der Vorstellung von Bauerntum und von lokaler oder nationaler Geschichte
kreiert worden.213
Keuth war Agrarromantiker und hing der Lebensphilosophie der 1920-er Jahre an,
die völkischen, radikalrassistischen und antisemitischen Gruppen in die Hände
spielte. Die Verherrlichung bäuerlicher „ursprünglicher“ Lebensformen ging ein¬
her mit leidenschaftlichem Großstadthass.214 Industrie und Städte, der städtische
Einfluss auf das Land, die Verdrängung ländlicher Trachten durch städtische
Moden, die Zerstörung des Dorfbildes durch individuelle Bauweisen - „Sünden,
die aus liberalistischer Einstellung wurden“ - waren Keuth ein Gräuel. Seine
Verdammungen der Moderne sind Legion.215 Unverfälschtes Brauchtum gab es
für Keuth nur im traditionellen bäuerlichen Leben, in dessen althergebrachten
Schmuck- und Schnitzmotiven er urzeitliche Sinnbilder vermutete.216 Anhand
des Lebensbaum- und Lebensbrunnemnotivs wollte er nachweisen, „dass Sprach¬
gebrauch, Volkslied und Schmuckgestaltung aus gleichen Quellen entspringen“.217
Auf der Suche nach Ursprünglichkeit vernachlässigte er jedoch die Frage, ob
vergleichbare Motivik in verschiedenen Volkskunstausdrucksformen aus gegen¬
seitiger Befruchtung herrührte. Germanische Zeichen gehörten zum Schmuck
saarländischer bäuerlicher Holztruhen, u. a. die vom Nationalsozialismus ausge¬
schlachteten Symbole des Lebensbaumes und Hakenkreuzes. Ein Identität
stiftendes Zeichen jedoch wurde die Swastika erst im 19. Jahrhundert durch die
modernitätsfeindliche Suche nach rassischen arischen Wurzeln.21ii Obwohl kein
NS-Mitglied, näherte sich der Volkskundler Keuth der nationalsozialistischen
213 Alon Confino, „Die Nation als lokale Metapher: Heimat, nationale Zugehörigkeit und das
Deutsche Reich 1871-1918“, Übs. Eckhardt Fuchs, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 44
(1996), 421-35, hier 430; Siegfried Müller, „Kleider machen Nationen: Das Beispiel der alt¬
deutschen Tracht“, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 52 (2001), 162-79; LASb,
SM 45: Geist (DAI-Ausstellungsabt.) an Keuth v. 10.12.1935, Keuth an DAI v. 16.12.1935,
Hahn (i. A. v. Geist) an Keuth v. 5.3.1936; cf. Hannjost Lixfeld, „Kulturpolitische Institutionen
Rosenbergs: Ein Überblick“, Völkische Wissenschaft: Gestalten und Tendenzen der deutschen
und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20, Jahrhunderts, Hg. id., Wolfgang
Jacobeit, Olaf Bockhorn, in Zsarb. mit James R. Dow (Wien: Böhlau, 1994), 190-92, hier 191.
~14 Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik: Die politischen
Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, Neudr. München 1968, 4. Aufl.
(München: dtv, 1994); cf. Friedrich Grundmann, Agrarpolitik im „Dritten Reich": Anspruch
und Wirklichkeit des Reichserbhofgesetzes, Historische Perspektiven, Bd. 14 (Hamburg: HoCa,
1979), 20-28; Klaus Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindlichkeit, Marburger Ab¬
handlungen zur Politischen Wissenschaft, 20 (Meisenheim, Glan: Hain, 1970), 174-276.
215 Hermann Keuth, „Ländliche Arbeitskultur an der Saar“, Völkische Wissenschaft [1] (1934),
87-96, hier 93; cf. id„ „Küche und Herd im Bauernhaus der Saar: Beitrag zur Volkskunde der
Saar“, Unsere Heimat: Blätter für saarländisch-pfälzisches Volkstum (1936/37), 8-13; LASb,
SM 44: Keuth an Emrich v. 26.3.1934, 1.
'~16 Keuth, „Ländliche Arbeitskultur“, 94; cf. Rolf Wilhelm Brednich, „Das Weigelsche Sinn¬
bildarchiv in Göttingen: Ein Beitrag zur Geschichte und Ideologiekritik der national¬
sozialistischen Volkskunde“, Zeitschrift für Volkskunde, 81 (1985), 22-39, hier 29-34.
A1 LASb, SM 37: Keuth an Pinck v. 9.5.1928, cf. v. 15.5.1928.
Peter D. Stachura, „[Review] Malcolm Quinn, The Swastika (1994)“, History, 81 (1996), 704-
05, hier 705.
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