Die katholischen Arbeiter kamen als Fremdkörper in eine protestantisch dominierte
bürgerliche Welt, die sie keineswegs mit offenen Armen empfing, die für sie die
untersten sozialen Positionen bereithielt, sie als mittellose Arbeiter und als Katholiken
eher widerwillig duldete denn willkommen hieß. Es war durchaus typisch, daß der
evangelische Pfarrer Petersen aus St. Johann bereits 1856 vor einer uns überfluthen-
den katholischen Bevölkerung warnte, die ein besonders unsittliches und leibliches
Proletariat aufweise.9 Die katholischen Zu Wanderer trafen auf ein protestanisches
Bürgertum, das sich aus den Kaufmannsfamilien des 18. Jahrhunderts rekrutierte oder
in Napoleonischer Zeit zugezogen war, auf eine protestantische Mittelschicht aus
Händlern und Handwerkern, auf eine protestantische Staatsbürokratie, deren Spitzen
vorrangig aus den altpreußischen Landesteilen stammten und nicht zuletzt auf eine
protestantische Bergbeamtenschaft. Noch 1903 befanden sich unter den 70 Beamten
der Saarbrücker Bergwerksdirektion nur 3 Katholiken, die Direktoren aller 11 Bergin¬
spektionen waren evangelisch; erst in den mittleren und unteren Werksbeamtenrängen
- Steigern, Grubenhütern, Kohlenmessern - kamen Katholiken zum Zuge, obwohl
auch hier die Protestanten deutlich überwogen.10 Den Prozeß der allseitigen Diszipli¬
nierung, dem die katholischen Zuwanderer unterworfen wurden, erlebten sie auch als
Sieg der protestantischen Arbeitsethik, die preußische Erziehungsdiktatur auf den
Gruben und Hütten als Triumph eines fremden, in den damaligen Kategorien häufig
als feindlich begriffenen Glaubens. Die sozialen und kulturellen Unterschiede deckten
sich in ihrer Erfahrungswelt mit den konfessionellen; der politische Gegensatz
zwischen Zentrum und Liberalismus trat bald schon als vierte Widerspruchsebene
hinzu.
Gleichwohl traf die Proletarisierung nicht nur Katholiken, verlief der Prozeß der
Konfessionsverschiebung keineswegs lückenlos und gleichmäßig: Während die
Zuwanderer aus dem Westen und Norden - den ehedem kurtrierischen und lothrin¬
gischen Gebieten - durchgängig Katholiken waren, stammte der Zuzug von Osten
vorrangig aus evangelischen Landstrichen, insbesondere aus dem ehemaligen Herzog¬
tum Pfalz-Zweibrücken. Da sie sich vor allem im angrenzenden oberen Revier
ansiedelten, behielten hier wichtige Industrieorte eine konfessionelle Parität bzw. eine
starke protestantische Minderheit, im Fall von Wiebelskirchen sogar eine deutliche
evangelische Dominanz.11 Mehr noch: diese Gruppe von Zuwanderern wurde von
dem eigentümlichen System sozialer Sortierung mit seiner Übereinstimmung von
Klassenbarrieren und Konfessionsgrenzen nicht betroffen. Ihr sozialer Status ähnelte
dem der katholischen Zuwanderer. Dennoch paßten auch sie sich bis zur Jahrhundert¬
9 Pfarrer Petersen/St. Johann an Oberpräsident v. 29.7.1856, LHA Koblenz Best. 403/
Nr. 8164, S. 5; zu den konfessionellen Antagonismen im zeitgenössischen England vgl. Hugh
McLeod, Religion and the Working Class in Nineteenth Century Britain, Basingstoke 1984,
S. 36-43.
10 Zahlenangaben in: Der Prozeß Hilger-Krämer vor der Strafkammer Trier, Trier 1905,
S. 175.
11 Zu Neunkirchen vgl. Bernhard Krajewski/Leo Ehlen (Hrsg.), Neunkirchen (Saar). Stadt der
Kohle und des Eisens, Neunkirchen 1955, S. 159 ff., 187; zu Wiebelskirchen (Hermann
Offermann:) Bürgerbuch enthaltend eine Darstellung über die Entwicklung der Gemeinden
der Bürgermeisterei Wiebelskirchen während der Jahre 1894 bis 1910 nebst einem Rückblick
auf deren Vergangenheit, Neunkirchen 1911, S. 18.
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