Lothringen. Zwei Beispiele aus Bust in
Diedenhofen, in: Der Landbaumeister H. 10/11/12, Berlin 1943, pp. 217.
326
№ VI
Abb. 7: Arbeiterhaus am Hang in Boust, Emil Steffann* 1942
(aus: Baumeister H. 8, München 1950)
Abb. 8: Notkirche in Boust aus Trümmermaterial, Emil Steffann* 1942
(aus: Baumeister, H. 8, München 1950)
327
Maschinenmaßen angepaßt. Das war die Synthese aus Technik und Heimatschutz -
nicht die Modernismen einer neuen Land-Architektur wie in den pontinischen Sümp-
fen im faschistischen Italien bildeten den Maßstab, sondern romantisierende, gleich-
wohl durch und durch technizistisch geprägte Vorstellungen vom Bauen auf dem
Lande setzten sich hier durch, wie sie in Deutschland erstmalig in großem Umfang
und mit hoher, gestalterischer Qualität beim Wiederaufbau des enorm zerstörten
Ostpreußens ab 1914 erprobt worden waren. Es war ein improvisiertes Bauen, das
dabei keine Provisorien schuf.
Steffann hielt die Ergebnisse seiner Arbeiten in Frankreich und die Resultate der
Voruntersuchungen dazu in den Empfehlungen einer damals nicht mehr veröffentlich-
ten "Baufibel für Lothringen" fest.2 Er war sich nicht nur als Architekt, sondern auch
politisch seiner Sache so sicher, daß er bis zum Kriegsende in Frankreich blieb mit
der Folge, fast zwei Jahre in französischen Internierungslagern zubringen zu müssen.
Hier skizzierte er, was ihm in der Erinnerung von seinen Arbeiten geblieben war: Ein
neues, einfaches System für einen ''bescheidenen" Wiederaufbau seines eigenen
Landes. Wie so etwas hätte aussehen können, zeigen die Pläne von 1946 für eine
Siedlung der Kölner Erzdiözese, die dann ab 1948 in deutlich abgewandelter Form
realisiert wurde: klare, einfache, kubische Bauten, zusammengefügt aus wiederkehren-
den, wiedererkennbaren Elementen, mit dem Boden verbunden und zu einer Art
spiritueller "Nachbarschaft" der Bewohner untereinander verknüpft.3
Der konservative "Baumeister" stellte diese Arbeiten 1950 wieder vor, weil er in der
"Veredelten Armut" der Steffannschen* Architektur nur zu gern die Matrix für den
westdeutschen Aufbau erblicken wollte, der sich zu diesem Zeitpunkt schon alles
andere als "bescheiden" artikulierte. Steffann* und einige seiner Freunde, die die
Forderungen nach einfachem, der materiellen wie geistigen Not der Zeit angemesse-
nen Bauen noch nicht vergessen hatten, zogen sich zurück auf das ebenso unverfäng-
liche wie intellektuell und schöpferisch herausfordernde Gebiet des Kirchenbaus der
frühen Nachkriegsjahre.
Es erscheint wie eine späte Rehabilitation seiner Arbeiten in Frankreich, als "L’art
sacré" 1959 mit dem Titel "Nos amis d’Allemagne" herauskommt und darunter Stef-
fanns* Kirche in Opladen zeigt, die eine überaus starke Verwandtschaft mit der
Notkirche in Boust besitzt.
2 Die Typoskripte der "Baufibel" befinden sich im Nachlaß Steffann im Deutschen Architek-
turmuseum, Frankfurt/M. Der Titel dieses Beitrages stammt aus dem Kapitel "Das Dach", der
vollständige Satzzusammenhang lautet: "Die neuen Reissbrettbauten passen sich weder den
alten Gebäuden an, noch heben sie sich klar gegen sie ab. Sie stehen mit ihren steilen
Falzpfannendächern in einer unbestimmten Haltung fremd in der Landschaft, schneiden in
ihrer korrekten Rechtwinkligkeit in den Raum und höchst unvorteilhaft in den alten Bestand.
Nirgendwoanders ist dieses Missverhältnis so zu spüren wie in Lothringen und es drängt sich
die Erkenntnis auf, dass eine tief innere Scheu vor dem rechten Winkel zum Wesen der
Bewohner des Landes und ihres Bauens gehört".
3 Vgl. Ulrich Hohns, Veredelte Armut. Architektur aus und auf Kriegstrümmem, in: Der
Architekt H. 11, Stuttgart 1989.
328
Rémi Baudouï
L’équipe des urbanistes de la Sarre
C’est le 10 juillet 1945 que les troupes françaises arrivant en Sarre, se substituent aux
Américains. Nommé Gouverneur Militaire, le colonel Gilbert Grandval crée de sa
propre autorité un service Reconstruction et Urbanisme, et conçoit le dessein de faire
de l’architecture et l’urbanisme la clef de voûte de la dénazification et de la recon-
struction de la Sarre. Il sollicite l’aide de Jean Prouvé, qu’il a connu dans la résistan-
ce, et qui le renvoie à son ami, l’architecte André Sive*, qui se tourne vers Marcel
Roux, connu à Alger à partir de 1943. Maître d’oeuvre de l’équipe française des
urbanistes de la Sarre, Roux constitue une équipe soudée, obtenant l’adhésion de
Georges-Henri Pingusson*, de Pierre Lefèvre*, et Jean Mougenot. Marcel Roux fait
aussi appel à Edouard Menkès* de retour de déportation. L’équipe de base con-
stituée sera complétée plus tard par Sive* et, de manière plus épisodique, par René
Herbst* et Gabriel Guévrékian*. Tous les architectes recrutés se présentent comme
des partisans affichés du "Mouvement moderne", entre lesquels s’esquissent des points
de contact, des passerelles professionnelles et culturelles, constituées autour de
l’agence Mallet-Stevens et de l’Union des Artistes Modernes.
La reconstruction française déçoit ce noyau de compagnons, car elle n’est pas le lieu
d’expression du Fonctionnalisme, comme le laissaient entrevoir les propositions émises
par des groupes de réflexion de techniciens de la Résistance. A contrario, de l’autre
côté de la frontière, l’existence d’un territoire à reconstruire, d’un véritable projet
culturel d’essence moderne soutenu par une administration plus forte - car d’essence
militaire -, la conscience d’oeuvrer pour la sécurité et la prospérité économique
nationale, peut-être même le désir d’abandonner une France de restrictions pour
troquer le statut privilégié d’occupant, apparaissent comme autant de raisons objecti-
ves ayant pu expliciter la prompte expatriation de ces architectes en Sarre.
Dès le mois de février 1946 le travail est effectif pour la majorité d’entre eux. Sous les
contraintes d’un programme économique d’occupation ayant pour objet de procéder
à la mise en valeur des ressources et matières premières sarroises, les projets de
reconstruction des villes s’orientent unilatéralement en direction d’une planification
territoriale et d’une rationalisation de l’espace selon des critères de production
industrielle induisant des décisions qui sont loin de répondre aux difficultés matérielles
rencontrées chaque jour par les sinistrés.
Sous l’impulsion des premières directives de Marcel Roux et André Sive*, Georges-
Henri Pingusson* et Edouard Menkès* élaborent des plans d’urbanisme à l’échelle
régionale. En se structurant sur les conditions techniques du redéploiement de la ville
dans son aire géographique, les plans directeurs de Sarrebruck et de Sarrelouis
échappent aux principes mêmes d’une reconstruction traditionnellement centrée sur
le thème de la recomposition urbaine. L’idéal modemisateur doublé d’une approche
fonctionnaliste induit une réflexion aménagiste revendiquant sa filiation avec la Charte
d’Athènes de Le Corbusier.
329
Pour insérer Sarrelouis dans l’infrastructure industrielle que la vallée de la Sarre se
doit de constituer en fédérant les agglomérations nichées en son sein, Edouard
Menkès* ne peut que proposer l’éradication du développement urbain de la ville dans
un sens radicalement opposé à son évolution historique.
Désormais en opposition à son extension naturelle en direction du sud, l’architecte en
chef de la ville propose de relier la cité aux anciennes agglomérations industrielles
situées en sa partie nord. C’est par la constitution d’une ville-linéaire constitutive du
Grand-Sarrelouis qu’est ainsi opérée l’intégration industrielle prônée par Marcel Roux
et André Sive*. La montée en puissance de l’opposition aux projets fonctionnalistes
épousera l’évolution des relations politiques entre la France et la Sarre. La clôture du
statut d’occupation intervenue à la fin de l’année 1947 décidera du sort des architec-
tes de Gilbert Grandval désormais condamnés sur l’autel de la restauration politique
de la démocratie sarroise. Seuls resteront l’architecte Pierre Lefèvre* responsable des
bâtiments publics du Haut-Commissariat français en Sarre et Georges-Henri Pingus-
son*, maître d’oeuvre de l’ambassade de France à Sarrebrück (111. 1).
Rémi Baudouï
Georges-Henri Pingusson* et la reconstruction de Sarrebrück
Comme il en fut de même dans le reste de la Sarre, la reconstruction de la ville de
Sarrebrück a débuté par les axes de communication, comme s’il s’agissait de marquer
de la manière la plus symbolique, les liens indéfectibles qui selon Gilbert Grandval
rattachaient économiquement et culturellement la Sarre à la France. Pingusson*
s’attachera, en premier lieu, à une description minutieuse du territoire sarrois selon
les acquis de cette géographie volontaire esquissée par Marcel Roux et André Sive*.
Le ton est donné, l’aménagement de la région de Sarrebrück s’inscrit pleinement dans
le cadre de l’exploitation économique de la Sarre.
Pour faire de Sarrebrück la véritable plaque tournante (111. 9) d’un trafic facilitant le
croisement de la grande desserte industrielle et de la voie du charbon, Georges-Henri
Pingusson* structure son travail selon les axes de communication en proposant immé-
diatement de procéder à la régulation, la rectification et l’aménagement du cours de
la Sarre ainsi que sa canalisation sur son trajet aval jusqu’à la Moselle et de cette
dernière en amont jusqu’à Thionville.
Dans le domaine du réseau ferré, il rappelle la nécessité de poursuivre son améliora-
tion, en encourageant la création de gares de triage modernes et gares de liaison avec
les transports routiers, fluviaux et mêmes aériens, les liaisons rapides devant être
assurées par autorails. Visant en premier lieu "à accentuer l’évolution de la ville en
fonction de sa région, accentuer sa qualification comme capitale régionale administra-
tive, de production métallurgique, d’extraction charbonnière, d’échanges internatio-
naux", le plan d’aménagement de Pingusson*, en retenant comme priorité la rationa-
lisation de l’agglomération en fonction des impératifs économiques à l’échelle de la
330
111. 9: Plan de reconstruction de Sarrebruck, Georges-Henri Pingusson*
1946-47, vue aérienne de l’échangeur proposé devant la gare
111. 10: Plan de reconstruction de Sarrebruck, Georges-Henri Pingusson*
1946-47, première maquette
331
Sarre, s’offre tout d’abord comme un plan de modernisation des infrastructures de
transport. Le plan de circulation hiérarchise et sépare les différents trafics, non pas
pour définir une quelconque sécurité routière mais pour tendre vers une rationalisa-
tion économique plus poussée. Par ailleurs, Georges-Henri Pingusson* propose de
remodeler la ville ancienne en créant de toute pièce un centre de gouvernement
groupant les administrations publiques (DI. 10). Ce centre est entouré par un quartier
d’affaires constitué de bâtiments en hauteur. Pour les quartiers résidentiels, sont
également prévus des unités d’habitation collective.
Dès la publication du plan, les passions s’exacerbent. Dès 1947, le conseil municipal
soutenu par la population locale manifeste sa désapprobation. Bien que le conseil
municipal de Sarrebruck approuve le 3 novembre 1948 le plan Pingusson* partielle-
ment modifié, il ne sera pas réalisé. Dès 1949 la perspective du rattachement de la
Sarre à l’Allemagne entraîne un durcissement des positions. L’opposition déclarée du
gouvernement sarrois et de la municipalité de Sarrebruck au plan français suscite la
démission de Georges-Henri Pingusson* en novembre 1949.
Hartmut Frank
Die Stadtlandschaft Diedenhofen
Im Rückblick auf seine Planungstätigkeit während des Krieges in Frankreich schreibt
Rudolf Schwarz* 1960: "Ich hatte nämlich für meine Absichten ein Versuchsfeld
bekommen, viel schöner und größer, als ich es mir erträumt hatte, und hatte beinahe
grenzenlose Freiheit, es nach meinem eigenen Wunsch zu bearbeiten". Im Januar
1942 nämlich hatte er von Bürckel, dem "Chef der Zivilverwaltung" des in den neuen
Gau Westmark integrierten Teil Lothringens, des ehemaligen Departements Moselle,
den Auftrag erhalten, eine "Planungsstelle Diedenhofen" einzurichten. Seine Aufgabe
bestand darin, dem Industriegebiet um Diedenhofen, dem im Rahmen der Kriegswirt-
schaft eine große Bedeutung zukam und für das entsprechend umfangreiche Neuinve-
stitionen und Bevölkerungszuwächse geplant waren, eine räumliche Neuordnung zu
geben. Schwarz*, der sich zu Beginn der dreißiger Jahre mit seinen Kirchenneubauten
von "sakraler Sachlichkeit", etwa der Aachener Fronleichnamskirche, einen Namen in
der Architektenwelt gemacht hatte, erhielt für diese Aufgabe weitestgehende Pla-
nungsvollmachten. Schwarz* machte sich ohne praktische Planungserfahrung für so
komplexe Aufgaben, aber auf der Grundlage zahlreicher eigener theoretischer
Veröffentlichungen zu Problemen der modernen Großstadt und der "Heimat" des
Christenmenschen in der industriellen Gesellschaft, an die Arbeit. Er begann mit
umfangreichen Voruntersuchungen über die Arbeits- und Lebensverhältnisse im
Planungsraum, untersuchte die täglichen Pendelwanderungen der wichtigsten Indu-
striebetriebe und Bergwerke und ermittelte nach umfangreichen Erhebungen in den
einzelnen Gemeinden den künftigen Bedarf an Siedlungsflächen. Auf dieser Grundla-
ge entwickelte er einen Siedlungsplan für die Region um Diedenhofen, der sich in
332
seiner Struktur ebenso von anderen mitteleuropäischen Planungen der Zeit unter-
schied wie in seinem formalen Charakter.
Schwarz* erweiterte die bestehende Stadt Diedenhofen nicht wie von der Stadtver-
waltung erträumt zu einer kompakten Großstadt von 100 000 Einwohnern, obwohl
der Stadterweiterungsplan des Altmeisters der deutschen Stadtplanung, Josef Stübben,
von 1903 dazu durchaus immer noch eine Grundlage gegeben hätte1. Er entwickelte
statt dessen einen neuen Typ von Stadt, die "Stadtlandschaft" (Abb. 11). Dazu löste
Abb. 11: Stadtlandschaft Diedenhofen, Rudolf Schwarz* 1942
(Montage aus Teilplänen der Siedlungsgruppen Volkringen)
er den Siedlungsraum in unterschiedliche "Landschaften der Arbeit, der Bildung, der
Hoheit und der Anbetung" auf, die er anschließend zu einem neuen räumlichen
Gebilde, der "Landschaft des Ganzen" verknüpft. Das alte Diedenhofen wurde Teil
dieser neuen Einheit, aber es blieb als "Hochstadt" ein besonderer Ort der weltlichen
1 Vgl.dazu den Beitrag von François Roth in diesem Band.
333
und kirchlichen Repräsentation, abgesondert von den profanen Orten der Produktion
und des täglichen Lebens.
Da Schwarz* 90% der Bevölkerung ganz im Sinne hygienistisch-eugenischen Garten-
stadtideologie in Einfamilienheimen auf Grundstücken von 500 und 1000 m2 unter-
bringen wollte, war sein Flächenbedarf immens. Er ordnete die neuen Siedlungs-
gebiete außerhalb der bestehenden Industriesiedlungen im Fentsch- und Moseltal und
außerhalb der bestehenden Bauerndörfer auf den Hochebenen oberhalb der band-
artigen Industriezone in den Flußtälern an. Ihre Form erhielt das neue Gebilde der
Stadtlandschaft durch die Überlagerung der "natürlichen Ordnung der Landschaft"
durch die "geistige Ordnung der Geometrie", der die Pläne der neuen Siedlungsein-
heiten folgten. In einer ganz eigenen, auf seiner katholischen Weitsicht beruhenden
Weiterentwicklung des von ihm als mechanistisch und materialistisch kritisierten
Bandstadtkonzeptes sowjetischer Provenienz und der Raumstadtidee seines Kollegen
Walter Schwagenscheidt, entwickelte Schwarz* eine Struktur, die den Erfordernissen
der modernen Großindustrie ebenso Rechnung trug wie seinen Vorstellungen von
einer zeitgemäßen Gemeinschaftsform der Siedlung für den modernen Industrie-
arbeiter. Das Band der Industrie blieb von seiner Planung unberührt und konnte sich
künftig unbehindert von zu nahen Wohnanlagen entwickeln. Diese waren abgerückt
in neuen polyzentralen Siedlungen, die auf "Schulschaften" genannten Nachbarschaf-
ten in der Größe des traditionellen Kirchspiels aufgebaut waren und deren sechs
"Siedlungsräume" durch die der Erholung und der Landwirtschaft dienende freie
Landschaft voneinander getrennt waren. Die Bandstadt wurde zu einem "Beziehungs-
stern mit wechselnder Mitte", wechselnd nach den Erfordernissen des Lebens ihrer
Bewohner. Sie wiederholte das Bild der Kathedrale in ihrer räumlichen Großform;
wie diese ihren Endpunkt im Hochaltar, fand diese Stadtlandschaft den ihren in der
Hochstadt. Auf dem Weg dorthin kreuzten sich die Wege der Produktion mit den
täglichen Pendelwanderungen der Arbeiter. Das Bild der neuen Stadt wurzelte tief in
Schwarz* symbolischem Verständnis von Form und Gestalt.
Dennoch ist Schwarz’* Stadtlandschaft Diedenhofen im Ergebnis anderen Konzepten
zur Auflösung der modernen Großstadt, insbesondere den gleichzeitigen angel-
sächsischen Abercrombie’s etwa, durchaus vergleichbar. Sein Plan ist ebenso wie jene
Ergebnis der säkularen Debatte um die der modernen Industriegesellschaft angemes-
sene Siedlungsform. Er beruht auf dieser Debatte und führt sie zu einem unverhofften
Zeitpunkt in entscheidender Weise weiter. Nach 1945 plant Schwarz auf der Basis der
Diedenhofener Erfahrungen die Kölner Bucht als Stadtlandschaft, als neuen Typ einer
komplexen, im Raum aufgelösten Großstadt.
334
Berufsbiographische Kurz portraits
Bonatz, Paul (1877-1951), in Lothringen geboren, Studium in Stuttgart und München, Schüler
von Theodor Fischer, erste Aufträge in Straßburg, nach 1914 in Stuttgart, später Auf-
träge in zahlreichen europäischen Ländern. Hauptwerk Stuttgarter Hauptbahnhof
(1914-22), das durch seine modernen und ausdrucksstarken Formen und Dimensionen
beeindruckt.
Danis, Robert (1879-1949), Schüler von Deglane an der Ecole des Beaux-Arts, leitender Archi-
tekt der französischen Denkmalpflege, wirkte nach 1919 in Straßburg, gründete 1945
eine staatliche Abteilung für Architektur.
Docker, Richard (1894-1968), nach 1917 Studium der Architektur an der TH Stuttgart, 1921
Mitarbeiter von Paul Bonatz, 1927 zwei Bauten in der Weißenhofsiedlung, ab 1941 Ar-
chitekt in der Westmark, Entwicklung von Normen für das ländliche Bauen (WAW-
Norm), Lehrstuhl an der TH Stuttgart für Städtebau und Entwerfen, Leiter der Archi-
tekturabteilung 1947-1958.
Hanning Gérald (1919-1980), Ecole des Beaux-Arts, 1937-45 Mitarbeiter bei Le Corbusier,
Planung für St. Dié, nach 1945 beteiligt an der Wiederaufbauplanung für Mainz.
Hoss, Walther (geb. 1900), Schüler von Paul Bonatz und Paul Schmitthenner, 1928-41 Archi-
tekturlehrer an der Stuttgarter Staatsbauschule, 1941-44 Dienstverpflichtung als Lei-
tender Architekt für den Wiederaufbau in der Westmark, enge Zusammenarbeit mit
Richard Docker, ab 1947 Leiter des Wiederaufbauamtes der Stadt Stuttgart, 1948
Generalbebauungsplan.
Expert, Roger-Henri (1882-1955), Studium an der Ecole des Beaux-Arts in Bordeaux, nach
1925 Professor an der Ecole Nationale des Beaux-Arts in Paris, Sieger in zahlreichen
Wettbewerben, Ausführung bedeutender öffentlicher Bauten, 1930-51 Bauberatung in
Bordeaux, 1954 Institut de France.
Guevreldan, Gabriel (1900-1970), nach 1918 Mitarbeiter von Rob Mallet-Stevens, zahlreiche
Bauten in Wien, 1932 Beteiligung an der Österreichischen Werkbund-Ausstellung, Re-
präsentant des zeitgenössischen internationalen Stils.
Herbst, René (1891-1982), Gründungsmitglied der Union des Artistes Modernes (UAM), enga-
gierte sich vor allem für den Einsatz von Stahl als Werkstoff, Mitwirkung an Ausstel-
lungen für das Metall- und Eisengewerbe. 1946 Präsident der UAM.
de Jaeger, Albert (geb. 1908), Bildhauer, Studium an der Ecole des Beaux-Arts de Tourcoing,
1935 Prix de Rome, 1944-49 künstlerischer Berater für den kommandierenden General
in der französischen Besatzungszone, dort 1945-50 Generalsekretär des Hohen Rats
für Architektur und Städtebau.
Kreis, Wilhelm (1873-1955), 1904 Professor an der Kunsthochschule Dresden, 1920 Düsseldor-
fer Akademie, 1926-33 Präsident des Bundes Deutscher Architekten, 1943-45 Präsi-
dent der Reichskammer der bildenden Künste, zahlreiche Entwürfe für Ehrenmale.
Lefèvre, Pierre (geb. 1903), Schüler der Ecole Nationale des Arts Décoratifs, Bürochef von
Pingusson, seit 1946 einer der führenden Vertreter des französischen Städtebaus an
der Saar, Gestaltung von Universitäts- und Schulbauten in Saarbrücken und Lothrin-
gen, leitender Architekt in verschiedenen Saarkreisen.
Lods, Marcel (1891-1978), Studium an der Ecole Nationale des Beaux-Arts, Errichtung zahl-
reicher öffentlicher Bauten, von 1946-48 Leitung der Wiederaufbauplanung in Mainz,
zahlreiche Projekte zur Förderung der Fertigbauweise mit metallenen Elementen.
335
Menkès, Edouard (1903-1976), Studium in Wien, ab 1924 an der Ecole des Beaux-Arts in
Paris. Mitarbeiter von Robert Mallet-Stevens, erfolgreiche Beteiligung an zahlreichen
Wettbewerben. Nach seiner Deportation 1945 Wiederaufbauplanung in Saarlouis,
Entwicklung von Musterhäusern in Metallbauweise.
Monnet, Bertrand (geb. 1910), Studium an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux-Arts,
1946-82 leitender Architekt der staatlichen Denkmalpflege, 1946-49 leitende Aufgabe
bei der Militärregierung in der französischen Besatzungszone. Zahlreiche Pläne zur Er-
haltung historischer Baudenkmäler.
Neufert, Emst (1900-1986), 1919 Student am Bauhaus Weimar, Schüler von Walter Gropius,
1926 Professor und Leiter der Bauabteilung an der Bauhochschule Weimar, 1930
Entlassung, danach Studien zu Fertigbauweisen und zur Baunormung. 1936 Publikation
der "Bauentwurfslehre", 1938 Beauftragter für Rationalisierung, 1945-1965 Professor
für Baukunst in Darmstadt.
Perret, Auguste (1874-1954), Inhaber eines Bauuntemehmens, Pilotprojekte zur Förderung der
Betonbauweise, Präsident der Architektenkammer, zahlreiche öffentliche Bauten sowie
moderne Kirchen.
Pingusson, Georges-Henri (1894-1978), 1925 Diplom an der Ecole des Beaux-Arts, Vertreter
des Modernismus: Hotel Latitude 43 in St. Tropez, ab 1933 Mitarbeit in der UAM,
nach 1945 Leiter der Wiederaufbauplanung für Saarbrücken, enge Zusammenarbeit
mit Le Corbusier.
Schmitthenner, Paul (1884-1972), Elsässer, Studium der Architektur an der TH Karlsruhe,
Schüler von Karl Schäfer, Mitarbeiter von Richard Riemerschmid, große Erfolge mit
zahlreichen Gartenstädten, 1918 Professor an der TH Stuttgart, Mitbegründer der
traditionalistischen "Stuttgarter Schule", nach 1940 Mitwirkung an Stadtplanungsprojek-
ten im Elsaß, 1947-49 Projekt für den Wiederaufbau von Mainz; zahlreiche bedeuten-
de Bauten.
Schwarz, Rudolf (1897-1961), in Straßburg geboren, Architekturstudium in Berlin, Meister-
schüler von Hans Poelzig, 1925-27 Lehrer für Architektur an der Bau- und Kunstge-
werbeschule Offenbach, 1927-34 Direktor der Kunstgewerbeschule Aachen, 1942 Lei-
ter der Planungsstelle Diedenhofen, 1946-52 Generalplaner für Köln, nach 1953 Pro-
fessor an der Kunstakademie in Düsseldorf.
Schweizer, Otto-Emst (1890-1965), Lehre als Geometer, Studium der Architektur in Stuttgart
und München, Schüler von Theodor Fischer, 1925-30 Leiter der Neubauabteilung der
Stadt Nürnberg, 1930-61 Professor für Städtebau in Karlsruhe, zahlreiche öffentliche
Bauten, 1930 Idealplan einer Großstadt, 1943/44 Neuordnungsplan für Karlsruhe.
Steffann, Emil (1899-1968), Bildhauerausbildung in Berlin, später private Architektur-Studien,
Freundschaft mit Rudolf Schwarz, mehrere Kirchenbauprojekte, 1941 Architekt für
den Wiederaufbau in Lothringen, dort u.a. Bau der Notkirche in Bust.
Sive, André (1899-1958), Ungar, Studium in Wien und Berlin, 1925 Übersiedlung nach Frank-
reich, Anhänger von Le Corbusier und Vertreter des Funktionalismus, nach 1945 Mit-
glied der französischen Architektengruppe an der Saar, später Mitglied der UAM und
leitender Architekt.
Stoskopf, Gustave (geb. 1907 in Strasbourg), Architekturstudium in Strasbourg und Paris,
mehrere Auszeichnungen bei Wettbewerben, 1937 Entwurf des elsässischen Ausstel-
lungspavillons.
336
Christine Mengin
Occupation et Monuments historiques
Le Bureau d’architecture du Gouvernement militaire
de la Zone française d’Occupation 1946-1949
Un volet mal connu de la politique culturelle menée par le Gouvernement militaire
dans la Zone française d’occupation en Allemagne est l’intervention officielle d’offi-
ciers-architectes en uniforme sur les monuments historiques.1 De 1946 à 1949, le
Bureau de l’architecture auquel ils sont rattachés va tenter d’appliquer au patrimoine
monumental de l’Allemagne en ruine les principes architecturaux en vigueur en
France. Bien que ses objectifs ambitieux soient freinés par sa hiérarchie, la pénurie,
la désorganisation de l’Allemagne vaincue et les réticences profondes des "Denkmal-
pfleger" allemands, héritiers d’une tradition différente, le bilan de son activité, pour
mince qu’il soit, n’est pas totalement négatif.
Dès leur installation dans leur zone d’occupation, les autorités françaises se trouvent
confrontées à la situation critique du patrimoine monumental, très gravement touché
par les bombardements aériens2 et les combats militaires du début de l’année 1945;
l’ampleur des destructions dans de nombreuses villes impose que soient prises des
mesures urgentes de mise hors d’eau et de consolidation de nombreux édifices, dont
l’entretien avait déjà souffert des restrictions de l’économie de guerre. Or le sud de
l’Allemagne présente une concentration exceptionnelle de monuments historiques: sur
les 500 000 que compte la République fédérale d’Allemagne, 350 000 sont situés en
Bavière et dans le Bade-Wurtemberg.
Ces conditions dramatiques décident le général Koenig, Commandant en chef des
forces d’occupation en Allemagne à créer, au sein de la sous-direction des Beaux-Arts
des services d’occupation, un Bureau de l’architecture chargé de l’intervention sur les
monuments historiques, et de différentes missions accessoires concernant l’architectu-
re et relevant de la politique culturelle française. Il demande donc au Directeur de
l’architecture, qui dépend alors du Ministère de l’Education Nationale, Robert Danis*,
de détacher dans la zone un architecte en chef des monuments historiques: il s’agira
1 Ce texte reprend les conclusions d’une enquête menée en 1986-1989 dans le cadre de la
recherche "Les relations franco-allemandes 1940-1950 et leurs effets sur l’architecture et la
forme urbaine", dirigée par Jean-Louis Cohen (Ecole d’Architecture Paris-Villemin) et
Hartmut Frank (Hochschule für bildende Künste, Hambourg), financée par la Fondation
Volkswagenwerk, Hanovre. Cette enquête s’appuie sur le dépouillement des documents
conservés aux Archives de l’Occupation Française en Allemagne et en Autriche (ci-après:
AOFAA), Ministère des Affaires Etrangères, Colmar. Les fonctionnaires d’administration
avaient un statut civil mais étaient doté d’un grade militaire fictif et portaient un uniforme
ressemblant aux uniformes militaires. Les noms d’architecte marqués d’un * renvoient aux
indications biographiques du chapitre précédent.
2 En effet, bien que dépourvue de grands centres industriels, ce secteur de l’Allemagne
compte de très nombreuses villes, grandes et moyennes, détruites en partie par les effets
conjugués de la stratégie alliée de bombardement systématique qui avaient explicitement visé
les centres anciens.
337
de Bertrand Monnet*, alors en poste en Alsace, qui prend ses fonctions parallèles de
chef de bureau de l’architecture au printemps 19463 et recrute plusieurs adjoints,
compétents en matière de restauration des monuments historiques: l’architecte bilin-
gue Charles Fauth pour l’assister à Baden-Baden, ainsi que ses correspondants dans
les Délégations supérieures: Robert Renard pour la Sarre, Léon Humblet pour la
Rhénanie, René Lisch pour le Palatinat, et Jean-Louis Fontaine pour le Bade et le
Wurtemberg. La cohésion de l’équipe vient de ce que Renard, Humblet et Lisch sont
les camarades de promotion de Monnet*, ils ont préparé ensemble le diplôme
d’études supérieures pour la connaissance et la conservation des monuments anciens.
Les autres missions confiées au Bureau de l’architecture sont: l’épuration et réorgani-
sation de la profession, le repérage et la destruction des monuments dits belliqueux,
ainsi que différents travaux pour le compte du Gouvernement militaire.
La sauvegarde des Monuments historiques
Pour mener à bien sa tâche de préservation du patrimoine bâti, le bureau de l’archi-
tecture définit, sous l’impulsion de Monnet*, deux axes d’intervention: le sauvetage,
selon les méthodes françaises, des édifices considérés comme prioritaires, et la refonte
des institutions allemandes de conservation.
Pour établir un ordre d’urgence des monuments, à un moment où la pénurie de
matériaux de construction est totale, les architectes français élaborent une doctrine
fondée sur l’idée d’identité nationale des monuments: l’histoire de l’art dont leur
formation était empreinte s’était en particulier attachée, depuis plusieurs décennies
et dans un contexte politique d’hostilité envers l’Allemagne, à démontrer l’origine
française de l’architecture gothique et à présenter la Rhénanie du XVIIIème siècle
comme une simple colonie artistique française, disqualifiant le reste de l’architecture
rhénane.4 Cette vision hégémonique du patrimoine, vecteur fondamental d’influence
et de rayonnement de la culture et de l’art français avait déjà imprégné la philosophie
artistique de la précédente occupation française dans les territoires rhénans. En 1946,
elle retrouve sa vitalité: l’équipe de Monnet* fait porter son effort sur les édifices
gothiques, les réalisations des XVIIèmc et XVIIIèn,e siècles (châteaux pour l’essentiel)
et les souvenirs français datant de la Révolution et de l’Empire.
3 La direction de l’architecture est réticente à se séparer d’un de ses architectes en chef des
monuments historiques, peu nombreux, au moment où commence en France le sauvetage et
la restauration des grands édifices endommagés par la guerre. Bertrand Monnet*, entretien
avec Christine Mengin, Paris, 13 juin 1988.
4 Cette philosophie artistique est officiellement entérinée, comme le montre l’allocution que
le Général Koenig adressa en clôture de la session du Congrès archéologique de France, qui
se tient en Zone Française d’occupation, publiée dans les actes du Congrès archéologique de
France, CV^ session tenue en Souabe en 1947, Bade, éd. Art et Science, 1949, publié sous les
auspices de la Direction Générale des Affaires Culturelles du Haut-Commissariat de la
République française en Allemagne, 318 p. Les affinités entre autorités d’occupation en
Allemagne et archéologues français avaient déjà une tradition, puisque le Congrès archéologi-
que de France s’était en 1922 tenu en Rhénanie! (Congrès archéologique de France en
Rhénanie, LXXXV* session 1922, Paris, Picard 1924, 571 p.).
338
Le premier travail des architectes français est donc de reprendre les inventaires des
édifices publics, monuments historiques et édifices culturels de la zone établis par les
services allemands et distinguant non seulement les monuments construits par des
architectes français mais aussi "les édifices ou oeuvres d’inspiration française depuis
le haut moyen-âge"5 et en précisant l’état de conservation. Les listes ainsi révisées
permettront "d’activer la mise hors d’eau provisoire, déblaiement et consolidation des
monuments historiques et édifices de grand intérêt, l’ordre d’urgence étant dicté par
l’importance architecturale ou historique des monuments. Les monuments de con-
struction, d’inspiration ou d’influence française doivent évidemment passer en l’urgen-
ce."6
Le principal moyen d’action des officiers-architectes est en fait de transmettre les
demandes des conservateurs allemands à l’officier français chargé dans chaque région
de la répartition des matériaux avec un avis.
En outre, les architectes français donnent des directives pour la consolidation des
édifices en mauvais état et tentent d’infléchir les techniques de restauration des
monuments dans le sens des méthodes françaises, qui diffèrent sensiblement des
conceptions allemandes. Dans cette optique, Bertrand Monnet* propose la création
de deux chantiers-types de restauration: à Notre-Dame de Trêves en Rhénanie et à
l’église protestante de Freudenstadt dans le Wurtemberg.7 Le choix de ces deux édifi-
ces témoigne d’un conflit prégnant dans toute l’activité du Bureau de l’architecture:
d’une part la nécessité de se conformer aux directives rigides du Directeur de l’archi-
tecture, Robert Danis*, très attaché au patrimoine français en Allemagne, et d’autre
part une certaine ouverture d’esprit à la particularité du patrimoine allemand. Notre-
Dame de Trêves est considérée, ainsi le notait Marcel Aubert lors du congrès ar-
chéologique de 1922, comme la réplique rhénane de l’art gothique champenois, et no-
tamment de Saint-Yved de Braine.8 L’église de Freudenstadt, très curieuse réalisation
de la Renaissance allemande, n’est en revanche en rien redevable aux influences
bourguignonnes ou champenoises alléguées pour d’autres édifices religieux de la
région: "C’est à sa situation dans un angle que l’église doit son plan unique et étrange.
Elle est en effet composée de deux nefs rectangulaires articulées à angle droit, une
pour les hommes, la seconde pour les femmes, qui de la sorte ne pouvaient se voir.
L’autel et la chaire à prêcher sont à la croisée des nefs [...]. L’édifice fut construit en
1599 sur le plan de l’architecte Schickhardt qui eut le mérite de lui donner un caractè-
5 Bertrand Monnet*, Instructions Générales, 20 juin 1946, AOFAA AC/RA 696,6.
6 Ibid.
7 Bertrand Monnet*, Note pour l’Administrateur Général, novembre 1946, AOFAA, AC/RA
696,7, 3.
8 Marcel Aubert, Notre-Dame de Trêves, in: Congrès archéologique (N. 4) = voir Note 4, p.
98. Voir également l’analyse qu’en fait René Lisch dans une "Note sur les monuments français
et d’influence française", Archives personnelles René Lisch, Paris.
339
re original tout en restant religieux et fort éloigné des styles et partis adoptés dans
l’architecture des églises catholiques".9
Mais ils ne pourront pas se livrer à la démonstration du savoir-faire français en
matière de restauration dont Monnet* avait rêvé, son projet de chantiers-pilotes
menés "selon les méthodes et le goût français"10 s’étant heurté au veto de sa hiérar-
chie.11 Les débats techniques entre conservateurs allemands et français se poursuiv-
ront après le départ des Français dans l’enceinte des rencontres professionnelles inter-
nationales.
La refonte des institutions et de la législation de protection du patrimoine
D’autre part, Monnet* cherche à introduire dans l’ensemble de la zone les institutions
et la législation française régissant la profession d’architecte. Il a en effet observé que
le titre d’architecte n’est pas protégé en Allemagne, où il n’existe selon lui que des
écoles techniques, et que la conception et l’exécution des projets de restauration n’est
pas contrôlée, et propose en conséquence la création, dans chaque province, d’un
Conseil des Bâtiments, dont la compétence incluerait l’enseignement de l’architecture,
les monuments historiques, la reconstruction et l’urbanisme. Les réformes menées par
ces Conseils devront être inspirées par les instructions françaises: "le but recherché est
un courant d’échange et un rayonnement de l’influence française dans un domaine où
notre prestige est considérable."12 Les officiers-architectes s’efforcent dès lors dans
chaque région de mettre sur pied un Ordre des architectes, de promouvoir un en-
seignement de l’architecture sur le modèle français de l’Ecole des Beaux-Arts, de
réformer la législation sur les monuments historiques, et de créer un corps d’architec-
tes des monuments historiques.
Face à ces ambitions, les différents services allemands chargés de la protection des
monuments historiques, traditionnellement dispersés et constitués dans leur majorité
d’historiens d’art, montrent une grande résistance à l’instauration d’organismes cen-
tralisés sur le modèle français. Quant aux propriétaires (personnes privées ou morales
dans le cas des évêchés, paroisses, hôtels de ville...), ils demeurent attachés à l’indé-
pendance que leur confère leur aisance financière: ne demandant pas d’aide à l’Etat,
ils en refusent toute directive et revendiquent le contrôle des architectes auxquels ils
font appel pour la restauration de leurs édifices.
9 Bertrand Monnet* (N. 7).
10 Ibid.
11 En revanche, Monnet*, soucieux de laisser une trace durable de la présence française,
décide de redoter Notre-Dame de Trêves de vitraux modernes, réalisés en collaboration par
des artistes français et allemands, en partie financés par la France. Ces vitraux, sorte de
testament de Monnet* en Zone Française d’Occupation, seront effectivement réalisés au
début des années 1950, sous la direction du maître-verrier Jacques Le Chevallier.
12 Rapport trimestriel de la sous-direction des Beaux-Arts, 31 juillet 1946, AOFAA, AC/RA
699,3,1.
340
Les tentatives françaises pour importer les structures nationales se soldent donc par
un échec et les instances mises en place (Conseil des Bâtiments du Bade, Ordre des
architectes de la Sarre), outre les compromis imposés par les représentants allemands,
ne survivront pas au départ des occupants.
Sur le plan de la législation, en revanche, le succès rencontré par le Bureau de
l’architecture aura des effets durables. En effet, aucun des nouveaux Lânder créés par
les Alliés n’aura de législation en matière de protection des monuments historiques
avant les années 1970, à l’exception du Bade, qui dès 1949 adopte une loi directement
inspirée de la législation française13 et qui servira de fondement à l’actuelle loi sur
la protection des monuments historiques en Bade-Wurtemberg, votée en 1971. Cette
réussite relative des architectes français s’explique en partie par la tradition badoise
de conservation, pionnière parmi les Etats allemands depuis le XIXÈme siècle.14
Cette tradition, forte et ancrée en Bade et en Wurtemberg, se manifeste dans la Zone
Française d’Occupation par la présence d’un personnel allemand compétent, et
soucieux de sauver ce qui peut l’être: au-delà des divergences réelles dans les concep-
tions et les techniques françaises et allemandes, elle aboutira à une complicité certai-
ne entre les architectes français et les conservateurs allemands pour obtenir le
déblocage de matériaux.
L’épuration architecturale: les monuments "belliqueux"
Cette mission un peu particulière dévolue au Bureau de l’architecture se situe dans
le cadre de la politique interalliée de dénazification et de démilitarisation de l’Allema-
gne. Des directives en vue du recensement des monuments dits "belliqueux" sont en
effet données dès la fin de l’année 1945 dans chaque zone afin de déterminer au sein
du Conseil de Contrôle allié à Berlin une politique commune de destruction de ces
monuments. L’intervention de la sous-direction des Beaux-Arts s’explique par le souci
de réserver un traitement particulier aux monuments présentant des qualités artisti-
ques, comme en témoigne la position du sous-directeur des Beaux-Arts, Michel
François:
"Il y aura intérêt [...] de procéder à un départ entre les monuments qui n’ont aucun
caractère artistique et ceux qui, par la signature de l’artiste, leur auteur, ou par la
matière de leur exécution méritent une attention spéciale. Les premiers seront
détruits, les autres enlevés de leur emplacement. Ces mesures s’appliqueront en tout
cas aux monuments érigés après le 1er janvier 1933; elles devront être envisagées
également pour les monuments antérieurs à cette date qui exaltent le militarisme
prussien mais leur application devra se faire ici avec plus de discernement [..,]. Par
monument on entend non seulement les statues, stèles, colonnes, etc. mais aussi les
plaques, bas-reliefs, motifs décoratifs des bâtiments publics. [...] Il est certain qu’il ne
13 Cette loi définit en outre, pour la première fois en Allemagne, la notion de site à protéger.
14 Hans Jakob Wôrner, La législation des Monuments historiques, in: Monuments historiques,
no. spécial sur la République Fédérale d’Allemagne, no. 166, (novembre-décembre 1989), p.
4-10.
341
devra pas, en principe, être touché aux monuments aux morts. D’autre part il est
difficile de supprimer les monuments érigés à la gloire de certains régiments, d’hom-
mes d’Etat, voire même de statues symbolisant la patrie allemande s’ils sont comme
la "Germanie" connus universellement".15
Dans la note définitive, qui reprend en grande partie les développements proposés
par Michel François, Emile Laffon, Administrateur général de la Zone, précise les
raisons pour lesquelles ces monuments doivent être supprimés: "Dans le cadre de
l’action entreprise par les Gouvernements d’Occupation, pour extirper l’esprit milita-
riste ou nazi de l’Allemagne, la suppression des monuments publics qui l’exaltent a
été envisagée. Ces monuments situés généralement sur les grandes artères ou sur les
places publiques ont un effet continu sur la population et sont des symboles autour
desquels se cristallisent les tendances belliqueuses du peuple allemand auquel il
rappelle sans cesse un passé qu’il y aurait à effacer".16
A l’issue des discussions menées à Berlin début 1946, le Comité interallié d’Education
Publique signale qu’il faut, au point de vue des Beaux-Arts: "Protéger de la destruc-
tion les monuments qui gardent une valeur artistique après que toute signification
militaire ou nazie leur a été enlevée. Plutôt que les créations "artistiques" du régime
nazi, le Comité a en vue les anciennes valeurs artistiques que les nazis avaient trans-
formées pour glorifier leur cause (c’était le cas de la cathédrale de Brunschwig qui
avait joué le rôle d’une sorte de sanctuaire nazi)".17
Sur le fondement de ces décisions, les architectes français sont donc tenus de recher-
cher dans leur région tous les monuments, emblèmes et inscriptions "tendant à
conserver et à perpétuer la tradition militaire allemande, à rappeler et le militarisme
et le parti nazi, ou de nature à glorifier les faits de guerre".18
A nouveau, les hommes de terrain ont tendance à assouplir les directives officielles
(qui préconisent la destruction de la Colonne de la Victoire à Berlin,19 de la Walhal-
la près de Ratisbonne, et de la statue d’Arminius dans la forêt de Teutoburg!20) afin
de ne pas réitérer les erreurs psychologiques commises lors de l’occupation de la
France, du type destruction du Poilu de Vincennes. En fin de compte, l’essentiel des
destructions, dont les frais incombent aux administrations allemandes, visent les
15 Michel François (sous-directeur des Beaux-Arts), Note à M. le Préfet Directeur des Affaires
Intérieures et des Cultes, Baden-Baden, 30 novembre 1945, AOFAA AC/RA 696, 3, 1.
16 Emile Laffon, Note aux Délégués Supérieurs, Baden-Baden, 10 décembre 1945, AOFAA
AC/RA 696, 7, 1.
17 Compte-rendu de la Séance extraordinaire du Comité d’Education Publique tenue le 3 avril
1946 au Building de l’Autorité de Contrôle alliée, signé par le Chef de la Section Education
Publique et Beaux-Arts, 6 avril 1946, AOFAA AC/RA 696,1, 1.
18 Bertrand Monnet*, Instructions générales, 20 juin 1946, AOFAA AC/RA 696,6 et compte-
rendu de mission à Michel François, 13 juin 1946, ibid., AC/RA 1946-50, p. 3.
19 Cf les documents relatifs à la Colonne de la Victoire, AOFAA AC/RA 696, 7, 1.
20 Michel François, Note pour le Directeur de l’Education Publique, 19 septembre 1947,
AOFAA AC 74, 1.
342
monuments érigés par les nazis, les inscriptions ou les aigles avec croix gammée qu’ils
avaient portés sur des édifices préexistants ainsi que les monuments élevés aux
Alsaciens ayant combattu dans l’armée allemande en 1914-1918. De même, chargés
de modifier certains noms de rues, les officiers-architectes agissent avec modération:
Lisch par exemple suggère que les SedanstraBe ne soient pas débaptisées.
La contribution des architectes du Gouvernement Militaire à la dénazification se
borne aux initiatives qui viennent d’être décrites; il n’y a pas d’intervention spécifique
sur les édifices construits sous le IIIe Reich, même conçus comme des manifestes
d'architecture nationale-socialiste,21 L’architecture n’étant pas en elle-même porteuse
de signification idéologique, seuls sont éradiqués les signes qui font immédiatement
sens: inscriptions et emblèmes nazis.
L’activité architecturale du Bureau de l’architecture
De peu d’ampleur, elle concerne des domaines circonscrits et se trouve en concurren-
ce avec celle que mène le conseiller artistique du Général Koenig, Albert de Jae-
ger*.22 Néanmoins, le Bureau organise quelques concours (pour l’aménagement du
Deutsches Eck à Coblence, pour un théâtre provisoire à Fribourg), étudie, à la
demande de la Direction des Personnes Déplacées, des projets de cimetières de
regroupement français (à Neustadt, Offenburg, Landau, Spire), réalise le décor de
certaines réceptions ou cérémonies organisées par les forces françaises d’occupation.
En outre, il est appelé à exercer un contrôle sur le réaménagement du château de
Rastatt, pour le Tribunal Général du Gouvernement Militaire, du Neues Schloss de
Meersburg pour l’Ecole d’Aviation d’Appui Direct, sur le projet d’oratoire pour la
résidence à Baden-Baden de Mgr Picard de la Vaquerie, aumônier général de la
ZFO, sur la synagogue militaire à Baden-Baden. Il mène les travaux de remise en état
de nombreuses salles de spectacle et églises dans les cercles. La plupart des projets
élaborés par les officiers-architectes restent toutefois sur le papier, et les réalisations
concernent l’aménagement de bâtiments existants.
Un dernier aspect de l’activité du Bureau d’architecture concerne les monuments
commémoratifs. Il s’agit d’une part de restaurer et mettre en valeur les monuments
à la gloire des Français illustres tombés au cours des guerres de la Révolution et
l’Empire sur cette rive droite du Rhin: monuments Turenne à Sasbach et Marceau à
Hôchstenbach, ainsi que d’en élever de nouveaux: un concours est lancé pour un
nouveau monument Marceau à Coblence et une statue du Maréchal Ney érigée à
Sarrelouis. Mais il faut d’autre part commémorer les victoires militaires récentes, et
21 A titre d’exemple, Robert Renard, officier-architecte de la Sarre, ne s’indigne nullement
que le Stadttheater de Sarrebruck, construit par les nazis, ait fait l’objet de mesures conserva-
toires. G.M. Sarre, Rapport mensuel Beaux-Arts, septembre 1946, AOFAA, AC/RA 696, 5,
12.
22 Sur ce point, voir les analyses de Jean-Louis Cohen dans le rapport de recherche "Les
relations franco-allemandes 1940-1950 et leurs effets sur l’architecture et la forme urbaine",
à paraître.
343
le Bureau met à l’étude un nouveau monument aux morts français des deux guerres
dans le cimetière français de Spire, un monument à la mémoire des Américains tom-
bés en franchissant le Rhin à Remagen, des monuments commémorant le passage du
Rhin par la lère armée française à Germersheim, le passage du Danube à Sigma-
ringen. Michael François suggère même, pour le site du Deutsches Eck à Coblence,
un monument symbolisant "La France apportant la Liberté à la Rhénanie".23
Enfin, les autorités françaises suspendent l’érection de tout monument commémoratif
pour les anciens camps d’extermination, dans l’attente de la décision du Conseil de
Contrôle Interallié. Mais la discussion menée à Berlin en 1946 en vue de l’élaboration
du programme du concours pour le modèle unique de monument à élever dans les
camps de déportation n’aboutit pas. Dès lors, le projet de monument commémoratif
pour le camp de la Neue Bremm, élaboré par André Sive*, est approuvé sans réserve
par Robert Renard, officier-architecte de la Sarre.
Conclusion
En dépit des difficultés qu’il a rencontrées, le Bureau de l’architecture a tenté, durant
ses trois années de fonctionnement, d’élaborer et de mener une politique architectura-
le et patrimoniale inspirée des principes alors en vigueur en France. Une certaine
rigidité dans l’exposé des directives ne doit pas faire oublier la relative souplesse des
attitudes des architectes en poste dans les Délégations. Certains établissent une réelle
complicité avec les services allemands qui soutiennent la pose d’affiches de protection
et leurs démarches en vue d’obtenir, auprès d’administrations récalcitrantes (une
grande partie de la population n’est pas encore relogée), les matériaux nécessaires à
la mise hors d’eau des grands édifices de la zone. Les projets les plus originaux du
Bureau de l’architecture, concours pour le Deutsches Eck, chantiers-types, se sont
heurtés au veto de la hiérarchie de Baden-Baden ou des provinces, nouvel exemple
des désaccords au sein du Gouvernement Militaire.
La conception étroite d’un patrimoine allemand d’influence française aboutit néan-
moins pendant les années de l’occupation au sauvetage d’un certain nombre de
monuments de la zone française, qui sans la ténacité des architectes français, se
seraient effondrés avant que l’Allemagne soit en mesure d’en entreprendre la restau-
ration. Ce résultat n’est peut-être pas si négligeable, au moment où l’Allemagne, dont
la conscience nationale est historiquement enracinée dans son patrimoine monumen-
tal et urbain, doit reconstruire son identité sur des ruines.
23 Le monument aurait remplacé la statue de Guillaume Ier, jugée irréparable par Monnet*.
Bertrand Monnet*, Compte-rendu (N. 18).
344
Résumés - Zusammenfassungen
Rainer Hudemann (S. 9-20)
Interactions transfrontalières dans l’urbanisation - Orientations et problèmes de la
recherche
Les espaces frontaliers ont toujours eu une fonction spécifique dans les rapports
binationaux. Leur signification ségrégative a souvent été accentuée, cependant ils ont
aussi servi de lieux de communication et de rencontre entre différents systèmes
nationaux. L’analyse comparative de l’évolution des villes dans les régions frontalières
est un exemple probant qui démontre l’importance des influences transnationales. Ces
interférences sont encore visibles dans le domaine de l’architecture et de la planifica-
tion, mais elles ne sont pas moins manifestes dans les infrastructures et dans les
normes qui régissent l’urbanisme. L’évolution des villes est donc un microcosme très
riche et diversifié qui permet d’étudier les processus de distanciation et d’assimilation
dans toutes leurs nuances. Parfois ces villes ont pu prendre un rôle actif dans la trans-
mission de stratégies de politiques urbaines entre les différents systèmes nationaux.
Dans d’autres circonstances cependant, elles ont servi de rempart qui empêchait tout
contact transfrontalier.
La fonction variable de ces villes renvoie à un autre aspect central de la recherche:
le rapport entre les métropoles et les régions périphériques. Ainsi, l’analyse de
l’urbanisme dans les espaces frontaliers permet de préciser le rôle tenu par ces
régions, notion indispensable dans une perspective d’intégration européenne. Les con-
tributions qui ont été réunies dans ce volume essaient d’apporter quelques éléments
de réponse aux problèmes que la recherche a soulevés.
Joachim Jacob (S. 21-34)
Du village paysan à la ville industrielle - Neunkirchen pendant la première moitié du
19e siècle
A beaucoup d’égards, l’évolution de Neunkirchen peut être considérée comme
exemplaire pour d’autres localités pendant l’époque proto-industrielle. L’intégration
du village dans la Prusse rhénane en 1815 n’a pas profondément transformé les
structures administratives et sociales. Ce sont encore les paysans, riches propriétaires
fonciers, qui prédominent. Cependant, en un processus continu, une nouvelle élite
économique et sociale va les remplacer: quelques rares industriels deviennent les
promoteurs de l’expansion économique du village. L’entreprise qui fait preuve du plus
grand dynamisme pendant les premières décennies du 19e siècle est l’aciérie de
Neunkirchen. Petite forge artisanale à ses débuts, elle compte 250 ouvriers au milieu
du siècle. Les mines de charbon dans les environs du village forment un autre facteur
d’expansion économique. L’essor de ces deux secteurs encourage l’établissement
d’autres entreprises artisanales de sorte que la structure professionnelle et sociale se
trouve complètement transformée. L’implantation des industries de croissance suscite
également un essor démographique: le village, qui, en 1800, comptait 1800 habitants
passe à 5400 personnes en 1850. Ce dynamisme est à l’origine des difficultés typiques
de rurbanisation de l’époque. Cependant Neunkirchen n’acquiert le statut juridique
d’une ville qu’en 1922.
345
Jean-Paul Lehners (S. 35-58)
L’Habitat à Dudelange au début du 20e siècle
Dudelange est une petite localité située dans le Bassin Minier du sud du Luxembourg,
à la frontière française. Elle se compose de plusieurs petits bourgs qui, avec leurs
espaces bâtis, auront tendance à se fondre en quelques décennies. Dudelange, qui en
1907 est promue au rang de ville, connaît un énorme essor démographique grâce à
l’implantation d’une aciérie sur son territoire. Beaucoup de travailleurs immigrés,
surtout des Italiens, s’y installent alors que les capacités immobilières nécessaires pour
héberger tant de personnes sont insuffisantes.
Une enquête détaillée réalisée en 1905/06 fournit des informations sur les conditions
d’habitation à Dudelange. Elle donne des chiffres sur la totalité des maisons de la
commune, le nombre d’étages, la présence ou l’absence de greniers, le chauffage, la
date de construction etc. Dans une deuxième partie, cette enquête informe sur la
qualité des logements. Le nombre et la surface des chambres sont mis en rapport
avec le nombre des occupants. Enfin, les façons de loger sont différenciées selon des
critères socio-professionnels. L’analyse démontre l’état misérable des conditions de vie
d’une partie de la population dudelangeoise, et l’auteur conclut que la prolétarisation
n’était pas un phénomène inconnu au Luxembourg.
Antoinette Lorang (S. 59-88)
La construction de logements de la Gelsenkirchener Bergwerks A.G. et le rôle de
modèles allemands de 1870 à 1930
Esch/Alzette, située au sud du Luxembourg près de la frontière française, connaît un
rapide essor démographique grâce à l’implantation de plusieurs aciéries dans le bassin
ferroviaire. Ainsi, Esch devient la ’Métropole du Fer’ et la politique communale est
de plus en plus déterminée par les représentants de l’industrie. L’immigration de la
main-d’oeuvre surtout étrangère entraîne une explosion démographique et Esch,
promue au rang de ville en 1906, se dote rapidement d’une infrastructure urbaine.
Les grandes entreprises essaient de combler la pénurie de logements en construisant
plusieurs lotissements de maisons ouvrières. Surtout la Gelsenkirchener Bergwerks
A.G. marque la ville par sa cité pour ouvriers et employés qui suit de près les modè-
les du Ruhrgebiet. Mais cette empreinte nouvelle n’a que peu de répercussions sur les
autres constructions de l’époque. Cependant, certains éléments se retrouvent dans les
années vingt dans les habitations à bon marché de la commune ainsi que dans les
villas et maisons des bourgeois et petits-bourgeois. Des modèles allemands influencent
aussi les contrats de logement. Cependant on ne saurait constater une imitation
banale de modèles importés de l’extérieur, car ces types sont en général adaptés aux
traditions et besoins régionaux.
Les maisons situées dans le centre commercial d’Esch, par contre, sont tributaires
d’influences belge et française de sorte que toute la ville présente un amalgame
architectural très varié.
346
Annette Maas (S. 89-118)
Monuments de guerre et fêtes commémoratives aux alentours de Metz - Formes et
fonctions de mémoires collectives dans une région frontalière (1870/71-1918)
Les batailles autour de Metz en août 1870 ont profondément marqué les deux nations
mais elles ont déterminé de façon spécifique la mémoire collective en Alsace-Lorrai-
ne. En effet, la valorisation de cette guerre et des sacrifices des soldats dépendait
largement de l’appartenance aux deux grands groupes vivant dans la région: pour les
Allemands, qui avaient immigré en grand nombre dans ces terres annexées, les
monuments rappelaient une victoire héroïque et l’acte fondateur de l’unité nationale;
pour les Lorrains de souche, cependant, cette guerre était synonyme de défaite et de
deuil. Comme il y avait deux identités dans la région, il y avait aussi deux lieux de
mémoire et deux dates pour commémorer les sacrifices des soldats tombés pour leur
patrie. A Mars-la-Tour correspondait Gravelotte du côté allemand. Cependant, on re-
nonçait à tout nationalisme exacerbé pour ménager les sentiments de l’autre groupe.
Dans l’organisation du souvenir, dans le déroulement des fêtes solennelles, dans le
culte à la fois militaire et chrétien il y avait d’ailleurs beaucoup d’analogies. Ceci
permit un rapprochement entre les deux groupes généralement opposés qui culmina
lors de l’inauguration du monument de Noisseville en 1908. Mais l’antagonisme
fondamental entre les deux nations donnait à cette réconciliation au-dessus des
tombes un caractère éphémère.
François Roth (S. 119-128)
Thionville - der Entwurf einer Stadtentwicklungspolitik
Bis zum Beginn unseres Jahrhunderts war Thionville eine kleine Festungsstadt auf
dem linken Moselufer. Vor allem der Aufschwung der Montanindustrie mit der
Anlage von Hochöfen in der Nähe der Stadt förderte das Bevölkerungswachstum, so
daß die Einwohner bald mehrheitlich deutschsprachig waren. Durch die starke Zu-
wanderung entstand eine neue städtische Elite, die sich in ihren Werten und Zielen
ganz am Deutschen Kaiserreich orientierte. Für die nun zunehmend dynamische Ent-
wicklung der Stadt erwies sich die Stadtbefestigung als ein Hindernis, das nach
längeren Verhandlungen mit den deutschen Behörden beseitigt werden konnte. 1902
wurde ein Bebauungsplan erstellt, der eine erhebliche Vergrößerung des städtischen
Areals vorsah und die Anbindung der Stadt an die wichtigsten Vororte zum Ziel
hatte. Nun konnte sich die private Bautätigkeit entfalten, allerdings blieb die Garnison
weiterhin ein wichtiger Faktor der urbanen Entwicklung. Innerhalb weniger Jahre
wurde auch eine moderne städtische Infrastruktur mit allen Ver- und Entsorgungs-
systemen geschaffen, zudem entstanden moderne Schulen, Krankenhäuser, Sporthal-
len und andere öffentliche Gebäude.
Allerdings zeigte sich, daß die Nachfrage nach Bauplätzen geringer war als erwartet,
und so diente das vor 1914 entworfene Plankonzept auch noch in der Zwischenkriegs-
zeit als Grundlage der städtebaulichen Entwicklung.
347
Sigrid Schmitt (S. 129-146)
Sarreguemines 1890-1918. Problèmes de planification dans une petite ville d’Alsace-
Lorraine
Après l’annexion, Sarreguemines dépassait par son dynamisme démographique toutes
les autres villes du Reichsland. Il en résulta une forte expansion de l’espace bâti.
L’article étudie les stratégies des autorités communales en se fondant sur l’étude de
quelques projets urbains exemplaires, tels la planification de la place devant le
Tribunal et le plan d’urbanisme du Blauberg.
Ces stratégies de planification suivaient de près les modèles conçus et appliqués dans
d’autres villes allemandes, car les fonctionnaires experts en service à Sarreguemines
y avaient été formés. De plus, le règlement de constructions de 1899, qui régissait
toutes les constructions privées, reproduisait des prescriptions en vigueur à Stras-
bourg, elles-mêmes calquées sur celles de Berlin. Outre par ces normes, l’influence de
l’urbanisme allemand fut amplifiée par l’intervention de quelques experts allemands
sollicités pour donner leur avis. Ainsi, les autorités de Sarreguemines consultèrent J.
Stübben de Cologne à plusieurs reprises.
Cette expansion de l’espace bâti fut interrompue par la guerre, mais les orientations
globales de la planification urbaine servirent de repère après 1918.
Jean-Jacques Cartal (S. 147-158)
Die Stadterweitening von Metz - die Stadt als Landschaft
Die von dem Metzer Stadtbaurat Wahn geleitete Planung der Neustadt zu Beginn
unseres Jahrhunderts berücksichtigte in vorbildlicher Weise die funktionalen, hygieni-
schen, wirtschaftlichen und ästhetischen Kriterien, die berühmte Stadtplaner wie
Baumeister, Sitte und Stübben formuliert hatten. Die hier im Mittelpunkt stehenden
ästhetischen Gestaltungsprinzipien beruhen auf der konsequenten Anwendung des
Grundsatzes von der Einheit in der Vielheit. Vor allem am Beispiel des früheren
Kaiser-Wilhelm-Rings wird aufgezeigt, mit welchen architektonischen und städtebauli-
chen Mitteln dem Besucher ein Raumerlebnis vermittelt wird, das zugleich homogen
und vielgestaltig ist. Durch die planvolle Brechung von Perspektiven, durch die
Aufeinanderfolge unterschiedlicher Raumsequenzen entsteht der Eindruck eines
malerischen Stadtviertels. Allerdings wurden diese Wirkungen z.T. auch durch die
virtuose Verwendung der Bauordnung als stadtplanerisches Instrument ermöglicht.
Die hier analysierten ästhetischen Gestaltungsprinzipien weisen eine auffällige kon-
zeptionelle Verwandtschaft auf mit der künstlerischen Landschaftsgestaltung im 18.
Jahrhundert, die vor allem in England zur Vollendung geführt wurde. Solche Par-
allelen werden deutlich, wenn man die theoretischen Schriften zur Landschaftsge-
staltung studiert. Eine weitere konzeptionelle Ähnlichkeit ergibt sich, wenn man
Fabrikgebäude in englischen Gärten des 18. Jahrhunderts mit den Bauten vergleicht,
die nach 1903 in Metz einen dominierenden städtebaulichen Platz erhielten.
348
Stefanie Woite (S. 159-178)
La construction de la gare de Metz au centre des intérêts divergents de la population,
de la municipalité et des pouvoirs publics du Reich (1898-1908)
Le démantèlement d’une partie de la fortification, décidé en 1898, fut le point de
'départ de l’agrandissement de la ville. Aussitôt, la municipalité commença à élaborer
des plans d’aménagement pour mettre en valeur les nouveaux terrains acquis. Cepen-
dant, il y avait encore des autorités plus puissantes engagées dans la planification. Les
militaires, en accord avec la Direction des Chemins de fer, exigeaient, pour des
raisons stratégiques, un remaniement du réseau ferroviaire et la construction d’une
nouvelle gare. Ainsi, non seulement les grandes perspectives de l’urbanisme à Metz
étaient indissolublement liées à des contraintes militaires, mais la réalisation ar-
chitecturale de la gare comme objet de prestige revêtait une signification nationale.
Les projets des chemins de fer prévoyaient l’implantation de la nouvelle gare au
milieu du terrain que la municipalité voulait réserver à la construction de grandes
rues commerciales et résidentielles. Dès que ces intentions, d’abord gardées secrètes,
furent connues, une protestation de plus en plus vive s’éleva à Metz. Pour combattre
ces projets un rapprochement s’effectua entre les autochtones et les immigrés qui
auparavant avaient formé deux groupes antagonistes. Les intérêts communaux furent
aussi défendus par toutes les autorités civiles du Reichsland qui constituèrent ainsi
une alliance contre le cartel des militaires et la Direction des chemins de fer. Finale-
ment, ce conflit fut tranché par l’Empereur.
Stefan Fisch (S. 179-198)
Planification et restrictions du droit de propriété dans une ville sous régime autori-
taire. Remarques concernant l’évolution de Strasbourg de 1871-1918
L’agrandissement de Strasbourg après 1918 confronta la municipalité à de multiples
problèmes car les normes juridiques d’origine française ne permettaient guère d’impo-
ser des conceptions planificatrices contre des intérêts privés divergents. Pour cette
raison le maire de Strasbourg Otto Back se mit à la tête d’un mouvement réformiste
afin d’introduire des stratégies d’urbanisme, des principes juridiques et des règlements
de constructions qui avaient déjà fait leurs preuves dans d’autres grandes villes du
Reich allemand. Cette nouvelle législation avait pour but également de ménager les
fonds communaux car les dépenses engagées lors de la construction de nouvelles rues
étaient couvertes par les taxes imposées aux riverains.
Un autre aspect de cette politique interventionniste en matière d’urbanisme fut
l’acquisition clandestine de terrains sur le marché immobilier pour opérer la Grande
Percée après 1909. Cette mesure de prévoyance sur le plan foncier s’inscrit dans le
cadre d’une politique qui vise à améliorer les conditions d’hygiène et à assainir les
taudis dans la ville historique. Un autre élément de la même stratégie fut l’introduc-
tion du bail emphytéotique lors des cessions de terrains situés au centre-ville qui
confère jusqu’à nos jours à la municipalité la maîtrise du sol. Tout cet éventail de
mesures démontre qu’une politique résolument moderne a été conçue par une muni-
cipalité qui, à d’autres égards, passait pour un modèle de régime autoritaire.
349
Stéphane Jonas (S. 199-236)
Die Anlage der Gartenstadt Stockfeld in Straßburg (1907-1912)
Für die durch die Sanierung der Innenstadt wohnungslosen Einwohner bestand ab
1909 ein großer Bedarf an günstigen Wohnungen. Die Stadtverwaltung entschied sich
in diesem Zusammenhang für die Anlage einer Gartenstadt, eine noch ganz neue, von
Sozialreformem begeistert propagierte Wohnform, für die es allerdings erst wenige
Vorbilder gab. Auf diese Weise entstand in Stockfeld im Süden Straßburgs eine der
ersten Gartenstädte in Deutschland. Bauträger war die Gemeinnützige Baugenossen-
schaft, in der altdeutsche und sozial engagierte bürgerliche Kräfte mit Vertretern der
linksliberalen Stadtverwaltung und christlichen sowie sozialdemokratischen Gewerk-
schaftlern zusammenarbeiteten. Bei dem 1909 durchgeführten Architektenwettbewerb
gab es Entwürfe, die eher dem Bund für Heimatschutz verpflichtet waren, aber auch
auch Konzepte von Mitgliedern des Deutschen Werkbunds. Bei dem ausgeführten
Projekt waren Einflüsse der Gartenstadt Hellerau erkennbar, aber vor allem domi-
nierten Einflüsse der regionalen Architektur, wie sie z.B. Eduard Schimpf in seinem
Entwurf skizziert hatte.
Die Gartenstadt setzte sich aus unterschiedlichen Haustypen zusammen, die in ab-
wechslungsreicher Form kombiniert wurden. Die Wohnungen für insgesamt mehr als
2000 Bewohner entsprachen bescheidenen Anforderungen, tatsächlich wohnten dort
zunächst vor allem die umgesiedelten Bewohner der Altstadt. Auch die für Gar-
tenstädte geforderten Gemeinschaftseinrichtungen wurden gebaut sowie eine Straßen-
bahnlinie zur Innenstadt. Die Verwaltung der Gartenstadt lag in Händen der eng mit
der Stadtverwaltung verbundenen Gemeinnützigen Baugenossenschaft, allerdings
verfügten alle Bewohner über ausgedehnte Mitwirkungsrechte.
Rolf Wittenbrock (S. 237-262)
L’impact de ruptures politiques sur la politique de logement des communes: Sarre-
guemines 1910-1930
Avant la première guerre mondiale, Sarreguemines, ville du Reichsland, ne connais-
sait pas de problèmes de logement. A en croire les statistiques, l’offre dépassait la
demande et par conséquent, aucune intervention communale n’entravait le marché du
logement basé sur le libre échange. Une seule coopérative d’utilité publique s’était
formée pour promouvoir la construction de maisons à bon marché, mais son activité
était très modeste. Pendant la guerre les autorités allemandes favorisèrent la création
de bureaux de préconciliation en matière locative afin de prévenir et de régler les
différends entre locataires et propriétaires. Par la suite, ce service communal étendit
ses compétences au point de réglementer toute transaction locative et de contrôler
l’augmentation des loyers.
Le retour à la France en 1918 n’eut pas de répercussions immédiates sur les compé-
tences et moyens des communes de résoudre les problèmes de la pénurie de loge-
ments qui s’était d’ailleurs aggravée. Tandis que le personnel dirigeant les services
administratifs fut évincé et remplacé par des Français, les lois et les stratégies de
l’époque allemande visant à contrôler et à régir le marché du logement restèrent pro-
visoirement en vigueur. A partir de 1920 cependant, les lois françaises en la matière
350
furent progressivement étendues aux territoires recouvrés. Cette intégration posa
beaucoup de problèmes car les réglementations nationales manquaient de souplesse.
Plusieurs tentatives de la mairie de Sarreguemines pour profiter de la législation sur
les H.B.M. échouèrent. Ce n’est qu’après de longues années de tâtonnements et de
déceptions que furent construites dans cette ville frontalière les premières maisons
subventionnées par des fonds publics.
U te Schneider (S. 263-280)
L’Assistance publique à Alt-Saarbrücken, St. Johann et Malstatt-Burbach (1880-1909)
Les transformations sociales au cours de l’industrialisation obligèrent les villes à
développer des systèmes d’intervention afin de combattre la misère qui frappait
surtout les indigents. Vers la fin du 19e siècle il était communément admis que le
secours aux pauvres faisait partie des attributions de l’administration communale,
cependant les trois villes juxtaposées dans la vallée de la Sarre s’acquittèrent de cette
obligation de façons fort divergentes. La différence des structures, des traditions et
des fonctions économiques engendrait des divergences dans la conception de l’organi-
sation de l’assistance sociale.
A Alt-Saarbrücken, centre administratif et ville résidentielle, la bienfaisance publique
fut longtemps exercée par un petit groupe de femmes qui la considéraient comme un
devoir chrétien et social et qui, par leur engagement privé, parvenaient à subvenir aux
besoins des plus indigents de leur commune. Ainsi, les services d’assistance sociale
financés par la municipalité tardèrent à se former, et ils ne virent le jour que lorsque
la bienfaisance privée, pour des raisons spécifiques, ne fut plus en mesure de s’occu-
per des problèmes. A St. Johann, ville industrielle et commerciale, par contre, la
Mairie établit tôt un bureau de bienfaisance et plusieurs mesures furent prises en
faveur des indigents: foyer d’hébergement, soupes populaires etc. La plus grande
réserve, voire répugnance, à l’égard de toutes les questions d’assistance sociale régnait
à Malstatt-Burbach, une ville industrielle en plein essor. Par tous les moyens, la muni-
cipalité essayait de se dérober aux obligations financières résultant de la bienfaisance
sociale.
Stefan Leiner (S. 281-306)
La constitution de Sarrebruck par la fusion de trois villes en 1909. Problèmes et
stratégies déterminés par des contraintes urbanistiques et des calculs de politique
locale dans un Etat de régime autoritaire
L’accélération de l’expansion urbaine dans les dernières décennies du 19e siècle avait
provoqué une fusion des espaces bâtis des villes de Saarbrücken, St. Johann et
Malstatt-Burbach qui pourtant bénéficiaient toutes d’un statut communal autonome.
Cependant, le défi de créer des infrastructures modernes et efficaces au service des
citadins était le même dans les trois communes dont l’autonomie paraissait de plus en
plus précaire voire anachronique. Plusieurs initiatives tendant à faire fusionner les
villes avec leurs administrations et leurs biens communaux échouèrent pour des
raisons différentes. D’une part, des facteurs relevant des mentalités et d’ordre psycho-
logique, des sentiments de supériorité ou d’infériorité entre communes voisines pré-
351
sentaient un obstacle sérieux. D’autre part, une harmonisation des conditions de vie
matérielle s’avérait difficile car les impôts locaux, les tarifs du gaz, de l’eau et de
l’électricité ainsi que la qualité des autres services destinés aux habitants n’étaient pas
équivalents. Ainsi, pendant plusieurs années, les rivalités et la différence des politi-
ques communales des trois villes tinrent en échec toute tentative de coopération.
Cependant l’argumentation économique et fiscale en faveur d’une fusion devint de
plus en plus convaincante et une association composée de membres influents de
chaque commune se forma pour propager l’idée d’une union. Finalement, ce fut le
Président du Regierungsbezirk qui, par son autorité, parvint à vaincre les derniers
obstacles.
Christine Mengin (S. 337-344)
Besatzung und staatliche Denkmalpflege. Das Architekturbüro der Militärregierung
der französischen Besatzungszone 1946-1949
Die großen Kriegszerstörungen erforderten von den Behörden rasche Maßnahmen
zur Erhaltung der in ihrem Bestand gefährdeten Denkmäler in ihrem Herrschafts-
bereich. Zu diesem Zweck wurde ein Architekturbüro geschaffen, in das französische
Fachleute berufen wurden. Diese Abteilung war einerseits zuständig für die konser-
vierende Arbeit an wichtigen Bauwerken, andererseits bemühte sie sich aber auch um
den organisatorischen Wiederaufbau der Denkmalpflege in der Besatzungszone.
Wegen des Materialmangels mußte für die Erhaltung der Denkmäler ein Prioritäten-
katalog erstellt werden. Dabei wurden die deutschen Inventarlisten erhaltenswürdiger
Baudenkmäler nach französischer Vorstellung revidiert: Bauten französischer Ar-
chitekten sowie Gebäude, die durch französische Einflüsse geprägt schienen, wurden
vorrangig behandelt. Andererseits wurden die Denkmäler zerstört, die eindeutig einer
Verherrlichung des deutschen Militarismus dienten. In der Praxis blieben jedoch
zumeist alle Denkmäler erhalten, deren künstlerischer Wert in ausreichender Weise
schutzwürdig erschien.
Die Pläne zur organisatorischen Neuordnung der Denkmalpflege in der Besatzungs-
zone sahen eine Veränderung der Ausbildung, aber auch eine modifizierte Zuordnung
der Kompetenzen und eine hierarchische Verwaltungsgliederung vor. Die damit
beabsichtigte Übertragung französischer Modelle und Strukturen stieß auf den Wider-
stand deutscher Dienststellen in der Besatzungszone.
352
Verzeichnis der Karten, Abbildungen und Tabellen
Hudemann/Wechselwirkungen (S. 9-20)
Abb. 1 Die Rolandstatue am Metzer Bahnhof 1990 11
Abb. 2 Die Rolandstatue um 1910 11
Jacob/Neunkirchen (S. 21-34)
Abb. 1 Neunkirchen 1818 (nach der Tranchot-Karte) 25
Abb. 2 Situationsplan des Neunkircher Eisenwerks 1827 27
Lehners/Düdelingen (S. 35-58)
Abb. 1 Erhebungsformular der Kommission, Ausschnitt 37
Abb. 2 Häuser, Haushaltungen und Einwohner in der Gemeinde Düde-
lingen 1871-1905 39
Abb. 3 Pläne der Gemeinde Düdelingen 41
Tab. 1 Erbauungszeit der Häuser 45
Tab. 2 Zahl der Eigentums-, Miet- und Dienstwohnungen 46
Tab. 3 Gliederung der Wohnungsinhaber nach Berufen 48
Tab. 4 Vergleichszahlen zur Wohnlage in drei Industrieorten 55
Lorang/Esch s. Alz. (S. 59-88)
Abb. 1 Das Wachstum von Esch/Alzette 61
Abb. 2 Doppelhäuser ’Saarbrécker Kasäre’, rue des Mineurs 65
Abb. 3 Grundrisse und Situationsplan der Häuser in der rue
Renaudin und rue des Mines 67
Abb. 4 Werksiedlungen in Esch/Alzette 1900-1925 69
Abb. 5 Werksiedlung der Gelsenkirchener Bergwerks AG.,
rue Léon Weyrich 71
Abb. 6 "Ehleringer Kolonie" der Gelsenkirchener Bergwerks AG. 71
Abb. 7 "Ehleringer Kolonie: Grundriß und Situationsplan einer
Häusergruppe in der rue de l’acier, Erdgeschoß und Ober-
geschoß 73
Abb. 8 Arbeitersiedlung der ARBED "Im gelben Bommert", um 1916 75
Abb. 9 Lageplan der Siedlung "Im gelben Bommert" 75
Abb. 10 Arbeitersiedlung der ARBED "Im gelben Bommert" (8 Wohn-
einheiten), Obergeschoß 77
Abb. 11 Arbeitersiedlung der ARBED "Im gelben Bommert" (8 Wohn-
einheiten), Erdgeschoß 77
Abb. 12 Häuserprojekt der "Gemeinnützigen anonymen Baugesellschaft,
Aufriß 79
Abb. 13 Häuserprojekt der "Gemeinnützigen anonymen Baugesellschaft,
Grundriß 79
Abb. 14 Häuserprojekt der "Gemeinnützigen anonymen Baugesellschaft,
Aufriß und Grundriß 81
Abb. 15 Beamtenwohnungen der ARBED "Am Schloß" 83
Abb. 16 Villa des Ingenieurs Arthur Kipgen 83
Abb. 17 Beamtenkasino der Gelsenkirchener Bergwerks AG. 85
Abb. 18 Bürgerliches Doppelhaus in der rue Emile Mayrisch 85
353
Maas/Kriegerdenkmäler (S. 89-118)
Abb. 1 Denkmal der Stadt Metz auf dem Militärfriedhof Chambière,
errichtet 1871 93
Abb. 2 Französisches Nationaldenkmal in Mars-la-Tour von 1875 99
Abb. 3 Programm der deutschen Gedenkfeier in Gravelotte 1908 103
Abb. 4 Gedenkkreuz bei Vionville von 1898 109
Abb. 5 Deutsch-französisches Grabdenkmal bei Mey von 1908 111
Abb. 6 Französisches Regionaldenkmal bei Noisseville von 1908 113
Roth/Thionville (S. 119-128)
111. 1 Die Stadterweiterung Diedenhofens (J. Stubben 1902) 123
111. 2 Cahier des Charges de 1906, extrait Luxemburgerseite 125
111.3 Cahier des Charges de 1906, extrait Metzerseite 127
Schmitt/Saargemünd (S. 129-146)
Abb. 1 Einwohnerzahl und Anzahl bewohnter Häuser in Saargemünd 130
Abb. 2 Übersichtsplan von Katasterfeldmesser Schittenhelm
v. 1. August 1900 133
Abb. 3 Platz an der Alten Kaserne, nach Entwurf v. Schittenhelm 1900 135
Abb. 4 Skizze vom Platz der Alten Kaserne, angefertigt v.
J. Stübben 1899 137
Abb. 5 Skizze vom Platz der Alten Kaserne, angefertigt v.
Emil Bloch 1900 138
Abb. 6 Bebauungsplan für das Gelände der Alten Kaserne am Bahnhof,
angefertigt v. Stadtbaumeister Gläser 1910 139
Abb. 7 Skizze zu einem Bebauungsplan für die Kerb, J. Stübben 1899 143
Abb. 8 Bebauungsplan zwischen Berg- und der Wustweilerstraße,
Gläser 1914 143
Cartal/Metz (S. 147-158)
111. 1 Le Plan d’extension de Metz 1903 149
111. 2 Le Ring. Immeubles de rapport et de commerce 151
111. 3 Le Ring. Villas urbaines 151
111. 4 Avenue de Nancy 153
111. 5 Transition entre Avenue de Nancy et la Rue Paul Ferry 153
111. 6 Clôture visuelle par courbure de la Rue Migette 155
111.7 Clôture visuelle, Rue Paul Ferry 155
111.8 Bristol Cross Stourhead 157
111.9 Le Temple vu du plan d’eau 157
Woite/Bahnhof Metz (S. 159-178)
Abb. 1 Studie betr. Lage und Richtung der Eisenbahn, Hauptverkehrs-,
Ring- und Promenadenstraßen, Baurat Wahn 1898 163
Abb. 2 Gestaltung der Bahnanlagen bei Metz, Entwürfe I. und II. 165
Abb. 3 Umgestaltung der Bahnanlagen bei Metz, endgültiger Entwurf 173
Fisch/Straßburg (S. 179-198)
Abb. 1 Erwerb militärfiskalischen Geländes durch die Stadtverwaltung 180
Abb. 2 Der ’große Durchbruch’ in Straßburg 189
Jonas/Gartenstadt Stockfeld (S. 199-236)
111. 1 Entwurf ’Volkswohl’ 211
111.2 Entwurf ’Im Sonnenschein’ 213
111.3 Entwurf ’Rot-Weiß’ 213
354
111.4 Lageplan der Gartenvorstadt Stockfeld 217
111. 5 Bebauungsplan für die Gartenvorstadt Stockfeld 218
111.6 Plan der Gartenvorstadt Stockfeld 219
Tabl. 1 La répartition des maisons-types par ilôt du plan d’Urbanisme
d’E. Schimpf, janvier 1910 221
Tabl. 2 La répartition du parc d’habitat par type de logement 223
Tabl. 3 La répartition des logements par maison-type et par mode de
groupement; le prix du loyer 224
111. 7 Breitlacherstraße 225
111.8 Bebauungsplan Gartenstadt Hellerau 227
111.9 Königsallee 229
Tabl. 4 L’évolution de la population du faubourg-jardin de Stockfeld 231
Tabl. 5 L’évolution des logements vacants du faubourg-jardin de Stockfeld 232
Tabl. 6 La composition socio-professionnelle des premières familles
du faubourg-jardin Stockfeld en 1911 234
Schneider/Armenfürsorge Saarbrücken (S. 263-280)
Abb. 1 Auszug aus den Bestimmungen zur Neueinrichtung des Armen-
wesens von St. Johann a. d. Saar 267
Abb. 2 Aus der Armenordnung von 1889: Verhaltungsvorschriften
für Arme 269
Abb. 3 Aus dem Nachweis "derjenigen Schulkinder der Stadt St. Johann
a. d. Saar, welchen Frühkost verabreicht wird" 273
Leiner/ Städtevereinigung Saarbrücken (S. 281-306)
Abb. 1 Die Bevölkerungsentwicklung in den Saarstädten (1850-1909) 282
Tab. 1 Zuschläge zur staatlichen Einkommensteuer 288
Abb. 2 Siedlungsflächen von Malstatt-Burbach, Saarbrücken und
St. Johann in den Jahren 1850 bzw. 1906/08 289
Abb. 3 Das Verhältnis des Jahresgesamteinnahmenbetrags zur Gesamtver-
schuldung der drei Saarstädte (1850-1909) 303
Architektur und Stadtplanung in besetzten Gebieten (S. 307-336)
III. 1 Georges-Henri Pingusson: Projet pour l’Ambassade de France à
Sarrebruck, 1948, perspective de la façade sud 313
111. 2 Plan d’aménagement de Mayence, Marcel Lods 1947 317
Abb. 3 Plan für den Wiederaufbau von Mainz, Stadt-Mitte,
Paul Schmitthenner 1947 321
Abb. 4 Verkehrsplan für den Wiederaufbau von Mainz,
Paul Schmitthenner 1947 321
Abb. 5 Projekt für die Stadterweiterung von Straßburg,
Paul Schmitthenner 1940 323
Abb. 6 Stahlbetongebäude in Rheinau, Ernst Neufert 1943 325
Abb. 7 Arbeiterhaus am Hang in Boust, Emil Steffann 1942 327
Abb. 8 Notkirche in Boust aus Trümmermaterial, Emil Steffann 1942 327
111. 9 Plan de reconstruction de Sarrebruck, Georges-Henri Pingusson
1946-47, vue aérienne de l’échangeur proposé devant la gare 331
111.10 Plan de reconstruction de Sarrebruck, Georges-Henri Pingusson
1946-47, première maquette 331
Abb. 11 Stadtlandschaft Diedenhofen, Rudolf Schwarz 1942 333
355
Verzeichnis der Mitarbeiter dieses Bandes
Dr. Rémi Baudouï, 5, rue Dupont de l’Eure, F-75020 Paris
Prof. Jean-Jacques Cartal, 102, rue Saint-Dizier, F-54000 Nancy
Prof. Jean-Louis Cohen, 58, Boulevard de Sébastopol, F-75003 Paris
Dr. Stefan Fisch, 17a, rue René Schiekelé, F-67000 Strasbourg
Prof. Dr. Hartmut Frank, Eppendorfer Landstr. 86, W-2000 Hamburg 21
Ulrich Hohns, Dipl.-Ing., Unter den Eichen 21a, W-2114 Wenzendorf
Prof. Dr. Rainer Hudemann, Historisches Institut, Universität des Saarlandes, W-6600
Saarbrücken
Joachim Jacob, M.A., Adenauerstr. 41, W-6635 Hülzweiler
Prof. Stéphane Jonas, 10, rue Upsal, F-67000 Strasbourg
Dr. Jean-Paul Lehners, Centre universitaire de Luxembourg, 162A, avenue de la Faïence-
rie, L-1511 Luxembourg
Stefan Leiner, M.A., Historisches Institut, Universität des Saarlandes, W-6600 Saarbrücken
Dr. Antoinette Lorang, 5, rue Oster, L-2272 Howald
Annette Maas, M.A., Historisches Institut, Universität des Saarlandes, W-6600 Saarbrücken
Christine Mengin, 28bis, rue Daumesnil, F-75012 Paris
Prof. François Roth, Université de Nancy II, 45, rue Hermine, F-54000 Nancy
Sigrid Schmitt, M.A, Jugendheimstr. 33, W-6670 St. Ingbert
Ute Schneider, M.A., Feldstr. 25, W-6601 Bischmisheim
Dr. Wolfgang Voigt, Dipl.-Ing., Annenstr. 8, W-2000 Hamburg 36
Dr. Rolf Wittenbrock, Historisches Institut, Universität des Saariandes, W-6600 Saar-
brücken
Stefanie Woite, M.A., Rechtensteinstr. 10, W-7000 Stuttgart
356
Personenregister
a
Aalto, Alvar S. 315
Abercombie, Leslie Patrick S. 334
Adickes, Otto S. 237
Aich (Bürgermeister) S. 24, 30
Aubert, Marcel S. 339
B
Back, Otto S. 179, 181, 184, 187, 188,
192, 193, 197, 198, 201, 202
Backes (Architekt) S. 210, 211
von Bake, Alfred Georg S. 283, 284,
295, 297
von Baltz, Constanz Maximilian Friedrich
S. 299, 300, 305
Barnett, Henrietta S. 205
Barrés, Maurice S. 94, 116
Baumeister, Reinhard S. 130, 131, 147,
148, 181, 183, 184, 188
Bayer, Adolf S. 317, 318
Bazaine, Jean S. 114
Beblo, Fritz S. 203, 216, 222
Behmisch, E. (Redakteur) S. 230
Benjamin, Walter S. 308
Bérang, Alois S. 132, 140
Berkenheier, Heinrich S. 122, 124, 126
Bezanson, Paul S. 92
Blaum, Kurt S. 17, 198
Bloch, Emil S. 136, 138
Boehle, Bernhard S. 200, 203, 204, 215,
235, 236
Böhm (Regierungsrat) S. 122
Bölsche, Wilhelm S. 200
Bötticher, Heinrich Friedrich Richard
S. 284, 285, 295, 298, 299, 305, 306
Bogino, Frédéric-Louis S. 97
Bon Saint-André S. 312
Bonatz, Karl S. 195, 203, 210, 212, 216,
226
Bonatz, Paul S. 195, 203, 313, 319, 335
Brabant, Heinrich S. 210
Brasseur, Dominique-Alexis S. 60
Brasseur, Pierre S. 60
Braudel, Fernand S. 309
Bürckel, Josef S. 128, 332
C
Chevallier, Jacqueste S. 340
Claretie, Jules S. 100
Conrath, Jean Geoffroy S. 181, 202
Couturier, Franz S. 23, 24, 30, 31
Crauser, Nicolas S. 121, 122
Cullen, Gordon S. 158
D
von Dallwitz, Johann S. 127
Danis, Robert S. 335, 337, 339
Deglane, Henri S. 335
Dimitrov, Georgi Michailow S. 308
Dirr, Robert S. 210
Docker, Richard S. 311-313, 324, 326,
335
Dominicus, Alexander S. 198
Dominicus, Hugo S. 209, 212, 228, 235,
236, 240
Dupont des Loges, Paul-Georges-Marie
S. 92, 94
Dustmann, Hanns S. 317
E
Eberstadt, Rudolf S. 57
Eichelmann, Karl S. 184
Eisenlohr, Moritz S. 196
Emerich, Heinrich S. 182, 196, 198
Engels, Friedrich S. 57
Expert, Roger-Henri S. 313, 335
F
Fauth, Charles S. 338
Fechner, Gustav Theodor S. 147, 148
Feldmann, Friedrich Wilhelm S. 288,
290, 295, 306
Fidus (= Hugo Höppener) S. 200
Fischer, Theodor S. 196, 197, 203, 335,
336
Flesch, Paul S. 82
Fontaine, Jean-Louis S. 338
François, Michel S. 341, 342, 344
Freudenfeld (Bürgermeister) S. 132
Fries, A J. Félix S. 221
Frorath (Stadtbaumeister) S. 122
Funck, Paul S. 82
G
Gangler, François S. 78, 80
Girardin, René Louis Marquis de S. 152,
154
Gläser, Paul S. 132, 138, 139, 142, 144
Gleim (Ingenieur) S. 169-172
Goecke, Theodor S. 207, 228
von der Golz, Hans (Freiherr) S. 57, 202
Grandval, Gilbert S. 312, 329, 330
Gropius, Walter S. 311, 324, 336
Gruber, Karl S. 319, 320
Guévrékian, Gabriel S. 329, 335
357
H
Habermas, Jürgen S. 314
von Haeseler, Gottlieb (Graf) S. 9, 106
Halm, Alexander S. 101, 161
von Hammerstein-Loxten, Hans S. 164,
167, 172, 174, 177, 178
Hanning, Gérald S. 318, 335
Hart, Heinrich S. 200
Hart, Julius S. 200
Hartmann, Georg S. 132, 141
Haussmann, Georges Eugène S. 15, 182,
186, 187, 212
Heidegger (Baurat) S. 150
Hellemans, E. (Architekt) S. 59
Herbst, René S. 329, 335
Heurich (Stadtrat) S. 172
Hirschfeld, Christian C, L. S. 152, 154
Hitler, Adolf S. 322, 324
Hobrecht, James S. 15
Hoeffel, Johannes S. 240
Hoff, Hubert S. 82
von Hohenlohe-Langenburg, Hermann
S. 122, 171, 178, 192
Hoss, Walter S. 326
Howard, Ebenezer S. 86, 200, 204-206,
210
Huber, Emil S. 134, 142, 144
Hueber, Charles S. 186
Humblet, Leon S, 338
I
Imm, Wilhelm S.320
J
Jacobsen (General) S. 312, 317
de Jaeger, Albert S. 313, 318, 335, 343
Jaeger, Eugen S. 239
Jaumont (General) S. 106
von Jaunez, Eduard S. 134, 176
Jean, Jean-Pierre S. 114
Jeanne d’Arc S. 97, 108
Jentgen, Joseph S. 80
Jung, Amalie S. 266, 268, 279
K
Kampffmeyer, Hans S. 59, 87, 88, 203,
205, 206, 222, 233, 236
Kaufmann, Hermann S, 168
Keller, J. S. 210, 213
Kipgen, Arthur S. 82, 83
Klein, August S. 290, 305
Knauth, Johann S. 209, 217, 228
Knipping, Heinrich S. 317
Koelvel (Ingenieur) S. 63
Koenig, Pierre-Marie S. 313, 318, 335,
337, 338, 343
von Kramer, Sigismund S. 161, 164,
166, 167, 169, 172, 174, 177
Kraus, Emil S. 318, 319
Kreis, Wilhelm S. 311, 335
Krieger, J. (Kreisarzt) S. 187
Kröger, Jürgen S. 175
L
Laffon, Emile S. 342
Lavedan, Pierre S. 313
Le Corbusier (= Charles Edouard
Jeanneret) S. 19, 156, 233, 312, 313,
315, 318, 319, 329, 335, 336
Ledoux, Claude Nicolas S. 212
Lefèvre, Pierre S. 329, 330, 335
Leid, Alfons S. 312, 326
Lisch, René S. 338, 339
Lods, Marcel S. 312-315, 317, 318, 320,
322, 335
Loucheur, Louis S. 258, 259
Louis XIV S. 315
Lynch, Kevin S. 156
M
Mallet-Stevens, Robert S. 329, 335, 336
Marceau, François-Séverin S. 343
Marinetti, Emilio Filippo Tommaso
S. 308
Martin, Georg S. 210
May, Emst S. 311
Mayer, Otto S. 188
Mayrisch, Emil(e) S. 38, 54, 68, 74
Mayrisch - de Saint Hubert, Aline S. 38
Menkès, Edouard S. 312, 329, 330, 336
Metz, Auguste S. 82
Metz, Léon S. 60, 62, 80
Metzendorf, Georg S. 224
Mies Van der Rohe, Ludwig S. 315
Miljutin (Stadtplaner) S. 311
von Moltke, Helmut (Graf) S. 179
Molz, Anton S. 132
Monnet, Bertrand S. 336, 338-340, 344
Mougenot, Jean S. 329
Müller-Simonis, Paul S. 203, 204, 215
Müller-Tesch, Hubert S. 80
Muth (Stadtverordneter) S. 284, 285,
290, 305
Muthesius, Hermann S. 223, 224, 236
N
Napoleon I. S. 185, 312, 317, 320
Naumann, Friedrich S. 192
Neff, Paul S. 264, 282, 285, 295, 296,
306
358
Neuffert, Emst S. 311, 312, 314, 315,
324, 325, 336
Ney, Michel S. 343
Niessen, Xavier S. 96
Nominé, Henri-Pierre S. 249-260
O
Oppenheimer, Franz S. 205
Orth, August S. 181, 187
Ottinger, Max S. 82
P
Peirotes, Jacques S. 185, 192, 197, 198,
200, 204, 227, 251, 252, 260
Perret, Auguste S. 313, 336
Petiti (Architekt) S. 182
Petzold, Erich S. 320
Picard de la Vaquerie (Mgr) S. 343
Pingusson, Georges-Henri S. 312, 313-
315, 329, 330-332, 335, 336
Poelzig, Hans S. 336
von Prittwitz und Gaffron (General)
S.115
Prost, Henri S. 313
Prouvé, Jean S. 329
R
Renard, Robert S. 338, 344
Ribot, Alexandre S. 259
Riemerschmid, Richard S. 70, 223, 224,
226, 236, 336
Röchling, Karl S. 121
Roux, Marcel S. 312, 329, 330
Ruppersberg, Albert S. 294, 297
S
de Saint-Far, Eustache S. 320
Schäfer, Karl S. 196, 203, 336
Schalk, G. (Architekt) S. 210, 213
Schickelé, René S. 216
Schickhardt, Heinrich S. 339
Schimpf, Edouard S. 203, 210, 212, 214,
216, 218-224, 226, 228, 236
Schinkel, Karl Friedrich S. 90
Schmidt (Regierungsbeauftragter)
S. 298
Schmidt, Karl S. 205
Schmitthenner, Paul S. 19, 311, 313,
315, 318-323, 336
Schmook, Paul S. 283, 295, 306
Schontz, André S. 160
Schopen, Gust S. 84
Schultze-Naumburg, Paul S. 142
Schwagenscheidt, Walter S. 334
Schwander, Rudolf S. 187, 188, 190,
191, 192, 194, 196-198, 201, 203-206,
209, 215, 227, 228
Schwarz, Rudolf S. 311, 312, 314, 315,
326, 332-334, 336
Schweizer, Otto-Emst S. 313, 317, 336
Siegfried, André S. 237
Simmel, Georg S. 199
Sinzheimer, Ludwig S. 57
Sitte, Camillo S. 14, 122, 142, 147, 148,
152, 154, 156, 158, 195, 207, 212
Sive, André S. 329, 330, 336, 344
Speer, Albert S. 317, 324
Steffann, Emil S. 311, 312, 314, 315,
325-328, 336
Steffen (Architekt) S. 210, 213
Steinbach, Rudolf S. 326
Stempel, Friedrich-Georg S. 188, 197
Stoskopf, Gustave S. 315, 336
Stotz, Jean-Godefroi S. 221
Stoves, Georges S. 84
Stübben, Joseph S. 17, 84, 86, 122, 136,
137, 141-143, 147, 148, 152, 154, 164,
180, 333
von Stumm, Karl (Freiherr) S. 121
T
Tessenow, Heinrich S. 224
Tille, Alexander S. 285-287, 290, 292,
293, 295, 297
Tormin (Betriebsdirektor) S. 293-295,
297, 298, 301, 302
Trimper, L. (Architekt) S. 210, 213
Tornow, Paul S. 175
Turenne, Henri de Latour d’Auvergne
S. 343
Turinaz, Charles-François S. 98
U
Unwin, Raymond S. 88, 204, 205, 210,
214, 226
V
de Vauban, Sébastien le Prestre S. 312,
322
von Vollmar, Georg S. 192
W
Wagner, H. (Architekt) S. 224
Wagner, Otto S. 212
Wahn, Konrad S. 147, 161-164, 166,
169, 170
von Wedel, Karl S. 115, 117, 241
Weil, Bruno S. 192
de Wendel, Charles S. 112
359
Weszkalnys, Hans S. 293-295, 297
Wetzel, Heinz S. 319
Wilhelm I. S. 92, 344
Wilhelm IL S. 108, 115, 118, 121, 122,
159, 161, 164, 167, 171, 172, 174, 175,
178
Wolf, Karl S. 210
Z
Zache (Architekt) S. 210, 211
von Zeppelin-Aschhausen
(Bezirkspräsident) S. 112, 114, 116,
117, 241, 242
Zimmerlé, Ernst S. 215, 222, 223
Ortsregister
a
Aachen S. 62, 63, 72, 84, 286, 332, 336
Agadir S. 98, 116
Alger S. 329
Amanvillers S. 106, 107
Athen S. 313, 317, 318, 329, 312
Audin-le-Tiche S. 60, 62
B
Baden-Baden S. 312, 319, 338, 343, 344
Barmen S. 294
Basel S. 15, 38
Batilly S. 97, 116
Belval S. 72
Berlin S. 15, 56, 90, 116, 121, 132, 160-
162, 164, 168, 169, 171, 172, 174, 175,
177, 181, 199, 200, 201, 207, 228, 232,
235, 336, 341, 342, 344
Bingen S. 23, 32
Bonn S. 286, 294
Bordeaux S. 335
Borny S. 89
Boust v. Bust
Braine S. 339
Braunschweig S. 342
Bremen S. 63, 224
Bruville S. 97
Bruxelles S. 72
Burscheid S. 286
Bust S. 311, 315, 325-328, 336
C
Castrop S. 84
Cattenom S. 325
Coblence v. Koblenz
Colmar S. 131, 140, 192
Cologne v. Köln
Colombey S. 89, 97
D
Darmstadt S. 319, 336
Dessau S. 57, 324
Deutz S. 286
Diedenhofen S. 13, 15, 18, 59, 119-128,
161, 241, 244, 258, 311, 325, 326, 330,
332-334, 336
Differdingen S. 42, 53, 78
Dresden S. 17, 57, 64, 70, 203, 205,
206, 224, 236, 335
Dudelange v. Düdelingen
Düdelingen S. 13, 15, 35-58, 60, 62, 68,
72, 76, 78
Düsseldorf S. 57, 283, 335, 336
Duisburg S. 286
E
Eisenheim S. 208
Elberfeld S. 264, 265, 268, 270, 271,
279, 294
Elversberg S. 30
Esch/Alzette S. 13, 15, 17, 42, 53, 59-88
F
Forbach S. 241
Frankfurt/Main S. 14, 17, 91, 198, 237,
292, 311
Freiburg S. 318, 319, 343
Freudenstadt S. 320, 339
Fribourg v. Freiburg
G
Gelsenkirchen S. 59-88
Germersheim S. 344
Gorze S. 92
Gotha S. 275
Gravelotte S. 89, 91, 96, 101-103, 105,
108, 114
H
Habonville S. 107
Hagenau S. 276
Hagondange S. 70
Hamburg S. 57, 169, 236
Hampstead S. 205, 210, 226
Hanau S. 198
360
Hellerau S. 64, 70, 200, 203, 205, 206,
223, 224, 226, 227, 236
Höchstenbach S. 343
Hüttenau S. 224, 236
K
Karlsruhe S. 181, 196, 203, 205, 222,
236, 317, 336
Kehl S. 322
Kiel S. 121
Koblenz S. 326, 343, 344
Köln S. 122, 136, 141, 164, 180, 188,
286, 294, 328, 334
Königsberg S. 236
Krefeld S. 294
L
La Chaux-de-Fonds S. 233
Landau S. 343
Le Creusot S. 72
Le Havre S. 237
Leipzig S. 57, 152
Letchworth S. 204, 210
London S. 50, 205
Londres v. London
Longeville S.92
Longwy S. 119
Luxembourg v. Luxemburg
Luxemburg S. 14, 15, 38, 51, 59, 276,
279
Lyon S. 187
M
Mainz S. 19, 180-182, 184, 197, 312,
317-322, 335, 336
Malstatt-Burbach S. 13, 21, 22, 263-306
Mannheim S. 192, 207, 236
Mars-la-Tour S. 89, 91, 96-100, 107,
114, 116
Mayence v. Mainz
Meersburg S. 343
Metz S. 9, 13, 14, 16-18, 56, 89-118,
120-124, 126, 127, 141, 147-178, 188,
210, 241, 249, 253, 276, 286
Mey S. 107, 110, 111
Mönchengladbach S. 238
Montmédy S. 119
Mülhausen S. 131, 208, 210, 221, 241
München S. 192, 195, 203, 335, 336
Mulhouse v. Mülhausen
N
Nancy S. 16, 139
Neunkirchen S. 13, 18, 19, 21-34
Neustadt S. 343
Nice/Nizza S. 122
Noisseville S. 96, 104, 110-114, 116-118
Nürnberg S. 224, 236
O
Offenburg S. 343
Opladen S. 328
Ottweiler S. 22, 26, 32, 33
P
Paris S. 15, 17, 50, 84, 96, 98, 112, 114,
116, 182, 184-187, 204, 212, 318, 335,
336
Poppelsdorf S. 286
Posen S. 188
R
Rastatt S. 343
Regensburg S. 342
Remagen S. 344
Rheinau S. 324, 325
Rochdale S. 236
Rothendorf S. 110
Rouffach S. 210
Ruhrort S. 286
Russange S. 60
S
Saarbrücken S. 13, 18, 19, 23, 32, 60,
62, 63, 76, 128, 263-306, 311-313, 329-
332, 335, 336
Saarburg S. 120, 241
Saargemünd S. 13, 15, 18, 24, 120, 127,
129-145, 237-261
Saarlouis S. 19, 312, 329, 330, 336, 343
Sablon S. 92
St. Ail S. 106
St. Dié S. 312, 335
St. Johann S. 263-306
St. Privat S. 89, 101, 107, 108
St. Tropez S. 336
Ste-Marie-aux-Chênes S. 97
Sarrebourg v. Saarburg
Sarrebruck v. Saarbrücken
Sarreguemines v. Saargemünd
Sarrelouis v. Saarlouis
Sasbach S. 343
Saveme v. Zabem
Schifflange S. 72, 76
Schiltigheim S. 183
Schlettstadt S. 131
Schönberg S. 198, 228
Sedan S. 95, 100, 101, 118
Sigmaringen S. 344
361
Speyer S. 343, 344
Spichem S. 102
Stockfeld S. 16, 195, 199-237
Stourhead S, 156, 157
Strasbourg v. Straßburg
Straßburg S. 13-18, 116, 120, 122, 131,
132, 140, 159, 164, 166, 167, 169, 179-
237, 246, 249, 251-254, 260, 261, 271,
279, 311, 322-324, 335, 336
Stuttgart S. 196, 311, 319, 322, 335,
336
T
Thionville v. Diedenhofen
Toul S. 119
Tourcoing S. 335
Trêves v. Trier
Trier S. 15, 120, 275, 339, 340
V
Vallières S. 110
Verdun S. 98, 119
Versailles S. 310
Vichy S. 310
Villerupt S. 60
Villiers-sur-Mame S. 112
Vionville S. 92, 107, 109
Völklingen S. 21, 22, 76, 121
W
Weimar S. 78, 336
Weißenburg S. 114, 118
Wien S. 38, 50, 212, 335, 336
Wiesbaden S. 63
Worms S. 326
Z
Zabem S. 117, 253
Zweibrücken S. 63
362
Veröffentlichungen der
Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung e. V. Saarbrücken
I. Hans-Walter Herrmann, Geschichte der Grafschaft Saarwerden DM
bis zum Jahre 1527
Band 1: Quellen 1957ff.,676S., 1.-3. Lieferung 36,-
Band 2: Darstellung, 256 S. (vergriffen)
II. Saarländische Bibliographie
Band 1 bis 14, Berichtsjahre 1961 bis 1988 Preis auf Anfrage
III. Maria Zenner, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem
Völkerbundsregime 1920-1935,1966,434 S. 22,50
IV. Eduard Hlawitschka, Die Anfänge des Hauses Habsburg-
Lothringen, 1969,4 T., 209 S. 25,-
V. Manfred Pohl, Die Geschichte der Saarländischen Kreditbank
Aktiengesellschaft, 1972,14 Tab., 146 S. 29,50
VI. Fritz Jacoby, Die nationalsozialistische Herrschaftsübernahme
an der Saar, 1973,275 S. 35,—
VII. DieterStaerk, Die Wüstungen des Saarlandes, 1976,445 S. 52,50
VIII. Irmtraud Eder, Die saarländischen Weistümer - Dokumente
derTerritorialpolitik, 1978,272 S. 38,-
IX. Marie-Luise Hauck / Wolfgang Läufer, Epitaphienbuch von
Henrich Dors (Genealogia oder Stammregister der durch-
läuchtigen hoch- und wohlgeborenen Fürsten, Grafen und Herren
des Hauses Nassau samt Epitaphien durch Henrich Dorsen),
1983,286S. 120,-
X. Jürgen Karbach, Die Bauernwirtschaften des Fürstentums
Nassau-Saarbrücken im 18. Jahrhundert, 1977,7Tab.,255 S. 48,-
XI. Hans Ammerich, Landesherr und Landesverwaltung. Beiträge
zur Regierung von Pfalz-Zweibrücken am Ende des Alten Reiches,
1981,6Beil.,284 S. 55,-
XII. Klaus-Michael Mallmann, Die Anfänge der Bergarbeiter-
bewegungan der Saar (1848-1904), 1981,370 S. 59,-
XIII. Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und
Festungsstadt. Referate und Ergebnisse der Diskussion eines
Kolloquiums in Saarlouis vom 24.-27.6.1980, zusammengestellt
von Hans-Walter Herrmann und Franz Irsigler, 1983,256 S. 57,—
XIV. Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955,
1984,362 S. 68,-
XV. Wolfgang Haubrichs, Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters.
Philologische, onomastische und chronologische Unter-
suchungen, 1986,267 S. 64,-
XVI. Ernst Klein, Geschichte der saarländischen Steinkohlengrube
Sulzbach-Altenwald (1841-1932), 1987,146 S. 29,-
XVII. Thomas Herzig, Geschichte der Elektrizitätsversorgung des
Saarlandes unter besonderer Berücksichtigung der Vereinigten
Saar-Elektrizitäts-AG, 1987,414 S. 48,—
18. Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende
(1871-1918). Referate eines Kolloquiums in Dillingen vom
29./30. September 1988,1991,184 S. 48,-
19. „Die alte Diözese Metz“. Referate einer wissenschaftlichen
Tagung im Haus Maria Rosenberg (Waidfischbach-Burgalben)
vom 21 .-23. März 1990. In Bearbeitung.
20. Stefan Flesch, Die monastische Schriftkultur der Saargegend
im Mittelalter, 1991 ca.40,—
21. Rainer Hudemann/Rolf Wittenbrock (Hrsg.), Stadtentwicklung
im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (19. und
20. Jh.), 1991,3625. ca.45,-
Auslieferung durch:
SDV Saarbrücker Druckerei und Verlag GmbH, Haibergstraße 3,
6600 Saarbrücken, Telefon 0681/66501-35
Außerhalb der Reihe sind erschienen und über die Geschäftsstelle der Kommission für
Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, Scheidter Straße 114, 6600 Saar-
brücken 3, erhältlich:
Fritz Eyer, Saarländische Betreffe des Departementsarchives
Meurthe-et-Moselle in Nancy, 1976, 379 S. DM 35,-
25 Jahre Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung 1952-1977. Gründung, Aufbau, Tätigkeit, 1977, 63 S.
DM 10,-