oberste politische Führungsebene durch ihre geschickte öffentliche Inszenierung von
Fortschritten Einigungsdruek bei den Delegationen, der spätestens gegen Ende in
unverhohlenen Einigungszwang überging. Diese Strategie war vor allem erfolgreich,
weil die politischen Kosten dieser Vorgehensweise wegen der sinkenden Priorität der
Saarfrage auf der internationalen Agenda und auch im Vergleich zu einem möglichen
Scheitern der Verhandlungen recht gering waren.1 4
Die Verlagerung von strittigen und ungelösten Fragen auf die Übergangszeit bedeute¬
te jedoch gleichzeitig den Verzicht auf eine stringente Lösung. Die Möglichkeit,
durch eine entsprechend konzeptionierte Übergangszeit die Bewältigung der Über¬
gangsprobleme unter Hinzuziehung aller Beteiligten anzugehen, wurde ersetzt durch
eine Lösung, welche die Mehrzahl der jeweiligen Einzelfragen zum Gegenstand rein
deutsch-saarländischer Verhandlungen machte. Unter der Perspektive der regionalen
Weiterentwicklung des Saarlandes muß daher festgestellt werden, daß der Preis dieser
Einigung in einem weitgehenden Offenhalten bzw. Außerkraftsetzen des Einigungs¬
prozesses in seiner Funktion als Übergangs- und Anpassungsinstrument bestand. Der
Luxemburger Vertrag stellt, als Ganzes betrachtet, eher ein Regelwerk zur Verhin¬
derung negativer Folgen von Kooperation und Weiterentwicklung als ein Anreiz- und
Entwicklungssystem für die Ausgestaltung der regionalen Zukunft dar. Die einzigen
Teilergebnisse der Verhandlungen, die sich in späterer Zeit als wirksame und hilfrei¬
che Instrumente zur Gestaltung des Übergangs erweisen sollten, nämlich die weit¬
gehende Aufrechterhaltung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs und die
langfristige Festschreibung von Lieferbeziehungen zwischen Saarbergwerke AG und
Frankreich, wurden von den Zeitgenossen in ihrem Wert nicht erkannt.
Zwar wurden die Verhandlungen als politischer Prozeß der Komplexität und dem
Umfang der zu lösenden Probleme nicht vollständig gerecht, die Verhandlungspartner
leisteten aber deutlich mehr als nur die Fixierung einer bereits vorgezeichneten
Lösung. Es zeigt sich vielmehr ein vielschichtiges Bild von Lösungsversuchen, die
aber tei 1 weise nur durch gezieltes Ausblenden von Themenbereichen oder auch durch
Einräumen von weitreichenden Zugeständnissen und durch massive Interventionen
der politischen Führung in den Staaten erfolgreich umgesetzt konnten. Als sachlicher
Beitrag zur weiteren Ausgestaltung der Zukunft des Territoriums an der Saar dagegen
und zur Lösung seiner wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Probleme
sind die Saarverhandlungen und die dort vereinbarten Regelungen dagegen eher
negativ zu bewerten. Vielmehr wohnte ihnen sogar ein strukturkonservativer Zug
inne, insofern Gestaltungsspielräume der regionalen Politik überwiegend im Bereich
des Montankerns und hier insbesondere der Steinkohlenwirtschaft entstanden.
14 Völlig anders hatte sich die Situation dagegen noch wenige Jahre vorher, nämlich beim Auftakt der
diplomatischen Versuche zur Lösung der Saarfrage zwischen der neugegründeten Bundesrepublik und
Frankreich dargestellt. „Selbst geringfügige Pendelausschläge an diesem neuralgischen Punkt strahlten ...
wie in einem System konzentrischer Kreise von der Saar auf die bilateralen deutsch-französischen
Beziehungen und von da aus auf die multilateralen Ebenen der westeuropäischen Integrations- wie der
transatlantischen Allianzpolitik aus.“, Thoss, Saarfrage, S. 225.
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