Auch das Glossenmaterial könnte wichtige Hinweise auf die Existenz einer
germanophonen Sprachschicht im heute französischsprachigen Raum geben.
Außerdem verspricht eine genaue Untersuchung der den einzelnen Dialekten
zugewiesenen Handschriften {Bergmann 1973, 128ff) wichtige und viel¬
leicht unerwartete Resultate zu liefern. So kommt z. B. für die mit althoch¬
deutschen Glossen versehene Stuttgarter Martinsvita (Stuttgart, WLB Cod.
Hist. 4° 36 [XII], BV Nr. 859), deren Niederschrift den paläographischen Ge¬
gebenheiten nach im 9. Jahrhundert angesetzt wird, als Schriftheimat der
westfränkische Raum, vielleicht Tours, in Frage (THIES 1994, 525ff.). Das zu
uertiginem angeführte Interpretament sturnilod (Akk. Sg. st. m.) ,Schwer¬
fälligkeit' bzw. die Graphie (d) für auslautendes germ. /d/ in sturnilod ge¬
stattet jetzt unter Vorbehalt eine sprachgeographische Einordnung des Glos¬
senmaterials in den fränkischen Raum. Hingegen scheint der Rückschluss von
der frühen althochdeutschen Glosseneintragung auf eine baldige Abwande¬
rung des Codex in die Germania nicht unbedingt zwingend.
Weiter gekommen ist man freilich bei der Beurteilung des für die frühmit¬
telalterliche Sprach- und Siedlungsgeschichte der linksrheinischen Gebiete so
bedeutsamen Siedlungsnamenschatzes. So ergaben sich zum einen aus einer
typologischen und lautchronologischen Analyse vorgermanischer Integrate
sehr differenzierte Aussagen zur Genese der Sprachgrenze aus ehemals bilin¬
gualen Räumen und auch zu chronologisch unterscheidbaren fränkischen
,Siedlungswellen' (vgl. BuchmÜLLEr/Haubrichs/Spang 1986/87; Hau-
BRICHS 1987a, 1994, 1997). Insbesondere für den Saar-Mosel-Raum (z. B.
Haubrichs 1983a, 1983b, 1986; Buchmüller-Pfaff 1990; Pitz 1997,
1999a, 2000b-c, 2001) und die östlich angrenzenden pfälzischen Land¬
schaften (Dolch/Greule 1991; Pitz/Puhl 1997; HAUBRICHS 2000) hat da¬
bei die inzwischen weit vorangetriebene Analyse der primären Siedlungs¬
namen auf -ingen, -heim, -dorf -weder etc. mit patronymischem Erstglied und
der in ihnen enthaltenen Personennamen das überraschende Ergebnis erbracht,
dass selbst so ,klassisch germanische' Siedlungsnamentypen wie die -heim-
und -/V7ge/7-Namen in diesen Räumen in statistisch signifikantem Umfang Per¬
sonennamen enthalten, welche zwar mit westgermanischen Namenelementen
komponiert sind, aber lautlich Anzeichen eines Übergangs in romanischen
Mund aufweisen (Kaufmann 1965, 1968; Haubrichs 1983a-b, 1986, 1992
u. ö.; Pitz 1997, 2000c-d, 2001). Teilweise sind die enthaltenen Personen¬
namen überhaupt gänzlich romanischen Ursprungs (Haubrichs 2000; PITZ
2000c-d, 2001). Auch die typologische und lautchronologische Analyse der
im Sprachgrenzbereich so häufigen romanisch-germanischen Doppelnamen
(Haubrichs 1986; Besse 1997; Pitz 1999a, 2000b-c) weist in die gleiche
Richtung; häufig sind es gerade diese Namendoubletten, an denen sich die
Fruchtbarkeit der lautchronologischen Analyse von Namenrelikten für die Er¬
hellung schwieriger romanischer (Pfister 1987, 1992) und althochdeutscher
(HAUBRICHS 1987a; Venema 1997) Prozesse der Sprachgeschichte erweist.
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