entscheidenden Sitzung ausschließlich der Ministerpräsident und sein Bericht über
die Tätigkeit der Regierung erschien. s
ln der späteren Aussprache zeigten sich aber auch inhaltlich-politische Rückwirkun¬
gen auf die Opposition. Dem Argument, daß die Beschäftigten im Kohlenbergbau
einen Großteil der Umstrukturierungslast zu tragen hatten, kam nun, nach beendetem
Tarifkonflikt, ein anderer Stellenwert zu. Nach der Einigung mit den Arbeitgebern
formulierte der Fraktionsvorsitzende der SPD damit einen Standpunkt, der nur noch
den Teil der von den Gewerkschaften vorgetragenen Argumente reflektierte, welcher
die Unzufriedenheit mit dem erreichten Kompromiß ausdrückte. Zudem nahm die
Doppelfünktion des Landes als kleinerer Anteilseigner und erfolgreicher Schlichter
den Angriffen die Spitze. Indem Conrad seine Kritik an der Unternehmensleitung
zunehmend auf die Bundesregierung als größten Anteilseigner und für die Energie¬
politik verantwortliche Kraft konzentrierte,’4 verlagerte er selber die politische
Verantwortung von der Landesregierung weg. Eine weitere Belastung für die SPD
bestand darin, daß in der Partei Unstimmigkeiten über Art und Umfang der in der
Kohlepolitik vorzunehmenden Umstrukturierung herrschten. So übten ihre Vertreter
einerseits massive Kritik an dem Konzept der Stillegungsprämien,* 40 durch die der
Rückzug des Kohleunternehmens aus bestimmten, bislang für den Bergbau reser¬
vierten Bereichen vorgenommen werden sollte. Andererseits beantragte die SPD
einen Beschluß, nach dem die Unternehmensleitung der Saarbergwerke aufgefordert
werden sollte, ihre Bodensperre aufzugeben und statt dessen Industrieflächen zur
sonstigen Nutzung freizugeben.41
Die erheblichen Irritationen, w'elche die kohlepolitische Diskussion bei den Parla¬
mentariern auslöste, sind sicherlich auch auf das überraschend hohe Ausmaß der in
diesem Sektor vorgenommenen Anpassungsleistungen zurückzuführen. Zwar hatten
* LTDS, 4. WP, Abt. I, 21. Sitzung v. 14.5.62, S. 792. Die Fraktionen von SPD, SVP und DDU zogen
daraufhin aus dem Parlament aus. Gleichzeitig wurde übrigens auch die Berichterstattung des Untersu¬
chungsausschusses über das Grubenunglück in Luisenthal vertagt, genauso wie eine Lesung des Minister¬
gesetzes, das die Bezüge der Minister erhöht hätte.
34 Conrads entscheidende Sätze lauteten: „Wir haben in den letzten Jahren erlebt, daß die saarländischen
Bergarbeiter große Anstrengungen gemacht haben, um dem Eingliederungsprozeß und den veränderten
Verhältnissen, mit denen sich auch die Saarbergwerke zurechtfinden mußten, Rechnung zu tragen. Zu
diesen veränderten Verhältnissen zählt natürlich auch die Tatsache, daß der Bergbau im ganzen Bundes¬
gebiet sich in einer Krise befindet, die die Bundesregierung bisher nicht steuerte, sondern der sie nur dann
und wann glaubte, mit Pflästerchen begegnen zu können.“, LTDS, 4. WP, Abt. I, 22. Sitzung v. 15.5.62,
S. 798.
40 Der Abgeordnete Manfred Zeiner (SPD) wies darauf hin, daß die Berechnungsgrundlagen für die
Stillegung von Zechen nicht angemessen seien. Mit solcher „Finanzakrobatik“ könne letztlich die Rentabi¬
lität jeder Grube bezweifelt werden - mit negativen Auswirkungen auf die Belegschaft, LTDS, 4. WP, Abt.
I, 33. Sitzung v. 8.5.63, S. 1314. Die Frage nach der Angemessenheit dieser Vorgehensweise soll hier nicht
weiter thematisiert werden; interessant ist immerhin die Perzeption dieser Methode der Subventionierung
von Strukturwandel in den belgischen Kohlegebieten, wo die gesellschaftlichen Konflikte sehr viel härter
auftraten, vgl. hierzu Lucien Denis, Umstellung der Kohlenbergwerke in den belgischen Gebieten
(Borinage, Centre, Charleroi-Bass-Sembre und Lüttich, Brüssel 1972 (= Kommission der Europäischen
Gemeinschaften (Hg.), Hefte für die industrielle Umstellung 18), bes. S. 41.
41 LTDS, 4. WP, Abt. 1,44. Sitzung v. 4.3.64, S. 1691 ff.
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