genen Jahrhunderts.4 Die Grafschaft Nassau-Saarbrücken, in der 1575 das lutherische Bekenntnis offiziell eingeführt worden war,5 war nach ihrem Aufgehen im preußi¬ schen Staatsverband der einzige überwiegend protestantische Teil des Regierungsbe¬ zirks Trier. Der gemeinsame Glaube verknüpfte den größten Teil der Bevölkerung mit der neuen Hegemonialmacht und seinem Herrscherhaus und dämpfte 1848/49 die revolutionäre Bewegung, da die aus konfessionellen Gegensätzen resultierenden Konflikte weitgehend entfielen.6 Bereits ein Jahrzehnt später konnte davon keine Rede mehr sein: Die protestantische Enklave im preußischen Südwestzipfel entwickelte sich auf Grund ihrer Kohlenvorkommen zum Kern des entstehenden Saarreviers. Da die einheimische Bevölkerung im relativ dünn besiedelten Saarkohlenwald die Arbeits¬ kräftenachfrage der expandierenden Industrie immer weniger befriedigen konnte, entstand eine gewaltige Sogwirkung auf die umliegenden Landschaften, die sukzessive ihren Bevölkerungsüberschuß an das Industriegebiet abgaben. Diese regionale Binnen¬ wanderung stellte die bisherigen Konfessionsverhältnisse auf den Kopf: Seit Mitte der 50er Jahre besaß das Revier eine katholische Bevölkerungsmehrheit; 1910 standen sich in den Kreisen Saarbrücken und Ottweiler 63,0 % Katholiken und 33,7 % Protestanten gegenüber.7 In der Belegschaft der preußischen Saargruben - dem mit Abstand größten Arbeitgeber - spiegelte sich diese Verteilung noch deutlicher wider: 1875 waren hier 17 318 katholische Bergarbeiter und 6 069 Protestanten beschäftigt - ein Verhältnis 3:1, das bis zum 1. Weltkrieg konstant blieb und sich den in 20er Jahren unseres Jahrhunderts sogar noch mehr zugunsten der Katholiken ver¬ schob.8 4 Zu den Grundlinien einer Gesellschaftsgeschichte des Saarreviers im 19. Jahrhundert Klaus-Michael Mallmann, Die heilige Borussia. Das Saarrevier als preußische Industriekolo¬ nie, in: ders./Gerhard Paul/Ralph Schock/Reinhard Klimmt (Hrsg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955, 2. Aufl. Berlin-Bonn 1988, S. 16-21; zu den Grundlinien einer regionalen Religionsgeschichte in sozialhistorischer Perspektive ders., Die neue Attraktivität des Himmels. Kirche, Religion und industrielle Modernisierung, in: Richard van Dülmen (Hrsg.), Industriekultur an der Saar. Leben und Arbeit in einer Industrieregion 1840-1914, München 1989, S. 248-257; zur überragenden Bedeutung kultu¬ reller Faktoren bei der Überformung des industriellen Konflikts und der daraus resultierenden Verschiebung der Konfliktlinien ders., Erfahrungsräume und Deutungswelten. Klassenbil¬ dung, Fragmentierung und Bergarbeiterbewegung in Deutschland 1871-1914, in: Klaus Tenfelde (Hrsg.), Sozialgeschichte des Bergbaus im 19. und 20. Jahrhundert, München 1991, S. 557-572. 5 Vgl. Hans-Walter Herrmann, Die Reformation in Nassau-Saarbrücken und die nassau-saar- brückische Landeskirche bis 1635, in: Die Evangelische Kirche an der Saar - gestern und heute, Saarbrücken 1975, S. 42-111. 6 Richard Noack, Die Revolutionsbewegung von 1848/49 in der Saargegend, in: Mitteilungen des Historischen Vereins für die Saargegend, Bd. 18, Saarbrücken 1929, S. 158. 7 Vgl. Dieter Robert Bettinger, Die Verschiebung der Konfessionsverhältnisse im Saarland, in: Die Evangelische Kirche an der Saar, S. 202-220; Wolfgang Läufer, Bevölkerungs- und siedlungsgeschichtliche Aspekte der Industrialisierung an der Saar, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 29 (1981), S. 122-164, bes. S. 154-157; Klaus Fehn, Räumliche Bevölkerungsbewegung im saarländischen Bergbau- und Industriegebiet während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in München 59 (1974), S. 57-73. 8 Die Arbeiterbelegschaft der Königlichen Steinkohlengruben bei Saarbrücken nach dem Ergeb¬ nis der statistischen Erhebungen am 1. Dezember 1875, Saarbrücken 1876, S. 2; für den Zeitraum 1910-1931 Francis Roy, Der saarländische Bergmann, Saarbrücken 1955, S. 114. 59