VERÖFFENTLICHUNGEN DER
KOMMISSION FÜR SAARLÄNDISCHE LANDESGESCHICHTE
UND VOLKSFORSCHUNG
Hans-Christian Herrmann
Sozialer Besitzstand
und gescheiterte
Sozialpartnerschaft.
Sozialpolitik
und Gewerkschaften
im Saarland
1945 bis 1955
KOMMISSIONSVERLAG:
SAARBRÜCKER DRUCKEREI UND VERLAG GMBH
SAARBRÜCKEN 1996
HANS-CHRISTIAN HERRMANN
SOZIALPOLITIK UND GEWERKSCHAFTEN
IM SAARLAND 1945 bis 1955
Veröffentlichungen
der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
28
Hans-Christian Herrmann
Sozialer Besitzstand
und gescheiterte Sozialpartnerschaft.
Sozialpolitik und Gewerkschaften
im Saarland
1945 bis 1955.
Saarbrücken 1996
Kommissionsverlag: Saarbrücker Druckerei und Verlag GmbH, Saarbrücken
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Herrmann, Hans-Christian:
Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft: Sozialpolitik und
Gewerkschaften im Saarland 1945 bis 1955 / Hans-Christian Herrmann. -
Saarbrücken: Saarbrücker Dr. und Verl., 1996
(Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung; 28)
ISBN 3-930843-05-6
NE: Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung:
Veröffentlichungen der Kommission ...
© 1996 by Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung eV,
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ISBN 3-930843-05-6
ISSN 0454-2533
VORWORT
Die vorliegende Untersuchung enstand auf Anregung von Professor Dr. Rainer
Hudemann im Rahmen des von der Volkswagen-Stiftung finanzierten
Forschungsprojektes “Politik, Wirtschaft und Gesellschaft an der Saar 1945-1955". Sie
wurde im Sommersemester 1995 als Dissertation an der Universität des Saarlandes
angenommen. Ohne die großzügige Unterstützung der Volkswagen-Stiftung wäre die
vorliegende Studie, die zahlreiche Archivreisen erforderte, nicht möglich gewesen,
dafür danke ich sehr. Eine erhebliche Erleichterung bedeutete auch die vom Landtag
des Saarlandes finanziell ermöglichte Mikroverfilmung der Saarbetreffe im Archiv des
französischen Außenministeriums in Paris und Nantes durch eine Equipe unter Leitung
von Professor Dr. Rainer Hudemann.
Meinem akademischen Lehrer Professor Dr. Rainer Hudemann und meinem Kollegen
im Forschungsprojekt Dr. habil. Armin Heinen bin ich zu außerordentlichem Dank
verpflichtet. Zu danken habe ich auch Dr. habil. Paul Thomes, der als zweiter
Berichterstatter bei dem Promotionsverfahren mitwirkte.
Mein Dank gilt auch den zahlreichen Archivaren deutscher und französischer Archive,
die im Anhang aufgeführt sind.
Für geduldiges Zuhören und wertvolle Anregungen, für Ermutigung und praktische
Hilfe im Umgang mit informationstechnischen Problemen danke ich meinen
Studienkollegen und -kolleginnen Dr. Dietmar Hüser, Judith Hüser, Katja Müller,
Hanne Tischleder, Annette Maas und insbesondere Anne und Marcus Hahn, die mir bei
der Vorbereitung zur Drucklegung eine entscheidende Stütze waren, ihnen sei
nochmals ausdrücklich gedankt.
Der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung danke ich
für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe ihrer Veröffentlichungen.
Der Druck wurde möglich durch die freundliche Unterstützung des Saarländischen
Landtages und der Arbeitskammer des Saarlandes im Rahmen ihrer Kooperation mit
der Universität. Für einen weiteren Zuschuß danke ich der Universität des Saarlandes.
Marburg/Lahn im Frühjahr 1996
Hans-Christian Herrmann
5
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT S. 5
INHALTSVERZEICHNIS S. 7
EINLEITUNG S. 13
I. SOZIALVERSICHERUNGSREFORM ZWISCHEN
NEUORDNUNG UND TRADITIONSKONFITKTEN S. 27
1. Internationale Sozialversicherungsdiskussion ab 1941 S. 27
2. Organisation und Verwaltungsstruktur der
Sozialversicherung im Saarland bis zur Sozialver-
sicherungsreform 1947 S. 28
3. Ausgangssituation in der Sozialversicherung nach 1945 S. 32
3.1 Finanzielle Probleme S. 32
3.2 Organisationschaos S. 33
3.3 Abschied von der Alterspyramide S. 34
4. Die Neugestaltung der Sozialversicherung S. 36
4.1 Saarländische Reformansätze S. 37
4.2 Französische Reformplanungen S. 42
4.3 Reform zwischen Neuordnung und Tradition S. 47
4.4 Das Streben nach gesellschaftlicher Akzeptanz S. 59
5. Kontroversen um die Reform S. 66
5.1 Protest der Ärzte S. 66
5.2 Widerstände des christlichen Lagers S. 79
6. Ergebnisse im Vergleich zur Französischen Besatzungszone S. 87
II. SOZIALPOLITISCHE ENTWICKLUNG IM KONFLIKTFELD
ZWISCHEN TRADITION UND ANPASSUNG S. 95
1. Synthese divergierender sozialpolitischer Traditionen
bei Arbeitslosenversicherung und Familienzulagen S. 95
1.1 Divergenz sozialpolitischer Probleme und
Schwerpunktbildungen S. 96
1.1.1 Französische Familienpolitik S. 96
1.1.2 Familienpolitik in Deutschland bis 1945 S. 98
1.2 Familienzulagen im Saarland als Ergebnis einer Teilassimilation S. 100
1.3 Arbeitslosigkeit als späte Herausforderung der französischen
Sozialpolitik S. 105
7
1.4 Der Weg zur deutschen Arbeitslosenversicherung S. 107
1.5 Wiedereinführung und Ausbau der Arbeitslosenversicherung
im Schatten der deutschen Sozialversicherungstradition S. 109
2. Verzahnung saarländischer Reformpolitik mit den Intentionen
des Wirtschaftspartners S. 113
2.1 Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht S. 113
2.2 Egalitätspolitik in der RentenVersicherung S. 116
2.2.1 Historischer Rückblick S. 116
2.2.2 Saarländische Rentenreform S. 120
2.3 Staatliche Sozialrentnerhilfe als Instrument gegen Rentnerarmut S. 127
3. Interferenzen und Partikularismus S. 129
3.1 Feiertagsregelung S. 130
3.2 Das Finanzierungsmodell der Sozialversicherung S. 132
3.3 Der Plafond S. 138
3.4 Der Stellenwert des Beitragsprinzips in der Rentenversicherung S. 145
4. Sozialpolitische Emanzipation vom französischen Wirtschafts-
partner S. 148
4.1 Kreativer Umgang mit der deutschen Sozialversicherungs-
tradition S. 149
4.2 Saarländische Emanzipationstendenzen S. 153
5. Ergebnisse S. 159
m. DIE POLITISCHE FUNKTION DER SOZIALPOLITIK S. 162
1. Expansion der Sozialpolitik als generelles Entwicklungsmoment S. 162
2, Instrumentalisierung der Sozialpolitik S. 163
IV. 'SOZIALER BESITZSTAND’ UND ’ROSINENTHEORIE':
LEISTUNGSVERGLEICH SAARLAND-BUNDESREPUBLIK S. 174
1. Feiertagsregelung S. 174
2. Familienpolitik S. 179
2.1 Startvorteile für die saarländische Familienpolitik nach 1945 S. 179
2.2 Gesellschafts-und bevölkerungspolitische Auswirkungen S. 187
2.3 Familienpolitischer Leistungs-und Entwicklungsvorsprung S. 191
2.4 Das Scheitern der ’Rosinentheorie' oder erfolglose
Interferenzen und Interaktionen zwischen saarländischer
und bundesrepublikanischer Sozialpolitik S. 196
3. Kriegsopferversorgung im Saarland S. 214
3.1 Kriegsopferversorgung als gesellschaftspolitische
Herausforderung nach 1945 S. 214
8
3.2 Vom Dualismus zur Vereinheitlichung der Versorgungs-
gesetzgebung an der Saar S. 216
3.3 Wirksame Interessenvertretung der Kriegsopfer S. 225
3.4 Politische Instrumentalisierung der Kriegsopferversorgung S. 229
3.5 Vergleich zwischen saarländischer und deutscher
Kriegsopferversorgung S. 234
4. Aspekte der Wiedergutmachung im Saarland S. 243
4.1 Psychologische Voraussetzungen zur Wiedergutmachung S. 244
4.2 Entwicklung der Wiedergutmachung im Saarland S. 245
4.3 Hindernisse für eine weiterreichende Wiedergutmachung S. 252
4.4 Politische Kontroverse zwischen den Koalitionsparteien S. 259
4.5 Saarländische Wiedergutmachung im Vergleich S. 264
4.5.1 Leistungsvergleich S. 264
4.5.2 Saarländische Wiedergutmachung unter Dominanz der
Innenpolitik S. 266
4.5.3 Außenpolitik und Wiedergutmachung S. 276
5. Resümee S. 278
V. ENTWICKLUNG UND STRUKTUREN DER
GEWERKSCHAFTEN (1945-1955) S. 283
1. Politisierung und nationale Emotionalisierung S. 283
2. Die Anfänge des gewerkschaftlichen Wiederaufbaues S. 285
3. Die Bildung einer kommunistischen Basis in den Gewerkschaften S. 291
4. Die Zulassung christlicher Gewerkschaften als Ergebnis
einer Interaktion parteipolitischer Interessenbildung S. 298
4.1 Französische Gewerkschaftslobby und Besatzungspolitik S. 298
4.2 Divergenzen auf allen französischen Ebenen S. 301
4.3 Die Gründung christlicher Gewerkschaften
unter innenpoliüschen Aspekten S. 305
4.4 Reaküonen auf die Gründung christlicher Gewerkschaften S. 311
5. Kommunisten auf Gewerkschafts- und Betriebsratsebene im Vergleich
mit deutschen Ländern nach Konvergenz- und Divergenz-
gesichtspunkten S. 315
5.1 Betriebsparteigruppen und Betriebsratsarbeit S. 315
5.2 Stabilisierung der KP als saarländische Sonderentwicklung S. 323
5.3 Auswirkungen der KP-Betriebsarbeit auf das Wahlverhalten S. 333
6. Die Bedeutung der Vitus-Heller-Bewegung für die
saarländischen Gewerkschaften zwischen 1945 und 1955 S. 336
7. Ergebnisse S. 340
9
VI. DIE GENESE DER GEWERKSCHAFTLICHEN
OPPOSITION S. 342
1. Verpachtungskontroverse als erster großer Politisierungsschub S. 343
2. Nationale Überformung soziostruktureller Divergenzen S. 346
2.1 Die Neugestaltung der Technischen Direktion S. 346
2.2 Gedingekontrolle und Personalpolitik S. 347
2.3 Angleichung an die lothringischen Löhne S. 353
3. Tarifvertragskontroverse als gewerkschaftliche Legitimitätsfrage S. 355
3.1 Historisch gewachsene Unterschiede S. 355
3.2 Assimilierung des Saarlandes an französische Strukturen S. 358
3.3 Französische Assimilierungsforderung gegen
saarländischen Emanzipationsanspruch S. 365
4. Die Instrumentalisierung der Gewerkschaften von außen S. 370
4.1 Die Strategie des Saarreferates im Auswärtigen Amt S. 370
4.2 Phantom oder Fakt: Die Zusammenarbeit in der
Saarfrage zwischen KPD/SED und westdeutschen
Industriellen und die Neubewertung des Remer-Telegramms S. 379
5. Die Rolle der DSP für die Koordinierung und Dynamisierung
der gewerkschaftlichen Opposition S. 388
5.1 Die Entwicklung der oppositionellen Sozialdemokratie S. 388
5.2 Koordinierung und Vernetzung der Opposition S. 401
6. Zur Saarpolitik des Deutschen Gewerkschaftsbundes S. 407
6.1 Das Ende der Zuschauerrolle S. 407
6.2 Dynamisierung der Saarpolitik des DGB durch
Gewerkschaftsrepression S. 407
6.3 Politische Neutralität aus Sorge um den Gewerkschaftsgedanken S. 411
6.4 Die Sonderrolle regionaler Gewerkschaftseliten S. 413
7. Christliche Gewerkschaften und Opposition S. 415
7.1 Primat der parteipolitischen vor der gewerkschaftlichen
Opposition S. 415
7.2 Gegensätzliche Oppositionsstrategien S. 416
7.3 Die Verbindungen nach Bonn S. 418
7.4 Konkurrenz zwischen DGB und christlichen Gewerkschaften S. 420
8. Ergebnisse S. 423
VII. BETRIEBLICHE MITBESTIMMUNG S. 427
1. Die betriebliche Mitbestimmung in der
französischen Besatzungspolitik S. 428
1.1 Frankreich und die Mitbestimmungsfrage im Kontrollrat S. 428
1.2 Die Betriebsrätegesetzgebung in der französischen Zone S. 430
10
1.3 Die saarländische Betriebsräteverordnung S. 431
1.4 Kritik der "Patrons" an der Betriebsräteverordnung S. 435
2. Das Ringen um den Ausbau der Mitbestimmung S. 438
2.1 Fortschrittliche Mitbestimmung zur Schärfung
sozialdemokratischen Profils S. 438
2.2 Kurswechsel und Widerstand des Hohen
Kommissariates in der Mitbestimmungsfrage S. 441
2.3 Differenzen auf der französischen Entscheidungsebene S. 444
3. Sozial- und mentalitätsgeschichtliche Divergenzen
und ihre Auswirkungen auf die Mitbestimmungsdiskussion S. 445
3.1 Sprache als Indikator gesellschaftlicher Divergenzen S. 446
3.2 Traditionelle Divergenzen in Verständnis und Ausübung
unternehmerischer Herrschaft S. 446
3.3 Das Hohe Kommissariat und die Mitbestimmung als
Spiegel divergierender Mentalitäten und Soziostrukturen S. 449
3.4 Die gesellschaftliche Rolle der französischen Gewerkschaften S. 450
4. Tradition gegen historischen Reflex: Mitbestimmung
in Deutschland und Frankreich S. 451
4.1 Das Entstehen einer Tradition S. 452
4.2 Mitbestimmung als historischer Reflex ohne stabilen
gesellschaftlichen Konsens S. 459
5. Französische "Crise Sociale" als Folie für die
Interpretation saarländischer Entwicklungen - ein Beispiel
für die blockierende Wirkung von Interaktionen S. 462
5.1 Der Kurswechsel von P.C.F. und C.G.T. S. 463
5.2 Die Patrons und die Mitbestimmung - zwischen
Distanz und Ablehnung S. 465
5.3 Die Distanz der Arbeitnehmer S. 467
5.4 Lang andauernde bürgerkriegsähnliche Streikwellen S. 468
5.5 Die Auswirkungen der "Crise Sociale" auf die
französische Sichtweise saarländischer Entwicklungen S. 470
6. Die Mitbestimmungsfrage in der saarländischen Diskussion S. 473
6.1 Nationale Agitation S. 473
6.2 Differenzen im Lager der CVP S. 476
7. Die Funktion der Arbeitskammer S.481
7.1 Arbeitskammer und gewerkschaftliche Qualifizierung S.481
7.2 Arbeitskammer und Mitbestimmung S. 483
7.3 Die Arbeitskammer als Instrument einer kontrollierten
Arbeitnehmervertretung S. 484
11
Vin. ERGEBNISSE S. 488
BIOGRAPHISCHER ANHANG S. 496
QUELLEN UND DARSTELLUNGEN S. 530
I. Archive S. 530
n. Interviews und persönliche Mitteilungen S. 534
EQ. Zeitschriften und Amtsblätter S. 534
IV.Gedruckte Quellen und Darstellungen: Monographien und Aufsätze S. 535
ABKÜRZUNGEN S. 570
PERSONENREGISTER S. 573
12
EINLEITUNG
Reizthema und Tabu
Für die Saarländerinnen und Saarländer, die den 23. Oktober 1955 - die Abstimmung
über das Saar-Statut - erlebt haben, stellt dieser Tag ein Schlüsselerlebnis in ihrer
Biographie dar. Die Frage Ja oder Nein zum Statut1 wurde zur Gretchenfrage und
spaltete das dichtbesiedelte Land in die Gruppe der “Ja”- und der “Neinsager” auf. Ein
Riß ging durch Familien, Freundschaften brachen auseinander. Nach dem Nein zum
Saar-Statut und dem Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik in zwei Stufen 1957
und 1959 wurden "alte Rechnungen" zwischen ehemaligen Autonomisten und Anhän-
gern der pro-deutschen Richtung beglichen. Die Emotionalisierung und Polarisierung
dieser Jahre spiegelt sich auch in der Quellensituation wider, auf die noch genauer
einzugehen ist. Sowohl bei den autonomistischen als auch bei den pro-deutschen
Parteien, aber auch bei Verbänden und Interessenvertretungen war Verbrennen, Ver-
nichten und Verstecken von Akten angesagt. Nach der Fusion der sozialdemokrati-
schen und christlichen Parteien verlangte die Parteidisziplin eine gegenwarts- und
zukunftsorientierte sachliche Zusammenarbeit. Persönliche Animositäten zwischen
ehemaligen "Ja- und Neinsagern" wurden nicht artikuliert und nur langsam abgebaut.
In diesem Klima konnte eine historische Bewältigung nicht gedeihen.
1995, vierzig Jahre danach, ist im Gespräch mit Zeitzeugen die alte Spannung immer
noch erfahrbar. Bis heute sind nicht alle Wunden verheilt. Die saarländische Öffent-
lichkeit wie die politische Spitze beschränkten sich in den Gedenkjahren 1960, 1965,
1970 etc. auf eine aus politischem Kalkül behutsam formulierte deskriptive Rückschau.
In den Ortschroniken und Jubiläumsschriften wird die Hoffmann-Zeit meist nur
gestreift, besonders gescheut werden Personenangaben.2 Die Angst, alte Wunden und
Gräben aufzureißen, sich unbeliebt zu machen, war lange Zeit verbreitet. Die Genera-
tion der jüngeren Politiker, die wegen ihres Lebensalters noch nicht Akteure auf der
poliüschen Bühne des ersten Nachkriegsjahrzehntes sein konnte, zeigte ein geändertes,
unbefangeneres Verhalten. Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD) machte keinen
Hehl daraus, daß in der Saarbrücker Staatskanzlei in der Porträtgalerie der Ministerprä-
1 Das Saar-Statut sah vor, daß das Saarland einen europäischen Status erhalten sollte. Darüber sollte die
saarländische Bevölkerung in einem Referendum abstimmen. Im Wahlkampf wurde das Ja oder Nein zum
Statut zum Ja oder Nein zu Deutschland umgedeutet. Siehe z.B. : Hans-Walter Herr mann und Georg
Wilhelm S a n t e, Geschichte des Saarlandes, Würzburg 1972, S.51 f. Judith H ü s e r, Frankreich und die
Saarabstimmung vom 23. Oktober 1955. Innen- und außenpolitische Problemstellungen zur Lösung der
Saarfrage, in: Rainer Hudemann und Raymond P o i d e v i n (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem
der europäischen Geschichte, München 1992, S.359-380.
2
Hans-Walter Herrmann, Literatur zur frühen Nachkriegsgeschichte des Saarlandes 1945-1957, in:
Revue d'Allemagne XVIII/1986, S.123.
13
sidenten auch Johannes Hoffmann hing.3 Ein Jahr später setzte er diesen Kurs mit der
Verleihung des saarländischen Verdienstordens an Richard Kirn, den streitbaren
Sozialdemokraten und SPS-Vorsitzenden sowie langjährigen Minister für Arbeit und
Wohlfahrt der Ära Hoffmann, fort. Unter Lafontaine wurde vierzig Jahre nach dem
Referendum erstmals im Rahmen eines Staatsaktes des 23. Oktober 1955 gedacht.
Auch der Stadtverband Saarbrücken setzte ein Zeichen, als das Regionalgeschichtliche
Museum am 22. Oktober 1989 seine neue Abteilung ‘Von der ‘Stunde 0' zum ’Tag X’
öffnete.
Im Sommer 1990 diskutierten in einem Kolloquium ehemalige Autonomisten, Expo-
nenten der französischen Saarpolitik und Vertreter der prodeutschen Richtung mit
Historikern über die Geschichte des Saarlandes zwischen 1945 und 1955. Rainer
Hudemann, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität des
Saarlandes, wies als Organisator daraufhin, daß bislang die "für das Saarland bedeut-
same und charakteristische Sozialpolitik" wie auch der Gewerkschaftsaufbau noch kein
hinreichendes Forschungsinteresse gefunden hätten. Diese Forschungslücke erstaunt
um so mehr, wenn man bedenkt, welch hoher Stellenwert der Sozialpolitik von den
Vertretern des wirtschaftlichen Anschlusses und auch ihren Gegnern beigemessen
wurde und wie oft der Rückhalt der Regierung Hoffmann in der Bevölkerung Ende der
vierziger und Anfang der fünfziger Jahre gerade mit ihren Sozialleistungen erklärt
wurde.4
Forschungssituation5
Unmittelbar nach der Ablehnung des Saar-Statuts am 23. Oktober 1955 hatte dieser
Abschnitt der saarländischen Geschichte zunächst erhöhtes wissenschaftliches und
publizistisches Interesse gefunden. Im Jahre 1958 gaben Klaus Altmeyer, Jakob
Szliska, Werner Veauthier und Peter Weiant, alle aktive Verfechter einer Ablehnung
des Saar-Statuts, den Sammelband "Das Saarland. Ein Beitrag zur Entwicklung des
jüngsten Bundeslandes in Politik, Kultur und Wirtschaft" heraus, der trotz der im
Vorwort angestrebten "sachlichen von jeder bewußten Polemik freien Betrachtungs-
Peter Scholl-Latourirrtbei seiner Behauptung, Lafontaine habe Hoffmanns Bild in die
Podrätgalerie einreihen lassen, dies ging bereits auf Lafontaines Vorgänger Werner Zeyer (CDU) zurück,
siehe ders., Leben mit Frankreich. Stationen eines halben Jahrhunderts. München 1988, S.476.
4 Siehe Einleitung und Diskussionsbeitrag von Rainer Hudemann, in: Ders. und Raymond Poidevin
(Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.9, 430.
Auf einen umfassenden Forschungsüberblick soll hier verzichtet werden. Siehe dazu: Armin H e i n e n
, Probleme regionaler Gegenwartsgegeschichte am Beispiel des Saarlandes nach dem Zweiten Weltkrieg,
in: Alfred Wahl (Hrsg.), L'histoire moderne et contemporaine en Sarre-Lorraine-Luxembourg, Metz 1990,
S.194-196. Herrmann, Literatur zur frühen Nachkriegsgeschichte. Zu ergänzen durch: Fritz J a c o b y,
Saarland, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 127/1991, S.555-609.
14
weise" die vorausgegangenen harten Auseinandersetzungen durchschimmern und die
parteilich geprägte Voreingenommenheit erkennen läßt.6
Die außerordentlich materialreiche dreibändige "Saarpolitik" von Robert Heinz
Schmidt7 läßt die Tendenzen einer ihrer hauptsächlichen Quellen erkennen, nämlich
des sogenannten "Schneider-Becker-Archivs", einer sehr großen Sammlung von grauer
Literatur, Zeitungsausschnitten, amtlichen Drucksachen, Berichten von Vertrauens-
leuten und teilweise illegal erworbener amüicher Schriftstücke, die von den beiden
DPS-Führem Richard Becker und Heinrich Schneider als Instrument und Dokumenta-
tion ihres Kampfes gegen die Regierung Hoffmann aufgebaut worden war und 1960
vom Landesarchiv Saarbrücken erworben wurde. Sie wird ergänzt durch den 1973 und
1974 hinzugekommenen Nachlaß Heinrich Schneider.
Walter R. Craddock, Per Fischer, und Jacques Freymond interessiert die Saarfrage vom
supranationalen Blickpunkt aus. Sie thematisieren die Geschichte des Saarlandes
zwischen 1945 und 1955 dabei vorrangig, um die deutsch-französischen Beziehungen
zu erforschen, die durch die Saarfrage belastet wurden.8
Den Autoren dieser frühen Arbeiten waren kaum Akten saarländischer, deutscher und
französischer Behörden zugänglich. Dies blieb auch in der folgenden Zeit so. Erst in
den 1970er Jahren gewährte Ministerpräsident Dr. Franz Josef Röder Heinrich Schnei-
der eine beschränkte Einsicht in Akten des ehemaligen Amtes für Auswärtige und
Europäische Angelegenheiten. Dabei konnte Schneider entdecken, daß das Saar-Statut
entgegen der bisherigen Annahme "nicht rasch entworfen worden war"9, sondern erste
Überlegungen bis ins Frühjahr 1952 zurückreichten.10
6 Klaus А 1 t m e у e г u.a. (Hrsg.), Das Saarland, Saarbrücken 1958, S.8-9 (Vorwort der Herausgeber).
Altmeyer war in der illegalen CDU aktiv, u.a. im Generalsekretariat und bei den Neuesten Nachrichten,
Peter Weiant war bei der Industrie- und Handelskammer, Werner Veauthier in der CDU-Saar.
7
Robert H. S c h m i d t, Saarpolitik, 3 Bde., Berlin 1959-1962. Seine Studie wurde durch das Ministerium
für gesamtdeutsche Fragen gefördert. Dazu: Bundesarchiv Koblenz (BA KO), Nachlaß Jakob Kaiser/ NL
18, Nr.194, Bl.4-6, 10, 100, u.a. Ministerialrat Dr. Knoop an Karl Brammer vom 3.12.59.
8
Walter R. Craddock, The Saar-Problem in Franco-German relations, 1945-1957, Diss. Ann Arbor
1965. Per Fischer, Die Saar zwischen Deutschland und Frankreich. Politische Entwicklung von
1945-1959, Frankfurt a.M, 1959. Jacques Freymond, Die Saar 1945-1955, München 1961. An neueren
Arbeiten dazu sollen hier einige wichtige genannt werden. Zum Thema einer Annexion der Saar durch
Frankreich, siehe: Rainer Hudemann, Die Saar zwischen Deutschland und Frankreich 1945-1947, in:
Ders. und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte,
München 1992, S.23 f.
9
Herrmann und S a n t e, Geschichte des Saarlandes, S.51.
10 Heinrich Schneider, Das Wunder an der Saar. Ein Erfolg politischer Gemeinsamkeit, München
1974, S. 184-253.
15
Eine Zäsur innerhalb der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte
des Saarlandes zur Hoffmann-Zeit markiert die 1984 erschienene Studie von Heinrich
Küppers zur Bildungspolitik.11 Er konnte als erster in größerem Umfang einschlägige
Akten des Landesarchivs Saarbrücken verarbeiten. Die sich darin abzeichnende Libera-
lisierung der Zugänglichkeitspolitik wurde unter Ministerpräsident Werner Zeyer
(CDU), der wohl ein Aufreißen alter Gräben fürchtete, wieder gestoppt.12
Nach dem Regierungswechsel 1985 brachte die 1986 erlassene reformierte Benutzer-
ordnung eine gleitende Sperrfrist von 30 Jahren und damit auch die Freigabe der
Sachakten aus der Hoffmann-Zeit. Rainer Möhler konnte mit seiner Arbeit über die
Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland13 als erster davon profitieren und
gleichzeitig auch französische Akten einsehen, die ebenfalls zugänglich wurden.
Eine von Rainer Hudemann geleitete Arbeitsgruppe konnte die Saarbetreffe der Akten
des französischen Außenministeriums mit finanzieller Unterstützung des saarlän-
dischen Landtages ermitteln und verfilmen.14 Erste Arbeitsergebnisse flössen in einen
Sammelband, der eine breite Palette von innen- und außenpolitischen Aspekten zur
Geschichte der Saar zwischen 1945 und 1955 und die Ergebnisse des eingangs er-
wähnten Landtagskolloquiums abdeckte.15 Die erste auf breiter Quellenbasis französi-
scher und deutscher Archive basierende Gesamtdarstellung zur Saargeschichte zwi-
schen 1945 und 1955 stellt die Habilitationsschrift von Armin Heinen dar.16
Die Verbesserung der Quellenlage bildet die Voraussetzung dafür, auch die saarlän-
dische Sozialpolitik in der frühen Nachkriegszeit auf breiter Quellenbasis untersuchen
zu können. Die vorliegende Studie “Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozial-
partnerschaft. Sozialpolitik und Gewerkschaften im Saarland 1945-1955” versucht
erstmals die Sozialpolitik der Ära Hoffmann ausführlich zu untersuchen. Dabei stellt
sich die Frage, was unter dem Begriff Sozialpolitik subsumiert wird.17 Leitlinien für die
11 Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, Saarbrücken 1984.
12
Mündliche Auskunft des Leiters des Landesarchivs Saarbrücken Herrn Prof. Dr. Hans-Walter Herr mann.
13
Rainer Möhler, Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung
von 1945 bis 1952, Mainz 1992.
14
SieheHeine n, Probleme regionaler Gegenwartsgeschichte, S.194-196. Siehe dazu insbesondere auch
Rainer Hudemann, Deutsche Geschichte in französischen Archiven. Nachkriegsakten in Colmar und
Paris - Archivgut zur neueren Geschichte in Nantes, in: Der Archivar 42/1989, S.475-488.
15 Hudemann und P o i d e v i n ( Hrsg.), Die Saar 1945-1955.
16 Armin Heinen, Saarjahre, Politik und Wirtschaft im Saarland 1945-1955, 2 Bde., Habilitationsschrift
Universität Saarbrücken 1994.
Vgl. dazu: Hans Günter Hockerts, Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Hans Pohl
(Hrsg.), Staatliche, städtische, betrieblidie und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur Gegenwart,
Stuttgart 1991, S.270. Rainer Hudemann, Kriegsopferpolitik nach den beiden Weltkriegen, in: Ebd.,
S.270.
16
einzelnen Aspekte saarländischer Sozialpolitik waren einerseits die grundlegenden
Untersuchungen zur Sozialpolitik in den Besatzungszonen wie auch zur Bundesre-
publik Deutschland der frühen fünfziger Jahre18 und andererseits auch der sogenannte
soziale Besitzstand der Hoffmann-Zeit, um den die Saarländer nach dem Beitritt zur
Bundesrepublik kämpften, dazu gehörten die Familienzulagen und die Kriegsopfer-
versorgung. Darüberhinaus wurde die Themenauswahl auch von der Quellensituation
bestimmt, auf die noch ausführlich eingegangen wird. So umfaßt die Untersuchung der
Sozialpolitik einerseits die Frage nach der Struktur und dem Standard sozialer Lei-
stungssysteme wie auch Fragen zur Neuordnung der Sozialversicherung und die
Rentenpolitik, die Feiertagsregelung und die Bewältigung besonderer gesellschaftlicher
Probleme wie die Kriegsopferversorgung und die Wiedergutmachung. Andererseits
geht es aber auch um die Frage der Sozialpartnerschaft, um die Stellung der Gewerk-
schaften innerhalb der Gesellschaft und die Machtverteilung zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern, themaüsiert am Tarifvertragsgesetz und der Mitbestimmung.
Sozialpolitik in der kollektiven Erinnerung
In der kollektiven Erinnerung an die Hoffmann-Zeit dominiert nicht nur der Slogan der
Autonomiegegner "Der Dicke muß weg", sondern auch der Begriff des "sozialen
Besitzstandes" und der "Speckfranzosen". Mit letzterem brachten die Bewohner der
westlichen Besatzungszonen, ein wenig von Neid über den früher einsetzenden wirt-
schaftlichen Aufschwung und die Verbesserung der Ernährungssituation an der Saar
beeinflußt, die günstige Entwicklung der Lebensbedingungen auf den Punkt.
Die Sozialpolitik spielt in der kollektiven Erinnerung der Saarländer an die Hoff-
mann-Zeit insofern eine besondere Rolle, als Gegner wie Anhänger der Saarautonomie
übereinstimmend das hohe soziale Niveau dieser Zeit betonen, wie etwa der KP-Mann
Luitwin Bies, der für das Saarland eine "beachtliche soziale Versorgung" konzedierte19
oder Heinz Grandmontagne als Anhänger des Autonomiekonzeptes, der geradezu
verklärend von den "sozialen Errungenschaften"20 dieser Zeit spricht. Diese subjektiven
Einschätzungen werden ja auch durch die heißen Diskussionen beim Beitritt des
Saarlandes zur Bundesrepublik zwischen 1957 und 1959 durch das Ringen um den
"sozialen Besitzstand" bestätigt. Noch im November 1959 artikulierten streikende
saarländische Arbeiter ihren Unmut mit Transparenten:"Im Saarland herrscht soziale
18 Hans Günter Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und
deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957, Stuttgart 1980. Hud emann, Sozialpolitik.
19
Diskussionsbeitrag von Luitwin Bies, in: Hudemann und Poidevin (Hrsg.), Die Saar 1945-1955, S.319.
Dr. Bies war Mitglied des Vorstandes der saarländischen KP von 1951 bis zu ihrem Verbot 1957.
20
Diskussionsbeitrag von Heinz Grandmontagne, in: Ebd., S.315. Heinz Grandmontagne war
Mitglied der SPS und ist Gründer und Direktor der Saarmesse GmbH.
17
Not. Die Bonner nehmen uns das Brot".21 Wegen des Verlustes des "sozialen Besitz-
standes" liefen Heinrich Schneiders DPS bei den Landtagswahlen im Sommer 1959
scharenweise die Wähler davon.22 Kollektive Erinnerung ist immer zwischen Mythos,
Fiktion und Realität angesiedelt. Ihr ist genuin, daß Menschen dazu neigen, sich an das
zu erinnern, woran sie sich erinnern wollen.23 Das Eingeständnis, auch ehemalig pro-
deutsch wirkender Kräfte, von großzügigen Sozialleistungen zur Hoffmann-Zeit erklärt
sich möglicherweise daraus, daß auf diese Weise die nationale Verbundenheit mit
Deutschland, das Gefühl der Treue zum Vaterland, in seiner Uneigennützigkeit unter-
mauert, vielleicht sogar überhöht werden sollte.
Kollektive Erinnerungen halten einer wissenschaftlichen Analyse nicht immer Stand
und verzerren die Realität, wie die Erinnerung an die französische Besatzungszone
zeigt. Im Rückblick dominieren Ausbeutung und Hunger. Wissenschaftliche Untersu-
chungen auf breiter Quellenbasis zeigen aber auch eine andere Seite der "Franzo-
sen-Zeit", nämlich eine in sozialpolitischen Fragen ausgesprochen fortschrittliche
Besatzungspolitik.24
Die vorliegende Arbeit möchte nicht nur die Sozialpolitik der Ära Hoffmann in ihrer
Breite erfassen und auch deskriptiv analysieren, was zwingend notwendig ist, da noch
keine Einzelstudie vorliegt, sondern sie möchte auch globalere politische Zusammen-
hänge aufzeigen. Die Untersuchung eines bestimmten Politikbereichs der Hoff-
mann-Zeit ermöglicht es zu prüfen, wo das Zentrum der politischen Entscheidungs-
findung lag. Wer gestaltete die Sozialpolitik bzw. wer waren ihre Entscheidungsträger?
Gab es in der Sozialpolitik eine politische Selbständigkeit des Saarlandes? Diese
Fragestellung erfordert eine Differenzierung und anschließende Gewichtung der
Entscheidungsebenen. Sie setzt sich mit bestimmten Vorstellungen der kollektiven
Erinnerung auseinander, wie Hoffmann und Kirn seien "Marionetten Grandvals"
gewesen, die in anderer Form auch in der Wissenschaft sich in Schlagwörtern wie
Grandval als "Frankreichs Prokonsul an der Saar" oder Hoffmann als "Protektorats-
Transparente auf einer Kundgebung der Gewerkschaft Öffentliche Dienste Transport und Verkehr am
4.11.59. Siehe: Hans-Walter Herrmann, Wirtschaftliche und soziale Entwicklung 1918-1959, in: Das
Saarland. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung, hrsg. von der Landeszentrale für politische
Bildung, Saarbrücken 1991, S.81.
22 Schneider, Das Wunder, S.520.
23
Alexander und Margarethe Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven
Verhaltens, München 1967, S.65 f.
24
Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung
1945-1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik,
Mainz 1988. Alain L a 11 a r d, Gewerkschaften und Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz 1945-1949, Mainz
1988. Edgar Wolfrum, Französische Besatzungspolitik und deutsche Sozialdemokratie. Politische
Neuansätze in der "vergessenen Zone" bis zur Bildung des Südweststaates 1945-1952, Düsseldorf 1991.
18
chef" widerspiegeln.25 Eine Analyse der saarländischen Sozialpolitik muß auch die
Frage nach ihrem Stellenwert im politischen Koordinatensystem beantworten. Ange-
sichts der besonderen politischen Situation ist zu prüfen, ob sie in der Ära Hoffmann
eine spezielle Funktion hatte. Wurde sie instrumentalisiert, um eine von Deutschland
abgetrennte Saar zu stabilisieren? Wie wurde die saarländische Sozialpolitik an der
Saar, in Frankreich und in der jungen Bundesrepublik aufgenommen? Welche Rolle
spielten die saarländischen Gewerkschaften? Der Titel der vorliegenden Arbeit "Sozia-
ler Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft" deutet schon eine Wertung an. Er
ist formuliert aufgrund vertiefter Erkenntnisse über die Verflechtungen der oppositio-
nellen Kräfte in den Gewerkschaften mit den pro-deutschen Parteien. Mit Blick auf die
französisch-saarländische Wirtschaftsunion stellt sich die Frage, wie in der politischen
Praxis gewünschte Harmonisierungsprozesse abliefen, welche Konflikte sich aus der
Divergenz sozialer Traditionen und Wünsche im Saarland entwickelten.
Methodische Überlegung
Die Geschichte des Saarlandes ist die Geschichte eines Grenzraumes. Um die Mitte des
16. Jahrhunderts wurde mit dem Nürnberger Vertrag von 1542 das Land an der Saar
Grenzland.26 Die Grenzlanderfahrung bildet ein wesentliches Element der regionalen
Identität des Saarlandes und spiegelt sich in der Gegenwart in einem europäischen
Denken wider, das Richard von Weizäcker im Jahre 1984 bei seinem Antrittsbesuch als
Bundespräsident in Saarbrücken würdigte:" 'Die Saarländer leben uns vor, wie man
gleichzeitig ein guter Saarländer, ein guter Deutscher, ein guter Europäer und ein guter
Nachbar sein kann'",27
Das Leben an der Grenze, gerade auch mit seinen schmerzlichen Erfahrungen von
Spichern, Sedan und Verdun, der deutsch-französische Gegensatz im Zeitalter des
Nationalismus prägen einerseits kollektives Bewußtsein der Menschen, wie anderer-
seits die Entstehung des Saarlandes auch die Ernte jener unheilvollen politischen
Beziehungen gewesen ist. Das Grenzlandschicksal bildet die kulturelle Identität und
kompensiert damit das Fehlen eines historischen Raumes.
25
So Tilman May e r , in: Ders. (Hrsg.), Jakob Kaiser. Gewerkschafter und Patriot. Eine Werkauswahl,
Köln 1988, S.96. Dieter Marc Schneider, Gilbert Grandval. Frankreichs Prokonsul an der Saar,
1945-1955, in: Stefan Martens (Hrsg.), Vom "Erbfeind" zum "Erneuerer" (Francia-Beihefte Bd.27),
Sigmaringen 1993, S.201-244. Schneider, Das Wunder, S.177 und Abb. 61, 62.
26 Hans-Walter Herrmann, Umstrittener Grenzraum Saar, in: Deutschland. Porträt einer Nation, Bd.8,
Gütersloh 1986, S.418.
27
Zitiert nach: Fred Oberhäuser, Das Saarland. Kunst und Kultur im Dreiländereck zwischen Blies,
Saar und Mosel, Köln 1992, S.10.
19
Vordem Hintergrund eines halben Jahrtausends als Grenzraum muß auch die wissen-
schaftliche Auseinandersetzung mit saarländischer Geschichte dem Rechnung tragen.
Unter allen Grenzräumen der Bundesrepublik Deutschland kommt ihm infolge seiner
wechselnden territorialen Zugehörigkeit eine Sonderrolle zu. Das Saarland ist so-
zusagen zu einem"Grenzraum par exellence"geworden.2 * 28
Grenzräume sind auch Vermittlungsräume.2^ Durch die besondere politische Situation
des Saarlandes zwischen 1945 und 1955, durch seine Abtrennung vom ehemaligen
Deutschen Reich und durch die Wirtschaftsunion mit Frankreich wird die Frage nach
der Wirkung des Grenzraumes potenziert. Dabei ist zu überlegen, wie die unterschiedli-
chen nationalen Traditionen die sozialpolitische Entwicklung bestimmt haben.
Im Kontext der Wirtschaftsunion wurde das Saarland zwischen 1945 und 1959 sozial-
politisch zu einem Raum, in dem die sozialpolitischen Traditionen Deutschlands und
Frankreichs in der Wirtschaftsunion aufeinanderstießen. Bleiben im Saarland alte
Strukturen trotz der sozialpoliüschen Harmonisierung im Kontext der Wirtschaftsunion
erhalten?30 Entstand hinsichtlich der sozialpolitischen Entwicklung eine Kontroverse?
Oktroyierte Frankreich seine Sozialpolitik den Saarländern auf, kam es zum Transfer
französischer Modelle im Sinne einer Assimilation oder blieben deutsche Traditionen
im Sinne eines sozialpolitischen Partikularismus erhalten? Für die Phase der Einglie-
derung in die Bundesrepublik stellt sich die Frage, ob sozialpolitische Sonderentwick-
lungen des Saarlandes weiter bestehen blieben oder eine Anpassung an bundesdeutsche
Normen erfolgte.
Die Arbeit versucht, auf diese Fragen eine Antwort zu finden und damit einen Beitrag
zum kulturellen und politischen Verständnis zu leisten.31 Sozialpolitische Phänomene
müssen dabei sowohl nach politischen Aspekten, z.B. im Sinne einer Neuordnungs-
funktion, als auch nach kulturellen Traditionen und Mentalitäten hinterfragt werden.
Dies erfordert eine interkulturelle Sensibiltät, drei Ebenen sind dabei zu differenzieren.
Die saarländische Sozialpolitik muß mit Entwicklungs- und Traditionslinien der
deutschen und französischen Sozialpolitik verglichen werden, um Divergenzen und
2&
Wolfgang Brilcher und Peter Robert Franke, Probleme von Grenzregionen. Das Beispiel Saar-
Lor-Lux-Raum. Beiträge zum Forschungsschwerpunkt der philosophischen Fakultät der Universität des
Saarlandes, Saarbrücken 1987, S.7.
29 r» .
Rainer Hudemann, Grenzüberschreitende Wechselwirkungen in der Urbanisierung - Fragestellungen
und Forschungsprobleme, in: Ders. und Rolf Wittenbrock (Hrsg.), Stadtentwicklung im deutsch-
französisch-luxemburgischen Grenzraum (19. u. 20. Jh.), Saarbrücken 1991, S.17, 20.
Rolf Wittenbrock. Bauordnungen als Instrumente der Stadtplanung im Reichsland
Hlsaß-l.othringen (1870-1918). Aspekte der Urbanisierung im deutsch-französischen Grenzraum, St
Ingbert 1989, S.29, 308-310.
H e i n e n. Probleme regionaler Gegenwartsgeschichte, S. 193, 198.
20
Konvergenzen herauszufiltern. Deshalb wird an einigen Stellen bewußt sehr ausführ-
lich zu den Nachbarn geschaut, in der Familienpolitik etwa oder auch in Fragen der
Sozialverfassung wie der Rolle der Gewerkschaften in der Gesellschaft, des Tarifver-
tragssystems und der betrieblichen Mitbestimmung. Dieser Ansatz ermöglicht es,
sozialpolitische Phänomene nicht nur deskriptiv zu erfassen, sondern sie in ihrem
Werden verstehen zu können. Er erfordert, sich ausführlich mit sozialpolitischen
Traditionen und Entwicklungstendenzen Deutschlands und Frankreichs auseinander-
zusetzen, wobei bis zur Jahrhundertwende zurückgegangen werden muß. Dies erklärt
auch vom Autor beabsichtigte Wiederholungen, um das Lesen einzelner Kapitel ohne
wesentliche Erkenntnisverluste möglich zu machen. Daneben erscheint es ebenso
notwendig, nach Interaktionen zu fragen, um dadurch die Komplexität des politischen
Raumes, die Entscheidungsträger und Entscheidungsebenen zu erfassen. Auf diese
Weise sollen die politischen Spielräume der Regierung Hoffmann aber auch die der
französischen Repräsentanten an der Saar ausgelotet werden. Die neueren Untersu-
chungen zur französischen Zone zeigen deutliche Inkohärenzen und Widersprüche in
der französischen Deutschland- und Besatzungspolitik.32 Die Frage nach Interaktionen
dient auch der Überprüfung, ob es überhaupt eine in sich geschlossene und abge-
stimmte französische Saarpolitik der Pariser Administration gegeben hat. Dies erfordert
die differenzierte Analyse auf drei Ebenen, nämlich der Pariser Ministerien, des Ober-
kommandierenden der französischen Besatzungszone in Baden-Baden und schließlich
des Délégué Supérieur bzw. Hohen Kommissars in Saarbrücken. Eine Untersuchung
von Interaktionen versetzt uns in die Lage, interne Machtstrukturen, Konfrontationen
und Kooperationen zu erkennen und das Gewicht der Entscheidungsträger besser
einzuschätzen sowie zu prüfen, wodurch sie in ihrer Politik beeinflußt worden sind.
Das Suchen nach Interaktionen beinhaltet z.B. auch die Frage, inwieweit die sozial-
politische Entwicklung im Saarland durch innerfranzösische Ereignisse beeinflußt
worden ist.
Zum anderen stellt sich die Frage nach Interaktionen zwischen saarländischer und
bundesrepublikanischer Sozialpolitik. Angesichts des in der kollektiven Erinnerung
dominierenden hohen sozialpolitischen Standards an der Saar ist dies eine wichtige
Fragestellung, die sozusagen als Nebenprodukt der Beschäftigung mit saarländischer
Sozialpolitik, interessante Perspektiven hinsichtlich der bundesrepublikanischen
Diskussion um den Familienlastenausgleich im Kontext der Rückgliederung des
Saarlandes eröffnet.
32 Hudemann, Französische Besatzungspolitik, S.247. Alain L a 11 a r d, Zielkonflikte französischer
Besatzungspolitik. Der Streit Laffon-Koenig 1945-1957, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ)
39/1991, S.13.
21
Die Suche nach Interaktionen sowie nach Konvergenzen und Divergenzen soll ein
durchgängig methodisches Prinzip der vorliegenden Arbeit sein. Sie verlangt die
Auswertung der zugänglichen Bestände deutscher und französischer Archive. Ein
methodischer Grundsatz, den Rainer Hudemann und Armin Heinen seit langem for-
dern, um ein ausgewogenes Bild zeichnen zu können.33 Dies gilt für die französische
Politik in der gesamten Besatzungszone einschließlich des Saarlandes. Dieser Weg
dient dazu, die kollektive Erinnerung zu überprüfen und verhindert zugleich, daß sie
die wissenschaftliche Auseinandersetzung manipuliert, indem sie eine bestimmte
Richtung vorgibt.34
Quellensituation
Auch wenn sich die Zugänglichkeit der erhaltenen Akten wesentlich verbessert hat, so
bleibt hinsichtlich der Sozialpolitik und der Gewerkschaften dennoch das Problem
einer insgesamt schwierigen Quellenlage.
Dadurch, daß es während der gesamten Hoffmann-Zeit keine Dienstvorschrift über die
Abgabe historisch aussagekräftiger Akten an das Landesarchiv gegeben hat, sie wurde
erst I96035 erlassen, entstanden in den Akten staatlicher Provenienz nicht mehr ausfüll-
bare Überlieferungslücken. Die Polarisierung um das Referendum hat wesentlich zu
den AktenVerlusten beigetragen. Die Nachlässe von Politikern, die damals in vorderster
Front standen wie Ministerpräsident Johannes Hoffmann, Dr. Edgar Hector (u.a.
Innenminister 1947-1954), Dr. Emil Straus (u.a. Kultusminister 1947-1952), Richard
Kirn (Minister für Arbeit und Wohlfahrt in den Koalitionsregierungen), Dr. Heinz
Braun (u. a. Jusüzminister 1947-1952), Hubert Ney (Gründer und Vorsitzender der
CDU-Saar), Kurt Conrad (u.a. Vorsitzender der DSP) und Ernst Roth (u.a. Chefredak-
teur der sozialdemokratischen "Volksstimme") konnten bis auf kleine Aktensplitter
weder vom Landesarchiv noch von den Archiven der Partei-Stiftungen erworben
werden. Verdruß, ja Verbitterung über persönliche Verunglimpfung oder als un-
zureichend empfundene Anerkennung haben die Betroffenen selbst und ihre Nach-
kommen dazu veranlaßt, die politisch interessanten und aufschlußreichen Papiere eher
zu vernichten oder zurückzuhalten als an Archive abzugeben, obwohl ja gerade solche
Quellen die Motivation des politischen Handelns erhellen könnten.
Heinen, Probleme regionaler Gegenwartsgeschichte, S.193, 198. Hudemann, Französische
Besatzungspolitik,S.243.
Beispiele dafür, daß kollektive Erinnerungen auch wissenschaftliche Arbeiten in ihrem Urteil wesentlich
beeinflussen: Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945-1949, Stuttgart 1983. Hans-Peter
Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen
Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft 1945-1948, Stuttgart 21980.
Erlaß über die Aufgaben des Landesarchivs Saarbrücken vom 20,12. 60, in: Abi. 1961, S.l f.
22
Gerade für die frühen Jahre erklärt auch das Hochwasser des Jahres 1947, das ins-
besondere Saarbrücken als Zentrum von Politik und Verwaltung erschütterte, den
Mangel an Akten aus dieser Zeit.
Der Nachlaß des Hohen Kommissars und Chefs der Mission Diplomatique Gilbert
Grandval konnte nach vorangegangenen Gesprächen von Rainer Hudemann mit den
Nachkommen von einer Arbeitsgruppe verfilmt werden, dies gilt auch für den Nachlaß
des Technischen Direktors der Saargruben Jacques Dontot. Beide Nachlässe tragen zu
einer differenzierten wissenschaftlichen Aufarbeitung bei. Sie ermöglichen es, manche
in da- kollektiven Erinnerung anzutreffenden Verzerrungen aufzubrechen. Die restrik-
tive Mentalität hinsichtlich der Nachlässe wirkt sich für die wissenschafüiche Beschäf-
tigung mit der Hoffmann-Zeit eher kontraproduktiv aus und konserviert damit Verein-
fachungen und Überzeichnungen in der kollektiven Erinnerung.
Die Akten der CVP sind verschollen, die der SPS sollen bald nach der Fusion mit der
SPD im Frühjahr 1956 vernichtet worden sein. Die Nachlässe von Richard Kirn im
Landesarchiv in Saarbrücken und im Archiv für Soziale Demokratie in Bonn zeigen
viele Lücken und enthalten vorrangig Drucksachen. Sie können die Verluste auch nicht
ansatzweise ausgleichen. Katastrophal ist die Überlieferung der Gewerkschaften,
zunächst hilft hier nur ein Blick in die Gewerkschaftspresse.
Ein anderer Faktor für die Quellenarmut ist die Struktur des Saarlandes als kleinem
überschaubarem Land, in dem fast jeder jeden kennt, mit einer hohen Bevölkerungs-
dichte und als Land der "kurzen Wege".36 Es ist zu vermuten, daß auch in der Hoff-
mann-Zeit vieles auf mündlichem Wege erledigt worden ist.
Dabei ist auch die damalige Personalstruktur der Ministerien zu berücksichtigen. Auf
der mittleren und erst recht auf der höheren Leitungsebene bestand so gut wie keine
Personalkontinuität, d. h. es konnte nicht auf einen in Ministerialgeschäften versierten
Beamtenapparat zurückgegriffen werden, sondern er mußte erst aufgebaut werden, was
aber sowohl durch die Entnazifizierung als auch durch Zuzugsbeschränkungen gegen-
über Nicht-Saarländern erschwert wurde. So unterblieb oft die nachträgliche Fixierung
von Gesprächsabläufen oder Vorverhandlungen durch Aktenvermerk oder bestätigen-
de Schreiben. Auch die Aktenführung erscheint oft wenig professionell, was die
historische Rekonstruktion politischer Entscheidungsprozesse erschwert, weil häufig
die Akten nicht die Bearbeitungsstufen von Entwurf über Konzept bis zur Ausferti-
gung enthalten, Aktenpläne fehlen oder liegen nur unvollständig vor.
Kurt Bohr, Ein besonderes Land. Politische Kultur im Saarland, in: Das Saarland. Politische,
wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung,
Saarbrücken 1991, S.141 f.
23
Die Beschränkung auf mündliche Kommunikation ist jeder illegalen Tätigkeit wesen-
simmanent. Jede Gesprächsnotiz, jeder Entwurf eines Flugblattes konnte bei einer
Polizeiaktion beschlagnahmt und als Belastungsmaterial verwendet werden. Daher war
es geboten, von vornherein solche Materialien nur in geringem Umfang entstehen zu
lassen und unverzüglich nach Gebrauch wieder zu vernichten.
Das Landesarchiv Saarbrücken verwahrt die erhaltenen aufbewahrungs würdigen Akten
der staatlichen Behörden und Gerichte aus der Hoffmann-Ära. Naturgemäß ist für ein
sozialpolitisches Thema der Aktenniederschlag des Ministeriums für Arbeit und
Sozialordnung und seiner Funktionsträger besonders wichtig. Freundlicherweise
konnte der Bestand des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung vor seiner ar-
chivarischen Aufarbeitung benutzt werden. Auch wenn der Erkenntniswert eher als
mittelmäßig einzuschätzen ist, so finden sich zwischen zahlreichen Drucksachen und
Referentenentwürfen interessante Notizen, Vermerke und Schreiben von hohem
Quellenwert. Dieser Bestand bildet die Grundlage für die Untersuchung der Sozial-
versicherungsreform von 1947. Die Bestände Regierungspräsidium und Verwaltungs-
kommission wirken ergänzend und vertiefend. Besonders nachteilig wirkte sich aber
aus, daß der Zugang zum provisorischen Archiv der Landesversicherungsanstalt für
das Saarland nur unter restriktiven Bedingungen erfolgen konnte. Es durften keine
Personalakten des Technischen und Beratenden Ausschusses der LVA eingesehen
werden, eine Übersicht über die verwahrten Akten der Hoffmann-Zeit wurde nicht
vorgelegt, ob eine solche überhaupt existiert, konnte nicht geklärt werden. Alles andere
als kooperativ zeigte sich die Bundesknappschaft in Bochum wie auch ihre Bezirks-
stelle Saar.
Für die sozialpolitische Entwicklung in ihrer Breite bot sich die Kabinettsregistratur der
ehemaligen Präsidialkanzlei im Landesarchiv an, die entgegen der ersten Erwartung
aussagekräftig war. Sowohl die Begründung zu den Gesetzentwürfen als auch die
Schreiben mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen boten zahlreiche Hin-
weise. Dem Schneider-Becker-Archiv waren ergänzende Informationen zu entnehmen.
Zur Überprüfung des sozialpolitischen Leistungsstandards wie auch möglicher Impulse
der saarländischen Familienpolitik auf die bundesdeutsche waren die Bestände Bun-
deskanzleramt, Bundesministerium für Arbeit und Bundesministerium des Innern im
Bundesarchiv Koblenz nur zum Teil ergiebig. Speziell zur Familienpolitik erwies sich
der Nachlaß von Franz-Josef Wuermeling im Archiv für Christlich-Demokratische
Politik in St. Augustin als wahre Fundgrube. Er offenbarte im Gegensatz zu der Über-
lieferung der im Bundesarchv befindlichen Ministerialakten die Schärfe der Kinder-
gelddiskussion und einer Übernahme des saarländischen Familienzulagensystems.
24
Zu speziellen Fragen wie der Kriegsopferversorgung und der Wiedergutmachung
erwiesen sich die Plenumsprotokolle und vor allem auch die Niederschriften der
Ausschüsse im Archiv des Saarländischen Landtages in Saarbrücken als ausgesprochen
aussagekräftig. Sie wurden ergänzt durch die Kriegsopferpresse und durch die weni-
gen, aber freundlicherweise einsehbaren Unterlagen des VdK-Saar und des Versor-
gungsamtes Saarbrücken.
Ertragreicher als die Akten saarländischer Provenienz sind die französischen, die des
Außenministeriums und des Hohen Kommissars in Saarbrücken. Sie werden im Archiv
des Außenministeriums am Quai d'Orsay in Paris und in der Außenstelle Nantes
aufbewahrt. Sie beziehen sich zwar nur relativ selten auf Fragen des Leistungsstan-
dards wie der Familienzulagen, der Sozialversicherung und der Rentenpolitik, dafür
sind die Dossiers aber insgesamt von um so höherer Qualität und zu Fragen der Sozial-
partnerschaft ergiebiger. Sie spiegeln dabei die Position des Hohen Kommissariates,
der Pariser Administration, teilweise auch die der Militärregierung in Baden-Baden
wider, vor allem aber auch die Haltung der französischen Funktionsträger im saarlän-
dischen Montanbereich. Ohne die französischen Akten wäre es insbesondere nicht
möglich gewesen, die Mitbestimmung, die Tarifvertragsgesetzgebung sowie die
Entwicklung der Gewerkschaften hinreichend zu bearbeiten. Partiell werden sie durch
die Bestände des Landesarchivs ergänzt, etwa durch den Nachlaß Heinrich Schneider,
die Bestände Staatskanzlei und Amt für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten.
Hinweise zu den Gewerkschaften und zur oppositionellen Sozialdemokratie fanden
sich auch in den Beständen des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes in Bonn.
Das Fehlen von Unterlagen der Saar- wie der Heimatbundparteien konnte durch die
französischen Bestände und durch den Bestand des Ministeriums für innerdeutsche
Beziehungen im Bundesarchiv Koblenz kompensiert werden. Vor allem für die Erfor-
schung der oppositionellen Sozialdemokratie erwies sich dieser Bestand als ergiebig,
ergänzt durch Akten des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Archiv der
Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf, etwa durch die Protokolle des DGB-Bundesvor-
standes und durch die Akten der Hauptabteilung Ausland.
Hinsichtlich der schwierigen Quellensituation zu den Gewerkschaften und zur Sozial-
demokratie wurde nach möglicherweise verstreuten Akten in anderen Archiven ge-
fahndet. Zur christlichen Gewerkschaft wie zum I.V. Bergbau konnten einige Unterla-
gen im provisorischen Archiv der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie in
Bochum gefunden werden. In der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisatio-
nen der ehemaligen DDR im Bundesarchiv Berlin fand sich der Nachlaß von Friedrich
Bäsel, der zur KP und zu ihrer Gewerkschaftspolitik einige Hinweise liefern konnte.
Die vorliegende Studie basiert auf einer breiten Quellenbasis. Bestände unterschiedli-
cher Provenienz aus über 20 deutschen und französischen Archiven wurden benutzt.
Wie bei jeder Untersuchung zur Zeitgeschichte wurde versucht, die Aussagen der
schriftlichen Quellen durch Gespräche mit Persönlichkeiten, die im Untersuchungs-
25
Zeitraum als Politiker und/oder Gewerkschaftler in die Sozialpolitik involviert waren,
zu ergänzen, zu kontrollieren sowie zu relativieren. Dazu fanden sich freundlicherweise
bereit: Aloys Schmitt (ehemaliger Vorsitzender des I.V. Bergbau und prodeutscher
Gewerkschaftler), Paul Schmitt (Jugendsekretär des I.V. Bergbau), Norbert Engel,
(oppositioneller Sozialdemokrat und Gewerkschaftler), Rudolf Recktenwald (opposi-
tioneller Sozialdemokrat), Lina und Walter Bier (Mitglieder der KP-Saar; Walter Bier
war Betriebsratsvorsitzender der Kokerei Reden und Mitglied im Gesamtbetriebsrat der
Saargruben), Jakob Feiler (CVP und stv. Vorsitzender der saarländischen Kriegsopfer-
vereinigung) und Friedrich Diener (VdK-Saar) sowie Franz Schlehofer (Leiter der
Präsidialkanzlei).
Den Mittelpunkt des ersten Abschnitts der Arbeit bildet der "Soziale Besitzstand" bzw.
der soziale Leistungsstandard des Saarlandes. Am Beginn steht die Sozialversiche-
rungsreform von 1947. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, wie sich die
Neuordnungsvorstellungen der französischen Besatzungsmacht zu deutschen Traditio-
nen und den sozialpolitischen Vorstellungen der saarländischen Parteien verhielten. Es
zeigt sich hier zum einen ein Konflikt zwischen divergierenden sozialpolitischen
Traditionen, zum anderen verzahnten sich bestimmte Neuordnungsvorstellungen von
Sozialdemokratie und Besatzungsmacht. Wie sich angesichts dieser Konstellation die
Sozialpolitik in ihrer Breite zwischen 1947 und 1955 entwickelte, ist Gegenstand des
folgenden Kapitels. Dabei stehen die Familienpolitik und die Arbeitslosenversicherung,
die Rentengesetzgebung und die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung im
Mittelpunkt. Die sozialpolitische Entwicklung des Saarlandes wird vor dem Hinter-
grund der Entwicklungstendenzen und Traditionen deutscher und französischer Sozial-
politik untersucht. Zur Einschätzung des sozialpolitischen Standards wird die gesell-
schaftspolitische Dimension ebenso wie das Leistungsniveau berücksichtigt, wobei
teilweise auch die Bundesrepublik zum Vergleich herangezogen wird. Der zweite
Abschnitt geht auf die Wertung "gescheiterte Sozialpartnerschaft" im Titel der Arbeit
ein und beginnt mit der Entwicklung und den Strukturen der saarländischen Gewerk-
schaften. In ihm werden der gewerkschaftliche Aufbau, die Bildung der Einheits-
gewerkschaft und die Entstehung der christlichen Gewerkschaften sowie der Einfluß
der Kommunisten auf Gewerkschafts- und Betriebsratsebene untersucht. Gerade dieses
Kapitel verdeutlicht, daß einerseits zur Einschätzung bestimmter Phänomene ein Blick
in andere deutsche Länder dienlich sein kann, und wie der Teilbereich christliche
Gewerkschaften zeigt, ohne die Suche nach Interaktionen bestimmte Entwicklungen im
dunkeln bleiben würden. Im Anschluß daran steht eine Untersuchung über die Genese
der gewerkschaftlichen Opposition. Dabei wird deutlich, daß kulturelle, sozial- und
mentalitätsgeschichtliche Divergenzen diese Entwicklung gefördert haben. Dieser
Aspekt wird im sich daran anschließenden Kapitel über die betriebliche Mitbestim-
mung vertieft.
Abschließend sei auf den biographischen Anhang sowie das Personenregister hinge-
wiesen.
26
I. SOZIALVERSICHERUNGSREFORM ZWISCHEN NEUORDNUNG UND
TRADITIONSKONFLIKTEN
Bevor die saarländische Sozialversicherungsreform analysiert werden soll, erscheint es
sinnvoll, sich dem Thema Sozialpolitik nach 1945 ganz allgemein zu nähern, und den
Stellenwert dieses Politikbereiches, Stimmungen und Erwartungshaltungen vorzustel-
len.
1. Internationale Sozialversicherungsdiskussion ab 1941
Nach 1945 gewann die Sozialpolitik und damit auch der Ausbau der Sozialversiche-
rung eine erhöhte Aufmerksamkeit bei den politisch Verantwortlichen. Die Weichen
dafür wurden bereits während des Krieges durch den Beveridge-Plan, die Atlan-
tik-Charta (12. August 1941) und durch die Philadelphia-Konferenz (20. April bis 12.
Mai 1944) gestellt, wobei hier sozialpsychologisch die durch die Kriegssituation
gewachsene gesellschaftliche Solidarität einen günstigen Nährboden schuf. In der im
August 1941 von Roosevelt und Churchill verkündeten Atlantik-Charta fungierte die
"social security" als Kriegsziel, die als "moralische Waffe" gegen den nationalsozialisti-
schen Feind eingesetzt werden sollte.1
Großes Aufsehen erregte 1941 der britische Beveridge-Plan, der auf eine außerge-
wöhnliche, über die nationalen Grenzen hinausgehende Resonanz stieß. Der Plan war
einerseits von liberalem Gedankengut geprägt, weil er über ein niedriges Leistungslevel
einen Anreiz zur Eigeninitiative und ergänzenden Selbstvorsorge erhalten wollte,
andererseits aber eine soziale Grundsicherung auf egalitärem Niveau vorsah und in der
Leistungsgestaltung auf eine lohnbezogene Differenzierung weitgehend verzichtete.
Der Plan basierte auf der Ausdehnung der Sozialversicherung auf fast alle Bürger
sowie der organisatorischen Zusammenfassung der verschiedenen Versicherungsarten.2
In abgewandelter Form bildete er die Grundlage für die von der Labour-Regierung
1946 eingeleitete soziale Neuordnung. Besonders einschneidend war dabei die Aus-
dehnung der Sozialversicherungspflicht.3 Der Beveridge-Plan wirkte fast weltweit,
zumindest in West- und Mitteleuropa. Er leistete beispielsweise wesentliche Impulse
zum Ausbau der Sozialversicherung in der Schweiz, beeinflußte die sozialpolitischen
Nachkriegsplanungen der belgischen und niederländischen Exilregierungen und hatte
auch Auswirkungen auf die Sozialpolitik skandinavischer Länder wie Schweden und
1 Jens Alber, Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat, Frankfurt a.M. u.a.O 1982, S.58. Hans Günter H o-
c k e r t s, Die Entwicklung vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, in: Peter A. Köhler und Hans F.
Zacher (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte und aktuellen Situation der Sozialversicherung, Berlin 1983,
S.143-145, 147.
2
Siehe auch ebd. : Gerhard A. R i 11 e r, Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen
Vergleich, in: Historische Zeitschrift (HZ) / Beiheft 11, S.145-149.
Hans Günter Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und
deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957, Stuttgart 1980, S.31.
27
Dänemark.4 Die Erklärung von Philadelphia vom Frühjahr 1944, als neue Charta der
Internationalen Arbeits-Organisation (IAO) verabschiedet, bildete insofern einen
Gegenakzent, als sie das Prinzip lohnbezogener Sozialleistungen akzentuierte, um den
erworbenen Lebensstandard stärker zu berücksichtigen. Sie beeinflußte das 1945
umgesetzte französische Reformwerk, die Sécurité Sociale, stärker als der britische
Reformentwurf.5
Überall im freien Europa wie aber auch im Ostblock wurde nach 1945 die Sozial-
versicherungspflicht ausgebaut, die günstige wirtschaftliche Entwicklung ließ die
Mitgliedszahlen rapide anwachsen. In den achtziger Jahren waren in der Bundesre-
publik 90 Prozent der Bevölkerung Mitglied der Sozialversicherung. Ihre gesell-
schaftliche Bedeutung beschreibt Hans Günter Hockerts metaphorisch als ein "ge-
waltiges Pumpwerk" der Einkommensumverteilung.6 Am Ende dieses Prozesses wurde
die Sozialversicherung zu einem Merkmal der europäischen Gesellschaft.7 Auch das
Saarland nahm an dieser Entwicklung teil.
2. Organisation und Verwaltungsstruktur der Sozialversicherung im Saarland bis
zur Sozialversicherungsreform 1947
Zum Verständnis da- sozialpolitischen Entwicklung nach 1945 erscheint es notwendig,
einen kurzen Überblick zur Sozialversicherung im Saarland nach 1919 zu geben.
Gerade der Zeitraum zwischen der Abtrennung des Saargebietes vom Deutschen Reich
durch den Versailler Vertrag und der Rückgliederung ans "Dritte Reich" 1935 harrt
noch einer wissenschaftlichen Aufarbeitung unter sozialpolitischen Fragestellungen.
Die Veröffentlichung des ehemaligen saarländischen Arbeitsministers Johann Klein zur
Entwicklung der Sozialversicherung zeigt, daß dies ein sehr lohnenswertes Thema ist.8
Im Zeitraum von 1920 bis 1923 war die Sozialversicherung des Saargebietes von den
deutschen Versicherungsträgern und Aufsichtsbehörden gelöst worden. Parallel dazu
wurden eigene Versicherungskörperschaften aufgebaut. Gemäß dem Baseler Ab-
kommen blieben die am 11. November 1918 im Saarland bestehenden Sozialversiche-
rungsgesetze weiter gültig. Die gesamte Sozialversicherung wurde dem Präsidenten der
Regierungskommission des Saargebietes Victor Rault unterstellt. Neben der organisa-
torischen Umstellung des Versicherungswesens und der Übertragung der Rentenlasten
4 R i 11 e r, Der Sozialstaat, S.148.
Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung
1945-1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik,
Mainz 1988, S.132-134.
Hans Günter Hockerts, Hundert Jahre Sozialversicherung. Ein Bericht über die neuere Forschung, in:
HZ 237/1983, S.361.
Hartmut K a e 1 b 1 e, Auf dem Weg zu einer europäischen Gesellschaft, München 1987, S. 123-125.
Johann Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung unter besonderer Berücksichtigung der
Knappschaftsversicherung, Bischmisheim 1965.
28
auf die saarländischen Versicherungsinstitutionen erfolgte die Währungsumstellung
mit Beginn des zweiten Halbjahres 1921.
Die Orientierung am deutschen Sozialversicherungsrecht, verankert in der Reichs-
versicherungsordnung (RVO), blieb erhalten. Sie wurde gestärkt durch die von der
saarländischen Öffentlichkeit als fortschrittlich eingeschätzte Sozialgesetzgebung der
Weimarer Republik, die wie ein Magnet auf die sozialpolitischen Forderungen von
Gewerkschaften und Sozialdemokraten wirkte. So strebten die Gewerkschaften
vergeblich eine Übernahme des Reichsknappschaftsgesetzes vom 23. Juni 1923 an.
Dieses Gesetz hatte der unübersichtlichen und zersplitterten Knappschaftslandschaft,
immerhin gab es in Deutschland über 110 Knappschaften, ein Ende bereitet. Bisher
waren die deutschen Länder für die Knappschaftsversicherung zuständig gewesen.
Dies bewirkte Unterschiede in Beitrag und Leistung und brachte den Bergleuten
Nachteile, die den Arbeitsplatz wechselten und von einer Knappschaft zur anderen
wanderten. Durch das Reichsknappschaftsgesetz kam die Gesetzgebungskompetenz
zum Reich, eine Zentralisierung mit Beitragsvereinheitlichung und Leistungserhöhung
verbesserte die soziale Absicherung der Bergleute. Die Rentenentwicklung in der
Weimarer Republik gestaltete sich für die Versicherten zudem wesentlich günstiger,
dies veranlaßte die beiden saarländischen Bergarbeitergewerkschaften, bei der französi-
schen Regierung mit einer Denkschrift am 6. Februar 1925 zu intervenieren, denn die
Renten im Deutschen Reich waren nach Berechnungen der Gewerkschaften dreimal so
hoch wie die im Saargebiet.9
Für die Zeit der Völkerbundsregierung treten sozialpolitisch zwei Aspekte hervor:
1) Die Sozialversicherung bot Anlaß zu Auseinandersetzungen zwischen saarlän-
dischen Gewerkschaften und Regierungskommission, dabei wirkte die deutsche
Sozialversicherung als Leitbild für die saarländische Öffentlichkeit. Dies bezog sich auf
Fragen der Tarifvertragsgesetzgebung, der Mitbestimmung und der Sozialversiche-
rung. So führte das Reichsknappschaftsgesetz von 1923 dazu, daß sich im Saargebiet
die Knappschaften St. Ingbert und Frankenholz zusammenschlossen.10
2) Der Regierungskommission war es nur bedingt gelungen, ein autonomes saarlän-
disches Versicherungswesen aufzubauen.11
Mit der Rückgliederung an das "Dritte Reich" stellten sich neue Probleme. Die Sozial-
versicherungsleistungen an der Saar wurden mit Wirkung vom 1. März 1935 dem
Reichsrecht so angepaßt, daß bei der Rentenberechnung für die bisherigen Rentenbe-
zieher keine Nachteile entstanden. Hinsichtlich der Organisation ist die Entwicklung im
Saarland einmal unter dem Aspekt einer Eingliederung in Reichsbehörden zu betrach-
9Ebd„ S.50, 117.
10 Ebd. und: Francis Roy, Der saarländische Bergmann, Saarbrücken 1954, S.74.
Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung , S.50, 117.
29
ten und zum anderen auch unter dem Aspekt der Einbeziehung Lothringens in die
deutsche Sozialversicherung nach dem Frankreichfeldzug. In diesem Zusammenhang
war die LVA Saarland am 1. Januar 1941 mit der LVA Pfalz mit Sitz in Speyer zur
LVA Saar-Pfalz zusammengelegt worden, und nach der Einbeziehung Lothringens in
die deutsche Sozialversicherung erfolgte ihre Umbennung in LVA Westmark. Sitz
dieser Anstalt war Saarbrücken. Die Saarknappschaft wurde der Reichsknappschaft in
Berlin angeschlossen, d.h. sie wurde Bezirksknappschaft, wie auch das Knapp-
schafts-Oberversicherungsamt der entsprechenden Behörde der Reichsknappschaft in
Bonn eingegliedert wurde.12 Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, die
insbesondere ein Strukturprinzip der Knappschaft seit dem Berggesetz von 1865 war,
wurde durch das "Führerprinzip" zerschlagen.13
Schon lange vor der Moskauer Außenministerkonferenz ist die französische Militär-
regierung im Saarland in ihren Entscheidungen freier gewesen. Entscheidend ist der
Erlaß vom 31. Juli 1945, durch ihn "stellt das Saarland hinfort eine eigene, von anderen
administrativen Bindungen unabhängige verwaltungsmäßige Einheit dar". Es deutet
sich eine durch die französische Besatzungsmacht intendierte Verselbständigung an.
Mit diesem Erlaß fiel das Saarland aus dem übrigen Reichsgebiet heraus. Er beinhaltete
den Auftrag, eigene Einrichtungen und Behörden zu bilden.14
So kommt es im Saarland zunächst zum Aufbau eigener Versicherungsbehörden und
Versicherungsträger. Auftakt ist die Bildung der Landesversicherungsanstalt (LVA) für
das Saarland in Saarbrücken durch die Verordnung vom 20. September 1945.15 Die
LVA Westmark mit Sitz in Saarbrücken war infolge der Kriegseinwirkungen Ende
1944 nach Speyer verlegt worden und löste sich de facto mit dem Einmarsch der
amerikanischen Truppen am 22./23. März 1945 auf, die offizielle Trennung erfolgte
erst mit da- Verordnung vom 20. September 1945.16 Fünf Wochen zuvor war die LVA
Hessen-Pfalz mit Sitz in Speyer gegründet worden.17 Neben ihr wurde die LVA für das
Saarland zum Rechtsnachfolger der ehemaligen LVA Westmark, was zu zähen Ver-
mögensauseinandersetzungen mit Hessen-Pfalz führen sollte.18
Ebd., S.303-312. Siehe : Hudemann, Sozialpolitik , S.213. Westhoff, Recht und Verwaltung im
Saargebiet, Trier 1934.
13 R o y, Der saarländische Bergmann , S.74.
14
Abi.1945, S.5. Hudemann, Sozialpolitik, S.229. Johann Klein datiert die Anordnung der
französischen Militärregierung irrtümlich auf den 21.7., siehe: Ders., Die Entwicklung der
Sozialversicherung, S.342.
15 Abi.1945, S.17.
16 Hudemann, Sozialpolitik , S.213.
Ebd., S.229. Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung , S.340.
Zahlreiche Unterlagen dazu: Landesarchiv Saarbrücken (LA SB), Ministerium für Arbeit und
Sozialordnung (MifAS), Bü.12. Hudemann, Sozialpolitik, S.229 f., 230, Anm.32 mit weiteren
Quellenhinweisen.
30
Neben dem Aufbau eigener Versicherungsträger zeigen die ersten Maßnahmen der
französischen Militärregierung den Weg, die LVA zu einem zentralen Versicherungs-
träger auszubauen. Mit der Verordnung vom 2. September 1945 wurde nämlich nicht
nur die Invaliden-, sondern auch die Angestelltenversicherung der LVA übertragen.
Diese Organisationsregelung deutete eine Vereinheitlichung innerhalb der Sozial-
versicherung an, da bisher die Angestelltenversicherung über einen eigenen Träger,
nämlich die Reichsversicherungsanstalt in Berlin, abgewickelt worden war.19 In diesen
Kontext einer beginnenden Zentralisierung paßt auch die Entscheidung vom 12.
Dezember 1945, der LVA die Invalidenversicherung der Saarhüttenknappschaft zu
übertragen.20 Auch in der Unfallversicherung wurde dieser Weg eingeschlagen. Durch
eine Verordnung vom 28. September 1945 wurden mit Wirkung vom 5. Oktober die
bisherigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in die LVA überführt und dort
drei verschiedene Fachabteilungen errichtet: die Allgemeine Unfallversicherung, die
landwirtschaftliche Unfallversicherung und die gemeindliche Unfallversicherung.21
Diese Zentralisierung bedeutete auch eine erhebliche Vereinfachung, denn zuvor hatte
es 34 gewerbliche Berufsgenossenschaften gegeben, die alle ihren Sitz außerhalb des
Saarlandes hatten.22 Am 15. Dezember 1945 wurden die Eisenbahnbetriebskrankenkas-
se, die Eisenbahnversicherungsanstalt und die Eisenbahnunfallversicherungsbehörde
für das Saarland errichtet.23
Mit dem Aufbau eines Landesversicherungsamtes am 27. August 1945 als oberste
Spruch-, Beschluß- und Aufsichtsbehörde in der Nachfolge des Reichsversicherungs-
amtes sowie eines Oberversicherungsamtes als höhere Behörde am 15. Dezember 1945
verfügte das Saarland ab Ende 1945 auch über ein vollständig rekonstruiertes System
im Rechtszug.24 Das Oberversicherungsamt wurde per Verordnung vom 10. Juni 1946
höhere Spruch-, Beschluß- und Aufsichtsbehörde im Bereich der Angestelltenversiche-
rung.25 Für die knappschaftliche Versicherung wurde ein Knapp-
schafts-Oberversicherungsamt gebildet.26 Zuvor war durch die Verordnung vom 4.
Wilhelm B r o c k e r, Die organisatorische Entwicklung der saarländischen Sozialversicherung nach
dem Zweiten Weltkrieg, in: Die Arbeitskammer 5/1958, S. 116.
20 Abi.1945, S.68.
21 Geschäftsbericht der LVA für das Saarland für 1945, 1946 und 1947, Saarbrücken 1947, S.60.
22
B r o c k e r, Die organisatorische Entwicklung , S. 117.
23
Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung , S.342.
24
Hudemann, Sozialpolitik, S.229. Jakob Schlick, Die Entwicklung der Sozialversicherung im
Saarland nach dem Zusammenbruch, Völklingen 1948, S.3. Verordnung vom 27.8.45, in: Abl.1945, S.ll.
Verordnung vom 28.9.45 über die Zusammensetzung des Landesversicherungsamtes, in: Abl.1945, S.20.
Zum Geschäftsgang bei Verfahren, siehe Verfügung vom 1.11.46, in: Abi. 1947, S.79.
25
Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Errichtung und Einrichtung eines
Oberversicherungsamtes für das Saarland vom 10.6.47, in: Abi.1947, S.366.
Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung, S.343.
31
Dezember 1945 ein selbständiger knappschaftlicher Versicherungsträger für das
Saarland, die Saarknappschaft, errichtet worden.27
3. Ausgangssituation in der Sozialversicherung nach 1945
3.1 Finanzielle Probleme
Wie die Sozialversicherung in den übrigen Teilen des ehemaligen Deutschen Reiches
standen auch die Sozialversicherungsträger im Saarland vor dem Problem weitgehend
leerer Kassen, an noch vorhandene Vermögenswerte außerhalb des Landes war kaum
heranzukommen.28 Die Finanzsituation war besorgniserregend, gestaltete sich aber in
den einzelnen Versicherungsbereichen unterschiedlich. Die finanzielle Ausgangs-
situation in der Angestelltenversicherung war günstiger als in der Invalidenversiche-
rung, die gewerbliche und die landwirtschaftliche Unfallversicherung waren mittellos
geworden, katastrophal war die Lage bei der Saarhüttenknappschaft.29 Insgesamt
verfügte die LVA am 31. Dezember 1945 theoretisch über ein Reinvermögen von 168
Millionen Reichsmark, wovon allerdings 140 Millionen wertlos waren, weil es sich um
Wertpapiere des Reiches handelte.30 Der Saarknappschaft fehlten Ende 1945 im Be-
reich der Kranken- und Rentenversicherung 23 Millionen Reichsmark.31
Peter Zimmer, nach 1945 in leitender Position im Beirat und Vorstand der Saarknapp-
schaft, schilderte die Situation sehr anschaulich: "Als ich die Knappschaft übernommen
habe, haben mir die Beamten mitgeteilt:' Kein Pfennig Geld ist da, wir haben 3 Millio-
nen fällige Bankschulden'. Ich sollte aber monatlich 5 Millionen Mark Renten auszah-
len und hatte ein Beitragsaufkommen von monatlich 200.000 Mark."32
Die geleerten Kassen innerhalb der Sozialversicherung wurden letztlich mit Hilfe der
französischen Besatzungsmacht gefüllt, so erhielt die Saarknappschaft pro Monat einen
Zuschuß von 2,5 Millionen RM.33 Für die anderen Sozialversicherungsträger dürfte
dies nicht anders gewesen sein.
Vor diesem Hintergrund wurden Rentenhöchstgrenzen für alle Sozialversicherungs-
bereiche eingeführt, die für viele de facto eine Rentenkürzung bedeuteten. Die Knapp-
schaftlichen Versicherungsempfänger erhielten im Mai 1945 ihre Renten bis maximal
80 Mark ausbezahlt. Von Juni bis August 1945 wurden keine Renten ausgezahlt und ab
27 Abi.1945, S.61.
28 K 1 e i n, Die Entwicklung der Sozialversicherung, S.341.
29 Archiv des Saarländischen Landtages Saarbrücken (LTA SB), Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses
für Sozialpolitik vom 4.2.48.
30 Geschäftsbericht der LVA , S.10.
31
Knappschaft Saarbrücken (KSB), Niederschrift über Sitzung des vorläufigen Vorstandes der
Saarknappschaft vom 10.10.46.
32 Landtag des Saarlandes (LTS), Drucksachen (DS), I. Wahlperiode (WP), Nr.28, Niederschrift zur Sitzung
vom 3.7.48, S.6.
33 LA SB, MifAS, Bü.8, Niederschrift über Sitzung des Beirates der Saarknappschaft vom 22.10.45.
32
September wurde eine nach den einzelnen Renten differenzierte Regelung angewandt.
Ab 1. November 1945 erhielten die Empfänger von Knappschaftsrente 50 Prozent der
ihnen zustehenden Beträge, ab 1. Juli 1946 dann 75 Prozent, und ab 1. April 1947
konnten die Rentner am Postschalter wieder ungekürzte Renten in Empfang nehmen.34
Die Sanierung der desolaten Finanzsituation war aber ohne massive Beitragserhöhung
nicht realisierbar, so wurde z.B. der allgemeine Beitragssatz zur Invaliden- und Ange-
stelltenversicherung mit Wirkung vom 15. November 1947 von 5,6 auf 10 Prozent fast
verdoppelt.35
Mit der Einführung der französischen Währung am 20. November 1947 erfolgte ein
Währungsschnitt. Seine Wirkungen sollen nur skizziert werden. Die Umrechnung der
Renten wurde zunächst im Verhältnis 1 zu 35 vorgenommen, ab 1. Januar 1948 wurde
der Umrechnungskoeffizient erhöht. So wurden Knappschaftsvollrenten 1 zu 45,5
umgestellt, Knappschaftsrenten und Witwenrenten nur 1 zu 38,5. Ab 1. Mai 1948
sorgte ein erhöhter Umrechnungskoeffizient von 1 zu 60 für höhere Renten.36 Für die
Finanzsituation der Sozialversicherung war die Währungsumstellung deshalb eine
Belastung, weil Vermögen und Beitragssummen nur zum Kurs 1 zu 20 umgestellt
wurden und damit der Währungsschnitt im Vergleich zu den Ausgaben ungleich
stärker war.37 Die Umstellung der Vermögenswerte mit dem Koeffizienten 1 zu 20 darf
vor dem Hintergrund der weitreichenden Vermögens Verluste aber nicht überbewertet
werden.38 Das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben der Sozialversiche-
rungsträger wurde aber gestört, da der Umrechnungskoeffizient für die Löhne, die die
Berechnungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge bildeten, nicht dem Koeffi-
zienten für die Leistungserbringer - wie z.B. Ärzte - entsprach.39
3.2 Organisationschaos
Die Bewältigung der Probleme in der Sozialversicherung nach dem Zusammenbruch
wurde noch zusätzlich durch den Mangel an geeignetem Personal erschwert. Wichtige,
zur Rentenberechnung notwendige Unterlagen waren durch die Evakuierung des
Saargebietes verloren gegangen und nicht mehr verfügbar. So waren beispielsweise die
Geschäftsstellen der Saarhüttenknappschaft im Saarland geräumt und wichtige Akten
34
Ministère des Affaires Etrangères (MAE) Nantes, HC Sarre, Mission Juridique, Questions Economiques
(M.J./Q.E.), E VI 4/ E VI 5. Dossier zur Knappschaftlichen Rentenversicherung. Zur Rentenkürzung und
Währungsumstellung: Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung, S.345-349.
35 Geschäftsbericht der LVA, S.28.
36 Ebd.
37 Ebd., S.11,49.
Dies zumindest war die Position der Commission franco-sarroise mixte, siehe: LA SB, MifAS, Bü.8,
Sitzungsprotokoll ders. vom 12.4.48.
39
Archiv der Landesversicherungsanstalt für das Saarland Saarbrücken (LVA-Archiv), Niederschrift zur
Sitzung des Technischen Ausschusses vom 22.4.48 und 4.5.48. LA SB, MifAS, Bü.l2, LVA an VWK/
Direkt. Arbeit vom 18.11.47.
33
nach Allrode in den Harz transportiert worden. Die Unterlagen der Saarknappschaft
waren nach Eisleben überführt worden und jetzt nicht mehr verfügbar.40 Wie die Praxis
aussah, veranschaulichte Peter Zimmer einige Jahre später im Saarländischen Landtag:
"(...) Hinzu kommt, daß wir nicht eine einzige Unterlage hatten für die Rentenzah-
lungen. Wir wußten weder, wo die einzelnen Rentner wohnten, noch wußten wir, was
der einzelne Rentner zu bekommen hatte."41 Die LVA stand vor ähnlichen Problemen.
In diesem Chaos griff man auf die den Postämtern noch vorliegenden alten Renten-
anweisungen der früheren LVA Westmark zurück oder auf in Händen der Renten-
empfänger befindliche alte Rentenbescheide und baute so ein neues Archiv auf, wobei
zur Vervollständigung Erhebungen bei den Empfängern durchgeführt wurden. Be-
sonders schwierig gestaltete es sich aber dann, wenn eine Rente neu beantragt wurde,
und keine Unterlagen vorhanden waren. Auch die 1944 bei der LVA Westmark gestell-
ten 1.798 Rentenanträge, die nicht bearbeitet worden waren, weil die Antragsteller
kurze Zeit später evakuiert wurden, bereiteten große Probleme, so schob die LVA Ende
1946 über 3.000 unerledigte Rentenanträge vor sich her.42 Die Kommunikationswege
waren tiefgreifend gestört, Orientierungslosigkeit herrschte. So erfuhr die Saarknapp-
schaft erst in ihrer Sitzung am 21. Januar 1946, daß die Reichsknappschaft noch
bestand. Sie konnte aber ihre Vermögensforderung an sie nicht beziffern.43
Die Arbeit der Sozialversicherungsträger wurde durch die Kriegsfolgen lange Zeit
beeinträchtigt. Das Verwaltungsgebäude der ehemaligen LVA Westmark in Saar-
brücken war am 5. Oktober 1944 zerbombt worden.44 Erst im Februar 1953 konnte sie
in ihr neues Verwaltungsgebäude einziehen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die ver-
schiedenen Abteilungen über ganz Saarbrücken verstreut in Provisorien unterge-
bracht.45 Die LVA verfügte noch im Frühjahr 1948 über keinen anstaltseigenen PKW
und entschied sich notgedrungen zur Anschaffung eines Kraftrades.46
3.3 Abschied von der Alterspyramide
Daneben bestand ein weiteres Problem für die Sozialversicherung in der veränderten
Altersstruktur der Gesellschaft. Beitragszahler und Leistungsempfänger waren durch
den Blutzoll des Zweiten Weltkrieges relativ alt. Für die Sozialversicherung stellte sich
Ebd., Bd.82, Niederschrift über die Sitzung des hüttenknappschaftlichen Ausschusses der LVA vom
20.11.45.
41 LTS DS 1/48, Niederschrift zur Sitzung vom 3.7.48, S.6.
42 Geschäftsbericht der LVA, S.16-18, 30.
43 KSB, Niederschrift über die Sitzung des vorläufigen Vorstandes der Saarknappschaft vom 21.1.46.
44 Geschäftsbericht der LVA, S.7.
45
LA SB, Staatskanzlei (StK), Nr.3133, Landesversicherungsamt an Ministerpräsident Hoffmann vom
23.3.48. Vgl. ebd., Ansprache Heinrich Wackers anläßlich der Einweihung des neuen
Verwaltungsgebäudes am 20.2.53.
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift über die Sitzung des Technischen Ausschusses vom 27.2.48,
siehe auch: LA SB, MifAS, Bü.12.
34
das Problemeines besonders ungünstigen Verhältnisses zwischen Beitragszahlern und
Leistungsempfängern. An die Stelle einer Alterspyramide war eine Höckerlandschaft
mit Spitzen zwischen 16 und 30 bzw. 45 und 50 Jahren getreten.47 Die Verhältnisse bei
der hüttenknappschaftlichen Pensionsversicherung veranschaulichen die prekäre
Situation, 6.149 Beitragszahlem standen im Januar 1946 10.143 berechtigte Leistungs-
empfänger gegenüber;48 in der Saarknappschaft betrug die Relation zwischen Beitrags-
zahlern und Leistungsempfängern 8.500 zu 67.000.49 Die Altersgliederung der im
Saarbergbau Beschäftigten hatte sich gegenüber der Vorkriegszeit tiefgreifend ver-
schoben, so war der Anteil der Altersstufe der 41 bis 50jährigen von 19,9 Prozent im
Jahre 1931 auf 44,1 Prozent im Jahre 1946 gestiegen, so daß das Problem, das ungün-
stige Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungempfängern zu verbessern, sich
auch in Zukunft stellen sollte.50 Die Zahl der über 65jährigen Männer und Frauen hatte
sich zwischen 1927 und 1951 von 3,6 auf 7,2 Prozent verdoppelt.51
Vor dem Hintergrund des schlechten Gesundheitszustandes in der Nachkriegszeit
waren dazu noch Belastungen -z.B. für die Krankenversicherung- vorhersehbar. Diese
ungünstigen Rahmenbedingungen galten übrigens nicht nur für das ehemalige Deut-
sche Reich, sondern in ähnlicher Weise auch für Frankreich, wie Pierre Laroque als
eine der wichtigsten Persönlichkeiten bei der Gestaltung der Sozialversicherung in
Frankreich nach 1945 in seinen Erinnerungen betont.52
Die Wiederherstellung der Alterspyramide entwickelte sich zu einem Dauerproblem für
die Sozialversicherung. Ursache dafür waren gewandelte Lebenseinstellungen, ins-
besondere in der Familienplanung und eine Erhöhung der Lebensqualität im Alter
durch höhere Renten sowie medizinische Fortschritte mit einer entsprechenden Steige-
rung der durchschnittlichen Lebenserwartung. Der Anteil der über 64jährigen Men-
schen stieg in der Bundesrepublik und in Schweden zwischen 1951 und 1975 weiter
um fast 5 Prozent, in Frankreich und Großbritannien um knapp 3 Prozent.53
47 Klaus Michael Mallmann und Horst Steffens, Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an
der Saar, München 1989, S.257.
48
LA SB, MifAS, Bü.8, Landesversicherungsamt vom 4.9.46 an Regierungspräsidium Saar/Abt. Arbeit
und Sozialversicherung vom 4.9.46, Tgb.-Nr. 1222/46.
49 Ebd., Partei- und Verbandsdrucksachen (PVD), Nr.688, SPS (Hrsg.), Sozialdemokratie, Saarftage,
Saarwirtschaft, Sozialpolitik, Saarbrücken 1955, S.67. Siehe vor allem auch Statistiken zur Saarknappschaft
bei: E. M a u r e r , Die knappschaftliche Versicherung an der Saar, in: Klaus Altmeyer u.a. (Hrsg.), Das
Saarland, Saarbrücken 1958, S.771.
Schlick, Die Entwicklung, Anlage 12: Altersgliederung im Saarbergbau. Anlage 13: Die
Bevölkerung des Saarlandes nach Altersgruppen nach den Volkszählungen von 1935 und 1946.
51 Anton Merz, Die Entwicklung der saarländischen Sozial- und Bevölkerungsstruktur, in: Klaus
Altmeyer u.a. (Hrsg.), Das Saarland, Saarbrücken 1958, S.709.
52
Pierre L ar o q u e, Au Service de l'honneur et du droit. Souvenirs et Reflexions, Paris 1993, S. 212.
Hockerts, Die Entwicklung, S.152. Danach beträgt der Anteil der über 64jährigen an der
Bevölkerung: BR Deutschland: 9,3 Proz. (1951) / 14,2 Proz. (1975). Schweden: 10,2 Proz. (1951) / 14,7
Proz. (1975). Großbritannien: 10,9 Proz. (1951) /13,5 Proz. (1975). Frankreich: 11,4 Proz. (1951) / 13,3
35
4. Die Neugestaltung der Sozialversicherung
In der französischen Besatzungszone strebte die Militärregierung zunächst eine Ein-
heitsversicherung für alle Versicherten an. Die im Herbst 1945 eingeleiteten Reformen
zeigen zwei wichtige Ansätze, nämlich die Ausdehnung des Kreises der Pflichtversi-
cherten und die Auflösung von Sonderkrankenkassen. Gesellschaftspolitisch versuchte
die Besatzungsmacht mit ihrer Reform eine Nivellierung der Lebensbedingungen durch
eine Vereinheitlichung von Beitragssätzen und Leistungen voranzutreiben, dies zeigte
sich z.B. auch in einer Angleichung der Versicherungsbedingungen für Arbeiter und
Angestellte. Durch eine regionale Gliederung der Krankenkasssen wurde ein zen-
tralisiertes "Mammutgebilde" vermieden. Gegenüber den ursprünglichen Planungen
bedeutete diese Struktur einen Kompromiß. Er entstand aus der Rücksicht der Militär-
regierung auf die Konzeptionen der SPD, weiter Teile der CDU und der Gewerk-
schaften und war damit auch Ausdruck einer Entwicklung innerhalb der französischen
Besatzungszone, bei dem Demokratisierungs- und Interessenpolitik der französischen
Besatzungsmacht Hand in Hand gingen. Für die Sozialversicherungsreform ist dabei
auch der innerfranzösische Diskussionsstand zur Sécurité Sociale zu berücksichtigen.
Der Aufbau von Einheitskassen stabilisierte die Länderhaushalte, vereinfachte und
rationalisierte die Verwaltungsstruktur, und durch die Wiederherstellung und den
Ausbau der Selbstverwaltung sollte die Gesellschaft demokratisiert werden.54 Ganz im
Unterschied zu den Verhältnissen in der britischen Zone stellt Rainer Hudemann für
die französische Zone eine gute Zusammenarbeit zwischen Militärregierung und
Gewerkschaften in Fragen der Sozialversicherungsreform fest. In der britischen Zone
blieben die Gewerkschaftler nicht geschlossen bei ihrer anfänglichen Unterstützung,
Ursache war vor allem das niedrige Leistungsniveau der geplanten Einheitsversiche-
rung.55
Edgar Wolfrum bestätigt Hudemanns Ergebnisse. Er kommt zu dem Befund, daß im
Gegensatz zu den grundsätzlichen Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland
alternative Positionen im deutschen Südwesten in sozial- und wirtschaftspolitischen
Fragen dann auf den Weg gebracht werden konnten, wenn französische Reformvor-
stöße sich mit deutschen Reformvorstellungen verzahnten, wobei er akzentuiert, daß
für die französische Besatzungsmacht die Sozialdemokratie wegen ihrer pro-westli-
chen, pro-französischen und föderalistischen Tradition Wunschpartner gewesen sei.56
Proz. (1975).
54Hudemann, Sozialpolitik, S.220 -226, 235, 244, 292-296, 332 f. ,341, 475.
55 Ebd.
Edgar W o 1 f r u m, Französische Besatzungspolitik und deutsche Sozialdemokratie. Politische
Neuansätze in der "vergessenen Zone" bis zur Bildung des Südweststaates 1945-1952, Düsseldorf 1991,
S.332.
36
4.1 Saarländische Reformansätze
Wie waren nun die Verhältnisse im Saarland? Wie verhielten sich hier die Positionen
von Gewerkschaften und Sozialdemokratie zu den französischen Reformvorstel-
lungen? Was würde mit den noch selbständigen Versicherungsträgern wie der Saar-
knappschaft und den Dutzenden von Betriebs-, Ersatz- und Innungskrankenkassen
geschehen? Besonders spannend erscheint die Frage nach der Entwicklung der Knapp-
schaft, ein im Saarland durch die Dominanz des Bergbaus besonders wichtiger Aspekt.
Würde die Saarknappschaft als selbständiger Versicherungsträger bestehen bleiben
oder der LVA angegliedert werden, beispielsweise so wie die knappschaftliche Renten-
versicherung von Hessen-Pfalz 1946 in Form einer knappschaftlichen Leitsteile in die
LVA Speyer integriert wurde.57
Auf saarländischer Seite war für die Sozialversicherung die Abteilung Arbeit des
Regierungspräsidiums, dann die Verwaltungskommission und schließlich das Ministe-
rium für Arbeit und Wohlfahrt zuständig. Auf Dr. Max Obe, der noch aus der Behörde
des Reichsstatthalters für die Westmark übernommen worden war und am 25. Oktober
mit der Wahrnehmung der Geschäfte der LVA beauftragt wurde, folgte ab 1. Novem-
ber 1945 Richard Kirn als Leiter der Abteilung Soziale Angelegenheiten und Gesund-
heitswesen des Regierungspräsidiums, später Abteilung Arbeit genannt.58 Er behielt
auch dieses Ressort in der im Oktober 1946 gebildeten Verwaltungskommission59 als
Direktor für Arbeit und Wohlfahrt, die mehr als 110 Mitarbeiter zählte, ab 20. Dezem-
ber 194760 gestaltete er als Minister für Arbeit und Wohlfahrt mit kurzen Unterbre-
chungen bis zum Ende der Ära Hoffmann die saarländische Sozialpolitik. Heinrich
Schneider bezeichnet das Arbeitministerium als Hochburg Kirns bzw. der westlich
orientierten Sozialdemokratie.61
Leider läßt die Aktenlage keine genaue Sozialanalyse des Personals der Abteilung
Arbeit zu. Grundsätzlich ist aber von einer stattlichen sozialdemokraüschen Personal-
stärke auszugehen. Bis zum 15. Mai 1946 leitete in der Abteilung Arbeit der der
Sozialdemokratie zuzurechnende Karl Ammann das wichtige Referat 8 für Sozial-
versicherungsfragen. Er wechselte zur LVA, zuerst als Regierungsdirektor und dann
57 Hudemann, Sozialpolitik, S.229.
58
LA SB, Regierungspräsidium (RP), Nr.3, Bl.1-9, Korrespondenz und Vermerke des
Regierungspräsidiums zu seiner Organisation. Ebd., B1.43, Vermerk RP vom 19.9.45. Ebd., Bl.112,
RP/Generalsekretariat vom 14.6.46. Ebd., Bl.119. Ebd., Nr.79, Bl.1-9, Korrespondenz des RP zwischen
25.10.45 bis 8.12.45.
59 Irrtümlich auf den 8.6.46 datiert von: Robert H. S c h m i d t, Saarpolitik 1945-1957, Bd.l, Berlin 1959,
S.168.
60 Hans-Walter Herrmann und Georg Wilhelm S a n t e, Geschichte des Saarlandes, Würzburg 1972,
S.80 f.
61 Heinrich Schneider, Das Wunder an der Saar. Ein Erfolg politischer Gemeinsamkeit, Stuttgart 1974,
S.390.
37
als Geschäftsführender Direktor.62 Abgelöst wurde er von Wilhelm Kimmritz , der
gegen den Willen der CVP auf sozialdemokratischen Druck das Referat übernahm.63
Da er nicht als Beamter, sondern als Regierungsangestellter beschäftigt wurde, darf er
wohl als von der SPS protegierter Quereinsteiger betrachtet werden.64 Sein Nachfolger
wurde der aus dem saarländischen Sulzbach stammende Dr. Treude, vor dem Krieg bei
der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin tätig und nach 1945 zunächst
Mitglied der SPS. Heinrich Schneider bezeichnet ihn als einen "Separatisten reinsten
Wassers", der in einem Vertrauensverhältnis zu französischen Funküonsträgern an der
Saar gestanden habe und ihr Wunschkandidat für die Position des Arbeits- und Sozial-
direktors der Saargruben gewesen sei.65
Positionen von Sozialdemokratie und Gewerkschaftlern
Wie in den übrigen deutschen Ländern sprachen sich auch im Saarland Gewerkschaft-
ler und Sozialdemokraten für eine Vereinheitlichung von Beiträgen und Leistungen in
der Sozialversicherung und für die Auflösung von Betriebs- und Ersatzkassen aus. Die
der Sozialdemokratie zuzurechnenden Vertreter der Ortskrankenkassen, und die
Abteilung Arbeit und Sozialversicherung im Regierungspräsidium verfolgten diese
Linie. Sie äußerte sich in der Haltung,grundsätzlich "zunächst einer Stillegung einer
Kasse den Vorzug geben zu wollen". Dem entsprechend wurde auch für defizitäre
Kassen wie die Betriebskrankenkasse der Firma Heckei und die Betriebskrankenkasse
der Passage Kaufhaus AG in Saarbrücken jeweils am 6. September und 21. November
1945 beim Versicherungsamt die Schließung beantragt.66 Die Politik, die defizitäre
Lage der Betriebskrankenkassen dafür zu nutzen, ihre Schließung anzuordnen, wurde
durch ihre im Vergleich zu den Ortskrankenkassen ungünstigen Bilanzen erleichtert.67
62 LA SB, RP, Nr.74, BI.4 f., Kirn an RP vom 14.5.56. Zu ihm konnte weder eine Entnazifizierungs- noch
eine Wiedergutmachungsakte gefunden werden. Die Orthographie seines Names differiert, die LVA
gewährte dem Autor keine Einsicht in ihre alten Personalakten.
Ebd. und LA SB, Verwaltungskommission (VWK), Nr.192, siehe den Bericht der
Generalfinanzkontrolle.
64
Ebd., zu ihm konnte weder eine Entnazifizierungs- noch eine Wiedergutmachungsakte gefunden werden.
Wahrscheinlich handelt es sich um den bei Linsmayer genannten Sozialdemokraten und Gewerkschaftler
Kimmritz, siehe: Ludwig Linsmayer, Politische Kultur im Saargebiet 1920-1932. Symbolische Politik,
verhinderte Demokratisierung, nationalisiertes Kulturleben in einer abgetrennten Region, St. Ingbert 1992,
S.220.
65 LA SB, Nachlaß Heinrich Schneider, Nr.45, Papier zur Arbeits- und Sozialdirektion der Saarbergwerke.
Dr. Treude soll später in die CVP eingetreten sein.
Ebd., MifAS, Bü.26, Regierungspräsidium Saar/Abt. Arbeit und Sozialversicherung, an das
Versicherungsamt der Stadt Saarbrücken vom 6.9.45, 21.11.45, 4.3.46.
67 Geschäftsbericht der LVA, S.48.
38
Bilanzen von Ortskrankenkassen (OKK) und Betriebskrankenkassen (BKK) im Saar-
land für 1945,1946 und das erste Halbjahr 1947 in Mark (RM/SM):
Einen Vorstoß in Richtung Auflösung der Betriebskrankenkassen unternahmen Re-
präsentanten von Ortskrankenkassen wie der Leiter der AOK Saarbrücken Dr. Werle.
In einem Schreiben an das Regierungspräsidium forderte er die Vereinigung der
Ortskrankenkasse für den Landkreis Saarbrücken mit der Ortskrankenkasse für die
Stadt Saarbrücken sowie die Eingliederung der Vereinigten Innungskrankenkassen und
kleinerer Betriebskrankenkassen.68 Solche Äußerungen förderten die Auflösungsängste
der Betriebs- und Ersatzkassen.
Widerstand der Betriebskrankenkassen
Als Anfang 1946 das Regierungspräsidium die Gründung eines Verbandes der Orts-,
Betriebs- und Innungskrankenkassen anordnete, sahen viele Betriebskrankenkassen
ihre Furcht vor einer EinheitsVersicherung bestätigt.69 Bereits Ende 1945 entschieden
sich die saarländischen Betriebskrankenkassen, ihre Interessenvertretung durch einen
Verband zu koordinieren. Sie wehrten sich gegen eine Schließung mit dem Hinweis,
daß das Absinken ihrer Mitgliederzahlen unter die gesetzliche Mindesthöhe nur kurz-
fristig sei und durch die Heimkehrer ausgeglichen werden würde. In zwei umfangrei-
chen Denkschriften vom 10. Dezember 1945 und 8. Januar 1946, die dem Regierungs-
präsidium und der französischen Militärregierung zugesandt wurden, traten die Be-
triebskrankenkassen allen Argumenten für ihre Schließung entgegen; Ihre Beitrags-
sätze seien geringer und ihre Leistungen höher, der Mißbrauch könne durch die über-
sichtlicheren Verhältnisse besser verhindert werden, eine kleine Kasse sei "mensch-
licher" und es gebe ein "gegenseitiges Verantwortungsgefühl der Versicherten unter-
einander". Die Verwaltungskosten seien eindeutig geringer. Man wehrte sich gegen das
Argument der Einheitsversicherungsanhänger, daß Betriebskrankenkassen die geringe-
ren Risiken hätten, mit dem Hinweis, Zentralisierung bedeute Bürokratisierung und
LA SB, MifAS, Bii.26, Dr. Werte an RP/Abt, Arbeit vom 10.12.45. Das Schreiben von Dr. Werte muß
vor dem Hintergrund eines Schreibens der AOK Trier vom 27.11.45 an die OK Saarbrücken gesehen
werden, in dem der Leiter der AOK über die Zusammenfassung zu einem Versicherungsträger unter der
Bezeichnung AOK Trier berichtet. Antwortschreiben des Regierungspräsidiums an Dr. Werle vom 7.1.46.
Auffallend ist die Zurückhaltung gegenüber Dr. Werle. Man sei erfreut über die Anregung, wolle aber die
Entwicklung beobachten.
69
Ebd., Verband der Saarländischen Betriebskrankenkassen an das Regierungspräsidium/Abt. Arbeit und
Sozialversicherung vom 7.3.46:"Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, daß hier Gesichtspunkte
einer Zusammenlegung der Kassen im Endziel führend sind". Siehe auch ebd.: RP/Abt. Arb. 917/46 vom
24.4.46 an Militärregierung.
OKK +863.010,58
BKK -28.578,14
1945
1946
-260.650,71
-284.281,92
1. Halbjahr 1947
-1.011.274,83
-1.058.293,93
39
Vermassung.70 Gegensätzliche Positionen vertraten Repräsentanten der Ortskranken-
kassen und der bereits zu diesem Zeitpunkt erkennbar gewerkschaftlich und sozialde-
mokratisch dominierten Abteilung Arbeit des Regierungspräsidiums. Sehr engagiert
äußerte sich Wilhelm Kimmritz, der Referent des Hauptreferates II (Sozialversiche-
rung) der Abteilung Arbeit im Regierungspräsidium, in einem Exposé über Sozial-
versicherungsfragen im Juni 1946. In ihm finden sich die klassischen Argumente der
Anhänger der Einheitsversicherung: Zentralisierung als Weg zur Beitrags- und Lei-
stungsvereinheitlichung und gerechten Risikoverteilung. Kimmritz gab ein Plädoyer
für die Auflösung der Betriebskrankenkassen:"Die Betriebskrankenkassen bedeuten
Zersplitterung der Kräfte". Es sei ungerecht, daß die Ortskrankenkassen mit schlechten
Risiken der gewerblichen Arbeitnehmer belastet werden würden, während die Er-
satzkassen vorwiegend festvergütete Gehaltsempfänger hätten, an die nur in ganz
seltenen Fällen Krankengeld gezahlt werden müsse. Um die Vereinheitlichung als
Gebot der Stunde anzupreisen, wies er darauf hin: "(...) Zentralisation bedeutet auch
vorsorgliches Wirtschaften und Planen für die Zeiten der Krise in der Volksgesund-
heif'.71
Abweichende Beitragssätze und divergierende Versicherungsleistungen der einzelnen
Versicherungsträger erklären sich daraus, daß jede Krankenkasse kraft ihres Selbstver-
waltungsrechtes sowohl die Beiträge als auch die über die Reichsversicherungsordnung
(RVO) hinausgehenden Mehrleistungen selbst festsetzen konnte. Niedrige Beitrags-
sätze und weitreichende Mehrleistungen setzen ein hohes Einkommensniveau der
Versicherten und ein günstiges Versicherungsrisiko voraus. Wenn man die Pro-Kopf-
Ausgaben der verschiedenen Krankenversicherungsträger für das Jahr 1946 vergleicht,
fallen deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ortskrankenkassen auf, aber
auch die wesentlich geringeren Pro-Kopf-Ausgaben der Barmer Ersatzkasse. Ins-
besondere der Anteil der Krankengeldzahlungen an den Gesamtausgaben war bei den
örtlichen Krankenkassen wesentlich höher, obwohl die Krankengeldleistungen der
Barmer Ersatzkasse bis zu 75 Prozent über dem gesetzlichen Mindeststandard lagen.72
Ebd., Bü.26, Denkschrift des Verbandes der saarländischen Betriebskrankenkassen. "Betriebskranken-
kassen. Ihr sozialer Wert für den Arbeitnehmer und ihre Bedeutung für den Wiederaufbau der
Saarwirtschaft" v. 10.12.45. Siehe auch; Ebd., Bü.15, Plädoyer des Verbandes der saarländischen
Betriebskrankenkassen für ihren Erhalt vom 8.1.46.
71
Ebd., Bü.8, Exposé über Sozialversicherungsfragen, verfaßt vom Hauptreferat II, Sozialversicherung,
vom 24.6.46, Verfasser: W. Kimmritz. Siehe auch: Ebd., RP, Nr.5, Bl. 156.
72
Ebd., Bü.26, S tat. Vergi eichsmaterial über die Verhältnisse bei den saarländischen Krankenkassen in den
Jahren 1946, 1938 und 1934 als Anlage zur Begründung der Verordnung über die Neuordnung der
Sozialversicherung im Saarland. Aufgestellt am 29.4.47.
40
Übersicht über die Pro-Kopf-Ausgaben und den Anteil des Krankengeldes der saarlän-
dischen Ortskrankenkassen und der Barmer Ersatzkasse, Verwaltungsstelle Saar:
davon
Ortskrankenkassen: Pro-Kopf-Ausgaben davon Krankengeld:
Homburg 51,15 RM 27,05 RM= 52,9 Proz.
Merzig 28,40 RM 14,25 RM= 50,2 Proz.
Neunkirchen 39,96 RM 18,26 RM= 45,7 Proz.
Saarbrücken-Stadt 49,39 RM 26,66 RM= 54,0 Proz.
S aarbrü cken-Land 43,02 RM 25,71 RM= 59,8 Proz.
Saarlouis 44,82 RM 24,52 RM= 54,7 Proz.
Saarburg 32,51 RM 13,40 RM= 41,2 Proz.
St. Ingbert 46,93 RM 23,18 RM= 49,4 Proz.
St. Wendel 41,72 RM 20,46 RM= 49,0 Proz.
Barmer Ersatzkasse: 39,07 RM 8,25 RM= 21,1%
Rpihpnfnlop rfpr fCnvtpnnrrtpilp^^
1. Krankengeld
2. Krankenhauspflege für Mitglieder
3. Krankenhauspflege für Angehörige
4. Familienwochenhilfe
5. Hausgeld, Sterbegeld für Mitglieder
6. Sterbegeld für Angehörige
7. Taschengeld
Innerhalb des in der Abt. Arbeit im Regierungspräsidium gebildeten Versicherungs-
beirates stand Wilhelm Kimmritz mit seinen Positionen nicht allein, auch Karl Am-
mann bezeichnete die Betriebs- und Ersatzkassen als "soziale Ungerechtigkeit" und
plädierte für eine Vereinheitlichung, früher hätte es viele kleinere Hüttenknappschaften
gegeben mit der Folge, daß nur Gesunde eine Arbeitsplatzchance gehabt hätten. Mit
dem Hinweis, in Frankreich gebe es keine Betriebskrankenkassen, befürwortete Carl
Dierks ihre Auflösung. Auch Alexander Jungfleisch, ein politisch eher konservatives
Mitglied des Versicherungsbeirates, sprach sich immerhin für den Wegfall kleinerer
Betriebskrankenkassen aus, verwies aber auf die engere Bindung der Versicherten zu
ihrer Kasse.73 74
73 Ebd.
74
Ebd., Bii.8, Protokoll über die Sitzung des Versicherungsbeirates der Abteilung Arbeit vom 10.9.46.
Dierks war Regierungsinspektor innerhalb des Referates 8 der Abteilung Arbeit im Regierungspräsidium
und Sachbearbeiter für die Krankenversicherung, siehe: LA SB, RP, Nr.74, Bl. 1 f.
41
4.2 Französische Reformplanungen
Bereits Anfang Juli 1946 hatte die Militärregierung bei der Abteilung Arbeit im Regie-
rungspräsidium einen Verordnungsentwurf zur Auflösung der Betriebs-, Innungs- und
Ersatzkrankenkassen angemahnt. Es stellt sich die Frage, warum die auch von der
Abteilung Arbeit im Regierungspräsidium gewünschte Zentralisierung noch nicht in
die Wege geleitet worden war, wenn doch auch die Besatzungsmacht eine Reform in
diesem Sinne wünschte.
Zunächst einmal scheint die innerfranzösische Entwicklung die Planung der saarlän-
dischen wieder französischen Entscheidungsträger beeinflußt zu haben.75 Die Planung
zur Sozialversicherungsreform in Frankreich bestimmte auch die Entwicklung im
Saarland. Im Sommer 1946 zeichnete sich in Frankreich ab, daß entgegen der ur-
sprünglichen Konzeption zur Sécurité Sociale trotz einer Vereinheitlichung der Sozial-
versicherung spezielle Sondersysteme für bestimmte Berufsgruppen erhalten blieben.76
Vorausgegangen waren im Frühsommer 1946 scharfe Proteste von zahlreichen Berufs-
gruppen, insbesondere von Angestellten, die ihre Privilegien mit Unterstützung des
christdemokratischen M.R.P. behalten wollten.77
Kimmritz verfolgte den bereits Ende 1945 eingeschlagenen Kurs, Betriebskrankenkas-
sen nicht wieder zuzulassen und bestehende aufzulösen, weiter. So ordnete er auch im
Mai 1946 die "Stillegung" der Betriebskrankenkasse von Ehrhardt & Sehmer und die
"Überführung der Versicherten zur Allgemeinen Ortskrankenkasse"an.78 Die Vorgänge
zeigen aber, daß die saarländische Seite erst nach erfolgter Weisung der Militärregie-
rung handelte, denn der Druck, die Auflösung der Betriebskrankenkassen auch prak-
tisch umzusetzen, kam von der französischen Militärregierung in Baden-Baden. Sie
bestand auf der Ausführung der Verordnung Nr. 39 vom 20. April 1946 auch im
Saarland, welche die Auflösung der Betriebs-, Ersatz-, und Innungskrankenkassen
vorsah. Grandval als Militärgouvemeur für das Saarland betonte gegenüber dem
Regierungspräsidium:"Ich beehre mich, Ihnen an bei einen Brief betreffend VO. Nr. 39
(...) über die Vereinigung und Auflösung von Versicherungskassen zu unterbreiten. Ich
bitte Sie, diese Unterlagen genauestens durchzuarbeiten und dieselben als Grundlage
für die Regelung des Versicherungswesens zu betrachten".79
LA SB, MifAS, Bü.26, Kimmritz an Kirn und die Mitglieder des Versicherungsbeirates, Tgb.-
Nr. 1438/46, vom9.7.46:"Es muß vermieden werden, daß wir schließlich nach dem Anschluß an Frankreich
noch einmal einen Umbau vornehmen müssen. Herr Rieth erklärte mir, in Frankreich sei die Gestaltung der
Sozialversicherung noch nicht abgeschlossen und er halte meinen Standpunkt für richtig, vorläufig
abzuwarten, zumal die Angelegenheit durchaus nicht dringlich sei".
76 Yves S ai nt - Jours, Landesbericht Frankreich, in: Peter A. Köhler und Hans F. Zacher (Hrsg.), Ein
Jahrundert Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich
und der Schweiz, Berlin 1981, S. 242.
77
Hudemann, Sozialpolitik, S.137.
78 LA SB, MifAS, Bü.26, Kimmritz (RP 1072/46 Ki) an das Landesversicherungsamt vom 15.5.46.
79 Ebd., RP, Nr.13, B1.292, Grandval an RP/Abt. Arb. vom 30.8.46.
42
Von Seiten der Verantwortlichen innerhalb des Regierungspräsidiums verständigte
man sich in der Sitzung des Versicherungsbeirates vom 10. September 1946 auf den
Beschluß, Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen mit weniger als 500 Versicherten
aufzulösen. Man blieb damit eindeutig hinter der Verordnung Nr. 39, die diese Klausel
nicht beinhaltete, sondern die Auflösung aller Kassen anordnete.80 Baden-Baden war
mit dieser Lösung nicht einverstanden und beharrte auf der vollständigen Durch-
führung der Verordnung. In einem in französischer Sprache formulierten mehrseitigen
Schreiben versuchten die Betriebskrankenkassen nun die französische Militärregierung
im Saarland von einer Auflösung abzubringen.81
Zurückhaltung des Regierungspräsidiums
Die zögerliche Haltung der Verantwortlichen im Regierungspräsidium, die Verordnung
Nr. 39 durchzusetzen, war zum einen auf rechtliche Bedenken zurückzuführen. Den
Saarländern war unklar, ob das Saargebiet juristisch überhaupt unter diese Verordnung
fallen konnte, diese Frage wiederum tangierte die Rechtsgültigkeit einer entsprechen-
den Sozialversicherungsreform.82 Neben diesen juristischen Aspekten war es aber vor
allem die Furcht, sich mit der verordneten Auflösung der Betriebs-, Innungs- und
Ersatzkrankenkassen bei der Bevölkerung unbeliebt zu machen, denn der Widerstand
dagegen wuchs. Eine Flut von Protestschreiben und Resolutionen war aus den Betrie-
ben für den Erhalt der Betriebs kr an kenkassen dem Regierungspräsidium seit Juni 1946
zugegangen.83
Die Angst vor der unpopulären Entscheidung, die Betriebskrankenkassen aufzulösen,
spiegelt sich in der Haltung von engagierten Einheitsversicherungsanhängern wie Karl
Ammann und Wilhelm Kimmritz wider. So gab Kimmritz in einer Sitzung zur Neu-
ordnung der Sozialversicherung zu bedenken:"Wir müssen vorsichtig zu Werke gehen.
80 Ebd., MifAS, Bü.26, VWK/Abt. Arbeit und Wohlfahrt, Dierks an Kirn, Beschluß der Sitzung des
Versicherungsbeirates vom 10.9.46.
81 Ebd., Bü.15, Association des Caisses de secours d'usines sarroises, Völklingen, vom 23.7.46 an franz.
Militärregierung. In dem Schreiben wurde auf die Situation in Elsaß-Lothringen hingewiesen. Die dort in
der Zeit der Abtrennung von Frankreich entstandenen Betriebskrankenkassen durften nach der
Rückgliederung weiterbestehen. Der Verband wies dabei vor allem auf die Rolle von Alexandre Millerand
hin, Präsident von 1920 bis 1924, der sich 1919 für eine Regionalisierung Frankreichs stark gemacht hatte
und für die Einführung der Sozialversicherung nach elsässisch-deutschem Vorbild eintrat. Siehe dazu:
Stefan Fisch, Wiedervereinigung von Fremdgewordenem. Studien zur Verfassungsgeschichte des Elsaß
zwischen dem deutschen Kaiserreich und der französischen III. Republik, Habilitationsschrift München
1993, Biographischer Anhang, S.51.
82 Ebd,, Bü.26, Kirn an Grandval vom 24.10.46, Wilhelm Kimmritz an Landesversicherungsamt vom
11.11.46.
83 Ebd., Schreiben der BKK Arnold Becker & Co. Textilgroßwarenhandlung an RP/Abt. Arbeit vom
28.6.46. Vereinigte Bekleidungswerke R. und A. Becker an RP/Abt. Arb. vom 27.6.46. B. Seibert, Stahlbau
an RP/Abt. Arbeit vom 18.6.46; Struma Gesellschaft für Strumpffabrikation an ebd. vom 3.7.46.
Betriebskrankenkasse der Straßenbahnen im Saartal an ebd. vom 2.8.46.
43
Wir haben schon Entschließungen von Parteien hierher bekommen, die gegen den
neuen Plan protestieren”. Inzwischen hatten die Ersatzkassen eine erhebliche Werbe-
tätigkeit entfaltet, die zu Lasten der Ortskrankenkassen ging.84 Belegschaftsvertreter
protestierten gegen die Auflösung ihrer Kasse.85 Um den Zorn auf die französische
Militärregierung zu lenken, wollte die saarländische Seite in der Öffentlichkeit nicht die
Verantwortung für den politisch als richtig befundenen Weg, mit dem man sich voll
und ganz identifizierte, übernehmen. So kalkulierte Ammann:"Wir können (...) die
Verantwortung für diesen Schritt auf die Militärregierung schieben, es sei uns eben
vorgeschrieben worden".86 Die von Seiten des Regierungspräsidiums aus Überzeugung
eingeleitete Auflösung der Betriebskrankenkassen der saarländischen Straßenbahnen
wurde gegenüber den Betroffenen in diesem Sinne auch als "Anordnung der Militär-
regierung" vertreten.87
Die Auflösung der Sonderkassen sollte in der Öffentlichkeit auf die französische
Militärregierung geschoben werden, um selbst die Schelte nicht einstecken zu müssen.
Sie wurde zwar politisch von Gewerkschaftlern und Sozialdemokraten gewollt, ihnen
fehlte aber der Mut, diese Reform öffentlich zu vertreten und für sie politisch ein-
zustehen. Stattdessen versteckte sich die Abteilung Arbeit des Regierungspräsidiums
hinter der Militärregierung und präsentierte sich quasi als deren Befehlsempfänger
bzw. als ausführendes Organ. Ähnlich verhielten sich auch deutsche Stellen in der
französischen Besatzungszone. Die Ortskrankenkassen, die bei der Durchführung der
VO. Nr. 39 eine tragende Rolle spielten, traten in den Verhandlungen mit den auf-
zulösenden Kassen auch als Vollstrecker der Militärregierung auf.88
In Übereinstimmung zur französischen Besatzungszone gilt auch für das Saarland, wie
die Politik der Abteilung Arbeit des Regierungspräsidiums und der Verwaltungs-
kommission hinsichtlich der Sozialversicherungsreform zeigt, daß die politischen
Reformansätze von Gewerkschaften und Sozialdemokratie sich mit den Neuordnungs-
vorstellungen der französischen Besatzungsmacht verzahnten.89 Die Sozialversiche-
rungsreform wurde im Herbst 1946 durch die Militärregierung vorangetrieben. Anläß-
84 Ebd., Protokoll der Sitzung zur Neuregelung der Sozialversicherung vom 21.10.46.
85
Ebd., Gesellschaft für Straßenbahnen im Saartal AG an Verwaltungskommission vom 6.2.47.
86 Ebd., Protokoll der Sitzung vom 21.10.46.
87
Ebd., VWK/Abt Arbeit und Wohlfahrt, i.A. Kimmritz, an Gesellschaft für Straßenbahnen im Saartal AG
vom 12.2.47. "(...) teilen wir Ihnen mit, daß die Auflösung aller Betriebs- und Ersatzkrankenkassen auf
Anordnung der Militärregierung durchgeführt wird (...). Wir bitten von der Sachlage gefälligst Kenntnis
nehmen zu wollen."
Diese Taktik wandten Ortskrankenkassenvertreter in Baden an wie aus einem Bericht eines
Verantwortlichen der AOK Freiburg hervorgeht, siehe bei Hudemann, Sozialpolitik, S.266, Anm.63:"
(...) wobei ich immer die Wünsche der französischen Militärregierung hervorhob und mich hinter
denselben verschanzte".
Vgl. dazu: Wolfrum, Französische Besatzungspolitik, S.332.
44
lieh der ersten Sitzung des Technischen Ausschusses der LVA für das Saarland, an der
Gilbert Grandval als Gast teilnahm, bezeichnete er Capitaine Robert Paris, Conseiller
Technique, als "eigentlichen Erfinder und (...) Träger des neuen Sozialplans. Die Idee,
die uns, Paris und mich selbst, bei der Ausarbeitung dieses Plans geleitet hat, war die
Schaffung einer neuen Sozialordnung im Saarland."90
Das Reformkonzept von Robert Paris basierte auf Berechnungen von Leutnant Paul
Job, Chef du service démographique der Militärregierung, und auf Berechnungen der
von Richard Kim geleiteten Abteilung Arbeit im Regierungspräsidium.91 Vorausgegan-
gen waren am 10. September Gespräche zwischen Robert Paris und Präsidialdirektor
Richard Kirn über eine Verordnung zur Neuorganisation der "Sozialen Sicherheit" im
Saarland.92 Robert Paris hatte einen Plan zur Zentralisierung der Sozialversicherung
ausgearbeitet. Mit der Durchführung des Plans sollte die LVA beauftragt werden.93
Bezug zur innerfranzösischen Reform
Wesentliche Vorstellungen des Plans von Robert Paris entsprachen der in Frankreich
nach 1945 aufgebauten Sécurité Sociale und entsprechend wurde auch das Reform-
werk für das Saarland als "Soziale Sicherheit" bezeichnet. Kernpunkte des Sozial-
versicherungsplans für das Saarland waren in Anlehnung an die französische Sécurité
Sociale die bereits im Vorfeld des Planes auch im Saarland durchgeführte Ausdehnung
der Sozialversicherungspflicht, vor allem aber die angestrebte Beitrags- und Leistungs-
vereinheitlichung durch die Auflösung von Betriebs-, Innungs- und Ersatzkrankenkas-
sen.94 Daß in dem Plan von Robert Paris die Saarknappschaft und die Beschäftigten
der Eisenbahn wie auch die Beamten nicht mit der LVA zu einem Versicherungsträger
verschmolzen werden sollten, entsprach tendenziell der aktuellen innerfranzösischen
Entwicklung. Im Frühsommer 1946 hatte sich in der französischen Diskussion nach
der Stärkung des M.R.P. durch die Wahlen zur Verfasssungsgebenden Versammlung
angedeutet, daß das ursprünglich strenge Einheitskonzept nicht mehr mehrheitsfähig
war.95 Die Angestellten hatten eine komplementäre neben der Sécurité Sociale stehende
Rentenzusatzversicherung durchgesetzt, Selbständige in Industrie und Handel sowie
andere Berufsgruppen konnten sogar autonome Sondersysteme aufbauen.96 Auch für
den Bergbau bestanden weiterhin Sondersysteme.
90
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift zur Sitzung des Technischen Ausschusses vom 5.7.47.
91 LA SB, MifAS, Bü.26, Plan de Sécurité Sociale de la Sarre, verf. v. Robert Paris.
92 Ebd., RP, Nr.13, B1.190 f., R. Paris an Präsidialdirektor Kim vom 16.9.46.
93 Ebd.
94
Ebd., MifAS, Bü.26, Plan der Sozialen Sicherheit im Saarland. Abschrift: Französische Verordnung über
die Soziale Sicherheit vom 4.10.45. Siehe: L'ordonnance du 4 octobre 1945 portant organisation générale
de la sécurité sociale, in: La sécurité sociale. Son histoire à travers les textes, Bd.3, 1945-1981, hrsg. vom
Comité d'histoire de la sécurité sociale, Paris 1988, S.12 f.
95Hudemann, Sozialpolitik, S.134-137.
% R i 11 e r, Der Sozialstaat, S. 153.
45
Es wäre politisch ausgesprochen unklug gewesen, die organisatorische Selbständigkeit
der Knappschaft im Saarland anzutasten. Dafür war die Tradition dieses Versiche-
rungssystems, das in den Köpfen der Saarländer zu einer Institution geworden war,
einfach zu stark. Die erste Knappschaft war an der Saar 1769 gegründet worden. Auch
Arbeiter der Eisenindustrie waren bei ihr versichert, da auch diese Betriebe der berg-
amtlichen Überwachung unterlagen. 1816 war der Saarbrücker Knappschaftsverein
gegründet worden und seit 1852 war die Mitgliedschaft und die Beitragsleistung der
Betriebe obligatorisch geworden, die Mitgliedschaft der Hütten wurde freiwillig. Es
bildete sich dann im Saarland die Saarhüttenknappschaft.97
Um den Reformplan von Robert Paris in die Wege zu leiten, folgte am 8. Dezember
1946 die Verordnung Nr.74 von General Koenig. In ihr wurde angeordnet, daß eine
Einrichtung für die "Soziale Sicherheit" im Saarland aufzubauen sei.98 Gilbert Grandval
beauftragte per Verfügung vom 20. Dezember 1946 die LVA mit der Durchführung
des Planes zur Sécurité Sociale an der Saar.99 Alle für die Neuordnung der Sozial-
versicherung notwendigen Maßnahmen sollten durch das Mitglied der Verwaltungs-
kommission für Arbeit und Wohlfahrt ergriffen werden.
Verzahnung von Besät zungsmacht und Sozialdemokratie
Das bedeutete nicht, daß die Sozialversicherungsreform jetzt uneingeschränkt in die
Hände der Saarländer gelegt wurde. Grundlage war der Plan von Robert Paris. Über
Inhalt und Durchführung berieten die Militärregierung und der Versicherungsbeirat,
der bereits von der Abteilung Arbeit des Regierungspräsidiums gebildet worden war.
Seine Zusammensetzung zeigt eine klare Mehrheit aus Sozialdemokratie, Vertretern der
Ortskrankenkassen und Gewerkschaften. Mitglieder des Versicherungsbeirates waren:
Karl Ammann (LVA), Dr. Gattermann (Vertrauensärztlicher Dienst), Carl Dierks,
Wilhelm Kimmritz und Richard Kirn (VWK, Abt. Arbeit), August Martin und Jakob
Schlick (Landesversicherungsamt), Rudolf Schmidt (AOK Saarbrücken-Stadt), Hein-
rich Wacker (Einheitsgewerkschaft) Reinhold Wagner (Allgem. Unfallversicherungs-
genossenschaft) und Louis Arend (CVP, Unternehmervertreter).100 Auf französischer
Seite nahmen an den Beratungen über den Plan Paris teil: Robert Paris, Alphonse Rieth,
Forreste als Vertreter des französischen Arbeitsministeriums sowie gelegentlich Dr.
Jung von der Direction Générale der Sécurité Sociale in Strasbourg.101 Insbesondere die
Ärzteschaft war wie die Arbeitgeberseite unterrepräsentiert. Die Parteien waren somit
von der Militärregierung nicht direkt an den Beratungen beteiligt worden, was ins-
97 R o y, Der saarländische Bergmann, S.73,
98
Journal Officiel du commandement en Chef Français en Allemagne, Nr.49, S.509.
99 Abl.l947,S.19.
100 Gelegentlich nahmen an den Sitzungen auch ORR Karrenbauer (VWK, Abt. Arbeit) teil und Herr
Fliegler vom Syndikat der Metallindustrie sowie Herr Hollborn von der Saarhüttenknappschaft.
101 LA SB, MifAS, Bü.26, Protokoll der Sitzung vom 10. 6.47
46
besondere von der KP öffentlich und von der CVP inoffiziell kritisiert wurde.102 Die
CVP sah "ihre Felle davon schwimmen", weil sie angesichts der sozialdemokratischen
Mehrheit in den Beratungsgremien ihre Vorstellungen kaum durchsetzen konnte.103
Bei den Verhandlungen spielte Alphonse Rieth, der die deutsche Sprache sehr gut
beherrschte104, eine zentrale Rolle, da er in den Beratungen auch als Dolmetscher für
Robert Paris und die saarländischen Teilnehmer fungierte.105 Robert Paris operierte
psychologisch geschickt und vermied den Eindruck, den Saarländern ein fremdes
System überstülpen zu wollen. So stellte er sein Konzept in der Einleitung seines Plans
als Synthese vor, die sowohl die Vorteile des deutschen als auch des französischen
Sozialversicherungssystems vereinige:"Es wird den besonderen Merkmalen der saar-
ländischen Gesetzgebung Rechnung getragen mit der Maßgabe, daß die Vorteile, die
im deutschen und im französischen Recht bestehen, festgehalten werden".106 Die
französische Seite vermied den Begriff Zentralisierung107, ein Reizwort für die Anhän-
ger von Sonderkassen. Die Wortwahl verdeutlicht sein Streben nach sozialpolitischem
Konsens.
4.3 Reform zwischen Neuordnung und Tradition
Obwohl Robert Paris mit der angestrebten Vereinheitlichung der Sozialversicherung
ein jahrzehntealtes Ziel der Ortskrankenkassen, freien Gewerkschaften und Sozialde-
mokratie aufgriff108, fand er keine uneingeschränkte Zustimmung. Insbesondere Karl
Ammann, Exponent einer Einheitsversicherung, und als Regierungsdirektor bei der
LVA wichtiger Verhandlungspartner109, schlug in einem Altemativentwurf in wesentli-
chen Fragen einen anderen Weg ein. Was waren die Streitpunkte?
Der Plan von Paris sah vor, daß die Sozialversicherung sich finanziell selbst im Rah-
men eines Umlageverfahrens tragen und ohne staatliche Zuschüsse auskommen sollte.
Dieses Finanzierungsmodell entsprach den Strukturen der französischen Sozialversi-
cherung, der Staatszuschüsse fremd waren. Robert Paris beabsichtigte damit eine
102 Neue Zeit vom 13.3.47.
LA SB, VWK, Mr.4, Stellungnahme der CVP (ohne Datum) zur Neuordnung der Sozialversicherung.
CVP-Generalsekretariat an Verwaltungskommission vom 22.7.47.
104 Interview mit Franz Schlehofer am 23.2.1994.
105 LA SB, MifAS, Bü.28, Bericht über die Sitzung vom 7.1.47.
106 Ebd., Bü.26, Plan Sécurité Sociale, Okt.46.
107 Ebd., ’’Aufbau einer neuen sozialen Ordnung’’ von Alphonse Rieth, in: Die Arbeit. Organ der Einheits-
gewerkschaft, Nr.5, Nov.1946, S.l.
8 H o c k e r t s, Sozialpolitische Entscheidungen , S.27-29.
109
Ammanns federführende Rolle auf saarländischer Seite bei der Gestaltung der Sozialversicherungsre-
form wird in einer Stellungnahme der CVP zur Neuordnung der Sozialversicherung hervorgehoben, siehe
dieselbe in: LA SB, VWK, Nr.4, Stellungnahme der CVP zur Neuordnung der Sozialversicherung.
47
Assimilierung an Frankreich. Durch eine kräftige Beitragserhöhung zur Rentenversi-
cherung hoffte er, ohne staatliche Subventionen auskommen zu können. Dagegen sah
der Plan von Karl Ammann (LVA) vor: "Die Leistungen der Sozialversicherung
werden durch Beiträge der Versicherten und der Unternehmungen finanziert sowie
durch staatliche Subventionen".110 Diese Position entsprach dem dreigeteilten Fi-
nanzierungssystem der deutschen Sozialversicherung. Die CVP stellte sich in ihrer
Stellungnahme zur Sozialversicherung in dieser Frage hinter Ammann.111 Die Frage
nach Staatszuschüssen entwickelte sich zu einem der wesentlichen Streitpunkte. Für die
französische Militärregierung stellte Alphonse Rieth dazu fest:" Herr Paris ist absolut
gegen diesen Paragraphen". Hinsichtlich der Finanzorganisation lehnte er eine Tren-
nung der einzelnen Versicherungszweige ab und plädierte wegen des Fehlens von
Finanzreserven in verschiedenen Bereichen der Sozialversicherung für einen internen
Lastenausgleich. Bei den Reformplanungen auf der Kontrollratsebene sah man darin
ein Instrument zur Konsolidierung der Defizite mit der Hoffnung, Besatzungskosten
senken zu können.112 Karl Ammanns Konzept ging davon aus, über staatliche Subven-
tionen, die zunächst einmal von Frankreich kommen mußten, einen finanziellen Grund-
stock in allen Versicherungsbereichen zu gewinnen. Zwischen der Forderung nach
staatlichen Subventionen und der selbständigen Verwaltung der Risikoträger bestand
also auch ein logischer Zusammenhang. Auch in diesem Punkt teilte die CVP die
Position des Sozialdemokraten Ammann.113 Der Konflikt unterstreicht, daß die franzö-
sische Militärregierung 1947 mit der Neustrukturierung der Sozialversicherung im
Saarland auch eine strukturelle Anpassung an die französische Sécurité Sociale
wünschte. Dies wird vor allem deutlich, wenn man die Position Frankreichs auf der
Kontrollrats- und Zonenebene in dieser Frage zum Vergleich heranzieht. Die französi-
sche Militärregierung hatte in ihrer Zone Staatszuschüsse akzeptiert. In bezug auf die
Kontrollratsarbeit sahen allgemeine Reformdirektiven vom Frühjahr 1946 staatliche
Subventionen zunächst nur in Ausnahmefällen vor, in den Entwürfen gegen Ende des
Jahres waren dann staatliche Unterstützungen ausdrücklich vorgesehen, wenn die
Beiträge nicht ausreichten.114
Im Rahmen der Beratungen zur Durchführung der Sozialversicherungsreform wurde
die Frage der Staatszuschüsse nicht endgültig gelöst. Robert Paris akzeptierte aber,
wahrscheinlich durch die Vermittlung von Alphonse Rieth, daß zumindest in der
Wiederaufbauphase der Sozialversicherung gewisse staatiiche Hilfen unumgänglich
110 LA SB, MifAS, Bü.26, Protokoll zur Sitzung vom November 1946 zur Sozialen Sicherheit.
111 LA SB, VWK, Nr.4, Stellungnahme der CVP zur Neuordnung der Sozialversicherung.
112 Hudemann, Sozialpolitik, S.200.
113 LA SB, MifAS, Bü.26, HCS, Cabinet syndicales et affaires soc., Alphonse Rieth an den Vorsitzenden
der vorl. Verwaltungskommission/Abt. Arbeit vom 4.11.46 und ebd,, VWK, Nr.4, Stellungnahme der CVP
zur Neuordnung der Sozialversicherung.
114 Hudemann, Sozialpolitik, S.198-200.
48
waren. Dieser Entwicklung konnte sich die französische Seite nicht verschließen,
insbesondere nachdem deutlich wurde, daß der beinah verdoppelte Beitragssatz zur
Rentenversicherung keine ausgeglichene Bilanz ermöglichte.115 Auch in der Frage der
getrennten Finanzorganisation wurde Ammann entsprochen.
Einen weiteren Streitpunkt stellte die Frage der Arbeitslosenversicherung dar. Hier war
es neben Richard Kirn und Karl Ammann insbesondere der Präsident der Einheits-
gewerkschaft Heinrich Wacker, der gegenüber Robert Paris betonte, das Prinzip der
Arbeitslosenversicherung dürfe nicht beiseite geschoben werden.116
Hier war der Konflikt zwischen Saarländern und Franzosen auf den nationalen Erfah-
rungskontext bzw. unterschiedliche Schwerpunktbildungen in der Sozialpolitik zurück-
zuführen.117 Die sozial- und wirtschaftspolitische Entwicklung nach dem Ersten Welt-
krieg in Deutschland und Frankreich erklärt die Divergenzen. Während die französi-
sche Sozialpolitik traditionell mit Geburtenrückgang, Überalterung und daraus resultie-
rendem Arbeitskräftemangel konfrontiert worden war, hatte die deutsche Sozialpolitik
das Problem wachsender Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zu lösen. Dieser
soziale Problemdruck begünstigte 1927 die Einführung der Arbeitslosenversicherung
in der Weimarer Republik.118
Die Arbeitslosenversicherung war für Sozialdemokraten und Gewerkschaftler ein
politisches Gut. Sie brachte vor allem den Arbeitern als der klassischen Klientel der
Sozialdemokratie mehr soziale Sicherheit, weil sie im Gegensatz zum festangestellten
Beamten und Angestellten in ungleich stärkerem Maße dem Risiko der Arbeitslosigkeit
ausgesetzt waren.119 Neben diesen Aspekten sollte aber auch auf die Entwicklung im
Saarland vor 1935 hingewiesen werden, die nicht folgenlos für das politische Bewußt-
sein eines Richard Kirn gewesen sein dürfte. Ende der zwanziger Jahre war auch das
unter Völkerbundsverwaltung stehende Saargebiet mit enorm wachsenden Arbeits-
losenzahlen konfrontiert worden. Im Abstimmungskampf 1935, als es um den Status
quo oder die Rückkehr zum nationalsozialistischen Deutschland ging, wirkte die
Arbeitslosigkeit, wie Gerhard Paul meint, als "eigenständige Sozialisationsphase" im
Sinne einer Abstimmung für die Rückgliederung an Hitler-Deutschland.120
115 Geschäftsbericht der LVA , S.28.
116 LA SB, MifAS, Bü.28, Plan der Sozialen Sicherheit für das Saarland. Kommissionsbencht vom 9.1.47.
117 Siehe Kapitel II./l
118
Roswitha Palm, Die Systeme der Arbeitslosenunterstützung in der Bundesrepublik Deutschland,
Frankreich und Italien, Diss. Tübingen 1962, S.160-173.
119
Josef M o o s e r, Abschied von der Proletarität. Sozialstruktur und Lage der Arbeiterschaft in der
Bundesrepublik in historischer Perspektive, in: Werner Conze und M. Rainer Lepsius (Hrsg.),
Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983,
S.145
120
Gerhard Paul, "Deutsche Mutter - heim zu Dir!" Warum es mißlang, Hitler an der Saar zu schlagen.
Der Saarkampf 1933-1935, Köln 1984, S.38-40.
49
Wenn es auch nicht gelang, die Arbeitslosenversicherung in die LVA zu integrieren, so
hielt die Abteilung Arbeit in der Verwaltungskommission am Wiederaufbau der
Arbeitslosenversicherung fest und unterbreitete eine entsprechende Rechtsanordnung
der Militärregierung am 28. Oktober 1947.121
Wie die Beitrags- und Leistungsvereinheitlichung der Sozialversicherung verdeutlicht,
kommt es bei der Neugestaltung der Sozialversicherung im Saarland dazu, daß die von
saarländischen Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern gewünschten Reformansätze
sich mit den Neustrukturierungsabsichten der Militärregierung verzahnen, andererseits
aber auch Konflikte zu beobachten sind hinsichtlich des Stellenwertes von Traditionen.
Im Kern ging es dabei um die Frage, ob die deutsche Sozialversicherungstradition oder
die französische Sozialpolitik bei der Neugestaltung der Sozialversicherung grundle-
gend sein sollten. Es offenbart sich ein Spannungsverhältnis zwischen einem von den
saarländischen Verhandlungspartnern beabsichtigten Festhalten an Elementen der
deutschen Sozialversicherung und dem von der Militärregierung verfolgten Assimilie-
rungskurs an Frankreich.
Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht
Mit da- Verordnung vom 20. Dezember 1946 fiel im Saarland die Sozialversicherungs-
pflichtgrenze weg. Alle Berufstätigen unterlagen zwar der Sozialversicherungspflicht,
für die Bemessung der Beiträge wurde aber eine Grenze (Plafond) von 7.200 RM
festgesetzt. Beamte und Freiberufler blieben unberücksichtigt.122 Durch diese Maß-
nahme gewann die LVA 5.132 Versicherte hinzu.123 Anfang November 1947 wurden
dann alle Vorschriften der Reichsversicherungsordnung und des Reichsknappschafts-
gesetzes, die die Versicherungspflicht durch Festsetzung einer Einkommensgrenze
betrafen, außer Kraft gesetzt. Grandval verfügte zudem am 23. November 1947, auch
die Beamten in die LVA zu integrieren, entsprechende Vorkehrungen sollten "sobald
wie möglich" von der Verwaltungskommission getroffen werden, was jedoch nicht
geschah.124 Der Zugang neuer Versicherter war dementsprechend mit 529 auch ausge-
sprochen gering.125
Gegenüber der deutschen Sozialversicherung bedeutete die Ausdehnung der Sozial-
versicherungspflicht und die Einführung einer Höchstgrenze des beitragspflichtigen
Jahresentgeltes (Plafond) einen Einschnitt. Die Reform wirkte sozial nivellierend.
Personen, die über dem beitragspflichtigen Jahresentgelt verdienten, mußten Beiträge
121 LTS DS 1/11, Niederschrift zur Sitzung vom 10.1.48, S.5-8.
122 Abi.1947, S.19, insbesondere Artikel 3.
123 Geschäftsbericht der LVA, S.50.
124
Abl.1947, S.582 und S.920, insbesondere Art.19. Die Hintergründe, warum die Beamten nicht in die
LVA integriert wurden, lassen sich aus den zugänglichen Quellen nicht ersehen.
125 Geschäftsbericht der LVA, S.52
50
für die gesetzliche Sozialversicherung leisten, ihre über die Jahresentgeltgrenze hin-
ausgehenden Einkommensbestandteile blieben aber bei einer späteren Leistungs-
berechnung unberücksichtigt. Auf diese Weise wurden höhere Einkommensgruppen
beim Wiederaufbau der Sozialversicherung und Stopfen der Finanzlöcher in die Pflicht
genommen.
Vereinheitlichung und Neuorganisation der Sozialversicherung
Die Umwandlung der Versicherungsträger wurde durch Anordnungsverfügungen und
Verordnungen vom 20. März, vom 16. und 26. Juni 1947 durchgeführt.126 Die bisheri-
gen Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, also die Ortskrankenkassen, die
saarländischen Verwaltungsstellen der deutschen Ersatzkassen, der Verband der
saarländischen Betriebskrankenkassen, die Vereinigte Innungskrankenkasse, die
Saarhüttenknappschaft und die Träger der gesetzlichen Versicherung gegen Arbeits-
unfall und Berufskrankheiten als auch die hüttenknappschaftliche Pensionsversi-
cherung wurden aufgelöst und in die LVA für das Saarland überführt. Die LVA war
damit zu einem zentralen Versicherungsträger geworden, der die Kranken-, Mutter-
schafts- und Todesfallversicherung, die Versicherung gegen Arbeitsunfall und Berufs-
krankheiten, die Invaliditäts- und Angestelltenversicherung sowie die Pensionsversi-
cherung der bei der saarländischen Hüttenknappschaft versicherten Personen ver-
waltete. Weitere Funktionen der LVA, welche ihre zentrale Rolle veranschaulichen,
waren: Regelung der Beziehungen zu den Verbänden und Vereinigungen der Heilberu-
fe, zu den Heilanstalten und den Lieferanten der Sozialversicherung, allgemeiner
vertrauensärztlicher Dienst, Maßnahmen der Gesundheitspolitik im allgemeinen und
der gesundheitsdienstlichen und sozialen Fürsorge und der vorbeugenden Gesundheits-
fürsorge, Betrieb von Kranken- und Heilanstalten, Erholungs- und Genesungsheimen
und ähnlichen Einrichtungen.127
Neben der LVA und der Saarknappschaft gab es als dritten Versicherungsträger die
Versicherung der Eisenbahner. Für die Eisenbahner wurde auf die bereits bestehende
Versicherungsorganisation bei der früheren Eisenbahndirektion Saarbrücken zurück-
gegriffen. Sie gliederte sich in drei Bereiche: die Eisenbahn-Betriebskrankenkasse, die
Eisenbahn-Unfallversicherungsbehörde und die Eisenbahn-Versicherungsanstalt. Ihre
Beziehungen zu den Einrichtungen in den deutschen Ländern wurden gekappt.128
Anordnungs Verfügung Nr.10 vom 20.3.47, in: Abi.1947, S.101. Anwendungsverfügung Nr.16 vom
16.6.47, in: Ebd., S.229. Verordnung der Verwaltungskommission zur Umwandlung der Träger der
Sozialversicherung vom 26.6.47, in: Ebd., S.232.
127 S c h 1 i c k, Die Entwicklung, S.13.
128
Nikolaus Fe r y, Zehn Jahre Sozialversicherung im Zeichen der Saarautonomie, in: Klaus Altmeyer u.a.
(Hrsg.), Das Saarland, Saarbrücken 1958, S.733.
51
Die Verordnung Nr.l betreffend die Übernahme der aufgelösten Versicherungsträger
durch die LVA vom 26. Juni 1947 folgte dem von Karl Ammann gegenüber Robert
Paris vertretenen Standpunkt, daß das Vermögen der einzelnen Versicherungszweige
getrennt zu verwalten sei und nicht für die Zwecke anderer Versicherungszweige
verwandt werden dürfe, was einem strengen EinheitsVersicherungsprinzip widersprach.
Gleichwohl war mit dieser Reform eine Vereinheitlichung von Beiträgen und Leistun-
gen und eine Zentralisierung innerhalb der Verwaltung durchgeführt worden.
Starker französischer Einfluß gesichert
An der Spitze der LVA, einer öffentlich rechtlichen Anstalt, sollte nach einer nicht
näher bestimmten Übergangszeit als Selbstverwaltungsorgan ein Verwaltungsrat
stehen. Bis zu dessen Bildung wurden seine Aufgaben durch den sogenannten Tech-
nischen Ausschuß wahrgenommen. Dieser setzte sich aus zehn ständigen Mitgliedern
und deren Stellvertretern zusammen, die paritätisch jeweils vom französischen Gou-
verneur und vom Mitglied der Verwaltungskommission für Arbeit und Wohlfahrt
ernannt wurden. Die vom französischen Gouverneur berufenen Mitglieder waren
französische Staatsangehörige, die saarländische Seite mußte einen Vertreter der
Gewerkschaften, einen Vertreter der Arbeiter, einen der versicherten Angestellten und
einen Vertreter der Beamtenschaft der LVA ernennen. Das Mitglied der Verwaltungs-
kommission für Arbeit und Wohlfahrt bestimmte darüberhinaus noch einen Arzt, der
mit beratender Stimme an den Sitzungen des Technischen Ausschusses teilnehmen
sollte.
Der französische Einfluß innerhalb der LVA stützte sich auf die Position des Prä-
sidenten des Technischen Ausschusses. Dieses Amt bekleidete der Lothringer Alphon-
se Rieth, der innerhalb des Hohen Kommissariates zugleich Conseiller für Gewerk-
schaften und Sozialpolitik gewesen war, als Vizepräsident des Technischen Aus-
schusses stand ihm der Elsässer Dr. Robert Jung von der Sécurité Sociale aus Stras-
bourg zur Seite.129 Beide wurden nicht von saarländischen Entscheidungsträgern,
sondern vom Gouverneur ernannt. Bei Pattsituationen im Technischen Ausschuß war
seine Stimme ausschlaggebend. Dies verdeutlicht die erheblichen Einflußmöglichkeiten
der Franzosen auf die LVA, auch wenn der Geschäftsführende Direktor der LVA und
sein Stellvertreter mit der Genehmigung der Verwaltungskommission durch den
Technischen Ausschuß ernannt und abberufen wurden und in der Praxis Saarländer
waren. Der Geschäftsführende Direktor konnte an allen Sitzungen des Technischen
und Beratenden Ausschusses mit beratender Stimme teilnehmen. Neben dem Tech-
nischen stand der Beratende Ausschuß. Seine Mitglieder, zwanzig an der Zahl, wurden
129 Geschäftsbericht der LVA, S.43.
52
ausschließlich durch den saarländischen Entscheidungsträger ernannt.130 Die Kreis-
versicherungsanstalten waren Ansprechpartner und Anlaufstelle für die Versicherten.
Ihre Zuständigkeit erstreckte sich vor allem auf das Gewähren von Leistungen, die
Erfassung und Einschreibung der Versicherten, den Einzug der Versicherungsbeiträge
und das Beschaffen und Weiterleiten von Akten und Anträgen der Versicherten.131 Auf
diese Weise sollte einem anonymen Massenbetrieb entgegengewirkt werden. Nach
französischer Vorstellung sollten die Kreis Versicherungsanstalten den französischen
Primärkassen entsprechen, von denen es in Lothringen drei und in den elsässischen
Départements fünf gab. Die LVA nahm damit sowohl Funktionen der Nationalkasse
als auch der Regionalkassen in Frankreich wahr. Die Regionalkassen umfaßten je nach
Bevölkerungsdichte mehrere Départements, so betreute eine Regionalkassse die Dé-
partements Moselle, Haut- und Bas-Rhin.132
Der Technische und der Beratende Ausschuß können nur bedingt als Selbstverwal-
tungsorgane bezeichnet werden, da die Mitglieder nicht durch Sozialwahlen gewählt,
sondern von der Militärregierung und der Verwaltungskommission ernannt wurden.
Die Zusammensetzung beider Ausschüsse bedeutete einen sozialpolitischen Fortschritt
für die Arbeitnehmer, weil sie im Beratenden Ausschuß zwei Drittel der Mitglieder
stellten, während das deutsche Sozialversicherungsrecht nur im Bereich der Kranken-
versicherung eine Zwei-Drittel-Stärke der Arbeitnehmer vorsah. Hier profitierte das
Saarland von der arbeitnehmerfreundlicheren Regelung der französischen Sozial-
versicherung.133
Entsprechend dem Beratenden Ausschuß der LVA wurden in den Verwaltungsaus-
schuß der Kreisversicherungsanstalt 6 Vertreter der Versicherten, 3 Vertreter der
Arbeitgeber und ein Vertreter des Personals der Kreisversicherungsanstalt berufen.134
Die Mitglieder wurden anhand einer Vorschlagsliste der Gewerkschaften und der
Arbeitgeber durch die Verwaltungskommission ernannt. Von den 10 Mitgliedern des
Technischen Ausschusses der LVA konnte die saarländische Seite 5 besetzen. Sie
versuchte ihren Einfluß zu stärken, wobei hier Richard Kirn federführend war. Ent-
Schlick, Die Entwicklung, S.9, Anm.l. Der Beratende Ausschuß setzte sich danach wie folgt
zusammen: 9 Vertreter der Versicherten, 3 Angestellte der LVA, 6 Unternehmervertreter und 2 Ärzte. Der
Vorsitzende des Beratenden Ausschusses war zugleich Vorsitzender des Technischen Ausschusses.
Entsprechend seinem Namen verfügte der Beratende Ausschuß über eine eingeschränkte konsultative
Funktion. Er wurde am 30. März 1948 in einer Feierstunde in Anwesenheit Gilbert Grandvals und des
Direktors der französischen Sécurité Sociale einberufen.
131 Ebd„ S.14.
132
LA SB, MifAS, Bü.26, Aufbau der Verwaltung der LVA des Saarlandes im Vergleich zum Aufbau der
Sécurité Sociale in Frankreich.
133 Ebd., MifAS, Bü.26, C, Dierks an R. Kirn vom 17.4.47.
134
Erlaß über Änderung der Zusammensetzung der Organe der Kreisversicherungsanstalten vom 26.9.47,
in: Abi.1947, S.530.
53
gegen der Anwendungsverfügung der Militärregierung135, die vorsah, daß jeweils ein
Vertreter der Einheitsgewerkschaft, der versicherten Arbeiter, der versicherten Ange-
stellten, der Arbeitgeber und ein Vertreter der Beamtenschaft zu berufen sei, änderte
Kirn diese Verteilung ohne Rücksprache mit der französischen Militärregierung im
Alleingang so ab, daß er den Vertreter der Beamtenschaft einfach wegließ und die Zahl
der Arbeitgebervertreter auf 2 erhöhte.136
Grandval war über Kims Vorgehen betroffen:"Ich kann ein dem Geiste der loyalen und
unparteüschen Zusammenarbeit, wie er zwischen uns bestehen muß, so widersprechen-
des Verfahren nicht gut heißen In der Sache forderte er eine Berichtigung mit der
Begründung:" Das Vorhandensein eines stimmberechügten Beamten erscheint mir bei
den Sitzungen eines Ausschusses, der dazu berufen ist, in aküver Weise in der Anwen-
dung des Planes der Sozialen Sicherheit im Saargebiet mitzuwirken, unumgänglich
notwendig zu sein.137 Grandval verstand darunter einen Beamten des Versicherungs-
trägers, also einen Beamten der LVA.138
Darüberhinaus hatte Kirn auch die Sitzverteilung des Verwaltungsausschusses der
Kreisversicherungsanstalten ebenfalls eigenmächtig geändert, indem er die Zahl der
Arbeitgeber von drei auf vier erhöhte und dafür die Berufung eines Vertreters der
Beamten der KVA strich.139
Die von ihm vorgenommene Änderung war keine einsam entschiedene Aktion, son-
dern erfolgte durch Beschluß der Verwaltungskommission und mit Wissen ihres
Vorsitzenden. Das Motiv war, den französischen Einfluß auf die LVA zurückzudrän-
gen, wie in einem Schreiben der Verwaltungskommission deutlich wird:"Die Ver-
waltungskommission hat diesen Beschluß gefaßt, um eine gewisse Parität in der
Zusammensetzung des Technischen Ausschusses zu gewährleisten".140 Die Franzosen
verfügten im Technischen Ausschuß, dem zu diesem Zeitpunkt wichtigsten Organ
innerhalb der LVA, über eine stärkere Position als die Saarländer, weil der wichtigste
Funktionsträger, der Präsident des Technischen Ausschusses, zur Gruppe der vom
Gouverneur zu bestimmenden Mitglieder gehörte und damit Franzose war. Wenn jetzt
auf Seiten der von der Verwaltungskommission, Direktion Arbeit und Wohlfahrt, zu
135
Anwendungsverfügung Nr. 16 des Gouverneur de la Sarre betreffend die Soziale Sicherheit im Saarland
vom 16.6.47, in: Abi.1947, S.229.
136
Verfügung über die Ernennung der Mitglieder und stellvertr. Mitglieder des Technischen Ausschusses
der LVA vom 26.6.47, in: Abi.1947, S.244. LA SB, MifAS, Bü.28, A. Rieth, Präsident des Technischen
Ausschusses der LVA an den Vorsitzenden der Verwaltungskommission vom 15.7.47.
137 Ebd., Grandval an den Vors, der VWK/Abt. Arbeit vom 11.9.47.
138 Vgl. Abi.1947, S.231. Schlick, Die Entwicklung, S.8.
139 LA SB, MifAS, Bü.28, Grandval an Kim vom 11.9.47.
140 Ebd., VWK VI/8 1133/47 vom 29.7.47 an Grandval. Das Schreiben ist vom Vorsitzenden der
Verwaltungskommission persönlich unterschrieben.
54
berufenden Mitglieder ein Beamter des Versicherungsträgers sein mußte, so handelte
es sich dabei um eine Person, die de facto in einem Abhängigkeitsverhältnis zum
Präsidenten des Technischen Ausschusses stand. Die Verwaltungskommission mußte
sich aber Grandvals Forderungen beugen.141
Ein weiterer Versuch Kirns, den französischen Einfluß in der Sozialversicherung
zurückzudrängen, lag in der Strategie, die Wiederherstellung der Selbstverwaltung zu
beschleunigen und damit das Amt des Präsidenten des Technischen Ausschusses so
schnell wie möglich durch Selbstverwaltungsorgane zu ersetzen.
Sonderentwicklung im Bereich der Selbstverwaltung
In der von ihm verfaßten Verordnung über die Umwandlung der Sozialversicherungs-
träger versuchte Kirn die Weichen für eine baldige Wiederherstellung der Selbstver-
waltung zu stellen wie Artikel 8 Absatz 4 verdeutlicht:"Die Selbstverwaltung der
Versicherungsträger wird alsbald wiederhergestellt".142
Grandval ging diese Formulierung aber zu weit. Durch seine Intervention wurde per
Verordnung vom 4. November 1947 die Selbstverwaltung zwar keineswegs in Frage
gestellt, ihre Realisierung aber eher in die weite als in die nahe Zukunft gerückt, indem
nicht mehr von "alsbald" die Rede war, sondern:" Die Wahlen der Mitglieder zum
Verwaltungsausschuß der Kreisversicherungsanstalten werden in einer späteren Ver-
ordnung geregelt".143
Auch die Selbstverwaltungsfrage war letztlich wie die Frage der Berücksichtigung
eines Beamten des Versicherungsträgers innerhalb der Verwaltungsorgane ein Politi-
kum gewesen, weil sie den französischen Einfluß innerhalb der LVA tangierte. Das
Streben der saarländischen Seite, die Selbstverwaltung zügig einzuführen, ist als ein
Verlangen nach Emanzipation von der französischen Militärregierung bei der weiteren
Gestaltung der Sozialversicherung zu deuten. Denn die von Kirn angestrebten Sozial-
versicherungswahlen hätten nicht auf die Kreisversicherungsanstalten begrenzt bleiben
können, sondern auch auf die Organe der LVA ausgedehnt werden müssen. Damit
wäre der Technische Ausschuß, den die Franzosen dominierten und dessen Präsidenten
sie stellten, durch den Verwaltungsrat ersetzt worden, der in der Verordnung vom 26.
Juni 1947 als Selbstverwaltungsorgan vorgesehen war.
141 Ebd., VWK VI/8 1445/47 vom 30.9.47 an Grandval.
142 ™ ,
Ebd.
143
Verordnung zur Änderung der Verordnung Nr.l über die Umwandlung der Träger der Sozialversiche-
rung vom 26.6.47, in: Abi. 1947, S.232; vom 4.11.47, in: Ebd, S.583.
55
Obwohl die saarländische Verfassung in Anlehnung an die rheinland-pfälzische einen
direkten Verfassungsauftrag zur Verwirklichung der Selbstverwaltung enthielt, konnte
sich die saarländische Seite in dieser Frage gegenüber Grandval nicht durchsetzen. In
Anlehnung an Artikel 53 der rheinland-pfälzischen Verfassung hieß es in Artikel 46
der saarländischen Sozial- und Arbeitslosenversicherung unterstehen der Selbstver-
waltung der Versicherten unter Mitwirkung der Arbeitgeber und haben besondere
Gerichtsbarkeit. Das Nähere bestimmt das Gesetz". Damit war in der saarländischen
Verfassung eindeutig ein Selbstverwaltungsauftrag für die Sozialversicherung ver-
ankert worden.144
Einerseits entsprach der Versuch Kirns, die Selbstverwaltung wieder einzuführen, einer
Politik, die bereits bei den Beratungen über den Plan zur Sozialen Sicherheit auf Seiten
der saarländischen Teilnehmer zu beobachten war, nämlich bei der Sozialversiche-
rungsneuregelung Reformen mit der deutschen Tradition in Einklang zu bringen, zum
anderen ging es ihm darum, den Einfluß des französischen Wirtschaftspartners zurück-
zudrängen.
In diesem Zusammenhang eröffnet ein Blick in die französische Besatzungszone
interessante Perspektiven. Rainer Hudemann hat die fortschrittliche Sozialpolitik der
französischen Militärregierung im Bereich der Selbstverwaltung herausgestellt und
entdeckt, daß es die Militärregierung war, die die Durchführung der Sozialwahlen und
damit die Umsetzung der Selbstverwaltung vorantrieb, übrigens ganz im Gegensatz zur
angloamerikanischen Politik. Dieser Befund Hudemanns läßt das Bild der obstruktiven
Besatzungsmacht, die alle demokratischen Willensbildungsprozesse grundsätzlich
bremsen wollte, nicht mehr zu.145 Um 1948/49 fanden in den Ländern der französi-
schen Besatzungszone Sozialwahlen statt. Die Selbstverwaltung, von den Nationalso-
zialisten ausgehebelt, trat wieder in Kraft. Aber es blieb nicht nur bei der Wiederher-
stellung der Selbstverwaltung. Sie wurde für die Arbeitnehmer fortschrittlicher als
bisher gestaltet, insbesondere in Rheinland-Pfalz. In sämtlichen Sozialversicherungs-
zweigen wurde die Selbstverwaltung vorgeschrieben. Mit der Aufnahme von Arbeit-
nehmervertretern in die Ausschüsse der Unfallversicherung wurde ein neues Element
in der deutschen Sozialversicherung geschaffen, denn bis dato hatten die Arbeitneh-
mervertreter nur ein begrenztes Mitspracherecht in Fragen des Unfallschutzes. Im
Gegensatz zum traditionellen Beitragsprinzip, das als Maßstab für die Kräfteverhält-
nisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern galt, sollte innerhalb der rheinland-
pfälzischen Selbstverwaltung die Zwei-Drittel-Mehrheit der Arbeitnehmer in allen
Versicherungsbereichen eingeführt werden. Im Rahmen der politischen Diskussion
insbesondere hinsichtlich der Unfallversicherung einigte man sich auf eine Parität mit
144
Verfassung des Saarlandes vom 15.12.47, in: Abi.1947, S.1077.
145
Hudemann, Sozialpolitik, S,275-306.
56
Ausnahme der Krankenversicherung, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit galt.146 Wie
intensiv sich die Militärregierung mit der Selbstverwaltungsfrage auseinandergesetzt
hatte, und wie ernsthaft sie den Demokratisierungsgedanken verfolgte, zeigt sich darin,
daß sie die klare Unterordnung des Geschäftsführers der LVA in den verschiedenen
Sozialversicherungszweigen unter die Selbstverwaltungsorgane durchsetzte.147 Als
einzige Besatzungsmacht haben die Franzosen nicht nur die Selbstverwaltung zu-
gelassen, sondern sie haben die Selbstverwaltung aktiv zum Teil gegen die Lethargie
der deutschen Sozialpartner durchgesetzt.148
Ganz im Gegensatz zur französischen Besatzungszone scheint die Militarregerierung
im Saarland einen eher restriktiven Kurs in der Selbstverwaltungsfrage verfolgt zu
haben.Vor dem Hintergrund der Wirtschaftsunion mit Frankreich und der Frage der
Anpassung an die französischen Verhältnisse ist die Position Grandvals um so er-
staunlicher, denn die Selbstverwaltung war in der französischen Sécurité Sociale
fortschrittlich geregelt worden. Die genauere Anlayse veranschaulicht jedoch, daß
möglicherweise gerade die innerfranzösische Entwicklung die restriktive Haltung des
Hohen Kommissars bestimmt haben könnte. In Frankreich war ursprünglich im Sinne
einer Entpolitisierung die Selbstverwaltung so geregelt worden, daß keine direkten
Sozialwahlen stattfanden, sondern die Selbstverwaltungsorgane von Gewerkschaften
und Arbeitgeberorganisationen gewählt wurden. Vor dem Hintergrund der Kritik
christdemokratischer Politiker (M.R.P.) und Gewerkschaftler (C.F.T.C.) an der Zen-
tralisierung der Sozialversicherung erfolgte dann ab Frühsommer 1946 die Einführung
der Direktwahl zu den Leitungsgremien der Kasse für Familienzulagen und der Sécuri-
té Sociale.149 Die Parolen der französischen Gewerkschaften anläßlich der Sozial-
versicherungswahlen 1950 veranschaulichen das Ausmaß der Politisierung:"In den
Sécurité Sociale-Kassen liegen 140 Milliarden! Diebstahl am Arbeiterstand!" - lautete
eine Wahlparole der C.G.T.150 Innerhalb der Selbstverwaltungsorgane in Frankreich
gab es eine starke Arbeitnehmerrepräsentanz, denn in den gewählten Verwaltungsräten
besetzten die Arbeitnehmer zwei Drittel der Sitze. Sie besaßen aber nicht das Recht, die
Beiträge und Leistungen festzusetzen, diese Aufgabe lag beim Arbeitsminister.151 Zum
Zeitpunkt, als Kirn in der Selbstverwaltungsfrage vorpreschte, hatte bei den ersten
direkten Sozialwahlen am 24. April 1947 bereits die kommunistisch dominierte C.G.T,
einen Siegeszug angetreten. Sie hatte die Wahlen zu einer massiven Agitation in den
Ebd., insbesondere in der Frage der Unfallversicherung in Rheinland-Pfalz kam es zu Kontroversen
zwischen CDU und SPD, hier ist die Rolle von Franz-Josef Wuermeling hervorzuheben, Siehe: Ebd., S.290,
293-295.
147 Ebd., S.292.
Ebd., S.280, 290, 296-299. So mußte die Militärregierung die Durchführung von Sozialwahlen in
Württemberg-Hohenzollern wie auch in den übrigen Ländern anmahnen.
149
Ebd., S.137.
70 Jahre Sécurité Sociale in Eisass und Lothringen, hrsg. von der C.F.T.C., Strasbourg 1955, S.39.
Paul Durand, Probleme des Mitbestimmungsrechts in Frankreich, in: Recht der Arbeit 4/1951, S.245.
57
Betrieben auf Betriebsratsebene genutzt. Bei einer sehr hohen Wahlbeteiligung von 75
Prozent erhielt die C.G.T. 59,27 Prozent der Stimmen bei den Wahlen zu den Gremien
der Securité Sociale und sogar 61,88 Prozent bei den Wahlen zu den Organen der
Kasse für Familienzulagen.152 Die C.G.T. nutzte ihre Macht in den Gremien personal-
politisch, indem sie "politisch zuverlässige Kräfte", nach ihrer Vorstellung P.C.F. -
Mitglieder, auf Schlüsselpositionen setzte.153 Außerdem propagierte sie populistische
Forderungen nach Anhebung der Sozialleistungen, insbesondere nach Rentenerhöhun-
gen und Herabsetzung des Rentenalters, ohne auf deren Finanzierung einzugehen.154
Anfang der fünfziger Jahre stellten sich als Folgen dieser Entwicklung auch Mißstände
in der Verwaltung der Sécurité Sociale heraus.155 Wenn auch die Kommunisten bei den
Sozialwahlen 1950 zum Teil erhebliche Einbußen hinnehmen mußten, so konnten sie
doch ihre starke Position halten.156 Eine solche Politisierung konnte für die politische
Stabilität an der Saar nur schädlich sein.
Neben dem Bezug zur innerfranzösischen Entwicklung könnte Grandvals zurückhal-
tende Position in der Selbstverwaltungsfrage aber auch auf den Druck der Régie
zurückzuführen sein. Wenn im Bereich der LVA die Selbstverwaltung wiederher-
gestellt worden wäre, hätte die Saarknappschaft folgen müssen. Schon bei den Verfas-
sungsberatungen hatte der damalige Generaldirektor der Régie Robert Baboin ver-
geblich versucht, die Aufnahme der Selbstverwaltung in die Verfassung mit dem
Hinweis auf finanzielle Belastungen zu verhindern.157 Bei den Beratungen zur saarlän-
dischen Verfassung war es gerade die Militärregierung gewesen, die die Arbeitneh-
merrepräsentanz in der Selbstverwaltung massiv gestärkt wissen wollte. Ursprünglich
war eine paritätische Verteilung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den
Selbstverwaltungsgremien vorgesehen, wobei in Pattsituationen die Arbeitnehmer-
stimmeentscheidend sein sollte. Auf Vorschlag der Militärregierung sollte im Septem-
ber 1947 nur von einer Selbstverwaltung der Versicherten die Rede sein, damit wären
die Arbeitgeber ausgeschaltet worden. Dies problematisierte sogar die SPS und setzte
dann die Formulierung durch:"Sozial- und Arbeitslosenversicherung unterstehen der
Selbstverwaltung der Versicherten unter Mitwirkung der Arbeitgeber und haben
besondere Gerichtsbarkeit".158
152
Dazu ausführlich bei: Galant, Histoire politique de la Sécurité Sociale , S.123-125, 139, 144, 149.
153 Ebd, S.73.
154
Ebd., S.138-144. Außerdem siehe: L'année politique, 1950, S.131.
Ebd., hier ist auf die sogenannte CHATEAUX-Affäre hinzuweisen, bei der es um Unregelmäßigkeiten
bei dem Kauf von Schlössern und ihrem Umbau zu Kuranstalten ging.
156 L'année politique, 1950, S.131.
157 Michael Sander, Die Verfassung des Saarlandes: Politische Planung und politischer Erfolg Frank-
reichs, in: Rainer Hudemann und Raymond P o i d e v i n (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem
der europäischen Geschichte, München 1992, S.249.
158
LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.149, B1.297 f., Niederschrift zur Sitzung der Verfassungskommis-
sion vom 20.9.47.
58
4.4 Das Streben nach gesellschaftlicher Akzeptanz
Die Durchführung der saarländischen Sozialversicherungsreform vom Juni 1947 ist
durch das Bemühen um einen breiten gesellschaftlichen Konsens gekennzeichnet.
Sowohl die Umstände bei der Auflösung der Sonderkassen als auch die mit der Struk-
turreform gekoppelte Leistungserhöhung verdeutlichen das Ringen um eine gesell-
schaftliche Akzeptanz.
Von der Auflösung der Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen waren nicht nur die
Versicherten, sondern auch das Personal betroffen. Die Versicherten interessierte, ob
die Überführung in die LVA mit Leistungsverlusten verbunden sein würde und für die
Beschäftigten der Sonderkassen stellte sich die Frage nach ihrer beruflichen Zukunft.
Sozialverträgliche Auflösung der Sonderkassen
Bei der Auflösung der Sonderkassen war Baden Vorbild. Die saarländischen Stellen
orienüerten sich dabei von sich aus bereits Anfang 1947 an den entsprechenden Rund-
schreiben des Verbandes der Ortskrankenkassen in Lahr, die vom Leiter der Orts-
krankenkasse für die Stadt Saarbrücken Richard Schmidt gesammelt und an die Ver-
waltungskommission weitergeleitet wurden.159
Dennoch muß im Vergleich zu Baden auf einen wichtigen Unterschied hingewiesen
werden. Im Saarland wurde der Paragraph 212 der RVO berücksichtigt, das bedeutete,
daß bei schwebenden Versicherungsfällen die Leistungen der aufzulösenden Kasse
weitergelten sollten. Dieser Unterschied ist möglicherweise auf die Warnungen der
Betriebskrankenkassen vor Unruhen unter ihren Versicherten zurückzuführen. Immer-
hin hatten die Betriebskrankenkassen darauf hingewiesen, daß ihre jeweiligen Leistun-
gen für ihre Versicherten, die zum Zeitpunkt der Auflösung der Versicherung arbeits-
unfähig waren, erhalten werden sollten. In einer Besprechung mit den Betriebskranken-
kassen wurde dies von Seiten der Verwaltungskommission zunächst abgelehnt, fand
jedoch dann in Paragraph 15 der Verordnung Nr.2 betreffend die Übernahme der
aufgelösten Versicherungsträger durch die LVA vom 26. Juni 1947 Berücksichti-
gung.160 Das bedeutete, daß in schwebenden Versicherungsfällen durch die Auflösung
von Sonderkassen die Betroffenen keine Leistungseinschnitte hinnehmen mußten.
Hier deutet sich das Bemühen an, die Überführung der bestehenden Versicherungs-
träger in die LVA so sozial verträglich wie möglich zu gestalten, insbesondere in
schwebenden Verfahren. Dies galt auch für das Personal der aufgelösten Versiche-
rungsträger. Ende 1946 arbeiteten neben den 316 Beschäftigten der Ortskrankenkassen
im Saarland 53 Angestellte bei den Ersatz- und Innungskrankenkassen und 72 bei den
159
Ebd., MifAS, Bü.26, R. Schmidt an C. Dierks vom 19.2.47 mit Anlage, Rundschreiben des Verbandes
der Ortskrankenkasse Lahr zur technischen Umsetzung der Militärregierung zur Auflösung der Betriebs-
und Ersatzkassen, Rundschreiben Nr. 10/11/12/19/und 25/1946.
160 Ebd., Verband der saarländischen BKK an die Mitglieder der VWK für Arbeit vom 12.2.47.
59
Unfallversicherungsträgern.161 Sie wurden durch die LVA übernommen und ihre
bisherigen Beschäftigungszeiten wurden wie eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst
anerkannt.162
Die Auflösung der Sonderkassen163 führte zu einer Vereinheitlichung der Beiträge und
Leistungen, allein 29 Betriebskrankenkassen hatte es bis zu diesem Zeitpunkt im
Saarland gegeben.164 "Das bunte Bild der verschieden hohen Beiträge der aufgelösten
Versieherungsträger sei beseitigt worden, mit diesem für nüchterne Geschäftsberichte
so auffällig metaphorischen Stil wurde die Vereinheitlichung der Beiträge im ersten
Geschäftsbericht der LVA nach 1945 stolz als sozialpolitischer Fortschritt herausge-
stellt, und die Vereinheitlichung der Beiträge und Leistungen als Versicherungsgerech-
tigkeit definiert.165 Durch die Auflösung der bisherigen Krankenversicherungsträger
gewann die LVA 221.730 Versicherte neu hinzu. Die Effizienz dieser Maßnahme
erhält über den rein quantitativen Zuwachs um so mehr Gewicht, als jetzt potentere
Beitragszahler hinzugekommen waren166, ein Faktum, das der Sanierung der seit 1946
entstandenen Defizite zustatten kam. Künftig würden infolge der Zusammenlegung der
Versicherungsträger einkommensstärkere Versicherte die schwächeren stützen.
Es stellt sich die Frage, wie sich die Auflösung der genannten Versicherungsträger in
der Realität für die Versicherten ausgewirkt hat. Von den 221.730 in die LVA über-
führten Versicherten genoß, wie die Übersicht zeigt, eine überwältigende Mehrheit
Leistungen, die über die bisher gültigen gesetzlichen Mindeststandards hinausgingen.
Übersicht über Mehrleistungen der aufgelösten Kassen;167
- 52.750 Versicherte erhielten bei 23 Kassen ein Krankengeld, das mehr als 50 Proz.
des Grundlohnes betrug
- 95.493 Versicherte bekamen von 30 Kassen höhere Leistungen für die Krankenhaus-
pflege, dazu zählten aber auch 6 Ortskrankenkassen
- 118.457 Versicherte erhielten durch 23 Kassen ein höheres Hausgeld, davon 8
Ortskrankenkassen
Ebd., Statistisches Vergleichsmaterial über dieVerhältnisse bei den saarländischen Krankenkassen in
den Jahren 1946, 1938 und 1934 als Anlage zur Begründung der Verordnung über die Neuordnung der
Sozialversicherung im Saarland, aufgestellt am 29.4.47.
162 Abi.1947,5.237.
163 Geschäftsbericht der LVA , S.47.
164 Ebd,
165 Ebd., S.52.
166 Ebd., S.51.
167 Ebd., S.52. Der in der Übersicht verwandte Begriff Kassen ist als Sammelbegriff für Ortskranken-,
Ersatz- und Betriebskrankenkassen sowie die Saarhüttenknappschaft zu verstehen, Mehrleistungen
örtlicher Krankenkassen werden gesondert hervorgehoben.
60
- 155.530 Versicherte hatten bei 25 Kassen Anspruch auf ein höheres Sterbegeld,
darunter 8 Ortskrankenkassen
- 157.233 Versicherte kamen bei 31 Kassen in den Genuß eines Familien Sterbegeldes
als satzungsmäßige Mehrleistung.
Die Mehrleistungen der Ersatz- und Betriebskrankenkassen veranschaulichen, daß eine
Auflösung und Überführung der Versicherten in die LVA für viele mit erheblichen
Leistungsnachteilen verbunden gewesen wäre, wenn es bei den bisherigen gesetzlichen
Leistungen geblieben wäre. Einerseits standen einer Leistungssteigerung Mehrkosten
entgegen, andererseits waren durch die Ausdehnung der Versicherungspflicht sowie
durch den Beitritt von ehemaligen Ersatz- und Betriebskrankenkassenmitgliedern
sowie Angehörigen der Saarhüttenkappschaft Einkommensgruppen mit höherem
Beitragsaufkommen gewonnen worden.
Nicht nur die Leistungen, sondern auch die Beitragssätze divergierten erheblich, wie
folgende Übersicht veranschaulicht.
Übersicht über einige Krankenversicherungsbeitragssätze von Betriebs kranken-
(BKK), Ersatz- und Ortskrankenkassen (OK):m
2.5 Prozent BKK Adt (Ensheim)
3,9 Prozent BKK Karcher (Beckingen)
4.5 Prozent bei BKK Heckei (Saarbrücken)
4,5 Prozent bei BARMER ERSATZKASSE (BEK), BKK Brown Boveri
5.0 Prozent bei Ortskrankenkasse (OK) Homburg, Merzig, Saarlouis, Saar-
brücken-Land, St. Ingbert
5,4 Prozent bei OK Saarbrücken-Stadt, St. Wendel* 169
6.0 Prozent bei der Saarhüttenknappschaft.
Durchschnittlicher Beitragssatz aller aufgelösten Krankenversicherungsträger:170
5,2 Prozent.
Die Regelung des Beitragssatzes zur Krankenversicherung der LVA zeigt wiederum
das Bemühen, Widerstände gegen die Reform zu vermeiden und arbeitnehmerfreundli-
che Regelungen auf den Weg zu bringen.
8 LA SB, MifAS, Bü.26, Übersicht über die zur Zeit gültigen Beitragssätze (1946).
169 — .
Siehe Beitragssätze der Ortskrankenkassen in Westdeutschland: Hudemann, Sozialpolitik, S.366.
° LA SB, MifAS, Bü.28, Anlage zur Niederschrift über die Bespreehnung vom 26.6.47 betreffend VO.
Nr.3 über Mehrleistungen in der Krankenversicherung.
61
Arbeitnehmerfreundliche Beitragsregelung
Der Beitragssatz in der reformierten Krankenversicherung wurde auf 6 Prozent festge-
setzt. Er war damit um fast 0,44 Prozent höher als der durchschnittliche Beitrag in der
französischen Besatzungszone und entsprach genau dem in der britischen Zone gülti-
gen Satz.171 Die Gesamthöhe des Beitragssatzes belief sich mit 6 Prozent zwar deutlich
über dem Niveau der Betriebskrankenkassen. Im Vergleich zu dem durchschnittlichen
Beitragssatz der aufgelösten Versicherungsträger bedeutete dies eine Steigerung um 0,8
Prozent. Der höhere Beitragssatz wurde aber durch die paritätische Verteilung des
Versicherungsbeitrages relativiert.172 In der Beitragsaufteilung lag ein wesentlicher
Fortschritt für die Arbeitnehmer, da sie bisher die Beiträge zu zwei Drittel erbringen
mußten.
Die Vereinheitlichung der Sozialversicherung, insbesondere im Bereich der Kranken-
versicherung, war mit einer Verbesserung der Leistungen gekoppelt.1'3 Zeitgleich zu
den tiefgreifenden Veränderungen innerhalb der Krankenversicherung mit der Auflö-
sung von Betriebs- und Ersatzkrankenkassen wurden, ohne daß zur Inanspruchnahme
Wartezeiten zu erfüllen gewesen wären, Mehrleistungen in der Krankenversicherung
eingeführt.
Zwischen den Leistungsverbesserungen in der Krankenversicherung und der Struktur-
reform bestand ein direkter Zusammenhang. Die französische Militärregierung wollte
vermeiden, daß die Zentralisierung innerhalb der Krankenversicherung zu massiven
Leistungsverlusten führte. Um die Akzeptanz der Reform zu gewährleisten, wurde die
Strukturreform mit einer Leistungsverbesserung gekoppelt. In einem Schreiben an den
Vorsitzenden der Verwaltungskommission legte Alphonse Rieth deshalb auch Wert
darauf, die Verordnung zu Mehrleistungen in der Krankenversicherung nach Möglich-
keit zeitgleich mit der Verordnung über die Auflösung bestehender Versicherungs-
träger zu veröffentlichen.174
Die Mehrleistungsverordnung ermöglichte es, daß die zentralisierte Krankenversiche-
rung nicht zu einschneidenden Leistungsverlusten für die Mehrzahl der Versicherten
führte.
Hudemann, Sozialpolitik, S.366. Danach: Baden: 5,37 Proz./ Württemberg Hohenzollem: 4,94
Proz./ Rheinland-Pfalz 5,75 Prozent.
172
Verordnung Nr.l über die Umwandlung der Sozialversicherung vom 26.6.47, in: Abi. 1947, S.232.
173 Verordnung Nr.3 über die Mehrleistungen in der Krankenversicherung vom 1.7.47, in: Abi. 1947,
S.241.
174
LA SB, MifAS, Bü.28, A. Rieth an den Vorsitzenden der Verwaltungskommission: "Außerdem erlaube
ich mir, Sie auf die Notwendigkeit einer baldigen Veröffentlichung aufmerksam zu machen, da der soziale
Sicherheitsplan am 1.7.47 in Kraft tritt."
62
Beim Krankengeld wurde den ehemaligen Mitgliedern von Sonderkassen ein gegen-
über den bisherigen Verhältnissen mittleres Leistungsniveau geboten. Wie bei der
Mehrheit der Betriebskrankenkassen betrug es jetzt 60 Prozent des Grundlohnes. Nur
die Barmer Ersatzkasse und die Ortskrankenkassen Homburg und St.Wendel hatten
ihren Versicherten wegen ihrer vorteilhafteren Mitgliederstruktur 75 Prozent des
Grundlohnes gewährt. Die Erhöhung des Taschengeldes auf 15 Prozent war für alle
Versicherten eine Verbesserung. Einen spürbaren Leistungszuwachs bedeutete die
Erhöhung des Sterbegeldes. Es betrug nicht mehr das Zwanzigfache, sondern das
Vierzigfache des Grundlohnes. Dieses Niveau hatten bisher nur 7 Orts- und 9 Betriebs-
krankenkassen geboten. Als Kann-Leistung sah die Verordnung im Rahmen der
Fürsorge für Genesende die Unterbringung in einem Heim bis zu 6 Wochen vor und
vorbeugende Kuren sowie orthopädische Behandlungen zur Prävention von Erkran-
kungen. Den Verantwortlichen fiel die Gestaltung dieser Kann-Leistung sehr leicht,
weil sie wußten, daß sie ein Papiertiger war, der in der Praxis nicht kostentreibend
wirken konnte, da entsprechende Anstalten und Heime noch gar nicht existierten.175
Die Leistungsverbesserung und Vereinheitlichung der Sozialversicherung auf einem
relativ hohen Leistungsniveau war nicht zuletzt auch durch die günstige wirtschaftliche
Entwicklung im Saarland möglich geworden, die sich von anderen Teilen des ehemali-
gen Deutschen Reiches durch einen früher einsetzenden Aufschwung unterschied.
Armin Heinen verwendet in diesem Zusammenhang die Formel vom frühen Wirt-
schaftswunder. So war im Sommer 1947 die wirtschaftliche Lage im Saarland deutlich
günstiger als im übrigen Deutschland. Die Kohlenförderung betrug im Oktober 1947
bereits 80 Prozent des Produktionsniveaus von 1938, im Ruhrrevier hatte sie erst 55
Prozent erreicht. In der Eisen- und Stahlindustrie deutete sich eine ähnliche Entwick-
lung an. So spricht Heinen auch vom Saarland als einer "deutschen Musterprovinz’'.
Neidisch wurden die Saarländer von manchen Deutschen als 'Speckfranzosen' ver-
spottet. Nicht zuletzt wegen der besseren wirtschaftlichen Lage, die sich auch in ersten
demoskopischen Untersuchungen widerspiegelte, demonstrierten z.B. große Teile der
Saarburger und Konzer gegen ihre Ausgliederung aus dem Saarland bzw. gegen die
Rückgliederung an Rheinland-Pfalz.176 Der für die Sozialversicherung wichtige Be-
schäftigungsstand im Saarland war wesentlich höher als in anderen Gebieten wie z.B.
in Sachsen oder in der Pfalz177. Früher als in anderen Gebieten des ehemaligen deut-
schen Reiches stand damit im Saarland ein sozialpolitischer Verteilungsspielraum zur
Verfügung.
Ebd., Anlage 1: Erläuterungen zur Niederschrift über die Besprechung am 26.6.47 betreffend die
Verordnung Nr.3 über Mehrleistungen in der Krankenversicherung.
Armin Heinen, Vom frühen Scheitern der französischen Saarpolitik. Politik und Ökonomie 1945-
1950, in: Von der Stunde ö zum Tag 'X. Das Saarland 1945-1959. Katalog zur Ausstellung des
Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg. vom Stadtverband
Saarbrücken, Merzig 1990, S.156-159.
LA SB, VWK, Nr.158, "Die Lage auf dem Arbeitsmarkt richtig gesehen". Von 1000 Männern übten im
September 1946 481 eine Berufstätigkeit aus, in der Pfalz waren es 357 und in Sachsen 323.
63
Zunächst einmal lag es in der Natur des wirtschaftlichen Anschlusses des Saarlandes an
Frankreich, daß eine Annäherung auch im sozialpolitischen Bereich stattfinden mußte.
Aber Annäherung worin, Annäherung der Sozialversicherungssysteme oder vorrangig
nur der Sozialversicherungsbeiträge?
Von französischer Seite wurde gegenüber den Saarländern der Plan zur Sozialen
Sicherheit im Saarland als "ein Bindeglied zugunsten des wirtschaftlichen Anschlusses
der Saar an Frankreich" definiert, und auch im Plan von Robert Paris war auf notwen-
dige Anpassungen vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Anschlusses des Saar-
landes hingewiesen worden.178 Diese Konstruktion deutet an, daß eine Sozialversiche-
rungsreform mit spürbaren Leistungsverlusten vermieden werden sollte. Sie wäre
politisch ausgesprochen unklug gewesen, denn die Bevölkerung hätte mit dem wirt-
schaftlichem Anschluß sozialpolitische Verluste assoziiert. Genau dies sollte vermieden
werden. Die Sozialversicherungsreform im Saarland sollte nicht zu Leistungseinbußen
führen, das verstand Robert Paris unter "Synthese der Vorteile des deutschen und
französischen Sozialversicherungssystems". Insbesondere die Mehrheit der Bevölke-
rung, nämlich Industriearbeiter und Bergleute sollten durch die Reform gewonnen
werden, wie die Rede Grandvals anläßlich der ersten Sitzung des Technischen Aus-
schusses der LVA beweistf’Die Idee (...) dieses Planes (...) war die Schaffung einer
neuen Sozialordnung im Saarland, wo die Arbeiter einen solch hervorragenden Platz
einnehmen, dieser Plan von erster Bedeutung ist".179
Ein zentrales Motiv der Franzosen anläßlich der Sozialversicherungsreform bestand
darin, die Saarländer von der deutschen Sozialversicherung und der deutschen Sozial-
politik in einem gleitenden Prozeß abzukoppeln, d.h. langsam zu erreichen, daß die
Saarländer sozialpolitisch nicht nach Deutschland, sondern nach Frankreich schau-
ten:"(...) regarder plus vers la France et moins vers l'Allemagne".180 Dieser Strategie
entsprechend beurteilte Jacques Ledere, der im Auftrag des französischen Arbeits-
ministeriums die saarländische Sozialversicherungsreform untersuchte, die im Bereich
der Saarknappschaft eingeschlagene Rentenpolitik negativ, da sie im Unterschied zu
Frankreich für Kleinrentner besonders ungünstig sei.181 Für 1948 sei es deshalb not-
8 Ebd., MifAS, Bii.26, Bericht über die Sitzung der Kommission über Soz. Sicherheit vom 7.1.47.
179
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift zur Sitzg. des TA der LVA vom 5.7.47.
180 MAE Nantes, M.J./Q.E., E VI 4/ E VI 5, Annexe III, Rég. Spéc. aux Travailleurs des Mines, Saarknap-
pschaft. "Zum Vorentwurf eines Berichtes über die Einführung der Sécurité Sociale im Saarland, verfaßt
von Jacques A. Ledere 1947. Siehe auch Mission Juridique, Questions Sociales (M.J./Q.S.), J II 2,
Militärreg., Miss. Juridique, JUR/EL6/Cab. à l'attention de M. le Conseiller Juridique vom 23.12.47, verfaßt
von Jacques A. Ledere.
181 T-.
Ebd., Vorentwurf Leclerc "Les leaders politiques sarrois conduits à une impasse par leur imprudence
s'attachèrent à la solution d'un relèvement proportionnel tout en reconnaissant le caractère antisocial d'une
telle mesure qui favorise bénéficiaires de rentes élevées et améliore peu la solution difficile des titulaires de
faibles rentes".
64
wendig, die saarländischen Bergleute über den unsozialen Charakter ihres Renten-
systems zu informieren.182 Welche Bedeutung die politische Taktik bei der Sozial-
versicherungsreform spielte, zeigt sich auch in der Erhaltung der Saarknappschaft und
ihren Rentenstrukturen, die zunächst nicht verändert wurden. Dies ging vor allem auf
Alphonse Rieth zurück. In einer Übergangslösung sollten die bisherigen Renten-
ansprüche, die auch durch Beiträge geleistet worden waren, erhalten bleiben. Im
Anschluß daran beabsichtigte aber Rieth einen forcierten Assimilierungskurs. Ähnlich-
keiten zwischen Saar- und Reichsknappschaft sollten überwunden und die Saarknapp-
schaft an das französische System angepaßt werden. Der politische Impetus, das
Saarland von der deutschen Sozialversicherungstradition abzutrennen, äußerte sich in
dem dafür von Rieth intern gebrauchten Verb "détruire".183 Ergebnis sollte sein, die
Struktur der knappschaftlichen Rentenversicherung an der Saar entsprechend der
französischen anzupassen, das hieß, daß für die Rentenhöhe die Höhe und Dauer der
Beiträge eher von untergeordneter Bedeutung sein sollten.
Die Stimmung unter den Rentenempfängern hatte sich im Vorfeld der Reform schon
gebessert, da die Renten im Frühjahr 1947 wieder in voller Höhe ausgezahlt wurden.184
Für die saarländische Öffentlichkeit war die Sozialversicherungsreform vom Sommer
1947 damit gar nicht so einschneidend. Es handelte sich um eine behutsame Reform,
die das Saarland nicht völlig von der deutschen Sozialversicherungstradition abtrennte
und die RVO nicht außer Kraft setzte. Die französischen Entscheidungsträger vermie-
den größere Konflikte, indem sie eine Sozialversicherungsreform mit einem relativ
hohen Leistungsniveau auf den Weg brachten. Die Saarknappschaft blieb als selb-
ständiger Versicherungsträger unangetastet, die hüttenknappschaftliche Pensions-
versicherung wurde zwar als selbständiger Versicherungsträger aufgelöst, blieb aber
trotz miserabler Finanzlage nach ihrer Integration in die LVA als eigene Abteilung
weiterbestehen.185 Damit nahm die Militärregierung Rücksicht auf eine spezifisch
182 Ebd., “Qu'il est necessaire d’informer l’opinion publique minière du caractère peu social de son système
retraite, afin qu'elle fasse pression sur les organisations politiques et syndicales".
183 Ebd., Vermerk A. Rieth vom 24.11.47 und 1.1.48
184
KSB, Niederschrift über die Sitzung des vorläufigen Vorstandes der Saarknappschaft vom 12.5.47. Der
rückständige Bergmannssold wurde zunächst nicht zurückgezahlt. Zu den Auseinandersetzungen
insbesondere mit der Gewerkschaft Christlicher Saarbergleute, siehe LA SB, MifAS, Bd.191,
Saarknappschaft an Gewerkschaft Christlicher Saarbergleute, A 1787/49 vom 23.8.49. GCS an Regierung
des Saarlandes vom 3.9.49.
185 LA SB, StK-Kabinettsregistratur/Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt (StK/KR/MAW)/1949/T-l, Kirn
an Präsidialkanzlei vom 11.6.49. Im ersten Halbjahr betrug das monatliche Defizit 1,08 Mio. FRS. Die
Auszahlung der Renten konnte nur erfolgen, weil die nach Rheinland-Pfalz geschuldeten Rentenbeträge
nicht überwiesen wurden. Bei der geplanten Rentenerhöhung für das zweite Halbjahr 1949 fürchtete Kim
einen monatlichen Fehlbetrag von 3,5 Mio. FRS. Siehe : K 1 e i n, Die Entwicklung der Sozialversicherung,
S.388-391. Maurer, Die knappsehaftliche Versicherung , S.760 f. und Abi. 1947, S.232 und Abi.1948,
S.1058.
65
saarländische, fast einhundert Jahre alte Versicherungstradition, die weder ein ent-
sprechendes Gegenstück in der deutschen noch in der französischen Sozialgesetz-
gebung hatte. Hier deutet sich der Befund an, daß trotz der strukturellen Anpassungen
an den französischen Wirtschaftspartner die Sozialversicherungsreform speziell auf die
saarländische Sozialstruktur zugeschnitten wurde. Rieth als Präsident des Technischen
Ausschusses bemühte sich, bei den saarländischen Mitgliedern dieses Engagement
herauszustellen.186 Die Frage nach der Erhaltung der Saarhüttenknappschaft bereitete
bei der Rückgliederung des Saarlandes zur Bundesrepublik 1957 mehr Probleme als
bei der Neuregelung der Sozialversicherung 1947.187
Die Bildung der Saarknappschaft als selbständiger Versicherungsträger wie auch einer
Versicherung für die Eisenbahner im Saarland schwächten zwar die Zentralisierungs-
tendenz der Sozialversicherungsreform im Saarland deutlich ab, entsprachen aber
andererseits der Entwicklung in Frankreich, denn auch dort blieben für bestimmte
Berufsgruppen, wie z.B. Bergleute und SNCF-Beschäftigte, Sondersysteme erhalten.188
Indirekt wurde insbesondere mit der Erhaltung der Saarknappschaft als selbständigem
Versicherungsträger, angesichts der Bedeutung des Bergbaus und der Identifikation der
Bergleute mit dieser Versicherung, eine auf das Saarland und seine besondere Sozial-
struktur abgestimmte Regelung getroffen, die dem politischen Konsens über die
Sozialversicherungsreform nur dienlich sein konnte.
5. Kontroverse um die Reform
Nachdem die Sozialversicherungsreform im Saarland umgesetzt worden war, ver-
stummten zwar die Kritiker aus den Reihen der aufgelösten Betriebs- und Ersatz-
krankenkassen, um so mehr aber klagte die Ärzteschaft.
5.1 Protest der Ärzte
Die Ärzte konnten sich mit den neuen Verhältnissen nicht anfreunden. Die Stimmung
unter ihnen wurde nach Inkrafttreten der Reform ab Juli 1947 immer angespannter. Die
Ausdehnung der Versicherungspflicht, von der insbesondere auch leitende Angestellte
betroffen waren, bedeutete für die Ärzte einen Verlust an Privatpatienten und damit an
Einkommen. Hinzu kam ein weiterer Einkommensrückgang durch die Auflösung der
Betriebs- und Ersatzkassen, die höhere Vergütungen gewährten. Die ärztliche Existenz
war somit noch enger als bisher mit der Kassenzulassung verknüpft. Dies schwächte
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift zur Sitzung des Technischen Ausschusses vom 25.9.47.
187 Bundesachiv Koblenz ( BA KO), Bundesministerium für Arbeit (B 149), Nr.7808, Bd.l, Arbeitsgemein-
schaft der Knappschaften der BRD vom 4.7.57 an Bundesministerium für Arbeit. Die Knappschaft sah
keine Möglichkeit, Beitragszeiten zur hüttenknappschaftlichen Pensionsversicherung zu erhalten.
Schnellbrief des BM für Arbeit an BM des Innern und der Wirtschaft vom 14.10.56, IV a 6-4188.4
3285/58.
Saint -Jours, Landesbericht Frankreich, S.242.
66
ihre Position als Verhandlungspartner gegenüber der LVA. Sie war neben der zahlen-
mäßig unbedeutenden Versicherungsanstalt für Eisenbahner, der einzige gesetzliche
Krankenversicherungsträger mit Ausnahme der Saarknappschaft, die aber über ihre
eigenen Ärzte verfügte.
Die Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht und die eingeleitete Zentralisierung
der Versicherungsträger stieß bei vielen Ärzten aber nicht nur aus materiellen Gründen,
sondern auch aus gesellschaftlichen Aspekten auf wenig Gegenliebe. Sie berührte das
Berufsethos, denn mit ihr wurde auch die ärztliche Tätigkeit ohne Kassenzulassung
immer schwieriger und das weckte Ängste, die freiberufliche Existenz zu verlieren, und
vom Arzt mit eigener Praxis in eine Angestellten- und Beamtenposition sozial deklas-
siert zu werden, wobei auch die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone mit
staatlichen Ambulatorien und Betriebspolikliniken oder der National Health Service in
England diese Ängste bestätigten.189
Vor dem Hintergrund des Ende 1947 erfolgten wirtschaftlichen Anschlusses des
Saarlandes an Frankreich argumentierte die Ärzteschaft, daß eine Anpassung an die
französische Krankenversicherung nur dann sinnvoll sei, wenn auch der französische
Modus der kassenärztlichen Honorierung übernommen werde.190 Das Saarländische
Ärztesyndikat beklagte gegenüber Ministerpräsident Hoffmann: "Wir können es
unseren Mitgliedern nicht weiter zumuten (...) sich mit einer Vergütung zufrieden zu
geben, die kaum der Entlohnung eines ungelernten Hilfsarbeiters entspricht."191
Die Zahnärzte argumentierten ähnlich. Es könne nicht sein, daß die LVA nach dem
wirtschaftlichen Anschluß Bandagisten, Apothekern und Optikern die französischen
Gebührensätze zugestehe, für die Zahnärzte aber wie für die übrigen Ärzte die über
fünfzig Jahre alte preußische Gebührenordnung (Preugo) mit der Honorierung über die
Kopfpauschale immer noch gelte.192 Die Ärzteschaft forderte die Abschaffung der
Kopfpauschale und die Übernahme des französischen Abrechnungssystems der Sécuri-
té Sociale.
189 H o c k e r t s, Sozialpolitische Entscheidungen, S.42. Christoph Klessmann und Georg
Wagner (Hrsg.), Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945-1990, München 1993, S.218.
Hinweis auf: Der Angestellte Arzt, in: Mitteilungsblatt des Marburger Bundes, Nr.10/1954, S.181 f. Siehe
auch: Horst Barthel, Die Sozialpolitik in der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung (1945-1949),
in: Gunnar Winkler (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik der DDR, Ost-Berlin 1989, S.61. Historiker in der
DDR sprachen von einer neuen "sozialökonomischen und politischen Stellung der Ärzte in der
Gesellschaft".
190 .
LA SB, MifAS, Bü. 11, Vermerk zu Artikel in der Zeitung des Saarländischen Ärztesyndikates vom
Juni 1948.
191
Ebd., StK, Nr.3147, Saarländisches Ärztesyndikat an Ministerpräsident J. Hoffmann vom 25.11.49.
192
Ebd., MifAS, Bü.ll, Saarländisches Zahnärztesyndikat an den Hohen Kommissar vom 1.2.50.
67
Worin lagen die Unterschiede zwischen beiden Systemen, was versprachen sich die
Ärzte vom französischen System?
Seit 1930 galt in Deutschland für Ärzte und seit Juli 1932 auch für Zahnärzte die
sogenannte Kopfpauschale. Ihre Einführung war im Kontext der defizitären Situation
der gesetzlichen Krankenversicherung als Sparmaßnahme zu Lasten der Ärzteschaft
gedacht gewesen. Sie schuf aber auch durch die Kassenärztliche Vereinigung eine
anerkannte Selbstverwaltung der Kassenärzte.193 Die Kopfpauschale errechnete sich aus
der Division des Gesamtbetrages der von der Kasse für die ärztliche Behandlung
aufgewandten Kosten durch die Zahl ihrer Versicherten, sie entsprach somit dem
Durchschnittsbetrag der auf den einzelnen Versicherten berechneten Ausgaben. Von
jedem im Laufe eines Vierteljahres behandelten Patienten erhielt der Kassenarzt einen
Krankenschein. Er gab Anspruch auf einen Betrag, der ohne Rücksicht auf die Zahl der
Besuche oder Konsultationen und die Bedeutung der geleisteten ärztlichen Hilfe
festgelegt wurde.194 Das bedeutete eine Zurückstellung des Leistungsprinzips, denn
durch die Kopfpauschale wurde weder der Anzahl noch dem Aufwand der jeweiligen
Untersuchungen Rechnung getragen. Das Prinzip der Kopfpauschale veranschaulicht
folgendes Beispiel. Bei jedem Patienten, dem ein Zahnarzt im Quartal nur einen Zahn
zog oder nur eine Füllung ohne Entfernung des Zahnnervs anbrachte, wurde der
Durchschnittswert nicht erreicht, so daß einem anderen Patienten mit schlechterer
Mundhygiene mehr Leistungen zuteil werden konnten, die in ihrer Gesamtheit über
dem Durchschnittswert lagen.195 Die Kopfpauschale bedeutete eine Kontingentierung
ärztlicher Leistung, die sich für den jeweiligen Arzt dann besonders negativ auswirkte,
wenn die von ihm betreuten Kassenpatienten eine extrem ungünstige Struktur aufwie-
sen und in überproportional hohem Maße besonders aufwendige ärztliche Leistungen
verlangten.
Ganz im Gegensatz dazu stand das flexible französische Honorierungssystem, das
durch eine Verordnung vom 19. Oktober 1945 in Frankreich eingeführt worden war.
In jedem Département wurde zwischen den Ärztesyndikaten und der regionalen Kasse
der Sécurité Sociale ein Vertrag auf Basis einer nationalen Nomenklatur abgeschlossen.
Die Honorierung erfolgte nach Einzelleistung. Das Leistungsprinzip fand in der Hono-
rarordnung Berücksichtigung, weil für jede ärztliche Behandlung ein nach Schwierig-
keit, Umfang und Wert festgelegter Koeffizient mit einem bestimmten Frankenbetrag
mulüpliziert wurde. Paragraph 13 der oben genannten Verordnung ermöglichte es den
193 Zu den Einzelheiten: Florian Tennstedt, Der Ausbau der Sozialversicherung in Deutschland 1890-
1945, in: Hans Pohl (Hrsg.), Staatliche, städtische, betriebliche und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter
bis zur Gegenwart, Stuttgart 1991, S.233.
194
Vergleich des westdeutschen und französischen Sozialversichenmgssystems, in: Deutsch-Französi-
sche-Wirtschaftshefte 6/1951, S.61-63. LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift der Sitzung des
Technischen und des Beratenden Ausschusses vom 21.1.49.
195
LA SB, MifAS, Bü.ll, Karl Ammann an Arbeitsminister Kirn 14,1.49.
68
Ärzten, die Tarife zu überschreiten, z.B. bei besonders günstiger Vermögenslage des
Versicherten oder bei hohem Schwierigkeitsgrad der Behandlung. Was die Kosten-
erstattung betraf, so mußte nach dem französischen System der Patient in Vorlage
treten und erhielt von der Sécurité Sociale die Kosten zu 80 Prozent erstattet.196
Bei der Frage Kopfpauschale oder französische Honorierung ging es ums Geld -
sowohl für die Ärzte als auch für den Sozialversicherungsträger und die Versicherten.
Ein saarländischer Zahnarzt bekam für die Behandlung eines Mitgliedes der gesetzli-
chen Krankenversicherung nur ein Drittel des Betrages, den sein Kollege im Dé-
partement Moselle für die gleiche Leistung erhielt;197 die Ärzte im Saarland empfanden
dies angesichts der Wirtschaftsunion als ungerecht.
Trotz der großen Defizite innerhalb der französischen Krankenversicherung war bis
weit in die fünfziger Jahre die Einkommenssituation der französischen Kassenärzte
keinesweg ungünstiger als die ihrer Kollegen im Saarland oder der Bundesrepublik, für
die noch immer die Kopfpauschale galt. Die Ursachen dafür scheinen in einem relativ
hohen politischen und gesellschaftlichen Gewicht der Ärzteschaft in Frankreich zu
liegen und der Scheu der Regierung, ärztlichen Partikularinteressen entgegenzutreten.
Die Ärzte hatten sehr früh, schon anläßlich der Beratungen zur Sécurité Sociale, aus
Angst vor Reglementierung und aus Furcht, den Status der Selbständigen zu verlieren
und zu Arbeitnehmern zu werden, ihre Interessen angemeldet, so blieb es ihnen auch
grundsätzlich freigestellt, Sozial versicherte zu behandeln.198 Es war somit nicht ver-
wunderlich, daß die Kassen ärztliche Vereinigung gegenüber der LVA versuchte, das
als vorteilhaft erachtete französische Honorierungssystem durchzusetzen. Sie wies auch
darauf hin, daß durch das französische System Bagatellfälle femgehalten und somit
Kosten gesenkt würden, weil der Patient in Vorlage treten mußte.199 * Die Zahnärzte
machten medizinische Gründe geltend, die Kopfpauschale abzuschaffen. Beginnende
Karies sei als Krankheit nicht über Pauschalhonorierung zu behandeln. Es sei einfach,
ein Loch zu erkennen, die Behandlung aber aufwendig, wenn der Zahnnerv mit Bakte-
196
Bernard F e u i 11 y, Kostenbeteiligung in Frankreich, in: Soziale Sicherheit 5/1956, S.75. S a i n t - J o
u r s, Landesbericht Frankreich, S.230, 240.
197
LA SB, MifAS, Bü.ll, Saarländisches Zahnärztesyndikat."Das Honorar für zahnärztliche Behandlung
von Kassenpatienten" als Anlage zum Schreiben an den Minister für Arbeit und Wohlfahrt vom 3.3.49.
Vgl. ebd., Schreiben von Henri Schlagdenhaufen, Ordre Départemental der Chirurgiens-Dentistes de la
Moselle, vom 18.1.50.
1,8 S a i n t - J o u r s, Landesbericht Frankreich, S.230. Irène Bourquin, "Vie ouvrière" und
Sozialpolitik. Die Einführung der "Retraites ouvrières" in Frankreich um 1910. Ein Beitrag zur Geschichte
der Sozialversicherung, Bern 1977, S.295. Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Hrsg.),
Entwicklung und Tendenzen der Systeme der Sozialen Sicherheit in den Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaft und Großbritannien, o.Oa. 1966, S.101-103. L'anneé politique, 1950, S.12. Siehe
auch: 70 Jahre Sécurité Sociale, S.38, 41, 44.
199
LA SB, MifAS, Bü.ll, Dr. Brochowski, Vorsitzender der Ärztekammer und der Kassenärztlichen
Vereinigung vom 15.12.47 an Verwaltungskommission/Abt. Arbeit.
69
rien infiziert sei. Die bisherige Bezahlung führe dazu, daß der Arzt in der Sozialpraxis
gezwungen sei, seine Patienten gegen anerkannte wissenschaftliche Grundsätze zu
behandeln.200
Mit ihren Forderungen stießen die Ärzte auf eine breite Front der Ablehnung. Sie
fanden weder bei Parteien noch bei der LVA Verständnis für ihre Klagen. Das Referat
Sozialversicherung der Abteilung Arbeit hatte errechnet, daß sich das Einkommens-
niveau der Kassenärzte in den Jahren 1946/47 etwas über dem von 1938 bewegte.20.
Innerhalb der LVA und des Arbeitsministeriums sah man allerdings auch, daß sich die
Einkommenssituation für die Ärzte ungünstig entwickelt hatte, wenn auch aus einem
anderen Grund. Die seit dem 20. November 1947 im Saarland eingeführten Familien-
zulagen, die im Sinne eines Familienlohnes wirkten, blieben bei der Berechnung des
beitragspflichtigen Entgeltes zur Sozialversicherung unberücksichtigt, so daß sich in
den Beiträgen nicht mehr das gesamte Einkommen der Versicherten widerspiegelte.
Dies stand nach Ansicht des Ministeriums im Widerspruch zu einer Leitlinie, die bei
der Berechnung der Kopfpauschale gegolten hatte, nämlich daß die Honorierung der
Ärzte im Rahmen des Gesamtvolkseinkommens stehen müsse bzw. daß die Einkom-
mensentwicklung des Kassenarztes im Rahmen des Einkommens der Versicherten
bleiben müsse. Im übrigen verschlechterte sich die Situation nach Ansicht des Ministe-
riums nicht so sehr wegen des Verlustes an Privatpatienten, sondern an deren geänder-
tem Verhalten, Ärzte nur noch bei größeren Beschwerden aufzusuchen. Die Sozial-
versicherungsreform habe zu einer Verlagerung geführt, freiwillig Versicherte müßten
sich pflichtversichern. Die Zahl der Privatpatienten sei letztlich nicht entscheidend
tangiert worden, da der größte Teil der Beamten und Selbständigen in Handel und
Gewerbe mit ihren Familienangehörigen noch zum Personenkreis der Privatpatienten
gehören würde.* 202
Widerstand gegen Standesinteressen
Die Strategie des Ministeriums für Arbeit und Wohlfahrt und der LVA bestand darin,
den Ärzten eine höhere Kopfpauschale durch eine Veränderung des Umrechnungs-
koeffizienten zuzubilligen. Ärzte und Zahnärzte forderten aber nach wie vor, die
französische Honorierung auch im Saarland einzuführen. Der Vorsitzende der Ärzte-
kammer kündigte die Abkommen, Verträge und Vereinbarungen, die zwischen der
KVS und der LVA bestanden hatten, zum 31. März 1948 auf.203
Ebd., Saarländisches Zahnärztesyndikat. "Das Honorar für zahnärztliche Behandlung von Kas-
senpatienten' als Anlage zum Schreiben an den Minister für Arbeit und Wohlfahrt vom 3.3.49.
1 Ebd., Bü.30, Anmerkungen zu der Denkschrift des Saarländischen Ärztesyndikats vom Juni 1948.
202 Ebd., und Karl Ammann an Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt 11.2.48.
203 Ebd., Bü.30, LVA, Alphonse Rieth an Richard Kirn vom 8.1.48. Dr. Brochowski, Vorsitz, der KVS, an
VWK vom 15.12.47.
70
Sowohl für die LVA als auch für das Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt kam ein
Transfer des französischen Honorarsystems an die Saar nicht in Frage. Finanzielle
Gründe waren dafür maßgebend, da die Berechnungen innerhalb der LVA eine Aus-
gabensteigerung anzeigten, was angesichts des Defizites innerhalb der Krankenversi-
cherung nicht im Interesse der Versicherten liegen konnte. Die LVA für das Saarland
war über die hohen Defizite der französischen Krankenversicherung informiert.204 Das
Klagen der Ärzte über zu geringe Einkommen erschien außerdem immer weniger
glaubwürdig, nachdem Landesvertrauensarzt Dr. René Springer in einer Sitzung des
Technischen Ausschusses der LVA am 21. Januar 1949 über die finanzielle Situation
der Kassenärzte berichtete und dabei feststellte, daß die Mehrheit mit 80.000 FRS im
Monat überdurchschnittlich gut verdiene.205
Entscheidend waren aber sozialpolitische Motive. Die Einführung der französischen
Honorierung wäre für die saarländischen Versicherten mit Nachteilen verbunden
gewesen, sie hätten in Vorlage treten müssen, und die Kostenerstattung wäre unter dem
bisherigen Standard geblieben, so ein Vermerk im Arbeitsministerium:" Das französi-
sche Honorierungssystem würde für die Versicherten des Saarlandes einen sozialen
Rückschritt von mehreren Jahrzehnten bedeuten (...) französisches Kassenarztrecht und
Honorierungssytem muß unter allen Umständen verhindert werden (...) Arbeiter,
Rentner und ähnliche Personenkreise, die ärztliche Hilfe nicht in Anspruch nehmen
könnten, weil sie nicht in der Lage sind, das Honorar vorzulegen und einen Teil der
Arztkosten selbst zu tragen."206
Die Ärzte blieben hart, insbesondere auch das Saarländische Zahnärztesyndikat steuerte
einen vertragslosen Zustand mit der LVA an. Bereits Anfang Januar 1949 verlangten
einige Zahnärzte von ihren Patienten, vor der Behandlung eine Erklärung zu unter-
schreiben, in der sie sich verpflichteten, für besümmte Leistungen, deren Kosten "das
kassenärztliche Maß übersteigen (...)", diese "nach der Privat-Gebührenordnung (...)
selbst zu tragen." Die "Saarländische Volkszeitung" griff diese Praxis mit der Über-
schrift "Kontingentiertes Zahnweh" kritisch auf.207 Im Frühjahr 1949 wurde der Be-
schluß gefaßt, für den Fall des Abbruches der Verhandlungen zwischen Syndikat und
LVA bisherige Kassenpatienten nur noch als Privatpatienten zu behandeln. Um diese
Kampfmaßnahme durchzusetzen, wurden die Mitglieder des Syndikats zur Unterzeich-
nung einer Verpflichtungserklärung gezwungen, die bei Zuwiderhandeln eine Konven-
tionalstrafe von 1 Million FRS androhte.208
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift der Sitzung des Beratenden und Technischen Ausschusses
vom 21.1.49. Bei zahlreichen Primärkassen in Frankreich wäre zur Deckung der Ausgaben für
Krankenhaus leistungen das Eineinhalbfache der Einnahmen notwendig gewesen.
205
Ebd., Niederschrift zur Sitzung des Beratenden und Technischen Ausschusses vom 21.1.49.
206 LA SB, MifAS, Bü.30, Anmerkungen zur Denkschrift des Saarländischen Ärztesyndikats vom Juli
1948, verfaßt im Ministerium für Arbeit, Abt. Sozialversicherung.
207 SVZ vom 10.1.49.
208 LA SB, MifAS, Bü.ll, Dr. René Springer, Ärztlicher Direktor der Sozialversicherung für das Saarland,
an Minister Kirn vom 15.3.49.
71
Der Widerstand der Ärzteschaft gegen die Kopfpauschale war keine saarländische
Sonderentwicklung, sondern entsprach den Verhältnissen in den deutschen Ländern.
Die Lobby von Ärzten und Zahnärzten forderte hier zwar nicht die Übernahme des
französischen Honorarsystems, aber eine stärkere Betonung des Leistungsprinzips,
In Baden sahen sich die Kassenärzte zu "Trinkgeldempfängern" degradiert, und die
Zahnärzte in Rheinland-Pfalz erklärten der gesetzlichen Krankenkasse den vertrags-
losen Zustand. Sie starteten in einer Zeit, in der Papier noch Mangelware war, eine
Flugblattaktion und verweigerten die Behandlung gegen Krankenschein. August
Wolters (CDU), Leiter der AOK Trier, verurteilte diese Maßnahme, sie hätte mit einer
anständigen Kampfweise nichts mehr zu tun.209 Die LVA für das Saarland stand wieder
einmal mit den Kollegen des Verbandes der badischen Ortskrankenkassen in Lahr in
enger Verbindung und informierte sich bei ihnen über die Entwicklung in Rhein-
land-Pfalz. Inzwischen hatte man sich dort auf eine Erhöhung der bisherigen Vergü-
tung um 25 Prozent geeinigt.210
Nachdem die saarländischen Ärzte ab 31. März und die Zahnärzte ab 31. Dezember
1948 die bisherige Honorierung nicht mehr akzeptierten bzw. eine Vertrags Verlänge-
rung abgelehnt hatten, war damit ein de facto vertragsloser Zustand eingetreten. Als die
Verhandlungen keine Einigung brachten, reagierte das Ministerium Kirn ausgespro-
chen mutig und kompromißlos mit einem Gesetzentwurf, wonach dem Minister für
Arbeit und Wohlfahrt das Recht zugestanden wurde, abgelaufene Verträge mit den
Sozialversicherungsträgern weiterhin für verbindlich zu erklären. Von Seiten des
Ärztesyndikates wurde Zeter und Mordio geschrien. Die Ärztevertreter waren nicht
mehr bereit, mit dem Minister zu sprechen, man wandte sich gleich an den Ministerprä-
sidenten und verglich Kirns Entscheidung mit dunklen Kapiteln deutscher Geschichte:
"Es ist höchst bedenklich (...) in einem demokratischen Staatswesen ein Ermächti-
gungsgesetz zu erlassen (...) wir wollen nicht vergessen, daß am Anfang der national-
sozialistischen Diktatur das Ermächtigungsgesetz gestanden hat".211
209 Ebd., AOK Trier/August Wolters an die Herren Verstands- und Ausschußmitglieder vom 2.4.49. Zur
Rolle von August Wolters bei der Vereinheitlichung der Krankenversicherung im Regierungsbezirk Trier,
siehe Hudemann, Sozialpolitik, S.227, 321-323. Biogaphische Information zu August Wolters bei:
Ebd., S.238. August Wolters war seit der Weimarer Republik christlicher Gewerkschaftler und Mitarbeiter
des Deutschen Handlungsgehilfen verbandes, wurde 1945 Leiter des Sozialdezemates im
Regierungspräsidium Trier und bis 1958 Geschäftsführer der örtlichen AOK. Innerhalb der
rheinland-pfälzischen CDU war er einer der engagiertesten und fortschrittlichsten Sprecher des
Arbeitnehmerflügels, Vorsitzender des Sozialausschusses, 1948 wurde er Landtagspräsident und
Vorsitzender des sozialpolitischen Ausschusses im Landtag, von 1959 bis 1971 Innen- und von 1959 bis
1967 zusätzlich auch Sozialminister in Rheinland-Pfalz.
210
LA SB, MifAS, Bü.ll, Schriftwechsel zwischen LVA Saarland und dem Verband der badischen
Ortskrankenkassen Lahr vom 28.2. und 23.4.49.
211 Ebd., Stk/KR/MAW/1950/T-l, Ärztesyndikat an Ministerpräsident Hoffmann vom 23.12.49. Vgl. LTS
DS 11/350, "Entwurf eines Gesetzes über Änderungen in der Kranken- und Unfallversicherung".
72
Hoffmann gelang es dann, die verfahrene Situation über den Präsidenten des Landes-
versicherungsamtes Heinrich Welsch zu entschärfen. Die Ärzte gaben sich jetzt mit
einer Erhöhung der Pauschale zufrieden. Die Verträge zwischen KVS und LVA
wurden verlängert, Kirns Gesetzentwurf durch den sozialpolitischen Ausschuß im
Landtag entschärft. Gleichwohl blieb es aber dabei, daß der Minister für Arbeit und
Wohlfahrt bis zur gesetzlichen Neuregelung die Beziehungen zwischen Ärzten, Zahn-
ärzten und Dentisten einerseits und den Sozialversicherungsträgern andererseits auf
dem Verordnungswege regeln konnte.212 Damit waren die polemisch geführten Ausein-
andersetzungen vorerst beendet.
Wie verhielten sich das Hohe Kommissariat und die französischen Entscheidungsträger
in der LVA zu der Frage, ob die Honorierung der saarländischen Ärzte der französi-
schen angepaßt werden sollte? War eine Assimilierung an französische Verhältnisse
nicht im Interesse der Wirtschaftsunion wünschenswert?
Unmißverständlich betonte Alphonse Rieth als Präsident des Technischen Ausschusses
der LVA, daß die Ärzteforderung zwar verständlich sei, aber nicht im Interesse der
Versicherten und deshalb abzulehnen.213 Wie die saarländischen Entscheidungsträger
sahen auch die französischen Verantwortlichen die sozialen Nachteile des französi-
schen Honorarsystems. Es wäre politisch unklug gewesen, die den Saarländern bisher
vertraute Regelung durch die französische zu ersetzen, wäre sie doch für die Versicher-
ten nur mit Einbußen verbunden gewesen. Nur die Ärzte als Minderheit hätten Vorteile
daraus ziehen können, während die Mehrheit, Hunderttausende von Versicherten, das
Nachsehen gehabt hätte. Diese Haltung könnte durch die Erfahrungen in den lothringi-
schen und elsässischen Départements bestätigt worden sein. Dort war bis 1940 die
deutsche Sozialversicherung noch weitgehend gültig gewesen, und damit auch die der
deutschen Krankenversicherung entsprechende Kopfpauschale. Nach 1945 war im
Rahmen einer Assimilierung Elsaß-Lothringens an die französische Sozialgesetz-
gebung auch das französische Honorarsystem eingeführt worden, was von den regio-
nalen Partei- und Gewerkschaftsgliederungen, insbesondere von M.R.P. und C.F.T.C.,
massiv kritisiert wurde. Die Angelegenheit entwickelte sich zu einem spannungs-
geladenen Politikum und förderte die Politisierung der Gewerkschaften. Gegen die
Assimilierungsforderung der C.G.T. gerichtet, forderte die C.F.T.C. in einem Flugblatt
im Mai 1946:"Kameraden! Seit 1880...zahlen die Sozialversicherten unserer drei
Départements keine Arzt-, Apotheker- und keine Spitalbehandlungskosten. In Zu-
kunft... sollen die Versicherten den Arzt selber bezahlen: ohne festen Entschädigungs-
212
Ebd., Arztesyndikat an Ministerpräsident Hoff mann vom 10.1. und 24.1.50.
213
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift über die Sitzung des Technischen Ausschusses der LVA vom
31.1.48. Siehe auch: LA SB, MifAS, Bü.12.
73
satz. Die Kasse würde uns nur 80% des Kassentarifs zurückerstatten."214 Die Pariser
Zentrale und der damalige kommunistische Arbeitsminister Ambroise Croizat lehnten
1946 aber jeden Partikularismus ab.215
Das Hohe Kommissariat verzichtete mit dem Festhalten an der Kopfpauschale auf eine
Assimilierung und gestand dem Saarland in dieser Frage einen sozialpolitischen
Partikularismus zu. Das Risiko, deshalb Gegenwind aus Paris zu bekommen, war
gering, weil die erfolgreiche Gestaltung der Wirtschaftsunion nicht gefährdet wurde.
Ähnlich der Entwicklung in den elsässischen und lothringischen Départements hätte
auch im Saarland die Frage der ärztlichen Vergütung zu einem Politikum werden
können. Dies dürfte gerade den französischen Entscheidungsträgem in der LVA
bewußt gewesen sein, denn der Präsident des Technischen Ausschusses Alphonse
Rieth war gebürtiger Lothringer und der Vizepräsident Dr. Robert Jung kam aus dem
elsässischen Strasbourg und leitete dort, wie schon erwähnt, die regionale Kasse der
Sécurité Sociale.
Auch die Erfahrungen mit dem französischen Honorierungssystem sprachen gegen
seine Einführung im Saarland. Die relativ starke politische und gesellschaftliche
Stellung der Ärzte, wenn es um die Regelung ihrer Interessen ging, zeigte sich in
Frankreich erneut Anfang der fünfziger Jahre. So scheiterte die seit 1945 gebildete
nationale Tarifkommission in der Praxis.216 Die Vertragsparteien konnten sich über die
ärztlichen Honorare nicht mehr einigen. Infolge dieser Entwicklung setzten die Dé-
partements Zwangstarife fest, die von den Ärzten jedoch mißachtet wurden. Dies führte
dazu, daß die Patienten zwar theoretisch Anspruch auf eine Kostenerstattung von 80
Prozent der festgesetzten Tarife hatten, die ärztliche Honorierung aber in der Praxis
dieselben überstieg. Der real von den Versicherten aufzubringende Kostenanteil betrug
damit nicht mehr 20 Prozent, sondern z.B. in Paris durchschnittlich 65 Prozent. Be-
sonders teuer wurde der Besuch bei Spezialisten, da bei ihnen die Divergenz zwischen
vorgesehener und tatsächlicher Kostenbeteiligung noch größer war und es hier in der
Regel auch um höhere Honorarbeträge ging. Zur Veranschaulichung sei auf die Sécuri-
té Sociale von Chartres verwiesen, die in einem Rechnungsjahr 75 Dentisten für
Aufwendungen an Patienten 14.862.421 FRS erstattete, während sich aber die Forde-
rungen der Dentisten an die Mitglieder der Sécurité Sociale auf 43.334.849 FRS
beliefen. Sozial Schwache litten unter solchen Verhältnissen besonders, für sie konnte
die Behandlung durch einen Spezialisten zum unerschwinglichen Luxus werden. Das
70 Jahre Sécurité Sociale, S.73. Die Antwort der C.G.T. spiegelt die Polemik wider:” Von der ganzen
demagogischen Schaumschlägerei der Christlichen bleibt somit nur ein übler Gestank übrig (...)”, in: Ebd.,
S.73
215 Ebd., S.38.
*16 Durch diese Verträge garantierten die Kassen ihren Versicherten die Übernahme eines mit den Ärzten
ausgehandelten Betrages für bestimmte Leistungen,"tarif de responsabilité", alles, was darüber hinausging,
mußten die Patienten bezahlen, siehe: 70 Jahre Sécurité Sociale, S.44.
74
französische System zeigt übrigens, daß eine relativ hohe Kostenbeteiligung der
Versicherten nicht automatisch zu einer Reduktion der Krankenversicherungsausgaben
führen muß, denn trotz der hohen Selbstbeteiligung stieg die Zahl der ärztlichen
Konsultationen.217 Aus französischer Perspektive bestand also gar kein Grund, ein
System, das sich in Frankreich nicht bewährt hatte und für Probleme sorgte, im Saar-
land einzuführen.
Nachdem die Bemühungen, das französische Honorarsystem im Saarland durch-
zusetzen, gescheitert waren, versuchten die Ärzte noch einmal ihre Einkommens-
situation mit dem Vorschlag zu verbessern, Sozialversicherte sollten das Recht erhal-
ten, gegenüber dem Kassenarzt als Privatpatient auftreten zu können, wobei eine
Selbstbeteiligungshöchstgrenze anzustreben sei. Beratender und Technischer Ausschuß
der LVA sahen darin die Gefahr eines Zweiklassensystems und lehnten diesen Vor-
schlag aus psychologischen und sozialen Motiven ab. Die Ärzte ihrerseits wollten
diesen Einwand mit der Begründung, in den Krankenhäusern gebe es auch zwei
Klassen, nicht gelten lassen.218 Obervertrauensarzt Dr. Gattermann fürchtete aber
"Minderwertigkeitskomplexe" von Sozial versicherten mit geringerem Einkommen, die
nicht als Privatversicherte auftreten könnten.219
Auch der Versuch der Ärzte, durch die Unterstützung ihrer französischen Standeskolle-
gen schließlich doch noch zum französischen Honorierungssystem zu kommen,
scheiterte. Obwohl die saarländischen Versicherungsträger den Ärzten in den an-
grenzenden lothringischen Départements ihre Leistungen nach den in Frankreich
geltenden Tarifen erstatteten, beschloß die Standesorganisation der Zahnärzte des
Départements Moselle, ihre saarländischen Kollegen zu unterstützen und forderte in
einem Schreiben an Gilbert Grandval die Angleichung der saarländischen Tarife an die
französischen.220 Dieser Vorgang ist zugleich Beispiel einer grenzüberschreitenden
Solidarität eines sich als Elite begreifenden Berufsstandes.
Warum fiel es den saarländischen Ärzten so schwer, ihre Interessen durchzusetzen?
Ein Grund lag in der Ärzteschwemme der Nachkriegszeit, zurückzuführen auf die
Zuwanderung von Ärzten aus anderen deutschen Ländern, insbesondere auch aus der
sowjetischen Besatzungszone. Minister Kirn sprach von einer Übersetzung des ärzt-
lichen Berufsstandes.221 1948 gab es im Saarland 105 stellungslose Ärzte. Die Zahl
217
F e u i 11 y, Kostenbeteiligung in Frankreich, S.76.
218
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift der Sitzung des Beratenden und Technischen Ausschusses
vom 14.6.49.
219 Ebd., Sitzung vom 27.9.49.
220
LA SB, MifAS, Bü.ll, Henri Schlagdenhaufen, Ordre Départemental des Chirurgiens-Dentistes de la
Moselle, vom 18.1.50
221
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 5.11.48.
75
junger von den Universitäten kommender Medizinstudenten war ungleich höher als die
Zahl freiwerdender Arztpraxen und Krankenhausstellen.222
So beschloß das Kabinett am 27. September 1948, nichtsaarländische Ärzte vorläufig
nicht mehr einzubürgem.223 Vorausgegangen waren Versammlungen von Jung-Ärzten,
die entsprechende Forderungen erhoben hatten.224 Um auf ihre Not aufmerksam zu
machen, forderten sie die Auflösung der medizinischen Fakultät der Universität des
Saarlandes.225
Vor diesem Hintergrund dachte Landesvertrauensarzt Dr. Springer daran, das Medizin-
studium an der Saaruniversität in Homburg zu streichen und ganz nach Frankreich zu
legen.226 Um die Arbeitsplatzsituation zu verbessern, schlug er weiter vor, ein den
französischen Verhältnissen entsprechendes Gesetz zur Arbeitsmedizin einzuführen,
mit dem 120 zusätzliche Arztstellen im Saarland geschaffen werden könnten, während
er Zukunftsaussichten für saarländische Ärzte in Frankreich nur in den Kolonien sah.227
Die Kassenärzte, konfronüert mit einer Ärzteschwemme und geringeren Einkom-
mensperspektiven, entdeckten noch einen anderen Weg zur Verbesserung ihrer mate-
riellen Situation, nämlich die Versicherten der Knappschaft als Patienten zu gewinnen.
Dabei verfolgten sie die Strategie, das Knappschaftsarztsystem als autoritär und nicht
mehr zeitgemäß zu stigmatisieren, womit sie geschickt den Zeitgeist für ihre Interessen
instrumentalisierten. Die knappschaftlich Versicherten waren vor allem in ihrer Arzt-
wahl massiv eingeschränkt. Sie mußten grundsätzlich zunächst den Knappschaftsarzt
ihres Sprengels konsultieren. Wenn sie mit ihm nicht zurecht kamen, blieb ihnen nur
noch, sich bei den Knappschaftswahlen umzumelden und dann einen Knappschaftsarzt
in einem anderen Sprengel aufzusuchen.228 Das von der Knappschaft vorgebrachte
Argument, der Knappschaftsarzt werde in seiner Ausbildung auf die Krankheiten der
222 LA SB, MifAS, Bü.ll, Abt. Sozialversicherung an Minister Kirn vom 22.1.49, LVA an Ministerium für
Arbeit vom 29.9.48. Anzahl der Ärzte im Saarland (Stand: September 48) Anzahl der niedergelassenen
Arzte: 412, Anzahl der Ärzte ohne Kassenzulassung: 34. Anzahl der Betriebs- und Amtsärzte: 28. Anzahl
der Krankenhausärzte: 257. Anzahl der Medizinstudenten, die im April 49 von der Universität abgehen: ca.
50. Abgang wegen Alter und Krankheit: 13.
223 Ebd., Präsidialkanzlei an Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt vom 30.9.48 betreffend Beschluß der
46. Kabinettssitzung vom 27.9.48.
224 Ebd.,Vermerk zur Versammlung der Jung-Ärzte im Johannishof vom 24.7.48.
225
Ebd., Bericht über die Sitzung beim Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt vom 10.9.48.
Diese These könnte von Dr. Springer, der sich selbst als "Geburtshelfer" der Medizinischen Fakultät der
Saaxuniversitäl sieht (LA SB, Findb., NL Springer), auch aus taktischen Gründen gegenüber Kim vertreten
weiden sein, um diesen zu veranlassen, mehr für die Ärzte zu tun.
227 LA SB, MifAS, Bü.ll, Dr. Springer an Minister Kirn vom 29.9.48.
2?* Joseph H ö f f n e r, Sozialpolitik im deutschen Bergbau, Münster 1956, S.124 f.
76
Bergleute vorbereitet und sei deshalb qualifizierter, wurde von der KVS mit dem
Hinweis zurückgewiesen, daß die Bergleute auch während des Krieges erfolgreich
ärztlich behandelt worden seien, als die gesamte ärztliche Versorgung der Kassenärzt-
lichen Vereinigung Deutschland übertragen und Knappschaftsärzte zum Heeresdienst
eingezogen worden waren.229 Ähnliche Forderungen waren übrigens auch von den
Kassenärzten im Ruhrgebiet erhoben worden. Sie blieben aber auch dort ohne
Erfolg.230
Die Kassenärzte empfanden es als große Ungerechtigkeit, daß ihnen die Behandlung
von Knappschaftsmitgliedern versagt bleiben sollte, während umgekehrt viele Knapp-
schaftsärzte eine Kassenzulassung nach der RVO hatten. Dagegen wehrte sich die
KVS, indem sie sich der Sozialgesetzgebung des "Dritten Reiches" bediente, wonach
bei Überschreiten einer bestimmten Einkommensgrenze, Knappschaftsärzten die
Kassenzulassung entzogen werden konnte.231 Die Knappschaft reagierte darauf, an die
Adresse des Arbeitsministeriums gerichtet, mit dem Hinweis, sie müsse, wenn dies
Schule mache, ihre Sprengel vergrößern. Eine Drohung zu Lasten ihrer Versicherten,
denn das bedeutete, daß der Knappschaftsarzt mehr Patienten zu betreuen und damit
weniger Zeit für jeden einzelnen haben würde.232
Das Arbeitsministerium hatte inzwischen die im Vergleich zu den Kassenärzten ohne-
hin größeren Knappschaftssprengel auf 800 Versicherte verkleinert, um das Über-
angebot an Ärzten abzubauen. Den Knappschaftsärzten wurde zum Ausgleich bei
freiwerdenden Kassenarztstellen die Möglichkeit zur gleichzeitigen Kassenzulassung
eingeräumt. Uber die zukünftige Besetzung freiwerdender Kassenarztsitze, die zugleich
Knappschaftsarztssitze sein sollten, wurde durch einen paritätisch zusammengesetzten
Zulassungsausschuß mit einem unparteiischen Vorsitzenden entschieden.233
Die Saarknappschaft fürchtete allerdings jetzt sowohl gegenüber ihren Versicherten
wie gegenüber ihren Vertragsärzten um ihre Autorität. Das bisherige System garantier-
te eine feste Bindung des Arztes an den Versicherungsträger und schränkte den Frei-
raum des Patienten, dem die freie Arztwahl verwehrt wurde, ebenfalls ein. Dies be-
wertete die Saarknappschaft als wichtige Rahmenbedingung für eine Begrenzung ihrer
Ausgaben und fürchtete jetzt Kostensteigerungen. Wenn die Knappschaftsärzte in
Zukunft nur noch ausschließlich Versicherte der Saarknappschaft behandeln dürften,
LA SB, MifAS, Bü.ll, Direktor Hasse (Saarknappschaft) A1468/48 an Ministerium für Arbeit und
Wohlfahrt vom 28.5.48.
230 Ebd., VWK, Nr.223, Denkschrift der Saarknappschaft vom 25.11.46.
231 Vgl. § 16 und 23 der Zulassungordnung vom 17.5.34 in der Fassung vom 23.10.34, in: RGBL.I, S.1066.
232 LA SB, VWK, Nr.223, Saarknappschaft an VWK vom 25.11.46.
233
Ebd., MifAS, Bü.15, Dr. Daub, Hasse, Haupenthal (Saarknappschaft) an Landtagspräsident vom
13.5.52. Entsprech. Vereinb. mit dem Landesversicherungsamt vom 27.2.50. Dr. Daub (Saarknappschaft)
an Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt vom 17.12.54.
77
bedeutete das für sie Einkommensverluste. Die Knappschaftsärzte würden von der
Knappschaft zur Kompensation eine Erhöhung ihrer Bezüge fordern, zumal ihr Gehalt
in der Regel sowie so schon geringer war als das eines Kassenarztes.234
Völlig überraschend erfolgte dann mit dem Saarknappschaftsgesetz (SKG) vom 11.
Juli 195 1 235 eine Änderung im Interesse der Saarknappschaft, wobei nicht gesagt
werden kann, auf wen sie zurückging. Die Saarknappschaft wurde gestärkt, indem
ihren Ärzten durch Paragraph 112 ausdrücklich die gleichzeitige Zulassung als Kassen-
arzt ermöglicht wurde.
Die neue Regelung mißfiel der LVA, weil damit der Knappschaftsvorstand zu über
einem Drittel die RVO-Kassenarztstellen von sich aus besetzen konnte. Wenn es um
die Besetzung dieser Stellen ging, verringerten sich die Chancen der Assistenzärzte, die
in LVA-Krankenhäusern tätig waren, erheblich. Die LVA sah dies als Eingriff in ihre
Angelegenheiten und forderte, daß ein paritätisch besetzter Ausschuß regeln sollte,
welche Sprengel arztsitze gleichzeitig Kassen arztsitze sein sollten.236
Von Seiten der Kassenärzte wurde ebenfalls energisch protestiert, weil das Prinzip der
Gegenseitigkeit aufgehoben worden war und in den 30 neu gegründeten Sprengeln nur
die Assistenzärzte der Knappschaftskrankenhäuser zum Zuge kämen. Vor allem wurde
betont, wie unsozial das Verhalten der Saarknappschaft im Alltag sei, weil die Versi-
cherten weite Wege zu den Knappschaftsärzten in Kauf nehmen müßten.237 Im Gegen-
satz zu den einfachen Kassenärzten unterlagen die Ärzte der Saarknappschaft praktisch
keiner Konkurrenz. Ihr Verdienst war letztlich hinsichtlich der Patienten der Saar-
knappschaft unabhängig von ihrer Leistung und somit beschränkten sie ihre ärztliche
Tätigkeit auf ein Mindestmaß.238
Der Paragraph 112 wurde in der Praxis nie angewandt. Von Landgerichtspräsident
Manderscheid wurde auf Antrag der KVS ein Rechtsgutachten erstellt. Manderscheid
bestätigte darin die Bedenken der LVA und kritisierte, daß das Saarknappschaftsgesetz
Ebd., Saarknappschaft an Landtagspräsident, außerdem: Bü.ll, Hasse (Saarknappschaft') an
Ministerium für Arbeit vom 28.5.48. Zum Gehalt, siehe: Bü.15, Dr. Daub (Saarknappschaft) an
Ministerium für Arbeit vom 17.12.54. Danach verdiente 1954 ein Knappschaftsarzt ohne RVO-
Kassenzulassung maximal ca.165.000 FRS monatlich, ein Kassenarzt bis zu 230.000 FRS.
235
Abi.1951, S.1099. § 112 sah vor: "Für die Saarknappschaft besteht das Knappschaftsarztsystem. Die
ärztliche Versorgung der Mitglieder erfolgt durch Sprengelärzte, die vom Knappschaftsvorstand ernannt
werden und mit dem Tage ihrer Ernennung zum Knappschaftsarzt zu den RVO-Kassen zuzulassen sind.'
236 LA SB, MifAS, Bü.15, LVA Direktor Karl Ammann vom 4.6.52. Stellungnahme zu § 112 des
Saarknappschaftsgesetzes vom 11.7.51.
23 Dr. O. Six, Wie lange noch § 112 des Saarknappschaftsgesetzes", in: Saarländisches Ärzteblatt Nr.9/54,
S.210. Siehe auch: Ebd., Nr.4/54, S.88; Nr.7/54, S.158 und Nr.9/54, S.210.
238
Roy, Der saarländische Bergmann, S.75 f.
78
die Zulassungsinstanzen zu Automaten herabwürdige. Zu den Beratungen im sozial-
politischen Ausschuß waren im übrigen weder Vertreter der LVA noch der Kassen-
ärzte hinzugezogen worden.239 Wie bereits bei der Kontroverse über die Kopfpauschale
verhinderte Heinrich Welsch eine weitere Eskalation. So heißt es in einem Vermerk des
Arbeitsministeriums vom 17. Januar 1955:"Zu nennenswerten Schwierigkeiten bei der
Durchführung des Paragraph 112 SKG ist es lediglich nicht gekommen, weil auf
Empfehlung des seinerzeitigen Direktors des Ministeriums, des Herrn Präsidenten
Welsch, die neue Fassung praktisch nicht angewandt, sondern stets das gegenseitige
Einvernehmen zwischen den Beteiligten herbeigeführt wurde."240
Der Streit zwischen Saarknappschaft, KVS, Ärztekammer und LVA erklärt sich
letzüich aus dem Umstand, daß mit der Sozialversicherungsreform von 1947 zwar ein
Schritt in Richtung Einheitsversicherung unternommen worden war, aber immerhin
fast ein Drittel aller Sozialversicherten nicht in der LVA, sondern in der Saarknapp-
schaft als dem zweiten großen Versicherungsträger eingebunden waren. Die Kassen-
ärzte, die sich als Leidtragende der Reform sahen, versuchten dies zur Verbesserung
ihrer Situation auszunutzen. Durch die Sozialversicherungsreform kam es zu einer
Polarisierung in den Beziehungen zwischen Ärzteschaft und Arbeitsministerium sowie
zwischen Ärzteschaft und Krankenversicherungsträgem. In Phasen starker Eskalation
trat der parteilose Präsident des Landesversicherungsamtes Heinrich Welsch als erfolg-
reicher Krisenmanager auf.
5.2 Widerstände des christlichen Lagers
Zunächst richtete sich die Kritik der CVP darauf, daß sie in die Verhandlungen zur
Sozialversicherungsreform nicht eingebunden worden war. Johannes Hoffmann
intervenierte deswegen bei Grandval mehrmals im Herbst 1946 und im Frühjahr
1947.241 Kern seiner Kritik war, daß das Hohe Kommissariat im Einvernehmen mit
Vertretern der Ortskrankenkassen und der Abteilung Arbeit des Regierungspräsidiums,
also überwiegend mit Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern, eine tiefgreifende
Reform auf den Weg bringe, ohne den politischen Willen der CVP ausreichend zu
berücksichtigen.242
In der Sache vertraten die Christdemokraten die klassischen Argumente der Einheits-
versicherungsgegner. Hoffmann äußerte gegenüber Grandval Bedenken gegen die
LA SB, MifAS, Bii.15, Rechtsgutachten vom 13.5.54. Ärztekammer an Minister für Arbeit und
Wohlfahrt vom 7.5. und 20.5.54. Siehe LTA SB: Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für
Sozialpolitik vom 11.6.51.
240 Ebd., MifAS, Bü.15, Vermerk B/l-2/55 vom 17.1.55.
241
Privatarchiv Grandval (PGA), Doss.10, Antwortschreiben Gilbert Grandvals an Johannes Hoffmann
vom 10.3.47 auf dessen Schreiben vom 28.2.47.
242
Dies wird aus einem Schreiben von Robert Paris im Auftrag Grandvals an Hoffmann vom 18.12.46
deutlich, siehe: LA SB, VWK, Nr.4. Vorausgegangen war ein Schreiben Hoffmanns vom 14.11.46.
79
Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht und stellte ein Kernstück der Reform, die
Betriebs-, Innungs- und Ersatzkrankenkassen aufzulösen, in Frage. Die CVP kritisierte
darüberhinaus die Anonymität der LVA als zentralisierter Sozialversicherungsträger.243
Eine Wendung vollzog die Partei dann im Sommer 1947. In einer Stellungnahme zur
Neuordnung der Sozialversicherung hieß es jetzt:"Trotz einzelner Bedenken scheint es
uns richtig, der einheitlichen Krankenversicherung in einem Versicherungsträger
zuzustimmen, da auf diesem Wege die wirtschaftlich Stärkeren und gesundheitlich
weniger Gefährdeten für die Schwächeren miteinstehen müssen, ohne daß damit von
einer sozialistischen Gleichmacherei die Rede sein kann".244
Nachdem die Reform im Juni 1947 auf dem Verordnungswege durch die Militär-
regierung umgesetzt worden war, stellte sich die Frage, wer in den Versicherungs-
organen den stärksten Einfluß ausüben konnte. Der radikale Kurswechsel scheint daher
taktisch motiviert gewesen zu sein. So verlangte die CVP in ihrer Stellungnahme zur
Sozialversicherungsreform, daß sie bei der Besetzung von Ämtern in der Sozial-
versicherungsverwaltung berücksichtigt werden müsse. Um dieses Ziel zu erreichen,
war es wenig sinnvoll, eine Revision der Reform zu fordern. Aber die eher zustimmen-
de Position zur Reform blieb nicht von langer Dauer.
Die CVP machte es sich zum Grundsatz, auf fast allen Parteitagen für eine Dezen-
tralisierung der Sozialversicherung zu werben. Engagierter Exponent dieser For-
derungen war August Martin, Ministerialdirektor im Arbeitsministerium und christli-
cher Gewerkschaftler. Auf dem CVP-Parteitag im Dezember 1948 betonte er:"Die
Zentralisation widerspricht der christlichen Gesellschaftsordnung".245 Noch deutlicher
gegen eine zentralisierte Sozialversicherung wehrte er sich anläßlich des 1. Mai
1949.246 Martin wollte eine Diskussion über die Vereinheitlichung innerhalb der
Krankenversicherung in Gang bringen, Vorbild war möglicherweise für ihn die Ent-
wicklung in Rheinland-Pfalz:"Es ist zu begrüßen, daß in gleicher Weise wie in dem
Staat Rheinland-Pfalz die Gegenbewegung der Wiedereinführung der Betriebskranken-
kassen von den Versicherten selbst ausgeht".247
Im Oktober 1949 griff die "Saarländische Volkszeitung" das Thema wieder auf. Im
Hinblick auf die Stimmung bei den Versicherten wies man mit Genugtuung auf den
Protest des Betriebsratsvorsitzenden der Völklinger Hütte mit seiner Forderung nach
243 Siehe ebd., Robert Paris an Hoffmann vom 18.12.46. PGA, Dossier 10, Antwortschreiben an Johan-nes
Hoffmann vom 10.3.47 auf dessen Schreiben vom 28.2.47.
244
LA SB, VWK, Nr.4, Stellungnahme der CVP zur Neuordnung der Sozialversicherung.
245 Ebd., PVD, Nr.952, Bericht zum CVP-Landesparteitag vom Dezember 1948.
246 SVZ vom 3.5.49.
80
Wiedereinführung der Betriebskrankenkassen hin.248 Um die Auseinandersetzung nicht
als ideologische Kontroverse erscheinen zu lassen, lenkte Martin die Diskussion in
seiner Rede anläßlich des 1. Mai 1949 aufs Finanzielle. Das Defizit der Kranken-
versicherung sei eine Folge der zentralisierten LVA, in die die bisherigen Betriebs- und
Ersatzkrankenkassen überführt worden seien. Immerhin belief sich im ersten Halbjahr
1949 das Defizit im Bereich der Krankenversicherung der LVA noch auf 70 Millionen
FRS.249
Dies muß Alphonse Rieth als Vorsitzenden des Technischen Ausschusses der LVA
sehr verärgert haben. Er war "peinlich berührt" über Martins Mai-Rede.250
Im Oktober 1951 versuchten die Christdemokraten erneut anläßlich der Beratung des
Gesetzes über die Wiederherstellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung,
die Revision der Sozialversicherungsreform in die Diskussion zu bringen. Wie weit die
CVP die Reform revidieren wollte, blieb allerdings unklar.251
Der "CVP-Mann” im "roten" Arbeitsministerium unternahm einen erneuten Anlauf
Anfang 1952. Er kritisierte zwar die LVA als zentralen Krankenversicherungsträger
nicht namentlich, stellte aber anhand der französischen Sécurité Sociale ihre wachsen-
den Defizite als grundsätzlichen Mangel einer Einheitsversicherung anschaulich
heraus. In der Tat hatte sich in Frankreich das Defizit in der Krankenversicherung
enorm erhöht, von 10 Milliarden im Jahre 1948 auf 70 Milliarden FRS im Jahr 1952.
Die Ursachen dafür lagen auch darin, daß die französische Sécurité Sociale keine
staatlichen Zuschüsse erhielt. Nach Einschätzung des französischen Gesundheits-
ministers wirkten die Fortschritte in der Pharmazie mit der zunehmenden Verschrei-
bung von Penicillin und Antibiotika sowie die Anwendung der modernen Chirurgie
kostensteigernd.252
Martin wollte auch auf die Gefahren einer einseitig durch die Linke beherrschten
Sozialversicherungsverwaltung aufmerksam machen und stellte als Ursache für das
Defizit vor allem die Poliüsierung der Verwaltung und das unbeschränkte Herrschen
der C.G.T. heraus. Folge seien Skandale, wie der zu Kurzwecken erworbene Kauf von
prächtigen Schlössern253 und dubiose Geschäfte mit gebrauchten Büroeinrichtungen.254
248 SVZ vom 20.10.49.
249 LA SB, StK/KR/MAW/1950/T-l, Kirn an Präsidialkanzlei vom 18.12.49.
250
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift zur Sitzung des Technischen Ausschusses vom 3.5.49.
251 LA SB, StK, Nr.2995, Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt, Abt. B/l-2277-51 vom 8.10.51 an Franz
Schlehofer, Direkter der Präsidialkanzlei.
252 Ebd., Schneider-Becker-Archiv (SBA) IV/14, Le Monde von 1.12.50, 17.2. und 3.7.51.
253
Martin spielte auf die sogenannte CHATEAUX-Affäre an, siehe: LA SB, SBA IV/14, Le Monde vom
25.1.51.
254 Ebd., SVZ vom 28.2.52.
81
Seine Kritik entsprach im Grundsatz den von Johannes Hoffmann bereits Ende 1946
und Anfang 1947 geäußerten Bedenken.
Weder Alexander Jungfleisch als stellvertretender Direktor der LVA noch der par-
teilose Heinrich Welsch in seiner Eigenschaft als Präsident des Landesversicherungs-
amtes, obwohl beide politisch eher der CVP zuzurechnen waren, scheinen aber die
Struktur der LVA in Frage gestellt zu haben. Als im Mai 1949 Martin nach Ansicht des
Präsidenten der Einheitsgewerkschaft Heinrich Wacker Sturm auf die LVA lief255, war
es Heinrich Welsch, der einen kleinen Skandal, der das Ansehen der LVA hätte beein-
trächtigen können, mehr oder weniger unter den Teppich kehrte bzw. unauffällig
löste.256
Neben der CVP strebten auch die christlichen Gewerkschaften eine Revision der
Sozialversicherungsreform an und verlangten im Rahmen einer Presseaktion im Winter
1949 die Aufgliederung der LVA durch die Zulassung von Sonderkrankenkassen, um
eine berufs- und betriebsnahe Betreuung der Versicherten zu erreichen. Im Vorder-
grund stehe nicht die Zentralbürokratie, sondern der Mensch.257 Ähnliche Forderungen
wurden noch vier Jahre später durch die Zweite ordentliche Generalversammlung der
GCS 1953 erhoben.258
Wie politisiert und polemisch die Diskussion um die LVA geführt wurde, zeigt die
Presseberichterstattung der "Saarländischen Volkszeitung" im Vorfeld des geplanten
Neubaus für die LVA. Sie rügte die Höhe der Baukosten des im Februar 1953 bezugs-
fertigen Gebäudes, das endlich die behelfsmäßige zu enge Unterbringung beenden
sollte.259 Den Kritikern aus den CVP-Reihen war dabei wohl bewußt gewesen, daß der
Ministerrat den Neubau einstimmig beschlossen und Heinrich Welsch als Präsident der
Aufsichtsbehörde die Pläne abgesegnet hatte.260
255
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift zur Sitzung des Technischen Ausschusses vom 3.5.49.
256 Bedienstete der KVA Saarlouis hatten sich selbst mißbräuchlich Rezepte für alkoholische
Stärkungsmittel verordnet. Heinrich Welsch überließ als Präsident des Landesversicherungsamtes dem
Präsidenten des Technischen Ausschusses die Entscheidung, sprach sich aber klar gegen ein staats-
anwaltschaftliches Ermittlungsverfahren aus und riet, die Angelegenheit auf dem Disziplinarwege zu
regeln, weil sie "dem Ansehen der Anstalt wohl kaum dienlich ist", zit. nach ebd..
LA SB, MifAS, Bü.30, Gewerkschaft Christlicher Saarbergleute an Ministerialdirektor Martin vom
28.10.49.
258 Bericht zur Zweiten ordentl, Generalversammlung der GCS am I./.2. Mai 1953, Saarbrücken 1953,
S.51-53.
259 LA SB, SBA IV 1, SVZ vom 17.11.51. Zu den Verhältnissen: Ebd., StK, Nr.3133, LV-Amt an
Ministerpräsident Hoffmann vom 23.3.48. Verwaltungsstellen und Büros befanden sich unter anderem in
der Försterstraße 6-8 (Vertrauensärztlicher Dienst), in der Max-Braun-Straße (Unfallversicherung), in den
oberen Stockwerken des Kaufhauses Weinhold (Hauptabteilung Rentenversicherung), Lampertstraße
(Krankenversicherung), vgl. ebd. Ansprache des Stv. Geschäftsführers der LVA Heinrich Wacker anläßlich
der Einweihung am 20.2.53.
260 Ebd., Volksstimme vom 24.11.51.
82
Parallelen zu Frankreich
Die Position der christdemokratischen Kräfte im Saarland zeigt auffallende Parallelen
zur Diskussion in Frankreich. Auch dort kritisierte der M.R.P. und die christliche
Gewerkschaft (C.F.T.C.) Teile der Sozialversicherungsreform. So sprach Gaston
Tessier, Präsident der C.F.T.C., abwertend von der "l'arbitraire unification étatique qui
prépare la loie du totalitarisme". Kernpunkt der Kritik war die Ausdehnung der Versi-
cherungspflicht, wobei sich die Christdemokraten auf die "classe moyenne", die Cadres
(= leitende und mittlere Angestellte), und die Unternehmer stützen konnten.261
Dennoch gelang es der CVP nicht, eine aktiv auftretende Gruppe von Einheitsversi-
cherungsgegnern hinter sich zu sammeln. Ihre Proteste blieben nur kurze regelmäßig
aufflackemde Strohfeuer. Es ist zu bezweifeln, ob die CVP wirklich eine tiefgreifende
Revision der Reform anstreben wollte. Sozialdemokraten und die französische Militär-
regierung standen trotz gewisser Meinungsverschiedenheiten zu der Reform. Diese
politischen Rahmenbedingungen ließen eine erfolgreiche Revision letztlich unwahr-
scheinlich werden. Mit der immer wieder geäußerten Kritik konnten sich die Christde-
mokraten aber sozialpolitisch von ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner
abgrenzen und zugleich die von einigen Betriebsräten aufgestellte Forderung nach
Wiederzulassung von Betriebskrankenkassen aufgreifen.
Sozialgeschichtliche und politische Hintergründe
Der fehlende personelle Einfluß der Christdemokraten auf die LVA ist als entscheiden-
der Grund für die Kritik der CVP an der Sozialversicherungsreform anzunehmen. Die
Sozialdemokraten hatten bei der Besetzung wichtiger Verwaltungspositionen innerhalb
der LVA eine starke Stellung, da die saarländischen Mitglieder des Technischen
Ausschusses vom Mitglied der Verwaltungskommission für Arbeit bzw. dem Minister
für Arbeit und Wohlfahrt ernannt wurden. Schon bei ihrer Stellungnahme zur Sozial-
versicherungsreform im Sommer 1947 hatte die CVP dies in den Vordergrund gestellt
und verlangt, daß nicht das Mitglied der Verwaltungskommission für Arbeit, sondern
alle Mitglieder der Verwaltungskommission die Ernennung vornehmen sollten. Die
Christdemokraten sahen darin eine Machtfrage: "Die Erfüllung dieser Forderung müßte
u£. eine conditio sine qua non sein, da sonst der Totalisierungsanspruch der SPS in der
Sozialversicherung in vollem Umfang praktisch erreicht wird".262
261 L' an n ée politique, 1946, S. 116, 195, 237. Galant, Histoire politique de la sécurité, S.33, 124,
128. Außerdem: L a r o q u e, Au service de l’homme et du droit, Paris 1993, S.214. Zum Begriff "cadres”,
siehe: Bernhard Schmidt, Jürgen D o 11, Walther F e k 1 und Siegfried Loewe, Frankreich-Lexikon,
Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Presse- und Bildungswesen,
Bd.l, Berlin 1981, S.89 f.
262 LA SB, VWK, Nr.4, Stellungnahme der CVP zur Sozialversicherungsreform.
83
Innerhalb der CVP waren es der Direktor für öffentliche Erziehung in der Verwal-
tungskommission Dr. Emil Straus, der Generalsekretär der CVP Emil Lehnen und Karl
Lenhof vom CVP-Generalsekretariat, die befürchteten, daß durch Karl Ammanns
Personalpolitik in Abstimmung mit Richard Kirn die Sozialversicherungsverwaltung
zu einer SPS-Bastion werden und sich für die CVP in diesem wichtigen Bereich keine
Möglichkeit der Einflußnahme bieten würde.
Innerhalb des Technischen Ausschusses der LVA hatte die SPS das Rennen schon
gemacht. Zwar stellte die CVP mit Jakob Müller und Louis Arend wie die SPS mit
Heinrich Wacker und Julius Fries zwei der insgesamt fünf ständigen Mitglieder. Von
den fünf Stellvertretern gehörte aber keiner der CVP an, sondern drei der SPS und die
zwei anderen wurden als politisch linksstehend eingeschätzt. Heinrich Simon, Wilhelm
Anschütz und Alois Gerber waren SPS-Mitglieder, und Julius Garbe sowie Emil
Dellenbach wurden ebenfalls der politischen Linken zugeordnet.263
Im Beratenden Ausschuß war übrigens hinsichtlich der Vertretung der Arbeitgeber die
DPS ausgesprochen stark vertreten. Sie stellte zwei Drittel der Vertreter.264
Als der Direktor der LVA Karl Ammann die Verwaltungsausschüsse der Kreisversi-
cherungsanstalten einberief, sah die CVP dringenden Handlungsbedarf, denn die
Verwaltungsausschüsse hatten das Recht, Personal Vorschläge für die Kreis Versiche-
rungsanstalten zu machen, die Ernennung erfolgte dann durch den Technischen Aus-
schuß der LVA mit Genehmigung der Verwaltungskommission.265 So beklagte die
CVP, daß die Kreisversicherungsanstalten zu 90 Prozent bereits mit politisch links
stehenden Personen besetzt seien. Erwin Müller wurde von Karl Lenhof vom CVP-
Generalsekretariat aufgefordert, "(...) mit Unterstützung der übrigen Herren der Ver-
waltungskommission (...) diese Angelegenheit in einem für die Partei tragbaren Sinne
und Ausmaße zu lösen'1.266 Für den CVP-Mann sah das so aus, daß von den 8 Kreis-
versicherungsanstalten 5 mit Direktoren aus den Reihen der CVP besetzt werden
sollten.267
Der starke Einfluß der SPS bei der Besetzung einflußreicher Positionen innerhalb der
Verwaltung der Sozialversicherung wurde von den Verantwortlichen im Hohen Kom-
missariat wohl nicht nur geduldet, sondern sogar gefördert, wenn nicht gar der Ein-
druck entsteht, daß die Dominanz der SPS in der Sozialversicherung von der Militär -
263 Ebd., Anlage zum Schreiben des CVP-Generalsekretariats an Erwin Müller vom 25.7.47.
264 Ebd.
Ebd,, Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Verwaltungsausschusses der KVA Ottweiler
vom 23.7.47.
266 Ebd., CVP-Generalsekretariat an Erwin Müller vom 28.7.47.
267 Ebd., Lenhof an Müller vom 6.8.47.
84
regierung sogar gewollt wurde. So war es Alphonse Rieth, Mitglied der S.F.I.O., als
Präsident des Technischen Ausschusses, der den vorgeschlagenen CVP-Kandidaten für
die Besetzung der KVA Ottweiler mit der Begründung ablehnte, er sei als ehemaliger
Parteianwärter politisch nicht tragbar. Die Begründung erscheint zweifelhaft, denn der
Betroffene war mit Zustimmung der Militärregierung zum Lehrer an die Gemeindever-
waltungs- und Sparkassenschule Saar berufen worden und in seinem Epurations-
bescheid wurde ihm die Fähigkeit, leitende Positionen zu bekleiden, keineswegs
abgesprochen.268 Ebenfalls gelang es der CVP nicht, die Ernennung von Dr. René
Springer269 zum Landes Vertrauensarzt zu verhindern, den die CVP-Landtagsfraktion als
politisch der SPS nahestehend einstufte und vermutete, daß er Mitglied der S.F.I.O. sei.
Die Fraktion bat Johannes Hoffmann zu intervenieren. Wenn schon die LVA in den
Händen der SPS liege, müsse zum Ausgleich das Amt des Landesvertrauensarztes mit
einem Christdemokraten besetzt werden.270 Auch dieser Wunsch ging nicht in Erfül-
lung. Dr. Springer erhielt das Amt, er wurde dem Technischen Ausschuß von der
Militärregierung vorgeschlagen.271 Interessant ist in diesem Zusammenhang, das
Aufgabengebiet des Landesvertrauensarztes zu betrachten: Organisation des Gutachter-
dienstes der Invaliden- und Unfallversicherung, Organisation des vertrauensärztlichen
Dienstes bei der Krankenversicherung, Organisation des ärztlichen Dienstes, ärztlicher
Dienst in Krankenhäusern und Heilanstalten, vorbeugende Heilfürsorge, Medikamente
und Heilberufe, sozialärztliche Schulung, Gewerbehygiene, Statistik, Versicherungs-
gerichtswesen und Personalsachbearbeitung.272 Fülle und Inhalt der Funktionen zeigen,
daß dieses Amt, man denke nur an den Gutachterdienst, in der Praxis der Sozial-
versicherung erhebliche Gestaltungsspielräume eröffnete.
Der Streit um die Besetzung von Ämtern innerhalb der Sozialversicherung war kein
Parteiengezänk um Posten, sondern ein Konkurrieren um politische Gestaltung und
Macht im sozialen Verwaltungsbereich. Die Sozialversicherung ist eine der bedeutend-
sten Kapitalsammelstellen. Was mit dem Kapital der Beitragszahler geschieht, wie es
angelegt wird, entscheiden die Selbstverwaltungsorgane. Zur Veranschaulichung der
Summen sei erwähnt, daß z.B. 1975 die Krankenkassen allein für Gebißprothesen mehr
Geld ausgegeben haben als alle staatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutsch-
268 Ebd., Verwaltungsdirektor Ludwig Ritzerfeld an Erwin Müller, Vorsitz, der VWK.
269
Dr. René Springer, geb. am 21.7.1892 in Straßburg, Arzt in Straßburg, Elsässer, bei Ausbruch des
Krieges nach Toul einberufen, als Militärarzt in Nancy tätig, im Januar 1945 ins Kriegsministerium als
Médecin Colonel nach Paris berufen, beteiligt an den Vorbereitungen zum Aufbau der französischen
Militärregierung in Deutschland, kurze Zeit in Baden-Baden tätig, in der letzten Juniwoche nach
Saarbrücken abkommandiert, Leitung der Abteilung Santé Publique innerhalb der französischen
Militärregierung, vgl. dazu: LA SB, Findbuch zu Privatpapieren Dr. Springer.
270
LA SB, Stk, Nr.3133, CVP-Landtagsfraktion an Ministerpräsident Johannes Hoffmann.
271
Ebd., MifAS, Bü.12, Niederschrift über die Sitzung des Technischen Ausschusses der LVA vom
25.9.47.
272
Ebd., Das Aufgabengebiet des Landesvertrauensarztes im Plane der Sozialen Sicherheit im Saarland.
85
land für Kultur.273 Sie gestalten auch Sozial- und Gesundheitspolitik mit, indem sie
über Bau und Betrieb eigener Krankenhäuser und Sanatorien befinden. Die Selbstver-
waltung war gerade in der Nachkriegszeit ein Motor für Fortschritte im Bereich der
Gesundheitsfürsorge, etwa bei der Bekämpfung von TBC, Rheuma- und Krebserkran-
kungen, begonnen hatte dies bereits in den späten neunziger Jahren des ausgehenden
19. Jahrhunderts. Die Selbstverwaltungsorgane der Invalidenversicherung hatten
damals ohne staatlichen Beistand Heilverfahren gegen Tuberkulose und andere Volks-
krankheiten durchgesetzt. Daneben beeinflußten sie über die Kostenerstattung die
wirtschaftliche Lage der Ärzte und über Beitragssätze zur Sozialversicherung die
Sozialabgaben von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Daneben ist die Sozialversiche-
rung aber auch Arbeitgeber.274
Zum Verständnis muß auch auf die sozialgeschichtliche Bedeutung der Selbstver-
waltung hingewiesen werden. Über die Tätigkeit von Arbeitern und Gewerkschaftlern
in der Selbstverwaltung, insbesondere in den Ortskrankenkassen, bekam die Sozialde-
mokratie im Kaiserreich erstmals Zugang zur mittelbaren Staatsverwaltung, böse
Zungen sprachen von den 'Unteroffiziersschulen der Sozialdemokratie’.275 Mit Grün-
dung der Weimarer Republik gelang es Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern in
einem kontinuierlichen Prozeß innerhalb des Verwaltungsbereichs der Sozialversiche-
rung eine personalpolitische Domäne aufzubauen, und so hatte sich die SPD am Ende
der Weimarer Republik in 1.857 der 1.934 Ortskrankenkassen etabliert. Für die Arbei-
ter und Gewerkschaftler, die sich ihre Kenntnisse meist autodidaktisch angeeignet
hatten, bedeutete die Arbeit innerhalb der Selbstverwaltung einen gesellschaftlichen
Aufstieg. Für die Arbeiterbewegung und die Sozialdemokratie fungierte die Selbstver-
waltungsbürokratie der Sozialversicherung als "Kaderschmiede" zur Ausbildung
administrativer Talente. Nicht zuletzt deshalb war es ein Ziel der NSDAP gewesen,
über eine beispiellose Verleumdungskampagne die sozialdemokratische Macht in den
Ortskrankenkassen zu brechen.276 Im NS-Staat wurden die Sozialdemokraten und
Gewerkschaftler entfernt und überwiegend durch SA-Mitglieder ersetzt. Die Na-
tionalsozialisten stellten mit dem Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung vom
5. Juli 1934 an die Stelle der Selbstverwaltungsorgane einen Geschäftsführer, der vom
Leiter der jeweiligen LVA ernannt wurde. Diese Konstruktion sicherte die nach 1945
so umstrittene Vorherrschaft der LVA über die Ortskrankenkassen in der Verwaltungs-
struktur ab.
273
Hockerts, Hundert Jahre Sozialversicherung, S.361,
Ders., Sozialpolitische Entscheidungen, S. 134-13 6. Tennstedt, Der Ausbau der Sozialversicherung,
S.229.
275
Tennstedt, Der Ausbau der Sozialversicherung, S.227, Anm.3.
Ebd., S.38, 132 f. Hudemann, Sozialpolitik, S.276-278. Florian Tenn s t e d t und Leibfried
Stephan, Berufsverbote und Sozialpolitik 1933, Bremen 21980, S.18- 22, 38, 40, 51, 124, 181.
86
Nachdem es der CVP nicht gelungen war, über die Besetzung der Kreisversicherungs-
anstalten ein Gegengewicht zur sozialdemokratischen Mehrheit in den Verwaltungs-
organen der LVA aufzubauen, konnte sie aber über das Kabinett durchsetzen, daß
Alexander Jungfleisch, seit 1948 Oberregierungsrat im Arbeitsministerium, zum
stellvertretenden Direktor der LVA ernannt wurde ( was dann auch am 24. Dezember
1949 geschah). Bei Ausscheiden von Karl Ammann, dem bisherigen Direktor, sollte er
dessen Position übernehmen.277
6. Ergebnisse im Vergleich zur Französischen Besatzungszone
Ebenso wie in der französischen Besatzungszone vollzog sich die Sozialversicherungs-
reform im Saarland in einer Verzahnung von Neuordnungsvorstellungen der Besat-
zungsmacht mit Reformwünschen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften,
wobei sich in der französischen Zone die christlichen Gewerkschaften stärker als im
Saarland in dieser Frage exponierten.278 Beispielhaft dafür sind die Ausdehnung der
Versicherungspflicht und die Zentralisierung innerhalb der Krankenversicherung.
Dieser Befund wird indirekt durch die subjektive Wahrnehmung politischer Zeitgenos-
sen wie Ernst Kunkel (SPS) bestätigt, wenn er sich an Grandval erinnert:"Er hatte
übrigens in der Wahl seiner Mitarbeiter eine nicht unglückliche Hand, zumindest, was
den Bereich der sozialen Sicherheit und Gewerkschaftsfragen betrifft. Alfons Rieth und
sein Nachfolger Albert Hamis, beide Gewerkschaftler und Mitglieder der S.F.I.O.,
waren uns freundschaftlich verbunden."279
Daneben deuten sich aber bereits bei der Sozialversicherungsreform Konflikte über den
Stellenwert sozialpolitischer Traditionen an. Damit zeigen sich wieder klare Parallelen
zur Sozialpolitik im deutschen Südwesten bzw. zur französischen Zone. Auch hier
stand die Sozialpolitik zwischen Tradition und Neuordnung, wie Rainer Hudemann
schon im Titel seiner Habilitationsschrift andeutet.280
Wenn man die Sozialversicherungsreform im Saarland mit der Entwicklung innerhalb
der französischen Zone und der Bizone vergleicht, sind zwei Unterschiede besonders
hervorzuheben. Die Widerstände gegen eine Vereinheitlichung und Zentralisierung der
Sozialversicherung waren im Saarland wesentlich geringer. Die einzige Gruppe, die
277 .
LA SB, Stk, Kabinetlsregistratur, Nr.1703, Sitzung vom 12.4.49. Ebd., Sammlung Kurzbiographien und
SZ vom 29.12.93
278
Ebd., NL Richard Kirn, Nr.4, Siehe die Position der SPS, in: Bericht über den Zweiten ordentlichen
Parteitag der SPS vom 15. Juni 1947, S.16:"Im demokratischen Staat müssen alle Bürger vor dem Gesetz
gleich sein. Aus diesem Grunde muß die Versicherung nach dem Prinzip wirken: gleiche Rechte und
gleiche Pflichten. Es geht nicht an, daß Berufe, die besonders großen Gefahren ausgesetzt sind, zu höheren
Verpflichtungen herangezogen werden gegenüber den Berufen, die weniger Gefahren auszustehen haben".
279
Emst Kunkel, Dokumente und Erinnemngen zur Geschichte der SPS 1935-1956, Dudweiler 1980,
S.101. Die korrekte Schreibweise lautet Alphonse Rieth und Albert Hamist.
280
Hudemann, Sozialpolitik.
87
über Jahre hinweg Kritik übte, war wie in der französischen Zone die Ärzteschaft. Die
CVP trat mehr partiell auf den Plan. Im Gegensatz zur Entwicklung in den übrigen
deutschen Ländern kam es im von der Bundesrepublik abgetrennten Saarland zu keiner
Revision der Reform. Dies erklärt sich u.a. aus der Sozialstruktur des Landes während
der Abtrennung.
Sozialstruktur
Der hohe Anteil von Arbeitern, vor allem von Bergleuten und Hüttenarbeitern, im
Saarland begünstigte die dauerhafte politische Durchsetzung der Reform.281 Die Anzahl
der Selbständigen lag 1939 mit nur 11 Prozent der Erwerbstätigen an der Saar um ein
Drittel unter dem Reichsdurchschnitt, der Anteil der Arbeiter an den Erwerbstätigen
nahm mit 56,6 Prozent eine Spitzenstellung ein.282 In der französischen, Zone lag
dagegen die Arbeiterquote unter Trizonendurchschnitt.283
Es darf aber nicht übersehen werden, daß von der Zentralisierung bisher bestehender
Versicherungsträger in der LVA die Saarknappschaft nicht betroffen war und damit
das bedeutendste Sonderversicherungssystem, mit dem sich die Bergleute identifizier-
ten, nicht in Frage gestellt wurde.
Gegenüber der französischen Besatzungszone spielte der selbständige Mittelstand in
der saarländischen Sozialstruktur eine unbedeutende Rolle. Gerade diese Gruppe
protestierte aber in da* französischen Zone gegen die Zentralisierung, weil sie empfand,
daß die Einheitsversicherung zu ihren Lasten ginge, wie auch die Mehrheit der Arbeit-
geber wegen der niedrigeren Beitragssätze auf die Erhaltung der Betriebskrankenkas-
sen pochte. Hier sind auch Mentalitätsfragen zu berücksichtigen. Der selbständige
Mittelstand lehnte aus seinem Selbstverständnis eine allgemeine Sozialversicherung ab,
und die Landwirte waren auf ihre Landkrankenkassen besonders stolz.284 Auch die Zahl
der Angestellten war im Saarland im Vergleich mit Ländern der französischen Besat-
zungszone geringer. Bei den Versuchen zur Revision der Sozialversicherung waren es
unter anderem auch die Angestellten, die für die Zulassung von Sonderkassen plädier-
ten.285
Die Akzeptanz einer Reform korrespondiert auch mit der Frage, in welchem Verhältnis
Vor- und Nachteile zueinander stehen.
281 Ders., Sozialsttuktur und Sozialpolitik in der französischen Besatzungszone 1945-1949. Matenalien und
Forschungsergebnisse, in: JbWestLG 5/1979, S.407.
282 M e r z, Die Entwicklung der saarländischen Bevölkerungs- und Sozialsttuktur, S.715-717.
283 Hudemann, Sozialsttuktur und Sozialpolitik, S.385.
H o c k e r t s, Sozialpolitische Entscheidungen, S.43. Hudemann, Sozialpolitik, S.319.
285 H u d e m a n n, Sozialpolitik, S.314 -316.
88
Unterschiede im Leistungsniveau
Gerade im Vergleich zu den Verhältnissen in der Bizone führte im Saarland die Verein-
heitlichung in der Sozialversicherung nicht zu spürbaren Leistungsreduktionen gegen-
über den bisherigen Versicherungsträgern. Die erwarteten geringeren Leistungen als
Folge einer Vereinheitlichung und Zentralisierung der Sozialversicherung waren vor
allem in der Bizone einer der Gründe dafür, daß Sozialdemokratie und Gewerkschaf-
ten, obwohl sie anfangs die Reformpläne mitgetragen und auch mitgestaltet hatten, aus
Enttäuschung über das niedrige Leistungsniveau von der Zentralisierung abrückten.
Hinzu kam der Druck der Basis, Betriebs- und Ersatzkrankenkassen wieder zuzulassen.
Im Saarland war die Zentralisierung im Bereich der Krankenversicherung mit einer
Verordnung über Mehrleistungen in der Krankenversicherung gekoppelt worden, so
daß Leistungseinbußen vermieden wurden. Dies dürfte ein wesentlicher Grund dafür
gewesen sein, daß die Reform bei der Mehrheit der Versicherten Zustimmung fand.286
Unterschiede in der Verwaltungsstruktur
Im Saarland fehlte eine Elite von Ministerialbeamten, insbesondere des früheren
Reichsarbeitsministeriums, die andernorts nach 1945 wieder in Verwaltungsstrukturen
hineinwuchsen, in denen sie als alte Fachelite erneut wirken konnten. Ihre Vertreter
waren Exponenten des gegliederten deutschen Sozialversicherungssystems. Sie plä-
dierten für die Vielfalt der Versicherungsträger. Gerade Angehörige dieser Gruppe wie
Andreas Grieser oder Johannes Krohn waren es, die sich gegen die Vereinheitlichung
wehrten und in dem Bewußtsein handelten, die deutsche Sozialversicherung sei ein
"Denkmal, dauernder als Erz".287
Fehlen einer mittelständisch orientierten Ersatzkassenlobby
Im Saarland fehlte im Gegensatz zu den Verhältnissen in den übrigen deutschen
Ländern eine starke Ersatzkassenlobby mit Repräsentation in den politischen Gremien.
Für die Revision der Sozialversicherungsreform in der französischen Zone wie in der
Bizone spielte diese Gruppe eine entscheidende Rolle. In diesem Zusammenhang ist
Hier ist vor allem auf den Kontrollratsentwurf hinzuweisen, zu dem die Länderchefs keinen
einstimmigen Beschluß fassen konnten, siehe: Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen, S.25, 32-34,
74-76. Siehe Verordnung Nr.3 über Mehrleistungen in der Krankenversicherung vom 1.7.47, in: Abi.1947,
S.241.
Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen, S.33, 47-53.
89
auf Persönlichkeiten wie Louise Breitling, Peter Horn288, Hermann Schäfef9 und
Margot Kalinke hinzuweisen.
Die Geschäftsführerin des Betriebskrankenkassenverbandes Württemberg-Baden
Louise Breitling290 organisierte 1949 Abstimmungen in Betrieben in Württem-
berg-Baden. Für eine Wiederzulassung von Betriebskrankenkassen votierten dabei 90
bis 100 Prozent der Wähler. Auch nur ansatzweise vergleichbare Aktivitäten gab es im
Saarland nicht.291 Margot Kalinke war die führende Sozialversicherungsexpertin der
DP-Fraktion im Wirtschaftsrat und Ersten Deutschen Bundestag. Sie war vor 1945
Geschäftsführerin einer Hannoveraner Angestellten-Ersatzkasse, 1949 beim Eintritt in
den Bundestag Geschäftsführerin des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen,
außerdem war sie Mitglied der Europäischen Parlamentarischen Union und des Deut-
schen Rates des Europäischen Rates. Schon 1946 hatte sie Protestaktionen gegen die
Sozialversicherungsreform in der französischen Besatzungszone gestartet, die ihr
einige Tage Gefängnis eingebracht hatten. Auf ihren engagierten Einsatz, z.B. ihre
intensive Vortragstätigkeit in Baden, ging die breite Mehrheit in den Landtagen der
französischen Zone für eine Revision zu einer gegliederten Sozialversicherung
zurück.292
Hans Günter Hockerts konnte mit seiner Studie über die Sozialpolitik nach 1945
nachweisen, daß die These293, die Besatzungsmächte, und hier insbesondere die Ameri-
kaner hätten gesellschaftliche Reformen verhindert oder rückgängig gemacht, zu-
mindest im Bereich der Sozialversicherung nicht zutreffend sein kann. Rainer Hude-
mann kam im Rahmen seiner Arbeit über die Sozialpolitik im deutschen Südwesten für
die französische Besatzungszone zu ähnlichen Arbeitsergebnissen.
Zu Peter Horn: Seit 1933 in der Barmer Ersatzkasse tätig. CDU-Abgeordneter im Wirtschaftsrat,
führender Sozialversicherungsexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er setzte sich in einer Anhörung
vor dem Unterausschuß Sozialversicherung beim Länderrat im August 1947 entschieden gegen die
Einbeziehung der Ersatzkassen in eine einheitliche Regelung des Vertragsrechts zwischen Krankenkassen
und Ärzten ein. Siehe : Ebd., S.147, Anm. 161.
Hermann Schäfer war Vizepräs. des Ersten Deutschen Bundestages, seit Mai 1950 zweiter
Bundesvorsitzender der FDP, 1953 Bundesminister für besondere Fragen, seit 1935 Angestellter der
Hanseatischen Ersatzkasse, deren Leiter ab 1946. Von 1946-1959, Vorsitzender des Verbandes der
Angestellten-Krankenkassen. Siehe: Ebd.
290
Hudemann, Sozialpolitik, S.317.
291 Ebd., S.329.
292 Ebd., S.323, 327, 331-335, 337, 339 f.
293
Exponent dieser Richtung: Eberhard S c h m i d t, Die verhinderte Neuordnung 1945-1952. Zur
Auseinandersetzung um die Demokratisierung der Wirtschaft in den westlichen Besatzungszonen und in
der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a.M.1970.
90
Erhebliche Divergenzen in der Selbstverwaltung
Richard Kirn versuchte die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung voranzutreiben.
Seine Motive sind unter zwei Aspekten zu sehen. Einerseits entsprach der Versuch, die
Selbstverwaltung wieder einzuführen, einer Politik, die von ihm bereits bei den Bera-
tungen über den Plan zur Sozialen Sicherheit verfolgt wurde, nämlich bei der Neu-
regelung Reformen mit der Tradition der deutschen Sozialversicherung in Einklang zu
bringen. Bei den Beratungen über die Frage der Arbeitslosenversicherung und staatli-
cher Subventionen zur Sozialversicherung hatte sich dies bereits angedeutet. Die
Verfassung spielt dabei auch eine wichtige Rolle, weil sie die sozialpolitische Entwick-
lung im Sinne deutscher Traditionen präjudizierte. Hier kam dem Sozialdemokraten
Peter Zimmer, der den sozialpolitischen Teil wesentlich gestaltete, eine wichtige Rolle
zu. Nicht zuletzt wohl durch ihn erhielten Elemente der deutschen Sozialversicherungs-
tradition wie Selbstverwaltung, Staatszuschüsse und Arbeitslosenversicherung Verfas-
sungsrang.294 Damit war eine wichtige Grundlage geschaffen worden, auf die ins-
besondere Richard Kirn immer wieder verweisen konnte. Die Orientierung an be-
stimmten Elementen der deutschen Tradition erklärt sich daraus, daß sich CVP und
SPS trotz sozialpolitischer Gegensätze hinsichtlich der Zentralisierungstendenzen mit
der deutschen Sozialversicherung weitgehend identifizierten, gerade in der Zeit der
Abtrennung des Saargebietes von der Weimarer Republik hatte vor allem die politische
Linke und die christlichen Gewerkschaften auf Deutschland als ein Land des sozialen
Fortschritts geblickt.295
Grandval verhielt sich in Selbstverwaltungsfragen eher restriktiv, zum einen aus
Rücksicht auf die Régie und zum anderen könnte auch die innerfranzösische Entwick-
lung wie die Politisierung der Sozialversicherungswahlen seine Haltung mitbestimmt
haben. Hier deutet sich an, daß die innerfranzösische Entwicklung die französische
Politik an der Saar stärker beeinflußt hat als die in ihrer Zone.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, die Selbstverwaltungspolitik in der franzö-
sischen Besatzungszone unter politischen und personellen Aspekten zu betrachten.
Emile Laffon scheint in ganz entscheidendem Maße für die Wiedereinführung und den
Ausbau der Selbstverwaltung verantwortlich gewesen zu sein. Die Akten des Zivil-
kabinetts von General Koenig enthalten zwar die frühen Kontrollratspläne zur Wie-
derherstellung der Selbstverwaltung, aber keine zentralen Anweisungen der französi-
schen Militärregierung in dieser Frage. Es war Emile Laffon, der die Provinzgou-
vemeure am 14. März 1947 aufforderte, die deutschen Verwaltungen zur Vorlage von
Entwürfen zur Selbstverwaltung zu veranlassen.296 Es ist nicht unwahrscheinlich, daß
Grandval als Gaullist, der auch persönlich zumindest kein freundschaftliches Verhält-
294
Diese These wurde auch von Franz Schlehofer am 23.2.1994 bestätigt.
295
Zenner, Parteien und Politik im Saargebiet, S. 126 f.
296
Hude mann, Sozialpolitik, S.285.
91
nis zu Laffon gehabt haben soll, die Selbstverwaltungsfrage unter ganz anderen Ge-
sichtspunkten sah. Ob für Grandval ein Demokratisierungsmotiv bestimmend war,
kann aus den Akten nicht beantwortet werden, wohl aber für Laffon. Grandval sah
möglicherweise in Sozialwahlen einen Katalysator für die unerwünschte Politisierung
der Gewerkschaften. Eine Wiedereinführung der Selbstverwaltung hätte nicht auf die
LVA begrenzt werden können, sondern hätte auch Anwendung auf die Saarknapp-
schaft finden müssen. Daß gerade dies zu einer Politisierung und entsprechenden
Konfrontationen mit der Régie geführt hätte, lag auf der Hand, da die Regie bereits
1947 bei den Verfassungsberatungen vor entsprechenden Schritten warnte.
Für Grandval war die Politisierung der Gewerkschaften gerade auch im Jahr 1947 ein
sensibles Problem, das für seine ablehnende Haltung in der Frage, ob christliche
Gewerkschaften zugelassen werden sollten, besümmend war.297
Damit erhärtet sich der Befund, daß die Selbstverwaltung in der französischen Zone in
entscheidendem Maße auf Willen und Initiative von Emile Laffon zurückgeht und
nicht auf Pierre-Marie Koenig. Die Politik Laffons in Sachen Selbstverwaltung sollte
allerdings nicht dazu verleiten, ihn aus deutscher Perspektive als verständigungs-
freudigen Sozialisten zu heroisieren und die französische Besatzungspolitik in eine
Rekonstruktions- und Neuordnungspolitik, die von Laffon getragen, und in eine
Ausbeutungspolitik, die von Koenig forciert worden sei, aufzuteilen, wie dies Edgar
Wolfrum suggeriert.298 Laffon scheint nämlich in Wirtschaftsfragen einen im Vergleich
zu Koenig noch härteren Kurs befürwortet zu haben.299 Das Verhältnis zwischen dem
als ehrgeizig geltenden ehemaligen Anwalt Laffon als Chef der zivilen Verwaltung und
dem neun Jahre älteren Berufsoffizier Koenig als Oberkommandierendem, der einen
Beraterbestab von mehreren hundert Offizieren um sich scharte, war nicht frei von
Spannungen. Die Ursache dafür lag in der entstandenen doppelten Exekutivspitze und
darin, daß beide im Umgang miteinander Schwierigkeiten hatten. Der politische
Unterschied zwischen dem Sozialisten Laffon und dem Gaullisten Koenig relativiert
sich aber vor dem Hintergrund deutlicher Übereinstimmungen Laffons mit de Gaulles
Positionen zur Deutschland- und Besatzungsfrage. Als Folge der Schwierigkeiten
zwischen Laffon und Koenig stellt Alain Lattard Zielkonflikte in der französischen
Besatzungspolitik fest. Laffon trat für eine indirekte französische Verwaltung mit
297 Siehe Kap. V./4
298 Wolfrum, Französische Besatzungspolitik, S.331 und 334. So resümiert Wolfrum: "Während das
zivile, von Laffon geleitete Gouvernement Militaire auf sozialreformerische Weichenstellungen pochte und
eine Rekonstruktions- und Neuordnungspolitik verfocht, forderten die Militärs weiterhin das, was de Gaulle
(...) im Oktober 1945 angekündigt hatte:' Unsere Absicht ist, das wieder aus Deutschland herauszuholen,
was uns von den Deutschen genommen worden ist Siehe die Rezension von Rainer M ö h 1 e r, in:
Rheinische Vierteljahresblätter 57/1993, S.557 f.
So der Diskussionsbeitrag von Rainer H u d em a n n, in: Ders. und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die
Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.32.
92
Stärkung der deutschen Verantwortlichkeit ein. Er hielt es unter Aspekten der Si-
cherheitspolitik für sinnvoll, Deutschland sozial umzugestalten und damit Militärkaste
und Industriebourgeoisie als gesellschaftliche Träger eines alldeutschen Imperialismus
auszuschalten, während Koenig geopolitisch dachte.300 301
Und gerade in diesem Kontext muß an die ganz anderen politischen Rahmenbedingun-
gen erinnert werden. Bei der Selbstverwaltung der Sozialversicherung im Saarland
ging es nämlich nicht um die Frage der Sicherheit Frankreichs vor Deutschland, zu
erreichen durch eine Demokratisierung der Gesellschaft und Zurückdrängung be-
stimmter Gesellschaftsgruppen, sondern darum, ob Frankreich angesichts der ange-
strebten Wirtschaftsunion das Risiko eingehen konnte, die Sozialversicherung ganz in
saarländische Hände zu legen und sich aus den Verwaltungsorganen der LVA zurück-
zuziehen.
Für die französische Seite war die Sozialversicherungsreform vom Juni 1947 ein erster
Schritt im Rahmen einer notwendigen sozialpolitischen Anpassung des Saarlandes an
Frankreich im Zeichen der Wirtschaftsunion. Robert Paris bezeichnete sein Konzept
zur Sécurité Sociale im Saarland als einen "vorläufigen Pan", Alphonse Rieth sprach
von einem "Provisorium". Dies verdeutlicht das französische Ziel einer weiter gehenden
Anpassung. Während der Reformberatungen war aber deutlich geworden, daß sich wie
in der französischen Besatzungszone auch im Saarland Reformvorstellungen der
saarländischen Seite, insbesondere von Sozialdemokratie und Gewerkschaften, mit
Neuordnungsansätzen der Militärregierung verzahnten. Dies bezog sich zum Beispiel
auf die Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht sowie die Auflösung der Betriebs-,
Innungs- und Ersatzkassen mit der Egalisierung von Beiträgen und Leistungen. Es
handelte sich dabei um wichtige Elemente der französischen Sozialversicherungs-
reform von 1945, die aber andererseits schon seit Jahrzehnten zum Repertoire sozial-
politischer Forderungen der Arbeiterbewegung gehörten. Kontroversen zwischen der
französischen Militärregierung und der saarländischen Seite entstanden aber dann,
wenn wichtige Elemente der deutschen Sozialversicherung aufgegeben werden sollten.
Für die saarländische Seite scheint die Entwicklung im ehemaligen deutschen Reichs-
gebiet gerade unmittelbar nach dem Zusammenbruch ein entscheidender Orientie-
rungspunkt gewesen zu sein. Dies zeigt der Bericht des Beirates der Saarknappschaft
vom 22. Oktober 1945. Vorbild für die Saarknappschaft in Fragen der Leistungskür-
zungen war die Ruhrknappschaft:"(...) wobei eine Anlehnung an die Leistungen
anderer Bezirksknappschaften, insbesondere der im größten deutschen Bergbaugebiet
gelegenen Ruhrknappschaft erstrebenswert sei (...)".30! Auch eine Denkschrift der
300
Alain L att ar d, Zielkonflikte französischer Besatzungspolitik, in: VfZ 39/1991, S.l-35, insbesondere
S.10, 13. Zur Biographie: S.6-8. Ders., Gewerkschaften und Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz unter
französischer Besatzung 1945-1949, Mainz 1988, S.29-35. Vgl. auch W o 1 f r u ra, Französische
Besatzungspolitik, S.33-36.
301 LA SB, MifAS, Bü.8, Niederschrift über die Sitzung des Beirates vom 22.10.45.
93
Saarknappschaft zur Leistungsgestaltung vom September 1946 bestätigt den Befund
einer einseitigen Orientierung an der Ruhrknappschaft.302 Ein Motiv für diese Haltung
ist das Streben, Divergenzen in den Leistungen zwischen den ehemaligen Bezirks-
knappschaften zu vermeiden.303
Die saarländische Seite war gerade im Bereich der Sozialpolitik sehr früh darum
bemüht, sich den französischen Einflußmöglichkeiten zu entziehen und Freiräume zu
gewinnen, wobei Kirns Selbstverwaltungsvorstoß am französischen Widerstand
scheiterte. Angesichts dieser gegensätzlichen Positionen deutet sich sozialpolitisch ein
Spannungsverhältnis zwischen deutscher und französischer Sozialversicherungs-
tradition an, und es stellt sich die Frage, wie sich die Sozialpolitik im Saarland vor
diesem Hintergrund entwickelte.
Ebd., Bii.14, Denkschrift der Saarknappschaft vom September 1946, insbesondere S 2 f 7 f 11
303 .... ’ ’’
KSB, Niederschrift über die Sitzung des vorläufigen Vorstandes der Saarknappschaft vom 21.1.46.
94
II. SOZIALPOLITISCHE ENTWICKLUNG IM KONFLIKTFELD ZWI-
SCHEN TRADITION UND ANPASSUNG
Beiden Beratungen zur Sozialversicherungsreform im Sommer 1947 hatte sich bereits
angedeutet, daß es zu Spannungen kam, wenn die saarländische Seite an Elementen der
deutschen Sozialversicherung, wie z.B. den Staatszuschüssen, festhalten wollte. Diese
Konfliktkonstellation ist keine saarländische Sondererscheinung. Auch die Sozial-
politik in den übrigen deutschen Ländern entwickelte sich in einem Spannungsfeld
zwischen der Verbundenheit mit der deutschen Sozialversicherungstradition und den
Neuordnungsvorstellungen der Besatzungsmächte und ihrer Militärregierungen. Im
Saarland gewinnt dieser Gegensatz vor dem Hintergrund der fast zwölfjährigen Wirt-
schaftsunion mit Frankreich eine besondere Qualität.
Verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten waren denkbar: Wurde die Sozialpolitik an
der Saar durch diesen Gegensatz gelähmt? Kam es im weiteren Verlauf zu einem
Durchbruch der deutschen Sozialversicherungstradition, blieben deutsche Strukturen
bestehen oder fand an der Saar ein Transfer französischer Modelle statt? Letzteres
würde eine sozialpolitische Assimilierung bedeuten, eine angesichts der langen Ab-
trennung des Saarlandes von Deutschland ebenso denkbare Entwicklung. Andererseits
war aber auch ein sozialpolitischer Partikularismus vorstellbar, wenn die saarländische
Sozialpolitik sich nicht einseitig an Deutschland oder Frankreich orientieren und
sowohl deutsche als auch französische Entwicklungstendenzen aufnehmen würde. Dies
wirft die Frage auf, ob es eine spezifische saarländische Sozialpolitik gegeben hat.
1. Synthese divergierender sozialpolitischer Traditionen bei Arbeitslosenversicherung
und Familienzulagen
Das Saarland, bis 1945 mit der deutschen Sozialversicherungstradition verbunden,
dann durch die Wirtschaftsunion mit französischen Strukturen konfrontiert, verfügte ab
1948 sowohl über eine dem deutschen System ähnliche Arbeitslosenversicherung als
auch über ein dem französischen Modell weitgehend entsprechendes Familienzulagen-
system. Beide zeigen, daß der Gegensatz zwischen deutschen und französischen
Traditionen in Teilbereichen konstruktiv im Sinne einer Synthese zwischen beiden
Systemen gelöst werden konnte.
Die Einführung von Familienzulagen im Saarland und die Wiedereinführung sowie der
Ausbau der Arbeitslosenversicherung verdeutlichen, daß das Saarland aus den di-
vergierenden gesellschaftlichen Problemstellungen Deutschlands und Frankreichs, die
zu unterschiedlichen sozialpolitischen Schwerpunkten und Lösungsansätzen führten,
Nutzen ziehen konnte. Zunächst soll der Blick auf bestimmte gesellschaftliche Ent-
wicklungstendenzen beider Nationen gerichtet werden, um die unterschiedlichen
Schwerpunkte zu erkennen.
95
1.1 Divergenz sozialpolitischer Probleme und Schwerpunktbildungen
Die deutsche Arbeitslosenversicherung und das französische Familienzulagensystem
entstanden vor dem Hintergrund völlig gegensätzlicher sozialer Probleme in der ersten
Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Frankreich wurde mit massivem Geburtenrück-
gang und einem damit verbundenen Arbeitskräftemangel konfrontiert. Dagegen stand
die deutsche Wirtschafts- und Sozialpolitik vor der Frage, wie Massenarbeitslosigkeit
wirtschaftlich und sozial bewältigt werden konnte. In Frankreich versuchte man der
Entvölkerung mit den Familienzulagen entgegen zu wirken, in Deutschland wurde die
Arbeitslosenversicherung eingeführt.
1.1.1 Französische Familienpolitik
Während bis zum Zweiten Weltkrieg in Europa, wie z.B. in Italien, ein starkes Bevöl-
kerungswachstum zu beobachten war und auch im Deutschen Reich die Entwicklung,
wenn auch abgeschwächt, dieselbe Tendenz zeigte, verlief in Frankreich die demogra-
phische Entwicklung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern untypisch.1
Hinsichtlich der Bevölkerungsdichte rutschte Frankreich im Zeitraum zwischen 1889
und 1939 von Platz 6 auf Platz 12 ab, bei Kriegsausbruch 1939 hatte es die niedrigste
Geburtenziffer Europas, und seit 1935 war seine Sterbequote höher als die Geburtenra-
te.2 Neben der psychologischen Komponente, der Furcht vor dem Aussterben und der
Entvölkerung des Landes, war vor allem auch für die französische Wirtschaft diese
Entwicklung beängstigend. Sie erklärt unter anderem auch die im Vergleich zu anderen
europäischen Staaten relativ langsame Industrieexpansion.3
Sowohl die staatliche Sozialpolitik wie die der Unternehmer, partiell beeinflußt durch
die katholische Soziallehre, konzentrierten sich in den zwanziger Jahren immer stärker
auf die soziale Situation der Familien. Die staatliche Sozialpolitik in Frankreich reagier-
te auf den Bevölkerungsrückgang mit einer natalistischen Familienpolitik in Form von
Geburten- und Stillprämien, die ab dem dritten Kind gezahlt wurden. Schon gegen
Ende des Ersten Weltkrieges begannen einige Unternehmer, Beschäftigte mit Familien
durch Zahlung von Beihilfen zu unterstützen. Gerade die Familien waren von den nach
dem Ersten Weltkrieg massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten besonders betroffen.4
1 Burkhart Lutz, Die Singularität der europäischen Prosperität nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Hartmut
Kaelble (Hrsg.), Der Boom 1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der
Bundesrepublik Deutschland und in Europa, Opladen 1992, S.54.
2 Gabriele B r e m m e, Freiheit und soziale Sicherheit, Stuttgart 1961, S.184. Franz Schultheis,
Sozialgeschichte der französischen Familienpolitik, Frankfurt a.M. u.a.0. 1988, S.368.
3
Hartmut Kaelble, Frankreich und die Bundesrepublik im Vergleich, in: Ders. (Hrsg.), Der Boom
1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und in
Europa, Opladen 1992, S.224.
4
Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung
1945-1953. Sozialversicherung und Krtegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik,
Mainz 1988, S.128.
96
In den Genuß von solchen Beihilfen kamen aber zunächst nur Beschäftigte von Groß-
betrieben. Im Rahmen dieser Entwicklung entstanden auf privatrechtlicher Grundlage
für verschiedene Wirtschaftsbranchen zahlreiche von Unternehmern finanzierte Fa-
milienzulagenkassen, denen aber nicht alle Unternehmer beitraten.5 Die Arbeitgeber
verfolgten mit dieser betrieblichen Sozialpolitik arbeitsmarktpolitische Ziele, nämlich
ihre raren Arbeitskräfte mit diesen attraktiven Beihilfen an ihr Unternehmen zu binden.
Folge dieser unternehmerischen Initiative waren aber große Unterschiede in der Lei-
stungsberechtigung und im Leistungsumfang. Gegen diese Disparitäten intervenierte
der Staat zu Beginn der dreißiger Jahre. Durch das Pflichtversicherungsgesetz von
1932 wurden alle Unternehmen verpflichtet, sich Familienzulagenkassen anzuschlie-
ßen. Sie unterlagen einer ministeriellen Genehmigungspflicht, ihre Verwaltung wie
auch die Beitrags- und Leistungshöhe lagen aber noch in Unternehmerhand. Ab 1939
bildeten die Familienzulagen als Beihilfen der Arbeitgeber für ihre Beschäftigten ein
Lohnelement. Erstmals kam es zur Vereinheitlichung und staatlichen Kontrolle der
Familienzulagen. Ihre Organisation wurde kontrolliert und koordiniert. Das dezentral
und freiwillig organisierte Familienzulagensystem im Rahmen einer betrieblichen
Sozialpolitik gehörte damit endgültig der Vergangenheit an. Die Höhe der Familien-
zulagen orientierte sich nun an einem besümmten Prozentsatz des Durchschnittslohnes
im einzelnen Departement. Zugleich wurde der Kreis der Empfangsberechtigten auf
Selbständige, Bauern und Handwerker ausgedehnt, weil der Leistungsanspruch nicht
mehr an die Tätigkeit als Arbeitnehmer gekoppelt wurde, sondern an die Bedingung
der beruflichen Tätigkeit. Auch bei Verdienstausfall infolge von Arbeitsunfällen,
Krankheit und Arbeitslosigkeit wurden die Familienzulagen weiter gezahlt.6
Diese Reformen erhöhten ihre politische Akzeptanz. Bisher standen die nichtchristli-
chen Gewerkschaften den Familienbeihilfen aus gesellschafts- und lohnpolitischen
Gründen eher kritisch gegenüber. Ausschlaggebend für ihre Haltung war zum einen
der patronale Charakter der Familienbeihilfen mit dem Gedanken, daß der Arbeitgeber
auf diese Weise indirekt das Privatleben des Arbeitnehmers bestimmen könnte. Lohn-
politisch sahen sie in den Familienbeihilfen ein Hemmnis. Die Arbeitgeber hatten es
nämlich verstanden, bei Tarifverhandlungen die Gewerkschaften zu schwächen, indem
sie eine Konkurrenz zwischen Erhöhungen des Arbeitslohnes und Erhöhungen der
Familienbeihilfen herstellten.7 Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Gewerk-
schaften ein Gegengewicht zum familienpolitischen Engagement der Katholischen
Kirche bilden. Insbesondere die Kommunisten und die französische Lehrergewerk-
5 Ebd., S.129.
6 Yves Saint-Jours, Landesbericht Frankreich, in: Peter A. Köhler und Hans F. Zacher (Hrsg.), Ein
Jahrhundert Sozialversicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Österreich
und der Schweiz, Berlin 1981, S.231.
7 B r e m m e, Freiheit, S.180.
97
Schaft versuchten, durch politisches Engagement in Sachen Familiengesetzgebung den
kirchlichen Einfluß zurückzudrängen.8
Die Hilfe für Familien nahm bei der Gestaltung der französischen Sozialpolitik auch
nach 1945 eine zentrale Rolle ein.9 In Anknüpfung an die familienpolitische Tradition
wurden nach 1945 allgemeine Ausgleichskassen geschaffen. Sie waren nicht mehr für
bestimmte Branchen zuständig, sondern in der Regel für ein bestimmtes Departement.
Die Leistungen richteten sich nach einem festgelegten Prozentsatz des Durchschnitts-
verdienstes. In den Genuß von Familienzulagen kamen im Sinne einer nach wie vor
natalistischen Politik Berufstätige ab dem zweiten Kind.
1.1.2 Familienpolitik in Deutschland bis 1945
Im Vergleich zu Frankreich zeigt die familienpolitische Entwicklung in Deutschland
ein ganz anderes Bild. Familienzulagen waren der deutschen Sozialpolitik fremd. Es
war keine der französischen Entwicklung vergleichbare familienpolitische Tradition
gewachsen. Familienausgleichskassen und Familienbeihilfen blieben Ausnahmen. Es
gab zwar in der Weimarer Republik z.B. für die Textilindustrie Familienausgleichs-
kassen, die jedoch durch die Inflation in den zwanziger Jahren mit Ausnahme der
sogenannten Tarifgemeinschaft Deutscher Apotheker ihre finanzielle Basis verloren
hatten und aufgelöst wurden.10 Wie in Frankreich versuchten auch in Deutschland
Großunternehmen wie beispielsweise Siemens die Einkommenssituation ihrer Mit-
arbeiter mit Familien zu verbessern. Im Vergleich zu Frankreich waren es aber nur sehr
wenige Unternehmen, die entsprechende Aktivitäten entwickelten. Bereits 1919 wurde
bei Siemens ein lohnpoliüsches Konzept von Familienzulagen entworfen. Ausgangs-
punkt war die Sorge, daß unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg ähnlich wie in Frank-
reich ein Arbeitnehmer mit durchschnittlichem Lohnniveau eine vierköpfige Familie
nur noch sehr schwer ernähren konnte. Mitte der zwanziger Jahre beendete aber
Siemens seine Bemühungen mit dem Argument, staatliche Instrumente sollten ange-
wandt werden, um die Situation von Familien zu verbessern.11 Beamte erhielten in der
Weimarer Republik eine Kinderzulage, und bei der Einkommensteuerbemessung
wurde generell in bescheidenem Rahmen der Familienstand berücksichtigt.12
8 Ebd., S.199.
Ebd., S.187. Die Autorin stützt sich in ihrem Urteil auf Pierre Laroque, einen der wichtigsten Architekten
der Sécurité Sociale.
10 Irene Martin, Zur Frage des Kindergeldes, Diss. Marburg 1959, S.5.
Carola S a c h s e, Betriebliche Sozialpolitik als Familienpolitik in der Weimarer Republik und im
Nationalsozialismus. Mit einer Fallstudie über die Firma Siemens/Berlin, Hamburg 1987, S.244-246.
Christoph S a c h ß e und Florian Tennstedt, Der Wohlfahrtsstaat im Nationalsozialismus.
Geschichte der Armenfürsorge, Bd.3, Stuttgart u.a.0. 1992, S.177.
98
Einen Einschnitt stellte die nationalsozialistische Familienpolitik dar. Ehestandsdarle-
hen, das Hilfswerk Mutter und Kind und das Deutsche Frauenwerk sowie ab 1936 ein
monatliches Kindergeld von 10 Reichsmark für jedes fünfte und weitere Kind, ab
Dezember 1940 dann ab dem dritten, sowie die Auszeichnung von Frauen mit dem
Mutterkreuz sind einige Elemente der Familienpolitik des "Dritten Reiches".13
Zum Verständnis und zur Bewertung nationalsozialistischer Familienpolitik muß
daraufhingewiesen werden, daß es sich um Maßnahmen handelte, die nicht einklagbar
und im Rahmen der Fürsorge an die individuelle Bedarfsprüfung gebunden waren und
zum anderen streng vom Rassegedanken determiniert wurden. Hinsichtlich der
NS-Familienpolitik spricht Florian Tennstedt von der Pervertierung des Sozialstaates
zu einem Mittel der Exklusion.14 Die Familienpolitik war streng rassenpolitisch ausge-
richtet. Ein weiterer Aspekt war die Verschränkung von Arbeitsmarkt- und Geschlech-
terpolitik. Zugleich benutzte der Staat die Familienpolitik als Vehikel, um in die Fa-
milien bevormundend einzudringen. Zur Gewährung eines Ehestandsdarlehens mußte
eine Vielzahl von sogenannten "rassehygienischen" Voraussetzungen erfüllt werden.
Die Ehefrau mußte eine frühere Erwerbstätigkeit nachweisen und sich einer hauswirt-
schaftlichen Überprüfung unterziehen, vor allem war aber ein amtsärztlich ausgestelltes
Erbgesundheitszeugnis einzureichen. Entsprechende amtsärztliche Untersuchungen
konnten unter Umständen zu Zwangssterilisation und Eheverbot führen.15
Bei der Lohnbemessung spielten die familiären Verhältnisse keine entscheidende Rolle,
es gab keinen Familienlohn. Ab 1942 wurde im Zuge der Reorganisation der
NS-Kriegswirtschaft durch die sogenannte "Persönlichkeitsbewertung'’ der Einfluß von
Partei und Staat gestärkt, Familienstand und Kinderzahl waren für sie aber keine
relevanten Faktoren. Gerade die NS-Lohnpolitik zeigt einen klaren Entwicklungsschub
Martin, Zur Frage, S.18. Claus M ü h 1 f e 1 d und Friedrich Schönweis, Nationalsozialistische
Familienpolitik, Stuttgart 1989, S.200-203. Marie-Luise R e c k e r, Sozialpolitik im Dritten Reich, in: Hans
Pohl (Hrsg.), Staatliche, städtische, betriebliche und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur
Gegenwart, Stuttgart 1991, S.259. Auch: Dörte Winkler, Frauenarbeit im "Dritten Reich", Hamburg
1977. Dieselbe, Frauenarbeit versus Frauenideologie. Probleme der weiblichen Erwerbstätigkeit in
Deutschland 1930-1945, in: Archiv für Sozialgeschichte (AfS) 17/1977, S.99-126. Heinrich August
Winkler, Vom Mythos der Volksgemeinschaft. Rezension zu T.W. Mason, in: AfS 17/1977, S.484-490.
Siehe speziell zu den Ehestandsdarlehen: Sachse, Betriebliche Sozialpolitik, S.244 f., sie betrugen zuerst
600, später 1.000 Reichsmark.
14 Florian Tennstedt, Der Ausbau der Sozialversicherung in Deutschland 1890-1945, in: Hans Pohl
(Hrsg.), Staatliche, städtische, betriebliche und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur Gegenwart,
Stuttgart 1991, S.239. Siehe auch: Eckhard Hansen, Wohlfahrtspolitik im NS-Staat. Motivationen,
Konflikte und Machtstrukturen im "Sozialismus der Tat" des Dritten Reiches, Augsburg 1991, insbesondere
Teil III: Radikalisierungen in der Wohlfahrtspolitik der unmittelbaren Vorkriegszeit. Zu den Grenzen und
Möglichkeiten der Planung einer nationalsozialistischen "Volkskörperpflege", S. 105-178.
15 S a c h s e, Betriebliche Sozialpoltik, S.125-130.
99
in Richtung Leistungslohn, wobei in diesem Punkt Kontinuitätslinien zu Weimar
festzustellen sind.16
Auch wenn die nationalsozialistische Familienpolitik von rassisch-selektiven Motiven
determiniert und die Familie staatspolitisch instrumentalisiert wurde, so setzte die
Sozialpolitik des "Dritten Reiches" erstmals in stärkerem Maße als bisher Akzente für
einen Familienlastenausgleich, der Ehestandsdarlehen, steuerliche Kinderermäßigun-
gen und laufende Kinderbeihilfen umfaßte und vor allem mittelständische Bevölke-
rungsteile und kinderreiche Familien förderte.17
Dieser Einschnitt erklärt, daß sich im Nachkriegsdeutschland eine positive sozial-
politische Tradition im Bereich der Familienpolitik mit einem Konsens über Partei- und
Gewerkschaftsgrenzen hinweg nicht bilden konnte. Im Gegenteil, der Schatten der
nationalsozialistischen Politik erschwerte die Diskussion über einen Familienlastenaus-
gleich. Wer Kindergeld oder Familienlohn forderte und auf die für die Sozialversiche-
rung ungünstige Bevölkerungsentwicklung hinwies, riskierte, sich politisch zu dis-
kreditieren.18
1.2 Familienzulagen im Saarland als Ergebnis einer Teilassimilation
Die Einführung der Familienzulagen im Saarland und die Wirtschaftsunion mit Frank-
reich fallen zusammen. Durch Verordnungen des französischen Gouverneurs für das
Saarland wurden im November 1947 Familienzulagen eingeführt. Mit der Organisation
wurde zunächst eine besondere, in die LVA integrierte Abteilung beauftragt. Vom
Einführungstage der französischen Währung, dem 20. November 1947, an, mußte von
den Arbeitgebern ein Beitrag von 13 Prozent der Gehalts- und Lohnsumme bis zum
Plafond19 von 17.000 FRS geleistet werden.20
Mit der Einführung von Familienzulagen im Saarland verfolgte die französische
Militärregierung keine bevölkerungspolitischen Ziele, vielmehr entsprach sie einer
Annäherung an das französische Lohnsystem.21
Matthias Frese, Sozial- und Arbeitspolitik im 'Dritten Reich'. Ein Literaturbericht, in: Neue Politische
Literatur (NPL) XXXVIII/1993, S.412. Sachse, Betriebliche Sozialpolitik, S.250. Tilla Siegel,
Leistung und Lohn in der nationalsozialistischen 'Ordnung der Arbeit', Opladen 1989, S.270.
17 r
S a c h ß e und Tennstedt, Der Wohlfahrtsstaat im Nationalsozialismus, S. 177-180.
Martin, Zur Frage, S.18. Oswald von Nell-Breuning, Der Beitrag des Sozialkatholizismus zur
Sozialpolitik der Nachkriegszeit, in: Albrecht Langner (Hrsg.), Katholizismus, Wirtschaftsordnung und
Sozialpolitik 1945-1963, Paderborn u.a.O. 1980, S.120.
19
Der Plafond war eine Beitragsbemessungsgrenze. Er galt sowohl in der Sozialversicherung als auch für
die Berechnung der Beiträge für die Familienzulagenkasse.
20 Verordnung Nr.29 vom 10.11.47, in: Abi. 1947, S.565. Verordnung Nr.47/140 vom 23.11.47, in:
Abi.1947, S.920.
21 Statistisches Amt des Saarlandes (Hrsg.), Kurzbericht Nr. V/5 vom 15.4.48. Der Zusammenhang mit dem
französischen Lohnsystem findet sich in den Akten häufiger, z.B: Landesarchiv Saarbrücken (LA SB),
Ministerium für Arbeit und Sozialordnung (MifAS), Bd.324, Regierungsdirektor Metz, Abt. B 3055/57
100
Breiter Konsens
Parteien und Gewerkschaften an der Saar akzeptierten dieses der deutschen Sozial-
politik fremde Element. Wenn auch anfangs partiell am Umfang der Leistung Kritik
geübt wurde, so stellte doch keine politische Kraft dieses System in Frage.22
Den Vorstellungen der SPS entsprach die Familienzulage insofern, als es sich um eine
egalitäre soziale Leistung handelte. Die Haltung der saarländischen Sozialdemokraten
erstaunt um so mehr, wenn man sie mit der Einstellung anderer sozialdemokratischer
Parteien in Europa und der gewerkschaftlichen Linken vergleicht, etwa die distanzierte
Position der linken französischen Gewerkschaften zu diesem Thema, oder die kritische
Einstellung der eidgenössischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften angesichts des
Volksbegehrens 1944 zum Schutz der Familie in der Schweizer Bundesverfassung und
der Einführung von Familienzulagen. Gerade in den westschweizerischen Kantonen
hatte seit 1930 vor dem Hintergrund einer ungünstigen demographischen Entwicklung
das französische Familienzulagensystem engagierte Fürsprecher gefunden. Das Unbe-
hagen auf Seiten der Arbeiterschaft und ihrer Interessenvertretungen erklärt sich aber
vor allem aus lohnpolitischen Aspekten.23
Die saarländischen Sozialdemokraten konnten sich mit den Familienzulagen anfreun-
den, weil ihre Einführung primär im Kontext der Wirtschaftsunion stand und in der
Öffentlichkeit nicht mit christlichen Wertvorstellungen verknüpft wurde.
Die CVP wiederum konnte sich aus ihrem Bekenntnis zur christlichen Soziallehre24 mit
dem neuen System identifizieren. Das saarländische wie auch das französische Fa-
milienzulagensystem, nicht vom Staat, sondern mit Lohnanteilen finanziert, entsprach
dem Prinzip der Subsidiarität und trug damit einem Grundsatz der katholischen Sozial-
lehre Rechnung. Sie lehnte den Staat als Träger gesellschaftlicher Aufgaben ab, wenn
soziale Gruppen in eigener Organisation und Verwaltung entsprechende Aufgaben
übernehmen konnten.25 Die Christdemokraten sahen einen gesellschaftspolitischen
Fortschritt, weil der Arbeitgeber jetzt kein Interesse mehr daran hatte, kinderreiche
Familienväter bei der Einstellung zu benachteiligen. Sie bekannten sich ausdrücklich
vom 10.12.57 an Herrn Minister im Hause.
22 So wünschte sich die SPS höhere Zulagen, vgl, LTS DS 1/15, Niederschrift zur Sitzung vom 24.3.48, S.5.
Mit stärkerer Kritik, ohne das System insgesamt abzulehnen, trat die KP hervor, siehe: Ebd., S.6. Siehe
auch: Volksstimme v. 13.12.47 und SVZ vom 20.12.47.
23 Jürg H. S o m m e r, Das Ringen um soziale Sicherheit in der Schweiz, St. Gallen 1978, S.231-235, 242.
24
LA SB, Partei- und Verbandsdrucksachen (PVD), Nr. 952. Bericht zum Landesparteitag der CVP vom
23.-26. November 1950, S.ll. "Ausgangspunkt unserer sozialpolitischen Arbeit ist daher die christliche
Soziallehre, die aus dem Naturrecht und den positiven göttlichen Gesetzen allgemeingültige Prinzipien für
das menschliche Gemeinschaftsleben aufstellt". Siehe auch SVZ vom 20.12.47.
25
Anton Rauscher, Die katholische Soziallehre im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß der
Nachkriegszeit, in: Langner (Hrsg.), Katholizismus, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik, S.17 f.
101
zum Familieniohn.26 Gerade von der katholischen Soziallehre waren Ende des 19.
Jahrhunderts, z.B. durch die Sozialenzyklika Rerum Novarum von 1891, Impulse für
einen Familienlohn ausgegangen. In Opposition zur liberalen Lehre des Leistungs-
lohnes forderte die katholische Soziallehre, der Lohn müsse nicht nur der Leistung,
sondern auch den Bedürfnissen des Arbeiters und seiner Familie Rechnung tragen.27
Diese Positionen stießen im Saarland mit seinem überproportional hohen Katholiken-
anteil und einer Regierungspartei, die sich zur katholischen Soziallehre bekannte, auf
fruchtbaren Boden.28
Nicht zuletzt wurden auch in der saarländischen Verfassung Ehe und Familie als
natürliche Grundlagen des Gemeinschaftslebens definiert. Familie und Mutterschaft
genossen staatlichen Schutz und Förderung.29 Entsprechende verfassungsrechtliche
Verankerungen bedeuteten aber nicht immer auch eine aktive Familienpolitik in der
politischen Praxis. 1958 schützten immerhin schon 33 Staaten in ihrer Verfassung Ehe
und Familie.30
Streit um die Familienzulagenkasse
Wenn CVP und SPS auch das Familienzulagensystem befürworteten, so entwickelte
sich doch eine heftige Kontroverse über die Organisation der Familienzulagenkasse,
eine im Vergleich zur französischen Diskussion konvergierende Entwicklung. Bis zum
26 Siehe Redebeitrag des CVP-Abgeordneten Germann, in: LTS DS 1/15, Niederschrift zur Sitzung vom
24.3.48.
27
B r e m m e, Freiheit, S.179. Irène B o u r q u i n, 'Vie ouvrière’ und Sozialpolitik. Die Einführung der
Retraites ouvrières' in Frankreich um 1910. Ein Beitrag zur Geschichte der Sozialversicherung, Bern 1977,
S.300.
28 Winfried Becker, Johannes Hoffmann und die frühe Programmatik der CVP. Zum Beginn christlicher
Parteibildung im Saarland nach 1945, in: Revue d’Allemagne XVIII/1986, S.40. Fast 75 Prozent der
Bevölkerung waren katholisch. Statistisches Amt des Saarlandes (Hrsg), Kurzbericht Nr. II/l, Januar 1955.
Danach betrug der Katholikenanteil 1951 73,4 Proz. und der evangelische 25,3 Proz., regional differenziert
zeigen sich die Kreise Saarlouis (94,6), Merzig/Wadern (96,4), St. Wendel (79,1) und St. Ingbert (83,5) als
katholische Bastionen.
Verfassung vom 15.12.47, in: Abi.1947, S.1077 f., siehe Art.22 und Art.23 der Verfassung des
Saarlandes vom 15.12.47. Artikel 22:"Ehe und Familie genießen (...) den besonderen Schutz und die
Förderung des Staates. Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung der Geschlechter." Artikel 23:"Die
Mutterschaft hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge des Staates."
Gabriele B r e m m e, Ehe und Familie, in: Herders Staatslexikon, Freiburg 1958, Sp.1031 f. Zur
Berücksichtigung der Familie und kirchlicher Forderungen in der Verfassung, siehe: Bernd Joachim
F a b e r, Kirche und Staat im Saarland. Eine staatskirchenrechtliche Untersuchung, Diss. Freiburg 1981,
S.198. Heinrich Kü ppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, Saarbrücken 1984, S.132-163. Ders.,
Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition. Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz 1946-1955, Mainz
1990, S.116-132. Michael Sander, Die Verfassung des Saarlandes, in: Rainer Hudemann und Raymond
Poidevin (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.250.
102
Oktober 1951 war die Familienzulagenkasse organisatorisch in die LVA integriert.
Eine besondere Abteilung unter der Bezeichnung "Verwaltungsausschuß der Kasse für
Familienzulagen" war gebildet worden.31 Ab 1. Oktober wurde die Kasse für Familien-
zulagen zu einer selbständigen Körperschaft des öffentlichen Rechts. Dieser Organisa-
tionsreform war ein massiver Streit zwischen der CVP einerseits sowie SPS und
Hohem Kommissariat andererseits vorausgegangen. Die CVP begründete die Ausglie-
derung der Kasse für Familienzulagen damit, daß die gewährten Leistungen wie
Frauen- und Kinderzulagen Bestandteil des Soziallohnes seien und nichts mit der
Sozialversicherung zu tun hätten. Dagegen betonte Richard Kirn, die Familienzulagen-
kasse sei trotzdem ein Zweig der Sozialversicherung, weil alle Merkmale der Sozial-
versicherung gegeben seien. Die Leistungen der Familienzulagenkasse würden wie die
Sozialversicherung für die Familie als "Wechselfall des Lebens" wirksam werden. Vor
allem würde die Finanzierung der Sozialversicherung, nämlich die "Gemeinhaftung
aller Arbeitnehmer", auch für das Familienzulagensystem gelten.32
Hinter juristischen Argumentationsmustern standen aber politische Differenzen und
Rivalitäten. Die CVP hatte schon bei der Sozialversicherungsreform 1947 und auf
Parteitagen immer wieder Kritik an der Landesversicherungsanstalt (LVA) als zen-
tralem Sozialversicherungsträger geübt. Mit dem Aufbau einer selbständigen Kasse für
Familienzulagen gelang es den Christdemokraten, einen Akzent in Richtung Dezen-
tralisierung zu setzen und darüberhinaus ihre Identifikation mit familienpolitischen
Themen zu betonen. Der Streit um diese Frage berührte nicht nur die Organisations-
struktur der Sozialversicherung. Die CVP wollte ein politisches Gegengewicht zur
sozialdemokratischen Dominanz in der LVA und den Kreis Versicherungsanstalten
(KVA) bilden. In der Abteilung "Kasse für Familienzulagen" innerhalb der LVA war
es der SPS gelungen, sich durch eine Erhöhung der Abteilungsleiterstellen auch hier
eine Mehrheit zu sichern.33
Sowohl die Forderung nach Ausgliederung der Kasse für Familienzulagen aus der
LVA als auch die damit verbundenen politischen Intentionen entsprachen der sozial-
politischen Entwicklung in Frankreich. Die französischen Christdemokraten versuch-
ten, z.B. mit der Formel des "minimum vital" die Meinungsführerschaft in der Fa-
milienpolitik zu besetzen. Sie wehrten sich bei den Beratungen über die Sécurité
Sociale erfolgreich gegen die Integration der Familienkassen in die Verwaltung der
Sécurité Social. Den Christdemokraten gelang es, in der Verwaltung der Kassen für
Verordnung über die Familienzulagen vom 2,3.48, in: Abi,1948, S.311.
32 Ministère des Affaires Etrangères Nantes (MAE), HC Sane (HCS), Mission Juridique/Questions Sociales
(MJ/Q.S.), J II 4, und Volksstimme vom 14.7.51. Archiv des Saarländischen Landtags Saarbrücken (LTA
SB), Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 21.3., 2.4., 16.4., 4.7., 9.7.51. LTS DS
II/ 285 und 285 B. LTS DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7.51, S.701.
33
LA SB, Staatskanzlei (StK), Nr.2999, Emil Lehnen an Ministerpräsident Johannes Hoffmann und
Richard Kirn vom 27.2. 48. Zum Einfluß der SPS: Kap. I./5
103
Familienzulagen Machtpositionen aufzubauen, und ein Gegengewicht zur Dominanz
der linken C.G.T. in den "Conseils d'administration" (Verwaltungsräten) der Sécurité
Sociale zu bilden.34
Das Hohe Kommissariat und auch Alphonse Rieth als Vorsitzender des Technischen
Ausschusses der LVA lehnten wie die Sozialdemokraten die Ausgliederung der Fa-
milienkasse aus der LVA ab.35 Dabei dürfte auch die Furcht vor einer weiteren Politi-
sierung die französische Position bestimmt haben, wobei innerfranzösische Erfah-
rungswerte solche Bedenken nur fördern konnten, denn die Frage der Organisation der
Familienkassen war in Frankreich zu einem der zentralen Themen der sozialpolitischen
Auseinandersetzung nach dem Zweiten Weltkrieg geworden.36
Der CVP gelang es dennoch, ihre Ziele durchzusetzen. Das Hohe Kommissariat
stimmte wohl letztlich deshalb zu, weil durch die Haltung der CVP gewisse Bestim-
mungen des Saarknappschaftsgesetzes vom 11. Juli 1951, die vor allem der Régie des
Mines mißfielen, abgeschwächt werden konnten. Ein weiterer, allerdings weniger
bedeutender Streitpunkt entwickelte sich aus dem Versuch des Innenministeriums, den
Staat als Arbeitgeber für die Angestellten der Sparkassen, der Landeszentralbank und
der Girozentrale von seiner Beitragspflicht zur Kasse für Familienzulagen zu entbin-
den.37
Spannungsverhältnis zwischen Lohnzulage und Sozialsteuer
Dissens zwischen CVP und SPS bestand auch in der Frage, wie die Überschüsse der
Familienzulagenkasse verwendet werden sollten. Die Kasse für Familienzulagen mußte
eine gesetzlich vorgeschriebe ne Reserve in Höhe einer dreimonatigen Ausgabe nach
dem Durchschnitt des letzten abgelaufenen Geschäftsjahres anlegen. Die Kassenüber-
schüsse wurden einerseits zu sozialen Zwecken wie der Durchführung von Ferien-
kursen für erholungsbedürftige Kinder eingesetzt, und andererseits wurden der Sozial-
versicherung daraus Darlehen zum Ausgleich von Defiziten gewährt.38 Regelmäßig
erhielten Wohlfahrtsorganisationen Zuschüsse zur Durchführung von Erholungskuren
34 Henry C. G a 1 a n t, Histoire politique de la Sécurité Sociale française 1945-1952, Paris 1955, S.66, 137.
B o u r q u i n, 'Vie ouvrière', S.306.
LA SB, MifAS, Bü.8, Niederschrift über die Sitzung des Verwaltungsausschusses der Kasse für
Familienzulagen vom 20.5.49.
36 Hudemann, Sozialpolitik, S.137.
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 21.3.51. LTS DS 11/193,
Viertes Gesetz zur Änderung des Gesetzes Nr.273 über Familienzulagen. LA SB,
Staatskanzlei/Kabinettsregistratur/Arbeitsministerium (StK/KR/MAW) 1949/T-l und 1950/T-2. Kirn an
Präsidialkanzlei vom 8.11.49.
38
LA SB, StK/KR/MAW/1949/T-l, Heinrich Welsch, Präs, des Landesversicherungsamtes an den Minister
für Arbeit und Wohlfahrt, Richard Kirn, vom 21.6.49. Finanzminister Grommes an ebd. vom 18.5.49 und
R. Kim an Präsidialkanzlei vom 9.7.49.
104
für Kinder, im Jahre 1952 und 1953 waren dies jeweils 10 Mio. FRS, 1954 und 1955
wurden die Mittel verdoppelt.39 Damit leisteten die Arbeitnehmer über ihre Lohnanteile
indirekt einen Beitrag für soziale Zwecke und trugen so zur Konsolidierung der Sozial-
versicherung bei. Die Abteilung Krankenversicherung in der LVA erhielt z.B. ein
zinsloses Darlehen in Höhe von 204 Mio. FRS.40 Auch der Wohnungsbau wurde aus
den Finanzüberschüssen der Kasse für Familienzulagen gefördert. Die SPS bemühte
sich im Mai 1949 darum, den Städten Saarbrücken, Neunkirchen und Saarlouis einen
Betrag von 600 Mio. FRS zur Instandsetzung von weniger stark beschädigten und
somit zügig sanierbaren Wohnhäusern zu gewähren. Die Kommunen sollten ver-
pflichtet werden, die anfallenden Mieteinkünfte an die Familienzulagenkasse zur
Amortisierung und Zinstilgung abzuführen.41 Die saarländische Landesregierung
entschloß sich 1950, auf die Zahlung einer doppelten Familienzulage für den Weih-
nachtsmonat Dezember zu verzichten und mit den entsprechenden Mitteln den Woh-
nungsbau zu unterstützen. Dieser Plan stieß auf massive Kritik bei der christlichen
Gewerkschaft. Sie erhob grundsätzliche Bedenken, daß mit den Geldern der Familien-
zulagenkasse zunehmend staatliche Aufgaben Finanziert würden: "Die Familienzula-
genkasse kann und darf nicht die Rolle einer Staatsbank übernehmen. Ihre Gelder sind
Lohnanteile, die restlos und ungesäumt der Arbeitnehmerschaft zufließen müssen."42
1.3 Arbeitslosigkeit als späte Herausforderung der französischen Sozialpolitik
Die unterschiedlichen Schwerpunkte der deutschen und französischen Sozialpolitik
zeigen sich insbesondere auch im Bereich der Arbeitslosenversicherung. Frankreich
bekam das Phänomen Massenarbeitslosigkeit erst durch die wirtschaftlichen Folgen der
Ölkrise zu Beginn der siebziger Jahre zu spüren, während Deutschland mit Arbeits-
losigkeit als sozialem Problem bereits seit Beginn des Jahrhunderts insbesondere durch
die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Massendimension konfrontiert wurde.
Die Probleme in Frankreich waren zu Beginn des Jahrhunderts geradezu umgekehrt. Es
herrschte Arbeitskräftemangel, und somit bestand kein direkter Handlungsbedarf in
Sachen Arbeitslosenversicherung. Zwar war in der von de Gaulle erlassenen ersten
Verordnung zur allgemeinen Organisation der Sécurité Sociale vom 4. Oktober 1945
die Arbeitslosigkeit als soziales Risiko genannt worden, doch existierte weder zu
diesem Zeitpunkt eine Arbeitslosenversicherung noch fand sie Berücksichtigung bei
39
Statistisches Amt des Saarlandes Saarbrücken (SAS), Geschäftsberichte der Kasse für Familienzulagen
für die entsprechenden Geschäftsjahre, 1952, S.17; 1953, S.26; 1954, S.27;1955, S.41.
40
Gesetz über Änderungen in der Kranken- und Unfallversicherung vom 27.1.50, in: Abi. 1950, S.l 12.
41 LA SB, StK/KR/MAW/1949/T-1, SPS-Landtagsfraktion an Ministerpräsident Johannes Hoffmann vom
2.5.49.
42 SVZ vom 22.12.50.
105
der Gestaltung der Sécurité Sociale.43 Pierre Laroque, der Architekt der französischen
Sozialversicherung nach 1945, betont, daß die Einführung einer Arbeitslosenversiche-
rung zu diesem Zeitpunkt wenig opportun erschien, weil man davon ausging, daß der
notwendige Wiederaufbau des Landes zahlreiche Arbeitskräfte erfordere.44 Ähnliche
Einschätzungen waren auch in anderen europäischen Staaten zu beobachten - beispiels-
weise in der Schweiz. Die Eidgenossen erlebten zwischen 1950 und 1972 eine rasche
Wirtschaftsexpansion. Die gesellschaftliche Akzeptanz der schweizerischen Arbeits-
losenversicherungskassen ging in Zeiten der Hochkonjunktur und Überbeschäftigung
deutlich zurück und erschien vielen als Anachronismus aus längst vergangenen Krisen-
zeiten.45
Bis 1959 gab es in Frankreich lediglich eine an strengen Maßstäben im Sinne des
Fürsorgeprinzips sehr restriktiv gestaltete Hilfe für Arbeitslose. Ein wesentlicher
Fortschritt wurde durch den späteren Staatspräsidenten Georges Pompidou 1959 auf
den Weg gebracht, als er, Direktor der Rotschildbank, zum Directeur du Cabinet von
Général de Gaulle ernannt wurde. Pompidou verstand es, Anhänger für eine Ver-
besserung der Hilfen für Arbeitslose in Unternehmer- (C.N.P.F.) und Gewerkschafts-
kreisen (C.G.T. - F.O./ C.F.T.C. und C.G.C.) zu finden. Ergebnis dieser Bemühungen
war eine vertragliche Regelung zwischen den Tarifvertragsparteien. Beide Sozial-
partner erklärten sich bereit, das Risiko Arbeitslosigkeit über ein Zusatzversicherungs-
system sozial abzufedern. Es wurden Unterstützungsfonds aufgebaut, finanziert durch
Pflichtbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Sie wurden von den "Associa-
tions pour l'emploi dans l'industrie et le commerce" (ASSEDIC) und der "Union
nationale interprofessioneile pour l'emploi dans l'industrie et le commerce" (UNEDIC)
verwaltet. Beide standen unter strenger Kontrolle des Finanz- und Arbeitsministers.46
Die Leistungen dieses Systems waren im Unterschied zur deutschen Arbeitslosen-
versicherung, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit 32 Jahren bestanden hatte, nicht
statusorientiert, d.h. die im Falle der Arbeitlosigkeit gewährte Unterstützung orientierte
sich nicht am vorherigen Verdienst.
43
L'ordonnance du 4 octobre 1945 portant organisation générale de la sécurité sociale, in: La sécurité
sociale. Son Histoire à travers les textes, Bd.3, 1945-1981. Hrsg, vom Comité d'histoire de la sécurité
sociale. Paris 1988, S.12 f.
44 Pierre L a r o q u e, Au service de l’homme et du droit. Souvenirs et réflexions, Paris 1993, S.200.
45 S o m m e r. Das Ringen, S.590.
46 t -,
La sécurité sociale, S. 337. Zur weiteren Entwicklung der Arbeitslosenunterstützung ist auf die
Reform von 1979 zu verweisen. Sie bedeutete: Ausdehnung des Kreises der Versicherten,
Vereinheitlichung der Leistungen von A.S.S.E.D.I.C. und U.N.E.D.I.C. sowie staatlicher
Finanzierungsanteil. Siehe dazu: Bernhard Schmidt, Jürgen Doll, Walther Fe k 1 und Siegfried
L o e w e, Frankreich-Lexikon. Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Geschichte, Kultur,
Presse- und Bildungswesen, Bd.l, Berlin 1981, S.62 f.
106
1.4 Der Weg zur deutschen Arbeitslosenversicherung
Wie die meisten europäischen Industrienationen stand Deutschland in den zwanziger
Jahren nach dem Ersten Weltkrieg vor dem Problem anhaltender Massenarbeitslosig-
keit. Eine der Ursachen lag in der für alle europäischen Länder ungünstigen Exportsi-
tuation. Nachdem der russische Absatzmarkt infolge der politischen Systemverände-
rung plötzlich weggebrochen war, verloren die westeuropäischen Länder einen wichti-
gen Exportmarkt. Auch in dem konjunkturell günstigen Jahr 1927 blieb die Arbeits-
losigkeit in Deutschland auf einem so hohen Niveau, wie es selbst in den schlechtesten
Jahren vor dem Krieg nicht erreicht worden war.47
Die deutsche Sozialversicherung berücksichtigte die Arbeitslosigkeit zunächst nicht als
abzudeckendes Risiko. Es war Aufgabe der Armenfürsorge und später der Arbeits-
losenfürsorge, Menschen, die durch Arbeitslosigkeit in Not geraten waren, zu helfen.
Vorreiter in Sachen Arbeitslosenversicherung war der britische Premierminister David
Lloyd George, der 1911 erste Maßnahmen für Gewerbezweige mit stark saisonalem
Einschlag einführte. Sein Land verfügte zudem bis weit in die fünfziger Jahre über eine
gut ausgebaute Arbeitsvermittlung.48 In den skandinavischen Ländern Dänemark und
Schweden sowie in Teilen der Schweiz orientierte man sich am sogenannten Genter
System. Arbeitslose erhielten finanzielle Unterstützung aus einem von den Gewerk-
schaften und der öffentlichen Hand finanzierten Fond. Der Vorteil dieser Regelung
wurde darin gesehen, daß freiwillig Arbeitslose durch die Gewerkschaftler vor Ort, die
mit den Verhältnissen vertraut waren, schnell erkannt werden konnten. Mißbräuchen
sollte so effizient entgegengewirkt werden.49
Mit dem Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im Jahre
1927 wurde diese zur vierten Säule des deutschen Sozialversicherungssystems.50 Lange
Zeit wurde in der Forschung die Arbeitslosenversicherung als das große Sozialgesetz
der Weimarer Republik gewürdigt.51
47
Lutz, Die Singularität, S.43, 45 f. Lutz erklärt, daß bei einer Exportstagnation und Exportdepression die
Industrie kaum zusätzliche Arbeitskräfte benötige. Folge sei ein Schrumpfen der Lohnsumme.
48 Ludwig Preller, Praxis und Probleme der Sozialpolitik, 2.Hb., Tübingen u.a.O. 1970, S.465-467.
49 Ebd.
50
Jens Alber, Peter Flora und Jürgen Kohl, Zur Entwicklung der westeuropäischen
Wohlfahrtsstaaten, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS) 18/1977, S.732. Günter Schulz, Bürgerliche
Sozialreform in der Weimarer Republik, in: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.), Weder Kommunismus noch
Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz bis zur Ära Adenauer, München
1985, S.196.
Ganz wesentlich geprägt wurde diese Einschätzung durch: Ludwig Preller, Sozialpolitik in der
Weimarer Republik, Stuttgart 1949, S.364.
107
Vertreter der neueren Forschung betonen aber, die Arbeitslosenversicherung sei
"historisch verspätet" eingeführt worden, wobei das schwache Bewußtsein in Fragen
der Arbeitslosigkeit sowie die politischen Koordinaten des Kaiserreiches, aber auch die
Spannungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und ihre paternalistische
Tradition der Wohltätigkeit für arbeitsunfähige Arme als Ursachen genannt werden.
Peter Lewek sieht die Einführung der Arbeitslosenversicherung in der Weimarer
Republik letztlich als Folge von finanzpolitischen Engpässen und Zwängen, die dazu
führten, daß die Reichsregierung glaubte, sich über die Arbeitslosenversicherung der
finanziellen Verantwortung entziehen zu können.52 Das Gesetz von 1927 habe vor
allem einschneidende und grundlegende Veränderungen organisatorischer Art ge-
bracht, insbesondere durch die Zentralisierung aller Aufgaben der Arbeitslosenversi-
cherung und der Arbeitsvermittlung auf Reichsebene. Sozialpolitisch ist aber nach
Ansicht von Lewek als entscheidende Zäsur zur Politik des Kaiserreiches, die Zeit
unmittelbar nach dem militärischen Zusammenbruch 1918 zu bewerten, weil in dieser
Phase in deutlicher Abgrenzung zum bisherigen System der entstehende Weimarer
Staat für den Bereich der Arbeitslosenpolitik einen sozialen Interventionismus prokla-
mierte und mit der Erwerbslosenfürsorge vom November 1918 ein erstes Signal gesetzt
habe.53
Was die materielle Situation der Arbeitslosen betraf, brachte das Gesetz von 1927
kaum Vorteile. In Großstädten lag der Unterstützungssatz aus der Arbeitslosenver-
sicherung für arbeitslose Familienväter mit relativ großer Kinderzahl nicht selten
unterhalb dem der gemeindlichen Wohlfahrtspflege. So waren die seit November 1918
gezahlten Leistungen der Erwerbslosenfürsorge großzügiger bemessen als die Leistun-
gen aus der Arbeitslosenversicherung.54 Vor allem durch die angesichts der Wirt-
schaftskrise beschrittene Deflaüonspolitik wurden 1932 die Unterstützungssätze auf
weniger als die Hälfte der 1927 gezahlten Sätze gekürzt, und der Rechtsanspruch
wurde in seiner Qualität für die Betroffenen in gewisser Hinsicht entwertet, weil er auf
sechs Wochen beschränkt wurde.55
Im NS-Staat kam es durch die Beschränkung der Versicherungspflicht zu einer
"schrittweisen Deformierung der Arbeitslosenversicherung". Beiträge der Versicherten
wurden nach und nach zweckentfremdet, indem sie nicht nur zur Finanzierung von
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, sondern auch zur Sanierung der Rentenversicherung
52 Jens A f b e r, Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat, Frankfurt a.M. u.a.O. 1982, S.51. Peter Lewek,
Arbeitslosigkeit und Arbeitslosenversicherung in der Weimarer Republik 1918-1927, Stuttgart 1992, S.398.
53 L e w e k, Arbeitslosigkeit, S,388-389, 403.
54 Ebd., S.406.
55 Tennstedt, Der Ausbau der Sozialversicherung, S.236.
108
eingesetzt wurden.56 Die in der NS-Zeit im Rahmen der Dienstverpflichtungen vor-
genommenen Zwangsmaßnahmen der Arbeitsämter belasteten nach 1945 die gesell-
schaftliche Akzeptanz der Arbeitsämter auch im Saarland.57
Auch wenn Vertreter der neueren Forschung die Bedeutung der Arbeitslosenversi-
cherung differenzierter betrachten und ihre Mängel stärker heraussteilen58, ändert dies
nichts an der positiven Identifikation deutscher Sozialpolitiker, wie z.B. Ludwig
Preller, die in der Zwischen- und Nachkriegszeit aktiv gewesen waren, mit diesem
Sozialversicherungszweig. Ein Fortschritt kann nicht geleugnet werden, denn die
Arbeitslosenversicherung als Element der Sozialversicherung setzte an die Stelle der
individuellen Bedarfsprüfung den Rechtsanspruch auf Arbeitslosenunterstützung.59
Die positive Identifikation mit der Arbeitslosenversicherung äußerte sich auch nach
1945 in dem Engagement für ihre Erhaltung und Weiterentwicklung, die sich unter
versicherungsmathematischen Gesichtspunkten bis heute als besonders schwierig
erweist, weil es verschiedene Formen der Arbeitslosigkeit gibt und vor allem in den
neunziger Jahren die Bewahrung der statusdifferenzierten Leistung angesichts der
wachsenden Arbeitslosigkeit von qualifizierten und höher verdienenden Einkommens-
gruppen immer schwieriger wird.
1.5. Wiedereinfühmng und Ausbau der Arbeitslosenversicherung im Schatten der
deutschen Sozialversicherungstradition
Von Anfang an machten sich die Gewerkschaften im Saarland für die Arbeitslosen-
versicherung stark, vor allem die Einheitsgewerkschaft mit ihrem Präsidenten Heinrich
Wacker.60 Der saarländische Arbeitsmarkt mußte nach 1945 neu organisiert werden, da
die Verbindung zum früheren Reichsamt für Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosen-
versicherung nicht mehr bestanden. Die Aufgabe der Arbeitsvermittlung und der
Arbeitslosenversicherung wurde durch das Hauptreferat Arbeit im Arbeitsministerium
und durch den Landesstock geregelt. Hier ist auch daran zu denken, daß der Aufbau
Gerhard Ritter, Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, in:
Historische Zeitschrift (HZ)/Beiheft 11, München 1989, S.134. Ausführlich bei: T e p p e, Zur Sozialpolitik,
S.211-213. Auch: Tennstedt, Der Ausbau der Sozialversicherung, S.241-243,
57
LA SB, StK, Nr.3187, "Die Regierung des Saarlandes spricht". SR-Interview mit Minister Kirn vom
12.1.49.
Siehe zu den politischen Rahmenbedingungen und Diskussionen: L e w e k, Arbeitslosigkeit, S.359. Zur
Kritik von Parteien und Verbänden: Ebd., S.365-367.
59
Grundsätzlich dazu: Hans Günter Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutsch-
land. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945-1957, Stuttgart 1980, S.201.
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPM), Berlin,
Nachlaß Friedrich Bäsel/NL 190, Nr.34, Bl.30. Schreiben der Einheitsgewerkschaft an
Verwaltungskommission vom 19.8.47 und 8.1.48.
109
der Arbeitsverwaltung den machtpolitischen Interessen der Sozialdemokratie ent-
sprach, waren doch die Arbeitsämter eine rote Bastion im Verwaltungsbereich. Es blieb
nicht nur in Anlehnung an die deutsche Sozialversicherung bei der Erhaltung dieses
Versicherungszweiges, sondern den saarländischen Sozialpolitikern gelang es, den
Kreis der Versicherten und das Leistungsniveau auszubauen.
Nach dem Willen der saarländischen Regierung und der Gewerkschaften sollten auch
die saarländischen Bergleute in die Arbeitslosenversicherung wieder integriert werden.
Dagegen sprach sich die französische Régie aus. Sie argumentierte wirtschaftlich. Die
Einführung der Arbeitslosenversicherung belaste die Régie als Arbeitgeber im Saar-
bergbau pro Jahr mit Kosten in Höhe von 240 Millionen FRS zuzüglich nachträglicher
Beitragszahlungen für die Zeit ab 1. Januar 1952 in Höhe von 68 Millionen FRS.
Daneben lehnte Generaldirektor Pierre Couture die Einbeziehung der Régie in die
Arbeitslosenversicherung kategorisch ab, weil er in ihr eine mit den Grundsätzen der
Wirtschaftsunion unvereinbare Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil der Régie
gegenüber dem französischen Bergbau sah. Die Folge seien erhebliche Disparitäten auf
der Kostenseite zu Lasten der Régie.61
Divergenzen auf französischer Seite
Die Verantwortlichen auf französischer Seite verfolgten in dieser Frage keinen ein-
heitlichen Kurs. Hier fallen Gegensätze zwischen den französischen Entscheidungs-
trägern an der Saar wie der Régie und dem Hohem Kommissariat ebenso auf wie auch
Divergenzen zwischen den Ministerien in Paris. Obwohl Pierre Couture bei Grandval
energisch insistierte, gegen das Gesetz sein Veto einzulegen, intervenierte der Hohe
Kommissar nicht.62 Deshalb bat Couture den Industrieminister, über das Außenministe-
rium in Paris auf Grandval einzuwirken. Erneut argumentierte er ökonomisch, die
Arbeitslosenversicherung für den Bergbau widerspreche den Prinzipien der Wirt-
schaftsunion; was ja auch richtig war, da diese mit zusätzlichen Sozialbeiträgen auch
für die Arbeitgeber im Saarland verbunden gewesen wäre. Grandval teilte zwar die
wirtschaftlichen Bedenken einer weiteren finanziellen Belastung für die Régie, hielt sie
aber für vertretbar.63 In seiner Entscheidung, gegen das Gesetz kein Veto einzulegen,
ließ er sich von politischen Motiven leiten. Er befürchtete nämlich in diesem Fall eine
Konfrontaüon mit Parteien und Gewerkschaften, im übrigen verwies er auf Art. 46 der
saarländischen Verfassung, in dem die Arbeitslosenversicherung ausdrücklich als
Verfassungsauftrag genannt wurde.64
Grandval bemühte sich, die Verantwortlichen im Außenministerium für die Aus-
MAE Nantes, HCS, Cabinet Politique, Doss.121, Bl.66-68. Pierre Couture an Grandval vom 28.5.52,
Couture an den französischen Industrieminister.
62 Ebd.
63 Ebd., Bl.54, Grandval an MAE vom 16.5.52.
64 Zu Artikel 46: Verfassung des Saarlandes vom 15.12.47, in: Abi.1947, S.1077 f.
110
weitung der Arbeitslosenversicherung auf den Bergbau zu gewinnen, indem er ihre
Ausdehnung als eine Politik der Denazifizierung "verkaufte". In einem Schreiben an
das Außenministerium verwies er auf die Entwicklung der Arbeitslosenversicherung
für die Bergleute in Deutschland und betonte, daß die Ausdehnung und Wiederher-
stellung dieses Sozialversicherungszweiges eine Revision der Nazipolitik bedeute.65
Das Außenministerium folgte seiner Linie, zumal Grandval auch darauf hingewiesen
hatte, daß das Office franco-sarrois des Mines am 31. Dezember 1951 seine Zustim-
mung zur Eingliederung des Bergbaus in die Arbeitslosenversicherung gegeben habe,
wenn auch unter der Bedingung, daß der Beitragssatz für die Régie die Marge von 0,5
Prozent nicht überschreite.66
Leistungsvorteile gegenüber der Bundesrepublik
Der Leistungsvergleich zwischen der saarländischen und der bundesrepublikanischen
Arbeitslosenversicherung zeigt einige Vorteile für die Saarländer. Er verdeutlicht nicht
nur die Verbindung des Saarlandes mit der deutschen Sozialversicherungstradition,
sondern auch den Systemausbau. Die Sätze für die Hauptunterstützungsempfänger und
die Zuschläge für die Familienangehörigen waren höher als in der Bundesrepublik. Das
Recht auf Unterstützung war schon nach 26 Wochen versicherungspflichtiger Beschäf-
tigung erreicht. Eine zeitliche Begrenzung für die Unterstützungsleistung war bis auf
wenige Ausnahmen nicht vorgesehen, in der Bundesrepublik galt eine von der Anwart-
schaft abhängige Staffelung zwischen 13, 20 und 26 Wochen.67 Beispielhaft für die
saarländischen Leistungsvorteile im Bereich der Arbeitslosenversicherung war die
Lohnausfallvergütung. Für das vor allem von saisonaler Arbeitslosigkeit betroffene
Bau- und Baunebengewerbe wie auch für gewerbliche Betriebe allgemein wurde eine
Lohnausfallvergütung eingeführt. Sie wurde aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung
finanziert und sicherte den Betroffenen 60 Prozent des Unterschieds zwischen dem
tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt und dem, was sie ohne Arbeitsausfall in der be-
trieblichen Arbeitszeit verdient hätten.68
Arbeitsmarktpolitik
Nicht nur im Bereich der Arbeitslosenversicherung, sondern vor allem im Bereich der
Arbeitsmarktpolitik profilierte sich der sozialdemokratische Arbeitsminister. Kirn sah
in den Arbeitsämtern ein Instrument, die sozialen Verhältnisse der Arbeitnehmer zu
verbessern, da bei Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern die Zustimmung des
MAE Nantes, HCS, Cab.Pol., Doss.121, B1.54 f., Grandvat an MAE vom 16.5.52.
66 Ebd., BI.58, Beschluß des Saargrubenrates vom 3.2.52.
67 Bundesarchiv Koblenz (BA KO), Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (B 137), Nr.3455,
"Dingesbericht" (benannt nach seinem Verfasser Karl Dinges) und Bundesminister für gesamtdeutsche
Fragen, Vermerk vom 5.10.55 /III 3074 2210/55.
68 Siehe Abl.1948, S.206, 710. Vgl. auch: LA SB, StK, Nr.1256, "Die staatliche Sozialpolitik im Saarland"
(masch.).
111
Arbeitsamtes eingeholt werden mußte und insbesondere bei Einstellungen die Arbeits-
verträge durch die Arbeitsämter geprüft wurden. Ob man im Saarland von einer akti-
ven Arbeitsmarktpolitik sprechen kann, kann nur eine genauere Analyse im Rahmen
einer Einzelstudie überprüfen, die zudem nach meiner Kenntnis vor erheblichen
Quellenproblemen stehen würde. Ansätze zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik zeigen
sich aber darin, daß z.B. auf offene Stellen vom Arbeitsamt in speziellen Sendungen im
Saarländischen Rundfunk hingewiesen wurde. Zum anderen betonte Richard Kim die
Notwendigkeit, den Arbeitsmarkt zu beobachten. Über die erforderliche Zustimmung
des Arbeitsamtes bei Einstellung und Entlassung strebte der Arbeitsminister an, einen
Überblick über die Fluktuation am Arbeitsmarkt zu gewinnen. Auf Grund der geringen
Arbeitslosigkeit im Saarland69 entstanden beim Landesstock für den Arbeitseinsatz, der
als Körperschaft des öffentlichen Rechtes mit der Verwaltung der Versicherungs-
beiträge beauftragt war, erhebliche Überschüsse, die der Saarwirtschaft bei der Schaf-
fung neuer Arbeitsplätze als Darlehen zur Verfügung gestellt wurden, so im Jahr 1951
ein Betrag von 1,67 Milliarden FRS.70 Auch die Organisationsdichte der Arbeitsämter
beeindruckt. Neben den fünf Arbeitsämtern in Wadern, Saarlouis, Saarbrücken, Neun-
kirchen und St. Ingbert gab es zahlreiche Neben- und Außenstellen.71
Synthese statt Assimilation
Die saarländischen Familienzulagen, die Erhaltung und der Ausbau der Arbeitslosen-
versicherung veranschaulichen, daß Elemente der saarländischen Sozialpolitik als eine
Synthese divergierender sozialpolitischer Traditionen definiert werden können. Wie
kam es dazu? Auch die französische Seite mußte erkennen, daß in einer schwerindu-
striell geprägten Region, in einer Gesellschaft mit hohem Arbeiteranteil zumindest
langfristig eine soziale Absicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit unumgänglich
war. Die Franzosen konnten diese Entwicklung zulassen, indem sie auf eine totale
Assimilation an das französische Familienzulagensystem verzichteten und auf diese
Weise den von den Arbeitgebern an die Familienzulagenkasse abzuführenden Anteil
um 2 Prozent unter der französischen Marge ansetzten. So schufen sie den Spielraum
für die Wiedereinführung der Arbeitslosenversicherung, ohne der saarländischen
Wirtschaft eine höhere Beitragsbelastung zuzumuten, denn sie mußte im Gegensatz zu
den Arbeitgebern in Frankreich zwei Prozent weniger an die Familienzulagenkasse
abführen.72 Die durch den Nationalsozialismus belastete Familienpolitik konnte keine
Schatten werfen, weil das Familienzulagensystem in der öffentlichen Diskussion als
notwendige Annäherung an das französische Lohnsystem verstanden wurde. Ein
69 Die Arbeitslosenquote betrug 1951 2,1 Prozent, siehe: LA SB, Stk. Nr.1256, "Die staatliche Sozialpolitik
im Saarland" (masch.).
70 Ebd.
71 Ebd.
72 Siehe: LA SB, NL Johann Klein, Nr.63, Statistisches Amt des Saaarlandes (Hrsg.), Kurzbericht Nr.V/5
vom 15.4.58.
112
Lohnsystem, das Familienstand und Kinderzahl berücksichtigte, und eine Arbeitslosen-
versicherung, die den Bergbau umfaßte, wirkte wie ein Maßanzug für eine durch die
Montanindustrie geprägte Sozialstruktur mit extrem niedriger Frauenerwerbsquote.
Hier deutet sich an, daß die saarländische Sozialpolitik auf die spezifischen Verhält-
nisse des Landes zugeschnitten wurde. Eine wichtige Beobachtung, die auch für die
politische Akzeptanz der saarländischen Sozialpolitik wie auch für das Problem der
gescheiterten Bewahrung und Übertragung des "sozialen Besitzstandes" auf die Bun-
desrepublik Deutschland im Auge zu behalten ist.
2. Verzahnung saarländischer Reformpolitik mit den Intentionen des Wirtschafts-
partners
Neben einer Synthese divergierender sozialpolitischer Traditionen und Schwerpunkt-
bildungen zeigt sich aber auch eine Verzahnung von sozialpolitischen Vorstellungen
der saarländischen Parteien mit den Neuordnungswünschen der französischen Militär-
regierung.
2.1 Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht.
Bereits im Vorfeld der Sozialversicherungsreform war per Verfügung vom 20. Dezem-
ber 1946 die Sozialversicherungspflicht ohne Rücksicht auf das Jahreseinkommen auf
alle Berufstätigen ausgedehnt worden. Als Beitragsbemessungshöchstgrenze wurden
7.200 RM festgelegt. In Kontinuität dazu wurden im November 1947 alle Vorschriften
der Reichsversicherungsordnung (RVO), des Angestellten- und Knappschaftsgesetzes,
soweit sie die Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung durch eine Jahres-
arbeitsverdienstgrenze beschränkt hatten, aufgehoben. Durch Verfügung Grandvals
vom 23. November 1947 sollten die Beamten in die LVA integriert werden, was jedoch
nicht erfolgte.73 Wer ein bestimmtes Einkommen überschritt, fiel damit nicht mehr aus
der gesetzlichen Sozialversicherung heraus. Dies bedeutete eine Stärkung der gesetzli-
chen Sozialversicherung, da durch den Zugewinn gutverdienender Beitragszahler
positive Auswirkungen für die Einnahmeentwicklung zu erwarten waren. In diesem
Zusammenhang ist aber auf die Beitragsbemessungshöchstgrenze, den Plafond, hin-
zuweisen, der nicht unumstritten war.74
Der Wegfall der Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Sozialversicherung
bedeutete wie die Einführung des Plafonds eine Abkehr von der deutschen Sozial-
versicherungstradition. Diese Entwicklung entsprach der französischen. Die französi-
sche Sozialgesetzgebung zwischen 1944 und 1951 war durch die Ausdehung der
Sozialversicherungspflicht geprägt.75 Diese Charakterisierung gilt auch für die saarlän-
Abl.1947, S.16 und S.19.
74
Verordnung über die Ausdehnung der Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung in der
Kranken-, Renten- und knappschaftlichen Versicherung vom 4.11.47, in: Abl.1947, S.582 und 920.
L a r o q u e, Au Service, S.233.
113
dische Sozialpolitik der Ära Hoffmann, wobei die Ausdehnung der Sozialversiche-
rungspflicht ganz entscheidend durch den saarländischen Minister für Arbeit und
Wohlfahrt Richard Kirn vorangetrieben worden ist. Der stärkere Koalitionspartner
CVP stellte sich ihm dabei nicht in den Weg.76
Da diese Politik eine Anpassung an den größeren Wirtschaftspartner bedeutete, kam
von französischer Seite keine Kritik. Im Gegenteil, der Weg dazu war ja von der
französischen Militärregierung bereits bei der Sozialversicherungsreform 1947 einge-
schlagen worden.77
Durch die Verordnung über Änderungen der Versicherungspflicht in der Kranken-
versicherung vom 2. März 1948 wurde der Paragraph 165 der RVO neu gefaßt.78 Nicht
nur alle gegen Entgelt Beschäftigte, sondern auch Anlernlinge und Praktikanten wur-
den unter den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung gestellt, ebenso auch
Studenten. Hausgewerbetreibende, selbständige Privatlehrer und Musiker, Hebammen
mit Niederlassungserlaubnis, in der Kranken- und Kinderpflege tätige Personen,
Artisten und auch die Arbeitslosen unterlagen der gesetzlichen Krankenversicherungs-
pflicht. Für Arbeitslose war sichergestellt, daß ihnen auch dann die gesetzliche Kran-
kenversicherung zur Seite stand, wenn sie zuvor nicht durch die gesetzliche Kranken-
versicherung abgesichert waren. Der genannte Personenkreis veranschaulicht, wie eng
das Netz der gesetzlichen Krankenversicherung gespannt wurde. Diese Politik orien-
tiate sich am französischen Wirtschaftspartner.79 Frankreich war dafür Vorbild, wie die
jeweiligen Begründungen zu den Gesetzen verdeutlichen, geradezu stereotyp wird in
ihnen auf "ähnliche Entwicklungen in Frankreich" verwiesen.80
Die Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht darf nicht als französischer Import
mißverstanden werden, denn vor allem Gewerkschaftler und Sozialdemokraten identi-
fizierten sich mit dieser Politik und hatten schon 1945 entsprechende Forderungen
erhoben. Die saarländische Seite plante, die Hausfrauenarbeit durch die Aufnahme in
76 Innerhalb des Kabinetts gab es keine Widerstände gegen entsprechende Gesetzentwürfe. Siehe z.B.: LA
SB, StK/KR/MAW/195l/T-2, Gesetz über Änderungen in der Sozialversicherung, Arbeitslosen-
versicherung und Kasse für Familienzulagen.
77 Siehe Kap. I./4 f.
78 Abi.1948, S.318.
79 Vgl. französische Gesetzgebung bei: Saint-Jours, Landesbericht Frankreich, S.238. Die Studenten
wurden durch das Gesetz vom 23.9.48 in die Sécurité Sociale integriert. Auch die freien Schriftsteller:
Gesetz vom 21.4.49.
LA SB, StK/KR/MAW/1950/T-l, Gesetz über die Krankenversicherung der Studenten vom 31.1.50.
Begründung von Arbeitsminister Kim im Schreiben an den Leiter der Präsidialkanzlei vom 25.1.50. Ebd.,
1952/T-1, Direktor für Arbeit und Wohlfahrt, Heinrich Welsch, an Präsidialkanzlei vom 4.1.52. Gesetz über
Änderungen in der Sozialversicherung und des Mutterschutzgesetzes vom 2.2.52.
114
die Sozialversicherungspflicht als tatsächliche Berufsarbeit anzuerkennen.81 Im Ar-
beitsministerium wurde sogar überlegt, die Versicherungspflicht auf die Zeitungsaus-
träger auszudehnen. Einige Kreisversicherungsanstalten hatten die Arbeitgeber von
Zeitungsausträgern an ihre Sozialversicherungspflicht erinnert, da es sich um gegen
Entgelt beschäftigte Arbeitnehmer handelte. Dies rief den Widerspruch der Zeitungs-
verleger hervor.82
1954 wurden die Landwirte und ihre mithelfenden Familienangehörigen in der Invali-
denversicherung sozialversicherungspflichtig, soweit sie das 16. Lebensjahr vollendet
und das 60. noch nicht überschritten hatten. Ein halbes Jahr später, im Januar 1955,
wurden alle auf den Hüttenwerken beschäftigten Arbeiterinnen in die hüttenknapp-
schaftliche Pensionsversicherung einbezogen.83 Mit der Ausdehnung der Sozialversi-
cherungpflicht sollten nicht nur günstigere Risiken für die gesetzliche Sozialversiche-
rung gewonnen werden. Wenn beispielsweise Personen, die für ihre spätere Berufsaus-
bildung ein Praktikum leisteten und dafür kein Entgelt erhielten, oder Studenten der
gesetzlichen Krankenversicherungspflicht unterlagen, kann dies als sozialstaatliche
Politik charakterisiert werden, weil der Staat im Sinne einer sozialen Absicherung
intervenierte. Private Krankenversicherungen mit kommerziellen Zielen haben an
Personen ohne und mit geringem Verdienst traditionell wenig Interesse.
Die Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht stieß im Saarland weder auf größere
Proteste noch weckte sie Revisionsbestrebungen. Ein Erklärungsansatz ist darin zu
sehen, daß in einem Land mit einem relativ schwach ausgeprägten selbständigen
Mittelstand die klassischen Opponenten gegen eine solche Politik kein Gewicht hatten;
ein Aspekt, da-ja auch beim Vergleich zu den Reaktionen auf die Sozialversicherungs-
reform zwischen dem Saarland und der französischen Zone deutlich geworden ist.
Hier zeigt sich, daß die französischen Neuordnungsvorstellungen der saarländischen
Seite die Möglichkeit gaben, ihre Sozialpolitik auf die Sozialstruktur des Landes
auszurichten, was auch die Gleichstellungspolitik in der Rentenversicherung verdeut-
licht.
Ebd., Amt für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten (AA), Nr.910, "Die besonderen
Frauenfragen des Saarlandes" (masch.).
82 Ebd., Ministerium für Arbeit und Sozialordnung (Mif AS), Bü.8, Vereinigung der Zeitungsverleger des
Saarlandes an die Regierung des Saarlandes vom 14.9.49:"Daß es auch ohne Zeitungsträger geht, beweist
das Beispiel Frankreich, wo diese Einrichtung überhaupt unbekannt ist. Die etwa 1.000 Zeitungsträger des
Saarlandes mögen sich dann bei der LVA bedanken, die aus Bürokratismus und mangelndem Verständnis
für die tatsächliche Lage es verstanden hat, ihnen ihre bisherige Einnahmequelle gänzlich abzuschneiden".
83 Abi. 1954, S.834 und Abl.1955, S.173.
115
2.2 Egalitätspolitik in der Rentenversicherung
Im Sommer 1951 gestaltete die saarländische Regierung mit dem Gesetz über Ver-
besserungen in der Invaliden- und Angestelltenversicherung ein großes Reformwerk.84
Seine fortschrittlichen Bestimmungen wurden durch das Saarknappschaftsgesetz auch
auf die Bergleute ausgedehnt.85 Der innovative Charakter des Gesetzes lag vor allem in
der Anpassung und Vereinheitlichung des Leistungsrechts. Die bisherigen Unter-
schiede für Angestellte und Arbeiter in der Rentenversicherung fielen weg. Gleich-
zeitig wurde damit die Zweiteilung der gesetzlichen Rentenversicherung, die Klassen-
unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten akzentuierte, beendet. Das Hohe
Kommissariat würdigte in einem internen Schreiben das Gesetz mit den Wörtern
"excellente" und "souhaitable" und unterstützte die gesellschaftspolitische Richtung
dieser Reformen, weil sie auch eine gewisse Annäherung an die französische Gesetz-
gebung, z.B. was die vorgesehene Herabsetzung des Rentenalters betraf, bedeuteten.
Vor allem wurde aber in der Egalisierung von Arbeitern und Angestellten in der
Rentenversicherung eine Entfernung von der deutschen Sozialversicherungstradition
gesehen, die ausdrücklich begrüßt wurde.86 Den saarländischen Sozialpolitikern von
CVP und SPS ging es aber darum, die unsoziale Zweiteilung der deutschen Renten-
versicherung zu überwinden.
2.2.1 Historischer Rückblick
Ein Rückblick auf die Entwicklung und Struktur der Rentenversicherung vor 194587 ist
notwendig, um die Qualität der saarländischen Rentengesetze vom Juli 1951 bewerten
zu können.
Unsoziale Zweiteilung der deutschen Rentenversicherung
Das Angestelltenversicherungsgesetz des deutschen Kaiserreiches aus dem Jahre 1911
betonte die soziale Ungleichheit. Arbeiter und Angestellte wurden hinsichtlich ihrer
Ansprüche an die gesetzliche Sozialversicherung nicht gleich behandelt. Die Alters-
grenze in der RentenVersicherung betrug für Angestellte 65, für Arbeiter aber 70 Jahre,
84 Gesetz über Verbesserungen in der Invaliden- und Angestelltenversicherung vom 11.7.1951, in: Abi,
1951, S.1123, 1380.
85 Vgl. Saarknappschaftsgesetz vom 11.7.51, in: Abi. 1951, S.1099f.
MAE Nantes, HCS, MJ./Q.S., J I 2, Miss. Dipl, vom 10.3.52. Note à l'attention de Monsieur le chef du
service juridique. Ebd., Mission Juridique/ Questions Economiques (M.J./Q.E.), E VI 4/ E VI 5, Exposé
(masch.) mit dem Titel 'Quel est le problème' betreffend die Rentengesetze vom Juli 1951 ohne Verfasser-
und Datumsangabe: "(...) ces textes contiennent par ailleurs des dispositions excellentes, souhaitables
même rapprochement notamment du régime des pensions ouvriers et employés conforme à la justice et
éloignant le droit sarrois du droit allemand".
87 Zu den Anfängen der Rentenversicherung in Frankreich und der Rezeption der deutschen Alters- und
Invalidenversicherung siehe: Karen Schiedewind, Soziale Sicherung im Alter. Nationale Stereotypen
und unterschiedliche Lösungen in Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in:
Francia 21/3 - 1994, S.29-49.
116
obwohl sie in der Regel einer stärkeren körperlichen Belastung ausgesetzt waren. Die
Rentenberechnung in der Angestelltenversicherung war so gestaltet, daß im Vergleich
zur Invalidenversicherung bei ähnlichem Einkommensniveau und gleichen Beitrags-
zeiten höhere Rentenleistungen erzielbar waren. Ungleich war auch die Frage der
Invalidität geregelt. Für Arbeiter war sie im Falle einer Minderung der Erwerbsfähig-
keit (MdE) von 66 2/3 Prozent erreicht, bei Angestellten aber schon mit 50 Prozent
MdE. Dieser Unterschied wirkte sich für Arbeiter deshalb noch ungünstiger aus, weil
in der Rechtspraxis bei der Messung ihrer Erwerbsunfähigkeit der allgemeine Arbeits-
markt herangezogen wurde, auf dem sich schon eher eine noch zumutbare Arbeit
finden ließ. Bei den Angestellten dagegen war für die Prüfung der Berufsunfähigkeit
nur der spezifische Berufskreis maßgebend.88
Die Wurzeln für diese Unterschiede liegen in dem im ausgehenden 19. Jahrhundert
beginnenden Abgrenzungsstreben der Angestellten von den Arbeitern. Nach öster-
reichischem Vorbild wurden im Kaiserreich Forderungen nach einer gesonderten
Angestelltenversicherung erhoben. Die Forschung erklärt die erfolgreichen Bestrebun-
gen zur Einführung der Angestelltenversicherung damit, daß die bürgerlichen Parteien
in ihr ein Kernelement einer Mittelstandspolitik sahen, durch die eine Solidarisierung
von Arbeitern und Angestellten verhindert bzw. die Arbeiterschaft durch eine Separie-
rung von den Angestellten politisch neutralisiert werden sollte. Neben der Sonder-
stellung der Angestellten in der Sozialversicherung genossen sie auch günstigere
Regelungen im Arbeitsrecht.89 Gegen dieses Erklärungsmodell wendet sich Michael
Prinz, der u.a. auf das Selbstbewußtsein der Angestelltenlobby, ihre parlamentarischen
Verbindungen und insbesondere auch auf ihr "virtuos publizistisches Können" zur
Durchsetzung ihrer Interessen verweist.90 In Anlehnung an Gerhard Ritter bezieht er
sich auf die "Schrittmacher-These", wonach der Vorsprung in der Angestelltenversi-
cherung Verbesserungen in der Invalidenversicherung erst möglich gemacht habe.91
88 Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen, S.91-93. Ders., Sicherung im Alter, in: Werner Conze
und M. Rainer Lepsius (Hrsg.), Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum
Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983, S.302-304, 307.
Wolfgang Hromodka, Zur Rechts- und Sozialgeschichte der Großgruppen der Arbeiter und Ange-
stellten, in: Ders. (Hrsg.), Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten, Heidelberg 1989, S.23. Vgl. ders.
zur Begriffsdifferenzierung von Arbeitern und Angestellten, in: Ebd., S.15-17. Hans-Ulrich W e h 1 e r, Das
Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Göttingen 1973, S.77.
90
Michael Prinz, Die Arbeiterbewegung und das Modell der Angestelltenversicherung, in: Klaus
Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S.445.
91
Gerhard A, R i 11 e r, Soziale Sicherheit in Deutschland und Großbritannien von der Mitte des 19.
Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg. Ein Vergleich, in: Geschichte und Gesellschaft (GG) 13/ 1987,
S.146.
117
Große Unterschiede bei den Witwen
Besonders groß waren die Unterschiede in der Witwen Versorgung. Der wilhelminische
Reichstag glaubte, es einer Angestelltenwitwe grundsätzlich nicht zumuten zu können,
nach dem Tode des Ehemannes eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Ihr wurde die
Witwenrente ohne besondere Vorbedingungen gewährt.92 Im Gegensatz dazu mußte
eine Arbeiterwitwe eine Vielzahl von Voraussetzungen erfüllen, um Witwenrente zu
erhalten. Erst im Falle einer bestimmten Altersgrenze, so nach Vollendung des 65.
Lebensjahres oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 66 2/3 Prozent, erhielt
sie eine Witwenrente aus der Invalidenversicherung.93 Außerdem konnte die Angestell-
tenwitwe im Falle der Wiederverheiratung eine Abfindung beantragen, die das Dreifa-
che eines Jahresbetrages ausmachen konnte. Innerhalb der Geschichte der deutschen
Sozialversicherung markierte das Angestellten Versicherungsgesetz einen erheblichen
sozialen Fortschritt insofern, als vom Familienvorstand erworbene Ansprüche ohne
Einschränkung auf die Angehörigen übertragen wurden,94 zugleich stand es aber auch
für eine eklatante Ungleichbehandlung, denn für Arbeiterwitwen galten diese Rechte
nicht. Für sie blieb die soziale Situation seit der industriellen Revolution schwierig,
meist war es ein Leben in der Not.
Verschärfung durch Brünings Deflationspolitik
Die soziale Ungleichheit wurde gegen Ende der Weimarer Republik durch die Brü-
ningsche Deflationspolitik noch verstärkt, weil sie die Leistungsbezieher der Invaliden-
versicherung in höherem Maße traf. Sozialpolitisch markieren die Notverordnungen
innerhalb der Sozialpolitik der Weimarer Republik einen Rückschritt, da der gesetz-
geberische Impetus von der Sozialpflichtigkeit des Staates auf das Fürsorgeprinzip
gelenkt wurde.95
Aspekte zur NS-Rentenpolitik
Über die Sozialpolitik im NS-Staat hat sich erst in jüngster Zeit ein Historikerstreit
entwickelt. Michael Prinz und Rainer Zitelmann vertreten die These, daß der Na-
tionalsozialismus eine Modernisierung in der Sozialpolitik bewirkt habe. Dabei ver-
weist Prinz u.a. auf die Nivellierung und Egalisierung von Arbeitern und Angestellten
im Sozial- und Arbeitsrecht.96
92
Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen, S.93.
93 UUJ
Ebd.
94
Prinz, Die Arbeiterbewegung, S.438-440.
95
T e p p e, Zur Sozialgeschichte, S.204.
96 Michael P r i n z, Die soziale Funktion moderner Elemente in der Gesellschaftspolitik des
Nationalsozialismus, in: Ders. und Rainer Zitelmann (Hrsg.), Nationalsozialismus und Modernisierung,
Darmstadt 1991, S.297-328, insbesondere S.307, 325-327. Ders,, 'Sozialpolitik im Wandel der
Staatspolitik ? - Das Dritte Reich und die Tradition bürgerlicher Sozialreform, in: Rüdiger vom Bruch
(Hrsg.), Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz
118
Gegen die Modernisierungsthese wurden Bedenken erhoben.97 Beide Historiker gehen
unwissenschaftlich mit dem Begriff "modern" und "Modernisierung" um, sie de-
finieren ihn nämlich ungenügend und neigen dazu, in ihrer Beurteilung den Kontext
nationalsozialistischer Eroberungs-, Kriegswirtschafts- sowie Rassenpolitik auszublen-
den und die sozialpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Deutschen Arbeitsfront
(DAF) zu überschätzen. Vor allem verzichten sie auf eine für die Bewertung der
Sozialpolitik des "Dritten Reiches" notwendige Differenzierung der Entscheidungs-
träger, denn zahlreiche, vor allem fortschrittliche Maßnahmen wie z.B. die Kranken-
versicherung für Rentner, können nicht allein der nationalsozialistischen Politik zu-
geschrieben werden, sondern der alten Ministerialbürokratie und ihren Eliten, die Prinz
und vor allem Zitelmann aber weitgehend ausblenden.98 Außerdem zeigt sich hinsicht-
lich der Pläne der DAF eine gewisse inhaltliche Kontinuität zu Weimar, die in der
Beurteilung berücksichtigt werden müßte.99 Eine weitere Schwäche besteht darin, daß
Zitelmann und Prinz unkritisch der nationalsozialistischen Propaganda erliegen und
zwischen ihr und der realen Veränderung zu wenig differenzieren. Hier ist auf Karl
Dietrich Brachers These von der "verbalen Sozialrevolution" zu verweisen100, die
regionalgeschichtlich am Beispiel des saarländischen Industriereviers durch die Arbeit
von Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul transparent wird.101 Die von Prinz
herausgestellte Gleichstellungspolitik von Arbeitern und Angestellten im "Dritten
Reich" ist aber insofern ein interessanter Befund, als sie die Sensibilität der NS-Politik
gegenüber Stimmungen in der Bevölkerung und ihre politische Instrumentalisierung
andeutet, in diesem Fall die Unzufriedenheit hinsichtlich der Privilegierung der Ange-
stellten gegenüber den Arbeitern. Im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer
Republik hatte diese Privilegierung nicht zuletzt auch durch eine besonders weite
Definition des Angestelltenbegriffs bei den Arbeitern zu Unmut geführt, da "Bürodie-
ner" gegenüber Facharbeitern Vorteile aus ihrem Angestelltenstatus ziehen konnten.
Auch im "Dritten Reich" kam es nicht zu einer Gleichstellung von Arbeitern und
Angestellten in der Rentenversicherung.102 Unabhängig von der Modernisierungsfrage
bis zur Ära Adenauer, München 1985, S.219-239, insbes. S.234-239.
97
Stellvertretend seien genannt: Jens Alber, Nationalsozialismus und Modernisierung, in: Kölner Zeit-
schrift für Soziologie und Sozialpsychologie 41/1989, S. 346-365, insbesondere S.353. Hans Mommsen,
Naüonalsozialismus als vorgetäuschte Modernisierung, in: Walter H. Pehle (Hrsg.), Der historische Ort des
Nationalsozialismus. Annäherungen. Frankfurt a.M. 1990, S.31-46. Nobert Frei, Wie modern war der
Nationalsozialismus?, in: GG 19/1993, S.367-387.
Siehe dazu schon bei T e p p e, Zur Sozialpolitik, S.231-233, 235-237. R e c k e r, Sozialpolitik im
Dritten Reich, S.263-267,
99
Frese, Sozial- und Arbeitspolitik, S.438.
100
Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus,
Köln u.a.O. 1969, S.367.
Klaus-Michael M a 11 m a n n und Gerhard Paul, Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten
Reich. Bonn 1991, S.159-163.
102
Prinz, Die Arbeiterbewegung, S.446, 450-453.
119
bleibt aber festzuhalten, daß während der NS-Zeit insbesondere im Bereich der Knapp-
schaftsversicherung durch die Neuregelung vom Oktober 1942 das knappschaftliche
Versicherungsrecht vereinheitlicht wurde. Die bestehende Doppelversicherung der
Bergarbeiter in der knappschaftlichen Pensionsversicherung und in der allgemeinen
Invalidenversicherung wurde beendet.103
2.2.2 Saarländische Rentenreform
Die saarländische Sozialpolitik setzte in der Rentenversicherung eine Zäsur, weil durch
die Sozialgesetze von 1951 im Saarland die eben genannten Unterschiede zwischen
Arbeitern und Angestellten beseitigt wurden. Daneben wurde die Altersgrenze auf das
vollendete 60. Lebensjahr abgesenkt, dies galt sowohl für die Invaliden- als auch für
die Angestelltenversicherung, also für Arbeiter wie für Angestellte.
Verbesserungen für die Witwen
Besonders für die Witwen brachten die Rentenreformgesetze104 spürbare Verbesserun-
gen. Die Brüning' sehen Notverordnungen (§ 1279 RVO) wurden außer Kraft gesetzt,
wonach der eigene Rentenanspruch einer Witwe mit dem Anspruch auf Witwenrente
aus dem Versicherungsverhältnis des verstorbenen Ehemannes so verrechnet wurde,
daß die niedrigere Rente ruhte oder nur zur Hälfte ausgezahlt wurde. Vor allem wurden
aber die Witwen der Invalidenversicherung mit denen der Angestelltenversicherung
gleichgestellt. Dies bedeutete einen erheblichen sozialen Fortschritt, denn die restrikti-
ven Bedingungen für die Gewährung der Witwenrente aus der Invalidenversicherung
fielen weg. Die strukturellen Veränderungen waren dazu mit einer Leistungsver-
besserung gekoppelt. Witwen erhielten danach für drei Monate nach dem Tod des
Ehemannes eine sogenannte Gnadenrente, die voll der Höhe der Emährerrente, also der
Rente des verstorbenen Ehemannes, entsprach, ab dem vierten Monat betrug die
Witwenrente dann 60 Prozent der sogenannten Ernährerrente. Im Falle der Wieder-
verheiratung wurde die Abfindungsregelung großzügiger gestaltet. Während bisher nur
der Jahresbetrag der Witwenrente als Abfindung gezahlt wurde, erhielten Witwen jetzt
das Dreifache des Jahresbetrages.
'Witwenpolitik' als Paradigma einer auf das Saarland zugeschnittenen Sozialpolitik
Die Berücksichtigung der Witwen ist ein zentrales Element saarländischer Sozialpolitik
zur Hoffmann-Zeit. Sie verfolgte das Ziel, den spezifischen Verhältnissen des Landes
sozialpolitisch gerecht zu werden. Dies zeigt sich nicht nur in dem großen Rentenre-
Marie-Luise Recker, Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1985,
S.215. Siehe auch: Johann Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung unter besonderer
Berücksichtigung der Knappschaftsversicherung, Bischmisheim 1965, S.314.
104 Gesetz über Verbesserungen in der Invaliden- und Angestelltenversicherung vom 11.7.51, in; Abl.1951,
S.1123, 1380. Saarknappschaftsgesetz vom 11,7.51, in: Ebd., S.1099.
120
formwerk vom Juli 1951, sondern auch in der Kriegsopferversorgung105 oder in der
Unfallversicherung. Wie ist dieser Befund sozialpolitisch zu bewerten?
Die bisher gültige Rentenversicherungsregelung bedeutete für viele Arbeiterwitwen
einen sozialen Absturz, insbesondere dann, wenn noch Kinder zu versorgen waren.
Arbeiterwitwen befanden sich oft in einer Notsituation und waren zur Sicherung des
Lebensunterhaltes darauf angewiesen, sich entweder wiederzuverheiraten oder eine
Arbeit zu suchen. Es erscheint deshalb wenig sinnvoll, die Aufwertung der Witwenren-
te als gesellschaftspolitisch konservativ zu charakterisieren, weil sie das Arbeitsplatz-
interesse der Witwe schmälere und Frauen vom Arbeitsmarkt letztlich femhalte.106
Das auffällige Engagement der saarländischen Sozialpolitik für die Witwen ist Aus-
druck einer speziell auf die Sozialstruktur des Landes zugeschnittenen Politik. In einer
schwerindustriell geprägten Region war es für Frauen ungleich schwieriger, einen
Arbeitsplatz zu bekommen. Besonders anschaulich wird dies, wenn man die Arbeits-
platzverhältnisse im Bergbau und in der Eisen schaffenden Industrie geschlechtsspezi-
fisch differenziert. Im April 1953 standen 66.778 männlichen Arbeitskräften im
Bergbau 953 weibliche gegenüber, die meist unattraktive Beschäftigungen, wie z.B.
Putztätigkeiten, ausübten. Ähnlich verhielt es sich auf den Hütten, hier fanden 1.241
Frauen, aber 38.310 Männer Arbeit. Im Saarland kamen auf 1.000 Beschäftigte 112
Frauen, in der Bundesrepublik waren es dagegen immerhin 176.107 Diese Zahlen
verdeutlichen, daß die von Mallmann und Paul angesichts des Eindringens von Frauen
in Männerberufen unterstellte ModernisierungsWirkung des "Dritten Reiches" zu wenig
vor den Zwängen der NS-Kriegswirtschaft problematisiert wird, da sich die Verhält-
nisse nach dem Zweiten Weltkrieg denen der Vorkriegszeit in diesem Punkt wieder
annäherten.108
Richard Kirn wies immer wieder auf die für Frauen ungünstige Arbeitsmarktstruktur
hin. Den französischen Einwänden, die Witwenrenten im Saarland dürften sich nicht zu
weit vom französischen Niveau entfernen, trat er schon bei den Witwenrenten aus der
Kriegsopferversorgung entschieden mit dem Hinweis auf die schwierigen Verhältnisse
im Saarland entgegen.109 Der Hohe Kommissar blieb von Kirns Plädoyer nicht unbe-
eindruckt. Sein Abweichen von der Position des Quay d’Orsay, die Witwenrenten im
Saarland dürften nicht über den französischen liegen, begründete er mit der besonderen
Sozialstruktur des Saarlandes.110 Er machte sich damit die Argumentation Kirns zu
105 Siehe Kap. IV./3.5
106 Allgemein dazu: Preller, Präzis und Probleme der Sozialpolitik, 2.Hb., S.429.
107
LA SB, AA, Nr.910, "Die besonderen Frauenfragen des Saarlandes" (masch.).
M a 11 m a n n und Paul, Herrschaft und Alltag, S.36.
109 LTS DS 1/24, Niederschrift zur Sitzung vom 23.6.48.
110 MAE Paris, Z-Europe, Sous S. Sarre, Doss.65, BI.94 f., Grandval an MAE vom 14.12.48.
121
eigen. Es erscheint nicht übertrieben, Kirn als "Anwalt der Witwen" zu titulieren. In
Frankreich war der Arbeitsmarkt für Frauen strukturell günstiger. Der Dienstleistungs-
sektor war dort in den fünfziger Jahren stärker entwickelt, und wesentlich mehr Frauen
als in Deutschland gingen einer außerhäuslichen Arbeit nach.111
Die saarländische Regierung versuchte die Arbeitsplatzchancen für Frauen zu ver-
bessern112, indem sie Darlehen an Betriebe der Nahrungs-, Genußmittel-, Bekleidungs-
und Metallindustrie mit der Auflage vergab, Arbeitsplätze für Frauen und Schwer-
beschädigte zu schaffen. Sozialpolitisch hielt man dies für dringend geboten, weil es
relativ viele Frauen gab, die ihren Lebensunterhalt allein verdienen mußten. Der Anteil
der Frauen an der Gesamtzahl der Beschäftigten betrug im Oktober 1952 19,7 Prozent.
Typische Frauenarbeitsplätze boten vor allem das Putzgewerbe und der häusliche
Dienst. Im industriellen Bereich gab es Frauenarbeitsplätze in größerer Zahl vor allem
in der Keramikindustrie bei Villeroy & Boch und im Textilgewerbe, hier arbeiteten
mehr Frauen als Männer. Daneben waren Frauen bevorzugte Arbeitskräfte im unteren
Einkommenssegment des Dienstleistungsgewerbes, vor allem im Gaststättenbereich.113
Frauen waren dazu als Schreibkräfte in Büros ausgesprochen begehrt. In diesen Berei-
chen konnte auf sie nicht verzichtet werden.114 Dennoch blieb die geschlechtsspezi-
fische Benachteiligung, wie die Arbeitslosenstatistik verdeutlicht, bestehen, denn die
Arbeitslosenquote der Frauen war höher als die der Männer.115 Diese Situation wurde
z.B. von inoffiziell operierenden Stellen Vermittlern ausgenutzt, die insbesondere junge
Frauen unter Umgehung des Arbeitsamtes und damit illegal in die Schweiz vermittel-
ten. Für die betroffenen Saarländerinnen war es dann sehr schwer, sich ohne Schaden
aus diesen oft mit nachteiligen Verpflichtungen verbundenen Arbeitsverhältnissen zu
lösen. Da das Saarland keine außenpolitische Souveränität genoß und damit keine
diplomatischen Vertretungen hatte, mußten die Betroffenen Hilfe bei einem französi-
schen Konsulat in der Schweiz suchen.116 Ein weiteres Problem, das auch in der Bun-
desrepublik zu beobachten war, bestand darin, daß sowohl öffentliche als auch private
Arbeitgeber Frauen ab 30 Jahre als "alt" einstuften und bei Einstellungen in klassischen
Frauenberufen wie Sekretärin oder Stenotypistin benachteiligten. In dieser Frage
engagierten sich der Gesamtverband der Christlichen Gewerkschaften und das Frauen-
K a e 1 b [ e , Frankreich und die Bundesrepublik, S.227.
112
Siehe allgemein zu diesem Themenkomplex: Klaus-Jörg R u h 1, Verordnete Unterordnung. Berufstätige
Ftauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit, München 1994.
113 LA SB, AA, Nr.910, "Die besonderen Frauenfragen des Saarlandes" (masch.).
114
Rita Meyer, Samsons brauchen Selbstvertrauen soviel nötiger als Brot!" Wie die Männer der
fünfziger Jahre wieder "Samsons" zu werden versuchten, in: Klaus-Michael Mallmann u.a. (Hrsg.), Richtig
daheim waren wir nie, Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955, Berlin u.a.0.21988, S.229.
115
LA SB, AA, Nr.910, "Die besonderen Frauenfragen des Saarlandes" (masch.).
116 Ebd., StK, Nr.3187, "Die Regierung des Saarlandes spricht", SR-Interview mit Minister Kirn vom
12.1.49.
122
amt der Regierung des Saarlandes. Beide forderten einen Gesetzentwurf analog zur
Deutschen Angestelltengewerkschaft, der wie das Schwerbeschädigtengesetz eine
Pflichtquote von älteren weiblichen Arbeitskräften, das hieß Arbeitskräften ab 30
Jahren, vorschreiben sollte.117
Die Bemessung der Witwenrenten verdeutlicht, daß die saarländische Rentenpolitik die
ungünstigen Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt einer schwerindustriell ge-
prägten Region kompensieren sollte. Dies wird vor allem daran deutlich, daß im
Vergleich zur ehemaligen DDR und zur Bundesrepublik im Saarland die Renten vor
allem für jüngere Witwen unter 45 Jahren deutlich höher lagen. In der Alterspyramide
der weiblichen Bevölkerung des Saarlandes bildeten Frauen zwischen 20 und 45
Jahren mit 38,4 Prozent die stärkste Gruppe.118
In der DDR wurden vor dem Flintergrund des kontinuierlichen Verlustes von Arbeits-
kräften Witwenrenten Anfang der fünfziger Jahre teilweise ganz gestrichen, um noch
arbeitsfähige Witwen zur Berufstätigkeit zu aktivieren.119 Unbefristet wurde Witwen-
rente nur dann gezahlt, wenn die Witwe die Altersgrenze erreicht hatte oder eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit von 66 2/3 Prozent vorlag. Vor allem zu Beginn der
fünfziger Jahre wurden die Ärztekommissionen angewiesen, bei Witwen die Arbeits-
unfähigkeitsprüfung besonders streng durchzuführen, das Ziel hieß Reduktion der
Rentenzahlungen und Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen.120
Die gegensätzliche Problemlage des Arbeitsmarktes evozierte also eine ganz andere
Rentenpolitik. In der DDR galt hier sozusagen der Primat der Arbeit, wobei auch die
finanziell angespannte Situaüon der Rentenversicherung eine Rolle spielte. Im Saarland
sollte zugleich die großzügig geregelte Rentenabfindung bei Wiederverheiratung als
Impuls wirken, sich wieder für den Bund der Ehe zu entscheiden und sich vom Ar-
beitsmarkt zurückzuziehen, was allerdings für die Frauen nicht gerade einfach war, da
infolge der Kriegsverluste das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in der Alters-
gruppe von 20 bis 45 Jahren 1 zu 1,3 betrug.121 Die relativ hohe Rentenabfindung sollte
auch ein Anreiz sein, die sogenannten Onkel-Ehen aufzugeben.122
117
Ebd., Stk, Nr.2105, Gesamtverband Christi. Gewerkschaften an Regierung des Saarlandes vom 2.3.51.
Antrag des Frauenamtes bei der Regierung des Saarlandes vom 9.3.51.
118
Ebd., AA, Nr.910, "Die besonderen Frauenfragen des Saarlandes" (masch.).
119
Hans Günter H o c k e r t s, Grundlinien und soziale Folgen der Sozialpolitik, in: Hartmut Kaelble,
Jürgen Kockaund Hartmut Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S.532.
Johannes F r e r i c h und Martin Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland,
Bd.2, Sozialpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik, München 1993, S.334. Siehe außerdem:
Michael Schmidt, Das System der Rentensicherung in der ehemaligen DDR, in: Arbeit und Sozialpolitik
Nr.5/6-45/1991, S.15.
121
LA SB, AA, Nr.910, "Die besonderen Frauenfragen des Saarlandes" (masch.).
Unter einer Onkel-Ehe verstand man das Zusammenleben von Mann und Frau in "wilder Ehe", damit
die Frau weiter Witwenrente beziehen konnte. Siehe auch: LA SB, StK, Nr. 1652.
123
Gleichzeitig befriedigte eine solche Politik konservative katholische Wertvorstellungen
über die Rolle der Frau in der Familie, denn diese beeinflußten die saarländische wie
die bundesdeutsche Gesellschaft.123
Das 1950 eingerichtete Frauenamt, das von Dr. Hedwig Behrens (CVP) geführt wurde,
war ein Versuch, entsprechenden Entwicklungen in der Bundesrepublik nicht nach-
zuhinken. Dabei ging die Initiative, im Saarland ein Frauenamt aufzubauen, von den
Frauen selbst aus. Im Juli 1950 wandten sich 13 überwiegend konfessionell ausge-
richtete Frauenverbände an Ministerpräsident Hoffmann mit einer entsprechenden
Bitte.124
Im übrigen waren die Witwen auch Wähler, und ihre gesellschaftliche Bedeutung war
nach 1945 generell gewachsen, insbesondere im Saarland war der Anteil der Empfän-
ger von Witwen- und Waisenrenten höher als in der Bundesrepublik. So war der
Witwenanteil der saarländischen Bevölkerung von 4,4 Prozent im Jahre 1927 auf 7,4
Prozent in 1951 gestiegen.125 Fast 47 Prozent der von der Saarknappschaft gezahlten
Renten entfielen auf Witwen (33,9 Proz.) und Waisen (12,8 Proz.), bei der Ruhrknapp-
schaft dagegen betrug der Anteil der Witwenrenten nur 28,2 Prozent und der der
Waisenrenten 8,6 Prozent.126 Die Lebenserwartung der Witwen war im Vergleich zum
Kaiserreich gestiegen, aber vor allem gab es mehr Witwen, darunter viele junge, und
gerade sie litten materiell unter den alten restriktiven Regelungen und wurden in ihrer
Lebensgestaltung durch die Anforderungen eines schwerindustriell dominierten
Arbeitsmarktes eingeschränkt.127
Trotz dieser günstigeren saarländischen Gesetzgebung gilt auch für die Witwen, daß
ihre Lebenssituation wie auch die alleinstehender Frauen nach 1945 grundsätzlich
schlechter war als für andere Bevölkerungsgruppen. Dies begann, wie Rita Gehlen
anschaulich beschreibt, bei der Zuteilung von Wohnraum. Die Kaufkraft alleinstehen-
der Frauen erlaubte meist nur ein Wohnen zur Untermiete. Überhaupt eine Wohnung
als junge ledige oder als verwitwete Frau zu bekommen, war extrem schwer, da Frauen
durch Waschen und Kochen mehr Gas, Wasser und Strom verbrauchten als Männer,
und die Hauswirtin an ihnen nichts verdienen konnte.128
Siehe Kap, IV./l und 2
124 LA SB, StK, Nr.2103, entspr. Schreiben an J. Hoffmann vom 24.7.50.
125
Anton Merz, Die Entwicklung der saarländischen Bevölkerungs- und Sozialstruktur, in: Klaus
Altmeyer u.a. (Hrsg.), Das Saarland, Saarbrücken 1958, S.708.
LA SB, MifAS, Bd.34, Statistische Angaben der Ruhrknappschaft-Saarknappschaft vom 5.5.56.
Josef M o o s e r, Abschied von der 'Proletarität'. Sozialstruktur und Lage der Arbeiterschaft in der
Bundesrepublik in historischer Perspektive, in: Werner Conze und M. Rainer Lepsius (Hrsg.),
Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983,
S.149, 165.
Rita Gehlen, Von einer menschenunwürdigen Unterbringung kann hier keine Rede sein'. Zur
sozialen Problematik der Wohnsituation im Saarbrücken der Nachkriegszeit, in: Von der 'Stunde 0' zum
Tag X. Das Saarland 1945-59. Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im
124
Verbesserungen für die Waisen
Ein weiteres Beispiel für den hohen sozialpolitischen Leistungsstandard waren die
Regelungen für die Gewährung von Waisenrente. Der saarländische Gesetzgeber
berücksichtigte dabei die sozial Schwächeren der Gesellschaft und dehnte den Kreis
der Bezieher von Waisenrenten auch auf Stief-, Pflege- und Enkelkinder aus, sofern
kein Rentenanspruch des leiblichen Vaters bestand, und der Versicherte den überwie-
genden Lebensunterhalt des Kindes getragen hatte.
Um mehr Chancengleichheit im Bereich der Ausbildung zu erreichen, wurde der Bezug
von Waisenrente über das 18. Lebensjahr hinaus bis zur Vollendung des 24. Lebens-
jahres möglich. Für die Betroffenen konnten so Nachteile in der Schul- und Berufsaus-
bildung abgefedert werden. Bei körperlichen und geistigen Gebrechen erfolgte die
Zahlung von Waisenrente auch über das 24. Lebensjahr hinaus.
Die Sozialgesetze vom Juli 1951 verdeutlichen die Verzahnung der Neuordnungs-
konzepte der saarländischen Regierung mit den politischen Intentionen des Wirt-
schaftspartners. Sie bescherten Tausenden von Rentenbeziehern sofort Verbesserun-
gen. Die Gruppe, die in besonderem Maße von dieser Politik profitierte, waren die
Witwen. Allein 9.137 Witwen war der Bezug von Witwenrente aus der Invaliden-
versicherung unmittelbar nach Wegfall der bisherigen Voraussetzungen möglich.129 Die
Verbesserungen in der Rentenversicherung erhärten die These, daß die saarländische
Sozialpolitik gezielt auf die Bedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung zugeschnitten
wurde. In einem Milieu von Kumpeln und Hüttenarbeitern wogen die Interessen der
Arbeiter stärker als die der Angestellten. Angesichts der Arbeitsmarktstruktur war die
soziale Intervention insbesondere für Witwen ebenso stärker gefordert wie für junge
Menschen, die ihren Ernährer bei der gefahrvollen Arbeit unter Tage oder am Hoch-
ofen relativ schnell verlieren konnten.
Sozialer Vorsprung gegenüber der Bundesrepublik
Zur Einschätzung und Bewertung des sozialpolitischen Leistungsstandards der saarlän-
dischen Rentenpolitik erscheint es sinnvoll, sie mit den Verhältnissen anderer Länder
zu vergleichen. Dies ist auch notwendig, um die kollektive Erinnerung an die “'Errun-
genschaften der saarländischen Sozialpolitik" zu verifizieren.130
Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg. vom Stadtverband Saarbrücken, Merzig 1990, S.70 f.
129 LA SB, StK/KR/MAW/1951/T-2, Vorgang zum Gesetzentwurf über Verbesserung in der Inva-
lidenversicherung.
Siehe: Heinz Grandmontagne, Das Saarland als Modellfall für die deutsche Einheit und die
europäische Integration, in: Rainer Hudemann und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein
Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.315.
125
Die Gewährung von Witwenrenten und dazu in einer solchen Höhe bedeutete eine
sozialpolitische Errungenschaft, die deutlich wird, wenn man den schon als fortschritt-
lich eingeschätzten Beveridge-Plan zum Vergleich heranzieht:"Es besteht kein Grund
dafür, daß eine kinderlose Witwe eine lebenslängliche Rente beziehen soll. Wenn sie
arbeitsfähig ist, soll sie arbeiten".131
Durch die Sozialversicherungsanpassungsgesetze des Frankfurter Wirtschaftsrates war
hinsichtlich der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten in der Rentenversiche-
rung, insbesondere in der Frage der Witwenrente und der Invaliditätsgrenze132, der
Weg vorgezeichnet worden, den die saarländischen Reformgesetze 1951 aufnahmen.
Der saarländischen Regelung kam aber ein wesentlich größerer Stellenwert zu als den
Sozialversicherungsanpassungsgesetzen, weil sie sowohl für Alt- als auch für Neurent-
ner galten. Dies war der entscheidende Unterschied, denn die Sozialversicherungs-
anpassungsgesetze bewirkten zunächst nur für eine Minderheit Vorteile, weil sie sich
nur auf Neurentner bezogen Die ab Sommer 1951 eingeführten Verbesserungen in der
Waisenrente gab es in der Bundesrepublik nicht.133 Die Invaliditätsregelung134 wurde
im Saarland zwar 1951 vereinheitlicht, sie betrug aber noch 66 2/3 Prozent und lag
damit um 16 2/3 Prozent höher als in der Bundesrepublik. Zur Gewährung der Knapp-
schaftsvollrente war für die Erfüllung der Invalidität noch das Lohndrittel maßgeblich,
in der Bundesrepublik genügte schon die Lohnhälfte, andererseits lag die Altersgrenze
noch bei 65 Lebensjahren.135 Die für drei Monate gezahlte Gnadenrente kannte im
Sommer 1951 allerdings die Bundesrepublik noch nicht, die Witwenrente betrug
zudem nur 50 Prozent der Rente des versicherten Ehemannes, und die Witwenabfin-
dung im Saarland war dreimal so hoch wie in der Bundesrepublik.136
Insgesamt war die Rentenversicherung im Saarland für die Mehrzahl der Rentner
deutlich günstiger als in Westdeutschland. So hielt Dr. Caesar vom Bundesministerium
für Arbeit in einem Vermerk 1956 fest, daß vor allem innerhalb der Rentenversiche-
rung der Arbeiter und Angestellten günsügere Regelungen im Saarrecht getroffen
131
Zitiert nach Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen, S.103, Anm.283.
132 Ebd., S.91-94, 171.
BA KO, B 137, Nr.3455, Dr. Caesar, Bundesministerium für Arbeit, als Schnellbrief an das Auswärtige
Amt, IV a 4- 6391/52, vom 15.12.52. Siehe auch Dinges-Bericht als Anlage zu III 3- 0744 2210/55.
134
Zum Invaliditätsbegriff und zu den Invaliditätsrenten, siehe: Preller, Praxis und Probleme, 2.Hb.,
S.425.
BA KO, B 137, Nr.3455, Dr. Caesar, Bundesministerium für Arbeit an Bundesministerium für
gesamtdeutsche Fragen, Herrn Dr. Knoop, als Schnellbrief, IVa 4 9230/52, vom 20.11.52. Ders. IV a 4-
6391/2 an das Auswärtige Amt Zur Regelung in der DDR, hier galt bis zum Ende die 66 2/3 Prozentgrenze
zum Erreichen der Invalidität, vgl. :Hockerts, Grundlinien, S.544, Anm.86.
136 Volksstimme vom 11.7.51.
126
worden seien als in der Bundesrepublik.137 Das Rentenniveau im Saarland war bis zur
Rentenreform von 1957 höher, nach bundesdeutscher Einschätzung standen Beitrags-
aufkommen und Rentenlast aber in einem viel schlechteren Verhältnis zueinander.138
Während in der Bundesrepublik dem Einheitsversicherungsgedanken eine klare Absa-
ge erteilt und die organisatorische Trennung von Invaliden- und Angestelltenversiche-
rung im Jahr 1953 durch die Errichtung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
betont worden war, blieb es im Saarland dabei, daß die LVA die Angestellten- und
Invalidenversicherung, wenn auch getrennt, verwaltete. Bis zur Gründung der Bundes-
versicherungsanstalt für Angestellte wurde dies in den deutschen Ländern genauso
gehandhabt, da die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte 1945 nicht mehr funk-
tionsfähig gewesen war.139
2.3 Staatliche Sozialrentnerhilfe als Instrument gegen Rentnerarmut
Auch wenn die Rentensituaüon im Saarland günstiger war als in der Bundesrepublik,
so galt auch für das Saarland, daß die Rentnerexistenz sehr oft mit Armut verbunden
war. Viele Menschen hatten vor dem "Alt-Sein" und dem Rentenalter Angst. Das
Phänomen der Rentnerarmut gehörte bereits in der Weimarer Republik zu den ungelö-
sten gesellschaftlichen Problemen. Das Rentenniveau war so angelegt, daß ergänzend
zur Rente für die Sicherung der Existenz Nebeneinkünfte notwendig waren, wie z.B.
durch Zimmervermietungen und kleine Nebeneinkünfte. Selbst in konjunkturell guten
Jahren erhielt ein Drittel der Rentenempfänger die Sozialrentnerfürsorge. Deshalb
forderten Sozialdemokratie und Gewerkschaften auch eine daseinssichernde Rente.140
Nach dem Zweiten Weltkrieg änderte sich an der Altersarmut wenig. Hans Günter
Hockerts stellt auch für die erste Hälfte der fünfziger Jahre in der Bundesrepublik eine
"buchstäbliche Verelendung der Sozialrentnerschicht" fest.141
Die Ursache dafür lag im insgesamt doch niedrigen Rentenniveau. Die Rentenhöhe
hatte sich dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandel zur hochindu-
strialisierten Gesellschaft noch nicht angepaßt. In der Nachkriegszeit war die Rente zur
einzigen Existenzgrundlage geworden, konzipiert war sie aber als Zuschuß zu einer in
anderer Weise gesicherten Subsistenz.142
BA KO, Bundesministerium für Arbeit (B 149), Nr.3698, B1.40, Vermerk Dr. Caesar vom 19.10.56.
"(■••) in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten mehr als bei den übrigen Zweigen der
Sozialversicherung eine günstigere Regelung im jetzigen Saarrecht getroffen ist, als es zur Zeit im
Bundesgebiet der Fall ist".
Vgl. Bundesarbeitsminister Storch, in: DS DB, 2.WP. Niederschrift zur 181.Sitzung des Deut-schen
Bundestages am 14.12.56, S. 10.008.
139
Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen, S.152. Ders., Sicherung im Alter, S.312.
140 _
Tennstedt, Der Ausbau der Sozialversicherung, S.234.
Hans Günter Hockerts, Sozialpolitik in der Bundesrepublik, in: Hans Pohl (Hrsg.), Staatliche,
städtische, betriebliche und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1991,
S.363.
142 Ders., Sicherung im Alter, S.296 f.
127
Die saarländische Sozialpolitik schuf durch die staatliche Sozialrentnerhilfe ein In-
strument, um Altersnot zu mildern. Personen, die Renten aus der gesetzlichen Renten-
oder Pensionsversicherung bezogen und den notwendigen Lebensbedarf für sich und
ihre Haushaltsangehörigen nicht ausreichend decken konnten, hatten einen Rechts-
anspruch auf diese Leistung, die eine monatliche Hilfe zur Rente und eine Mietbeihilfe
in Höhe der tatsächlichen Mietaufwendungen umfaßte, soweit diese das nach Fürsor-
gegrundsätzen zuzubilligende Maß nicht überschritten. Die monatliche Staatsbeihilfe
zur Rente wurde so gestaltet, daß die Rentner einen Rechtsanspruch auf ein Mindest-
einkommen erhielten, das um 10 bzw. um 25 Prozent über dem entsprechenden Fürsor-
gerichtsatz der Stadt Saarbrücken lag. Die Sozialrentnerhilfe glich den Differenzbetrag
zwischen tatsächlich gezahlter Rente und dem garantierten Mindesteinkommen aus.
Der Gesetzentwurf dazu stammte von der SPS, aber auch Heinrich Welsch, der nach
dem Koalitionsbruch im Zweiten Kabinett Hoffmann das Amt des Direktors für Arbeit
und Wohlfahrt bekleidete, hielt an dem Konzept fest.143
Der soziale Fortschritt der staatlichen Sozialrentnerhilfe lag darin, daß sie keine Für-
sorgeleistung war, sondern jeder Rentenbezieher bei Erfüllung der Voraussetzungen
einen Rechtsanspruch erheben konnte. Das bedeutete, bei einer verbesserten Ein-
kommenssituation bestand im Gegensatz zur Gemeindefürsorge keine Rückerstattungs-
pflicht, für die Betroffenen fielen im Vergleich zur Sozialrentnerfürsorge die für sie oft
erniedrigenden permanenten Kontrollen und Nachforschungen durch die Sozialbehör-
den weg.144
Die Absicht, durch diese Hilfe den Beziehern einer kleinen Rente eine menschenwürdi-
ge Existenz zu sichern, wurde auch durch die Bestimmung unterstrichen, daß diese
Hilfe nicht gepfändet werden konnte.145
In der Bundesrepublik gab es in den fünfziger Jahren keine vergleichbare Regelung.
Viele Renten waren so klein, daß zahlreiche alte Menschen auf die Fürsorge angewie-
sen waren, 1953/54 waren z.B. 42 Prozent der Fürsorgeempfänger in Freiburg im
Breisgau Rentner.146 * *
143 Gesetz Nr.354 über die Gewährung einer staatlichen Sozialrentnerhilfe vom 7.11.52, in: Abi.1953,
S.141. Änderungsgesetz vom 10.4.53, in: Abi.1953, S.313 und Änderungsgesetz vom 10.7.53, in:
Abi.1953, S.543. LA SB, StK/KR/MAW/1953/T-l, Arbeitsminister an Präsidialkanzlei vom 10.11.52,
Landtag an ebd. vom 10.11.52.
144 Zur Sozialrentnerfürsorge: Martin H.Geyer, Soziale Rechte im Sozialstaat: Wiederaufbau, Krise und
konsverative Stabilisierung der deutschen Rentenversicherung 1924-1937, in: Klaus Tenfelde (Hrsg.),
Arbeiter im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S.409.
145 Abi.1953, S.141.
146
BA KO, B 149, Nr.3686, Bl.71, Gegenüberstellung der wesentlichen Bestimmungen der Rentenver-
sicherung der Arbeiter in der BRD und im Saarland. Willi A. B o e 1 c k e, Sozialgeschichte Baden-
Württembergs 1800-1989, Stuttgart 1989, S.481.
128
Die staatliche Sozialrentnerhilfe im Saarland entsprach in gewisser Hinsicht der Bei-
hilfe für alte Lohnarbeiter in Frankreich. Diese wurde aber im Gegensatz zur saarlän-
dischen Regelung durch den Sozialversicherungsbeitrag des Arbeitgebers finanziert
und konnte erst mit Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen werden
oder ab dem 60. Lebensjahr, wenn die Arbeitsunfähigkeit erfüllt war.147
Nach der Rückgliederung konnte die Sozialrentnerhilfe zunächst als sozialer Besitz-
stand erhalten werden.148 Die staatliche Sozialrentnerhilfe glich die sozialen Härten
eines insgesamt durch das Versicherungsprinzip geprägten Sozialsystems aus. Der
fortschrittliche Charakter ist darin zu sehen, daß der Staat das soziale Elend der Klein-
rentner nicht der Fürsorge überließ, sondern intervenierte. Die Sozialrentnerhilfe wurde
nicht aus Mitteln der Sozialversicherung geleistet, sondern allein vom Staat aufge-
bracht. Insbesondere Frühinvaliden konnte so geholfen werden. Daß auch im Saarland
eine Rentnerarmut in dem Sinne bestand, bzw. die Renten unter den Fürsorgericht-
sätzen lagen, veranschaulichen folgende Zahlen. Im November 1954 bezogen 6.491
Personen Sozialrentnerhilfe, im Juni 1955 wurde die Zahl auf 10.000 geschätzt.149
Der hohe soziale Wert und die breite politische Akzeptanz des Gesetzes zeigte sich im
Abstimmungskampf über das Saar-Statut, so bezeichnete die "Saarländische Volks-
zeitung" die staatliche Sozialrentnerhilfe als "eine saarländische Errungenschaft".150
Auch dieses Sozialgesetz war auf die saarländischen Verhältnisse zugeschnitten, da in
einer schwerindustriell geprägten Region die Zahl der Frühinvaliden eher über dem
Durchschnitt lag. Ein weiterer Mosaikstein in dem Bild des Maßanzuges einer genau
auf die Sozialstruktur zugeschnittenen Sozialpolitik.
3. Interferenzen und Partikularismus
An einer ganzen Reihe von Elementen der saarländischen Sozialpolitik läßt sich ein
Weiterbestehen von deutschen Strukturen erkennen. Diese Interferenz zeigt, daß eine
weitgehende Assimilation an den Wirtschaftspartner unterblieben ist und Frankreich
dem Saarland einen sozialpolitischen Partikularismus zugestand.
Vergleich der westdeutschen und französischen Sozialversicherungssysteme, in: Deutsch-Französi-
sche-Wirtschaftshefte 6/1951, S.69.
Franz Josef Röder, CDU-Saar. Anspruch und Aufgabe. Reden auf Parteitagen der CDU-Saar,
Saarbrücken 1973, S.29.
LA SB, NL Johann Klein, Nr,47, Tätigkeitsbericht des Ministers für Arbeit und Wohlfahrt vom 1.10.55.
150 Ebd., Schneider-Becker-Archiv (SBA) IV/5, SVZ vom 3.9.55, IV 2a, SVZ vom 27.11.56.
129
3.1 Feiertagsregelung
Im Saarland gab es fünf bezahlte Feiertage mehr als in Frankreich, obwohl das Hohe
Kommissariat 1947 eine Assimilierung an Frankreich wünschte, zumindest aber eine
"certaine harmonie".151
Neben negativen Auswirkungen auf die Wirtschaftsunion bestimmte die Furcht vor
einer Determination der innerfranzösischen Sozialpolitik bzw. analogen Forderungen
von Arbeitern und Gewerkschaften in Frankreich die Position des Hohen Kommissa-
riates in dieser Frage. Diese Gefahr sah man insbesondere für die angrenzenden elsässi-
schen und lothringischen Départements. Zahlreiche elsässische Politiker waren sozial-
politisch sehr interessiert und aktiv, weil Elsaß-Lothringen durch die Abtrennung von
Frankreich und durch Sonderregelungen bis in die vierziger Jahre in der Tradition der
deutschen Sozialversicherung gestanden hatte, was insbesondere auch bei den Beratun-
gen zur Sécurité Sociale zu beobachten war.152 Die französische Seite fürchtete hier die
Dynamik und Vermittlungsfunktion des Grenzraumes.
Grandvals Partikularismustoleranz als Primat der Politik
Es stellt sich nun die Frage, warum das Hohe Kommissariat trotz dieser Befürchtungen
sogar noch weitergehende Differenzen im Saarland tolerierte. Dieser Fall trat ein, als
der saarländische Landtag am 4. April 1950 ein Gesetz verabschiedet hatte153, das einen
Lohnzuschlag von 100 Prozent für Feiertagsarbeit vorsah. Zunächst verweigerte
Grandval das Visa. Einige Monate später stimmte er aber zu. Grandval ließ sich von
politischen Motiven leiten. Er wollte verhindern, daß die Feiertagsfrage zu einem
Politikum wurde. Diese Gefahr sah er angesichts der saarländischen Sozialstruktur mit
dem hohen Arbeiteranteil dann gegeben, wenn er sich weiter gegen dieses Gesetz
stellte. In der öffentlichen Diskussion würde das Hohe Kommissariat als Anwalt von
Arbeitgeberinteressen erscheinen, zumal gerade sowohl die Arbeitsgemeinschaft der
Arbeitgeberorganisationen als auch die Industrie- und Handelskammer gegen die
geplante Entlohnung an Feiertagen ebenso engagiert protestiert hatten wie gegen die
ohnehin schon im Vergleich zum französischen Wirtschaftspartner höhere Anzahl von
Feiertagen. Sie verwiesen auf Wettbewerbs Verzerrungen und sprachen von einem
Verstoß gegen die Wirtschaftskonvention. Andererseits polemisierten sowohl die
Einheitsgewerkschaft als auch die christlichen Gewerkschaften auf breiter Front gegen
Siehe entsprechende Verordnungen und Gesetze, in: Abi.1947, S.104, 157, 225, 715, 723, 1082 f. LA
SB, StK/KR/MAW/1950/T-1, R. Kirn an den Ministerrat vom 1.12.48. MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I
1, Vermerk v. J. Decoust vom 20.1.48.
152 Hudemann, Sozialpolitik, S. 13 8-140.
153 Abi.1950, S.743.
130
Grandvals Verweigerung154, und ihre Agitation veranlaßte ihn zur Aufgabe seines
Vetos, wobei er sich der negativen Auswirkungen auf die Unternehmen durchaus
bewußt war.155
Mit seiner Entscheidung gestand er damit im Bereich der Feiertagsregelung dem
Saarland einen sozialpolitischen Partikularismus zu. Grandvals Kurswechsel zeigt sein
politisches Gespür. Dabei steht, wie das Beispiel Feiertagsregelung verdeutlicht, die
Partikularismustoleranz Grandvals in direktem Erklärungszusammenhang mit der
Sozialstruktur des Landes, die von ihm politisch problematisiert wurde. Das bedeutet
zumindest für diesen Teilbereich, daß die Entwicklung der saarländischen Sozialpolitik
nicht durch Transfer mit oktroyierter Assimilation geprägt wurde, sondern aus politi-
schem Kalkül ein Spielraum zugelassen wurde. Dieser Befund bestätigt die bereits bei
der Wiedereinführung und dem Ausbau der Arbeitslosenversicherung zu beobachtende
Abweichung vom französischen Wirtschaftspartner wie auch die am Beispiel der
Witwenrenten festzustellende Anpassung an die spezifischen Verhältnisse der saarlän-
dischen Gesellschaftsstruktur.
Französische Divergenzen als Katalysator
Wie verhielt sich die Pariser Administration gegenüber dem sozialpolitischen Partikula-
rismus? Wie in anderen sozialpolitischen Fragen auch verfolgten die französischen
Ministerien keine einheitliche Linie. Im Wirtschafts- und Finanzministerium sah man
die Gefahr einer Determination der französischen Sozialpolitik durch sozialpolitische
Privilegien an der Saar. Das Finanzministerium warnte auch vor weiteren Defiziten der
Régie. Seine Argumentation teilte der Bergbau- und Industrieminister, der wie die
saarländischen Arbeitgeberorganisationen die saarländische Feiertagsregelung ablehn-
te, weil sie dem Bergbaustatut widerspreche und gegen die Verordnung zur Gleich-
stellung saarländischer und französischer Bergleute verstoße.156 * Auch im Quai d'Orsay
wurde die Gefahr gesehen, daß saarländische Sonderregelungen in der Feiertagsfrage
zu Unzufriedenheit in den Départements Moselle und Meurthe-et-Moselle führen
LA SB, StK/KR/MAW/1950/T-2, Rundschreiben des Arbeitgeberverbandes der Eisen- und
Metallindustrie vom 14. und 15.9.50 an Grandval. Siehe auch: LTS DS 1/81, Niederschrift zur Sitzung vom
30.3.50. S.147. Zu den Gewerkschaften: MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S.J I 1, Vermerk von J. Decoust vom
6.4.50.
155 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I 1 Grandval an MAE:"I1 apparu qu'il serait dangereux tant pour la
trésorerie des entreprises que pour notre politique en Sarre qui ne saurait paraître capituler devant une
agitation croissante des syndicats, de différer jusqu’ à ta fin de l’année une visa dont le principe est acquis”.
Signé par P. Bouffanais. Auch: MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.145, Grandval an MAE vom
11.4.50.
156 MAE Paris., EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.145, B1.206. Warnung vor Rückwirkungen auf
Frankreichs Sozialgesetzgebung: Ministre des finances et des aff. econom. an MAE v.1.6.50.
131
könnten.157 Im Unterschied zum Finanz-, Wirtschafts- und Industrieministerium waren
aber die wirtschaftlichen Gesichtspunkte nicht ausschlaggebend, sondern das Außen-
ministerium folgte den politischen Überlegungen Grandvals, die wirtschaftlichen
Aspekte den politischen unterzuordnen:" Je ne doute pas, que vous attachiez aux
considérations exposées (...) l'intérêt supérieur de la politique à poursuivre en Sarre
158
Der Blick auf die Pariser Ebene zeigt also einerseits Differenzen zwischen den ein-
zelnen Ministerien und andererseits Divergenzen zum Hohen Kommissariat an der
Saar. Ursache dafür sind die unterschiedlichen Perspektiven der Ministerien. Die
Problematisierung möglicher Rückwirkungen der saarländischen Sozialpolitik auf
Frankreich bestimmte die Haltung des Außenministeriums in viel geringerem Maße als
die der anderen Ministerien. Im Quai d’Orsay galt Grandvals Urteil viel, nicht zuletzt
deshalb schloß man sich auch seiner Argumentation eher an als der anderer Ministe-
rien. Andererseits stärkte wiederum die fehlende Geschlossenheit der Pariser Ad-
ministration Grandvals Posiüon ihr gegenüber.
3.2 Das Finanzierungsmodell der Sozialversicherung
Dreiteilung des Finanzierungssystems in der deutschen Sozialversicherung
Staatliche Zuschüsse zur Sozialversicherung bilden ein Element der deutschen Sozial-
versicherungstradition. Die deutsche Sozialversicherung stützt sich finanziell neben
den Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf regelmäßige Staatszuschüsse.
Bereits mit dem Beginn der Sozialversicherung im Deutschen Kaiserreich erwies sich
die Dreiteilung des Finanzierungssystems als fortwirkender Gestaltungsgrundsatz.
Sozialpoliüsch entsprach dies einer vertikalen Umverteilung zugunsten der sozial
schwachen Gesellschaftsmitglieder.* 159
Französisches Finanzierungsmodell zweigeteilt
Im Gegensatz dazu war für das französische Sozialversicherungssystem das Beitrags-
prinzip charakteristisch. Die Sozialversicherung finanzierte sich nur aus den Beiträgen
von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Staatszuschüsse, wie sie es in der deutschen
Sozialversicherung durch den Einsatz von Steuergeldern gab, widersprachen der
Ebd., Bl.207-211, Grandval an MAE vom 2.6.50. Ebd., Bl.219-224 und 252-256, Vermerk Grandvals
für den Außenminister vom 15.6 und 27.6.50. Ebd., Bl.260-262, MAE an Ministre de 1’ Industrie et du
Commerce vom 20.7.50. Ebd., Doss. 226, Bl.362-354. MAE an Grandval vom 27.9.49.
Ebd., EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.146, Bl.279, MAE an Ministre des finan. et des. aff. econom.,
Direction du budget, vom 22.8.50.
159
Hockerts, Sicherung im Alter, S.300.
132
sozialpolitischen Tradition und waren dem französischen System wesensfremd.160 Erst
die hohen Defizite der französischen Sozialversicherung in den fünfziger Jahren
machten einen Kurswechsel unumgänglich. Vor allem Elsässer, die an Vorteilen der
deutschen Sozialversicherung festhalten wollten, traten für staatliche Subvenüonen ein.
Hier ist vor allem der M.R.P.-Abgeordnete und christliche Gewerkschaftler Henri
Meck aus Molsheim zu nennen. Am 30. August 1951 führte er vor der Nationalver-
sammlung aus:"Man muß also jetzt schon, trotz der finanziellen Schwierigkeiten des
Staates, sich mit dem Gedanken einer Staatssubvention vertraut machen. Und tatsäch-
lich ist Frankreich das einzige Land, das seiner Sozialversicherung keine Subvention
gewährt".161 1950 hatte die Sécurité Sociale noch mit einem Defizit von 30 Milliarden
FRS abgeschlossen162, 1952 betrug es trotz Sparmaßnahmen163 bereits im ersten Halb-
jahr 178 Milliarden FRS.164 Besonders hoch war bis Mitte der fünfziger Jahre das
Defizit in der Krankenversicherung.165
Während 1951 Finanzminister Daniel Mayer staatliche Subvenüonen zum Ausgleich
von Defiziten ausschloß, sah 1954 Arbeitsminister Paul Bacon in fehlenden Staats-
zuschüssen eine entscheidende Ursache für die defizitäre Entwicklung der französi-
schen Sozialversicherung.166 * Vor dem Hintergrund dieser Ausgangslage darf man auf
die saarländische Entwicklung gespannt sein.
Französische Vorgaben
Bei den Planungen zur Neu Strukturierung der Sozialversicherung im Saarland strebte
Robert Paris, der zuständige Conseiller im Hohen Kommissariat, einen dem französi-
schen Modell entsprechenden Verzicht auf staaüiche Subventionen an, so hieß es in
seinem Plan zur Sozialversicherung unmißverständlich:"!;...) un équilibre financier sans
Hudemann, Sozialpolitik, S. 138-140. Ausnahme war Elsaß-Lothringen. Hier galt seit 1881 die
deutsche Sozialversicherung, auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb sie dort bis 1940 weitgehend erhalten.
So gab es für die Sozialversicherung in Elsaß-Lothringen staatliche Zuschüsse, vgl. Gesetz von Robert
Schuman vom 12.7.27, damals Präsident der elsaß-lothringischen Kommission (1928-1940). Siehe: 70
Jahre Sécurité Sociale in Eisass und Lothringen, hrsg. von der C.F.T.C., Strasbourg 1955, S.18.
161 70 Jahre Sécurité Sociale, S.36.
L'année politique, 1950, S.264. Zu Beginn des Jahres waren die Defizite noch relativ gering, die
Entwicklung wurde aber schon als problematisch eingechätzt, in: Ebd., S.83.
Z.B. Ausgabenreduktion durch reduzierte Kostenerstattung bei Arzneimitteln, in:L'année polit-
ique, 1951, S.9. Zur Fortdauer der defizitären Entwicklung, in: Ebd., S.160, 205.
164
Ebd., 1952, S.124. Die defizitäre Entwicklung wurde als unaufhaltsam eingestuft. Lediglich im Bereich
der Unfallversicherung war ein Überschuß von 1,7 Milliarden FRS gegenüber einem Defizit von 200
Millionen FRS im Jahre 1951 und sogar 2 Milliarden FRS 1950 zu verbuchen.
70 Jahre Sécurité Sociale, S.37.
SVZ vom 18.9.54. '’Umlageverfahren oder Kapitaldeckungsverfahren" von August Martin.
133
Subvention du budget sarrois".167 Das bedeutete die Aufgabe eines dreigeteilten Fi-
nanzierungsmodells und damit eine deutliche Entfernung von der deutschen Sozial-
versicherung hin zu einer Assimilation an das französische Beitragsprinzip.Wegen der
desolaten Finanzsituation waren allerdings staatliche Finanzspritzen unumgänglich, sie
sollten aber nach dem Willen der französischen Militärregierung nicht zum Dauer-
zustand werden. Für Frankreich war dies von entscheidendem Interesse, wie J. Decoust
den saarländischen Verhandlungspartnern unmißverständlich deutlich machte:" (...) un
intérêt tout particulier pour la France".168
Widerstand der Saarländer
Bereits bei den Beratungen zur Sozialversicherungsreform im Juni 1947 wehrten sich
CVP und SPS gegen die französische Haltung, der Sozialversicherung keine staatlichen
Subventionen zu gewähren. Nachdem die französische Seite Ende 1948 weitere Sub-
ventionen abgelehnt hatte, kam es zu energischem Widerstand der saarländischen
Verhandlungspartner.
Die Kontroverse über Staatszuschüsse zur Sozialversicherung entwickelte sich zu einer
politischen Kraftprobe zwischen den saarländischen Entscheidungsträgem und der
französischen Militärregierung. Richard Kirn versuchte letzlich mit dem Hinweis auf
soziale und politische Unruhen, die französische Seite zum Nachgeben zu zwingen und
ihr staatliche Subventionen im Rahmen eines dreigeteilten Finanzierungsmodells
abzuringen:" Si le projet n'est pas accepté, il en résultera un conflit très grave entre le
Haut Commissariat et les deux grands partis politiques représentés dans le gouverne-
ment ainsi qu'avec les organisations syndicales".169
Auch innerhalb der Beratungen des Technischen Ausschusses in der LVA betonten die
französischen Mitglieder, daß für 1949 zum letzten Mal staatliche Zuschüsse zur
Sozialversicherung akzeptiert würden, danach aber nicht mehr. Frankreich müsse
Vorbild sein. Forrest stieß auf eine geschlossene Mauer des Widerstandes. Sowohl
Vertreter der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften wie Heinrich Wacker170 171 und
Karl Ammann als auch der politisch eher konservative Alexander Jungfleisch lehnten
dies ab und verwiesen auf die "erste Pflicht des Staates", die entsprechenden Mittel
bereitzustellen.1'1 Das Hohe Kommissariat beugte sich den Drohungen Kirns gegen die
Direktiven aus Paris - ein Befund, der Vorstellungen widerlegt, die Saarpolitiker seien
MAE Nantes, HCS, M.J/Q.E., E VI 4-5, Vorentwurf eines Berichtes über die Einführung der sozialen
Sicherheit im Saarland.
LA SB, MifAS, Bü.8, Procès verbal de la réunion de la commission mixte vom 12.11.48.
169 Ebd.
170 Speziell zu den Gewerkschaften, siehe Z.B.: Die Arbeit Nr. 17 vom 20.9.49.
171 Archiv der Landesversicherungsanstalt für das Saarland Saarbrücken (LVA-Archiv,) Niederschrift zur
Sitzung des Technischen Ausschusses vom 9.11.48 und 21.1.49.
134
Marionetten und "Diener" der französischen Politik gewesen, wie sie in der kollektiven
Erinnerung zu finden sind.172
Die Pariser Administration beobachtete 1948 mit Sorge die sozialpolitische Entwick-
lung im Saarland. Das Arbeits- und Finanzministerium beklagte eine fehlende Ab-
stimmung zwischen der französischen und der saarländischen Sozialpolitik.173 Das
Außenministerium teilte zunächst ihre Bedenken und betonte gegenüber Grandval, der
derzeitige Kurs der saarländischen Sozialgesetzgebung sei mit den Bestimmungen der
Wirtschaftsunion unvereinbar. Grandval wies diese Kritik in Hinblick auf die be-
sondere Situation im Saarland zurück. In seiner Stellungnahme zeigt sich ein klarer
Dissens zur Pariser Administration. Während sie im Rahmen der Wirtschaftsunion
auch eine strukturelle Anpassung im Sinne einer Assimilierung an die französische
Sozialpolitik wünschte, betonte Grandval mit Hinweis auf die besondere Sozialstruktur
des Saarlandes die Notwendigkeit, einen gewissen Partikularismus zu akzepüeren. Er
ließ sich dabei von höheren Überlegungen leiten. In einem bedingungslosen sozial-
politischen Anpassungskurs sah er ein politisches Konfliktpotential, das sich negaüv
auf die französischen Interessen im Saarland auswirken könnte. Grandval fürchtete die
Gefahr einer Entfremdung zwischen Hohem Kommissariat und saarländischer Regie-
rung, wenn er sich der saarländischen Sozialpolitik entgegenstellen würde. Den Beden-
ken des Außenministeriums kam seiner Ansicht nach eher eine untergeordnete Rolle
zu.174 Seine Haltung in der wichtigen Frage der Finanzierung der Sozialversicherung
verdeutlicht, daß das Hohe Kommissariat auf einen strengen sozialpolitischen An-
passungskurs verzichtete und bereit war, der saarländischen Seite bei der Gestaltung
der Sozialpolitik einen nicht unerheblichen Entscheidungsspielraum zuzugestehen.
Diese Politik führte zu einem sozialpolitischen Partikularismus, dessen Grenzen für
Grandval dann erreicht waren, wenn die Sozialabgaben zu stark von den französischen
abwichen. Auch wenn die politischen Rahmenbedingungen im Saarland mit denen der
elsässischen und lothringischen Départements nicht vergleichbar waren, so stand man
auch dort vor der Frage des Weiterbestehens von Strukturen der deutschen Sozial-
versicherung. Während für die elsässischen und lothringischen Départements ab Mitte
Siehe z.B. auch: Heinrich Schneider, Das Wunder an der Saar. Ein Erfoig politischer
Gemeinsamkeit, Stuttgart 1974, Abb. 61, 62 und S. 177.
173 MAE Paris, Z-Europe, Sous S. Sarre, Doss.65, B1.33. Schreiben des Directeur du Cabinet im Ministère
du Travail an MAE vom 10.8.48. "(...) manque d'harmonie regrettable entre les législations de sécurité
sociale françaises et sarroises.”
174
Ebd., Doss.65, Grandval an MAE, Bl.94/95. "Chaque famille sarroise comporte au moins un rentier,
nous risquons en nous opposant systématiquement aux solutions proposées par le gouvernement sarrois de
nous trouver aux prises avec des difficultés politiques et sociales que nous avons (...) nous trouvons pas en
présence d'un décalage entre le régime propos par les Sarrois et le régime d'Alsace-Lorraine, nous avons
tout Intérêt à éviter de prendre une position qui risque de nous aliéner la presque totalité de la population
sarroise".
135
der vierziger Jahre ein Assimilierungskurs gefahren wurde, tolerierte die französische
Seite im Saarland in gewissem Maße das Fortbestehen deutscher Traditionen. Innerhalb
des Hohen Kommissariates vertrat vor allem auch Alphonse Rieth diese Richtung,
während Forrest und Decoust zunächst im Sinne einer Assimilierung als entschiedene
Gegner von Staatszuschüssen auftraten.175
Auch die Régie des Mines hatte durch ihre Haltung das Anknüpfen an dieses Element
deutscher Sozialversicherungstradition begünstigt. Die defizitären Kassenverhältnisse
innerhalb der Saarknappschaft nahmen die saarländischen Vertreter im vorläufigen
Vorstand der Saarknappschaft um Peter Zimmer zum Anlaß, über eine Erhöhung des
Plafonds nachzudenken. Entsprechende Maßnahmen hätten auch zusätzliche Kosten
für die Arbeitgeber bedeutet. Diesen Forderungen trat die Régie mit dem Hinweis
entgegen, die derzeitigen Defizite erklärten sich aus den nicht gezahlten Staatszuschüs-
sen. Die Régie plädierte für staatliche Subventionen, trat geradezu als Anwalt der
deutschen Sozialversicherungstradition und eines dreigeteilten Finanzierungsmodells
auf:"Nie sind die Lasten der Knappschaft mit dem Beitragsaufkommen der Arbeitgeber
und der Arbeitnehmer ausgeglichen worden. Der Staat hat das Loch gestopft".176 Das
Eintreten der Régie für Staatszuschüsse zur Sozialversicherung unterstreicht, daß es
hier nicht nur um das Festhalten an einer Sozialversicherungstradition ging. Die Hal-
tung der Régie war von der Einsicht bestimmt, daß staatliche Zuschüsse wegen der
vomNS-Regime verursachten Verluste in der Rentenversicherung letztlich unumgäng-
lich waren.177 Die Régie erkannte aber auch, daß staatliche Zuschüsse zur Sozial-
versicherung für sie von Vorteil waren, da Arbeitgeberkosten gesenkt bzw. Mehr-
kosten verhindert werden konnten. Bei den Gesetzesberatungen waren es auch die
Vertreter der Régie und der Saarknappschaft, die sich nicht nur grundsätzlich für
staatliche Zuschüsse aussprachen, sondern sogar für eine Steigerung des Staatsanteils
votierten.178 *
175 LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift zur Sitzung des Technischen Ausschusses vom 9.11.48 und
21.1.49.
176 "Nur die flüssigen Mittel sind verknappt durch die Schuld des Staates, der seinen Verpflichtungen nicht
nachkommt", siehe: Knappschaft Saarbrücken, Anlage zur Niederschrift zur Sitzung des vorläufigen
Vorstandes vom 29.3 .49.
17 Preller, Praxis und Probleme, 2.Hb., S.444.
LA SB, StK/KR/MAW/1949/T-2, Siehe Vorgang zum Gesetz über die Änderung der Verfügung Nr.47-
218 des Gouverneurs de la Sarre über den Satz der an die Saarknappschaft zu zahlenden Beiträge vom
31.12.47 (Abi.1948, S.69) vom 28.12.49. Gesetz über weitere Änderungen in der Sozialversicherung vom
21.6.1949 (Abi.1949, S.720). Mitwirkung zum 1.1.50 wurde der Staatszuschuß für die Saarknappschaft
in Höhe von 11 Prozent des beitragspflichtigen Entgeltes der Versicherten auf 12 Prozent erhöht, gemessen
an den Ausgaben von 1949 bedeutete dies real einen Anteil in Höhe von 33 Prozent. Siehe dazu: LA SB,
MifAS, Bü.14, Denkschrift des Vorstandes der Saarknappschaft, Abtl.A, über die Staatszuschüsse zur
knappschaftlichen Rentenversicherung, August 1950.
136
Wie bei der Arbeitslosenversicherung war auch in der Frage der Staatszuschüsse die
französische Seite gespalten. Einer einheitlichen Haltung stand das fast unlösbare
Problem entgegen, verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen. Grandval
beurteilte die Frage von Staatszuschüssen und die Ausdehnung der Arbeitslosen-
versicherung primär unter politischen Gesichtspunkten, die Regie und die Pariser
Administraüon - mit Ausnahme des Außenministeriums - vorrangig aus einer wirt-
schaftlichen bzw. kostenorientierten Perspeküve. Diese Divergenzen der französischen
Seite sind eine wesentliche Ursache dafür, daß Grandval einen sozialpolitischen Parti-
kularismus zulassen konnte, der in der Frage der Finanzierung der Sozialversicherung
dazu führte, daß Kernelemente der deutschen Sozialversicherungstradition als Interfe-
renz trotz Wirtschaftsunion weiterbestanden. Das Festhalten der saarländischen Sozial-
politik am Staatszuschuß zur Sozialversicherung darf nicht nur als eine Identifikation
mit einer bewährten Tradition gewertet werden, sondern als ein Bekenntnis zum
Sozialstaat. Die sozialpolitischen Rahmenbedingungen nach 1945, wie z.B. Verlust des
Versicherungs Vermögens, gestiegene Zahl von Invaliden, kriegsbedingte Beitragsaus-
fälle und Zerstörung der Alterspyramide, waren so schwierig, daß die finanzielle
Unterstützung des Staates unumgänglich war. Die saarländische Sozialpolitik entschied
sich nicht dafür, über einen Ausbau der Fürsorge179, sondern über Staatszuschüsse zur
Sozialversicherung, die Kriegsfolgen auszugleichen.180 So war im europäischen Ver-
gleich der Anteil von Steuergeldern zur Sozialversicherung im Saarland enorm hoch181,
andererseits waren die Ausgaben für Fürsorge sehr gering. Hohe Sozialleistungs-
quoten, definiert als Anteil der öffentlichen Sozialleistungen am Volkseinkommen,
waren auch für die Bundesrepublik gerade im Vergleich zum Wohlfahrtsstaat Schwe-
den festzustellen, relativierend muß das Verhältnis einer kriegsbedingt hohen Zahl von
Leistungsempfängern bei einem relativ niedrigen Sozialprodukt berücksichtigt
werden.182
Dieses Problem, entweder Staatszuschüsse oder Fürsorge, betont: Preller, Praxis und Probleme,
2.Hb. , S.444.
ISO
LA SB, AA, Nr.890, Manuskript von Elisabeth Vogelgesang zur saarländischen Sozialpolitik, S.24.
Danach wurden 1938 14.062 Parteien (^Haushalte) von der öffentlichen Fürsorge betreut. 1952 aber nur
5.815 Parteien, was 24.400 Personen entsprach, auf 1.000 Einwohner umgerechnet lebten somit 25
Personen von der öffentlichen Fürsorge.
181 Statistische Angaben sind hier sehr problematisch, da der Prozentsatz der Steuermittel zur
Sozialversicherung auch in Zusammenhang mit der Höhe des Bruttosozialproduktes gesehen werden muß.
Auch die Frage der Berechnungsgrundlage ist zu problematisieren. Die folgenden Angaben sollten deshalb
nur tendenziell gewertet werden. LA SB, SBA IV/1, 'Die Zuschüsse aus allgemeinen Steuermitteln zur
Sozialversicherung in verschiedenen europ. Ländern': Für 1953/1954 ergibt sich folgendes Bild: Saarland:
20 Proz./ Belgien: 14,4 Proz./ BundesrepublikDeutschland: 7,9 Proz./ Frankreich: 5,2 Prozent.
182
Hans Günter Hockerts, Deutsche Nachkriegspolitik vor dem Hintergrund des Beveridge-Plans.
Einige Beobachtungen zur Vorbereitung einer vergleichenden Analyse, in: Wolfgang J. Mommsen und
Wolfgang Mock (Hrsg.), Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates in Großbritannien und Deutschland
1850-1950, Stuttgart 1982, S.334, Danach lag die Sozialleistungsquote in BRD: 19,4 Proz./ Schweden: 13,4
Proz. und Großbritannien bei 12,5 Proz. Auch das Saarland meldete 1948 höhere Sozialaufwendungen als
137
Die gesellschaftspolitische Bedeutung der staatlichen Zuschüsse zur Sozialversi-
cherung liegt nicht nur darin, daß der Staat im Sinne eines sozialen Ausgleichs zwi-
schen sozial Starken und sozial Schwachen wirkt, sondern an der Gefahrengemein-
schaft von Arbeitgeber und Arbeitnehmer teilnimmt183.
Im Saarland spielten die staatlichen Zuschüsse zur Sozialversicherung eine wesentlich
größere Rolle als in der Bundesrepublik. Bei der Eingliederung des Saarlandes in die
Bundesrepublik sah man in der Höhe der Staatszuschüsse eine Abweichung vom
Versicherungsprinzip, denn in der Bundesrepublik erstreckten sie sich nur auf die
Übernahme des Grundbetrages in der Invalidenversicherung und auf geringfügige
Zuwendungen zur Angestellten- und zur Knappschaftsversicherung.184
3.3 Der Plafond
Das deutsche Sozialversicherungssystem kennt keine begrenzte Versicherungspflicht,
die sich in den Versicherungshöchstgrenzen äußert. Der Plafond, ein Element des
französischen Sozialversicherungssystems, bezeichnet dagegen einen begrenzten
Versicherungsbeitrag. Höhere Einkommensbezieher sind von der gesetzlichen Sozial-
versicherung nicht ausgenommen, leisten aber nur Beiträge bis zur Höhe des Plafonds.
In der Praxis führte dies dazu, daß bei gleichen Beitragszeiten die Rente eines Ein-
kommensbeziehers, dessen Gehalt sich in Plafondhöhe bewegte, genau so hoch war
wie die eines Beitragszahlers, der weit über Plafondhöhe verdiente. Der Plafond konnte
also eine gewisse Nivellierung in der Rentenversicherung bewirken, weil Beitragszah-
ler mit höherem Einkommen langfristig keine ihrem Verdienst entsprechende Rente
aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten konnten,185 andererseits aber der
Pflichtversicherung unterlagen. Mit der Wirtschaftsunion war auch im Saarland der
Plafond in der Sozialversicherung eingeführt und damit ein der deutschen Sozial-
versicherung fremdes Element übernommen worden.
Die Trennung von Sozial- und Wirtschaftspolitik
Die Wirtschaftsunion des Saarlandes mit Frankreich erforderte eine Abstimmung
zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik. Auch wenn hinsichtlich der Sozialversiche-
rung und sozialer Leistungsgesetze auf eine sozialpolitische Assimilierung und den
damit verbundenen Transfer verzichtet wurde. Der Partikularismus stieß an seine
Schweden, siehe SVZ vom 17.4.38. Im Saarland würden 34,5 Proz. der gesamten staatlichen Einnahmen
für soziale Aufwendungen ausgegeben, in Schweden seien es nur 21 Prozent.
183
Alber, Vom Armenhaus, S.41.
184 BA KO, B 137, Nr.3455, Bundesminister für gesamtdt. Fragen vom 5.10.55, III 3 - 0744, 2210/55 und
ebd., B 149, Nr.3689, Bd.3, Bl.167-169. Bundesministerium für Arbeit, Unterlage für die Besprechung mit
Minister Conrad vom 3.12.56, Rechtsangleichung Saar, III a- 5423/56.
Vergleich der westdeutschen und französischen Sozialversicherungssysteme, in! Deutsch-französische
Wirtschaftshefte 6/1951, S.45-47. Siehe auch: LA SB, SBA IV/15, SVZ vom 19.11,55.
138
Grenzen, wenn es um die Höhe der Sozial Versicherungsbeiträge ging. Die französische
Seite vertrat geschlossen die Ansicht, daß eine erfolgreiche Gestaltung der Wirtschafts-
union eine Gleichheit der sozialen Lasten, "une égalité des charges sociales", erfordere.
Aus französischer Sicht bezog sich dies zunächst einmal auf die Höhe der Arbeitgeber-
anteile, und dabei spielte der Plafond eine entscheidende Rolle. Das hieß, daß im
Saarland nicht nur der Prozentsatz der Arbeitgeberbelastung dem französischen ent-
sprechen mußte, sondern auch der Plafond als Berechnungshöchstgrenze für die
Sozialversicherungsbeiträge. Nur wenn diese sozialpolitischen Rahmenbedingungen
erfüllt waren, herrschten gleiche Wettbewerbsverhältnisse.186 Wenn der Plafond im
Saarland höher war als der in Frankreich - warum sollten sich dann französische
Firmen im Saarland ansiedeln?
Unter diesem Aspekt ist die französische Haltung zum Plafond paradigmatisch für die
französische Sozialpolitik im Saarland. Die Pariser Administraüon mit Ausnahme des
Quai d'Orsay und die Régie des Mines betrachteten die Sozialpolitik überwiegend aus
einer Arbeitgeberperspektive, weil für sie finanzielle und wirtschaftliche Gesichts-
punkte im Vordergrund standen. Dagegen orientierten sich die Saarparteien an Arbeit-
nehmerinteressen. Diese getrennten und zugleich gegensätzlichen Perspektiven konn-
ten zu Sozialgesetzen führen, die den Grundsätzen der Wirtschaftsunion widerspra-
chen, wie die Feiertagsregeiung zeigt. Auf wirtschaftliche Bedenken hinsichtlich zu
großzügiger Sozialgesetze reagierten saarländische Politiker wie Gewerkschaftler
bisweilen sehr populistisch und beschworen pathetisch aus einer Arbeitnehmerper-
spektive den Fleiß der saarländischen Bergleute.187
Die Trennung von Sozial- und Wirtschaftspolitik erklärt sich auch daraus, daß die
Saarpolitiker für den wirtschaftlichen Erfolg der Union bis in die fünfziger Jahre hinein
nicht verantwortlich waren188 und versuchten, fehlende wirtschaftliche Gestaltungs-
möglichkeiten durch die Sozialpolitik zu kompensieren. Soziale Leistungsgesetze
betrachteten die Saarländer primär unter sozialen Aspekten und vernachlässigten die
wirtschaftlichen Folgen. Während der gesamten Zeit der Wirtschaftsunion versuchte
die saarländische Seite den Plafond zu erhöhen und nahm damit auf die französische
Entwicklung keine Rücksicht. Das Hohe Kommissariat bestand dagegen auf einer
Anpassung an Frankreich und ließ nur geringe Abweichungen zu, um die Arbeitgeber
im Vergleich zu Frankreich nicht zu benachteiligen und auch Rückwirkungen auf
Frankreich zu vermeiden.
186 Vergleiche dazu exemplarisch die französische Position im Office des Mines zur Plafondfrage, in: MAE
Nantes, HCS, M.J./Q.E., E VI 4/ E VI 5, Compte rendu 17.6.-19.6.51, Redebeiträge der Herren Dejardin,
Antoine und Robert. Außerdem: Ebd., HCS, Mission Econom., JUR 1948/Gl/MG/ vom 9.8,51, Verfasser:
P- Bouffanais/G. Grandval an J. Hoffmann vom 15.10.51, JUR 2235/AA/HR.
187
Siehe Z.B.: LTA SB, Niederschrift zur gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik und
Wirtschaft vom 18.11.49.
Armin Hei n e n,Saarjahre. Politik und Wirtschaft im Saarland 1945-1955, 2 Bde., Habilitationsschrift
Universität Saarbrücken 1994.
139
Grandvals Partikularismustoleranz war auch eine Ursache für Sozialgesetze, die den
Grundsätzen der Wirtschaftsunion widersprachen. Die Saarparteien spielten allein den
sozialpolitischen Part, und es gelang ihnen, daraus auch eine Dynamik zu entwickeln,
die die sozialpolitischen Gestaltungsspielräume erweiterte. Insbesondere die SPS
konnte in der Sozialpolitik Profil gewinnen, denn die französische Seite meldete sich
nur dann - und meistens vergeblich - zu Wort, wenn sie die Wirtschaftsunion nachteilig
berührt sah und zu hohe Kosten für die Arbeitgeberseite befürchtete.
In einem montanindustriell geprägten Land mit hohem Arbeitnehmeranteil traten
ffanzösische Funktionsträger überwiegend als Vertreter von Arbeitgeberinteressen auf,
betont wurde diese Rollenverteilung durch den Einfluß der Régie. Sie ermahnte das
Hohe Kommissariat recht häufig, z.B. bei Plafonderhöhungen, die Notbremse zu
ziehen und entsprechende saarländische Gesetze durch Veto zu blockieren, um ein
Ansteigen der Arbeitgeberbelastung zu verhindern und die Unterschiede zum französi-
schen Bergbau nicht größer werden zu lassen.189 Die Tragik lag aber darin, daß es keine
Altanative zum Partikularismusmodell gab. Hätte Grandval in der Sozialpolitik massiv
intervenieren und eine rigorose Assimilierungspolitik verfolgen sollen? Folge wäre
wahrscheinlich eine polnische Unruhe gewesen, weil auf diese Weise der oppositionel-
len Agitation in den Gewerkschaften zusätzlich Munition geliefert, und das Ansehen
der Saarregierung geschwächt worden wäre. Eine Assimilierung an Frankreich wurde
vom Hohen Kommissariat dementsprechend als politisch unausführbar charakterisiert:"
Cette substitution, techniquement peu désirable, est d'ailleurs politiquement irréalisi-
ble".190
Orientierung an deutschen Traditionen: Zum Spannungsverhältnis zwischen Plafond-
und Beitragsbiographie
Während die französische Seite den Plafond vor allem unter wirtschaftlichen Gesichts-
punkten betrachtete, orientierten sich die Saarparteien ausschließlich an den Interessen
der Arbeitnehmer. Dies muß aber auch unter einem anderen Aspekt problematisiert
betrachtet werden. Sowohl SPS als auch CVP bejahten im Sinne der deutschen Sozial-
versicherungstradition eine am Versicherungsprinzip orientierte Sozialversicherung
und erkannten, daß der Plafond für zahlreiche Versicherte im Rentenalter zu Nachteilen
führen würde, weil er unter dem Einkommensniveau vieler Beitragszahler lag. Das
Schlagwort von der "Unterversicherung" machte die Runde. Verstärkt wurde diese
MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., E VI 4/ E VI 5, Mission Economique an M. le Président vom 9.8.51 ,
JUR 998/Gl/MG. Ebd., Régie des Mines, Couture an HC vom 10.1.51. MAE Paris, EU-Europe, Sous. S.
Sarre, Doss.237, Bl.19, Comité des Mines de la Sarre vom 9.4.51, siehe auch Bl.13; ebd., Doss.239, Bl.34,
Régie an Ministerpräsident Hoffmann. Siehe auch: LA SB, MifAS, Bü.7, HC, Miss. Juridique an
Ministerium für Arbeit vom 9.8.51.
Ebd., HCS, M.J./Q.S., J II 2, HCS, Vermerk betr. Sozialversicherungslasten verfaßt von J. Decoust,
13.10.49. Siehe auch Miss., Travail et Séc.Soc., No.2469, verfaßt von M. Thailhades vom 6.4.50.
140
Einschätzung dadurch, daß die Familienzulagen nicht bei der Berechnung der Sozial-
versicherungsbeiträge berücksichtigt wurden, obwohl sie einem Familienlohnsystem
entsprachen. Mit dieser Sichtweise vertraten die Saarparteien Arbeitnehmerinteressen.
Dieser Befund wird insofern bestätigt, als der Arbeitgeberverband in der Plafondfrage
französische Positionen vertrat und für eine Plafondhöhe und Beitragssätze in Überein-
stimmung zur jeweils gültigen französischen Regelung plädierte.191 Für Gewerk-
schaften und Parteien war aber entscheidend, daß die Plafondhöhe für viele Arbeitneh-
mer zu einer Unterversicherung führte. Diese Entwicklung erklärt sich daraus, daß, wie
die folgende Übersicht veranschaulicht, viele Einkommensbezieher über der Plafond-
grenze verdienten.
Einkommensverteilung und Plafondhöhe:192
Beschäftigte: HW BG ÜW
PLAFONDHÖHE/RentenVersicherung: 39.000 FRS
Arbeiter-MONATSEINKOMMEN (MEK)
über
39.000 FRS 11,9 Proz. 39,6 Proz. 4,2 Proz.
48.000 FRS 1,1 Proz. 15,9 Proz. 0,7 Proz.
Angestellte-MEK
über
39.000 FRS 66,8 Proz. 82,0 Proz. 66,8 Proz.
48.000 FRS 42,1 Proz. 55,5 Proz. 50,0 Proz.
Wenn man das Verhältnis zwischen Plafond und Einkommen nach Branchen differen-
ziert, so wird erkennbar, daß der Bergbau und vor allem die Angestellten im Montan-
bereich in ungleich höherem Maße von einer Unterversicherung betroffen waren. 82
Prozent (= 4.040 Einkommensbezieher) der Angestellten im Bergbau, über 70 Prozent
(=3.320 Einkommensbezieher) der Angestellten im Hüttenbereich und fast 25 Prozent
(=9.959 Einkommensbezieher) der Angestellten der übrigen Wirtschaft verdienten über
Plafondhöhe.193 Die Arbeiter waren mit Ausnahme des Bergbaus durch ihr geringeres
Einkommen davon weniger betroffen. Hier war das Einkommensniveau immerhin so
191
LA SB, SBA IV/1, Vermerk W. Ruhlands, Vorsitz, der saarländischen Arbeitgeberorganisation.
192
Ebd., StK/KR/MAW/1953/T-l, Plafond in der Sozialversicherung, Anlage eines Schreibens von
Richard Kirn an Präsidialkanzlei vom 1.6.53.
193
Vgl. dazu: LA SB, MifAS, Bd.344, Ärztekammer des Saarlandes an den Minister für Arbeit und
Wohlfahrt vom 9.12.52.
141
günstig, daß noch fast 40 Prozent (= 24.118 Einkommensbezieher) der Bergarbeiter
über Plafondhöhe verdienten. Vom Problem der Unterversicherung waren mehr als
51.000 Arbeitnehmer betroffen, davon waren über die Hälfte im Bergbau beschäftigt.
Das Engagement der SPS, sich für einen höheren Plafond einzusetzen, spricht nicht nur
- wie zu erwarten - für ein Eintreten für die Interessen der Bergleute, sondern ist auch
Ausdruck einer gewissen Mittelstandsorientierung der Partei.194 Hier zeigt sich eine
tendenzielle Übereinstimmung zur ideologischen Mittelstandsorientierung des Sozial-
staatsmodells der Bundesrepublik.195 Im Vergleich zur bundesdeutschen Sozialdemo-
kratie orientierte sich die SPS, wie die Position der Partei zum Plafond in der Sozial-
versicherung und zum Versicherungsprinzip allgemein zeigt, weitgehend an indivi-
dualisierenden Prinzipien der Sozialversicherung und insbesondere an einer beitrags-
äquivalenten Rentenversicherung, die für die Rentenhöhe die Erwerbsbiographie
berücksichtigt wissen wollte.
Damit wich die SPS von der SPD ab, die Anfang der fünfziger Jahre noch unter dem
Einfluß des Vorbildes der englischen Labour-Regierung stand, wie der Dortmunder
Parteitag 1952 zeigte.196
Zum Verhältnis zwischen Traditionsorientierung und Trennung von Sozial- und
Wirtschaftspolitik
Auch in Frankreich war der Plafond umstritten, weil er höheren Einkommensgruppen
keine in Korrelation zum Einkommen stehende Altersrente ermöglichte. Besser verdie-
nende Berufsgruppen setzten für sich Zusatz- und Sonderversicherungssysteme durch,
die auch mit Arbeitgeberbeiträgen finanziert wurden. So war es u.a. 1947 zum Streik
der leitenden Angestellten gekommen und in einem nationalen Kollektivvertrag war
am 14. März 1947 ein zusätzliches, außerhalb der Sécurité Sociale stehendes, Versiche-
rungssystem aufgebaut worden.197 *
Diese Entwicklung widersprach den Reformvorstellungen zu Beginn der innerfranzösi-
schen Diskussion Ende 1945. Vor diesem Hintergrund konnte es aus Arbeitnehmer-
sicht nicht überzeugend wirken, wenn französische Vertreter hinsichtlich der Plafond-
194 LA SB, SBA IV/15, SVZ 19.11.55
Klaus M e g e r 1 e, Die Radikalisierung blieb aus. Zur Integration gesellschaftlicher Gruppen in der
Bundesrepublik Deutschland während des Nachkriegsbooms, in: Hartmut Kaelble, Der Boom 1948-1973.
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa, Opladen
1992, S. 122.
1%
Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen, S.180, 221. Ders., Deutsche Nachkriegspolitik, S.334.
Siehe zu Ludwig Prellers kritischer Position zum Beveridge-Plan. Ebd., S.335, Anm.29. Ders., Sozialpolitik
in der Bundesrepublik Deutschland, S.366.
197
Saint-Jours, .Landesbericht Frankreich, S.234-236, 241. Siehe auch: Europäische Gemeinschaft für
Kohle und Stahl (Hrsg.), Entwicklung und Tendenzen der Systeme der Sozialen Sicherheit in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und in Großbritannien, o.Oa. 1966, S.95.
142
diskussionen im Saarland den Gewerkschaften vorwarfen, sich zu sehr um gut verdie-
nende Einkommensgruppen zu kümmern.198
Französische Studien zur Arbeitgeberbelastung zeigten, daß im Saarland die Arbeit-
geberbeiträge zur Sozialversicherung etwas höher waren als in den angrenzenden
Départements Moselle und Haut- sowie Bas-Rhin. Im Vergleich zum französischen
Durchschnitt waren die Verhältnisse im Saarland für die Arbeitgeber aber günstiger.
Zum Teil gab es auch branchenspezifische Differenzen, die sich durch die Unfall-
versicherung erklären. So waren im Baugewerbe die Soziallasten wesentlich niedriger
als im Moseldepartement, für die im Saarland bedeutende Eisen- und Stahlindustrie
dagegen lagen die Arbeitgeberkosten an der Saar um 4 Punkte höher als dort und 2
Punkte über dem französischen Durchschnitt.199 So konnte das Hohe Kommissariat den
etwas höheren Plafond im Saarland tolerieren.
Erst 1952 wurden im Saarland Zusatz Versicherungen eingeführt, die den seit 1947 in
Frankreich bestehenden entsprachen, wenn man einmal von ganz wenigen privaten
Pensionskassen, wie z.B. bei der Völklinger Hütte, absieht.200 Auf Betriebsebene
wurden als Ergänzung zur gesetzlichen Rentenversicherung Zusatzkassen konzipiert,
so z.B. bei der Saarfemgas, der Saarländischen Kreditbank und auch für Angestellte im
Bergbau. Bei der Saarfemgas handelte es sich um ein Zusatzversicherungssystem zur
gesetzlichen Angestelltenversicherung. Die Intention bestand darin, einer Nivellierung
entgegenzuwirken und eine Korrelation von Rente und Einkommen auch für Bes-
serverdienende zu sichern. Nach 35 Dienstjahren sollten in Ergänzung zu den Leistun-
gen aus der gesetzlichen Sozialversicherung 75 Prozent des Jahreseinkommens als
Rente erreichbar sein, wobei die Pensionskasse die Differenzbeträge zwischen der
satzungsgemäß vorgesehenen Pension und der Leistung aus der Sozialversicherung
aufbringen sollte.201 Solche Zusatzversicherungen, die ein sehr hohes Rentenniveau
ermöglichten, blieben aber eher eine Ausnahme. Ende 1954 gab es nur 15 solcher
LA SB, MifAS, Bd.230, Aktenvermerk vom 21.8.54 betreffend Höflichkeitsbesuch von Herrn
Tailhades."Er spricht sein Erstaunen darüber aus, daß die saarländischen Gewerkschaften immer wieder
bestrebt seien, sich um die Leute zu kümmern, die an sich schon gut verdienen, im besonderen die
Bergarbeiter und die Angehörigen der Metallwirtschaft, wogegen man die Bemühungen zur Besserstellung
der schlecht bezahlten Arbeitnehmer gänzlich vermissen müsse".
MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J II 2 , HCS, Econ.,Travail et Sécurité Sociale, Vermerk betreffend
Sozialversicherungslasten des Saarlandes im Vergleich mit Frankreich, verfaßt von J. Decoust, 3.10.49.
HC,Travail et Séc.Soc., No.2469, verfaßt von Tailhades vom 6.4.50.
200 Siehe dazu: LA SB, SBA IV/2d, SVZ vom 9.5.49.
MAE Nantes, HCS, Miss.JurVQuest.Finan., F VI 23, Antrag der Saarferngas vom 14.11.52 zwecks
Zulassung. Sitzung des Sonderausschusses und Aufsichtsrates für das Versicherungswesen vom 14.11.52.
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.241, B1.48, Comité Interministériel de la Régie des Mines vom
26.2.53. Rentenzusatzversorgung für die saarländischen Angestellten im Bergbau.
143
Pensionskassen im Saarland.202 Damit wurde erst sehr spät versucht, auch das Problem
der Unterversicherung zu lösen. Eine weitere Ursache lag in den Unterschieden zwi-
schen dem saarländischen und dem französischen Lohnniveau. An der Saar bewegte
sich das Durchschnittseinkommen wegen der relativ hohen Löhne der Bergleute auch
auf einem höheren Niveau als in Frankreich.
Die saarländische Seite stand aber der Einführung von Zusatzversorgungssystemen
eher ablehnend gegenüber, insbesondere weil sie eine Integration in französische
Systeme befürchtete. Bestimmend für diese Haltung ist zum einen die Identifikation mit
der deutschen Sozialversicherung und vor allem der Wille, sich nicht den französischen
Systemen anzupassen, wie ein um das Jahr 1950 zu datierendes Strategiepapier unmiß-
verständlich deutlich macht:" (...) Es ist zu verhindern, daß für Angestellte der Régie
eine Pensionsversicherung bei der CAREM und für die Bergingenieure und Techniker
bei der CARIM abgeschlossen wird für die Lohnanteile, die den derzeitigen Plafond
von 25.000 FRS übersteigen."203 Die saarländische Seite sah die Gefahr, ihre eigene
Sozialversicherungsverwaltung zu verlieren, wenn wie im Falle der Zusatzversicherung
saarländische Arbeitnehmer in französische Systeme integriert würden. Zum anderen
würde auch eine Übertragung französischer Systeme unter selbständiger saarländischer
Verwaltung den sozialpolitischen Gestaltungsspielraum der Saarländer verringern. Das
Ringen um Teile der deutschen Sozialversicherungstradition steht in einem direkten
Zusammenhang mit dem Ziel, die Sozialpolitik vorrangig allein und ohne französische
Einwirkung zu gestalten. So heißt es in dem Strategiepapier weiter:" (...) d.h., wenn der
Einfluß Frankreichs auf die Gestaltung unseres Sozialrechts ausgeschaltet wird, so wird
die Régie an dieser Absicht nicht mehr festhalten."204
Das bedeutet, daß das Streiten um die Erhaltung von Elementen der deutschen Sozial-
versicherungstradition wie den staatlichen Zuschüssen oder der Beitragsorientierung
nicht nur von sozialpolitischen Motiven getragen wurde, sondern auch von saar-
politischen. Die Erhaltung und der Ausbau von staatlichen Subventionen zur Sozial-
versicherung sowie die Einstellung der Saarparteien zum Plafond markieren ein Fest-
halten an der deutschen Sozialversicherungstradition, was sich auch last but not least
im Fortbestehen der Reichsversicherungsordnung widerspiegelt.
MAE Nantes, HCS, M.J./Q.F., F VI 25, Protokoll der Sitzung der Division Assurance des Hohen
Kommissariats vom 9.4.54.
LA SB, MifAS, Bd.14, Strategiepapier mit der Überschrift "Paris", ohne Datum und Verfasserangabe,
maschinenschriftlich. Wahrscheinlich auf das erste Quartal 1950 zu datieren, weil der Plafond zwischen
dem 1.5.48 und dem 1.1.51 25.000 FRS betrug. CAREM und CARIM sind Zusatzversicherungssysteme für
französische Bergleute und Ingenieure.
144
Andererseits wurden die Renten im Saarland zwischen 1947 und 1954 in der Regel
nicht prozentual, sondern um feste Beträge, sogenannte Pauschbeträge, erhöht. Jeder
Rentenbezieher erhielt eine Rentenerhöhung, die sich nicht an Beitragszeiten und
Beitragsleistung orientierte. Sozialpolitisch kam diese Politik vor allem den Beziehern
kleinerer Renten zugute, also Personen mit geringeren Beitragszeiten oder einem relativ
niedrigen Arbeitseinkommen. Eine solch nivellierende Rentenpolitik widersprach aber
dem der deutschen Sozialversicherung immanenten Versicherungsprinzip, also einem
an der Biographie des Versicherten orientierten System mit ausgeprägter Äquivalenz
zwischen der persönlichen lohnbezogenen Beitragsleistung und der ebenfalls lohnbe-
zogenen Versicherungsleistung und widersprach auch der Kritik von SPS und CVP am
Plafond.205
3.4 Der Stellenwert des Beitragsprinzips in der Rentenversicherung
Die im Saarland zwischen 1947 und 1954 verabschiedeten Rentenerhöhungsgesetze
beinhalteten u.a. einmalige Pauschbeträge - vor allem vor Weihnachten - und auch
unbefristete Teuerungszulagen.206 Die Erhöhungen waren nach Rentnern, Witwen und
Waisen gestaffelt.
Die Abweichung vom Versicherungsprinzip wurde von Alphonse Rieth als Präsident
des Technischen Ausschusses der LVA unterstützt. Nach seiner Vorstellung sollte die
Sozialgesetzgebung in erster Linie auf die sozial Schwachen ausgerichtet sein. In der
Sozialversicherung sei das Versorgungsprinzip zu bevorzugen. In diesem Sinne
unterstützte er die Erhöhung um Pauschbeträge.207
205 H o c k e r t s, Deutsche Nachkriegspolitik, S.340. Ders., Sicherung im Alter, S.299.
206 ZB. Gesetz über Änderungen in der Sozialversicherung vom 17.12.48, in: Abi. 1949, S.24. Gesetz über
die Gewährung einer einmaligen Sonderzulage in der Rentenversicherung vom 30.11.49, in: Abl.1949,
S.1205. Gesetz über die Gewährung einer einmaligen Zulage in der Sozialversicherung vom 4.4.50, in:
Abi.1950, S.310, Erlaß betreffend die Gewährung einer einmaligen Teuerungszulage in der
Rentenversicherung vom 11.11.50. Gesetz über die Gewährung einer Teuerungszulage in der
Sozialversicherung vom 12.12.51, in: Abi.1952, S.161. Ge setz über die Gewährung von vorläufigen
Zulagen in der gesetzlichen Renten- und Pensionsversicherung vom 18.6.52. Erlaß über die Gewährung
einmaliger Zuschüsse in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Monat Dezember 1952 vom
13.12.52, in: Abi.1953, S.25. Gesetz Nr.372 über die Gewährung einer einmaligen Zulage in der
gesetzlichen Rentenversicherung vom 10.4.53, in: Abl.1953, S.314. Erlaß über die Gewährung einmaliger
Zuschüsse in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Monat Dezember 1953 vom 6.11.53, in:
Abl.1953, S.733. Gesetz über die Gewährung einer Zulage in der gesetzlichen Rentenversicherung vom
10.4.54, in: Abi. 1954, S.565. Gesetz über die Gewährung einer einmaligen Zulage in der gesetzlichen
Rentenversicherung für den Monat Dezember 1954 vom 21.12.54, in: Abi.1955, S.62. Gesetz Nr.479 über
die Gewährung einer einmaligen Zulage an die Leistungsempfänger der gesetzlichen Renten- und
Unfallversicherung vom 18.11.55, in: Abi.1955, S.1674.
207
LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift zur Sitzung des Beratenden und Technischen Ausschusses der
LVA vom 21.1.49,
145
Bereits zu Beginn der fünfziger Jahre erhoben CVP und die christlichen Gewerk-
schaften gegen diese Politik Bedenken. Die "Saarländische Volkszeitung" sprach von
einer "Gefährdung des Versicherungsprinzips"208, die Gewerkschaft Christlicher
Saarbergleute forderte bei der Rentenerhöhung auch eine Berücksichtigung der Bei-
tragsleistungen.209 Die CVP versuchte in der Rentenpolitik in dieser Frage Gegen-
akzente zur Politik Richard Kirns zu setzen. Sie trug damit auch der bereits sehr früh
angemeldeten Arbeitgeberkritik Rechnung.210 In der kurzen Zeit der Alleinregierung
der CVP von April 1951 bis Dezember 1952 entschied sich Heinrich Welsch als
Direktor für Arbeit für eine stärkere Betonung des Versicherungsprinzips. Deutlich
wird dies in einem Gesetzentwurf vom 5. Dezember 1951, in dem er eine pauschale
Rentenerhöhung ablehnte, da sie die geleisteten Beiträge zu sehr vernachlässige,
insbesondere wollte er auch durch eine Aufwertung der alten Markbeträge Rentner mit
längerer Versicherungsdauer stärker berücksichtigen. Sein Gesetzentwurf fand ohne
Änderung die Zustimmung des Kabinetts.211 Der nur kurze Zeit vom 7. Juli 1954 bis
zum 29. Oktober 1955 amtierende CVP-Arbeitsminister Johann Klein bemühte sich
ebenfalls um eine deutliche Akzentuierung des Versicherungsprinzips in der Renten-
versicherung, also um eine Äquivalenz zwischen Beitragsleistung und Rentenhöhe. In
seinem Tätigkeitsbericht kritisierte er die vorangegangene Entwicklung: "Wir im
Saarland weichen nach und nach vom echten Versicherungsprinzip ab".212 Klein plante
eine Rentenreform mit einer Neuordnung der Beitragsleistung und bildete eine Arbeits-
gemeinschaft zur Kodifizierung der Sozialversicherungsgesetze.213
Die in den kurzen Zeitspannen der CVP-Alleinregierung gesetzten Akzente in der
Rentenpolitik sollten nicht als Ausdruck einer gegensätzlichen Sozialpolitik verstanden
werden. Primär waren wohl wahltaktische Manöver entscheidend, um Arbeitgeber-
kritik und besser verdienende Einkommensschichten stärker zu berücksichtigen. Hier
mag auch die zunehmend wichtigere Rolle des Wirtschaftsflügels in der CVP eine
Rolle gespielt haben. Auch Richard Kirn und die SPS bemühten sich nämlich im Sinne
der deutschen Sozialversicherungstradition, ähnlich wie die CVP, den Versicherungs-
gedanken stärker zu betonen und die Renten prozentual zu erhöhen, wobei insbesonde-
re die Steigerungsbeträge berücksichtigt worden sind. Beispiel dafür ist das Gesetz
Nr,435 über die Erhöhung von Steigerungsbeträgen und weitere Änderungen in der
208 LA SB, SBA IV/6, SVZ vom 9.1.49. Ebd., SBA IV/15a, SZ vom 10.7.51.
209 Bericht über die Zweite ordentl. Generalversammlung der GCS am 1./2. Mai 1953, Saarbrücken 1953,
S.53.
210
Ebd., Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeberorganisationen an Johannes Hoffmann vom 7.7.49.
211
Gesetz über die Neuordnung der Rentenberechnung und über sonstige Änderungen in der Rentenver-
sicherung der Arbeiter und Angestellten vom 2.2.52. Siehe: LA SB, StK/KR/MAW/1952/T-l, Vorgang
zum Gesetz.
212
SAS, Tätigkeitsbericht des Ministers für Arbeit und Wohlfahrt vom 29.9.54.
Ebd. und LA SB, StK/KR/MAW/1954//T-2, Plan zur Rentenreform.
146
gesetzlichen Rentenversicherung,214 das von Heinrich Welsch nur geringfügig ver-
ändert worden ist.
Die ab 1954 zu beobachtende Forcierung des Beitragsprinzips in der Rentenpolitik
wurde auch von der Einheitsgewerkschaft unterstützt.215 Nachdem die Sozialrentnerhil-
fe ausgebaut worden war, konnte die SPS dies auch sozialpolitisch verantworten.
Die Praxis der Pauschbeträge war auch Ausdruck einer pragmatisch orientierten Politik
und verfolgte das Ziel, in der Notsituation der Nachkriegszeit und einer vor allem auch
durch Inflation bedingten Verarmung der Rentner entgegenzuwirken. In diesem Sinne
äußerte sich der geschäftsführende Direktor der LVA Karl Ammann:"In Notzeiten muß
man, um sofort helfen zu können, auch evtl. Notwege gehen, die ja später revidiert
werden können". Unterstützt wurde er in diesem Kurs von Heinrich Wacker:"In
anormalen Zeiten müßten auch zur Hebung der größten Not anormale Wege beschrit-
ten werden".216 In Lageberichten der Landräte spiegelte sich sowohl für 1951 als auch
für 1952 die Furcht der Bevölkerung vor Inflation wider. So beklagten beispielsweise
gerade Pensionäre und Rentenempfänger, mit ihrem Geld die Wintervorräte nicht
beschaffen zu können.217 Die eingeschlagene Rentenpolitik war nicht ideologisch in
dem Sinne motiviert, das Versicherungsprinzip langfristig aufzugeben und den Weg zu
einer Einheitsrente einzuschlagen. Die Kaufkraftverluste infolge der Inflation sollten
schnell ausgeglichen werden, nicht zuletzt deshalb wurden die Erhöhungen ja auch als
"Teuerungszulage" bezeichnet. Die im Saarland so häufig vorgenommene Erhöhung
der Renten um Pauschbeträge scheint vielmehr ein Instrument gewesen zu sein, um die
inflationäre Entwicklung des französischen Franc für die Rentner einigermaßen sozial-
verträglich zu gestalten und Unruhe unter den Rentnern zu vermeiden, denn sowohl
1948 als auch ab August 1950 bis 1952 segelte der französische Franc auf Inflations-
kurs. Im Alltag war für die Saarländer vor allem die monatlich zu beobachtende spür-
bare Erhöhung der Lebenshaltungskosten eine bedrohliche Erscheinung, die einer
typisch deutschen Inflationsangst entsprach.218 Gerade im Saarland wirkte sich vor dem
Hintergrund der im Vergleich zu Deutschland hohen Inflation das Problem, daß das
Rentensystem statisch angelegt und auf der Prämisse langfristig stabiler Lohn- und
214
Gesetz Nr.435 über die Erhöhung von Steigerungsbeträgen und weitere Änderungen in der gesetzlichen
Rentenversicherung vom 7.7.54, in: Abi. 1954, S.836 f. Danach wurden die Steigerungsbeträge in der
Rentenversicherung für Arbeiter und Angestellte um 35 Prozent erhöht.
LA SB, MifAS, Bd.31, Einheitsgewerkschaft an Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt vom 8.2.54.
216 LVA-Archiv Saarbrücken, Niederschrift zur Sitzung des Beratenden und Technischen Ausschusses der
LVA vom 21.1.49.
217 LA SB, Innenministerium (MdI), Nr.878. Landrat des Kreises Ottweiler an die Regierung des Saarlan-
des vom 6.12.51,11.2.52 und 25.11.52.
218 Vgl, z.B. Jacques Freymond, Die Saar 1945-1955, München 1961, S.279. Siehe Index der Lebens-
haltungskosten, in: Statistisches Handbuch für das Saarland, 1952, S.147,149 und dasselbe für 1955, S.191.
147
Preis Verhältnisse beruhte219, besonders drastisch aus. Eine prozentuale Erhöhung der
Renten erforderte einen wesentlich höheren verwaltungstechnischen Aufwand als eine
pauschale Erhöhung, da jede Rente neu ausgerechnet werden mußte. Pauschbeträge
wirkten somit als Soforthilfe, um inflationär bedingte Kaufkraftverluste schnell auszu-
gleichen.
Wenn man die saarländische Rentenpolitik in dieser Frage mit der bundesdeutschen
vergleicht, so sind tendenziell Parallelen erkennbar. Während aber in der Bundesre-
publik der Typ des Anpassungsgesetzes nur bis zu Beginn der fünfziger Jahre domi-
nierte220, orientierte sich die von Richard Kirn betriebene Rentenpolitik bis 1954 daran.
Die Erhöhung der Renten um Pauschbeträge wurde von französischer Seite begrüßt,
weil man sie als Akzent im Sinne eines Versorgungsprinzips interpretierte und darin
eine grundsätzliche Entfernung von der deutschen Sozialversicherung sah. Die saarlän-
dische Seite entschied sich aber nicht für Pauschbeträge, um die Rentenstruktur dau-
erhaft zu ändern, sondern setzte auf sie als Provisorium, um soziale Härten abzuschwä-
chen. Von einer Verzahnung von Reformvorstellungen kann hier also nicht gesprochen
werden, auch wenn die Erhöhung um Pauschbeträge gerade von Einheitsgewerk-
schaftlern und Sozialdemokraten mit französischer Billigung forciert worden ist.
Vielmehr zeigt sich eine Orientierung am Beitragsprinzip der deutschen Rentenversi-
cherung.
4. Sozialpolitische Emanzipation vom französischen Wirtschaftspartner
Dadurch, daß im Rahmen der Sozialversicherungsreform im Sommer 1947 und vor
allem bei der Frage um die staatlichen Zuschüsse zur Sozialversicherung 1948 die
saarländische Seite offensiv an wesentlichen Elementen der deutschen Sozialversi-
cherungstradition festgehalten und das Hohe Kommissariat sich entschieden hatte, den
Saarländern einen sozialpolitischen Partikularismus zuzugestehen, um das politische
Klima nicht zu belasten, hatte sich für die saarländische Seite ein sozialpolitischer
Spielraum geöffnet. Das Saarknappschaftsgesetz von 1951 zeigt paradigmatisch, wie
er genutzt wurde. Es handelt sich dabei um das einzige in sich geschlossene saarlän-
dische Sozialversicherungsgesetz221, das sowohl hinsichtlich des Leistungsrechtes als
auch der Selbstverwaltung wichtige Bestimmungen enthielt.
Hockerts, Deutsche Nachkriegspolitik. Siehe: Preller, Praxis und Probleme der Sozialpolitik,
2.Hb., S.432.
220
Hockerts, Sozialpolitische Entwicklungen, S.15.
221 Saarknappschaftsgesetz vom 11.7.51, in: Abi.1951, S.1099. SVZ vom 17.1.52. Siehe auch: E.
Maurer, Die knappschaftliche Versicherung an der Saar, in: Klaus Altmeyer u.a. (Hrsg.), Das Saarland,
Saarbrücken 1958, S.762-766. Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung, S.358-374. Das
Saarknappschaftsgesetz als das einzig umfassende Sozialgesetz, siehe diese Beurteilung, in: BA KO, B 137,
Nr.3455, Dingesbericht vom 22.10.55. Außerdem : LA SB, SBA IV 1, SVZ vom 17.1.52, Dr. Treude über
die Entwicklung der Sozialversicherung im Saarland.
148
4.1. Kreativer Umgang mit der deutschen Sozialversicherungstradition
Ausbau von Staats Zuschüssen und Staats garantie
Das Festhalten und der Ausbau der deutschen Sozialversicherungstradition zeigt sich
in der Erhöhung der Staatszuschüsse zur Sozialversicherung. Das Saarknappschafts-
gesetz sah einen Ausbau da- staatlichen Subventionierung zur Rentenversicherung vor.
Danach leistete die Regierung des Saarlandes zur Deckung der Rentenausgaben einen
jährlichen Zuschuß in Höhe von 52 Prozent der Rentenleistungen, später wurde er
sogar auf 60 Prozent erhöht. Die Saarknappschaft erhielt damit eine wesentlich höhere
Subvention als die Ruhrknappschaft. Der Staat betonte seine soziale Verantwortung
und gab eine Rentengarantie, indem gesetzlich verankert wurde, daß er die Mittel, die
außer den Beiträgen zur Sicherstellung der Leistungen erforderlich seien, gewähre.222
Neben dieser politischen Interpretation ist zu bemerken, daß die Staatsgarantie auch im
Hinblick auf die noch nicht gebildeten, aber gesetzlich vorgeschriebenen Reserven in
der Rentenversicherung gesehen werden muß.223
Versicherungsprinzip mit sozialen Akzenten
Dennoch wäre es zu undifferenziert, wegen des Ausbaus staatlicher Zuschüsse zur
Rentenversicherung die saarländische Rentenpolitik auf ein Festhalten an der deutschen
Sozialversicherung zu reduzieren. Gerade hier zeigt sich, daß die sozialpolitischen
Gegensätze zwischen der deutschen und der französischen Sozialversicherung ins-
gesamt konstruktiv mit vielen Vorteilen für die Versicherten gelöst worden sind. Dies
wurde bereits an der Nivellierungspolitik in der Invaliden- und Angestelltenversiche-
rung aufgezeigt, die auch in das Saarknappschaftsgesetz übernommen wurde. Die
deutsche Sozialversicherung bildete allein schon juristisch durch das Weiterbestehen
der RVO die Grundlage für die saarländische Sozialversicherung, andererseits aber
wurde sie durch Einflüsse der französischen Sozialversicherung, bedingt durch Zu-
geständnisse an den französischen Wirtschaftspartner, um eine soziale Komponente
bereichert. So blieb zwar das der deutschen Rentenversicherung immanente Versiche-
rungsprinzip gegen die Absichten der französischen Seite erhalten, erhielt aber durch
die Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht und die Untertagezuschläge in der
knappschaftlichen Rentenversicherung einen sozialen Akzent.
Durch das Saarknappschaftsgesetz wurde der Leistungszuschlag in der knappschaftli-
chen Rentenversicherung gestrichen. An seine Stelle trat 1951 der neue Untertage-
zuschlag. Schon im Rahmen der ersten notwendigen Sparmaßnahmen im Dezember
1945 wurde der Leistungszuschlag vorläufig eingefroren. Er war ab 1. Januar 1943
eingeführt worden und brachte nur den Rentnern Vorteile, die gemäß neuem Recht
Siehe § 78 des Saarknappschaftsgesetzes vom 11.7.51, in: Abi.1951, S.1099. LA SB, MifAS, Bd.34,
Stat. Angaben zum Vergleich zwischen Ruhr- und Saarknappschaft vom 5.5.56. Zu diesem Zeitpunkt
betrug der Staatszuschuß zur Saarknappschaft 60 Prozent, bei der Ruhrknappschaft nur 46 Prozent.
223 LA SB, StK/KR/MAW/1951/T-l, Kirn an Präsidialkanzlei vom 11.1.51.
149
nach diesem Zeitpunkt verrentet wurden.224 Verwaltungstechnisch bestand das Pro-
blem, daß zur Ermittlung des Anspruchs alle Unterlagen des Versicherten zugänglich
sein mußten, was aber nach 1945 nicht der Fall gewesen war.225 Das frühere Reichs-
recht beschränkte den Leistungszuschlag als Bestandteil der knappschaftlichen Renten-
versicherung auf die Gruppe der Hauer und der ihnen gleichgestellten Bergleute.226 Der
Untertagezuschlag beseitigte die durch den Leistungszuschlag entstandenen Unter-
schiede zwischen neuem und altem Recht. Diese Regelung brachte ca. 10.000 Knapp-
schaftsrentnem Vorteile.227 Ihm war auch eine sozial egalisierende Funktion beizumes-
sen, weil alle Bergleute unter Tage in seinen Genuß kamen und nicht nur die Hauer. Im
Gegensatz zum Leistungszuschlag war er aber geringer, betrug doch der Untertage-
zuschlag vom 11. Jahre ab nur 0,5 Prozent des Steigerungsbetrages, bei den Knapp-
schaftsvollrenten war dies gegenüber dem Leistungszuschlag ein Verlust von 2 Prozent
des Steigerungsbetrages. Zum anderen versuchte die Neuregelung den technischen
Veränderungen in der Arbeitswelt des Bergbaus Rechnung zu tragen. Mit den Zeiten
eines mechanisierten und zunehmend automatisierten Bergbaus veränderte sich die
Definiüon des Bergmannberufs. Hier ist an die Schrämmaschinen zu denken, welche
zunehmend die schwere Arbeit mit dem Abbauhammer ersetzten.228 Mit der Ein-
führung des Untertagezuschlags behandelte die knappschaftliche Rentenversicherung
jeden, der in eine Grube einfuhr, als Bergmann und nicht nur die Hauer, denn alle
Berufstätige unter Tage waren gefährlichen und gesundheitsschädlichen Arbeits-
bedingungen ausgesetzt.229
Diese Reform brachte für die Mehrzahl der Rentenbezieher Vorteile und erfreute sich
einer breiten Akzeptanz. Bei der Rückgliederung des Saarlandes sollte der Untertage-
zuschlag nach dem Willen der Gewerkschaften erhalten bleiben, entsprechende Bemü-
hungen des sozialdemokratischen Arbeitsministers Hermann Trittelvitz (SPD) blieben
jedoch erfolglos.230
224 Privatpapiere Jakob Feiler, CVP-Rednermaterial zum Saarknappschaftsgesetz.
Knappschaft Saarbrücken (KSB), Niederschrift zur Sitzung des Beirates der Saarknappschaft vom
26.11.45. LA SB, MifAS, Bd.34, Saarknappschaft, EX-Kn IL/3 an Regierungsdirektor Metz, Ministerium für
Arbeit,vom 28.5.56.
226 L'UJ
Ebd.
227 SZ vom 13.10.55, SVZ vom 14.10.55 und vom 25.3.58.
228
Armin H e i n e n, Vom frühen Scheitern der französischen Saarpolitik. Politik und Ökonomie
1945-1950, in: Von der 'Stunde 0 zum 'Tag X'. Das Saarland 1945-1959. Katalog zur Ausstellung des
Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg. vom Stadtverband
Saarbrücken, Merzig 1990, S.161 und Abb.119.
229
Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung, S.360.
BA KO, B 149, Nr.7807, Bl.35/36, Hermann Trittelvitz, Minister für Arbeit und Sozialordnung, an BM
für Arbeit,Theodor Blank, vom 24.5.58. Siehe auch: Ebd., Bundesministerium des Innern (B 106), Nr.9708,
Abt.V, AZ V Bl-51550 B 891 1/57, vom 4.11.57. Hermann Trittelvitz löste am 14.2.1958 den
zurückgetretenen Arbeitsminister Kurt Conrad im Ersten Kabinett Reinert ab und bekleidete dieses Amt
150
Hinsichtlich der Rentenberechnungsgrundlagen setzte das Saarknappschaftsgesetz
1951 pauschalierte Entgelte fest. Diese Maßnahme bewirkte eine Vereinfachung in der
Rentenberechnung, denn um die Höhe des Steigerungsbetrages feststellen zu können,
war es notwendig, den genauen Verdienst des Versicherten während seines ganzen
Arbeitslebens zu ermitteln. Dies entfiel von nun an für die Beitragszeiten bis zum 31.
Dezember 1947. Alle Dienstjahre bis zu diesem Zeitpunkt wurden mit gleich hohen
Entgelten bewertet. Es wurden für die einzelnen Berufsgruppen Beitragsklassen
gebildet, wobei Durchschnittslöhne mit entsprechenden durchschnittlichen Beiträgen
zugrunde gelegt wurden. Sogenannte Besitzstandsrenten sahen vor, daß bei Anwen-
dung der neuen Berechnungsgrundlage Rentenminderungen nicht eintraten. Für die
Mehrzahl der Rentenbezieher brachte diese Reform "nicht unerhebliche (...) Renten-
erhöhungen."231 Wenn man die Renten der Saarknappschaft mit den Renten der Berg-
leute an Rhein und Ruhr vergleicht, so zeigt sich, daß die saarländische Rentenpolitik
für die breite Schicht der Rentenbezieher Vorteile brachte und soziale Gegensätze in
Form von relativ kleinen und relativ hohen Renten im Saarland abgemildert wurden.
auch im Zweiten Kabinett Reinert sowie Ersten Kabinett Röder bis Anfang Januar 1961. Siehe: Hans-
Walter Herrmann und Georg Wilhelm S a n t e, Geschichte des Saarlandes, Würzburg 1972, S.81.
231
LA SB, MifAS, Bd.34, Saarknappschaft, IX-Kn II/3, an Ministerium für Arbeit, Regierungsdirektor
Metz, vom 28.5.46. Ebd., Minister für Arbeit an die Abteilung B im Hause vom 9.4.56.
151
VERTEILUNG DER KNAPPSCHAFTSVOLLRENTEN der RUHR- (RK) und SAAR-
KNAPPSCHAFT (SK):2i2
Zahl der Rentenempfänger
Rentenhöhe in FRS: bis 5.000 RK 357 SK
5.000 - 8.000 - -
8.000- 10.000 15.387 732
10.000- 15.000 34.850 2.439
15.000-20.000 40.831 4.605
20.000 - 25.000 30.799 8.535
25.000 - 30.000 14.671 6.337
30.000 - 35.000 3.876 931
35.000 - 40.000 1.371 148
40.000 - 45.000 642 58
45.000 - 50.000 332 15
über 50.000 452 4
Diese Rentenpolitik entsprach nicht den Vorstellungen des französischen Wirtschafts-
partners. Er fürchtete um das wirtschaftliche und politische Gleichgewicht. Hintergrund
war, daß die Renten der saarländischen Bergleute wesentlich höher waren als die der
französischen Kumpel. Während 1951 die Rentner der Saarknappschaft Spitzenrenten
von 24.000 bis 27.000 FRS im Monat erzielten, bewegten sich die vergleichbaren
französischen Renten bei 16.000 FRS.232 233 Die von französischer Seite durchgeführten
Berechnungen berücksichtigten jedoch nicht, daß es in Frankreich gerade für die
höheren Einkommensgruppen Zusatzversorgungssysteme gab.
232 Nach SZ vom 13.8.55. Siehe auch: SVZ vom 14.10.55.
233 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., E VI4/ E VI 5, Vermerk P. Bouffanais vom 18.6.51.
152
4.2 Saarländische Emanzipationstendenzen
Sozialpolitik ohne Abstimmung mit dem Wirtschaftspartner
Die Vorgänge um Beratung und Verabschiedung des Saarknappschaftsgesetzes vom
11. Juli 1951 sind Ausdruck eines politischen Emanzipationsanspruchs. Sie signalisie-
ren die Absicht der Saarparteien, sozialpolitisch noch unabhängiger zu entscheiden und
keine Rücksicht mehr auf die wenigen durch die Wirtschaftsunion gesetzten Ein-
schränkungen zu nehmen. Frustrationen waren vorausgegangen, insbesondere wegen
des Mißtrauens französischer Stellen den Saarparteien größere Gestaltungsspielräume
und damit mehr Autonomie zuzugestehen. Die SPS spürte eine innerparteiliche Oppo-
sition, nicht zuletzt deshalb hatte sie im Frühjahr 1951 die Koalition verlassen.234 Dies
förderte das Bestreben, Sozial- und Wirtschaftspolitik stärker voneinander zu trennen
und über eine sozialpolitische Emanzipation zu mehr Selbständigkeit im wirtschafts-
politischen Bereich zu kommen, wie vor allem die Position zum Plafond zeigt.
Ohne vorherige Rücksprache mit der Régie und dem Hohen Kommissariat und ent-
gegen der Beschlüsse des Grubenrates wurde die Erhöhung des Plafonds auf 39.000
FRS für alle Bereiche der Sozialversicherung ausgedehnt. Schon im Vorfeld der
Beratungen versuchte die saarländische Seite, die gemischte Kommission zu
umgehen.235
Das Verhalten von Presse und Parteien, nachdem der Hohe Kommissar sein Veto
gegen die den Plafond betreffenden Inhalte des Saarknappschaftsgesetzes eingelegt
hatte, verdeutlicht das Emanzipationsstreben der saarländischen Seite. Grandval akzep-
tierte die Erhöhung des Plafonds nur für die Rentenversicherung, nicht aber für die
anderen Zweige der Sozialversicherung und die Kasse für Familienzulagen. Für die
Saarparteien wurde es zur Prestigefrage, das erste, vom saarländischen Landtag zudem
einstimmig angenommene, zusammenhängende Sozialgesetz durchzusetzen. Die
Sprache gewann zunehmend an Schärfe und Emotionalität. So sprach die "Saarlän-
dische Volkszeitung" vom "Schicksal der Sozialgesetze" und das Organ der SPS, die
"Volksstimme", protestierte mit "Unglaublich-Unmöglich"236 gegen die ablehnende
Haltung Grandvals. Über die Polemik der Einheitsgewerkschaft war Grandval persön-
lich tief betroffen.237 Obwohl er gegen Teile des Gesetzes sein Veto eingelegt hatte,
H e i n e n, Saarçahre, Bd.2 , S.350 f.
MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., E VI4 / E VI 5, Mission Jur., Nr.5984, A. Antoine vom 2.2.51. Vermerk,
Abt. Arb. und Sozialvers. vom 10.7.51 für Hohen Kommissar. Grandval an MAE Paris, JUR 927/AA/MG
vom 19.7.51.
SVZ vom 3.8.51. Volksstimme vom 28.8.51.
237
MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., E VI 4/ E VI 5, Grandval an den Präsidenten der Einheitsgewerkschaft
vom 20.8.51. No 4393/DEL vom 31.8.51, P. Bouffanais an die Einheitsgewerkschaft:"!! est, en effet,
dangereux d'agiter inconsidérément l'opinion en déformant les situations que l'on expose. N'y-a-t-il pas
pour tous ceux qui s'occupent des affaires politiques un devoir d'objectivité." Siehe auch: Volksstimme
vom 1.9.51.
153
wurde es dennoch im Amtsblatt veröffentlicht. Gegen Ende des Jahres nahm Grandval
seinen Einspruch zurück, in Frankreich war der Plafond inzwischen angehoben wor-
den.238
Emanzipation durch Selbstverwaltung
Nicht nur hinsichtlich des Plafonds, sondern auch in der Frage der Selbstverwaltung
handelte die saarländische Seite ohne Abstimmung mit dem französischen Wirtschafts-
partner und gestand den Arbeitnehmern in der Landtagssitzung vom 30. Januar 1951
eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu.239 Für die französische Seite war dies ein Verstoß gegen
Artikel 13 Absatz 3 der Konventionen. Grandval war sehr enttäuscht über das Vorge-
hen von SPS und CVP. Nach der Pariser Konvention seien alle geplanten Gesetze, die
wesentliche Auswirkungen auf den Bergbau hatten, zunächst der gemischten Kommis-
sion zur Prüfung vorzulegen.240 Richard Kirn wies die Kritik selbstbewußt mit der
Begründung zurück, die Kommission sei nach seiner Rechtsauffassung nur für Gesetze
zuständig, die vom Saarländischen Landtag noch nicht in erster, zweiter oder dritter
Lesung verabschiedet worden seien.241
Nicht nur die Vorgänge um das Gesetz, sondern auch der Inhalt waren Ausdruck eines
Emanzipationsanspruches. Die Erhöhung des Plafonds auf 39.000 FRS für alle Berei-
che der Sozialversicherung einschließlich der Kasse für Familienzulagen gegen den
Willen des französischen Wirtschaftspartners unterstreicht, daß die Saarparteien nicht
mehr bereit waren, auf dieses Element der französischen Sozialversicherung Rücksicht
zu nehmen. Dieses Verhalten zeigt, daß die saarländische Seite sich auch den Spiel-
regeln des sozialpolitischen Partikularismus nicht mehr unterwerfen wollte. Interessant
sind auch die Argumentationsmuster der saarländischen Entscheidungsträger. Den
Bedenken des Hohen Kommissariates und der Régie, die vorgesehenen Änderungen
führten zu enormen Mehrkosten und seien wirtschaftlich nicht tragbar, hielt man
einfach, ohne auf die wirtschaftlichen Bedenken direkt einzugehen, den hohen Beitrag
der saarländischen Regierung nach dem Motto entgegen: Wenn der Staat 1,2 Milliarden
FRS zusätzlich im Jahr ausgeben könne, dann müsse doch die Régie Mehrkosten in
Höhe von 500 Millionen FRS verschmerzen können. Die Bedenken der französischen
Seite, die Wirtschaftsunion verliere wegen höherer Kosten der Régie im Vergleich zur
Arbeitgeberbelastung in den französischen Kohlerevieren ihr Gleichgewicht, verwies
August Martin (CVP) selbstgerecht ins Reich der Spekulation, dies müsse erst noch
bewiesen werden.242 *
238 LA SB, StK/KR/MAW/1952/T-2, Vorgang zur Änderung des Saarknappschaftsgesetzes.
239 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., E VI 4/Е VI 5, Vermerk v. A. Antome vom 2.2.51.
240 LA SB, MifAS, Bü.7, Niederschrift über die außerordentliche Sitzung des vorläufigen Vorstandes der
Saarknappschaft vom 9.2.51.
241 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., E VI4 / E VI 5, Kim an Grandval vom 12.3.51.
242
Ebd., Bericht zur Sitzung des l'Office des Mines vom 19.6. und 27.6.1951.
154
Programmatisch äußerte sich der Emanzipationsanspruch vor allem in der Wiederher-
stellung und im Ausbau der Selbstverwaltung. Zu Jahresbeginn 1951 stellte der Gesetz-
geber den Selbstverwaltungsgedanken heraus und definierte Bestimmungen über
Wählbarkeit und Wahlverfahren. Entscheidend war auch, daß bereits den Arbeitgebern
in den Selbstverwaltungsorganen nur ein Drittel der Stimmen zugebilligt werden sollte.
Die praktische Umsetzung der Selbstverwaltung wurde aber zunächst noch hinausge-
schoben, indem die Amtszeit des vorläufigen Vorstandes der Saarknappschaft noch-
mals verlängert wurde.243
Richard Kirn hatte bereits Ende 1947 im Rahmen der Umsetzung der Sozialversiche-
rungsreform einen Selbstverwaltungsvorstoß unternommen, der durch Grandval
zunächst gebremst worden war. Einheitsgewerkschaft und christliche Gewerkschaften
forderten immer wieder die Wiederherstellung der Selbstverwaltung, wobei in einer
Resolution des I.V. Bergbau im Mai 1948 bereits eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die
Arbeitnehmer im Vorstand der Saarknappschaft beansprucht wurde.244
Kim verteidigte die Selbstverwaltungsforderung der Gewerkschaften und wies auf die
fortschrittliche Politik der französischen Militärregierung in ihrer Zone hin. Seine
Strategie bestand darin, den Selbstverwaltungsanspruch nicht als Kontinuität zur
deutschen Sozialversicherung, sondern als Anpassung an die Politik der französischen
Militärregierung darzustellen; "In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen
werden, daß auch in der französischen Besatzungszone durch Herrn General Koenig
für die Verwaltung der Knappschaften einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Arbeitnehmer
zugestimmt worden ist".245
Im übrigen war die Selbstverwaltung ein Verfassungsauftrag, der nun endlich durch-
gesetzt werden sollte, wobei Richard Kirn selbstsicher gegenüber Direktor Hasse von
der Saarknappschaft den Arbeitgebern nur ein Drittel der Sitze mit der Begründung
zugestehen wollte, in Artikel 46 der saarländischen Verfassung sei von einer "Selbst-
verwaltung der Versicherten unter Mitwirkung der Arbeitgeber"246 die Rede. Kims
sozialpolitisch ausgesprochen fortschrittliche Interpretation, die auch eine saarpoliti-
sche Dimension hatte, weü damit die französische Repräsentanz in der Saarknappschaft
zu einer Minderheitenposition wurde, stieß auf einhellige Zustimmung der Gewerk-
schaften.
Gesetz zur Änderung der Verordnung über die Errichtung der Saarknappschaft vom 4.12,45 (Abi.,
S.61),vom 30,1.51, in: Abt.1951, S.651.
LA SB, StK, Nr.866, Resolution des I.V. Bergbau in der EG vom 22. und 23.5.48.
Ebd., StK/KR/MAW/1951/T-l. Kim an Präsidialkanzlei vom 11.1.51.
246 -_ „
Verfassung des Saarlandes vom 15.12.1947, in: Abi.1947, S.1077 f., Auszug aus Artikel 46:"Sozial-
und Arbeitslosenversicherung unterstehen der Selbstverwaltung der Versicherten unter Mitwirkung der
Arbeitgeber und haben besondere Gerichtsbarkeit. Das Nähere bestimmt das Gesetz."
155
Innerhalb des Ministerrates war noch eine für die französische Seite akzeptable Rege-
lung vorgesehen worden, nach der sechs Arbeitnehmervertretern vier Arbeitgeberver-
treter gegenüberstanden und ein Vertreter des Finanz- und des Wirtschaftsministeriums
in den Gremien vertreten sein sollte. Wegen der staatlichen Zuschüsse entsprach die
Berücksichtigung des Finanzministers einer am Beitragsprinzip orientierten Selbstver-
waltung, und die Repräsentanz des Wirtschaftsministers signalisierte dem französi-
schen Partner Rücksicht auf die Wirtschaftsunion. Weder der SPS noch der Einheits-
gewerkschaft sagte diese Regelung zu, sie wurde auch durch den Einfluß der christli-
chen Gewerkschaften, die sich in der Selbstverwaltungsfrage stark engagierten, zu Fall
gebracht.247
Die französische Seite sah in der geplanten Selbstverwaltung eine Frage der Machtver-
teilung zwischen den Wirtschaftspartnern. Schließlich ging es allein in der Kranken-
versicherung um die Frage, wer fast 300 Millionen FRS in Zukunft verwalten würde.248
Bezeichnend dafür ist das Urteil des Hohen Kommissariates über die geplante Selbst-
verwaltung als "vorsätzliche Absicht, die Rolle, die die Régie des Mines in der Ver-
waltung ihrer eigenen Sozialversicherungsträger spielen soll, weitmöglichst zu be-
schränken".249
Die Régie war vor allem darüber empört, daß die Machtverteilung in der Selbstver-
waltung dem Beitragsprinzip widerspreche. So protestierte Direktor Hasse, es könne
doch nicht sein, daß die Régie die Hälfte der Beiträge zahle, stimmlich aber in der
Minderheit bliebe. Sowohl Alphonse Rieth als auch Direktor Hasse fürchteten, daß sich
die Rolle der Régie nur noch auf eine beratende Minorität innerhalb der Saarknapp-
schaft reduziere. Gegenüber den Vertretern der Régie teilten sich die Saarländer die
Gegenargumente. August Martin, CVP-Mann, beschwichtigte mit dem Hinweis, alle
wichtigen Fragen hinsichtlich der Sozialgesetze würden durch das Landes versiche-
rungsamt geregelt, obwohl es eine entsprechende Funktion nur in Fragen von "staats-
wichtiger Bedeutung" hatte.250 Die Gewerkschaftsvertreter, insbesondere Kratz von der
GCS, verwiesen die französischen Verhandlungspartner auf die fortschrittliche Selbst-
verwaltungspolitik General Koenigs. Lediglich Saarknappschaftsdirektor Daub unter-
stützte die französische Position einer paritätischen Machtverteilung. Der saarlän-
dischen Position stellten Direktor Daub und die Vertreter der Régie entgegen, daß vor
1935 eine paritätisch strukturierte Selbstverwaltung bestanden habe. Die Verhältnisse
24 LA SB, MifAS, Bü.7, GCS an Ministerpräsident Hoffmann vom 28.11.50. Schon im Vorfeld hatte die
GCS dagegen protestiert mit der Begründung, dies widerspreche dem Selbstverwaltungsgedanken und sei
auch in der Bundesrepublik nicht üblich. Vgl. auch MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., E VI 4 / E VI 5, Compte
rendu zu einem von Hoffmann arrangierten Treffen zwischen Ruffing und Kratz mit der Regie vom 1.3.51.
248 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Dass.146, Bl.1-5, Gilbert Grandval an MAE vom 19.7.51.
LA SB, MifAS, Bü.7, HC/JUR 998/gl/MG vom 9.8.51 an Johannes Hoffmann.
250 Ebd., Niederschrift über die Sitzung des vorläufigen Vorstandes der Saarknappschaft vom 9.2.51.
156
in der französischen Besatzungszone könnten nicht ins Feld geführt werden, weil in
anderen Gebieten eine Vielzahl selbständiger Grubenbetriebe nur ein geteiltes und
vermindertes Interesse an knappschaftlichen Versicherungsträgern auslöse, während im
Saarland ein Grubenunternehmen, nämlich die Régie, sich für die Entwicklung und
Entfaltung der knappschaftlichen Kranken- und Rentenversicherung voll mitverant-
wortlich fühle. Man verwies im übrigen auf die französische Knappschaft, bei der
jeweils ein Drittel der Sitze auf Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt sei.251
Solche Vorstellungen lehnte Kirns Ministerium kategorisch ab.252
Im Rahmen der Selbstverwaltungsdiskussion ging es auch um die Rolle der Bergbauli-
chen Berufsgenossenschaft, also um die Unfallversicherung für Bergleute, sie sollte
nach dem Willen des Arbeitsministeriums in die Saarknappschaft integriert werden,
und damit galt auch für die Unfallversicherung eine Zwei-Drittel- Mehrheit der Arbeit-
nehmer. Diese Regelung war extrem fortschrittlich. Sowohl Régie als auch Hohes
Kommissariat lehnten aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Arbeitnehmer in der Unfall-
versicherung mit dem Hinweis ab, die Arbeitgeber trügen die Kosten für die Unfall-
versicherung allein.253
Neben dieser am Beitragsprinzip orientierten Argumentation spielten aber auch inner-
französische Erfahrungswerte für die ablehnende Haltung eine Rolle. Grundsätzlich
fürchtete man Kostensteigerungen für die Knappschaft, wenn im Vorstand die Arbeit-
nehmer über zwei Drittel der Stimmen verfügten. Ausschlaggebend dafür war die
defizitäre Situation in der französischen Krankenversicherung, wofür auch die Selbst-
verwaltung verantwortlich gemacht wurde: "La situation déficitaire de la Sécurité
Sociale en France, branche maladie, est bien connue. On s'accorde à reconnaître que les
causes résident dans la gestion et le régime des médecins, pharmaciens, dentistes. Le
Vorstand de la Knappschaft pourrait, en s'éloignant des règles qu'il a suivies jusqu'à
présent, mettre notre caisse dans la même situation.254 Ähnlich sah man es für die
Unfallversicherung:"Si le Vorstand, au contraire, comprend une représentation ouvriè-
re majoritaire, il est à craindre, que les cas qui seront soumis au président du Vorstand
ne soient toujours tranchés en faveur de l'ouvrier qui demande la rente."255
LA SB, MifAS, Bü.7, Niederschrift über die außerordentliche Sitzung des vorläufigen Vorstandes der
Saarknappschaft vom 9.2.51.
252
Ebd., Niederschrift über Sitzung im Arbeitsministerium vom 18.12.50.
253 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., E VI 4 / E VI 5, P. Bouffanais, JUR/ 998/ Gl/MG vom 9.8.51. Eine
entsprechend fortschrittliche Regelung in der Unfallversicherung war in Rheinland-Pfalz geplant worden,
scheiterte aber am Widerstand der CDU, siehe: Hudemann, Sozialpolitik, S.291 f.
234
Ebd., Vermerk des Service de la Prévoyance sociale et assurances vom 1.2.51.
255
Ebd., Régie, le Directeur Personnel à M. le Dir. Général vom 5.1.53.
157
Bei den Beratungen zum Saarknappschaftsgesetz spielte aber auch die Ausgliederung
der Familienzulagenkasse aus der LVA eine Rolle. Die CVP versuchte auf diese Weise
ein Gegengewicht zur sozialdemokratischen Dominanz in der LVA zu bilden. Ihr
Gesetzentwurf sah paritätische Stimmenverhältnisse in den Selbstverwaltungsorganen
der Familienzulagenkasse, Vertreterversammlung und Vorstand vor. Darauf berief sich
die Régie bei ihrer Ablehnung, die Berufsgenossenschaft in die Saarknappschaft zu
integrieren256 und damit den Arbeitnehmern eine Zwei-Drittel-Repräsentanz zuzugeste-
hen, denn die Arbeitgeber brachten sowohl für die Familienzulagenkasse als auch für
die Unfallversicherung die Beiträge allein auf. Gegen die auch im Gesetz vorgesehene
paritätische Struktur der Selbstverwaltungsorgane wurde am 17. September 1951 von
einigen SPS-Abgeordneten Klage bei der Verfassungskommission erhoben. Ihr wurde
stattgegeben und damit galten die Familienzulagen als Zweig der Sozialversicherung.
Eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die Arbeitnehmer in den Selbstverwaltungsorganen
wurde im Juli 1953 vom Gesetzgeber erlassen.257
Wenn auch die im Gesetz vorgesehene Eingliederung der Bergbaulichen Berufs-
genossenschaft in die Saarknappschaft nicht umgesetzt worden ist, so fanden ent-
sprechend der Bestimmungen des Gesetzes Wahlen zu den Organen der Saarknapp-
schaft statt. Die Spitze der Saarknappschaft bildete der Vorstand und die Generalver-
sammlung. In beiden Organen gab es eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Arbeitnehmer. So
setzte sich der Vorstand aus 8 Vertretern der Versicherten und 4 Arbeitgeber Vertretern
zusammen. Gewählt wurde er durch die Generalversammlung, die aus den Knapp-
schafts- und Angestelltenältesten und den Vertretern der Arbeitgeber bestand, ent-
sprechend einer Vorschlagsliste der Berufsorganisationen.258 Bei den Knappschafts-
wahlen 1952 und 1954 konnte die Gewerkschaft Christlicher Saarbergleute relativ gute
Ergebnisse mit steigender Tendenz erzielen. Während 1952 der I.V. Bergbau in der
Einheitsgewerkschaft fast 60,9 Prozent der Stimmen erhielt und die GCS nur etwas
über 39 Prozent, veränderte sich das Gewicht bei den zweiten Wahlen 1954, als die
christliche Gewerkschaft mit 51,5 Prozent die Einheitsgewerkschaft überflügelte.259
Einige Bestimmungen des Saarknappschaftsgesetzes entsprachen Tendenzen der
französischen Sozialpolitik, die bereits seit 1947 auf dem Verordnungsweg in der
256 Volksstimme vom 28.8.51.
LA SB, MifAS, Bd.226, Klage von Dr. Heinz Braun, Emst Kunkel, Georg Schulte und den Herren
Westermann und Groß vom 17.9.51. Entscheidung der Verfassungskommission, wonach die Kasse für
Familienzulagen an Artikel 46 der saarländischen Verfassung gebunden sei, d.h.: "Selbstverwaltung der
Versicherten unter Mitwirkung der Arbeitgeber". Siehe: Gesetz zur Änderung des Gesetzes Nr.273 über die
Familienzulagen vom 11.7.51 vom 10.7.53, in: Abl.1953, S.532 f.
258 Siehe § 83-88 des Saarknappschaftsgesetzes vom 11.7.51, in: Abi.1951, S.1099.
259 Maurer, Die knappschaftliche Versicherung , S.764. Jahresbericht der Saarknappschaft 1951 und
1954, S.7.
158
Sozialversicherung angewandt wurden. Hierzu gehörte vor allem die Ausdehnung der
Versicherungspflicht. Man hat den Eindruck, daß auf diese Weise die französischen
Bedenken gegenüber einigen Bestimmungen des Saarknappschaftsgesetzes kompen-
siert werden sollten, denn wesentliche Inhalte, wie der Ausbau der Staatszuschüsse und
die Beibehaltung des Versicherungsprinzips, widersprachen sowohl der französischen
Sozialversicherungstradition als auch den Interessen des französischen Wirtschafts-
partners. So kamen die Saarländer französischen Wünschen entgegen und setzten die
Altersgrenze zur Gewährung der Knappschaftsvollrente von 65 auf 60 Jahre herab, die
Franzosen hätten aus wirtschaftlichen Gründen zur Verjüngung der Belegschaft al-
lerdings eine weitergehende ab dem 55. Lebensjahr geltende Regelung lieber gesehen.
Auch die fortschrittlichen zwischen Arbeitern und Angestellten egalisierenden Be-
stimmungen fanden Zustimmung auf französischer Seite, weil sie als eine Entfernung
von der deutschen Sozialversicherung interpretiert wurden. Im Saarknappschaftsgesetz
wurde in Paragraph 11 geregelt, daß alle Beschäftigten ungeachtet ihres Einkommens
versicherungspflichtig sind. Beiträge wurden nur bis zur Höhe des Plafond als Bei-
tragsbemessungshöchstgrenze gezahlt, darüber hinausgehende Einkommensbestand-
teile blieben sowohl für die Beitragsberechnung als auch für die späteren Leistungs-
ansprüche unberücksichtigt. Damit verlieh das Saarknappschaftsgesetz dem französi-
schen Plafond eine sozialgesetzliche Verankerung. Die saarländische Sozialpolitik
beabsichtigte damit aber keineswegs eine Assimilierung an die französische Sozial-
politik, wie der gegenüber Frankreich deutlich höher angesetzte Plafond verdeutlicht.
5. Ergebnisse
Zu Beginn wurde gefragt, wie sich im Kontext der Wirtschaftsunion die Sozialpolitik
im Konfliktfeld divergierender Traditionen an der Saar entwickelt hat. Ein Transfer
französischer Systeme und eine damit verbundene Assimilation hat an der Saar nicht
stattgefunden. Stattdessen zeigt sich ein nuancenreiches Bild.
Die Gegenüberstellung von Arbeitslosenversicherung und Familienzulagen veran-
schaulicht, wiedas Saarland aus den sozialpolitischen Gegensätzen zwischen Deutsch-
land und Frankreich profitieren konnte, indem sowohl die Arbeitslosenversicherung
erhalten und ausgebaut als auch eine aktive Familienpolitik betrieben wurde. Diese
Synthese wurde dadurch erleichtert, daß dem traditionellen familienpolitischen Enga-
gement Frankreichs kein Äquivalent der deutschen Sozialpolitik gegenüberstand.
Hinzu kam, daß die Pervertierung der Familienpolitik durch den NS-Staat keine
Schatten auf die familienpolitische Diskussion an der Saar nach 1945 werfen konnte.
Die besonderen politischen Rahmenbedingungen des Saarlandes erleichterten einen
familienpolitischen Take off in Anlehnung an das Familienlohnsystem des Wirtschafts-
partners.
159
Neben einer Synthese steht die Verzahnung von Neuordnungsvorstellungen der
französischen Politik mit Reformvorstellungen der saarländischen Sozialdemokratie,
z.B. in Fragen der Ausdehnung der Versicherungspflicht, der Gleichstellung von
Arbeitern und Angestellten in der Rentenversicherung und der Krankenkassenreform.
Innerhalb der Rentenversicherung ist aber eine Orientierung an deutschen Traditionen
unübersehbar, wie das zähe Ringen um ein dreigeteiltes Finanzierungssystem und der
eingeschlagene Weg, die staatlichen Subventionen kräftig auszubauen, veranschauli-
chen.
Die Orientierung an deutschen Traditionen, die sich auch in den sozialpolitischen
Bestimmungen der Verfassung widerspiegelte, stand in einem direkten Wirkungs-
zusammenhang mit der Trennung von Sozial- und Wirtschaftspolitik. Nur, wenn die
saarländische Sozialpolitik sich an der deutschen Tradition orientierte und damit
Transfer und Assimilierung ablehnte, konnte sie sich einen sozialpolitischen Spielraum
erhalten, und so ihre geringen wirtschaftspolitischen Kompetenzen kompensieren. Bei
der Sozialversicherungsreform im Sommer 1947 hatte die französische Seite die
Reform noch als Provisorium auf dem Weg zu einer stärkeren Anlehnung an Frank-
reich gesehen. Diesen Kurs mußte Grandval aufgeben. Insbesondere die saarländische
Sozialdemokratie mit Peter Zimmer und Richard Kirn zeigte ihm anläßlich der Bera-
tungen über die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung für den Weg einer sozial-
politischen Assimilation an Frankreich die rote Karte, indem sie sich vehement gegen
sein Veto wehrten und mit politischen Unruhen drohten. Sie setzten gemeinsam mit der
CVP die Finanzierung der Sozialversicherung und die Struktur der KriegsopferVersor-
gung im Sinne der deutschen Tradition durch. Grandval entschied sich nun dafür, einen
sozialpolitischen Partikularismus zu tolerieren, der seine Grenzen fand, wenn die
Arbeitgeberbelastung zwischen dem Saarland und Frankreich zu sehr differierte.
Innerhalb der Pariser Administration divergierte die Meinung zu diesem Kurs.
Zugleich gewann ab diesem Zeitpunkt die saarländische Sozialpolitik an Dynamik,
denn sie hielt nicht dogmatisch an der deutschen Sozialpolitik fest, sondern verfolgte
in vielen Bereichen, wie der Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten in der
Rentenversicherung oder der Witwenpolitik, einen ausgesprochen reformfreudigen
Kurs. Wie ein Maßanzug wurde die Sozialpolitik der Sozialstruktur des Landes ange-
paßt und damit zum Markenzeichen des autonomen Saarstaates, nicht zuletzt deshalb
wollten die Saarländer bei der Rückgliederung an die Bundesrepublik ihren "sozial-
politischen Besitzstand" bewahren.
Das Saarknappschaftsgesetz bedeutete eine weitere Zäsur insofern, als die Saarländer
die Trennung von Sozial- und Wirtschaftspolitik insbesondere über eine extrem fort-
schrittliche Selbstverwaltungsregelung forcieren wollten, möglicherweise in der
Absicht, über eine sozialpolitische Emanzipation der französischen Seite mehr wirt-
160
schaftliche Gestaltungsmöglichkeiten abzuringen. Das Rentenniveau im Saarland
scheint vor der bundesdeutschen Rentenreform 1957 für die Mehrheit der Versicherten
günsüger gewesen zu sein als in der Bundesrepublik. Die relativ hohen Leistungen
fallen um so mehr ins Auge, wenn man das Verhältnis zwischen Beitragszahler und
Rentenempfänger betrachtet, zugleich zeigt es die Auswirkung der Trennung von
Sozial- und Wirtschaftspoliük. Während bei der Ruhrknappschaft das Verhältnis
zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern 100 zu 85,5 betrug, standen in der
Saarknappschaft 100 Beitragszahlern 112 Leistungsempfänger gegenüber. Kosten-
treibend kam hinzu, daß die durchschnittliche Laufzeit der Renten im Saarland höher
war als an der Ruhr.260
Inwieweit nun generell die saarländischen Sozialgesetze wesentlich über bundesdeut-
schem Niveau lagen, soll in einem eigenen Kapitel untersucht werden. Zuvor soll aber
über die Instrumentalisierung der Sozialpolitik nachgedacht werden.
260
LA SB, MifAS, Bd.34,
Knappschaftliche Rentenversicherung (Stand 1.1.55), Statistik vom 5.5.56.
161
m. DIE POLITISCHE FUNKTION DER SOZIALPOLITIK
1. Expansion der Sozialpolitik als generelles Entwicklungsmoment
Der Begriff Sicherheit im sozialen Kontext wurde erst im 20. Jahrhundert zum Symbol
einer gesellschaftlichen Wertidee - zu einem der großen Werte westlicher Demokratien
in Europa neben "Freiheit" und "Gleichheit". Ein erster Schritt war mit der Einführung
von Sozialversicherungssystemen bereits vor dem Ersten Weltkrieg eingeleitet worden.
Danach bauten in einer sozialpolitischen Expansionsphase einige europäische Länder
zwischen den Weltkriegen diese Systeme - z.B. durch eine Arbeitslosenversicherung -
aus.1
Ihr Leistungsniveau wie auch die gesamtgesellschaftliche Erfassung waren aber vieler-
orts noch gering. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es hier zu einer Zäsur. Der
Hintergrund für diese Entwicklung liegt in der generell veränderten Bedeutung der
Sozialpolitik nach 1945. Schon während des Krieges wurde die soziale Sicherheit als
"moralische Waffe" gegen den nationalsozialistischen Feind eingesetzt. Die Welt-
kriegserfahrung förderte das Entstehen einer Nachfrage nach Sozialpolitik. Die Nach-
kriegssituation mit zerstörten Städten, Armut und Krankheiten bereiteten den Boden
für eine weitere sozialpolitische Expansionswelle und einen geradezu meteorartigen
Aufstieg der Sozialpolitik.2
Dabei wandelte sich auch die Funktion des Begriffs "Sozialpolitik". Während im 19.
Jahrhundert mit ihm vor allem die Fürsorge für Unterprivilegierte, z.B. die sogenannte
Armenfürsorge, assoziiert wurde, gewann der Terminus spätestens in der Weimarer
Republik eine gesellschaftspolitische Dimension, sowohl die Bundesrepublik mit ihrem
Sozialstaatspostulat in Artikel 20 des Grundgesetzes als auch das Saarland mit Artikel
50 und 51 seiner Verfassung knüpften daran an.3
Begriffe wie "Soziale Sicherheit" - in Frankreich "Sécurité Sociale" als für das nach
1945 aufgebaute neue Sozialversicherungssystem, in die Umgangssprache als Sécu
eingedrungen - waren in der Politik der frühen Nachkriegszeit "zündende Parolen" und
"begeisternde Ideen".4
Peter Flora, Jens Alber und Jürgen Kohl, Zur Entwicklung der westeuropäischen
Wohlfahrtsstaaten, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS) 18/1977, S.742.
2 Ebd.
3
Christoph Klessmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Göttingen
1982, S.236. Verfassung des Saarlandes vom 15.12.47, in: Abi.1947, S.1077 f.
4 Jens Alber, Vom Armenhaus zum Wohlfahrtsstaat, Frankfurt a.M. u.a.O. 1982, S.58. Siehe auch: Hans
Günter H o c k e r t s, Die Entwicklung vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, in: Peter A. Köhler und
Hans F. Zacher (Hrsg.), Beiträge zur Geschichte und aktuellen Situation der Sozialversicherung, Berlin
1983, S. 143.
162
In der Not der Nachkriegsjahre war der Gedanke des Sozialstaates nicht nur für Sozial-
demokraten und Gewerkschaften ein populäres Anliegen.5
Gesellschaftspolitisch führte diese Entwicklung zur Ausbildung des Sozialstaates
insbesondere zur Steigerung der Sozialleistungsquote am Bruttosozialprodukt6, wie es
auch im Saarland nach 1945 zu beobachten war, z.B. in Form hoher staatlicher Sub-
ventionen zur Rentenversicherung. Sie betrugen im Saarland über 50 Prozent. Die
Staatliche Sozialrentnerhilfe im Saarland war charakteristisch für die Zurückdrängung
der Fürsorge, an deren Stelle ein Rechtsanspruch auf staatliche Hilfe trat.
2. Instrumentalisierung der Sozialpolitik
Die soziale Sicherung wurde als ein Stück Lebensqualität angesehen und nahm in-
nerhalb des Wertesystems westlicher Demokratien einen wichtigen Platz ein. Soziale
Sicherheit wurde zu einem vitalen Wählerinteresse, und dies hatte Folgen beim Werben
der Parteien um die Gunst der Wählerstimmen. Im Kontext dieser Entwicklung wuchs
vor allem die Lebensqualität der Arbeiter, da ihre Existenzform an Stabilität gewann.
Langfristig führte dies nach 1945 zu gesellschaftlichen und siedlungsgeschichtlichen
Veränderungen. Es wurde interessant, den Beruf des Landwirtes oder einen kleinen
Familienbetrieb aufzugeben, und in die Stadt abzuwandem, um dort als Arbeiter zu
leben.7
Die Entwicklung zu Wohlfahrtssystemen wurde gerade in Massendemokraüen auch
durch gewerkschaftlichen Druck8 verstärkt, und, wie Dietmar Hüser betont, durch eine
"erhöhte Sensibilisierung eines demokratisch verfaßten Staates gegenüber mentalen
und materiellen Schwierigkeiten der Menschen sowie ein gesteigertes Fingerspitzenge-
fühl für Zumutbarkeitsgrenzen".9
Der politische Einschnitt nach 1945 äußerte sich auch darin, daß die Sozialpolitik zu
einer "zentralen Legitimaüonsgrundlage politischer Herrschaft" wurde, die die traditio-
5 Heinrich Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition. Geschichte des Landes Rheinland-
Pfalz 1946-1955, Mainz 1990, S.125.
Karl T e p p e, Zur Sozialpolitik des Dritten Reiches am Beispiel der Sozialversicherung, in: Archiv für
Sozialgeschichte (AfS) 17/1977, S.195, 206. So entwickelte sich die Sozialleistungsquote am BSP wie
folgt: 3,1 Prozent in 1913, 6 Proz. in 1938 und 19,9 Proz. in 1970.
Burkhart Lutz, Die Singularität der europäischen Prosperität nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Hartmut
Kaelble (Hrsg.), Der Boom 1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik
Deutschland und in Europa, Opladen 1992, S.51.
g
Flora u.a., Zur Entwicklung der westeuropäischen Wohlfahrtsstaaten, S.711.
9
Dietmar Hüser, Aspekte und Motive der französischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten
Weltkrieg, in: Stefan Martens, (Hrsg.), Vom "Erbfeind zum Erneuerer", (Francia-Beihefte 27), Sigmaringen
1993, S.64.
163
nell nationalstaatliche Legitimierung schrittweise liquidierte.10 Sozialer Wohlstand
wirkte als gesellschaftliche Klammer, die zu einem wesentlichen Teil für die politische
Stabilität Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg sorgte. In diesem Zusammenhang
sei auf Alfred Grosser verwiesen und seine These, daß sich Entwicklung und Stabilität
der Bonner Demokratie ohne ihre ökonomische und soziale Entwicklung nicht begrei-
fen läßt.11
Inwieweit gilt dies auch für das Saarland? Die Grenze des Saarlandes zur Bundesre-
publik - war sie nicht auch eine Sozial- und Wirtschaftsgrenze? Die Saarländer er-
schienen in den ersten Nachkriegsjahren ihren deutschen Nachbarn zunächst als
"Speckfranzosen", der bescheidene saarländische Wohlstand war Anreiz für die Bevöl-
kerung der dem Saarland zugeschlagenen Kreise Trier/Land und Saarburg, sich im Juni
1947 gegen ihre Rückgliederung an Rheinland-Pfalz zu wehren.12 Armin Heinen hat
anhand von Karrikaturen nachgewiesen, daß die bundesdeutsche Öffentlichkeit die
Anlehnung des Saarlandes an Frankreich als Opportunismus interpretierte, als eine
Entscheidung für das wirtschaftlich stärkere Land.13 * Andererseits läßt sich beobachten,
daß die zunehmende Orientierung der Saarländer an Deutschland der Dynamik des
bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders folgte.
Die saarländischen Parteien versuchten in den ersten Jahren der Ära Hoffmann über die
Sozialpolitik die geringen wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielräume zu kompensie-
ren und sich durch die forcierte Trennung von Wirtschafts- und Sozialpolitik vom
französischen Wirtschaftspartner zu emanzipieren, letztlich wohl in der Hoffnung,
insgesamt größere politische Spielräume zu gewinnen.
Bestimmte Elemente der saarländischen Sozialpolitik wie die Gestaltung der Familien-
zulagen und auch die Rentenpolitik zeigen, daß sie auf die Sozialstruktur des Landes
wie ein Maßanzug zugeschnitten worden sind. Dieses Ergebnis suggeriert geradezu die
Frage, ob die Sozialpolitik dazu instrumentalisiert wurde, um die Abtrennung von
Hans Günter Hockerts, Hundert Jahre Sozialversicherung. Ein Bericht über die neuere Forschung,
in: Historische Zeitschrift (HZ) 237/1983, S.362.
11 Alfred Grosser, Geschichte Deutschlands seit 1945, München 1970, S.264. Siehe auch: Hans-Peter
Schwarz, Modernisierung oder Restauration? Einige Vorfragen zur künftigen Sozialgeschichts-
forschung über die Ära Adenauer, in: Kurt Düwell und Wolfgang Köllmann (Hrsg.), Rheinland-Westfalen
im Industriezeitalter. Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Land Nordrhein-Westfalen, Wuppertal
1984, S.292.
12
Armin Heinen, Vom frühen Scheitern der französischen Saarpolitik. Politik und Ökonomie 1945-
1950, in: Von der 'Stunde 0' zum 'Tag X\ Das Saarland 1945-59. Katalog zur Ausstellung des
Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg. v. Stadtverband
Saarbrücken, Merzig 1990, S.158.
13 Ders., Saaijahre. Politik und Wirtschaft an der Saar 1945-1955, 2 Bde„ Habilitationsschrift Universität
Saarbrücken 1994.
164
Deutschland und die Wirtschaftsunion mit Frankreich zu stabilisieren. Diese These
erscheint legitim, wenn man die Bemühungen der Regierung Hoffmann sieht, der
Öffentlichkeit ihre sozialpolitischen Erfolge zu präsentieren und die Sozialpolitik zum
Markenzeichen der autonomen Saar zu stilisieren.
Sozialpolitik als Legitimation für eine autonome Saar
Das Betonen sozialpolitischer Erfolge, das Herausstellen überdurchschnittlicher Lei-
stungen in den verschiedensten sozialpolitischen Bereichen, angefangen von der
Vollbeschäftigung, über die Familienpolitik und die Renten bis zur Kriegsopferversor-
gung ist Ausdruck einer Strategie, den sozialpolitischen Vorsprung des Saarlandes auf
den besonderen Status der Saar zurückzuführen. Die Sozialpolitik übernahm dabei
nicht nur eine gesellschaftlich integrierende Funktion14, sondern sollte in ihrer Gestal-
tung als Produkt einer von Deutschland separierten Saar bzw, als ihr Markenzeichen
verstanden werden.15
In einer für die Präsidialkanzlei angefertigten Studie mit der Überschrift "Die Sozial-
politik im Saarland" wird ihr ein grundsätzlich hoher Stellenwert vor dem Hintergrund
der Sozialstruktur des Landes beigemessen, etwas pathetisch heißt es:" An der Saar,
einem als Arbeiter- und Industriegebiet besonders empfindlichen sozialen Spannungs-
feld, beobachten Hunderttausende mit geschärftem Sinn die sozialen Zustände (...). In
solchem Lande trägt eine Masse ’Seismographen' mit sich, die alle sozialen Unzuläng-
lichkeiten registrieren (...) Eine saarländische Regierung wird immer mit einem sozial
äußerst wachen Volk zu rechnen haben 16
Wie ein roter Faden zieht sich durch die gesamte Zeit der Regierung Hoffmann das
Herausstellen eines überdurchschnittlichen sozialen Engagements. Im Jahre 1948 wies
Arbeitsminister Richard Kim17 auf den hohen Anteil des Haushaltes für sozialpolitische
Zwecke hin, in der Presse wurde das Saarland mit dem Wohlfahrtsstaat Schweden
verglichen.18 * So meldete das Organ der CVP, die "Saarländische Volkszeitung", daß an
der Saar mehr Geld für Soziales ausgegeben werde als in Schweden. Auch Grandval
blies in dieses Horn. So versuchte er die bereits heftig geführte Kontroverse über’die
Verpachtung der Gruben mit der Formel, die Saar sei eine "Oase des Friedens" mit
Peter Flora, Krisenbewältigung oder Krisenerzeugung? Der Wohlfahrtsstaat in historischer
Perspektive, in: Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Mock (Hrsg.), Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates
in Großbritannien und Deutschland 1850-1950, Stuttgart 1982, S.354.
Ministère des Affaires Etrangères Paris (MAE), EU-Europe, Sous S. Sarre, Dass.230, Bl. 129 f.,
Grandval an MAE vom 9.10.51.
Landesarchiv Saarbrücken (LA SB), Staatskanzlei (StK), Nr.1256, "Die Sozialpolitik im Saarland”.
17
Volksstimme vom 24.4.48.
18
SVZ vom 17.4.48. Eine solche Information erschien auch dem bischöflichen Ordinariat in Speyer
sammlungswürdig, siehe: Bistumsarchiv Speyer, (BA) A-XVI-7.
165
"Wohlstand und sozialem Frieden", zu entschärfen.19 Seine Formel unterstreicht das
Bemühen, die von Deutschland abgetrennte Saar durch die Sozialpolitik bzw. durch
sozialen Wohlstand zu stabilisieren, und damit eine sozialstaatliche Legitimierung
gegen eine nationalstaatliche zu stellen. Gegenüber der Bundesrepublik war der Anteil
der Sozialausgaben am Gesamtetat im Saarland um 10 Prozent höher.20 Anfang der
fünfziger Jahre begannen Saarpolitiker wie Richard Kirn oder Johannes Hoffmann auf
Versammlungen der Regierungsparteien und der Verbände immer stärker die über-
durchschnittlichen sozialpolitischen Leistungen des Saarlandes in den Vordergrund zu
stellen. Um eine möglichst große Breitenwirkung nach innen und nach außen bemüh-
ten sich das Presse- und Informationsamt sowie das Amt für Auswärtige und Europäi-
sche Angelegenheiten. In einer Schrift des Presse- und Informationsamtes aus dem
Jahre 1951 heißt es:"Wir können uns rühmen, ein sehr großzügiges Sozialwerk aufge-
baut zu haben (...). Eine ungeheure Leistung, wenn wir feststellen, daß 65 Prozent
unserer Bevölkerung Arbeiter sind 21 Das Amt für Auswärtige und Europäische
Angelegenheiten förderte eine Diplomarbeit über die saarländische Sozialpolitik, in der
die außergewöhnlichen Anstrengungen wissenschaftlich untermauert werden sollten.22
Selbstbewußt sprach Ministerpräsident Johannes Hoffmann auf einer Kriegsopferver-
anstaltung im August 1951 in der kleinen Gemeinde Hüttersdorf im Kreis Saar-
louis:"Es kann mit Fug und Recht festgestellt werden, daß das Saarland sowohl auf
dem Gebiet der Sozialversicherung als auch im Rahmen der Kriegsopferversorgung
eine fortschrittliche Sozialpolitik durchführt."23
Insbesondere die Statistiken des Internationalen Arbeitsamtes in Genf24 dienten als
Beweis, um die Spitzenstellung des Saarlandes in der Sozialpolitik herauszustellen.
Fortschrittliche Sozialpolitik wurde zum Markenzeichen einer autononem Saar. Nach
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Dass.226, Bi. 209, Rede Grandvals auf dem Kongreß der
Eisenbahnergewerkschaft der EG am 12.11.49.
Statistisches Handbuch für das Saarland, 1950, S.150. Hans-Peter Blank, Die Sozialgesetzgebung der
Bundesrepublik Deutschland und ihr zeitlicher Zusammenhang mit den Wahlterminen seit 1959, in: Recht
der Arbeit 23/1970, S.101 f.
21 LA SB, Ministerium für Arbeit- und Sozialordnung (MifAS), Bd.30, Wille und Weg des Saarlandes,
hrsg. vom Informationsamt der Regierung des Saarlandes, Nr. 1 - 3, Saarbrücken 1951; insbesondere. Nr. 1,
S.15
22 Ebd., Amt für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten (AA), Nr.890. Die Arbeit von Elisabeth
Vogelgesang. Siehe auch: Ebd., Vermerk AA 850/53 an Minister für Arbeit und Wohlfahrt vom 20.11.53.
Ebd., StK, Nr.3208, "Zum Vortrag des Herrn Ministerpräsidenten am 11.8.51 um 20 Uhr in Hüttersdorf',
24 Siehe dazu: Ebd., Schneider-Becker-Archiv (SBA) IV/5. Volksstimme vom 7.8.52, danach lag das
Saarland bei den Pro-Kopf-Ausgaben der Sozialversicherung vor Deutschland und Frankreich, siehe auch
SVZ vom 19.8.53. "Die sozialen Leistungen im Saarland". Siehe auch: Ebd., IV/1: (Abschrift) Der
Bundesminister für Arbeit, Tgb.-Nr. Ia 61731/53 vom 14.1.54, i.A. Dr, Knolle. Siehe zur Tätigkeit und zur
Aufnahme des Saarlandes in die I.A.O.: LA SB, (MifAS), Bd.30.
166
Berechnungen des Internationalen Arbeitsamtes soll das Saarland nach Neuseeland die
höchste Sozialleistung für seine Bürger aufgebracht haben. Solche Untersuchungen
wurden propagandistisch in eingängigen Slogans vermittelt wie:"Im Saarland lebt
sich's wirklich gut, drum sei am Wahltag auf der Hut: Wähle saarländisch und sichere
Deine Zukunft".25
Der Leiter des Presse- und Informationsamtes der Hoffmann-Regierung Karl Hoppe
drückte dies in einer Landtagdebatte so aus: "Wir glauben aber, daß wir es in den fünf
vergangenen Jahren zu einem Aufbau der Sozialpolitik gebracht haben, der von einer
immerhin anerkannten Instanz, nämlich von dem Internationalen Arbeitsamt in Genf,
das Prädikat erhielt, von allen Mitgliedsstaaten dieses Amtes die beste Sozialgesetz-
gebung hinsichtlich der Leistungen zu haben".26 In den Wahlkampf 1952, bei dem es
auch um die Frage der Wahlbeteiligung und damit um die Zustimmung zur Sondersi-
tuation des Saarlandes ging, startete die CVP mit dem Slogan "Das Saarland ist das
sozial leistungsfähigste Land in Europa" und mit der Frage "Wißt ihr noch" wurde auf
die Fortschritte zwischen 1945 und 1952 hingewiesen.27
Auch das Ausland sah die Saar als Wohlfahrtsstaat. Die in der Schweiz erscheinende
Zeitung "Die Tat" berichtete ausführlich über die politische und wirtschaftliche Situa-
tion des Saarlandes und sprach vom "Sozialstaat Saar" mit einer "hervorragend ausge-
bauten Sozialpolitik", die insbesondere die Lebenssituation von Familien außerge-
wöhnlich fördere.28 Teilweise wurde aber auch Kritik geübt, wie ein Bericht des Bieler
Tageblattes vom 5. September 1953 zeigt. Alleinstehende und insbesondere junge
ledige Arbeitnehmer würden benachteiligt werden.29
Das Werben mit sozialpolitischen Argumenten für die Saarautonomie wurde auch von
den pro-deutschen Kräften und bundesdeutschen Stellen beobachtet und forderte sie zu
einer Gegenoffensive heraus. In einem Vermerk über ein Treffen zwischen Vertretern
des Auswärtigen Amtes und oppositionellen Gewerkschaftlern wurde darauf hingewie-
sen, daß die saarländischen Arbeitnehmer fürchteten, bei einer Rückgliederung des
Saargebietes an Deutschland ihre sozialpolitischen Vorteile zu verlieren. Deshalb sei es
notwendig, um die oppositionellen Kräfte nicht zu schwächen, sich öffentlich für ihre
Privatarchiv Dontot (PAD), Doss.5, Bl. 28, Info-Schrift des Presse- und Informationsamtes zur
Landtagswahl 1952.
26 LTS DS 1/42, Niederschrift zur Sitzung vom 7.11.52, S.1214.
27 LA SB, Partei- und Verbandsdrucksachen (PVD), Nr.574. Wahlbroschüren der CVP,
28 Bundesarchiv Koblenz (BA KO), Ministerium für innerdeutsche Beziehungen (B 137), Nr. 1400, F. R.
Allemann in: "Die Tat" vom 12.5.52. Mehrteilige Reportage über das Saarland".
29
Bieler Tageblatt vom 5.9.53,
167
Erhaltung auszusprechen.30 Ganz klar zeigt sich die politische Instrumentalisierung
auch in einem Situationsbericht des DGB:"Es wurde mir von meinen Vertrauensleuten
übereinstimmend versichert, die Sozialpolitik Johannes Hoffmanns sei deshalb zu so
hohen Leistungen forciert worden, um die Rückkehr der Saarbevölkerung nach
Deutschland unmöglich zu machen (...)".31 In einer Erklärung von einigen evange-
lischen Pfarrern, die in der "Rheinpfalz" fünf Tage vor den Landtagswahlen im No-
vember 1952 veröffentlicht wurde, warnten sie die Saarländer eindringlich davor, sich
von sozialen Vorteilen leiten zu lassen. Sie gingen soweit zu sagen, daß " (...) es eine
Sünde gegen Gott sei, in der Hoffnung auf augenblickliche wirtschaftliche und soziale
Vorteüefür Parteien zu stimmen, die aus blindem Eigennutz die alte Gemeinschaft (...)
mit dem deutschen Mutterland verleugnen."32 Diese Aussage verdeutlicht die Rivalität
zwischen sozialen und nationalen Identifikationsmustern.
Besondere Zielgruppen beim Werben mit sozialpolitischen Erfolgen waren die Fa-
milien, die Witwen und Kriegsopfer.33 In Informationsschriften der Landesregierung
vor den Novemberwahlen 1952 war zu lesen:" Die saarländischen Gesetze unterstützen
die Familie (...) Willst Du den Verlust der Familienzulage?"34 So bemühten sich ins-
besondere die Zeitungen von CVP und SPS, die "Saarländische Volkszeitung" und die
"Volksstimme" die Vorteile für die Kriegsopfer herauszustellen, wobei der Bezug zur
besonderen Situation der Saar als Garant für den sozialpolitischen Vorsprung immer
wieder betont wurde, manchmal subtil oder auch ganz offen in Überschriften wie "Ist
unsere Sozialpolitik bedroht", wenn das Saarland zur Bundesrepublik gehörte.35
Gegen die Sozialpolitik regte sich ab 1952 aus mittelständischen Kreisen Widerstand.
Sie fühlten sich immer weniger berücksichtigt und waren darüber unzufrieden, daß auf
ihre Interessen zu wenig Rücksicht genommen wurde. Da war u.a. die Gruppe der
4.000 saarländischen Bergbauangestellten. So mancher Hauer verdiente mehr als ein
Obersteiger, wobei hier das französische Bergbaustatut solche Veränderungen erklärte.
30 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn (PAA), Bestd. Abt.2, Nr.496, Vermerk 214-04-30 11/52
vom 13.6.52. Siehe auch: BA KO, B 137, Nr. 3455, Vermerk vom 27.5.55.
31 DGB-Archiv in der Hans-Böckler-Stiftung Düsseldorf (DGB-Archiv), Bundesvorstand, Abt. Organi-
sation, 24/348, Situalionsbericht vom 26.11.52,1 Bru/HS, von Beckmann verfaßt.
Rheinpfalz vom 25.11.52. Siehe: MAE, Archives de l'occupation française en Allemagne et en Autriche
(AdO) Colmar, Commissariat pour le Land Rhénanie Palatinat (CLRP), Fonds réçu consulat de France à
Mayence (FRCM), Cart.15, Siehe auch: Stadtarchiv Neunkirchen, Schenkung Werner Weiland, Ordner zu
Wahlen im Saarland, Teil 1.
33 LA SB, PVD, Nr.574, Wahlbroschüren der CVP.
34 Privatarchiv Dontot (PAD), Doss.5, "Bitte nicht gleich schimpfen. Erst Lesen". Dies, in: LA SB, PVD,
Nr.574.
35
"Kriegsopferversorgung Saarland-Bundesrepublik", in: SZ vom 3.6.52. Siehe auch SZ und Volksstimme
vom 11.6.52. SVZ vom 19.6.52, "Ist unsere Sozialpolitik bedroht", SVZ vom 22.11.52, "Pensionäre und
Witwen, das geht euch an", Volksstimme vom 22.11.52, "Des Volkes Wohl, ist unser Ziel".
168
Im Juli 1952 formierte sich ein Mittelstandsblock mit Hermann Wildt, dem Präsidenten
des Einzelhandelsverbandes, an der Spitze. Hinsichtlich der politischen Richtung stellt
Armin Heinen fest:”Der Ton, den die Führung des Mittelstandsblocks in das politische
System einbrachte, war nicht weit von den Generalattacken eines Paul Kutsch ent-
fernt”.36
Die pro-deutsche Opposition und hier insbesondere der I.V. Bergbau versuchte durch
seine Informationspolitik einen Gegenkurs zu steuern. In seinem Organ
"Saar-Bergbau” wurde vor allem die Inflation des französischen Franc ins Visier
genommen und Frankreich als ein Land wirtschaftlicher Instabilität von der Bundesre-
publik abgegrenzt. Gezielt wurde über den sozialpolitischen Fortschritt im Ruhr-
bergbau informiert:"Die freiwilligen Sozialleistungen des deutschen Kohlen-
bergbaus".37 Gegen die Strategie der Regierung Hoffmann wurde versucht, die Wirt-
schaftsunion mit Frankreich als Hemmschuh sozialpolitischer Fortschritte zu entlar-
ven: "Ruhr kumpeis im Kampf um die 7 1/2 Stunden Schicht - Saarkumpel aber muß
ab warten”.38
1994 bestätigte allerdings auch Aloys Schmitt, damals Chefredakteur des
"Saar-Bergbau" und neben Paul Kutsch der führende oppositionelle Gewerkschaft-
ler:"Die Franzosen haben um uns Saarländer und vor allem auch um uns Bergleute
gebuhlt. Die Sozialpolitik war ein Instrument, die Saarländer gefühlsmäßig von
Deutschland abzukoppeln und die wirtschaftliche Anbindung an Frankreich zu stär-
ken."Auf die Frage, ob das Saarland aus seiner Sondersituation heraus Vorteile für die
Sozialpolitik gewinnen konnte, meinte er: "Ja, sicher. Alles Gute soll Zusammenkom-
men. Das ist doch so: Wenn man von beiden Seiten Geld bekommt, dann holt man es
doch auch".39
Neben den sozialen Leistungen wurde auch die Vollbeschäftigung als sozialer Stand-
ortvorteil des Saarlandes angepriesen. Auf einem internationalen Kriegsopfertreffen
auf der Saarbrücker Wartburg rechnete Erwin Müller den Zuhörern vor:"Was wäre,
wenn das Saarland zu Deutschland gehöre, hochgerechnet gäbe es dann über 60.000
Arbeitslose und viele würden keine Kriegsopferrenten erhalten." Das dem aber nicht so
sei, verdanke man den Saarpolitikern, die sich 1947 dazu entschlossen hätten, eine
Brücke zwischen den Völkern zu bauen.40
36 H e i n e n, Saarjahre, S.426.
37 LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.542, Saar-Bergbau vom 5.11.52.
38 Ebd.
39 Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994.
40
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.59, Bl.53, Bulletin hebdo. de Regie des Minies vom
12.10.49.
169
Kurz vor den Novemberwahlen 1952 widmete sich die "Saarländische Volkszeitung"
dem Thema Arbeitslosigkeit unter der Überschrift "Vollbeschäftigung im Saarland-
Gegenüberstellung, (...) die zu denken gibt". Während im Saarland Vollbeschäftigung
harschte und Arbeitslosigkeit eher ein Einzelfall war, stand die junge Bundesrepublik
vor dem Problem der Massenarbeitslosigkeit. In Zahlen hieß das, wie die CVF in
Broschüren veranschaulichte, daß den 3.951 Arbeitslosen an der Saar 1,653 Millionen
Arbeitslose in der Bundesrepublik gegenüberstanden. Im Saarland gebe es für jede
Geburt eine neue Arbeitsstelle, vermeldete die CVP.41 Mit dem Slogan "Wer seinen
Arbeitsplatz sichern will, der wählt CVP"42 sollte suggeriert werden, daß das individu-
elle Schicksal am Erfolg der Regierungspartei hänge. In der Bundesrepublik betrug
1950 die Arbeitslosenquote 11 Prozent, noch 1952 waren fast 1,7 Millionen Menschen
ohne Arbeit. Immerhin sank die Arbeitslosenquote in einem Zeitraum von fast sechs
Jahren auf 4,4 Prozent im Jahre 1956. Anläßlich der Abstimmung über das Saar-Statut
am 23. Oktober 1955 setzten die Saarparteien wieder auf sozialpolitische Argumente.
Ihnen fehlte aber jetzt die Zugkraft, da die Bonner Republik auf Wachstumskurs ins
Wirtschaftswunder segelte und 1955 inzwischen über eine Million Käfer weltweit "auf
den Straßen krabbelten." Der VW Käfer symbolisierte nicht nur den Mobilisierungs-
schub nach 1945, sondern auch die deutsche Wirtschafskraft mit ihrer enormen Export-
stärke. Am 5. August 1955 war in Wolfsburg der "millionste" Käfer vom Band ge-
laufen. Das Wolfsburger Ereignis wurde in einer großen Feier vor 2.000 Journalisten
aus 80 Ländern regelrecht inszeniert. Von solchen Produktionszahlen konnte Renault
nur träumen, die Régie blickte 1954 auf 400.000 Exemplare des Typs 4 CV, der von
da Konstruktion her dem Käfer ähnlich war43 und sogar serienmäßig über vier Türen
verfügte, die beim Käfer nicht einmal gegen Aufpreis zu haben waren.44 Auch die
saarländische Presse hatte an den Feierlichkeiten in Wolfsburg teilgenommen und die
"Saarländische Volkszeitung" beschäftigte sich in ihrem Wirtschaftsteil mit der Stel-
lung von Volkswagen in der Weltwirtschaft.45
41 LA SB, PVD, Nr 574, "Bitte nicht gleich schimpfen".
42 Robert H. S c h m i d t, Saarpolitik 1945-1957, Bd.3, Berlin 1962, S.198.
43 Im Juli 1946 hatten sich die Renault-Werke mit Professor Ferdinand Porsche, dem Schöpfer des Käfers,
in Verbindung gesetzt. Dies führte zu Gerüchten, er habe den 4 CV wesentlich mitgeprägt. Dies erscheint
wenig wahrscheinlich, da bereits drei Monate später der Renault 4 CV auf dem Pariser Salon zu bewundern
war. Vielmehr scheint der 4 CV durch die Heckmotorautos von Mercedes beeinflußt worden zu sein, denn
bereits vor dem Krieg hatte Renault einen 170 Heck angeschafft und "sorgfältig studiert", siehe: Motor
Klassik, 7/1991, S.14.
Griffith Borgeson, Terry S h u 1 e r, Jerry S 1 o n i g e r, Volkswagen Käfer, Königswinter 1994,
S. 112. Zum Renault 4 CV, auch "Cremeschnittchen" genannt, siehe: Renate Talken berg-Boden
stein. "Auto Biographie" - eine Bildergeschichte, in: Von der 'Stunde 0' zum 'Tag X'. Das Saarland
1945-1955. Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums, Saarbrücken 1990, hrsg. v.
Stadtverband Saarbrücken, Merzig 1990, S.432.
45 SVZ vom 6.8.55, SZ vom 6.8.55 und 9.8.55, Volksstimme vom 9.8.55.
170
Die Saarländer erkannten mehr und mehr den wirtschaftlichen Aufschwung der Bun-
desrepublik und unternahmen Hamsterfahrten ins Bundesgebiet. In der zweiten Hälfte
der fünfziger Jahre stellte sich in der Bundesrepublik auch Vollbeschäftigung ein, die
letztlich bis zu den Folgen der ersten Ölkrise und der Rezession Mitte der siebziger
Jahre anhielt und danach bis heute nicht mehr auch nur annähernd erreicht wurde.46 Die
psychologische Bedeutung der Arbeitslosenquote und der soziale Wert von Voll-
beschäftigung kann für eine Bevölkerung, die zwei Weltkriege, Wirtschaftskrisen und
Hungerjahre erlebt hatte, nicht hoch genug eingeschätzt werden.47 Dies gilt auch für das
Saarland, das Ende 1931 unter einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent zu leiden
hatte.48
Die politische Bedeutung der Vollbeschäftigung im Saarland spiegelt sich auch in
einem Bericht des Grenzlandausschusses des rheinland-pfälzischen Landtages wider.
Die Landespolitiker versuchten geschickt finanzielle Forderungen des Bundes mit dem
Hinweis einzufordem, das Saarland betreibe eine aktive "Grenzland- und Schaufenster-
politik".
Vor dem Hintergrund der Vollbeschäftigung im Saarland entstünde ein Politikum
ersten Ranges, wenn die Bautätigkeit der Alliierten aufhöre und Dauerarbeitslosigkeit
entstünde. Rheinland-pfälzische Landespolitiker instrumentalisierten ihrerseits die
günstige wirtschaftliche und soziale Situation des Saarlandes mit seiner minimalen
Arbeitslosenquote, um den Bund aus saarpolitischen Überlegungen zu finanziellen
Hilfen für die Wirtschaft in den an das Saarland angrenzenden Kreisen wie Saarburg,
Trier-Land, Birkenfeld, Kusel und Zweibrücken zu veranlassen.49
In der Säuglingssterblichkeit, einem für die Lebensverhältnisse wichtigen Indikator,
schnitt das Saarland auf den ersten Blick eher ungünstig ab. Relativierend muß aber
betont werden, daß generell im Saarland die Säuglingssterblichkeit höher war als im
deutschen Durchschnitt, so kamen 1938 auf 100 Lebendgeborene in Deutschland 5,9
tote Säuglinge, im Saarland dagegen 7,3. Dennoch verbesserte sich die Entwicklung im
Klaus M e g e r 1 e, Die Radikalisierung blieb aus. Zur Integration gesellschaftlicher Gruppen in der
Bundesrepublik Deutschland während des Nachkriegsbooms, in: Hartmut Kaelble (Hrsg.), Der Boom
1948-1973, Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und in
Europa, Opladen 1992, S.l 16. Die Arbeitslosenquote der BRD: 1950: 11,0 Proz. / 1956: 4,4 Proz. /1965:
2,1 Proz./ 1970: 0,7 Proz.
47
Josef M o o s e r, Abschied von der "Proletarität". Sozialstruktur und Lage der Arbeiterschaft in der
Bundesrepublik Deutschland in historischer Perspektive, in: Werner Conze und M. Rainer Lepsius, (Hrsg.),
Sozialgeschichte der BRD. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983, S.162.
48 Robert H. S chmi dt, Saarpolitik 1945-1957, Bd. 1, Berlin 1959, S.l 11.
49
DGB-Archiv Düsseldorf, 24/351. Bericht des Grenzlandausschusses des Landtages von Rheinland-Pfalz.
Auswirkungen der Abtrennung des Saargebietes auf die Grenzkreise des Landes Rheinland-Pfalz vom
28.1.53. Zur rheinland-pfälzischen Saarpolitik: Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition.,
S. 249-272.
171
Saarland nach 1945 insofern, als sich 1950 im Vergleich zur Vorkriegszeit der Abstand
zur Bundesrepublik wesentlich verringert hatte.50
Soziales Prestige als Weg zur staatlichen Anerkennung
Die Sozialpolitik im Saarland war ein Politikum ersten Ranges. Sie diente nicht nur
einer allgemeinen politischen Stabilisierung so wie in fast allen europäischen Staaten,
sondern sie wurde für ein autonomes, von der Bundesrepublik abgetrenntes Saarland,
instrumentalisiert. Das Land versuchte auch auf internationalem Parkett, über die
Sozialpolitik, in internationale Organisationen aufgenommen zu werden. Parallel dazu
bemühte es sich erfolgreich um die Verabschiedung zahlreicher Sozialversicherungs-
abkommen mit europäischen Ländern. Die Sozialpolitik sollte so indirekt die staatliche
Anerkennung des Saarlandes fördern. Besonders engagiert war in diesem Bemühen der
CVP-Politiker August Martin. Er hatte zahlreiche sozialpolitische Funktionen ausgeübt,
vom Präsidenten des Landesversicherungsamtes bis hin zum Ministerialdirektor im
Arbeitsministerium, um dann im Amt für Auswärtige und Europäische Angelegenhei-
ten auf internationaler Ebene die sozialpolitischen Leistungen des Saarlandes vor-
zustellen. Es gelang dem Saarland wegen seiner eingeschränkten Souveränität jedoch
nicht, ordentliches Mitglied internationaler Organisationen zu werden. So konnte es an
der Internationalen Arbeitsorganisation (I.A.O.) nur als Beobachter teilnehmen. Eben-
falls nur eine assoziierte Mitgliedschaft übte das Saarland in der Union Internationale
des Organismes Familiaux aus.51 Es ist zu betonen, daß die Bemühungen um Auf-
nahme in europäische und internationale Organisationen in einem größeren Rahmen zu
sehen sind, hier sei an das Streben nach einer Mitgliedschaft in der Montanunion oder
im Europarat erinnert.
Über das Engagement in den jeweiligen Organisationen sollte der sozialpolitische
Vorsprung des Saarlandes einerseits einer breiteren internationalen Öffentlichkeit
präsentiert werden, andererseits sollten so für die innersaarländische Diskussion
neutrale und international anerkannte Organisationen mit ihren Veröffentlichungen die
soziale Spitzenstellung des Landes nachhaltig unterstreichen. So heißt es in einem
Papier des Amtes für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten:"Es muß dafür
50 SVZ vom 14.1.52. Danach ergibt sich folgendes Bild. Säuglingssterblichkeit auf 100 lebend Geborene.
Deutschland Saarland Frankreich England Schweden
1938 5,9 7,3 6,6 5,5 4,3
1946 9,5 12,2 6,7 4,3 2,7
1947 8,5 11,3 6,6 2,5 4,4
1948 6,8 8,4 5,2 3,6 2,3
1949 5,9 7,2 5,2 3,4 2,3
1950 5,5 6,2 o.A. 3,1 2,0
LA SB, MifAS, Bd.30, Bericht zur Teilnahme an dem Internat. Kongreß der Familienbewegung in
Stuttgart, Ebd., Bü.5, Aufnahme in die Union Internationale des organismes familiaux, Jean Delaporte an
Richard Kim vom 7.1.54.
172
gesorgt werden, daß die Delegierten über die geographische, wirtschaftliche und
besonders die soziale Lage des Saarlandes orientiert werden. Sie müssen insbesondere
die Delegierten der anderen Länder über den hohen Stand der sozialpolitischen Ent-
wicklung an der Saar durch Statistiken, Schaubilder usw. plastisch informieren".52
Fest steht, daß Arbeitslosigkeit im Gegensatz zur Bundesrepublik kein Problem im
Saarland war. In dem Bemühen, die sozialpolitischen Erfolge herauszustellen, wurde
mit vielen Zahlen und Statistiken jongliert, aber genau darin liegt für den Historiker
heute das Problem, denn es ist nicht immer ersichtlich, auf welchen Grundlagen die
Angaben beruhen. Ein zur Interpretation von Sozialstatistiken wichtiger Aspekt ist die
Frage, ob bei den Pro-Kopf-Berechnungen für Sozialleistungen die Leistungen für
Kriegsopferversorgung und Wiedergutmachung mitgerechnet werden. Darüber hinaus
kann die bloße Angabe von Prozentsätzen ein völlig verzerrtes Bild zeichnen, wenn die
Höhe des Bruttosozialproduktes unberücksichtigt bleibt.
Um das Leistungsniveau der saarländischen Sozialpolitik genauer bewerten zu können,
soll an vier Bereichen, den Feiertagen, dem Familienlastenausgleich und der Kriegs-
opferversorgung sowie der Wiedergutmachung genauer untersucht werden, ob das
Saarland der Bundesrepublik im Bereich sozialpolitischer Leistungen wirklich voraus
war. Dabei wird letztlich auch die Frage zu beantworten sein, ob die Sondersituation
des Saarlandes den Menschen in der Tat einen höheren sozialen Standard beschert hat
und ob das Wort vom "sozialen Besitzstand" einer kritischen Prüfung standhält. Diese
Untersuchung will nicht Zahlen gegen Zahlen stellen, sondern die Struktur der sozialen
Leistungen in ihrem politischen Kontext vergleichend analysieren.
52
Ebd,, Bd.30, Handakte Martin, ohne Datum und Verfasserangabe.
173
IV. SOZIALER BESITZSTAND1 UND 'ROSINENTHEORIE':
LEISTUNGSVERGLEICH SAARLAND - BUNDESREPUBLIK
Die Erinnerung vieler Saarländer an die sozialen Errungenschaften der Ära Hoffmann
und das Wort vom "sozialen Besitzstand" soll im folgenden Kapitel an einigen Bei-
spielen wie der Feiertagsregelung, der Familienpolitik, der Kriegsopferversorgung und
der Wiedergutmachung einer kritischen Prüfung unterzogen werden. In diesem Kon-
text steht die Frage, inwieweit die Sondersituation des Saarlandes das sozialpolitische
Leistungsniveau beeinflußt hat, wie sich bestimmte sozialpolitische Maßnahmen - etwa
in der Familienpolitik - gesellschaftlich ausgewirkt haben, inwieweit das Saarland die
sozialpolitische Diskussion der Bundesrepublik im Sinne einer Interaktion beeinflußt
hat, und warum der sogenannte "soziale Besitzstand" nach dem Beitritt des Saarlandes
zur Bundesrepublik nicht bewahrt werden konnte.
1. Feiertagsregelung
Die Feiertagsregelung verdeutlicht paradigmatisch, wie das Saarland aus seiner Son-
dersituation sozialpolitische Vorteile ziehen konnte. Vor Inkrafttreten der Wirtschafts-
union waren im Saarland der Karfreitag und der Buß-und Bettag als protestantische
Feiertage sowie Fronleichnam, Mariä Himmelfahrt und Allerheiligen als katholische
Feiertage gesetzlich verankert. Oster- und Pfingstmontag sowie der erste und zweite
Weihnachtsfeiertag waren Feiertage, die von beiden Konfessionen begangen wurden.
Bezahlte Feiertage waren Neujahr, Oster- und Pfingstmontag, der 25. und 26. Dezem-
ber sowie der 1. Mai.1 Auf den Tag der Arbeit als gesetzlicher und bezahlter Feiertag
war die saarländische Sozialdemokratie sehr stolz, so hieß es in einem Bericht über den
Zweiten ordentlichen Parteitag der SPS vom 15. Juni 1947:"Der 1. Mai als gesetzlicher,
bezahlter Feiertag der Arbeit, gesetzlich verankert. Ist das nicht ein Sieg der Idee!?"2
Der 1. Mai als Tag der Arbeit war 1889 vom Internationalen Arbeiterkongreß in Paris
zum "Internationalen Arbeitsfeiertag" proklamiert worden. Im Saarland gewannen, wie
Ludwig Linsmayer feststellt, die Feiern zum 1. Mai erst relativ spät nach dem Ersten
Weltkrieg den Charakter einer Massenveranstaltung. Er erklärt die "historische Ver-
spätung" mit der bis 1919 an der Saar schwachen Sozialdemokratie, dem sogenannten
"saarabischen" System, dem unternehmerischen Sozialpatriarchat und der Dominanz
des saarländischen Katholizismus und seiner Verankerung im proletarischen Milieu
1 Landesarchiv Saarbrücken (LA SB), Verwaltungskommission (VWK), Nr.260, Regierung des Saarlandes,
Generalsekretär Kuchenbecker, Vermerk über die Neuregelung der gesetzlichen Feiertage nach
französischem Vorbild vom 30.12.47. Direktion für Arbeit und Wohlfahrt, Pfaff, an Kuchenbecker vom
13.11.47. Siehe die entsprechenden Verordnungen, in: Abi.1945, S.37; Abi.1947, S.104, 107, 157;
Abi.1948, S.23.
2 LA SB, Nachlaß Richard Kirn, Nr.4, Bericht über den Zweiten ordentlichen Parteitag der SPS vom 15.
Juni 1947, o. Oa, S.17.
174
durch das Bruderschafts- und Vereinswesen.3 Die erste große Maifeier an der Saar fand
1920 statt, an ihr nahmen bis zu 15.000 Arbeiter teil. Vor allem im Industriegürtel
Saarbrücken, Völklingen und Neunkirchen wurde der Festtag von weiten Teilen der
Arbeiterschaft begangen, während in den ländlichen und stärker katholisch geprägten
Gebieten die Arbeiter in ihrer großen Mehrheit nicht aktiv am Umzug teilnahmen,
sondern das Geschehen aus einer Zuschauerrolle verfolgten. In der Völkerbundszeit
ging die französische Grubenbehörde mit dem Tag wesentlich liberaler um als die
saarländischen Unternehmer. Während die Grubenverwaltung Feierschichten auf den
1. Mai legte, mußten insbesondere die Arbeiter der von Hermann Röchling geführten
Völklinger Eisen- und Stahlwerke noch 1931 mit Entlassung rechnen, wenn sie an
diesem Festtag der Arbeiterbewegung nicht zur Schicht erschienen, um an Maifeiern
teilzunehmen.4 Dies erstaunt um so mehr, als der 1. Mai im Saargebiet nicht nur ein
Tag der politischen Demonstration der Arbeitermacht war, sondern auch mit nationalen
Bekenntnissen gegen den Versailler Vertrag und die Fremdregierung des Völker-
bundes mit Treuebekundungen zu Deutschland verbunden war.5 Angesichts der
politischen Rolle Hermann Röchlings ein erstaunlicher Befund, möglicherweise darauf
zurückzuführen, daß für ihn in diesem Fall die unternehmerische Bilanz wichtiger war
als die politische Agitation gegen die Völkerbundsregierung.
Vor Inkrafttreten der Wirtschaftsunion wurde am 1. Juli 1947 von der Verwaltungs-
kommission die Einführung des französischen Nationalfeiertages beschlossen. Seine
Einführung sollte nicht den Eindruck einer kulturellen Anpassung an Frankreich
erwecken, sondern die Besatzungsmacht als Befreier heraussteilen und grundsätzlich
eine Identifikation mit demokratischen Traditionen betonen:"Durch den Sieg der
Alliierten über den Nationalsozialismus hat jener Geist die Mächte der Gewalt und
Unterdrückung überwunden, der am 14. Juli 1789 durch den Sturm auf die Bastille und
die Erklärung der Menschenrechte die Menschheit von den Fesseln absolutistischer
Gewaltherrschaft befreite".6 Diese Regelung scheint zunächst ein Versuch zu einer
kulturellen und politischen Assimilation an französische Traditionen und Gesetze
gewesen zu sein. Andererseits zeigt sich aber ein wesentlicher Unterschied, der schon
eine Sonderrolle für die Saar andeutet, denn im Gegensatz zu Frankreich war der 14.
Juli an der Saar ein bezahlter Feiertag.Von den Unternehmern wurde deshalb die
Einführung des 14. Juli als bezahlter Feiertag zunächst nicht einhellig akzeptiert.
Ludwig Linsmayer, Politische Kultur im Saargebiet 1920-1932. Symbolische Politik, verhinderte
Demokratisierung, nationalisiertes Kulturleben in einer abgetrennten Region, St. Ingbert 1992, S.96-98.
4 Ders., S.98-112.
5 Ders., S.103.
6 Abl.1947, S.225. LA SB, VWK, Nr.212, Verordnung betreffend Erhebung des 14. Juli zum gesetzlichen
Feiertag im Saarland.
175
Manche lehnten es ab, ihren Arbeitern diesen Feiertag zu bezahlen.7 Interessant ist
dabei, daß das Hohe Kommissariat bei Inkrafttreten der Währungsunion im November
1947 noch das Ziel verfolgte, im Sinne einer Assimilierungspolitik die saarländische
Feiertagsregelung der französischen anzugleichen. Es waren aber politische Motive, die
den französischen Wirtschaftspartner davon Abstand nehmen ließen. In Frankreich
waren Neujahr, Ostermontag, der 1. Mai und der 14. Juli sowie zwei Weihnachtstage
als gesetzliche Feiertage anerkannt, als bezahlter Feiertag aber nur der 1. Mai. Eine
Angleichung an die französische Gesetzgebung wäre also mit erheblichen Nachteilen
für die saarländischen Arbeitnehmer verbunden gewesen. Alphonse Rieth als Vertreter
des Hohen Kommissariates betonte, daß die günstigere französische Urlaubsregelung8
im Saarland schon im November 1947 eingeführt worden sei, und somit bei einer
Angleichung an die französische Feiertagsregelung de facto für die saarländischen
Arbeitnehmer keine Verschlechterung eintreten würde. Das Hohe Kommissariat wies
auf die wirtschaftlichen Probleme hin, die Einführung der französischen Urlaubs-
regelung beschere den Saarländern vier Tage mehr Urlaub. Unter diesen Umständen
bedeutete eine Beibehaltung der saarländischen Feiertagsregelung eine doppelte Last
für die Arbeitgeber9, brachte den Arbeitnehmern aber erhebliche Vorteile.
Die saarländische Seite versuchte im Gegensatz zum französischen Wirtschaftspartner,
die Feiertagsregelung losgelöst von wirtschaftlichen Fragen zu betrachten und stellte
kulturelle Aspekte in den Vordergrund, wie dies in der Position von Georg Schulte,
Mitglied der Verwaltungskommission als Direktor für Inneres, deutlich wird. Es
bestünden keine Bedenken, neue Feiertage einzuführen, aber die bisherige Feiertags-
regelung müsse im Sinne der "Erhaltung des kulturellen Brauchtums" bewahrt bleiben
und das hieß, die Feiertagsregelung nicht anzutasten.10
Wenn einerseits die Urlaubsregelung Frankreich angeglichen wurde und andererseits
im Saarland die Anzahl der bezahlten Feiertage höher als in Frankreich war, bedeutete
dies eine erhebliche Besserstellung. Die günstigere saarländische Feiertagsregelung
sollte nicht nur erhalten bleiben, sondern wurde sogar durch den arbeitsfreien St.
Barbaratag am 4. Dezember noch ausgebaut. Die heilige Barbara war die Schutz-
patronin der Bergleute und Kanoniere. Während des Kulturkampfes waren im Saarland
Barbara-Vereine entstanden. Viele saarländische Bergmannsdörfer wählten die Heilige
zur Ortspatronin, in zahlreichen Kirchen wurden ihr Seitenaltäre geweiht.11 Der Bar-
7
MAE (Ministère des Affaires Etrangères) Nantes, HC Sarre (HCS), Mission Juridique/Questions Sociales
(M.J/Q.S.), J I 1, Miss. Jur. an Grandval vom 25.10.48.
8 Anordnung 47-65 vom 18.11.47, in: Abl.1947, S.704.
9 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S,, III, Vermerk von Alphonse Rieth vom 8.1. und 14.1.48.
10 LA SB, VWK, Nr.260, Vermerk von Direktor Schulte vom 13.12.47.
Klaus-Michael M a 11 m a n n und Horst Steffens, Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an
der Saar, München 1989, S.57.
176
baratag als bezahlter Feiertag paßte in eine durch Bergbau und Katholizismus domi-
nierte Region. Nicht zuletzt deshalb hatten sich die CVP und Ministerpräsident Hoff-
mann für die Bezahlung dieses Feiertages eingesetzt. Trotz der Wirtschaftsunion
entwickelten sich erhebliche Divergenzen zu Frankreich, denn im Saarland gab es fünf
bezahlte Feiertage mehr als in Frankreich. Hinzu kam, daß viele Saarländer sich selbst
zusätzliche Feiertage an Fasching genehmigten, die Absentismusrate in dieser Zeit war
besonders hoch. Viele Saarländer fehlten systematisch, um Fasching zu feiern.12 Hier
deutet sich eine Identifikation und Bewahrung kultureller Traditionen an, die in einer
Einzelstudie in ihrem Ausmaß und ihrer Motivation analysiert werden sollten. Die
Feiertagsregelung zeigt sehr deutlich, daß das Saarland aus seiner Sondersituation
sozialpolitischen Vorteil sowohl gegenüber Frankreich als auch gegenüber der Bundes-
republik ziehen konnte.
Bisher gültige Regelungen blieben erhalten und vorteilhafte Veränderungen in Frank-
reich wurden von den Saarparteien aufgegriffen und im Saarland eingeführt.13 Die
Ursache dafür lag in den Herrschafts Strukturen. Wirtschaftspolitisch war der Gestal-
tungsspielraum für die saarländische Landesregierung begrenzt, nicht zuletzt deshalb
nahm sie auf ökonomische Fragen auch weniger Rücksicht.14 Das Saarland lag mit 12
Feiertagen im Vergleich mit den deutschen Ländern, in denen es zwischen 10 und 13
Feiertagen gab, mit an der Spitze. Entscheidend waren dabei die Lohnregelungen. So
gab es seit 1950 im Saarland für Feiertagsarbeit einen Zuschlag von 100 Prozent.15 Die
Bundesrepublik zeigte aufgrund tarifvertraglicher Regelungen ein heterogeneres Bild.
Im Gegensatz zu ihr waren die an Feiertagen gezahlten Lohnzulagen im Saarland nicht
nur frei von Sozialversicherungsabgaben, sondern auf sie wurde auch keine höhere
Lohnsteuer erhoben.16
Exkurs: ''Hausfrauentag" und katholische Gesellschaftspolitik
Die Diskussion um den Hausfrauentag veranschaulicht nochmals die Tendenz der
Saarparteien, sich unabhängig von der Wirtschaftsunion an der sozialpolitischen
Entwicklung in Deutschland zu orientieren, wenn dies vorteilhaft war. Die SPS forder-
12
Ebd. und MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss. 252, B1.28, Niederschrift zur Grubenratssitzung
vom 8.1.53.
13 MAE Nantes, M.J./Q.S., J I 1, Gesetzentwurf LTS DS 11/959 vom 22.8.52 analog zumfranz. Gesetz Nr.
51349 vom 20. und 22.3.51.
14 Armin H e i n e n, Zur französischen Wirtschaftspolitik an der Saar, in: Rainer Hudemann und Raymond
Poidevin (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.169.
15 Gesetz über die Bezahlung der gesetzlichen Feiertage im Saarland vom 4.4.50, in: Abi.1950, S.743.
Gesetz vom 16.5.50, in: Ebd., S.744. Gesetz Nr.496 zur Regelung von Lohnzulagen an Feiertagen vom
23.3.56. Gesetz Nr.522 zur Änderung des Gesetzes Nr.496 zur Regelung von Lohnzulagen an Feiertagen
vom 23.3.56 vom 9.7.56, in: Abl.1956, S.1065.
16 Bundesarchiv Koblenz (BA KO), Bundesministerium für Arbeit (B 149), Nr.3689, Vorläufige rechtsver-
gleichende Gegenüberstellung vom 20,11.56.
177
te 1952, sowohl allen alleinstehenden Frauen mit Kindern als auch verheirateten und
erwerbstätigen Frauen mit Kindern in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst,
einen bezahlten Hausfrauentag pro Monat zu gewähren.17
ImNS-Staat war infolge da- Kriegsumstände durch eine Anordnung des Reichsarbeits-
ministers über Arbeitszeitverkürzung eine ähnliche Regelung bereits getroffen worden,
die im Saarland durch eine Verordnung vom 15. Juni 1946 vor dem Hintergrund der
Kriegszerstörung und der vielen vermißten Soldaten übernommen worden war.18 Die
Landesregierung hob aber Anfang 1950 diese Vergünstigung auf19, was den Wider-
stand der katholischen Frauenverbände hervorrief.
Auch das Frauenamt und die SPS wünschten die Wiedereinführung und Verbesserung
der alten Regelung, das hieß die Einführung eines bezahlten Hausfrauentages, wie es
ihn übrigens schon seit Ende der vierziger Jahre in Hamburg, Bremen, Niedersachsen
und Nordrhein-Westfalen gegeben hatte.20 Das Hohe Kommissariat lehnte ein ent-
sprechendes Gesetz für das Saarland mit der Begründung ab, für Betriebe, die Frauen
beschäftigten, sei dies eine außerordentliche Belastung.21
Auch innerhalb der Präsidialkanzlei stieß die Forderung nach einem entsprechenden
Gesetz auf wenig Gegenliebe.22 Dies deutet auf eine insgesamt doch sehr konservative
und katholischen Wertvorstellungen entsprechende Gesellschaftspolitik hin, denn die
Einführung des Hausfrauentages bedeutete vor allem für die berufstätige Frau eine
Verbesserung und wäre somit auch ein Signal insbesondere für die Berufstätigkeit von
Müttern gewesen.
In der DDR wurde gerade der umgekehrte Weg eingeschlagen. Der Faktor Arbeitskraft
war dort so knapp, daß auf Frauenarbeit nicht verzichtet werden konnte, und Nacht-
LTS DS 11/957 v. 18.8.52. Zur Begründung: “Die berufstätige Frau, die acht und mehr Stunden
Bürotätigkeit oder Betriebsarbeit zurückzulegen hat, wobei der Weg zu und von der Arbeitsstätte nicht
einbegriffen ist, hat nach erfüllter Erwerbstätigkeit allzu wenig Zeit, um die zwingenden
Hausfrauenarbeiten auszuführen".
18
Anordnung des Reichsarbeitsministers über Arbeitszeitverkürzung für Frauen, Schwerbeschädigte und
minderleistungsfähige Personen vom 22.10.43, in: RABL I 1943, S.508. Siehe entsprechende Verfügung,
in: Abi. 1946, S.119.
19 LA SB, Staatskanzlei (StK), Nr.2103, Vorgang zur Verfügung vom 25.1.50.
20
Gesetz über den Hausarbeitstag vom 29.6,48, in: Gesetzesblatt der Freien Hansestadt Bremen vom
30.6.48, Nr.24. Gesetz über den Hausarbeitstag vom 17,2.49, in: Hamburgisches Gesetz- und
Verordnungsblatt vom 19.2.49, S.15. Gesetz betr. haus Wirtschaft liehe Freizeit für Frauen vom 9.5.49, in:
Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1949, S.104. Gesetz- und Verordnungsblatt für
Nordrhein-Westfalen vom 12.2.49, S.6. LA SB, StK, Nr.1677.
21 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J 11, Vermerk von René Dejardin vom 17.10.52.
22 LA SB, StK, Nr. 2105, Oberregierungsrat Kempf an F. Schlehofer vom 26.4.51.
178
arbeit auch für Frauen erlaubt wurde. Um ihnen die strapaziöse Doppelbelastung durch
Berufstätigkeit und Hausfrauenrolle zu erleichtern, wurde neben der betrieblichen
Kinderbetreuung ein bezahlter arbeitsfreier Hausarbeitstag pro Woche eingeführt.23
Die Orientierung an katholischen Wertvorstellungen in der Gesellschaftspolitik, die
hier nicht weiter ausgeführt werden soll, zeigt auch die Initiative der CVP zur Ände-
rung des Eherechtes im Frühjahr 1952 vor dem Hintergrund steigender Ehescheidun-
gen. Danach sollte die Ehescheidung durch die Streichung des Zerrüttungsgrundsatzes
erschwert werden. Das bedeutete in der Praxis, daß die Scheidung nicht möglich war,
wenn ein Ehepartner an der Ehe festhalten wollte. Eine entsprechende Forderung hatte
der Katholische Frauenbund anläßlich der katholischen sozialen Woche in München
vom 30. August bis 2. September 1951 aufgestellt.24
2. Familienpolitik
2.1 Startvorteile für die saarländische Familienpolitik nach 1945
Das Saarland entwickelte gegenüber der Bundesrepublik einen familienpolitischen
Leistungs- und Entwicklungsvorsprung. Die Saarländer erhielten bereits ab November
1947 eine Kinderzulage, erst sieben Jahre später wurde das Kindergeld in der Bundes-
republik eingeführt. Mit der Eingliederung in den französischen Wirtschaftsraum
mußten auch die saarländischen Löhne an das französische System herangeführt
werden.25 In diesem wirtschaftspolitischen Kontext steht die Einführung der Familien-
zulagen im Saarland. Die Saarländer profitierten damit ab November 1947 von der
familienpolitischen Tradition der französischen Sozialpolitik, die sich in einem Bonmot
des Alltags treffend widerspiegelt:"Als junge Familie sollte man in Frankreich, als
Rentner in der Bundesrepublik leben".26
Familienlohn statt Leistungslohn
Das französische Lohnsystem orientierte sich am Familienlohn, das heißt, bei der
Lohnbemessung wurden die familiären Verhältnisse wesentlich mitberücksichtigt. Es
erfolgte zu Lasten der Ledigen eine Umverteilung der Lohnsumme zugunsten der
23
HorstB arthe 1, Die Sozialpolitik in der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung (1945-1949), in:
Gunnar Winkler (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik der DDR, Ost-Berlin 1989, S.64. Gesine
O b e r t r e i s, Familienpolitik in der DDR 1945-1980, Opladen 1986, S.139.
LA SB, StK, Nr.1669. Sammlung des Frauenamtes zu diesem Thema: SVZ vom 20.2. und 16.4.52 " 'Die
fremde Frau1- Es geht um die Abschaffung eines im christlichen Saarland untragbar gewordenen
Paragraphen". Zur Ehescheidungsentwicklung im Saarland, siehe: Volksstimme vom 23.1.54. Anzahl der
Ehescheidungen: 1934: 343 / 1937: 395 / 1947: 506 / 1948: 580 /1949: 730. Die Anteil der "unschuldig"
geschiedenen Frauen war wesentlich höher als der der "unschuldig" geschiedenen Männer.
LA SB, Ministerium für Arbeit und Sozialordnung (MifAS), Bd.324, Regierungsdirektor Metz an den
Herrn Minister im Hause, Abt. SV B 3055/57 vom 10.12.57.
So Franz Schultheis, Sozialpolitik der französischen Familienpolitik, Frankfurt a.M. u.a.O.1988,
S.21.
179
Familien. Deshalb wurden auch die Beiträge zur Kasse für Familienzulagen ausschließ-
lich von den Arbeitgebern aufgebracht. Sie zahlten für jeden Arbeitnehmer, ob verhei-
ratet mit oder ohne Kinder sowie für Ledige, einen bestimmten Prozentsatz des Arbeit-
nehmereinkommens bis zur Höhe des Plafonds - in Frankreich 16 3/4 und im Saarland
zuerst 14, dann 13 und schließlich 9 1/2 Prozent - in die Kasse für Familienzulagen
ein.27 Anpruch auf Familienzulagen hatten im Saarland alle Arbeitnehmer, die auf
Grund der Reichsversicherungs-, der Angestelltenversicherungsordnung oder des
Saarknappschaftsgesetzes der Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten- oder
knappschaftlichen Rentenversicherung unterlagen. Sie wurden in 95 Prozent der Fälle
direkt durch den Arbeitgeber im Auftrag und zu Lasten der Kasse für Familienzulagen
ausgezahlt.28
Sozialpolitisch sah der saarländische Gesetzgeber in den Familienzulagen einen zen-
tralen Lastenausgleich, der Arbeitnehmern mit Kindern ein höheres Bareinkommen
gewährleisten sollte.29
In der Bundesrepublik entwickelte sich der Familienlastenausgleich nicht nur später,
sondern auch in eine andere Richtung. Nicht durch das Lohnsystem, sondern über die
Steuerpolitik sollten die Einkommensunterschiede zwischen Kinderlosen und Familien
reguliert werden. Dieser Ansatz ging auf angelsächsische Einflüsse zurück. Durch
Kinderfreibeträge und Erleichterungen bei der Lohn- und Einkommenssteuer sollten
Familien finanziell entlastet werden. In dieser Absicht führte der bundesdeutsche
Gesetzgeber 1958 das Splitting bei der Ehegattenbesteuerung ein. Seit dem 1. Januar
1955 gab es Kindergeld, das erst ab dem dritten Kind gewährt wurde.30
Finanziert wurde es zunächst von den Arbeitgebern. Sie führten ungefähr ein Prozent
des versicherungspflichtigen Einkommens der Arbeitnehmer durch ein Umlageverfah-
ren innerhalb der Berufsgenossenschaften, die Funktionen von Familienausgleichs-
kassen ausübten, an diese ab. Die Mittel für die Kindergeldzahlung wurden getrennt
von den Mitteln der Unfallversicherung verwaltet.31
27
Statistisches Amt des Saarlandes (Hrsg.), Kurzbericht V/5 vom 15.4.58, S.5,
28
Statistisches Amt des Saarlandes, Saarbrücken (SAS), Geschäftsbericht der Kasse für Familienzulagen
für das Jahr 1953, o.Oa, S.14.
29 LA SB, Staatskanzlei, Kabinettsregistratur Arbeitsministerium, (StK/KR/MAW) 1948/T-l, Be-gründung
zum Gesetz über die Änderung der Verordnung über Familienzulagen.
Kindergeldgesetz vom 13.11.54, in: BGBl. I 1955, S.333. Kindergeldanpassungsgesetz vom 7.1.55, in:
BGBl. I 1955, S.17 und Kindergeldergänzungsgesetz vom 23.12.55, in: BGBl. I 1955, S.841.
31 SAS, Mappe des Saarländischen Arbeitsministerium, Ref.B/lb/Familienzulagen. Vergleich der Rege-
lungen über die Zahlung von Kindergeld im übrigen Bundesgebiet und von Familienzulagen im Saarland,
S.64.
180
Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der bundesdeutschen Kindergeldregelung und dem
Familienlohnsystem bestand insofern, als in der Bundesrepublik bei der Lohnbe-
messung die Familie mit zwei Kindern als Norm diente. Folge war, daß die Löhne von
Frauen und jungen, ledigen Männern unter 21 Jahren real niedriger angesetzt wurden,
obwohl arbeitsrechtlich das Geschlecht keinen Einfluß auf die Lohngestaltung haben
durfte. Aber auch die saarländische Regelung gewährte keine größere Lohngerechtig-
keit. Besonders gut kamen die Bergleute weg, weil ihr Arbeitgeber, die Regie, weniger
in die Familienkasse an Beiträgen einzahlte, als diese Arbeitnehmer gruppe an Leistun-
gen erhielt. Genau umgekehrt verhielt es sich beim Einzelhandel, der Textilindustrie
und dem Bekleidungsgewerbe. In diesen Branchen arbeiteten mehr Ledige, vor allem
aber auch jüngere Frauen.32 Gerade die Frauen und Beschäftigten der eben genannten
Branchen finanzierten zu einem erheblichen Teil die Familienzulagen der Bergleute
mit. Letztere waren in höherem Maße verheiratet und hatten wegen ihres höheren
Einkommensniveaus auch eher Kinder.
Bei den deutschen Arbeitnehmern bestand Interesse an einer Verbesserung der Ein-
kommensverhältnisse von Familien. Die Tarifvertragsparteien versuchten dem Rech-
nung zu tragen. Georg Leber (SPD) schloß im Juli 1952 für den Bereich der Industrie-
gewerkschaft Steine und Erden in Hessen einen Tarifvertrag ab, der die Bildung einer
Familienausgleichskasse und Kindergeld für jedes Kind in Höhe von 11 DM vorsah.33
Keine Diskussion im Schatten des "Dritten Reiches"
Der Einführung des Kindergeldes in der Bundesrepublik ging eine zähe, sich über
Jahre erstreckende Diskussion voraus. Mehr als fünf Jahre vergingen, bis das Kinder-
geldgesetz verabschiedet wurde. Ansätze zu einer Kindergeldgesetzgebung hatte es
noch während der Besatzungszeit gegeben, so hatte z. B. die Stadt Vechta beim Zen-
tralamt für Arbeit einen Antrag auf Kinderzulagen gestellt, den die Mainpo-
wer-Division aber ablehnte.34 Einen weiteren Versuch unternahm der Bremer Senator
für Arbeit und Sozialversicherung Gerhard van Heukelum (SPD). Im Juli 1949 stellte
er seinen Plan vor, staatliche Kinderbeihilfen einzuführen. Er begründete seinen
Vorschlag mit dem Hinweis auf das Mißverhältnis zwischen Löhnen und notwendigen
Aufwendungen für Kinder. Van Heukelums Vorstoß fand immerhin so viel Beachtung,
32
Statistisches Amt des Saarlandes (Hrsg.), Kurzbericht Nr.V/5 vom 15.4.58, S.4.
33
Georg Leber, Familienausgleichskasse durch Tarifparteien, in: Gewerkschaftliche Monatshefte 1952,
S.723. Friedrich G re v e, Staatliche Kinderbeihilfen oder Familienausgleichskassen, in: Soziale Sicherheit
2/1953, S.5-7. Georg Leber (1920 geboren), Erster Vorsitzender der IG Bau von 1957 bis 1966, SPD,
Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken, zwischen 1966 und 1978 Bundesminister u.a. für
Verkehr, Post und Verteidigung. Leber hatte enge Kontakte zu den Exponenten der katholischen
Soziallehre und setzte als erster tarifvertraglich vermögensrechtliche Leistungen durch, siehe bet: Wolfgang
Schröder, Katholizismus und Einheitsgewerkschaft, Bonn 1992, S.425.
34
Peter M a n d t, Gedanken zur Frage des Familienlastenausgleichs, in: Soziale Sicherheit 1/1952, S.195
f.
181
daß er im Ausschuß für Arbeit im Länderrat in Königstein diskutiert wurde. Zu Ergeb-
nissen kam es aber nicht. Van Heukelum und Walter Auerbach (SPD), Staatssekretär
im niedersächsischen Arbeitsministerium, gehörten einem vom Bundesrat gebildeten
Arbeitsstab "Kinderbeihilfen" an, der von Professor Polligkeit geführt wurde.35 Der
Bundesrat beschäftigte sich im November 1949 mit dem Thema, nachdem Abge-
ordnete der CDU/CSU-Fraktion am 4. November 1949 im Bundestag einen Antrag
eingebracht hatten, in dem der Bundesrat beauftragt wurde, ein Gesetz zur Errichtung
von Familienausgleichskassen vorzulegen. Dieser erste Gesetzentwurf wurde vor allem
von Unionspolitikern getragen, die eng mit der katholischen Soziallehre verbunden
waren oder aus der katholischen Arbeitnehmerbewegung kamen wie z.B. Johannes
Even und Bernhard Winkelheide.36 Die Christdemokraten beabsichtigten die Ein-
richtung von Familienausgleichskassen im gesamten Bundesgebiet, wobei die Berufs-
genossenschaften den organisatorischen Rahmen bilden sollten. Sie sollten Familien-
ausgleichskassen einrichten.37
Innerhalb von wenigen Monaten entwickelte sich ein ideologisch geprägter Streit. Zur
Diskussion stand ein staatlich finanziertes Kindergeldmodell der SPD gegen ein
lohnpolitisch orientiertes, über Familienausgleichskassen im Sinne des Subsidiaritäts-
prinzip finanziertes der Union.3® Der DGB stand einem Familienlohnsystem kritisch
gegenüber und forderte in seinen sozialpolitischen Grundsätzen im Oktober 1949
staatliche Kinderbeihilfen in Höhe von 20 DM für jedes Kind.39 Zudem hielt er ein auf
Berufsgenossenschaften und Berufsverbände abgestelltes System des Familienlasten-
ausgleichs verwaltungstechnisch für viel zu kompliziert. Problematisch sei auch, daß
zwischen den einzelnen Branchen große Unterschiede hinsichtlich der Familienstruktur
bestünden. Teile des DGB befürchteten, daß ein von den Arbeitnehmern finanziertes
Kindergeld den Weg zum Familienlohn bedeuten und das Lohnniveau drücken
würde.40 Die SPD wollte das Kindergeld aus Steuermitteln finanzieren, die Organisa-
tion und Verwaltung sollte über die Finanzämter erfolgen. Empfangsberechtigt sollten
35 Ebd.
Siegfried Gebauer, Familie und Staat. Handbuch zur Familienpolitik in Europa, Heidelberg 1961,
S.15.
37
M a n d t, Gedanken zur Frage des Familienlastenausgleichs, S.195 f. Georg Wannagat,
Betrachtungen zum Gesetzentwurf über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von
Familienausgleichskassen, in: Soziale Sicherheit 3/1954, S.263-265.
Hans Günter Hockerts, Deutsche Nachkriegspolitik vor dem Hintergrund des Beveridge-Plans.
Einige Beobachtungen zur Vorbereitung einer vergleichenden Analyse, in: Wolfgang J. Mommsen und
Wolfgang Mock (Hrsg.), Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates in Großbritannien und Deutschland 1850-
1950, Stuttgart 1982, S.342.
Institut für Wutschaftspolitik (Hrsg.), Die Vorschläge zu einem Ausgleich der Familienlasten, in:
Wirtschaftspolitische Chronik 2/1952, S.45.
40 Karl Osterkamp, Familienausgleichskassen sind lohnpolitisch bedenklich, in: Soziale Sicherheit
1/1952, S. 327-329.
182
sowohl Arbeitnehmer als auch Landwirte und Selbständige sein. Die Höhe des Kinder-
geldes sollte 20 DM für jedes Kind betragen. Ein staatlich finanziertes Kindergeld in
gleicher Höhe und für alle Kinder, das waren Kernelemente sozialdemokratischer
Familienpolitik.41 Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten betrachteten das Zentrum
und die Union Familienpolitik von einem ausschließlich christlichen Standpunkt aus.42
Margot Kalinke, die sozialpolitische Expertin der Deutschen Partei, lehnte Familien-
zulagenkassen kategorisch ab, weil sie sich in der Praxis als "Auslese gegen den
kinderreichen Arbeitnehmer" aus wirken würden.43
Die These von Hans Günter Hockerts, die CDU habe 1954 das erste Kindergeldgesetz
gegen den Widerstand aller anderen Fraktionen im Bundestag durchgesetzt, erscheint
vor dem Hintergrund der Kindergeldgesetzentwürfe von Zentrum und Sozialdemokra-
tie mißverständlich, zumal eine solche Formulierung suggeriert, die Union habe im
Vergleich zu den anderen Parteien ein besonderes familienpolitisches Engagement
entwickelt und das Kindergeld auf den Weg gebracht.44
Vor allem Wissenschaftler, Mediziner und Soziologen, aber auch Vertreter der Kirche
traten in der Öffentlichkeit als Exponenten eines Familienlastenausgleiches auf.45 Die
Ärzteschaft kritisierte über die Arbeitsgemeinschaft westdeutscher Ärztekammern auf
breiter Front die Verarmung der Familienhaushalte. Sie setzte Dr. Ferdinand Oeter als
ihren Beauftragten für eine familiengerechte Sozialpolitik ein. Er sah vor allem in der
Steuergesetzgebung ein sinnvolles Regulativ zur Verbesserung der familiären Ein-
kommenssituation.
Auf der anderen Seite gab es aber auch eine ordoliberale Gruppe, die grundsätzlich
eine finanzielle Förderung der Familie, sei es durch Kindergeld oder steuerpolitische
Maßnahmen, ablehnten, so z. B. weite Teile der Arbeitgeber. Eine staatliche Kinder-
geldregelung wie auch eine steuerpolitische Bevorzugung von Kindern wurden als
Jutta Akrami-Göhren, Die Familienpolitik im Rahmen der Sozialpolitik mit besonderer
Berücksichtigung der Vorstellungen und der praktischen Tätigkeit der CDU, Diss. Bonn 1974, S. 180-184.
42 Dies., S.107, 113.
43
Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv (NHA) Außenstelle Pattensen, VVP 7, Nr.401, Rede auf dem DP-
Bundesparteitag in Goslar.
Hans Günter Hockerts, Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Hans Pohl (Hrsg.),
Staatliche, städtische, betriebliche und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart
1991, S.365.
45
Z.B. Gerhard M a c k e n r o t h, in: Familie und Sozialreform, hrsg. v. der Jahresversammlung der
Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e.V., Stuttgart/Bad Cannstadt 1955. Ferdinand Oeter,
"Familienpolitik", Stuttgart 1954, S.53. Gerhard Mackenroth, Professor für Soziologie, Sozialwissenschaft
und Statistik, war einer der "markantesten Vertreter" der Bevölkerungswissenschaft in Deutschland, siehe:
H. G. R a s c h, in: Internationales Soziologenlexikon, hrsg. von W. Bemsdorf und H. Knospe, Bd.2 ,
Stuttgart 1980, S.261.
183
leistungsfeindlich zurückgewiesen. Sparsamkeit, Kapitalbildung, Eigen Verantwortung
und Privaterwerb wurden als die wirtschaftlichen Grundlagen der bürgerlichen Familie
definiert. Die besondere Gefahr des Lastenausgleichs bestünde darin, daß den Kinder-
losen durch finanzielle Mehrbelastung die Energie genommen werde, eine Familie zu
gründen.46
Die nationalsozialistische Familienpolitik mit ihren rassischen Motiven und staatlichen
Eingriffen in persönliche Bereiche warf ihre Schatten auf die familienpolitische Dis-
kussion der jungen Bonner Republik und wirkte letztlich als Hemmschuh für eine
fortschrittliche, der internationalen Entwicklung angepaßte Familienpolitik. Wer
familienpolitische Leistungen forderte, dem wurde in der Öffentlichkeit häufig ent-
gegengehalten, der Staat dürfe sich nicht in die Familie einmischen, den Ehepartnern
sei die Entscheidung zu überlassen, ob und wieviele Kinder sie sich wünschten. Die
Furcht vor einer "Verstaatlichung" der Familienpolitik ging in der öffentlichen Mei-
nung um.47 Es dürfe keine "Gebärprämienpolitik" betrieben werden, und es sei zu
verhindern, daß durch Kindergeld ein "Abkindern" gefördert werde.48 Gerade die
Familienpolitik ebnet generell den Weg für einen größeren Staatsinterventionismus in
der Sozialpolitik.49 Die bundesdeutsche Kontroverse über die Finanzierung des Kin-
dergeldes war mit einer emotionalen Distanz vor staatlichen Eingriffen in die Familie
verbunden, wobei die Union, wie Hockerts verständlich macht, auf Entstaatlichung
setzte und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips dachte, die Sozialdemokratie dagegen
eine staatliche Finanzierung wünschte.50
Auch auf die Bildung des Bundesministeriums für Familienfragen im Herbst 1953
reagierte ein Teil der bundesdeutschen Öffentlichkeit mit Unbehagen, wurden damit
doch Bedenken gegenüber einem staatlichen Einfluß auf die Familie bestätigt. Sogar
Anhänger einer aktiven Förderung der Familien wie der Soziologe und Berater von
Familienminister Wuermeling Helmut Schelsky51 befürchteten durch die Bildung eines
Familienministeriums das Entstehen "einer institutionalisierten Familienpatronage mit
totalitären Zügen"52.
46
Hans W i 11 g e r o d t, Familienlastenausgleich und Sozialreform, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung
von Wirtschaft und Gesellschaft, Berlin 1956, S.144-159, 166-168.
47
Rranz-Josef W uermeling, Familien- und Jugendpolitik im Dienste der Wiedervereinigung. Bulletin
des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr.6 vom 10.1.1962, S.53.
Kerstin Bast und Ilona O s t n e r, Ehe und Familie in der Sozialpolitik der DDR und BRD - ein
Vergleich, in: Winfried Schmähl (Hrsg.), Sozialpolitik im Prozeß der deutschen Vereinigung, Frankfurt
a.M. 1992, S.253-255.
49 Bernd Henningsen, Der Wohlfahrtsstaat Schweden, Baden-Baden 1986, S.100.
50 Hockerts, Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, S.365.
Bast und Ostner, Ehe und Familie, S.251. Helmut Schlesky hat wesentlich zur Institutionalisierung
der Sozialpolitik beigetragen. Zu Schelsky siehe: Wolfgang L i p p, Helmut Schlesky, in: Internationales
Soziologenlexikon , Bd,2, S.747 f.
52
Ursula Münch, Familienpolitik in der BRD. Maßnahmen, Defizite, Organisation familienpolitischer
Staatstäligkeit, Freiburg 1990, S.211-213.
184
Vor allem diese Rahmenbedingungen erklären neben dem politischen Dissenz, ob der
Familienlastenausgleich über den Staat aus Steuermitteln oder im Sinne des Subsi-
diaritätsprinzips zu regeln sei, die Verspätung der bundesdeutschen Kindergeldgesetz-
gebung.
Dem von der Bundesrepublik abgetrennten Saarland blieb eine solche Diskussion
erspart. Die Sondersituaüon des Landes belastete im Gegensatz zur Bundesrepublik die
sozialpolitische Diskussion in Familienfragen nicht. Im Gegenteil, das Saarland umse-
gelte im Windschatten des französischen Wirtschaftspartners das Erbe der nationalso-
zialistischen Familienpolitik und fand durch die Wirtschaftsunion mit Frankreich
Anschluß an eine moderne Familienpolitik.
Ab 1953 wurden in der Bundesrepublik die Stimmen, die nach einem weitgehenden
Familienlastenausgleich riefen, immer lauter. Die Familienverbände betrachteten die
Verlautbarungen der Bundesregierung über die Kindergeldplanung nur als eine "wun-
derbare Bundestagsparole".53 Sowohl der Vorsitzende des Rates der Evangelischen
Kirche in Deutschland Bischof Otto Dibelius als auch die Katholische Kirche forderten
Anfang 1953 Bundeskanzler Adenauer auf, endlich das Kindergeld und eine Familien-
ausgleichsabgabe einzuführen.54 Die Kindergelddiskussion war um eine neue Kompo-
nente reicher geworden, da der Öffentlichkeit die ungünstige Bevölkerungsentwick-
lung und ihre Konsequenzen für die Sozialversicherung sowie die wirtschaftliche
Entwicklung zunehmend bewußt wurden.
Zu Beginn der zweiten Legislaturperiode griff Bundeskanzler Konrad Adenauer dieses
Problem auf.55 Ihm versuchte der Kanzler in der Öffentlichkeit mit der Bildung des
Bundesministeriums für Familienfragen Rechnung zu tragen und kam damit gleich-
zeitig Wünschen der Katholischen Kirche entgegen. Denn bei der Regierungsbildung
1953 fühlte sich der katholisch-konservative Flügel der Union im Aufwind und erwar-
tete, vom Episkopat ermutigt, wie Hans-Peter Schwarz feststellt, eine Belohnung für
die starke Wahlunterstützung.56 Mit Franz-Josef Wuermeling wurde ein engagierter,
oder wie Schwarz treffend formuliert, ein "temperamentvoller"57 Katholik in das neue
Amt berufen, der sich schon zuvor als Fürsprecher der Familienverbände im Bundestag
53 BA KO, Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen (B 153), Nr.000.737, B1.85.Vermerk vom
9.3.53.
54
Ebd., B1.386, Der Vorsitzende des Rates der Evangel. Kirche in Deutschland an Bundeskanzler
Adenauer vom 20.2.53.
Regierungserklärung von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer am 20.10.53, abgegebenvor dem
Deutschen Bundestag, hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, S.27.
56 Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949-1957, Stuttgart 1981,
S.200.
57 ,
185
profiliert und eine aus Bundestagsabgeordneten bestehende "Kampfgruppe für die
Familie" aufgebaut hatte. Alle engeren Mitarbeiter des Familienministers waren bis auf
eine Frau katholisch.58 Die Federführung für die Kindergeldgesetzgebung lag aber bis
zum 31. Januar 1966 beim Bundesarbeitsministerium.59 Wuermelings familienpoliti-
sches Engagement blühte in seiner Ministerzeit weiter auf, zwischen 1953 und 1957
hielt er im ganzen Land 450 öffentliche Vorträge zu Familienfragen.60 Bis zu diesem
Zeitpunkt hatten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Äußerungen der Union zur
Familienpolitik eher den "Charakter einer prokl amatori sehen Pflichtübung" gehabt.61
Franz-Josef Wuermeling wurde am 8. November 1900 in Berlin geboren und stammte
aus einer mittelständischen Beamtenfamilie. Nach humanistischer Schulbildung stu-
dierte er Rechts- und Staatswissenschaften und promovierte anschließend in Politikwis-
senschaft. Von 1926 bis 1931 war er im Preußischen Innenministerium tätig und lernte
dort Hans Globke kennen. Wuermeling war Mitglied der Zentrumspartei und von 1931
bis April 1939 als Beamter im Finanz- und Brandversicherungsdezemat des Provinzial-
verbandes Kassel tätig gewesen, als er wegen politischer Auseinandersetzungen mit der
NS-Gauleitung aus dem Dienst ausschied und in die Industrie als Manager wechselte,
u.a. war er in der Linzer Basaltindustrie tätig, danach sammelte er Erfahrungen als
Leiter einer Betriebskrankenkasse. Nach 1945 trat er in die CDU ein, wurde Abge-
ordneter im Koblenzer Landtag, von 1947 bis 1949 Staatssekretär im Innenministerium
in Rheinland-Pfalz. Während der Beratungen über die Sozialversicherungsreform in
der französischen Besatzungszone trat er als Gegner der Einheitsversicherung auf,
innerhalb der Partei war er damals dem Arbeitgeberflügel zuzuordnen. In der Schul-
ffage trat er als engagierter Anwalt für Elternrecht und Bekenntnisschule auf. Innerhalb
da- rheinland-pfälzischen CDU wurde er immer mehr zum Außenseiter, galt als "enfant
terrible" und war ein entschiedener Gegner der Großen Koalition von Ministerpräsident
Peter Altmeier, nicht zuletzt deshalb holte ihn Adenauer als geschäftsführenden Staats-
sekretär ins Bundeskanzleramt. Innerhalb der CDU war Wuermeling mehr der na-
tionalen Richtung zuzuordnen. Er war Anhänger von Jakob Kaiser, kritisierte Altmei-
ers Saarpolitik, soll eine schwärmerische Neigung für Preußen gehabt haben und ein
"Fan" sozialstaatlicher Ordnungs- und Lebensformen gewesen sein. Wuermeling war
stellvertretender Leiter der FIDES ROMANA, einer Laienvereinigung katholischer
deutscher Männer für Kirche und Papst. Sie war 3.000 Mitglieder stark und verstand
sich als Treuebund für den Heiligen Vater mit der Verpflichtung, als "Garde des
Papstes" für dessen Lehren und Dogmen einzutreten. 1953 wurde der Vater von fünf
58
Angela D e 1 i 11 e und Andrea Grohn, Blick zurück aufs Glück. Frauenleben und Familienpolitik in
den 50er Jahren, Berlin 1985, S.64, S.131-133.
59
Siehe Vorwort zum Findbuch des Bestandes B 153, Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen
im Bundesarchiv Koblenz.
Astrid J o o s t e n, Die Frau, das 'segenspendende Herz der Familie’, Pfaffenweiler 1990, S.37.
Marcus Holz, Christliche Weltanschauung als Grundlage von Parteipolitik, Diss. München 1992,
S.155-157.
186
Kindern Bundesminister für Familienfragen. Dieses Amt bekleidete er bis 1962 und sei
ihm, wie Hans-Peter Schwarz resümiert, als Mann des "streng kirchentreuen und
antiliberalen katholischen CDU-Flügels" auf den Leib geschrieben gewesen.62
2.2 Gesellschafts- und bevölkerungspolitische Auswirkungen
Sozialpolitisch betrachtet fällt der egalitäre Charakter der saarländischen Familien-
zulagen auf, da Höhe und Empfangsberechtigung einkommensunabhängig gestaltet
wurden. Damit widersprachen sie der Vorstellung, daß mit steigendem Einkommen
auch die Aufwendungen für Kinder infolge des schichtspezifischen Lebensstandards
und Konsumverhaltens steigen würden. Ein solcher schichtenspezifischer Lastenaus-
gleich findet sich dagegen noch heute in der Konzeption der Steuerfreibeträge und des
Ehegattensplitüngs in der Bundesrepublik.63
Chancengleichheit im Bildungswesen
Mit den Familienzulagen im Saarland wurde in einer Region mit einem überdurch-
schnittlich hohen Anteil von Arbeiterkindern auch ein Beitrag zur Chancengleichheit
im Bildungswesen geleistet. Der saarländische Gesetzgeber sorgte bereits 1948 dafür,
daß Familienzulagen auch während des Studiums sowie der Schul- und Berufsaus-
bildung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, später sogar bis zum 24., gezahlt
wurden. Dabei wurde in der Praxis die Schul- und Berufsausbildung sehr weit ausge-
legt und das Netz so dicht wie möglich gespannt. Eine Durchführungsverordnung zur
Zahlung der Familienzulagen sah vor, daß der Besuch einer privaten Handelsschule als
Berufsausbildung gewertet wurde. Voraussetzung war aber, daß der Schulbesuch
mindestens ein halbes Jahr dauerte und wöchentlich 20 Unterrichtsstunden neben der
häuslichen Vorbereitungszeit umfaßte. Ein besonderer Fall waren die Ber-
litz-Sprachschulen. In ihnen wurden die Schüler pro Kurs nur 12 Stunden in der
Woche unterrichtet, mußten aber daneben nach einem speziellen Lehrplan 8 Stunden
Selbststudium zu Hause leisten. Der Gesetzgeber wertete diese häuslich zu leistenden
8 Stunden als schulischen Unterricht, und damit konnten auch die Eltern von Ber-
litz-Schülem Familienzulagen erhalten. Eine ähnlich flexible Regelung wurde auch für
Zu Franz-Josef Wuermelings Herkunft und Rolle als rheinland-pfälzischer Landespolitiker, siehe:
Heinrich Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition, Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz
1946-1955, Mainz 1990, S.67, 86, 166, 172, 179, 182-184, 190, 221, 233, 237. Rainer Hudemann,
Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953. Sozialversicherung
und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik, Mainz 1988, S.294, 330. Hans-
Peter Schwarz, Adenauer. Der Aufstieg 1876-1952, Stuttgart 1986, S.661. Ders., Adenauer. Der
Staatsmann: 1952-1967, Stuttgart 1991, S.l 10. Allgemeine biographische Hinweise, insbesondere auch zu
seinem katholischen Engagement bei: Arcadius R. L. G u r 1 a n d, Die CDU/CSU. Ursprünge und
Entwicklung bis 1953. Hrsg, von Dieter Emig, Frankfurt a.M. 1980, S.66, 146, 456. Außerdem bei:
D e 1 i 11 e und Grohn, Blick zurück, S.64-66. J o o s t e n, Die Frau , S.34-36.
63 Gabriele Bremme, Freiheit und soziale Sicherheit, Stuttgart 1961, S.l 94-196.
Akrami-Göhren, Die Familienpolitik, S.273, 305 f.
187
private Nähschulen erlassen.64 Die Familienzulagen erleichterten es Beziehern niedriger
Einkommen, ihren Kindern den Besuch einer weiter führenden Schule zu ermöglichen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß 54 Prozent aller saarländischen
Oberschüler aus Arbeiter- und Bauernfamilien kamen.65 Jugendlichen aus unteren
Einkommensschichten wurde das Studium durch die an der Saar im Vergleich zu
französischen und deutschen Universitäten wesentlich geringeren Studiengebühren
erleichtert, hinzu kam eine großzügige staaüiche Stipendienpolitik für sozial
Schwache.66 Die Studiengebühren waren an der Universität des Saarlandes wesentlich
niedriger als an bundesdeutschen Unis. Das Studieren in Deutschland war mindestens
doppelt so teuer wie im Saarland. Nicht zuletzt deshalb betrug im Jahre 1950 der Anteil
da Studenten an der Universität des Saarlandes, die aus Arbeiterfamilien kamen, stolze
27 Prozent, während zur selben Zeit ihr Anteil an der Universität Heidelberg bei 6
Prozent lag. Diese Politik führte zu mehr Chancengleichheit im Bildungswesen und
entsprach einer zukunftsweisenden Entwicklung, der die Bundesrepublik zeitversetzt
folgte. Sie spiegelt sich heute darin wider, daß die sozialen Unterschiede der Studieren-
den zwischen der Universität des Saarlandes und anderen bundesdeutschen Uni-
versitäten bei weitem nicht mehr so extrem sind wie in den fünfziger Jahren.67
Durch spezielle quantifizierende Untersuchungen wäre hinsichtlich des Anteils der
Arbeiterkinder, die höhere Schulen besuchten, zu prüfen, ob die Familienzulagen im
Saarland zum Aufbrechen von Klassenstrukturen führten und damit - soziologisch
betrachtet - als "Fahrstuhl"68 nach oben wirkten.
Heiratsverhalten
Neben den Kinderzulagen gehörte zu den Familienzulagen die sogenannte Frauen- und
Unterhaltszulage. Anspruch auf sie hatten verheiratete Arbeitnehmer, wenn die Frau
nicht erwerbstätig war. Weder in Frankreich noch in Deutschland gab es etwas Ver-
gleichbares. Jeder ledige Arbeitnehmer konnte so sehen, daß sich der Bund fürs Leben
auf sein Gehalt zunächst einmal positiv auswirkte.
Es stellt sich die Frage, ob diese Zulage Konsequenzen auf das Heiratsverhalten hatte.
Was die Heiratsquote betraf, so fällt auf, daß bereits vor der Einführung der Familien-
LA SB, MifAS, Bd.146, Minister des Innern, Dr. Hector, Erlaß vom 10.5.54.
Durchführungsbestimmungen zum Gesetz über Familienzulagen vom 24.9.51, in: Abi. 1951, S.1227.
65 Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, Saarbrücken 1984, S.175.
66 Werner V e a u t h i e r, Idee und Entwicklung der Universität des Saarlandes, in: Klaus Altmeyer u.a.
(Hrsg.), Das Saarland, Saarbrücken 1958, S.257.
67 Armin He i nen, Sachzwänge, politisches Kalkül, konkurrierende Bildungstraditionen. Die Geschichte
der Universität des Saarlandes 1945-1955, in: Ders. und Rainer Hudemann (hrsg. i.A. des
Universitätspräsidenten), Universität des Saarlandes 1948-1988, Saarbrücken 1989, S.56 f., 172 f., 176.
68 Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a.M.1986, S.75.
188
Zulagen die Zahl der Eheschließungen ab 1947 kontinuierlich gesunken war, aber
immer noch deutlich über Vorkriegsniveau lag. Die recht hohen Eheschließungsquoten
bis 1949 erklären sich aus der großen Zahl von Eheschließungen der Kriegerwitwen.69
Eheschließungen im Saarland auf 1.000 Einwohner:
1947: 12,6
1948: 12,3
1949: 11,4
1950: 10,8
1951: 10,2
1952: 8,8
1953: 8,4
Entwicklung der Frauenzulage von 1947 bis 1958:
20.11.47 -30. 6.48
01.07.48 -31.8.48
01.09.48 -31.12.50
01.01.51- 30. 6.51
01.07.51 -30. 9.51
01.10.51- 31.12.55
ab 1.1.58
300 FRS
800 FRS
1.200 FRS
1.400 FRS
1.600 FRS
1.800 FRS
2.000 FRS
Steigerung von 1947 zu 1958: + 666,6 Prozent
Saarländische Männer heirateten im Durchschnitt mit 25 1/2 und Frauen mit 23 Jahren.
Besonders beliebt war es, sich im Wonnemonat Mai das Ja-Wort zu geben. Konfessio-
nell differenziert fällt auf, daß die Katholiken wegen der Fastenzeit relativ selten im
März heirateten, während im evangelischen Milieu die Heiratsquote von Januar bis
März meist linear anstieg. Im ländlichen Raum schloß man den Bund fürs Leben gern
im Herbst am Ende der Erntezeit.70
Relativierend muß aber bedacht werden, daß Faktoren wie die dominierende Montan-
industrie und die schon damals im Saarland überdurchschnittlich hohe Einfamilien-
hausquote den Trend zur frühen Ehe begünstigten. Im Vergleich zu Nord-
rhein-Westfalen ist das durchschnittliche Heiratsalter lediger Männer und Frauen im
Saarland niedriger gewesen. So heirateten 1952 im Saarland die ledigen Männer
durchnittlich mit 26,6, in Nordrhein-Westfalen erst mit 27,7 Jahren, die Frauen im
Saarland mit 23,6 und in Nordrhein-Westfalen mit 24,6 Jahren.
69 Statistisches Amt des Saarlandes (Hrsg.), Kurzbericht II/7, Dezember 1954.
70 Ebd.
189
Durchschnittliches Heiratsalter lediger Frauen und Männer, berechnet für 1951, 1952,
1953:71
Frauen Männer
B aden - W ürttember g 25,3 28,4
Bayern 25,1 28,1 (1953)
West-Berlin 24,4 27,2
Bremen 24,4 27,5
Hamburg 24,5 27,6
Hessen 24,2 27,3
Niedersachsen 24,6 28,0
Nordrhein-Westfalen 24,6 27,7 (1952)
Rheinland-Pfalz 24,5 27,5 (1952)
Schleswig-Holstein 24,3 27,6
SAARLAND 23,6 26,6 (1952)
Spitzenposition in der Geburtenrate
Die Familienzulagen im Saarland wurden schon ab dem ersten Kind gezahlt. Auch
wenn durch diese Gestaltung eine Geburten fördende Funktion nicht direkt erkennbar
war, so setzte aber auch die saarländische Sozialpolitik gewisse natalistische Akzente.
Bei der Geburt eines Kindes gab es eine Ausstattungsbeihilfe in Höhe von 10.000 FRS,
ab dem zweiten Kind erhöhte sich zudem die Kinderzulage. In der Bundesrepublik gab
es das Kindergeld erst ab dem dritten Kind. Wenn man die Geburtenrate des Saarlandes
von 1950 bis 1965 mit den deutschen Ländern vergleicht, kann angenommen werden,
daß das saarländische Familienzulagensystem die Geburtenrate förderte. Auch wenn es
grundsätzlich nicht möglich ist, festzustellen, welcher Einflußfaktor letztlich für eine
Geburt ausschlaggebend ist, scheinen die Familienzulagen im Saarland als Anreiz zur
Familiengründung gewirkt zu haben. Die Entwicklung der saarländischen Geburtenrate
läßt diese Hypothese zu, denn mit dem Auslaufen der Familienzulagen im Jahre 1960
als politischer Zäsur änderte sich auch die Geburtenquote in einer besonders drasti-
schen Weise. Dieser Befund ist ein Indiz dafür, daß ein höheres, einkommensunabhän-
gig bemessenes Kindergeld die Geburtenrate erhöhen kann. Während 1950 im Saar-
land auf 100 Eheschließungen 198 Kinder kamen, waren es im bundesdeutschen
Durchschnitt lediglich 169, wobei das Saarland über den bundesdeutschen Ländern mit
den höchsten Geburtenraten wie Baden-Württemberg und Bayern lag. Im Vergleich
zum Saarland war im Bundesgebiet 1958 die Zahl der Familien ohne Kinder mehr als
doppelt so hoch, übrigens sogar größer als in allen Ländern der Montan-Union.71 72
71 Peter Schwarz, Familienpolitik und demographische Entwicklung in den Bundesländern nach dem
Zweiten Weltkrieg, Wiesbaden 1988, S.163.
72 LA SB, NL Johann Klein, Nr.63. Vorlage vom 2.6.59.
190
Mit der Rückgliederung des Saarlandes und der Einführung des bundesdeutschen
Kindergeldsystems 195973 74 änderte sich das Geburtenverhalten der Saarländerinnen
grundlegend. Das Saarland, von 1950 bis 1960 Spitzenreiter in der Geburtenrate, fiel
bereits 1965 unter den Bundesdurchschnitt und belegte von den elf Bundesländern
Platz acht. Kein anderes westdeutsches Bundesland mit Ausnahme von Rhein-
land-Pfalz hat eine ähnlich auffallende Abwärtsentwicklung zu verzeichnen.
Kinderzahl /Lebendgeborene nach 15 Jahren je 100 Eheschließungen in den west-
deutschen Bundesländern einschließlich Saarland:14
1950 1955 1960 1965
Bad.-Würt. 191 (3) 203 (3) 211 (2) 192 (2)
Bayern 169 (5) 182 (6) 194 (6) 172 (4)
Berlin-W. 109(10) 96(10) 113(11) 112(10)
Bremen 152 (7) 177 (7) 176 (9) 149 (8)
Hamburg 124 (9) 140(9) 143 (10) 122 (9)
Hessen 162 (6) 174 (8) 189(8) 170(5)
Nieders. 169 (5) 194 (4) 204 (3) 197(1)
NRW 175 (4) 194 (4) 191 (7) 169 (6)
Rhld.-Pf. 196 (2) 205 (2) 196 (5) 169 (6)
Schle.-H. 149 (8) 184 (5) 197 (4) 173 (3)
SAARLD. 198 (1) 218(1) 218(1) 163 (7)
Der überdurchschnittlich starke Geburtenrückgang im Saarland war kein kurzfristig
auftretendes Phänomen, sondern entwickelte sich zum langfristigen Trend. So sank die
Geburtenrate zwischen 1966 und 1973 im Bundesdurchschnitt um 40 Prozent, im
Saarland aber sogar um 50 Prozent.75 Dennoch war das Saarland noch 1970 das kinder-
reichste Bundesland, wie die CDU-Saar in ihrem Saar-Programm 1970 betonte.76
2.3 Familienpolitischer Leistungs- und Entwicklungsvorsprung
Kindergeld wurde in zahlreichen europäischen Ländern, aber auch in Neuseeland und
Australien gezahlt. Die natalistische Funktion des Kindergeldes war in fast ganz
Europa insgesamt wesentlich stärker ausgeprägt als im Saarland, obwohl zur Ver-
besserung der Bevölkerungsstruktur nach 1945 eine stärker natalistisch ausgeprägte
Komponente durchaus denkbar gewesen wäre. In der Bundesrepublik, den Nieder-
landen und in vielen Schweizer Kantonen gab es Kindergeld erst ab dem dritten Kind,
Johann Klein, Die Entwicklung der Sozialversicherung unter besonderer Berücksichtigung der
Knappschafts Versicherung, Bischmisheim 1965, S.397.
74 Schwarz, Familienpolitik, S.163 f., S.195
75 Ebd., S.163.
Franz Josef Röder, CDU-Saar. Anspruch und Aufgabe. Reden auf Parteitagen der CDU-Saar,
Saarbrücken 1973, S.149.
191
in Frankreich, Großbritannien, Irland und Island erst ab dem zweiten. Die saarländische
Regelung, schon für das erste Kind Beihilfen zu leisten, war auch in den skandinavi-
schen Ländern Dänemark und Schweden zu finden, wobei aber in Dänemark die
Leistungen einkommensgestaffelt gezahlt wurden.77
Im Vergleich zum Saarland befand sich die Bundesrepublik familienpolitisch im
Rückstand. Erst mit dem Kindergeldgesetz vom 13. November 1954 gab es mit Wir-
kung vom 1. Januar 1955 an Kindergeld ab dem dritten Kind.78 Zu diesem Zeitpunkt
erhielten die Saarländer schon seit über sieben Jahren Kinderzulagen, vor allem aber
schon ab dem ersten Kind.
Auch die DDR gewährte Kindergeld erst relativ spät ab dem 1. Juni 1958 nach der
Abschaffung der Lebensmittelkarten. Wegen der damit verbundenen höheren Lebens-
mittelpreise erhielten kinderreiche Familien einen monatlichen Zuschlag. Nach dem
VII. Parteitag der SED im Mai 1967 wurde das progressiv mit der Kinderzahl zuneh-
mende Kindergeld erhöht.79 Die DDR forcierte Mitte der siebziger Jahre, als die Frauen
nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihrer Doppelaufgabe in Haushalt und Beruf sich für
immer weniger Kinder entschieden, ihre natalistische Familienpolitik. Die Progression
im Kindergeldsystem wurde massiv erhöht, so daß 1981 für das erste und zweite Kind
wie seit 1969 lediglich je 20 Mark Kindergeld gezahlt wurden, für das dritte und jedes
weitere Kind aber 100 Mark, Hinzu kamen Geburtenbeihilfen, monatliche Unterstüt-
zungen für Studentinnen mit Kindern sowie zinslose Ehestandsdarlehen von immerhin
7.000 Mark im Jahre 1988 sowie zahlreiche Freistellungen für berufstätige Frauen.80
Dabei spielte, wie es für die Sozialpolitik der DDR charakteristisch war, auch der
Betrieb eine unterstützende Rolle.81
Gegenüber der Bundesrepublik und der DDR markiert die Kindergeldzahlung bereits
ab dem ersten Kind einen signifikanten sozialpolitischen Vorsprung des Saarlandes.
Die Saarländer verfügten damit über eine Regelung, die erst im Jahre 1975, also mehr
als 20 Jahre später, durch die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Helmut
Schmidt (SPD) eingeführt werden sollte.
77
Wannagat, Betrachtungen, S.264.
78 Kindergeldgesetz vom 13.11.54, in: BGB1.1 1954, S.333.
79
Horst B a r t h e 1, Die Sozialpolitik bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus, in: Gunnar
Winkler (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik der DDR, O-Berlin 1989, S.90. Gerhard T i e t z e, Die
Sozialpolitik beim umfassenden Aufbau des Sozialismus (1961-1970), in: Ebd., S.145.
80 Hartmut W e n d t, Familienbildung und Familienpolitik in der ehemaligen DDR (BiB, Sonderheft
22),Wiesbaden 1993, S.12-19.
81
Hans Günter Hockerts, Grundlinien und soziale Folgen der Sozialpolitik in der DDR, in: Hartmut
Kaelble, Jürgen Kocka und Hartmut Zwahr (Hrsg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S.519 f.
192
SAARLAND
BUNDESREPUBLIK:
Beginn der Zahlung von Kinderzulagen / des Kindergeldes:
ab 20.11.1947
ab 1.1.1955
Kinderzulagen / Kindergeld für das erste Kind:
ab 1947
ab 1975
Höhe der / des Kinderzulage / Kindergeldes für das dritte Kind ab 1.1.1955:
+ 1.600 für das erste und
+ 3.200 für das zweite und jedes weitere Kind
Die saarländische Regelung brachte die große Mehrheit der Bevölkerung in den Genuß
von Familienzulagen. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß bei der Rück-
gliederung des Saarlandes um die Erhaltung des Familienzulagensystems als "sozialer
Besitzstand" gekämpft wurde.82
Kinder kosten Geld. Die Mehraufwendungen sind in der Regel trotz des Familienla-
stenausgleichs so erheblich, daß sie zu Einkommensverlusten führen. Sie sind dann
besonders drastisch, wenn das Netto-Einkommen von Ledigen nur wenig geringer ist
als das von Einkommensbeziehem mit Familie. Dieses Problem erkannte auch Bundes-
familienminister Wuermeling. Er beklagte eine soziale Deklassierung der Familien in
der Bundesrepublik und formulierte provokativ, Kinder führten zum sozialen Abstieg.
Insbesondere für die Mittelschichten stellte Wuermeling diese Entwicklung fest. Nach
wissenschaftlichen Berechnungen fiel Mitte der fünfziger Jahre ein bundesdeutscher
Facharbeiter durch die Aufwendungen für eine Familie mit vier Kindern auf das
Einkommensniveau eines schlecht bezahlten Hilfsarbeiters ab. Bei einem Monatsein-
kommen von 300 DM betrugen die Aufwendungen für ein Kind schon 23 Prozent des
Einkommens eines kinderlosen Ehepaares, bei einem Einkommen von 500 DM waren
es 18 Prozent.83
Untersuchungen über familiär bedingte Einkommensverluste zeigten, daß diese im
Saarland zwar höher als in Frankreich, aber niedriger als in der Bundesrepublik aus-
fielen.84
82 MAE Nantes, HCS, Cab .Pol., Doss.69, Bl.58, Kurzfassung eines Interviews, das Kurt Conrad am 31.8.57
dem Saarländischen Rundfunk gegeben hatte.
Franz-Josef W uermeling, Der Familienlastenausgleich. Eine Denkschrift des Bundesministers für
Familienfragen, Bonn 1955, S.ll, 14.
84
BA KO, Bundesministerium für Arbeit (B 149), Nr.3689. Vorläufige rechtsvergleichende Gegenüberstel-
lung Saarland-Bundesrepublik.
3.200 FRS
25 DM
193
Die Auswirkungen von Kindern (K) auf den Lebensstandard eines verheirateten
Ehepaares (EP), ausgehend von einem Index von 100 für ein EP ohne K:85
Frankreich Saarland Deutschland
EP 100 100 100
EP+1K 82,6 86 84
EP+2K 86,5 76,1 71
EP+3K 90,5 73,6 65
EP+4K 90,5 69,9 61
EP+5K 90,6 67,1 57
EP+6K 90,6 64,9 54
Die saarländische Familienpolitik wirkte sich für Familien mit einem Kind besonders
günstig aus, während die französischen Familienzulagen einer traditionell stärker
natalistischen Familienpolitik entsprachen und Familien mit drei und mehr Kindern
besonders wirksam unterstützten. Eine französische Familie mit drei Kindern litt unter
einem geringeren Einkommensverlust als eine mit nur zwei Kindern. Die hohe Pro-
gression der Familienzulagen mit steigender Kinderzahl einerseits und die Nicht-
auszahlung von Familienzulagen bei nur einem Kind, zeigen, daß von einer Bestrafung
bzw. Penalisierung der Einkindfamilie in Frankreich gesprochen werden kann. Natalis-
mus und Penalisierung des Einzelkindes bilden nach Ansicht von Schultheis ein
"gesellschaftspolitisches Kemelement" der französischen Sozialpolitik vom Vi-
chy-Regime über den Gaullismus bis in die Präsidentschaft Mitterrands. Norm für
diese Familienpolitik war die "Drei-Kinder-Familie"86, wie übrigens in den achtziger
Jahren auch für die pro-natalistische Sozialpolitik der DDR, die gleichzeitig die Er-
werbstätigkeit der Frau systematisch förderte.87 Nach der Geburt des ersten Kindes
wurde in Frankreich der Familie durch die Gestaltung der Familienzulagen geradezu
suggeriert, sich noch für ein zweites zu entscheiden, weil erst dann auch für das erste
Kind die Familienzulage ausgezahlt wurde, und sich die Einkommenssituation durch
Zulagen für zwei Kinder gegenüber der Einkindfamilie wesentlich verbesserte. Die
Kindergeldgewährung in der Bundesrepublik zeigt, daß erst die Familie mit drei
Kindern gefördert wurde, dazu noch auf wesentlich geringerem Niveau, bei der Geburt
des dritten Kindes wurde im Gegensatz zum französischen System kein Kindergeld für
die beiden älteren gezahlt. Die saarländischen Familienzulagen, die bereits Leistungen
ab dem ersten Kind vorsahen, hatten eine deutlich schwächer ausgeprägte natalistische
85
LA SB, MifAS, Bü.5, Union Internationaux des Organismes familiaux. Commission des Niveaux de Vie
vom 4.6.55, Index de dégradation des niveaux de vie.
86 S c h u 11 h e i s, Sozi algeschichte, S.366-368.
Hockerts, Grundlinien, S.532, 534. Vgl., S.532. Zitat der Leiterin der Abteilung Frauen beim ZK der
SED: 'Das Bedürfnis der Gesellschaft ist die Drei-Kinder-Familie, denn nur sie gewährleistet die
Reproduktion des unmittelbaren Lebens.'
194
Komponente und wichen damit in ihrer gesellschaftspolitischen Funktion vom franzö-
sischen Vorbild deutlich ab. Mit steigender Kinderzahl sank zwar der Lebensstandard,
aber in deutlich geringerem Maße als in der Bundesrepublik.
Wer profitierte nun am meisten von dieser Regelung? Die soziale Differenzierung zeigt
hier interessante Ergebnisse. Gerade für die Angestellten erwies sich die saarländische
Regelung, Kinderzulagen schon ab dem ersten Kind zu erhalten, als besonders vorteil-
haft, Kinderzulagen für nur ein Kind erhielten 1957 mehr als 58 Prozent der Angestell-
ten im Handel, 53 Prozent der Angestellten in der Industrie, aber lediglich 50 Prozent
dar Arbeiter.88 Ernährer von Familien mit drei und mehr Kindern waren zu Beginn der
fünfziger Jahre öfter in der Schwerindustrie als in anderen Wirtschaftszweigen be-
schäftigt. Dies galt generell für Europa, nicht nur für das Saarland, Frankreich und die
Bundesrepublik. Besonders hoch war ihr Anteil in den Niederlanden und in Italien.89
Der einzige Vorteil der bundesdeutschen Gesetzgebung gegenüber der saarländischen
lag darin, daß der Empfängerkreis von Kindergeld größer war, da alle Berufstätigen,
auch die Selbständigen, anspruchsberechtigt waren, während das Saarland einen
Akzent zugunsten der sozial Schwächeren setzte, und auch Arbeitslose, Kriegsopfer
und Rentner Familienzulagen erhielten. Die saarländische Sozialpolitik versuchte damit
einer weiteren sozialen Deklassierung dieser Gesellschaftsgruppen entgegenzuwirken.
Durch eine Gesetzesänderung wurde sichergestellt, daß Familienzulagen auch dann
weitergezahlt wurden, wenn der Berechtigte sich in einem Genesungs- oder Erholungs-
heim befand. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, daß ärztlich verordnete Kuren
nicht angetreten wurden.90
Die im Saarland gezahlte Ausstattungshilfe entsprach internationalem Standard. Frank-
reich, Finnland, Großbritannien, Irland, Island, die Niederlande, die Schweiz und die
Türkei kannten ähnliche Hilfen.91 Bei der Geburt des ersten Kindes wurden 10.000
FRS gezahlt, allein 18.139 Haushalte kamen von Oktober 1951 bis Dezember 1952 in
den Genuß dieser Leistung.92 Die Bürger der Bundesrepublik erhielten im Vergleich
dazu keine entsprechende Unterstützung, so daß sich die Saarländer auch hier im
Vorteil befanden.
88 Statistisches Amt des Saarlandes (Hrsg.), Kurzbericht V/2 vom 1.4.59, S.4.
89 G e b a u e r, Familie und Staat, S.15.
90 LA SB, StK/KR/MAW/1951/T-2, Gesetzentwurf zur Änderung des Familienzulagengesetzes.
91 Die Familienzulagen, S.37.
92 SAS, Geschäftsbericht der Kasse für Familienzulagen für die Zeit vom 1.10.1951 bis 31.12.1952, o. Oa.,
S.16.
195
Zur Förderung der Gesundheit und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse wurden
nach Kriegsende in Frankreich, aber auch in anderen Ländern, wie z.B. Schweden93,
Wohnzulagen gewährt, mit dem Ziel, Wohnungen besser auszustatten und für bessere
Licht- und Luftverhältnisse zu sorgen, um Hygieniefortschritte und damit auch Ge-
sundheitsvorsorge zu leisten. Für das Saarland und die Bundesrepublik ließen sich
keine ähnlichen Regelungen nachweisen. Frankreich gewährte dazu noch Familien eine
Umzugszulage und Schwangerschaftshilfe.94
2.4 Das Scheitern der 'Rosinentheorie' oder erfolglose Interaktionen zwischen saarlän-
discher und bundesrepublikanischer Sozialpolitik
Wuermeling und seine Nähe zum französischen Familienzulagensystem
Bundesminister Wuermeling definierte den Familienlastenausgleich als Kaufkraftaus-
gleich.95 Die Entscheidung eines Ehepaares für Kinder solle nicht mit einem massiven
Kaufkraftverlust und daraus folgender sozialer Deklassierung verbunden sein. Dabei
übteer auch Kritik an der Marktwirtschaft, indem er einen Familienlastenausgleich für
dringend erforderlich hielt, weil "der marktwirtschaftliche Verteilungsmechanismus
nicht allen Erfordernissen einer auch sozial und politisch befriedigenden Verteilung
gerecht wird".96 Seine These zeigt seine gedankliche Nähe zum französischen System,
so betonte der Architekt der französischen Sozialpolitik nach 1945, Pierre Laroque,
eine freie Wirtschaftsordnung sei nicht dazu in der Lage, beträchtliche Unterschiede
zwischen Familienvätern und anderen sozialen Gruppen auszugleichen, mit der Konse-
quenz, daß Staat und Tarifparteien ausgleichend eingreifen müßten.97 Ein Bekenntnis
zum Familienlohn legte der Minister schon 1953 ab:"Der von der christlichen Sozial-
lehre herausgearbeitete Gedanke des 'gerechten Lohnes' muß in dem Sinne verwirklicht
werden, daß unsere Familien mit mehreren Kindern durch Kinderzulagen in Stand
gesetzt werden, sich einigermaßen innerhalb ihrer sozialen Schicht zu halten".98 Den-
noch verfolgte der Minister keinen klaren Kurs für einen Familienlohn, sondern sprach
sich in einer Denkschrift 1955 für eine Kombination aus Kindergeld und steuerlichen
Erleichterungen für die Familie aus, weil er darin die geeigneten Mittel sah, einer
sozialen Deklassierung entgegenzuwirken. Der Minister bezeichnete es als vorrangig,
das Kindergeld auf das zweite Kind auszudehnen.99 In der Forschungsdiskussion wird
Henning sen, Der Wohlfahrtsstaat, S.120.
94
Die Familienzulagen, S.45-47.
95
Franz-Josef Wuermeling, Gegen den Vorsprung der Kinderlosen, in: Das Parlament Nr.20 vom
13.5.59, S.3,
96 Archiv für Giristhch-Demokratische Politik Sankt Augustin (ACDP), NL Wuermeling, 1-221/018, ders.,
Die wirtschaftliche Sicherung der Familie in der modernen Gesellschaft, S.23.
97
Henry C. G a 1 a n t, Histoire politique de la sécurité sociale française 1945-1952, Paris 1955, S.66-68.
98
Franz-Josef Wuermeling, Staatliche Familienpolitik, in: Bonner Hefte 8/1953, S.4.
99
Ders., Der Familienlastenausgleich, S.20.
196
der konservative Charakter von Wuermelings Familienpolitik herausgestellt. Ins-
besondere Dietrich Haensch100 hat diese Beurteilung geprägt und bringt sie in dem Titel
seiner Arbeit "Repressive Familienpolitik" auf den Punkt. Die gerade aus heutiger
Perspektive sehr konservativ erscheinenden Wertvorstellungen Wuermelings müssen
im Kontext der Zeit gesehen werden. Zur Veranschaulichung sei hier ein Zitat einer
evangelischen Zeitschrift aus dem Jahr 1954 zitiert: "Während Mütter von früh morgens
bis spät abends in schwerster Front stehen, weil sie kein Geld für eine Haushaltshilfe
und nicht einmal für arbeitssparende Haushaltsmaschinen erübrigen können, sind
andere Frauen und Mädchen im Stande, massenhaft das Geld und die Arbeitskraft für
dirnenhafte Frisuren, kostspieliges Make up, teure Parfüms und Schönheitsmittel und
tausend andere Torheiten zum Fenster hinauszuwerfen."101 Gerade diese extrem kon-
servaüven, von evangelischer Seite aus vertretenen Positionen sollten doch davor
bewahren, Wuermelings einseitig katholische Weitsicht und seine zur Prüderie neigen-
den Sittlichkeitsvorstellungen so zu verabsolutieren, daß sie zur Hauptursache für das
Scheitern seiner Familienpolitikerhoben werden.102
In zahlreichen Aufsätzen setzte sich Wuermeling kritisch mit der Erwerbstätigkeit der
Frau auseinander. Er bewertete sie als "erzwungenes Urteil", um die Einkommens-
situation der Familie zu verbessern, das Mutter-Sein als "wahre Erfüllung"103 * und als
ein "fundamental sozialethisches Postulat des christlich-abendländischen Kulturrau-
Die Vorstellungen Wuermelings müssen auch im Kontext des Ost-West-Konfliktes
und der Akzeptanzdefizite seines Ministeriums interpretiert werden. Die kritische
Analyse seiner Aussagen läßt dies zu. So zeigen sich interessante Perspektiven, wenn
man Wuermelings Aufsätze zur Familienpolitik und insbesondere zur Rolle der Frau
aus gesamtdeutscher Perspektive betrachtet. In der DDR wurde die Frau in den Ar-
beitsprozeß primär aus wirtschaftlichen Gründen integriert, parallel dazu wurde ihre
gesellschaftspolitische Rolle als "Nur-Hausfrau" abgewertet, was sich z.B. in den
Zeitschriften der DDR aus den fünfziger Jahren widerspiegelt. Parallel dazu kann
zumindest von einem Trend zur Kollektivierung durch den Ausbau der Vorschul-
erziehung und einer ganztägigen Kinderbetreuung sowie der Jugendorganisationen
geprochen werden. Einerseits schuf die DDR damit die Rahmenbedingungen für eine
100
Dietrich Haensch, Repressive Familienpolitik. Sexualunterdrückung als Mittel der Politik, Hamburg
1969, S.87.
1 Familie im Umbruch, Heft 13 der Schriftenreihe "Kirche und Volk", hrsg. im Auftrag der Leitung der
Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche in Westfalen, Stuttgart 1954, S.44.
102
Hans-Peter Schwarz legt dies nahe, siehe: Ders., Die Ara Adenauer, Bd.3, S.230, 239.
103 Zitiert nach: D e 1 i 11 e und Grohn, Blick zurück, S.69.
ACDP St. Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Franz-Josef Wuermeling, Die wirtschaftliche
Sicherung der Familie in der modernen Gesellschaft (maschinenschriftl. Ausarbeitung).
197
hohe Frauenerwerbsquote, andererseits wurde die Rolle der Frau als "Nur-Hausfrau
und Mutter" abgewertet. Auch terminologisch war Familienpolitik tabu, erst 1972 in
Zusammenhang mit dem sozialpolitischen Programm des VIII. Parteitages wurde
Familienpolitik als Begriff verwandt.105 Die DDR entwickelte sich so allerdings auch
zum Land mit der höchsten Frauenerwerbsquote der Welt. Nicht zuletzt diese-Entwick-
lung muß mit Wuermelings Positionen reflektiert werden. Er kritisierte die Kollekti-
vierung der Familie und bezeichnete sie als "natürlichen Gegenpol zum Kollektiv,
dessen sich ständig mehrender Herrschaftsbereich auch die letzte Freiheits- und Privat-
sphäre des einzelnen in der Familie immer stärker bedrohte"106, Hausfrauen und Mütter
dürften nicht die "Aschenbrödel der Gesellschaft" sein, sondern sie leisteten "Dienst am
Leben und an der Zukunft".107 An anderer Stelle erklärte Wuermeling, daß es beim
Kindergeld nicht zuletzt um die Entscheidung gehe, ob wir "die Dinge mit den Augen
eines kollektivistischen Sozialismus sehen 108 Mit dieser Kritik spielte er einerseits
auf die Verhältnisse in der DDR an, andererseits lehnte er damit grundsätzlich staatli-
che Eingriffe in die Familie ab, wie es sie im "Dritten Reich" gegeben hatte.
Darüberhinaus bemühte sich Wuermeling, ethische Aspekte in die Diskussion ein-
zuführen, indem er die zunehmende Kinderlosigkeit als Folge eines um sich greifenden
Materialismus und Egoismus stigmatisierte.109 Dabei schimmert immer wieder das
Spannungsverhältnis zwischen einem Plädoyer für einen Familienlastenausgleich
einerseits und dem Verzicht auf staatliche Bevormundung andererseits in den Aussagen
des Ministers durch:" Die Entscheidung zur Kinderlosigkeit (...) ist (...) zu achten, es
widerspricht jedoch staatspolitischer Gerechtigkeit, allein den Familien mit Kindern
Idealismus und Entbehrung zuzumuten für eine Leistung, auf die die Gemeinschaft
angewiesen ist".110
Wuermeling war davon beseelt, die Bedeutung der Familienpolitik, und damit auch die
Existenzberechtigung seines Ministeriums zu legitimieren und aufzuwerten. Aus
diesem Kontext erklärt sich sein Bemühen, die Familienpolitik der Bundesrepublik in
ihrem Freiheitscharakter hervorzuheben und gegenüber totalitären Tendenzen sowohl
hinsichtlich der NS-Zeit als auch gegenüber der DDR abzugrenzen und familien-
politische Entfaltungsspielräume zu gewinnen. Auch die Bildung eines wissenschaftli-
chen Beirates mit führenden Vertretern aus den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
105 B a s t und O s t n e r, Ehe und Familie, S.245. Gesine Obertreis, Familienpolitik, S.136-139.
Franz-Josef Wuermeling, Was will das Familienministerium?, in: Deutschland-Union Dienst
(DUD), Nr.7/250 vom 30.12.53, S.3.
107 Ders., Staatliche Familienpolitik, S.5.
108 Ders., Familienpolitik oder staatliche Kinderfürsorge?, in: DUD, Nr.9/250 vom 29.12.55, S.6. Ders., Um
den Familienlastenausgleich in: Die neue Ordnung in Kirche, Staat, Gesellschaft, Kultur 5/1956, S.258.
109 Ebd., S.260.
110 Ders., Der Familienlastenausgleich, S.17.
198
und den Präsidenten der Familien verbände markiert einerseits den Versuch, Verbünde-
te für eine Verbesserung der familienpolitischen Leistungen zu gewinnen, andererseits
aber auch die Existenzberechtigung eines Ministeriums, das sich speziell mit Familien-
politik beschäftigte, sozusagen wissenschaftlich abzusichern.111 Mehrfach hatten nicht
nur Abgeordnete der SPD, sondern auch der F.D.P. die Auflösung des Ministeriums
gefordert.112 Darüberhinaus sind auch Zweifel an der Behauptung angebracht, der
Minister habe letztlich einen Familienlastenausgleich vor allem für die Mittelschichten
angestrebt.113
Die Rolle Wuermelings bei der Rückgliederung des Saarlandes eröffnet neue Sicht-
weisen zum Verständnis seiner familienpolitischen Positionen. Zum anderen stellt sich
in diesem Kontext die Interaktionsfrage, inwieweit nämlich die Familienzulagen als
sozialpolitische Sonderentwicklung des Saarlandes die familienpolitische Diskussion
der Bundesrepublik beeinflußten und Sondersysteme nach dem Beitritt des Saarlandes
zur Bundesrepublik weiterbestehen konnten.
Keine Mehrheit für einen Familienlohn
Große Teile der saarländischen Öffentlichkeit hofften bei der Rückgliederung, daß
vorteilhafte Sozialleistungen - wie z.B. die Familienzulagen - erhalten blieben und
"Modellcharakter" für das Bundesgebiet gewinnen könnten.114 Norbert Engel, der
damalige Präsident der Arbeitskammer, bezeichnete die Familienzulage als "Inbegriff
des sozialen Besitzstandes" und betonte, das "saarländische Familienzulagensystem ist
deshalb wie kaum eine andere soziale Errungenschaft dazu geeignet, auf das Gebiet der
übrigen Bundesrepublik übertragen zu werden."115 Dabei dachte die saarländische Seite
daran, ähnlich wie bei der Rückgliederung Elsaß-Lothringens an Frankreich nach dem
Ersten Weltkrieg, günstigere Regelungen bewahren zu können, und auch als Impuls-
geber für die familienpolitische Diskussion in der Bundesrepublik wirken zu können.116
In der Bundesrepublik malte Wuermeling in drastischen Farben die ungünstige Situa-
tion der Familien aus und sah Handlungsbedarf, da die Bundesrepublik das Land mit
den "weitaus geringsten Leistungen für Kindergeld" sei.117 Intern hatte der Minister
111 Ders., Fundierte Familienpolitik, in: DUD, Nr.8/210 vom 29.10.54.
112 M ü n c h, Familienpolitik, S.216.
113
H a e n s c h, Repressive Familienpolitik.
114 Hans-Walter Herrmann, Modellfall Saar. Der Beitritt des Saarlandes und der DDR zur Bundes-
republik Deutschland. Ein Vergleich, in: Saarheimat 3-4/1991, S.45.
115 Norbert E n g e 1, in: Die Familienzulagen im Saarland und ihre Entwicklung, hrsg. von der Arbeitskam-
mer des Saarlandes, Saarbrücken 1959. Siehe auch: LA SB, NL Johann Klein, Nr.31.
116 ACDPSL Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Karl Dinges, DGB-Saar, an Minister Wuermeling vom
26.3.58. Deutscher Bundestag (DB), DS, Niederschrift zur 181,Sitzung vom 14.12.56, S.10.002.
117 Wuermeling, Um den Familienlastenausgleich, S.266.
199
eine Untersuchung durchführen lassen, deren Ergebnisse so erschreckend waren, daß
er sie nur den Kabinettsmitgliedern zugänglich machen wollte. Im Großraum Stuttgart
waren die sozialen Verhältnisse von Familien mit Kindern untersucht worden. Danach
lag die Einkommenssituation einer Arbeiterfamilie mit mehr als vier Kindern unter der
Grenze der Fürsorgeleistung.118
Ein Teil der öffentlichen Meinung unterstützte den Minister in seinem Engagement.
Die Medien wiesen auf die nach wie vor ungünstige Bevölkerungsentwicklung hin,
und auch die Familienverbände standen an der Seite Wuermelings.119
So ergänzten sich ab 1955 zwei politische Strömungen. Die Saarländer, die an ihren
Familienzulagen festhalten wollten, und der Bonner Minister für Familienfragen, der
im saarländischen System einen Weg zu einem gerechteren Familienlastenausgleich
sah.
Für Wuermeling war die Rückgliederung des Saarlandes die Chance, seinen Worten
Taten folgen zu lassen. Er schloß sich nicht nur der Forderung nach Erhaltung der
Familienzulagen im Saarland an, sondern betrachtete die Saar familienpolitisch auch als
Modell für die Bundesrepublik. "Es ist gut, daß mit der Rückkehr des Saargebietes in
aller Kürze politisch ein Gebiet mit uns zusammenwächst, das sich nicht wie die
Bundesrepublik von entscheidenden Maßnahmen zum Familienlastenausgleich, wie sie
in allen unseren Nachbarstaaten längst getroffen sind, ferngehalten hat (...) Da wir
unmöglich die Leistungen an der Saar abbauen können, sind wir auch durch diese
Gegebenheiten vor die Aufgabe gestellt, auch bei uns endlich vorwärts zu kommen,
d.h. uns wenigstens der Saar anzugleichen."120 Der Minister setzte taktisch vor allem
darauf, daß die Bundesregierung eine Schlechterstellung der Familien im Saarland
nicht "aus politischen und sozialen Gründen" zulassen dürfe. Seine Absicht, über das
saarländische Familienzulagensystem zumindest das deutsche Kindergeld zu erhöhen,
zeigt sich in der Aussage, daß angesichts der Rückgliederung des Saarlandes "nur ein
Weg" bleibe, nämlich "das Kindergeld im ganzen Bundesgebiet an die Sätze des
Saarlandes heranzuführen".121 Zugleich betonte er immer wieder die völlig unzurei-
chende Kindergeldgesetzgebung in der Bundesrepublik.
118
ACDP St. Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Streng vertrauliche Information des Bundesministers
für Familienfragen an die Kabinettskollegen vom 21.12.59.
U9Akrahmi-Göhren, Die Familienpolitik, S.277, Anm.2, vgl. Die Welt v. 18.8.56 und 8.3.57,
Deutsche Zeitung vom 3.8.60, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.12.56. Siehe auch: Das Saargebiet,
die italienischen Arbeiter und die deutschen Kindergelder, in: Sozialer Fortschritt 7-8/1956, S.163-165.
120
Wuermeling, Um den Familienlastenausgleich, S.264. Siehe auch: Ders., Die Sozialpartner und
die Familienpolitik, in: Sozialer Fortschritt 5/1958, S.109. Siehe auch: ACDP St. Augustin, NL
Wuermeling, 1-221/017, Interview der SVZ mit F.-J.Wuermeling vom 22./23.9.56.
121 Ders., Das Kindergeld im Saarland, in: Sozialer Fortschritt 2/1958, S.26.
200
Im Rahmen dieser Bemühungen versuchte Wuermeling auch auf die Tarifvertrags-
partner einzuwirken, indem er für ein Familienlohnsystem warb. Bereits 1953 hatte er
einen "familiengerechten Lohn" gefordert.122 Wuermeling versuchte in den Saarge-
werkschaften Verbündete für ein Familienlohnsystem zu finden. Sie sollten die bundes-
deutsche Tarifpolitik in dieser Frage beeinflussen. So wandte er sich am 16. Dezember
1957 eindringlich an den Vorsitzenden des DGB-Saar Karl Dinges:"Wir stehen (...) vor
der Alternative (...) das Familienlohnsystem des Saarlandes in die Bundesrepublik zu
übernehmen oder im Saarland das bundesdeutsche System einzuführen (...)".123 Gegen-
über da- Stuttgarter Zeitung plädierte er zwar noch sehr engagiert für ein Familienlohn-
system: "Diese Tatsache (Rückgliederung des Saarlandes) erzwingt jetzt eine klare
Entscheidung, ob das den Menschen im Lebensbereich seiner Familie betreffende
Familienzulagensystem des Saarlandes auch in der Bundesrepublik Deutschland
Eingang finden soll, oder ob wir es in unserer privaten Wirtschaft beim bisherigen
nackten Leistungssystem belassen und damit innerhalb der Montan-Union und des
gemeinsamen Marktes weiter familienfeindliche Wege gehen".124 Diese Äußerungen
wie das Eintreten für den Familienlohn lassen Zweifel an einer von einigen Wissen-
schaftlern unterstellten einseitigen Mittelstandsorientierung des Ministers auf-
kommen125, denn die saarländischen Familienzulagen entsprachen einem egalitären
Familienlastenausgleich.
Wuermeling erkannte aber sehr schnell, daß mit dem DGB kein Familienlohnsystem zu
verwirklichen war. Karl Dinges reagierte auf Wuermelings Vortasten in der Frage
Familienlohn mit der Wiedergabe bekannter DGB-Positionen. Die Familienpolitik sei
Sache des Staates, der regulierend eingreifen müsse.126 Deshalb vermied der Minister
das Wort "Familienlohnsystem" und versuchte den DGB für einen Mittelweg zu
gewinnen. Die Tarifparteien sollten von dem durch höhere Produktivität verfügbaren
Mehr an Lohn- und Gehaltssumme, den benötigten Bruchteil für ein höheres Kinder-
geld abzweigen.12 Andererseits sprach er sich gegenüber saarländischen Gewerk-
schaftlern aber klar für einen Familienlohn aus.128 Dennoch handelte Wuermeling
122
F.-J.Wueremling, Das muß geschehen! Die Familie fordert vom Bundestag, in: Kirchenzeitung, Köln,
vom 6.12.53.
123 ACDP St Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Wuermeling an Dinges vom 16.12.57. Weiter heißt es:
"In dieser Vorausschau bedrückt mich, wie sie verstehen werden noch viel mehr (...), wie die
Aufrechterhaltung der Familienzulagen an der Saar im bisherigen Ausmaß bei der Gleichstellung des
Saarlandes mit der Bundesrepublik überhaupt wirtschaftlich ermöglicht werden kann, wenn nicht auch die
Sozialpartner innerhalb des übrigen Bundesgebietes alsbald bewußt den Weg zum Familienlohn gehen".
124
Ebd., Schriftliche Aufzeichnung zu Interviewfragen der Stuttgarter Zeitung vom 4.12.57.
H a e n s c h, Repressive Familienpolitik.
126 ACDP St. Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Dinges an Wuermeling vom 26.3.58.
127
Die Sozialpartner und die Familienpolitik, in: Sozialer Fortschritt 5/1958, S.109-111.
128
Akrami-Göhren, Die Familienpolitik, S.l 35. Siehe auch: ACDP St. Augustin, NL Wuermeling
1-221/018, Interview des Saarland. Rundfunks mit Minister Wuermeling vom 20.1.58.
201
geschickt, als er einer die Gewerkschaft reizenden Diskussion über das Thema Fa-
milien- oder Leistungslohn aus dem Wege ging, und die Formel des Leistungslohnes
mit Familienzuschlag einführte, die aber im Grunde einem Familienlohn entsprach.129
In seinem Bemühen, das saarländische Familienzulagensystem auf die Bundesrepublik
auszudehnen, erhielt der Minister zumindest partiell Zustimmung vom katholischen
Klerus, insbesondere aber von den konfessionell geprägten Familienverbänden. Mat-
thias Wehr, der Bischof von Trier, soll sich anläßlich des Diözesan-Kolpingtages in
Bad Kreuznach indirekt für das saarländische System ausgesprochen haben, indem er
betonte, die Familienzulagen als Ergänzung zum Leistungslohn stimmten ganz ohne
Zweifel mit der katholischen Soziallehre überein.130
Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Familienorganisationen mit den beiden großen
konfessionellen Organisationen, dem Familienbund Deutscher Katholiken und der
Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Familienfragen, wiesen hinsichtlich der Fa-
milienzulagen im Saarland sowohl 1957 als auch 1959 darauf hin, daß kein Saarländer
durch die Rückgliederung schlechter gestellt werden dürfe. Nach dem Willen der
Familienverbände sollte in Anlehnung an Wuermelings Position, das Saarland Vorbild
für den Familienlastenausgleich in der Bundesrepublik sein, gegenüber Bundeskanzler
Adenauer betonte man -"Schon angesichts der bevorstehenden Neuregelung für das
übrige Bundesgebiet wäre es schlechterdings unverständlich, in diesem Zeitpunkt die
gesündere Regelung des Saarlandes, die uns Vorbild sein sollte, aufzuheben.131
Auch die Gewerkschaften standen der saarländischen Familienpolitik relativ offen
gegenüber. Wenn der DGB auch kein Familienlohnsystem wünschte, so hielt er doch
die bisherige bundesdeutsche Regelung für unzureichend und sah in der Rückglie-
derung des Saarlandes eine Chance, die soziale Situation für Familien mit Kindern zu
verbessern. Demgegenüber erhob die deutsche Wirtschaft sofort Bedenken.132 Ins-
besondere das Deutsche Industrieinstitut stellte sich gegen Wuermelings Bemühen, das
saarländische Familienzulagensystem zu übernehmen.133
129
ACDPSt Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Manuskript einer Rede von Wuermeling in Pforzheim
und Rottenburg am 7.12.58.
130 Auf entsprechende Äußerungen berief sich Kurt Conrad (SPD), siehe: Deutscher Bundestag (DB), DS
3.WP., Niederschrift zur 79.Sitzung vom 25.6.59, S.4327.
131
BA KO, Bundeskanzleramt (B 136), Nr.940, B1.260, Arbeitsgemeinschaft Deutscher Familienorgani-
sationen an Bundeskanzler Adenauer vom 20.5.59. Siehe auch B1.314, Bund der Kinderreichen
Deutschlands vom 9.6.59.
132
Ebd., B1.280, Kurzprotokoll zur gemeinsamen Sitzung im Deutschen Bundestag. 48.Sitzung des
Ausschusses für Arbeit, 35.Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik am 27.5.59.
133 ACDP St. Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Schnelldienst Deutsches Industrieinstitut Nr.3 vom
10.1.58. Es gäbe im Bundeskabinett Vorschläge, das saarländische Familienzulagensystem zu übernehmen,
Exponent sei Bundesminister Wuermeling. Berichte zur Sozialpolitik Nr.2/1958 vom 31.3.58, hrsg. v.
202
Auf dem 9. Bundesparteitag der CDU in Karlsruhe vom 26. bis 29. April 1960 ver-
suchte die CDU-Saar das Thema Familienzulagen und Familienlohn erneut in die
innerparteiliche Diskussion zu bringen. Auf einem Landesparteitag hatten die saarlän-
dischen Christdemokraten kurz zuvor eine Resolution für den Bundesparteitag be-
schlossen, in der "der Landesverband Saar der Christlich Demokratischen Union (...)
die dringend notwendige Verbesserung des bestehenden Familienlastenausgleichs" und
einen "familiengerechten Lohn" forderte.134 Ministerpräsident Röder knüpfte in Karls-
ruhe geschickt an Ausführungen des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Heinrich Krone an, der die Familienpolitik zum Markenzeichen der Union erklärt
hatte:"An der Familienpolitik soll man erkennen, daß christliche Demokraten die
Verantwortung tragen".135 Dennoch scheiterte das Bemühen der saarländischen CDU,
die im eigenen Bundesland beliebten Familienzulagen der Bundespartei schmackhaft
zu machen. Das Fordern eines Familienlohns gehörte noch lange Zeit zum sozial-
politischen Repertoire der CDU-Saar, wie die Rede von Ministerpräsident Röder auf
dem CDU-Landesparteitag am 3. Oktober 1964 verdeutlicht:"Ich weiß, daß wir in
unserer Forderung nach einem familiengerechten Lohn in den letzten Jahren Teil-
erfolge hatten, aber wir werden als CDU- Saar nicht aufhören, in dieser Frage tätig zu
bleiben (...)".136
Obwohl sich mit dem Familienminister, kirchlichen Organisationen und der saarlän-
dischen Öffentlichkeit zahlreiche Befürworter für einen weitergehenden und am
saarländischen Modell orientierten Familienlastenausgleich fanden, scheiterten den-
noch die Bemühungen, generell die Leistungen für die Familien zu verbessern wie
auch die saarländischen Familienzulagen auf Bundesebene einzuführen.
Wuermeling ohne Rückhalt in der Fraktion
Wuermeling und seinen Verbündeten fehlte innerhalb der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion der Rückhalt. Der primär wirtschaftspolitisch orientierte Flügel um Ludwig
Erhard war ungleich stärker.
Deutschen Industrieinstitut. Siehe außerdem Schreiben von Karl Dinges an Wuermeling, in dem er für sein
Eintreten bzgl. der saarländischen Familienzulagen dankt:”(...) der die saarländischen Leistungen auf das
übrige Bundesgebiet ausdehnen möchte", datiert vom 26.3.58.
134 Zit. nach: 9. Bundesparteitag der CDU, Karlsruhe 26.-29.4.1960, hrsg. von der CDU-Deutschlands,
Hamburg 1960, S.156. Siehe auch: Franz Josef Röders Rede anläßlich des Landesparteitages am 18.
Oktober 1959 im Johannishof in Saarbrücken:"Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß die Einrichtung
der Familienzulagenkasse an der Saar sich bewährt hat. (...) Die deutsche Familie wäre sicher nicht daran
zugrunde gegangen, wenn man in diesem Geiste über die Beibehaltung der Familienzulagenkasse und der
Kriegsopferversorgung gesprochen hätte". Zit. nach: Ders., CDU-Saar (...), S.30.
135
Zit. nach: 9. Bundesparteitag, S.155.
136 Zit. nach: Röder, CDU-Saar, S.117.
203
Dazu kamen Rivalitäten Wuermelings mit Arbeitsminister Storch, in geringerem Maße
auch Interessengegensätze innerhalb der saarländischen Landesregierung.
Die Korrespondenz zwischen Wuermeling und Krone137 erweckt den Eindruck eines
alleingelassenen und nicht ernst genommenen Ministers. Teilweise fühlte sich der
Bundesminister für Familienfragen so frustriert, daß er sogar bereit war, auf sein Amt
zu verzichten. So konnte er noch nicht einmal durchsetzen, ein Grundsatzreferat über
die Familienpolitik in seiner eigenen Fraktion halten zu dürfen. Zwischen ihm und dem
damaligen FraktionsVorsitzenden Krone entstand eine schwere Vertrauenskrise, nach-
dem er aus seiner Unzufriedenheit, mit seinen familienpolitischen Forderungen nicht
weiter zu kommen, keinen Hehl mehr machte. Unmißverständlich rief Krone den
engagierten und unbequem auftretenden Wuermeling zur Raison:"(...), so langsam wird
es Zeit, daß ich Dich bitten muß, für unsere Ehre einzutreten".138 Wuermeling wieder-
um beklagte sich bei Krone:"So muß ich Dir sagen, daß ich mich in der Frage des
Familienlastenausgleichs von der Fraktion seit langem im Stich gelassen fühle
"nicht einmal ein Anzeichen einer Bereitschaft"139, sich mit familienpolitischen Fragen
zu beschäftigen, sei erkennbar.
Sein Frust bezog sich aber auch auf die Situation im Kabinett. Gegenüber seinem
Vertrauten Johannes Caspers (CDU, MdB) äußerte sich Wuermeling:"Ich bin denkbar
unzufrieden mit der Art und Weise, wie die Dinge sowohl innerhalb der Bundes-
regierung als auch innerhalb der Fraktionsführung laufen".140 Der Kämpfer für einen
weitgehenden Familienlastenausgleich sah mehr Chancen außerhalb des Kabinetts:
"Wenn es im kommenden Jahre zu einer Trennung zwischen dem Kabinett und mir
kommen muß, soll es mir recht sein. Dann habe ich endlich die Freiheit, für unsere
Anliegen zu kämpfen, die ich mir seit langem wünsche".141
Hintergrund seiner Unzufriedenheit war die Verschleppungstaktik der Fraktion. Am
27. Juni 1957 hatten die Vertreter von Mittelstands- und Wirtschaftsinteressen die
Beratung über das Thema Kindergeld wegen der anstehenden Bundestagswahlen von
der Tagesordnung gekippt, nach der Bundestagswahl verhinderte dann die Erhöhung
der Kohlepreise die Wiederaufnahme der Angelegenheit. Am 7. Februar 1958 wurde
Heinrich Krone (1895-1990), von 1922-1933 stellvertretender Generalsekretär der Zentrumspartei,
Vorsitzender des Windhorstbundes von 1929-1933, nach 1945 tragende Säule der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion, von Dezember 51 bis 15. 6.55 Parlamentarischer Geschäftsführer und von 1957 bis
1961 Fraktionschef, siehe: Schröder, Katholizismus, S.424.
138
ACDP St. Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Heinrich Krone an Franz-Josef Wuermeling vom
17.12.59.
139 Ebd., Wuermeling an Krone vom 19.12.59.
140 Ebd., Wuermeling an Johannes Caspers (MdB) vom 8.12.59.
204
beschlossen, über das Thema Kindergeld ab dem zweiten Kind zu diskutieren, im Mai
1958 war die Fraktion aber immer noch nicht zur Beratung darüber gekommen. Erneut
wurde die Angelegenheit in der Fraktionssitzung vom 4. Mai 1958 von der Tages-
ordnung gestrichen. Wuermeling konnte dann eine Woche später, am 13. Mai, eine
Besprechung beim Kanzler durchsetzen, an der auch Kabinettskollegen teilnahmen.
Innerhalb der Fraktion beschäftigte sich der Arbeitskreis IV mit dem Thema, dort fand
aber die im Rahmen der Kanzlerbesprechung vorgesehene Kompromißlösung, 20 DM
Kindergeld für das zweite Kind, keine Mehrheit. Auf Wunsch Wuermelings wurde das
Thema Kindergeld für das zweite Kind dann am 3. Juni zur Kabinettssache gemacht,
aus Zeitgründen dort aber nicht behandelt.142 Die Ursache für die geringen Entfaltungs-
möglichkeiten sah Wuermeling selbst in der Stärke der Wirtschaftslobby in der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion und im Kabinett. So schrieb er an Krone, die Wirt-
schaftsressorts im Bundeskabinett seien stärker als die Familienpolitiker.143 Hans-Peter
Schwarz spricht gar von der "den Kabinetts frieden störenden Familienpolitik" Wuer-
melings.'44 Insbesondere Ludwig Erhard war ein einflußreicher und mächtiger Gegner
des oft so impulsiv und pathetisch auftretenden Wuermeling. Der Bundeswirtschafts-
minister gab seinem Kabinettskollegen unmißverständlich zu verstehen, daß das
bisherige Kindergeldsystem erhalten bleibe, die Wirtschaft auf keinen Fall belastet
werden dürfe, und an ein Kindergeld für das zweite Kind vorerst nicht zu denken sei.145
Erhard maß seinem Kabinettskollegen wahrscheinlich auch keine allzu große Bedeu-
tung bei, so ließ er ihn z.B. vier Monate warten, bis er dessen Briefe beantwortete.146
Zuvor hatte auch Eugen Gerstenmaier anläßlich einer CDU-Veranstaltung in Kiel
weiteren Familienleistungen eine klare Absage erteilt.147 Diese Vorgänge unterstreichen
die Untersuchungsergebnisse von Hans-Peter Schwarz zur CDU/CSU-Fraktion der
Jahre 1957 bis 1961. Von ihrer Zusammensetzung repräsentierte die Fraktion den
Mikrokosmos der Gesellschaft, "zahlenmäßig dominierten allerdings sowohl hier als
auch auf den Bundesparteitagen die Befürworter mittelständischer und großindustriel-
ler Interessen" mit ihrem wichtigsten Repräsentanten Ludwig Erhard. Diese Gruppe
wehrte sich stets, wenn es um den Ausbau des Wohlfahrtsstaates ging.148
142
Ebd., Vermerk Wuermelings betreff. Ausbau des Kindergeldes vom 24.6.58.
143
Ebd., Wuermeling an Krone vom 19.12.59.
144
Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann , S.699.
145
ACDP St. Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard an den
Bundesminister für Familien- und Jugendfragen vom 2.11.59.
146
Ebd., Erhards Schreiben vom 2.11.59 war eine Antwort auf ein Schreiben Wuermelings vom 6.7.59.
147
Ebd., Wuermeling an Bundeskanzler Adenauer vom 14.10.58, darin übt Wuermeling Kritik an der Posi-
tion Eugen Gerstenmaiers.
148 Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Epochenwechsel 1957-1963, Stuttgart 1983, S.156.
205
Sozialpolitiker werden zurückgepfiffen
Die Gesetzgebungskompetenz für das Kindergeld lag nach wie vor beim Bundes-
arbeitsminister.149 Wuermeling versuchte, an Verhandlungen über sozialpolitische
Fragen der Rückgliederung des Saarlandes beteiligt zu werden.150 Der Bundesarbeits-
minister hatte sich zunächst grundsätzlich für die Erhaltung des sozialpolitischen
Besitzstandes im Saarland ausgesprochen151, wurde dann aber von Adenauer zurück-
gepfiffen. Er überschreite mit solchen Zusagen seine Kompetenzen.152 Storch153, der
ebenso wie Jakob Kaiser aus den Sozialausschüssen kam und dessen Ernennung zum
Arbeitsminister bei der F.D.P., DP und CSU auf Bedenken gestoßen war154, unterwarf
sich der Kabinettsdisziplin. Im Sinne der Bundesregierung lehnte er sowohl ein Wei-
terbestehen der Familienzulagen im Saarland als auch eine Ausweitung des Familien-
zulagensystems auf die Bundesrepublik ab.
Bonn gegen Präjudizierung und Föderalisierung der Sozialpolitik
Zum einen wollte die Bundesregierung mit dieser Haltung vermeiden, daß eine saarlän-
dische Sonderregelung die bundesdeutsche Kindergelddiskussion präjudizieren könnte,
zum anderen fürchtete sie das Selbstbewußtsein der Länder. Im Falle der Duldung
weitgehender saarländischer Sonderregelungen sah die Bundesregierung die Gefahr,
die Länder könnten aus ihrem föderalistischen Verständnis heraus Sonderwege auch in
anderen Fragen beanspruchen. Das Zugeständnis von Sonderregelungen bei der
Rückgliederung des Saarlandes könnte Auftakt einer Entwicklung werden, die die
Bundesregierung schwächen und die Machtverteilung zwischen Bundesrat einerseits
und Bundestag sowie Bundesregierung andererseits aus der Balance bringen würde.
Insbesondere das Bundesinnenministerium warnte vor einer solchen Entwicklung und
sah im Falle von saarländischen Sonderregelungen die Rechtseinheit der Bundesre-
publik gefährdet.155 Somit scheint die föderalistische Struktur der Bundesrepublik zum
Scheitern von sozialpolitischen Interaktionen beigetragen zu haben. Bemühungen,
vorteilhaft erscheinende saarländische Sonderregelungen weiterbestehen zu lassen,
149
BA KO, Findbuch zu Bestd. B 153, Bundesministerium für Familien- und Jugendfragen. Die
Federführung für die Kindergeldgesetzgebung lag bis zum 31.1.66 beim Bundesminister für Arbeit und
Sozial Ordnung.
150 Ebd., Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (B 137), Nr.3455, Bundesminister für
Familien- und Jugendfragen, Wuermeling, an Anton Storch, Bundesminister für Arbeit, vom 12.11.56.
151 MAE Nantes, HCS, Cab.Pol., Doss.69, B1.58, Vermerk der franz. Botschaft in Bonn vom 11.9.57.
152
BA KO, Bundesministerium des Innern (B 106), Nr.8396, Kabinettssache VA 1- 51029 2A-673/56 vom
11.12.56.
153 Anton Storch (1892-1975), vor 1935 christlicher Gewerkschaftler, nach 1945 am Aufbau der Einheits-
gewerkschaft maßgeblich beteiligt, CDU ( MdB 1949-1965), Bundesarbeitsminister (1949-1957), in den
fünfziger Jahren kritische Einstellung zum DGB, siehe: Schröder, Katholizismus, S.427.
154
Herlind Gundelach, Die Sozialausschüsse zwischen CDU und DGB, Diss. Bonn 1983, S.96.
BA KO, B 106, Nr,9708, AZ VB1-51550, B 891 I 57, v.14.11.57, verfaßt von Ministerialrat Dr.
Hartmann. Ebd., Bundesministerium für Arbeit an den Staatssekretär im Bundeskanzleramt vom 16.5.57.
206
blieben erfolglos, weil die Bundesregierung eine Föderalisierung im Bereich der
Sozialpolitik verhindern wollte.
'Rosinentheorie' verhindern
Zum anderen behagte dem Bundesinnenministerium die saarländische Verhandlungs-
taktik nicht. Sie wurde in einem Vermerk abwertend als "Rosinentheorie" charakteri-
siert, "die darin besteht, aus den in Betracht kommenden Regelungen jeweils die
günstigsten Bestimmungen auszuwählen", nach dem Motto, bundesdeutsche Rege-
lungen nur dann übernehmen zu wollen, wenn sie gegenüber bisherigen Saarrege-
lungen vorteilhaft sind.156 Genau dies aber hatte der Deutsche Bundestag der saarlän-
dischen Öffentlichkeit versprochen, als er während des Abstimmungskampfes über das
Saar-Statut am 12. Oktober 1955 beschlossen hatte, daß die besseren Leistungen im
Saarland erhalten blieben, aber auch günstigere bundesdeutsche Regelungen im Saar-
land gelten sollten. 157
Die Familienzulagen wurden dann aber durch Paragraph 6 der Beitrittserklärung des
Saarlandes so geregelt, daß nach einer Übergangszeit die bundesdeutsche Kindergeld-
gesetzgebung an die Stelle der bisherigen Familienzulagen treten sollte.158 Diese
Regelung entsprach den Vorstellungen des Bundeswirtschaftsministeriums, das "glei-
che soziale und wirtschaftliche Bedingungen" zum Entscheidungsmaßstab erhob und
eine entsprechende Regelung vorgeschlagen hatte.159 Franz-Josef Wuermeling stand
nach wie vor gegen die Linie des Arbeits- und des Wirtschaftsministeriums und blieb
im Kabinett mit seinen Vorstellungen, die familienpolitischen Leistungen des Saar-
landes zu erhalten, allein:"In der Kabinettssitzung vom 18. März 1959 habe ich meine
Bedenken gegen die Beseitigung der über die bundesgesetzliche Kindergeldregelung
hinausgehenden Familienzulagen vorgetragen. Diese Bedenken bestehen fort, zumal
die Bundesrepublik als das familienpolitisch rückständigste Land Europas kein Verbot
weitergehender Leistungen für einen Teil des Bundesgebietes aussprechen sollte". Zu
einem formellen Widerspruch fehlte dem Minister offensichtlich doch der Mut.160 In
der Bundestagssitzung am 24. und 25. Juni 1959 konnten die Familienzulagen als
sozialer Besitzstand nicht mehr gewahrt werden. Heinrich Schneider (DPS) bezeichnet
156 cuj
Ebd.
157 Heinrich Schneider, Das Wunder an der Saar. Ein Erfolg politischer Gemeinsamkeit, Stuttgart
1974, S.519. Siehe auch: LA SB, Stk, Nr. 665, Bericht über eine Protestkundgebung von Dr. Heinrich
Schneider in der Saarbrücker Wartburg vom 8.7.59.
158 BA KO, B 136, Nr.940, Bl.189, und Bl.124-130, Schnellbrief des Bundesministers für Arbeit an den
Staatssekretär des Bundeskanzleramtes vom 16.3.59.
159
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Bonn (PAA), B17/Ref.219, Nr.91, Bl.166, Der Bun-
desminister für Wirtschaft an den Staatssekretär des Bundeskanzleramtes.
BA KO, B 136, Nr.940, B1.151, Bundesminister für Familien- und Jugendfragen an den Staatssekretär
im Bundeskanzleramt vom 24.3.59.
207
dies in seinen Erinnerungen als "totale Unterwerfung unter das bundesdeutsche Sozial-
system'’.161 Der engagierte Kämpfer für die Rückgliederung des Saarlandes sollte von
den saarländischen Wählerinnen und Wählern politisch dafür bestraft werden, die von
ihm geführte F.D.P./DPS verlor bei den Landtagswahlen am 4. Dezember 1960 über
10 Prozent der Summen162, obwohl die DPS gerade wegen der sozialpolitischen Rege-
lungen bei da- Abstimmung über die Beitrittserklärung des Saarlandes sich der Stimme
enthalten hatte. Im Grunde verfolgte die DPS in Erinnerung an die Sozialpolitik von
CVP und SPS die Strategie, Sozial- und Wirtschaftspolitik voneinander zu trennen. Sie
bot nämlich keine Perspektive, wie sozialpolitische Sonderregelungen mit der wirt-
schaftlichen Harmonisierung vereinbart werden konnten.
Primat der Wirtschaftspolitik
Warum konnten die sozialpolitischen Vorteile des Saarlandes nicht bewahrt werden?
Neben juristischen Aspekten - das Saarland schloß im Gegensatz zur DDR keinen
Eingliederungsvertrag, sondern gab eine Beitritterklärung ab163 - spielten politische
Aspekte eine entscheidende Rolle.
Letztlich zeigen die Umstände der Rückgliederung, daß sich Interaktionen in der
Sozialpolitik nicht entfalten konnten, weil sie wirtschaftspolitischen Überlegungen
untergeordnet wurden. Dem Primat wirtschaftspolitischer Überlegungen entsprach
auch ein Primat der Wirtschaftspolitik auf den Entscheidungebenen. Dies verdeutlicht
die Kräftestruktur innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der Bundes-
regierung als auch die Machtverhältnisse in der saarländischen Landesregierung.
Neben Ludwig Erhard als Gegner eines weitergehenden Familienlastenausgleichs, der
gleichwohl verbal die Familie als "Fundament der Gesellschaft und des Staates"164
heraushob, sind in diesem Zusammenhang auch Franz Josef Strauß165, den übrigens
Adenauer 1952 vergebens gebeten hatte, das Amt des Familienministers zu überneh-
men166, aber auch Vertreter von Arbeitnehmerinteressen in der Union wie der Haupt-
geschäftsführer der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft Hans Katzer167 zu
Schneider, Das Wunder, S.520.
162 Hans-Walter Herrmann und Georg Wilhelm S a n t e, Geschichte des Saarlandes, Würzburg 1972,
S.84. Die DPS rutschte von 24,2 auf 13,8 Prozent ab.
163 Herrmann, Modellfall Saar, S.45.
164 Akrami-Göhren, Familienpolitik, S.89.
165 F.-J.Wuermeling weigerte sich nach der Spiegel-Affäre, sich mit Strauß an einen Kabinettstisch zu
setzen, siehe: Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Epochenwechsel (...), S.273.
166 S ch w a r z, Adenauer. Der Staatsmann, S.110.
Hans Katzer (1919 geboren) war von 1951 bis 1963 Hauptgeschäftführer der christlich-demokratischen
Arbeitnehmerschaft (CDA) und deren Vorsitzender von 1963 bis 1977 sowie von 1966-1969
Bundesarbeitsminister, siehe: Schröder, Katholizismus, S.425.
208
nennen. Sie lehnten entsprechende Regelungen ab, während die christlich-soziale
Arbeitnehmerschaft im stark katholischen Bayern Wuermeling schon recht früh unter-
stützte.16®
Auch wenn Ministerpräsident Röder gegenüber dem Bundeskanzler noch am 3. Juni
1959 die Familienzulagen als "soziale Errungenschaft der letzten 10 Jahre" rühmte* 169,
schätzte Ministerialdirektor Viaion im Bundeskanzleramt die Position der saarlän-
dischen Landesregierung zu den Familienzulagen als uneinheitlich ein. Er wies ins-
besondere auf Wirtschaftsminister Manfred Schäfer (CDU) hin, der wesentlich kom-
promißbereiter sei als Arbeitsminister Hermann Trittelvitz (SPD).170 Die Arbeits-
gemeinschaft der Arbeitgeberorganisationen im Saarland wehrte sich vehement gegen
die Erhaltung der saarländischen Familienzulagen, die Saarwirtschaft dürfe nicht
einseitig belastet, die Konkurrenzfähigkeit der Betriebe nicht beschnitten werden, und
eine Rechtsgleichheit mit der Bundesrepublik sei unabdingbar.171
Trotz der eindringlichen Worte der saarländischen Landesregierung, das Familien-
zulagensystem zu erhalten, scheinen die Kontakte zwischen ihr und dem einzigen
Exponenten im Bundeskabinett zur Bewahrung der saarländischen Familienzulagen
nicht gerade eng gewesen zu sein.172
Die Bemühungen Wuermelings waren auf der ganzen Linie gescheitert. Es gelang ihm
weder, das saarländische Familienzulagensystem zu erhalten, noch eine ähnliche
Regelung für die Bundesrepublik durchzusetzen, noch das Kindergeld wesentlich zu
erhöhen. Die bisherige Forschungsliteratur zur Familienpolitik der fünfziger Jahre sah
vor allem in der schwierigen Persönlichkeit des Familienministers und in seinem dünn
besetzten und mit geringen Kompetenzen ausgestatteten Ministerium die Hauptursache
Akrami-Göhren, Die Familienpolitik, S.140. Auch in der SPD gab es Gegner eines
großzügigeren Familienlastenausgleichs, auch hier waren es die Vertreter des Wirtschaftsflügels wie Prof.
Dr. Karl Schiller. ACDP St. Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, Antrag der Christlich-sozialen
Arbeitnehmerschaft Bayerns vom 13.9.55 sowie Hans Stützte an Wuermeling vom 27.9.55, Wuermeling
an denselben vom 17.11.55.
169 BA KO, B 136, Nr.940, Bl.286, Ministerpräsident Dr. Röder an Bundeskanzler Adenauer vom 3.6.59.
170 Ebd., B1.254, Vermerk vom 21.5.59.
171
Archiv des Saarländischen Landtages Saarbrücken (LTA SB), Niederschrift zur Sitzung des Ausschus-
ses für Sozialpolitik vom 6.5,59. BA KO, B 136, Nr.940, B1.236, Arbeitsgemeinschaft der
Arbeitgeberorganisationen des Saarlandes an Bundeskanzler Adenauer vom 12.5.59.
172
ACDP St. Augustin, NL Wuermeling 1-221/018, Wuermeling an Ministerpräsident Egon Reinert.
Wuermeling beklagt sich, daß er wichtige Unterlagen zur Frage der Familienzulagen viel zu spät erhalten
habe.
209
für das Scheitern einer großzügigeren Familienpolitik.173 Die entsprechenden Arbeiten
berücksichtigen dabei zu wenig die saarpolitischen Aspekte. Sie zeigen, daß auch
andere Gründe eine entscheidende Rolle spielten.
Mit der Abschaffung der saarländischen Familienzulagen 1959 und dem Verzicht auf
eine Wende in der deutschen Familienpolitik hatten die Interessen des Wirtschafts-
flügels innerhalb der CDU und der Bundesregierung einen klaren Sieg davon getragen,
die Kirchen und die Familienverbände hatten aber eine Niederlage einstecken müssen.
Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Familienorganisationen, die zwei Millionen Mit-
glieder repräsentierte, hielt ihre Vorstandssitzung im Mai 1959 demonstrativ in Saar-
brücken ab und bezeichnete das saarländische Familienzulagensystem noch einmal als
"Vorbild” für die Bundesrepublik.174 In deutlichen Worten beklagten die Kirchen
wieder im Herbst 1959 die Familienpolitik der Bundesregierung. Insbesondere die
Katholischen Verbände kritisierten in einer Entschließung vom 23. Oktober 1959, daß
die Bundesregierung entgegen allen vor und nach der Bundestagswahl abgegebenen
Erklärungen und trotz aller Bemühungen des Familienministers immer noch kein
Familienlastenausgleich verwirklicht hatte. Der rheinland-pfälzische CDU-Politiker
Adolf Süsterhenn, mit dem Wuermeling in der Familienpolitik zusammenarbeitete175,
ermahnte in seiner Eigenschaft als Leiter des Politischen Arbeitskreises der Katho-
lischen Verbände Deutschlands sowohl den Bundeskanzler als auch den CDU/CSU-
Fraktionsvorsitzenden, sich ihrer Verantwortung für eine aktive Familienpolitik endlich
zu besinnen:"Die durch manche unglücklichen Erklärungen über das 'C' im Namen der
Union ausgelösten Zweifel können am wirksamsten dadurch bekämpft werden, daß die
CDU/CSU auf dem Gebiete der Familienpolitik wesentlich aktiver wird, als es bisher
in der jetzigen Legislaturperiode der Fall gewesen ist."176
Bereits zuvor hatte Süsterhenn den Bundesfamilienminister in dessen familienpoliti-
schem Engagement gestützt und sich auch für ihn innerhalb der Partei eingesetzt.177 In
diesem Zusammenhang muß noch ein anderer Aspekt berücksichtigt werden, auf den
Hans-Peter Schwarz hinweist. Die bundesdeutsche Familienpolitik hatte eine konfes-
sionelle Komponente, Familienpolitik als Instrument "um langsam einen kollektiven
Z.B.: Münch, Familienpolitik, S.208-210, 211-213, 215. Die Autorin betont, daß sogar Adenauer
über den Ton seines Ministers verärgert war. Er "brüskiere mit seinem Verhalten einen großen Teil der
Bevölkerung". Adenauer forderte ihn auf, "auf Andersgläubige oder nicht christlich Denkende" Rücksicht
zu nehmen.
174 LA SB, Schneider-Becker-Archiv (SBA) IV 6, SZ vom 4.5.59. Der Arbeitsgemeinschaft gehörten der
Familienbund Deutscher Katholiken, die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Familienfragen, der Bund
der Kinderreichen Deutschlands und der Deutsche Familienverband an.
ACDP St. Augustin, NL Wuermeling, 1-221/018, vergleiche Korrespondenz Wuermeling und Süster-
henn vom 28.10., 2.11., 1.12., und 4.12.59.
176 Ebd.
177
J o o s t e n, Die Frau, S.35.
210
sozialen Aufstieg vieler Angehöriger des katholischen Volksteils in die Wege zu
leiten", denn Untersuchungen zeigten, daß katholische Familien in sozial, wirtschaftlich
und bildungsmäßig schlechter gestellten Schichten durchschnittlich stärker vertreten
waren als evangelische,178 Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in der Schweiz
beobachten, hier machten sich die konservativ eingestellten, katholisch dominierten
Kantone, in denen die Geburtenhäufigkeit höher war, für die Familenzulagen be-
sonders stark.179
Obwohl in der Bundesrepublik eine christdemokratische Partei regierte sowie Kirche
und Staat nicht getrennt waren, konnten sich die Kräfte für einen weitergehenden
Familienlastenausgleich nicht durchsetzen. Sowohl Süsterhenn, ehemaliger Landes-
minister in Rheinland-Pfalz und Vorsitzender des Verfassungsgerichtshofes Rhein-
land-Pfalz, als auch Wuermeling gehörten zu Exponenten einer stark christlichen, auch
an den Interessen der katholischen Kirche orientierten Politik innerhalb der Union, sie
galten als Exponenten einer Katholisierung der Partei. Süsterhenn war während der
Beratungen im Parlamentarischen Rat Ansprechpartner für Kardinal Frings gewesen,
wenn es galt, bei den Grundgesetzberatungen spezifisch katholische Vorstellungen zu
berücksichtigen180. In der Schulfrage waren beide CDU-Politiker Verfechter des
Eltemrechtes und der Konfessionsschule. Anläßlich eines 1956 in der nord-
rhein-westfälischen Metallindustrie geschlossenen Tarifvertrages trat Wuermeling als
Anwalt "christlicher Lebensgewohnheiten" auf, die er durch die Sonntagsarbeit gefähr-
det sah. Sowohl Süsterhenn als auch Wuermeling kamen aus dem Zentrum. Beide
waren übrigens die einzigen führenden Politiker aus den Reihen der CDU/CSU, die die
von Johannes Even und Bernhard Winkelheide ins Leben gerufenen christlichen
Gewerkschaften offen unterstützen.181
Auch da- von der saarländischen CDU auf dem 9. Bundesparteitag gestartete Versuch,
sozusagen nachträglich die saarländischen Familienzulagen wieder einzuführen, fand
keine Unterstützung. 182
178 S c h w a r z, Die Ära Adenauer. Epochenwechsel, S.156.
179 S o m m e r, Das Ringen um soziale Sicherheit, S.232, 236, 241.
180 Rudolf M o r s e y, Adenauer und Kardinal Frings 1945-1949, in: Dieter Albrecht (Hrsg.), Politik und
Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60, Geburtstag, Berlin 1983, S.496. Außerdem: Ute Sch
m i d t, Zentrum oder CDU. Politischer Katholizismus zwischen Tradition und Anpassung, Opladen 1987,
S.285, Anm. 90, S.319. J o o s t e n, Die Frau, S.13.
181 Schröder, Katholizismus, S.194, 216.
182
SZ vom29.5.60. Antrag des Landesverbandes Saar der CDU:"Der Landesverband Saar der CDU lenkt
die Aufmerksamkeit des Bundesparteitages auf die dringend notwendigen Verbesserungen des
bestehenden Familienlastenausgleichs. Nach der christlichen Gesellschaftslehre hat der verheiratete
Arbeitnehmer mit Kindern einen Anspruch auf einen familiengerechten Lohn. Aus diesem Grunde hat der
Staat die Aufgabe, im Rahmen von Gesetzen dieses Recht zu garantieren".
211
Insgesamt kann man den Eindruck gewinnen, daß die CDU sich mehrheitlich erst in
ihrer Oppositionsrolle für eine aktive Familienpolitik engagierte. Auffallend ist jeden-
falls, daß mit dem Ende der Großen Koalition die Union die Familien finanziell stärker
fördern wollte, insbesondere Rainer Barzel versuchte so der Partei in der Opposition
ein sozialpolitisches Profil zu geben.183 Er kam aus dem Zentrum, war erst 1954 in die
CDU eingetreten, stand in enger Verbindung zu Karl Arnold, dem langjährigen Mini-
sterpräsidenten von Nordrhein-Westfalen (1947-1956), einer Symbolfigur des linken
CDU-Flügels, und zu den Exponenten der katholischen Soziallehre wie zu den Jesuiten
Hirschmann und Nell-Breuning.184
In der Bundesrepublik fehlte eine positive familienpolitische Tradition. Die Wochen-
zeitung "Die Zeit" drückte dies im November 1959 in einem fiktiven Erlebnisbericht so
aus:"Gewisse Unruhen bei der wirtschaftlichen Umstellung der Saar lassen sich durch
einen Erlebnisbericht soziologisch verdeutlichen: Ein Mann zog mit Frau und drei
Kindern von Deutschland nach England und seine Steuerlasten verringerten sich so
erheblich, daß das Netto-Familieneinkommen spürbar stieg. Er zog, zwei Jahre später,
von England nach Frankreich, da war es geradezu eine Freude, drei Kinder zu haben,
so erkenntlich zeigte sich der Staat. Er zog wiederum zwei Jahre später nach Deutsch-
land zurück und fand: Wer viele Kinder hat, hat selber Schuld. Trost: Dafür haben wir
als einziges Land der genannten Länder ein Familienministerium",185
Der politische Einfluß der Familienverbände wie des Bundes der Kinderreichen Fa-
milien, der Deutschen Katholiken, des Deutschen Familienverbandes oder der Evange-
lischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen war letztlich gering186, ganz im Gegen-
satz zu Frankreich, obwohl Professoren wie Hans Achinger, Gerhard Mackenroth,
Ferdinand Oeter und Helmut Schelsky wie auch zahlreiche Politiker in Familien-
organisationen engagiert waren. In Frankreich hatten bereits zu Beginn des 20. Jahr-
hunderts mehr als 12.000 Familienverbände bestanden, die auf Departementsebene
operierten und sich am 3. März 1945 zur mächtigen U.D.A.F. und U.N.A.F, zur Union
Départementale des Associations Familiales und zur Union Nationale des Associations
Familiales zusammengeschlossen hatten. Die U.N.A.F. beanspruchte das Recht, unter
Wahrung ihrer administrativen und politischen Unabhängigkeit von der Regierung, die
Gesamtheit der französischen Familien in allen wirtschaftlichen und moralischen
Angelegenheiten bei den öffentlichen Körperschaften zu vertreten. So repräsentierten
die Familienorganisationen in Frankreich einen Machtfaktor ersten Ranges. Der franzö-
sische Staat förderte die Familienverbände Ende der fünfziger Jahre mit umgerechnet
2 Millionen DM für ihren Einsatz zur Verbreitung des Familiengedankens, der Haus-
183
Akrami-Göhren, Familienpolitik, S.91.
184
Siehe Schröder, Katholizismus, S.423.
185 Die Zeit vom 13.11.59, siehe auch: LA SB, SBA IV/6.
186 D e 1 i 11 e und Grohn, Blick zurück, S.77. Siegfried Gebauer, Familie und Staat, S.29.
212
halt des Bundesministers für Familienfragen betrug dagegen 1954 nur ca. 600.000 DM
bei einem Gesamtetat von 25 Milliarden, wovon der Großteil für die Zahlung der
Gehälter aufgebracht werden mußte. Es gab zwar in Frankreich kein Familienministeri-
um, aber innerhalb des Gesundheitsministeriums eine auf Drängen der Familien-
verbände eingerichtete Abteilung "Familie". Das Herz der sich nach dem Zweiten
Weltkrieg in Europa formierenden Familienbewegung schlug in Frankreich, wie auch
der Name der internationalen Organisation, der "Union Internationale des Organismes
Familiaux" (U.I.O.F.), die in Paris ihren Sitz hatte, zeigt.187
Diesen divergierenden sozialpolitischen Traditionen kommt ein entscheidendes Ge-
wicht bei der Interpretation der deutschen Familienpolitik und der Frage zu, warum
sozialpolitische Interferenzen scheiterten. Es gab keine konsensfähige natalistische
familienpolitische Tradition in Deutschland. Wenn man an den Zustrom von 7 Millio-
nen Vertriebenen zwischen 1945 und 1950 sowie 3 Millionen Flüchtlingen bis 1961
denkt, so wird deutlich, daß die Bevölkerungsentwicklung der Bundesrepublik
Deutschland vor allem durch Wanderungsgewinne geprägt wurde.188
Auch in den neunziger Jahren ist das Fehlen einer familienpolitischen Tradition in der
Bundesrepublik sichtbar. Im Wahlkampfjahr 1994 schlug die damalige Bundesfami-
lienministerin Hannelore Röntsch (CDU) eine Familiensteuer für Kinderlose vor, über
die ein verbesserter Familienlastenausgleich finanziert werden sollte. Die engagierte
Ministerin fand weder in ihrer Partei noch in breiten Teilen der Öffentlichkeit Zu-
stimmung für ihren Plan, lediglich die Familienverbände signalisierten Unterstützung.
Insbesondere der wirtschaftspolitische Sprecher der Partei Friedhelm Ost machte gegen
diese Pläne mobil. Der stellvertretende Vorsitzende der Christlich-demokratischen
Arbeitnehmerschaft (CDA) und CDU-Bundestagsabgeordnete Walter Link forderte
einige Wochen später im September 1994, jungen Ehepaaren einen zinslosen Ehekredit
in Höhe von 5.000 DM zu gewähren. Sein Vorschlag hatte eine deutlich natalistische
Funktion, da mit der Geburt eines Kindes der bis dahin noch nicht zurückgezahlte
Betrag des Kredites erlassen werden sollte. Der CDU-Politiker begründete seinen
Vorschlag damit, eine soziale Deklassierung von jungen Ehepaaren vermeiden zu
wollen:"Der Gang zum Standesamt darf nicht länger mit dem Risiko einer späteren
Lohnpfändung gepflastert bleiben",189
Ebd.
M. Rainer Lepsius, Demokratie in Deutschland, Göttingen 1993, S.145.
SZ vom 8.8.94 und "Bild am Sonntag" vom 8.9.94.
213
3. Kriegsopferversorgung im Saarland
3.1 Kriegsopferversorgung als gesellschaftspolitische Herausforderung
Für 3,76 Millionen deutsche Soldaten und 1,65 Millionen deutsche Zivilisten endete
der Zweite Weltkrieg mit dem Tod. Soldatentod und Kriegsopferschicksal wurden zum
Millionenphänomen. Die Zahl von 4,36 Millionen anerkannten Kriegsopfern allein in
der Bundesrepublik Deutschland verdeutlicht gleichermaßen das Ausmaß der Katastro-
phe wie die politische Dimension des Problems.190
Im Saarland gab es ca. 90.000 versorgungsberechtigte Kriegsopfer. Es stellt sich die
Frage, welche Konzeptionen in einer Zeit des Zusammenbruchs und der Zerstörung
entwickelt wurden, um den Betroffenen zu helfen. Angesichts des Millionenphäno-
mens und der quantitativen Steigerung insbesondere gegenüber dem Ersten Weltkrieg
muß eine Arbeit, die sich mit der Sozialpolitik der frühen Nachkriegszeit beschäftigt
diese Frage beantworten, ganz unabhängig von Diskussionen, ob Kriegsopferversor-
gung überhaupt zur Sozialpolitik zu zählen ist oder nicht.191
Erster Weltkrieg als Zäsur
Innerhalb der Geschichte der deutschen Kriegsopferversorgung markiert der Erste
Weltkrieg eine entscheidende Zäsur.
Der Weg der Kriegsopferversorgung vom Almosen zum Rechtsanspruch wurde
ansatzweise in der preußischen Militärversorgung eingeleitet. Hier ist u.a. das Mi-
litär-Pensions-Reglement vom 13. Juni 1825 zu nennen, die Bedürftigkeitsprüfungen
für die Gewährung von Pensionen fielen weg, in ähnlicher Weise trifft dies auf das
Militärpensionsgesetz in Preußen sowie das Mannschafts- und Offizierpensionsgesetz
von 1906 zu.192
Nach dem Ersten Weltkrieg trat in Deutschland und anderen europäischen Staaten an
die Stelle der Fürsorge für Kriegsopfer ein Rechtsanspruch auf Versorgung. Ent-
scheidend für einschneidende Veränderungen nach 1918 war die Tatsache, daß durch
den Ersten Weltkrieg nicht nur Berufssoldaten, sondern eine Vielzahl von eingezoge-
nen Zivilisten in Massen körperlichen Schaden erlitten hatten.193 Das Reichsversor-
gungsgesetz (RVG) vom 12. Mai 1920 berücksichtigte nicht nur äußere, sondern auch
innere Verletzungen, angesichts des Gaskrieges eine notwendige Verbesserung. Die
Hudemann, Sozialpolitik, S.514-517. Die Zahl bezieht sich auf die BRD ohne das Saarland und
Berlin.
Ders., Kriegsopferpolitik nach den beiden Weltkriegen, in: Hans Pohl (Hrsg.), Staatliche, städtische,
betriebliche und kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1991, S.270. Siehe
auch: Hans Günter Hockerts, Sozialpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: Ebd., S.363.
192
Hudemann, Kriegsopferpolitik, S.272.
214
Versorgung wurde unabhängig vom militärischen Dienstgrad und der Dienstzeit
geregelt. Die Rente setzte sich aus einer Grundrente und einer gestaffelten Schwer-
beschädigtenzulage zusammen. Beide Komponenten sollten für die Behinderung
entschädigen, dazu kam die Ausgleichsrente, die als eine soziale Kompensation ver-
standen werden kann, weil sie den in der beruflichen Karriere erlittenen Schaden
ausgleichen sollte. Die Renten für Leichtbeschädigte waren bewußt niedrig gehalten,
um nicht den Anreiz zur Wiederaufnahme einer Beschäftigung zu nehmen. Die Heilbe-
handlung hatte die Funktion, die Gesundheit der Betroffenen zu verbessern oder sogar
wiederherzustellen, um so ihre soziale Integration zu fördern. In diesem Sinne setzte
auch das 1923 novellierte Schwerbeschädigtengesetz Akzente.194
Im internationalen Vergleich bildet die in der deutschen Gesetzgebung zu erkennende
Betonung einer Reintegration der Kriegsopfer in die Gesellschaft ein wichtiges Unter-
scheidungsmerkmal. Der Staat ging soweit, die Wirtschaft zur Wiedereingliederung
von Kriegsopfern zu zwingen. In der deutschen Gesetzgebung dominierte damit die
sogenannte instrumentale vor der sozialen Komponente, d.h. es ging vorrangig um die
gesellschaftliche Integration. Der Take off in der Kriegsopfergesetzgebung nach dem
Ersten Weltkrieg wurde von der Bildung zahlreicher Kriegsopferorganisationen wie
dem 1917 gegründeten Reichsbund begleitet. Ein wichtiger Aspekt ist dabei das
Verhältnis zwischen Verbänden und Staat. In Frankreich entwickelte sich zwischen
beiden eine enge Verflechtung, so war der erste Minister für die Kriegsopferpensionen
André Maginot zugleich Präsident einer der ältesten Kriegsopferverbände Frankreichs.
Er förderte die Integration der Verbandstätigkeit in administrative Funktionen der
Versorgungsverwaltung. Für Frankreich gilt, daß die Klärung des Rechtsanspruchs auf
Versorgung in den Händen der Kriegsbeschädigten und ihrer Organisationen lag, die
Macht des Staatsapparates reduzierte sich mehr oder weniger auf eine Kontrollfunktion
über die Durchführung in Detailfragen.195
Kriegsopferversorgung im "Dritten Reich" zwischen Leistungsverbesserung und
Militarismus
Im "Dritten Reich" wurde mit dem Wehrmachtsfürsorge- und -Versorgungsgesetz
(WFVG) 1938 eine nach dem Dienstgrad differenzierte Leistungsbemessung wieder-
eingeführt und im Gegensatz zu Weimar ein militaristischer Akzent gesetzt - z.B.
durch die Dienstgradzulagen und die bereits 1934 eingeführten Frontzulagen. An Stelle
des Begriffs der "Erwerbsunfähigkeit" und der "Beschädigung" trat die "Versehrtheit"
mit den Versehrtenstufen I-HI. Die Arbeitsverwendungsunfähigkeitsrente (AVU)
Stefan S t e y e r, Struktur der Kriegsopferversorgung in rechtsvergleichender Sicht, Diss. Tübingen
1985, S.35 f.
195 Michael Geyer, Ein Vorbote des Wohlfahrtsstaates. Die Kriegsopferversorgung in Frankreich,
Deutschland und Großbritannien nach dem Ersten Weltkrieg, in: Geschichte und Gesellschaft (GG) 9/1983,
S.231, 246-250, 253, 269.
215
wurde dann gezahlt, wenn die Fortführung der Berufsausbildung, die Ausübung des
bisherigen Berufs und auch eine Umschulung nicht mehr möglich waren. Die Lei-
stungsverbesserungen des WFVG wurden aber dadurch relativiert, daß amtsärztlich ein
Körperschaden eindeutig als Wehrdienstbeschädigung anerkannt werden mußte, um
Versorgungsleistungen überhaupt beanspruchen zu können, wobei hier auch der
Begriff der ''Dienstbeschädigung" von hoher Relevanz war.196 Hinsichtlich des Lei-
stungsniveaus wurden Verbesserungen eingeführt, z.B. in der Hinterbliebenenversor-
gung. Gesellschaftspolitisch wurde der Wehrdienst zum "Ehrendienst der Nation"
aufgewertet. Während des Krieges wurde durch Entscheidungen des OKW die Eltem-
gabe eingeführt, die beim Tod eines Soldaten den Eltern gezahlt wurde sowie die
Brautrente. Die Kriegsopferversorgung wurde instrumentalisiert, um die gesellschaftli-
che Akzeptanz des Krieges und die Motivation der Soldaten zu verbessern. Gerade
diese Elemente veranlaßten die Alliierten, das WFVG als "charakteristisch für Na-
tionalsozialismus und deutschen Militarismus" zu bewerten.197
Innerhalb des Alliierten Kontrollrates kam es zunächst zu keiner einheitlichen Rege-
lung da- Kriegsopferversorgung. Es waren die Franzosen, die sich bereits im Mai 1946
darum bemüht hatten, aber bei Briten und Amerikanern keine Unterstützung fanden.
Die Beratung im Alliierten Kontrollrat kam deshalb nicht voran, weil die wirtschaftli-
che Situation in den einzelnen Zonen große Unterschiede aufwies. Die britische und
amerikanische Zone litten vor allem auch durch den Zustrom von Flüchtlingen unter
einem Überangebot an Arbeitskräften, während die französische Zone mit einem
Facharbeitermangel konfrontiert wurde und ein Interesse hatte, Behinderte wieder in
den Arbeitsprozeß zu integrieren. Die Sowjetunion betrachtete die Kriegsopferversor-
gung als politisches Problem, indem sie einen Kausalzusammenhang zwischen Unter-
stützung des Nationalsozialismus und der Kriegsverletzung des Einzelnen zog.198
3.2 Vom Dualismus zur Vereinheitlichung der Versorgungsgesetzgebung an der Saar
Durch Erlaß des Regierungspräsidiums vom 1. Oktober 1945 wurden im Saarland die
Leistungen für Kriegsopfer "nach den alten gesetzlichen Bestimmungen" gezahlt,
allerdings spürbar gekürzt.199 Das bedeutete für die Kriegsopfer des Ersten Weltkrieges
Versorgungsleistungen nach dem RVG vom 12. Mai 1920 und für die Kriegsopfer des
Zweiten Weltkrieges eine Versorgung nach dem WFVG von 1938. Der Erlaß des
Regierungspräsidiums orientierte sich an den Regelungen der französischen Militär-
Anette Hoffman n, Die Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung. "NSKOV". Ein Verband
zwischen Versorgung und Interesse, Magisterarbeit Universität Saarbrücken 1993, S.148, 164-166.
197 Hudemann, Sozialpolitik, S.395-399.
198 Ebd., S.402-405. Zur weiteren Entwicklung, siehe: Ebd., S.406-412.
199
Erlaß über die vorläufige Regelung der Rentenzahlungen an die Kriegsbeschädigten und Kriegshinter-
bliebenen im Saarland vom 20.10.45, in: Abi. 1945, S.39.
216
regierung für Baden und bedeutete sowohl eine Leistungskontinuität als auch eine
Denazifizierung der Gesetzgebung. Damit profitierte das Saarland von der relativ
hohen Kriegsopferversorgung der französischen Besatzungszone. Die französische
Militärregierung hatte nämlich im Gegensatz zu den Briten, Amerikanern und den
Russen an einer eigenständigen Kriegsopferversorgung festgehalten und im Gegensatz
zu diesen, die Kriegsopfer nicht der Fürsorge und später einer nach den Grundsätzen
der Unfallversicherung ausgelegten Regelung überlassen, die den Betroffenen nur
extrem niedrige Renten brachte, weil der fiktiv festgelegte Jahres verdienst sehr niedrig
angesetzt wurde.200 Zur Auszahlung kamen im Saarland zunächst grundsätzlich nur
Renten an Beschädigte mit einer Erwerbsminderung von mindestens 50 Prozent (nach
dem RVG) bzw. Versehrtengeld ab Versehrtenstufe II (nach dem WFVG), aber auch
Arbeitsverwendungsunfähigkeitsrente, Pflege-, Blinden- und Führhundezulage sowie
Witwen-, Waisen- und Elternrente.
Die Renten für die sogenannten Leichtbeschädigten, also Kriegsopfer mit einer MdE
unter 50 Prozent, ruhten zunächst. Vorübergehend wurden zahlreiche Zulagen wie
Altersrente, Elterngabe sowie der Unterhaltszuschuß zur Hinterbliebenenrente nicht
ausbezahlt. Dieser begrenzte Leistungskatalog wurde zusätzlich durch Einkommens-
grenzen eingeschränkt. Ab einem Einkommen von 200 RM ruhten 7/10, pro weitere 50
RM ein weiteres Zehntel, so daß ab 350 RM die Rente ganz ruhte. Im Sinne einer
Entnazifizierung der Versorgungsgesetzgebung wurden gestrichen: Veteranensold und
Frontzulage sowie die Renten nach dem Gesetz der Versorgung von Kämpfern für die
nationale Erhebung, die reinen Dienstzeitrenten ohne Nachweis einer Dienstbeschädi-
gung der Kapitulanten und Hinterbliebenen sowie die durch das Versorgungsamt der
Waffen SS in Düsseldorf den Beschädigten der Waffen SS und ihren Hinterbliebenen
festgesetzten und ausgezahlten Renten, auch soweit sie später anderen Versorgungs-
ämtern übertragen wurden.201
Trotz dieser Kürzungen bewegte sich das Versorgungsniveau im Saarland wie die
Kriegsopferleistungen in der französischen Zone im Vergleich zur amerikanischen,
britischen und sowjetischen Zone auf einem wesentlich höheren Niveau. Im Vergleich
mit den Ländern der französischen Zone nahm das Saarland eine Mittelstellung zwi-
schen der günstigsten Regelung in Baden und den etwas schlechteren in Württem-
berg-Hohenzollern ungefähr auf dem Niveau von Hessen-Pfalz ein. Juristisch ent-
sprach die saarländische Regelung den badischen Verhältnissen. Baden war das einzige
Land des ehemaligen Deutschen Reiches gewesen, in dem das bis 1945 bestehende
Kriegsopfersystem in seinen wesentlichen Teilen bestehen blieb, die Versorgungs-
leistungen nicht eingestellt, sondern als eigenständige Kriegsopferleistungen zwar
linear gekürzt, aber bestätigt wurden. Dies gilt auch mit geringen Abstrichen für das
200 Hudemann, Kriegsopferpolitik, S.281.
201 Erlaß über die vorläufige Regelung der Rentenzahlungen an die Kriegsbeschädigten und Kriegshinter-
bliebenen im Saarland vom 20.10.45, in: Abi. 1945, S.39.
217
Saarland, hier wurde mit der Verordnung vom 20. September 1945 an RVG und
WFVG angeknüpft, wenn auch zunächst noch nicht im Sinne eines Rechtsanspruches.
Ein Transfer des französischen Kriegsopferversorgungssystems auf das Saarland
konnte für die französische Besatzungsmacht trotz Wirtschaftsunion überhaupt nicht in
Frage kommen. Eine Assimilierung der Kriegsopferversorgung wäre mit der Besat-
zungspolitik nicht zu vereinbaren gewesen. Die französische Gesetzgebung setzte
militaristische Akzente in Anknüpfung an die posiüve und identitätsstiftende Tradition
der “nation armée”. Bei der Bemessung der Kriegsopferrenten spielten der Dienstgrad
und militärische Auszeichnungen einen wichtigen Maßstab. Auch Deportierte,
Zwangsarbeiter und Angehörige der Résistance kamen in den Genuß der Kriegsopfer-
versorgung.202
Als Erklärungsmodell für die günstige Regelung in Baden gelten die engen personellen
und teüweise freundschaftlichen Beziehungen zwischen den französischen Besatzungs-
offizieren, von denen manche selbst Kriegsopfer waren, zu Deutschen, die sich in
Fragen der Kriegsopferversorgung engagierten. Hier sei auf das von gegenseitiger
Hochachtung geprägte Verhältnis der Gouverneure Jacques Schwartz und Pierre Pêne
sowie dem Chef der badischen Arbeitsverwaltung Robert Andrez zu Alfons Schramm,
dem Gründer des Selbsthilfeverbandes badischer Kriegsblinder, hingewiesen. Außer-
dem wirkte auch eine "traditionelle internationale Solidarität der Frontsoldaten trotz
allen Mißtrauens gegenüber dem deutschen Militarismus". Hinzu kam , daß in Frank-
reich die gesellschaftliche Reputation von Kriegsopfern generell wohl größer als bei
den übrigen Siegermächten war.203 Auch im Saarland dürften sich persönliche Bezie-
hungen zwischen Kriegsopfervertretern und Besatzungsmacht auf die Versorgungs-
gesetzgebung günstig ausgewirkt haben, so war der Vorsitzende der saarländischen
Kriegsopfervereinigung Karl Hoppe während des "Dritten Reiches" im französischen
Exil gewesen und mit Grandval nach Saarbrücken gekommen.204
Wie in Baden ergab sich auch im Saarland durch die Leistungskontinuität eine un-
übersichtliche Versorgungssituation, da die Leistungen für Opfer der alten Wehrmacht
nach dem RVG vom 12. Mai 1920 und die Kriegsopfer der Wehrmacht des "Dritten
Reiches" nach dem WFVG bemessen wurden. Das bedeutete auch eine Ungleichbe-
handlung, die meist zu Lasten der Opfer des Ersten Weltkrieges führte. Im Saarland
wurden deshalb die Renten nach dem WFVG relativ stärker gekürzt, so daß die Lei-
stungsspanne nicht so weit auseinanderging wie in Baden.
202 H u d e m a n n, Kriegsopferpolitik, S.273-275.
203 Ders., Sozialpolitik, S.433, 456, 460-462.
204 Interview mit Jakob Feiler am 13.1.1993.
218
Vereinheitlichung der Versorgungsgesetzgebung auf Weimarer Grundlage
Die Diskussionen und Verhandlungen zu den saarländischen Kriegsopfergesetzen vom
23. Juni und 13. Dezember 1948 stehen stellvertretend für Grundsatzpositionen des
Hohen Kommissariates und des Außenministeriums in Paris zu Fragen der Kriegs-
opferversorgung im besonderen und zu Fragen der Sozialpolitik an der Saar im all-
gemeinen.
Sondersituation eröffnet Argumentationsspielräume
Die Analyse der Vorgänge läßt auch typische Argumentationsmuster der Landes-
regierung und der beiden großen Parteien CVP und SPS gegenüber dem Hohen Kom-
missariat erkennen. Zunächst hatte Anfang 1948 zu Jahresbeginn der saarländische
Ministerrat eine Gesetzes Vorlage von Arbeitsminister Richard Kirn zur Kriegsopfer-
versorgung angenommen, nach der die Kriegsopferrenten um mehr als 30 Prozent
erhöht werden sollten. In der Landtagssitzung vom 17. März 1948 war diese in Erster
Lesung einsümmig angenommen worden. Die Finanzierung der Kriegsopferrenten war
zu diesem Zeitpunkt aber nicht gesichert, und insbesondere vor dem Hintergrund der
Erhöhung um über 30 Prozent war ein französischer Kredit in Höhe von 100 Millionen
Franken unumgänglich.205
Am Morgen des 14. Mai 1948 legte Grandval sein Veto ein. Dieses Veto konnte
eigentlich niemanden mehr überraschen, denn bei den Beratungen im sozialpolitischen
Ausschuß des Saarländischen Landtags am 25. Februar 1948 waren den Ausschußmit-
gliedem bereits die französischen Bedenken bekannt geworden: Eine Erhöhung um 30
Prozent sei zu hoch, die Kriegerwitwen im Saarland stünden besser als in Frankreich
da. Die Haltung des Hohen Kommissars wurde vor allem davon bestimmt, Unter-
schiedein der Höhe der Versorgungsleistungen vor dem Hintergrund der Wirtschafts-
union, aber auch vor allem wegen der Nachbarschaft zu Lothringen, zu vermeiden.
Man fürchtete Unzufriedenheit im Grenzgebiet auf lothringischer Seite.206
Zunächst lenkten die Saarparteien und die Kriegsopfervereinigung notgedrungen ein.
In dem Gesetz vom 23. Juni 1948 wurde dann eine Erhöhung der Renten auf niedrige-
rem Niveau durchgesetzt und die Renten zu einem günstigeren Frankenkurs von 1 zu
35 bzw. 1 zu 38 umgestellt sowie Ruhensbestimmungen gelockert.207 Das Gesetz hatte
205 LA SB, Stk/KR/MAW/1948/T-l, Dr. Buschlinger an Ministerium für Arbeit vom 18.2.48. Vorgang zur
Vorlage des Arbeitsministeriums zur Verordnung zur Abänderung des Erlasses des Regierungspräsidiums
Saar vom 20.10.45 über die vorläufige Regelung der Rentenzahlungen an die Kriegsbeschädigten und
Kriegshinterbliebenen.
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 25.2. und 4.6.48.
207
Gesetz Nr.22 über die einheitliche Regelung und Neufestsetzung der Versorgungsgebühmisse der
Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und ihnen gleichgestellten Personen sowie über die Versorgung
einer bestimmten Gruppe ehemaliger Angehöriger der Wehrmacht und ihrer Hinterbliebenen vom 23.6.48,
in: Abi. 1948, S.1004.
219
einen einschneidenden Charakter. An die Steile der bisher nur vorschußweise gezahlten
Bezüge trat nun der Rechtsanspruch auf Kriegsopferversorgung. Die Rentenleistungen,
bisher zweigeteilt für die Opfer des Ersten Weltkrieges nach dem RVG und für die des
Zweiten nach dem WVFG, wurden auf der Grundlage des Weimarer RVG vom 12.
Mai 1920 vereinheitlicht. Auch den Angehörigen der Waffen SS und deren Hinter-
bliebenen wurde ein Rechtsanspruch auf Kriegsopferversorgung zugestanden. Voraus-
setzung hierfür war aber, daß der Staatskommissar für politische Säuberung Angehöri-
ge dieser Gruppe nicht in die Reihe der Schuldigen und Hauptschuldigen einreihte.
Baden zog in diesem Punkt übrigens erst am 5. März 1949 nach.208
Als Reaktion auf Grandvals Veto209 präsentierte die Vereinigung der Kriegsbeschädig-
ten und Kriegshinterbliebenen des Saarlandes (VdKdS) in einer Eingabe im Juli 1948
ausführlich ihre Forderungen und betonte, daß in Frankreich Kriegsbeschädigte schon
ab einer MdE von 10 Prozent eine Rente erhielten, vor allem Schwerstbeschädigte und
auch Witwen mit mehr als zwei Kindern hätten Vorteile. Eine Witwe mit 2 Kindern
erhalte in Frankreich 7.100 FRS, im Saarland nur 5.400 FRS Rente pro Monat, hinzu
käme die in Frankreich geplante generelle Erhöhung von 20 Prozent, wie Karl Hoppe
bereits in da- Landtagsdebatte am 23. Juni 1948 betonte.210 Der zweite Vorsitzende der
VdKdS Willi Weiten rechnete die Ungleichbehandlung am Beispiel eines Doppelam-
putierten und gleichzeitig erblindeten Kriegsopfers vor, ein solches Kriegsopfer bekä-
me pro Jahr im Saarland 150.000 FRS, in Frankreich dagegen 280.000 FRS Kriegs-
opferrente211, wobei Richard Kirn ihn mit dem Zwischenruf "Noch mehr" unter-
stützte,212
Hier wurden vor dem Hintergrund der Sondersituation des Saarlandes, Argumente
gewonnen, um eine Rentenerhöhung durchzusetzen. Erhöhungen in Frankreich waren
automatisch auch ein Argument für Erhöhungen im Saarland, obwohl die französische
Kriegsopferversorgung strukturell der saarländischen überhaupt nicht entsprach.
Interessant ist, wie sich Kirns Argumentation nach Grandvals Veto veränderte. Vorher
war er im Landtag zwar den Interessen der Kriegsopfer gegenüber aufgeschlossen
gewesen, Forderungen nach noch weitergehenden Verbesserungen trat er aber distan-
ziert entgegen. So betonte er in der Landtagsdebatte am 17. März 1948:"Man soll dabei
auch bedenken, daß ein Teil unserer Kriegsrentenempfänger heute mehr Renten bezieht
als das in Frankreich da-Fall ist. Wenn wir also Gerechtigkeit widerfahren lassen (...)
208 Vgl. Der Kamerad 4/1949.
209
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 4.6.48.
210 LTS DS 1/24, Niederschrift zur Sitzung vom 23.6.48, S.8.
211 Ebd., S.7.
220
und nicht vergessen wollen, daß wir zu denen gehören, die den Krieg verloren haben.
(...) So hat man auch andererseits zu beachten, daß der Staat nur Mittel auszugeben
vermag, die er einnehmen kann".213 Konsequent lehnte er in der Beratung im Landtag
am 21. April die Auszahlung von Renten an Kriegsopfer mit einer MdE unter 50
Prozent ab, "(...) da die finanziellen Mittel gerade ausreichen für die Versorgung der
Kriegsbeschädigten von 50 Prozent an aufwärts".214 Nachdem Grandval aber am 14.
Mai sein Veto eingelegt hatte, verfolgte auch der saarländische Arbeitsminister wie
Karl Hoppe für die Kriegsopfervereinigung, die Strategie, die Besserstellung der
französischen Kriegsopfer herauszustellen.
Die Bemühungen um eine weitere Verbesserung der saarländischen Kriegsopfer-
versorgung mündeten dann in das Gesetz vom 13. Dezember 1948, dem Grandval
schließlich zustimmte.215 Bei den Beratungen zu diesem Gesetz drängten die Franzosen
darauf, die Versorgung der Opfer mit einer MdE ab 80 Prozent stärker zu erhöhen zu
Lasten der Gruppe mit einer MdE von 30 bis 70 Prozent. Die Frage der Witwen-
versorgung wurde von Seiten des Hohen Kommissariates kritisiert.Während sonst der
Vergleich mit Frankreich von den Saarländern gerne gezogen wurde, um eine Erhö-
hung der Leistungen zu rechtfertigen, wurde diesmal der Vergleich zurückgewiesen.
Kirn verteidigte die vorgesehene bessere Witwenversorgung im Saarland gegenüber
dem Hohen Kommissariat damit, daß im Saarland Mieten und Lebenshaltungskosten
wesentlich höher seien als in Frankreich: "(...) les loyers sont beaucoup plus chers en
Sarre qu'en France, par exemple, ils sont dans le rapport de 6 contre 2,5 ä Paris".
Außerdem hätten die Witwen weniger Erwerbsmöglichkeiten als in Frankreich, die
Bevölkerungsdichte sei größer, und es sei für Witwen im Saarland besonders schwer,
einen Arbeitsplatz zu finden.216
Immer dann, wenn es günstig war, beanspruchte die saarländische Seite den Vergleich
mit Frankreich, wirkte er sich negativ aus, wies sie Vergleiche zurück.
Gerade die Besserstellung der Witwen mißfiel dem französischen Außenministerium.
Vom Quai d'Orsay erhielt Grandval Order, auch gegen das im Dezember zur Dritten
Lesung anstehende Gesetz zur Kriegsopferversorgung sein Veto einzulegen, weil es
213 LTS DS 1/15, Niederschrift zur Sitzung vom 17.3.48, S.15.
214 LTS DS 1/19, Niederschrift zur Sitzung vom 21.4.48, S.18.
215
Gesetz Nr.57 zur Änderung des Gesetzes über die einheitliche Regelung und Neufestsetzung der
Versorgungsgebühmisse der Kriegsbeschädigten, der Kriegshinterbliebenen und der ihnen gleichgestellten
Personen sowie über die Versorgung einer bestimmten Gruppe ehemaliger Angehöriger der Wehrmacht
und ihrer Hinterbliebenen vom 23.6.48 (Abl.1948, S.1004) vom 13.12.48, in: Abi. 1949, S.77.
MAE Paris, Z-Europe, Sous S. Sarre, Doss.65, B1.79, Procès verbal de la réunion de la commission
mixte franco-sarroise du 12.11.48. Dies war wahrscheinlich auf die Mietpreisbindung in Paris
zurückzuführen.
221
gegenüber der französischen Kriegsopferregelung Vorteile für die saarländischen
Kriegerwitwen enthalte.217 Grandval lehnte dies ab und trat in seinem Antwortschreiben
vom 14. Dezember an den Quai d'Orsay geradezu als Anwalt des am 13. Dezember
vom Landtag in Dritter Lesung verabschiedeten Kriegsopfergesetzes auf: "Es stimmt
nicht, daß die saarländische Regelung wesentlich höhere Leistungen vorsieht als in
Frankreich (...)."218 Diese Haltung Grandvals offenbart ein großes Selbstbewußtsein
gegenüber den Regierungsstellen in Paris, zum anderen hatte Arbeitsminister Kirn
hinsichtlich der zur Verabschiedung stehenden Sozialversicherungsgesetze, bei denen
es um das kontroverse Thema staatlicher Zuschüsse ging, im Falle eines Vetos "politi-
sche und soziale Schwierigkeiten" prophezeit. Das emotional engagierte Insistieren des
sozialdemokratischen Arbeitsministers dürfte Grandvals Entscheidung wesentlich
mitbeeinflußt haben.219
Kirns Verhalten gegenüber dem Hohen Kommissariat in dieser Frage widerspricht
erneut dem Bild vieler Zeitgenossen, daß Mitglieder der Hoffmann-Regierung "Be-
fehlsempfänger" der Franzosen gewesen seien. Die Vorgänge zeigen vielmehr, daß
sich die politisch Verantwortlichen sowohl auf saarländischer Seite als auch auf Seite
des Hohen Kommissariates wohl über die politische Bedeutung der Kriegsopfer-
versorgung einig waren. Beide fürchteten, daß ein schlechtes Versorgungsniveau und
ständige Spannungen in dieser Frage die politische Situation an der Saar destabilisieren
könnten, dabei wurde dies aber wohl von saarländischen Politikern besonders hervor-
gehoben und letztlich instrumentalisiert.
Mit dem Gesetz vom 13. Dezember 1948 war neben einer allgemeinen Rentenerhö-
hung eine erhebliche Verbesserung in der Kriegsopferversorgung erreicht worden.
Zunächst wurden jetzt auch die Renten für die sogenannten Leichtbeschädigten,
Kriegsopfer mit einer MdE von 30 und 40 Prozent, ausgezahlt, die Pflegezulage wurde
erhöht und weitere Ruhensbestimmungen gelockert, so wurde die Alterszulage, wenn
auch nur für Schwerbeschädigte, und die Kapitalabfindung für Witwen bei Wieder-
verheiratung - zunächst nur für Frauen, die nach dem 31. Dezember 1948 geheiratet
hatten - wieder eingeführt.220
Über das Jahr 1948 konnte insgesamt eine Rentensteigerung um über 30 Prozent
durchgesetzt werden. Zu Jahresmitte betrug die Grundrente bei einer MdE von 100
Prozent 6.000 FRS, durch das Gesetz vom 13. Dezember erhöhte sie sich auf 10.000
FRS. Einen weiteren Fortschritt stellte die Auszahlung von Versorgungsgebührnissen
an die große Gruppe der Leichtbeschädigten dar. Von ihr profitierten sehr viele Kriegs-
217 Ebd., Doss.65, B1.94 f., R. Paris an Grandval vom 9.12.48.
218 Ebd.
219 Ebd.
220 Vgl. Gesetz vom 13.12.48, in: Abl.1949, S.77.
222
opfer, denn die Gruppe mit einer MdE von 30 Prozent war sehr groß: Auf sie entfielen
5.436 Personen, das entsprach 28,33 Prozent der bis zu diesem Zeitpunkt anerkannten
Kriegsopfer, 2.238 Personen wurde eine MdE von 40 Prozent zugebilligt.221
Wer galt als leicht- bzw. schwerbeschädigt, was versteckt sich hinter diesen Zahlen der
Minderung der Erwerbsfähigkeit? Um dies zu veranschaulichen und auch zu zeigen,
wer bis zum Gesetz vom 13. Dezember 1948 keinen Anspruch auf Auszahlung seiner
Kriegsopferrente hatte, lohnt sich ein Blick auf die Durchführungsverordnungen. Das
einfache Fehlen einer Ohrmuschel z.B. begründete in der Regel keinen Versorgungs-
anspruch. Mit einer Erwerbsminderung von 30 Prozent wurde bewertet: Verlust eines
Auges, wenn das zweite voll gebrauchsfähig war oder der Verlust von Milz oder Niere
oder Absetzung eines Fußes nach Lifranc oder Chopart. Der Verlust einer Hand oder
des Kehlkopfes, ein widernatürlicher After, Harn- oder Darmfistelverlust, oder Verlust
des Afterschließmuskels mit schwerem Mastdarmvorfall konnten zu einer MdE von 50
Prozent führen. 70 Prozent MdE war beim Verlust eines Armes oder Beines vor-
gesehen, 80 Prozent bei Verlust des Arbeitsarmes, 100 Prozent beim Verlust beider
Hände und Beine. Diese Regelungen waren aber immer noch günstiger als die späteren
Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes.222 Neben den Leichtbeschädigten
brachte das Gesetz vom Dezember 1948 vor allem auch den Kriegerwitwen erhebliche
Verbesserungen. Diese Gruppe war ebenfalls sehr groß und umfaßte im November
1948 15.951 Frauen, davon waren zwei Drittel unter 45 Jahre alt.223 Eine zweite Grup-
pe, die von dem Gesetz profitierte, waren die Mitglieder der Waffen SS. Die Zahlen
veranschaulichen, daß gerade die von den saarländischen Parteien und der VdKdS
vorgesehenen Verbesserungen einer sehr breiten Gruppe von Betroffenen zugute
kamen.
Ein weiterer Vorteil bestand in der wieder ausgezahlten Alterszulage. Sie war erst 1941
eingeführt worden. Gegenüber dem hohen Versorgungsniveau in Baden bedeutete dies
ein Versorgungsplus für die Saarländer, denn in Baden mußte ungefähr zur selben Zeit
im Rahmen von Koordinierungsbemühungen in der Kriegsopferversorgung die Alters-
zulage gestrichen werden, nachdem die Militärregierung einen längst vergessenen
SHAEF-Befehl, der die Zahlung untersagte, wiederentdeckte.224 Die badischen Kriegs-
opfer protestierten dagegen. Die Streitfrage war, ob die Alterszulagen einen nazisti-
schen Charakter hätten.225 Das Streichen von Zulagen in der Kriegsopferversorgungs-
gesetzgebung durch die Alliierten nach 1945 ist vor dem grundsätzlichen Problem ihrer
Differenzierungskompetenz zu sehen, längerfristige Entwicklungen der deutschen
Sozialgesetzgebung von nationalsozialistischen Maßnahmen zu trennen.226
221
222
223
224
225
226
LA SB, MifAS, Bd.31, Bericht der Generalfinanzkontrolle für das Jahr 1951, S.132.
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 18.11.48.
Ebd.
Hudemann, Sozialpolitik, S.466.
Ebd., S.467, Anm.27.
Ebd.
223
Saarländische Kriegsopferrenten nach dem Gesetz vom 13. Dezember 1948:227
MdE: Rente Frauenzulage Kinderzulage
in Prozent
30 1.000 FRS - -
40 1.300 FRS - -
50 1.700 FRS 170 FRS 520 FRS
60 2.600 FRS 200 FRS 520 FRS
fürl .Kind/jedesweitere
80 4.200 FRS 1200 FRS 1000 FRS/ 2000 FRS
90 7.000 FRS 1200 FRS ii ti
100 10.000 FRS 1200 FRS ii ii
Pflegezulage: Stufe I: 2600
II: 3900
IH: 5200
IV: 6500
Weiterentwicklung des Reichsversorgungsgesetzes
Nach dem Gesetz vom 13. Dezember 1948 folgte eine Fülle weiterer Verordnungen
und Gesetze, die auf der Reichsversorgungsgesetzgebung aufbauten und sie weiter-
entwickelten. Mit dem Gesetz vom 27. Januar 1950228 kam es zu weiteren Leistungs-
verbesserungen in der Kriegsopferversorgung. Die Alterszulage wurde auch an Be-
schädigte mit einer MdE von 30 und 40 Prozent gezahlt, und die Kapitalabfindung
wurde ohne Einschränkung wieder eingeführt.229 Sie stellte ebenso wie die Gewährung
einer Zusatz- (alter Begriff nach dem Weimarer RVG) und Ergänzungsrente ab MdE
50 Prozent die Wiederherstellung von Leistungen des RVG dar, die den Kürzungen
vom 20. Oktober 1945 zum Opfer gefallen waren. Ein weiterer Weg zpr Angleichung
an das alte Weimarer Versorgungsniveau markiert das Gesetz vom 31. Januar 1951.230
Neben einer Erhöhung der Grundrenten insbesondere für Leichtbeschädigte, der
Erhöhung der Alterszulage sowie der vollen Ergänzungsrente für Blinde, enthielt das
Gesetz auch Bestimmungen, die für den Ausbau des RVG sprechen. So erhielten
Witwen unter 45 Jahren mit einem oder mehreren versorgungsberechtigten Kindern
oder im Falle der Erwerbsunfähigkeit die höhere Rente der Witwen über 45 Jahre.
227 Abi. 1948, S.1Ö04.
228 Gesetz Nr.146 vom 27.1.50, in: Abi.1950, S.220.
229 „.j
Ebd.
230 Gesetz Nr.235 über weitere Verbesserungen in der Kriegsopferversorgung vom 31.1.51, in: Abi. 1951,
S.607.
224
Außerdem wurde die Zahlung von doppelten Pflegezulagen von einer Kannleistung in
einen Rechtsanspruch aufgewertet.231
Bereits bei der Analyse der Gestaltung der Versorgungsgesetze des Jahres 1948 wurde
deutlich, daß die Sonderrolle des Saarlandes, gerade den saarländischen Politikern
gegenüber ihren französischen Verhandlungspartnern, Spielräume eröffnete, um relativ
großzügige Versorgungsgesetze durchzusetzen, d.h. die Saarländer konnten von der
Sondersituation und der Wirtschaftsunion mit Frankreich profitieren; auch bei den
Beratungen zum Gesetz vom 27. Januar 1950 wird dies deutlich, so begründete Ar-
beitsminister Kirn die Rentenerhöhung um 15 Prozent mit der Entwicklung in Frank-
reich:"Zur Hebung der Kaufkraft ist in Frankreich eine 15%ige Rentenerhöhung auf
die Beschädigten- und Hinterbliebenenbezüge bewilligt worden. In Anlehnung hieran
werden die Grundbeträge und die Versorgungsgebührnisse der Kriegsopfer des Saar-
landes ebenfalls um 15 erhöht".232 Hier zeigt sich das bereits erwähnte Bestreben der
saarländischen Sozialpolitik eine Automatik durchzusetzen, wonach jede Erhöhung in
Frankreich auch eine im Saarland erforderlich mache. Im Saarland gab es andererseits
auch noch Teuerungszulagen, die mit der besonders angepannten Situation wie der
extremen Erhöhung der Lebenshaltungskosten im Saarland begründet wurden.
3.3 Wirksame Interessenvertretung der Kriegsopfer
Kein Mischverbandsprinzip
Die nach 1945 zugelassenen Kriegsopferorganisationen mußten nach einem Beschluß
des Alliierten Kontrollrates im Sinne der Entnazifizierung und Entmilitarisierung als
Mischverbände organisiert werden, d.h. sie durften nicht nur aus Kriegsopfern beste-
hen, sondern mußten auch anderen Körperbeschädigten bzw. zivilen Behinderten wie
Unfallopfern offenstehen.233 Gerade in der französischen Zone wurden die Kriegs-
opferverbände besonders scharf kontrolliert, um möglichen militaristischen Tendenzen
von Anfang an entgegenzutreten.234
Im Saarland versuchten Kriegsopfer einige Monate nach dem Zusammenbruch, sich zu
einer Interessenvereinigung zusammenzuschließen. Erste Treffen von Menschen, die
das gleiche Schicksal hatten, fanden im ganzen Land mehr oder weniger unkoordiniert
statt. Das identitätsstiftende und verbindende Element war die Kriegsverwundung und
die daraus resultierende, das Leben verändernde Behinderung. Der Impuls, sich als
Kriegsopfer zu engagieren und seine Interessen wahrzunehmen, ging dabei vor allem
von älteren Kriegsopfern des Ersten Weltkrieges aus. Sie wirkten einem gewissen
Fatalismus der Kriegsopfer des Zweiten Weltkrieges entgegen und überzeugten sie von
231 LA SB, StK/KR/MAW/1951/T-l. Landtag des Saarlandes an Präsidialkanzlei vom 1.2.51.
232
Ebd., Kirn an Präsidialkanzlei vom 20.12.49.
233 Hudemann, Sozialpolitik, S.413-416.
234 Ebd., S.420.
225
da* Notwendigkeit, sich in einem Verband zu organisieren.235 Im März 1946 fand unter
Vorsitz von Karl Hoppe die konstituierende Sitzung von sozialpolitisch interessierten
Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen im Haus der Einheitsgewerkschaft in
Saarbrücken statt. Hoppe war im Ersten Weltkrieg verwundet worden und verfügte
über eine langjährige Verbandserfahrung. Die ursprünglich von Grandval erteilte
Genehmigung wurde aber zurückgezogen, weil entgegen der Kontrollratsbestimmun-
gen, die VdKdS sich nicht als Mischverband, sondern als eine reine Kriegsopfer-
organisation verstand. Nach dem Wirtschaftsanschluß erfolgte die offizielle Zulassung,
zuvor hatte die Vereinigung aber schon ihre Arbeit mit Duldung der Militärregierung
aufgenommen.236
Professionelle Verbandsführung
Die günstige Entwicklung der saarländischen Kriegsopferversorgung ist auch auf die
wirksame Interessenvertretung der Kriegsopfer durch die VdKdS und ihren Vorsitzen-
den Karl Hoppe zurückzuführen. Er hat die Vereinigung gegründet und sie während
der gesamten Regierungszeit Hoffmanns als Chef geleitet. Zweiter Vorsitzender war
Willy Weiten, Abgeordneter der CVP; nach dessen Tod trat der in Kriegsopferfragen
engagierte Jakob Feiler (CVP) aus St. Wendel, ab 1952 ebenfalls Landtagsabgeordne-
ter, an seine Stelle.
Karl Hoppe war am 10. Juni 1888 als Sohn eines Kleinbauern und Tabakarbeiters im
badischen Kürzell, einem kleinen Bauerndorf in der Nähe von Lahr, geboren worden.
1916 zog er in den Ersten Weltkrieg und wurde 1917 verwundet. Er trat in die SPD
ein, kämpfte gegen die Kapp-Putschisten und wurde 1924 als Kandidat der SPD in den
Kieler Stadtrat gewählt. Karl Hoppe stellte sein Leben nach dem Krieg in den Dienst
der Kriegsopferversorgung. Er arbeitete hauptamtlich beim Reichsbund und betreute
von 1924 bis 1929 den Gau Schleswig-Holstein. Nebenamtlich war er Mitglied des
Reichsversorgungsgerichts. 1929 kam er als Fachmann für Kriegsopferversorgung an
die Saar, um als Gauleiter des Reichsbundes die Verbandsarbeit im Saargebiet zu
reorganisieren. Nach der Auflösung des Reichsbundes 1933 betrieb er ein Tabakwa-
rengeschäft in der Saarbrücker Kaiserstraße, das er nach der Rückgliederung des
Saarlandes an Nazi-Deutschland aufgeben mußte.
Hoppe ging im Februar 1935 ins Exil nach Frankreich, hielt sich bis Mai im angrenzen-
den lothringischen Forbach auf, zog dann für fünf Monate nach Blaye (Gironde) und
suchte bis Mai 1940 in Tours Schutz (Indre et Loire), wo er ab März 1936 Arbeit fand,
dann lebte und arbeitete er bis Januar 1944 im Département Haute-Vienne. Im Januar
1944 wurde Karl Hoppe von der französischen Miliz wegen aktiver Teilnahme in der
antideutschen Widerstandsbewegung verhaftet und den deutschen Behörden in Calais
235 Interview mit Friedrich Diener im Dezember 1992.
236 Tätigkeitsbericht der VdKdS zur Dritten ordentl. Generalversammlung am 6.9.53 in Saarbrücken, Saar-
brücken 1953.
226
ausgeliefert, er kam ins Straflager Wissant. Die Deutschen setzten ihn zu Zwangs-
arbeiten an der Kanalbefestigung ein. Es gelang ihm, drei Monate vor seiner kriegs-
gerichtlichen Aburteilung am 30. März 1944 zu fliehen. Der frühere Sozialdemokrat,
im Juni 1944 in Abwesenheit zum Tode verurteilt, schloß sich kommunistischen
Resistancegruppen im Raum Lyon und Toulouse an.
Nach dem Krieg trat er in die KP ein und wurde am 15. September für die KP in den
Saarbrücker Stadtrat gewählt, 1948 dann als Abgeordneter für die KP in den Landtag.
Der Parteiaustritt folgte kurz darauf. Nach Auskunft von Jakob Feiler soll Hoppe im
Gefolge Grandvals in französischer Uniform ins Saarland gekommen sein. Sein Ziel sei
damals schon der Aufbau einer saarländischen Kriegsopferorganisation gewesen.
Anfang 1950 wurde Hoppe Nachfolger von Albert Dorscheid als Leiter des Presse-
und Informationsamtes der Hoffmann-Regierung. Das kommunistische Engagement
Hoppes, erstreckte sich also auf die knapp vierjährige Mitgliedschaft in der saarlän-
dischen KP.”7
Heinrich Schneider versucht in seinen Erinnerungen "Das Wunder an der Saar" Hoppe
als waschechten Kommunisten zu stigmatisieren. So bezeichnet er ihn als den "aktiv-
sten kommunistischen Abgeordneten" und spricht in der Regel für die Zeit nach dem
Austritt vom "ehemaligen Kommunisten und Südbadener". Auch Karl August Schlei-
den, bestimmt kein Anhänger der prodeutschen Opposition, nennt Hoppe eher negativ
einen "kommunisüschen Renegaten". Die auf die Mitgliedschaft in der KP ausge-
richteten Einschätzungen werden der Persönlichkeit und dem Wirken von Karl Hoppe
allerdings nicht gerecht. Ihnen fehlt zudem eine Quellengrundlage. Gesichert ist aber,
ohne die Person zu heroisieren, wie die vorliegende Studie zeigt, das außergewöhnliche
Engagement und Geschick dieses Mannes für die Kriegsopfer.* 238
Hoher Organisationsgrad
Die Mitgliederzahl der VdKdS deutet an, daß sie zu einer der großen saarländischen
Interessenverbände überhaupt zu zählen ist. Die VdKdS zählte am 30. Juni 1953 ca.
50.000 Mitglieder, das entsprach ohne Berücksichtigung der Familienangehörigen 5,3
Prozent der Gesamtbevölkerung. Ihre 282 Ortsgruppen verteilten sich über das ganze
Land bis in kleinste Ortschaften. Die Mitgliederentwicklung war rasant, 1948 waren
erst 1.920 Mitglieder in 18 Ortsgruppen eingeschrieben. Seit März 1949 erschien eine
Verbandszeitschrift, die "Saarländische Kriegsopferversorgung".239 Der Kontakt
zwischen Mitgliedern und Verbandsfunküonären kann als relativ eng bewertet werden.
Die alltägliche Hilfe der Vereinigung spielte dabei eine wichtige Rolle, wenn man an
Landesentschädigungsamt (LEA) 5329. Robert H. S c h m i d t, Saarpolitik 1945-1957, Bd.l, Berlin
1959, S.506-509.
238
Siehe die kritisch zu bewertenden Einschätzungen bei Schneider, Das Wunder, S.81, 94, 148, 296.
Karl August Schleiden, Johannes Hoffmann (1890-1967), in: Peter Neumann (Hrsg.), Saarländische
Lebensbilder, Bd.4, Saarbrücken 1989, S.273.
239 Tätigkeitsbericht der VdKdS.
227
den durch den Verband gewährten Rechtsbeistand und auch den Wohnungsbau denkt.
So beriet die VdKdS zwischen März 1951 und Juni 1953 21.343 Kriegsopfer und
führte bis Juni 1953 33.434 Akten von Versorgungsfällen. Die VdKdS bildete Orts-
gruppenbauringe, die Kriegsopfersiedlungen erstellten. Sie wurden durch Kapital-
abfindungen aus der Kriegsopferversorgung, Darlehen der Landesversicherungsanstalt,
des Wiederaufbauamtes und der gewerkschaftlich dominierten Versicherungen Terra
und Volkshilfe finanziert.240
Verflechtung von Verbandslobby und Politik
Wenn auch im Saarland die Kriegsbeschädigten im Gegensatz zu Frankreich keine
quasi staatliche Qualität als 'fonctionnaires' der 'nation armée' erhielten241, so deutet sich
zumindest tendenziell eine starke Position von Verbandslobbysten in der Politik an, die
sich nicht nur in der relativ hohen Zahl von kriegsbeschädigten Abgeordneten im
Landtag äußerte, sondern auch darin, daß der Vorsitzende der VdKdS zum Leiter des
Presse- und Informationsamtes berufen wurde und beide Ämter gleichzeitig führte.
Es stellt sich die Frage, ob Hoppe diese Tätigkeit für die Interessen des von ihm ge-
führten Verbandes instrumentalisierte. Welche Möglichkeiten ihm diese Funktion
eröffnete, veranschaulichen Aktenvorgänge zu mehreren Kriegsopfergesetzen wie z.B.
zum Gesetz über die Gewährung einer Abfindung im Falle der Wiederverheiratung von
Kriegerwitwen vom 11. Juli 1951.242 Inhaltlich sah das Gesetz die Wiedereinführung
einer Versorgungsleistung aus der Weimarer Zeit vor. Das Recht auf Rentenabfindung
im Falle der Wiederverheiratung war von 1920 bis 1945 gültig gewesen.243 Die Abfin-
dung entsprach der dreifachen Jahresrente. Sie wurde zunächst durch den Erlaß über
die vorläufige Regelung der Rentenzahlung an die Kriegsbeschädigten und Kriegs-
hinterbliebenen im Saarland vom 20. Oktober 1945 gestrichen.244 Arbeitsminister
Richard Kim hatte einen Entwurf über die Abfindung im Falle der Wiederverheiratung
dem Ministerrat zugestellt. Noch bevor ein Beschluß darüber im Ministerrat erfolgte,
wurde die Sache durch Hoppe spmchreif gemacht und damit die Regierung unter
Druck gesetzt. Obwohl der Entwurf dem Ministerrat noch nicht Vorgelegen hatte,
lancierte Hoppe eine Pressemitteilung über einen entsprechenden Gesetzentwurf, und
am 18. Oktober gab er eine Mitteilung über die Gewährung einer einmaligen Teue-
rungszulage heraus, auch dazu war noch keine Ministerratsentscheidung getroffen
240 Ebd., S.39, 44.
241 Geyer, Ein Vorbote des Wohlfahrtsstaates, S.236.
242 Gesetz Nr.274 über die Gewährung einer Abfindung im Falle der Wiederverheiratung an Kriegerwitwen
vom 11.7.51, in: Abl.1951, S.1352.
243
Siehe § 39 des Gesetzes über die Versorgung der Militärpensionen und ihrer Hinterbliebenen in der
Fassung der Bekanntmachung vom 1.4.39, in:Rgbl.I 1939, S.663.
244
Siehe vorläufige Regelung der Rentenzahlung an die Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen im
Saarland vom 20. 10.45, in: Abi.1945, S.39.
228
worden. Kirn vermerkte in einem Schreiben an den Landtag:"In beiden Fällen erging
eine Mitteilung an die Presse und Rundfunk, ohne daß eine schriftliche oder mündliche
Anweisung hierzu dem Informationsamt durch das Ministerium für Arbeit und Wohl-
fahrt erteilt worden war. Wie das Informationsamt in den Besitz der beiden Gesetz-
entwürfe gekommen ist, entzieht sich zur Zeit meiner Kenntnis".245 Die Lancierung der
Pressemeldung hatte bereits zu Rückfragen der Betroffenen bei den Versorgungs-
ämtem und den Dienststellen im Ministerium geführt.246 Hoppe erntete den Protest des
Landtages, der in diesem Manöver einen Verstoß gegen Arükel 107 der Verfassung
sah, nach dem allein die gesetzgebende Körperschaft das Recht habe, Mittel zu bewil-
ligen.247 Das kurz vor den Wahlen verabschiedete Gesetz sah unter anderem um-
fangreiche Rentennachzahlungen vor, die an anderer Stelle noch ausführlicher be-
handelt werden sollen. Drei Tage vor den Landtagswahlen, also am 27. November
1952, teüte Hoppe der Presse mit, daß Vorschußzahlungen an sämtliche Versorgungs-
berechügte vorgesehen seien, obwohl ein förmlicher Beschluß des Ministerrates
wiederum noch gar nicht Vorgelegen hatte. Der damalige Direktor für Arbeit und
Wohlfahrt Heinrich Welsch schrieb besorgt am 3. Dezember 1952 an die Präsidial-
kanzlei, daß nicht alle Versorgungsempfänger von den vorgesehenen Nachzahlungen
betroffen seien, wenn alle Versorgungsempfänger jetzt einen Vorschuß erhielten,
erfolge eine Überzahlung, "deren Rückgängigmachung mit Schwierigkeiten verbunden
wäre, denn nach Paragraph 74 Absatz 1 Satz 3 des Verfahrensgesetzes können nur
solche Versorgungsgebührnisse, die zu Unrecht empfangen worden sind, wieder
beigetrieben werden".248
3.4 Politische Instrumentalisierung der Kriegsopferversorgung
Wahlgeschenke für die Kriegsopfer
Mit dem Gesetz vom 7. November 1952 gab es 21 Tage vor den Landtagswahlen am
30. November für die Kriegsopfer eine Fülle von Verbesserungen und Mehrleistungen
mit einem Volumen von 300 Millionen FRS, wobei die Kosten für Rentennachzah-
lungen in diesem Betrag nicht enthalten waren.249 Vor den Wahlen erfuhren nun 90.000
Versorgungsempfänger und ihre Familien, daß sie in den Genuß von deutlich höheren
Renten kommen würden. Ein Kriegsopfer mit einer MdE von 100 Prozent konnte mit
17.800 FRS Grundrente rechnen, zu Beginn des Jahres 1948 waren es noch 6.000 FRS
gewesen. Über einen Zeitraum von gut drei Jahren hatte sich die Grundrente fast
verdreifacht. Ein Kriegsopfer mit einer MdE von 30 Prozent hatte seit 1. Januar 1949
1.000 FRS erhalten, nach dem Gesetz vom 7. November 1952 erhielt es nun 2.220
LA SB, StK/KR/MAW/1951/T-2, Kim an den Landtag des Saarlandes vom 28.10.50, Landtag an
Präsidialkanzlei vom 13,7.51, Kim an Landtag vom 28.11.51.
246 Ebd.
247 Abi.1947, S.1077 f.
248 LA SB, StK/KR/MAW/1952/T-2, Welsch an Präsidialkanzlei vom 3.12.51.
249 LTS DS 1/141, Niederschrift zur Sitzung vom 6.11.52, S.1207.
229
FRS. Neben diesen Steigerungen der Grundrente hatten sich die Gesamtleistungen -
insbesondere schon durch die Einführung der Altersrente ab 1949 und der Ergänzungs-
rente ab 1950 - verbessert. Für besonders Schwerbeschädigte wurden seit 1949 doppel-
te Pflegezulagen gezahlt, im Extremfall bedeutete dies bei einer doppelten Pflegezulage
HI 10.400 FRS zusätzlich, die gesamte Kriegsopferrente lag in diesem Fall bei monat-
lich fast 30.000 FRS.
Entwicklung der Kriegsopferrenten im Saarland von 1948 bis 1952, Grundrente bei
MdE 100 Prozent:250
1948: 6.000 FRS
1949: 10.000 FRS
1950: 11.500 FRS
1951: 13.000 FRS
1952: 17.800 FRS
Gerade für Witwen unter 45 Jahren kam es zu spürbaren Verbesserungen. Ihre Rente
erhöhte sich von 3.000 auf 7.020 FRS, für Witwen über 45 und Witwen unter 45 mit
versorgungsberechtigten Kindern stieg sie von 3.600 auf 8.660 FRS.251 Das Gesetz
vom 7. November 1952 bedeutete auch eine Weiterentwicklung der Weimarer Versor-
gungsgesetzgebung dahingehend, daß neue Leistungen eingeführt wurden, die über
den bisherigen Rahmen des RVG hinausgingen, wie z.B. die Gewährung von Aus-
bildungsbeihilfen nicht nur für Waisen, sondern jetzt auch für die versorgungsberech-
tigten Kinder von Beschädigten, wobei hier keine Differenzierung zwischen Schwer-
und Leichtbeschädigten vorgesehen wurde.252 * Der Paragraph 40 des RVG wurde so
geändert, daß Witwen von Pflegezulagenempfängern auch dann einen Anspruch auf
Witwenbeihilfe hatten, wenn der Tod des Ehemannes nicht die Folge der Dienst-
beschädigung war.153 Einer Forderung der VdKdS entsprechend wurden die Frauen-
und Kinderzulagen für die Gruppe der Beschädigten mit einer MdE zwischen 70 und
100 Prozent abweichend vom Versorgungsgesetz nach den jeweils gültigen, aber
höheren Sätzen dar Kasse für Familienzulagen gezahlt. Die Kapitalabfindung gewährte
das Gesetz auch dann, wenn nur "grundstückseigene Rechte" erworben werden sollten,
damit wurde die Praxis, über die Kapitalabfindung den Wohnungsbau anzukurbeln und
die kriegsbedingten Wohnungsdefizite zu reduzieren, günstig ausgelegt.
Eine weitere kostenintensive und letztlich wahlkampfwirksame Bestimmung des
Gesetzes waren umfangreiche Rentenrückzahlungen. Sie waren so enorm, daß man von
einem Rentennachzahlungspaket sprechen kann. Seine Kosten vermochte das Arbeits-
ministerium nur grob zu schätzen, man ging von einer Summe von ca. 540 Millionen
250
251
252
253
Nach Rententabelle in: Tätigkeitsbericht der VdKdS.
Ebd.
Abi.1953, S.16-19.
Ebd.
230
Franken aus, am 6. Juli 1953 stellte der zuständige Referatsleiter Dr. Klaes eine Rech-
nung von dreiviertel Milliarden Franken auf.254
Kriegsopfer - eine politisch relevante Gruppe
Wählerwirksam, drei Wochen vor den Wahlen am 30. November 1952, wurde dieses
Gesetz verabschiedet.255 256 Es ist kein spezifisch saarländisches Phänomen, daß am Ende
einer Legislaturperiode vor dem Urnengang eine Vielzahl von sozialen Leistungs-
gesetzen im Streben um die Wählergunst verabschiedet werden. Dieser Befund steht in
einem größeren politischen Kontext und ist typisch für parlamentarische Demokratien,
ein Paradebeispiel dafür ist die große Rentenreform der sozialliberalen Koalition von
1972 256 £^6 Vielzahl von sozialen Wohltaten unmittelbar vor Wahlen auf den Weg zu
bringen, konnte Hans-Peter Blank für sämtliche bis 1968 untersuchten Legislatur-
perioden des Deutschen Bundestages nachweisen. Vor Wahlterminen stieg die sozial-
politische Gesetzgebung immer stark an.257 In diesen Kontext paßt auch, daß der
saarländische Ministerpräsident Johannes Hoffmann "das Patronat über das Erholungs-
heim" der VdKdS acht Wochen vor den Wahlen am 30. November 1952 übernahm.
Mit einem weiteren Landeszuschuß von 25 Millionen FRS, der nicht aus dem Etat des
Arbeitsministeriums, sondern der Präsidialkanzlei kam, sicherte er die Finanzierung.258
Die Kriegsopferversorgung war ein Politikum. Für die junge Bundesrepublik sieht
Hockerts in ihrer Gestaltung eine der sozialen Zeitbomben im Gebälk des neuen
Staates.259
Mehr als 90.000 anerkannte Kriegsopfer an der Saar bei einer Einwohnerzahl von ca.
1 Million waren eine politisch und gesellschaftlich relevante Gruppe, um deren Stim-
men zu werben der Machtsicherung bzw. der politischen Stabilität dienlich war. Auf
Grund der besonderen politischen Situation im Saarland war es nicht nur lohnend, um
ihre politische Gunst zu werben, sondern von höherer politischer Bedeutung, weil
Unzufriedenheit in den Reihen dieser Gruppe unter Umständen politisch destabilisie-
rend wirken konnte. Die pro-deutsche Opposition hätte möglicherweise im Falle einer
254 LA SB, StK/KR//MAW/1953/T-2, Vermerk von Dr. Klaes vom 6.7.53.
255
In diesem Zusammenhang ist auf das große Sozialgesetzgebungswerk vom Sommer 1951 hinzu weisen,
z.B. Saarknappschaftsgesetz vom 11.7.51, in: Abi. 1951, S.1099.
256 Hockerts, Sozialpolitik, S.374.
257
Hans-Peter Blank, Die Sozialgesetzgebung der BRD und ihr zeitlicher Zusammenhang mit den
Wahlterminen seit 1949, in: Recht der Arbeit 23/1970, S.103-105. Für die Erste Legislaturperiode ergibt
sich folgende Zahl von Sozialgesetzen, am Beginn 1949 lediglich 1 Sozialgesetz, 1953 aber 49. Die Zweite
Legislaturperiode 1953 begann ohne Sozialgesetz, in 1957 wurden allein 43 verabschiedet.
258 LA SB, StK Nr.3208, Franz Schlehofer, Leiter der Präsidialkanzlei, an Karl Hoppe vom 7.10.52. Siehe
auch VdK-Saar, Saarbrücken, Ordner mit Beschlüssen des gewählten Landesvorstandes, 13.Sitzung vom
30.9.54, S.24 und 28.Sitzung vom 28.10.54, S.28.
259 H o c k e r t s, Sozialpolitik, S.362.
231
im Vergleich zur Bundesrepublik schlechteren Kriegsopferversorgung propagan-
distisch geschickt reagiert und der aus Emigranten bestehenden Regierung Revanchis-
mus vorgeworfen.
In der Öffentlichkeit wurden die sehr günstigen Bestimmungen für die Kriegsopfer
werbewirksam hervorgehoben und als Erfolg der Saarregierung und insbesondere der
Sonderstellung der Saar gewertet, wie die Redebeiträge anläßlich der Lesung der
Kriegsopfergesetze im Landtag und Pressestimmen der Organe von CVP und SPS
verdeutlichen. Die politisch Verantwortlichen versuchten gerade auch über die Kriegs-
opferversorgung, den Saarländern das Gefühl zu vermitteln, einen sozialpolitischen
Vorsprung gegenüber der Bundesrepublik zu haben. So berichtete die "Saarländische
Volkszeitung":"Wir haben ein Jahr früher als in Deutschland den Hunger besiegt. Das
Besatzungsregime wurde früher beendet. Viele geben sich keine Rechenschaft, was es
heißt, 80.000 Kriegsopfern zu helfen bei einer Bevölkerung von 900.000".260
Karl Hoppe wies vor dem Hintergrund der Einführung des Bundesversorgungsgesetzes
in der Bundesrepublik zwar auf die verbesserte Situation für die Betroffenen in den
Ländern der ehemaligen Bizone hin, stellte aber die Verschlechterung für die Kriegs-
opfer in der französischen Zone deutlich heraus: "Dort regnet es jetzt Rentenkürzungs-
und Rentenentziehungsbescheide". An einer Fülle von Einzelbeispielen rechnete
Hoppe die bessere Versorgung der saarländischen Kriegsopfer gegenüber der Versor-
gung in der Bundesrepublik vor.261
Die überdurchschnittlichen Kriegsopferrenten wurden als Markenzeichen der autono-
men Saar präsentiert, wie z.B. das Grußwort von Ministerpräsident Hoffmann zum
Pfingstreffen der VdKdS 1952 verdeutlicht, in dem er betonte, die Leistungen auf dem
Gebiet der Kriegsopferversorgung im Saarland seien nur deshalb möglich gewesen,
weil man sich zum wirtschaftlichen Anschluß an Frankreich entschlossen habe.262
Das Organ der VdKdS, die "Saarländische Kriegsopferversorgung", veranschaulichte
in ihrer noch vor der Wahl erschienenen Dezember au sgabe das höhere saarländische
Leistungsniveau in einer Gegenüberstellung der bundesdeutschen und saarländischen
Renten.263
260 gyz VQm 2.8.49, siehe auch SVZ vom 24.4.48 "Kriegsopferversorgung: Das Saarland gegenüber den
Besatzungszonen an der Spitze".
261 LTS DS 1/14, Niederschrift zur Sitzung vom 18.3.48, S.1214.
262 Saarländische Kriegsopferversorgung (SKV) Nr.40, Juli 1952.
Dies., November/Dezember 1952.
232
Im Saarland galten im Gegensatz zur Bundesrepublik die Brüningschen Notverordnun-
gen nicht, das heißt es wurden Rentenansprüche nicht miteinander verrechnet, wie z.B.
in der Bundesrepublik im Todesfälle das Sterbegeld der Kriegsopferversorgung mit
dem Sterbegeld der Rentenversicherung.
Ein Blick in die Wahlkampfbroschüren unterstreicht, daß um die Kriegsopfer als
politisch relevante Gruppe geworben wurde. Interessant ist hier die Reihenfolge der
Gruppen, für die z.B. die SPS Verbesserungen forderte, an erster Stelle standen die
Kriegsopfer.264 Die CVP gab ihren Funktionären für den Wahlkampf 1952 Rednerma-
terial an die Hand, in dem spezielle Hinweise zur Kriegsopferversorgung gegeben
wurden, zum Beispiel die Parole: "Kriegsbeschädigter! Wähle die Partei, die als Mehr-
heitspartei im Saarländischen Landtag den Auf- und Ausbau der Kriegsopferversor-
gung maßgeblich bestimmt hat. Wähle die CVP".265
Den Betroffenen wurde die Verknüpfung der Sonderrolle des Saarlandes mit der
günstigen Kriegsopferversorgung auch suggestiv mit Slogans wie "Fernbleiben von
der Wahl oder weißer Zettel heißt Verzicht auf deine mühsam erkämpfte Rente"
vermittelt, und an die Adresse der Witwen gerichtet, hieß es dann ganz of-
fen:"Kriegerwitwen! Ihr seht, daß unsere Rentenversorgung im Saarland viel besser ist
als die in der Bundesrepublik. Wenn Ihr Eure Renten behalten wollt, dann geht am 30.
November zur Wahl. Wählt die Partei, die als Mehrheitspartei im Saarländischen
Landtag diese Leistungen in der Witwenrente maßgebend geschaffen hat. Wählt die
Partei, die Eure Rechte verteidigt”.266
Zwar stellte Hoppe im Landtag und im Organ der VdKdS die vorteilhaftere Versor-
gungsgesetzgebung im Saarland heraus, es war aber Ziel der Vereinsführung, sich im
Wahlkampf zurückzuhalten. Dafür spricht ein Schreiben des Landesvorstandes der
VdKdS vom 12. November 1952. Die VdKdS verzichtete vor dem Hintergrund der
Landtagswahlen auf eine zentrale Gedenkfeier zum Totensonntag am 23. November,
lediglich die Orts- und Kreisverbände wurden zu kleineren Gedenkfeiern angeleitet, die
in "parteipolitisch absolut neutralem Rahmen durchzuführen" seien.267
Auch im Wahlkampf zum Referendum vom 23. Oktober 1955 diente den Autonomi-
sten die vorteilhafte Kriegsopferversorgung im Saarland als ein süchhalüges Argument
für das Statut, denn im Vergleich zur Bundesrepublik war die saarländische Versor-
gung in der Tat günstiger. Bei der Rückgliederung des Saarlandes kam es deshalb zu
264 LA SB, Partei-und Verbandsdrucksachen (PVD), Nr.247.
265 Rednermaterial der CVP, freundlicherweise von Herrn Jakob Feiler dem Verfasser zur Verfügung
gestellt, im folgenden als Privatpapiere Feiler zitiert.
266 Ebd.
267 Privatpapiere Feiler, VdKdS an alle Funktionäre vom 13.11.52.
233
langwierigen Verhandlungen zwischen der VdKdS als der saarländischen Kriegsopfer-
organisation, den saarländischen Ministerien und dem Bundesarbeitsminister. Hier
zeigt sich übrigens eine Parallele zu Baden, auch dort wurde die Kriegsopferfrage zum
Politikum. Der Staatspräsident von Baden Leo Wohieb setzte sie als Trumpf ein, seine
Position im Kampf gegen den Südweststaat zu stärken.268
3.5 Vergleich zwischen saarländischer und deutscher Kriegsopferversorgung
Die Besserstellung der saarländischen Kriegsopfer gegenüber ihren Schicksalsgenos-
sen in der Bundesrepublik erklärt sich vor allem aus der völlig gegensätzlichen Struk-
tur der Versorgungsgesetzgebung. Die saarländische Versorgung basierte auf dem
Weimarer Reichsversorgungsgesetz, das durch die Gewährung einer einkommens-
unabhängig, nach dem Grad der MdE gestaffelten Grundrente, den körperlichen
Schaden entschädigen, und die durch den Verlust der Unversehrtheit entstehenden
Mehrkosten im Alltag mildern sollte. Die Zusatzrente (im Saarland Ergänzungsrente
genannt) war eine weitere Unterstützung, die als soziale Komponente einkommens-
abhängig, der Bedürftigkeit entsprechend, gezahlt wurde. Das Verhältnis Grund- zu
Zusatz- bzw. Ergänzungsrente betrug zwei zu eins.
Völlig gegensätzlich war die Regelung durch das Bundesversorgungsgesetz, hier
verhielt sich 1955 das Verhältnis zwischen Grundrente zu Ergänzungsrente (in der
Bundesrepublik nach dem BVG Ausgleichsrente genannt) eins zu zwei und das bedeu-
tete, daß das Bedürftigkeitsprinzip vor dem Entschädigungsprinzip stand.
Die Bedeutung dieser Regelung wird klar, wenn man bedenkt, daß z.B. in den sechzi-
ger Jahren ca. 90 Prozent aller Kriegsopferrentenempfänger in der Bundesrepublik
ausschließlich Anspruch auf Grundrente hatten und lediglich eine Minderheit von 3,2
Prozent Anspruch auf Grundrente und volle Ausgleichsrente. Für die überwältigende
Mehrheit der Kriegsopfer war also die Höhe der Grundrente relevant, und gerade sie
war im Saarland wesentlich höher als in der Bundesrepublik.269
Wie extrem sich dieser strukturelle Unterschied in der Praxis aus wirkte, soll an einigen
Beispielen demonstriert werden. Eine Halbwaise erhielt 1957 im Saarland insgesamt 70
DM Rente aus der Kriegsopferversorgung. Dieser Betrag setzte sich aus 40 DM Grund-
rente und 30 DM Ergänzungsrente zusammen. Dagegen bekam in der Bundesrepublik
eine Halbwaise, wenn sie mehr als 120 DM verdiente, nur Grundrente, die zudem mit
20 DM gegenüber 40 DM im Saarland wesentlich geringer war. Betrug ihr Einkommen
nur 40 DM im Monat, bestand Anspruch auf Grund- und Ausgleichsrente. In diesem
Fall betrug nach deutscher Regelung die Rente 68 DM, im Saarland 70 DM.270
268 H u d e m a n n, Sozialpolitik, S.473.
269
Die Kriegsopferversorgung, hrsg. vom Institut 'Finanzen und Steuern', Brief 81/1966, S.14.
270
BA KO, B 149, Nr.7120, Berechnungsbeispiele zu der Gegenüberstellung nach dem Stande vom
15.7.57.
234
Die Bundesrepublik sah sich angesichts der Massen von Kriegsopfern zu dieser Rege-
lung nicht mehr in der Lage. Folge war, daß der Entschädigungsgedanke zurück-
gedrängt wurde und bei der Bemessung der Rente die Eigenerwerbsmöglichkeiten,
sprich das Einkommen, berücksichtigt wurden. Die Grundrente betonte zwar noch
einen gewissen Entschädigungsanspruch, war aber deutlich geringer als vorher. Die
Ausgleichsrente war nach Einkommensgrenzen gestaffelt. Sie sollte eine soziale
Deklassierung verhindern, wenn die Betroffenen allein nicht für ihren Lebensunterhalt
aufkommen konnten. Psychologisch versprach sich der bundesdeutsche Gesetzgeber
davon aber eine Motivation für die Betroffenen, trotz ihrer Behinderung und Min-
derung der Erwerbsfähigkeit aktiv zu werden und sich um einen Arbeitsplatz zu
bemühen, damit wurde die instrumentale Komponente noch wesentlich stärker akzen-
tuiert.
Die politische Bedeutung und die Qualität der günstigeren Saarregelung wird klar,
wenn man bedenkt, daß im Saarland mit ca. 90.000 Kriegsopfern bei ca. 1 Million
Einwohnern 9,3 Prozent der Bevölkerung Kriegsopferrenten erhielten - deutlich mehr
als in der Bundesrepublik, hier lag die Quote bei 8,8 Prozent.271 Während diese große
Anzahl von Kriegsopfern die Bundesregierung dazu veranlaßte, Versorgungsleistun-
gen nach dem RVG zu streichen oder zu kürzen, hielt das Saarland aber an ihnen fest
und baute sie sogar aus.
Erst durch den wirtschaftlichen Aufschwung und den damit verbundenen größeren
sozialpolitischen Verteilungsspielraum kam es zu spürbaren Leistungserhöhungen in
der bundesdeutschen Kriegsopferversorgung272, die bei der Rückgliederung des Saar-
landes die Diskrepanz zwischen bundesdeutscher und saarländischer Regelung etwas
abschwächten.
Gegenüber der Kriegsopferversorgung in der SBZ/DDR war sowohl die bundesdeut-
sche als auch die saarländische Regelung deutlich günstiger. Die Weichen dafür waren
von der sowjetischen Militäradministration gestellt worden. Nach sowjetischer Vor-
stellung bestand keine Notwendigkeit, Personen, die im "Dienst des Faschismus"
gestanden hatten, sozialpolitisch abzusichern. Die DDR wiederum verstand sich nicht
als Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches und fühlte sich somit nicht für die Kriegs-
opfer des NS-Staates verantwortlich. So waren Kriegsopfer in der SBZ zunächst auf
die Unterstützung der Gemeinden angewiesen, am 21. Juli 1948 folgte dann eine
Verordnung für Kriegsinvaliden und Kriegshinterbliebene. Danach bestand ein Ren-
tenanspruch nur bei einer Erwerbsminderung von 66 2/3 Prozent, wobei hinsichtlich
der Invaliditätsfeststellung nur der Körperschaden und nicht wie sonst üblich, die
271 Statistisches Handbuch für das Saarland, 1952, S.207. Siehe auch Hudemann, Sozialpolitik, S.538.
Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 1950.
235
Fähigkeit, ein bestimmtes Einkommen zu erzielen, berücksichtigt wurde. Anspruch auf
volle Rentenhöhe bestand nur dann, wenn eine bestimmte Einkommensgrenze aus
Rente und anderen Einkünften nicht überschritten wurde.273
Vorteile im Versorgungsniveau
Die saarländischen Kriegsopferrenten lagen über bundesdeutschem Niveau. Die
Besserstellung begann schon in den Richtlinien zur Messung der Minderung der
Erwerbsfähigkeit. Der Verlust beider Unterschenkel konnte im Saarland zu einer MdE
von 70 Prozent führen, im Bundesgebiet waren es lediglich 40 Prozent.274 Im interna-
tionalen Vergleich bildeten die bundesdeutschen Richtlinien zur Minderung der Er-
werbsfähigkeit das Schlußlicht. Grundsätzlich ist in den Ländern, in denen die Zahl der
Kriegsopfer wesentlich niedriger ist, eine großzügigere Regelung zu beobachten.275 Da
der Anteil der Kriegsopferversorgungsberechtigten im Saarland über dem bundesdeut-
schen lag, verdeutlicht dies noch einmal die günstigere Gesetzgebung an der Saar.276
Zum Zeitpunkt des Referendums bestanden zwischen dem saarländischen und dem
bundesdeutschen Leistungsniveau so erhebliche Unterschiede, daß insbesondere für
Leichtbeschädigte mit einer MdE von 30 und 40 Prozent die Renten im Saarland
zwischen 215 bis zu 310 Prozent über den bundesdeutschen lagen, weil im Saarland
die Grundrenten höher waren und auch Leichtbeschädigte Ergänzungsrenten und
Kinderzulagen erhalten konnten.277
Wenn keine Bedürftigkeit und damit kein Anspruch auf Ausgleichs- bzw. Ergänzungs-
rente bestand, bezog ein saarländisches Kriegsopfer, verheiratet bei einer MdE von 50
Prozent, das 2,4 fache der deutschen Versorgungsleistung. Selbst wenn Bedürftigkeit
vorlag, bestand immer noch ein Versorgungsplus von ca. 10 Prozent. Ein Kriegsopfer
mit einer MdE von 100 Prozent, verheiratet mit zwei Kindern und einem Monatsein-
kommen aus nichtselbständiger Arbeit bis maximal 200 DM, erhielt in der Bundesre-
publik 326 DM Rente, die sich aus 140 DM Grundrente und 186 DM Ausgleichsrente
zusammensetzte. Nach der saarländischen Regelung standen ihm 370 DM Rente zu,
160 DM Grundrente, 90 DM Ergänzungsrente, 50 DM Schwerstbeschädigtenzulage,
18 DM Frauenzulage und 52 DM an Zulagen für die beiden Kinder.
Dieses Fallbeispiel zeigt auch die positive Auswirkung familienwirksamer Leistungen
der saarländischen Sozialgesetzgebung auf das Rentenniveau.278 * Hinzu kam, daß die
273
Johannes F r e r i c h und Martin Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland,
Bd.2, Sozialpolitik in der Deutschen Demokratischen Republik, München 1993, S.22-24.
274
Versorgungsamt Saarbrücken (VSB), Landesversorgungsamt, Regierungsmedizinaldirektor Meyer an
Versorgungsämter Saarbrücken, Neunkirchen und Saarlouis, III/ 1-1204-52/62 vom 18.1.62.
275 Hudemann, Sozialpolitik, S.539.
276 Ebd. und Statistisches Handbuch für das Saarland, 1952, S.207. Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr
1950.
277 BA KO, B 149, Nr.7807, Vermerk, BM für Arbeit, Va 17110/54, vom 5.2.55.
278
Ebd., Nr.7120, Berechnungsbeispiele zur Gegenüberstellung nach dem Stand vom 15.7.57.
236
Alterszulage im Saarland ab dem 55. und in der Bundesrepublik erst ab dem 65.
Lebensjahr gezahlt wurde.
1957 erhielt eine Witwe im Saarland, wenn sie unter 45 Jahre alt war und keine Kinder
hatte, 80 DM Grundrente und 48 DM Ergänzungsrente, in der Bundesrepublik konnte
sie lediglich eine Grundrente in Höhe von 70 DM beanspruchen.279 Hier bestätigt sich
die generell günstigere Behandlung der Witwen im Saarland. Der Großteil der betroffe-
nen Kriegerwitwen in der Bundesrepublik, immerhin 600.000 von einer 1 Million,
waren auf Ausgleichsrente angewiesen. Dies zeigt, daß gerade die Kriegerwitwen an
der Armutsgrenze lebten, nicht zuletzt deshalb wurden sie auch zum fünften Stand
gezählt.280
Was die Kapitalabfindung betraf, so war diese im Saarland auch für Leichtbeschädigte,
grundsätzlich ab dem 21. Lebensjahr und gestaffelt nach dem Lebensalter, möglich. In
der Bundesrepublik gab es nur eine Kapitalisierung des zehnfachen Betrages der
Grundrente, im Saarland war die Kapitalisierung allein schon deshalb günstiger, weil
die Grundrente in der Regel doppelt so hoch war wie in der Bundesrepublik.
Ein weiterer Unterschied zwischen der saarländischen und der bundesrepublikanischen
Versorgung bestand darin, daß der Personenkreis, dessen Tätigkeitsfeld in einem
Grenzbereich zwischen militärischer und militärähnlicher Tätigkeit angesiedelt war, in
der saarländischen Versorgungsgesetzgebung stärker berücksichtigt wurde als im
bundesdeutschen Recht.
Dies liegt daran, daß bei der Vereinheitlichung der Versorgungsgesetzgebung im
Saarland 1948 bestimmte Personenkreise, die ausdrücklich durch das WFVG Ver-
sorgungsansprüche ableiten konnten, berücksichtigt wurden. So konnten Angehörige
der SA-Standarte "Feldherrnhalle" Versorgungsansprüche geltend machen, ebenso
Angehörige, der zur Verteidigung der Freien Stadt Danzig eingesetzten Verbände und
der im Kampf gegen Polen eingesetzten K. und S. Organisationen sowie ehemalige
Angehörige des sudetendeutschen Freikorps, außerdem auch ehemalige Angehörige
der SS-Verfügungstruppen und der bewaffneten Einheiten der SS. Ihre Versorgung
war durch Paragraph 201 des WFVG geregelt worden, ohne Rücksicht darauf, ob die
Dienstbeschädigung vor oder nach Kriegsausbruch eingetreten war. Das BVG berück-
sichtigte im übrigen auch keine vor Kriegsausbruch erlittene Schädigung.281
280
Christoph Klessmann und Georg Wagner (Hrsg.), Das gespaltene Land. Leben in Deutschland
1945-1990, München 1993, S.207.
281 VSB, Ministerium für Arbeit und Sozialwesen, B/5 49 16/1, Tgb.- Nr. 3658/61 vom 29.5.61 an das
Landesversorgungsamt Saarland, und AZ B/5 49 16/ 1 II, Tgb.- Nr. 5444/61 vom 20.8.61. Die
saarländische Versorgungsgesetzgebung berücksichtigte auch ehemalige Angehörige der Ordnungspolizei
237
Bis 1955 beschäftigten sich die bundesdeutschen Ministerien noch nicht mit den
günstigeren saarländischen Sozialgesetzen. Erst durch entsprechende Presseartikel wie
in der Gewerkschaftszeitung "Welt der Arbeit" vom 12. November 1954 sah sich das
Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen veranlaßt, beim Bundesarbeitsministeri-
um um Prüfung der Sachlage nachzuffagen. Dort kannte man sich mit den saarlän-
dischen Regelungen nicht so aus, daß man dem gesamtdeutschen Ministerium direkt
antworten konnte. Der zuständige Bearbeiter im Bundesarbeitsministerium Perkhuhn
wandte sich deshalb an den Leiter des Versorgungsamtes Trier Dörrhöfer, der seiner-
seits wiederum über Kontakte zum Versorgungsamt im saarländischen Neunkirchen
die notwendigen Unterlagen und Informationen beschaffte, und sich danach bei Perk-
huhn in militaristischer Diktion als "westlicher Versorgungsfrontabschnittsführer"
zurückmeldete.282
Durch das persönliche Engagement Richard Kirns erhielten im Saarland auch Rand-
gruppen Hilfe, wie die Hinterbliebenen von ehemaligen Angehörigen der deutschen
Wehrmacht, die wegen militärischer Verbrechen z.B. wegen Desertion und anderer
auch dem Widerstandsbereich zuzuordnender Handlungen zum Tode verurteilt und
hingerichtet worden waren, sowie Hinterbliebene von Soldaten, die Selbstmord began-
gen hatten. Es handelte sich dabei um einen kleinen Kreis von 35 Personen. Vom
Gesetz her hatten sie aber keinen Anspruch auf Kriegsopferversorgung und waren
auch, wie Gerhard Paul anschaulich an Einzelschicksalen demonstriert, von der Wie-
dergutmachung ausgeschlossen.283 Diese Maßnahme erfolgte jedoch im Stillen durch
einen Ministererlaß. Man scheute wohl die geringe gesellschaftliche Reputation dieser
Personengruppe und verzichtete deshalb auf eine gesetzliche Regelung. Das Desertie-
ren wurde von der Öffentlichkeit als "verabscheuungswürdiges Verbrechen" stigmati-
siert. Die Betroffenen litten unter sozialer Ächtung. Söhne schämten sich ihrer Väter.284
Durch Erlaß vom 4. August 1949 sorgte der sozialdemokratische Arbeitsminister Kim
dafür, daß die in Frage kommenden Personen ohne Anerkennung eines Rechtsan-
spruchs, Versorgungsleistungen ab 1. Juni 1949 erhalten sollten. Um einen Rechts-
anspruch durchzusetzen, wäre es nötig gewesen, da der Härteparagraph 112 des RVG
nicht angewandt werden konnte, den Paragraph 2 des RVG zu ändern, was Kirn für
gegeben hielt, da er nach seiner Einschätzung auf die Verhältnisse des Ersten Welt-
in der Marineküstenpolizei, ehemalige Angehörige des Transportcorps Speer, ehemalige HJ-Angehörige,
die der Jugenddienstpflicht unterlagen.
282 BA KO, B 149, Nr.7807, Vermerk Va 1-7110/54.
283
Gerhard Paul, Ungehorsame Soldaten. Dissens, Verweigerung und Widerstand deutscher Soldaten
(1939-1945), St. Ingbert 1994, S.120-131. Ders., Ungehorsame Soldaten, Dissens, Verweigerung und
Widerstand saarländischer Soldaten im Zweiten Weltkrieg, in: Wolfgang Haubrichs, Wolfgang Läufer,
Reinhard Schneider, Zwischen Saar und Mosel. Festschrift für Hans-Walther Herrmann zum 65.
Geburtstag, Saarbrücken 1995, S, 437-445.
284 Ebd., S.124,130-132.
238
krieges zugeschnitten worden war. Für diese Forderung erhielt er jedoch innerhalb des
Ministerrates keine Zustimmung. 1954 wurde die Forderung Kirns durch seinen
Nachfolger Johann Klein (CVP) wieder aufgegriffen, aber auch ihm gelang es nicht,
einen Rechtsanspruch für diese Gruppe durchzusetzen.285 Die Diskriminierung dieses
Personenkreises zieht sich bis in die neunziger Jahre.286
Günstige Praxis der Versorgungsämter
Gesetze leben nun aber auch von der praktischen Handhabung. Die Analye einer
Vielzahl von Einzelfällen wäre notwendig und wünschenswert. Sie ist aber nicht nur
extrem aufwendig, sondern scheitert letztlich für den Historiker am Datenschutz.
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Frage nach der Minderung der
Erwerbsfähigkeit, die durch den Amtsarzt im Versorgungsamt festgestellt wird. Hier
besteht ein Ermessensspielraum, der von großer Bedeutung für die Rentenhöhe ist.
Es gibt Hinweise darauf, daß die Versorgungsämter kriegsopferfreundlich entschieden,
auch wenn die Kriegsopfervereinigung sie regelmäßig massiv kritisierte. So wurden die
Ruhensbestimmungen von den Versorgungsämtern zugunsten der Betroffenen nicht
vorschriftsmäßig angewandt. Die Generalfinanzkontrolle rügte bereits 1949 das Ar-
beitsministerium, aber erst am 25. Oktober 1952 nahm das Ministerium dazu Stellung.
An der teilweise großzügigen Handhabung dürfte sich bis 1955 nichts geändert haben,
denn auch im Prüfungsbericht für 1954 wurde insbesondere für das Versorgungsamt
Saarbrücken die Kritik erneuert, durch dessen Praxis entstünde "eine nicht gerecht-
fertigte Besserstellung einzelner Versorgungsberechtigter". Zum anderen wurde von
der Generalfinanzkontrolle bemängelt, daß die Versorgungsämter in zu geringem
Umfang die Bestimmungen des Paragraphen 57 RVG nutzten, durch Nachuntersu-
chungen bei Besserung des Leidens die MdE und damit die Rente zu kürzen. Für den
Zeitraum von 1945 bis zum 31. Dezember 1955 hätten 13.452 Nachuntersuchungen
durchgeführt werden müssen, tatsächlich sei dies nur in 4.977 Fällen erfolgt, und so
rechnete die Generalfinanzkontrolle hoch, daß sich bis zum 1. Dezember 1956 ein
Rückstand von 7.974 Nachuntersuchungen ergeben werde.287 * Wie ein roter Faden zieht
sich diese Kritik durch die Berichte der Generalfinanzkontrolle. Dies kann für die
Betroffenen als vorteilhafte Verwaltungspraxis interpretiert werden, da die Untersu-
chungen zur Erhöhung der MdE bei Verschlimmerung des Leidens Vorrang hatten.
Begünstigt wurde diese Praxis durch den Mangel an Amtsärzten. Wenn man bedenkt,
285 LA SB, StK/KR/MAW/1949/T-2, Erlaß des Ministers für Arbeit und Wohlfahrt, Richard Kirn, Abt. C7-
3401/49, vom 4.8.49, Präsidialkanzlei an Minister für Arbeit und Wohlfahrt vom 16.6.49 sowie 1954/Teil
2, Vermerk Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt vom 6.10.54, Präsidialkanzlei an Minister Klein vom
22.11.54, Minister Klein an Präsidialkanzlei vom 27.12.54.
286 P a u 1, Ungehorsame Soldaten, S.130.
287 LA SB, MifAS, Bd.31, Berichte und Denkschriften der Generalfinanzkontrolle für das Jahr 1951, S.136;
für 1954, S.47; für 1955, S.53.
239
daß 90.000 Personen Versorgungsbezüge erhielten und nur 12 Amtsärzte in den
Versorgungsämtem Saarbrücken, Neunkirchen und Saarlouis tätig waren, so zeigt dies
die Problematik. Der vom Ministerium durchgeführte Versuch, niedergelassene Ärzte
mit dieser Aufgabe zu betrauen, erwies sich als wenig praktikabel, da sie sich im
Versorgungsrecht nicht auskannten.288 Die Kritik der Kriegsopfervereinigung ist wohl
vor dem Hintergrund des Personalnotstandes in der saarländischen Versorgungsver-
waltung zu erklären. Auch die Versorgungsämter der französischen Zone verfügten
über eine nicht gerade üppige Personaldecke, der Bundesrepublik hinkte das Saarland
aber deutlich hinterher. 1953 kamen im Saarland 297 Beamte auf 90.542 Versorgungs-
berechtigte. So kritisierte auch ein Oberregierungsrat im Arbeitsministerium, daß nach
Anwendung des entsprechenden deutschen Personalschlüssels 402 Mitarbeiter vorhan-
den sein müßten bzw. von den 297 Beamten 23.717 Personen zuviel betreut würden.289
Orthopädiehandwerk von Deutschland abgeschnitten
Dennoch gab es gerade wegen der Wirtschaftsunion mit Frankreich auch Nachteile,
wie ein Blick auf die orthopädische Versorgung deutlich macht. Nach Kriegsende
waren nur noch zwei Orthopädiehandwerksbetriebe in Saarbrücken aktiv. Dieser
Engpaß konnte aber überwunden werden, gab es doch Ende 1946 schon 10 Betriebe.
Das Problem bestand darin, daß die saarländischen Orthopädiehandwerker auf Material
angewiesen waren, das sie nur aus der Bundesrepublik bzw. den deutschen Ländern
bekommen konnten. Es handelte sich dabei überwiegend um Gelenk-, Holz- und
Lederteile sowie Federn für Prothesen. Durch die Abgrenzung des Saarlandes von den
Westzonen traten Beschaffungsschwierigkeiten auf, die nicht durch Zugriff auf den
französischen Markt ausgeglichen werden konnten, da es dort kein vergleichbar
entwickeltes Orthopädiehandwerk gab. In gewissem Umfang konnten saarländische
Orthopädiehandwerker auf ein Unternehmen in Strasbourg zurückgreifen, das Paßteile
herstellte, so daß sich die Situation Mitte 1948 etwas verbesserte. Es war aber ange-
sichts der Wirtschaftsunion und der komplizierten und stark bürokratisierten Zoll-
gesetze sehr schwierig, die modernen Habermannprothesen aus München und Frank-
furt zu bekommen. Auch noch 1953 mahnte die Kriegsopfervereinigung die Versor-
gung mit Orthopädiematerialien an.290 In einem sehr diplomatisch gehaltenen Schreiben
Richard Kirns an Grandval vom 22. Januar 1954 bat er den Chef der französischen
diplomatischen Vertretung im Saarland, die Einfuhr von Orthopädieteilen zu erleich-
tern. Kim erklärte zunächst, daß ein Personenkreis von 4.500 Bein- und Armamputier-
ten betroffen sei. Diese Personen hätten ihre Prothese 1947 aus dem deutschen Wirt-
schaftsgebiet erhalten. "In der Verwendung von Halbfertigfabrikaten unterscheidet sich
die deutsche Orthopädie sehr wesentlich von der französischen, vor allem werden die
289 LA SB, StK/KR/MAW/1953/T-2, Dr. Klaes an Kirn vom 23.2.53.
290 Tätigkeitsbericht der VdKdS, S.37 f.
240
Kunstbeine mit anderen Systemen im Kniegelenk und Fuß ausgestattet." Sämtliche
Paß teile seien genormt und "also nur von ihren ursprünglichen Herstellern zu bezie-
hen". Für Oberschenkel amputierte gebe es darüberhinaus die Saugrohrprothese, eine
Methode, die man bisher in Frankreich nur wenig angewandt habe. "Eine Umstellung
der im Saarland gebauten orthopädischen Hilfsmittel auf die Art der französischen
Prothesen ist bei der großen Anzahl der erforderlichen Hilfsmittel nicht möglich (...).
Die bisherigen Bemühungen, diese Teile einzuführen, waren nicht immer erfolgreich,
vor allem konnten im letzten halben Jahr eine ganze Anzahl von Prothesen nicht
hergestellt werden, weil es an den erforderlichen Paßteilen fehlte."291
Minderheiten leiden unter der Sondersituation
Ebenfalls ungünstig war die Situation für Kriegsverletzte mit einem seltenen Krank-
heitsbild. Unter den 90.000 Versorgungsempfängern befanden sich ca. 1.000 Hirnver-
letzte.292 Sie machten aus ihrer Unzufriedenheit keinen Hehl. Auf einer Versammlung
der Himverletztengruppe innerhalb der VdKdS wie auch in ihrem Verbandsorgan hieß
es klipp und klar:"Die Hirnverletztenbetreuung z.B. in der deutschen Bundesrepublik
ist heute schon eine bessere als bei uns".293
Psychologisch hatten es die Hirnverletzten im Alltag schon deshalb schwerer, weil ihr
Leiden nicht sichtbar war. Sprachstörungen, Lähmungen und traumatische Epilepsie
waren zwar noch für die Mitmenschen erkennbar, nicht aber massiver Kopfschmerz,
insbesondere bei Witterungsumschwung, Reizbarkeit und Depressionen. Wenn Hirn-
verletzte mit diesen "unsichtbaren" Krankheitsbildern am Arbeitsplatz ausfielen oder
um Schonung baten, wurde ihnen oft mit Unverständnis begegnet und Drückebergerei
vorgeworfen.294 Zunächst bestand im Saarland für die schweren Fälle auch keine
medizinische Infrastruktur. Die Amtsärzte der Versorgungsämter waren keine Speziali-
sten für Hirnverletzungen. Hier bestand bei den Betroffenen großer Unmut, denn dies
wirkte sich nach ihrem Empfinden ungünstig für die Feststellung ihrer MdE aus. Nach
ihrem Willen sollten Untersuchung und Nachuntersuchung nur von besonders fach-
kundigen Neurologen durchgeführt werden dürfen.295
Für die Hirnverletzten im Saarland ergab sich hier eine Situation, die wohl hinsichtlich
der Rechtslage ungünstiger war als im "Dritten Reich". Durch einen OKW-Erlaß vom
21. Juni 1943296 sollte schon bei geringen Funktionsstörungen eine MdE von 50
LA SB, MifAS, Bd.285, Minister Kirn an Grandval,Tbg.-Nr.284/54, 22.1.54.
292 SKV, Nr. 57, Dez. 1953, S.l f.
293 Dies., Nr.20, Okt.1950, S.5.
294 Ebd.
295 Dies., Nr.27, Mai 1951, S.5.
296 Erlaß Nr. 876, in: Reichs versorgungsblatt Nr.49, S.22.
241
Prozent bzw. Versehrtenstufe II anerkannt werden.297 Nach dem Krieg wurde diese
Bestimmung aufgehoben. Im Saarland setzte erst 1952 ein Urteil des Landesversor-
gungsgerichtes diese Bestimmung wieder in Kraft und Himverletzten mit geringen
Störungen konnte eine MdE von 50 Prozent zugebilligt werden.298 Wenn sie nicht
anerkannt wurde, so war es auch für die Betroffenen unmöglich, eine Pflegezulage zu
erhalten. Dies empfanden die saarländischen Himverletzten als ungerecht, da diese
Forderung im Bundesversorgungsgesetz erfüllt worden war.299 Eines der Hauptanlie-
gen der Himverletzten war die Errichtung einer neurochirurgisehen Abteilung an der
Uniklinik Homburg. Spezielle Himverletztenheime gab es im Saarland nicht, die
Betroffenen waren hier auf deutsche Einrichtungen in Bad Homburg vor der Höhe
angewiesen.300
Da die Bundesrepublik wesentlich größer war und auf traditionsreiche Universitäten
mit medizinischer Fakultät aufbauen konnte, eröffneten sich dort für die Kriegsopfer
ganz andere Möglichkeiten. Das Land Nordrhein-Westfalen errichtete im Oktober
1952 ein Himverletzteninstitut, das von Prof. Pause geleitet wurde. Es trat an die Stelle
des früheren Poppelreuterschen Insütuts und verfügte über elektrodiagnosüsche und
elektrotherapeutische Einrichtungen.301
Ebenfalls ungünstig wirkte sich die Sondersituation des Saarlandes für die kleine
Gruppe der 135 Kriegsblinden aus. Es gab im Saarland kein dem Solitude in Stuttgart
entsprechendes Schulungszentrum für Blinde.302 Eine gewisse Verbesserung brachte
aber die im Juli 1947 von der Verwaltungskommission beschlossene Errichtung einer
Anstalt für Taubstumme und Blinde in Lebach. Die Lehrkräfte mußten übrigens
außerhalb des Saarlandes angeworben werden.303
Die Integration der Betroffenen in den Arbeitsprozeß wurde über die Kriegsblinden-
Handwerksgenossenschaft GmbH vorangetrieben sowie über eine Telephonisten- und
Stenotypistenschulung. Manche Kriegsblinde scheinen insbesondere im Landtag eine
entsprechende Anstellung gefunden zu haben. Dafür dürfte wohl der Ministerialdirek-
tor Blum im Arbeitsministerium verantwortlich gewesen sein, der selbst erblindet
war.304 Die Kriegsblinden-Handwerksgenossenschaft, am 1. April 1948 gegründet,
297 H u d e m a n n, Sozialpolitik, S.435-437.
298 SKV, Nr.48, März 1953, S.3.
299 Dies,, Nr.23., Januar 1951, S.2f.
300 Dies., Nr.20, Oktober 1950, S.2.
301 Der Kamerad, Nr.2/1953, S.2. Siehe Hudemann, Sozialpolitik, S.435.
302 SKV, Nr.l, März 1949, S.6.
303 LA SB, StK, Nr.2978, "Die Staatlichen Schulen für Gehörlose und Blinde in Lebach Saar" (Drucksache)
1951.
304 SKV, Nr. 17, Juli 1950, S.4.
242
wurde mit Hilfe eines zinslosen Darlehens in Höhe von 600.000 FRS von der Saar-
regierung unterstützt. Sie bezog ihre Rohstoffe wie Bürstenhölzer etc. aus Frankreich.
Voraussetzung für die Aufnahme in die Genossenschaft war, daß der Betroffene ein
Handwerk erlernt hatte. Zu einer Massenfertigung kam es allerdings nicht.305 Die
Herstellung der Bürsten erfolgte in der Wohnung der Erblindeten, was für eine gesell-
schaftliche Integration eher hinderlich war.306
Trotz dieser Bemühungen waren Kriegs- und Zivilblinde in hohem Maße von Arbeits-
losigkeit betroffen - an sich kein Thema im Saarland der Hoffmann-Zeit - so sollen
1950 54 Prozent der saarländischen Kriegsblinden ohne Arbeit gewesen sein.307
Kriegsblinde waren zudem wie alle Blinden auf spezielle Blindengeräte wie z.B.
Blindenschreibmaschinen angewiesen, auch in diesem Punkt scheint es durch die
Wirtschaftsunion mit Frankreich wegen Zollschwierigkeiten Nachteile für die Betroffe-
nen gegeben zu haben.308
4. Aspekte der Wiedergutmachung im Saarland
Die saarländische Wiedergutmachungsgesetzgebung wurde in der Forschung bisher
eher positiv gewürdigt, wobei dieser Befund insbesondere auf die Arbeit von Ernst
Feaux de la Croix309 zurückgeht und sich auch in neueren Untersuchungen findet*.10
Einen Gegensatz dazu setzt Gerhard Paul, der vom "Trauerspiel der Wiedergutma-
chung" spricht.311
Zweifel an einer positiven Würdigung scheinen in der Tat angebracht, denn der Um-
stand, daß das Saarland als erstes Land des ehemaligen Deutschen Reiches ein Ent-
schädigungsgesetz gehabt hatte, sollte nicht dazu verleiten, der saarländischen Wieder-
gutmachungspolitik generell eine gerade im Vergleich zur Bundesrepublik außerge-
wöhnliche Qualität zuzusprechen. Der einzige Beitrag, der speziell auf die Wieder-
gutmachung im Saarland eingeht, liegt von Yvonne Kempf vor.312 Die Autorin berück-
sichtigt aber nicht, daß die Wiedergutmachung im Saarland in einem völlig anderen
Kontext als in der Bundesrepublik stand und übersieht die gerade für die saarländische
305 Ebd., Nr.2, April 1949, S.6.
306 Ebd., Nr. 15, Mai 1950, S.2.
307
Der Kriegsblinde, Organ des Bundes der Kriegsblinden Deutschlands, Nr. 12, August 1950.
30g
Interview mit Friedrich Diener im Dezember 1992.
309 Emst Féaux de la Croix und Helmut Rumpf, Der Werdegang des Entschädigungsrechts unter
national- und völkerrechtlichem Aspekt, München 1985, S.30.
Constantin G o s c h 1 e r, Wiedergutmachung. Westdeutschland und die Verfolgten des Nationalsozia-
lismus (1945-1954), München 1992, S.186.
311 Paul, Ungehorsame Soldaten, S.120.
312
Yvonne Kempf, Die Wiedergutmachung im Saarland, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschich-
te (JbWestLG) 17/1991, S.247-262.
243
Wiedergutmachung wichtigen innenpolitischen Aspekte, insbesondere die Emigranten-
problematik und die politischen Gegensätze zwischen SPS und CVP in Wiedergutma-
chungsfragen. Im folgenden soll kein geschlossener Überblick der saarländischen
Wiedergutmachung geleistet werden. Die besonderen politischen Umstände der saar-
ländischen Wiedergutmachungspolitik und die psychologischen Aspekte sollen im
Mittelpunkt stehen.
4.1 Psychologische Voraussetzungen zur Wiedergutmachung
Wiedergutmachung ist an psychologische Voraussetzungen gebunden. Der Versuch,
einen Schaden wiedergutzumachen, setzt ein Schuldbewußtsein voraus. Dieses Be-
wußtsein als Ergebnis eines inneren Prozesses, entstanden aus persönlicher Reflexion
oder gesellschaftlicher Diskussion, bildet den Antrieb für das Bedürfnis, Schuld zu
sühnen und ein Wiedergutmachen zu versuchen. Dieser Zusammenhang wurde von
Carlo Schmid, einem der bedeutendsten Sozialdemokraten der frühen Nachkriegszeit,
im Deutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht. An ihm orientierte sich der Abge-
ordnete Gustav Levy, als er im Plenum des Saarländischen Landtages betonte:" (...), die
Wiedergutmachungsgesetzgebung muß von dem Geist erfüllt sein, den Carlo Schmid
von hoher ethischer Warte aus gepredigt hat. Sie muß erfüllt sein von dem Bewußtsein,
daß etwas gutzumachen ist, daß das deutsche Volk, das saarländische Volk Schuld
abzutragen hat (...)".313
Gab es ein solches Schuldbewußtsein in der frühen Nachkriegsgesellschaft? Kann der
Historiker überhaupt Schuldbewußtsein messen? Die sich nach dem Zweiten Weltkrieg
in Europa entwickelnde Demoskopie kann dazu als Quelle herangezogen werden.
Das Thema Wiedergutmachung erwies sich, wie Michael Wolfsohn nachweist, in der
Bundesrepublik als ausgesprochen unpopulär. Bei Meinungsumfragen zu Beginn der
fünfziger Jahre lehnten 44 Prozent der Befragten Wiedergutmachungsleistungen an
Israel ab, wobei eine Differenzierung nach Alter, Bildung und Parteisympathie Unter-
schiede erkennen läßt. Ältere Bundesbürger mit höherer Schulbildung aus großstädti-
schem Milieu und Bindung an die Union sprachen sich in höherem Maße als andere
Gruppen für Wiedergutmachung aus.314 Auch wenn keine Vergleichszahlen für das
LTS DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7.51, S.696-699. Zu Carlo Schmid, siehe:
Wolf-Rüdiger B au m a n n u.a. (Hrsg.), Biographien zur Zeitgeschichte 1945-1983, Frankfurt a.M. 1983,
Sp. 430 f., Prof. Carlo Schmid (1896-1979), SPD (MdB 1949-1972), Vorsitzender der SPD-Fraktion im
Parlamentarischen Rat, Vorsitz, der SPD-Bundestagsfraktion von 1948/49, Vizepräsident des Dt.
Bundestages von 1949-1966 und 1969-1972, u. a. auch Professor für Völkerrecht an der Universität
Tübingen und für politische Wissenschaft in Frankfurt von 1953 bis 1968.
314
Michael Wolffsohn, Das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel: Eine Untersuchung
bundesdeutscher und ausländischer Umfragen, in: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland 1945-1955,
München 1986, S.206-208.
244
Saarland entdeckt werden konnten, so deutet die Untersuchung der Wiedergutma-
chungsdiskussion und Gesetzgebung im Saarland darauf hin, daß die Einstellung zur
Wiedergutmachung sich nicht wesentlich von der in der Bundesrepublik unterschieden
hat.
4.2 Entwicklung der Wiedergutmachung im Saarland
Sofortmaßnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg
Bereits sehr früh bemühte sich die französische Militärregierung im Saarland darum,
die Lebensbedingungen der Opfer des Nationalsozialismus durch Soforthilfen zu
verbessern. Frühzeitig wurde über Wiedergutmachungsleistungen für durch Inhaftie-
rung in Gefängnissen und Konzentrationslagern zugefügte Schäden nachgedacht.
Soforthilfemaßnahmen standen auch in der französischen Zone am Anfang.315 In dieser
ersten Phase bis zum Wiedergutmachungsgesetz vom 31. Juli 1948 sahen es die
Verantwortlichen vielmehr als moralische Pflicht an, den Opfern des Nationalsozialis-
mus zu helfen. Gesetze konnten noch nicht erlassen werden, denn es ging hier um eine
Dimension der Wiedergutmachung, die man erst allmählich überschauen konnte, für
die es keine bestehenden Gesetze und Verordnungen gab, und die allein juristisch nicht
von heute auf morgen zu bewältigen war. Dies veranschaulicht die Singularität na-
tionalsozialistischer Geschichte. In dieser Situation erschien die Soforthilfe, orientiert
an der Bedürftigkeit, als Gebot der Stunde und das Bedürftigkeitsprinzip als Maßstab
zur Hilfe am geeignetesten.
Wer die für die Opfer des Nationalsozialismus vorgesehenen Unterstützungen in
Anspruch nehmen wollte, mußte nachweisen, daß er durch das NS-System Schaden
erütten hatte. Zunächst wurde hier von Seiten des Regierungspräsidiums improvisiert,
indem die Betroffenen beim Bürgermeister ihrer Wohnortgemeinde Beweismittel
vorlegen mußten. Ausschlaggebend für diese Regelung war die Überlegung, daß vor
Ort über den Betroffenen am meisten bekannt und die Prüfung somit dort am einfach-
sten und sinnvollsten war. Diese Regelung wirkte sich in der Praxis für die Betroffenen
eher nachteilig aus.316 Später wurde in das Anerkennungsverfahren auch die bereits
bestehende, aber noch nicht zugelassene "Vereinigung ehemaliger politischer Häftlinge
und Emigranten" integriert.317
Der Wille zu helfen äußerte sich in Plänen des Regierungspräsidiums vom 6. Septem-
ber 1945, wonach Exilanten und politisch Inhaftierten mit einem Betrag von 400 bis
500 RM geholfen werden sollte, ebenso sollte ihnen ein zinsloses Darlehen zur Exi-
315 Rainer Hu de mann, Anfänge der Wiedergutmachung. Französische Besatzungszone 1945-1950, in:
Geschichte und Gesellschaft (GG) 13/1987, S.184.
316 P a u 1, Ungehorsame Soldaten, S.123.
317 LA SB, Regierungspräsidium (RP), Nr 119, B1.42, Niederschrift der Sitzung vom 7.12.45, ORR Dr.
Högel, Dr. Kärnbach und Ratering.
245
Stenzgründung, gewährt aus Mitteln des Regierungspräsidiums, den Wiedereinstieg in
die Gesellschaft erleichtern.318
Die Einsicht, die Betroffenen unterstützen zu müssen, zeigte sich auch in dem Bemü-
hen des Regierungspräsidiums, ein Gebäude zu finden, das als Sanatorium für Opfer
des Nationalsozialismus dienen könnte.319 Die Bemühungen waren jedoch ergebnislos.
In der ersten Phase bis zum Gesetz vom 31. Juli 1948 fand Wiedergutmachung noch
mehr oder weniger improvisiert statt. Dies gilt für das Saarland wie für die französische
Besatzungszone. Wiedergutmachung begann zunächst bei den politisch Verfolgten,
rassisch und religiös Verfolgte spielten anfangs eher eine Nebenrolle. Zurückzuführen
war dies darauf, daß die politisch Verfolgten mehrheitlich nach 1945 als Vertreter ihrer
Interessen zuerst auftraten und auch politische Funktionen dazu benutzen konnten.
Hier wäre generell zu prüfen, ob die Hypothese zutrifft, daß die politisch Verfolgten
letztlich ihr Schicksal psychisch besser tragen konnten als die Gruppe der rassisch und
religiös Verfolgten, und daß ihnen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und die
Wahrnehmung ihrer Interessen schneller gelang als anderen Gruppen. In dieser Phase
verliefen viele Maßnahmen unkoordiniert, die beabsichtigten Verbesserungen der
Lebenssituation für die Opfer des Nationalsozialismus stellte sich nur sehr bedingt ein.
Das lag beispielsweise daran, daß Betroffene, die finanzielle Hilfe erhalten hatten, auf
dem Markt keine Waren für ihr Geld bekamen.320 Ebenso hatten die von den Wirt-
schaftsämtern des Stadt- und Landkreises Saarbrücken ausgegebenen Bezugsscheine
lediglich Papierwert, es gab keine Kleider und Wäsche dafür. Bei der Verteilung von
Spinnstoffen war den Betroffenen ein Vorzugsrecht eingeräumt worden, ebenso
erhielten sie doppelte Lebensmittelrationen bzw. Rationen für Schwerarbeiter. Auch
hier waren Engpässe zu beklagen, zumindest scheint zunächst nur in Saarbrücken diese
Regelung gegriffen zu haben. Nach dem Willen der Militärregierung erhielten Opfer
des Nationalsozialismus Schuhe, eine Mangelware nach 1945, und angesichts der
Trümmerlandschaft und der Verkehrssituation ein wertvoller Gebrauchsgegenstand.
Entsprechende Anträge mußten bei den Landratsämtern gestellt werden.
Hier deutet sich ein grundsätzliches Problem der Wiedergutmachung an, das Span-
nungsverhältnis zwischen Wiedergutmachung und Bürokratie. Wer sich schwer
artikulieren konnte und im Umgang mit Verwaltung nicht versiert war, befand sich im
Nachteil; für einen Akademiker war es einfacher als für einen Arbeiter, seine An-
sprüche geltend zu machen.321
310 Ebd.
319
Ebd., Bl.31, Aktennotiz betrifft Sanatorium für Opfer des Faschismus vom 14.2.46 mit Nachtrag vom
15.2.46; B1.33, Bericht zum Schreiben des Regierungspräsidiums Generalsekretariat Nr.477/46; Bl. 39,
RP/Abt. Arbeit an Regierungspräsident vom 31.1.46 betr. Sanatorium für die 'Opfer des Faschismus*.
320 Ebd., B1.50.
321 Ebd.
246
Die Militärregierung legte ausdrücklich fest, daß die Vereinigung der Opfer des Fa-
schismus nicht in die Antragsprüfung einzubinden sei. Mit dieser Maßnahme versuchte
sie, der sich andeutenden Diversifikaüon zwischen den Opfern in politisch, rassisch
und religiös Verfolgte entgegenzuwirken. Die spätere Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes (VVN) stand nämlich zu diesem Zeitpunkt schon im Ruf, von Kommu-
nisten beherrscht zu sein, und die Militärregierung versuchte so einer Bevorzugung
entgegenzuwirken.322 Für die erste Wiedergutmachungsphase ist festzustellen, daß trotz
Improvisation bereits sehr früh erste Maßnahmen eingeleitet wurden, z. B. durch die
Verfolgung entstandene Nachteile in der Sozialversicherung auszugleichen. Ausfall-
zeiten wurden angerechnet, wenn durch die Umstände des Exils oder der Inhaftierung
Invalidität eingetreten war, galt die Wartezeit zur Gewährung einer Rente als erfüllt.323
Die Militärregierung hielt es zudem für notwendig, eine Meldepflicht für Schäden, die
den Opfern des Nationalsozialismus entstanden waren, einzuführen.Von der französi-
schen Militärregierung im Saarland scheinen entscheidende Impulse ausgegangen zu
sein, neben der an der Bedürftigkeit ausgerichteten Soforthilfe schnell zu einer gesetz-
lich verankerten Entschädigung für die Betroffenen zu kommen, und damit auch die
eher noch unkoordiniert ablaufenden Maßnahmen zu systematisieren. So verlangte die
Direküon Verwaltungsangelegenheiten der Militärregierung vom Regierungspräsidium
Monatsberichte über Wiedergutmachung und Schadenersatz, in einem Schreiben an
Neureuter mahnte Grandval die Vorlage dieser Berichte an.
Vor allem die Rückerstattung des geraubten Vermögens war der Militärregierung ein
wichtiges Anliegen, das sie acht Monate später im Dezember 1946 den Verantwortli-
chen auf saarländischer Seite erneut ans Herz legte:"Diese Frage der Rückerstattung
der durch die Nazis geraubten Vermögen ist von großer Wichtigkeit. Sie muß daher
mit aller Sorgfalt und mit Beschleunigung geprüft werden, damit in dieser Sache eine
endgültige rasche Lösung stattfindet.324 Bereits im Dezember 1945 hatte die Militär-
regierung für die Durchführung entsprechender Regelungen eine wichtige Vorausset-
zung geschaffen. Durch die Verfügung Nr.24 vom 8. Dezember 1945 des Administra-
teur Général über die Anmeldung von Ausplünderungsmaßnahmen gegen Personen,
auch Deutsche, wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Weltanschauung
wurden die Betroffenen aufgefordert, entsprechende Ansprüche beim Bürgermeister
Ebd., Nr.13, B1.624, Militärregierung, Bezirksdirektion Wirtschaft und Forsten vom 22.7.46 an RP;
ebd., VWK, Nr.54, Militärregierung, Dir. Saar, Wirt, und Finanz., Dienstanweisung der Abtl. Ernährung,
Henri Petey, an VWK vom 18.12.46. Siehe: RP, Nr.119, B1.45.
323
Verordnung über die Sozialversicherung ausgewanderter und inhaftierter Personen vom 12. 9.45, in:
Abi, 1945, S.12, sowie Ergänzungsverordnung vom 6.2.46, in: Abi. 1946, S.65.
324
LA SB, RP, Nr.12, B1.211, Schreiben der Militärregierung, Direktion Verwaltungsangelegenheiten
Nr.l598/DAA/Cab.vom 20.2.1946. Ebd., VWK, Nr.54, Hohes Komm, an VWK, Nr.9497/DAA IV vom
2.12.46.
247
ihrer Gemeinde oder beim Bürgermeister des Ortes, an dem sich die Vermögensobjekte
befanden, geltend zu machen.325
Yvonne Kempf sieht in den vor dem Hintergrund des Kalten Krieges erfolglosen
Wiedergutmachungsberatungen auf Kontrollratsebene die entscheidende Ursache für
den langwierigen Prozeß bis zum Wiedergutmachungsgesetz von 1948.326 Dieser
Befund erscheint zweifelhaft, weil die saarländische Gesetzgebung spätestens nach
Bildung der Wirtschaftsunion nicht mehr an die Kontrollratsebene gebunden war, man
denke hier z.B. an die saarländische Kriegsopferorganisation, die nicht dem vom
Alliierten Kontrollrat geforderten Mischverbandsprinzip entsprach oder an die Zulas-
sung christlicher Gewerkschaften, die dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft wider-
sprach.
Vielmehr scheinen aus der Aktenlage zwei Aspekte erkennbar, die französische Mi-
litärregierung förderte die gesetzliche Verankerung der Wiedergutmachung. Die
Sondersituation des Saarlandes ermöglichte diesen Prozeß, weil die französische
Militärregierung im Saarland nicht so an die Kontrollratsebene gebunden war.
Die Rolle der Militärregierung
Durch den Druck der französischen Besatzungsmacht scheint die Wiedergutmachungs-
frage insgesamt an Dynamik gewonnen zu haben, denn am 11. Dezember 1946 erfolg-
te eine Verordnung über die Auszahlung von Versorgungsgebühmissen an ausge-
wanderte und inhaftierte Personen sowie am 25. April 1947 die Verordnung über die
Gewährung einer Versorgung an die Personen, die aus religiösen, politischen, rassi-
schen oder weltanschaulichen Gründen einen Schaden an Leib und Leben erlitten
haben.327 Es handelte sich dabei allerdings nur um Rechtsanordnungen. Ein gesetzlich
verankerter Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung erfolgte erst mit dem Gesetz über
die Wiedergutmachung der den Opfern des Nationalsozialismus zugefügten Schäden
am 31. Juli 1948.328
Bei den Landräten wurden entsprechend einer Richtlinie der Abteilung Inneres der
Verwaltungskommission Ende 1946 Dreierkommissionen gebildet, die über die
Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus entscheiden sollten. Sie setzten sich
aus Vertretern von CVP, SPS und KP und Gewerkschaften zusammen. Dies ging auf
Oberregierungsrat Dr. Steines, Referent der Abteilung Wiedergutmachung politischer
Schäden bei der Verwaltungskommission, zurück. Ausschlaggebend für diese dezen-
trale Regelung war auch, daß es für die Betroffenen auf Grund der Verkehrssituation
325 Abi.1946, s.io.
326 K e m p f, Die Wiedergutmachung im Saarland.
327 Abi. 1947, S.88, 180.
328 Abi. 1948, S.1122.
248
nach Kriegsende ein erheblicher Aufwand war, nach Saarbrücken zur Verwaltungs-
kommission zu kommen, und dort in Fragen ihrer Anerkennung als Naziopfer vor-
zusprechen.329 Angeblich soll Steines diese Entscheidung ohne Abstimmung mit seinen
Vorgesetzten getroffen haben, was dieser jedoch bestritt und darauf verwies, daß
Direktor Schulte als Leiter der Abteilung Inneres informiert gewesen sei.330
Von Seiten des Hohen Kommissariates war die Bildung der Dreierkommissionen bei
den Landräten erst relativ spät im März 1947 gebilligt worden. Steines wurde wahr-
scheinlich auf Veranlassung von Edgar Hector (CVP) von der Direktion für Inneres
enüassen, dem der Einfluß von ehemaligen Kommunisten und Mitgliedern der VVN in
den Dreierkommissionen mißfiel und in Steines den Initiator dafür sah.331
Im Saarland erfolgte im Gegensatz zur eigentlichen französischen Besatzungszone eine
gewisse Gleichstellung der Opfer des Nationalsozialismus mit den Kriegsopfern. Sie
bezog sich nicht auf die Versorgungsleistungen, sondern auf die rechtlichen Grundla-
gen. Entscheidend ist hier der Entschädigungsgedanke des RVG. So wie die Kriegs-
opfer durch eine einkommensunabhängige Grundrente für ihre Dienstbeschädigung
entschädigt werden sollten, sollten die Opfer des Nationalsozialismus eine Entschädi-
gung für ihre Verluste an körperlicher Gesundheit erhalten, damit wurde die Notwen-
digkeit, für durch Verfolgung entstandene Schäden aufzukommen, zum Ausdruck
gebracht. So wies Richard Kirn anläßlich der Lesung des Wiedergutmachungsgesetzes
vom 31. Juli 1948 in Anlehnung an die Kriegsopferversorgung auf den Entschädi-
gungsgedanken hin und sprach von einer einheitlichen Regelung für Kriegsopfer und
Opfer des Nationalsozialismus auf der Grundlage des RVG vom 12. Mai 1920, wobei
die SPS aber ein höheres Rentenniveau durchsetzte.332 In gewisser Hinsicht deutete sich
hier eine Parallele zu Frankreich an, denn dort war die Regelung der Versorgungs-
renten von Angehörigen der Résistance in die Kriegsopferversorgung integriert.
Einen gesetzlichen Anspruch auf Versorgungsleistungen war den Angehörigen und
Hinterbliebenen der Waffen SS bereits früher, nämlich am 23. Juni 1948 zugebilligt
worden. Mit einer gewissen Verbitterung wies Gustav Levy (DPS) darauf hin:"Es ist
eine Selbstverständlichkeit, daß der Staat die Renten für die Kriegsopfer, für die
Verschollenen bezahlt. Es ist vielleicht keine Selbstverständlichkeit, daß der Staat
aufkommt für die Hinterbliebenen der Waffen SS.333
329
LA SB, VWK, Nr.260, Niederschrift zu einer Sitzung der Abt. Inneres vom 24.9.46.
330
Ebd., Bericht von Oberregierungsrat Dr. Steines, Ref. der Abtg. Wiedergutmachung politischer Schäden
vom 13.5.47.
331 Ebd., Kuchenbecker an Dir.Inneres, Georg Schulte,Tgb.- Nr.639/47 vom 30.4.47.
LTS DS 1/16, Niederschrift zur Sitzung vom 24.3.48. Siehe Redebeitrag Barth (SPS); ders., DS 1/14,
Niederschrift zur Sitzung vom 10. und 11.3.48, S.3.
333 LTS DS 1/37, Niederschrift zur Sitzung vom 30.7.48, S.9.
249
Im Gegensatz zum Gesetz vom 31. Juli 1948 sah die Verordnung vom 25. April 1947
in der Gewährung von Versorgungsansprüchen durch Paragraph 11 einen erheblichen
Spielraum vor, der zugunsten der Opfer genutzt werden konnte, so konnte das Mitglied
der Verwaltungskommission des Saarlandes für Arbeit und Wohlfahrt nach freiem
Ermessen einen Ausgleich gewähren.334
Das erste saarländische Wiedergutmachungsgesetz
Das Gesetz vom 31. Juli 1948335 bedeutete insofern eine Zäsur, als die Anerkennung
von der Kreis- auf die Landesebene verlagert wurde und von nun an über eine zentrale
Kommission erfolgte. Sie bestand aus je einem Vertreter der Ministerien des Inneren,
der Justiz, für Arbeit und Wohlfahrt und für Finanzen und Forsten sowie aus drei vom
Ausschuß für Wiedergutmachung des Landtages ernannten Mitgliedern. Die ent-
sprechenden Anträge mußten nach Paragraph 4 des Gesetzes bei der unteren Ver-
waltungsbehörde des Wohnsitzes des Antragstellers oder beim Innenministerium
gestellt werden. Das Hohe Kommissariat hatte gegenüber der Kommissionsregelung
Bedenken, die jedoch nicht berücksichtigt wurden.336
Die Wiedergutmachung sah eine Entschädigung für Verluste an Gegenständen des
täglichen Bedarfs vor, dafür wurden Höchstbeträge festgesetzt, z.B. für Haushalts-
gegenstände 100.000 FRS, für Kleidungs- und Wäschestücke 50.000 FRS, für Werk-
zeuge und sonstige zur Berufsausübung dienende Gegenstände außer PKW und
Motorrad 50.000 FRS. Für Entschädigungsfragen war das Ministerium für Arbeit und
Wohlfahrt nur ganz kurze Zeit tätig, dann die Wiedergutmachungsabteilung im Innen-
ministerium. Neben dem materiellen Schaden wurde auch versucht, die durch die Haft
bedingten schwer beschreibbaren Verluste wiedergutzumachen, für jeden angefange-
nen Monat bis max. 5 Jahre wurde eine Entschädigung von 5.000 FRS gezahlt, für
einen darüber hinausgehenden Zeitraum wurden 3.500 FRS festgelegt. Durch Para-
graph 19 wurde der Verlust von Rechten aus der Sozialversicherung abgedeckt.337 Die
Entschädigungsleistungen für entgangene Einkünfte und der Ersatz für Verluste an
Gegenständen des täglichen Bedarfs durften nicht aus Haushaltsmitteln gedeckt wer-
den. "Eine Belastung des saarländischen Haushalts darf durch die Anwendung dieser
Bestimmungen nicht erfolgen", schrieb Paragraph 21 des Gesetzes von 1948 vor. Diese
Bestimmung sollte sich als Hemmschuh für den Vollzug der Wiedergutmachung wie
auch für eine Erhöhung der Wiedergutmachungsleistung erweisen.
Abi. 1947, s.180 f.
335 Abi.1948, S.l 122 f.
336 MAE Nantes, M.J7Q.S., JII7, Gesetzentwurf mit handschriftlicher Randbemerkung, Kommissionsrege-
lung müsse geändert werden, keine weitere Begründung.
337 Abi.1948, S.1122 f., zu den Haftentschädigungen siehe § 13, § 22 regelte die Höchstbeträge für
Haushaltsgegenstände.
250
Kritik der Militärregierung
Das Hohe Kommissariat lehnte eine Entschädigung für entgangene Einkünfte ab und
legte Einspruch ein. Ausschlaggebend war hier wie in der Kriegsopferversorgung die
Furcht, daß wegen der Nähe zu Lothringen Sonderregelungen auf französischer Seite
zu Unzufriedenheit führen könnten, da es eine entsprechende Regelung in Frankreich
nicht gab.338 Die französische Seite war auch nicht bereit, eine Steuerfreiheit für die
Entschädigungsleistung zu gewähren, wobei wohl finanzielle Erwägungen ausschlag-
gebend waren, wenn man Gustav Levys Redebeitrag in der Landtagssitzung vom 30.
Juli 1948 Glauben schenkt:"Die Bedenken, die von seiner Seite (Hohes Kommissariat)
geltend gemacht worden sind, richten sich nicht gegen die Opfer des Faschismus,
sondern sie beruhen auf der Furcht vor den materiellen Folgen. Diese Sorge halte ich
für unbegründet."339 Während die Mitglieder des Ausschusses für Sozialpolitik auf
ihrer Sitzung am 30. Juli einstimmig beschlossen hatten, daß Leistungen auf Grund
dieses Gesetzes steuerfrei sein sollten, wünschte das Hohe Kommissariat nach telepho-
nischer Rücksprache eine Neufassung.340
Unzufriedenheit im Lager der SPS
Von Seiten der SPS-Fraktion im saarländischen Landtag wurde die Haltung des Hohen
Kommissariates kritisiert und der SPS-Abgeordnete Petri brachte den Unmut seiner
Fraktion auf den Punkt:" Die Paragraphen 20-26 können nicht in dem Sinne gelöst
werden, wie wir es in der Kommission vorgeschlagen haben, weil in den Kreisen des
Hohen Kommissariates ein Verständnis für die Menschen, die für eine große Idee
gekämpft haben, nicht in genügender Weise vorhanden ist. Sonst könnte es nicht so
aussehen, daß die paar Francs, die sie bekommen, auch noch der Steuer unterliegen".341
In diesem Redebeitrag deutet sich neben der bereits erwähnten Diversifikation der
Opfer der Gegensatz zwischen einer ethischen und einer rein politischen Betrachtung
des Wiedergutmachungsproblems an. Dennoch kann von einer obstruktiven Haltung
des Hohen Kommissariates in Fragen der Wiedergutmachung nicht gesprochen wer-
den. Der Gesetzentwurf Kirns vom 6. Oktober 1948 beinhaltete die Auszahlung der
Renten für Opfer des Nationalsozialismus mit einer MdE ab 30 Prozent, dies wurde im
Kabinett in der Sitzung am 20. Oktober abgelehnt, obwohl die Rentenleistungen noch
nach den Kriegsopferrenten vom 23. Juni 1948 kalkuliert waren, die unmittelbar vor
der Erhöhung standen. Das Hohe Kommissariat stellte sich in dieser Frage aber hinter
Kim. Grandval kritisiertem einem Schreiben an Kirn vom 28. Dezember 1948 den von
ihm im Sinne des Kabinetts geänderten Entwurf mit den Worten:" Der in Artikel 5
338 LTS DS 1/35, Niederschrift zur Sitzung vom 27.7.48, S.9.
339 LTS DS 1/37, Niederschrift zur Sitzung vom 30.7.48, S.8.
340
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wiedergutmachung vom
30.7.48, S.2.
341 LTS DS 1/37, Niederschrift zur Sitzung vom 30.7.48, S.8
251
enthaltene Richtsatz über die Renten, die den Invaliden und Hinterbliebenen zu zahlen
sind, weicht vollkommen, wenigstens hinsichtlich der Großinvaliden, von dem ab, der
für die Hinterbliebenen der Kriegsopfer und Kriegsinvaliden auf Grund des Gesetzes
vom 13. Dezember 1948, das das Gesetz vom 23. Juni 1948 abändert, angewendet
wird.(...) Es erscheint mir daher sehr schwer, den politischen Opfern Leistungen zu
bewilligen, die geringer sind als die, die den Kriegsinvaliden bezahlt werden, und ich
füge hinzu, daß es nicht angebracht wäre, den Invaliden der Konzentrationslager, deren
Invalidität geringer als 50 Prozent ist, eine Rente zu verweigern".342 Mit seiner Position
unterstützte er den Arbeitsminister und schuf die Voraussetzung dafür, daß Opfer des
Nationalsozialismus, wie ursprünglich geplant, das 1,5 fache der Kriegsopferrenten
erhielten und auch wie bei den Kriegsopfern ab einer MdE von 30 Prozent Anspruch
auf Rentenauszahlung bestand. Grandvals Haltung läßt eine Grundsatzposition in
Fragen der Wiedergutmachung erkennen, nämlich die Gleichstellung mit den Kriegs-
opfern, was letztlich der französischen Gesetzgebung insoweit entsprach, als auch dort,
wie erwähnt, die Rentengesetzgebung für Opfer der Résistance Teil der Kriegsopfer-
versorgung war.
Die Diskussion über die Wiedergutmachung im Plenum des Saarländischen Landtags
und im Ausschuß für Wiederaufbau und Wiedergutmachung sowie im Rechtsausschuß
gehörten wohl zu den hitzigsten Debatten, die zu dieser Zeit geführt wurden. Sie
veranschaulichen, daß die Wiedergutmachung emotionale Wellen schlug, und daß
beim Umgang mit diesem Thema psychologische Aspekte eine wichtige Rolle spielten.
4.3 Hindernisse für eine weiterreichende Wiedergutmachung
"Begraben im Bewußtsein der Mehrheit"-Verdrängungsmechanismen und psychologi-
sche Defizite
Die Mehrheit der Bevölkerung hatte kein Interesse an Wiedergutmachung. Das Nach-
denken über Wiedergutmachung wurde verdrängt durch die Frage nach dem eigenen
Schicksal oder dem der noch nicht heimgekehrten Kriegsgefangenen, ein Punkt, der
viele saarländische Familien bewegte. Die auch in der öffentlichen Diskussion zu
beobachtende Konzentration auf dieses Thema erleichterte es, sich innerlich von dem
schwierigen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der Frage, ob
und wie man Schaden wiedergutmachen könnte, zu distanzieren. Die Konzentration
auf das "unmenschliche Sowjetrußland'', das immer noch deutsche Soldaten gefangen
hielt, vermischte sich mit dem sich ausbreitenden Antikommunismus und kompensierte
die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, war letztlich eine Ersatzhandlung
für sie. Die Frage nach dem Schicksal der eigenen Angehörigen bewegte die Gefühle
zum Teil so extrem, daß es der Kommunistischen Partei an der Saar gelang, Frauen,
deren Männer in russischer Kriegsgefangenschaft waren, zum Parteieintritt in die KP
342 MAE Nantes, M.J./Q.S., J II 7, Grandval an Kirn vom 23.12.48.
252
in der Hoffnung zu veranlassen, so endlich ihre Ehemänner frei zu bekommen. Solche
Praktiken wurden beispielsweise im Kreis Saarlouis angewandt, 1948 waren dort
deshalb 58 Prozent der Mitglieder Frauen.343
Ein Blick in die Plenums- und Ausschußprotokolle des Landtages zeigt den schwieri-
gen Umgang mit diesem Thema. So warf der CVP-Abgeordnete Geraldy seinem
mittlerweile fraktionslosen Kollegen Levy vor, er kenne nur das Leid der Juden: "Aber
ich bedauere, daß Sie heute abend kein Wort des Bedauerns gefunden haben für unsere
armen Volksgenossen, die seit sechs, acht und noch mehr Jahren in den größten Drang-
salen der russischen Gefangenschaft schmachten".344 Dieser in der Wortwohl teilweise
anachronistisch klingende Redebeitrag zeigt in der Tat, daß das Schicksal der Opfer des
Nationalsozialismus durch die Frage nach dem Schicksal der noch nicht heimgekehrten
Kriegsgefangenen verdrängt wurde. Die Tendenz, das Problem bei Seite zu schieben,
deutete sich auch in den Worten des CVP-Abgeordneten Ludwig Habelitz, selbst ein
Opfer des Nationalsozialismus, vom 30. Juli 1948 an:"Es gibt vielleicht heute Men-
schen, die dieser Angelegenheit wenig Interesse mehr entgegenbringen". Bei den
Opfern rief dies Verbitterung und Enttäuschung hervor, wie die Aussage des Abge-
ordneten Gustav Levy, der als Jude 1935 emigrierte, zeigt:"Es genügt, wenn ich Ihnen
sage, daß alle diese Debatten mich mit tiefem Schmerz erfüllen, weil ich immer wieder
die Feststellung treffen muß, daß die Opfer des Nationalsozialismus längst vergessen,
und selbst, wenn sie noch am Leben sind, begraben sind im Bewußtsein der Mehrheit.
Das ist erschütternd."345 Wie in der Bundesrepublik war die Masse der Bevölkerung,
auch der Politiker, unfähig, Trauer- und Erinnerungsarbeit für die Opfer des "Dritten
Reiches" zu leisten.346
Erschwert wurde das Nachdenken über Wiedergutmachung auch durch das fehlende
Unrechtsbewußtsein. Die Mehrzahl der Saarländer scheint nach 1945 die französische
Besatzungsmacht für die miserablen Lebensverhältnisse verantwortlich gemacht zu
haben, wie Heinrich Wacker in einem Brief an Emile Schüler resigniert feststellt:
"Grundsätzlich wird den Franzosen die schlechte Ernährungslage zugeschoben, die
meisten haben vergessen, daß Hitler und seine Verbrecher an dieser Notlage die
Alleinschuld tragen."347 Die eigene Not stand also im Mittelpunkt, darin unterschieden
343 Ebd., HCS, Cab.Pol., Doss.70, Bt.36, Vermerk vom 16,6.48 und B1.43, Vermerk vom 10,11,48,
344 LTS DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7.51, S.700.
345 LTS DS 1/37, Niederschrift zur Sitzung vom 30.7.48, S.8 und DS 1/109, Niederschrift zur Sitzung vom
8.6.51, S.605.
346
Dazu: Magarete Mitscherlich, Erinnerungsarbeit. Zur Psychoanalyse der Unfähigkeit zu trauern,
Frankfurt a.M. 1987.
Stadtarchiv Saarbrücken (StA SB), NL Emile Schüler, Nr.9, Heinrich Wacker an Emile Schüler vom
14.8.46.
253
sich die Saarländer nicht von den übrigen Deutschen.348 Fehlendes Unrechtsbewußtsein
korrespondierte auch mit dem Weiterschwelen antisemitischer Einstellungen. Bezeich-
nend dafür waren Bedenken bürgerlicher Kreise in Saarbrücken, die Gebrüder Levy
seien wegen ihres Judentums nicht wählbar.349
Im Kontext solcher Äußerungen stand im Saarland wie auch in der Bundesrepublik
insbesondere auch eine zunehmende Polarisierung zwischen Kriegsopferlobby und
Exponenten einer engagierteren Wiedergutmachungspolitik. Wie angespannt das
Verhältnis zwischen diesen beiden Gruppen war, zeigt die Polemik des Stellvertreten-
den Vorsitzenden der Kriegsopfervereinigung, des CVP-Abgeordneten Willi Wei-
ten: "Ich bitte aber den einen oder anderen der Herren, seine Gründe für die Opfer des
Faschismus, die er hier vorgetragen hat, vielleicht in einer großen Krieg sopferver-
sammlung darzulegen. Dort wird er feststellen können, daß es sich nicht um eine
vermeintliche Unruhe handelt", Richard Kirn rief dazwischen:"Dumme Redewendung!
Schwätzer!"350
Struktureller Geburtsfehler
Die bereits von der Verfassungskommission und auch vom Hohen Kommissariat
favorisierte Konzeption, die Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus über
die Epurations- und Spoliationsfonds, also durch politisch Belastete, zu finanzieren,
erwies sich als Geburtsfehler der saarländischen Wiedergutmachungsgesetzgebung.
Die nach Paragraph 9 und 20 gezahlten Entschädigungsleistungen sollten aus den
durch Epurationsverfahren anfallenden Geldstrafen sowie dem gemäß Artikel 6 Abs.
2 der VO. Nr.120 des Commandement en Chef Français en Allemangne vom 10.11.47
gebildeten Fonds aufgebracht werden. Das Wiedergutmachungsgesetz von 1948 sah
ausdrücklich vor, daß da- Haushalt nicht mit Entschädigungsleistungen zu belasten sei.
Die Konzeption, die Wiedergutmachung über die Entnazifizierung und nicht aus
Steuermitteln zu finanzieren, entsprach den Vorstellungen der französischen Militär-
regierung und fand sich auch im Länderratsgesetz Nr.35 vom 1. August 1946.351
Wiedergutmachung stand damit in Zusammenhang mit der Demokratisierungspolitik.
Diese Konzeption erwies sich unter finanziellen Aspekten als problematisch, da die
entsprechenden Mittel aus dem Epurationsverfahren nicht in dem erwarteten Maße
flössen. Deshalb ist die Beurteilung von Yvonne Kempf, die "Finanzmisere des Saar-
landes"352 ziehe sich wie ein roter Faden durch alle Verhandlungen und Beratungen zur
348 G o s c h 1 e r, Wiedergutmachung, S.210. Hudemann, Sozialpolitik, S.557, 559.
349 MAE Nantes, HCS, Cab.Polt., Doss.64, B1.78, Vermerk von P. Bouffanais, Ref. 9689/24.9.1947.
350 LTS DS 1/109, Niederschrift zur Sitzung vom 8.6.51, S.605-607.
351 Constantin G o s c h 1 e r, Der Fall Philipp Auerbach. Wiedergutmachung in Bayern, in: Ludolf Herbst
und ders. (Hrsg.), Wiedergutmachung in der Bundesrepublik Deutschland, München 1989, S.84-86.
352
Kempf, Die Wiedergutmachung im Saarland, S.255.
254
Wiedergutmachung, irreführend. Eine Finanzmisere des Saarlandes hat es zur Hoff-
mann-Zeit angesichts weitgehend ausgeglichener Haushalte nicht gegeben. Vielmehr
erwies sich das Finanzierungsmodell - Entschädigung durch Epurationsgelder - als
unzureichend. Zum anderen wirkte es sich unter psychologischen Aspekten in der
Praxis eher ungünstig aus. Die Verbindung von Wiedergutmachung und Entnazifizie-
rung belastete die Einsicht der Bevölkerung, sich mit der Vergangenheit auseinander-
zusetzen und reduzierte eher die Einsicht, die Opfer zu entschädigen. Auf diese Weise
wurden ohnehin bestehende psychologische Defizite gesteigert. Psychologisch scheint
die Verknüpfung von Entnazifizierung und Wiedergutmachung für die mentale Aus-
einandersetzung mit diesem Thema im privaten und gesellschaftlichen Bereich eher
kontraproduktiv gewirkt zu haben. Ein Beispiel für die negativen Auswirkungen einer
Verknüpfung von Wiedergutmachung und Entnazifizierung verdeutlicht ein Blick nach
Bayern. Philipp Auerbach, selbst Jude und Opfer des Nationalsozialismus, betonte
immer wieder als Staatskommissar für die Opfer des Nationalsozialismus in Bayern
öffentlich den Zusammenhang zwischen Wiedergutmachung und Entnazifizierung und
machte sich damit, bereits bevor seine Betrügereien aufgedeckt wurden, bei der Bevöl-
kerung ausgesprochen unbeliebt.353
Die Tatsache, daß die Wiedergutmachung über die Entnazifizierung finanziert werden
sollte, wirkte sich auf die gesellschaftliche Akzeptanz, Wiedergutmachung leisten zu
müssen, nicht zuletzt deshalb negativ aus, weil der Kreis der Entnazifizierten größer
gewesen war als die Gruppe der Opfer des Nationalsozialismus. Rainer Möhler, der die
Entnazifizierung im Saarland und in Rheinland-Pfalz untersucht hat, betont, daß sie
von Anfang an als eine unpopuläre Besatzungspolitik aufgenommen wurde.354
Die Rechnung, Wiedergutmachung über die Epurationseinnahmen zu finanzieren, ging
zudem nicht auf. Im Saarland wurden im Rahmen der Epuration vom Innenministerium
als einmalige und laufende Geldbußen 183.685.000 FRS verhängt, wovon tatsächlich
aber nur ein Drittel eingingen, nämlich 63.685.000 FRS. Besonders problematisch
erscheint in diesem Zusammenhang die Haltung der Städte und Gemeinden. Lohn- und
Gehaltskürzungen von Bediensteten der Kommunen wurden nicht an die Regierungs-
hauptkasse abgeführt. Die Ursache lag darin, daß die Abteilung Epuration in einem
Schreiben vom 19. September 1947 den Landräten mitgeteilt hatte, daß die gekürzten
Bezüge von öffentlichen Betrieben nicht mehr an die Regierungshauptkasse abzufüh-
ren wären.355 Zum anderen war bis zum 9. Juli 1951 die Verordnung Nr.4924 des
353
G o s c h I e r, Der Fall Philipp Auerbach, S.90.
354
Rainer Möhler, Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung
von 1945 bis 1952, Mainz 1992, S.409.
355 LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wiedergutmachung vom
9.7.51, Anlage 1.
255
Hohen Kommissars vom 28, Juni 1949356 betreffend Verwertung des Vermögens
nationalsozialistischer Organisationen und militärähnlicher Verbände des Deutschen
Reiches noch gar nicht umgesetzt worden, hier handelte es sich um einen Betrag von
mehreren hundert Millionen Franken, der für Wiedergutmachungszwecke zwar einge-
plant, aber nicht verwandt werden konnte.357
Erfolglose Reformbemiihungen Richard Kims
Richard Kirn erkannte dieses Problem bereits frühzeitig. Er wies darauf hin, scheiterte
aber immer wieder am Kabinett und erhielt auch von Seiten des Hohen Kommissariates
in dieser Frage zunächst keine Unterstützung. Auch Gustav Levy betonte bei den
Ausschußberatungen immer wieder die Problematik des Paragraphen 21.358
Arbeitsminister Kirn versuchte über das Hohe Kommissariat durch ein formal und
inhaltlich bedeutsames Schreiben vom 12. Juni 1950 Rückendeckung zu bekommen.
Zunächst legte der Minister ausführlich die Probleme einer erfolgreichen Wieder-
gutmachungspolitik dar, nämlich daß die Mittel des Epurations- und Spoliationsfonds
zur Abgeltung der Entschädigungsansprüche nicht ausreichten. Entschuldigend wies er
daraufhin, daß sich der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Gesetzes dessen nicht
bewußt gewesen sei. Für die Opfer des Nationalsozialismus sei dadurch aber eine
"untragbare" Situation eingetreten, denn nur 10 Prozent der anerkannten Ansprüche
könnten zur Auszahlung gelangen. Um Grandval für sich zu gewinnen, malte der
Minister anschaulich die Bedeutung dieser Entwicklung aus, daß nämlich die jetzige
Situation extrem ungerecht sei, weil ehemals politisch Belastete, z.B. epurierte Beamte,
die wegen ihrer Zugehörigkeit zur NSDAP durch Spruchkammerbescheid außer Dienst
waren, jetzt aus Haushaltsmitteln Nachzahlungen pensionsrechtlicher Art erhielten, in
Einzelfällen mehrere hunderttausend Franken. Angesichts dieser Sachlage könne der
Paragraph 21 nicht mehr länger aufrecht erhalten werden. Zum Schluß versuchte Kim
schmeichelnd den Hohen Kommissar moralisch in die Pflicht zu nehmen: "Es ist meine
Auffassung, daß Sie, Hoher Kommissar, der Sie die Leiden der politisch verfolgten
Menschen kennen gelernt haben, den berechtigten Forderungen der Opfer des Na-
tionalsozialismus Gehör schenken. Ich bitte Sie deshalb ergebenst dämm, mich wissen
zu lassen, ob Sie einer gesetzlichen Änderung des Paragraph 21 zustimmen könnten
Diese Schlußpassage klang etwas devot, wie auch die Anrede des Briefes "Hoher
Kommissar!", in die Mitte der Zeile gerückt, dem Schreiben eine besondere Note
verlieh.359 Der ansonsten eher streitbare Sozialdemokrat verfolgte damit aber eine
356 Abi. 1949, S.611.
Ebd.
358
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wiedergutmachung vom
6.6.51, S.5; vom 9.7.51, S.2; vom 17.7.51, S.5.
359 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J II 7, Richard Kim an Gilbert Grandval vom 12.6.50. Erinnerungs-
schreiben vom 17.7.50.
256
geschickte Strategie. Er wollte seiner gegenüber dem Koalitionspartner geäußerten
Kritik am Paragraphen 21 endlich Durchschlagskraft verleihen, indem er Grandval für
eine Änderung des Paragraphen gewinnen wollte. Das Hohe Kommissariat wertete
deshalb Kims Schreiben auch als Versuch, auf seine saarländischen Kabinettskollegen
Druck auszuüben und der möglichen positiven Entscheidung Grandvals somit eine
präjudizierende Wirkung auf die Gesetzgebung zu verleihen. Genau dies wollten aber
die Franzosen vermeiden. Erst ein viertel Jahr später erhielt Kirn eine schriftliche
Antwort. Der Hohe Kommissar könne zu seinem Anliegen keine "réponse définitive"
geben, da dies eine finanzielle Frage sei, die durch den Finanzminister geregelt werden
müsse".360
Diversifikation der Opfer und ihrer Interessenvertretung
Während für die Gruppe der Kriegsopfer zu beobachten war, daß ihr Schicksal eine so
integrative Wirkung hatte, daß es weltanschauliche Gegensätze überlagerte, ist für die
Gruppe der Opfer des Nationalsozialismus ein fehlender Konsens und eine hohe
Heterogenität zu beobachten, die zur ihrer Diversifikation als gesellschaftliche Gruppe
führte. Das Bewußtsein, einer bestimmten Gruppe von Opfern anzugehören - etwa zu
den politisch, den religiös oder den rassisch Verfolgten zu gehören - wirkte integrativer
als zu den Opfern schlechthin zu zählen. Hier ist eine Diversifikation der Opfer, ent-
sprechend ihrer Verfolgung im "Dritten Reich" festzustellen, wie sie sowohl für die
Bundesrepublik361 als auch für Österreich typisch gewesen ist. Gerade in Österreich
verstanden es die politisch Verfolgten, ihre Interessen engagiert zu vertreten.362
Diese Diversifikation äußert sich z.B. gerade vor dem Hintergrund der Überschaubar-
keit des Saarlandes in der Unzufriedenheit unter den Opfergruppen hinsichtlich der
jeweils gezahlten Entschädigungssummen. So wird in einem Brief an Ministerpräsident
Hoffmann darüber berichtet, daß man "in israelitischen Kreisen der Meinung sei, daß
die Herren Schlachter, ehemaliger Präsident der Handelskammer, und Emil Straus,
Minister a.D., eine unverhältnismäßig hohe Vergütung als Opfer des Faschismus
erhalten haben."363
Die Opfer des Nationalsozialismus zerfielen entsprechend der Verfolgung durch das
NS-System in rassische, religiöse und politische Gruppen. Besonders hilflos waren
Minderheiten, die sich nur schwer artikulieren konnten wie z.B. die Zwangssterilisier-
ten. Die Gruppe der Sinti und Roma war davon besonders betroffen. Immerhin stellten
360 Ebd., Hohes Kommissariat, P. Bouffanais, an Kirn vom 18.10.50.
361 Hudemann, Anfänge der Wiedergutmachung, S.212.
362
Brigitte B a i 1 e r, Wiedergutmachung kein Thema. Österreich und die Opfer des Nationalsozialismus,
Wien 1993, S.54,275,279. Die österreichische Opferfürsorge rechnet Juden zum "politischen Widerstand".
LA SB, StK, Nr.866, Diplom-Kaufmann Heinrich Bruns an Johannes Hoffmann vom 5.11.51, Bruns
beruft sich bei seinen Aussagen auf ein Gespräch mit einem Mitglied der israelitischen Kultusgemeinde.
257
im Saarland 222 Personen Antrag auf Wiedergutmachung wegen "Sterilisation zur
Verhütung von erbkrankem Nachwuchs". Diese Gruppe wurde aber nicht als Opfer des
Nationalsozialismus anerkannt, da ein vom Arbeitsministerium in Auftrag gegebenes
Gutachten zum Ergebnis kam, daß die Sterilisation zur Verhütung von erbkrankem
Nachwuchs nicht auf nationalsozialistisches Gedankengut zurückzuführen sei.364
Auch wenn entsprechende Maßnahmen bereits seit den zwanziger Jahren auf interna-
tionaler Ebene diskutiert worden waren und Schweden 1934 sowie die Schweiz 1944365
die Sterilisation zur Verhinderung von Erbkrankheiten gesetzlich angeordnet hatten, so
ist doch die Singularität der nationalsozialistischen Politik durch die zwangsweise
Sterilisation und ihre Instrumentalisierung im Sinne der Rassenpolitik nicht zu leugnen.
Einer der Verfasser des in Auftrag gegebenen Gutachtens, Dr. Weidner, war im "Drit-
ten Reich" allerdings selbst gutachterlich als ärztlicher Beisitzer an Sterilisations-
verfahren beteiligt gewesen, wie Christoph Braß in seiner regionalgeschichtlichen
Studie zur Zwangs sterilisation im Saarland ermittelt hat.366 Auch in Österreich fiel die
Gruppe der Zwangssterilisierten durch die Gesetzgebung, amtsärztliche Gutachten
kamen auch hier zu dem Ergebnis, daß Sterilisierungen wegen Geisteskrankheit nicht
zum ausgesprochen nationalsozialistischen Gedankengut gehörten.367 Die Schwächung
der Persönlichkeit, wie auch die Scham für die eigenen Interessen öffentlich zu kämp-
fen, war bei dieser Gruppe wohl besonders stark ausgeprägt.
Der professionell geführten Kriegsopferorganisation, mit mehr als 50.000 Mitgliedern
größer als die CVP368, stand mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
(VVN) eine politisch einseitig von der KP dominierten Organisation gegenüber, die
nicht beanspruchen konnte, die Gesamtheit der Opfer des Nationalsozialismus zu
vertreten.369 Der Ruf der VVN, von Kommunisten gelenkt zu werden, schadete letztlich
der gesamten Gruppe der Betroffenen, wie Zeitzeugen wie Jakob Feiler (CVP) und
364 Saarländisches Ärzteblatt 1948, S.90 f, 117 f.
^Henningsen, Der Wohlfahrtsstaat, S.98. Jörg H.Sommer, Das Ringen um soziale Sicherheit in
der Schweiz, St. Gallen 1978, S.237.
366 Christoph Braß, Zwangssterilisation im Saarland 1935-1945, Magisterarbeit Universität Saarbrücken
1992, S.144.
367 B a i l e r, Wiedergutmachung kein Thema, S.187.
368 Mitgliederzahlen in: Tätigkeitsbericht der VdKdS, S.9. Zur CVP: Winfried Becker, Die Entwicklung
der Parteien im Saarland 1945 bis 1955 nach französischen Quellen, in: Rainer Hudemann und Raymond
Poidevin (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.262
369 LA SB, StK, Nr.3204, Protestschreiben der VVN an Hoff mann vom 12.8.50. "Durch die Anordnung des
Ministeriums des Innern vom 4.7.50 betreffend der Entlassung aller Bediensteten, die durch ihre politische
Haltung die Ablehnung der Verfassung des Saarlandes kundtun, sind zahlreiche Mitglieder unserer
Vereinigung in ihrer Existenz bedroht". Bund der Verfolgten des Naziregimes an Johannes Hoffmann vom
29.6.50, Schreiben des BVN-Saar an Hoffmann vom 12.2.51. Die nichtkommunistischen Mitglieder seien
aus der VVN ausgetreten, "weil sie nicht unfreiwillig kommunistischer Propaganda erliegen wollten".
258
Rudolf Recktenwald (SPD) und vor allem auch der ehemalige Leiter der Präsidialkanz-
lei Franz Schlehofer betonen.370 Während die Kriegsopfervereinigung finanziell von
der Landesregierung unterstützt wurde, erschien die VVN nicht föderungswürdig.371
Diese organisatorische Schwäche wiegt um so schwerer, als die Gruppe der Opfer des
Nationalsozialismus 1951 gerade knapp 5.000 Personen umfaßte und gegenüber den
90.000 anerkannten Kriegsopfern eine Minderheit bildete.372 Allein schon von ihrer
Größe konnte sie nicht die Rolle eines politisch relevanten Faktors spielen. Die kom-
munistische Aura der VVN wirkte vor dem Hintergrund des sich ausbreitenden Anti-
kommunismus und des Kalten Krieges um so schwerer.
Auch in der Bundesrepublik stellte sich dieses Problem. Die SPD erklärte auf ihrem
Düsseldorfer Parteitag am 13. Februar 1948 die gleichzeitige Mitgliedschaft in der
VVN für unvereinbar. Am 4. Februar 1950 wurde der Bund der Verfolgten des Na-
zi-Regimes (BVN) als Gegenorganisation gegründet.373 Der 1951 im Saarland gebildete
BVN entstand nach entsprechenden Kontakten Hoffmanns zum BVN in Düsseldorf.374
4.4 Politische Kontroverse zwischen den Koalitionsparteien
Streit über die Versorgungsrenten
Anerkannte Opfer des Nationalsozialismus erhielten nach Paragraph 13 (3) des Ge-
setzes von 1948 eine Versorgungsrente. Die Höhe der Rente errechnete sich aus dem
1.5 fachen Betrag der bei der entsprechenden MdE gezahlten Kriegsopferrente, dies
wurde per Verordnung festgelegt.375
Die SPS versuchte die Rentenzahlung für die Opfer des Nationalsozialismus durch ein
eigenes Gesetz zu regeln. Dagegen lehnte die CVP einen entsprechenden Antrag von
Ernst Kunkel im Ausschuß ab. Sie strebte genau das Gegenteil an, nämlich beide
Renten in einem Gesetz zu vereinheitlichen. Der Abgeordnete Willi Weiten, stv.
VdKdS-Vorsitzender und ehemaliges SS-Mitglied setzte folgende Bestimmung
durch:"Hat der Geschädigte einen körperlichen oder gesundheitlichen Schaden erlitten,
der nachweislich durch die Verfolgung verursacht ist, so erhält er nach Maßgabe der
Bestimmungen des Paragraphen 12 Absatz 1 Versorgung. Die Versorgung und das
Interview mit Jakob Feiler am 13.1. und 24.2.1993. Interview mit Rudolf Rektenwald am 13.3.93.
Interview mit Franz Schlehofer am 23.2.94.
371 LA SB, StK, Nr.866, 3206-3208. Diverse Schreiben von Jakob Feiler an die Präsidialkanzlei in dieser
Sache.
2 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J II 7, Kim an Grandval vom 12.6.50.
373
Hudemann, Anfänge der Wiedergutmachung, S.206.
374 LA SB, StK, Nr.3204, BVN an J. Hoffmann vom 12.2.51.
375 Abi.1948, S.l 122 f.
259
Verfahren richten sich nach den Vorschriften über die Kriegsopferversorgung",376 Die
CVP setzte sich damit durch.377 Ihre Argumentation wurde von der SPS als unaufrich-
tig empfunden. Weiten betonte, bei den Rentenzahlungen sei ein "reichliches Durchein-
ander" entstanden und jetzt seien sogar die Renten für die Opfer des Faschismus
niedriger als die Kriegsopferrenten. Die Ursache für diese Abweichung lag aber, wie
Richard Kirn betonte, darin, daß die Regierung es unterlassen hatte, die Renten den
inzwischen gestiegenen Kriegsopferrenten anzupassen, diese Anpassung mußte näm-
lich im Einvernehmen mit dem sozialpolitischen Ausschuß erfolgen, dort hatte aber die
CVP die entsprechenden Anträge Kirns immer wieder zurückgestellt.378 379
Die Diskussion über die Frage der Opfer des Nationalsozialismus gewann immer mehr
einen politischen Akzent. Sie führte zu einer Polarisierung zwischen Kriegsopferlobby
und SPS. Deutlich wird dies in Richard Kims Worten:"Ich möchte daher im Namen der
Sozialdemokratischen Fraktion erklären:'Wir hoffen und wünschen, daß die Kriegs-
beschädigtenvereinigung einmal diese Wahrheiten, die ich vorgelegt habe und die ich
an vielen Beispielen erläutern könnte, auch in ihrer Zeitung darstellt'.1,379
Die CVP trat in dieser Diskussion ab Frühjahr 1951 als die Partei der Kriegsopferinter-
essen auf. Der KP-Abgeordnete Kärcher wollte dies auch so sehen. Es liege "System"
in der unzureichenden Entschädigung, "und dieses System kann nur von einer Partei
getragen werden, die in ihren eigenen Reihen nicht sehr viele Opfer des Nationalsozia-
lismus kennt (...)".380
Auseinandersetzungen über die Haftenschädigung
Eine weitere Streitfrage war die Erhöhung der Haftentschädigung. Alle Parteien bis auf
die CVP forderten hier eine Erhöhung, Gustav Levy von 5.000 auf 7.000 FRS pro
Monat Haft381, die SPS sogar auf 7.500 FRS.382 Eine solche Erhöhung hätte jährliche
Mehrkosten von 80 Millionen FRS verursacht383, knapp ein Zehntel der Mehrkosten
des Kriegsopfergesetzes vom 7. November 1952 zur Rentennachzahlung. Erst 1951
376 Information zu Weiten, vgl. Interview mit Jakob Feiler am 13.1.93; LTA SB, Niederschrift zur Sitzung
des Ausschusses für Wiederaufbau und Wiedergutmachung vom 13.6.51, S.4 f.
377 LTS DS 1/109, Niederschrift zur Sitzung vom 8.6.51, S.607.
378
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wiedergutmachung vom
9.5.51, 28.6.51, 17.7.51.
379 LTS DS 1/109, Niederschrift zur Sitzung vom 8.6.51, S.695.
380 LTS DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7.51, S.698.
381 LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wiedergutmachung vom
28.4.50, S.4 f.
382 Ebd., Niederschrift zur Sitzung vom 17.5.50, S.2.
383 Ebd., Niederschrift zur Sitzung vom 17.5.51, S.2 f.
260
war die CVP bereit, 6.000 FRS zu akzeptieren.384 Bei den Beratungen im Ausschuß für
Wiederaufbau und Wiedergutmachung wies Levy als einziger Abgeordneter immer
wieder auf die höheren Leistungen in der Bundesrepublik hin. Die Leistung für Haft-
entschädigung in der Bundesrepublik war 1951 doppelt so hoch wie im Saarland, nach
dem Gesetz von 1951 betrug sie im Saarland 6.000 FRS, in der BRD 150 DM
(=12.517,50 FRS). Was die Sachentschädigung betraf, so lag das Saarland weit hinter
der Bundesrepublik, schon in der amerikanischen Zone wurden Entschädigungen bis
zu 75.000 DM für Eigentums- und Vermögens Verluste gezahlt, übrigens wesentlich
mehr als in der französischen Zone.385 Das Argument einer besseren Versorgung in der
Bundesrepublik ließ die Mehrheit der Abgeordneten unberührt. Während im Saarland
nachgewiesene Verdienstausfälle bis maximal 608.000 FRS entschädigt wurden,
bestand in den Ländern der Bizone kein Limit. Auch das Rentenniveau war im Saar-
land geringer als in den Ländern der französischen Zone, nur für Personen mit einer
MdE von 100 Prozent ergaben sich geringfügig bessere Leistungen, bei einer MdE von
30 Prozent bezog der saarländische Versorgungsempfänger noch nicht einmal ein
Drittel der Rente, die in den Ländern der ehemaligen französischen Zone gezahlt
wurde:386
Vergleich der Wiedergutmachungsrenten:
MdE SAARLAND Länder der franz. Zone
30 Proz. 1.725 FRS 5.841,50 FRS=70DM
40 Proz. 2.242 FRS 6.676,00 FRS=80DM
50 Proz. 2.932 FRS 8.345,00 FRS=100DM
60 Proz. 3.450 FRS 10.010,40 FRS= 120DM
70 Proz. 4.485 FRS 11.683,00 FRS= 140DM
80 Proz. 7.245 FRS 12.517,50 FRS= 150DM
90 Proz. 12.075 FRS 15.021,00 FRS= 180DM
100 Proz. 17.250 FRS 16.750,00 FRS=200DM
Sowohl im Wiedergutmachungs- und Rechtsausschuß als auch im Plenum des Land-
tages wies Levy immer wieder auf die günstigere Versorgung in der Bundesrepublik
hin. Seine Enttäuschung und seine Resignation über das saarländische Wiedergutma-
chungsgesetz brachte er im Landtag unmißverständlich zum Ausdruck:" Der Unter-
schied zwischen der armen Bundesrepublik, die 12 Millionen Flüchtlinge zu ernähren
hat, und hier, wo wir uns in einem glücklicheren Lande befinden, wo ein ausgegliche-
385 LTS DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7.51, S.696-698.
LA SB, SBA, IV/2, Vergleichende Aufstellung über die Wiedergutmachung im Saarland, Bundesre-
publik und Ostzone. Die Zahlen stimmen mit Levys Angaben überein, vgl. vorangegangene Anm., Stand:
1950
261
ner Haushalt vorhanden ist, wo keine Arbeitslosigkeit herrscht und wo man in der Lage
ist, mehr als anderwärts Mittel für soziale Zwecke aufzuwenden, ist so groß, daß auch
das Verständnis hier für die Opfer des Nationalsozialismus besonders groß sein müß-
te".387 Ebenso resigniert warf Richard Kirn als Zwischenruf ein:" Es müßte so sein, aber
es ist nicht so. Ich habe prophezeit, daß es keinen Wert hat." Auch Richard Kim machte
aus seiner Enttäuschung keinen Hehl:"Alle Schuld rächt sich auf Erden, Auch die
Schuld von heute wird sich rächen".388 Seine Worte zeigen ganz deutlich, daß er als
Minister für Arbeit und Wohlfahrt seine Vorstellungen in Sachen Wiedergutmachung
im Kabinett Hoffmann nicht durchsetzen konnte und jetzt in der Phase der
CVP-Alleinregierung389 die Defizite in Fragen der Wiedergutmachung schonungslos
herausstellte. Seine pathetischen Sätze spiegeln eine Atmosphäre der Enttäuschung und
der Niederlage wider. Die politischen Kräfte, die wie die SPS mit Kim oder der enga-
gierte Abgeordnete Levy höhere Renten und Entschädigungsleistungen forderten,
konnten ihre Ziele nicht durchsetzen, sie scheiterten an der CVP als der stärkeren
politischen Kraft.
Die CVP verfolgte die Linie, von einer Sonderbehandlung der Opfer des Nationalso-
zialismus abzusehen und sie wie kriegsbeschädigte Soldaten und Bürger, die Kriegs-
sachschäden erlitten hatten, zu behandeln. Dies wird auch bei der Diskussion über die
Entschädigungsfrage deutlich. Beispielhaft dafür ist der Redebeitrag des Abgeordneten
Habelitz im entsprechenden Ausschuß am 12. Mai 1950:" (...) selbstverständlich müsse
den Menschen, die unter dem vergangenen Regime zu leiden hatten, geholfen werden.
Er bitte andererseits zu bedenken, daß die große Zahl der Menschen, die man auch als
Opfer des Krieges ansehen müsse, bis heute noch keinen Anspruch für die erlittenen
Kriegsschäden erhalten haben".390
Wie restriktiv die Haltung der CVP in der Wiedergutmachungsfrage gewesen ist,
verdeutlicht auch ihre Position zu Paragraph 27 des Wiedergutmachungsgesetzes von
1948, nach der Entschädigungsleistungen zu versteuern waren. Gustav Levy bemühte
sich wie die SPS und die KP um eine Steuerfreiheit. Die SPS argumentierte damit, daß
"die Opfer des NS bisher nur mit 20 Prozent der zu erhaltenden Entschädigung abge-
funden worden seien (...) Es sei eine Härte, rückwirkend von diesem Betrag eine Steuer
zu erheben". Das Ministerium Kirn hatte sich auch in dieser Frage um Grandvals
Unterstützung bemüht, sie jedoch nicht erhalten. Das Hohe Kommissariat antwortete
zurückhaltend, es handele sich vorwiegend um eine Finanzfrage.391
387 LTS DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7.51, S.697 f,
388 Ebd., S.698.
Vom 14.4.51 bis 23.12.52 und vom 17.7.54 bis 29.10.55 regierte die CVP allein, siehe: Hans-Walter
Herrmann und Georg Wilhelm S a n t e, Geschichte des Saarlandes, Würzburg 1972, S.80.
390 .
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wiedergutmachung vom
12.5.50, S.2.
Ebd., Niederschrift zur Sitzung vom 28.10.50, Anlage Schreiben der Mission Juridique, Jur. 703, DP
AA, G.V., 18.10.50.
262
Streit um Anerkennungsfragen
Ein weiterer ständiger Stein des Anstoßes war der Paragraph 5 des Gesetzes von 1948,
der die Zusammensetzung der Kommission regelte, die über die Anerkennung als
Opfer des Nationalsozialismus zu entscheiden hatte. Hier versuchten VVN und KP
immer wieder eine Änderung herbeizuführen, scheiterten aber an der CVP.392
Verschleppungstaktik der CVP
Die langwierigen Beratungen, die 1951 zur Novellierung des Wiedergutmachungs-
gesetzes führten, sind zweifellos auf die vielen kontrovers diskutierten Fragen zurück-
zuführen. Es gibt aber Belege dafür, daß die CVP bewußt die Beratung über das Gesetz
hinausgezögert hat. Der erste Gesetzentwurf war am 21. Dezember 1949 dem Aus-
schuß für Wiederaufbau und Wiedergutmachung zugeleitet worden. Es fanden dann 30
Ausschußsitzungen bis zur Verabschiedung am 10. Juli 1951 statt, das Gesetz brauchte
also die Rekordzeit von fast 20 Monaten bis zur Dritten Lesung.393
In der Sitzung des Ausschusses für Wiedergutmachung am 16. Juni 1951394 warf die
SPS der CVP ein Hinausschieben des Gesetzes vor, kurze Zeit zuvor hatten die Sozial-
demokraten auf ihrem Parteitag in Sulzbach die baldige und restlose Auszahlung der
festgesetzten Wiedergutmachungsansprüche an anerkannte Opfer des Nationalsozialis-
mus gefordert, und Kirn hatte in einem Schreiben vom 21. Juni an den Landtagsprä-
sidenten die Verabschiedung des Gesetzes angemahnt.395
Eine Ursache für die langwierige Beratung und zugleich ein Indiz für ein gezieltes
Verschleppen des Gesetzes durch die CVP ist in dem ständigen Vertagen und Hinaus-
schieben von Entscheidungen durch die CVP zu erkennen. So wünschte die CVP im
Ausschuß am 29. März 1950 die Diskussion über die Paragraphen 17 und 18 auf die
nächste Sitzung zu verschieben, fast zwei Monate später am 19. Mai konnte die CVP
im Ausschuß immer noch keine Stellung beziehen, da die Fraktion sich noch nicht
damit befaßt hatte.396 Im Oktober waren die Beratungen immer noch nicht weiter
gekommen. Die CVP-Vertreter wiesen darauf hin, daß die in der Fraktion gebildete
kleine Kommission noch keine Stellung genommen habe. Wenn diese vorliege, fände
eine interfraktionelle Besprechung statt und im Anschluß fasse die Fraktion einen
Beschluß.397 Bis Mai 1951 hatte die CVP noch keine Stellung zur Erhöhung der
392
Ebd., Niederschrift zur Sitzung vom 6.1.50, S.2, 4; vom 29.3.50, S.4; vom 28.4.50, S.2; vom 10.5.50,
S.4. LTS DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7.51, S.699.
393 LTS DS 11/788 und DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7,51, S.693, 698.
394
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Wiederaufbau und Wiedergutmachung vom
16.6.51, S.2.
395 „
Ebd., Niederschrift zur Sitzung vom 28.6.51, S.2.
6 Ebd., Niederschrift zur Sitzung vom 29.3.50, S.5; vom 5.5.50, S.3; auch vom 19.5.50, S.2 f.
397
Ebd., Niederschrift zur Sitzung vom 28.10.50, S.2.
263
Entschädigung genommen. Ganz im Sinne dieser Verzögerungstaktik forderte der
CVP-Abgeordnete Habelitz, "eine weitere Beratung der noch offenen Fragen zum
Gesetzentwurf in den beiden Ausschüssen zurückzustellen, da die CVP-Fraktion zum
Gesetzentwurf noch nicht abschließend Stellung genommen habe".398
Daß das Gesetz schließlich zur Verabschiedung kam, ging auf Richard Kirns Druck
zurück: "Ich gebe im Namen der Fraktion der SPS die Erklärung ab, daß wir Gewicht
darauf legen, daß das Gesetz über die Wiedergutmachung der den Opfern des Na-
tionalsozialismus zugefügten Schäden in dieser Sitzungsperiode noch verabschiedet
wird. Sollte sich zeigen, daß durch ein weiteres Hinausschieben das Gesetz, das dem
Landtag bereits seit 12. Dezember 1949 vorliegt, nicht verabschiedet wird, dann wird
die sozialdemokratische Landtagsfraktion den beiden anderen Gesetzen, dem Zweiten
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Bereinigung von Dienst- und Beamtenverhält-
nissen im Saarland vom 31. Juli 1948 und dem Gesetz über den Abschluß des politi-
schen Säuberungsverfahrens, die vereinbarungsgemäß zusammen mit dem Wieder-
gutmachungsgesetz im Landtag verabschiedet werden sollen, ihre Zustimmung nicht
geben."399
Die Wiedergutmachungsgesetzgebung vollzog sich auch in der Bundesrepublik in
Kopplungsgeschäften, wie die Verabschiedung des Bundesentschädigungsgesetzes
zeigt. Hier versuchte die CDU die Verabschiedung dieses Gesetzes mit einer Rück-
erstattung besatzungsrechtlich angeordneter Beschlagnahmungen zu verbinden.400
Erst Kirns Drohung führte letzlich zur Verabschiedung des Wiedergutmachungs-
gesetzes am 10. Juli 1951, und am selben Tag wurde das "Gesetz über den Abschluß
des politischen Säuberungsverfahrens", dessen Dritte Lesung eigentlich schon für den
25. Mai vorgesehen war, verabschiedet.401
4.5 Saarländische Wiedergutmachung im Vergleich
4.5.1 Leistungsvergleich
Für die Opfer des Nationalsozialismus im Saarland brachte der Beitritt zur Bundesre-
publik einen Leistungsschub, denn der Kreis der Anspruchsberechtigten wuchs, und
die Entschädigungsleistungen waren höher. Im Saarländischen Landtag stellte der
Berichterstatter bei der Einführung des Bundesentschädigungsgesetzes fest, daß "die
Regelung nach dem Bundesentschädigungsgesetz allgemein günstiger ist als die nach
dem saarländischen Wiedergutmachungsgesetz."402
398 Ebd., Niederschrift zur Sitzung vom 6.6.51, S.3.
399
Ebd., Niederschrift zur Sitzung vom 16.6.51.
Zu den Einzelheiten, siehe: G o s c h 1 e r, Wiedergutmachung, S.289, 295-297.
401
Möhler, Entnazifizierung, S.214.
402 LTS DS 1/60, Niederschrift zur Sitzung vom 6.2.59, S.1710.
264
Vor der Entstehung der Bundesrepublik hatten die Länder unter Einwirkung der
Besatzungsmächte Wiedergutmachungsgesetze verabschiedet. Die verwirrende Fülle
mußte vereinheitlicht werden. Das Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für
Opfer nationalsozialistischer Verfolgung sollte eine Harmonisierung bringen. Die
durch die schnelle Verabschiedung immanenten Mängel wurden durch das Bundesent-
schädigungsgesetz vom 29. Juni 1956, das rückwirkend zum 1. Oktober 1953 in Kraft
trat, überwunden.403
Ein Vergleich der Wiedergutmachungsbemühungen zwischen dem Saarland und
Österreich bietet sich deshalb an, weil beide Länder erst nach 1933 zu Na-
zi-Deutschland kamen, sich in beiden Ländern dagegen Widerstand formierte und die
politische Elite der unmittelbaren Nachkriegszeit zu der Gruppe der politisch Verfolg-
ten gehörte. Das Saarland bekannte sich zur Wiedergutmachung und gewährte einen
gesetzlichen Anspruch, während die Republik Österreich nur Fürsorgeleistungen
zugestand und sich zunächst einmal darauf berief, daß sie selbst Opfer der
NS-Tyrannei gewesen sei, was die vier alliierten Mächte insoweit bestätigten, als im
Staatsvertrag von 1955 die sogenannte österreichische Mitverantwortungsklausel
gestrichen wurde. Erst 1949 wurde den Opfern des Nationalsozialismus ein Renten-
anspruch gewährt, das bereits 1945 beschlossene Opferfürsorgegesetz hatte praktisch
nur deklamatorischen Charakter. Nach sehr zähen Verhandlungen erhielten 1952 die
Opfer des Nationalsozialismus einen Anspruch auf Haftenschädigung.404
Wenn man im Saarland Kriegsopferversorgung und Wiedergutmachungsgesetzgebung
miteinander vergleicht, so fällt auf, daß die Kriegsopferversorgung wesentlich gün-
stiger als in der Bundesrepublik war - ganz im Gegensatz dazu aber die Wiedergutma-
chung. Die Versorgungsrenten als auch die Entschädigungsleistung lagen eher unter
dem bundesdeutschen Niveau. Auch der Vergleich der Entwicklung der Kriegsopfer-
versorgung mit der Wiedergutmachung zeigt, daß der Wachstumsentwicklung in der
Kriegsopferversorgung eine weitgehende Stagnation auf Seiten der Wiedergutmachung
gegenübersteht, wenn man von der Rentenentwicklung einmal absieht.
Dieser Befund erstaunt um so mehr als führende Politiker der beiden Regierungs-
parteien CVP und SPS wie Johannes Hoffmann, Edgar Hector, Emil Straus und Ri-
chard Kirn selbst Emigranten gewesen waren und doch für die Belange der Opfer des
Nationalsozialismus besonders sensibel gewesen sein müßten. Von sechs Ministern im
Kabinett Hoffmann waren vier Emigranten. Die Mehrheit der politischen Führungs-
kräfte hatte im Abstimmungskampf 1935 gegen den Anschluß gekämpft, mußte ins
Exil gehen, wurde verhaftet oder stand vor dem Volksgerichtshof. Im Saarländischen
403
Ebd., S.1709. Zu den verwaltungsgeschichtlichen Veränderungen, siehe ebd., S.1711.
404
B a i 1 e r, Wiedergutmachung kein Thema, S.38, 62.
265
Landtag waren in der ersten Wahlperiode 32 Prozent der Abgeordneten ehemalige
Emigranten, wobei die SPS den höchsten Emigrantenanteil aufwies. So wurde das
Saarland auch als Emigrantenstaat bezeichnet und die bundesdeutsche Presse stigmati-
sierte die politische Elite an der Saar als Emigrantenclique.405
Die relativ ausführliche Analyse der Vorgänge zur Wiedergutmachungsgesetzgebung
zeigt die deutlichen Unterschiede zwischen CVP und SPS. Dies könnte damit zu
erklären sein, daß Hoffmann und seine Partei das Problem der Wiedergutmachung
nicht isoliert aus ethischer Perspektive, sondern im gesamtpoliüschen Kontext betrach-
teten.
4.5.2 Saarländische Wiedergutmachung unter Dominanz der Innenpolitik
Hoffmanns Harmonisierungskurs und seine stabilisierende Funktion
Die Einstellung der CVP zur Wiedergutmachung ist durch eine starke Restriktion
gegenüber Forderungen, die Entschädigungssummen zu erhöhen, gekennzeichnet.
Jegliche Sonderstellung der Opfer des Naüonalsozialismus und damit das Herausstellen
ihres Opfers sollte vermieden werden, entsprechend wurde die Angleichung der Renten
an die Kriegsopfer durchgesetzt. Im Gegensatz zu Gustav Levy und zur SPS ließ sich
die CVP in der Frage der Wiedergutmachung nicht von ethischen Gesichtspunkten
leiten, sondern handelte, so zumindest spiegelt es die Aktenlage, aus politischem
Kalkül. Gerade das Thema Wiedergutmachung war ein psychologisches Problem. Je
rigoroser der politische Anspruch auf Wiedergutmachung, um so größer die Gefahr
gesellschaftlicher Spannungen. Hoffmann wollte eine Polarisierung zwischen Opfern
des Nationalsozialismus und denen, die im Kampf für das System als Soldat oder
Zivilist Opfer hinnehmen mußten, vermeiden, ihm ging es darum, zu versöhnen. Mit
einer vorrangig ethisch-moralischen Betrachtungsweise war dies nicht zu erreichen. Er
fürchtete, eine großzügigere Versorgung könne Gräben aufreißen und eine Polarisie-
rung zwischen Opfern und Tätern fördern im Saarland insbesondere zwischen Emi-
granten und Nicht-Emigranten, ein Szenario, das der politischen Stabilität nicht dien-
lich sein konnte. Anläßlich der Landtagswahlen 1952 versuchte die Demokratische
Volkspartei, über eine Polarisierung zwischen Emigranten und Dagebliebenen für sich
zu werben mit Parolen wie: "Nicht Emigranten - Nicht Separation - wählt Opposition -
wählt Kriegsgeneration."406
Grundsätzlich genossen nach dem Zweiten Weltkrieg die nach Deutschland zurückge-
kehrten Emigranten keine gesellschaftliche Wertschätzung. Das Wort “Emigrant” war
semantisch negativ besetzt. Breite Schichten assoziierten mit ihm Begriffe wie Feigling
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.59, B1.209, Revue de Presse, Kölnische Rundschau vom
24.1.50.
406 Privaiarchiv Dontot (PAD), Doss.5, Flugblatt. Ein anderes lautete:" Weg mit Joho und seinen Vasallen!
Raus mit den Emigranten aus der Regierung".
266
und Deserteur. Noch bis in die sechziger Jahre versuchte die Union sozialdemokrati-
sche Spitzenpolitika- wie Willy Brandt und Herbert Wehner wegen ihres Exils politisch
zu diskreditieren. Die Negativassoziationen änderten sich erst langsam mit der Großen
Koalition.407
Emigration wurde als Makel wahrgenommen. Für viele Bundesdeutsche war Willy
Brandt deshalb als Kanzler unvorstellbar. Seine Emigration und sein Dienst in der
norwegischen Armee weckten die Vorstellung, er habe auf deutsche Soldaten, auf die
eigenen Väter und Söhne geschossen.408
Im Saarland ist der Emigrantenproblematik eine besondere Qualität zuzubilligen. Die
Bedeutung der Emigration als persönliches Schicksal potenziert sich in einer über-
schaubar kleinen und dichtbesiedelten Region. Auch wenn es in der Bundesrepublik
viele Emigranten in der Politik gab, so sind die Verhältnisse zwar vergleichbar, aber
nicht gleichzusetzen. Der Anteil der Remigranten im Ersten Saarländischen Landtag
war mit 32 Prozent fast fünfmal so groß wie im Deutschen Bundestag, 1951 betrug er
dort gerade 6,95 Prozent.409
Im Unterschied zur Bundesrepublik war das Saarland schon zwischen 1933 und 1935
zum Sammelbecken für Emigranten aus dem Reich geworden.410 Schon zu dieser Zeit
waren die aus Nazi-Deutschland an die Saar geflüchteten Emigranten alles andere als
beliebt. Die Rückgliederung des Saarlandes an das "Dritte Reich" führte zu einer
breiten Emigrationswelle, vor allem ins angrenzende Frankreich. Dabei scheinen
unmittelbar nach der Volksabstimmung 1935 einige Saarländer kurzfristig und über-
stürzt im Sinne einer Überreaktion nach Frankreich emigriert zu sein. Bezeichnend ist
in diesem Zusammenhang, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit, die Erinnerung
von Lina und Walter Bier, zwei aktiven KP-Mitgliedern aus Landsweiler-Reden:"Da
verließen Leute das Land und wir wußten gar nicht warum, man sagte dann:'Der ist
emigriert, weü er schwarz gefahren ist'. Viele verließen völlig überstürzt das Land. Ich
habe verlassene Wohnungen gesehen, da stand noch Butter und Marmelade auf dem
Tisch. Viele kamen auch wieder zurück. Es sind so viele weggelaufen, manche einfach
nur, weü sie Schulden hatten, andere einfach aus Angst. Im übrigen wurden wohl viele
dazu verleitet zu emigrieren, weil sie mit Emigranten aus Hitler-Deutschland 1933
407
Jan F o i t z i k, Politische Probleme der Remigranten, in: Exil und Remigration 9/1992, S.106-113.
Alexander und Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven
Verhaltens, München 1967, S.66.
409 Hartmut Mehringer, Werner Röder und Dieter Marc Schneider, Zum Anteil ehemaliger
Emigranten am politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen
Republik und der Republik Österreich, in: Wolfgang Frühwald und Wolfgang Schieder (Hrsg.), Leben im
Exil. Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland 1933-1945, Hamburg 1981, S.213.
410 Hans-Walter Herrmann, Saarländische Emigration 1935-1939, in: JbWestLG 4/1978, S.357-412.
267
Bekanntschaft geschlossen hatten, also so eine Art Nachahmung. Hinzu kommt, daß
die Angst wohl auch dadurch gefördert wurde, daß die Emigranten aus Hit-
ler-Deutschland die Gewalt, die ihnen von den Nazis angetan wurde, zeigten. Da waren
Rücken mit Peitschenhieben und Narben zu sehen, da wurde von Folterungen be-
richtet".411
In dieser Aussage offenbart sich, daß auch Gegner des Nationalsozialismus, die sich für
die innere Emigration oder den Widerstand entschieden hatten, den Emigranten letzt-
lich eine Portion Feigheit unterstellten. Es zeigt sich zudem eine Rivalität des Wider-
standes. Diejenigen, die in Deutschland geblieben waren und Widerstand leisteten, oder
für ihre politische Überzeugung von Entlassung und Maßregelung über Folter bis zum
Konzentrationslager dem NS-System ausgesetzt gewesen waren, wollen ihre Wider-
standsleistung bis in die Gegenwart gegenüber den Emigrierten gewürdigt wissen,
nicht zuletzt deshalb vermuten Dagebliebene "Angst" als Motiv für die Emigration.
Zugleich bestätigt diese Erinnerung von Zeitzeugen die These von Alexander und
Margarete Mitscherlich:"Menschen erinnern nicht objektiv. Sie färben Geschichte
immer zu ihren Gunsten".412
Nach dem Zweiten Weltkrieg war wohl in keiner anderen Region die Remigrations-
quote bereits 1945 so hoch wie im Saarland. Die ehemaligen "Reichsfeinde" Hoffmann
und Kirn traten an die Spitze der von Deutschland abgetrennten Saar. Auch in der
saarländischen Nachkriegsgesellschaft waren die Emigranten nicht sehr beliebt. An
schriftlichen Quellen ist dies schwer nachweisbar, wohl aber im Rahmen der Oral
History. Gerade sie erscheint in diesem Zusammenhang unter methodischen Aspekten
geeignet zu sein, wenn es darum geht, die Einstellung der nichtemigrierten Bevölke-
rung gegenüber den Emigranten zu begreifen. Subjektive Impressionen und emotionale
Aspekte, wie sie bereits eben deutlich wurden, sind dabei von besonderem Interesse,
und gerade sie sind über die Oral History rekonstruierbar.
Dennoch gibt es auch mehrere schriftliche Belege, die die Exilproblematik sehr ein-
dringlich veranschaulichen. In einem Bericht über die politische Lage in seinem Land-
kreis an die Militärregierung und den Präsidenten der Verwaltungskommission führte
der Landrat des Kreises Ottweiler Dr. Buschlinger aus:"Die Stimmen der Kritik richten
sich gegen die Gefahr, daß in der Regierung wiederum die Emigranten und nicht
geborene Saarländer zur Geltung kommen und damit der Eindruck erweckt wird, als ob
es im Saarland keine Intelligenz gegeben habe, welche in der Lage wäre, die Aufgaben
der neuen Zeit zu meistern". Wie einseitig und selbstgerecht viele "dagebliebene
Saarländer" die Geschichte verarbeiteten, wird aus seinen weiteren Bemerkungen
Interview mit Walter und Lina Bier am 19.5.1994.
412 M i t s c h e r 1 i c h, Die Unfähigkeit, S.65.
268
deutlich:" Dieses Mißtrauen dehnt sich naturgemäß auf die Militärregierung aus, weil
man sagt, die Militärregierung protegiere die Emigranten, welche zum größten Teil
ohne Lebensgefahr 1935 das Saarland und seine Bevölkerung dem Schicksal überlas-
sen haben und durch Frankreichs Gastfreundschaft ein schön geführtes Leben haben,
während die Saarländer, welche nicht mit Nationalsozialisten fraternisiert haben,
jahrelanges äußeres und inneres Leid erduldet haben, jetzt aber sich von Emigranten
führen lassen müssen, welche die damaligen Verhältnisse niemals am eigenen Leib
gespürt hätten, nun aber so täten, als hätten sie die Welt vom Nazismus gerettet."413
Genau diesen Anspruch glaubten einige, die in Deutschland geblieben waren und sich
für Widerstand und innere Emigration entschieden hatten, wahrnehmen zu können:
"Als die Emigranten nach 1945 dann zurückkamen, ging es los, mit dem Anspruch ein
Recht zu haben, politisch bestimmen zu können, ein Recht zu haben, die Wohnung
eines Nazis beschlagnahmen zu lassen und für sich zu beanspruchen. Manche Emi-
granten kamen auch mit Rachegedanken zurück. Selbstherrlich erschienen sie auf
Gemeindeverwaltungen und stellten ihre Forderungen. Wir haben in Erinnerung, daß
sich viele regelrecht aufspielten."414
Die Emigranten waren nach Kriegsende zusammen mit der Besatzungsmacht zurück-
gekehrt. Psychologisch förderte dies bei den Dagebliebenen eine suggestive Gleich-
stellung der Remigranten mit ihr. Diese Emotion wurde wohl noch dadurch verstärkt,
daß sie in der Regel während ihres Exils gute Sprachkenntnisse, insbesondere Franzö-
sisch, erworben hatten und damit die Sprache der Besatzungsmacht beherrschten, was
Ihnen den Umgang mit ihr erleichterte. Der Leiter der Präsidialkanzlei Franz Schleho-
fer bestätigte das gleichzeitige Erscheinen von ehemaligen Emigranten und Vertretern
der französischen Militärregierung und die Sprachkompetenz der Emigranten als
Motive für das Unbehagen breiter Schichten gegenüber dieser Bevölkerungsgruppe.
Hinzu kam, daß Remigranten wichtige Ämter übernahmen, Parteien und Gewerk-
schaften aufbauten. Grandval förderte diese Entwicklung, wie Dieter Marc Schneider
betont.415
LA SB, VWK, Nr.15, Dr. Buschlinger, Landrat des Kreises Ottweiter (im folgenden OTW), an die
Militärregierung des Kreises OTW und an Vorsitz, der VWK vom 19.11.47.
414
Interview mit Walter und Lina Bier am 19.5.1994. Ähnlich äußerte sich einer der bedeutendsten
saarländischen Gewerkschaftler der Ära Hoffmann, Aloys Schmitt, in einem Interview am
27.1.1994:"Andere Menschen blieben aber in Deutschland und litten dort. Die, die nach Frankreich
emigriert waren, kamen dann aus der Emigration zurück und beanspruchten jetzt, weil sie in Frankreich im
Exil waren und dort Französisch gelernt hatten, die Politik zu bestimmen, beanspruchten sozusagen,
Privilegierte zu sein. Die Saarländer fühlten sich durch solche Leute an Frankreich verkauft, Deutsche
waren wir aber immer. Und viele litten, gerade weil sie hier geblieben waren."
415
Interview mit Franz Schlehofer am 23.2.1994. Dieter Marc Schneider, Gilbert Grandval,
Frankreichs Prokonsul an der Saar 1945-1955, in: Stefan Martens (Hrsg.), Vom 'Erbfeind zum 'Erneuerer'.
Aspekte und Motive der französischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Welt krieg (Francia Beihefte
Bd.27), Sigmaringen 1993, S.211.
269
Zwischen Remigranten und Dagebliebenen bestand eine Mauer, man kann sogar von
einer Spaltung der Gesellschaft sprechen, wie folgende Beispiele veranschaulichen.
Als der spätere CVP-Politiker Jakob Feiler aus dem Krieg nach Hause gekommen war,
wollte ihn ein aktiver Sozialdemokrat vor Ort für die Sozialdemokratie gewinnen.
Obwohl er sozialdemokratischen Positionen damals gar nicht so abgeneigt gewesen sei,
erinnerter sich, hätte er in der SPS wegen ihres Emigrantencharakters keine politische
Heimat finden können.416
Zwischen beiden Gruppen bestand ein Entfremdungspotential, das immerhin so groß
war, daß es subjektiv bei manchen Emigranten wie Heinrich Wacker zu Bedrohungs-
gefühlen führen konnte. "Oft habe ich den Eindruck, daß die zurückliegenden 12 Jahre
mit all den Enttäuschungen, der Not und dem Elend spurlos an diesen Menschen
vorübergegangen sind (...), lieber Emil, und du stehst dann an führender Stelle, arbei-
test wie ein Verrückter von früh bis spät, hörst Dir all das Elend, den Jammer, die
Sorgen an, läufst von Tür zu Tür. (...) Eines steht fest, daß wenn morgen die Besat-
zungsmacht abziehen würde, wir übermorgen am Baum hängen würden."417
Für eine geringe gesellschaftliche Reputation der Opfer des Nationalsozialismus,
gerade im Vergleich zu den Kriegsopfern, ist auch ein Fall aus Merzig-Hilbringen
bezeichnend. Streitpunkt war die Frage, wer in diesem Ort einen Tabakladen betreiben
durfte, wobei zwei Kandidaten, ein Kriegsopfer und ein Opfer des Nationalsozialismus
zur Wahl standen. In einer Kommissionssitzung, die darüber zu befinden hatte, prote-
stierte der CVP-Abgeordnete Emil Weiten gegen die Entscheidung, einem anerkannten
Opfer des Nationalsozialismus den Vorzug zu geben, mit der lapidaren Begründung,
daß "(...) die Bevölkerung von Merzig-Hilbringen den Schwerbeschädigten und O.d.N.
(...) als Tabakwarenhändler ablehne."418
In diesem Kontext ist auch ein Blick auf die Einstellung der Bevölkerung zum Wider-
stand aufschlußreich. Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema
Widerstand, sei es in Form einer publizistischen oder politischen Diskussion oder eines
von Kirchen oder Parteien geführten Diskurses, scheint es im Saarland zur Hoff-
mann-Zeit genauso wenig gegeben zu haben wie in der Bundesrepublik. Dies ist ein
weiterer Indikator für die psychologische Befindlichkeit der saarländischen Bevölke-
rung. Sie zeigt die fehlenden psychologischen Voraussetzungen der Bevölkerungs-
mehrheit, eine weitergehende Wiedergutmachung zu akzeptieren.
416 Interview mit Jakob Feiler am 13.3.1993.
41 StA SB, NL Emile Schüler, Nr.9, Heinrich Wacker an Emile Schüler vom 14.8.46.
418 LA SB, StK/KR/MAW/1949/T-l, Minister Kim an Regierung des Saarlandes vom 7.1.49.
270
Die Haltung Hoffmanns zur Wiedergutmachungsfrage deutet darauf hin, daß er sich
dieser psychologischen Problematik bewußt war, und sein Versöhnungskurs dem
entgegensteuern sollte, um die eigene politische Position zu stabilisieren. Hier darf
nicht vergessen werden, daß die Regierung Hoffmann unter einem ständigen Recht-
fertigungsdruck stand. In letzter Konsequenz bedeutete Hoffmanns Kurs ein Nivellie-
ren der Opfer des Nationalsozialismus mit den Kriegsopfern und war Ausdruck eines
politischen Modells, alle Kräfte zu integrieren, um die eigene politische Herrschaft
nicht zu destabilisieren, wohl aus Furcht, daß ein anderer Weg das Konzept des Saar-
staates in Frage stellen könnte.
Hoffmanns Bemühungen zur Harmonisierung zeigen sich in seiner Rede zum Wieder-
gutmachungsgesetz vom 30. Juli 1948 in der Aussage, er werde "niemals auch nur
einen Centime aus diesem Gesetz beanspruchen (...) auch nicht wenn es mir zugespro-
chen wird". In dieser Haltung kann man den Versuch erkennen, die eigene Vergangen-
heit als Opfer des Nationalsozialismus nach Möglichkeit zu verdecken, zumindest sie
aber nicht herauszustellen und daraus keine Ansprüche für sich abzuleiten. Der In-
tegrationswille kommt dann in dem Vorschlag zum Ausdruck, er würde entsprechende
Geldbeträge "auf der einen Seite etwa zwischen dem Kind einer hingemordeten jü-
dischen Familie oder meinetwegen eines Kommunisten (...), und auf der anderen Seite
zweier kinderreicher Familien eines in diesem wahnsinnigen Krieg gefallenen Saarlän-
ders teilen".419 In dieser Aussage steckt die Botschaft, daß er Ministerpräsident aller
Saarländer sein und sozusagen zwischen den Angehörigen der Täter und den Angehö-
rigen der Opfer keinen Unterschied ziehen möchte. Hoffmanns Strategie zeigte sich
auch in seiner Regierungserklärung vom 14. April 1951, in der er betonte, es sei ihm
eine Herzenssache, den Rentnern, Witwen und Waisen, den ehemaligen Kriegsgefan-
genen und Kriegsopfern, auch den Unfallopfern eine menschennahe Fürsorge angedei-
hen zu lassen. Mit keiner Silbe ging der Ministerpräsident auf die Opfer des National-
sozialismus ein, was der Generalsekretär des BVN Karl Mössinger voller Verbitterung
in einem Schreiben an Hoffmann beklagte.420
Die Position der CVP-Minister und insbesondere die des Ministerpräsidenten in der
Frage der Entnazifizierung stützt die These, daß die CVP und Johannes Hoffmann
Konflikte bei der Frage der Aufarbeitung der Vergangenheit scheuten und einen
gesellschaftlichen Harmonisierungskurs verfolgten, das hieß ein Versöhnungskonzept
ohne öffentliche Schuldzuweisung und Schuldaufarbeitung. Zwangsläufig bedeutete
dies, daß den Opfern des Nationalsozialismus keine besondere Hilfe zuteil wurde, weil
man andernfalls wohl um die politische Stabilität fürchtete. So verteidigte Hoffmann
gegenüber Grandval, daß sich unter den Anfang 1949 entlassenen Mitarbeitern des
LTS DS 1/37, Niederschrift zur Sitzung vom 30.8.48, S.11-13.
Ebd., StK, Nr.3204, Karl Mössinger, BVN, an Johannes Hoffmann vom 20.4.51.
271
öffentlichen Dienstes zahlreiche Personen befänden, die nach 1945 eingestellt worden
seien, damit, daß diese damals nur vorübergehend beschäftigt werden sollten. Grandval
befürchtete deshalb eine "Renazifizierung "des öffentlichen Dienstes, im Finanz-
ministerium seien immerhin von 24 Beamten 16 Pg' s, diese Entwicklung rechtfertigte
Hoffmann gegenüber Grandval.421
Auch Karl Hoppe, Vorsitzender der Kriegsopfervereinigung und zu diesem Zeitpunkt
noch KP-Landtagsabgeordneter, unterstützte den Ministerpräsidenten, der sich in seiner
Regierungserklärung vom Dezember 1947 um eine großzügige Amnestie für die
besonders belastete Gruppe der Lehrer bemüht hatte. Hoppe selbst sprach in einem
Interview am 30. September 1947 davon, daß es im Saarland nur 100 wirklich verant-
wortliche schuldige Nationalsozialisten gebe.422
Bezeichnend für Hoffmanns Versöhnungskonzept war das Bemühen, Unruhe zu
vermeiden und keine Gräben aufzureißen. Der Versöhnungskurs zeigt sich in der
gleichzeitigen Verabschiedung des Wiedergutmachungsgesetzes mit der sogenannten
Saarlandamnestie. Dies gilt sowohl für das Gesetz zur Bereinigung von Dienst- und
Beamtenverhältnissen im Saarland vom 31. Juli 1948 als auch beim Gesetz über den
Abschluß des politischen SäuberungsVerfahrens vom 10. Juli 1951. Das Gesetz ver-
pflichtete den Dienstherren, Epurationsbeseheide als dienstrechtliche Entscheidung
anzusehen. Amnestierte konnten nur nach Maßgabe des Stellenplanes wiedereingestellt
werden. Entlassung war möglich, wenn die Betroffenen gewisse Voraussetzungen
nicht erfüllten wie Ablehnung der nationalsozialistischen Ideologie und gerechte und
unparteiische Verwaltung des ihnen übertragenen Amtes 423
Johannes Hoffmann verfolgte mit seinem Harmonisierungs- und Integrationskurs einen
Weg, den auch Bundeskanzler Adenauer und der hessische Ministeipräsident Georg
August Zinn (SPD) gingen. Auch Adenauer verlor in einer Rede im Deutschen Bun-
destag am 21. September 1949 kein Wort über die Opfer des Nationalsozialismus,
wohl aber über die anderen Geschädigten. In einer Rede vor dem Deutschen Bundestag
am 16. März 1950 stellte auch der hessische Ministerpräsident die innenpolitische
Versöhnung in den Mittelpunkt. Constantin Goschler, der die Wiedergutmachungs-
politik der Bundesrepublik ausführlich untersucht hat, interpretiert diesen Versöh-
nungskurs als eine Entwicklung, "wie sie nach dem Übergang von Diktaturen in
demokratische Gesellschaften häufig zu beobachten ist, was damit zusammenhängt,
daß derartige Auseinandersetzungen zwangsläufig politisch und gesellschaftlich
Möhler, Entnazifizierung, S.397.
422 Ebd., S.123, 134, mit Anm.l 8; S.308, Anm.54; S.309 und 314.
423 Ebd., S.314, 397.
272
destabilisierend wirken".424 Genau dies scheint Johannes Hoffmann erkannt und
Konsequenzen daraus gezogen zu haben. Ein ähnliches Konzept - Harmonisierungs-
und Versöhnungskurs zur gesellschaftlichen Integration und Stabilisierung - findet sich
in der Einstellung der dänischen Nachkriegsgesellschaft zur Kollaboration der dä-
nischen Justiz mit den deutschen Besatzern und ihrer strafrechtlichen Ahndung.425
Primat ethisch-moralischer Motive sozialdemokratischer Wiedergutmachungspolitik
Auch für die SPS war Versöhnung ein politisches Ziel. Es war aber nur über aus-
reichende Entschädigung bzw. Wiedergutmachung möglich, so betonte Hermann Petri,
erst wenn "(...) einigermaßen das Unrecht wiedergutgemacht wird, dann werden wir
auch im Saarland nach und nach zu einer Aussöhnung kommen, die wir brauchen, um
unsere gemeinsamen großen Aufgaben des Volkes in der Zukunft zu erfüllen." Die
SPS bekannte sich auch zu dem politischen Kampf ihrer Mitglieder vor 1935 und
leitete einen moralischen Anspruch daraus ab, eine deutliche Trennungslinie zwischen
Opfern des Nationalsozialismus und Kriegsopfern zu ziehen, so stellte Petri über die
Gruppe der Opfer des Nationalsozialismus fest:"Sie haben dem Volk an der Saar
deutlich gesagt, daß das Naziregime zum Kriege führt, und deshalb wurde diesen
Nazigegnern eine Behandlung zuteil, die in der ganzen Welt Empörung ausgelöst
hat."426
Wenn man die Position von saarländischen und bundesdeutschen Sozialdemokraten
vergleicht, zeigen sich Ähnlichkeiten. Insgesamt scheint sowohl in der Bundesrepublik
als auch im Saarland die Sozialdemokratie in der Wiedergutmachungsfrage stärker als
die Christdemokraten engagiert gewesen zu sein, wie die Politik Richard Kims im
Saarland zeigt und die Rolle deutscher Sozialdemokraten wie Carlo Schmid, Adolf
Arndt, Otto Heinrich Greve und Jakob Altmaier nahelegt. Die SPD hatte im übrigen
auch bei den Grundgesetzberatungen versucht, eine Wiedergutmachungsklausel
aufzunehmen. Was die Wiedergutmachungspolitik der CDU/CSU betrifft, so muß auf
den besonderen Einsatz und die Sonderrolle Adenauers hinsichtlich der Wiedergutma-
chungsleistung an Israel hingewiesen werden. Tendenziell entsprach aber die Position
der Union der CVP, da beide Parteien sich in Fragen der Entschädigung für die Opfer
des Nationalsozialismus eher restriktiv verhielten und eine besondere Unterstützung
ablehnten.427
424
G o s c h 1 e r, Wiedergutmachung, S.221. Nach Einschätzung von Hans-Peter Schwarz habe Adenauer
innenpolitisch "vom neurotischen Dauergeschwätz über die NS-Vergangenheit” nichts gehalten, siehe:
Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann: 1952-1967, Stuttgart 1991, S.699.
425
Ditlev Tamm, Kollaboration und ihre strafrechtliche Ahndung in Dänemark nach dem Zweiten
Weltkrieg, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 5/1983, S.44-73,
426 LTS DS 1/37, Niederschrift zur Sitzung vom 30.7.48, S.8.
Siehe zu CDU/CSU und SPD: Goschler, Wiedergutmachung, S.199, 203.
273
Ein weiteres Beispiel für die Distanz der saarländischen Bevölkerung zu den Opfern
des Nationalsozialismus ist die ablehnende Haltung des Homburger Bürgermeisters zu
dem Plan, ein Anwesen der Karlsbergbrauerei auf dem Schloßberg in Homburg zu
einem Sanatorium für Opfer des Nationalsozialismus umzubauen. Die Begründung
spricht für sich. Auf die Höhengaststätte in Homburg könne wegen der Zerstörung und
Beschlagnahme einer großen Anzahl öffentlicher Gaststätten nicht verzichtet werden.428
Angesichts solcher Äußerungen gewinnt man den Eindruck, daß Hoffmann und die
CVP wohl die Problematik erkannten, daß eine besonders strenge Entnazifizierung und
eine großzügige Wiedergutmachung das politische Konzept einer autonomen Saar
gefährden könnten. Ein besonderes Engagement in Wiedergutmachungsfragen beinhal-
tete die Gefahr einer Polarisierung zwischen der Minderheit ehemaliger Emigranten
und der Mehrheit der saarländischen Bevölkerung.
Die Aura 'Emigrantenrepublik' erschwerte die Wiedergutmachung
Eine nach streng moralischen Gesichtspunkten ausgerichtete, großzügige Wieder-
gutmachungspolitik hätte vor dem Hintergrund der zahlreichen Remigranten in der
politischen Führung, den Eindruck erwecken können, als ob die Regierung sich selber
bediene. Dieses Problem sprach der SPS-Abgeordnete Hermann Petri bereits in einer
Landtagsdebatte im Juli 1948 an:"(...) viele Zurückgekehrte (...), die heldenhaft für ihre
Überzeugungen gestanden haben, denen ist es sehr unangenehm, wenn Sie im Hohen
Hause dafür eintreten sollen, daß für sie eine Entschädigung gezahlt werden soll".429
Die Problematik, sich selbst entschädigen zu müssen, zeigt sich auch in ähnlicher
Weise bei der Frage eines "Mahnmales für die Opfer des Nationalsozialismus." Ein
entsprechender Gedanke war vom VVN dem Ministerrat unterbreitet worden. Der
Ministerrat schlug stattdessen vor, ein "Friedensdenkmal" zu errichten.430 Ein Mahnmal
nur für die Opfer des Nationalsozialismus grenzte die Mehrheit der Saarländer aus, mit
einem Friedensdenkmal konnte sich ein viel größerer Kreis identifizieren, vor allem
evozierte der Begriff keine trennenden oder ausschließenden Assoziationen. Die WN
hielt es für notwendig, den Terminus Friedensdenkmal als "zu allgemein gefaßt"
abzulehnen.431
LA SB, RP, Nr.119, Bl.31-35. Das Anwesen erwies sich im übrigen als ungeeignet. Korrespondenz
zwischen Bürgermeister von Homburg und Regierungspräsidium, Abteilung Arbeit.
429 LTS DS 1/37, Niederschrift zur Sitzung vom 30.7.48, S.8.
430 LA SB, StK, Nr.32Q4, VVN an Regierung des Saarlandes vom 29.6.50, VVN an ebd. vom 12.8.50.
431
Ebd. In gewisser Hinsicht stellt sich hier auch die Frage nach der Einstellung und Auseinandersetzung
der saarländischen Öffentlichkeit mit dem Thema Widerstand, denn ein "Mahnmal für die Opfer des
Nationalsozialismus" wäre auch Mahnmal für den Widerstand gewesen. Siehe für die Bundesrepublik:
Christiane Toyka-Seid, Der Widerstand gegen Hitler und die westdeutsche Gesellschaft:
Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte des 'anderen Deutschland* in den frühen Nachkriegsjahren, in:
Peter Steinbach und Johannes Tuchei (Hrsg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1994,
S.572-581.
274
Je stärker die Regierung für die Opfer des Nationalsozialismus eintreten würde, um so
intensiver würde sie ihren Emigrantencharakter betonen und ein latentes Entfrem-
dungspotential aktivieren, denn schließlich hatten die Saarländer für den Anschluß an
Hitler-Deutschland gestimmt und damit gegen Hoffmann und Kirn. Die damaligen
Warner Johannes Hoffmann, Richard Kirn und Edgar Hector gehörten jetzt aber zur
politischen Elite. Von den 30 ordentlich ernannten und stellvertretenden Mitgliedern
der Verfassungskommission hatten lediglich 14 sicher kein Emigrantenschicksal.432
Bezeichnend ist die Feststellung von Alexander und Margarete Mitscherlich hinsicht-
lich der Identifikaüon breiter Bevölkerungsschichten der Nachkriegszeit: "Wir erkennen
unsere Vergangenheit besser im Ritterkreuzträger als im deutschen Emigranten".433
Taktisch war Hoffmanns Strategie weitsichtig und geschickt, wie die Ereignisse um die
Abstimmung zum Saar-Statut vom 23. Oktober 1955 zeigen sollten. Denn im Gegen-
satz zur Zeit davor akzentuierten die Saarparteien die Parallele zur Abstimmung von
1935 und verloren auch deshalb den Kampf, weil sie, wie Jürgen Hannig feststellt, das
moralische und politische Selbstverständnis der Mehrheit der saarländischen Bevölke-
rung falsch einschätzten, zu erklären aus einer "Diskrepanz zwischen den Erfahrungen
und Wahrnehmungen der Masse der Saarländer und der Perspektive einer Minderheit,
die sich auf ihre NS-Gegnerschaft und pazifistischen Überzeugungen berufen
konnte".434
Die Instrumentalisierung der Wiedergutmachungsfrage durch den politischen Gegner
ist auch noch nach dem Referendum zu beobachten. Eine Glosse der der Sozialdemo-
kratie zuzuordnenden "Saarbrücker Allgemeinen Zeitung" vom 16. Januar 1960 spielte
auf Entschädigungsanträge ehemaliger Kabinettsmitglieder der Regierung Hoffmann
an, die nach dem Inkraftreten des Bundesentschädigungsgesetzes im Saarland gestellt
worden waren:"Aus der Nazizeit, aus der Nazizeit (...) klingt ein Lied noch immer dar.
Der Song nämlich von der Entschädigung (...)". Der Wortlaut spiegelt nicht nur das
nach wie vor angespannte Klima zwischen Prodeutschen und ehemaligen Autonomi-
sten wider, sondern zeigt auch, daß das Thema vor dem Hintergrund der besonderen
Geschichte des Saarlandes bis zur Geschmacklosigkeit politisch instrumentalisiert
wurde.435
432
Jürgen Hannig, Separatisten-Nationalisten? Zum Abstimmungskampf 1955, in: Rainer Hudemann
und Raymond Poidevin (Hrsg)., Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München
1992, S.384.
433
Mitscherlich, Die Unfähigkeit, S.68.
434
Hannig, Separatisten, S.393. Auch bei: Klaus-Michael M a 11 m a n n und Horst Steffens, Lohn
der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an der Saar, München 1989, S.255, 258-260. Ähnlichkeiten zur
DDR, Stichwort "Reimportierte Elite", S.266.
435 LA SB, LEA 9954.
275
Hoffmanns Bemühen, die Wiedergutmachung ohne gesellschaftliche Friktionen zu
erreichen, ist auch biographisch zu deuten. Das Streben des überzeugten Katholiken,
Polarisierung zwischen Opfern des Nationalsozialismus und der übrigen Bevölkerung
zu vermeiden, entspricht in gewisser Hinsicht auch dem Solidaritätsprinzip im katho-
lischen Sozialdenken, das grundsätzlich Konfrontationen vermeiden und einen Aus-
gleich von Gruppeninteressen erreichen will.436
4.5.3 Außenpolitik und Wiedergutmachung
Wiedergutmachung und Westintegration
Im Vergleich zur Bundesrepublik spielte sich die saarländische Wiedergutmachungs-
politik in ganz anderen Dimensionen und in viel engeren Koordinaten ab.
Die bundesdeutsche Wiedergutmachung war in den Kontext der Westintegration
eingeordnet. Die Aussöhnung mit Israel und die Wiedererlangung der Souveränität
standen in einem Kausalzusammenhang mit der Wiedergutmachungspolitik. Dieser
Zusammenhang wird im Luxemburger Abkommen und im Deutschlandvertrag deut-
lich, wie Gotthard Jasper aufgezeigt hat. Er kommt zu dem Ergebnis, daß die Wieder-
gutmachung, insbesondere in der Frage der Rückerstattung- und Entschädigungs-
gesetzgebung, eine notwendige Voraussetzung für die Westintegration bildete.437 Die
Wiedergutmachungszahlungen an Israel verbesserten das internationale Ansehen der
jungen Bonner Republik.438
Außenpolitische Aspekte wirkten auch auf die österreichische Wiedergutmachungs-
diskussion. Brigitte Bailer stellt fest, daß die Mehrheit der ohnehin bescheidenen
Maßnahmen aus Sorge um den guten Ruf Österreichs im Ausland erfolgt sei. Die
insgesamt geringen Wiedergutmachungsanstrengungen der Alpenrepublik kamen nur
unter der katalytischen Wirkung außenpolitischer Umstände zustande, wobei das
US-State Departement Druck ausgeübt hatte.439
Zusammenfassend kann man feststellen, daß aus politischen Gründen zur Stabilisie-
rung der politischen Situation an der Saar eine recht großzügige Kriegsopferversor-
gung gewährt worden ist. Die Weichen für eine im Vergleich zu den anderen Zonen
und Ländern überdurchschnittliche Versorgung wurden durch die Kriegsopferpolitik
der französische Militärregierung bereits Ende 1945 gestellt.
Vgl. dazu: Alfred Klose, Sozialpartnerschaft im katholischen Sozialdenken, in: Gerald Stourzh und
Margarete Grandner (Hrsg.), Historische Wurzeln der Sozialpartnerschaft, München 1986, S.53-55.
437
Gotthard Jasper, Wiedergutmachung und Westintegration. Die halbherzige justizielle Aufarbeitung
der NS-Vergangenheit in der frühen Bundesrepublik, in: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland
1945-1955, München 1986, S.198.
438 W o 1 f f s o h n, Das Wiedergutmachungsabkommen, S.218.
439 B a i 1 e r, Wiedergutmachung kein Thema, S.57-59, 277.
276
Während die Kriegsopfer von der besonderen Situation an der Saar profitierten, konn-
ten die Opfer des Nationalsozialismus keinen Vorteil daraus ziehen.
Im Gegenteil, letztlich wirkte sich gerade diese Sondersituation und eine aus Re-
migranten bestehende politische Elite negativ für die Betroffenen aus. Die CVP als
stärkste und bedeutendste Regierungspartei mit Ministerpräsident Hoffmann entschied
sich für eine zurückhaltende und eher restriktive Wiedergutmachungspolitik, um eine
Polarisierung zwischen Exilanten einerseits und Dagebliebenen andererseits zu vermei-
den. Darin liegt eine gewisse Tragik. Obwohl die Opfer des Nationalsozialismus im
Saarland in einem höheren Maße als in der Bundesrepublik von Leidensgenossen
regiert wurden, war ihre Situation aus heutiger Sicht noch beschämender als in der
Bundesrepublik.
Damit unterscheidet sich das Saarland von der DDR. Obwohl auch dort die politische
Elite im Kampf gegen den Nationalsozialismus dem Nazi-Terror ausgesetzt war und
viele emigriert waren, gilt für die ehemalige DDR nach bisherigem Forschungsstand,
daß sich die Kriegsopferversorgung im Vergleich zur Bundesrepublik und damit erst
recht im Vergleich zum Saarland auf insgesamt sehr niedrigem Niveau bewegte und an
strenge Kriterien gebunden war, während die Anstrengungen für die Opfer des Na-
tionalsozialismus bzw. des Faschismus - wie es in der SBZ/DDR hieß - beachtlich
gewesen zu sein scheinen. Hier ist vor allem auf die Heilfürsorge hinzu weisen sowie
auf die enge Kooperaüon zwischen Regierung und der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes (WN). Genauere Untersuchungen erscheinen für das Thema Kriegs-
opferversorgung und Entschädigung für die Opfer des Nationalsozialismus dringend
geboten, um ein differenzierteres Bild zu gewinnen.440
Einer großzügigeren Versorgung der Opfer des Nationalsozialismus stand im Saarland
auch die Kriegsgefangenenfrage entgegen. Dies war Ausdruck einer auch in der
Bundesrepublik zu beobachtenden Entwicklung. Die Interessen der Opfer des Na-
tionalsozialismus wurden durch andere soziale Gruppen verdrängt, deren Schicksal die
Öffentlichkeit stärker bewegte. In der Bundesrepublik waren es vor allem die Ost-
flüchtlinge bzw. die Vertriebenen.441
Nicht nur die Landtagsabgeordneten der KP, sondern auch der jüdische Rechtsanwalt
Gustav Levy mußten sich bei der Forderung nach höheren Wiedergutmachungs-
leistungen von CVP-Kollegen sagen lassen, das Schicksal der Kriegsgefangenen
vergessen zu haben.442 Solche Äußerungen waren populistisch, sie entsprachen der
F r e r i c h und Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd.2, S.23-25.
G o s c h 1 e r, Wiedergutmachung, S.203-213.
442 LTS DS 1/113, Niederschrift zur Sitzung vom 10.7.51, S.700.
277
Stimmung und dem Bewußtsein weiter Teile der Bevölkerung. Die Öffentlichkeit
erwartete, daß auch die Opfer des Nationalsozialismus in dieser Frage Farbe bekennen
sollten. So betonte auch der Generalsekretär des BVN-Saar gegenüber Hoffmann, die
nichtkommunistischen Mitglieder seien aus der VVN ausgetreten, weil bisher eine
Stellungnahme gegen Bolschewismus und Terror nicht möglich gewesen sei.443 Für
viele saarländische Familien stellte sich zunächst einmal die Frage nach dem Schicksal
ihres Ernährers, von dem seit Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft, jede Nach-
richt fehlte. Die Empörung über diese Tatsache förderte bei der Bevölkerungsmehrheit
die ohnehin vorhandene Tendenz, die Singularität des Genozids des "Dritten Reiches"
zu verdrängen.
5. Resümee
Die kollektive Erinnerung an den "sozialen Besitzstand" hält einer kritischen Prüfung
stand. Die Leistungen in der Familienpolitik, die Höhe der Kriegsopferrenten wie auch
die Anzahl der Feiertage waren wesentlich höher als in der Bundesrepublik, hinzu
kamen spürbare Vorteile in der Rentenversicherung hinsichtlich der Gleichstellung von
Arbeitern und Angestellten.
Dennoch konnten die Saarländer ihren "sozialen Besitzstand" nach dem Beitritt zur
Bundesrepublik nicht bewahren. Die saarländische Familienpolitik konnte zwar als
Impuls auf diebundesdeutsche Kindergelddiskussion wirken. Das vergebliche Ringen
um die Erhaltung der Familienzulagen verdeutlicht aber, daß Interaktionen an der
politischen Dominanz der Bundesrepublik während des Beitrittsprozesses scheiterten.
Bonn befürchtete eine Föderalisierung der Sozialgesetzgebung, wenn saarländische
Sonderregelungen toleriert würden. Zum anderen mißfiel die Verhandlungsstrategie
der Saarländer, eine Anpassung an bundesdeutsches Recht nur zu akzeptieren, wenn sie
gegenüber bisherigen Regelungen vorteilhaft war. Diese von einem Bonner Ministeri-
albeamten als ’’Rosinentheorie" bezeichnete Strategie wurde grundsätzlich abgelehnt.
Vor allem aber formierte sich eine einflußreiche Koalition aus dem Wirtschaftsflügel
innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bundeswirtschaftsminister Ludwig
Erhard und der deutschen Industrie gegen die Versuche des Familienministers und der
Familien verbände, das Saarland zum Vorbild für eine Neuregelung des bundesdeut-
schen Familienlastenausgleichs zu nehmen.
Das höhere soziale Leistungsniveau des Saarlandes wurde ganz wesentlich durch die
Sondersituation des Landes begünstigt. Die Sozialpolitik wurde politisch instrumentali-
siert, um die autonome Saar zu stabilisieren und eine fortschrittliche Sozialpolitik zu
ihrem Markenzeichen zu erheben, wie beispielsweise das Werben der CVP mit der
günstigeren saarländischen Kriegsopferversorgung verdeutlicht.
443
LA SB, Stk, Nr.3204, BVN-Saar an Hoffmann vom 12.2.51.
278
Darüberhinaus wirkte die Wirtschaftsunion mit Frankreich als sozialpolitischer Kataly-
sator, dies galt insbesondere für die Familienpolitik, denn hier segelte das Saarland im
Windschatten des französischen Wirtschaftspartners, während die bundesdeutsche
Diskussion durch das dunkle NS-Erbe nur schwer vorankam.
Der Blick auf die Wiedergutmachung zeigt aber auch gegenüber bundesdeutschem
Niveau deutliche Defizite. Sie haben ihre Ursache in der Sondersituation des Saar-
landes. Letztlich entfaltete sich die saarländische Sozialpolitik unter anderen gesell-
schaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, zu erklären aus der jeweiligen
besonderen Situation.
Durch die Wirtschaftsunion mit Frankreich profitierte das Saarland bis zu Beginn der
fünfziger Jahre von dem zu diesem Zeitpunkt noch gegenüber der Bundesrepublik
deutlich höheren Sozialprodukt. Um 1950 war es noch um fast ein Viertel größer als
das der Bundesrepublik, ab 1950/51 verschlechterte sich aber bereits die Kaufkraft der
Franzosen.444 Gleichwohl lag der reale private Pro-Kopf-Verbrauch in der Bundesre-
publik bis 1952 noch etwa 14 Prozent unter dem des letzten Vorkriegsjahres, nicht
zuletzt deshalb, weil ein hoher Anteil des Sozialprodukts in den Investitionsbereich
gelenkt wurde.445 Das frühere Einsetzen des wirtschaftlichen Aufschwungs an der Saar,
Heinen spricht vom frühen Wirtschaftswunder, ermöglichte es, früher über einen
sozialpolitischen Verteilungsspielraum zu verfügen. Dies wurde auch von den Deut-
schen im Grenzraum zum Saarland so wahrgenommen und äußerte sich im Spitznamen
"Speckfranzosen".446
Diese Entwicklung wurde begünstigt durch die Tatsache, daß das Saarland sich dem
Vertriebenenproblem nicht stellen mußte. Zwischen 1945 und 1950 kamen 7 Millionen
Vertriebene und bis 1961 3 Millionen Flüchtlinge in die Bundesrepublik, davon allein
aus der SBZ bis 1950 1,6 Millionen Menschen. Dieser Personenkreis stellte 1950 20
Prozent der westdeutschen Bevölkerung. Die Integration dieses Heeres von Flücht-
lingen und Vertriebenen, von fast 9 Millionen sozial deklassierten und pauperisierten
Darryl Holter, Politique charbonnière et guerre froide 1945-1950, in: Le Mouvement social
130/1985, S.62, Anm.60. Die wirtschaftliche Verschlechterung ist im Kontext der Streikbewegungen zu
sehen, die im März 1950 zu Rückgängen bei der Stahlproduktion führten, siehe: L'anné politique
1950, S.81.
445 Hans Günter Hockerts, Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und
deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957, Stuttgart 1980, S.203 f.
446 Siehe dazu: Armin Heinen, Vom frühen Scheitern der französischen Saarpolitik. Politik und
Ökonomie 1945-1950, in: Von der 'Stunde 0' zum 'Tag X’, Das Saarland 1945-59. Katalog zur Ausstellung
des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg. vom Stadtverband
Saarbrücken, Merzig 1990, S.156-158, 167. Ders., Zur französischen Wirtschaftspolitik an der Saar, in:
Rainer Hudemann und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen
Geschichte, München 1992, S.160, 164 f., 173.
279
Menschen441 * * * * * 447, stellte die Wirtschafts- und Sozialpolitik der jungen Bundesrepublik vor
erhebliche Aufgaben und erklärt auch, daß der sozialpolitische Verteilungsspielraum
im Vergleich zum Saarland wesentlich geringer war. 1956 lebten im Saarland bei einer
Bevölkerung von einer Million gerade 22.000 Vertriebene.448 Bis 1956 gab der Bund
286 Millionen DM an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Vertriebene aus, jeder
Dritte Vertriebene war arbeitslos.449
Früherer wirtschaftlicher Aufschwung und keine Millionenmigration mit entsprechen-
den Integrationsopfern verschonten das Saarland deshalb auch von der Arbeitslosig-
keit. Im Februar 1950 bewegte sich die bundesdeutsche Arbeitslosenquote mit 12,2
Prozent fast auf dem Fünffachen der saarländischen von 2,5 Prozent.450 Im Rahmen der
RückgliederungsVerhandlungen hielt Bundesarbeitsminister Storch (CDU) den Saar-
ländern in ihrem Bemühen zur Wahrung des "sozialen Besitzstandes" vor:" In der Zeit,
als wir bei uns in Deutschland 2 Millionen Arbeitslose hatten, gab es an der Saar keine
Arbeitslosen. In der Zeit, als wir im Bundesgebiet annähernd 10 Millionen Flüchtlinge
eingliedem mußten, war eine derartige Aufgabe an der Saar nicht gegeben."451
Angesichts der wirtschaftlichen Monostruktur des Saarlandes, die in den siebziger
Jahren zur wirtschaftlichen Dauerkrise des Landes führen sollte, ist es interessant zu
beobachten, daß die Migration von Vertriebenen und Flüchtlingen in einigen Bundes-
ländern sich langfristig positiv auswirken sollte. Werner Abelshauser hat nachgewie-
sen, daß in wirtschaftlich einseitig geprägten Gebieten wie Bayern durch die Ansied-
lung von Vertriebenen eine gesunde agrarisch-industrielle Mischstruktur mit einer
hohen Resistenz gegenüber konjunkturell ungünstigen Entwicklungen entstanden sei.
In diesen Regionen bauten die Vertriebenen kleine und mittlere Handwerksbetriebe auf
und bildeten damit einen Ausgleich zur agrarischen Monostruktur.452
441 Werner Abelshauser, Der Lastenausgleich und die Eingliederung der Vertriebenen und Flücht-
linge - Eine Skizze, in: Helga Grebing (Hrsg.), Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nach-
kriegsgeschichte, Hildesheim 1987, S.233. Hans Günter Hockerts, Bürgerliche Sozialreform nach
1945, in: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.), Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform
in Deutschland vom Vormärz bis zur Ära Adenauer, München 1986, S.252. Außerdem: M. Rainer
Lepsius, Demokratie in Deutschland, Göttingen 1992, S.146. Siehe auch: Oswald von Nell-
B r e u n i n g, Der Beitrag des Katholizismus zur Sozialpolitik der Nachkriegszeit, in: Albrecht Langner
(Hrsg.), Katholizismus, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik 1945-1963, Paderborn 1980, S.115.
LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.234, Auszug aus dem Dt. Informationsdienst Nr.2 vom 30.4.56.
449
Abelshauser, Der Lastenausgleich, S. 23 3-235.
450
Klaus M e g e r 1 e, Die Radikalisierung blieb aus. Zur Integration gesellschaftlicher Gruppen in der
Bundesrepublik Deutschland während des Nachkriegsbooms, in: Hartmut Kaelble (Hrsg.), Der Boom
1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und in
Europa, Opladen 1992, S. 116, 119 f. H e i n e n, Vom frühen Scheitern der französischen Saarpolitik,
S.165, 170.
DB DS 2.WP., Niederschrift zur 181. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 14.12.56, S.10.003.
452
Abelshauser, Der Lastenausgleich, S.235. Siehe auch: Friedrich Prinz, Integration und
Neubeginn. Dokumentation über die Leistung des Freistaates Bayern und des Bundes zur Eingliederung
der Wirtschaftsbetriebe der Vertriebenen und der Flüchtlinge und deren Beitrag zur wirtschaftlichen
280
Die politischen Verhältnisse im Saarland - Parteienlandschaft und Sozialstruktur der
Parlamentarier - wirkten sich auf den sozialpolitischen Standard ausgesprochen positiv
aus. Im saarländischen Landtag befand sich kein politisches Äquivalent zur bundes-
deutschen F.D.P., die sozialpolitische Wohltaten verhindern wollte, wie ihre Rolle im
Parlamentarischen Rat, ihr Widerstand gegen das sozialpolitisch qualitativ einschnei-
dende Sozialversicherungsanpassungsgesetz des Frankfurter Wirtschaftsrates zeigt.
Bundesjustizminister Dehler sprach in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am
12. Dezember 1951 von einer "Rentensucht" und "Rentenpsychose".453 In der Kriegs-
opferversorgung wünschten die Liberalen, daß nur die Renten für die Schwerbeschä-
digten erhöht werden sollten. Gegen Adenauers Rentenreformgesetz von 1957 meldete
die F.D.P. ebenso ihren Widerstand an wie gegen die von der CDU/CSU angestrebte
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.454 In der Familienpolitik verfolgte sie einen ebenso
restriktiven Kurs.455 Betriebsverfassungs- und Montanmitbestimmungsgesetz wurden
von der F.D.P. als "Teilenteignung" interpretiert. Die Liberalen standen davor, die
Koalition deshalb platzen zu lassen.456 Im Vorfeld hatte der F.D.P. - Bundestagsabge-
ordnete Richard Hammer behauptet, daß mit der Idee der Betriebsgemeinschaft der
Stalinismus begonnen habe, die Anpassung an den Marktauftrag zwinge "dem Arbeiter
das Schicksal auf, das in dem Wort Prolet am besten umschrieben ist."457 Ähnlich hatte
sich 120 Jahre zuvor der liberale Minister der Julimonarchie Casimir Perier geäu-
ßert: "Die Arbeiter müssen wissen, daß es für sie keinen anderen Ausweg gibt als
Geduld und Resignation".458
Im Gegensatz zu CDU/CSU und SPD wie auch zur DPS fehlte der F.D.P. ein Arbeit-
nehmerflügel als Antipode.459
Entwicklung des Landes, München 1984. Ders. (Hrsg.), Trümmerzeit in München. Kultur und Gesellschaft
einer deutschen Großstadt im Aufbruch 1945-1949, München 1986.
453 Zit. nach: Hockerts, Sozialpolitische, S.202. Siehe auch ebd: S.113 und 229. Dr. Thomas Dehler
(1897-1967), Jurist, Rechtsanwalt, Mitbegründer des "Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold", von den
Nationalsozialisten verfolgt, nach 1945 u.a. Generalstaatsanwalt und Generalankläger für Entnazifizierung
in Bayern, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion 1953-1956, FDP-Bundesvorsitzender 1954-1957,
Bundesjustizminister 1949-1953. Siehe dazu: B a u m a n n, Biographien, Sp.135 f.
454
Blank, Sozialgesetzgebung, S.104 f.
455 Ebd, und Nell-Breuning, Der Beitrag, S.115.
456
Dorothee Buchhaas, Gesetzgebung im Wiederaufbau. Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen und
Betriebsverfassungsgesetz 1945-1952, Düsseldorf 1985, S.225, 257-259. Hockerts, Sozialpolitische,
S.392.
45' Buchhaas, Gesetzgebung, S.258, Anm.17 und 18.
458
Peter Jansen und Gerhard K i e r s c h, Länderstudien zur Gewerkschaftsbewegung. Frankreich, in:
Siegfried Mielke (Hrsg.), Internationales Gewerkschaftshandbuch. Opladen 1983, S.437,457.
459
Rolf Wen z e 1, Konrad Adenauer. Die Neuordnung der Grundstoffindustrien und die Mitbestimmung
als gesellschaftspolitische Frage, in: Albrecht Langner (Hrsg.), Katholizismus, Wirtschaftsordnung und
Sozialpolitik 1945-1963, Paderborn 1980, S.126,
281
Der Anteil der Abgeordneten im saarländischen Landtag, die als Bergleute oder Hüt-
tenarbeiter tätig gewesen waren, war außerordentlich hoch - wohl höher als im Deut-
schen Bundestag. Mehr als die Hälfte der Abgeordneten, nämlich 21 von 50, waren
entweder Gewerkschaftsmitglieder oder Gewerkschaftsfunktionäre. Kaufleute und
Unternehmer bildeten dagegen eine Ausnahme.460
Außen- und Sozialpolitik können in einem Wirkungszusammenhang stehen, wie der
Vergleich zwischen der saarländischen und der bundesdeutschen Wiedergutmachung
gezeigt hat. Dies gilt auch für andere Bereiche wie z.B. die Montanmitbestimmung und
Adenauers Taktik, vor dem Hintergrund der Verhandlungen über den Schumanplan
und dem Ziel der Westintegration, über Zugeständnisse in der Mitbestimmungsfrage,
einen Block von Sozialdemokratie und Gewerkschaft gegen seinen außenpolitischen
Kurs zu verhindern.461 Auch der Ost-West-Konflikt wirkte als sozialpolitischer Kataly-
sator für die Bundesrepublik. Nachdem hohe wirtschaftliche Wachstumsraten gerade
in der zweiten Legislaturperiode zwischen 1953 und 1957 erzielt worden waren, wuchs
der sozialpolitische Verteilungsspielraum. Adenauers Rentenreform von 1957 beseitig-
te die krasse Verteilungsdisparität zwischen den Rentnern, die zum Teil das wirt-
schaftliche Wachstum miterarbeitet hatten und den im Arbeitsprozeß Stehenden, die die
Früchte des Wirtschaftswunders in Form steigender Realeinkommen genießen konn-
ten. Die Spaltung Deutschlands bedeutete die unmittelbare Polarisierung zweier Gesell-
schaftssysteme.462 Die Teilung schuf - metaphorisch gedacht - ein Schaufenster, in dem
zwei Systeme und ihr jeweiliger Lebensstandard zu sehen waren. Gerade in der Zeit der
Konfrontation beider Teile Deutschlands diente die Sozialpolitik - wie Hockerts
feststellt - dazu, der Bundesrepublik einen Legitimationsgewinn durch soziale Errun-
genschaften zu verleihen und auf die Menschen in der DDR attraktiv zu wirken. Hier
zeigt sich trotz der Unterschiede zwischen der saarländischen und der bundesdeutschen
Sozialpolitik eine gewisse Parallele. Im Saarland sollte ein hoher sozialer Leistungs-
standard als Markenzeichen einer autonomen von Deutschland abgetrennten Saar
nationale Denkmuster zurückdrängen. Die Bundesrepublik versuchte, nachdem sie
einen sozialpolitischen Verteilungsspielraum gewonnen hatte, durch fortschrittliche
Mitbestimmungsmodelle und soziale Sicherungssysteme einer kommunistischen
Penetration durch die DDR entgegenzuwirken und gleichzeitig die Lebensqualität eines
Sozialstaates mit sozialer Marktwirtschaft zu demonstrieren.
460 Francis Roy, Der saarländische Bergmann, Saarbrücken 1954, S.139.
461
Wenzel, Adenauer. Die Neuordnung der Grundstoffindustrien, S.149.
462
Buchhaas, Gesetzgebung, S.260. Hockerts, Bürgerliche Sozialreform, S.251, 254-260.
282
V. ENTWICKLUNG UND STRUKTUREN DER GEWERKSCHAFTEN
(1945-1955)
Im folgenden soll die Entwicklung der saarländischen Gewerkschaften zwischen 1945
und 1955 dargestellt werden. Ziel ist es, Übereinstimmungen und Unterschiede im
Vergleich zu den übrigen deutschen Ländern der Westzonen und der späteren Bundes-
republik herauszufiltern und ihre große Bedeutung für die innenpolitische Entwicklung
und die Saarfrage herauszuarbeiten.
1. Politisierung und nationale Emotionalisierung
Die Entwicklung der saarländischen Gewerkschaften nach 1945 läßt sich in drei
Phasen einteilen. Die erste Phase umfaßte den Zeitraum vom Frühjahr 1945 mit den
ersten Organisationsversuchen über die Gründung und Zulassung der Einheitsgewerk-
schaft mit den einzelnen Industrieverbänden bis zum Sommer 1947, als der der KP
angehörende Erste Vorsitzende des Industrieverbandes Bergbau (I.V. Bergbau) Oskar
Müller abgesetzt wurde, und sich einige Wochen später christliche Gewerkschaftler
abspalteten und eine eigene christliche Gewerkschaft gründeten. Bereits in dieser Phase
begann eine Politisierung der Gewerkschaftslandschaft, die auf die kommunistische
Majorisierung zurückzuführen war und durch die Gründung und Zulassung christlicher
Gewerkschaften zusätzliche Dynamik erhielt.
Ihr folgte eine kurze zweite Phase bis zum Sommer 1949, in der Heinrich Wacker als
Präsident der Einheitsgewerkschaft und Eduard Weiter, der Chef der Eisenbahnerge-
werkschaft, versuchten, den zu dieser Zeit von Aloys Schmitt geleiteten I.V. Bergbau
stärker an die Einheitsgewerkschaft zu binden.
Es schloß sich eine dritte Phase an, die durch eine zunehmende nationale Emotionali-
sierung geprägt war. Sie wurde mit der Verpachtungsfrage der Saargruben im Sommer
1949 eingeleitet. In dieser Phase verzahnten sich Politisierung und nationale Emo-
tionalisierung und wurden bis zum Referendum am 23. Oktober 1955 zu bestimmen-
den Entwicklungsfaktoren für die Gewerkschaften. Nationale Emotionalisierung meint
in diesem Zusammenhang, daß nationale Denkmuster innerhalb der Gewerkschaften
immer mehr Verbreitung fanden. Funktionäre und Mitglieder ließen sich in ihrer
Einstellung zum französischen Wirtschaftspartner und zur autonomen Saar immer
stärker von nationalen Gefühlen leiten, durch das Bewußtsein, als Saarländer zu
Deutschland zu gehören und seinem Vaterland die Treue halten zu müssen. So betonte
Aloys Schmitt, einer der führenden oppositionellen Gewerkschaftler: " (...) Deutsch
waren wir aber immer (...)".1 Hier offenbart sich eine Tradition, die an die Völker-
Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994.
283
bundszeit ankniipft.2 Diese nationalen Denkmuster steigerten sich im Abstimmungs-
kampf anläßlich des Referendums am 23. Oktober 1955 zum Gegensatzpaar "Va-
terlandstreue" versus "Vaterlandsverrat’', und die Lösung der Saarfrage wurde mit der
Niederlage oder dem Sieg der deutschen Nation verknüpft.3
Von diesem Standpunkt aus war eine Identifikation mit einer autonomen Saar undenk-
bar und die Rückgliederung des Saarlandes an die Bundesrepublik von entscheidendem
Interesse. Die Wirtschaftsunion mit Frankreich und die Abtrennung vom Bundesgebiet
wurde mit Fremdherrschaft gleichgesetzt. Die Dominanz nationaler Identifikations-
muster wirkte sich auch auf die gesellschaftliche Rolle der Gewerkschaften aus. Teile
der Gewerkschaften verstanden sich nicht mehr primär als Interessenvertretung der
Arbeitnehmer, sondern fanden ihre Rolle als Kritiker am Wirtschaftspartner. Der Tag
der Arbeit wurde nationalisiert, Maifeiern wurden zum Anlaß genommen, die nationale
Verbundenheit mit der Bundesrepublik Deutschland durch das Hissen von
Schwarz-Rot-Gold zu demonstrieren. In den Mittelpunkt gewerkschaftlicher Arbeit trat
damit auch die Agitation gegen den französischen Wirtschaftspartner und die Régie.
Im Rahmen dieser Entwicklung wurde der I. V. Bergbau, wie Klaus-Michael Mallmann
formuliert, zum Focus der nationalen Opposition, sichtbar in der Wahl von Paul Kutsch
zum Präsidenten der Einheitsgewerkschaft am 29. / 30. März 1952 und zum Ersten
Vorsitzenden des I.V. Bergbau am 13. /14. Juni 1952. Seine Wahl war von Kommu-
nisten in der Gewerkschaft unterstützt worden, denn sie waren bestrebt, ihre partei-
politisch oppositionelle, an der Rückgliederung an Deutschland orientierte Linie auf
den I.V. Bergbau zu übertragen. Der Ausschluß von Paul Kutsch und Aloys Schmitt
und ihren Getreuen am 20. November 1952 durch den Schiedsausschuß des I.V.
Bergbau, der ihnen Verletzung der politischen Neutralität vorwarf, wurde durch eine
Entscheidung des Landgerichtes Saarbrücken einige Wochen später wieder aufge-
hoben. Die Aktion gegen Kutsch wie auch das Verbot des I.V. Bergbau im Februar
1953 wirkten eher radikalisierend. Die Kommunisten nutzten sie zur gezielten Agita-
tion gegen die Regierung Hoffmann.4
2 Siehe dazu: Ludwig Linsmayer, Politische Kultur im Saargebiet 1920-1932. Symbolische Politik,
verhinderte Demokratisierung, nationalisiertes Kulturleben in einer abgetrennten Region, St. Ingbert 1992,
S 218.
Heinrich Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition. Geschichte des Landes Rheinland-
Pfalz 1946-1955, Mainz 1990, S.253, 265, 275.
4
Klaus-Michael Mallmann und Horst Steffens, Lohn der Mühen, Geschichte der Bergarbeiter an
der Saar, München 1989, S.255-267.
284
2. Die Anfänge des gewerkschaftlichen Wiederaufbaus
Amerikaner fördern gewerkschaftliche Organisationskomitees
Bis zum 21. März 1945 hatte die 7.US-Armee das Gebiet des heutigen Saarlandes
besetzt. Innerhalb der Organisation der amerikanischen Militärregierung gehörte das
Saarland mit der Pfalz und Südhessen zum Detachement El A2, das wiederum aus 16
kleineren Detachements bestand. Es unterstand Oberst James R. Newman. Grundsätz-
lich verfolgte die amerikanische Besatzungsmacht im Gebiet des Detachements El A2
zunächst eine eher uneinheitliche Gewerkschaftspolitik.5 Während z.B. das örtliche
Detachement eine Gewerkschaftsorganisation in Mainz verboten hatte, wurde sie im
Gebiet des Landkreises Kusel genehmigt. Um eine frühzeitige Zulassung im Detache-
ment E1A2 bemühte sich der zuständige Arbeitsoffizier im Stab, der
US-Political-Adviser Louis A. Wiesner. Er setzte die frühzeitige offizielle Anerken-
nung örtlicher Organisationskomitees zu einem Zeitpunkt durch, zu dem nahezu alle
anderen Detachements noch in dieser Frage eine Verzögerungstaktik betrieben. Am 16.
Mai 1945, acht Tage nach der offiziellen Kapitulation des "Dritten Reiches", Unter-
zeichnete Oberst James R. Newman die Direktive, gewerkschaftliche Organisations-
komitees anzuerkennen, und leitete sie an die 16 Detachements seines Kommando-
bereiches weiter.6
Erste Organisationsversuche auf Betriebsebene
Im Saarland gingen erste Bestrebungen, gewerkschaftliche Organisationen wieder
aufzubauen, von Arbeitnehmern und ehemaligen Gewerkschaftlern des Bergbaus aus.
So sollen sich alte Gewerkschaftler und Bergleute der Gruben Kohlwald und Dechen
erstmals am 8. April 1945 in Wiebelskirchen trotz Versammlungsverbots getroffen
haben. Im Flur des Obergeschosses einer Gaststätte berieten sie über die Konstituie-
rung einer provisorischen Arbeiterinteressenvertretung.7
Bevor die Mehrheit emigrierter Gewerkschaftler und Sozialdemokraten zurückgekehrt
war bzw. ins Saarland einreisen durfte, begannen bereits die Wiederaufbaubemühun-
gen. Ein Gewerkschaftler der ersten Stunde war der aus der linkskatholischen Vi-
tus-Heller-Bewegung kommende Aloysius Schmitt, der zu einem der führenden
gewerkschaftlichen Oppositionskräfte werden sollte. Bereits am 22. April traf sich eine
mittlerweile schon gewachsene Gruppe von ehemaligen Gewerkschaftlern und Berg-
Michael F i c h t e r, Besatzungsmacht und Gewerkschaften. Zur Entwicklung und Anwendung der US-
Gewerkschaftspolitik in Deutschland 1944-1948, Opladen 1982, S.108. Die Arbeit von Fichter enthält für
die ersten Monate des gewerkschaftlichen Wiederaufbaus an der Saar interessante Hinweise, die in den
bisherigen Arbeiten zur Gewerkschaftsgeschichte im Saarland nach 1945 noch nicht berücksichtigt werden
sind.
6 Ebd., S.109.
Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994.
285
leuten der Gruben Kohlwald, König, Dechen, Reden und Heinitz in Lands-
weiler-Reden. Bei den Beratungen bestand Konsens darüber, eine Einheitsgewerk-
schaft zu gründen. In den Büros der früheren Betriebsobmänner sollten Aufnahme-
scheine für die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ausgelegt werden.8
In der Wiederaufbauphase der Gewerkschaften, die durch die rasche Wiederingang-
setzung der Produktion - insbesondere im Bergbau- gefördert wurde, dienten die alten
Strukturen der betrieblichen Arbeitnehmerinteressenvertretung wie Betriebsobmann
und Betriebsausschüsse als Anknüpfungspunkt. So übernahmen diese Funktion Alois
Körner auf Heinitz und August Reinecke auf König, beide waren höchstwahrscheinlich
schon vor 1935 KP-Mitglieder.9
Die starke Stellung der Kommunisten beim gewerkschaftlichen Wiederaufbau10 erklärt
sich aus der politischen Kultur des kommunistischen Milieus und auch aus den politi-
schen Rahmenbedingungen unmittelbar nach Kriegsende. Kommunisten scheinen im
Vergleich zu Sozialdemokraten und christlich konservativen Kreisen über ein stärker
ausgeprägtes politisches Bewußtsein verfügt zu haben. Sie begannen bereits im Früh-
jahr 1945 wieder öffentlich politisch aktiv zu werden. Damit erreichten sie einen
Vorsprung, da die Masse der Saarländer "auf ihre persönlichen Nöte fixiert war und
von Politik nicht viel wissen wollte".11 Für die gewerkschaftliche Entwicklung spielte
das insofern eine große Rolle, als die Kommunisten von Anfang an organisierte Basis-
arbeit leisteten. Sie waren auf Betriebsebene aktiv gewesen und bauten ein Netz von
sich ergänzenden Funktionen auf, dabei trat ihnen zunächst keine Gegenkraft in den
Weg. Sie kassierten zu einem großen Teil die Gewerkschaftsbeiträge in den Betrieben,
errichteten Betriebsparteigruppen und bauten über diese Verankerung an der Gewerk-
schaftsbasis die Brücke zur Wahl in die Betriebsräte.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das von Ernst Kunkel erwähnte gute Verhältnis
zwischen Kommunisten und amerikanischen Besatzern. Er spricht sogar von einer
"Verbrüderung der Kommunisten mit den Amerikanern", die soweit ging, daß Kom-
munisten amerikanische Offiziere in Personalfragen berieten. Seine subjektive Er-
innerung läßt sich nicht nachprüfen. Sollte Kunkels Urteil zutreffen, förderten die
Amerikaner die politische Arbeit der Kommunisten und behinderten die Sozialdemo-
8
Vgl. 20 Jahre freie Gewerkschaften. 10 Jahre DGB an der Saar, Saarbrücken 1965, S.15. Michael E b e
n a u, Freiheit für das Volk. Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Neunkirchen 1848-1961,
Neunkirchen 1990, S.140. Stadtarchiv Neunkirchen (StA NK), Bestd. Geschichte des IVBergbau, Referat
von Aloys Schmitt von 1985.
9
Aloys Schmitt, Der Industrie-Verband Bergbau, in: Klaus Altmeyer u.a. (Hrsg.), Das Saarland,
Saarbrücken 1958, S.215.
I ° M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.45.
II Interview mit Lina und Walter Bier am 19.5.1994.
286
kratie, da Sozialdemokraten, wie Kunkel mit Verbitterung feststellt, denen Kontakte
zum MRS nachgesagt wurden, entweder gar nicht ins Saargebiet gelangt seien oder
"mit Nazis im Schmollerbunker schmachteten".12 Nachdem Anfang April die Gruppe
um Aloys Schmitt den Wiederaufbau einer Gewerkschaft beschlossen hatte, meldete er
sich auf Grube Kohlwald beim Werksdirektor:"Ich stellte mich als gemaßregelter des
Nazi-Regimes vor und teilte ihm mit, daß wir als frühere Gewerkschaftler die Tätigkeit
des früheren Nazi-Betriebsausschusses im gewerkschaftlichen Sinne aufnehmen
würden".13 Da US-Oberst Kelly die rasche Inbetriebnahme der Saargruben anstrebte,
war eines der ersten Anliegen die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit
von 9 auf 8 Stunden.14
Gewerkschaftskonstituierung von oben
Im Karlsbergsaal in St. Ingbert fand am 1. Juli 1945, noch bevor die Franzosen die
Amerikaner als Besatzer am 10. Juli ablösten, eine Versammlung von Gewerkschaft-
lern mit dem Ziel statt, eine Einheitsgewerkschaft zu gründen. Zu der konstituierenden
Sitzung hatte Heinrich Wacker eingeladen. Er war aus dem Exil zurückgekommen und
vor 1935 Geschäftsführer des Werkmeisterverbandes an der Saar gewesen. Es wurde
ein Vorstand gewählt, der die Konstituierung der Einheitsgewerkschaft vorbereiten
sollte. Präsident wurde der Sozialdemokrat Heinrich Wacker. Zu seinem Stellvertreter
wurde der Schriftsetzer und Kommunist Paul Obermeier gewählt, an seine Stelle trat
einige Monate später der KP-Mann Eduard Weiter. Die Funktion des Kassierers
bekleidete der ehemalige Sekretär des Christlichen Metallarbeiter-Verbandes in Dillin-
gen Gottfried Boullion. Als Beisitzer wurden der Kommunist Oskar Müller, bis Ende
1933 Vorsitzender des KP-orientierten Einheitsverbandes der Bergarbeiter, gewählt
sowie der aus der linkskatholischen Vitus-Heller-Bewegung kommende überzeugte
Katholik Aloys Schmitt und das KP-Mitglied Jakob Michely aus Dudweiler und
Heinrich Simon, Sozialdemokrat und Metallarbeiter aus Erbach (Kreis Homburg).
Neben dem kommunistischen Engagement an der Basis war also auch die Gründung
der Einheitsgewerkschaft in hohem Maße von Kommunisten bestimmt. Wenn auch für
die Gewerkschaftsspitze das Prinzip der Drittelparität galt, wonach in gleichem Maße
Kommunisten, die sich angesichts der Bedrohung durch Hitler der Revolutionären
Gewerkschaftsopposition (RGO) angeschlossen hatten, sowie Sozialisten, die in der
freien Gewerkschaftsbewegung engagiert waren, und christliche Gewerkschaftler
leitende Funktionen besetzen sollten.
Ernst Kunkel, Dokumente und Erinnerungen zur Geschichte der SPS 1935-1956, Dudweiler 1980,
S.55.
13
Archiv der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie Bochum (IGBE-Archiv Bochum), Div.31, Mp.2,
Erlebnisbericht Aloys Schmitt, ohne Datum.
14 Ebd.
287
Die Gewerkschaften an der Saar wurden weder von oben noch von unten gegründet,
vielmehr sind hier zwei Strömungen zu unterscheiden. Die von oben vorgenommene
Gründung der Einheitsgewerkschaft als gewerkschaftlicher Dachverband, ganz wesent-
lich von der alten Gewerkschaftselite geprägt, markierte zwar die organisatorische
Wiederaufnahme von Arbeitnehmerinteressen durch eine Gewerkschaft, ihr scheinen
aber erste Organisationsversuche von unten vorausgegangen zu sein. Nach Ansicht von
Siegfried Mielke ist es eine Legende zu glauben, die Gewerkschaftsgründung hätte sich
auf breiter Basis über die Betriebsratsebene ab April und Mai 1945 vollzogen.15 Sein
Befund trifft insofern für die Saar zu, als die Aktivitäten an der Basis keine Breiten-
wirkung hatten, und es sich eher um punktuelle betriebsbezogene Aktivitäten handelte.
Sie zielten aber letztlich darauf, einen größeren organisatorischen Rahmen zu schaffen,
gerade die Rolle von Aloys Schmitt verdeutlicht diesen Prozeß.
Erst am 10. September 1945 erlaubte die französische Militärregierung, Gewerk-
schaften offiziell zu gründen. Der I.V. Bergbau als mitgliederstärkster und für die
zukünftige Entwicklung der Gewerkschaften bedeutendster Industrieverband wurde am
18. November 1945 im Klinkenthal in Landsweiler-Reden und der I.V. Metall am 16.
Dezember 1945 in Völklingen gegründet. Bis Juli 1946 folgten mehr als 10 weitere
Verbände: Im Dezember 1945 bildeten sich der graphische Industrieverband, der I.V.
Baugewerbe, der I.V. der Fabrikarbeiter am 3. Februar 1946, am 1. September der I.V.
Leder und Bekleidung und am 3. November 1946 der I.V. Öffentliche Betriebe und
Verwaltungen. Jeder Industrieverband hatte selbständig handelnde Vorstände und
Gewerkschaftsausschüsse, höchste Instanz war die Generalversammlung.16
Divergenzen zur Französischen Zone
Mit der offiziellen Gründung der Einheitsgewerkschaft vor den einzelnen Industrie-
verbänden kam es, wie Rainer Hudemann bereits 1979 festgestellt hat17, an der Saar im
Gegensatz zur übrigen französischen Besatzungszone zu einer Sonderentwicklung,
denn im Saarland wurde mit der Zulassung der Einheitsgewerkschaft, der die Grün-
dung von Industrieverbänden folgte, eine zentralistische Struktur von oben nach unten
gewählt. Dabei darf aber nicht vergessen werden, daß indirekt auf Betriebsebene erste
Sammlungsaktivitäten zum gewerkschaftlichen Wiederaufbau zu beobachten gewesen
15 Siegfried Mielke, Der Wiederaufbau der Gewerkschaften: Legenden und Wirklichkeit, in: Heinrich
August Winkler (Hrsg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953, Göttingen
1979, S.75-77.
16 Klaus-Michael M a 11 m a n n, Der 8. Mai war kein Sonnenaufgang. Gewerkschaftlicher Wiederaufbau
1945/46, in: Ders. u.a. (Hrsg), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815-1955,
Berlin u.a.O. 21987, S.225. Robert Heinz Schmidt, Saarpolitik 1945-1957, Bd.l, Berlin 1959, S.450-
454. 20 Jahre freie Gewerkschaften, S.15.
Rainer Hudemann, Sozialstruktur und Sozialpolitik in der französischen Besatzungszone
1945-1949. Materialien und Forschungsergebnisse, in: JbWestLG 5/1979, S.389-391.
288
sind. Sie zielten auf die Gründung eines verschiedene politische Richtungen integrie-
renden Industrieverbandes in einer Einheitsgewerkschaft.18
Für die französische Zone gilt nach Alain Lattard ein dezentralisiertes Gewerkschafts -
modell, das in Zusammenhang mit dem Demokratisierungskonzept zu sehen ist.19 Die
Militärregierung wünschte einen Wiederaufbau der Gewerkschaften von unten nach
oben. Diese Entscheidung wurde von einer völkerpsychologischen Interpretation
bestimmt. Die Franzosen beobachteten mit Sorge bei den Deutschen die immer noch
vorhandene Identifikation mit dem Führerprinzip. Deshalb wurden zunächst nur lokale
und berufsgebundene Gewerkschaften zugelassen, das hieß ein Aufbau von unten nach
oben - ganz im Gegensatz zur britischen und amerikanischen Besatzungspolitik.
Zum anderen sah die französische Militärregierung in den beiden Organisations-
prinzipien Dezentralisierung und Industrieverband in der Einheitsgewerkschaft eine
Lehre aus der Geschichte, denn nach französischer Einschätzung begünstigten die
politische Zersplitterung der gewerkschaftlichen Kräfte in der Weimarer Republik und
die zentralistischen Führungsstrukturen die Machtergreifung Hiüers.20
Prinzip der Einheitsgewerkschaft
Zwei neue Prinzipien veränderten gegenüber der Weimarer Zeit die Gewerkschafts-
struktur nach 1945 sowohl in der Bundesrepublik als auch bis zur Zulassung christli-
cher Gewerkschaften im Saarland. Anstelle der parteipolitischen Zersplitterung in
verschiedene Richtungen trat das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, geboren in dem
Bewußtsein, aus der nationalsozialistischen Katastrophe lernen zu müssen. Bei der
Gründung der Einheitsgewerkschaft stellte Heinrich Wacker öffentlich die Frage nach
der Schuld der Gewerkschaften. Die Gründung einer Einheitsgewerkschaft sei das
Gebot der Stunde, denn eine Einheitsgewerkschaft hätte mit "Wucht und Kraft den
Nazi-Spuk verjagen können".21 Das Prinzip der Einheitsgewerkschaft kann also auch
als ein Reflex auf die Erfahrung des "Dritten Reiches" gesehen werden. Die Einheits-
gewerkschaft wurde als eine Lehre aus der Geschichte gesehen, wie Äußerungen
zahlreicher deutscher Gewerkschaftler verschiedener politischer Richtungen verdeutli-
18 Interview mit Paul und Walburga Schmidt am 24.5.1994.
19
Alain Lattard, Gewerkschaften und Betriebsräte in Rheinland-Pfalz, in: Claus Scharf und Hans-
Jürgen Schröder (Hrsg.), Die Deutschlandpolitik Frankreichs und die französische Zone 1945-1949,
Wiesbaden 1983, S.160-163, 174. Für die Entwicklung m Baden liegt die Arbeit von Margit Unser vor:
Dies,, Der badische Gewerkschaftsbund. Zur Geschichte des Wiederaufbaus der Gewerkschaftsbewegung
im französisch besetzten Südbaden, Marburg 1989.
Edgar W o 1 f r u m, Französische Besatzungspolitik und deutsche Sozialdemokratie. Politische
Neuansätze in der "vergessenen Zone" bis zur Bildung des Südweststaates 1945-1952, Düsseldorf 1991,
S.65, Anm.7.
21 StA NK, Bestd. IV Bergbau, Referat Aloys Schmitt von 1985.
289
chen -wie z.B. der christliche Gewerkschaftler Jakob Kaiser, Theodor Leipart und
Wilhelm Leuschner von den Freien Gewerkschaften und auch Vertreter der
Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften.22 Die Idee der Einheitsgewerkschaft ist somit
auch Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.23
Während die amerikanische Besatzungsmacht die Vorbereitungen zur Gründung von
Gewerkschaften an der Saar gefördert hatte, verhielt sich die seit 10. Juli 1945 im
Saarland herrschende französische Militärregierung restriktiver. In der französischen
Besatzungszone löste die Militärregierung vor dem Hintergrund ihrer Demokratie-
konzeption die in amerikanischer Zeit aufgebauten Organisationen zwar de iure, nicht
aber de facto auf. Ab Dezember ließ sie dann Gewerkschaften wieder offiziell zu, ab
Februar 1946 wuchs die Zahl der Ortsausschüsse an, und ab April wurde dann die
Bildung zahlreicher Industrieverbände auf Landesebene gestattet.24 Die französische
Militärregierung im Saarland löste aber die Einheitsgewerkschaft weder de iure noch
de facto auf. Sie begrüßte ihr Organisationsprinzip ausdrücklich. In einer Untersu-
chung "Das Problem der saarländischen Gewerkschaften" vom 23. September 1945
hielt die Militärregierung nur eine Einheitsgewerkschaft für sinnvoll, christliche Ge-
werkschaften sollten nicht zugelassen werden, insbesondere wegen ihres Engagements
in der Deutschen Front 1933-35 zur Rückgliederung des Saarlandes an NS-Deutsch-
land. In dieser Haltung scheint die Militärregierung möglicherweise durch saarlän-
dische Kommunisten, nachweisbar aber durch alte sozialdemokratische Gewerk-
schaftler wie den ehemaligen BAV-Sekretär Peter Zimmer beeinflußt worden zu sein25,
der auch dem informellen Netz Wilhelm Leuschners angehört hatte.26
Zimmer trieb die Zulassung der Einheitsgewerkschaft durch die Militärregierung
voran, indem er auf die Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft hinwies und suggerierte,
die Zulassung von Gewerkschaften werde als vertrauensbildende Maßnahme der
Besatzungsmacht aufgenommen werden. Die Überzeugung, eine Einheitsgewerkschaft
sei das Gebot der Stunde, stieß bei den Verantwortlichen der Militärregierung nicht
zuletzt deshalb auf fruchtbaren Boden, weil sie vor allem alte Nazis auch in Gewerk-
schaftskreisen fürchtete. Die Einheitsgewerkschaft bot die Gewähr, daß ein starkes
Gewicht der Linken aus Sozialdemokratie und Kommunisten ehemalige christliche
Gewerkschaftler mit dunkler Vergangenheit in Schranken halten könnte. Durch die
22 Herlind Gundelach, Die Sozialausschüsse zwischen CDU und DGB, Diss. Bonn 1983, S.76, 91.
23 S c h m i 11, Der Industrie-Verband Bergbau, S.215.
^Hudemann, Sozialstruktur und Sozialpolitik, S.389.
25 Ministère des Affaires Etrangères Nantes (MAE Nantes), HC Sarre (HCS), Cab. Pol., Doss.61, Bl.6-8,
DAA/Cab. 'Le problème des syndicats sarrois' vom 23.9.45. Der französische Autor bezieht sich mehrfach
auf ein Schreiben von Peter Zimmer. Der Autor der Untersuchung kann nicht genannt werden, zumindest
dürfte es sich um einen Mitarbeiter der französischen Militärregierung an der Saar handeln.
26 M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.238.
290
Verordnung General Koenigs über die "Wiederherstellung des Gewerkschaftsrechts im
französischen Besatzungsgebiet" vom 10. September 194527 wurde die Gründung der
Einheitsgewerkschaft im Saarland also lediglich nachträglich legalisiert.
3. Die Bildung einer kommunistischen Basis in den Gewerkschaften
Die Anfänge des gewerkschaftlichen Wiederaufbaus nach 1945 zeigen, daß Emigran-
ten wie Heinrich Wacker eine führende Rolle spielten, aber vorwiegend von oben
wirkten, so z. B. bei der Konstituierung der Einheitsgewerkschaft. Für diesen Befund
ist auch bezeichnend, daß neben Wacker die beiden Hauptredner bei der Gründungs-
versammlung zu den "Repräsentanten der alten organisatorischen Eliten, die den
Faschismus in Exil, innerer Emigration oder Haft überlebt und an den proletarischen
Massenerfahrungen dieser Jahre kaum teilgenommen hatten", gehörten.28 Diese Gruppe
scheint in engem informellem Kontakt zur Militärregierung gestanden zu haben,
nachweislich die sozialdemokratischen Kräfte wie z.B. Peter Zimmer oder Heinrich
Wacker und der damals noch KP-orientierte Eduard Weiter. Eine gewisse innere
Distanz von Teilen der Gewerkschaftsspitze zur Basis zeigt sich in einem Brief Hein-
rich Wackers an Emile Schüler vom Februar 1946:"Wir haben die volle Unterstützung
der Militärregierung insbesondere des Präfekten Kuntz und des Herrn Gouverneur
Grandval. Diese Unterstützung erleichtert unsere Arbeit wesentlich und wir haben bloß
einen Wunsch, daß wir diese Herren noch recht lange behalten."29 Die Unzufriedenheit
und Furcht Heinrich Wackers ist mit der starken Stellung der Kommunisten in der
Einheitsgewerkschaft und vor allem im I.V. Bergbau zu erklären.
An der Basis scheinen die Kommunisten von Anfang an erhebliche Aufbauarbeit
geleistet zu haben, wobei die in breiten Schichten zu findende anfängliche Resignation
und die geringe politische Mobilisierung die kommunistische Einflußnahme erleichter-
ten. Wichtig war aber auch, daß die Kommunisten sowohl an der Basis als auch an der
Spitze verankert waren. Jakob Müller als Kopf der St. Ingberter KP und Oskar Müller
(KP) wirkten bei der Gründung der Einheitsgewerkschaft aktiv mit, letzterer hatte
zudem ohne Absprache mit der französischen Militärregierung den I.V. Bergbau
gegründet und betrieb durch den Aufbau von Betriebsparteigruppen, die mit gewerk-
schaftlichen Betriebsgruppen verflochten wurden, eine aktive Basisarbeit. Für den
kommunistischen Einfluß an der Gewerkschaftsbasis war förderlich, daß die Kommu-
nisten die Posten der Betriebskassierer vor allem im I.V. Bergbau übernahmen. Zur
Funktion dieser Tätigkeit stellt ein damals aktiver KP- Mann fest:"Auf diese Weise
hatten kommunistische Gewerkschaftler einen ganz engen Kontakt zur Basis, kannten
27
Journal Officiel du Commandement en Chef Français en Allemagne, 17.9.45.
Mallmann und Steffens, Lohn der Mühen, S.247.
Stadtarchiv Saarbrücken (StA SB), NL Emile Schüler, Nr.9, H. Wacker an E. Schüler vom 4.2.46.
291
die Mitglieder persönlich. Da wurde über Persönliches und Politisches gesprochen."30
So zeigt die Entwicklung des I.V. Bergbau eine von Anfang an starke kommunistische
Einflußnahme.
Im Saarland läßt sich somit erkennen, was Georg Fülberth31 grundsätzlich für die KPD
nach 1945 und Gerhard Mannschatz und Josef Seiler32 speziell für das Ruhrgebiet
feststellten: Den Kommunisten gelang es, unmittelbar nach Kriegsende führende
Positionen in den Gewerkschaften einzunehmen, indem sie unmittelbar nach dem
Zusammenbruch gewerkschaftlich aktiv wurden und das Feld vor anderen bestellten.
Machtposition im wichtigsten Industrieverband
Gerade die Gründung des I.V. Bergbau zeigt die erfolgreiche Arbeit der KP. Zu ihrem
Vorsitzenden wurde mit Oskar Müller, ein engagierter KP-Mann, gewählt - trotz
französischer Emigration extrem national eingestellt. Die Gründungsversammlung in
Reden-Klinkenthal wurde von Johann Mathieu geleitet, einem der ersten Kommunisten
im Saargebiet überhaupt, der bereits 1922 einen "Verband der Kommunisten" gegrün-
det hatte und ein außerordentlich engagiertes und begabtes KP-Mitglied mit "kon-
spirativer Intelligenz" gewesen sein soll.33 Er gehörte zum engsten Umkreis von Oskar
Müller und war ein Gewerkschaftler der ersten Stunde, denn er hatte an den Wiederauf-
bauversuchen am 8. April 1945 in Wiebelskirchen und am 22. April 1945 in Lands-
weiler teilgenommen und seine Tätigkeit als Betriebsobmann bereits im Sinne der
KP-Betriebsparteigruppenarbeit ausgerichtet.
Christliche Gewerkschaftler in der Defensive
Begünstigt wurde die starke kommunistische Position dadurch, daß die christlichen
Gewerkschaftler von der Entnazifizierung stärker betroffen waren34 und damit in die
Defensive gedrängt wurden, gleichzeiüg aber gerade die Entnazifizierung kommu-
nistische und sozialdemokratische Gewerkschaftler in den ersten Monaten nach der
Gewerkschaftsgründung teilweise miteinander verband. Bei der Gründung des I.V.
30 Interview mit Lina und Walter Bier am 19.5.1994. Walter Bier aus Lands weder-Reden war bereits vor
1935 Mitglied der KP, seit 1947 Betriebsratsvorsitzender der Kokerei Reden, seit 1948 für die
Nebenbetriebe Mitglied im Gesamtbetriebsrat der Saargruben und im geschäftsführenden Ausschuß des
Betriebsrates tätig.
31 Georg F ü 11 b e r t h, KPD und DKP 1945-1990, Heilbronn T992, S.32-34.
32
Gerhard Mannschatz und Josef Seiler, Zum Kampf der KPD im Ruhrgebiet für die Einigung der
Arbeiterklasse und die Entmachtung der Monopolherren 1945-1947, Ost-Berlin 1962, S.30.
33
Klaus-Michael M a 11 m a n n und Gerhard Paul, Das zersplitterte Nein. Widerstand und Verweigerung
im Saarland, Bd.l, Bonn 1989, S.173.
34
Dies hängt mit der Rolle der christl. Gewerkschaften 1935 zusammen, die unter der Führung von Peter
Kiefer in der Deutschen Front zusammengefaßt wurden und sich damit für die Rückgliederung an Nazi-
Deutschland stark machten. Siehe z.B. Maria Zenner, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem
Völkerbundsregime 1920-1935, Saarbrücken 1966, S.288 f.
292
Bergbau forderte Oskar Müller die "Bereinigung in Wirtschaft und Verwaltung von
denjenigen, die mit an dem Elend von heute die Schuld tragen". Heinrich Wacker
forderte für die Personalpolitik in der Einheitsgewerkschaft, daß frühere
NSDAP-Mitglieder zwar in die Gewerkschaft eintreten, aber keine Funküonärstätigkeit
ausüben dürften.35 Gerade diese Stimmung dürfte es in den ersten Monaten nach der
Gewerkschaftsgründung auch den ehemaligen Mitgliedern des Gewerkvereins Christli-
cher Bergarbeiter erschwert haben, im I.V. Bergbau eine entscheidende Rolle zu
spielen; die christlichen Kräfte, die sich in der Einheitsgewerkschaft engagierten,
kamen vor allem, wie Mallmann betont, aus dem Christlichen Metallarbeiter-Verein.36
Strategie einer Einheit mit der Sozialdemokratie
Für die Kommunisten lag in der Entnazifizierungsfrage ein Schlüssel zur Zusammen-
arbeit mit der Sozialdemokratie. Das Ziel hieß 1945 auch an der Saar, eine "Einheit der
Sozialdemokraten und Kommunisten in Stadt und Land, in den Hütten und Gruben-
anlagen zu bilden".37 Im August 1945 soll auch in Kreisen der Sozialdemokratie ein
Entwurf umgegangen sein, in dem Sozialdemokraten und Kommunisten die Ver-
einigung zunächst als Fernziel gemeinsam proklamierten.38 Generell gilt für die Strate-
gie der KP, über die Entnazifizierungsarbeit mit der Sozialdemokratie eine Aktionsein-
heit zu formen, wobei die dafür gebildeten Betriebsausschüsse die Wurzel für eine
Verschmelzung beider Parteien bilden sollten.39 Auch im Saarland wurden noch zur
amerikanischen Besatzungszeit, wie Michael Fichter herausgearbeitet hat, Betriebsaus-
schüsse auf den Gruben gebildet, deren Arbeit jedoch nicht die Zustimmung der
nachfolgenden französischen Militärregierung fand.40 An ihrer Spitze standen so-
genannte "Obleute"41 , die meist aus Kreisen der KP kamen und deren Entnazifizie-
rungsarbeit auch von Heinrich Wacker angezweifelt wurde:"Es gibt Betriebsausschüsse
mit einem Obmann aus den Reihen der K.P., die geschlossen mit dem Direktor bei der
35 M a 11 m a n n., Der 8. Mai, S.225
36 Ebd., S.225.
37
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPM), Berlin,
Nachlaß Friedrich Basel, NL 190 (NL Basel 190), Nr.27, B1.16 f,, Informationsdienst Nr.7, November
1945. Dieses Ziel entsprach dem Volksfrontgedanken und erinnert an die Einheitsfront von 1934. Siehe
dazu: M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.200 f.
38 E b e n a u, Freiheit für das Volk, S. 143.
39 Mannschatz und Seiler, Zum Kampf der KPD, S.25 f., 50 f.
40
Fichter, Besatzungsmacht und Gewerkschaften, S.105-107,
41
Die Betriebsobmänner bzw. Obleute waren im "Dritten Reich" eingeführt worden. Sie hatten politische
und wirtschaftliche Funktionen, u.a sollten sie Widerstand der Belegschaft rechtzeitig erkennen, die
"Gefolgschaft" zum Einsatz für die Kriegswirtschaft aktivieren. Ihr Urteil war in der Regel darüber
entscheidend, ob Arbeiter zur Wehrmacht einberufen wurden oder ihre Arbeitskraft aus
kriegswirtschaftlichen Gründen als unentbehrlich eingestuft wurde. Nach 1945 wurde der Begriff
"Obmann" und "Obleute" dennoch weiter gebraucht zur Bezeichnung von Belegschaftsvertretern, siehe:
Francis Roy, Der saarländische Bergmann, Saarbrücken 1954, S.129.
293
Militärregierung vorstellig werden, weil ein zweiter Direktor, der führender Nazi war,
ausgewiesen wurde, damit er wieder zurückkehren darf! Es gibt auch Gewerkschafts-
sekretäre, allerdings auch Kommunisten, die es fertig bringen, einen politisch untragbar
geschriebenen Oberbergmann wieder poliüsch tragbar zu machen, in Amt und Würde
zu belassen und sich damit begnügten, denselben gehaltlich um einige Stufen zurück-
zuversetzen."42 Während anfänglich Funktionäre von KP und SP Parteiveranstaltungen
gegenseitig besuchten und sogar dort referierten43, ging die Sozialdemokratie zuneh-
mend auf Distanz zur KP. Die aber suchte nach wie vor beharrlich den Kontakt auf-
recht zu erhalten, auch nach dem 6. April 1946, als sich die Sozialdemokraten für den
Wirtschaftsanschluß an Frankreich ausgesprochen hatten.44 So äußerte Fritz Nicolay
(KP) gegenüber der SPS seine Enttäuschung, daß die Sozialdemokraten die Einladung
zum Parteitag der KP- Saar/Nahe nicht angenommen hätten und beschwor sie eindring-
lich, die Fehler von 1933 nicht zu wiederholen, auf einen Bruderkampf zu verzichten
und "brüderlich" zusammenzuarbeiten.45 Die saarpolitischen Differenzen versuchte er
zu überdecken, indem er zum "gemeinsamen Kampf gegen die reaküonären Kräfte"
aufrief. Mit Befremden klagte er einen Monat später darüber, daß sich die SPS nicht
um eine Erhöhung der Auflage für die kommunistische "Neue Zeit" bemüht habe.46
Ausfüllen eines Vakuums
Ein Problem für die Verankerung der Sozialdemokratie an der Gewerkschaftsbasis und
in den Betrieben war, daß zahlreiche erfahrene, aus der Sozialdemokratie kommende
ehemalige Gewerkschaftssekretäre ihrer bis 1935 geleisteten Gewerkschaftsarbeit
entwuchsen, indem sie nach 1945 in Stadt- und Kreisverwaltungen, in die Sozial-
versicherung und in die Abteilung Arbeit des Regierungspräsidiums und in die Mini-
sterien aufstiegen47 wie z.B. Karl Ammann, Hermann Petri, Richard Kirn und Peter
Zimmer.
Mallmann akzentuiert diese Entwicklung, indem er die SP als Partei der Rathäuser und
die KP als Partei der Betriebe charakterisiert.48 Im Ruhrgebiet, in dem die Kommu-
nisten ebenfalls eine erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit betrieben, war der Einfluß der
KP auf die Stadtverwaltungen wohl größer, insbesondere beherrschten hier die Kom-
munisten die Referate für Fürsorge-, Ernährungs-, Transport- und Wohnungsfragen.49
Auch im Saarland besetzten Kommunisten, man denke an Heinrich Detjen und Robert
42 StA SB, NL Emile Schüler, Nr.9, H. Wacker an E. Schüler vom 14.8.46.
43 M a 11 m a n n, Der 8. Mai, S.226
44 Ebd.
SAPM Berlin, NL Basel 190, Nr.27, SPS an KP Saar/Nahe vom 24.5.46, Fritz Nicolay an SPS vom
12.7.46.
46 Ebd., Nicolay an SPS vom 8.8.46.
47
M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.256.
48 Ders., Der 8. Mai, S.225.
49 Mannschatz und Seiler, Zum Kampf der KPD,S.27.
294
Neufang, entsprechende Positionen. Es fehlen aber bis jetzt genauere Untersuchun-
gen,50 die eine solche Generalisierung auch für das Saarland erlauben.
Ebenfalls ungünstig für die Stärkung der SPS innerhalb der Einheitsgewerkschaft wie
auch für die Führung der Gewerkschaft wirkte sich die fehlende Popularität ihres
Präsidenten Heinrich Wacker aus, der sich nach Einschätzung der Militärregierung als
unfähig erwies, die Massen zu bewegen.51 Der gebürtige Badener, der erst nach Hitlers
Machtergreifung an die Saar geflüchtet war und nach der Rückgliederung 1935 emi-
grierte, fand auch von seiner Sprache her nicht den Draht zu den saarländischen Arbeit-
nehmern, denn er beherrschte den saarländischen Dialekt nicht.52
Obwohl die Zahl der Kommunisten in der Gewerkschaft nicht sehr hoch war, gelang es
ihnen, mit Disziplin und hoher Motivation Einfluß zu gewinnen. Auch Oskar Müllers
Wahl zum Vorsitzenden des I.V. Bergbau war nach Einschätzung Grandvals auf diese
Fähigkeiten zurückzuführen.53 Das Gebäude der Einheitsgewerkschaft wurde durch das
Übergewicht kommunistischer Agitation von Anfang an belastet. Bereits im Herbst
1946 versuchte die französische Militärregierung an der Saar den nationalistischen und
antifranzösischen Kräften aus der KP, die auch in den Gewerkschaften aktiv waren,
durch Ausweisung Einhalt zu gebieten.54 Gilbert Grandval verfolgte mit Sorge die
Politisierung der Einheitsgewerkschaft durch die Kommunisten. Der Chef des I.V.
Bergbau Oskar Müller soll zudem auch im Umgang mit Vertretern der Militärregierung
ein recht rauher Typ gewesen sein. Gegenüber Grandval und dem für Sozialpolitik und
Gewerkschaften zuständigen Beamten Alphonse Rieth machte er aus seinem Unifor-
menhaß keinen Hehl und soll gegenüber den beiden ehemaligen Resistancekämpfem
gesagt haben, daß das Braun ihrer Uniform ihn an das Braun der SA erinnere.55
50 Heinrich Detjen (stellenweise Detgen geschrieben) war in der Saarbrücker Kommunalverwaltung, und
Robert Neufang bekleidete in der Verwaltungskommission das Amt des Leiters der Abteilung Ernährung
und Landwirtschaft.
51 MAE, Archives de l'occupation française en Allemagne et en Autriche (AdO) Colmar, Commissariat
pour le Land Rhénanie-Palatinat. Fonds reçus du Consulat de France à Mayence (CLRP/FRCM), Cart.76,
Bulletin Quotidien vom 6.8.47.
52
Interview mit Paul und Walburga Schmidt am 24.5.1994 und Arno Spengler am 26.4.1994.
53 Privatarchiv Grandval (PGA), Doss.8, Vermerk vom 19.3.47, Nr. 577/7 an Sécret. Gén. du Comm. gén.
aux Aff. allem, et autriechiennes.
MAE, AdO Colmar, CLRP/FRCM, Cart.76, E. Laffon an G. Grandval vom 20.9.46. Zu den
Ausgewiesenen gehörten: Arbo Müller, Hermann Müller, Josef Schlesinger, Roman Rubinstein, Bruno
Peterson und Eva Poelke.
Interview mit Arno Spengler am 26.4.94.
295
Zu diesen atmosphärischen Problemen kam hinzu, daß Müller gegen die französische
Militärregierung agitierte und in Kontakt zur zu diesem Zeitpunkt ebenfalls stark
kommunistisch dominierten IG Bergbau im Ruhrgebiet trat. In einem Protestbrief an
die Internationale da* Bergbaugewerkschaften beschwerte er sich über die Zustände an
der Saar.56
Die Kräfteverhältnisse im I.V. Bergbau zu Beginn des Jahres 1947 zeigen gewisse
Parallelen zur badischen Gewerkschaftslandschaft: Betriebsparteigruppen der KP, zu
geringes sozialdemokratisches Engagement gepaart mit Naivität und Passivität der
Genossen, relativ schwache Verankerung sozialdemokratischer Gewerkschaftler im
Parteivorstand und zu geringe Sensibilität gegenüber kommunistischem Einfluß.57
Die Illusion der parteipolitischen Neutralität
Die politische Neutralität in der Einheitsgewerkschaft wurde zwar entscheidend durch
die weltanschaulichen Gegensätze, aber auch durch den Dissenz über die grundsätzli-
che Frage nach der weiteren Entwicklung des Saarlandes in Frage gestellt. Die Kom-
munisten verfolgten einen streng nationalen Kurs und lehnten den wirtschaftlichen
Anschluß an Frankreich kategorisch ab. Das bedeutete, daß sich das identitätsstiftende
antinationalsozialistische Bewußtsein, welches viele Sozialdemokraten und Kommu-
nisten in der Gewerkschaft unmittelbar nach dem Zusammenbruch verbunden hatte
und vor allem auch von der KP im Werben um die Sozialdemokraten eingesetzt wurde,
mehr und mehr auflöste. Heinrich Wacker und der von der KP-Linie abrückende
Eduard Weiter machten sich öffentlich für eine deutliche Anlehnung an Frankreich
stark. Beiden schadete dies. In der Gewerkschaft wurde Wacker unterstellt, auf der
Gehaltsliste der französischen Militärregierung zu stehen,58 ein belastender Vorwurf,
der in den französischen Quellen keine Bestätigung findet, was im übrigen sekundär
ist. In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren solche Anschuldigungen bei dem
verbreiteten Gegensatz zwischen Sieger und Besiegten zweifellos ein Makel. Bereits
kurz nach ihrer Gründung gab es von Seiten ehemaliger christlicher Gewerkschaftler
grundsätzliche Bedenken gegen die Einheitsgewerkschaft. Diese Haltung war auch für
die anderen Zonen nicht untypisch. Neben Jakob Kaiser als Anhänger einer Einheits-
gewerkschaft standen z.B. in Bayern und auch im Ruhrgebiet nach 1945 einige ehema-
lige christliche Gewerkschaftler wie der frühere zweite Vorsitzende des Christlichen
Bergarbeiterverbandes Franz Rotthäuser, die ihre Organisation wieder aufbauen
wollten. Diese Versuche scheiterten aber an den Besatzungsmächten.59 *
IGBE-Archiv Bochum, Div,31, Mp.2, Erlebnisbericht Aloys Schmitt, darin Protokoll der Sitzung der
Hauptverwaltungssitzung der Einheitsgewerkschaft vom 31.3.47.
57
Wolfrum, Französische Besatzungspolitik, S.237-239.
58 MAE, AdO Colmar, CLRP/FRCM, Cart.76, Bulletin Quotidien vom 6.8.47.
59 F i c h t e r, Besatzungsmacht und Gewerkschaften, S.239. Siehe auch: Mannschatz und Seiler,
Zum Kampf der KPD, S.52.
296
Ehemalige christliche Gewerkschaftler an der Saar sahen sich in ihrer Ablehnung
gegenüber der Einheitsgewerkschaft gerade durch den kommunistischen Einfluß
bestätigt. Der ehemalige christliche Gewerkschaftler Josef Ditzler soll die Oskar Müller
kompromittierenden Briefe Grandval zu geleitet haben. Die Absetzung Müllers erfolgte
vor allem durch den Willen der französischen Militärregierung, die einer weiteren
Politisierung und nationalen Agitation des I.V. Bergbau nicht länger zuschauen wollte.
Ihre Motive deckten sich teilweise mit der Stimmung im Vorstand der Einheitsgewerk-
schaft. Die Mehrheit der Vorstandsmitglieder sah in der Absetzung Müllers die Chance,
die kommunistische Majorisierung aufzulösen und gleichzeitig die Gründung christli-
cher Gewerkschaften zu verhindern, denn entsprechende Gerüchte kursierten verstärkt
seit Anfang März 1947. Die Wahl von Aloys Schmitt zum Nachfolger Oskar Müllers
sollte in diesem Sinne ein Signal sein, die Einheitsgewerkschaft zu bewahren und
insbesondere die christlichen Kräfte stärker an sie zu binden, denn Schmitt war über-
zeugter Katholik. Immerhin votierten aber 6 der 15 Vorstandsmitglieder gegen die
Abberufung Müllers. Einerseits ist daran der stabile kommunistische Einfluß erkenn-
bar, andererseits das Bemühen christdemokratisch wie sozialdemokratisch orientierter
Gewerkschaftler, KP-Mann Oskar Müller abzusetzen.60 Im hauptamtlichen Gewerk-
schaftsapparat blieb die KP-Saar bis September 1951 vertreten, bis Georg Podevin aus
der KP als "Parteifeind" ausgeschlossen wurde.61 Dies sollte aber nicht dazu verleiten,
von einer dauerhaften Allianz aus christlich orientierten Kräften und Sozialisten gegen
die Kommunisten auszugehen. Der Gegenkandidat von Aloys Schmitt war Johann
Mathieu, der rechte Arm Oskar Müllers. Er unterlag Schmitt mit 6 zu 9 Stimmen.62 Das
Ergebnis verdeutlicht den kommunistischen Einfluß.
Trotz der Absetzung Oskar Müllers wurde am 24. August 1947 das Prinzip der Ein-
heitsgewerkschaft durchbrochen. Im Burbacher Volkshaus in Saarbrücken wurde die
Gewerkschaft Christlicher Saarbergleute (GCS) gegründet. Zum Ersten Vorsitzenden
wählten die Delegierten den aus Fraulautern stammenden Hans Ruffing (CVP). Er war
zuvor zeitweise Geschäftsführer des I.V. Bergbau gewesen, hatte aber seine Wurzeln
im christlichen Gewerkschaftsmilieu. Vor 1935 war er Gewerkschaftssekretär des
Gewerkvereins Christlicher Bergarbeiter gewesen. Sein Stellvertreter wurde Josef
Ditzler, nach 1945 im Vorstand des I.V. Bergbau, auch er kam aus dem christlichen
Gewerkschaftsmilieu.63
IGBE-Archiv Bochum, Div.31, Mp.2, Erlebnisbericht Aloys Schmitt, S. 18-21, Protokoll der
Hauptverwaltungssitzung der Einheitsgewerkschaft vom 31.3.47.
M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.262.
M a 11 m a n n und Paul, Das zersplitterte Nein, S.174.
63 Ebd., S.254.
297
Sowohl die mündliche Überlieferung als auch die Forschung schreiben diese Ent-
scheidung Außenminister Georges Bidault zu, der am 29. Mai 1947 seine Zustimmung
zur Gründung christlicher Gewerkschaften im Saarland erteilt hatte.64
4. Die Zulassung christlicher Gewerkschaften als Ergebnis einer Interaktion partei-
politischer Interessenbildung
Das Thema christliche Gewerkschaften ist von der Forschung bisher vernachlässigt
worden. Dieser Aspekt der saarländischen Gewerkschaftsgeschichte verlangt allein
schon deshalb mehr Beachtung, weil Grandval an der Einheitsgewerkschaft festhalten
wollte. Wie kam es dazu, daß gegen seinen Willen christliche Gewerkschaften im
Saarland zugelassen wurden? Die Beantwortung dieser Frage erfordert eine Differen-
zierung der verschiedenen Entscheidungsebenen.
4.1 Französische Gewerkschaftslobby und Besatzungspolitik
Eine Spur zur Lösung dieser Frage findet sich in einer von der Forschung bisher nicht
beachteten Dissertation von Horst van der Meer, die 1963 in der DDR entstand.65 Ohne
auf Quellen zu verweisen, behauptet van der Meer, die Gewerkschaft Christlicher
Bergleute an der Saar sei unter der Obhut der christlichen Gewerkschaft Frankreichs,
der C.F.T.C., entstanden. Van der Meer ordnet die Gründung einer christlichen Ge-
werkschaft an der Saar in den internationalen Gewerkschaftskontext nach 1945 ein.
Gerade die C.F.T.C. habe sich im Oktober 1945 beim Aufbau des Internationalen
Bundes Christlicher Gewerkschaften außerordentlich engagiert, die französischen
Kolonialgebiete seien eines ihrer Hauptoperationsfelder gewesen.
Der Einblick in das Privatarchiv Grandvals und in die Bestände des französischen
Außenministeriums zeigt nun, daß in der Tat die Gründung christlicher Gewerk-
schaften im Saarland nicht einfach auf Georges Bidault zurückzuführen ist, sondern
daß die C.F.T.C.- Lobby auf ihn eingewirkt hat. Eine wichtige Rolle spielten dabei
Gaston Tessier und Henri Meck.
Henri Meck, am 31. Juli 1887 in Saverne geboren, gehörte zu den parteipolitisch und
gewerkschaftlich bedeutendsten und engagiertesten Christdemokraten des Départe-
ments Bas-Rhin, in dem er ein hohes Ansehen genoß. Er war aktiv am Aufbau einer
christlichen Gewerkschaftsbewegung im Elsaß beteiligt und gehörte seit dem 1. Juni
1919 der christlichen Gewerkschaft an. Insbesondere wirkte er auch an der Gründung
einer christlichen Bergarbeitergewerkschaft im Département Moselle 1920/21 mit. Ab
1922 übte er zwanzig Jahre lang das Amt des Generalsekretärs der unabhängigen
64 Ebd.
65 Horst van der Meer, Die Bildung und Entwicklung des Internationalen Bundes Christlicher Gewerk-
schaften (IBCG) unter dem Einfluß der deutschen Christlichen Gewerkschaften, Diss. (hektographiert) O-
Berlin 1963, S.151.
298
Gewerkschaften Elsaß-Lothringens und der Union Régionale de la Confédération
Française des Travailleurs Chrétiens (C.F.T.C.) aus. Im Rahmen seiner Tätigkeit in der
Confédération Internationale des Syndicats Chrétiens au rapprochement fran-
co-allemand verfügte er über Kontakte zu christlichen Gewerkschaftlern im Deutschen
Reich und pflegte auch Verbindungen zu Kollegen im Saargebiet. Seit 1920 war er
Mitglied in der Union Populaire Républicaine d'Alsace und seit 1924 im Rassem-
blement Démocrate Chrétien. Von 1932 bis zum Einmarsch deutscher Truppen war er
Bürgermeister von Molsheim gewesen und mußte 1941 in die freie Zone fliehen. Nach
1945 zog er als Kandidat des M.R.P. für das Dép. Bas-Rhin in die Assemblée Nationale
ein. Pierre Pflimlin würdigte ihn in seinen Memoiren als "irremplaçable animateur" für
den M.R.P., bis 1966 war Meck Präsident des M.R.P. im Département Bas-Rhin. Als
Vertreter für den Centre National des M.R.P. nahm er an Kongressen der CDU teil. Als
Gewerkschaftler bemühte er sich vor allem um die Sozialpolitik und die Erhaltung von
Sonderrechten in der Sozialversicherung für Elsaß-Lothringen. 1946 wurde er zum
Präsidenten der Kommission für Arbeit und Soziale Sicherheit der Konstituierenden
Assemblée gewählt und in der Folgezeit mehrfach als Präsident der Arbeitskommission
bestätigt. 1953 löste er Tessier als Präsident des C.F.T.C. ab. Eng verbunden mit Partei-
und Gewerkschaftsarbeit war sein überzeugtes katholisches Bekenntnis. Mit Docteur
Thiele gründete er das Institut Léon XIII. 1952 wurde er mit dem Croix de l'ordre de
Saint-Grégoire le Grand geehrt. Henri Meck verstarb am 25. Dezember 1966 in Stras-
bourg.66
Gaston Tessier, geb. am 15. Juni 1887 in Paris, war Generalsekretär der Fédération
Internationale des Syndicats Chrétiens und Präsident der C.F.T.C. von 1919 bis 1953.
Er starb am 8. August 1960 in Paris.67
Bereits im Sommer 1946 empfahlen einflußreiche Gewerkschaftler der C.F.T.C. wie
Gaston Tessier und Henri Meck, christliche Gewerkschaften an der Saar zu fördern. Sie
sprachen dabei zwar noch nicht von der Gründung christlicher Gewerkschaften an der
Saar, erhoben aber gegenüber Grandval die Forderung nach "participation" der
C.F.T.C. an der Verwaltung der Saargruben.68 Die Lobby der christlichen Gewerk-
schaften Frankreichs versuchte zunächst auf General Koenig einzuwirken, christliche
Dictionnaire Biographique du mouvement ouvrier français, Tome XXXVI, Paris 1990, S.190-192.
François G. D r e y f u s, La vie politique en Alsace 1919-1936, Paris 1969, S.l 19, Pierre Pflimlin,
Mémoires d'un Européen de la IV* à la V république, Paris 1991, S.16, 253. Le nouvel Alsacien vom
27.4.50, vom 20.5.53, vom 16.5.55, vom 28.12.66 und 6.1.67.
67 Dict. Biographique du mouvement ouvrier français, Tome XLII, Paris 1992, S.90-98.
MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Nr.l 16, Bl.l 18-120. "Comme suite à ma lettre du 29 mai j'ai l'honneur de
vous indiquer que l'Administrateur général adjoint pour le gouvernement Militaire de la Zone Française
d'occupation m'a fait savoir par lettre en date du 6 juin qu'il soumettrait la question de la participation des
syndicats chrétiens d'Alsace et de Lorraine à l'Administration des Mines Domaniales de la Sarre (...).
299
Gewerkschaften in seiner Zone zuzulassen. So besuchte Gaston Tessier General
Koenig im Frühjahr 1947 in Baden-Baden. Angeblich soll Koenig gegenüber dem
C.F.T.C.-Präsidenten betont haben, christliche Gewerkschaften sollten sich in der
französischen Zone entwickeln ("développer") dürfen. Im März 1947 gab es Kontakte
zwischen Henri Meck und Hans Ruffing, die sich beide aus der Gewerkschaftsarbeit
vor 1935 kannten. Der Elsässer Henri Meck forderte in einem Schreiben an den franzö-
sischen Ministerpräsidenten vom 25. Juli 1947, daß endlich das Prinzip der Gewerk-
schaftsfreiheit an der Saar angewandt und christliche Gewerkschaften zugelassen
werden sollten. Meck selbst erwähnte später auf der Generalversammlung der Christli-
chen Gewerkschaften an der Saar am 1, Mai 1953 indirekt seine mit Hans Ruffing
abgestimmten Bemühungen um Wiederzulassung.69
Tessier warb als Präsident der C.F.T.C. in Paris für sein Anliegen, indem er den Wi-
derstand christlicher Gewerkschaftler im "Dritten Reich" herausstellte und in diesem
Zusammenhang auf "erhabene" Persönlichkeiten wie Jakob Kaiser verwies.70
Parallel zur Forderung nach Gewerkschaftsfreiheit und dem Herausstellen des Wider-
standes christlicher Gewerkschaftler im "Dritten Reich" verfolgte die C.F.T.C- Lobby
die Diskreditierung der Einheitsgewerkschaft als nationalistisch orientierter Organisa-
tion. Motiviert war ihr Einsatz für die Zulassung christlicher Gewerkschaften in der
französischen Zone und an der Saar durch ihr internationales Engagement, die christli-
che Gewerkschaftsbewegung als Gegengewicht zu sozialistisch und kommunistisch
dominierten Gewerkschaften zu entwickeln. Die C.F.T.C. sah die Perspektive, über die
französische Besatzungsmacht die Gewerkschaftsentwicklung in den deutschen Län-
dern in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das hieß, international die Christlichen gegen die
Linke zu stärken. Alain Lattard hat bei seinen Untersuchungen entdeckt, daß, nachdem
Koenig gegenüber Tessier eine Unterstützung chrisüicher Gewerkschaften nicht
abgelehnt hatte, C.F.T.C.-Funktionäre auf die französische Militärregierung in Rhein-
land-Pfalz einwirkten, sich für christliche Gewerkschaften auszusprechen, so schickte
die C.F.T.C. einen Troß von Funktionären Anfang 1948 in die französische Zone.71
Vgl. dazu: Bericht über die Zweite ordentliche Generalversammlung des GCS am 1 ./2.5. 1953,
Saarbrücken 1953, S.17. Vgl. außerdem Wortlaut von Mecks Rede, die sich auf die gemeinsamen
Bemühungen zur Gründung christlicher Gewerkschaften an der Saar nach 1945 beziehen: "Ich kann Ihnen
nur sagen, das habe ich Ihnen hier schon in dem gleichen Saal vor 6 Jahren gesagt, daß wenn die Gründung
der christlichen Gewerkschaften so rein französische Gewerkschaftsart gewesen wäre, es nicht notwendig
war, damals die turmhohen Schwierigkeiten zu überwinden, um die Gründung der christlichen
Gewerkschaften im Saarland in Paris zu erzwingen. Ich habe damals dem Kollegen Ruffing gesagt, und ich
habe mich nicht getäuscht, daß sie in ganz kurzer Zeit wieder die Position der Vorkriegszeit gewonnen
haben.”
70 PGA, Doss.8, Gaston Tessier an Seydoux vom 13.5.47.
71
Alain Lattard, Gewerkschaften und Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz unter französischer Besatzung
1945-1949, Mainz 1988, S.271.
300
Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, daß die später in der Bundesrepublik
gegründeten christlichen Gewerkschaften finanziell vom IBCG unterstützt wurden und
daß auch in diesem Kontext Henri Meck in Erscheinung trat.72 Für die Verbundenheit
Mecks mit den christlichen Gewerkschaftlern im Saarland spricht auch, daß er mit
C.F.T.C. - Delegationen, denen nicht nur Funktionäre aus dem benachbarten Lothrin-
gen, sondern auch aus dem Département Pas-de-Calais angehörten, Generalversamm-
lungen der GCS besuchte und dort gegen die Einheitsgewerkschaft polemisierte.73 Im
übrigen bestanden rege Verbindungen zwischen den christlichen Gewerkschaftlern an
der Saar zu ihren Kollegen in Lothringen - wie z.B. zwischen der Bezirksleitung
Saarlouis der GCS zur C.F.T.C. in Merlebach. Zum anderen wurden die christlichen
Gewerkschaften an der Saar in die internationale christliche Gewerkschaftsbewegung
eingebunden, vor diesem Hintergrund bestanden regelmäßige Kontakte zu Kollegen in
Belgien, Holland, Frankreich und in der Schweiz.74
4.2 Divergenzen auf allen französischen Ebenen
Innerhalb der französischen Entscheidungsträger entwickelte sich die Gewerkschafts-
frage zu einem kontroversen Thema. Dabei zeigen sich auf allen Ebenen Divergenzen.
Auf der Pariser Ebene konnte Bidault von seinen Parteikollegen des M.R.P. zur Zulas-
sung christlicher Gewerkschaften bewegt werden, manche Kabinettskollegen vertraten
aber gegensätzliche Posiüonen. Insbesondere der Sozialist Daniel Mayer75 scheint
versucht zu haben, durch eine Kabinettsentscheidung Bidaults Anordnung zu revidie-
ren. Wahrscheinlich hatte die SPS Mayer um Intervention gebeten.76
Wenn vor diesem Hintergrund Henri Meck am 5. August 1947 an Bidault schrieb: "Je
vous prie instamment de vouloir bien vous opposer énergiquement à une pareille
72
Helga G r e b i n g, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, München 101980, S.261-263. Wolfgang
Schröder, Katholizismus und Einheitsgewerkschaft, Bonn 1992, S.191. Meck war zu diesem Zeitpunkt
Präsident des Internationalen Christlichen Bergarbeiterverbandes und sprach beim außerordentlichen
Kongreß der CGD am 26. und 27.11.55 in Bochum, siehe auch bei S c h o 11, Die Neugründung, S.88.
73
Bericht über die Zweite ordentliche Generalversammlung der GCS am 1./2.5. 1953, S.17 f.:"Man hat
erzählt (...), christliche Gewerkschaft, das ist französische Gewerkschaftsart und Einheitsgewerkschaft ist
deutsche Art. Ich sage: Einheitsverband, das ist DAF, das ist Zwangsgewerkschaft, christlicher
Gewerkschaftsgeist ist Demokratie und Freiheit". Siehe auch Bericht über die Erste ordentliche
Generalversammlung der GCS am 17./18.6.1950, Saarbrücken 1950.
74
IGBE-Archiv Bochum, Div.32, Mp.4, Tätigkeitsberichte der Bezirksleitung Saarlouis. Zu inter-
nationalen Kontakten, siehe: Ebd., Div.32, Mp.l.
75
Daniel Mayer, geb.1909, Journalist, baute im Untergrund die sozialistische Partei wieder auf und war
von 1943 bis 1946 ihr Generalsekretär, dann Mitglied des Comité Directeur der S.F.I.O. von 1946 bis 1954.
1947 Sozialminister, von 1948-1949 Arbeitsminister. Nicht zu verwechseln mit René Mayer (1895-1972),
der 1945/46 Haut Commissaire aux Affaires Allemandes war, danach Finanzminister und u.a der
Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vorstand.
MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.61, Bl,34, Analyse betreffend Gewerkschaftsfragen.
301
initiative si elle se produisait (...).", so bestätigt dies, daß er im Vorfeld auf Bidault
eingewirkt hatte, christliche Gewerkschaften zuzulassen.77 Damit bestätigt sich auch die
Vermutung von Michael Fichter, die dieser aus den Akten der amerikanischen Militär-
regierung zieht, daß Bidaults Entscheidung durch den Einfluß der C.F.T.C. zu erklären
sei.78
Innerhalb der französischen Militärregierung in Baden-Baden scheint General Koenig,
nachdem er Bidaults Haltung kannte, gegenüber christlichen Gewerkschaften keine
kategorisch ablehnende Position eingenommen zu haben. Er sah in ihnen vielmehr ein
Gegengewicht zu den nationalen sozialdemokratischen Kräften à la Schumacher.
Entsprechende Positionen waren innerhalb der französischen Militärregierung keine
Einzelmeinung, sondern wurden auch von Kreisen der Provinzdelegation in Neustadt
und vor allem von der pfälzischen Militärregierung geteilt, sie scheiterten aber an der
Abteilung Arbeit in Koblenz, bei der die Entscheidungsbefugnis lag.79
Im Gegensatz zu Koenig bezeichnete Emile Laffon christliche Gewerkschaften als
"inopportun". Der Directeur du Travail unterstützte ihn in seiner ablehnenden Hal-
tung: "Je vous demande donc bien vouloir intervenir avec toute l'autorité désidérable
pour qu'aucune autorisation ne soit donnée dans ce domaine (,..)".80
Auf der Ebene der französischen Militärregierung an der Saar wollte Grandval grund-
sätzlich einen Gewerkschaftspluralismus vermeiden. Er sah die Gefahr einer wachsen-
den Politisierung und befürchtete, daß sich weite Teile der nichtchristlichen Gewerk-
schaftsmitglieder in der Einheitsgewerkschaft gegen den wirtschaftlichen Anschluß an
Frankreich stellen würden. Es sei sinnvoller, wenn die christlichen Gewerkschaftler ihr
Engagement in der Einheitsgewerkschaft verstärken würden. Grandval bezeichnete den
Gewerkschaftspluralismus vor diesem Hintergrund als "hérésie". Laffon unterstützte
ihn in seiner Einschätzung.81
Wurde ihre Haltung durch die innerfranzösische Situation beeinflußt? Hier kam es ab
1946 zu einer nicht enden wollenden Streikserie. Die Streiks des Jahres 1946 waren
vorwiegend auf gewerkschaftliche Spannungen zurückzuführen, wobei die Unzu-
friedenheit der Arbeiter mit der kommunistischen Partei (P.C.F.), die noch in der
Regierungsverantwortung stand, eine Rolle spielte. Die ideologische und politische
Rivalität der französischen Gewerkschaften führte u.a. zum Streik der Cadres im März
1946 mit zahlreichen Veranstaltungen in allen großen Städten des Landes und im
77 PGA, Doss.8, Meck an Bidault vom 5.8.47.
78
Fichter, Besatzungsmacht und Gewerkschaften, S.240, Anm.31.
79
L a 11 a r d, Gewerkschaften und Arbeitgeber, S.271.
80 PGA, Doss.8, Direct, du Trav. 2518/DGEF/TRA/A an Laffon vom 12.8.47.
81 Ebd., Doss.8, Grandval an MAE vom 19.3.47. Laffon an Grandval vom 29.3.47.
302
August 1946 zum Poststreik, wobei Gegensätze zwischen Kommunisten und Soziali-
sten ausschlaggebend waren. Auch der Streik der Finanzangestellten im September
1946 war Ausdruck von innergewerkschaftlichen Differenzen, die sich insbesondere
auf die südlichen Départements Bouches du Rhône und Gironde ausweiteten und zu
einem Generalstreik am 20. September führten.82 Diese innerfranzösische Entwicklung
dürfte Grandvals und Laffons grundsätzliche Ablehnung eines Gewerkschaftspluralis-
mus beeinflußt haben.
Bidault entschied sich gegen Laffon und Grandval für die Zulassung christlicher
Gewerkschaften, aber nicht in der gesamten französischen Zone, sondern nur im
Saarland. Grandval wurde am 29. Mai 1947 über die Entscheidung Bidaults informiert.
Bidaults Entschluß war in der Pariser Administration umstritten und sorgte auch
danach für Streit. So rechtfertigte sich der Außenminister gegenüber dem Regierungs-
chef in einem fünfseitigen Papier damit, er habe sich mit Johannes Hoffmann und
General Koenig abgestimmt. Insbesondere Koenig habe betont, daß innerhalb der
Gewerkschaften auch in der französischen Zone eine stark kommunistische und im
Sinne Schumachers sozialdemokratisch nationale Richtung wirke. Diese Begründung
deutet auch daraufhin, daß, wenn Laffon nicht protestiert hätte, möglicherweise auch in
der französischen Besatzungszone christliche Gewerkschaften zugelassen worden
wären. Ein vertrauliches Schreiben General Koenigs an Außenminister Bidault stützt
diese Annahme. In ihm betont er die föderalistischen Tendenzen christdemokratischer
Kräfte, die im Sinne der französischen Politik wirkten.83 Nicht zuletzt ist auch die
Rücksichtnahme auf die anderen Besatzungsmächte einzubeziehen. Die amerikanische
Militärregierung reagierte auf Gerüchte, christliche Gewerkschaften würden in der
französischen Zone zugelassen werden, mit Entsetzen, da nach ihrer Einschätzung
dadurch die Kommunisten entscheidend gestärkt würden. Nachdem das amerikanische
Außenministerium über die Zulassung christlicher Gewerkschaften informiert wurde,
erhielt der US-Botschafter in Paris Caffery die Order, im Quai d'Orsay nachzuhaken.
Caffery teilte Washington mit, die Entscheidung gelte nur für das Saarland und sei von
Außenminister Bidault persönlich getroffen worden.84 Die gegensätzlichen Positionen
in der Frage der Zulassung von christlichen Gewerkschaften verdeutlichen paradigma-
tisch das Fehlen eines gut abgestimmten, gemeinsamen Saarkonzeptes der Pariser
Administration und bestätigen die These Armin Heinens, wonach an Stelle einer klaren
politischen Zielsetzung verschiedene Gruppen und Koalitionen einander bekämpften.
Weitere Beispiele dafür sind die Frage, ob das Saarland ein Protektorat wie Marokko
oder Tunesien sein oder größere Autonomie erhalten sollte, und die Kontroverse
82 T .
L animée politique, 1946, S.22-24, 216 f., 231,
83
PGA, Doss.8, Koenig an Grandval v. 23.6.47. "(...) ses membres émaneraient essentiellement du milieu
chrétien-démocrate dont les tendances fédéralistes séraient plus conformes aux buts de la politique
française."
34 .
F î c h t e r, Besatzungsmacht und Gewerkschaften, S.239, 240, Anm.31.
303
zwischen Grandval und der Pariser Administration über die Frage der Zukunft des
Neunkircher Eisenwerkes oder die Auseinandersetzungen zwischen Industrieministeri-
um und Schatzverwaltung über das Röchling-Imperium.85
Hinsichtlich der Zulassung christlicher Gewerkschaften zeigt sich dabei die interessante
Konstellation, daß parteipolitische Identifikationsmuster und Interessenbildungen
Grundsätze der französischen Besatzungspolitik wie das Prinzip Einheitsgewerkschaft
aushebeln konnten.86
Bidaults Antikommunismus
Für die Entscheidung Bidaults scheinen seine christdemokratische Identität und seine
antikommunistische Haltung bestimmend gewesen zu sein. Beide Faktoren hat Geor-
ges-Henri Soutou bei seinen Studien über Bidaults Außenpolitik an einer Reihe von
Punkten feststellen können. Die Entwicklung der französisch-italienischen Beziehun-
gen zwischen 1945 und 1947 sind vor allem durch die exzellenten Beziehungen
zwischen den beiden Christdemokraten Alcide de Gasperi87 und Georges Bidault88 zu
erklären, letzterer war übrigens Zögling eines Jesuiten-Kollegs in Turin. Neben der
christdemokratischen Identität steht der Antikommunismus als prägende Überzeugung
und entscheidende Komponente der Politik Georges Bidaults. Rainer Hudemann
charakterisiert den Antikommunismus als "ein durchgehendes Element des politischen
Denkens dieses Christdemokraten".89 Soutou weist in diesem Kontext auf Victor
Koutzine hin, der Bidault regelmäßig mit vertraulichen Berichten über die UdSSR und
Osteuropa versorgte und in seinem Genfer Domizil Zusammenkünfte mit Repräsentan-
ten christdemokratischer Parteien in Europa organisierte. Auf dieser Achse trafen sich
auch Konrad Adenauer und Jean Morin, der Directeur-Adjoint von Bidault, im Oktober
1947 in Luzern. Am 21. Oktober 1948 kam es dann zur Begegnung zwischen Bidault
Armin H e i n e n, Vom frühen Scheitern der französischen Saarpolitik. Politik und Ökonomie
1945-1950, in: Von der 'Stunde ö zum 'Tag X1. Das Saarland 1945-59. Katalog zur Ausstellung des
Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg. v. Stadtverband
Saarbrücken, Merzig 1990, S. 161, 169.
86 W o 1 f r u m, Französische Besatzungspolitik, S.65, Anm.7.
g7
Alcide de Gasperi, am 3.4.1881 in der Provinz Trient geboren, war u.a Begründer der Democrazia
Christiana und ihr Vorsitzender von 1946 bis 1954. Von 1945 bis 1953 war er Ministerpräsident Italiens
und bekleidete gleichzeitig das Amt des Außenministers von 1944 bis 1946 und 1951 bis 1953. Siehe:
Wolf-Rüdiger B aumann u.a (Hrsg.), Biographien zur Zeitgeschichte 1945-1983, Frankfurt aM. 1983,
S.137.
88 Siehe ebd., S.77. Bidault, am 5.10.1899 geboren, war Gründer des MRP und französischer
Außenminister von 1944-46,1947/48 und 1953/54 sowie Ministerpräsident 1946 und 1949/50.
89
Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Süd westen zwischen Tradition und Neuordnung
1945-1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im deutschen Südwesten, Mainz 1988, S.150,
Anm.39. Zur Außenpolitik Bidaults: Reinhard Schreiner, Bidault, der MRP und die französische
Deutschlandpolitik 1944-1948, Frankfurt a.M. 1985.
304
und Adenauer im Rahmen der "réunions de Genève".90 Es liegt nahe, daß die anti-
kommunistische Überzeugung Bidaults ein Grund für die Zulassung christlicher
Gewerkschaften an der Saar gewesen sein dürfte, zumal gerade die christdemokrati-
schen Kräfte ihre zu geringen Entfaltungsmöglichkeiten und die kommunistische
Stärke in der Einheitsgewerkschaft beklagten. Das Ringen um die Zulassung christli-
cher Gewerkschaften, 1946 begonnen, aber erst Ende Mai 1947 erfolgreich abge-
schlossen, ist auch in Beziehung zu setzen zu den innerfranzösischen Ereignissen, wie
dem Bruch der Koalition aus Kommunisten (P.C.F.), Sozialisten (S.F.I.O.) und Christ-
demokraten (M.R.P.) im Mai 1947.91 Bereits vor dem Kurswechsel der Kommunisten
und dem Bruch der Koaliüon verfolgte Bidault eine antikommunistische Linie, wie
seine Personalpolitik als Chef des Quai d'Orsay zeigt; nicht nur in seinem Ministerium
war kein Beamter Mitglied der P.C.F., sondern auch in allen diplomatischen Ver-
tretungen gab es keine Kommunisten bis auf einen einzigen Beamten in der Prager
Botschaft.92 Die Kommunisten reagierten darauf mit massiven Angriffen, wie einige
Arükel in der "Humanité" verdeutlichen, die in einer kleinen Serie mit dem Titel
"Quand M.R.P. et Vichystes sont au Quai d'Orsay" Bidault ins Visier nahm.93
Bidaults Verhalten paßte zum Kurs des M.R.P., warb doch die Partei nach 1945 damit,
die einzige politische Kraft zu sein, die den Kommunisten in der Regierung Einhalt
gebieten und eine Regierung Maurice Thorez verhindern wolle.94 Dieser Aspekt spielt
auch im folgenden, wenn die innenpolitische Situation an der Saar beleuchtet wird, eine
Rolle.
4.3 Die Gründung christlicher Gewerkschaften unter innenpolitischen Aspekten
Hilfe für Hoffmann
Die Zulassung chrisüicher Gewerkschaften muß auch unter innenpolitischen Aspekten
betrachtet werden. Es ist nicht daran zu zweifeln, daß sie Johannes Hoffmann als
CVP-Vorsitzenden innerparteilich stärken sollte. Dies wird durch eine Meldung des
amerikanischen Botschafters in Paris nach Washington, daß die Zulassung christlicher
Gewerkschaften nur im Saarland gelte, um die konservative CVP zu unterstützen,
bestätigt.95
Georges-Henri S o u t o u, Georges Bidault et la construction Européenne 1944-1954, in: Revue
d'histoire diplomatique 105/1992, S.270, 273, 289.
91
Wilfried L o t h, Frankreichs Kommunisten und der Beginn des Kalten Krieges. Die Entlassung der
kommunistischen Minister im Mai 1947, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 26/1978, S.44.
92
Die Angaben beziehen sich auf Juni 1946, siehe: Philippe B u t o n, Les lendemains qui déchantent. Le
Parti communiste français à la Libération, Paris 1993, S.259.
93
L'Humanité vom 14.-15.10.45. "Paris fait une politique de subordination à 1 étranger". Dies, vom 16.10.
"Le parti (sic M.R.P.) mène la France au désastre”, vom 17.10.45 "De Massigli à Bidault... ou la France à
la remorque de 1 étranger".
94
B u t o n, Les lendemains, S.240.
95
F i c h t e r, Besatzungsmacht und Gewerkschaften, S.240, Anm.31.
305
Die Rahmenbedingungen für christliche Gewerkschaften waren im Saarland außerge-
wöhnlich gut. Es gab eine insgesamt erfolgreiche Tradition christlicher Gewerkschafts-
arbeit, die sich in einem im Vergleich zum Deutschen Reich hohen Organisationsgrad
widerspiegelte.96 Neben den christlichen Gewerkschaften stand das Zentrum als Partei
des politischen Katholizismus, das die stärkste politische Kraft im Saargebiet nach dem
Ersten Weltkrieg während der gesamten Völkerbundszeit gewesen war und auch in der
Arbeiterschaft einen starken Rückhalt hatte.97 Es überrascht daher nicht, daß bei dem
politischen Wiederaufbau in den ersten Monaten nach Kriegsende von ehemaligen
Zentrumspolitikern an eine Neuauflage christlicher Gewerkschaften gedacht wurde.
Nach Robert Heinz Schmidt soll bereits am 21. Februar 1946 im Parteisekretariat der
CVP eine Konferenz zur Gründung christlicher Gewerkschaften stattgefunden haben.
Der Kreis ihrer Anhänger dürfte bis Mitte 1947 gewachsen sein, nachdem der aus der
christlichen Gewerkschaftsbewegung kommende Josef Ditzler vor der Entwicklung in
der Einheitsgewerkschaft immer deutlicher gewarnt hatte. Die Unzufriedenheit über
eine zu geringe Repräsentation innerhalb der Einheitsgewerkschaft war auch im Lager
von ehemaligen christlichen Gewerkschaftlern in anderen deutschen Ländern, vor
allem in Nordrhein-Westfalen, zu beobachten. Auch Konrad Adenauer äußerte ent-
sprechende Gedanken in einem Schreiben an Karl Arnold98 vom 20. April 1946:" (...)
entweder Sie erreichen, daß Sie innerhalb der Einheitsgewerkschaft den christlichen
Elementen den ihnen gebührenden Einfluß sichern oder aber, wenn es nicht anders
geht, werden Sie eine neue Gewerkschaft schaffen, die auf christlichem Fundament
beruht."99 Auf einer Veranstaltung der gesamtdeutschen Sozialausschüsse der CDU in
Herne im November 1947 wurde mit der Gewerkschaftsspaltung gedroht, wenn die
christlich-sozialen Kräfte nicht stärker in die Einheitsgewerkschaft integriert werden
würden.100 Auch Jakob Kaiser soll in seinem Bekenntnis zur Einheitsgewerkschaft
96 M al 1 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.180. Ende 1927 waren im Saarland 18,8 Prozent der
Arbeiter christlich organisiert, in der Bundesrepublik dagegen nur 3,4 Prozent.
97
Gerhard Bauer, Vom Zentrum zur CDU. Hundert Jahre christliche Politik an der Saar, Saarbrücken
1981, S.26.
98 Karl Arnold (1901-1958) war die "Symbolfigur des linken CDU-Flügels. Vor 1935 war er in der
christlichen Gewerkschaft u.a. als Kartellsekretär tätig, wurde dann Ministerpräsident von
Nordrhein-Westfalen (1947-1956) und bekleidete das Amt des Vorsitzenden der Christlich-
Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), siehe dazu: Schröder, Katholizismus, S.423.
99 Ebd., S.94. Zur Skepsis ehemaliger christl. Gewerkschaftler auf einem Nachkriegstreffen am 19.2.46 in
Düsseldorf, siehe: Ebd., S.80. Siehe die entschiedene Forderung von ehemaligen christlichen
Gewerkschaftlern nach politischer Neutralität der Einheitsgewerkschaft: Hartmut Pietsch,
Militärregierung, Bürokratie und Sozialisierung, Duisburg 1978, S.93. Zu schwelen den Konflikten in der
IG Bergbau, siehe: Ebd., S.90. Vgl.: Christoph Klessmann, Betriebsparteigruppen und
Einheitsgewerkschaften, in: VfZ 31/1983, S.286.
100 Schröder, Katholizismus, S.94.
306
zwischen 1948 und 1951 ab und zu geschwankt haben.101 Letztlich hielt er an ihr fest,
weil er Deutschlands Rolle als Brücke zwischen Ost und West vor Augen hatte und
dafür in der überkonfessionellen CDU und in der Einheitsgewerkschaft die wichtigsten
Stützen sah.102
Johannes Hoffmann war Anfang 1946 noch ein Anwalt der Einheitsgewerkschaft
gewesen. Seine Posiüon innerhalb der CVP war in den ersten Monaten nach Zulassung
der Partei nicht unumstritten. Viele der Gründungsmitglieder wünschten sich Bar-
tholomäus Koßmann als Vorsitzenden wegen seines Eintretens für den Anschluß der
Saar an Deutschland. Er wurde immerhin mit dem gleichen Stimmenergebnis wie
Hoffmann zum Ehrenvorsitzenden der CVP gewählt.103 Die anfangs noch nicht ge-
festigte innerparteiliche Position Hoffmanns brachte auch der Präsident der Einheits-
gewerkschaft in einem Schreiben im April 1946 an seinen Freund Emile Schüler auf
den Punkt:"Was den Fall H. betrifft, so darfst Du dabei nicht vergessen, daß es nun
nicht einerlei ist, wer an der Spitze der von H. geführten Partei steht. Es gibt in diesem
Lager Leute, die H. gerne entfernt sehen würden, das sind aber diejenigen, die wohl
politisch nicht belastet sind, aber viel gefährlicher wie ehemalige Nazis sind."104
Einige der Kritiker Hoffmanns, wie z.B. Bartholomäus Koßmann und insbesondere
Karl Hillenbrand, kamen zudem aus den christlichen Gewerkschaften, ebenso wie
Franz Ruffing, der auf dem ersten ordentlichen Landesparteitag am 29. Januar 1947
sich kritisch zum Wirtschaftsanschluß geäußert hatte.105 Es spricht vieles dafür, daß
Johannes Hoffmann in der Zulassung christlicher Gewerkschaften einen Weg sah,
seine innerparteiliche Position zu stabilisieren, zumal er persönlich die Zulassung wie
eine Erfolgsmeldung seiner Politik auf einer CVP-Veranstaltung verkündete und damit
Vorwürfe zu zerstreuen bemüht war, er kümmere sich zu wenig um die Interessen
seiner Partei. Zum einen könnte er so versucht haben, bei Skeptikern Respekt für sich
zu gewinnen, zum anderen im Sinne der Strategie, Angriff ist die beste Verteidigung,
beabsichtigt haben, die christlichen Gewerkschaftler stärker an die Partei zu binden,
oppositionelle Tendenzen zu kontrollieren und sie schließlich durch die ihm getreuen
Gewerkschaftler um Hans Ruffing, mit dem ihn der gemeinsame Kampf gegen die
101 Ebd., S.373, 380. Wolfgang Schröder stützt sich in seiner Einschätzung auf eine Tagebuchaufzeichnung
von Otto Lenz. Otto Lenz war in der ersten Wahlperiode des Deutschen Bundestages ab 18.1.1951
beamteter Staatssekretär im Bundeskanzleramt, dann als Bundestagsabgeordneter für die CDU im Zweiten
Bundestag. J
102
Ebd., S. 378.
103
Entsprechende Bewertungen deutet an, führt aber nicht aus: Markus G e s t i e r, Die christlichen
Parteien an der Saar und ihr Verhältnis zum deutschen Nationalstaat in den Abstimmungskämpfen 1935-
1955, St. Ingbert 1991, S.142.
104 StA SB, NL Emile Schüler, Nr.9, H. Wacker an E. Schüler vom 22.4.46.
105 G e s t i e r, Die christlichen Parteien, S.152.
307
Rückgliederung des Saarlandes an NS-Deutschland verband, zu verdrängen.106 Beiden
war noch gegenwärtig, daß eine Mehrheit von christlichen Gewerkschaftlern um Peter
Kiefer für das Aufgehen der Gewerkschaften in der Deutschen Front votiert hatte.107
Christliche Gewerkschaften als Ausdruck eines christlichen Weltbildes
Hoffmanns Einstellung zu christlichen Gewerkschaften sollte auch vor dem Hinter-
grund seines christlichen Weltbildes als praktizierender Katholik gesehen werden, ein
Aspekt, der nach Einschätzung von Prälat Israel108 gleichermaßen für die Person wie
für den Politiker Hoffmann von zentraler Bedeutung ist.109 Nach Ansicht von Franz
Schlehofer, Leiter von Hoffmanns Präsidialkanzlei, verknüpfte Johannes Hoffmann
mit dem Wort Einheitsgewerkschaft zunächst einmal den Begriff Sozialismus.110
Die Wiederzulassung christlicher Gewerkschaften bedeutete auf jeden Fall eine Stär-
kung des katholischen Milieus, da bei der Konfessionsstruktur des Landes abzusehen
war, daß es sich um eine mit dem Katholizismus verbundene Gewerkschaft handeln
würde, die die ohnhehin hohe Kohärenz des katholischen Milieus weiter verdichten
würde.111 Dies zeigen auch die wenigen präzisen Informationen über die Mitgliederzahl
des Gesamtverbandes der Christlichen Gewerkschaften. Insbesondere im stark katho-
lischen Kreis Saarlouis waren die Christlichen im Vergleich zur konkurrierenden
Einheitsgewerkschaft außerordentlich stark. Es gab dort zahlreiche Ortschaften, in
denen fast alle Kumpel in der GCS organisiert waren,112 zum Beispiel in Hülzweiler
waren mit 700 Mitgliedern fast alle ansässigen Bergleute der GCS verbunden.113
Hier zeigen sich gewisse Parallelen zur CVP. Auch sie war im dörflichen Bereich
besonders tief verankert. Armin Heinen spricht hinsichtlich der CVP von der "Partei
des Arbeiterdorfes".114 * In den 29 Bergarbeiterdörfern im Saarland erzielte die CVP bei
den Landtagswahlen 1952 mit 58,75 Prozent Ergebnisse, die 4 Prozent über dem
Landesdurchschnitt lagen. Zum Teil erreichte sie in diesen Gegenden Resultate von
106 PGA, Sarre I., Doss. A-H., Biograhische Information zu Landtagsabgeordneten.
107 B au e r, Vom Zentrum zur CDU, S.29-31.
108
Peter Israel, am 10.10.1911 in Mayen geboren, war seit 1938 Kaplan in Besseringen und von 1946 bis
1951 Kaplan in Püttlingen. Handbuch des Bistums Trier, Trier 1952, S.999.
109
Bernd-Joachim F a b e r, Kirche und Staat im Saarland. Eine staatskirchenrechtliche Untersuchung,
Diss. Freiburg 1981, S.200, 208.
110 Interview mit Franz Schlehofer am 8. und 23.2.1994.
111 Vgl. zu diesem Thema: Cornelia Q u i n k, Milieubedingungen des politischen Katholizismus in der
Bundesrepublik Deutschland, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS). Sonderheft 18/1987: Politische
Kultur in Deutschland, S.313. Siehe auch : M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.182-184.
112
Bericht über die Zweite ordentliche Generalversammlung der GCS, S.31.
113 Ebd.
114 Armin Heinen, Saarjahre. Politik und Wirtschaft im Saarland 1945-1955, Bd.2, Habilitationsschrift
Universität Saarbrücken 1994, S.431.
308
über 70 Prozent, z.B. 77,53 Prozent in Uchtelfangen (Anteil der Bergleute an den
Wahlberechtigten: 27 Prozent), 70,36 Prozent in Schwarzenholz (Anteil der Bergleute
an den Wahlberechtigten: 24 Prozent), in Marpingen 72,04 Prozent (Anteil der Berg-
leute an den Wahlberechtigten: 19 Prozent) und 76,45 Prozent in Eppelborn (Anteil der
Bergleute an den Wahlberechtigten: 18 Prozent). Die CVP war aber mit Ausnahme von
Saarbrücken, Neunkirchen und Ottweiler auch in Städten eine starke politische Kraft,
so in: St. Wendel (67, 07 Prozent), St. Ingbert (62 Prozent), Dillingen (61,13 Prozent),
Saarlouis (60,42 Prozent) und Merzig (59,64 Prozent).115
Atmosphärische Verbesserungen im Verhältnis zur katholischen Kirche
Die Zulassung christlicher Gewerkschaften fällt in eine Zeit, in der sich das Verhältnis
zu den Bischöfen von Trier und Speyer wegen Zensur und Behinderung kirchlicher
Öffentlichkeitsarbeit, der Epuration politisch belasteter Geistlicher116 und dem von der
Militärregierung verbotenen Hirtenwort des Trierer Bischofs zum Palmsonntag 1947,
in dem Hoffmann als "Separatist" zur Zielscheibe bischöflicher Kritik wurde,117 ver-
schlechtert hatte. Fest steht, daß der aus dem saarländischen Blieskastel stammende
Bischof von Speyer, Mgr. Wendel,118 und Grandval ein Gespräch über Gewerkschafts-
fragen führten, in dem Wendel die Gründung christlicher Gewerkschaften im Saarland
begrüßte, wie Grandval protokollierte.119
Es gab eine Reihe von Kräften in der katholischen Kirche, die sich für christliche
Gewerkschaften stark machten. Die amerikanische Militärregierung stellte solche
Bestrebungen mit Besorgnis fest. Der Aachener Bischof Johann Josef van der Velde
Privatarchiv Dontot (PAD), Doss.9/II, Wahluntersuchung der Régie zu den Landtagswahlen vom
30.11.52, B1.7 f. Die Untersuchung filtert die Bergarbeitergemeinden im Saarland heraus bzw. die Orte, in
denen ein überdurchschnittlicher Wähleranteil durch Bergleute gestellt wurde, und berücksichtigt den
Anteil der ungültigen Stimmen. Es handelt sich dabei um folgende Gemeinden: Altenkessel, Dudweiler,
Elm, Elversberg, Ensdorf, Eppelborn, Fischbach, Frankenholz, Göttelborn, Heiligenwald, Heusweiler,
Holz, Hülzweiler, Köllerbach, Landsweiler, Ludweiler, Marpingen, Mittelbexbach, Quierschied,
Saarwellingen, Schiffweiler, Schmelz, Schwarzenholz, Schwalbach, Spiesen, Uchtelfangen, Urexweiler,
Wemmetsweiler und Wiebelskirchen. Die Untersuchung berücksichtigt nicht die einzelnen Stimmenanteile
von CVP, SPS und KP, Sie wurden ermittelt aus: LA SB, Pressearchiv Staatskanzlei, 031-4 bzw. SVZ vom
1.12.52. Die Stimmen sind dort nicht in Prozent angegeben, so daß die Prozent-Ergebnisse errechnet
wurden. Bis auf Urexweiler konnten alle Ergebnisse ermittelt werden.
Rainer Möhler, Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung
von 1945 bis 1952, Mainz 1992, S.207, 224-229.
117 Faber, Küche und Staat, S.207. Jacques Freymond, Die Saar 1945-1955, München 1961, S.258-
260
118 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.2, S.444.
119
MAE, AdO Colmar, CLRP/FRCM, Cart.76, "Il ajouta qu'à son avis personnel, la solution de la pluralité
des syndicats était préférable à celle de syndicat unique, si les garanties précitées n'étaient formellement
consenties et scrupuleusement respectées".
309
unterstützte Initiativen in seiner Diözese, christliche Gewerkschaften zu gründen.120 Im
August 1946 hatten katholische Bischöfe versucht, bei Briten und Amerikanern in der
Gewerkschaftsfrage vorstellig zu werden. Auch die katholische Presse griff das Thema
christliche Gewerkschaften auf.121 Die katholische Kirche in Hessen rief anläßlich der
Betriebsrätewahlen am 12. und 19. September 1948 die Gläubigen auf, nur solche
Betriebsräte zu wählen, die sich offen zu christlichen Prinzipien bekannten.122
Dennoch unterstützte die Spitze der katholischen Kirche in Deutschland bis 1950 die
immer wieder aufkommenden Tendenzen zur Gründung von christlichen Gewerk-
schaften nicht. Erst die Auseinandersetzungen mit dem DGB in der Frage von Konfes-
sionsschulen gaben den Anhängern christlicher Gewerkschaften erheblichen Auftrieb,
die ab 1952 insbesondere durch die Bischöfe von Aachen, Köln und Münster unter-
stützt wurden.123 Die Position von Papst Pius XII. war eher unklar. Seine Stellung-
nahmen lieferten sowohl den Anhängern der Einheitsgewerkschaft wie auch der
christlichen Gewerkschaften Argumentationshilfe. Er tolerierte einerseits die Einheits-
gewerkschaft in Italien, in einem Schreiben an die Bischofskonferenz in Fulda vom
November 1945 bezeichnete er sie aber nur als Provisorium besonderer Zeit-
umstände.124 Andererseits wurde seine Ansprache vom 11. März 1945 an die Mit-
glieder der christlichen Arbeitervereine Italiens als Stellungnahme für christliche
Gewerkschaften verstanden.125
Nach Einschätzung von Franz Schlehofer bestand kein Zusammenhang zwischen der
Zulassung christlicher Gewerkschaften und den Absichten, ein Saarbistum zu gründen.
Seine Einschätzung wird insofern bestätigt, als weder in den Akten des Hohen Kom-
missariates noch in denen der saarländischen Seite sich Belege für einen Zusammen-
hang finden, dasselbe gilt für die Akten des Bischofs von Speyer126, die aber erhebliche
Lücken aufweisen. Dem Speyrer Bistumsblatt "Der christliche Pilger" war die Zulas-
sung christlicher Gewerkschaften nur eine kurze Mitteilung wert.127 Andererseits soll
120 HeleneT h i e s e n, Christi ich-soziale Arbeitnehmerschaft und Gewerkschaftsfrage, Diss. Bonn 1988,
S.86.
121 Schröder, Katholizismus, S.83.
122 Angelika Jacobi-Bettien, Metall ge werkschaft Hessen 1945 bis 1948. Zur Herausbildung des
Prinzips autonomer Industriegewerkschaften, Marburg 1982, S.380.
123 S c h o 11, Die Neugründung, S.105.
124
Ebd., S.89. T h i e s e n, Christlich-soziale Arbeitnehmerschaft, S.95.
125
Der Papst spricht. Ansprachen und Botschaften Papst Pius XII. aus der Kriegs- und Nachkriegszeit.
Hrsg, vom Bischöflichen Ordinariat Berlin, Berlin 1947, S.49-52. Unter anderem sagte Pius XII:"Ist das
nichtein klarer Beweis dafür, daß die Vereinigungen christlicher Arbeiter heute ein unentbehrliches Mittel
des Apostels sind ?"
26 Bistumsarchiv Speyer (BISTA SP), BO N.A.28/10, enthält bis auf eine Pressenotiz in Karton 18 keine
Hinweise.
127
Der christliche Pilger. Bistumsblatt für die Diözese Speyer Nr.39/40-1947.
310
Wendel nach Aussage des ehemaligen saarländischen Kultusministers Dr. Emil Straus
mit dem Gedanken gespielt haben, Bischof eines Saarbistums zu werden.128
4.4 Reaktionen auf die Gründung christlicher Gewerkschaften
Die Gründung christlicher Gewerkschaften rief natürlich bei der Einheitsgewerkschaft
erheblichen Protest hervor. Zunächst übte der Nachfolger Oskar Müllers im I.V.
Bergbau Aloys Schmitt harsche Kritik, bedeutete doch die Entscheidung Bidaults auch
eine Niederlage für ihn, da seine Wahl Ausdruck der Hoffnung war, christliche Kräfte
stärker in die Einheitsgewerkschaft integrieren zu können. Das Ziel nach der Abset-
zung Oskar Müllers, die Kommunisten zurückzudrängen, erschien durch die zu erwar-
tende Abwanderungswelle christlich orientierter Mitglieder jetzt eher noch schwerer.
Aloys Schmitt fand harte Worte, die CVP verfolge die "kriminelle Absicht", die Arbei-
terklasse zu spalten. Auf der letzten Generalversammlung des I.V. Bergbau 1955
titulierte er das Gründungsdatum der christlichen Gewerkschaft als" Tag, an dem ein
verblendetes und verführtes Grüppchen unter Führung von reaktionären Kräften mit
Unterstützung des damaligen französischen Außenministers Bidault die sogenannten
christlichen Gewerkschaften gründete."129
Mit der Zulassung christlicher Gewerkschaften war das Prinzip der Einheitsgewerk-
schaft durchbrochen worden. Gewerkschaftsgeschichtlich betrachtet führte der Plura-
lismus insofern nicht zuletzt zu einer Schwächung der Arbeitnehmerorganisationen an
der Saar, als beide Gewerkschaften versuchten, ihre Mitgliedsbeiträge gegenseitig zu
unterbieten, was angesichts einer wenig solidarischen Zahlungsmoral der Kollegen die
ohnehin schwierige Finanzsituation weiter verschlechterte.130 Noch bevor sich die
christlichen Gewerkschaften offiziell konstituierten, organisierte die Einheitsgewerk-
schaft am 3. August 1947 in der Wartburg eine große Protestdemonstration.131 Massive
Kritik kam auch von den Kommunisten. Sie warfen der CVP eine Spaltung der Ge-
werkschaftseinheit vor und befürchteten schwere Nachteile in der zukünftigen Be-
triebsratsarbeit, da die Arbeitgeber nun in der Lage seien, Arbeitnehmerinteressen
gegeneinander auszuspielen.132
Auf der anderen Seite sah die KP aber auch eine neue Chance der Kooperation mit den
Sozialdemokraten. So appellierte Fritz Nicolay an die SPS, gemeinsam "gegen die
Zulassung der christlichen Gewerkschaften zu arbeiten."133 Die KP scheint immer noch
128 LA SB, Sammlung Kurzbiographien, Dr. Straus, Mündliche Aussage von Straus gegenüber dem Leiter
des Landesarchivs Saarbrücken am 30. April 1971.
29 StA NK, Bestd. IV Bergbau, Referat Aloys Schmitt v. 1955.
130 IGBE-Archiv Bochum, Div.31, Mp.2, Erlebnisbericht Aloys Schmitt, S.61.
131 MAE, AdO Colmar, CLRP/FRCM, Cart.76, Bulletin Quotidien, Vermerk vom 6. und 18.8.47.
132 Neue Zeit vom 12.8.47.
133 SAPM Berlin, ML Basel 190, Nr.27, F. Nicolay an SPS vom 30.7.47. Siehe auch Nr.26, Bl.176-178.
311
an eine Einheitsfront gedacht zu haben, wobei die Aktionseinheit mit der SPS für die
Wiederherstellung der Gewerkschaftseinheit eine Vorstufe zur Einheitsfront bilden
sollte.134 Sie erinnerte die Sozialdemokraten daran, daß es die christlichen Gewerk-
schaften gewesen seien, die die "saarländischen Gewerkschaften an Hitler ausgeliefert
hätten",135 ein Punkt, den auch Aloys Schmitt herausstelltei36 aber wohl mehr aus
Verbitterung als aus Taktik. Hier bot Karl Hillenbrand, 1947 zum Generalsekretär des
Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften gewählt, als ehemaliger Exponent
für das Aufgehen der christlichen Gewerkschaft in die deutsche Front eine Angriffs-
fläche.137 Er hatte beispielsweise an Adolf Hitler zum 1. Mai 1933 eine Grußadresse mit
dem Wortlaut gesandt:"Zum Ehrentag der deutschen Arbeit entbietet die christ-
lich-naüonale Arbeiterschaft des Saargebietes dem Herrn Reichskanzler Adolf Hitler
deutsche Grüße mit dem Gelöbnis unverbrüchlicher Treue zum Vaterland".138
Zugleich sah der Generalsekretär der Eisenbahnergewerkschaft Eduard Weiter in der
NS-Vergangenheit vieler christlicher Gewerkschaftler ein Mittel zu ihrer Stigmatisie-
rung als potentielle Gefahr für die demokratische Entwicklung, die er insbesondere
gegenüber französischen Adressaten einsetzte. So wandte er sich mehr als ein halbes
Jahr nach der Zulassung christlicher Gewerkschaften an Transportminister Christian
Pineau139 und zeichnete ein düsteres Bild der Situation im Saarland, das bei einem
Franzosen nur Ängste wecken konnte: Weiter sah einen Auftrieb preußischer Kräfte
und beschrieb auf zehn Seiten das Auferstehen des Geistes Bismarcks. Exponenten
dieser Richtung seien christliche Gewerkschaftler wie Generalsekretär Karl Hillen-
brand, L. Hoor als Vorsitzender der Christlichen Gewerkschaft Öffentliche Betriebe,
Wilhelm Fischer und die Herren Hart und Minas. Er listete 54 Namen von seiner
Ansicht nach gefährlichen christlichen Gewerkschaftlern auf.140
Weiters Brief sollte allerdings nicht als Denunziantentum abqualifiziert werden. Er
setzte nämlich an das Ende seines Furcht erzeugenden Berichtes die Forderung, die
saarländischen Familienzulagen müßten ausgebaut und die Mitbesümmung verbessert
werden. So scheint er die Furcht vor der Auferstehung des Preußentums für sozial- und
134 Mannschatz und Seiler, Zum Kampf der KPD, S.27-29.
135 SAPM Berlin, NL Basel 190, Nr.26, Bl. 176.
136 IGBE-Archiv Bochum, Div.31, Mp.2, Erlebnisbericht Aloys Schmitt, S.33.
137 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.l, S.468.
138
Zitiert nach: Joachim Heinz, Arbeiter und Arbeiterbewegung an der Saar 1930-1933, Magisterarbeit
Universität Saarbrücken 1988, S.296.
139
Christian Pineau, geb 1904, arbeitete u.a. in den dreißiger Jahren bei der Banque de France und der
Banque de Paris et des Pays-Bas. Insbesondere von 1936 bis 1940 war er in der C.G.T. als Secrétaire de la
Fédération des employés und Secrétaire du Conseil économique tätig. Nach 1945 war er Mitglied des
Comité Directeur der S.F.I.O. und bekleidete mehrere wichtige Ministerposten.
PGA, Doss.8, Weiter an Pineau vom 11.4.48. Ders. an Colonel Toubeau, Président de la Mission
Technique vom 19.2.48.
312
tarifpolitische Zwecke instrumentalisiert zu haben. Darauf wies auch Grandval die
Pariser Administration hin. Weiters Brief hatte aber eine solche Wirkung, daß sich
Grandval veranlaßt sah, seine Situationsbeschreibung als "tableau exagérément pessi-
miste" zu entkräften und mit dem Gewerkschaftspluralismus und der daraus ent-
standenen Rivalität zu erklären.141 Auch unter ehemaligen christlichen Gewerkschaft-
lern und Mitgliedern der CVP war die Neugründung nicht unumstritten. Entsprechende
Äußerungen von CVP-Mitgliedem, die als Delegierte an Versammlungen der Einheits-
gewerkschaft teilnahmen, belegen diese These. Insbesondere jüngere Mitglieder
standen der Gründung kritisch gegenüber.142 Dies wird indirekt durch den christlichen
Gewerkschaftler Peter Gier bestätigt, der darauf hinwies, daß vor allem alte christliche
Gewerkschaftler in großer Zahl von der Einheitsgewerkschaft zur neuen christlichen
Gewerkschaft geströmt seien.143
Die Wiederzulassung der christlichen Gewerkschaften bildet nur einen kleinen Aus-
schnitt der Geschichte des Saarlandes zwischen 1945 und 1955, und doch steht dieses
Thema paradigmatisch für die historische Auseinandersetzung mit diesem Zeitraum
und beweist, daß bestimmte politische Phänomene saarländischer Sozialpolitik auf
Interaktionen zurückzuführen sind.
Monokausal kann das Phänomen, Wiederzulassung christlicher Gewerkschaften und
Ende des Prinzips Einheitsgewerkschaft, nicht erklärt werden. Vielmehr ist eine Palette
von Motiven, von Entscheidungsebenen und Achsen sowie zahlreichen Divergenzen
zwischen diesen zu berücksichtigen.
Die französische Administration verfolgte in der Gewerkschaftsfrage unterschiedliche
Vorstellungen. Die Entscheidung Bidaults war von parteipolitischem Denken be-
stimmt. Innerhalb der französischen Militärregierung behandelte Laffon das Problem
unter gewerkschaftspolitischen Aspekten und fürchtete eine wachsende Politisierung,
während Koenig unter deutschlandpolitischen Gesichtspunkten in christlichen Ge-
werkschaften ein Gegengewicht zu nationalen Tendenzen von Kommunisten und
Sozialdemokraten in der französischen Zone sah. Die Einschätzung des Gaullisten
Grandval deckte sich nicht mit der des Gaullisten Koenig, sondern stimmte mit der
Emile Laffons, der als politisch linksstehend galt, überein.
Ebd., Doss.8, Grandval an Pineau.
142 IGBE-Archiv Bochum, Div.31, Mp.2, Erlebnisbericht v. Aloys Schmitt, S.34. Das Hohe Kommissariat
sah dies ähnlich: PGA, Doss.8, Directeur du Travail an Emile Laffon vom 12.8.47. Schon bei der
Protestkundgebung der Einheitsgewerkschaft am 3.8. hatten Beobachter des Hohen Kommissariates den
Eindruck, daß christliche Gewerkschaftler, die auch der CVP angehörten, sich am Protest beteiligten, siehe:
Ebd., Grandval an Bidault vom 5.8.47.
143
PeterG i er, Die christliche Gewerkschaftsbewegung im Saarland, in: Klaus Altmeyer u.a. (Hrsg.), Das
Saarland, Saarbrücken 1958, S.206.
313
Wesentlichen Anteil an der Entscheidung Bidaults hatten christliche Gewerkschaftler
aus dem Elsaß. Zum Verständnis ihrer Handlungsweise müssen gewerkschaftsge-
schichtliche Aspekte herangezogen werden: Zum einen bestanden alte Kontakte zu
christlichen Gewerkschaftlern an der Saar, die wohl von beiden Seiten aktiviert wur-
den, zum anderen dachte vor allem die C.F.T.C. international und strebte die weltweite
Förderung des christlichen Gewerkschaftsgedankens an.
Auf saarländischer Ebene sind innenpolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen wie
die politische Schieflage der Einheitsgewerkschaft und die oppositionellen Strömungen
in der CVP gegen Johannes Hoffmann. Die Vorgänge um die Zulassung christlicher
Gewerkschaften sind zugleich Paradigma für das Fehlen einer einheitlichen französi-
schen Saarpolitik, weil diverse Divergenzen sowohl zwischen als auch auf den ein-
zelnen Ebenen zu beobachten sind. Die These von Robert Heinz Schmidt, christliche
Gewerkschaften seien zugelassen worden, um die oppositionellen Bestrebungen gegen
den Wirtschafts anschluß zu zersplittern, weil die Einheitsgewerkschaft zu dieser Zeit
auf sicherem Hoffmann-Kurs gefahren sei, erscheint zweifelhaft. Schmidt unterschätzt
die Verhältnisse in der Einheitsgewerkschaft, vor allem im I.V. Bergbau als bedeutend-
stem Industrieverband, da er die kommunistischen Oppositionskräfte im I.V. Bergbau
nicht berücksichtigt.144
Wie wirkte sich die Zulassung christlicher Gewerkschaften auf die Entwicklung der
Einheitsgewerkschaft aus? Führte die Gewerkschaftsspaltung, wie Grandval befürch-
tete, zu einer weiteren pro-deutschen Agitation und Politisierung der Gewerkschaften,
und welche Folgen hatte das Ausscheiden christlich orientierter Gewerkschaftler auf
die Machtverhältnisse innerhalb der Einheitsgewerkschaft?
Hier zeigt sich trotz einiger Versuche, die kommunistische Majorisierung zurück-
zudrängen, eine Stabilisierung des KP-Einflusses, insbesondere in den Betrieben. Die
Entwicklung kann darauf zurückgeführt werden, daß durch den Austritt der christlich
orientierten Gewerkschaftler aus der Einheitsgewerkschaft ein koordiniertes Vorgehen
von CVP- und SPS- orientierten Kollegen in der Einheitsgewerkschaft nicht mehr
möglich war. In der französischen Besatzungszone förderte die französische Militär-
regierung koordinierte Aktionen durch geheime Strategieabsprachen als Gegengewicht
zur kommunistischen Agitation.145 Im Saarland erschwerte der Gewerkschaftspluralis-
mus eine solche Kooperation zwischen Christ- und Sozialdemokraten auf Gewerk-
schaftsebene. Nutznießer davon waren die Kommunisten.146
144 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.2, S.75.
145
W o 1 f r u m, Französische Besatzungspolitik, S.242-244.
146 Ders., S.251.
314
5. Kommunisten auf Gewerkschafts- und Betriebsratsebene im Vergleich mit deut-
schen Ländern nach Konvergenz- und Divergenzgesichtspunkten
5.1 Betriebsparteigruppen und Betriebsratsarbeit
Betriebsparteigruppen als Operationsbasis
Ein Grund für den Einfluß der KP auf die Einheitsgewerkschaft liegt wie schon er-
wähnt darin, daß sie als erste Partei mit einer systematischen Gewerkschaftsarbeit
begonnen hatte, ein Aspekt, der auch für die Parteiengeschichte von Interesse ist und
bisher in Handbuchdarstellungen zu wenig berücksichtigt wurde.147 Die KP bildete
Betriebsparteigruppen, die vor Ort die Arbeiterschaft an die Partei binden und gleich-
zeitig Betriebsvertretungen und Gewerkschaften unterwandern sollten. Die Kommu-
nisten wollten damit einen Vorsprung in der unmittelbaren Interessenvertretung am
Arbeitsplatz gewinnen.148 Die Aktivisten in den Betriebsparteigruppen wurden vor
allem in Gewerkschafts- und Betriebsratsfragen geschult.149
Die Ausrichtung der KPD am Betriebsparteigruppenprinzip nach 1945 orientierte sich
am organisatorischen Vorbild der KPdSU.150 Beim Parteivorstand der KPD in Frank-
furt wurde mit Hilfe der Landesverbände eine Betriebskartei aufgebaut, in der jeder
Betrieb mit mehr als 30 Arbeitern erfaßt wurde.151 Jedes Parteimitglied sollte zugleich
Mitglied in der Gewerkschaft sein, um so eine Aktionseinheit der Arbeiterklasse in den
Betrieben zu realisieren, wobei auch die Sozialdemokraten mit eingebunden werden
sollten. Am 1. Dezember 1946 waren der KPD-Zentrale 363 Betriebsgruppen mit
20.564 Mitgliedern bekannt. Parallel dazu wurde speziell für die Arbeit in den Betrie-
ben, vor allem für das metallverarbeitende Gewerbe und den Bergbau, eine Infrastruk-
tur für eine schlagkräftige Parteipresse aufgezogen, so gab es beispielsweise in Ham-
burg und Nordrhein-Westfalen mehr als 500 kommunistische Betriebszeitungen.152
Frank Dingel, Die Kommunistische Partei Saar, in: Richard Stöss (Hrsg.), Parteienhandbuch. Die
Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Bd.2, Opladen 1984, S. 1852-1879.
148 F ü 1 b e r t h, KPD und DKP, S.33.
Gudrun Schädel, Die KPD in Nordrhein-Westfalen 1945-1956, Diss. Bochum 1974, S.47 f. In
diesem Zusammenhang muß auf die zahlreichen Tamorganisationen der KP hingewiesen. 1952 soll es
davon in der Bundesrepublik mehr als 170 gegeben haben. Dire Aufgabe bestand z. B. darin
Aktionsausschüsse und Einheitskomitees zu bilden, dabei aber die kommunistische Steuerung zu tarnen.
Siehe dazu: Erwin R i g g e rt, Kommunistische Tarnorganisationen, in: Gewerkschaftliche Monatshefte
3/1952, S.616f.
Klessmann, Betriebsparteigruppen, S.275.
Dies gilt ab Herbst 1949 auch für das Saarland, siehe: DGB-Archiv in der Hans-Böckler-Stiftung
Düsseldorf (DGB-Archiv), Bundesvorstand, Abt. Organisation 24/4 und 24/5825, Heinrich Wacker an
Albin Karl vom 27.8.52.
152
Schädel, Die KPD in Nordrhein-Westfalen, S.48, 152-155. Auch im Saarland gab es auf den
größeren Zechen Betriebszeitungen der KP- Betriebsparteigruppen laut Interview mit Lina und Walter Bier
am 19.5.1994.
315
Auch im Saarland bestanden Betriebsparteigruppen, die insbesondere von Kommu-
nisten, die als "Obleute" im April 1945 in den Gruben aufgetreten waren, geleitet
wurden. Auf den Saargruben wurde ein flächendeckendes Netz von Betriebspartei-
gruppen aufgebaut. In der Regel umfaßten sie an die 100 Personen, wie die Tabelle
zeigt. Nur die Betriebsparteigruppen auf Grube Viktoria mit 7, Luisenthal mit 10,
Göttelborn mit 18 und in Frankenholz mit 19 Mitgliedern, von Peter Lill geleitet, waren
deutlich kleiner.153 154 Auch wenn die Zahlen nicht besonders hoch erscheinen mögen, so
war die Arbeit der Betriebsparteigruppen doch effektiv, da sie in festen Gruppen
geschlossen, selbstbewußt und sicher auftraten.
Betriebsparteigruppen der KP auf den Saargruben:154
Grube Belegschaft Parteigruppe Name des Leiters
Camphausen 5.000 45 Anton Seel
Duhamel 3.500 23 Nikolaus Osbild
Heinitz 4.500 94 Karl Gross
Jägersfreude 3.000 72 Fritz Holderbaum
Hirschbach 2.800 94 Christian Montada
Kohlwald 3.200 44 Richard Kraushaar
König 3.500 92 Robert Keller
Maybach 6.000 35 Karl Blum
Mellin 3.200 95 Wilhelm Sattler
Reden 7.500 114 Josef Born
St. Ingbert 2.500 30 Johann Lang
Psychologisch operierten sie ausgesprochen geschickt, da sie den Kollegen am Arbeits-
platz hilfsbereit, freundlich und scheinbar unpolitisch begegneten.155
Auch über die Saarhütten wurde ein Netz von Betriebsparteigruppen der KP gespon-
nen, wie Heinrich Wacker in einem vertraulichen Brief Ernst Kunkel mitteilte. Auf der
Burbacher Hütte wurde sie von Karl Seiler geleitet, in Vöklingen von Heinrich Walter,
im Neunkircher Eisenwerk von Walter Knetch und in Dillingen von Alois Kiefer.156
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl.236-240. Archiv der Sozialen Demokratie der
Friedrich-Ebert-Stiftung (ASDP) in Bonn, Sammlung Ernst Kunkel, Nr.7 b, Heinrich Wacker an Ernst
Kunkel vom 4.5.50.
154
ASDP Bonn, Sammlung Ernst Kunkel, Nr.7b, Heinrich Wacker an Ernst Kunkel vom 4.5.50.
155 Georg Leber, Vom Frieden, Stuttgart 1979, S.28, 35, 42,
156 ASDP Bonn, Sammlung Ernst Kunkel, Nr.7b, Heinrich Wacker an Ernst Kunkel vom 4.4.50.
316
Die Bezirksleitung der KP im Bezirk Saar/Nahe ermahnte in einem Rundschreiben
vom Juni 1946 an alle Kreisleitungen, Orts- und Betriebsparteigruppen ihre Mitglieder
zur "guten Zusammenarbeit mit der Militärregierung (...), daß alle Reibereien, die sich
aus eventuellen Nachlässigkeiten oder Ungenauigkeiten ergeben könnten, vermieden
werden". Das zeigt die konspirative Arbeit, die so gut wie möglich vor der Militär-
regierung getarnt werden sollte.157 Bei ihrer nationalen Ausrichtung bestand guter
Grund gegenüber der französischen Militärregierung vorsichtig zu sein. Auf der
Mai Veranstaltung der Einheitsgewerkschaft 1946 sah sich Heinrich Wacker mit
"KP-Sprechchören nach der Methode Hitlers” konfrontiert und einer KP, die "na-
tionaler als die Nazis" auftrat, so jedenfalls seine Einschätzung.158 Andererseits sollen
bis 1947 die Kommunisten in der Militärregierung die Arbeit der KP alles andere als
behindert haben, dieser Befund ist immer wieder in Gesprächen mit Zeitzeugen zu
hören, findet aber weder durch ehemalige aktive Kommunisten noch durch schriftliche
Quellen Bestätigung.
Die Leiter der Betriebsparteigruppen waren in der Regel zwischen 40 und 50 Jahre alt
und verfügten über Erfahrung in der Partei- und Gewerkschaftsarbeit. Die Mehrzahl
von ihnen war schon in der Zeit vor 1935 politisch aktiv gewesen, hatte am Berg-
arbeiterstreik von 1923 teilgenommen und war nicht emigriert. Die Mitglieder hielten
ihre Treffen in den Betrieben ab. Ihre Aufgabe bestand darin, wie ein ehemaliger
Aktiva- dieser Zeit sagt, sich um die Arbeiter im Betrieb zu kümmern, herauszufinden,
wo sie der Schuh drückt und ihnen dabei zu helfen.159 Über unpolitische Themen sollte
also Zugang zu breiteren Schichten der mehrheitlich politisch noch nicht engagierten
Arbeiterschaft gewonnen werden. Insbesondere ab 1949/50 wurden von Betriebs-
parteigruppen in den Saarzechen Sabotageakte durchgeführt, Lokomotiven wurden
zum Entgleisen gebracht, z.B. durch die Betriebsparteigruppe König. Folge war, daß
alle Kumpel 1 1/2 Stunden länger unter Tage bleiben mußten. Es waren dann Mit-
glieder der KP-Jugendorganisation FDJ (Freie Deutsche Jugend), die sofort ins Ober-
steigerbüro marschierten und selbstbewußt für alle Arbeiter die Anrechnung von
Überstunden reklamierten.160 Parallel zum Aufbau der Betriebsparteigruppen betrieb
die KP eine intensive Schulungsarbeit, die wahrscheinlich von Fritz Bäsel betreut
worden ist. Die Basis sollte dabei rhetorisch und insbesondere auch in Fragen der
Mitbestimmung ausgebildet werden. Ein weiteres Ziel lag in der "Erlernung von
Führungseigenschaften". Hier zeigt sich deutlich die Verknüpfung von Betriebs-
SAPM Berlin, NL Bäsel 190, Nr.25, Schreiben der Bezirksleitung der KP, Bezirk Saar/Nahe,
Rundschreiben an alle Kreisleitungen, Orts- und Betriebsparteigruppen vom 18.6.46.
158 StA SB, NL E. Schüler, Nr.9, H. Wacker an E. Schüler vom 14.8.46.
159
Interview mit Lina und Walter Bier am 19.5.1994.
Blätter zur Geschichte der Arbeiterbewegung im Saarland, Nr.6/84. Im Zeichen des Sonnenbanners,Teil
2, hrsg. vom DKP-Bezirksvorstand Saar, S.4, 22, 25, 35.
317
gruppen und Betriebsratsarbeit.161 Es fanden regelmäßige Treffen zwischen der
KP-Spitze und den Betriebsparteigruppen statt, um eine gemeinsame Linie abzustim-
men.162 Die Betriebsparteigruppen stellten Arbeitspläne zur Entwicklung der Be-
triebs-und Gewerkschaftsarbeit auf, insbesondere ab 1953 spielten auch die
FDJ-Gruppen eine wichtige Rolle.163
Die KPD-Zentrale schien Anfang 1950 mit der Betriebsparteigruppenarbeit der saar-
ländischen Genossen nicht ganz zufrieden gewesen zu sein. Sie wünschte ihre Intensi-
vierung und kritisierte insbesondere, daß die Bildung von Streikkomitees bisher
unterblieben sei.164 Bereits im Juni 1948 hatte ein Beobachter der hessischen KPD
ähnliche Beobachungen gemacht, ohne allerdings über präzise Informationen zu
verfügen.165 Auch wenn die Quellenlage gerade für die KP-Saar nach 1945 eher
ungünstig zu sein scheint, so gibt es doch Belege dafür, daß die KP-Saar ihre Direkti-
ven von der KPD-Zentrale erhielt, hier ist insbesondere auch auf die innerparteiliche
"Disziplinierung" bzw. auf die Absetzung Friedrich Bäsels hinzuweisen.166 Die
KP-Saar stand in engem Kontakt zur KPD-Zentrale in Frankfurt und Düsseldorf.167 Es
fanden regelmäßige Treffen statt. Die Gewerkschafts- und Betriebsarbeit stand dabei
im Mittelpunkt. So hatte die Frankfurter Zentrale angeordnet, die KP-Saar solle detail-
lierte Angaben über Betriebe, Belegschaftsstärke, Produktionspalette und Produktions-
zahlen der Betriebe sowie Adressen von Gewerkschaftlern übermitteln.168 Bei der
Verbindung zwischen KP-Saar und KPD scheint der ehemalige Vorsitzende des I.V.
Bergbau Oskar Müller eine Schlüsselrolle gespielt zu haben.169 Nach seiner Aus-
weisung aus dem Saarland arbeitete er bis zu seinem Tod 1953 im Parteivorstand der
161 SAPM Berlin, NL Bäsel 190, Nr.26, Bl.82,1.V. Bergbau, Abteilung Schulung, verfaßt von Fritz Basel,
Bl. 159, Entwurf zum Thema Schulung.
162 Interview mit Lina und Walter Bier am 19.5.1994.
163 Blätter zur Geschichte der Arbeiterbewegung , S.37.
164 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Dass.109, B1.236 f., KPD-Schreiben in französischer
Übersetzung.
Bundesarchiv Koblenz (BA KO), Kommunistische Partei Deutschland ( B 118), Nr.60, Bericht über den
Parteitag des KP-Landesverbandes Saar am 5. und 6.6.48 in Saarbrücken, verfaßt von Walter Bloch am
16.6.48.
166 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Dass.107, Bl.44-48, Vermerk zu SÛretébericht betreffend KP-
Saar Landes Vorstand vom 27.1.50,
167 MAE Nantes, HCS, Cab. Polit., Doss.70, Bl.l 18. Le Directeur des services de contrôle au Préfet, Chef
du service de la Sûreté in Baden-Baden vom 26.4.50.
168 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/4 und 24/5825, Heinrich Wacker an Albin Karl vom 27.8.52. Siehe
außerdem: MAE Nantes, HCS, Cab. Polit., Doss.70, Bl.l 18, Le Directeur des services de contrôle au Préfet,
Chef du service de la Sûreté in Baden-Baden vom 26.4.50.
169 Vgl. Ebenau, Freiheit für das Volk, S.150.
318
KPD,170 Die Parteitage der KP-Saar wurden von Funktionären der KPD genau be-
obachtet, wobei nicht nur politische Aspekte von Interesse waren, sondern auch Fragen
der Parteitagsorganisation und des Diskussionsstils.171 Saarländische Kommunisten,
insbesondere auch Betriebsratsmitglieder, nahmen an Kaderschulungen der KPD teil.172
Für die praktische Arbeit wiedas Hineinschmuggeln von Flugblättern u.ä. dürften auch
die Kontakte zu den Genossen im angrenzenden Rheinland-Pfalz von Bedeutung
gewesen sein. Hier beobachtete die französische Seite Verbindungen zu kommu-
nistischen Gewerkschaftlern im Kreis Trier-Land.173
Was den Kontakt zur P.C.F, betraf, so war die KP- Saar zwar nicht von den französi-
schen Kommunisten abhängig, wohl aber bestanden zwischen beiden Parteien Kontak-
te, und die Kommunisten im angrenzenden Departement Moselle unterstützten ihre
Genossen an der Saar, indem sie für die KP-Saar Flugblätter und Druckschriften in
Frankreich herstellten und ins Saarland schmuggelten.174 Bereits bei der Ausweisung
Oskar Müllers wurden von den saarländischen Genossen Kontakte zur P.C.F. her-
gestellt, Vertreter der KP- Saar besuchten Kongresse der P.C.F und umgekehrt, auf
Wahlversammlungen des I.V. Bergbau tauchten Delegationen der kommunistisch
dominierten C.G.T. auf.175 Über die C.G.T. erhielten saarländische Kommunisten z.B.
Abschriften von französischen Tarifverträgen.176 177
Auch nach 1950 hielt die KP an ihrer konsequenten Gewerkschaftsarbeit fest. Der
Münchner Parteitag im März 1951, der in Weimar stattfand, faßte den Beschluß:"Es ist
eine der ersten Pflichten, in den Gewerkschaften zu arbeiten, der beste Gewerkschaftler
zu sein und Funktionen in den Gewerkschaften anzunehmen".,77
170
Dingel, Die Kommunistische Partei, S.1863. Zur KP-Saar vergleiche den auf breiterer Quellenbasis
verfaßten Beitrag von: Winfried Becker, Die politischen Parteien im Saarland 1945-1955 nach
französischen Quellen, in: Rainer Hudemann und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein
Problem der europäischen Geschichte. München 1992, S.288-295.
171 BA KO, B 118, Nr.60, Bericht über den Parteitag des KP-Landesverbandes Saar am 5. und 6.6.1948 in
Saarbrücken, verf. v. Walter Bloch am 16.6.48. & kritisiert z.B. die neuartige Tagesordnung, die zu einer
Zersplitterung der Diskussion geführt habe, andererseits lobt er die offene Sprache der Genossen.
172 Ebd., Nr.171. Teilnehmerliste- Kaderlehrgänge 9. und 15.4.1952.
173 MAE, AdO Colmar, CLRP/FRCM, Cart.15, Vermerk des Administrateur Julitte (Trier) an gouverneur
milit, v. 19.7.49. Verbindungsmann soll ein gewisser Gotthard, der der KPD und der Holzgewerkschaft
angehört habe, gewesen sein.
174 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.70, Bl.120, Hoffmann an Grandval vom 20.9.50.
175 Ebd., Bl. 24, Sûreté an Grandval vom 14.12.46. Bl. 118 f., Sûretébericht v. 26.4.50. Neue Zeit vom
11.7.50.
176 SAPM Berlin, NL Basel 190, Nr.26, B1.104 f.
177
Zitiert nach Johannes Schneider, KP im Untergrund, München 1963.
319
Die Betriebsparteigruppen spielten innerhalb der Strategie der KPD in den fünfziger
Jahren eine immer wichtigere Rolle. Max Reimann bezeichnete sie in einem Referat im
August 1954 als wichtigste Grundeinheit der Partei, wichtiger als die Wohngebiets-
gruppen.178 Zwischen der Betriebsparteigruppenarbeit und der Betriebsrätearbeit der
KP bestand ein strategischer Zusammenhang. Sie war das Sprungbrett für einen Erfolg
bei Betriebsrätewahlen. Alain Lattards Untersuchungen für die französische Besat-
zungszone verdeutlichen, daß einer kommunistischen Position im Betriebsrat meist der
Aufbau von Betriebsparteigruppen vorausgegangen war, wobei hier die Betriebs-
gruppenarbeit bei BASF in Ludwigshafen sowie bei Unternehmen in Kaiserslautern,
Frankenthal, Speyer und Zweibrücken besonders erfolgreich war.179
Um die saarländischen Verhältnisse präziser bewerten zu können, soll ein Blick in
andere Teile des ehemaligen Deutschen Reiches geworfen werden.
Bei den Betriebsrats wählen in der französischen Besatzungszone konnte die KP 1947
die Ernte ihrer Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit einfahren.180 Insbesondere ab 1948
stand die französische Militärregierung vor dem Problem, auf die kommunistische
Agitation in den Betriebsräten gegen den Marshallplan reagieren zu müssen.181
Auch in der britischen und amerikanischen bzw. späteren Bizone war ein starkes
kommunistisches Engagement auf Betriebsrats- und Gewerkschaftsebene zu beobach-
ten. Besonders stark waren die Kommunisten im Ruhrgebiet, hier vor allem in Gelsen-
kirchen-Buer. Sie besetzten die Position des Arbeitsdirektors vieler Hüttenwerke in
Bochum, Gelsenkirchen, Duisburg, Rheinhausen und Geiswald/Sieg sowie vieler
Zechen.182 Im Ruhrgebiet entwickelte sich die KPD nach 1945 zu einer Massenpartei,
die in Castrop-Rauxel, Bochum, Dortmund, Herne und Witten mehr Mitglieder hatte
als die CDU, Ende 1947 zählte der KP-Parteibezirk Ruhrgebiet ca. 61.000 Mit-
glieder.183 Das Zentrum machte zudem der CDU gerade im Ruhrgebiet unmittelbar
nach 1945 noch beachtliche Konkurrenz und konnte vor allem im Raum Essen bis in
178 Haas K1 u th, Die KPD in der Bundesrepublik Deutschland, Köln u.a.O. 1959, S.67-70. "Die Tätigkeit
der Kommunisten in den Betrieben besteht darin, die Arbeiter in beharrlicher Diskussion an der Werkbank,
während der Mittagspause, auf dem Weg zu und von der Arbeit über alle Fragen aufzuklären (...), sie zu
mobilisieren und zu organisieren (...). Pflicht der Kommunisten ist es, die Lage im Betrieb aufmerksam zu
verfolgen, damit sie die Stimmung und Meinung der Arbeiter kennenlernen und in die richtige Bahn leiten
(...). Dabei dürfen Kommunisten selbst nicht die kleinsten Wünsche der Arbeiter außer acht lassen, ganz
gleich, ob es sich um das heiße Wasser für den Kaffee oder um die Besserung schlechter hygienischer
Verhältnisse handelt.
179
La 11 a r d , Gewerkschaften und Arbeitgeber, S.163.
180 Ebd., S.269.
181 Wolfrum, Französische Besatzungspolitik, S.238.
182 F ü 1 b e r t h, KPD und DKP, S.36, 53
183
Pietsch, Militärregierung, S.244. Klessmann, Betriebsparteigruppen, S.276-279.
320
die fünfziger Jahre viele Betriebsräte stellen, seit 1946 war Johann Erwig aus dem
Zentrum Betriebsratsvorsitzender der Gutehoffnungshütte in Oberhausen-Sterkrade.184
In Hamburg stellte die KP 1946 in allen großen Werften die Betriebsratsvorsitzenden.
Auch in Nord-Württemberg konnten die Kommunisten in die Betriebsräte bedeutender
Industrieunternehmen wie bei Bosch in Stuttgart einziehen. Auch hier zeigt sich der
Zusammenhang mit der Betriebsparteigruppenarbeit, denn sie war dem Einzug in den
Betriebsrat vorausgegangen. 185
In Hessen war der größte Metallbetrieb, die 1928 von General Motors zu 80 Prozent
aufgekaufte Adam OPEL AG, die im "Dritten Reich" über 25.000 Beschäftigte zählte,
fest in kommunistischer Hand. Hier konnte die KP mit dem langjährigen Betriebsrats-
vorsitzenden Fritz Zängerle ihren Einfluß in den Nachkriegsjahren sogar noch aus-
bauen und poliüsierte die Betriebsratsarbeit, indem der Betriebsrat zu Verfassungs-
fragen und zur Sozialisierung Stellung nahm. Genaue und umfassende Aussagen über
die KP und ihren Erfolg bei Betriebsratswahlen sind schwierig, da eine präzise Statistik
der Betriebsratswahlen in Hessen von den Gewerkschaften nicht geführt worden ist.
Die von Angelika Jacobi-Bettien erstellte Analyse der Teilergebnisse von Betriebsrats-
wahlen aus 112 Betrieben und Verwaltungen der Regierungsbezirke Darmstadt und
Wiesbaden für 1947 zeigt jedoch, daß zwar nur 14 Prozent der gewählten Betriebsräte
aus der KPD kamen, aber über 30 Prozent parteilos waren und sich hinter dieser
Gruppe zahlreiche KP-Anhänger verbargen, insbesondere bei Dunlop in Hanau,
Degussa in Frankfurt und Neuschäfer in Wiesbaden konnte dies nachgewiesen
werden.186 Für die Entwicklung in der Bundesrepublik gilt, daß bereits vor ihrer Kon-
stituierung bei einigen Betriebsratswahlen 1948 die Kommunisten erhebliche Einbußen
hinnehmen mußten. Vor allem im Bereich der französischen Besatzungszone erodierte
der KP-Einfluß.187
Eine Ausnahme stellte aber der Ruhrbergbau dar. So stieg die Zahl der kommunisti-
schen Betriebsratsvorsitzenden von 1955 bis zum Verbot der KPD von 26 auf 31, mehr
als 20 Prozent der Betriebsräte im Steinkohlenbergbau des Ruhrgebietes waren
Ute Schmidt, Zentrum oder CDU. Politischer Katholizismus zwischen Tradition und Anpassung,
Opladen 1987, S.300 f.
185
Michael F i c h t e r, Aufbau und Neuordnung, Betriebsräte zwischen Klassensolidarität und Be-
triebsloyalität, in: Martin Broszat, Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller (Hrsg.), Von Stalingrad zur
Währungsreform, München 1988, S.502-504.
186 Angelika J acobi-Bettien, Metall ge werkschaft Hessen 1945-1948, Marburg 1982, S.336,
375-378.
187 L a 11 a r d, Gewerkschaften und Arbeitgeber, S.269. Während der KP-Anteil in den Betriebsräten in der
Pfalz 1947 bis zu 20 Prozent betragen hatte, lag er nach Berechnungen der Militärregierung im Februar
1949 nur noch bei 7,3 Prozent, im Mai 1950 nach Berechnungen der Arbeitgeber sogar nur noch bei 4,2
Prozent.
321
KPD-Mitglieder.188 Auch in der IG Bau im Rheinland waren die Kommunisten sehr
stark, zwei Drittel der Verwaltungsstellen waren in den frühen fünfziger Jahren in ihren
Händen.189
Wie im Bergbau des Ruhrgebietes konnte sich die KP auch im Saarland in den Be-
triebsräten der Gruben etablieren. Nach der Wahl der Sicherheitsmänner am 21. Mai
1946 fanden im November 1947 erstmals Betriebsrats wählen auf den Saargruben statt,
bei denen der I.V. Bergbau 309 von 423, und die GCS lediglich 107 Betriebsräte
stellen konnte.190
Kommunistische Betriebsratsmitglieder in den Gruben und Hütten:
Duhamel:
Frankenholz:
Jägersfreude:
Maybach:
Reden:
St. Ingbert:
Kokerei Heinitz:
Kokerei Reden:
Burbacher Hütte:
Neunkircher Eisenwerk:
Völklinger Hütte:
Rudolf Motzeck
Martin Burkhardt
August Bender
Hans Thome
Peter Ettgen
Johann Lang
Friedrich Kaisner
Walter Bier
Johann Reinert
Arthur Steinmetz
Johann Dengel und Hermann Ifkowitsch
KP stellt den Betriebsratsvorsitzenden:
Heinitz:
Hirschbach:
König:
Kohlwald:
Mellin:
Brebacher Hütte:
Dillinger Hütte:
Alois Körner
Karl Tranz
August Reinecke
Fritz Weyrich
Philipp Herger
Reinhold Fleck
Matthias Roden
Zahlreiche Betriebsrats Vorsitzende und Mitglieder des Gesamtbetriebsrates der Saar-
gruben kandidierten für die KP bei den Landtagswahlen 1952 wie z.B. Alois Dörr,
Walter Bier, Josef Born, Hermann Ifkowitsch, Alois Körner und Johann Mathieu.191
188 K 1 u t h, Die KPD, S.70.
189 Fii 1 b e rt h, KPD und DKP, S.61.
190 S c h m i 11, Der Industrie-Verband Bergbau, S.216.
191 LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.194, Wahlwerbung der KP- Saar zur Landtagswahl 1952 für den
Wahlkreis I, Saarbrücken Stadt und Land sowie Wahlkreis III.
322
Wenn man die Betriebsräte im Saarland mit anderen Industriezentren der westlichen
Zone vergleicht, so scheint die Entnazifizierung durch die Betriebsräte im Saarland
keine Rolle gespielt zu haben - ganz im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen192 und
Hessen193 oder zum Betriebsrat von Bosch in Stuttgart. Auch die Wiederaufnahme der
Produktion durch Kompensationsgeschäfte, die Michael Fichter für Betriebsräte im
Stuttgarter Raum herausgearbeitet hat, ist im Saarland so nicht nachweisbar. Die
Unterschiede erklären sich aus dem primären Interesse der Besatzungsmacht an der
Saarkohle und damit an der frühen Wiederingangsetzung der Montanindustrie.194 Vor
allem wurden aber unmittelbar nach 1945 im Saarland Betriebsräte weniger im Sinne
der Antifa-Bewegung gebildet - im Gegensatz etwa zu Nord-Württemberg. Anfang
Juni 1945 waren dort in fast allen Großbetrieben der Metallindustrie Betriebsräte
gebüdet worden.195 Die Entnazifizierung und Wiederingangsetzung der Produktion war
zum Großteil das Betätigungsfeld von Betriebsausschüssen, die unmittelbar nach
Kriegsende entstanden waren.
Was den kommunistischen Einfluß in Betriebsräten und Gewerkschaften betraf, so
zeigt der Vergleich mit anderen deutschen Ländern, daß dieser im Saarland zwar
erheblich, aber geringer als im Ruhrgebiet, andererseits aber stabiler gewesen zu sein
scheint.
5.2 Stabilisierung der KP als saarländische Sonderentwicklung
Versäumnisse der Sozialdemokratie
Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, daß sich im Saarland der kommu-
nistische Einfluß sowohl bei den Landtagswahlen als auch auf Gewerkschafts- und
Betriebsratsebene stabilisierte und kein sozialdemokratisches Gegengewicht zu den
Kommunisten aufgebaut wurde. Die Behauptung von Peter Luy, das Ausscheiden der
christlichen Elemente aus der Einheitsgewerkschaft wie auch das Zurückdrängen der
Kommunisten in der Einheitsgewerkschaft habe bewirkt, daß diese unter dem Einfluß
der SPS gestanden habe, findet keine Bestätigung in den Quellen.196
Pietsch, Militärregierung, S.87. Martin Rüther. Zwischen Zusammenbruch und
Wirtschaftswunder, Betriebsrätetätigkeit und Arbeiterverhalten in Köln 1945 bis 1952, Bonn 1991, S.379-
381.
193
Jacobi-Bettien, Metallgewerkschaft Hessen, S.335.
194
Fichter fuhrt dies am Beispiel des Betriebsrates bei Daimler-Benz in Sindelfingen vor. Ders.,
Aufbruch und Neuordnung, S.499, 522, 531, 533, 544, 547. Vergleiche Jacobi-Bettien,
Metallgewerkschaft Hessen, S.363.
195
Fichter, Aufbau und Neuordnung, S.499.
196 Peter Luy, 'Die Saargruben dem Saarvolk'. Aus der Geschichte der saarländischen Bergarbeiterbe-
wegung nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Von der 'Stunde 0' zum 'Tag X'. Das Saarland 1945-59. Katalog
zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg.
vom Stadtverband Saarbrücken, Merzig 1990, S.318.
323
Von den 19 Mitgliedern des Gesamtbetriebsrates der Saargruben waren 13
KP-Mitglieder und von den 5 Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstandes waren
sogar 4 Kommunisten: Walto: Bier, Alois Körner, Rudolf Motzeck und Hans Thome197 198,
von den 190 Betriebsratsmitgliedern aller Saargruben waren 63 aktive Funktionäre der
KP, wobei die Zahl der Sympathisanten, von denen keine Parteimitgliedschaft bekannt
ist, nicht eingeschätzt werden kann, so daß das reale kommunistische Gewicht noch
größer gewesen sein dürfte.598 Das Ziel der Betriebsratsarbeit bestand darin, sich durch
Engagement für die alltäglichen Probleme der Belegschaft am Arbeitsplatz politische
Reputation an der Basis zu verschaffen.199 An der Machtstellung der KP-Saar änderte
sich letztlich bis 1955 nichts.200 Der Vergleich zu anderen deutschen Ländern zeigt, daß
dies eine Sonderentwicklung war, die mit einem zu schwachen Engagement der SPS
auf Betriebs- und Gewerkschaftsebene erklärt werden kann.
Die Sozialdemokraten in Rheinland-Hessen-Nassau und in Hessen-Pfalz reagierten
erstmals schon 1946/47 auf die Erfolge der KP mit der Bildung eigener Betriebs-
gruppen.201 Auch im Ruhrgebiet begannen die Sozialdemokraten Ende 1947 eine
engagierte Betriebsparteigruppenarbeit und operierten dabei mit linksstehenden Christ-
demokraten zusammen.202
Der Erfolg der KP bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen 1947 hatte die
SPD veranlaßt203, die für sie ungünstige Entwicklung in Gewerkschaft und Betriebs-
räten umzukehren.
Der SPD- Partei Vorstand in Hannover reagierte auf die erfolgreiche kommunistische
Betriebsgruppenarbeit mit der Einrichtung eines Betriebsgruppensekretariats. Innerhalb
der SPD übernahm Siggi Neumann im Kampf gegen die Kommunisten in Betrieben
und Gewerkschaften eine zentrale Rolle. Durch ihn wurden die Betriebsgruppen zu
einem anerkannten Element sozialdemokratischer Parteiorganisation. Vor allem ehema-
lige KPD-Mitglieder wie Neumann, bis 1947 Mitglied der KPD, und auch Herbert
Wehner engagierten sich in dieser Frage. In der IG Bau nahm Georg Leber eine füh-
rende Rolle im Kampf gegen die Kommunisten ein,204 und August Schmidt in der IG
Bergbau. Beiden gelang es, Kommunisten in großer Zahl aus der Gewerkschaft auszu-
197
Interview mit Lina und Walto- Bier am 19.5.1994.
198 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/5825, Aktenvermerk vom 12.7.52 und 24/348, Bericht "Die Entwicklung
der Einheitsgewerkschaft", verf. v. E. Weiter.
199
Interview mit Lina und Walter Bier am 19.5.1994.
200 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/350, Kurt Conrad an Walter Freitag vom 25.1.54.
201
L a 11 a r d, Gewerkschaften und Arbeitgeber, S. 175.
202
Klessmann und Friedemann, Streiks und Hungermärsche, insbesondere S.66-76.
203 Ders., Betriebsparteigruppen, S.277-279.
204 Fü 1 b e r t h , KPD und DKP, S.53, 61.
324
schließen. Im Ruhrgebiet konnte, nachdem die KP bei den Betriebsrätewahlen 1948
noch erfolgreich gewesen war, im Laufe des Jahres 1949 ihr Einfluß zurückgedrängt
werden.205 Ein Beispiel für eine konzertierte Aktion gegen den kommunistischen
Einfluß ist der Betriebsrat der Adam OPEL AG in Rüsselsheim. Hier versuchte die
sogenannte ARSO, die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Opelaner (Opel-
arbeiter), gegen die KP-Dominanz im Rüsselsheimer Werk vorzugehen. Das Kai-
ser-Ministerium unterstützte nach vorausgegangenen Kontakten mit dem hessischen
Innenministerium mit 7.500 DM die antikommunistische Betriebsratsarbeit.206 Der
Vergleich zeigt, daß die SPS im Gegensatz zur SPD, obwohl die Probleme ähnlich
waren, keine vergleichbaren Aküvitäten entwickelte. Innerhalb der SPS warnte zwar
Heinrich Wacker vor der ungenügenden Verankerung der Partei in den Betrieben und
Gewerkschaften, aber erst 1953, als die Gewerkschaften bereits zum Focus der na-
tionalen Opposition geworden waren, bildete die SPS einen Ausschuß "Partei und
Gewerkschaften", mit dem sie hoffte, ihr Ansehen an der Gewerkschaftsbasis zu
verbessern.207 Ob, wie Klaus Altmeyer meint, das engagierte Eintreten der SPS für den
Wirtschaftsanschluß den immer schwächeren Kontakt der Partei zur Arbeiterschaft
erklärt, ist in dieser Ausschließlichkeit zu bezweifeln und kann nur schwer beantwortet
werden.208 Vielmehr scheinen Defizite in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
ausschlaggebend gewesen zu sein.
Ein weiteres Versäumnis der SPS lag im Fehlen einer engagierten Jugendarbeit. Die
Jugendorganisation wurde vom oppositionellen Friedei Regitz geführt. Auch in diesem
Bereich bestellte die KP von Anfang an das Feld. Bereits im Januar 1947 beobachtete
die französische Militärregierung, daß die KP konsequent das Ziel verfolgte, die
Jugend zu gewinnen und für ihre Interessen zu mobilisieren, wobei sie zweigleisig
sowohl in der Parteiarbeit als auch in der Gewerkschaft operierte. Alle Parteibezirke
der KP wurden aufgefordert, eine Erhebung darüber durchzuführen, wieviele Jugendli-
che unter 27 Jahren im jeweiligen Bezirk wohnten, wieviele davon Parteimitglied seien,
ob bereits eine FDJ-Gruppe bestehe und wie groß sie sei.209
205
Klessmann und Friedemann, Streiks und Hungermärsche, S.66 f.
206 Siehe Arnold B e 11 i e n, Arbeitskampf im Kalten Krieg. Hessische Metallarbeiter gegen Lohndiktat
und Restauration, Marburg 1982.
207 ASDP Bonn, Sammlung Kunkel, Nr.19, SPS-Landessekretariat Rundschreiben 9/1953 vom 13.11.53.
Ebd., Zeitgeschichtliche Sammlung der SPD-Saar, Protokoll der Landesparteivorstandssitzung vom
1-12.52, 30.10.53,2.2.54, 2.11.54
208
Diskussionsbeitrag von Klaus A 11 m e y e r, in: Rainer Hudemann und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die
Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.333.
209 MAE Nantes, HCS, Cab. Polit, Doss.70, B1.23, Vermerk vom 31.1.47.
325
Während es die SPS versäumte, kommunistischen Aktivitäten auf Gewerkschaftsebene
Paroli zu bieten, hatten führende Gewerkschaftler im I.V. Bergbau nach der Absetzung
Oskar Müllers versucht, die Kommunisten zurückzudrängen. Aloys Schmitt holte eine
ganze Reihe jüngerer Leute in die Gewerkschaft, die sozialdemokratisch orientiert
waren, aber nicht aus der Spitze der SPS kamen wie z.B. Johann Leblang, Otto Körner,
Karl Zumpf und Heinrich Hermann. Andererseits zog er auch CVP-Leute zu sich wie
Licht, Kannengießer, Weyrich und Spohn.210 Schmitt, der vor 1935 in der Friedens-
und der katholischen Jugendbewegung aktiv gewesen war, erkannte auch die politische
Bedeutung der Jugendarbeit. Paul Schmidt, den er bereits im Sommer 1945 für die
Gewerkschaft gewinnen konnte, wurde am 15. August 1947 Jugendsekretär des I.V.
Bergbau.211 Eine Maßnahme gegen die KP war die Änderung der gewerkschaftlichen
Organisationsstruktur, bei der Paul Kutsch eine wichtige Rolle spielte. An die Stelle der
Betriebsgruppen traten die Ortsgruppen, damit wurde die kommunistische Infiltration
über die Position der Betriebskassierer ausgehebelt.212
Zum anderen fanden Kutsch und Schmitt eine Hilfe in dem an der Universität des
Saarlandes als Dozenten (Lehrbeauftragter für Publizistik am Wirtschaftswissen-
schaftlichen Institut) tätigen Kroaten Dr. jur. Fedor Cicak, einem glühenden Anti-
kommunisten und überzeugten Katholiken, dessen Familie in Titos Internierungslagern
den Tod gefunden hatte. Er vermittelte Gewerkschaftlern in Gesprächskreisen, die im
Hause der Einheitsgewerkschaft oder in der Wohnung des Postgewerkschaftlers Hans
John stattfanden, Kenntnisse in kommunistischer Taktik und Strategie. An diesen
Treffen nahmen neben John auch Paul Kutsch, Aloys Schmitt und Robert Bach teil.
Die Arbeit schlief ein, als Cicak 1950 in die USA ging.213 Die Akademie der Arbeit war
der Universität des Saarlandes angegliedert und bot zum Wintersemester 1949/50
erstmals Varanstaltungen an. Das Ziel der Akademie bestand vor allem im Heranziehen
einer gewerkschaftlichen Elite, nämlich "qualifizierte Mitarbeiter der Gewerkschaften
auf wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Gebieten auszubilden’'.214 Die Gewerk-
schaften, die die Akademie auch finanziell unterstützten, hatten eine Schlüsselstellung
bei der Zuteilung der Studienplätze.215 Sie entschieden darüber, wer zum Besuch der
Akademie geeignet war, nicht gewerkschaftlich Organisierte konnten sie nur in Aus-
210 Interview mit Paul und Walburga Schmidt am 24.5.1994
211 Ebd.
212 c. ■
213 Ebd. und Interview mit Hilde John am 2.6.1994.
Universitätsarchiv Saarbrücken (Uni A SB), Vorlesungsverzeichnis der Universität des Saarlandes WS
1949/50, S.32.
215 Ebd.
326
nahmefällen mit Genehmigung des Akademiedirektors besuchen.216 Bis November
1949 hatten bereits 65 Mitglieder der Einheitsgewerkschaft an den Veranstaltungen der
Akademie teilgenommen.217
Die Akadenie der Arbeit war auch an der Gründung des Filmclubs der Universität
beteiligt, der am 17. November 1949 ins Leben gerufen wurde. Im Filmclub waren
Hörer der Akademie der Arbeit und der Studentenschaft zusammengeschlossen, um
wie die "Saarländische Volkszeitung" meldete, "gemeinsam problematische Filme zu
besprechen, um ihr Urteil zu schärfen und an wertvollen Filmen die Erkenntnisse auf
allen Gebieten zu vertiefen."218 In einem Mitteilungsblatt der Universität vom 20. März
1950 wird der gesellschaftspolitisch fortschrittliche Ansatz im Sinne einer Bildung der
Arbeiterschaft besonders deutlich:"Im Filmclub arbeiten Dozenten, Arbeiter und
Studenten zusammen".219
Heinrich Küppers führt die Gründung der Akademie der Arbeit wie die engagierte
Berufsschulpolitik, die gegenüber der Bundesrepublik erheblich aufgewertet wurde,
auf eine Koalition von sozialem Katholizismus, Sozialdemokratie und Gewerkschaften
zurück.220 Hier ist von einer Koalition aus Einheitsgewerkschaftlem, Sozialdemokraten
wie Peter Zimmer und Richard Kim sowie dem Christdemokraten Straus auszugehen.
Bestätigt wird diese Hypothese durch die Vita von Akademiedirektor Professor Dr.
Ewald Aufermann insofern, als er wie Dr. Emil Straus eine Ausbildung zum Diplom-
Handelslehrer absolviert hatte und den Berufs- und Handelsschulen bei seiner späteren
Lehrtätigkeit einen außerordentlichen Stellenwert einräumte. Wahrscheinlich war
Straus, der an den Universitäten Mannheim und Frankfurt studiert und dort sein Staats-
examen für das Lehramt an Handelsschulen abgelegt hatte, Schüler von Aufermann,
der dort las.221 Beide dürften aus dieser Zeit auch die der Universität Frankfurt an-
gegliederte Akademie der Arbeit kennengelernt haben, die in den Zwanziger Jahren
auch Peter Zimmer, nach 1945 u. a. Direktor der Saarknappschaft, Bürgermeister der
Diese Funktion übte der Direktor des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Universität des
Saarlandes Prof. Dr. Ewald Aufermann aus, siehe Unversitätsarchiv, VL-Verzeichnis Sommersemester
1953. Siehe auch: Armin H e i n e n und Rainer Hudemann (hrsg. i.A. des Universitätspräsidenten),
Universität des Saarlandes 1948-1988, Saarbrücken 1989, S.43,73,
217 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Dass.137, Bl. 103, H. Wacker an Robichez vom 21.11,49,
218
SVZ vom 30.11.49. Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Universitätsarchivar Dr. Wolfgang Müller.
219
Uni A SB, Mitteilungsblatt der Universität des Saarlandes vom 20.3.50.
220 Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, Saarbrücken 1984, S.176-178 mit
Anm.223. Das Studium an der Akademie der Arbeit umfaßte vier Semester. Die Leminhalte umfaßten
Betriebswirtschaftslehre, Buchhaltung und Rechtswissenschaften. Siehe: Uni A SB, Vorlesungsverzeichnis
der Universität des Saarlandes Wintersemester (WS) 1949/50 bis WS 1954/55.
221
Die Hinweise zur Biographie Aufermanns verdanke ich Herrn Universitätsarchivar Dr. Wolfgang
Müller. Zu Straus eine ausführliche Biographie bei: Küppers, Bildungspolitik, S.185 f.
327
Stadt Saarbrücken (Ehrenamt) und zweiter Vorsitzender der SPS, besucht hatte.222 Mit
dem Wintersemester 1955/56 stellte die Akademie der Arbeit ihren Betrieb ein.223
Der Versuch der Gruppe um Aloys Schmitt, die Kommunisten zurückzudrängen,
bedeutete aber nicht, auf sie als Bündnispartner im Streben gegen die Regierung
Hoffmann/Kim zu verzichten. Parallel zur gewerkschaftlichen Entwicklung verfestigte
sich auch der kommunistische Einfluß im Saarländischen Landtag. Vor allem bei den
Landtagswahlen am 30. November 1952, einige Tage nach der Aktion gegen Paul
Kutsch, erreichte die KP 9,5 Prozent und konnte ihre Mandate von zwei auf vier
verdoppeln. Von einem "relativ unbedeutenden Wähleranhang" 224 kann somit nicht
gesprochen werden, insbesondere wenn man in andere Länder schaut. Während die
KPD in Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen nach 1947 an
Bedeutung erheblich verlor und bei den Landtagswahlen 1950 in Bayern, Hessen,
Schleswig-Holstein und Württemberg-Baden an der Fünfprozenthürde scheiterte, legte
die KP-Saar im Saarland 1952 zu und erhielt 1955 immerhin noch 6,6 Prozent. In-
zwischen war die KPD 1954 auch aus dem Landtag von Nordrhein-Westfalen ausge-
schieden, in den sie immerhin noch 1947 mit stolzen 14 Prozent "einmarschiert" war.225
Zu Recht verweist Frank Dingel auf die ungünstigen Rahmenbedingungen für die
KP-Saar. So wurde ihr Organ "Neue Zeit" zwischen 1947 und 1952 zweiundfünfzig-
mal verboten.226 Dingel neigt aber dazu, die KP als saarländische Oppositionspartei zu
heroisieren, und vernachlässigt ihre subversive Komponente wie ihre Gewerkschafts-
und Betriebsratsarbeit. Nicht zuletzt orientiert er sich zu sehr an Luitwin Bies227 und
läßt sich damit von der kommunistischen Geschichtsschreibung leiten. Dies führt auch
zur Fehleinschätzung, die KP-Saar sei eine Partei der "klaren Entnazifizierung" gewe-
sen.228 Eine These, die auch angesichts der auf breiter Quellengrundlage basierenden
Arbeit von Rainer Möhler, mittlerweile unhaltbar geworden ist.229 Vielmehr stellt sich
doch die Frage, ob nicht der Druck, der auf die KP ausgeübt worden ist, im Zusam-
menspiel mit dem Verbot von CDU und DSP ihre Wahlchancen erheblich verbesserte,
weil sie lange Zeit die einzige zugelassene Oppositionspartei gewesen war.
222
Hanns Klein, Kurzbiographien der Bürgermeister (Alt-)Saarbrückens, St. Johanns, Malstatt-Burbachs
und der Großstadt Saarbrücken, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend XIX/1971, S.510 f.
223 Uni A SB, Vorlesungsverzeichnisse WS 1949/50 bis WS 1954/55. Dies ergibt sich aus den
Vorlesungsverzeichnissen.
224
Dietrich Berwanger, Massenkommunikation und Politik im Saarland 1945-1959. Ein Beitrag zur
Untersuchung "publizistischer Kontrolle", München 1969, S.19.
225 Fü 1 b e r t h, KPD und DKP, S.39, 43-45. Siehe auch: K 1 u t h, Die KPD, S.129. Zur Rolle der KPD in
Nordrhein-Westfalen: Mannschatz und Seiler, Zum Kampf der KPD, S.97, 210, 213, 227, 230.
226 D i n g e 1, Die Kommunistische Partei Saar, S.1862. Bereits von Walter Poeggel thematisiert, siehe:
Ders., Die Saarfrage in der Bonner Politik, O-Berlin 1960, S.40. Siehe z.B. auch: LA SB, StK, Nr.1703.
227
Mitglied des KP-LandesVorstandes von 1951 bis zum Verbot 1957.
228 Ders., Die Kommunistische Partei, S.1859.
Möhler, Entnazifizierung, S.124, 134, 256. Neue Zeit vom 10.9.46:"Unser Land kann auf die
Millionenarmee dieser nominellen Nazis nicht verzichten".
328
Landtagswahlergebnisse der KP (in Prozent): 1947 1951 1952 1954 1935
Rheinland-Pfalz 8,7 4,3 - -
Niedersachsen 5,6 1,8 - -
Nordrhein-Westfalen 14,0 5,5 - -
Saarland 8,4 - 9,5 6,6
Für die westliche Zone wie auch für die weitere gewerkschaftliche Entwicklung in der
Bundesrepublik gilt, daß sich das Engagement christlicher Gewerkschaftler in der
Einheitsgewerkschaft im Kampf gegen die Kommunisten als Vorteil erwies. Gerade die
amerikanische Besatzungsmacht hatte darin ein Instrument gesehen, die kommu-
nistische Position in den Gewerkschaften auszuhebeln und lehnte auch deshalb alle
Versuche, christliche Gewerkschaften zu gründen, ab. Grandvals Befürchtungen, daß
gerade die Abspaltung der christlichen Gewerkschaften die beginnende Poliüsierung
der Einheitsgewerkschaft fördern und der kommunistische Einfluß wachsen würde,
sollten sich bestätigen. Insbesondere das Verbot des I.V. Bergbau im Februar 1953 und
die daraus folgende Aufspaltung in einen alten und einen neuen Verband stärkte die
kommunistische Basis in der oppositionellen Gewerkschaft, also im alten I.V. Bergbau,
da die aktiven pro-autonomistischen Gewerkschaftskräfte sich im neuen mitglieder-
schwachen I.V. Bergbau engagierten. Damit gelang es der KP, neben dem Einfluß in
den Betriebsräten auch in der wichtigsten Einzelgewerkschaft an Einfluß zu gewinnen,
was Grandval als "danger (...) pour les institutions de l'Etat" bewertete.230 Dennoch war
die Anhängerschaft der Kommunisten in breiten Schichten der Arbeiterschaft eher
gering. Ihnen gelang es aber, zahlreiche Delegierte zu Kongressen und Konferenzen
des I.V. Bergbau zu entsenden.231
Eine wesentliche Ursache dieser Sonderentwicklung ist die von Anfang nationale
Ausrichtung der KP- Saar nach 1945. Damit besetzte die KP von Beginn an eine
politische Richtung, die bis 1955 mehr oder weniger kontinuierlich wachsen sollte.
Auch die KPD legte Wert darauf, die Zugehörigkeit des Saarlandes zu Deutschland zu
betonen. Max Reimann sprach auf einer Veranstaltung in Kaiserslautern vor 2.000
Zuhörern davon, die KPD sei die einzige Partei, die treu zu Deutschland und zur Saar
stünde.232 Die KP- Saar warb für die Veranstaltung in der Kaiserslauterner Fruchthalle
und berichtete über sie mit der Überschrift "Die Saar ist deutsch" und "Deutsch ist die
Saar - deutsch muß sie bleiben".233 Das Wort "deutsch" zieht sich wie ein roter Faden
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl. 195 f., Telegramm Grandvals an französische
Botschaft in Bonn vom 17.1.53.
231 Ebd., Bl.130, Vermerk betr. Kongreß des I.V. Bergbau vom 31.12.52.
232 MAE, AdO Colmar, CLRP/FRCM, Cart. 15, Vermerk vom 26.11.52.
233
LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.194. Handzettel und Extra-Ausgabe der Neuen Zeit vom 28.11.52.
329
durch sämtliche Broschüren, Flugblätter und Plakate. Sie warb für sich als Partei "der
deutschen Einheit" und "für die Wiedervereinigung Deutschlands".234 Ein andere
Parole lautete:" Um was gehts am 30. November? Warum KP wählen ? Du entschei-
dest: Für Deutschland! Für Frieden, Freiheit und Brot! Gegen Separatismus und
Europäisierung! Gegen Elend und Tod! Die Saar war, ist und bleibt deutsch". Ein
besonders eingängiger Spruch lautete: "Dem Fritzchen ist die Sache klar. Das ist die
Liste der deutschen Saar!! Jeder Deutsche wählt K.P,"235
Die Sprache des Klassenkampfes spielte eine eindeutig untergeordnete Rolle. Vielmehr
trat die KP-Saar als "deutsche Partei" auf, verzichtete aber auf das "D" im Parteinamen,
um kein Verbot zu provozieren.236 Eine spezielle Untersuchung Wert wäre eine Studie
über die Bedeutung des Sports in der politischen Auseinandersetzung zur Hoff-
mann-Zeit. Im Werben um die Gunst der Wähler wies die KP darauf hin, daß für sie
nur ein gesamtdeutscher Sportverkehr in Frage komme:"Sportler, wählt deutsch, wählt
die K.P.", so ein Slogan zu den November wählen 1952. Damit traf die KP den Trend
der Zeit. Die zunehmende Orientierung der Saarländer an der Bundesrepublik Deutsch-
land scheint nämlich insbesondere auch über den Sport forciert worden zu sein. Seit
1951 spielte der 1. FC Saarbrücken im Deutschen Fußballbund (DFB) und unterlag am
22. Juni 1952 in Ludwigshafen dem VfB Stuttgart im Kampf um die deutsche Meister-
schaft.237
Dieser Aspekt unterstreicht das politische Geschick der saarländischen Kommunisten,
wie die spätere Entwicklung im Kontext der Fußball Weltmeisterschaft noch 1954
deutlicher zeigte. Deutschland gewann in Bern die Fußball Weltmeisterschaft und
besiegte mit 3:2 die ausgesprochen starke und als unschlagbar geltende ungarische
Mannschaft, David bezwang sozusagen Goliath. Neun Jahre nach Kriegsende förderte
dies in der Bundesrepublik ein "Wir sind wieder wer"- Gefühl.238
Eine Analyse des Saarsports könnte die Entwicklung der nationalen Identifikation239
breiter Schichten an der Saar beleuchten, daneben aber auch allgemein interessante
Aspekte zur Bedeutung des Sports in der französischen Politik an der Saar leisten. Hier
234 Ebd., Flugblätter der KP zur Landtagswahl 1952.
235 PAD, Doss.5, B1.43, B1.50, 52, entspr. Flugblätter der KP.
236 Gesetz betreffend politische Parteien vom 17.3.52, in: Abi.1952, S.369. Dazu die Durchführungs-
verordnung vom 24.4.52, in: Ebd., S.423.
237
Siehe dazu: Pierre Lanfranchi, Der saarländische Fußball von 1947 bis 1952, Gegenspieler der
Diplomatie, in: Von der 'Stunde 0' zum 'Tag X', Das Saarland 1945-59, Katalog zur Ausstellung des
Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg. v. Stadtverband
Saarbrücken, Merzig 1990, S.128.
238 SZ vom 4.7.1994, dpa-Bericht v. Claas Hennig.
239
Siehe dazu die Ausführungen Jürgen Hannigs zur Fußballweltmeisterschaft 1954: Ders., Separatisten
- Nationalisten? Zum Abstimmungskampf 1955, in: Rainer Hudemann und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die
Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.389.
330
sei auch auf die Thesen von Mallmann und Steffens verwiesen, wonach der Sport das
Trauma dar Marginalisierung kompensiert und der Kontrast zwischen Deutschland als
Fußballweltmeister und Frankreich als Verlierer im Indochinakrieg das nationale
Bekenntnis der Saarländer zu Deutschland forciert habe, gefördert durch das Debakel
um die Europaidee mit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft in
der französischen Nationalversammlung im August 1954,240
Fortschreitende Politisierung und nationale Agitation der Gewerkschaften
Die Folge des kommunistischen Einflusses in Gewerkschaften und Betriebsräten war
eine fortschreitende Politisierung und nationale Agitation. Gerade im Ruhrgebiet waren
die Folgen kommunistischer Agitation in Betriebsräten und Gewerkschaften zwischen
1947 und 1949 in Form von Hungermärschen und Streiks angesichts der schlechten
Versorgungssituation zu beobachten. Hier sei an den Duisburger Hungermarsch im
April 1947 mit 100.000 Teilnehmern erinnert oder an den Streik in der britischen Zone
im Frühjahr 1948, an dem sich 1,6 Millionen Arbeiter und Angestellte beteiligten.241 In
geringerem, aber deutlich spürbarem Ausmaß kam es auch in der Pfalz im Sommer
1947 und im Mai 1948 bei der BASF in Ludwigshafen zu massiver kommunistischer
Agitation.242
Die saarländischen Kommunisten, die sowohl über eine Repräsentanz in der Gewerk-
schaft sspitze, vor allem im wichtigsten Industrieverband, als auch über eine starke
Position an der Basis verfügten, wehrten sich gegen die Wirtschaftsunion mit Frank-
reich und präsentierten sich als pro-deutsche Kraft.243 Sie spielten damit eine Vorreiter-
rolle, besetzten sie doch ein politisches Thema, das im Verlauf der Entwicklung bis
zum Referendum am 23. Oktober 1955 letztlich entscheidend werden sollte. Bewußt
förderten sie die Politisierung und pro-deutsche Agitation insbesondere in den Ge-
werkschaften.244
Dies wird anschaulich, wenn man die Maifeiern der Einheitsgewerkschaft im Saarland
als Indikator heranzieht. Zu einem großen Eklat kam es anläßlich der Mai Veranstaltun-
gen 1950. Ungefähr 150KP-Mitglieder, die auch im I.V. Bergbau aktiv waren, sorgten
anläßlich der Veranstaltung der Einheitsgewerkschaft in Saarbrücken für Aufruhr.
Angeblich soll die KP alle kommunistischen Funktionäre verpflichtet haben, an Mai-
kundgebungen teilzunehmen, wobei die FDJ als Jugendorganisation der KP
schwarz-rot-goldene Fahnen schwenkte und auch Genossen aus Kaiserslautern nach
240
Mallmann und Steffens, Lohn der Mühen, S.265.
241
Klessmann und Friedemann, Streiks und Hungermärsche im Ruhrgebiet, S.46-48, 52, 75,
insbesondere S.66-76.
242 L a 11 a r d, Gewerkschaften und Arbeitgeber, S.162, 234-238, 240, 253, 269.
243
P o e g g e 1, Die Saarfrage in der Bonner Politik, S.36-38, 42, 92.
244 MAE, AdO Colmar, CLRP/FRCM, Cart.76, E. Laffon an G. Grandval vom 20.9.46.
331
Saarbrücken mobilisiert wurden. Den Kommunisten gelang es, den Präsidenten der
Einheitsgewerkschaft Heinrich Wacker niederzuschreien und Paul Kutsch als Vertreter
der anti-autonomistischen Richtung während seiner Rede mit gezieltem Beifall in den
Mittelpunkt zu stellen.245
Auch im Wahljahr 1952 versuchten die Kommunisten den Tag der Arbeit in einen Tag
der nationalen Demonstration zu verwandeln. Das KP-Organ "Neue Zeit" druckte
einen Aufruf der KPD ab:" An alle Deutschen in Stadt und Land !" In der Ausgabe
vom 3. Mai wurde die Rede von Paul Kutsch, in der Hoffmann und Kirn massiv
angegriffen wurden, ausführlich wieder gegeben.246
Die Kommunisten knüpften damit an eine Tradiüon im Saarland an. Ludwig Lins-
mayer hat nachgewiesen, daß gerade der 1. Mai in der Völkerbundszeit an der Saar ein
Kampftag mit nationalem Charakter war. Hier ist insbesondere auf die Maifeier 1920
zu verweisen, die zu einem Treuebekenntnis für Deutschland und gegen die Fremd-
regierung des Völkerbundes wurde.247 Linsmayers Urteil scheint auch für die Zeit nach
1945 bis zum Ende der Saarautonomie zu gelten. Insbesondere das Hissen der
Deutschlandfahne am 1. Mai kann als nationales Signal gewertet werden. So verwiesen
bundesdeutsche Medien mit Genugtuung auf schwarz-rot-goldene Plakate der Einheits-
gewerkschaft bei den Maifeiern 1952.248
Insbesondere die FDJ-Gruppen übten sich im Hissen von Schwarz-Rot-Gold, ab 1952
kam dies immer häufiger vor, so wurden von einer FDJ-Gruppe im Saarbrücker
Stadtteil St. Arnual 8 schwarz-rot-goldene Fahnen auf einer 50 Meter hohen elek-
trischen Oberleitung so befestigt, daß der Strom abgeschaltet werden mußte, ein
anderes Beispiel war die "Beflaggung" des 109 Meter hohen Schornsteins auf Grube
Velsen.249
Später benutzten auch die opposiüonellen Sozialdemokraten den 1. Mai als Tag eines
nationalen Bekenntnisses, so suchte sich eine DSP-Gruppe im Raum Marpingen eine
auf einem Berg stehende und deshalb sehr markante Linde aus, um Schwarz-Rot-Gold
zu hissen. Der Baumstamm wurde dazu noch mit Teer beschmiert, um der Polizei das
Entfernen besonders schwer zu machen.250
245 ASDP, Sammlung Kunkel, Nr.7b, Erklärung der Regierung des Saarlandes vom 13.5.50. MAE Paris,
EU Europe, Sous S. Sarre, Doss.59, Bl.298-299, Revue de Presse. Ebd., Doss.109, Bl.24-28, Vermerk von
A. Rieth vom 12.5.50. Siehe auch: Volksstimme vom 3. und 6.5.50.
246 Neue Zeit vom 1.5. und 3.5.52,
247 Ludwig Linsmayer, Politische Kultur im Saargebiet 1920-1932. Symbolische Politik, verhinderte
Demokratisierung, nationalisiertes Kulturleben in einer abgetrennten Region, St. Ingbert 1992, S.103.
248 LA SB, Schneider-Becker-Archiv (SBA) III/6, NZ München vom Mai 1952.
249
Blätter zur Geschichte der Arbeiterbewegung , S.37.
250 Siehe SPD-Marpingen (Hrsg.), 40 Jahre SPD-Marpingen 1949-1989, Neunkirchen 1989.
332
Die autonomistische Sozialdemokratie versuchte dagegen am 1. Mai den Arbeitern die
sozialpolitischen Fortschritte an der Saar publikumswirksam zu präsentieren. Die
"Volksstimme" zeigte in ihrer Ausgabe zum 1. Mai 1952 ein Bild mit rauchenden
Schornsteinen zur Symbolisierung des wirtschaftlichen Wiederaufstiegs: Der 1. Mai
sozusagen als Demonstration von Wohlstand und sozialem Fortschritt, wie auch ein
Holzschnitt in der Ausgabe zum 1. Mai 1954 verdeutlicht, einen Arbeiter mit nacktem
Oberkörper zeigend, der die Ketten an seinem Handgelenk gesprengt hat.251
5.3 Auswirkungen der KP-Betriebsarbeit auf das Wahlverhalten
Eine Analyse der Landtags wählen vom 30. November 1952 verdeutlicht, daß die KP
in den saarländischen Bergarbeiterdörfern Ergebnisse über Landesdurchschnitt erzielte.
Sie errang hier 10,03 Prozent und damit ca. 0,6 Prozent mehr als im Landesdurch-
schnitt. Ferner ist zu beobachten, daß auch die Zahl der ungültigen Stimmen und damit
der "Weiß-Wähler" mit 25,50 Prozent deutlich über dem Landesdurchschnitt von 22,82
Prozent lag. In den Bergarbeiterdörfern konnte zwar die CVP souverän teilweise die
70-Prozentmarke der gültig abgegebenen Stimmen überklettern, andererseits zeigten
sich deutliche Oppositionssignale. Entweder liegt in den Bergarbeitergemeinden der
KP-Anteil über Landesdurchschnitt oder es ist ein überdurchschnittlich hoher Anteil
an ungülügen Stimmen zu beobachten. In zahlreichen Gemeinden sind beide Phänome-
ne gleichzeitig festzustellen. Sie unterstreichen, daß bereits zu den Landtagswahlen
1952 deutliche Opposiüonssignale in Bergarbeitergebieten zu beobachten sind, die sich
allerdings hinter traumhaften CVP-Ergebnissen verstecken. Die Arbeit der besonders
aktiven KP-Betriebsparteigruppe auf Grube Reden spiegelt sich in den Wahlergeb-
nissen der Gemeinden Landsweiler, Wemmetsweiler und Heiligenwald ebenso wider
wie die von Grube Hirschbach im Dudweiler Wahlergebnis. Dies deutet daraufhin, daß
die Betriebsparteigruppen zumindest eine prodeutsche und anti-autonomistische
Stimmung in die Bergarbeiterschaft hineintragen konnten, wobei sich andeutet, je
aktiver die Betriebsparteigruppe, um so deutlicher ein anti-autonomistisches Votum.
251 Volksstimme vom 30.4./1.5.52. Gleichwohl wurde auch an diesem Tag Kritik geübt, z,B, an der zu
schleppenden Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes.
333
Wahlergebnisse zur Landtagswahl vom 30. November 1952, differenziert nach den 29
Gemeinden im Saarland, in denen der Anteil der Bergleute an den Wahlberechtigten
über Landesdurchschnitt lag (Angaben in Prozent).152
Gemeinde B 253 CVP SPS KP ung.
Altenkessel 13 52,21 32,26 11,96 24,50
Dudweiler 14 38,23 37,47 20,62 20,70
Elm 23 71,10 23,60 2,88 22,80
Elversberg 25 43,36 29,30 23,57 25,00
Ensdorf 23 60,63 28,54 11,68 14,70
Eppelborn 18 76,45 17,33 4,09 25,6
Fischbach 28 63,67 27,75 5,12 30,7
Frankenholz 28 61,76 24,37 11,77 28,7
Göttelborn 35 70,08 19,69 5,43 45,8
Heiligenwald 33 54,09 22,10 21,10 34,3
Heusweiler 11 67,82 23,03 6,28 25,2
Holz 28 65,30 28,01 4,82 40,0
Hülzweiler 26 67,61 23,67 7,06 17,3
Köllerbach 17 64,83 27,50 4,30 23,7
Landsweiler 24 61,63 26,03 9,85 23,9
Ludweiler 23 29,05 32,73 34,27 27,3
Marpingen 19 72,04 23,10 3,31 23,0
Mittelbexbach 13 54,90 26,67 10,16 29,1
PAD, Doss. 9/II, Wahluntersuchung der Régie zur Landtagswahl 1952. Ergänzt durch: LA SB,
Pressearchiv-Staatskanzlei 031-4. Für Urexweiler konnte kein aufgeschlüsseltes Wahlergebnis ermittelt
werden.
253
B= Anteil der Bergleute an den Wahlberechtigten.
334
Gemeinde B CVF SPS KP ung.
Quierschied 29 64,55 27,12 4,50 29,2
Saarwellingen 12 68,60 18,80 10,26 15,8
Schiffweiler 19 37,82 48,56 8,55 19,9
Schmelz 11 54,67 33,96 8,40 14,8
Schwalbach 26 56,65 33,89 7,17 26,6
Schwarzenholz 24 70,36 26,56 2,60 23,5
Spiesen 24 59,93 30,39 8,21 30,0
Uchtelfangen 27 77,53 16,40 3,91 34,5
Urexweiler 18 n.e. n.e. n.e. 29,8
Wemmetsweiler 21 57,33 26,82 12,51 27,1
Wiebelskirchen 15 22,96 36,62 35,33 25,1
Durchschnitt i. d. 29 Gern. 58,75 27,55 10,03 25,50
Landesdurchschnitt 54,74 32,43 9,45 22,82
Wahlergebnisse i. d. Kreisen 254ß CVP SPS KP ung.
Saarbrücken-Stadt 1,8 40,71 44,67 8,83 25,60
Saarbrücken-Land 9,2 48,41 35,32 12,55 24,71
Saarlouis 5,9 55,77 28,41 5,87 19,77
Merzig-Wadern 1,7 63,76 29,47 4,23 22,09
St. Wendel 7,3 66,63 22,15 8,83 28,54
Ottweiler 11 50,82 32,47 13,64 26,46
Homburg 4,6 55,38 31,44 9,27 30,80
St. Ingbert 5,1 64,15 26,74 6,14 21,10
254
Prozentanteil der Bergleute an der Wohnbevölkerung nach Roy, Der saarländische Bergmann , S.28.
335
Zu den Hochburgen der KP zählten die Arbeiterstädte Völklingen (13,6 Prozent),
Neunkirchen (14,56 Prozent), in denen zahlreiche Hüttenarbeiter wohnten, und vor
allem Ottweiler mit hohem Bergarbeiteranteil (22,23 Prozent). Auch ein Blick in die
Wahlkreise unterstreicht die These, daß die KP unter den Bergleuten zahlreiche Anhän-
ger fand. Sie erreichte in den Kreisen überdurchschnittliche Ergebnisse, in denen der
Anteil der Bergarbeiter an der Wohnbevölkerung besonders hoch war. Resultate von
über 10 Prozent erreichte sie nur in zwei Kreisen, im Kreis Ottweiler mit 13,64 Prozent,
hier war der Anteil der Bergleute am größten, gefolgt von Saarbrücken-Land, wo sie
12,55 Prozent errang.255
Ein Blick auf die Resultate des Referendums vom 23. Oktober 1955 zeigt nun, daß in
den Bergarbeiterdörfern mit hohem KP- und "Weiß-Wähleranteil" bereits bei den
Landtagswahlen 1952 ein überdurchschnittlicher Anteil an Nein-Stimmen zu be-
obachten ist, z. B. in Dudweder mit 70,5 Prozent, Heiligenwald mit 77,6 Prozent, Holz
mit 69,6 Prozent, Landsweiler-Reden mit 68,1 Prozent, Schwalbach mit 69,8 und
Wiebelskirchen mit 75,9.256 Das würde bedeuten, daß eine gewisse politische Kontinui-
tät unterstellt werden kann bzw. daß die Gebiete, die insbesondere durch die kommu-
nistische Agitation bereits 1952 eine pro-deutsche Richtung erkennen lassen, 1955 zu
den Hochburgen der Nein-Sager zu zählen sind.
6. Die Bedeutung der Vitus-Heller-Bewegung für die saarländischen Gewerkschaf-
ten zwischen 1945 und 1955
Diebeiden führenden saarländischen Gewerkschaftler Aloys Schmitt und Paul Kutsch,
unter denen der I.V. Bergbau zum Focus der nationalen Opposition wurde, kamen
beide aus der Vitus-Heller-Bewegung. Schmitt war ein Gewerkschaftler der ersten
Stunde und gehörte dem Vorstand des I.V. Bergbau bis 1956 an, von 1947 bis 1950
war er Erster Vorsitzender des Verbandes und in der gesamten Hoffmann-Zeit Chefre-
dakteur des Organs "Saar-Bergbau”. Paul Kutsch rückte als Zweiter Vorsitzender des
I.V. Bergbau 1950 nach vorne und wurde 1952 zum Ersten Vorsitzenden gewählt,
nachdem er bereits einige Wochen vorher Präsident der Einheitsgewerkschaft gewor-
den war. Für beide bildete nach 1945 die Vitus-Heller-Bewegung einen Anknüpfungs-
punkt für die gewerkschaftliche Arbeit.257
Ältere Arbeiten wie von Robert Heinz Schmidt aber auch neuere wie von
Klaus-Michael Mallmann erwähnen zwar, daß beide Gewerkschaftsführer aus der
Vitus-Heller-Bewegung kamen, vertiefen diesen Aspekt jedoch nicht.258
255
Ebd. und Roy, Der saarländische Bergmann , S.28.
Statistisches Amt des Saarlandes (Hrsg.), Kurzbericht 11/10 v. 8.11.55.
257 Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994.
258 S c h m i dt, Saarpolitik, Bd.1-3; M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.254.
336
Die Vitus-Heller-Bewegung hat ihren Namen von einem ihrer wichtigsten Repräsen-
tanten gewonnen. Es handelt sich um eine linkskatholische Bewegung, die einen
christlichen Sozialismus anstrebte und im Kontext der Friedens- und Lebensreformbe-
wegung zu sehen ist.
Vier Aspekte der Vitus-Heller-Bewegung erscheinen vor dem Hintergrund der opposi-
tionellen Ausrichtung des i.V. Bergbau und der Politik von Aloys Schmitt und Paul
Kutsch von besonderem Interesse: die partielle Zusammenarbeit mit Kommunisten im
nationalen Interesse, anti-föderalistische Überzeugung, geringe Kompromißbereitschaft
und ethischer Rigorismus sowie Distanz zu Parteien.
Für beide Spitzengewerkschaftler gilt, daß sie zwar vor 1950 versucht haben, den
kommunistischen Einfluß auf Betriebs- und Gewerkschaftsebene zurückzudrängen,
andererseits aber gerade bei ihrem Einsatz gegen eine separierte Saar die Unterstützung
durch die Kommunisten keineswegs zurückwiesen. Bei der Wahl von Paul Kutsch zum
Vorsitzenden der Einheitsgewerkschaft wie bei seiner Wahl zum Vorsitzenden des I.V.
Bergbau war die Unterstützung durch kommunistische Delegierte entscheidend gewe-
sen.
Weshalb ließ sich in der Zeit des Kalten Krieges ein überzeugter und engagierter
Katholik wie Aloys Schmitt auf kommunistische Unterstützung ein?
Ein Blick auf die Geschichte der Vitus-Heller-Bewegung hilft diese Frage zu klären.
Vitus Heller verfolgte in der Weimarer Republik die Strategie, mit der KPD einen
Linksblock gegen die Reichsregierung Marx zu bilden. Gemeinsam unterstützte die
von ihm geführte Christlich-Soziale-Reichspartei (CSRP) ein Volksbegehren, eine
Vorstufe zu einem Volksentscheid, um den Bau von Panzerkreuzern zu verbieten.
Hinter dieser Politik stand die Überzeugung, daß es legitim sei, mit Kommunisten
partiell zusammenzuarbeiten, wenn es einem höheren Zweck diene.259 Bezeichnend ist
nun die Antwort von Aloys Schmitt auf die Frage nach seiner Zusammenarbeit mit
KP-Kräften im I.V. Bergbau:"Das will ich nicht bestreiten. Die KP war nach 45 von
Anfang an national. Warum sollten wir sie (...) abstoßen? Niemand wird abgestoßen,
der mithilft."260
Auch im Saarland gab es vor 1935 eine eher geringe Anzahl von Vi-
tus-Heller-Anhängern und eine Christlich-Soziale-Partei, die bei den Landesratswahlen
1928 zwar nur drei Prozent der Stimmen erzielte, aber auch nur in 34 von 285 Ge-
meinden angetreten war. Der Bergmann Josef Backes zog für sie in den Landesrat ein.
259 Dieter Riesenberger, Die katholische Friedensbewegung in der Weimarer Republik, Düsseldorf
1976, S.253.
260 Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994.
337
Die Bewegung wurde wohl vor allem von Berg- und Hüttenleuten getragen, wie die
dreißig Wahlvorschläge zur Landesratswahl eindrucksvoll verdeutlichen.261 Ihre
Anhänger kämpften nach der Machtergreifung Hitlers auch mit Kommunisten zu-
sammen gegen die Rückgliederung des Saargebietes, wie Patrik von zur Mühlen
feststellt. So beteiligten sich Vitus-Heller-Anhänger an einer von Franz Glauben (SPD)
und Ambrosius Thomaser (KPD) gegründeten "Antifaschistischen Front" und an einer
Aktion mit Erich Honecker, damals saarländischer Vorsitzender des Kommunstischen
Jugendverbandes Deutschlands (KJVD).262
Die gerade bei Aloys Schmitt zu beobachtende frühe und konsequente Ablehnung
einer von Deutschland abgetrennten Saar erscheint anti-autonomistisch und findet
ebenfalls eine gewisse Entsprechung in der klar anti-föderalistischen Orientierung von
Vitus Heller. Die Christlich-Soziale-Reichspartei war von Heller im Auftrag von
Matthias Erzberger (Zentrum) mit dem Ziel gegründet worden, der durch die bayeri-
sche Volkspartei vertretenen separatistischen Richtung Paroli zu bieten.263 In seinem
Organ "Neues Volk" stellte Heller im Oktober 1920 fest:" Ich kann die Entwicklung in
Bayern zum Separatismus nicht mehr mitmachen (...), ich sehe den französischen
Franken rollen ”.264 Neben dem anti-föderalistischen und anti-separatistischen Profil
neigte er trotz seiner pazifistischen und anti-etatistischen Tendenzen auch zur Deutsch-
tümelei und Reichsmythologie, wie seine Erinnerungen verdeuÜichen:"Das Reich aber,
das mir vorschwebte in meinem Denken und Sehnen konnte kein anderes sein als das
Reich des großen Frankenkaisers Karl des Großen".265 Die nationale Orientierung
zeigte sich bei Paul Kutsch noch wesentlich stärker und plakativer als bei Aloys
Schmitt.
Die politischen Auseinandersetzungen an der Saar insbesondere anläßlich des Referen-
dums vom 23. Oktober 1955 wurden mit außergewöhnlicher Härte geführt. Die Gesell-
schaft spaltete sich in die Gruppen der Ja- und Nein-Sager auf. Die Sprache von Aloys
Schmitt war aber schon vorher ausgesprochen scharf. In gewisser Hinsicht erinnert dies
an den ethischen Rigorismus der Vitus-Heller-Anhänger, die die Welt in gute und böse
Lager einteilten, z.B. in die "armen Proleten" und die "Geldsackmenschen".266 Die
auffallend polemische Sprache, das Schwarz-Weiß-Denken in der politischen Ausein-
Patrik von zur Mühlen, "Schlagt Hitler an der Saar!" Abstimmungskampf, Emigration und
Widerstand im Saargebiet, Bonn 1979, S.67 f. Riesenberger, Die katholische Friedensbewegung,
S.95.
262 von zur Mühlen, "Schlagt Hitler an der Saar!", S.198, 208.
263 Riesenberger, Die katholische Friedensbewegung, S.72.
264 cuj
Ebd.
Zitiert nach: Franz F o c k e, Sozialismus aus christlicher Verantwortung. Die Idee eines christlichen
Sozialismus in der katholisch-sozialen Bewegung und in der CDU, Wuppertal 1978, S.322, Anm.378.
266 F o c k e, Sozialismus, S.124.
338
andersetzung an der Saar nach 1945 und die geringe Kompromißbereitschaft von
Schmitt und Kutsch unterstreichen die Glaubwürdigkeit des Befundes. Beide knüpfen
aber vor allem auch an die politische Kultur der Völkerbundszeit an. Ludwig Lins-
mayer nennt hier das Denken in Gegensatzrelationen wie Autonomismus versus
Nationalismus, wobei für einen Mittelweg oder eine wie auch immer geartete Synthese
kein Raum blieb.267
Weder Aloys Schmitt noch Paul Kutsch traten einer politischen Partei bei. Dies ist für
Gewerkschaftler ungewöhnlich. Während man für die Hoffmann-Zeit noch annehmen
kann, daß durch die fehlende parteipolitische Bindung aus taktischen Gründen so viele
oppositionell Gesinnte wie möglich angezogen werden sollten, zeigt die Tatsache, daß
beide Gewerkschaftsführer auch nach 1955 keiner Partei angehörten, daß es wohl
prinzipielle Gründe waren, die sie davon abhielten. Dies wird auch dadurch unter-
strichen, daß die beiden Zeitzeugen Arno Spengler und Paul Schmidt berichten, Aloys
Schmitt habe es nie verstanden und ihnen ein wenig übel genommen, daß sie in die
SPD eingetreten seien.268 Für die Vitus- Heller-Bewegung war wiederum auch typisch
gewesen, daß sie generell eine gewisse Distanz zu Parteiorganisationen entwickelte.
Die Parallelen wie die Zusammenarbeit mit Kommunisten, die anti-autonomistische
Einstellung und ein gewisser Rigorismus rechtfertigen die Hypothese, daß die Vitus-
Heller-Bewegung die beiden führenden oppositionellen Gewerkschaftler Aloys
Schmitt und Paul Kutsch tiefgreifend geprägt und ihre Politik als oppositionell gesinnte
Gewerkschaftler an der Saar nach 1945 mit beeinflußt hat. Zeitzeugen, die Paul Kutsch
und Aloys Schmitt kannten und in ihrer Nähe arbeiteten, bestätigen die Verbundenheit
beider mit der Vitus-Heller-Bewegung. Nach 1945 bildete gerade bei oppositionellen
nichtkommunistischen Gewerkschaftlern die Erinnerung an sie einen Anknüpfungs-
punkt für ein gemeinsames gewerkschaftliches Engagement. Aloys Schmitt motivierte
Adolf Drawe zur Gewerkschaftsarbeit. Auch er war ein Anhänger von Vitus Heller. Er
wiederum ermutigte Hans John, gewerkschaftlich aktiv zu werden, auch hier spielte die
Vitus-Heller-Bewegung eine Rolle, auch wenn John nach 1945 sich nicht mehr damit
identifizierte. Er schloß sich später der Gruppe um Kurt Conrad an und wurde Mitglied
der DSP.269
Die Bedeutung der gemeinsamen Vitus-Heller-Erfahrung spiegelt sich auch in der
Aussage von Aloys Schmitt hinsichtlich seines Verhältnisses zu Paul Kutsch wider:"Im
übrigen hatte ich Paul Kutsch in die Gewerkschaft geholt, uns verband die Vitus
Heller-Bewegung, in der wir beide tätig waren. (...) Wir waren beide wie Brüder".270
267 L i n s m a y e r, Politische Kultur, S.225-227.
268 Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994 und Arno Spengler am 26.4.1994.
269
Interview mit Hilde John am 2.6.1994.
270
Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994.
339
Andererseits stand ein ehemaliger Aktiver der Vitus-Heller-Bewegung im Saarland
politisch Johannes Hoffmann nahe.271
7. Ergebnisse
Eine deutliche Abweichung in Aufbau und Struktur der saarländischen Gewerksc-
haften von der übrigen Gewerkschaftslandschaft des ehemaligen Deutschen Reiches
liegt in der Zulassung christlicher Gewerkschaften. Ihre Zulassung erstaunt um so
mehr, als sich auch die französische Militärregierung im Saarland am Prinzip der
Einheitsgewerkschaft orientierte. Sie ist unter anderem Ergebnis einer Interaktion von
saarländischer und christlicher Gewerkschaftslobby und bedeutete eine Niederlage für
Grandval, der sich vergeblich vehement gegen sie gewehrt hatte. Es handelt sich dabei
um eine der ausgeprägtesten Niederlagen der französischen Militärregierung an der
Saar gegenüber dem Quai d’Orsay.272
Die Vorgänge, die zur Zulassung christlicher Gewerkschaften und damit zu einer
Divergenz im Vergleich zur französischen Besatzungszone geführt haben, verdeutli-
chen, daß eine Differenzierung der verschiedensten Entscheidungsebenen hilfreich ist.
Zum anderen zeigt sich hier bereits die methodische Notwendigkeit, die Politik der
französischen Militärregierung im Saarland mit der innerfranzösischen Entwicklung in
Beziehung zu setzen, denn Bidaults Antikommunismus und christdemokratische
Identität einerseits wie auch Grandvals und Laffons kategorisches Nein zu christlichen
Gewerkschaften andererseits gewinnen an Profil, wenn sie im Kontext zur französi-
schen Innenpolitik gesehen werden. Bidault ließ sich von antikommunistischen Moti-
ven leiten. Grandval und Laffon lehnten einen Gewerkschaftspluralismus aus Gründen
der politischen Stabilität ab, weil sie eine Rivalität mit Radikalisierungs- und Politisie-
rungserscheinungen fürchteten, andererseits glaubte General Koenig, wie Grandval ein
Gaullist, christliche Gewerkschaften, mit denen er föderalistische Tendenzen assoziier-
te, zulassen zu können.
Wie in den übrigen Teilen der westlichen Besatzungszone gilt auch für das Saarland
ein nicht zu übersehender kommunistischer Einfluß in den Gewerkschaften und vor
allem auf Betriebsratsebene, der im Kontext einer systematischen Betriebspartei- und
Betriebsratsarbeit zu sehen ist. Im Unterschied zur Entwicklung in den anderen Län-
dern der westlichen Besatzungszonen zogen die Kommunisten ihr Kapital nicht aus
einer schlechten Versorgungslage, sondern sie betrieben eine nationale bzw. pro-
deutsche Agitation und Politisierung der Gewerkschaften, indem sie sich auf die
Schmidt, Saarpolitik, Bd.l, S.299.
272
Siehe den Diskussionsbeitrag von Rainer H u d e m a n n, in: Ders. und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die
Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.353. Hudemann betont die
starke Stellung Grandvals gegenüber der Pariser Zentrale.
340
Saarfrage konzentrierten und sich als einzige zugelassene Partei gegen die Separierung
des Saarlandes stark machten. Damit schufen sie einen politischen Dauerbrenner, der
die Hoffmann-Zeit immer stärker bestimmen sollte, und dies erklärt auch die Stabilität
ihres politischen Einflusses im Vergleich zur KPD in der Bundesrepublik.
Dieser stabile kommunistische Einfluß im Saarland wurde dadurch begünstigt, daß
Sozialdemokraten bei der Besetzung von Führungspositionen die Bedeutung der
Gewerkschaften und Betriebsräte zu gering einschätzten und sich wahrscheinlich auch
zu sicher waren, daß die Arbeitnehmer sowieso hinter ihnen stünden.
Besonders im Saarland strebten, wie bereits Mallmann festgestellt hat, die ehemaligen
sozialdemokratischen Gewerkschaftler in die Sozialversicherung und in die Kommu-
nalverwaltung. Im Gegensatz zur SPD erkannten die saarländischen Sozialdemokraten
aber erst viel zu spät, erst Anfang der fünfziger Jahre, daß ihre Repräsentanz auf
Betriebs- und Gewerkschaftsebene viel zu gering war. Darüberhinaus unterließen sie
eine systematische Betriebsparteigruppenarbeit, wie sie von der deutschen Sozialdemo-
kratie durch Siggi Neumann, Herbert Wehner, Georg Leber und ihren Genossen auf
den Weg gebracht wurde.
Der Gewerkschaftspluralismus verhinderte zudem eine koordinierte Zusammenarbeit
von Sozial- und Christdemokraten in Gewerkschaften und Betriebsräten gegen die
Kommunisten, wie sie in anderen deutschen Ländern und auch später noch in der
Bundesrepublik beobachtet werden konnte. Diese Konstellation war allerdings auch
wesentlich schwieriger, da neben dem ideologischen Gegensatz die saarpolitischen
Aspekte zur Gretchenfrage wurden, und das bedeutete eine nationale Komponente,
vereinfacht also pro-deutsch oder autonomistisch.
Ein auffallendes Merkmal des I.V. Bergbau bestand darin, daß die führenden Gewerk-
schaftspersönlichkeiten der oppositionellen Richtung aus der Vitus-Heller-Bewegung
kamen. Dies erleichtert das Verständnis der gewerkschaftlichen Opposition wie z.B. ihr
Verhältnis zu den Kommunisten.
Wie aber der Prozeß hin zu einer pro-deutschen Ausrichtung und Politisierung der
Gewerkschaften ablief, wodurch er ausgelöst und vorangetrieben wurde und welchen
Stellenwert er für die politische Entwicklung des Saarlandes hatte, soll im folgenden
Kapitel genauer analysiert werden. Damit wird auch Luitwin Bies Rechnung getragen,
der anläßlich des großen Kolloquiums zur Geschichte der Saar zwischen 1945 und
1955 forderte, die Rolle der 60.000 Bergleute an der Saar stärker zu würdigen.273
Diskussionsbeitrag von Luitwin Bies, in: Hudemann und Poidevin (Hrsg.), Die Saar, S.318.
341
VI. DIE GENESE DER GEWERKSCHAFTLICHEN OPPOSITION
Die nationale Emotionalisierung der Gewerkschaften ist kein plötzlich, mit der Wahl
des pro-deutschen Gewerkschaftlers Paul Kutsch zum Chef des Industrieverbandes
Bergbau (I.V. Bergbau) und Präsidenten der Einheitsgewerkschaft 1952 einsetzender,
sondern ein dynamischer, sich in Schüben entwickelnder Prozeß, der im Kontext der
politischen Entwicklung des Saarlandes gesehen werden muß. Im Rahmen dieser
Entwicklung wuchsen die Gewerkschaften in eine Oppositionsrolle hinein. Sie wurden
zum Exponenten einer pro-deutschen Richtung, die auf die Rückgliederung des Saar-
landes zur Bundesrepublik hinarbeitete. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die
Illegalisierung der Oppositionsparteien.
Wie gezeigt wurde, gelang es den Kommunisten beim gewerkschaftlichen Wieder-
aufbau sich über die Kassierertätigkeit, die Betriebsparteigruppen und Betriebsräte eine
organisatorische Infrastruktur für eine politische Agitation zu schaffen. Dies bedeutete
angesichts der Ablehnung einer von Deutschland separierten Saar durch die KP vor
allem eine nationale Agitation. Zum anderen repräsentierten alte christliche Gewerk-
schaftler, die 1935 für den Anschluß an Hitler-Deutschland votiert hatten und un-
mittelbar nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur in den Jahren bis 1947 im
Hintergrund standen, ein zunächst eher latent nationales Potential, das sich in seiner
kritischen Einstellung gegenüber Hoffmann durch die politische Entwicklung bestätigt
sah und in Karl Hillenbrand, dem Generalsekretär der christlichen Gewerkschaften,
einen Exponenten fand.
Träger der nationalen Emotionalisierung wurden neben der KP pro-deutsch und
christlich eingestellte Gruppen aus dem sozialdemokratischen und christlichen Lager,
die sich in da- Einheitsgewerkschaft und hier im mitgliederstärksten Industrieverband,
dem I.V. Bergbau, um Aloys Schmitt und Paul Kutsch und in der christlichen Gewerk-
schaft um Karl Hillenbrand scharten. Sie forcierten eine nationale Agitation, an deren
Endstadium die gewerkschaftliche Oppositionsrolle des I.V. Bergbau stand. Unver-
ständlich erscheint in diesem Zusammenhang die Beurteilung Frank Dingels, wonach
die Politik des I.V. Bergbau der SPS verpflichtet gewesen sei.1
Die Genese der gewerkschaftlichen Opposition erklärt sich zum einen aus einer unter-
bliebenen gesellschaftlichen Integration der Gewerkschaften und zum anderen aus
einem Zusammenwirken soziostruktureller Divergenzen, die von innen und außen zur
Lösung der Saarfrage im Sinne einer Rückgliederung an die Bundesrepublik instru-
mentalisiert wurden. Die Kontroverse über die Verpachtung der Gruben sowie die
Frank Dingel, Die Kommunistische Partei Saar, in: Richard Stöss (Hrsg.), Parteienhandbuch. Die
Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Bd.2, Opladen 1984, S.1866.
342
Auseinandersetzung zwischen saarländischen Gewerkschaften und französischer Régie
hinsichtlich der Gedingekontrolle, der Personalpolitik und der Lohnangleichung an
Lothringen waren wie die Tarifvertragsfrage zunächst einmal Auseinandersetzungen
zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Die Ursachen dieser Konflikte lagen
aber tiefer. Letztlich waren es unterschiedliche Mentalitäten und Traditionen bzw. eine
unterschiedliche Sozialstruktur. Hier seien beispielsweise Unterschiede in der Aus-
übung unternehmerischer Herrschaft in Deutschland und Frankreich genannt oder
Gegensätze im Tarifvertragssystem beider Länder. Soziale Konflikte, eigentlich be-
dingt durch soziostrukturelle Divergenzen, wurden dazu massiv national überformt, da
saarländische Gewerkschaftler französischen Verhandlungspartnern gegenüber standen.
1. Verpachtungskontroverse als erster großer Politisierungsschub
Die Verpachtung der Saargruben wirkte als erster großer nationaler Emotion alisie-
rungsschub in den Gewerkschaften. Noch bevor der Öffentlichkeit offiziell die Ver-
pachtung der Saar gruben an Frankreich bekannt wurde, und dies erstmals am 25. Mai
1949 in der Presse angedeutet wurde2 3, stellte Karl Hillenbrand am 1. Mai 1949 im
Saarbrücker Johannishof auf einer Versammlung der christlichen Gewerkschaften die
Frage des Besitzes der Gruben in den Mittelpunkt seiner Rede/ Die mögliche Ver-
pachtung stilisierte er zur Glaubensfrage. Der Besitz der Saargruben sei ein "heiliges
Recht" - eine propagandistisch auf die Sozialstruktur des Saarlandes abgestimmte,
geschickte Sakralisierung der politischen Terminologie, die den Anspruch des Saar-
landes auf die Gruben als rechtmäßig herausstellen wollte.
Aloys Schmitt war es mit seiner Parole "Die Saargruben dem Saarvolk" bereits auf der
ersten Generalversammlung des I.V. Bergbau am 22. und 23. April 1948 gelungen, die
Grubenfrage auf eine einprägsame Formel zu verkürzen.4 Die Verpachtungsfrage löste
so einen ersten Nationalisierungs- und Politisierungsschub aus.5 Während in weiten
Teilen der Arbeiterschaft nach 1945 eher politische Agonie und die Bewältigung der
Alltagsprobleme dominierten, führte das Thema Verpachtung der Saargruben zu reich
besuchten Versammlungen des I.V. Bergbau. Schmitt stilisierte die Verpachtungsfrage
zum Poliükum hoch, indem er, damals Erster Vorsitzender des I.V. Bergbau, die
Verpachtung als unvereinbar mit einem autonomen Saarstaat bezeichnete.6 Damit war
das Tor zur Opposition der Gewerkschaften aufgestoßen.
2 Robert H. S c h m i d t, Saarpolitik 1945-1957, Bd. 2, Berlin 1960, S.256.
3 Ministère des Affaires Etrangères (MAE) Paris, EU-Europe, Sous S.Sarre, Doss.47, B1.257, Revue de
Presse.
4 Ebd., Doss.52, Bl.202-204; Doss.59, Bl.91, 102, Revue de Presse.
5 Z.B. die Revierkonferenz in Sulzbach am 13.11.49 in Sulzbach. Auch: Schmidt, Saarpolitik, Bd.2,
5.256.
6 Referat von Aloys Schmitt auf der Revierkonferenz des I.V. Bergbau am 13.11.49. Siehe dazu : Ebd.,
5.257.
343
Die Saarparteien versuchten im Gegenzug, die weitere Radikalisierung des politischen
Klimas zu verhindern; das Thema Gruben sollte aus dem nationalen Fahrwasser geholt
werden. Johannes Hoffmann betonte, daß das Schicksal des saarländischen Berg-
mannes nicht von der juristischen Form des Unternehmens abhänge. Entscheidend sei
für den Bergmann, daß das französische Bergbaustatut das sozialste der Welt sei.'
Sowohl die Kommunisten als auch die Kreise um Aloys Schmitt und die Hillenbrand-
Gruppe ergänzten ihre nationale Propaganda um soziale Aspekte, indem sie im Falle
einer Verpachtung der Saargruben eine Rationalisierungswelle auf die Bergleute
zurollen sahen. Durch die Parole, die Verpachtung der Saargruben bedeute auch eine
"Verpachtung der saarländischen Kumpel", wurde die Stimmung weiter emotionali-
siert.7 8 Die Kommunisten agitierten vor allem in den Betriebsräten gegen die Verpach-
tung, so auch auf der großen Betriebsrätekonferenz in St. Ingbert am 3. Juli 1949.9
Die oppositionellen Gewerkschaftler instrumentalisierten insbesondere die Gruben-
frage, um der Öffentlichkeit die Fremdbestimmung durch Frankreich vorzuführen und
damit das Denken in nationalen Gegensätzen voranzutreiben. Sie verknüpften dieses
Thema psychologisch geschickt mit der Kritik an der Personalpolitik im Saarbergbau.
Die Verpachtung der Saargruben an Frankreich wurde in den Saarkonventionen am 3.
März 1950 für 50 Jahre unter Vorbehalt einer friedensvertraglichen Regelung festge-
legt. Sie bot den pro-deutschen Kreisen nicht nur einen Anlaß zum Protest, sondern mit
dieser Frage wurde erstmals versucht, die oppositionellen Kräfte zusammenzuführen.
Initiator dieser Politik war nach Einschätzung des Hohen Kommissariates Aloys
Schmitt.10 Er hatte zu einer Aktionseinheit von Einheitsgewerkschaft und christlicher
Gewerkschaft gegen die Verpachtung aufgerufen und wurde dabei von den kommu-
nistischen Gruppen in der Einheitsgewerkschaft unterstützt. Mit dem Angebot einer
gewerkschaftlichen Aktionseinheit verfolgte Schmitt eine kluge Strategie, bei der die
pro-deutschen Kräfte nichts verlieren konnten. Wenn die christlichen Gewerkschaften
das Angebot ablehnten, würde die Oppositionsrolle des I.V. Bergbau aufgewertet
werden. Das Hauptanliegen Schmitts bestand wahrscheinlich darin, über eine Gewerk-
schaftseinheit Druck auf die Regierung Hoffmann auszuüben.11 Hier bahnte sich bereits
die Entwicklung an, daß die Gewerkschaften in Opposition zur Regierung traten und
versuchten, die Rolle von nicht zugelassenen pro-deutschen Oppositionsparteien zu
übernehmen. Der Vorstand des I.V. Bergbau hatte am 24. September 1949 einstimmig
der Aktionseinheit mit der Gewerkschaft Christlicher Saarbergleute (GCS) zugestimmt.
7 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.226, Bl.142 f., J. Hoffmann an G. Grandval vom 12.10.49
und Sammlung von Pressartikeln zur Aktionseinheit.
8 Ebd.
MAE Nantes, HC Sarre (HCS), Cab.Polit., Doss.l 17, Bl. 146, Bulletin hebdo. de Presse vom 11.7.49.
Ebd., Bl.207, MAE-Dir. Europe, Vermerk Rieths vom 19.11.49.
Interview mit Paul und Walburga Schmidt am 24.5.1994.
344
Mit diesem Ergebnis fuhr der I.V. Bergbau nach außen einen geschlossenen Opposi-
tionskurs, andererseits setzte er die christliche Gewerkschaft unter Druck, sich dem
Protest anzuschließen. Das Hohe Kommissariat nahm die Entwicklung mit Entsetzen
zur Kenntnis. Zum einen sah die französische Seite ihre Furcht vor der kommunisti-
schen Agitation bestätigt, zum anderen erkannte sie aber den Dissenz im Lager der
christlichen Gewerkschaften.12 Innerhalb der christlichen Gewerkschaften gab es
Kreise um Karl Hillenbrand und Franz Ruffing, die gegen eine Verpachtung waren,
dies erklärt auch die zurückhaltende und vorsichtige Reaktion Hans Ruffings, des
Vorsitzenden des Gesamtverbandes Christlicher Gewerkschaften und der GCS, auf das
Angebot des I.V. Bergbau13. Erst vier Wochen später entschied sich die GCS gegen die
Aktionseinheit mit der Begründung, die Gewerkschaft wolle sich um die Verbesserung
der jetzigen Situation der Bergleute kümmern. Damit versuchte Hans Ruffing weiter
die soziale Perspektive gegen die nationale zu setzen.
Eine gewerkschaftliche Aktionseinheit gegen die Saarkonventionen wäre ein Schritt zu
einer geschlossenen gewerkschaftlichen Opposition gegen die Hoffmann-Regierung
gewesen und damit eine erhebliche Niederlage für die autonomistischen Kräfte in den
Gewerkschaften und Parteien. Das Scheitern der Aktionseinheit bedeutete aber den-
noch eine Belastung des innenpolitischen Klimas, weil eine zunehmende Polarität
zwischen I.V. Bergbau und GCS deutlich wurde. Eine weitere Politisierung der Ge-
werkschaften war vorhersehbar, denn jetzt konnte der I.V. Bergbau die christliche
Gewerkschaft als frankophile "Ja-Sager-Gewerkschaft" stigmatisieren.14
Die mitgliederstärkste Gewerkschaft im Saarland, der I.V, Bergbau, wuchs durch die
Kontroverse um die Verpachtung der Saargruben bereits in eine Oppositionsrolle. Der
damalige Erste Vorsitzende Aloys Schmitt trug dazu wesentlich bei, indem er nicht nur
im Vorfeld die Verpachtung propagandistisch dazu nutzte, gegen die Saarautonomie zu
agitieren, sondern die Pariser Verhandlungen über die französisch-saarländischen
Konventionen frühzeitig verließ. So schlüpfte er demonstrativ in eine Oppositionsrolle
hinein und ließ sich dafür auf der zweiten Revierkonferenz in Sulzbach im März 1950
das Vertrauen der Delegierten aussprechen.15 Damit wurde seine Politik in dieser Frage
durch die Basis ausdrücklich legitimiert und aufgewertet. Das Thema Verpachtung
gewann mit der Warndt-Frage, dem Abbau der saarländischen Kohle von französischer
Seite, von Lothringen aus, unter der Grenze hindurch, erneut an Bedeutung. Die
Kohle Vorkommen im Warndt waren im öffentlichen Bewußtsein der Saarländer eine
MAE Nantes, HCS, Cab.Polit,, Doss.117, Bl,208, Grandval an Hoffmann vom 10.10.49.
13
Ebd, B1.207 f., Vermerk vom 19.11.49."Il apparaît, d'autre part, que le syndicat chrétien des mineurs est
sinon divisé, du moins hésitant".
14 MAE Nantes, Cab.Polit., Doss.l 17, Bl.218-223, Vermerk von A. Rieth vom 12.10.49, G. Grandval an R.
Schuman vom 12.10.49.
15 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.2, S.258,
345
Garantie für eine sichere Zukunft, da es sich um qualitativ hochwertige Kohle handelte,
die kostengünstig abgebaut werden konnte.16
2. Nationale Überformung soziostruktureller Divergenzen
Ein weiterer Katalysator für die nationale Emotionalisierung der Gewerkschaften war
die Personalpolitik der Régie.
2.1 Die Neugestaltung der Technischen Direktion
Seit 1920 gab es in der Hierarchie der Saargruben den unter dem Generaldirektor
angesiedelten Technischen Direktor und drei Gruppendirektoren. Die Befugnisse der
einzelnen Werksdirektoren vor Ort auf den einzelnen Zechen wurden zugunsten der
Gruppendirektoren, die für verschiedene Zechen verantwortlich waren, etwas einge-
schränkt. Nach 1946 wurde unter dem Technischen Direktor noch ein Grubendirektor
mit zusätzlichen technischen Abteilungen eingeschaltet. In der Praxis bedeutete dies
eine starke Zentralisierung. Der Technische Direktor bildete im Grubenalltag die
zentrale Schaltstelle. Der Gruppendirektor war z.B. verpflichtet, beim Anhauen eines
Querschlages Bericht zu erstatten. Die Grubendirektion war für die Überwachung aller
Maschinen zuständig, in der Praxis erwies sich dies als undurchführbar. Folge war z.
B., daß die Schrämmaschinen bis zum völligen Verschleiß liefen, weil die Kugellager
nicht überholt wurden.17
Auf Seiten der Saarkumpel sorgte diese Unternehmensstruktur für wachsende Un-
zufriedenheit, sie wurde als Gängelung empfunden, selbst die Steiger sah Hans Ruffing
zu '’Befehlsempfängern" degradiert. Er schlug eine Dezentralisierung der Organisa-
tionsstruktur vor: Der Schwerpunkt der Entscheidungskompetenz sollte an die Stelle
verlagert werden, wo die Kohle gefördert wurde. Der Betriebsdirektor sollte mit der
Leitung der Grube beauftragt werden, und der Werksdirektor sollte sich vorwiegend
um die Arbeit unter Tage kümmern.18
Die Régie betrachtete das Problem unter rein wirtschaftlichen Aspekten. Sie sah die
schlechtere Pro-Kopf-Leistung der Saargruben im Vergleich zu Lothringen und ver-
sprach sich von Änderungen im Aufbau der Technischen Direktion eine deutliche
Verbesserung der Förderergebnisse, über ein Mehr an Dezentralisierung sollte die
Förderung erhöht werden.19 Für die Gewerkschaftler, die für eine Abtrennung des
Saarlandes von der Bundesrepublik eintraten wie der Einheitsgewerkschaftler Johann
Dreher (I.V. Bergbau) und der christliche Gewerkschaftler Hans Ruffing, war die von
16 Ebd., S.261.
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.249, Bl.90, Protokoll zur 6. und 7. Grubenratssitzung,
Ausführungen von M. Fauchet als Anlage II zum Protokoll.
18 Ebd., Bl.87, Protokoll zur Grubenratssitzung.
19 Ebd., Bl.53 f., Abänderung an der Organisation der Technischen Direktion vom 29.8.52.
346
der Régie schließlich vorgenommene Organisationsreform eine herbe Enttäuschung.
Während Johann Dreher und Hans Ruffing im Sinne einer konstruktiven Gewerk-
schaftspolitik über den Dialog mit der Régie eine Aufwertung des Saarbergmannes
erreichen und das Klima in den Gruben verbessern wollten, führte die Reform eher zu
einer Verschärfung des Arbeitsklimas, das ohnehin nicht gerade gut war. Im Saar-
grubenrat beklagte Dreher Demokratiedefizite. Er stand unter dem Druck der Basis.
Auf den Gruben König und Kohlwald agitierten die kommunistisch dominierten
Betriebsräte gegen die Technische Direktion. Im Grubenrat verwies Dreher darauf, daß
er sich die Dezentralisation nicht so vorgestellt habe, daß die Gruppen- und Werks-
direktoren machen könnten, was sie wollten.20
2.2 Gedingekontrolle und Personalpolitik
Belastend für das Arbeitsklima auf den Zechen war auch die Gedingekontrolle. Wenn
junge französische Ingenieure mit Stoppuhren saarländische Bergmänner bei der
Arbeit beobachteten, konnte sich dies nicht beruhigend auf das Arbeitsklima unter
Tage auswirken, war doch die Fördermenge von geologischen Faktoren abhängig. Die
konstruktiven Gewerkschaftskreise akzeptierten zwar eine Gedingekontrolle, wünsch-
ten aber, daß Régie und Gewerkschaften gemeinsam die Kontrolleure aussuchen
sollten. Ziel für Gewerkschaftler wie Hans Ruffing und Johann Dreher war es, zu
einem gegenseitigen Vertrauen, zu einer "confiance mutuelle"21 zu kommen, und das
bedeutete Gleichberechtigung zwischen Saarländern und Franzosen bzw. zwischen
saarländischen Gewerkschaften und französischer Grubenverwaltung. Robert Baboin,
der Generaldirektor der Régie, lehnte hingegen diese Forderung ab. Er teilte den
Gewerkschaftsvertretern mit, daß er sich weigere mit ihnen darüber zu diskutieren.
Seine Antwort ist ein Paradebeispiel für einen "Herr im Hause - Standpunkt"- und
repräsentiert expressis verbis die divergierenden Vorstellungen in der Ausübung
unternehmerischer Herrschaft22 nicht nur zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft-
lern, sondern zwischen Deutschland und Frankreich:"Il est un principe, qui doit être
respecté: le Directeur du siège, sous l'autorité du Directeur de la mine, est responsable
de son siège et des salaires, cette autorité est à respecter à tout prix (...)".23
Die Auseinandersetzungen über die Gedingekontrolle zeigen, daß sich die konstrukti-
ven Ansätze der Gewerkschaften "tot liefen", sie scheiterten an einer unnachgiebigen
Régie, die es nicht verstand, den saarländischen Gewerkschaftspluralismus zur Stär-
kung der kooperationsbereiten Kräfte zu nutzen. Dagegen gelang es aber den opposi-
tionellen Kommunisten, ihre Oppositionsrolle in den Gewerkschaften immer wirk-
samer auszufüllen. Hilfreich waren dabei die zahlreichen kommunistischen Betriebs-
20
Ebd,, Bl.106, Protokoll zur 6. und 7.Grubenratssitzung.
21 Ebd., Doss.234, Bl.19, Protokoll zur 3.Grubenratssitzung.
22 Siehe Kap. VII.
23
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.234, Bl.19, Protokoll zur 3.Grubenratssitzung.
347
kassierer in den Gewerkschaften und auch Betriebsparteigruppen an der Basis, deren
parteipolitisches Engagement vielen Kumpels gar nicht bekannt war. Es waren die
kommunistischen Gewerkschaftler, die in den Zechen die praktizierte Gedingekontrolle
als Mißstand aufgriffen und den Unmut an der Basis darüber schürten und auch allein
schon durch ihr lautes Auftreten Opposition demonstrierten.24
Die Kommunisten waren sowohl im Betriebsrat der einzelnen Gruben als auch im
Gesamtbetriebsrat der Saargruben relaüv stark vertreten. Hier machten sie sich zu
Anwälten der Belegschaft gegen die praküzierte Gedingekontrolle. So erinnert sich der
Jugendsekretär des I.V. Bergbau, daß die Gedingekontrolle als "Vehikel" zu Agitation
und Arbeitsniederlegungen mißbraucht worden sei.25 Die Oppositionskraft der Kom-
munisten war insbesondere im Bereich der Gruppe Ost ziemlich stark, vor allem das
Bergwerk Reden mit der Abteilung 18, auch 'rote Abteilung' genannt, sorgte häufig für
Unruhe. Hier organisierten kommunistische Gewerkschaftler spontane bzw. wilde
Streiks, wobei eine Kettenwirkung zu beobachten war:"Wenn Abteilung 18 sich
weigerte anzufahren, folgten andere Abteilungen ihrem Beispiel".26 Ihr Erfolg erklärt
sich aus dem Vorsprung der Kommunisten in der Aufbauphase der Gewerkschaften
nach Kriegsende. Sie führte teilweise zu einer Eskalation zwischen saarländischer
Belegschaft und französischer Betriebsdirektion und verhärtete unternehmerische
Positionen und Mentalitäten wie den "Herr im Hause- Standpunkt", der für zahlreiche
französische Funktionsträger der Régie typisch war.
Die Praxis der Gedingekontrolle erwies sich als massive atmosphärische Belastung
zwischen saarländischen Bergleuten und der französischen Régie. Sie wurde aber
durch die Rahmenbedingungen nicht sozialpolitisch wahrgenommen, sondern aus einer
nationalen Perspektive rezipiert, da der Arbeitgeber die französische Régie war.
Gefühle der Fremdbestimmung prägten ohnehin in vielfältiger Weise die Alltags-
erfahrung. In der Schule lernten die Kinder schon ab der zweiten Klasse Französisch,
die Landesfarben wehten in Anlehnung an Frankreich in Blau-Weiß-Rot und auch der
französische Nationalfeiertag war ein saarländischer Feiertag geworden.27
Auch die christlichen Gewerkschaften nahmen die Fremdbestimmung im Arbeitsalltag
der Bergleute mit Verbitterung zur Kenntnis. So wurden im Sommer 1953 an einem
Tag auf der Grube Reden 57 Verwarnungsschreiben ausgestellt.28 Bereits im August
24 Interview mit Lina und Walter Bier am 19.5.1994.
25
Interview mit Paul und Walburga Schmidt am 24.5.1994.
26 Interview mit Lina und Walter Bier am 19.5.1994.
27
Vgl. ausführlich dazu: Armin H e i n e n, Saarjahre. Politik und Wirtschaft im Saarland 1945-1955, Bd.l,
Habilitationsschrift Universität Saarbrücken, S.246-253.
348
1952 sprach das Organ des I.V, Bergbau von einem "Antreibersystem", und mit
Hinweis auf die Verhältnisse in der DDR wurde ein Wettbewerb unter den Kohlehau-
ern als "Hennecke-Methoden bei der Régie des Mines de la Sarre" tituliert.29
Die Folge der Gedingekontrolle war, daß oppositionelle Gewerkschaftskreise sich in
ihrer Oppositionshaltung bestätigt sahen und ihre Gegner in Reihen der Einheits-
gewerkschaft und der christlichen Gewerkschaft um Hans Ruffing unter Zugzwang
standen. Je stärker die Repression der Gedingekontrolleure und der Betriebsdirektion,
um so schwieriger wurde eine konstruktive, das heißt vor allem sachliche Gewerk-
schaftsarbeit. Die "Gewerkschaftliche Rundschau", das Organ der christlichen Ge-
werkschaften, beklagte: "Die Zahl der Bestrafungen wächst im Quadrat und die festge-
setzten Geldbußen stehen im umgekehrten Verhältnis zur Lohnentwicklung, d.h. die
Gedingelöhne werden herab- und die Strafgelder heraufgesetzt".30 Aus allen Gruben
hagelte es Beschwerden der Bergleute über Schikanen der Regie. Sie wies den Vorwurf
zurück, daß die Vorkommnisse auf Druck von oben zurückzuführen seien, bedauerte
aber die Vorfälle nicht.31
Grandval beklagte intern die Verständnislosigkeit der Régie gegenüber den Bergleuten
und der saarländischen Regierung, er führte dies auf ein fehlendes psychologisches
Gespür der Verantwortlichen zurück.32
Ein erhebliches Problem für die autonomistisch ausgerichteten Gewerkschaftskreise
stellte die Personalpolitik der Régie dar. Auch hier standen Hans Ruffing, Johann
Dreher und Heinrich Wacker unter dem Druck der Basis. Grandval hatte ihnen im
November 1949 zugesichert, daß über eine Zusatzkonvention leitende Positionen wie
z.B. Ingenieurstellen bei gleicher Eignung mit Saarländern besetzt werden würden.
Von den regierungsfreundlichen Gewerkschaftlern wurde dies als Maßnahme gesehen,
die das Vertrauen zwischen Saarländern und Franzosen nur stärken könne, was unbe-
dingt zum Segen der Betriebe sei.33 Die Régie kümmerte sich aber in der Praxis wenig
darum, letztlich auch von der Pariser Administration gedeckt.
Der Wunsch zahlreicher Gewerkschaftler nach einer "confiance mutuelle" schlägt sich
auch in ihren Klagen über Informationsdefizite nieder. Sie durchziehen die Protokolle
der Grubenratssitzungen.34
29 Saar-Bergbau vom 21.7. und 18.8.52.
30
Gewerkschaftliche Rundschau vom 9.8.53.
31 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.255, Bl.241, Règie an Gesamtverband der Christi.
Gewerkschaften vom 26.8.53.
32 MAE Nantes, HCS, Cab.Pol., Doss.117, Bl.386, Grandval an MAE vom 27.6.50.
33 Ebd., Bl.322, Protokoll über die Besprechung mit dem Hohen Komm, am 27.2.50 im Hotel Palais
d’Orsay betr. Abkommen über Eigentum und Betrieb der Saargruben.
34 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.l, S.443.
349
Von den 19 Mitgliedern im Saargrubenrat waren lediglich 8 Gewerkschaftler.35 Er tagte
jährlich mindestens sechsmal. Seine Aufgabe war rein beratend und bezog sich auf: 1)
Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben 2) Neubauprogramm 3) Programm für die
Einrichtung neuer Industriezweige 4) Vorlage des Jahresberichts 5) Bilanz, Gewinn-
und Verlustrechnung 6) Personalstatut 7) Pläne über finanzielle Beteiligungen 8)
Anleihen mit mehr als fünfjähriger Laufzeit.36
Die Arbeit im Saargrubenrat war gerade für die kooperationsbereiten gewerkschaftli-
chen Kräfte wie Josef Ditzler, Johann Dreher und Hans Ruffing ausgesprochen unbe-
friedigend. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit wurde durch eine restriktive Infor-
mationspolitik der Regie erschwert. Sowohl pro-deutsche Gewerkschaftler wie Aloys
Schmitt, aber auch Autonomieanhänger wie Johann Dreher beklagten diese Informa-
tionsdefizite. In einer Sitzung des Saargrubenrates im November 1952 kritisierte
Schmitt, daß der vorliegende Monatsbericht nur ein Neuntel der Informationen umfas-
se, die ein ausführlicher Bericht, der in den Händen der Generaldirektion sei, beinhalte.
Die Reaktion auf diese Kriük zeigt, daß auch für diesen Konflikt Mentalitätsdivergen-
zen in der Frage der Ausübung unternehmerischer Herrschaft eine entscheidende Rolle
spielten. Sie wurden aber durch die Rahmenbedingungen national überlagert und
bestätigten vorhandenes Mißtrauen.37 Daneben verstärkten sie ohnhehin vorhandene
Tendenzen, sich aus der Verbundenheit zu Deutschland gegen die Wirtschaftsunion
und eine autonome Saar zu stellen.
Robert Baboin wies die Kritik lapidar mit dem Hinweis zurück, daß er sein Amt als
Mitglied im Saargrubenrat niederlegen würde, wenn er solche Informations wünsche
befriedigen müsse. Pierre Couture drückte sich ein wenig diplomatischer aus. Die von
Schmitt angesprochenen Unterlagen seien für "interne Arbeiten notwendig", belehrend
fügte er hinzu:"(...) daß die Aufgabe der Mitglieder des Saargrubenrates nicht darin
bestehen könne, Einzelheiten herauszugreifen, deretwegen dem Generaldirektor
Schwierigkeiten bereitet werden können, was jegliche vertrauensvolle Mitarbeit un-
möglich machen würde".38 In einer anderen Sitzung meldete Josef Ditzler erfolglos
Informationsbedarf über die Handelslage der Saargruben für die Gewerkschaften an.
Ebenso kritisierte die christliche Gewerkschaft, daß die Régie nicht bereit sei, den
Gewerkschaften die Lohnnachweise zentral zuzuleiten.39
35 MAE Paris, Z-Europe, Sous S. Sarre, Doss.47, Bl. 131 f., Verfügung von Industrieminister Lacoste vom
14.9.48.
36 Francis Roy, Der saarländische Bergmann, Saarbrücken 1954, S.136-138.
37 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.250, B1.31, Protokoll zur 8.Sitzung des Saargrubenrates
vom 13.11.52. und ebd., Doss.251, Bl.33-36, 9.Sitzung vom 8.12.53
38 Ebd., Doss.250, B1.32, Protokoll zur 8.Grubenratssitzung.
39 Ebd., Doss.251, B1.33, Protokoll zur 9.Grubenratssitzung.
350
Erst mit den im Mai 1953 beschlossenen neuen Konventionen und der Bildung der
Saarbergwerke wuchsen die Mitgestaltungsrechte der Gewerkschaften. Der neue
Grubenrat konnte mitberaten über: 1) allgemeines Wohnungs- und Sozialprogramm 2)
allgemeine Ausbildungspolitik 3) Tarifverträge hinsichtlich Änderung des Personal-
statuts 4) Arbeitsordnung 5) Einstellung, Beförderung, Abberufung der leitenden
Angestellten, deren Dienststellung in einem vom Grubenrat aufgestellten Verzeichnis
definiert wird 6) allgemeine Richtlinien für den Einkauf und die Vergabe von Auf-
trägen 7) allgemeine Lieferverträge und Verkaufsprogramme für den Export. Obwohl
die Aufgaben wesentlich erweitert worden waren, war die Chance für die Gewerk-
schaften, Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen, denkbar gering, da die Zahl der
Arbeitnehmervertreter verringert worden war und deutlich weniger als ein Drittel,
nämlich 6 von 20, betrug.
Gedingekontrolle, mangelnde Gestaltungsmöglichkeiten im Saargrubenrat und ins-
besondere Informationsdefizite sowie die Personalpolitik der Régie verdeutlichen
beispielhaft deren geringe Sensibilität gegenüber den eher autonomistisch orientierten
Gewerkschaftskreisen. Sie legen den Befund nahe, daß die Führungskräfte der Régie
die politische Bedeutung ihres Handelns überhaupt nicht begriffen und vor diesem
Hintergrund in französische Führungskräfte höheres Vertrauen setzten. In einem
Memorandum an das französische Außenministerium wiesen die christlichen Gewerk-
schaften auf diese Defizite hin und versuchten konstruktive Lösungsvorschläge zu
unterbreiten.40
Die Forderung nach der Repräsentation der Saarländer in der Direktion der Régie
wurde mit der Begründung zurückgewiesen, daß die französische und die saarländische
Regierung im Saargrubenrat vertreten seien, und es sich um einen keineswegs aus-
schließlich Franzosen vorbehaltenen Bereich handele. Der Forderung, daß führende
Posiüonen wie z.B. Ingenieurstellen mit Saarländern besetzt werden sollten, hielt man
entgegen, man könne Saarländer nicht bei gleicher Eignung bevorzugen.41 Hier wird
das Unvermögen der Pariser Zentrale deutlich, sich in die Situation vor Ort hinein-
zuversetzen, obwohl Grandval unmißverständlich die politische Problematik der
Personalpolitik der Régie deutlich gemacht hatte und davor warnte, sie nähre die
Vorstellung eines "système colonial" an der Saar.42
Die Haltung des Außenministeriums in diesen Fragen schadete auch dem Ansehen
Grandvals, denn er hatte den Saarländern hinsichtlich der Personalpolitik der Régie
zugestanden, daß bei gleicher Befähigung Saarländern der Vorzug gegeben werden
sollte.43
MAE Nantes, HCS, Cab.Polit,, Doss.117, Bl.337-341, Memorandum der GCS vom 11.3.50 an MAE.
41 Ebd., Vermerk Direct. d'Europe, S/D de la Sarre vom 22.3.50.
42
Ebd., HCS, Mission Juridique, Questions économiques (M.J./Q.E.), Mines E 4, Grandval an MAE vom
9.10.51.
43 Ebd., HCS, Cab. Polit., Doss.117, B 1.322 f., Protokoll über die Besprechung mit dem Hohen Kommissar
am 27.2.50 im Hotel Palais d'Orsay betr. Abkommen über Eigentum und Betrieb der Saargruben.
351
Alphonse Rieth, der für Gewerkschaftsfragen und Sozialversicherung zuständige
Conseiller im Hohen Kommissariat, fürchtete wie Grandval die Belastung der Atmo-
sphäre zwischen Arbeitnehmern und Régie. Mit Verständnis beobachtete er, daß auf
Gewerkschaftsversammlungen die luxuriösen Wohnverhältnisse der leitenden französi-
schen Ingenieure zur Sprache kamen, die Franzosen als Herren und die Saarländer als
ihre "Neger" dargestellt wurden.44 Zugleich wird hier wieder deutlich, daß die Opposi-
tionskräfte auf alte Parolen zurückgriffen, denn schon zur Völkerbundszeit hatten die
Gewerkschaften den "luxuriösen Lebensstil der französischen Ingenieure" angepran-
gert 45 und so den Gegensatz zwischen saarländischen Bergleuten und französischer
Gruben Verwaltung forciert. Es liegt auf der Hand, daß der Lebensstandard von Inge-
nieuren über dem von Bergmännern anzusetzen ist. Soziale Ungleichheit wurde aber
auf diese Weise von weiten Teilen der Gewerkschaften sowohl in der Völkerbundszeit
als auch in der Ära Hoffmann nicht aus der Perspektive des Klassenkampfes, sondern
vom nationalen Standpunkt aus thematisiert.
Vor allem die Personalpolitik muß in Zusammenhang mit der Verpachtung der Saar-
gruben gesehen werden. In der saarländischen Öffentlichkeit wurde mit den Gruben
die Existenz des Landes verknüpft. Gerade dadurch, daß nach ihrer Verpachtung, nach
wie vor an leitenden Stellen ausschließlich französisches Personal stand und sich keine
Aufstiegsmöglichkeiten für saarländische Steiger und Obersteiger eröffneten, wurden
die Gefühle des Verlustes der Gruben und der Fremdbestimmung gestärkt. Eine
Berücksichtigung der Forderungen der autonomistischen Gewerkschaftskreise nach
Mitbestimmung und Zugang zu Führungspositionen46 hätte dem möglicherweise
entgegenwirken können. Das Unterlassen entsprechender Maßnahmen führte dazu, daß
von Anfang an letztlich sozial- und mentalitätsgeschichtliche Divergenzen in der
Ausübung unternehmerischer Herrschaft, von den oppositionellen Kräften in den
Gewerkschaften zu einer naüonalen Polarisierung benutzt wurden - auf der einen Seite
die allmächtig erscheinende französische Régie und auf der anderen Seite die ihrer
Macht und Willkür ausgesetzten saarländischen Bergleute.Verstärkt wurde dieser
nationale Gegensatz durch schwerfällige bürokratische Strukturen, denn der Generaldi-
rektor der Régie war wiederum dem französischen Bergbauminister verantwortlich,
und nicht nur das Außenministerium in Paris, auch das Arbeits- und Finanzressort
redeten mit.47 Dieses Problem läßt sich an der Lohnkontroverse veranschaulichen.
44 Ebd., HCS, Cab. Polit., Doss.137, Bl.162 f., Vermerk Rieths vom 12.7.50.
45
Ludwig Linsmayer, Politische Kultur im Saargebiet 1920-1932. Symbolische Politik, verhinderte
Demokratisierung, nationalisiertes Kulturleben in einer abgetrennten Region, St. Ingbert 1992, S.218.
46 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.226, B1.207 f., Vermerk vom 19.11.49. Vgl. auch SVZ vom
25.10.49.
47 MAE Nantes, Cab.Polit,, Doss.l 17, Bl.322 f., Protokoll über die Besprechung mit dem Hohen Komm,
am 27.2.50 im Hotel Palais d'Orsay betreffend Abkommen über Eigentum und Betrieb der Saargruben.
352
2.3 Angleichung an die lothringischen Löhne
Nach Inkrafttreten der Wirtschaftsunion machten die Gewerkschaften vor dem Hinter-
grund höherer Löhne im lothringischen Bergbau die Lohnangleichung zu ihrem
Thema. Diese Frage stellte die Glaubwürdigkeit der Wirtschaftsunion auf den Prüf-
stand, deshalb war es keine rein tarifpolitische, sondern eine saarpolitische Frage. Sie
wurde noch zusätzlich durch die wirtschaftliche Gesamtsituation verschärft, da 1950
die Lebenshaltungskosten insbesondere in der zweiten Jahreshälfte steil nach oben
gingen.48
Von Seiten des Hohen Kommissariates wurde die politische Sprengkraft dieses Themas
sehr schnell erkannt. In den angrenzenden lothringischen Zechen arbeiteten 5.000
saarländische Kumpel als Grenzgänger. Sie erhielten im Durchschnitt 17 Prozent mehr
Lohn als die Saarkumpel.49 Nach Ansicht des Hohen Kommissariates drohte Gefahr:
Die in Frankreich arbeitenden Saarkumpel könnten ihre Lohnzettel mit denen ihrer
Kollegen im Saarbergbau vergleichen oder umgekehrt, und im öffentlichen Bewußtsein
sei es für die saarländische Bevölkerung dann nicht einzusehen, daß ein Bergmann in
Velsen für dieselbe Arbeit weniger Geld bekäme als ein Kumpel im drei Kilometer
entfernten französischen Petite-Roselle.50 Solche Lohnunterschiede wirkten als Bestäti-
gung der Propaganda, das Saarland sei zur französischen Kolonie geworden. Das Hohe
Kommissariat versuchte der Pariser Zentrale, insbesondere dem Bergbau- und Indu-
strieministerium, die poliüsche Brisanz dieser Verhältnisse deutlich zu machen.
Differenzen auf der französischen Entscheidungsebene
Innerhalb des Hohen Kommissariates wie innerhalb der Pariser Administration gab es
jedoch in der Frage der Lohnangleichung deutliche Unterschiede. Der für Gewerk-
schafts- und sozialpolitische Fragen zuständige Conseiller Alphonse Rieth ermahnte
Pierre Couture von der Régie, die Löhne anzugleichen. Seine Schreiben zeigen ein
außerordentliches Einfühlungsvermögen in die saarländische Befindlichkeit und eine
politische Interpretation der Lohnangleichungsfrage.51 Unmißverständlich verwies er
auf die Gefahr, daß die bestehenden Lohnunterschiede zu sozialen Spannungen und
tiefgreifenden politischen Auswirkungen führen könnten.
48
Index der Lebenshaltungskosten: Statistisches Handbuch für das Saarland 1952, S.147.
49
MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss,120, Comité des Mines, Vergleich der Löhne vom 26.10.50.
50 Ebd., Doss.120, B1.40, 85, Vermerk Grandvals vom 27.10. 50, Bl.52-54, ders. vom 4.11.50.
51 Ebd., B1.44, A. Rieth an P. Couture:"Les contacts permanents que j’ai avec les représentants des
syndicats sarrois m'ont bien permis déjuger que la disparité des salaires, qui existe entre les deux bassins
a créé un malaise parmi les mineurs sarrois et il serait, à mon avis, très urgent qu'une décision intervienne
dans les prochains jours si nous voulons éviter d'aller immaquablement au devant d'incidents sociaux aux
très graves répercussions politiques".
353
Dagegen wandte sich innerhalb des Hohen Kommissariates der Conseiller économique
René Déjardin. Er argumentierte primär wirtschaftlich mit dem Hinweis auf die höhere
Produktivität in Lothringen. Das Außenministerium neigte der Position Rieths zu.
Begründet wurde diese Forderung mit der Notwendigkeit, der politische und soziale
Frieden müsse gewahrt werden. Im Bergbau- und Industrieministerium orientierte man
sich entsprechend der Argumentation der Régie ausschließlich an wirtschaftlichen
Argumenten. So hatte die Régie darauf verwiesen, daß die wirtschaftlichen Verhält-
nisse eine Lohnangleichung an Lothringen nicht erlaubten. Der lothringische Bergbau
arbeite produktiver, und die Förderung sei höher, der Saarbergbau müsse deshalb eher
mit dem Revier im Département Pas-de-Calais verglichen werden.52 Immerhin lag
sogar noch 1950 die Produktivität der lothringischen Zechen um 27 Prozent über den
Saargruben.53
Erst nachdem das Problem Lohnangleichung des Saarbergbaus an Lothringen so
politisiert worden war, daß es zu einem Streik kam, waren die primär wirtschaftlich
denkenden Kreise auf französischer Seite, vor allem innerhalb der Pariser Administra-
üon schließlich zum Einlenken bereit, wobei man sich auch auf wirtschaftliche Argu-
mente berief, die Angleichung an Lothringen sei doch vertretbar, weil die Familien-
zulagen in Frankreich höher als im Saarland seien.54
Zugleich war damit aber wieder eine Chance verpaßt, den gewerkschaftlichen Kräften,
die nicht pro-deutsch eingestellt waren, durch eine rasche Angleichung entgegen-
zukommen. Für die oppositionellen Kräfte in den Gewerkschaften bot sich wiederum
wie beim Thema Verpachtung eine Möglichkeit, die Oppositionsrolle auszufüllen. Sie
versuchten die Angleichung als Erfolg ihrer Opposition zu verbuchen, obwohl die
Verhandlungserfolge durch ganz andere Kräfte, nämlich die Autonomieanhänger und
die Regierung Hoffmann, erreicht worden waren.
Die Lohnangleichung an Lothringen brachte den saarländischen Bergleuten Löhne, die
über dem Durchschnittslohn der französischen Bergleute lagen. Die Kumpel in
Pas-de-Calais, die immer wieder von der Régie und dem Bergbau- und Industrie-
ministerium zum Vergleich herangezogen wurden, verdienten fast 15 Prozent
weniger.55
52
Die Régie wies fortwährend auf diese Probleme und den Kostendruck des Saarbergbaus bis in die
fünfziger Jahre hin. Siehe: MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.236, Bl.34-37. Doss.239, Bl.31-34,
Dass. 241, Bl.17-19. Der Anteil der Selbstkosten im Bergbau war nach Ansicht der Régie mit 58 Prozent
wesentlich höher als an der Ruhr mit nur 48 Prozent, siehe Bericht über den Vergleich der Selbstkosten
Ruhr-Saar vom 27.12.52, in: Ebd., Doss.251, B1.190.
53 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.120, B1.85, Vergleich beider Reviere(Zeitraum Oktober 1950- Juli
1951), von der Direct, de la main-d’œuvre erstellt.
54 Ebd.
55
MAE Paris, EU-Europe, Sous. S. Sarre, Doss.250, Bl.44, Protokoll zur 8.Grubenratssitzung.
354
3. Tarifvertragskontroverse als gewerkschaftliche Legitimitätsfrage
3.1 Historisch gewachsene Unterschiede
Die Ursachen der Tarifvertragskontroverse liegen in der gesellschaftlichen Rolle der
Gewerkschaften. Wie bei der Gedingekontrolle und der Personalpolitik der Régie
waren es wiederum historisch gewachsene Divergenzen, in diesem Falle Unterschiede
zwischen der deutschen und französischen Tarifvertragsgesetzgebung, die national
überformt wurden.
In der Bundesrepublik bestand seit ihrer Gründung ein breiter Konsens über das Recht
der Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände zur autonomen tarif vertraglichen
Regelung der Lohn- und Arbeitsbeziehungen, die auch im Grundgesetz verankert
worden war.56
Die Tarifvertrags autonomie war de iure schon in der Gewerbeordnung des Norddeut-
schen Bundes vorgesehen worden57 58, eine weichenstellende Wirkung hatte das Stin-
nes-Legien-Abkommen von 1918.5S Eine staatliche Einwirkung auf Tarifverträge
bestand in der Weimarer Republik durch die staatliche Verbindlichkeitserklärung von
Tarifverträgen, es war ein Relikt aus der Demobilmachungszeit von 1918/19 und
eigentlich nur dafür gedacht, die kritische Phase der Demobilisierung zu überwinden.
Kam bei einer Schlichtungsstelle ein Schiedsspruch nicht zustande, so konnte ab 1923
mit oder ohne Antrag eines Kontrahenten die öffentliche Hand, der Schlichter oder der
Reichsarbeitsminister die fehlende Aufnahmeerklärung einer oder beider Parteien
durch Verwaltungsakt ersetzen.59 Vor allem im Ruhrbergbau fanden die Tarifparteien
zu keinen Kompromissen, und deshalb blieb das staatliche Schlichtungsinstrumentari-
um bestehen und wurde nach Hans Mommsen zur "dauernden Institution" fort-
gebildet.60 Die Arbeitgeber plädierten für eine "Auflockerung" der Tarifverträge als
unerläßlicher Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Aufschwung.61 Bereits in der
56 Haas Günter H o ckerts, Bürgerliche Sozialreform nach 1945, in: Rüdiger vom Bruch (Hrsg,), Weder
Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz bis zur Ära
Adenauer, München 1985, S.251.
57
Dieter Reuter, Funktionsfähigkeit der Arbeitsmärkte durch Tarifautonomie?, in: Wolfram Fischer
(Hrsg.), Währungsreform und soziale Marktwirtschaft, Berlin 1989, S.507.
58
Günter Schulz, Bürgerliche Sozialreform in der Weimarer Republik, in: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.),
Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz bis zur
Ära Adenauer, München 1985, S.188.
59 Ludwig Preller, Praxis und Probleme der Sozialpolitik, 1. Hb., Tübingen u.a.O. 1970, S.129.
60 Hans M o m m s e n, Klassenkampf und Mitbestimmung: Zum Problem der Kontrolle wirtschaftlicher
Macht in der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 1978, S.19, 25.
Michael Prinz, "Sozialpolitik im Wandel der Staatspolitik?" - Das Dritte Reich und die Tradition
bürgerlicher Sozialreform, in: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.), Weder Kommunismus noch Kapitalismus.
Bürgerüche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz bis zur Ära Adenauer, München 1985, S.230-232.
355
Endphase der Weimarer Republik war durch die Regierung von Papen die Unabding-
barkeit tarifvertraglicher Regelungen eingeschränkt worden, um entsprechenden
Forderungen aus der Wirtschaft Rechnung zu tragen.62 Im "Dritten Reich” wurde die
Lohnpolitik dann verstaatlicht.63
Das Saarland nahm zur Völkerbundszeit an der Tarifvertragsgesetzgebung der Weima-
rer Republik nur bedingt teil. Die Aussage Schmidts, gemäß dem Saarstatut habe
gegolten, daß an der Saar die am 19. November 1919 in Kraft befindlichen Gesetze des
Deutschen Reiches Gültigkeit haben sollten, ist falsch,64 der Termin ist auf den 11.
November 1918 zu datieren.65 Im Gegensatz zur Weimarer Republik fehlten an der
Saar z.B. bis auf paritätische Tarifausschüsse alle weiteren Schlichtungsinstanzen.66
Im "Dritten Reich" wurde die Tarifvertragsautonomie aufgehoben. Lohnfragen wurden
durch die vom Arbeitgeber erlassene Betriebsordnung geregelt. Nach 1945 bestanden
nicht zuletzt vor dem Hintergrund der NS-Zeit zwischen den Volksparteien CDU/CSU
und SPD in der Regelung der Tarifvertragsfrage ein insgesamt breiter politischer
Konsens. Beide Parteien, insbesondere der linke Flügel der CDU wie auch die SPD
bezeichneten eine staatliche Schlichtung als sozialreaktionär, lediglich Teile der F.D.P.
vertraten hier eine andere Position.67
Die mit dem Wirtschaftsanschluß und dann mit dem französischen Bergbaustatut an
der Saar eingeführten französischen Strukturen zeigen, daß im Gegensatz zur Renten-
politik, in Fragen, die die Rolle von Arbeitnehmern und Arbeitgebern betrafen, von
einer Sonderentwicklung bzw. einem sozialpolitischen Partikularismus keine Rede sein
kann. Mit dem französischen Bergbaustatut verzichteten die Gewerkschaften auf die
Tarifvertragsautonomie. Lohnerhöhungen waren nur über den Staat per Ministerialer-
laß zu realisieren. Die Gewerkschaften stimmten dem zu, weil das Statut den Arbeit-
nehmern erhebliche Vorteile brachte, z.B. die Verdopplung der bezahlten Urlaubstage,
die höhere Bewertung des Dienstalters, die Rückerstattung der Fahrtkoten, Wohngeld,
kostenfreie Kohlendeputate und Studienbeihilfen, Andererseits kam es auch zu einer
Lohnnivellierung zwischen Angestellten und Arbeitern.68
62 Ebd.
63 Carola S a c h s e, Betriebliche Sozialpolitik als Familienpolitik in der Weimarer Republik und im
Nationalsozialismus. Mit einer Fallstudie über die Firma Siemens/Berlin, Hamburg 1987, S.142.
64 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.l, S.112.
65 Hans Westhoff, Recht und Verwaltung im Saargebiet, Trier 1934, S.9.
Klaus-Michael M a 11 m a n n und Horst Steffens, Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an
der Saar, München 1989, S.139.
67 So versuchten südwestdeutsche Abgeordnete der F.D.P. nach den Bundestagswahlen 1961 im Bundestag
über eine Novelle zum Tarifvertragsgesetz Eingriffe in die Tarifautonomie durchzusetzen, siehe: Jürg
Michael Gutscher, Die Entwicklung der FDP von ihren Anfängen bis 1961, Königstein 1984, S.109 f.
68
Roy, Der saarländische Bergmann, S.142.
356
Staatsinterventionismus in Frankreich
Auch wenn in der Weimarer Republik gewisse staatliche Eingriffe in der Tarifverfas-
sung vorgesehen waren, so entprach die französische Tarifvertragsverfassung ganz und
gar einem staatsinterventionistischen Verhandlungs- und Vertragssystem.69 In diesem
Kontext erklärt sich auch, daß das Arbeitsrecht in Frankreich nicht Teil des Privatrech-
tes, sondern des Staatsrechtes ist. Zum Verständnis dieser Strukturen muß auf die
umfassende Verstaatlichung der französischen Wirtschaft hingewiesen werden. Ban-
ken, Bergbau, Eisenbahn und der große Automobilhersteller Renault waren in Händen
des Staates.70
Tarifverhandlungen in Frankreich vollzogen sich in tripartistischen Verhandlungs-
strukturen und nicht wie in der Bundesrepublik im Sinne der Tarif au tonomie. Dieses
Modell erklärt sich aus dem Gewerkschaftspluralismus und der sich 1919/1922 spal-
tenden Gewerkschaftsbewegung, die die Ausbildung konträrer Vorstellungen in der
Tarifpolitik förderte. Das Kollektivvertragsgesetz vom 24. Juni 1936 stärkte die Rolle
des Staates insofern, als auf Antrag der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen
der Arbeitsminister eine gemischte Kommission einberief, an der Vertreter des Staates,
der Unternehmer und der Gewerkschaften teilnahmen. Durch dieses Gesetz wurde eine
Integration des Staates in das Kollektivvertragssystem vollzogen und Vereinbarungen
unter Staatsbeteiligung ausgehandelt. In einem ergänzenden Gesetz wurde geregelt, daß
vom 31. Dezember 1936 an, der Staat eine Zwangsschlichtung verfügen konnte. Die
französische Öffentlichkeit empfand angesichts einer staatlich reglementierten Kollek-
üwertragspoliük in einer fehlenden Tarifvertragsautonomie kein Defizit. Im Gegenteil,
wichtige soziale Fortschritte wie z.B. die 40-Stunden-Woche waren nicht durch die
Tarifparteien, sondern durch Gesetzesinitiativen der Regierung in die Wege geleitet
worden. Die tragende Rolle des Staates für die Entwicklung und Durchsetzung sozialen
Fortschritts bewirkte auch, daß die Gewerkschaften hinsichtlich ihres sozialpolitischen
Gewichts in den Hintergrund gedrängt wurden.71
Frankreich hielt an der staatlichen Vormundschaft über die Kollektiv Vertragsparteien
fest. Der staatliche Dirigismus in den Arbeitsbeziehungen bildet eine Kontinuitätslinie
von der Volksfrontregierung über Vichy bis in die Nachkriegszeit.72
Peter Jansen, Die gescheiterte Sozialpartnerschaft. Die französische Gewerkschaftsbewegung
zwischen Tarifautonomie und Staatsinterventionismus, Frankfurt a.M. 1987, S.92.
70
Claude Klein, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie in Frankreich, in: Helmut Duvernell (Hrsg.),
Koalitionsfreiheit und Tarifvertragsautonomie als Probleme der modernen Demokratie, Berlin 1968, S.154,
249-251.
71 Ebd., S.84, 87, 147-149. Paul Durand, Das Gesetz vom 11.2.1950 und die Entwicklung der
Kollektivverträge im französischen Arbeitsrecht, in: Recht der Arbeit 3/1950, S.363-365.
72
Jansen, Die gescheiterte Sozialpartnerschaft, S.87.
357
Die Nachkriegsregierung Léon Blums knüpfte an die Volksfrontzeit an, setzte aber
neue Akzente, indem nationale Branchenverhandlungen geführt werden sollten, wobei
auf spezifische lokale und betriebliche Verhältnisse durch gesonderte Vereinbarungen
bzw. Anschlußverträge Rücksicht genommen wurde. Die starke Rolle des Staates blieb
erhalten, weil Kollektivverträge durch den Arbeitsminister bestätigt werden mußten.
Von 1946 bis 1950 war es verboten, in Tarifverträgen Vereinbarungen über Löhne zu
treffen. Ganz im Sinne der tripartistischen Tradition mußten nationale Branchenverein-
barungen ausschließlich über gemischte Kommissionen mit Vertretern von Staat,
Arbeit und Kapital ausgehandelt werden. Wenn keine Einigung erzielt werden konnte,
wurden Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen durch staatliche Verwaltungsstellen
festgelegt.73 Das Gesetz ordnete damit wieder eine staatliche Vormundschaftsgewalt an.
1950 wurde eine Liberalisierung der Tarifvertragsgesetzgebung in die Wege geleitet,
wobei gerade Betriebsvereinbarungen (accords détablissements) und jetzt auch Lohn-
vereinbarungen (accords des salaires) von den Tarifparteien ohne Mitwirkung des
Staates abgeschlossen werden konnten, sie waren aber ohne staatliche Zustimmung
nicht allgemein verbindlich. Diese leichte Liberalisierung galt im übrigen nicht für
staatliche Unternehmen. Die immer noch starke Stellung des Staates beim Abschluß
von Kollektivverträgen stand im Kontext einer nach wie vor staatlich gelenkten Wirt-
schaft.74 75
In diesem System spielte auch der Streik eine ganz andere Rolle als in der Bundesre-
publik. Ohne vorangehende Schlichtungs versuche konnte gestreikt werden, der Streik
war sogar in der Präambel der Verfassung als Grundrecht auch für Beamte verankert.73
3.2 Assimilierung des Saarlandes an französische Strukturen
Das saarländische Tarifvertragsgesetz vom 22. Juni 1950 entsprach einer Anpassung
an französische Strukturen insofern, als es die Lockerungen der novellierten französi-
schen Tarifvertragsgesetzgebung aufnahm und der saarländische Minister für Arbeit
und Wohlfahrt eine entscheidende Stellung ausübte. Im Unterschied zum französischen
bezog es sich ausdrücklich auch auf staatliche Betriebe, nicht jedoch auf die Beamten.76
Der Streit entzündete sich an der Frage, ob für den Saarbergbau das saarländische
Tarifvertragsgesetz oder das französische Bergbaustatut gelten sollte. Nachdem mit der
Einführung des Bergbaustatuts bzw. der Wirtschafts- und Sozialunion durch die Pariser
Konventionen die lange geforderte Angleichung der Löhne der Saarbergleute ans
lothringische Revier erfolgt war, führte dies nicht zu einer Entspannung, sondern zu
einer neuen Belastungsprobe für das Verhältnis der Gewerkschaften zur Landes-
regierung und den französischen Entscheidungsträgem.
3 Ders., S.84, 87.
74 D u r a n d, Das Gesetz, S.363-365.
75
Hildegard Waschke, Arbeitsbeziehungen und politische Strukturen im westlichen Ausland, Köln
1982, S.50.
76 Abi.1950, S.597 f.
358
Während die saarländischen Gewerkschaften vorher für Lohnverbesserungen kämpfen
konnten, waren sie jetzt nach Ansicht der Régie bei der Durchsetzung von Lohn-
steigerungen von den Verhandlungen auf französischer Ebene zwischen den dortigen
Gewerkschaften und der Charbonnages de France abhängig.77
Das bedeutete, daß die Rolle des I.V. Bergbau als Tarifvertragspartner praktisch
entwertet worden war. Dazu war mit der starken Rolle der französischen Regierung in
Tarifvertragsfragen und der damit verbundenen staatlichen Intervention ein fremdes
Modell an der Saar eingeführt worden.
Die Übertragung des staatsinterventionistischen Sozialpartnerschaftsmodells auf das
Saarland bewirkte eine Potenzierung des Gefühls der Fremdbestimmung und steuerte
ungewollt den I.V. Bergbau in eine Legiümitätskrise, weil seine gesellschaftspolitische
Rolle als Tarifvertragspartner in Frage gestellt wurde. Folge war eine nationale Überla-
gerung von Tarifverhandlungen, weil die Verhandlungsergebnisse der französischen
Sozialpartner übertragen werden sollten. Dies forcierte die Oppositionsrolle der Ge-
werkschaften sowohl sozial als auch national. Gleichzeitig führte dieses System zum
Prestigeverlust des saarländischen Arbeitsministers, da das letzte Wort, wenn der
Bergbau nicht unter das saarländische Tarifvertragsgesetz fiele, bei der Anerkennung
von Tarifverträgen nicht bei ihm, sondern bei seinem französischen Kollegen lag.
Gleichzeiüg entstand die paradoxe Situation, daß saarländische Privatgruben unter das
saarländische Tarifvertragsgesetz fielen, die von der Régie geführten Gruben aber
nicht. Dies förderte das Gefühl, die Régie sei ein Staat im Staate. Diese Konstellation
führte zu langwierigen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf die Bergbaugewerk-
schaften immer mehr in Opposition auch zur Regierung Hoffmann hineinwuchsen. In
diesem Zusammenhang rief der I.V. Bergbau zweimal zum Generalstreik auf, am 2.
Dezember 1950 und am 3. April 1952.78
Legitimitäts- und Existenzfrage für die Gewerkschaften
Für den I.V. Bergbau stellte sich mit der Konstellation, daß die Gruben der Régie nicht
unter das saarländische Tarifvertragsgesetz fallen sollten, die Legiümitäts- bzw. Exi-
stenzfrage, denn gerade nach 1945 wuchsen die Gewerkschaften in die Rolle von
"Lohnerhöhungsagenturen'’ hinein. Diese entscheidende Funküon sollte für den
Bergbau als größtem Wirtschaftszweig bei den französischen Gewerkschaften liegen,
77 MAENantes, HCS, CabPolit., Doss.120, B1.96 f., P. Couture an Industrieministerium vom 29.1.52. Die
Charbonnages de France ist die staatliche Gesellschaft für den Abbau, die Verwertung und die
Vermarktung von Kohle. Sie war im Mai 1946 gegründet worden - im Rahmen der Verstaatlichung und
Zusammenfassung aller privaten Kohlegesellschaften. Siehe: Bernhard Schmidt, Jürgen Doll,
Walther F e k 1 und Siegfried L o e w e, Frankreich-Lexikon. Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft,
Politik, Geschichte, Kultur, Presse- und Bildungswesen, Bd. 1, Berlin 1981, S.129.
78 SVZ 2.12.50, 3.4. und 4.4.52.
359
andererseits war sie angesichts des inflationären französischen Franc gerade für die
saarländischen Gewerkschaften von entscheidender Wichtigkeit. Zu welchem Zweck
sollte unter diesen Umständen eine saarländische Bergarbeitergewerkschaft existieren?
Warum sollten saarländische Bergleute Gewerkschaftsbeiträge für einen Verband
zahlen, der ihre Lohninteressen gar nicht wirksam vertreten konnte?
Dieser Zusammenhang verdeutlicht, daß es in der Tat für die saarländischen Gewerk-
schaften auch um ihre Existenz ging. So brachte der Vorsitzende des I.V. Bergbau im
September 1950 in einem Brief an Pierre Couture die Existenzfrage der Saargewerk-
schaften auf den Punkt:" Ich muß es in dieser Beziehung ablehnen, unsere Forderungen
den französischen Gewerkschaften zuzuleiten, sondern wir sind eine selbständige
Gewerkschaft und dürfen wohl auch erwarten, daß die französische Regierung uns als
solche betrachtet. Daß wir noch nicht als Verhandlungspartner zugezogen wurden, mag
als ein Regiefehler betrachtet werden, doch können wir in Zukunft uns diese Be-
handlung nicht mehr gefallen lassen".79 Im Verbandsorgan des I.V. Bergbau betonte
Aloys Schmitt, die saarländischen Gewerkschaften seien "autonom" und der Anschluß
an eine französische Gewerkschaft sei unzulässig.80 In einem Rundschreiben der
Verbandsführung an alle Funktionäre wurde ein klarer Zusammenhang zwischen der
eingeschränkten Rolle als Tarifpartner und der besonderen politischen Situation des
Saarlandes hergestellt:"Die Entscheidung über Lohnfragen liegt in Paris trotz gepriese-
ner Saarautonomie (...) Es wird niemand bestreiten können, daß z.B. die Lohnfrage
eine gewerkschaftliche Forderung ist".81
Bei den Gewerkschaften förderte das Gefühl, das letzte Rad am Wagen zu sein, die
ohnehin bestehende Konkurrenz zwischen I.V. Bergbau und GCS. Gewerkschaftliche
Kraftdemonstration zur Kompensation ihrer Schwäche und Abhängigkeit von Paris
waren die politischen Auswirkungen. Dies verdeutlicht die Reaktion der Gewerk-
schaften auf die Verschleppungspolitik der französischen Seite bei den Tarifverhand-
lungen im Herbst 1950, die sich bis zum Jahresende hinzogen. Der französische
Bergbauminister zögerte sein Einverständnis zum Verhandlungsergebnis von Saarge-
werkschaften und Regie hinaus, was die Gewerkschaften dazu veranlaßte, den sozialen
Frieden in Frage zu stellen und gleichzeitig einen riesigen Katalog von weiteren Forde-
rungen wie z.B. Realisierung des Betriebsverfassungsgesetzes vorzulegen.82
Auch anderen Industriegewerkschaften wurde ihre eingeschränkte Rolle als Tarif-
partner bewußt. Der Arbeitgeberverband der Eisen- und Metallindustrie teilte der
79 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., Mines E 4, I.V. Bergbau an Pierre Couture vom 19.9.50.
80
MAE Paris, EU-Europe, Sous. Sarre, Doss.60, B1.101, Revue de Presse, Saar-Bergbau Nr.15 vom
25.9.50.
81 Landesarchiv Saarbrücken (LA SB), Partei- und Verbandsdrucksachen (PVD), Rundschreiben des I.V.
Bergbau Nr.7/52.
82 Neue Zeit vom 12.12.50 und Volksstimme vom 11.12.50.
360
Christlichen Gewerkschaft der Hütten- und Metallarbeiter mit, daß Lohnerhöhungen
nicht möglich seien, da man vor dem Hintergrund der Konkurrenzfähigkeit an die
Entwicklung im Moseldepartement gebunden sei.83 Die saarländischen Gewerkschaften
wurden damit konfrontiert, daß die Arbeitgeber auf Forderungen nach Lohnerhöhun-
gen nicht mehr eingingen und die Saargewerkschaften auf Verhandlungen der franzö-
sischen Tarifvertragspartner aufmerksam machten. Im Lager der christlichen Gewerk-
schaften klagten Teile der Basis darüber, daß jede Lohnbewegung und Lohnverein-
barung quasi durch den "Sargdeckel" der Wirtschaftskonventionsbestimmungen
erstickt werde.84
Die kommunistische Presse nutzte diese Entwicklung zur Radikalisierung, indem sie
sie zum Anlaß nahm, die Rolle der Gewerkschaften in der von Deutschland abgetrenn-
ten Saar mit dem "Dritten Reich" zu vergleichen. So schrieb die "Neue Zeit", die
saarländischen Gewerkschaften hätten ihren Namen verloren und seien auf die Stufe
der DAF degradiert worden.85
Das Tarifvertragsproblem im Bergbau schwelte weiter und verschärfte sich im Herbst
1951, als die Gewerkschaften angesichts der Inflation eine Lohnerhöhung um 10
Prozent anstrebten. Anfang 1952 riefen sie den Landesschlichter an, der eine Erhöhung
um 5 Prozent empfahl. Grandval versuchte Hoffmann zu bewegen, als damaliger
Arbeitsminister sein Veto einzulegen, weil die Entscheidung den internationalen
Verpflichtungen des Saarlandes widerspreche. Joho entsprach Grandvals Wunsch, weil
er sich auf dessen Zusage verließ, er würde in diesem Fall das Außenministerium
veranlassen, die Gültigkeit des Tarifvertragsgesetzes für die Saargruben anzuerkennen.
Grandval konnte dies aber in Paris nicht erreichen und die Gewerkschaften fühlten sich
durch seine Entscheidung geprellt.86
Diese Situation forcierte die Oppositionsrolle der Gewerkschaften sowohl sozial als
auch national und wirkte sich damit auch in letzter Konsequenz politisch destabilisie-
rend auf die von Deutschland separierte Saar aus, weil sie die Gewerkschaften zur
Aggressivität herausforderte, um ihre Existenz vor den Arbeitnehmern zu legitimieren.
Dabei ist auch nicht auszuschließen, daß die politische Oppositionsrolle zum Ersatz für
die eingeschränkte Rolle als Sozialpartner wurde. In diesem Zusammenhang sollte
auch darauf verwiesen werden, daß gerade die Tarifvertragsautonomie in der Bundes-
83 Archiv für christlich-demokratische Politik St. Augustin (ACDP), NL Peter Clemens, 1-340/002/1, vgl.
Schreiben des Arbeitgeberverbandes der Eisen- und Metallindustrie vom 3.8.51 an die Christliche
Gewerkschaft der Hütten-und Metallarbeiter; ähnliches Schreiben des Arbeitgeberverbandes vom 28.8.53.
Archiv der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie Bochum (IGBE-Archiv Bochum), Div.32, Mp.5,
Geschäftsbericht Bernhard Weiters auf der ersten ordentlichen Generalversammlung vom 17. und 18.6.50.
85 Neue Zeit vom 16.5.52.
86 SVZ vom 19.2. und 22.2.52. Roy, Der saarländische Bergmann, S.141 f., 145.
361
republik sich als ein stabilisierendes Strukturelement der bundesrepublikanischen
Ordnung erweisen sollte, weil die Sozialpartner durch die Tarifhoheit in eine überbe-
triebliche Verantwortung hineinwuchsen.87 Hans-Peter Schwarz bewertet die Tarif-
autonomie gar als Voraussetzung für eine politische Demokratie.88 Die Tarifvertrags-
autonomie ließ die Gewerkschaften in der Bundesrepublik zu mitgestaltenden Ord-
nungsfaktoren der Wirtschaft werden. Durch sie erhielt die soziale Marktwirtschaft
durch gewerkschaftlichen Druck eine gemeinsam von Arbeitnehmern und Arbeit-
gebern ausgehandelte soziale Komponente. Hier ist z.B. Georg Leber (SPD), der
langjährige Vorsitzende der IG Bau zu nennen und den über ihn tarifvertraglich durch-
gesetzten Aufbau von sozialen Gemeinschaftseinrichtungen wie Urlaubswerke oder die
Schlechtwetterregelung, die berufliche Förderung von Waisen bis zur tarifvertragiichen
Vermögensbildung für Arbeitnehmer. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch im
Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie zeigen. Diese über die Tarifvertrags-
autonomie realisierten sozialen Fortschritte, stabilisierten aber auch die Gewerkschaften
und erhöhten ihre Akzeptanz und Stärke.89
Die Kontroverse, ob das Tarifvertragsgesetz vom 22. Juni 1950 für den Saarbergbau
Gültigkeit habe, wirkte national emotionalisierend und politisierend, weil von saarlän-
discher Seite die Ansicht vertreten wurde, daß die Saargruben auch saarländischen
Gesetzen unterworfen sein müßten, wie z.B. die GCS geltend machte. Der I.V. Bergbau
reklamierte die Tarifvertragsfreiheit für das Saarland und forderte das Prinzip der
Tarifvertragsfreiheit als Verfassungsgebot.90 Auch Heinrich Wacker forderte, daß die
Saargruben als ein im Saarland gelegenes Unternehmen sich auch saarländischen
Gesetzen unterwerfen müßten.91 Wasser auf die Mühlen derer, die die Régie als "Staat
im Staate" betrachteten, war auch, daß für Privatgruben das saarländische Tarifver-
tragsgesetz unangefochten galt. Der Streit um die Tarifvertragsfrage war auch ein Streit
darüber, ob im Saarland ein einheitliches Arbeitsrecht, wie in Artikel 47 der Verfas-
sung vorgesehen, gelten sollte oder nicht.92
87 Ulrich Engelhardt, Strukturelemte der BRD. Überlegungen zum Problem historischer Kontinuität
am Beispiel der Betriebsverfassung, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (VSWG)
69/1982, S.383.
88
Hans-Peter Schwarz, Modernisierung oder Restauration? Einige Vorfragen zur künftigen
Sozialgeschichtsforschung über die Ära Adenauer, in: Kurt Düwell und Wolfgang Köllmann (Hrsg.),
Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter. Vom Ende der Weimarer Republik bis zum Land Nordrhein-
Westfalen, Wuppertal 1984, S.284.
89 P r e 11 e r, Präzis und Probleme, l.Hb., S.128 f.
90 MAE Paris, EU-Europe, Sous. S. Sarre, Doss.61, Bl. 40, 43, 44-46, Revue de Presse.
91 Volksstimme vom 31.3.52.
92 .
Bericht über die Zweite außerordentliche Generalversammlung der GCS am 1.5./2.5.1953, Saarbrücken
1953, S.44. Auch: IGBE-Archiv Bochum, Div.32, Mp.6.
362
Legitimitätsproblematik fördert Radikalisierung
Das Problem für den I.V. Bergbau wie für die GCS, als Tarifvertragspartner keine
souveräne Rolle spielen zu können, sondern von den Vereinbarungen der französi-
schen Verhandlungspartner abhängig zu sein, setzte auch die Gewerkschaftskreise, die
für eine von Deutschland abgetrennte Saar waren, unter Zugzwang. Die Hintergründe
des Februarstreiks von 1952 zeigen dies anschaulich. Zunächst hatte Johann Dreher,
SPS-Miglied und eher der pro-französischen Richtung zuzuordnen, Bedenken gegen
einen Generalstreik, schließlich aber entschied er sich trotzdem dafür, um die opposi-
tionellen Kräfte um Paul Kutsch und die kommunistischen Gewerkschaftskreise nicht
ungewollt zu unterstützten, ähnlich schätzte Hans Ruffing (GCS) die Situation ein.93 Er
fürchtete darüberhinaus, daß der I.V. Bergbau die GCS in dieser Auseinandersetzung
"vernichten" könne, insbesondere über eine längere Streikdauer könnte der I.V. Berg-
bau versuchen, die GCS finanziell in die Knie zu zwingen.94 Die Entscheidung für den
Generalstreik fand unter dem Druck der Entwicklung an der Basis statt, denn auf
manchen Zechen hatten bereits seit November 1951 wilde Teilstreikaktionen ohne
Rücksprache mit der Gewerkschaftsführung oder der Betriebsvertretung stattgefunden,
wobei hier kommunistische Kräfte mitgewirkt hatten.95 Die Situation dafür war auch
günstig, da die Inflation zu deutlichem Kaufkraftverlust geführt hatte. Die zunehmende
Radikalisierung schlug sich auch in der Sprache nieder.96 Nachdem Johannes Hoff-
mann dann auf Wunsch Grandvals sogar sein Veto gegen den Schlichterspruch einge-
legt hatte, führte dies zu einer Konfrontation zwischen Regierung und Gewerkschaf-
ten. In dieser Situation mußten die autonomistischen Gewerkschaftskräfte Farbe gegen
die Regierung bekennen, wenn sie an der Basis nicht unglaubwürdig werden wollten.
Angesichts dieser Konstellation erklärt sich die radikale Reaktion des gegenüber der
Landesregierung ansonsten ausgesprochen loyalen Eduard Weiter (Erster Vorsitzender
der Eisenbahnergewerkschaft in der Einheitsgewerkschaft), der mit Paul Kutsch, Aloys
Schmitt und Vertretern des Industrieverbandes Öffentliche Betriebe, des Industrie-
verbandes Transport und Verkehr sowie der Postgewerkschaft einen Protestbrief an das
Internationale Arbeitsamt in Genf, die UNO, den DGB, den Europarat und die Außen-
minister von Deutschland und Frankreich mit Unterzeichnete, in dem von der "Miß-
achtung der demokratischen Prinzipien an der Saar" die Rede war.97 *
MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.120, BI. 101, 108, Vermerk von A. Harnist vom 6.2. und 13.2.52.
94
So Hans Ruffing auf einer außerordentlichen Generalversammlung im Lokal "Zum Hirsch" in
Saarbrücken, in: IGBE-Archiv Bochum, Div.32, Mp.6, Niederschrift zur außerordtl. Generalversammlung
am 24.2.52 .
95
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PAA) Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.254, B1.213. Vermerk und
SVZ vom 14.11.51 und 11.2.52.
96 SZ vom 3.3.52.
97 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.120, Bl. 192, Vermerk von A. Harnist vom 20.3.52. Siehe auch
Schmidt, Saarpolitik, Bd. 2, S.263.
363
Die nach dem Februarstreik zwischen dem französischen Industrieminister und den
Gewerkschaften geführten Verhandlungen wirkten als eine weitere Herabsetzung der
Gewerkschaften. Selbst Hans Ruffing sprach von einem "Befehlsempfang".98 Ruffings
Wahrnehmung dieser Kontroverse erinnert an die Zeit vor 1935, wie folgendes Zitat
eines Gewerkschaftsvertreters aus dem Jahre 1923 anläßlich des hunderttägigen
Bergarbeiterstreiks, auf den später noch ausführlich eingegangen wird, verdeut-
lichtf'Unsere Verhandlungsvertreter sind zurückgewiesen worden wie Schuljungen".99
Die Empörung von Hans Ruffing gewinnt bei diesem Vergleich ein noch stärkeres
Gewicht, da ihm nationale Agitation, so wie sie beim Bergarbeiterstreik 1923 zu
beobachten gewesen war, völlig fern lag.
Die Auseinandersetzungen über die Anwendung des Tarifvertragsgesetzes vom Juni
1950 steuerte die Gewerkschaften in eine Oppositionsrolle. Erstmals ist dabei zu
beobachten, daß auch die gewerkschaftlichen Kräfte, die nicht als pro-deutsch ein-
zustufen sind, eine Oppositionshaltung einnahmen, ohne damit jedoch die Wirtschafts-
union in Frage stellen zu wollen. Diejenigen in der Gewerkschaft, die aber eine Rück-
gliederung an Deutschland anstrebten, versuchten den Konflikt noch weiter zu ver-
schärfen, indem sie eine Ausdehnung des Februarstreiks erwogen. Der Streit über die
Frage, ob das Tarifvertragsgesetz für die Saargruben gelten sollte, gewann dadurch
eine saarpolitische Dimension. Sie wuchs sich letztlich zu einer Kontroverse über die
Wirtschaftsunion aus. Das Verbandsorgan des I.V. Bergbau forderte nicht nur die
Anwendung des Tarifvertragsgesetzes, sondern gleichzeitig die "Beseitigung der
Fesseln der Wirtschaftskonvention".100 Wie vor 1935 deutet sich in der Auseinanderset-
zung um die Tarifvertragsfrage eine nationale, wirtschaftliche und soziale Polarisie-
rungsebene zwischen Bergarbeitergewerkschaften und französischer Grubenver-
waltung an, wobei durch die politische Situation auch die saarländische Landesregie-
rung in diese Polarisierung einbezogen wurde.101
Als im Februar 1952 wegen dieser Frage ein Streik ausbrach, reiste Paul Kutsch am 22.
Februar 1952 nach Bonn ins Auswärtige Amt und stellte die Frage, ob die Bundes-
regierung bereit sei, einen länger andauernden Streik der Bergarbeiter an der Saar zu
unterstützen, wobei er auf den hunderttägigen Bergarbeiterstreik von 1923 hinwies.
Kutsch wurde gesagt, "er solle um alles in der Welt den rein gewerkschaftlichen
Charakter dieses Konfliktes nicht verwischen, dessen politische Folgen sich ganz von
selber einstellten. Es wäre ganz undenkbar, daß Subventionen von unserer Seite
IGBE-Archiv Bochum, Div.32, Mp.6, Niederschrift zur außerordentlichen Generalversammlung vom
24.2.52.
"Linsmayer, Politische Kultur, S.218, Anm.173. Siehe zum Bergarbeiterstreik : Ebd., S.216-222.
100 Saar-Bergbau vom 8.3.52.
101 Gerhard Paul, "Deutsche Mutter - heim zu Dir!" Warum es mißlang, Hitler an der Saar zu schlagen.
Der Saarkampf 1933-1935, Köln 1984, S.49-54.
364
geheim blieben. An so etwas sei überhaupt nicht zu denken."102 Spätestens hier wird
deutlich, daß die Auseinandersetzungen über das Tarifvertragsgesetz vom sozial-
politischen zum saarpolitischen Thema geworden waren, denn Kutsch forderte im
Sommer 1952 ein Plebiszit über die Saarfrage,103 im Umgangston gab er sich noch
kämpferischer, so forderte er auf Gewerkschaftsversammlungen den Verzicht auf die
Konventionen und das Ende des "Protektoratsregimes" der Franzosen an der Saar.104
Vor diesem Hintergrund waren die Bedenken der christlichen Gewerkschaft, die sich
am Februarstreik beteiligt hatte, berechtigt. Die GCS befürchtete, daß der I.V. Bergbau
die saarländische Wirtschaft durch Streiks lähmen wollte.105
Die Frage nach der Gültigkeit des Tarifvertragsgesetzes berührte auch die sozialdemo-
kratische Identität. Gegenüber dem Landespartei Vorstand äußerte Kirn am 9. April
1952:" Als der gestrige Beschluß über das Tarifrecht der Bergarbeiter kam, habe ich
sowohl dem Hohen Kommissar wie auch Hoffmann gesagt, daß man so die Dinge
nicht machen kann (...)".106 Die SPS versuchte aus der Oppositionsrolle heraus dies
unmißverständlich deutlich zu machen, um den anti-autonomistischen Kräften nicht
das Feld zu überlassen.
3.3 Französische Assimilierungsforderung gegen saarländischen Emanzipationsan-
spruch
Bei dem Streit um die Gültigkeit des Tarifvertragsgesetzes ging es darum, inwieweit
das Saarland, in einer Wirtschaftsunion mit Frankreich verbunden, sich sozialpolitisch
vom Wirtschaftspartner entfernen konnte. Im Bereich der Rentenpolitik und auch der
Sozialversicherung gab es trotz Gemeinsamkeiten deutliche Abweichungen von den
französischen Normen, die vom Hohen Kommissar geduldet wurden. Das Zugeständ-
nis eines sozialpolitischen Partikularismus wich aber einer Assimilierungsforderung,
wenn es um Fragen der Sozialverfassung bzw. um das Verhältnis zwischen Arbeitneh-
mern und Arbeitgebern ging.
Richard Kirn war nicht bereit, diesem Assimilierungsanspruch der französischen Seite
zu entsprechen. Er betonte, daß das saarländische Tarifvertragsgesetz vom 22. Juni
1950 als bewußte Abweichung vom französischen Wirtschaftspartner konzipiert
worden sei. Kirn erhob einen klaren Emanzipationsanspruch, der auch von dem par-
102 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.523, Bl.226, Vermerk Dr. Strohm.
103 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.120, Bl.197, Communiqué der GCS, in französischer Übersetzung,
o.D.
104 Volksstimme vom 16.5.52.
IGBE-Archiv Bochum, Div.32, Mp.6, Niederschrift zur außerordentlichen Sitzung am 24.2.52.
106 Archiv der Sozialen Demokratie Bonn (ASDP), Zeitgeschichtl. Sammlung der SPD-Saar, Protokoll vom
9.4.52.
365
teilosen Dr. Heinrich Welsch in Zeiten der C VP-Alleinregierung als Direktor für Arbeit
und Wohlfahrt mitgetragen wurde;"Das Tarifvertragsgesetz enthält keine Bestimmun-
gen, wonach die abschließenden Parteien auf die Verhältnisse in Frankreich Rücksicht
zu nehmen haben".107
Unmißverständlich und zugleich emotionalisiert forderte Kirn, daß sich die Saar-
grubenverwaltung dem Tarifvertragsgesetz bedingungslos zu unterwerfen habe. Auf
diese Weise varsuchte er sich gleichzeitig an die Spitze der gewerkschaftlichen Opposi-
tion zu stellen und damit auch die Verbundenheit der SPS mit der Arbeiterschaft zu
demonstrieren, möglicherweise wollte er damit auch Defizite aus der Vergangenheit
kompensieren. So drohte der streitbare Sozialdemokrat geradezu apokalyptisch: "Die
französische Regierung und die Saargruben Verwaltung müssen sich darüber im klaren
sein, daß das Beharren beider auf ihrem bisherigen Standpunkt die Beziehungen
zwischen der saarländischen Arbeiterschaft und Frankreich in einem nicht wieder
gutzumachenden Maße verschlechtern wird". Die französische Seite äußerte ihre
Enttäuschung über die "violence de ton et (...) brutalite dans les termes".108
SPS als oppositionelles Ventil
Für die Haltung der SPS dürften auch taktische Gründe eine Rolle gespielt haben.
Indem sie versuchte, sich in der Tarifvertragsfrage an die Spitze der Opposition zu
stellen, ventilierte sie den Druck der Gewerkschaften und dämpfte die Polarisierung
zwischen Gewerkschaften und autonomistischen Parteien und gewann damit zugleich
ein stärkeres sozialpolitisches Profil in Abgrenzung zur CVP. Erleichtert wurde diese
Taktik durch den Umstand, daß die SPS im Frühjahr 1951 die Koalition verlassen
hatte. So verband Kirn gebetsmühlenartig seine Forderung nach Anwendung des
Tarifvertragsgesetzes auf den Bergbau mit alten sozialpolitischen Forderungen der SPS
wie z.B. nach Einführung eines modernen Betriebsverfassungsgesetzes.109
Der Versuch, sich in der Tarifvertragskontroverse an die Spitze der Opposition zu
setzen, um die pro-deutschen Kräfte um Kutsch zurückzudrängen, zeigt sich auch in
der Berichterstattung der sozialdemokratischen "Volksstimme", die Kutsch als Na-
tionalisten stigmatisierte, ihm eine MRS-Mitgliedschaft nachsagte und ihm absprach,
sich für die Interessen der Arbeiter einzusetzen.110
Von Seiten da* CVP bemühte sich insbesondere Emil Straus als saarländischer Gesand-
ter in Paris, die französische Seite zur Anwendung des Tarifvertragsgesetzes auf die
107 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.E., Mines E 4, Dr. Heinrich Welsch, A/3-9585-714/51 vom 21.5.51 an I.V.
Bergbau.
108 Ebd., E VI 4/E VI 5, Régie des Mines vom 23.6.52.
109 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.61, Revue de Presse, Bl.122.
110 Volksstimme vom 17.5., 24.5., 5.6., 7.6. sowie 13.6.52.
366
Saargruben zu bewegen. Er versuchte den nationalen Aspekt des Konfliktes transparent
zu machen, indem er betonte, es bestünde ein vitales Interesse daran, daß die saarlän-
dischen Bergleute nicht das Gefühl haben sollten, einer gesetzlichen Regelung unter-
worfen zu sein, in der weder ihre Regierung noch sie selbst intervenieren könnten. Um
den französischen Bedenken, die Wirtschaftsunion könne gefährdet werden, Rechnung
zu tragen, wies er auf das Vetorecht des saarländischen Arbeitsministers hin.111
Die beiden Regierungsparteien waren sich darin einig, daß die Saargruben unter das
Tarifvertragsgesetz fallen sollten. Die SPS übernahm dabei den nach außen hin in
dieser Sache engagierten Part, aber auch die CVP bemühte sich, das Tarifvertragsrecht
für die Saargruben durchzusetzen, nur vertrat Johannes Hoffmann mit Rücksicht auf
Grandval diese Position nicht in der Öffentlichkeit, wohl aber im kleinen inoffiziellen
Kreis der Commission Economique.112
Grandval ließ sich vor allem von der Frage leiten, wie er einen Autoritätsverlust der
Mission Diplomatique, der Régie sowie Frankreichs überhaupt verhindern könnte.
Deshalb hielt er daran fest, daß der Schlichterspruch nicht anerkannt werden könne, für
Tariffragen die Commission Economique zuständig sei, und das Tarifvertragsgesetz
keine Anwendung auf die Saargruben finden könne. Für die Zukunft strebte er eine
Änderung des Statuts an, befürchtete aber den Widerstand des Bergbau-, Energie- und
Finanzministers, die keine Kontroll- und Entscheidungsrechte abgeben würden. Ge-
meinsam mit Johannes Hoffmann wollte er über ein neues Statut, den Saargewerk-
schaften Gestaltungsmöglichkeiten bei der Aushandlung der Tarifverträge einräumen.
Zur Entschärfung der angespannten Atmosphäre setzte er auch auf Gesten und dachte
daran, die Commission Gouvernementale franco-sarroise ausschließlich im Saarland
tagen zu lassen.113
Die KP griff sowohl innerhalb der Gewerkschaftsarbeit als auch in der politischen
Auseinandersetzung die Problematik des Tarifvertragsgesetzes auf, wobei sie sie mit
anderen Themen vermischte. So präsentierte sich Alois Körner (KP) anläßlich der
Landtagswahlen 1952 als Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der Saargruben, der
"durch seinen Kampf für ein fortschrittliches Betriebsrätegesetz, für das Tarifvertrags-
recht und zur Beseitigung kolonialer Fesseln der Konventionen das Vertrauen der
Bergleute" erworben habe.114
MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.120, Bl.216-270, insbesondere B1.218 f., 223, 245. Protokoll zur
Sitzung der Comm. Econom. am 4.4.52.
112 Ebd., Bl.260.
113 Ebd., B1.201 f., Grandval an MAE vom 26.3.52.
114 LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.194, KP-Wahlkampfmaterial zu den Landtagswahlen 1952 für den
Wahlkreis I, Saarbrücken Stadt und Land.
367
Die Kontroverse über das Tarifvertragsgesetz stärkte die oppositionellen Kräfte. Ihre
Stärke wurde unübersehbar, als auf der dritten Generalversammlung am 14. Juni 1952
Paul Kutsch mit 255 von 318 Stimmen auch Erster Vorsitzender des I.V. Bergbau
wurde, nachdem er im Frühjahr bereits zum Präsidenten der Einheitsgewerkschaft
gewählt worden war. Nachdem im Februar und März 1952 weder die pro-deutsche
CDU noch die DSP zugelassen worden waren, scheint diese Verbotspolitik die Etablie-
rung der Opposition in der Gewerkschaft zusätzlich erleichtert zu haben. Sprachrohr
der pro-deutschen Opposition wurde nun der Gewerkschaftsführer Paul Kutsch, der
nicht nur aus der Position des Chefs der Einheitsgewerkschaft und des stärksten Indu-
strieverbandes, sondern auch durch sein außergewöhnliches Redetalent und seine
starke Persönlichkeit diese Rolle ausfüllen konnte.115 Seine Wahl wurde als nationales
Signal und als Durchbruch der gewerkschaftlichen Opposition interpretiert.116 An
seinem Erfolg dürften wohl auch die Kommunisten beteiligt gewesen sein, immerhin
stellten sie ein Drittel der Delegierten. Angeblich soll Hanna Ott, Kutschs Sekretärin,
Mitglied der KP gewesen sein. Ein Bericht der Deutschen Presseagentur sah Kutschs
Wahl "unter dem Einfluß kommunistisch orientierter Funktionäre" zu Stande ge-
kommen. Bezeichnend war auch, daß KP-Mann Alois Körner, Erster Vorsitzender des
Gesamtbetriebsrates der Saargruben, und 1949 aus dem I.V. Bergbau ausgeschlossen,
auf der Generalversammlung im Juni 1952 wieder in die Gewerkschaft aufgenommen
wurde.11 ' Vor allem die Ereignisse nach der Wahl zeigen dies deutlich. Auf der Revier-
konferenz des I.V. Bergbau in Sulzbach am 31. August 1952 sowie bei zahlreichen
anderen Veranstaltungen im Herbst 1952 fielen Kommunisten durch ihre Agitation
besonders auf. Die "Neue Zeit" ermahnte Paul Kutsch und Aloys Schmitt, aktiv gegen
die Régie und die Regierung zu kämpfen und nicht nur zu reden. Daß Kutschs Wahl
mit Hilfe der Kommunisten erfolgt war, verdeutlicht auch ein Beitrag im KP-Organ
"Neue Zeit" : "Das Vertrauen zur Einheitsgewerkschaft wird sehr schnell wieder
gefestigt, wenn der Kollege Kutsch das ihm entgegengebrachte Vertrauen nicht miß-
achtet".118 Im Vorfeld des Ausschlusses von Paul Kutsch und Aloys Schmitt und ihren
Vertrauten aus dem I.V.Bergbau entwickelte das Hohe Kommissariat eine größere
Sensibilität gegenüber den oppositionellen Strömungen innerhalb des Industrieverban-
des und vor allem gegenüber kommunistischen Aktivitäten. Nach Einschätzung Grand-
vals versteckten sich Kommunisten hinter Kutsch und Schmitt, zwar sei ihre Anhänger-
schaft in breiten Schichten der Arbeiterschaft eher gering, bei Konferenzen und Kon-
gressen des I.V. Bergbau und der Wahl Kutschs seien sie aber sehr aktiv in Erschei-
115 Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994.
116 Bundesarchiv Koblenz (BA KO), Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (B 137), Nr. 3400,
Vermerk III/l-070-851/52 vom 26.4.52.
DGB-Archiv in der Hans-Böckler-Stiftung Düsseldorf (DGB-Archiv), Bundesvorstand Abt. Organi-
sation 24/5825, Heinrich Wacker an Albin Karl. Ebd. Nr.348, E.Welter an IBFG vom 18.2.53; ebd.,"Die
Entwicklung in der Einheitsgewerkschaft"
118 Neue Zeit vom 7.9.53.
368
nung getreten. Seine Befürchtungen äußern sich eklatant in der Einschätzung, der I.V.
Bergbau sei "anticonstitutionnel et subversif".119
Grandval sah die Einheitsgewerkschaft in zwei Lager gespalten, in die Gruppe um Paul
Kutsch und eine andere um Eduard Weiter. Auch in der Gewerkschaft Öffentliche
Betriebe und Verwaltungen war mit Heinrich Detgen ein alter KP-Mann an der Spitze,
Zweiter Vorsitzender war Heinz Mergel, Parteisekretär der KP und in der FDJ aktiv,
von 7 Vorstandsmitgliedern im I.V. Öffentliche Betriebe waren 4 KP-Leute, u.a. auch
Walter Brückner, der Redakteur der KP-Zeitung "Neue Zeit".120Auch wenn in der Tat
der kommunisüsche Einfluß im I.V. Bergbau und in anderen Industrieverbänden nicht
zu übersehen war, so darf nicht vergessen werden, daß dieser Einfluß schon vorher
bestanden hatte. Während aber Aloys Schmitt nach der Absetzung Oskar Müllers
zunächst verstärkt gegen den kommunistischen Einfluß gearbeitet hatte, akzeptierten
Kutsch und Schmitt andererseits kommunistische Unterstützung zur Festigung ihrer
eigenen Stellung.121 Wahrscheinlich beobachteten die autonomistischen Gewerk-
schaftler um Weiter dies mit besonderer Sorge und bemühten sich gerade gegenüber
deutschen Stellen, diesen Umstand diskreditierend, in dem Sinne, Kutsch sei ein
Werkzeug der Kommunisten, herauszustellen. Entscheidender für die langfristige
Entwicklung wurde aber, daß die oppositionellen Sozialdemokraten um Kurt Conrad
in den Gewerkschaften allmählich Fuß fassen konnten, so wurde Robert Bach im Juni
1952 Zweiter Vorsitzender des I.V. Bergbau und Kurt Conrad mit überwältigender
Mehrheit im Beirat bestätigt.122
Wie massiv sich die nationale Emotionalisierung der Gewerkschaften entwickelt hatte,
zeigte sich im Vorfeld der Landtagswahlen am 30. November 1952. Dabei wuchs der
I.V. Bergbau in die Rolle einer Oppositionspartei bzw. wurde, wie Mallmann formu-
liert, zum Focus der nationalen Opposition.123 Da die Oppositionsparteien DSP, DPS
und CDU nicht zugelassen worden waren, förderte die Regierung Hoffmann selbst
diese Entwicklung. Der "Saar-Bergbau" als Organ des I.V. Bergbau rief am 5. Novem-
ber 1952 seine Leser auf, zur Urne zu gehen und 'weiß zu wählen': "Auch wenn du
glaubst, keiner der registrierten Parteien Deine Stimme geben zu können, so gehe
dennoch zur Wahl und mache Deinen Stimmzettel ungültig".124
119 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl.176-180 und B1.196, Grandval an die französische
Botschaft in Bonn vom 30.12.52.
120 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/348, E. Weiter an IBFG vom 18.2.53.
121
Interview mit Aloys Schmitt in Wiebelskirchen am 27.1.1994
122
Siehe die Ergebnisse bei:S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.l, S.452.
123 Klaus-Michael Mallmann und Horst Steffens, Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an
der Saar, München 1989, S.262.
124 LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.542, Saar-Bergbau vom 28.11.52.
369
Mit der Begründung, gegen die politische Neutralität des I.V. Bergbau verstoßen zu
haben, wurde die Führungsgruppe um Paul Kutsch und Aloys Schmitt am 20. Novem-
ber 1952 mit dem Ausschluß aus dem Verband überrascht.125
Die Politisierung und nationale Emotionalisierung der Gewerkschaften gewann zu-
sätzlich an Dynamik, weil sie auch von außen, von der Bundesrepublik aus, gefördert
wurde.
4. Die Instrumentalisierung der Gewerkschaften von außen
4.1 Die Strategie des Saarreferates im Auswärtigen Amt
'Die Saarfrage wird vom Saarkumpel entschieden'
Die Entwicklung der saarländischen Gewerkschaften wurde von Bonn aus sorgfätig
beobachtet. Der Leiter des Saarreferates im Auswärtigen Amt Dr. Gustav Strohm
bezeichnete es in einem Vermerk vom Juli 1951 als notwendig, die Opposition an der
Saar von links zu forcieren, konkret hieß dies für Strohm, die politische Rolle der
Bergleute für die Entwicklung der Saarfrage zu erkennen. Diese Einschätzung ver-
knüpfte er mit der Erinnerung an den saarländischen Bergarbeiterstreik von 1923:"Der
entscheidende Wendepunkt der Lage an der Saar war der hunderttägige Bergarbeiter-
streik während der Besetzung des Ruhrgebietes, der zum Rücktritt des französischen
Präsidenten der Regierungskommission des Saargebietes Rault und dessen Ersetzung
führte".126 Angesichts der Biographie Strohms war dies nicht verwunderlich, denn er
war mit Saarfragen bereits vor 1935 als stellvertretender Leiter der Saarabteilung im
Auswärtigen Amt befaßt und kannte von daher die saarländischen Verhältnisse. Nach
dem Krieg engagierte er sich beim Deutschen Büro für Friedensfragen in Stuttgart und
leitete dort die Territorialabteilung, der eine Saarabteilung angegliedert war. Im Rah-
men dieser Tätigkeit erstellte er in fünf Bänden die "Materialien zur Saarfrage". Strohm
war "nominell" Mitglied der SPD, bekleidete aber keine Parteifunktionen.127 Nicht
zuletzt wegen seiner SPD-Mitgliedschaft veröffentlichte er unter seinem Namen im
SPD-Pressedienst zahlreiche Stellungnahmen zur Saarpolitik, während sie in den CDU-
125
Ebd., Entlassung und Ausschlußanträge in Kopie. Betroffen waren: Adolf Drawe, Paul Schmidt, Aloys
Schmitt, Paul Kutsch und Kurt Weyrich.
126 PAA Bonn, Bestd. Abteilung 2, Nr.489, Vermerk von Dr. Strohm, Juli 1951, 214-03-30.
127
Zur SPD-Mitgliedschaft: Heinrich Schneider, Das Wunder an der Saar. Ein Erfolg politischer
Gemeinsamkeit, Stuttgart 1974, S.192. Schneiders Andeutung trifft nach Helmut Bergweiler zu, mündliche
Auskunft gegenüber dem Verfasser vom 15.12.1994. Nach Aussage von Bergweiler sei Dr. Strohm durch
Dr. Fritz Eberhard, Leiter des Deutschen Büros für Friedensfragen, dazu veranlaßt worden. Eberhard war
Mitglied der SPD, Herausgeber der "Stuttgarter Rundschau", Staatssekretär bei der Landesregierung
Württemberg-Baden, dann Intendant beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart und Direktor des Instituts
für Publizistik an der FU Berlin. Siehe zur Biographie: Schmidt, Saarpolitik, Bd.2, S.501 f. und:
Schneider, Das Wunder, S.273, 276. Die Friedrich-Ebert-Stiftung konnte hinsichtlich einer
SPD-Mitgliedschaft keine Angaben machen, Schreiben von Frau Dr. Ilse Fischer an den Verfasser vom
1.9.1994.
370
Organen mit Rudolf Vogel, einem Kollegen Strohms gezeichnet waren, der Mitglied
der CDU war und auch im Deutschen Büro für Friedensfragen arbeitete.128
Mit Strohm nahm ein anderer intimer Kenner der gesellschaftlichen und wirtschaftli-
chen Verhältnisse an der Saar, Dr. Fritz Hellwig, schon unmittelbar nach der Entlas-
sung aus dem Kriegsgefangenenlager 1947 Kontakt auf und verfaßte im Auftrag des
Büros für Friedensfragen eine Arbeit über "Die wirtschaftliche Verflechtung des
Saarreviers mit seinen Nachbargebieten".129
Beide arbeiteten intensiv zusammen und hoben auch mit Pfarrer Bungarten und Prinz
Hubertus zu Löwenstein am 12. Juni 1950 in Wiesbaden den Deutschen Saarbund aus
der Taufe.130 Strohm und Hellwig betrieben gemeinsam eine recht umfangreiche
Pressepolitik in Saarfragen.131
Bereits spätestens seit September 1947 sollen Kontakte zwischen Strohm und Richard
Becker, dem späteren DPS-Vorsitzenden, bestanden haben. Auf Anregung des saarlän-
dischen Industriellen Bodo Karcher (Karcher Schrauben werke in Beckingen/Saar und
Waiblingen) soll Richard Becker den Kontakt gesucht haben. Gut ein Jahr später wurde
ein zweimal wöchentlich arbeitender Kurierdienst zwischen Strohm und Becker sowie
Dr. Heinrich Schneider eingerichtet.132 In dieser Phase soll sich Strohm ausgesprochen
vorsichtig verhalten haben, so benutzte er in seinen Aktenvermerken über Besprechun-
gen mit Personen aus dem Saarland besondere Kürzel. Die Kontakte zwischen Frie-
densbüro und Saaroppositionellen wurden über Dritte in der amerikanischen Zone
hergestellt. Bevorzugter Treffpunkt war Karlsruhe.133 *
Im November 1947 entwickelte Strohm ein Saarkonzept, konzipiert als Kompromiß
zwischen Deutschland und Frankreich, wonach das Saarland in das französische Zoll-
und Währungssystem integriert werden, aber ein besonderes deutsches Land im Rah-
men einer deutschen Verfassungsordnung bleiben sollte. Ein entsprechender Vertrag
sollte zwischen den "Regierungen der deutschen Länder" und der "Regierung der
französischen Republik" unterzeichnet werden. Die Ministerpräsidenten der Länder
verfolgten jedoch Strohms Plan nicht weiter. Strohm selbst übermittelte dem französi-
Heribert Piontkowitz, Anfänge westdeutscher Außenpolitik 1946-1949. Das Deutsche Büro für
Friedensfragen, Stuttgart 1978, S.164,
Jacques Freymond, Die Saar 1945-1955. München 1961, S.73.
Ders., S.120. Ebenso auch die Deutsche Saar-Zeitung, so jedenfalls: Schneider, Das Wunder,
S.348. Siehe auch: Johannes Hoffman n, Das Ziel war Europa. Der Weg der Saar 1945-1955, München
1963, S.276-278.
1 Piontkowitz, Anfänge westdeutscher Außenpolitik, S.164.
Ebd., S. 156 und Schmidt, Saarpolitik, Bd.2, S.501, 504.
133
Piontkowitz, Anfänge westdeutscher Außenpolitik, S.156.
371
sehen Außenministerium seine Vorschläge über Pierre Baron d'Huart, Generalkonsul
in Stuttgart, und Jacques Tarbe de Saint Hardouin, politischer Berater von General
Pierre-Marie Koenig.134 Über diese Planungen berichtet die 1978 erschienene Arbeit
von Heribert Piontkowitz über das Deutsche Büro für Friedensfragen, die von der
landesgeschichtlichen Forschung bisher noch nicht rezipiert worden ist.135
Innerhalb des Saarreferates im Auswärtigen Amt hatte man erkannt, daß der I.V.
Bergbau in eine klare Opposition zur Hoffmann-Regierung getreten war, bestärkt sah
man sich durch Beiträge im Verbandsorgan "Saar-Bergbau", in denen behauptet wurde,
der Landtag sei nicht mehr ein Spiegelbild des Volkswillens.136 In einem Vermerk von
Anfang Januar 1952 stellte Strohm fest, daß die Lösung der Saarfrage durch den
Saarkumpel auch heute noch gelte.137 Zwischen Strohm, der in Saarfragen auf Kai-
ser-Kurs lag, und Adenauer kam es hinsichtlich der Saarfrage zu immer stärkeren
Spannungen, die am 20. März 1952 zu seiner Entlassung führten und nach Einschät-
zung Heinrich Schneiders zum "schwarzen Freitag" der Saaropposition wurden.138
Entlassungsgrund war die angeblich unbefugte Weitergabe von Informationen an die
Presse. Nach Auskunft von Helmut Bergweiler, der durch seinen engen Kontakt zu
Richard Becker auch Strohm sehr gut kannte, soll Adenauer aber Strohm zu der ent-
sprechenden Presseverlautbarung selbst veranlaßt haben.139 Das würde bedeuten, daß
Adenauer seinen Mitarbeiter Strohm gezielt "abservieren" wollte. Möglicherweise sah
Adenauer in dem in Saarfragen eher "national" denkenden Strohm eine Belastung für
seine Verhandlungsstrategie, denn zur selben Zeit führte der Kanzler mit dem französi-
schen Außenminister Robert Schuman am 19. / 20. März 1952 Gespräche hinsichtlich
einer "europäischen Saarkonzeption".140
Sein Nachfolger wurde Dr. Rudolf Thierfelder, der ab Frühjahr 1952 das Saarreferat
leitete. Er teüte Strohms Einschätzung, die Saarfrage werde vom Saarkumpel gelöst,141
insbesondere nachdem Paul Kutsch auf der dritten Generalversammlung des I.V.
135 Fehlt z. B. bei: Hans-Walter Herrmann, Literatur zur frühen Nachkriegsgeschichte des Saarlandes
1945-1957, in: Revue d’Allemagne XVIII/1986, S.115 f.
136 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.2, S.501, 504 und Ausschnitt aus Saar-Bergbau vom 23.7.51 und SZ vom
30.7.51
137 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.483, B1.23 f., Vermerk 214-03 11/634/52.
138 S c h n e i d e r, Das Wunder, S.209 f., 334. Schmidt, Saarpolitik, Bd.l, S.535 und Bd.2, S.236.
139
Mündliche Aussage Helmut Bergweilers gegenüber dem Verfasser vom 15.12.1994.
Schmidt, Saaipolitik, Bd.2, S.501 f. Zur weiteren Entwicklung siehe: Bruno T h o ß, Die Lösung der
Saarfrage 1954/55, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 38/1990, S.225-288. Siehe auch: Judith
H ü s e r, Frankreich und die Saarabstimmung vom 23. Oktober 1955. Innen- und außenpolitische
Problemstellungen zur Lösung der Saarfrage, in: Rainer Hudemann und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die
Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.359-379.
141 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.483, Info 681/17.4.52.
372
Bergbau am 14. Juni 1952 zum Ersten Vorsitzenden des Verbandes gewählt worden
war und mit Robert Bach als Stellvertreter und Aloys Schmitt Gegner der Saarautono-
mie die Führungsgremien des wichtigsten Industrieverbandes besetzten.142 Im Gegen-
satz zu seinem Vorgänger, der bei Adenauer angeeckt war, hielt er sich aber deutlich
zurück und folgte den Anweisungen seines Chefs.143
Anknüpfen an ein Massenerlebnis - der Bergarbeiterstreik von 1923
Wie schon erwähnt basierte Strohms Einschätzung von der entscheidenden Rolle der
Bergleute auf seinen Erfahrungen aus der Völkerbunds Verwaltung des Saargebietes.
Mit der Parole "Deutschlands Trauer ist unsere Trauer" hatten alle politischen Parteien
des Saargebietes für den 15. Januar 1923 zum Generalstreik gegen die Ruhrbesetzung
aufgerufen. Daraus war ein Hunderttagestreik mit hunderten von Versammlungen und
Protestkundgebungen geworden, an denen sich mehr als 70.000 Menschen beteiligten.
Die Tarifauseinandersetzung war sekundär, sie wurde lautstark nach außen gestellt, um
nicht den Eindruck eines politischen Streikes offenkundig zu machen. Nach
Klaus-Michael Mallmann und Horst Steffens war der Streik von 1923 eine "nationale
Kraftprobe, bemäntelt als Lohnkampf", bei dem sich die nationale und soziale Frage
miteinander verzahnten. Das erklärt auch nach Gerhard Paul die lange Streikdauer. In
der Wirklichkeitserfahrung der Zeitgenossen war der Streik von 1923, wie Mallmann
und Steffens betonen, ein prägendes Massenerlebnis, oder wie Ludwig Linsmayer
formuliert, ein "Schlüsselerlebnis in der Biografie wohl jedes einzelnen Bergmanns".
In Kreisen des Verbandes deutscher Bergarbeiter (BAV) wurde im Mai 1933 in Er-
innerung an den Streik pathetisch davon gesprochen, daß 1923 die französische Politik
ihre "Marneschlacht" erlebt habe.144 Die von Linsmayer durchgeführte Analyse des
Bergarbeiterstreiks unter der Fragestellung der politischen Kultur zeigt eindrucksvoll
die tiefgreifende Erfahrung bzw. "politisch-kulturelle Prägekraft" dieses Ereignisses.
Der Streik wurde zur "Chiffre" für einen politischen Selbstbehauptungswillen der
Saarländer gegenüber Frankreich. Die von den Gewerkschaften ausgegebene Losung
"Sein oder Nichtsein" entsprach letztlich einer Übertragung eines Modells der Kriegs-
bewältigung auf einen Tarifkonflikt und damit wurde der Streik auch zu einem "poten-
zierten Fahnenstreit".145
142 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl.73, Telegramm Grandval an MAE vom 14.6.52.
143 Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, Saarbrücken 1984, S.254. Siehe auch:
Schneider, Das Wunder, S.342. Thierfelders Schwiegervater war übrigens das DPS-Mitglied Kurt
Buck.
144 Linsmayer, Politische Kultur, S.222. M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.164.
Gerhard Paul, "Deutsche Mutter - heim zu Dir!" Warum es mißlang, Hitler an der Saar zu schlagen. Der
Saarkampf 1933-1935, Köln 1984, S.25, 49-54.
145 L i n s m a y e r, Politische Kultur, S.216-222, 285.
373
Strohms Anknüpfen an den Bergarbeiterstreik von 1923 verdeutlicht sein Konzept, die
Saarfrage "national" zu lösen. Der Streik von 1923 hatte unterschiedliche Partei- und
Klassenstandpunkte verdeckt und durch Ausgrenzungsmuster -wie hier Deutschland
und dort Frankreich- die Fronten verhärtet und nationalisiert. Die politische Bedeutung
des Streiks zeigte sich nicht zuletzt auch in der Solidarisierung der Gesamtbevölkerung
mit den Streikenden.146 Die Befürchtungen der Mission Diplomatique, es könne eine
ähnliche Entwicklung eintreten wie damals, waren also nicht ganz unbegründet, nicht
zuletzt vor dem Hintergrund der Strategen des gesamtdeutschen Ministeriums in
Bonn.147
Bonn plant soziales Profil für die DPS
Strohms "Schlachtplan" führte zunächst dazu, über Heinrich Schneider und Karl
Hillenbrand, der von der CVP zur DPS gewechselt war, die DPS zu veranlassen, sich
neuen Wählerschichten, und dabei insbesondere auch Arbeitern, zu öffnen. Diese
Richtung wurde innerhalb der DPS dann auch von Heinrich Schneider forciert. Er gab
als Maxime aus, vor allem oppositionell gesinnte Sozialdemokraten aus der SPS zu
gewinnen, wobei dies mit Verlusten im bürgerlichen Lager zu vereinbaren sei.148 Hier
deutet sich an, daß die bisherige Einschätzung in der Forschung, die DPS habe mit
ihrem sozialeren Profil vor allem auf die CVP gezielt, in dieser Zuspitzung nicht mehr
aufrecht erhalten werden kann.149 Die DPS bemühte sich auch um die oppositionellen
Sozialdemokraten. Sie scheint versucht zu haben, das gesamte nationale bzw. pro-
deutsche Potential für sich zu mobilisieren und als Sammelbecken aufzufangen, denn
vor dem Hintergrund der Sozialstruktur des Landes war eine stärkere Arbeitnehmer-
Orientierung für einen politischen Erfolg unumgänglich.
Die DPS war bisher aber als Mittelstandspartei aufgetreten, die vor allem auch um die
politische Gunst des Handwerks und der Selbständigen geworben hatte.150 Die neue
Strategie, politisch relevante Gruppen im katholisch dominierten Saarland wie Hütten-
arbeiter und Bergleute anzusprechen, zeigte sich im Frühjahr 1951 anläßlich der
Verabschiedung des neuen Sozialprogramms, in dem die DPS die Versöhnung von
Unternehmern und Arbeiterschaft anstrebte. Die Parole "christlich, sozial, deutsch"
versuchte daneben der starken Verankerung der katholischen Konfession Rechnung zu
tragen und den Bischof von Trier zu gewinnen. Dies wurde auch von Grandval be-
Joachim Heinz, Arbeiter und Arbeiterbewegung an der Saar 1933-1935, Magisterarbeit Universität
Saarbrücken 1988, S.219, 225.
147 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, B1.62, Cons. Econ. an MAE vom 7.4.52.
148 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.64, Bl.253, Vermerk vom 1.2.51 zu einem Süretebericht.
149
Frank Dingel, Die Demokratische Partei Saar, in: Richard Stöss (Hrsg.), Parteienhandbuch. Die
Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Bd.l, Opladen 1983, S.772.
150 B e c k e r, Die politischen Parteien, S.274.
374
fürchtet.151 Zugleich erinnert sie an die Forderungen und Wahlslogans der christlichen
Gewerkschaften und des Zentrums während der Völkerbundszeit, hieß doch damals die
Devise des Zentrums "christlich und deutsch, sozial und demokratisch". Der
DPS-Vorsitzende Richard Becker war vor 1935 Führer des saarländischen Zentrums
und auch der christliche Gewerkschaftler Karl Hillenbrand saß für das Zentrum im
Reichstag.152 Durch die personelle Kontinuität bzw. die engagierte Mitarbeit früherer
Zentrumsmänner sollte möglicherlicherweise das Wohlwollen der Katholischen Kirche
gewonnen werden. Becker und Hillenbrand gaben der DPS in Zusammenarbeit mit
Heinrich Schneider ein soziales Profil und setzten dabei auch auf unzufriedene
CVP-Wähler und christliche Gewerkschaftler, indem sie vor allem alte Zentrum-
sparolen übernahmen. Dies spricht für die These, Richard Becker habe in der DPS ein
Zwischenstadium auf dem Weg zur CDU-Saar gesehen. Nicht zuletzt spielte Richard
Beckers Vertrauter und Sekretär Helmut Bergweiler bei der Gründung der CDU-Saar
eine führende Rolle.153 Auch nach der Rückgliederung des Saarlandes demonstrierte sie
ihr soziales Profil im Engagement für die Erhaltung des sozialen Besitzstandes. Inso-
fern ist aber die Charakterisierung der DPS durch Dingel als naüonalkonservative
Partei zu relativieren.154 Bezeichnend ist auch, daß sich nach dem Referendum die
SPD-Saar deutlich von der DPS Heinrich Schneiders abzugrenzen versuchte.155
In seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt trat Schneider ab 1951 in intensiveren Kontakt zu
führenden Gewerkschaftlern, insbesondere zu Paul Kutsch156, vertrat dann auch Ge-
werkschaften und oppositionelle Sozialdemokraten wie z.B. Rudolf Recktenwald und
nahm an Gesprächen oppositioneller Gewerkschaftler und Sozialdemokraten im Hause
des Postgewerkschaftlers Hans John, seit Januar 1953 Mitglied der verbotenen DSP,
teil.157
Das Saarreferat des Auswärtigen Amtes und das Kaiser-Ministerium setzten im ersten
Halbjahr 1951 vor allem auf die DPS, um die Hoffmann-Regierung zu destabilisieren.
Dies zeigt sich auch darin, daß bundesdeutsche Politprominenz wie Franz-Josef
131 Ebd, S.275.
152 Maria Z e n n e r, Politik und Parteien im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1930-1935,
Saarbrücken 1966, S.164, 168.
153 Zu Bergweiler und Becker, siehe: Schmidt, Saarpolitik, Bd.2, S.502 f.
154 D i n g e 1, Die Demokratische Partei Saar, S.778.
155 Ernst Kunkel, Dokumente und Erinnerungen zur Geschichte der SPS 1935-1956, Dudweiler 1980,
S.192.
156 Interview mit Paul und Walburga Schmidt am 24.5.1994.
157 Interview mit Hilde John am 2.6.1994 und mit Rudolf Recktenwald am 13.3.1993.
375
Strauß158 auf einer DPS-Veranstaltung sprechen wollte und das gesamtdeutsche Mini-
sterium der DPS finanzielle Unterstützung zuteil werden ließ. Vizekanzler Franz
Blücher (F.D.P.) empfahl gleichzeitig der rheinland-pfälzischen F.D.P, die Kontakte
zur DPS zu intensivieren.159 Strohms Anspruch, auf Personen und Politik der DPS von
Bonn aus einzuwirken, ging sogar soweit, daß er im Juli/August 1951 versuchte,
Heinrich Welsch für den Vorsitz der DPS zu gewinnen. Warum er sich für ihn ent-
schied, läßt sich aus den Akten nicht erkennen.160 Welsch war aber eine Persönlichkeit,
die über alle Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen genoß.
Instrumentalisierung der Mitbestimmungsfrage
Im Kontext, die gewerkschaftliche Opposition von außen in ihrer Opposition zu
verstärken, steht ab Januar 1951 auch die Instrumentalisierung der Mitbestimmungs-
frage. Auch dies ergab sich aus den Erfahrungen von 1923, denn eine Ursache des
Bergarbeiterstreiks hatte in der Blockadepolitik der französischen Grubenverwaltung
hinsichtlich der Übernahme von arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Errungen-
schaften der Weimarer Republik wie z.B. des Betriebsverfassungsgesetzes gelegen.161
Iniüator dieser Aktion war wiederum der Leiter des Saarreferates Strohm, der Karl
Hillenbrand aufforderte, für die christlichen Gewerkschaften energisch die Einführung
eines weitgehenden Mitbesümmungsgesetzes im Saarland aufzugreifen. Dabei solle ihn
die DPS unterstützen. Zugleich sollte sie in der öffentlichen Meinung arbeitnehmer-
freundlicher erscheinen, indem sie die deutsche Mitbestimmung auch für die Saar-
gruben reklamieren und damit auch den "Spaltpilz in die Einheitsgewerkschaft setzen
sollte":"Falls wie anzunehmen ist, in der Kohlen- und Eisenindustrie des Bundes-
gebietes das Mitbestimmungsrecht in der Weise gesetzlich geregelt wird, daß in den
Aufsichtsräten dieser Werke die Belegschaft und die Gewerkschaften maßgeblich
beteiligt werden, sollen m.E. diese Regelungen unabhängig davon, was man sonst
dafür und dagegen sagen kann auch im Saargebiet energisch aufgegriffen werden
Ich dachte, daß Herr Hillenbrand bald mit der Forderung eines saarländischen Gesetzes
über die Mitbestimmung nach unserem Muster auftreten sollte, und zwar ehe die
Einheitsgewerkschaft auf diesen an sich naheliegenden Gedanken kommt. Dabei
158
F.- J.Strauß war im Sommer 1951 in Saarfragen außerordentlich aktiv und setzte sich für die DPS ein,
hier ist insbesondere an die zwei von ihm und anderen Abgeordneten der Koalition unterstützten
Interpellationen Nr.2115 vom 5.4. und Nr. 2298 vom 4.6.1951 zu denken, siehe: Schneider, Das
Wunder, S.307.
[59
Becker, Die politischen Parteien, S.274 f. Die DPS lehnte die Fremdfinanzierung ab, weil sie dem
Eindruck entgegenwirken wollte, unter äußerem Einfluß zu stehen.
160 BA KO, B 137, Nr.3410, Vermerk III - 1/1188/51- AZ-70. Darin heißt es, Welsch sei ein "geeigneter
Mann” für den DPS-Vorsitz. Vermerk III-1/936/51-/AZ- 70. Treffen Strohm mit Welsch in Stuttgart
betreffend die Reaktion von Welsch auf das Angebot von Strohm, den DPS-Vorsitz zu
übernehmen:"Direktor Welsch schien an dieser Frage sichtlich interessiert, ohne sich dazu endgültig zu
äußern. Dr. Strohm hatte jedoch den Eindruck, daß er innerlich dazu gar nicht abgeneigt sei."
Linsmayer, Politische Kultur, S.217.
376
sollten die christlichen Gewerkschaften von der DPS entschieden unterstützt werden.
Das würde dem albernen Geschrei, die DPS sei eine Unternehmerpartei am besten den
Boden entziehen. (...) Mit diesem Programm würde m.E. Herr Hillenbrand auch den
Spaltpilz in die Einheitsgewerkschaft setzen und zur Stärkung der Opposition innerhalb
der SPS beitragen".162
Die Mitbestimmungsfrage sollte nach der Strategie Strohms nationale Denkmuster bei
den saarländischen Arbeitnehmern aktivieren und der französische Wirtschaftspartner
in die Rolle des Gegners manövriert werden:" Bei den überfremdeten Hüttenwerken
und von den Gruben gar nicht zu reden wäre es immer noch besser, wenn in den
Aufsichtsräten die saarländischen Arbeitnehmer und Gewerkschaftler mit den deut-
schen Minderheitsbeteiligten die französische Majorität aus dem Sattel heben könnten,
als wenn die Mehrheit im Aufsichtsrat allein bei den Franzosen liegt."163 In diese
Strategie wurde die DPS mit ihrem Vorsitzenden Richard Becker eingebunden, über
dessen Bruder, den Frankfurter Unternehmer Arnold Becker,164 Briefe zwischen Bonn
und Saarbrücken ausgetauscht wurden. Kurze Zeit später trat Karl Hillenbrand aus der
CVP aus, sprach auf DPS-Veranstaltungen und wurde dann auch Parteimitglied.165 Im
"Saar-Bergbau" vom 21. Mai 1951 wurde propagiert, die DPS sei die einzige Partei,
die politisch für das volle Mitbestimmungsrecht eintrete.166 Gleichzeitig wollte Dr.
Strohm durch diese Strategie die Opposition innerhalb der SPS gegen die Saarpolitik
stärken.167
Den SPS-Mitgliedern wie der saarländischen Öffentlichkeit sollte vorgeführt werden,
daß sozialpolitische Fortschritte im Bereich der Mitbestimmung und der Tarifvertrags-
politik durch die Wirtschaftsunion mit Frankreich behindert werden würden.168 Dabei
kalkulierten die Verantwortlichen im Auswärtigen Amt, daß angesichts der Wirt-
schaftsunion mit Frankreich die Mitbestimmungsfrage zu erheblichen Spannungen
zwischen Gewerkschaften und Franzosen führen würde, insbesondere wegen der
1 2 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.480, BI.70 f., Dr. Strohm an Richard Becker, über Arnold Becker,
Frankfurt,vom 31.1.51. Die Verwendung des Begriffs "Saargebiet" entsprach der Haltung, dem autonomen
Saarland seine Qualität als Land zu verweigern, siehe: Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland
1945-1955, Saarbrücken 1984, S.13, Anm.l.
163 Ebd,
164 Richard Becker war Geschäftsführer und Teilhaber der Vereinigten Gesellschaften Arnold Becker
G.m.b.H, siehe: Becker, Die politischen Parteien, S.274.
165 Ebd., Bl.132, Vermerk vom 26.2.51, III/l-/223/51AZ.Nr.70.
166 Saar-Bergbau vom 21.5.51. Kritik dazu: Volksstimme vom 25.5.51.
167 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.480, B1.70f.
168 Ebd., B1.282, Briefdienst dpa-Inland:"Wenn die Sozialdemokraten ihre innenpolitische Opposition
gegen Hoffmann ernst meinen, werden sie gerade beim Versuch, ihre sozialpolitischen Forderungen
durchzusetzen, sehr bald zu den Problemen vorstoßen, die in Saarbrücken als außenpolitisch bezeichnet
werden.”
377
komplizierten Rechtsverhältnisse der Saargruben und der unter Sequester stehenden
Hütten mit den saarländischen Minderheitsbeteiligungen.169
Diese Vorgänge beweisen, daß Sebastian Glöbel vor dem Untersuchungsausschuß des
Saarländischen Landtages, der nach dem Verbot des I.V. Bergbau eingerichtet worden
war, die Wahrheit gesagt hatte, als er von Treffen mit Strohm und Thierfelder in Bonn
berichtete, bei denen Paul Kutsch die Direktive erhalten habe, "die Ohnmacht und
Unfähigkeit der Saarregierung zu demonstrieren, alle Fälle, jede Gelegenheit auf-
zugreifen, aufzubauschen" - wie z.B. auch das Betriebsrätegesetz.170
Auch im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die zukünftige Regelung der
unter Sequester stehenden Röchling’ sehen Eisen und Stahlwerke in Völklingen läßt
sich eine Instrumentalisierung der Mitbestimmungsfrage erkennen. So wandte sich
Manfred Wagner vomDGB-Saar zu einer Zeit, als die Rückgabe des Unternehmens an
die Familie Röchling eher unwahrscheinlich erschien, an die Bundesregierung:"Die
Gewerkschaften hätten von der Firma Röchling erfahren, daß diese das deutsche
Mitbestimmungsrecht in ihrem Unternehmen einzuführen gedächten. Wie stehe die
Bundesregierung zu der Einführung der Mitbestimmung bei Röchling, wenn die
Familie Röchling von ihr nicht mehr als Eigentümer angesehen sei".171 Hier deutet sich
an, daß die Familie Röchling das im Montanbereich sehr fortschrittliche Mitbestim-
mungsrecht instrumentalisierte, um den DGB-Saar als Bündnispartner für die Wahrung
ihrer Eigentumsinteressen zu gewinnen.
Insgesamt zeigt sich, daß zwischen der Bonner Strategie und der Konzeption der
saarländischen Kommunisten gewisse Parallelen zu beobachten sind. Auch sie setzten
auf die Instrumentalisierung der Betriebsräte und der Mitbestimmungfrage wie auch
der Gewerkschaften.172 Die Lösung der Saarfrage sollte über eine Politisierung und
nationale Emotionalisierung der Gewerkschaften erfolgen. Aktionseinheiten zwischen
kommunistischen Gewerkschaftlern und anderen oppositionellen Gruppen sowie
bisher eher unpolitischen Arbeitnehmern sollten gebildet werden. Hier waren für die
KP-Saar insbesondere auch unzufriedene, pro-deutsche christliche Gewerkschaftler
eine Zielgruppe. Das Sekretariat der KP-Landesleitung wies alle Funktionäre an, "mit
ihnen zu sprechen und das während des Streiks und zahlreicher betrieblicher Aktionen
hergestellte gute Verhältnis zu festigen, um sie in die Aktionseinheit einzubeziehen und
ihnen eine klare Orientierung zu geben. Das gleiche gilt für die unorganisierten Kolle-
169 Ebd., Nr.483, Bi.224, Vermerk vom 9.7.54. Siehe auch Flugblätter des I.V. Bergbau, in: LA SB, PVD,
Nr.2120.
170 LT SB, DS Abt.II, Nr. 147 vom 20.10.53, S.4.
171 PAA Bonn, Bestd. B 17, Referat 219, Nr.90, B1.12,Vermerk II A 6-1947/56
172 MAE Paris, Z-Europe, Sous S. Sarre, Doss.47, Bl.212-218, Régie Pr. Renard vom 28,2,49 an Busin de
Roziers, MAE.
37S
gen, die einen guten Kampfwillen bewiesen haben, aber noch kein Vertrauen zu den
Gewerkschaften gewonnen und deren Rolle im Kampf der Arbeiter noch nicht erkannt
haben".173
Diese Hintergründe zeigen, daß zur Hoffmann-Zeit die Mitbestimmungsfrage sehr
wohl von Bedeutung gewesen ist. Die Untersuchungen von Kotthoff und Ochs können
den Eindruck erwecken, als ob die Mitbestimmung im Saarland vor 1955 keine große
Rolle gespielt habe.174 Ein solcher Befund mag unter rein gewerkschafts- und sozial-
politischer Perspektive gerechtfertigt sein, wird jedoch dem Sachverhalt in seiner
Gesamtheit nicht gerecht, weil die saarpolitische Bedeutung völlig unberücksichtigt
bleibt. Die Mitbestimmungsfrage wurde saarpolitisch instrumentalisiert. Sie sollte
Unruhe in den Betrieben und Gewerkschaften stiften, die Zwänge und Nachteile der
Wirtschaftsunion mit Frankreich aber auch den sozialpolitischen Fortschritt der Bun-
desrepublik demonstrieren und damit den gesellschaftlichen Gegensatz zwischen
saarländischen Arbeitnehmern und französischen Unternehmern, insbesondere der
Règie, national überlagern, also an Denkmuster der Völkerbundszeit anknüpfen.
4.2 Phantom oder Fakt: Die Zusammenarbeit in der Saarfrage zwischen KPD/SED und
westdeutschen Industriellen und die Neubewertung des Remer-Telegramms
Zur selben Zeit entwickelten auch die SED und die KPD-Zentrale für die politische
Entwicklung an der Saar besonderes Interesse. Auch sie setzten dabei auf eine gezielte
Instrumentalisierung der Mitbestimmungsfrage. Bemerkenswert und bisher noch nie
angesprochen sind dabei die erkennbaren Bündniskonstellationen, die sich aus einem
Schriftwechsel von SED und KPD ergeben, der Grandval vom Präfekten des elsässi-
schen Départements Haut-Rhin Bernys im Juli 1951 zugeleitet wurde.175
Auch wenn die Vorgänge Verwunderung hervorrufen mögen, so ist an der Quellen-
echtheit kein Zweifel anzumelden.
Aktionseinheit mit westdeutschen Industriellen und der extremen Rechten
Das Interesse der deutschen Industrie an dem Schicksal des Saarlandes war unmittelbar
nach Kriegsende ziemlich gering, weil man auf die eigenen Nöte fixiert war. Sowohl
Strohm als auch Hellwig versuchten von Anfang an bei ihrem saarpolitischen Engage-
ment, die Wirtschaft zu berücksichtigen. Nach den auf breiter Quellenbasis abgesicher-
3 Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPM), Berlin,
Nachlaß Friedrich Bäsel/NL Basel 190, Nr.20, Bl.75 f., Politische Schwerpunktfragen des Sekretariats der
Landesleitung zum Kampf gegen die Durchführung der Pariser Verträge.
174 Hermann Kotthoff und Peter Ochs, Mitbestimmung an der Saar, Köln 1988, S.30, 43, 46, 51.
175 MAE Nantes, HCS, Cab. Polit, Doss.70, B1.149 f„ Schreiben von Grandval an Herrn Bernys, Préfet von
Haut-Rhin vom 17.7.51 :"J’ai bien reçu les documents concernant des activités communistes que vous avez
bien voulu me transmettre le 12 juillet
379
ten Untersuchungen von Piontkowitz standen Hellwig und Strohm mit Hermann und
Paul Reusch, dem Vorstands Vorsitzenden und dem Generaldirektor der Gutehoff-
nungshütte, in Saarfragen in Kontakt, ebenso zum Direktor des Stuttgarter Röchling
Büros und zu Otto Sarrazin, bis 1945 Generaldirektor der Westfälisch-Anhaltinischen
Sprengstoff AG - Chemische Fabriken (Berlin), der Vorsitzender des Familienrates der
Röchling' sehen Familiengemeinschaft war. Das Deutsche Büro für Friedensfragen
wollte zudem die Verbindungen der Saar Wirtschaft zum südwestdeutschen Wirtschafts-
raum ermitteln und startete deshalb im Herbst 1947 eine Umfrage bei Unternehmern in
der Bizone, die jedoch nur auf geringe Resonanz stieß, weil nach Einschätzung von
Bodo Karcher die Unternehmen Nachteile befürchteten.176
Wie auch Jacques Freymond betont, versuchten Strohm und Hellwig in Industrie-
kreisen, um Interesse für die Saarfrage zu werben. In diesem Zusammenhang spielte
wohl auch der Röchling-Clan eine wichtige, wenn auch bis jetzt nur schwer verifizier-
bare Rolle. Am 5. November 1949 fand in Heidelberg mit Röchling-Anwait Otto
Kranzbühler, Schwiegersohn Dr. Hans-Lothar Freiherr von Gemmingen-Hornberg,
Max Röchling, Theo Kordt, Otto Sarrazin, Fritz Hellwig und Gustav Strohm eine
Unterredung statt, die wie Freymond berichtet, das Ziel hatte, die Aufmerksamkeit der
Bundesregierung hinsichtlich der Saarfrage zu sensibilisieren.177
Ihre Bemühungen, die deutsche Industrie saarpolitisch zu aktivieren und auch zu
finanziellen Unterstützungen zu veranlassen, trugen ab Frühjahr 1949 Früchte.178
Strohm erhielt die Unterstützung der Industrie für die Veröffentlichung einer Denk-
schrift der Division Research for Europe des State Departments, auf die ihn sein
Kollege im Büro für Friedensfragen Dr. Karl Mommer aufmerksam machte, die dieser
anläßlich eines Studienaufenthaltes in den USA entdeckt hatte. In ihr wurde gefordert,
die Saar solle eine Brücke zwischen Deutschland und Frankreich und nicht länger ein
ständiger Unruheherd sein. Strohm übersetzte diese Denkschrift ins Deutsche und
Piontkowitz Anfänge westdeutscher Außenpolitik, S.157-159. Zu Otto Sarrazin, siehe:
Hans-Lothar Freiherr von Gemmingen-Hornberg, Dr. med Christian Röchling (1772-1855) und
Charlotte geb. Wagner (1793-1870). Ahnen und Nachkommen, Heidelberg 1973, S.102.
177 Freymond, Die Saar, S.78. Freymond nennt einen Neffen Hermann Röchlings namens Wilfried
Sarrazin. Es handelt sich hierbei wohl um ein Erratum. Einen Wilfried Sarrazin in der Familie Röchling hat
es nicht gegeben, es muß sich um Otto Sarrazin handeln, der mit Herta Röchling verheiratet war, siehe
dazu: von Gemmingen-Hornberg, Dr. med Christian Röchling, S.102. Zu den weiteren Teilneh-
mern: Max Röchling war geschäftsführender Teilhaber der Firma Gebr. Röchling Mannheim und der Gebr.
Röchling Bank Saarbrücken und ein Sohn von Carl Röchling, siehe: Ebd., S.101. Theo Kordt war Bot-
schaftsrat a.D., seit November 1947 Mitarbeiter des Deutschen Büros für Friedensfragen und seit Dezember
1948 Leiter des Sonderreferates F in der Landeskanzlei Düsseldorf, siehe dazu: Piontkowitz, Anfänge
westdeutscher Außenpolitik, S.287.
178 F r e y m o n d, Die Saar, S.102.
380
verfaßte auch das Vorwort, für das offiziell der nordrhein-westfälische Ministerprä-
sident Karl Arnold (CDU) verantwortlich zeichnete, da die Schrift von der Regierung
des Landes Nordrhein-Westfalen herausgegeben wurde. Finanziert wurde die Schrift
von deutschen Unternehmern, insbesondere der Eisen- und Stahlindustrie. Strohm
wurde dabei tatkräftig von Otto Sarrazin und von Theo Kordt als Leiter des Sonderra-
tes F in der Landeskanzlei Düsseldorf, unterstützt.179
Auch andere Kreise suchten in der Saarfrage den Kontakt zur Industrie und zu politisch
rechts stehenden Kräften aufzubauen.
Die SED und die KPD sondierten die Möglichkeit eines Kooperierens in der Saarfrage
mit westdeutschen Industriellen. Dabei scheuten sie sich nicht, auch die politische
Rechte in der Bundesrepublik, nämlich die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei
(SRP) und auch die Deutsche Partei (DP) sowie ihr nahestehende Persönlichkeiten,
anzusprechen. Die Initiative zu dieser Strategie kam aus Ost-Berlin, hier war in der
Westabteilung der SED Ulrich Kloock mit Saarfragen beauftragt.180 Das Zentralsekreta-
riat der SED hatte der KPD vorgeworfen, sich der nationalen Dimension der Saarfrage
bisher nicht hinreichend bewußt gewesen zu sein.181 Am 30. Mai 1951 wandte sich
Kloock, der möglicherweise auch die Rolle eines Instrukteurs spielte,182 an das Sekreta-
riat des Parteivorstandes der KPD in Düsseldorf mit dem Plan, eine "Aktionseinheit mit
den westdeutschen Industriellen herzustellen, die unmittelbare Interessen im Saarland
selbst haben. Dabei ist Wert darauf zu legen, daß diese Kreise zugleich gegen eine
Verwirklichung des Schumanplanes eingenommen werden".183 Im Rahmen dieser
Aktion müsse die Aktivität der Gewerkschaften und Betriebsräte im Saarland zur
Verwirklichung des Mitbestimmungsrechts in den Saargruben intensiviert und die
Entfernung der französischen Beamten gefordert werden. Zur Realisierung der Ak-
tionseinheit versuchte Ulrich Kloock, die materielle Unterstützung durch westdeutsche
Eisen- und Stahlindustrielle für einen Unterstützungsfond westdeutscher nationaler
Kreise und ostdeutscher Stellen zu gewinnen, um die DPS und die KP-Saar gemeinsam
zu unterstützen. Das ZK der SED, der Rat der Nationalen Front und der Kulturbund zur
demokratischen Erneuerung Deutschlands sagten ihre finanzielle Hilfe zu. Für die DPS
Piontkowitz, Anfänge westdeutscher Außenpolitik, S.164 f., mißverständlich und falsch
dargestellt bei: Schmidt, Saarpolitik, Bd.2, S.502 f.,
180 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.107, B1.81 f., Vermerk vom 6.6.51. Ulrich Kloock war bis
1949/50 Student an der Humboldt-Universität im sowjetischen Sektor Berlins, Freischüler/Stipendiat des
Kulturbundes, absolvierte dann einen dreimonatigen Kurs an der Schule der FDJ in Bogensee, war dann
SED-Funktionär und in der Westabteilung des ZK tätig.
181 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.70, B1.144, Ulrich Kloock an Sekretariat des Parteivorstandes vom
20.6.51.
182 Dazu allgemein: Georg F ü 1 b e r t h, KPD und DKP 1945-1990, Heilbronn ‘1992, S.85.
183 MAE Nantes, HCS, Cab. Polit., Doss.70, B1.142, Ulrich Kloock an das Sekretariat des Parteivorstandes
der KPD Düsseldorf vom 30.5.51.
381
war an eine Spende zwischen 10.000 und 20.000 DM gedacht. Am 17. Juni 1951
berichtete er der KPD:"Die Resonanz der westdeutschen Industrie auf eine geplante
Unterstützung freiheitlicher Tendenzen im Saarland erscheint recht günstig".
Dabei berief sich Kloock auf zwei Repräsentanten der westdeutschen Eisen- und
Stahlindustrie, auf den damaligen Chef der Ilseder Hütte in Peine, Dr. Wolfgang
Bode,184 der nach Kloocks Einschätzung Einfluß in der Deutschen Partei hatte, und Dr.
Franz Grabowski. Bode soll sich bemüht haben, die finanziellen Rücklagen der deut-
schen Industrieverbände anzuzapfen, und wurde in dieser Frage von zahlreichen
Vertretern der deutschen Schwerindustrie unterstützt.185 Ein weiterer Gesprächspartner
war der Direktor der Metallwerke Buderus im hessischen Wetzlar, Dr. Franz Gra-
bowski, der schon einmal der KPD eine Spende übermittelt haben soll.186 Kloock
berichtete über Grabowskis Bereitschaft, Saaraktionen finanziell zu för-
184
Dr. Wolfgang Bode war bereits vor 1933 Syndikus und Direktor der Ilseder Hütte, gehörte der
Bekennenden Kirche an, wurde im März 1942 ins KZ Liebenau und dann nach Buchenwald gebracht, weil
er auf einer öffentlichen Veranstaltung Hans Kerrl kritisiert hatte, siehe: Niedersächsisches
Hauptstaatsarchiv Hannover, Bstd. NdS 171/ Hildesheim H-VE/PE2247. Nach 1945 gehörte er dem
Frankfurter Wirtschaftsrat an und war Mitglied der Deutschen Partei. In den Akten der Deutschen Partei ist
noch nicht einmal ansatzweise zu erkennen, daß Bode konspirativ tätig gewesen sein könnte. Er scheint im
Kreise der DP ausgesprochen gemäßigt gewesen zu sein. Siehe ebd.,VVP 7, Nr.474. Dr. Bode kannte Dr.
Fritz Hellwig, siehe ebd., VVP 40, Nr.10, Vermerk vom 26.9.51.
185 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Dass.70, Bl.145. Betrifft Tätigkeit der SED-KPD in Sachen Saar, als
Anlage zu ebd., Bl.144, Ulrich Kloock an Sekretariat des Partei Vorstandes der KPD vom 28.6.51..
186 Ebd., B1.146:"Desweiteren hatte ich Besprechungen mit Direktor Grabowski von den Buderus' sehen
Eisenwerken in Wetzlar, der bereits vor etwa einem Jahr durch eine einmalige Spende an die KPD (vgl. den
damals übersandten diesbezüglichen Schriftwechsel zwischen Oskar Müller und Walter Fisch) sich mit
kommunistischen Kreisen bekannt gemacht hatte". Anm. des Verfassers: Es handelt sich bei Oskar Müller
nicht um den ehemaligen Chef des I.V. Bergbau, sondern um einen hessischen KP-Mann. Dr. Franz
Grabowski war geborener Oberschlesier und hielt sich bei Kriegsende im sächsischen Neumark auf. Dort
wirkte er im November 1945 an der Gründung der Ortsgruppe Neumark der CDU mit, gehörte als
Beiratsmitglied dem engeren Vorstand an und war "Delegierter für wirtschaftspolitische Fragen". Er
gründete in Neumark die Ferrum GmbH, nachdem die Betriebsstätten der Ferrum AG unter polnische
Verwaltung gekommen waren. Dies ergibt sich aus: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHstA),
Abt520 We NB 811777. Zu seinem weiteren Lebensweg: Franz Grabowski. Zwei Jahrzehnte Arbeit für die
Buderus'schen Eisenwerke Wetzlar. 2.8. 1946 - 12.7.57. Eine Dokumentation, zusammengestellt von Paul
Engfer, Wetzlar 1967, S.5, 8, 10, 16, 53. Im Juni/Juli 1946 wurde er in den Vorstand von Buderus nach
Wetzlar berufen, vom 2.8.46 bis zum 12.7.67 war er Vorsitzender des Vorstandes der Buderus'schen
Eisenwerke. Im Kreis Wetzlar wirkte er als Gründer und Förderer der schlesischen Landsmannschaft.
Unternehmenspolitisch bemühte er sich um die Verbreiterung der Produktionsbasis, forcierte die
Übernahme des Röchling'schen Aktienbesitzes. Inwieweit der Kontakt Ulrich Kloocks zu Franz Grabowski
in den Kontext einer Zusammenarbeit zwischen KPD und CDU in Hessen einzuordnen ist, bleibt rätselhaft.
1948 gab es auf lokaler Ebene, z.B. im Kreis Groß-Gerau solche Kontakte, z.B. gemeinsame Wahl von
CDU-Bürgermeistem, aber gegen den Willen des KPD-Kreissekretariats, siehe auch bei: Ulrich H a u t h,
Die Politik von KPD und SED gegenüber der westdeutschen Sozialdemokratie (1945-1948), Frankfurt
a.M.1978, S.188.
382
dern:"Grabowski sicherte zu, daß er eine direkte Aktion der westdeutschen Industrie
unterstützen werde, darüber hinaus jedoch bereit sei, eventuelle Aktionen der KPD
oder KP-Saar in dieser Angelegenheit zu fördern."187
Daß die DP als rechte und die SRP als rechtsradikale Partei Ansprechpartner für
KPD/SED waren, erklärt sich aus ihrer kritisch bis ablehnenden Position zum Schu-
manplan.188 Im übrigen gab es auch in anderen Fragen Kontakte zwischen SED und
SRP wie auch zu anderen rechtsradikalen Parteien, die von Ost-Berlin aus finanziell
gefördert wurden.189
Die SED legte Wert darauf, nach außen nicht als Geldgeber aufzutreten, die westdeut-
sche Industrie sollte deshalb die Verteilung der Gelder übernehmen. Es ist nicht nur
möglich, sondern wahrscheinlich, daß zumindest Dr. Franz Grabowski Kontakte zur
Familie Röchling oder ihren Vertrauten pflegte. Bode und Grabowski leiteten beide
Stahlunternehmen, Grabowski dazu ein Unternehmen mit Röchling-Aktienbesitz.
In diesem Kontext ist hinsichtlich der Kontakte der Kommunisten zu Grabowski darauf
hinzuweisen, daß zu dieser Zeit die Buderus'schen Eisenwerke bemüht waren, die
Sozialisierung ihrer hessischen Werke zu verhindern, an denen auch die Familie
Röchling Aktienanteile hielt.190 Ungefähr zur selben Zeit scheinen auch die Franzosen
versucht zu haben, Röchlingbesitz außerhalb der französischen Zone zu beanspruchen,
wie entsprechende Schreiben der Treuhänder des Röchling'schen Familienbesitzes wie
auch von Hermann Röchlings Schwiegersohn Dr. jur Hans-Lothar Freiherr von Gem-
mingen-Hornberg an Bonner Ministerien verdeutlichen.191 Bereits einige Wochen
vorher hatte Strohm in einem Vermerk behauptet, die Franzosen strebten in Kontinuität
zum Versailler Vertrag eine "Entdeutschung" des unter Sequester stehenden Röchling-
Werkes in Völklingen an, wobei Strohms Urteil in dieser Frage auf Fritz Hellwig
zurückgehen dürfte.192
187 MAE Nantes, HCS, Cab. Poiit., Doss.70, Bl. 145, Betrifft Tätigkeit SED-KPD in Sachen Saar.
188 NHA Hannover, VVP 7, Nr.401, Rede von Dr. Hans Mühlenfeld, Vorsitz, der DP-Bundestagsfraktion
auf dem Goslarer Parteitag am 18.10.52:"Die Europäisierung a la Schuman ist für meine Freunde keine
Lösung, sondern die sehr fadenscheinige Sanktionierung eines Unrechtsaktes (..,). Siehe auch: Ebd.,
Nr.380, Neuer Vorwärts v. 6.4.51. Für die SRP waren KPD und SED Bündnispartner. Basis war hier der
gemeinsame Antiamerikanismus sowie die Akzentuierung der klassischen deutsch-russischen Beziehungen
im Bereich der Außenpolitik.
189 Manfred J e n ke, Die nationale Rechte. Parteien, Politiker, Publizisten, Berlin 1967, S.38, 51, 104-106,
252.
190 Walter Mühlhausen, Hessen 1945-1950. Zur politischen Geschichte des Landes Hessen, Frankfurt
a.M. 1985, S.415.
191 BA KO, B 137, Nr.3446, Dr. jur. Hans-Lothar Freiherr von Gemmingen-Hornberg an Dr. Strohm vom
13.10.50. Die Treuhänder der Röchling'schen Familiengemeinschaft vom 24.10.50 an Dr. Erhard über Dr.
Strohm. Die französischen Versuche bezogen sich auf die Grube Carl Alexander in Baesweiler bei Aachen.
192 Ebd., Fritz Hellwig an Jakob Kaiser vom 18.9.50. Vermerk Dr. Strohm 214-13 II/ 9436/50 an
Bundesminister für Wirtschaft vom 5.10.50.
383
Die geplante Aktionseinheit sollte sich auch in einer Kooperation zwischen DPS und
KP-Saar widerspiegeln, wobei durch Vermittlung von Grabowski auch Freiherr von
Verschuer193 von der Industrie und Handelskammer Frankfurt (IHK) bei den westdeut-
schen Unternehmern für eine Saaraktion der westdeutschen Industrie werben sollte.194
Die Zusammenarbeit zwischen KP und DPS sollte soweit gehen, daß nach dem Vorbild
von Leo Schlageter ein Sabotagekommando im Saarland aufgestellt werden sollte. Zur
Durchführung dieses Plans wandte sich Ulrich Kloock an einen Grafen Thun,195 der mit
Repräsentanten der SRP wie Graf Westarp und Dr. Fritz Doris Verbindung aufgenom-
men hatte und dabei auf eine abwartende Bereitschaft der SRP stieß. Die SRP signali-
sierte, sie dürfe nicht als Urheber von Gewalttaten in Erscheinung treten, und eine
weitere Voraussetzung sei die finanzielle Unterstützung durch die SED.196 Die SRP
hatte in Agitationen auf Betriebsratsebene, z.B. im Bremer Borgward-Werk oder bei
Volkswagen in Wolfsburg, Erfahrungen gesammelt.197
Ein anderer Plan bestand darin, Aktivisten der KPD sollten ins Saarland einreisen und
entsprechende Verbindungen zu den Gewerkschaften aufbauen, sich dabei aber als
Angehörige des DGB tarnen.198 Eine gemeinsame Unterstützung für DPS und KP
erklärt sich wohl daraus, daß die SED auf die Oppositionskraft der DPS setzte und
hoffte, auf diese Weise die Oppositionsarbeit der saarländischen Genossen verstärken
und finanziell fördern zu können. Interessant ist auch, daß in der auf SED-Linie verfaß-
ten Arbeit von Walter Poeggel aus dem Jahre 1960 behauptet wird, daß westdeutsche
Monopole die französische Konkurrenz durch die Inbesitznahme bedeutender Teile der
saarländischen Industrie schwächen wollten.199
Freiherr von Verschuer war bis 1934 beim Oberpräsidenten im ostpreußischen Königsberg tätig und
wurde dann Referent in der Reichswirtschaftskammer. Er soll von der Gestapo verdächtigt worden sein,
dem Widerstandskreis des 20. Juli angehört zu haben. Dennoch war er nach Kriegsende ungefähr 9
Monate im Internierungslager 75 Kornwestheim. Das Spruchkammerverfahren wurde im Oktober 1946
eingestellt, weil Verschuer als entlastet galt. Siehe: HHstA Wiesbaden, Abt.520 Es 711.
194 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss,70, Bl.145, Betrifft Tätigkeit SED-KPD in Sachen Saar.
195
Der Vorname ist unbekannt. Es könnte sich bei ihm um einen leitenden Angestellten im Berliner Büro
des Henschel-Konzerns (Metallverab. Indutrie) handeln, der diese Funktion im "Dritten Reich" ausgeübt
hatte. Siehe: BA KO, Kommunistische Partei Deutschlands /KPD (B 118) , Nr.41, Bl. 19.
196 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Dass.107, B1.92 f., Schreiben Ulrich Kloocks vom 10.6.51.
Siehe: MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.70, Bl.145 f., Betrifft: Tätigkeit der SED-KPD in Sachen Saar,
Bl. 147:" Weitere Verhandlungen führte Graf Thun, der sich vor allem mit Dr. Doris und Graf Westarp von
der SRP in Verbindung setzte (...). Immerhin erhielt Graf Thun die Zusicherung, daß die SRP
gegebenenfalls bereit sei, irgendwelche gewaltsamen Aktionen gegen die Saarregierung einzuleiten, wenn
sie dabei nicht als Partei in Erscheinung zu treten brauche, sondern durch kleine, scheinbar neutrale
Aktionsgruppen wirken könne. Eine solche Aktion müsse jedoch finanziell von der SED unterstützt
werden."
197 J e n k e, Die nationale Rechte, S.28-30, 41, 42.
198 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.107, Bl.94 f., Ulrich Kloock an KPD in Düsseldorf vom
17.6.51.
199 Walter Poeggel, Die Saarfrage in der Bonner Politik, Ost-Berlin 1960, S.95.
384
Neubewertung des Remer-Telegramms
Die DPS wurde vom saarländischen Innenministerium am 21. Mai 1951 verboten.200
Wie Winfried Becker ermittelt hat, äußerte Johannes Hoffmann in einem Gespräch mit
Grandval bereits am 4. Mai, er sei zu einem Verbot entschlossen.201 Vor diesem Hinter-
grund kann zwar zwischen dem Entschluß, die DPS zu verbieten, und der gemein-
samen Saaraktion zwischen SED/KPD und westdeutschen Industriellen sowie der SRP
kein direkter Zusammenhang gezogen werden. Das Remer-Telegramm erscheint
jedoch in einem neuen Licht. Die "Saarländische Volkszeitung" und die "Volksstim-
me" veröffentlichten am 9. Mai 1951 ein Telegramm der Sozialistischen Reichspariei
(SRP) vom 7. Mai 1951, gerichtet an den Europarat, in dem die beiden Vorsitzenden
Otto Ernst Remer und Dr. Fritz Doris gegen das Verbot einer DPS-Kundgebung
protestierten und vor allem die DPS als "unsere Freunde" bezeichneten. Dagegen
verwahrte sich die DPS öffentlich mit allem Nachdruck, und die SRP erklärte nota-
riell: "Zwischen der SRP und der DPS bestehen weder direkt noch indirekt irgendwel-
che Verbindungen".202 Wenn man bedenkt, daß Ulrich Kloock in einem Schreiben vom
10. Juni über Gespräche eines Grafen Thun mit der SRP berichtet, so spricht wenig
dafür, daß es sich hier um Gespräche handelt, die Anfang Mai 1951 stattgefunden
haben, da Kloocks Aktivitäten durch schriftliche Quellen erst für Ende Mai 1951 belegt
werden können. Dies schließt allerdings nicht aus, daß die SRP sich vorher schon mit
Saarangelegenheiten beschäftigt hat. Da die Akten aber beweisen, daß zwischen Ende
Mai und Anfang Juni 1951 die SRP mit dem Ziel kontaktiert wurde, sich an einer
Sabotageaktion an der Saar zu beteiligen, ist es nicht mehr haltbar, von einem "an-
geblichen" Remer-Telegramm zu sprechen oder wie Heinrich Schneider, das Tele-
gramm als Fälschung zu bezeichnen, ohne aber den Fälscher nennen zu können.203 Die
Begründung, es handele sich um eine Fälschung, weil die Durchschriften auf einer
Schreibmaschine von Radio Saarbrücken auf dort häufig verwandtem kanariengelbem
Papier geschrieben worden seien, erscheint wenig überzeugend. Schneider bleibt den
Beweis schuldig, daß es sich bei dem verwandten Schreibmaschinentyp, Conti oder
Torpedo, sowie bei der Papierqualität um Schreibutensilien handelt, die so selten
gewesen sind, daß sie anderswo keine Verwendung gefunden haben können.204 Ins-
besondere auch der Hinweis von Heinrich Schneider auf einen Suretebericht erscheint
200 Jürgen H a n n i g gibt irrtümlich als Verbotstag den 21.5.50 an, vgl.: Ders., Separatisten - Nationalisten.
Zum Abstimmungskampf 1955, in: Rainer Hudemann und Raymond Poidevin (Hrsg.), Die Saar
1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.388. Richtig bei: Becker, Die
politischen Parteien, in: Ebd., S.276. Siehe auch: Schneider, Das Wunder, S.305.
201
Becker, Die politischen Parteien, S.276.
202 Vgl. Schmidt, Saarpolitik, Bd.2, S.282-286.
203 Ebd., S.282. Schneider, Das Wunder, S.300, 308. D i n g e 1, Die Christliche Volkspartei des
Saarlandes, in: Richard Stöss (Hrsg.), Parteienhandbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland
1945-1980, Bd.l, Opladen 1983, S.736, Anm,59.
204 Schneider, Das Wunder, S.303. Schneider verdächtigt Justizminister Dr. Heinz Braun (SPS).
385
zweifelhaft. In seinem Nachlaß findet sich keine Abschrift des Berichtes, lediglich zwei
sich widersprechende Aussagen von Personen, die angeblich von der Sûreté in dieser
Sache vernommen worden sind.™
Das Remer-Telegramm wurde von Politikern der CVP und der SPS sowie dem Leiter
des Presse- und Informationsamtes Karl Hoppe dazu benutzt, die nationalsozialistische
Vergangenheit zahlreicher DPS-Mitglieder zur Sprache zu bringen. Zweifellos spielten
DPS-Mitglieder 1935 eine herausragende Rolle bei der Rückgliederung des Saarlandes
an NS-Deutschland, dennoch darf dies nicht dazu verleiten, ihnen pauschal eine na-
tionalsozialistische Vergangenheit anzuhängen. Dies gilt insbesondere für Heinrich
Schneider, der wie Winfried Becker festgestellt hat, nach Erkenntnissen des französi-
schen Außenministeriums als Sachbearbeiter für die Zivilinternierten der Feindstaaten
im Auswärtigen Amt viele Juden vor dem Zugriff der Gestapo geschützt hatte, als
Rechtsanwalt im "Dritten Reich" Juden vor Gericht verteidigt hatte und deshalb 1937
aus der NSDAP ausgeschlossen worden war.205 206 In diesem Zusammenhang sollte
erwähnt werden, daß sich Schneider zu seiner Entlastung nicht auf diese Fakten berief,
als nach seiner Wahl auf dem Stuttgarter FDP-Parteitag zum stellvertretenden Bundes-
vorsitzenden im Jahre 1960, das Frankfurter FDP-Mitglied Ulrich Keitel eine Protest-
aktion gegen ihn wegen seiner Rolle im "Dritten Reich" startete in Anspielung auf
seine Rolle zur Rückkehr des Saarlandes an NS-Deutschland.207
DPS und KP organisieren wilde Streiks
Im Juli und dann im Herbst 1951 kam es im Saarland zu illegalen spontanen Streiks,
die auf gemeinsame Aktivitäten von kommunistischen Gewerkschaftlern und
DPS-Mitgliedern oder Symphatisanten zurückzuführen waren.208 Sie belegen, daß die
geplante Aktionseinheit zwischen DPS und KP nicht auf der Ebene eines Planspieles
stehen blieb, sondern realisiert wurde. Bereits im Juni 1951 fanden wilde Streiks statt,
die nach Einschätzung des Hohen Kommissariates auf DPS-Aktivitäten zurückgingen.
Ein Streik auf der Grube Viktoria am 27. September 1951 löste Arbeitsniederlegungen
auf anderen Gruben aus. Dabei deuten Übereinstimmungen auf eine koordinierte
Aktion hin. Es waren immer der Betriebsratsvorsitzende und einige Gewerkschaftler,
205 LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.233.
206
Becker, Die politischen Parteien, S.274, insbesondere Anm.118.
207
LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.396, Hektogr. Schreiben von Ulrich Keitel an die Parteifreunde in
der FDP vom 24.2.60. Keitel wurde von der hessischen wie der bundesdeutschen FDP-Führung als
Querulant eingestuft. Anklang fand er aber bei Gerhart Baum, dem späteren Bundesinnenminister, der
damals Vorsitzender der Deutschen Jungdemokraten (Kreisverband Köln) war und Keitel einladen
wollte.Vgl., ebd., Baum an Keitel vom 17.10.60. Baum wurde vom Chef der FDP in NRW, Willi Weyer,
zuriickgepfiffen. Ebd., Weyer an Baum vom 20.10.60.
208
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Dass.60, B1.315. Siehe auch Volksstimme vom 13.11. und
14.11.51 und Neue Zeit vom 26.5.51.
386
die vor Ort zur Arbeitsniederiegung aufriefen. Anlaß waren Auseinandersetzungen mit
den jeweiligen Grubendirektoren. Der spontane Streik löste eine Kettenreaktion aus.
Bis zum 2. Oktober folgten Kohlwald, König, Camphausen, Mellin und Jägersfreude.
Bis zu 4.800 Bergleute traten in einen wilden Streik, wobei der Betriebsrats Vorsitzende
von Grube König, der KP-Mann Alois Körner, die koordinierende Rolle gespielt haben
soll."09 Den Streiks kam ein politischer Charakter zu, weil die Einkommenssituation auf
den betreffenden Gruben überdurchschnittlich gut war. Die Régie verlangte von der
Regierung, den Streik mit Polizeigewalt aufzulösen. Dies wurde abgelehnt. Aber um
eine weitere Ausdehnung auf benachbarte Gruben zu verhindern, wurde Polizei po-
stiert. Das Hohe Kommissariat war besonders beunruhigt, weil die Streikenden Auf-
forderungen von Funktionären der Einheitsgewerkschaft, den Streik abzubrechen,
keine Folge leisteten. Das bedeutete, daß die Gewerkschaftsführung Teile ihrer Basis
nicht mehr im Griff hatte. Zur selben Zeit beobachteten französische Stellen mit großer
Sorge, daß der Kontakt zwischen der kommunistischen Partei Frankreichs und der KP-
Saar intensiviert wurde und sich gleichzeitig mit den Streiks ein P.C.F.-Aktivist aus
Strasbourg im Saarland aufhielt.209 210 Diese Vorkommnisse erhöhten die ohnehin schon
vorhandene Furcht des Hohen Kommissariates vor einer kommunistischen Unterwan-
derung der Gewerkschaften.211 Während anfänglich im Auswärtigen Amt das Saarrefe-
rat über die DPS in die Gewerkschaften hineinwirken wollte, rückte es von dieser
Politik noch 1951 ab. Die Gewerkschaften wurden insgesamt als vertrauenswürdig
eingestuft, eine parteipolitisch über die DPS ausgerichtete Gewerkschaftspolitik wurde
aber nicht mehr als sinnvoll und erfolgversprechend erachtet, weil "die DPS niemals zu
einer Massenbewegung werden könne".212
Für diesen Kurswechsel waren die in Bonner Diensten stehenden Beobachter der
Saarvorgänge sowie Persönlichkeiten wie Paul Kutsch verantwortlich. Innerhalb des
Auswärtigen Amtes wurde er als "zäher Kämpfer für die deutsche Sache an der Saar"
eingestuft, seine Wahl zum Chef der Einheitsgewerkschaft wirkte als Bestätigung des
oppositionellen Kurses der Gewerkschaften.213 Im Mai 1954 beschrieb Kutsch seine
Position wie folgt:"Nicht kommunistisch noch nationalistisch war die Sprache, die
unsere Funktionäre geführt haben, sondern deutsch, so wie sie eine deutsche Seele
wohltuend empfindet, die noch etwas vom Vaterland weiß und gewillt ist, auch an der
Grenze ein Opfer zu bringen, um alles zu erhalten, was zu diesem Vaterland gehört".214
Mitte 1952, einige Wochen nach dem Ausscheiden Strohms nahm das Kai-
209 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.120, B1.76, HC Cab. vom 9.6.51, Bl.86-91, 93-95, Grandval an
franz. Botschaft in Bonn.
210 Ebd., Bl.197-201, Communiqué an franz. Botschaft in Bonn, verfaßt von Grandval vom 2.10.50.
211 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl.24-28. Vermerk von A. Rieth vom 12.5.50.
212 PAA Bonn, Bestd. Abt. 2, Nr.489, Info 781/17.4.52.
213 Ebd., Vermerk AA 214-03-30.
214 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/355, (Abschrift) P. Kutsch an J. Kaiser vom 16.5.54.
387
ser-Ministerium die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften selbst in die Hände und
setzte dabei insbesondere auf die oppositionelle saarländische Sozialdemokratie.
5. Die Rolle der DSP für die Koordinierung und Dynamisierung der gewerkschaftli-
chen Opposition
Emst Kunkel bezeichnet in seinen Erinnerungen die DSP als "quantité négligeable", die
in der Politik an der Saar praktisch keine Rolle gespielt habe.215 Diese subjektive
Einschätzung, vielleicht auch bewußt geäußert, um ehemaligen Gegnern politische
Erfolge abzusprechen, hält einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand.
Neben Paul Kutsch und Aloys Schmitt spielte ab Mitte 1951 der Sozialdemokrat Kurt
Conrad eine zunehmend bedeutendere Rolle in der gewerkschaftlichen Opposition.
Wenn er auch nur im Beirat der Einheitsgewerkschaft war, darf seine Position wie auch
die der DSP generell nicht unterschätzt werden.216
Das Interesse Strohms wie auch des Kaiser-Ministeriums für die saarländischen Ge-
werkschaften wurde auch durch Kurt Conrad gestärkt, wie ein Vermerk vom Januar
1952 andeutet. Er bat das Saarreferat seine Strategie zu unterstützten, die bürgerliche
Opposition sollte mit oppositionellen Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern Zu-
sammenarbeiten, er glaube nicht mehr daran, die SPS auf Oppositionskurs bringen zu
können.217 Diese Einschätzung konnte nur auf das Wohlwollen Strohms stoßen, mit
dem autonomiekritische Sozialdemokraten seit 1949 regelmäßig in Kontakt gestanden
haben sollen, nachdem Strohm immer mehr erkennen mußte, daß die DPS allein nicht
ins Arbeiter- und Gewerkschaftsmilieu eindringen konnte.218
5.1 Die Entwicklung der oppositionellen Sozialdemokratie
Divergierende Richtungen
Schon in den ersten Monaten nach Kriegsende hatte es innerhalb der saarländischen
Sozialdemokratie divergierende Richtungen gegeben, wie Karl Mössinger am 15.
November 1945 Emile Schüler berichtet:"Es gibt Annexionisten, Autonomisten, Halb-,
Viertelautonomisten und auch einige, welche absolut zu den Richtlinien der Gesamt-
partei in Deutschland bezüglich der künftigen Grenzziehung stehen."219
215
Kunkel, Dokumente und Erinnerungen, S.158.
216 Die oppositionelle Sozialdemokratie wird von Frank Dingel unzureichend bewertet. Nicht mehr
haltbar ist seine Einschätzung, die DSP habe eine insgesamt geringe Rolle gespielt. Ders., Die
Kommunistische Partei Saar, S.1861, Anm.43. Ders., Die Sozialdemokratische Partei Saar, S.2217 f.
217 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.483, B1.38, Vermerk 21403 11/099/52 vom 4.1.52.
218 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.2, S.504.
219 Stadtarchiv Saarbrücken (StA SB), NL Emile Schüler, Nr.5, K. Mössinger an E. Schüler vom 15.11.45.
388
Die KP beobachtete die gegensätzlichen Strömungen in der SPS mit großer Aufmerk-
samkeit und versuchte Mitglieder, die vom Kirn-Kurs abwichen, für sich zu
gewinnen.220
Die Gegensätze innerhalb der Partei zeigten sich eklatant bei der Abstimmung über die
Verfassung 1947 und gewannen nach Ernst Kunkel insofern eine neue Qualität, als
bisher Gegensätze nie zu innerparteilicher Gruppenbildung geführt hatten.221 Immerhin
5 von 17 Abgeordneten der SPS, nämlich Kurt Conrad, Luise Schiffgens, Hermann
Petri, Richard Rauch und Walter Zimmer, hatten ursprünglich gegen die Präambel der
Verfassung stimmen wollen. Während die anderen sich angeblich durch Grandvals
moralischen Druck umstimmen ließen, blieben Conrad und Schiffgens der Abstim-
mung fern.222 Einige Mitglieder der SPS versuchten Kontakte zur Bonner SPD zu
pflegen wiez.B. Kurt Conrad und Ernst Roth, der ehemalige Generalsekretär der SPS,
dann SPD-Mitglied und Landrat von Frankenthal/Pfalz.223 Er war nach Einschätzung
Ernst Kunkels der erste Vertrauensmann der SPD an der Saar.224 Hilfestellung gab bei
diesen Kontakten von Anfang an Dr. Karl Mommer (SPD).225
Conrad versuchte vergeblich, innerhalb der Partei eine Führungsrolle zu gewinnen. Er
scheiterte auf dem Parteitag in Sulzbach am 2. Oktober 1949 gegen Peter Zimmer bei
den Wahlen zum Vizepräsidenten mit 211 zu immerhin 130 Stimmen.226
Obwohl im April 1951 ein neuer Anlauf der oppositionellen Gruppe, sich im Vorstand
zu etablieren,227 mißlungen war, zog sich Conrad aus der Partei nicht zurück, sondern
suchte weiter Anhänger für seinen Oppositionskurs.
Zu einer weiteren innerparteilichen Belastungsprobe entwickelten sich die Wirtschafts-
konventionen. Innerhalb der Partei wurde ein Sonderausschuß zur Überprüfung der
Konvenüonen gebildet. Wie tief der Graben in der SPS im Oktober 1951 war, beweist
die Zustandsbeschreibung von Ernst Kunkel:"Es gäbe für die Revision der Konvention
zwei Ausgangspunkte und zwar sei eine Gruppe in der Partei der Meinung, jetzt sei der
Zeitpunkt der Rückgliederung an Deutschland gekommen, und ein anderer Teil glaube,
220 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.61, Bl. 14, Süretebericht vom 17.5.47.
221 Kunkel, Dokumente und Erinnerungen, S.121.
222 B e c k e r, Die politischen Parteien, S.283. Außerdem siehe: Michael Sander, Politiker an der Saar
zwischen Frankreich und Deutschland, in: Von der 'Stunde 0’ zum 'Tag X'. Das Saarland 1945-59. Katalog
zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1990, hrsg. v.
Stadtverband Saarbrücken, Merzig 1990, S.l 18.
223 B e c k e r, Die politischen Parteien, S.284 f,
224 K u n k e 1, Dokumente und Erinnerungen, S.142.
2i5 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.2, S.504.
226 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.59, Bl.54, Revue de Presse.
227 K u n k e 1, Dokumente und Erinnerungen. S.198.
389
man müsse das, was sich nicht bewährt hat, in wirklichen Verhandlungen ändern".228
Kurt Conrad, Karl Etienne, Dr. Hans Peter Will und Luise Schiffgens wollten, daß sich
das Saarland von den Konventionen distanziere. Sie orientierten sich an der Bundesre-
publik, wobei deren wirtschaftliche Entwicklung für ihre Haltung mitbestimmend war,
wie die Begründung von Dr. Will verdeutlicht:"Die BRD habe bewiesen, daß sie
ungeheure wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten besitzt, das beweise das Beispiel
der Annullierung des Defizits in der europäischen Zahlungsunion".229 Daneben gab es
aber auch deutlich nationalere Töne wie z.B. von Luise Schiffgens, die meinte , Frank-
reich habe eine Stärkung seines Wirtschaftspotentials auf Kosten Deutschlands
gewollt.230 Die Verpachtung der Saargruben war schon für Conrad eine nicht zu tolerie-
rende Entscheidung, da seiner Ansicht nach die saarländischen Politiker überhaupt kein
Recht hatten, über die Verpachtung der Gruben eine Entscheidung zu treffen. Die
Autonomisten innerhalb der SPS wie z.B. Ernst Kunkel argumentierten sozialpolitisch.
Die Verpachtung der Gruben sei mit der Einführung des sozialeren französischen
Bergbaustatuts verbunden. Die oppositionellen Tendenzen innerhalb seiner Partei
versuchte Kunkel zu kompensieren, indem der vorhandenen Unzufriedenheit durch die
innerparteiliche Diskussion Rechnung getragen werden sollte, dabei ging es aber
primär um eine Kanalisierung der Oppositionsrichtung. Kunkel argumentierte zweig-
leisig. Einerseits fand er harte Worte, indem er feststellte, "daß der gute Glauben in die
Haltung Frankreichs getäuscht worden sei", andererseits hielt er an den Konventionen
im Grundsatz fest und schlug die Bildung einer paritätischen Kommission zur Schlich-
tung von Streitfragen vor, der Vorsitzende sollte ein Vertreter des Internationalen
Arbeitsamtes sein.231
Es deutet sich innerhalb der SPS eine Entwicklung an, wenn auch zunächst als Min-
derheitenposition, die einige Jahre später zur Entscheidung gegen das Saar-Statut
führen sollte, daß sich nämlich die Saarländer zur Bundesrepublik und ihrem Wirt-
schaftswunder hingezogen fühlten.
Der in der SPS gebildete Generalrat, ein erweiterter Landesparteivorstand, war ambiva-
lent. Einerseits verstärkte er die Opposition zur Parteiführung, weil er den Oppositions-
kräften die Möglichkeit bot, ihre Kritik deutlicher zu äußern, andererseits konnte der
autonomistische Parteiflügel sehen, wer zur Opposition zu rechnen war. Vom Ge-
neralrat ging die Forderung aus, Landesvorstand und Landtagsfraktion sollten darauf
hinwirken, "daß unverzüglich sozialdemokratische Zeitungen und Zeitschriften (aus
der Bundesrepublik) in das Saarland eingeführt und hier verkauft werden können".
228 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.481, Bl.209 f., Protokoll des Sonderausschusses für die Überprüfung der
Konventionen vom 29.10.51
229 Ebd.
230 Ebd.
231 Ebd.
390
Grandval beobachtete die Entwicklung der SPS mit großer Sorge. Im Anschluß an eine
Generalratssitzung soll er führende SPS-Mitglieder zu einer Aussprache bestellt haben.
In deren Verlauf soll Peter Zimmer so mit der Hand auf den Tisch geschlagen haben,
daß ein Aschenbecher zu Bruch ging. Angesichts des Naturells von Peter Zimmer, dem
Ernst Kunkel "selbst bei härtesten Auseinandersetzungen Contenance" zuschreibt,
spricht dies für das Aufeinanderprallen starker Gegensätze.232 Dieser Vorgang erreichte
das Saarreferat im Auswärtigen Amt.233
Der Austritt aus der Koalition vor dem Parteitag im April 1951 war auch ein taktisches
Manöver, die innerparteiliche Situation zu verbessern und die Opponenten in die
Schranken zu weisen.
Auch innerhalb der Volksstimme, dem Organ der SPS, standen sich zwei Lager gegen-
über: Der francophile Dr. Lion und der Dudweiler Bürgermeister Pitz, andererseits die
pro-deutschen Jungredakteure Jochum und Friedei Regitz, der Lokalredakteur Hopp-
städter und die offen francophoben Redakteure Merck senior und junior.234
Die verschiedenen Richtungen in der saarländischen Sozialdemokratie nach 1945,
insbesondere die Linie eines Autonomiekurses ä la Kirn und die pro-deutsche Richtung
der DSP, erscheinen als kleines Spiegelbild der deutschen Sozialdemokratie, die eben
nicht auf den auf nationale Einheit ausgerichteten Kurs Kurt Schumachers reduziert
werden darf, sondern mit Carlo Schmid235 - natürlich auch vor dem Hintergrund der
französischen Besatzung236- eine andere, weniger nationale und mehr föderalistische
Einstellung kannte. Noch föderalistischer präsentierte sich die bayerische SPD unter
Wilhelm Hoegner, der wie Edgar Wolfrum betont, im Schweizer Exil zum überzeugten
Föderalisten geworden war. Eine geradezu separatisüsche Richtung vertrat die badische
Sozialdemokratie mit Friedrich Leibbrandt. "Als letztes Ziel gilt für die Sozialisten (...)
232 K u n k e 1, Dokumente und Erinnerungen, S.173.
233 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.480, Bl.171, Vermerk Dr. Strohm 214-03/11/4715/51 und B1.193, Vermerk
214-03-11/3983/51. Aufzeichnung eines Gesprächs mit Herrn Roth. Volksstimme vom 16.3.51
234 Privartarchiv Dontot (PAD), Doss. 9/1, Bl.132, Vermerk bzgl. saarld. Presse. Siehe auch: Dietrich B e
r w a n g e r, Masenkommunikation im Saarland 1945-1959. Ein Beitrag zur Untersuchung "publizistischer
Kontrolle", München 1969, S.46.
235 Nach Edgar Wolfrum soll Carlo Schmid, wie in Berichten der französischen Militärregierung steht,
1946/47 süddeutsche Sozialdemokraten gegen den Schumacherkurs mobilisiert haben, in: Ders.,
Französische Besatzungspolitik und deutsche Sozialdemokratie. Politische Neuansätze in der "vergessenen
Zone" bis zur Bildung des Südweststaates 1945-1952, Düsseldorf 1991, S.294 und Anm.5. Siehe auch,
S.293-299.
236 Daß sich auch vor dem Hintergrund der französischen Besatzung eine eher antiföderalistisch
ausgeprägte Sozialdemokratie entwickeln konnte, zeigt das Beispiel der rheinland-pfälzischen SPD, siehe:
Katrin K u s c h, Die Wiedergründung der SPD in Rheinland-Pfalz nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-
1951), Mainz 1989, S.97-194.
391
die Bildung der Vereinigten Staaten von Europa 237 Diese Worte stammen nicht
etwa, wie zu vermuten wäre, von Richard Kirn oder Dr. Heinz Braun, sondern vom
Vorsitzenden der badischen Sozialdemokraten und späteren Wirtschaftsminister
Friedrich Leibbrandt. Er erwartete, wie Wolfrum herausgearbeitet hat, die Gründung
einer an Frankreich angelehnten Badischen Republik und vertrat auch die Ansicht, daß
die badische Sozialdemokratie der französischen Richtung der Zweiten Internationale
näher stünde als der deutschen.238
Für die Gruppe der oppositionellen Sozialdemokraten an der Saar scheint Kurt Schu-
macher ein Leitbild gewesen zu sein. Auf die Frage, warum er sich in der oppositionel-
len Sozialdemokratie engagiert habe, antwortete etwa Rudolf Recktenwald: "(...) Es
war auch die Persönlichkeit eines Kurt Schumachers, die mich sehr beeindruckte."239
Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
Bereits im vorangegangenen Kapitel über die Gewerkschaften nach 1945 wurde
erwähnt, daß der starke Einfluß der Kommunisten dadurch begünstigt wurde, daß die
alten sozialdemokratischen Gewerkschaftssekretäre nach 1945 Ämter in Kommunen,
Körperschaften und Ministerien übernahmen. Nachdem Heinrich Wacker Präsident der
Arbeitskammer geworden war, nahm der Kontakt der SPS zu den Gewerkschaften von
1952 an weiter ab und damit entstand eine Achillesverse der autonomistischen Sozial-
demokratie. Dabei hatte die SPS auf die Bildung des neuen I.V. Bergbau große Hoff-
nungen gesetzt und an ihre Mitglieder appelliert, aktiv mitzuarbeiten. Mit Hermann
Petri stand einer der ihren an der Spitze, im Vorstand saß der ebenfalls zuverlässige
SPS-Mann Johann Dreher.240
In der Sitzung des Landesparteivorstandes am 1. Dezember 1952 beklagte Heinrich
Wacker das zu geringe Gewerkschaftsengagement der Partei, das auch den kommu-
nistischen Einfluß im I.V. Bergbau begünstigt habe. Hermann Petri wies darauf hin,
daß Flugblätter der Partei nicht mehr in den Betrieben verteilt werden könnten, so habe
der Betriebsrat der Grube König das Austeilen von Flugblättern der SPS unterbunden.
Mit seiner Kritik stieß er auf Zustimmung, insbesondere bei Peter Zimmer. Es gelang
der SPS aber nicht, etwas daran zu ändern. Erst sehr spät - im Oktober 1953 - wurde
auf Anregung von Richard Kirn ein Koordinationsausschuß "Partei und Gewerkschaft"
gegründet, der den Kontakt zwischen SPS und Gewerkschaften verbessern sollte. Der
Landespartei Vorstand verständigte sich darauf, einen Schulungskurs mit ca. 30 Ge-
Diese Worte gebrauchte Friedrich Leibbrandt Ende Dezember 1945 in einem Gespräch mit der franz.
Militärregierung in Baden-Baden, zitiert nach W o 1 f r u m, Französische Besatzungspolitik, S.286, 294.
238 Ders., S.137, 285 und Anm.7.
239 Interview mit Rudolf Recktenwald am 13.3.1993.
240
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.62, Bl.201. Revue de Presse, siehe auch Editorial der
Volksstimme vom 17.12.51.
392
werkschaftlern der SPS zu organisieren. Daneben beauftragte die Parteiführung im
Februar 1954 Albert Becker, Klaus Heinz241 und Fritz Savioli, Gewerkschaftsversamm-
lungen vorzubereiten. Der Erfolg dieser Bemühungen blieb aber aus. Im November
1954 bemängelte Eduard Weiter die nach wie vor geringe Aktivität der SPS in der
Gewerkschaftsarbeit. Er empfahl die Einrichtung eines Betriebssekretariates. Es sei
notwendig, über das Engagement der Partei in den Betrieben die Position in den
Gewerkschaften zu verbessern. Richard Kirn teilte die Ansicht, die Aktivitäten weiter
zu forcieren, und schlug vor, die Partei solle der Einheitsgewerkschaft eine Richtung
und Plattform geben. In diesem Zusammenhang dachte er daran, eine wöchentlich
erscheinende Gewerkschaftszeitung herauszugeben, in welcher den einzelnen Indu-
strieverbänden genügend Raum für ihre Stellungnahmen zu den verschiedenen ge-
werkschaftlichen Aktionen zur Verfügung gestellt werden sollte.242Auch daraus wurde
nichts. Letztlich konnte der Ausschuß "Partei und Gewerkschaft" keine Erfolge vor-
weisen, es gelang der SPS nicht, Gewerkschaftler für sich zu mobilisieren. Frustriert
schüderte der Genosse Moritz in der Sitzung des Landesparteivorstandes am 12. März
1955 die schleppende Arbeit des Ausschusses.243
Auf Parallelen zur badischen Sozialdemokratie wurde bereits hingewiesen. Die ba-
dischen Genossen erkannten allerdings dieses Problem früher als die Saarländer.
Bereits Anfang April 1947 meldeten sich Warner, die allerdings noch wenig Gehör
fanden. Der Durchbruch stellte sich erst durch die Unterstützung der Bundespartei ein,
seit Siggi Neumann ab Juni 1949 mit der Leitung des Betriebsgruppenreferates beim
Partei Vorstand auch den Genossen im Südwesten Druck machte.244
Dagegen schnitten die Pfälzer Sozialdemokraten wesentlich besser ab, wie Katrin
Kusch zeigte. Entscheidend war hier, daß Adolf Ludwig während seiner Emigration in
Frankreich durch den Kontakt zu französischen Sozialisten die Überzeugung gewon-
nen hatte, die Gewerkschaften müßten "erste und wichtigste Organisationsbasis" für
sozialdemokratisches Engagement sein.245 Ob ähnliche Erkenntnisse auch die zahlrei-
chen saarländischen Sozialdemokraten, die im französischen Exil gewesen waren,
gewonnen hatten, läßt sich nicht nachprüfen, in der praktischen Politik finden sich
dafür aber keine Hinweise.
241 Klaas Heinz war MdL, Sekretär der Transportarbeitergewerkschaft und Mitglied im Landesvorstand der
Kriegssachgeschädigten. Er soll auch als Vermittler zwischen DSP und SPS gewirkt haben, siehe: PAD,
Doss.5, Bl.17 und Doss.9/I, Edition réservée der Saarbergwerke vom 3.12.54.
242 AS DP Bonn, Sammlung Kunkel, Nr.19 und Nr.66, SPS-Rundschreiben 9/1953 vom 13.11.53. Ebd.,
Zeitgeschichtliche Sammlung der SPD-Saar, Protokolle des Landesparteivorstandes der SPS vom 1.12.52,
30.10.53, 2.2.54, 2.11.54.
243 Ebd., Nr.19, Protokoll des Landesparteivorstandes vom 12.3.55.
244 W o 1 f r u m, Französische Besatzungspolitik, S.239.
245 Kusch, Die Wiedergründung der SPD, S.155.
393
Mehr protestantische Mittelstands- als Arbeiterpartei
Der SPS gelang es nicht, die Bergleute politisch an sich zu binden. Ihre relativ schwa-
che Verankerung an der Gewerkschaftsbasis zeigt sich auch in den Landtagswahl-
ergebnissen 1952. Mehr als 65 Prozent der auf den Saargruben beschäftigten Kumpel
wohnte in Bergarbeiterdörfern, meist Ortschaften mit weniger als 10.000 Einwohnern.
In diesen Gebieten erreichte sie im Durchschnitt bei den Landtags wählen 1952 ein um
mehr als 4 Prozent unter dem Landesdurchschnitt liegendes Resultat von 27,55 Pro-
zent, während die CVP hier mit 58 Prozent deutlich über Landesdurchschnitt lag. Der
SPS gelang es nicht, die klassisch sozialdemokratische Klientel für sich zu gewinnen.
Insbesondere bei den Bergleuten zog die SPS einfach nicht, wenn man bedenkt, daß sie
sich im Kreis Ottweiler mit 32,47 Prozent lediglich auf Landesdurchschnitt bewegte. In
diesem Kreis war der Anteil der Bergleute an der Wohnbevölkerung mit 11,44 Prozent
am höchsten, gefolgt von Saarbrücken-Land mit 9,19 Prozent, wo die SPS mit 35,32
Prozent allerdings über Landesdurchschnitt lag.
Die Hüttenarbeiter scheinen wenn auch nicht überwältigend, so doch aber stärker als
die Bergleute zur SPS tendiert zu haben, wie die Ergebnisse in den Hüttenstädten
Völklingen und Neunkirchen veranschaulichen. In Völklingen erreichte sie mit 35,88
Prozent ein nur geringfügig über Landesdurchschnitt liegendes Resultat, in Dillingen
dagegen fiel sie mit 30,77 ebenso wie in St. Ingbert mit 27,90 deutlich unter Landes-
durchschnitt, lediglich in Neunkirchen kam sie auf überdurchschnittliche 39,5 Prozent.
Besonders gut schnitt sie daneben in der Stadt Ottweiler mit 44,76 Prozent ab. Hier
dürften konfessionelle Gründe entscheidend gewesen sein. Ottweiler bildete konfessio-
nell ein Gegengewicht zum überwiegend katholischen Saarland. Seit 1874 bestand hier
ein traditionsreiches evangelisches Lehrerseminar, von der Einführung der Reforma-
tion in der Grafschaft Nassau Ottweiler (1575) bis in die zweite Hälfte des 19. Jahr-
hunderts war die Grafschaft Ottweiler ein rein protestantisches Territorium gewesen.
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich die Konfessionsstruktur
zugunsten des Katholizismus infolge der Zuwanderung von Arbeitskräften. Der
Landkreis Ottweiler wurde zum Bergbauzentrum im Saarland. Die Vertretung von
Arbeitnehmerinteressen und die Sozialdemokratie nahm von hier aus im Saarland ihren
Anfang. Im 20. Jahrhundert gehörte Ottweiler zu den starken protestantischen Min-
derheiten im Saarland, der evangelische Anteil lag mit 32,5 Prozent deutlich über dem
Landesdurchschnitt von 25,3 Prozent.
Eine weitere Hochburg der SPS bildete die Stadt Saarbrücken. Hier war sie mit 44,67
Prozent souverän vor der CVP die stärkste Partei. Ihr Erfolg ist wie im Falle der Stadt
Ottweiler auf die Konfessionsstruktur zurückzuführen. In der Stadt Saarbrücken lebten
mit 42,10 Prozent überdurchschnittlich viele Protestanten. Das Saarbrücker Wahl-
ergebnis beweist aber auch, die SPS stützte sich in entscheidendem Maße auf Ange-
stellte und Beamte, denn Saarbrücken hatte einen ausgesprochen geringen Arbeiter-
394
anteil an der Bevölkerung, aber mit dem höchsten Anteil von Angestellten und Beam-
ten eine eher mittelständisch geprägte Sozialstruktur.246
Die drei Säulen der Oppositionsarbeit
Kurt Conrad scheint zur Durchsetzung seines Zieles, die Eingliederung in die Bundes-
republik zu erreichen, sich in gewisser Hinsicht an der alten Dreisäulentheorie247 der
SPD orientiert zu haben, wonach die politische Macht über Partei, Gewerkschaften und
Genossenschaften erobert werden soll. So arbeitete er an der Aushöhlung der SPS und
dem Aufbau der DSP und gleichzeitig am verstärkten Einfluß in den Gewerkschaften.
Vor allem aber bemühte er sich um die Intensivierung und Koordinierung der Kontakte
der gewerkschaftlichen und politischen Opposition zum Deutschen Gewerkschafts-
bund, zur SPD und zum Kaiser-Ministerium.
Bereits in der zweiten Märzwoche 1952 berichtete die "Rheinpfalz" von deutlichen
Gegensätzen innerhalb der SPS, insbesondere zwischen Basis und Parteiführung und
wies darauf hin, daß mit einer Spaltung zu rechnen sei.248 Kurt Conrad erklärte dann
seinen Austritt auf einem SPS-Kongreß in Homburg am 26. April 1952. Er gründete
am 25. Mai 1952 im Hotel Treffpunkt in Saarbrücken zusammen mit Robert Bach, Karl
Berg, Oscar Detemple, Adolf Schiffler, Josef Paulus, Willi Kuhnen, Erich Neumann
und Josef Wambach die Deutsche Sozialdemokratische Partei (DSP). Dem Zulassungs-
antrag wurde aber nicht stattgegeben, ausschlaggebend dafür war das Wort "deutsch"
im Parteinamen sowie der fehlende Bezug zur saarländischen Verfassung.249 250 Bei den
Antragstellern handelte es sich um ehemalige SPS-Mitglieder, die teilweise seit Jahr-
zehnten mit der Sozialdemokratie verbunden waren wie Fritz Niebling (über 40jährige
Mitgliedschaft) und Fritz Wilhelm ( über 30jährige Mitgliedschaft). Alle kamen aus
dem Gewerkschaftsmilieu: Karl Berg war vor 1935 Gewerkschaftssekretär, Willi
Kuhnen war Geschäftsführer des Industrieverbandes der Fabrikarbeiter in der Einheits-
gewerkschaft, Erich Neumann aus Wellesweiler war Vorsitzender der Ortsgruppe des
I.V. Bergbau und Josef Wambach war Redakteur der Gewerkschaftszeitung "Die
246 Die statistischen Angaben wurden entnommen aus: PAD, Doss. 9/II, Bl.7, Wahlanalyse der Regie zu
den Landtagswahlen. LA SB, Pressearchiv Staatskanzlei 031-4. Roy, Der saarländische Bergmann, S.18,
28. Zur Geschichte und Bedeutung der Stadt Ottweiler, siehe bei: M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der
Mühen, S.55. Karl August Schleiden, Aus provinzieller Enge zur Weltoffenheit. Kulturelle Entwa-
ldung 1815-1957, in: Das Saarland. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung, hrsg. v. der Lan-
deszentrale für politische Bildung, Saarbrücken 1991, S.87. Hinweise zur Sozialstruktur bei: Küppers,
Bildungspolitik, S.26-28.
247 Zur Dreisäulenteorie: Tilman Mayer (Hrsg.), Jakob Kaiser, Gewerkschafter und Patriot. Eine
Werkauswahl, Köln 1988, S.484.
248 MAE Paris, EU-Europe, Sous. S. Sarre, Doss.61, B1.82, Revue de Presse., Rheinpfalz vom 14.3.52.
249 B e ck e r, Die politischen Parteien, S.285 f.
250 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.2 S.288-290.
395
Conrad hatte schon im April 1950251 und damit früher als andere die Schwäche der SPS
auf Gewerkschaftsebene erkannt und konzentrierte seine Bemühungen darauf, gleich-
gesinnte oppositionelle Sozialdemokraten für eine Gewerkschaftsarbeit zu gewinnen.
Der Erfolg dieser Strategie stellte sich nicht zuletzt bei den Wahlen auf der Generalver-
sammlung der Einheitsgewerkschaft 1952 ein, als Conrad mit den meisten Stimmen in
deren Beirat bestäügt wurde.252 Daneben wurde Robert Bach, der mit Conrad innerhalb
der SPS gegen den Wirtschaftsanschluß an Frankreich gekämpft hatte253 und Conrads
illegaler Partei angehörte, zum Zweiten Vorsitzenden des I.V. Bergbau gewählt.
Weitere Ämter entfielen auf die Gewerkschaftssekretäre Willi Kuhnen, Erich Neumann
und Josef Wambach.254
Das Organ der DSP -die "Freie Saarpresse"- wirkte gezielt gegen die autonomistischen
Gewerkschaftskreise und übte an ihnen mehr Kritik als an der Regierung Hoffmann.255
Der Kreis um Kurt Conrad war 1955 beträchtlich angewachsen, wobei auch hier
wieder die Verzahnung zwischen Partei- und Gewerkschaftsarbeit auffällt. Conrad
baute ab 1952 systematisch in den Betrieben Parteigruppen auf, um Partei- und Ge-
werkschaftsarbeit miteinander zu verknüpfen.256 Das Engagement bezog sich vor allem
auf den I.V. Bergbau und den I.V. Metall. Norbert Engel spielte im I.V. Metall eine
wichtige Rolle für die Koordinierung von Partei- und Gewerkschaftsarbeit. Im Visier
standen die großen Hüttenbetriebe. Die oppositionellen Sozialdemokraten bauten
Kontakte zu Arbeitnehmern auf, von denen sie wußten, daß sie der sozialdemokrati-
schen Idee nahestanden oder Mitglied der SPS waren. Ziel war es, auf diese Weise die
Delegierten für die Gewerkschaftswahlen im Sinne der DSP zu beeinflussen. Der
Erfolg dieser Arbeit spiegelte sich in der Wahl Leo Mosers (DSP) zum Zweiten Vorsit-
zenden des I.V. Metall im Frühjahr 1953 wider.257
So wurde die SPS ausgehöhlt und gleichzeitig der Oppositionskurs der Gewerkschaf-
ten dynamisiert. Das starke Gewerkschaftsengagement von Kurt Conrad basierte auf
der Erkenntnis, daß die Gewerkschaften eine wirksamere Oppositionsrolle als eine
zugelassene DSP spielen konnten.258 Conrad setzte dabei auf eine Verzahnung von
Partei- und Gewerkschaft, so z.B. waren Fritz Wilhelm aus Neunkirchen und Erich
251 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.59, Revue de Presse zum Kongreß der SPS in Sulzbach am
2.4.50.
252 Ebd., Doss.60, Bl.121, Revue de Presse.
253
Kunkel, Dokumente und Erinnerungen, S.91.
254 Ebd.
255 BA KO, B 137, Nr.3478, B1.59, Vermerk.
256 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/355, (Abschrift) P. Kutsch an J. Kaiser vom 16.5.54.
257
Interview mit Norbert Engel am 26.8.1994.
258 MAE Paris, EU-Europe, Sous. S. Sarre, Doss.109, Bl.209 f., Grandval an MAE vom 26.1.53.
396
Neumann aus Wellesweiler als Ortsgruppen Vorsitzende der DSP gleichzeitig auch
Vorsitzende der dortigen Ortsgruppe des I.V. Bergbau.259
Möglicherweise hat Adolf Ludwig, Vorsitzender der pfälzischen SPD und des
DGB-Rheinland-Pfalz, Kurt Conrad in seiner Einsicht, die oppositionelle Sozialdemo-
kratie in den Gewerkschaften zu verankern, bestärkt, denn zwischen beiden bestanden
insbesondere hinsichtlich der Gewerkschaftsarbeit Kontakte. Die Verbindung zwischen
Conrad und Ludwig wurde wahrscheinlich durch Ernst Roth hergestellt, den Ludwig
ja schon aus der Zeit vor 1935 kannte.
Seit 1910 war Ludwig SPD- und Gewerkschaftsmitglied und seit 1920 Bürgermeister
von Pirmasens. Er hatte sich in den zwanziger Jahren vehement gegen separatistische
Strömungen, eine selbständige rheinische und eine neutrale pfälzische Republik zu
gründen, gestellt und war deshalb von der französischen Besatzungsmacht 1923/24
ausgewiesen worden. Einige Jahre später ging er angesichts der Machtergreifung
Hitlers im Juli 1933 ins saarländische St. Ingbert und arbeitete im SoPa-
De-Grenzsekretariat in Hanweiler. Möglicherweise lernte er bereits zu dieser Zeit Kurt
Conrad kennen. Nach der Rückgliederung des Saarlandes an Nazi-Deutschland ging
Ludwig mit seiner Familie ins französische Exil. Adolf Ludwig kehrte in seine Heimat
mit dem Bewußtsein zurück, daß gerade in der französischen Zone die Sozialdemokra-
ten eine aktive Gewerkschaftsarbeit leisten mußten. Er sammelte in den Auseinander-
setzungen mit den Kommunisten auf Gewerkschaftsebene ab 1947 Erfahrungen und
war im Parteivorstand der SPD in Hannover mit Ernst Lorenz aus Ludwigshafen
Mitglied im Ausschuß für Gewerkschafts- und Betriebsarbeit, darüberhinaus war er in
Rheinland-Pfalz einer der wichtigsten Akteure sozialdemokratischer Gewerkschafts-
politik. Gegenüber der französischen Militärregierung hatte er wie andere Sozialdemo-
kraten auch gegen die Errichtung des Landes Rheinland-Pfalz protestiert.260 Vor dem
Hintergrund seiner politischen Biographie verkörperte Ludwig eher die Schuma-
cher-SPD, und nicht zuletzt deshalb bot sich die Verbindung der oppositionellen
Sozialdemokraten an der Saar zu ihm an. Überhaupt waren die rheinland-pfälzischen
Sozialdemokraten als Landesverband, in dem sich nach Heinrich Küppers die vaterlän-
dischen gegen die internationalistischen Genossen durchgesetzt hatten, mit ihrem
deutlich entwickelten patriotischen Einheitswillen der ideale Partner für die oppositio-
nellen Sozialdemokraten an der Saar.261
259 Vgl. die Personenangaben bei: Michael Ebenau, Freiheit für das Volk. Dokumente zur Geschichte
der Arbeiterbewegung in Neunkirchen 1848-1961, Neunkirchen 1990, S.155.
260 K u s c h, Die Wiedergründung der SPD, S.105, 111, 119, 155, 158. Auch bei: Alain L a 11 a r d,
Gewerkschaften und Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz unter französischer Besatzung 1945-1949, Mainz
1988, S.86, 105, 174, 268 Anm.246.
261 Heinrich Küppers, Staatsaufbau zwischen Bruch und Tradition. Geschichte des Landes Rheinland-
Pfalz 1946-1955, Mainz 1990, S.118-120, 138 f.
397
Lokale Schwerpunkte
Insbesondere im Bereich des Wahlkreises III bzw. in den Kreisen Homburg und
Neunkirchen gab es deutliche Gegner des offiziellen SPS-Kurses. Der Erste Vorsitzen-
de des SPS-Unterbezirkes Homburg und spätere Mitgründer der DSP Karl Berg soll
schon bei der Gründung des Unterbezirks am 6. Januar 1946 auf Distanz zur Parteifüh-
rung gegangen sein.262 Vor allem die Neunkircher Oppositionsgruppe umfaßte 1947
allein 32 Genossen. Ihre Sozialstruktur zeigt, daß die Einheit der SPS auch durch das
unterschiedliche Milieu gegensätzlicher Werte und Erfahrungen belastet wurde. Die
Emigraüon spielt dabei eine geradezu auffallende Rolle, denn die Mitglieder dieser von
der Parteilinie abweichenden Gruppe unterscheidet sich durch eine völlig gegensätzli-
che Vita von der Parteiführung. Kein einziger Emigrant gehörte dazu, dagegen stellte
die SPS-Landtagsfraktion die Mehrheit der Emigranten im Parlament, ebenfalls im
Gegensatz dazu waren die Abweichler Kriegsteilnehmer oder im Arbeitseinsatz gewe-
sen.263 Der DSP gelang der Einbruch in das Herz der saarländischen Sozialdemokratie,
im Bezirk Neunkirchen untergrub die DSP die SPS-Position.264 Neunkirchen war der
mitgliederstärkste Bezirk der SPS, er umfaßte im Mai 1952 2.456 Mitglieder, über 25
Prozent aller SPS-Mitglieder rekrutierten sich aus ihm.265
Aber auch in Ottweiler, in Homburg und in geringerem Maße auch in Merzig machte
die verbotene DSP der SPS verstärkt Konkurrenz. Interessant ist, daß die Hochburgen
der DSP sich in den Kreisen befanden, in denen bei den Landtagswahlen 1952 ein
relativ hoher Anteil an ungültigen bzw. "weißen Stimmen” abgegeben wurde. In
Homburg waren es mit 30,8 Prozent am meisten, wobei hier zu erwähnen ist, daß der
Kreis Homburg den höchsten Protestantenanteil im Saarland mit 47,4 Prozent hatte.
Ein hoher Anteil von "weiß-Wählern" war auch in St. Wendel mit 28,5 und Ottweiler
mit 26,5 Prozent zu finden.266 In diesen Kreisen war dann beim Referendum am 23.
Oktober 1955 auch der Anteil der Nein-Sager überdurchschnittlich hoch, so in der
Stadt Homburg mit 70,8 Prozent, im Kreis sogar 73 Prozent und in der Stadt Ottweiler
stolze 78,6 Prozent, im Kreis 69,3 Prozent.267
262 SPD-Homburg (Hrsg.), Sozialdemokraten in Homburg.75 Jahre SPD Homburg-Mitte, Homburg 1972.
263 Siehe dazu: Becker, Die politischen Parteien, S.283.
264 Siehe dazu auch: Schmidt, Saarpolitik, Bd.2, S.291.
265 ASDP Bonn, Sammlung Kunkel, Nr.67, Aufstellung der SPS-Hauptkasse vom 27.5.52. Die SPS hatte
im Mai 1952 9.450 Mitglieder in 11 Unterbezirken und 203 Ortsgruppen. Neunkirchen: 2456/ Brebach:
605 / Saarbrücken: 1405 / Homburg: 592 / Sulzbach: 1149 / St. Ingbert:457 / Völklingen: 1136 /
Merzig: 401/ Saarlouis: 685 / St. Wendel: 374/Wadern: 190.
266
Stat. Angaben aus: LA SB, Staatskanzlei-Pressearchiv 031-4.
267 Statistisches Amt des Saarlandes (Hrsg.), Kurzbericht 11/10 vom 8.11.55.
398
Von den sieben Personen, die die Zulassung der DSP beantragten, kamen zwei aus
dem Kreis Homburg (Karl Berg und Fritz Niebing) und zwei aus dem Kreis Neunkir-
chen (Fritz Wilhelm und Erich Neumann), einer aus dem Kreis Merzig ( Willi Kuhnen)
und einer aus Saarbrücken-Land (Peter Detemple aus Sulzbach).268
Beim Metallarbeiterstreik im Februar 1955, als die Streikenden vors Landtagsgebäude
zogen, waren es auch Mitglieder der DSP aus dem Raum Neunkirchen und Homburg,
die sich auffallend engagierten und die Parole in Umlauf brachten, der Streik sei der
"17. Juni des Saargebietes".269
Neunkirchen, Ottweiler und Homburg als Zentren der DSP - dies spiegelt sich auch in
den SPD-Festschriften der Ortsverbände in beiden Kreisen wider. Der Ortsverband
Schiffweiler (bis zur Gebietsreform zum Kreis Ottweiler, dann zum Kreis Neunkirchen
gehörend) schildert in seiner Broschüre zum 75jährigen Bestehen voller Stolz die
mutige Aktion der Genossen Erich Schulz und August Schneider, die mit einigen
anderen, eine schwarz-rot-goldene Fahne zwischen Hochspannungsmasten an der
Bahnstrecke von Saarbrücken nach Schiffweiler aufgehängt hätten, oder die Aktivitä-
ten der Landsweiler Gruppe, die 1952 während des Spieles zwischen dem Saarland und
dem VfB Stuttgart um die deutsche Fußballmeisterschaft Flugblätter unter die Leute
gebracht hatten. Ähnlich steht der SPD-Ortsverband Marpingen zur oppositionellen
DSP, in seiner Jubliäumsschrift von 1989 wird auf die vielen Anhänger der DSP,
insbesondere auf die "Marpinger-Buben" hingewiesen.270
Im Juli 1955 war der stärkste Bezirk der DSP Ottweiler mit 263 eingeschriebenen
Mitgliedern, gefolgt von Homburg mit 225, Neunkirchen mit 127 und St. Ingbert mit
123 Mitgliedern, Saarbrücken-Land zählte 170, am schwächsten war die DSP in der
Stadt Saarbrücken organisiert.271 Dort war auch der Arbeiteranteil der Bevölkerung mit
46,6 Prozent am geringsten, während er in Saarbrücken-Land mit 62,8 Prozent am
größten war. In der Stadt Saarbrücken scheint sich die SPS weitgehend gehalten zu
haben, denn die DSP war hier am schwächsten. Die Mitgliederzahlen legen nahe, daß
der Arbeiteranteil der DSP -wie für eine sozialdemokratische Partei zu erwarten-
ausgesprochen hoch war.272
268 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.2, S.288-290.
269 Heinrich David, "An der Saar standen alle Räder still (...)", in: DIE ZEIT vom 3.3.55.
270 Dazu: SPD-Homburg (Hrsg.), Sozialdemokraten in Homburg. SPD-Schiffweiler (Hrsg.), 75 Jahre-SPD
in Schiffweiler, Schiffweiler 1984. Die Flagge wurde mit isolierten Stangen auf dem obersten Leitungsdraht
mit Rollen befestigt. 40 Jahre SPD-Marpingen, SPD Marpingen (Hrsg.), Marpingen 1949-1989,
Neunkirchen 1989.
271 ASDP Bonn, Sammlung Kunkel, Nr.50, Vertraulicher Bericht der Landeskriminalpolizei vom 15.7.55,
272 Die Quellensituation läßt kaum genauere Aussagen zu. Vgl. Küppers, Bildungspolitik, S.26.
399
Erfolgreiche Jugendarbeit
Die Formulierung "Marpinger-Buben" für junge oppositionelle Sozialdemokraten,
zeigt ein weiteres Merkmal der DSP. Altersspezifisch differenziert scheint vor allem die
jüngere Generation in der DSP relativ stark engagiert gewesen zu sein. Es wäre eine
plakative Typologisierung, die SPS als mittelstandsorientierte Beamten- und Rentner-
partei und die DSP als Arbeiterpartei und Partei der jüngeren Generation zu bezeich-
nen. Zulässig erscheint es aber, die Altersstruktur als ein soziologisches Unterschei-
dungsmerkmal zwischen beiden Richtungen zu sehen. Mitglieder und Funktionäre der
SPS scheinen älter gewesen zu sein, damit unterschied sie sich kaum von der Nach-
kriegs-SPD,273 während in der DSP in weit höherem Maße junge Menschen politisch
engagiert waren, nicht zuletzt ist hier auf Friedei Regitz hinzuweisen. Der von ihm
geleitete Bund der Sozialistischen Jugend Saar, der auch vom Kaiser-Ministerium
unterstützt wurde, organisierte regelmäßig größere Zeltlager z.B. in Bordeaux oder im
Schwarzwald und versuchte, über Ferienaktionen die "Jugendlichen im Sinne der
deutschen Saarpolitik" zu beeinflussen.274 Die oppositionellen Sozialdemokraten
setzten auf die Jugend - wahrscheinlich in Erinnerung an den hohen Stellenwert der
politischen Jugendarbeit in den zwanziger Jahren - große Hoffnungen.275 Gerade
unmittelbar nach Kriegsende scheint zunächst auch das Engagement der Jugend auf der
Gewerkschafts- wie auf Parteiebene eher rückläufig gewesen zu sein, sich dann aber an
der Saar parallel mit der Entfaltung der Opposition zunehmend entwickelt zu haben.276
Dennoch erfordert eine Generalisierung eine spezielle Analyse, die allerdings wegen
der zerstörten Überlieferung der zugelassenen Parteien kaum möglich sein dürfte. In
Zeitungsberichten findet sich der Hinweis, daß die als Lehrling, Arbeiter oder als
Angestellter über ein Einkommen verfügende Jugend wegen der Familienzulagen
unzufrieden gewesen sei, denn diese begünstigten Verheiratete und Familien.277
Tendenziell gilt, daß viele jüngere Sozialdemokraten, die ursprünglich in der SPS und
ihrer Jugendorganisation "Die Falken" organisiert waren, sehr früh auf Oppositions-
kurs gingen. Entsprechende Informationen erhielt das Hohe Kommissariat bereits im
Juni 1948 und im Januar 1949.278
Friedei Regitz begann den Kontakt junger SPS-Mitglieder zur pfälzischen SPD in einer
Zeit zu intensivieren, als das Verhältnis zwischen SPS und SPD auf einem Tiefpunkt
angelangt war.279 Ein weiteres Indiz für das relativ starke Engagement der Jugend in
273 Kusch, Die Wiedergründung der SPD, S.57-64, 300.
274 BA KO, B 137, Nr.3478, Vermerk vom 14.7.53, III 1-079-1520/53.
275
Linsmayer, Politische Kultur, S.109.
276 StA SB, NL Schüler, Nr.32, E. Schüler an Dr. Brand vom 6.1.46. Siehe auch Nr.28.
277 BA KO, B 137, Nr. 1400, Die Tat v. 12.5.52.
278 MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.71, B1.79, Bl l 11 Vermerke vom 4.1.49.
279 Ebd., Doss.63, Bi.28, Vermerk vom 26.1.1951.
400
der Opposition ist auch das Wirken der pro-deutschen jungen Illegalen im I.V.
Metall,280 hinzu kommt das Engagement des Jugendsekretärs des I.V. Bergbau Paul
Schmidt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens auch, daß der Jugendanteil in der
von Anfang an pro-deutsch ausgerichteten KP-Saar als relativ hoch eingeschätzt wurde
und zudem eine deutlich steigende Tendenz aufwies. 1948 betrug er 17,4 Prozent,
gegenüber 1947 war er damit um 7,4 Prozent gestiegen und lag deutlich über dem
Anteil der Frauen, die ohnehin stolze 13,9 Prozent der Mitglieder stellten.281 Auch
innerhalb der CVP kamen von der Jugendorganisation "Junge Generation" Opposi-
tionssignale. Armin Heinen vertritt hinsichtlich der politischen Kultur der jüngeren
Generation zur Hoffmann-Zeit die These, daß oppositionelle Verhaltensmuster unter
Jugendlichen stärker ausgeprägt waren und daß dabei psychologische Aspekte eine
besondere Rolle gespielt haben, etwa im Sinne eines Aufbegehrens gegen Autoritäten.
Vor diesem Hintergrund dürfte auch die Illegalisierung der Opposition jugendliches
Oppositionsstreben geradezu gefördert haben.282
Es bleibt eine offene Frage, ob die kollektive Erfahrung zwischen jüngerer und älterer
Generation in der Saarfrage divergierte, in diesem Zusammenhang ist darauf hin-
zuweisen, daß sich für das "Dritte Reich" die Tendenz erkennen läßt, daß das Kriegs-
ende insbesondere von der jüngeren Generation nicht als Befreiung, sondern eher als
Niederlage verstanden worden ist.283
5.2 Koordinierung und Vernetzung der Opposition
Kurt Conrad erscheint als Architekt und Organisator einer Koalition oppositioneller
Kräfte mit dem Ziel, Aktionen der nicht zugelassenen DSP mit denen der oppositionel-
len Gewerkschaftsgruppen zu koordinieren und sie in einen größeren politischen
Rahmen zu setzen. Deshalb bemühte er sich parallel, die Beziehungen zum DGB, zum
Kaiser-Ministerium und zur SPD zu verbessern. Er versprach sich davon eine finan-
zielle Unterstützung, um die Weiterführung und den Ausbau der Opposition zu sichern.
Diese Vernetzung der Opposition verdeutlicht seine Strategie nach der Absetzung von
Paul Kutsch am 20. November 1952. Noch am selben Tag suchte Conrad den direkten
persönüchen Kontakt zu Kutsch und Aloys Schmitt in Neunkirchen.284 Er beabsichtig-
te, über den DGB bei den einzelnen deutschen Industriegewerkschaften Protesterklä-
rungen zu erwirken. Sie sollten im Radio über den Berliner Sender, der im Saarland gut
Kotthoff und Ochs, Mitbestimmung, S.46.
281 BA KO, B 118, Nr.60, Bericht über den Parteitag des KP-Landesverbandes Saar am 5. und 6.6.1948,
verf. von Walter Bloch, KPD-Hessen, am 16.6.48.
282 H e i n en, Saarjahre ,Bd,2, S.338.
283 Alexander von Plato, "Was wäre ohne uns?", in: Gewerkschaftliche Monatshefte 36/1985, S.228.
284 Interview mit Paul und Walburga Schmidt am 24.5.94.
401
empfangen werden konnte, verbreitet werden. Die Strategie Conrads bestand darin, die
Kutsch-Affäre angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen am 30. November zum
Politikum zu stilisieren, indem die Vorgänge mit der Repression in der DDR verglichen
werden sollten. Er sah in der Affäre Kutsch die Chance, die gewerkschaftliche und
politische Opposition durch Unterstützung von außen zu koordinieren und ihr durch
das Eingreifen bundesdeutscher Kräfte zusätzliche Dynamik zu verleihen. Wohl nicht
zuletzt durch sein Einwirken kam am 21. November 1952 in Bonn ein Gespräch
zwischen Repräsentanten des DGB, der gewerkschaftlichen Opposition, oppositionel-
len Sozialdemokraten und Repräsentanten der SPD zu Stande.
Nach seinem Willen sollte der Gewerkschaftler und Sozialdemokrat Franz Bögler aus
Neustadt/Weinstraße als Verbindungsmann zum DGB fungieren. Auf diesem Wege
sollte auch eine finanzielle und materielle Unterstützung der Oppositionsgruppen für
Flugblätter und Kraftfahrzeuge organisiert werden. Außerdem sollte Sebastian Glöbel,
der beim Verbandsausschluß der Kutsch-Gruppe eine wichtige Rolle gespielt hatte,
diskreditiert werden. Über den Kollegen Scharnowski sollte beim Document Center in
Berlin Glöbels nationalsozialistische Vergangenheit, vor allem seine Ausbildung in
einer NS-Ordensburg und bei der SS, ausgeleuchtet werden, um "Munition" gegen ihn
zu gewinnen.285
Intensivierung der Kontakte zur Bonner SPD
Seit Oktober 1948 war innerhalb des Hohen Kommissariates bekannt, daß Kurt Conrad
als Verbindungsmann der Oppositionsgruppe in der SPS zur Bonner SPD arbeitete und
damit die Rolle Ernst Roths übernommen hatte. Mit ziemlicher Sicherheit aber bestan-
den die Kontakte schon seit Januar 1947, als Kurt Schumacher auf SPS-Mitglieder
einwirkte, sich gegen die Wirtschaftsunion mit Frankreich auszusprechen. Die SPD
versuchte auch danach in die SPS hineinzuwirken und 1951 den autonomistischen
Mehrheitsflügel um Dr. Heinz Braun, Richard Kirn und Peter Zimmer auszuhebeln.
Dieser zu Beginn des Jahres 1951 unternommene Versuch, der innerhalb der Partei vor
allem von Dr. Hans Peter Will und Karl Etienne getragen wurde, scheiterte jedoch.286
Der als Sieg der Opposition geplante Parteitag der SPS am 21. April 1951, zu dem
zahlreich SPD-Prominenz aus Bonn wie z.B. Willi Eichler und Ernst Roth angereist
war, endete mit einem Debakel. Kurt Conrad konnte die für den Einzug in den Vor-
stand erforderliche Stimmenzahl nicht erreichen, nur Jakob Zender gelangte als ein-
ziger der oppositionellen Richtung in den Vorstand. Dagegen hatte Friedei Regitz als
285 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/355, Niederschrift über eine Besprechung mit Gewerkschaftskollegen von
der Saar und Vertretern des Partei Vorstandes der SPD am 21.11,52 in Bonn.
^Becker, Die politischen Parteien, S.283-285. MAE Nantes, HCS, Cab.Polit., Doss.61, B1.6, Vermerk,
Einladung von saarländischen Sozialdemokraten zum Kölner SPD-Parteitag; ebd., Bl. 12, Vermerk, Risse
in der SPS. ASDP Bonn, Sammlung Kunkel, Nr. 21 A, Protokoll der Generalratssitzung.
402
Vorsitzender der Jugendorganisation automatisch kraft seines Amtes wie Luise Schiff-
gens als Frauen Vertreterin einen Sitz im Vorstand.287
Dr. Strohm - selbst Mitglied der SPD-, Leiter des Saarreferates im Auswärtigen Amt,
kritisierte die Taktik seiner Partei als "mißglücktes Unternehmen". Die Saar lasse sich
nicht vom Bundesgebiet aus befehlsmäßig dirigieren. Es sei unklug, die Situation der
Bundesrepublik in den schwärzesten Farben zu malen und andererseits die saarlän-
dischen Sozialdemokraten zu einer "Heim ins Reich Politik" aufzufordern.288
Innerhalb der Bonner SPD differierte die Einschätzung, wer von den oppositionellen
Sozialdemokraten an der Saar nach Persönlichkeit und politischem Gewicht die Rolle
eines führenden pro-deutschen Sozialdemokraten an der Saar spielen sollte. Nach dem
Sulzbacher SPS-Parteitag wurde von einigen Mitgliedern des Parteivorstands die
fehlende persönliche Ausstrahlung von Kurt Conrad kritisiert. Als eine interessantere
Persönlichkeit mit Führungsqualitäten wurde Dr. Hans Peter Will eingeschätzt. Er
wurde zuweilen wohl wegen seiner Intellektualität als 'Carlo Schmid der saarländischen
Sozialdemokratie' bezeichnet, fiel aber wegen angeblich opportunistischen Verhaltens
in Ungnade.289 Im Laufe der Zeit gewann aber Conrad auf der Bonner Bühne zuneh-
mend an Gewicht, nicht zuletzt wegen seiner - aus Bonner Sicht - politischen
Integrität.290
Für den Kontakt zwischen SPD-Spitze und pro-deutscher Sozialdemokratie an der Saar
war vor allem Dr. Karl Mommer zuständig. Er arrangierte Besprechungen zwischen
der Gruppe um Conrad und dem SPD-BundesVorstand.291 Die Kontakte Conrads zur
Bonner SPD erwiesen sich insbesondere dann als wertvoll, wenn es galt, in den Ver-
handlungen mit dem DGB Fortschritte zu erzielen und Aktionen mit dem Kai-
ser-Ministerium zu koordinieren. 1955 wurde die Verbindung zur SPD noch intensi-
ver, die Bonner stellten Redner und Wahlkampfspezialisten zur Verfügung.292
287 K u n k e I, Dokumente und Erinnerungen, S.198.
288 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.480, Vermerk 214-03 114715/51 vom 25.4.51.
289 AS DP Bonn, Sammlung Kunkel, Nr.66, Vermerk zum Sulzbacher Parteitag 1951. Zu den Hin-
tergründen: BA KO, B 137, Nr.3410, III-1/769/51 AZ 70 vom 7.6.51.
290 PAA Bonn, Bestd. Abt.2, Nr.483, Bl.38, Vermerk vom 4.1.52, 214 03 11-099-52 vom 4.1.52: "(...) hat
hier einen durchaus positiven Eindruck hinterlassen."
291 AS DP Bonn, NL Dr. Karl Mommer, Nr.24. Leider enthält der Nachlaß zur Oppositionsarbeit der DSP
keine Hinweise.
292 Becke r, Die politischen Parteien, S.287.
403
Finanzielle Sicherung durch das Kaiser-Ministerium
In seinen Erinnerungen stellt Ernst Kunkel, möglicherweise mit einer gewissen Ironie,
mit Blick auf die DSP die Frage: "Was besonders interessant sein wird, ist die Fi-
nanzierung dieser Partei ?"293 Diese Frage kann heute geklärt werden.
Im Kaiser-Ministerium fand Conrad einen treuen Verbündeten, nicht zuletzt, weil man
dort auch die Bedeutung der Gewerkschaften erkannt hatte. Seine Konzeption, über
eine auf Partei- und Gewerkschaftsebene abgestimmte Oppositionsarbeit die Arbeiter-
schaft zu gewinnen, wurde als sinnvoll bewertet. Ebenso unterstützte man die Strategie,
mit der bürgerlichen Opposition zusammenzuarbeiten.294 * Dieses Konzept zeigte sich
z.B. darin, daß in der DSP-Zeitung "Freie Saarpresse" über die anderen Oppositions-
parteien berichtet und eine Arbeitsteilung mit CDU und DPS gefordert wurde. Robert
Heinz Schmidt bezeichnet die "Freie Saarpresse" auch als ein "Organ der gesamten
Opposition".293 Sie wurde in Mannheim gesetzt und im Saarland, in der Hochwald-
druckerei Bock bei Merzig, gedruckt.296 Obwohl die Bonner Regierungsstellen immer
wieder beteuerten, das Blatt finanziell nicht zu fördern, erhielt es vom Kaiser-Ministeri-
um finanzielle Hilfe.297
Seit April 1952 sind monatliche Subventionen des Kaiser-Ministeriums für die DSP
nachweisbar. Zunächst wurden allerdings je nach Bedarf für bestimmte Aktionen im
April 1952 5.510 DM gezahlt, Sonderzahlungen gab es für einige lokale Gruppen wie
z.B. die Aktionsgruppe Sulzbach, die im Juni 1952 vom Kaiser-Ministerium 4.000 DM
pro Monat erhielt. Ab Juni 1952 wurde dann die generelle monatliche Subvention für
die DSP von 2.000 auf 3.700 DM angehoben. Obwohl die Partei nicht zugelassen
worden war, gelang es DSP-Generalsekretär Oscar Detemple das gesamtdeutsche
Ministerium zu veranlassen, ab September regelmäßig monatlich 20.000 DM zur
Verfügung zu stellen, Sonderzahlungen für Aktionsgruppen waren darin aber in-
begriffen. Gegenüber Wilhelm Bodens vom gesamtdeutschen Ministerium wies De-
temple darauf hin, Ziel sei es, die SPS zu sprengen, insbesondere über die Aushöhlung
des Unterbezirks Neunkirchen nach der Devise, wer Neunkirchen hat, lenkt die saar-
ländische Sozialdemokratie. Für Flugblattkampagnen anläßlich der Landtagswahlen am
30. November 1952, mit der Botschaft 'weiß zu wählen', sagte das Kaiser-Ministerium
30.000 DM zu, wovon 26.280 DM tatsächlich gezahlt wurden. Diese Hilfe ermöglichte
der DSP 120.000 Flug- und Klebeblätter im Saarland zu verteilen, davon 60.000 mit
dem Titel "Kohlenklau", 30.000 mit "Kurt Conrad", 10.000 mit "Nach den Gruben
293
Kunkel, Dokumente und Erinnerungen, S.159.
294 PAA Bonn, Bstd. Abt,2, Nr.483, B1.38, Vermerk vom 4.1.52, 214 03 11-099-52
MAE Nantes, HCS, Cab. Polit., Doss. 21, Bl.66 f,,Vermerk über DSP und Doss.69, Bl.27. Siehe auch
Schmidt, Saarpolitik, Bd.l, S.556.
296
Siehe dazu auch: Berwanger, Massenkommunikation, S.169.
297 BA KO, B 137, Nr.3478, B1.56, Vermerk III/l-079-244/53.
404
werden die Hütten verschachert", 10.000 Klebezettel "Hände weg vom Warndt" und
"Fort mit den Konventionen" sowie 10.000 Klebezettel, die gegen "Hoffmann und
Grandval" persönlich gerichtet waren.298 Es stellt sich die Frage, wie diese Summen zu
bewerten sind. Auch wenn sie einerseits ziemlich üppig erscheinen, so sollte bedacht
werden, daß die oppositionelle Arbeit oft mit unvorhergesehenen Kosten verknüpft
war, wie folgendes Beispiel exemplarisch veranschaulichen soll. Oppositionszeitungen
wurden in Rheinland-Pfalz gesetzt, beim Hineinschmuggeln der Zeitungsmatern wurde
einmal ein Fahrer, der sich einen PKW bei seinem Arbeitgeber, der Ziegelei Koppel in
Zweibrücken, ausgeliehen hatte, von den französischen Zollfahndern ertappt. Er wurde
verhaftet und der von ihm gefahrene Opel konfisziert. Der Ziegeleibesitzer stellte für
die Entlassung seines Mitarbeiters aus der Untersuchungshaft die festgesetzten 848.000
FRS zur Verfügung, sein Auto blieb aber vorerst beschlagnahmt. Es ging dann aber um
die Frage, wer denn den Gesamtschaden von 12.275 DM trägt. In solchen Fällen war
das Kaiser-Ministerium Ansprechpartner, das aber nicht immer gewillt war, zu
zahlen.299
Bisher wurde in der Forschung davon gesprochen, daß gegen Jahresende 1953 die
Unterstützungen aus Bonn für die DSP erheblich gekürzt worden seien, auch Conrad
soll sich so geäußert haben.300 Dieses Bild muß differenziert werden. Richtig ist, daß im
Oktober 1953 die Subventionen von 22.350 auf 18.150 DM pro Monat zurückgefahren
wurden. Hintergrund waren aber allgemeine Kürzungen im Etat des Kai-
ser-Ministeriums, auch die Arbeit für Schleswig-Holstein und für Aktivitäten im Osten
waren davon betroffen.301 Grundsätzlich hat das Kaiser-Ministerium die oppositionelle
Sozialdemokratie in weit größerem Umfang als die CDU-Saar gefördert.302 Wie ging
nun die finanzielle Unterstützung konkret vor sich?
Das Kaiser-Ministerium wollte vermeiden, daß es bzw. die Bundesregierung als
Geldgeber in Erscheinung trat. Deshalb überwies das Ministerium die Gelder getarnt
als Rechnung Nr.307 an Alfred Nau, den damaligen Hauptgeschäftsführer der SPD.
Dann wurde von Karl Mommer und Herbert Wehner, damals Vorsitzender des Bun-
destagsausschusses für gesamtdeutsche Fragen, das Geld an die Saar geleitet. Herbert
Wehner transferierte es ins Franken-Währungsgebiet. Für die Überprüfung und Ver-
wendung war u.a. Hans Berrang in Sulzbach zuständig.303 Er war Conrads Verbin-
dungsmann im saarländischen Arbeitsministerium.304
Ebd., Bl. 19 und Bl.34 f., Kurzvermerke.
299 Ebd., B1.56, Vermerk II1/1-079-244/53.
300 B e c k e r, Die politischen Parteien, S.286.
301 BAKO, B 137, Nr.3478, B1.70f„ Bl.81, Vermerk III1-079-100/53.
302 Ebd., B1.51, 56 und Vermerk III 1-079-49/53
303 Ebd., Bl,24, Vermerk III/1-079/28/52 vom 28.3.52
304 S c h n e i d e r, Das Wunder, S.390, 395.
405
Diese Zusammenhänge verdeutlichen, wie eng die Kontakte zwischen dem Bonner
Kaiser-Ministerium und der oppositionellen Sozialdemokratie in Saarfragen gewesen
sind.
Aufiau einer Verbindung z.um DGB
Neben dem gesamtdeutschen Ministerium suchte Conrad den Kontakt zum DGB in
Düsseldorf. Diese Versuche waren jedoch zunächst nicht sehr erfolgreich, was im
Rahmen einer ausführlichen Analyse geklärt werden soll. Hier spielten sowohl politi-
sche als auch persönliche Gründe eine Rolle, insbesondere das schlechte Verhältnis
von DGB-Bundesvorstandsmitglied Albin Karl zu Kurt Conrad und anderen führenden
Köpfen der Opposition an der Saar. Dennoch fanden die oppositionellen Sozialdemo-
kraten die Unterstützung durch deutsche Gewerkschaftler, insbesondere durch den
DGB-Vorsitzenden von Rheinland-Pfalz Adolf Ludwig, zu diesem Zeitpunkt
SPD-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der pfälzischen SPD.305
Über die Achse zu Ludwig gelang es der oppositionellen Sozialdemokratie, das Ge-
werkschaftshaus des DGB in Elmstein im Pfälzer Wald benutzen zu können. Hier
wurden junge saarländische Gewerkschaftler und DSP-Mitglieder geschult. Ziel dieser
Arbeit war die Verknüpfung von oppositioneller Partei- und Gewerkschaftsarbeit. Der
Geschäftsführer der Postgewerkschaft Hans John (DSP) soll dort zahlreiche Kurse
abgehalten haben. Die Kursteilnehmer, vorwiegend Mitglieder der Industrieverbände
Metall und Bergbau, sollten zur aktiven oppositionellen Gewerkschaftsarbeit aktiviert
werden. Positiv wirkte sich hier aus, daß auch das Verhältnis von Ernst Uhrig, des
Jugendleiters des DGB in Rheinland-Pfalz, zu Albin Karl gespannt gewesen sein
soll.306 Oscar Detemple versuchte beim Kaiser-Ministerium für die Kurse und Referen-
tenlehrgänge finanzielle Unterstützung zu erhalten. Dort verwies man jedoch auf den
DGB. Albin Karl verweigerte aber eine finanzielle Unterstützung mit der Begründung,
man habe bei der bisherigen gewerkschaftlichen "Bildungsarbeit" für das Saargebiet
feststellen müssen, daß die Tendenz der Lehrgänge nicht in Übereinstimmung zur
Saarpolitik des DGB stünde, wobei Karl Vorbehalte gegenüber zu nationalen Tönen
hatte.307 Diese Vorgänge deuten darauf hin, daß im Verhältnis oppositioneller Sozial-
demokratie und Gewerkschaften an der Saar zum DGB Sand im Getriebe war.
Günter Braun, Sozialdemokratie und kommunistischer Widerstand in der Pfalz. Illegale
Organisationsansätze und politische Traditionswahrung der Arbeiterparteien unter dem NS-Regime, in:
Gerhard Nestler und Hannes Ziegler (Hrsg.), Die Pfalz unterm Hakenkreuz, Landau 1993, S.385.
306 BA KO, B 137, Nr.3478, Vermerk III/1-079-2844/53 vom 21.1.54 und III/1-079-1030/54 vom 26.4.54.
307 Ebd., Vermerk III/l- 079-1289/54 und Vermerk vom 16.6.54 . LTS DS Abt. II, Nr.147 vom 20.10.53,
S.4.
406
6. Zur Saarpolitik des Deutschen Gewerkschaftsbundes
6.1 Das Ende der Zuschauerrolle
Bis 1951/52 scheint das Saarland kein großes Thema für den DGB-Bundesvorstand
gewesen zu sein. Eine gewisse Orientierungslosigkeit hinsichtlich der Saarfrage wie
aber auch fehlendes Interesse dürften dafür verantwortlich gewesen sein. Am 1. März
1952 fand ein Treffen zwischen DGB und saarländischen Gewerkschaftlern statt. Aber
auch in den nächsten Monaten gingen die feststellbaren Aktivitäten nicht über Bericht-
erstattung und Beschaffung von Informationen, womit das DGB-Bundes-
vorstandsmitglied Albin Karl den Pfälzer Karl Dinges beauftragt hatte, hinaus.308 Er
wurde u.a. damit betraut, einen Bericht über die Sozialpolitik und die Gewerkschafts-
landschaft im Saarland anzufertigen.309 Der DGB scheint aber nach wie vor eine
Zuschauerrrolle gespielt zu haben. Intern verständigte sich der Bundesvorstand darauf,
daß das Saarland "deutsches Staatsgebiet" sei, und deshalb sprach man auch vom
"Saargebiet". Damit bekannte er sich zu seiner Verantwortung für die Gewerkschaften
an der Saar als Teil der deutschen Gewerkschaftsbewegung.310 Das Bemühen, endlich
Farbe zu bekennen, schlug sich auch in der demonstrativen Aussage nieder:"Der DGB
hat sich zu keiner Zeit für die Beibehaltung des Status quo an der Saar eingesetzt".311
Nach einem Gespräch führender DGB-Gewerkschaftler wie Walter Freitag
(DGB-Vorsitzender 1952-1956/Mitglied der SPD), Albin Karl, Georg Reuter und
Matthias Föcher mit Paul Kutsch und Aloys Schmitt am 31. Oktober 1952 erklärte sich
der DGB-Bundesvorstand bereit, auf die Bundesregierung einzuwirken, bei den
weiteren Verhandlungen mit Frankreich, die Verschiebung der für den 30. November
angesetzten Landtags wählen und die Zulassung pro-deutscher Parteien zu erreichen.
Um diese Ziele durchzusetzen, sollten auch die Betriebsräte an der Saar einbezogen
werden. Auch zu einer gewissen materiellen Unterstützung wie z.B. zur Finanzierung
von Flugblättern erklärte sich der DGB bereit. Weiterhin sagte er zu, die gewerk-
schaftliche Jugendarbeit an der Saar zu fördern, z.B. durch Unterstützung bei der
Organisierung und Finanzierung von Schulungskursen in Rheinland-Pfalz.312
6.2 Dynamisierung der Saarpoliük des DGB durch Gewerkschaftsrepression
Die Aktion gegen Paul Kutsch vom 20. November 1952 zwang den DGB endgültig
zum Handeln, wie das Bundesvorstandsprotokoll vom 25. November 1952 verdeut-
308 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/5825, Niederschrift über ein Treffen zwischen DGB und Saargewerk-
schaftlern vom 1.3.52.
309 Ebd., 24/348, Aktennotiz vom 10.10. und 5.11.52.
310 Ebd., 24/355, Aktennotiz zur Sitzung Albin Karls und Karl Rosenbergs im August 1952.
311 Ebd., 24/348, Beratung am 26.8.52, Aktennotiz zur Besprechung mit Hans Böckler am 31.10.52 in
Düsseldorf.
312 Ebd., 24/355, Vermerk. Biographische Angaben bei: Wolfgang Schröder, Katholizismus und Ein-
heitsgewerkschaft, Bonn 1992, S.424.
407
licht:"Wir müssen den Kollegen an der Saar zu Hilfe kommen, sei es finanziell oder
ideel, damit sie wieder freier und in gewerkschaftlicher Hinsicht beweglicher werden.
Kollege Freitag ist der Meinung, daß es noch zu einer Steigerung der Vorgänge an der
Saar bis zur endgültigen Wahl kommen wird".313
Auch die Erinnerung von Aloys Schmitt bestätigt diesen Befund:"Der DGB hielt sich
zunächst zurück und interessierte sich nicht besonders für uns. Nach dem gewaltsamen
Eingriff in Gewerkschaftsrechte bzw. mit der Absetzung Kutschs mußte er sich aber
äußern, der Druck, als Gewerkschaft darauf reagieren zu müssen, war zu groß."314
Der DGB beschloß eine Flugblattaktion, in der er sich mit der gewerkschaftlichen
Opposition solidarisierte. In einem Aufruf an alle Gewerkschaftler rief er zum Wider-
stand auf:"Wir appellieren an Euch, nicht nachzulassen in Eurem Widerstand. Wir
fordern Euch auf, den gegen Euer Vertrauen und gegen Euren Willen widerrechtlich
eingesetzten Personen, nicht zu folgen". Er fand harte Worte, verglich die Verhältnisse
im Saarland mit der Politik Hitlers und den Zuständen in der Sowjetischen Besatzungs-
zone, gleichzeitig meldete er jetzt seinen Anspruch an, aktiv in die Entwicklung im
Saarland einzugreifen:"Die deutschen Gewerkschaften werden nicht tatenlos zusehen,
daß an der Saar Mittel angewendet werden, die ihr Beispiel nur bisher in der gewalt-
samen Besetzung der Gewerkschaftshäuser durch Hitler in Deutschland und in den
Gewalt- und Unterdrückungsmethoden der Kommunisten gefunden haben Sie
befürchten, daß das Unrecht in der Sowjetzone durch das Beispiel an der Saar legali-
siert wird".315
Auch wenn es im Oktober 1952 zunächst so schien, als ob der DGB die Gruppe um
Paul Kutsch und Aloys Schmitt aktiv unterstützen würde, so zeigt die weitere Entwick-
lung ein facettenreicheres Bild. Der DGB-Bundesvorstand und wohl vor allem der mit
der Saarfrage beschäftigte Albin Karl reagierte auf die nationalen Töne der oppositio-
nellen Gewerkschaftler mit wachsender Sensibilität. Schon die Rede Paul Kutschs auf
dem Berliner DGB-Kongreß im Herbst 1952, in der er die Saar als "Kolonialland" und
die Saarländer als "Sklaven Frankreichs" bezeichnet hatte, war nicht nur von vielen
Gewerkschaftlern des DGB, sondern auch von Teilen der saarländischen Einheits-
gewerkschaft negativ aufgenommen worden.316 Die Tatsache, daß Paul Kutsch und
Aloys Schmitt parteipolitisch nicht engagiert waren, wirkte als Katalysator für das
Unbehagen des DGB gegenüber ihren nationalen Tönen. Für ihn waren Kutsch und
313
Ebd., Protokolle über Sitzungen des DGB-Bundesvorstandes 24/8, Bl.144, Protokoll über die Sitzung
des DGB-Bundesvorstandes vom 25.11.52.
314 Interview mit Aloys Schmitt am 27.1.1994.
315 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/8, Bl.155, DGB-Flugblattaktion.
316 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl.142, Grandval an R. Schuman vom 30.10.52. Siehe
auch ebd., Bl.147 f.
408
Schmitt damit politisch schwer kalkulierbar, insbesondere auch die Zusammenarbeit
von Paul Kutsch mit Dr. Heinrich Schneider belastete das Verhältnis Albin Karls zu
den oppositionellen Gewerkschaftskreisen. Für ihn war es unverständlich, daß eine
Gewerkschaft überhaupt mit einem Mann wie Schneider Zusammenarbeiten konnte,
nicht zuletzt wegen dessen Rolle im Abstimmungskampf 1935.317 Hier zeigen sich
gewisse Übereinstimmungen zu Konrad Adenauer, der Heinrich Schneider als "Na-
tionalsozialisten" bezeichnete und sich über dessen "unverhüllten Nationalismus"
empörte.318 Auch über die nationalen Töne der Gruppe um Kurt Conrad waren Albin
Karl und andere Bundesvorstandsmitglieder konsterniert. Man hatte erfahren, daß bei
Kursen für den saarländischen Gewerkschaftsnachwuchs Lieder wie "Volk an der Saar,
treu, deutsch und wahr" gesungen wurden und die Teilnehmer darauf eingestimmt
wurden, zu einer "jungen Garde zum Kampf gegen Frankreich" ausgebildet zu
werden.319 Dazu ist festzustellen, daß nationale Töne auch von den eher autonomistisch
ausgerichteten Gewerkschaftskreisen angeschlagen wurden. Wie sehr die Stimmung
inzwischen national geprägt war, verdeutlicht eine Überschrift in der Ausgabe des
"Saar-Bergbau", eine Woche nach der Absetzung Kutschs, mittlerweile unter der
Verantwortung der Gruppe um Johann Dreher und Sebastian Glöbel stehend. In
Anspielung auf Kutschs angebliche MRS-Mitgliedschaft heißt es da: "Unser Deutsch-
tum kann uns niemand stehlen. Das wahren wir auch ohne MRS-Kämpfer wie Kutsch
bis zum Tode". In derselben Ausgabe war auch die von Aloys Schmitt entwickelte
Parole "Die Saargruben dem Saarvolk" in dicken Lettern zu lesen.320
Angst vor kommunistischer Instrumentalisierung
Ein weiterer Grund für Vorbehalte des DGB lag darin, daß in der gewerkschaftlichen
Opposition die Kommunisten eine einflußreiche Rolle spielten und auch die Wahl
Kutschs mit ihrer Hilfe erfolgt war.321 Vor dem Hintergrund der Westorientierung des
317 Interview mit Paul und Walburga Schmidt am 24.5.1994.
318 Konrad R e p g e n, Die Saar-Frage im Bundesparteivorstand der Christlich-Demokratischen Union
Deutschlands, 1950-1955. Über die Verschränkung von Innen- und Außenpolitischem in der Politik
Konrad Adenauers, in: Urs Altermatt, Judit Garamvölgyi (Hrsg.), Innen- und Außenpolitik: Primat oder
Interdependenz? Festschrift zum 60. Geburtstag von Walter Hofer, Bern 1980, S.87 f.
319 BA KO, B 137, Nr.3478, Vermerk III/l-079-1289/54 vom 16.6.54. Hier bestätigt sich die Aussage von
Sebastian Glöbel vor dem Untersuchungsausschuß des saarländischen Landtags.
320 LA SB, NL Heinrich Schneider, Nr.542, Saar-Bergbau vom 28.11.52.
321 PAA Bonn, Bestd. B 17/ Ref.219, Nr.90, B1.46-88.Vertraulicher Bericht des DGB: Das Saarland. Wirt-
schaft, Politik und Kultur. Mit Sorge wurde darauf hingewiesen, daß die Kommunisten einen beachtlichen
Einfluß auf die Arbeiterschaft und detaillierte Kenntnisse über die Situation in den Betrieben hätten.
Heinrich Wacker berichtete in einem Brief vom 22.8.52 Albin Karl, daß enge Beziehungen zwischen der
KP-Saar und der KPD in Frankfurt bestünden. Insbesondere wies er auf eine aktive Arbeit in den Betrieben
hin und den Informationsaustausch über die Betriebszellen.
409
DGB322 323 und seinen Erfahrungen mit Kommunisten spielte dies eine nicht zu unter-
schätzende Rolle für das Unbehagen gegenüber der gewerkschaftlichen Opposition an
der Saar. Gerade 1952 hatte der DGB massiv gegen den kommunistischen Einfluß
angekämpft und KP-Funktionäre, die Gewerkschaftspositionen bekleideten vor die
Alternative gestellt, entweder sich schriftlich zu verpflichten, nur den Weisungen der
Gewerkschaft zu folgen, oder ihre Funktion abzugeben. Insbesondere August Schmidt
(Erster Vorsitzender der IG Bergbau von 1946 bis 1954, SPD-Mitglied), und Georg
Leber (IG Bau, SPD-Mitglied) kämpften massiv gegen kommunistische Infiltration
323
an.
Die Angst des DGB-Bundesvorstandes vor der starken Stellung von Kommunisten in
den Industrieverbänden der Einheitsgewerkschaft spiegelt sich auch in den Informatio-
nen des französischen Außenministeriums über die Meinungsbildung im DGB wider.324
Darüberhinaus wurde diese Furcht bestätigt und zugleich erhöht durch die autonomisti-
schen Gewerkschaftler wie Heinrich Wacker und Eduard Weiter, die in Briefen an den
DGB-Bundesvorstand auf den tatsächlich vorhandenen kommunistischen Einfluß
hinwiesen und dabei auch Roß und Reiter nannten.325 Es ist davon auszugehen, daß sie
versuchten, auf diese Weise die vorhandene Kommunistenangst im DGB auch zur
Zurückdrängung der gewerkschaftlichen Opposition an der Saar zu instrumentalisieren.
Die Gespräche zwischen Eduard Weiter und Albin Karl sollen nach Informationen der
französischen Botschaft in Bonn, in einer sehr vertrauenswürdigen Atmopshäre statt-
gefunden haben.326
Bezeichnend ist auch, daß Weiter, der zusammen mit Dr. Heinz Braun für die Abset-
zung Kutschs verantwortlich gewesen sein soll bzw. von der gewerkschaftlichen
Opposition als einer der "Inspiratoren des Übergriffs gegen Kutsch"327 gesehen wurde,
dessen Absetzung damit begründete, auf diese Weise die Vormachtstellung der Kom-
munisten brechen zu können.328
322
Vgl. dazu: Lutz Niethammer, Entscheidung für den Westen, in: Heinz-Oskar Vetter (Hrsg.), Aus
der Geschichte lernen - die Zukunft gestalten. 30 Jahre DGB, Köln 1980, S.231-233. Hier sei u.a. auf die
Annahme des Marshallplans und die Zustimmung zur Montanunion durch den DGB hingewiesen.
323
Christoph Klessmann, Betriebsparteigruppen und Einheitsgewerkschaften, in: Vierte ljahrshefte für
Zeitgeschichte (VfZ) 31/1983, S.307. Gudrun Schädel, Die KPD in Nordrhein-Westfalen 1945-1956,
Diss. Bochum 1974, S.156. Georg Leber, Vom Frieden, Stuttgart 1979, S.46.
324 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Dass.109, B1.203, André François-Ponçet an Grandval vom
3.2.53.
325 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/5825, Heinrich Wacker an Albin Karl vom 24.4.52.
326 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl.289 f., Telegramm vom 15.8.53, Französische
Botschaft in Bonn an Grandval.
327
DGB-Archiv Düsseldorf, 24/355, Niederschrift über eine Besprechung mit Gewerkschaftskollegen von
der Saar und Vertretern des Partei Vorstandes der SPD am 21.11.52.
328 Ebd., 24/348, "Die Entwicklung in der Einheitsgewerkschaft Saar", verf. v. E. Weiter.
410
Der DGB war also für beide Richtungen innerhalb der Einheitsgewerkschaft ein
Gesprächspartner und für beide Seiten offen - trotz Polizeiaktion gegen Kutsch und
Gewerkschaftsverbot.
6.3 Politische Neutralität aus Sorge um den Gewerkschaftsgedanken
Parteipolitische Neutralität und Einheitsgewerkschaft
Eine wichüge Leitlinie für die Saarpolitik des DGB-Bundesvorstandes und insbesonde-
re für Albin Karl war das Bemühen um ein Primat der gewerkschaftlichen Interessen
und die Wahrung der parteipolitischen Neutralität, das heißt der DGB ging mit dem
Bewußtsein der Einheitsgewerkschaft an die Saarfrage heran und bedachte die mögli-
chen Konsequenzen bei einer einseitigen Parteinahme. Karl fürchtete, daß bei einer
gezielten Unterstützung der DSP und ihrer Gewerkschaftsaktivitäten, die parteipoliti-
sche Polarisierung wachsen und im Falle einer Rückgliederung des Saarlandes, es für
den DGB um so schwieriger werden würde, Arbeitnehmer zur Mitgliedschaft zu
motivieren.329 Mit dieser Position setzte sich die DGB-Spitze von der SPD und dem
Kaiser-Ministerium deutlich ab.330 Das Verhältnis von Albin Karl und Ludwig Rosen-
berg zu Kurt Conrad scheint auch auf Grund persönlicher Animositäten belastet
gewesen zu sein.331 Für Karl war der gewerkschaftliche Standpunkt parteipolitischer
Neutralität von entscheidender Bedeutung, deswegen lehnte er Conrads Wunsch, als
Verbindungsmann des DGB zur DSP zu fungieren, kategorisch ab. Eine Zusammen-
arbeit des DGB mit politischen Organisationen sei nicht möglich.332
Die Vermittlerrolle der Bonner SPD
Die SPD versuchte auf den DGB einzuwirken, die Verbindungen zwischen dem
verbotenen I.V. Bergbau und der sozialdemokratischen Opposition um Kurt Conrad zu
intensivieren und eine stärkere Kooperation beider Gruppen zu erreichen. In einem
Gespräch mit Erich Ollenhauer am 27. März 1953 beklagte Conrad "die passive, wenn
nicht sogar negative Haltung des DGB-Bundesvorstandes bzw. einzelner Industriege-
werkschaften" und warnte vor den "defaitistischen" Auswirkungen auf die saarlän-
dischen Arbeitnehmer, insbesondere die IG Bergbau halte sich nicht an die zugesagte
Unterstützung. Für den Kontakt zwischen DGB und SPD in dieser Frage scheint neben
329 Interview mit Norbert Engel am 26.8.1994.
330 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, B1.262 f., Telegramm der Franz. Botschaft in Bonn an
Grandal vom 13.5.53:" (...) se trouve donc en opposition tant avec le gouvernement fédération, du moins,
le ministre Kaiser, qui sont opposés à toute entente entre les deux tendances syndicalistes sairoises .
331 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/348, Aktennotiz. Ebd„ 24/355, HA Ausland an die Mitglieder des
geschäftsführenden Bundesvorstandes.
332 Ebd., 24/358, Aktennotiz Beckmann für Karl über Treffen Conrad, Karl, Beckmann vom 18.12.52.
Ebd., Aktennotiz vom 27.1.53. Ebd., 24/351, von Karp, Parlament. Verbindungsstelle in Bad Godesberg,
an A.Karl vom 4.5.54.
411
Dr. Karl Mommer auch Wilhelm Mellies333 eine Rolle gespielt zu haben, er war bis 7.
Oktober 1952 parlamentarischer Geschäftsführer der SPD und Mitglied im Partei-
präsidium sowie Mitglied des Ausschusses für Berlin. Damit entsprach die Bonner
SPD dem Drängen von Kurt Conrad, der in seinem Bemühen, die Arbeit zwischen
DSP und oppositionellem I.V. Bergbau zu intensivieren, über Alleingänge und Un-
zuverlässigkeiten von Paul Kutsch enttäuscht war.
Eine Forcierung der Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und politischen Parteien im
Saarland lehnte die Mehrheit des DGB-Bundesvorstandes ab. Walter Freitag und Albin
Karl stimmten in dieser Politik mit dem Vorsitzenden der IG Bergbau August Schmidt
überein. Dies ergibt sich sowohl aus der Aktenlage des DGB als auch aus den Lagebe-
richten der französischen Botschaft in Bonn an die Mission Diplomatique in Saar-
brücken.334
Der DGB war nicht nur dem Werben der SPD und DSP zur Zusammenarbeit in der
Saarfrage ausgesetzt, sondern auch andere politische Kräfte suchten seine Unterstüt-
zung wie z.B. Hubertus Prinz zu Löwenstein mit seiner deutschen Aktion für die
Saar.335 Der DGB-Bundesvorstand ließ sich aber in seiner eher zurückhaltenden, nach
beiden Seiten offenen Haltung nicht beirren, obwohl auch das Kaiser-Ministerium über
die SPD versuchte, ihn zu einem stärkeren Engagement an der Saar zu bewegen.
Insbesondere wünschte das Ministerium eine engere Zusammenarbeit mit dem Saar-
bund, entsprechende Bitten blieben aber unbeantwortet.336
Neben der Wahrung parteipolitischer Neutralität stand die Sorge um den Gewerk-
schaftsgedanken an der Saar. Mit Unbehagen beobachteten die Spitzengewerkschaftler,
daß durch die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung in eine pro-deutsche und eine
autonomistische Richtung der Gewerkschaftsgesdanke an der Saar litt und die gewerk-
schaftliche Organisierung der saarländischen Arbeitnehmer rückläufig war, zum
anderen bestand eine weitere politische Spaltung durch die christliche Gewerkschaft.
Vor diesem Hintergrund verbot sich für die Spitze des DGB eine einseitige Festlegung
auf die pro-deutsche Opposition.
MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, B1.264 f., HC de la Rép. Franç. en Allemagne an
Grandval vom 15.5.53.
334 Ebd. und B1.272 f., François-André Ponçet an Bidault vom 23.6.53."La Fédération syndical allemande
(D.G.B.) paraît toujours (...) décidée à rester sur le plan purement syndical et à ne pas intervenir dans les
questions d'ordre politique".
335 Ebd.
336 Ebd., Doss.109, B1.284 f., Vermerk vom 29.7.53. und 30.7.53. Ebd., B1.343, André François-Ponçet an
MAE Paris vom 19.8.54.
412
Primäres Ziel war die Wiederherstellung der Gewerkschaftseinheit, das erforderte den
Kontakt zu allen gewerkschaftlichen Gruppen an der Saar.337
6.4 Die Sonderrolle regionaler Gewerkschaftseliten
Während der DGB-Bundesvorstand sich gegenüber dem Werben des Kai-
ser-Ministeriums, des Deutschen Saarbundes, der SPD und der DSP aus Gründen der
parteipolitischen Neutralität und der Sorge um den Gewerkschaftsgedanken zurück-
hielt, betrieben regionale Gewerkschaftseliten, hier insbesondere der DGB-Vorsitzende
von Rheinland-Pfalz und SPD-Bundestagsabgeordnete sowie stv. Vorsitzende der
pfälzischen SPD Adolf Ludwig, eine gegensätzliche Politik, die dafür spricht, von einer
Sonderrolle regionaler Gewerkschaftseliten zu sprechen.
Ludwig hat bei Veranstaltungen des Deutschen Saarbundes als Redner auf, so bei
Kundgebungen in Waldmohr am 28. Januar und 3. Februar 1952. Auffallend ist dabei,
daß er wesentlich moderatere Töne anschlug als der Geschäftsführer des Deutschen
Saarbundes Voigt, der Grandval und Hoffmann als "Totengräber Europas" bezeichne-
te, von einem "System von Opportunisten, Separatisten und Hochverrätern" sprach und
Hoffmann die Rolle des "Scheichs von Marrakesch" zuschrieb, der die Saarbevölke-
rung um 2 Milliarden Francs bestohlen habe. Dagegen waren die Worte Ludwigs
ausgesprochen sachlich, wenn er betonte, "Frankreich müsse mithelfen, jede Miß-
stimmung zu verhindern, weil es sonst nur den Ostzonenpolitikern Propagandamaterial
in die Hände spiele."338 Ludwigs gemäßigtere Wortwahl ist möglicherweise mit seinem
Eintreten für die deutsch-französische Verständigung zu erklären. Bereits seit August
1946 hatte er mit anderen Sozialdemokraten intensive Kontakte zu den französischen
Sozialisten (SE.I.O.) in der Absicht gepflegt, auf diesem Weg die deutsch-französische
Verständigung vorzubereiten.339 Die moderaten Töne Ludwigs sollten Sensibilität dafür
wecken, die rheinland-pfälzische SPD nicht zu sehr als "nationale Partei" oder "vater-
Ebd., Bl.343 f., "La réserve dont font preuve les syndicats allemands à l’égard du Saarbund pourrait
s’expliquer par leur désir de maintenir le contact avec l'ensemble des syndicats sarrois". Siehe auch Bl.286,
André François-Ponçet an Grandval. Danach soll der DGB die Wiedervereinigung der saarländischen
Gewerkschaften wünschen, Quelle sei ein entsprechendes Schreiben Albin Karls an Hermann Petri v.
30.7.53.
338 MAE, AdO Colmar, Commissariat pour le Land Rhénanie-Palatinat (CLRP), Fonds réçus du consulat
de France à Mayence (FRCM), Cart.15. Siehe dazu Vermerk, ohne nähere Angabe zu Datum und
Verfasser. Heinz Voigt war zeitweise Geschäftsführer des Deutschen Saarbundes. Bereits 1946/47 steuerte
er als Mitglied im CVP-Landesvorstand und Leiter der CVP-Jugendorganisation einen Oppositionskurs zu
Hoffmann, schließlich wurde er ausgewiesen, da er in engem Kontakt zu Richard Becker stand und als
einer seiner Sekretäre galt. Dazu: Schneider, Das Wunder, S.151, 262. Er ist nicht zu verwechseln mit
Hermann Voigt, Vortragendem Legationsrat und Leiter der Saarabteilung im Auswärtigen Amt während
der Völkerbundszeit, ob verwandtschaftliche Beziehungen bestanden, konnte nicht geklärt werden und
bleibt somit offen.
339 Kusch, Die Wiedergründung der SPD, S.l 18 f.
413
ländische Sozialdemokraten" zu typisieren340, obwohl das besondere saarpolitische
Engagement Adolf Ludwigs grundsätzlich zunächst eher dafür spricht. Ludwig unter-
stützte auch die Bemühungen Conrads zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen
DGB und oppositionellen Saargewerkschaftlern. Dabei nutzte er seine Möglichkeiten,
stellte - wie schon erwähnt - das Gewerkschaftshaus in Elmstein zur Verfügung,
obwohl Albin Karl vom DGB-Bundesvorstand sich in der Frage der Schulungsunter-
stützung von Saargewerkschaftlern restriktiv verhielt. Ludwig bemühte sich über das
rheinland-pfälzische Innen- und das Sozialministerium, "die Kaiser-Achse" zu akti-
vieren und so das Verhältnis zwischen oppositionellen Saar-Gewerkschaftlern und
DGB-Bundesvorstand zu verbessern. In diesem Zusammenhang versuchte dann das
Kaiser-Ministerium Herrn von Karp, der die parlamentarische Verbindungsstelle des
DGB leitete, zwischenzuschalten. Er sicherte zu, mit Ludwig Rosenberg zu sprechen,
um das Verhältnis des DGB-Bundesvorstandes zur DSP zu verbessern und den DGB
zu veranlassen, über die Neuauflage einer finanziellen Unterstützung der Jugendarbeit
der oppositionellen Saargewerkschaftler nachzudenken.341 Ludwig bemühte sich im
Sinne Conrads, die Verflechtung zwischen DSP, Gewerkschaftsopposition und SPD in
die Praxis umzusetzen, so veranlaßte er, daß bei der "Allgemeinen Zeitung" für Nord-
baden und die Pfalz für die DSP anläßlich des Wahlkampfes im November 1952
30.000 Flugblätter und 20.000 Klebezettel hergestellt wurden, ein Beispiel für die
Koordinierung der Oppositionsarbeit, denn die finanziellen Voraussetzungen hatte das
Ministerium für gesamtdeutsche Fragen geschaffen.342 Nicht zuletzt vor dem Hinter-
grund des guten Einvernehmens zwischen Conrad und Ludwig wurde für die DSP und
die gewerkschaftliche Opposition das angrenzende Rheinland-Pfalz zur Hauptopera-
tionsbasis zur Abstimmung gemeinsamer Aktionen, vor allem Kusel und Zweibrücken
sowie Bruchmühlbach-Miesau.343
Die Sonderrolle regionaler Eliten wie des rheinland-pfälzischen DGB ergänzt sich mit
den Ergebnissen Heinrich Küppers zur Landespolitik. Ministerpräsident Altmeier
(CDU) unterstützte den Deutschen Saarbund mit öffentlichen Mitteln und wünschte
gegenüber Adenauer eine stärkere Akzentuierung der Saarfrage. Im Gegensatz zu
Jakob Kaiser war er mehr Pragmatiker als Dogmatiker und unterstützte Adenauers
340
Küppers, Staatsaufbau, S.l 18-120. W o 1 f r u m, Französische Besatzungspolitik, S.22.
341 BA KO, B 137, Nr.3478, Schreiben des DGB-Rheinland-Pfalz an den Minister des Innern, Schreiben
des Sozialministers von Rheinland-Pfalz an Jakob Kaiser vom 30.11.53; ebd., III/1-079-1030/54, Vermerk
vom 26.4.54. DGB-Archiv, 24/348, Notiz zu Besprechung zwischen Karl und Conrad vom 27.1.53. Ebd.,
24/351,von Karp an A. Karl vom 4.5.54.
342 Ebd., Bl. 19, Notiz.
343 MAE Nantes, HCS, Cab. Polit,, Doss.69, Bl. 15, Vermerk von A. Harnist vom 20.11.53 über Treffen im
"Weißen Rössel" in Bruchmühlbach-Miesau. Siehe auch die Treffen von Vertretern der IG Bergbau und
des verbotenen I.V. Bergbau in Kusel seit 1951, vgl. ebd. Mission Juridique, Questions econom.
(M.J./Q.E.), E VI 4 / E VI 5, Telegramm an Miss. Dipl. Sarre. Auch: Kotthoff und Ochs,
Mitbestimmung, S.45.
414
Politik der Westintegration. Zum anderen sah er in seinem saarpolitischen Engagement
lange Zeit auch die Perspektive, Rheinland-Pfalz durch eine Eingliederung des Saar-
landes als Regierungsbezirk Saarbrücken mit seinem hohen Katholikenanteil zu einer
CDU-Festung auszubauen.344 Welche Motive Adolf Ludwig leiteten, kann aus den
Quellen nicht ersehen werden. Möglicherweise dachte er als Sozialdemokrat und
Gewerkschaftler eher daran, daß der hohe Arbeitnehmeranteil an der Saar doch ein
Weg sein könnte, im Falle einer Angliederung des Saarlandes an Rheinland-Pfalz,
langfristig sozialdemokratische Wähler schichten in größerem Maße gewinnen zu
können. Bis in die fünfziger Jahre belastete die rheinland-pfälzischen Genossen ihre
kritische Einstellung zum künstlich geschaffenen Land Rheinland-Pfalz, eine Anglie-
derung des Saarlandes könnte auch hier neue Perspektiven eröffnen und eine positive
parteipolitische Dynamik entwickeln.345 Möglicherweise könnte auch Ludwig über die
wirtschaftlichen Nachteile der bestehenden Situation für die Pfalz zu seinem saar-
politischen Engagement bewegt worden sein. Die in Zweibrücken ansässigen Ding-
lerwerke waren z.B. zu Betriebseinschränkungen und Stillegungen gezwungen, weil
die Schwerindustrie des Ruhrgebietes keine Kontingente für das bisher von saarlän-
dischen Firmen gelieferte Walzeisen zur Verfügung stellen wollte. Sie ging davon aus,
daß nach Inkrafttreten des Schumanplans diese Firmen als Kunden wieder ausfallen
würden.346
7. Christliche Gewerkschaften und Opposition
7.1 Primat der parteipolitischen vor der gewerkschaftlichen Opposition
CDU-Saar als "notwendige Vorleistung"
Auch in den Reihen der christlichen Gewerkschaften ist eine nahezu kontinuierlich
wachsende Opposition zu beobachten. Markus Gestier sieht sie wohl sogar als Wurzel
und Vorläufer der CDU-Saar:"Zu Beginn der fünfziger Jahre zeichnete sich schon ab,
daß die Spaltung des christlichen Lagers vollzogen war, noch bevor oppositionelle
Männer und Frauen christlicher Weltanschauung sich in einer Partei, der CDU Saar, zu
organisieren begannen."347 Man wünscht sich, Gestier hätte seine Bewertung näher
ausgeführt. Im Gegensatz zu Conrad, der den Aufbau der DSP mit der Gewerkschafts-
arbeit systematisch verknüpfte, scheint zumindest ein Teil der oppositionellen christli-
chen Gewerkschaftler zunächst vorrangig ihre Aufgabe im Aufbau der CDU-Saar
gesehen zu haben. Das deutet daraufhin, daß im christlichen Lager Parteiopposition vor
gewerkschaftlicher Opposition stand und im Gegensatz zur oppositionellen Sozialde-
mokratie keine Verzahnung beider Komponenten zu beobachten ist.
344 Küppers, Staatsaufbau , S.250, 252, 256, 264, 265 mit Anm.479, S.269, 270-274.
345 Vgl. Kusch, Die Wiedergründung der SPD, S.300.
346 BA KO, B 137, Nr.3410. Vermerk zur Dienstreise nach Zweibrücken am 5./6.6.51, III-1/769/51 AZ 70.
347 Markus Gestier, Die christlichen Parteien, S.156.
415
Dafür spricht z.B., daß Arbeiter zwar einen relativ hohen Anteil der Gründungsmit-
glieder der CDU-Saar stellten, mit der Legalisierung der Partei der Arbeitnehmeranteil
aber rasant zurückging.348 Auch christliche Gewerkschaftler wie Franz Ruffing gehör-
ten zu den Gründungsmitgliedern. Er hatte 1952 eine gegen die Saarregierung ge-
richtete Propagandaschrift von 166 Seiten mit dem Titel "Wahlmanöver an der Saar" in
der Schriftenreihe des Deutschen Saarbundes unter dem Pseudonym Herbert Beck-
mann veröffentlicht.349 Ganz klar wird der Zusammenhang in einem Flugblatt der
sogenannten und nicht näher bezeichneten "christlichen Gewerkschaftsopposition", in
dem der Aufbau der pro-deutschen CDU als ’'primärpolitische Tätigkeit" und als "eine
notwendige Vorleistung, für eine wirkliche positive Gewerkschaftsarbeit" bezeichnet
wird.350 Die christliche Gewerkschaftsopposition rief dazu auf, gegen den "separatisti-
schen Kurs" der Gewerkschaftsführung durch Austritt aus der Gewerkschaft oder
Eintritt in die CDU anzukämpfen.351 Das heißt, im Gegensatz zur Sozialdemokratie,
fand im christlichen Lager keine koordinierte Partei- und Gewerkschaftsarbeit statt.
7.2 Gegensätzliche Oppositionsstrategien
Zwei Generationen - zwei Konzepte
Das Entstehen der gewerkschaftlichen Opposition im christlichen Lager scheint auf die
Verbindung von zwei verschiedenen Generationen zurückzuführen sein. Zum einen die
Gruppe um Karl Hillenbrand und Bartholomäus Koßmann, die wie Hillenbrand 1935
mit ihrem Engagement in der Deutschen Front zur Rückgliederung des Saarlandes an
NS-Deutschland beigetragen hatten und nach 1945 sich mit einer von Deutschland
abgetrennten Saar auf Grund ihrer nationalen Bindung nicht identifizieren konnten. Die
Gruppe der im "Dritten Reich" politisch belasteten christlichen Gewerkschaftler bildet
eine Säule der gewerkschaftlichen Opposition im christlichen Lager.
Daneben steht eine Gruppe junger christlicher Gewerkschaftler der Jahrgänge
1920-1928, die möglicherweise aus ihrer Erfahrung des Zweiten Weltkrieges und der
frühen Nachkriegszeit sich nicht mit der Politik Johannes Hoffmanns identifizieren
konnten. Gerade für diese jüngere Gruppe gilt aber, daß sie im Gegensatz zu der
Gruppe um Hillenbrand sich ganz bewußt als christliche Gewerkschaftler in einer
eigenständigen Organisation verstanden. Zu ihr gehörten christliche Gewerkschaftler
aus allen Bereichen: Peter Gier, Sozialreferent der Gewerkschaft Christlicher Saar-
348
Ebd., S.163,169. Danach waren 164 von 244 Gründungsmitgliedern Arbeitnehmer, 20 Akademiker, 18
Kaufleute, 17 Lehrer, 11 Handwerker, 3 Geistliche und 2 Hausfrauen. Siehe außerdem: Gerhard Bauer,
Vom Zentrum zur CDU. Hundert Jahre christliche Politik an der Saar, Saarbrücken 1981, S.105. 1952
betrug der Arbeitnehmeranteil bei den Gründungsmitgliedern 67 Prozent, 1963 nur noch 24,3 und 1979 nur
noch 18 Prozent.
349 S c h n e i d e r, Das Wunder, S.262, 318, 372.
350 LA SB, Sammlung (SL) Handfest, B 30, Flugblatt "christliche Gewerkschaftsopposition", o. Datum.
351 BA KO, B 137, Nr.3478, Bl.19, Notiz.
416
bergleute; Peter Clemens, der Vorsitzende der Christlichen Metallarbeitergewerkschaft;
zahlreiche Persönlichkeiten aus der Sektion der Eisenbahner in der Christlichen Ge-
werkschaft Öffentliche Betriebe wie der Vorsitzende Peter Schaadt und die Vorstands-
mitglieder Peter Hahn und Hans Thome.352
Der Gruppe um Hillenbrand scheinen zahlreiche ehemalige christliche Gewerkschaftler
angehört zu haben, die im "Dritten Reich" Funktionen in der DAF ausgeübt hatten wie
z.B. Ferdinand Busse, der auf der Vorstandssitzung der GCS am 8. Dezember 1948
zum Sachbearbeiter für Arbeitsrechtsangelegenheiten gewählt worden war.353 Ein nicht
unerheblicher Teil dieser Gruppe war in den ersten Jahren politisch eher passiv.354 Die
gewerkschaftliche Opposition im christlichen Lager war im Bereich des Öffentlichen
Dienstes von Anfgang an relativ stark vertreten. Hier sind L. Hoor, Erster Vorsitzender
von 1947 bis 1952, und sein Nachfolger Walter Hoof zu nennen. Gerade in diesem
Lager sollen viele ehemals politisch Belastete gewesen sein.355 Ab 1948/49 suchte die
Gruppe um Hillenbrand den Kontakt zur Bundesrepublik, zur deutschen Presse und
zum Saarreferat im Auswärtigen Amt zu intensivieren.356 Politisch engagierte sie sich
bis 1950 noch in der CVP, trat dann in die DPS ein, wie Karl Hillenbrand und Franz
Ruffing, der zum DPS-Generalsekretär geworden war und sich dann am Aufbau der
CDU-Saar beteiligte.357
Die Quellenlage erlaubt es nicht, ein ausführliches Bild über die Strategien beider
Gruppen zu zeichnen. Grundsätzlich bestand aber ein Gegensatz in der Frage des
Verhältnisses zur Opposition in der Einheitsgewerkschaft. Hillenbrand erwog 1951/52
in Übereinstimmung mit dem Kaiser-Ministerium und dem Saarreferat im Auswärtigen
Amt, die christliche Gewerkschaftsopposition solle zusammen mit der Opposition in
der Einheitsgewerkschaft eine Gewerkschaft mit pro-deutscher Richtung bilden, wobei
Paul Kutsch und Aloys Schmitt nicht abgeneigt gewesen sein sollen. Von Seiten der
Gruppe um Schaadt und Gier wurde dies aber wohl grundsätzlich verneint, so ver-
merkte Bodens in bezug auf sie:"Sie sind bewußt christliche Gewerkschaftler. Sie
352 Ebd., Nr.3455, Vermerk vom 18.12.54, III 1 -078 3101/54.
353 IGBE-Archiv Bochum, Div.32, Mp.2, Erlebnisbericht Aloys Schmitt und ebd. Mp. 11, Vermerk 11.8.55.
354 Ebd., Div.32, Mp.4, Tätigkeitsbericht der Bezirksleitung Illingen der GCS. Gerade ehemalige NSDAP -
Mitglieder, die früher in den christlichen Gewerkschaften tätig gewesen seien, seien ein Schaden für die
Gewerkschaft wegen ihrer Inaktivität, "gerade letzterer Personenkreis war früher der aktive Teil unserer
Bewegung, deren Inaktivität sich heute zu Ungunsten der GCS auswirkt".
355 Privatarchiv Grandval (PGA), Dass.8, E. Weiter an Pineau vom 11.4.48 und an Colonel Toubeau,
Président de la Mission Technique.
356 Hier sei auf einen Artikel der in Stuttgart erscheinenden "Wirtschaftszeitung" hingewiesen, der 1948,
von Hillenbrand und Hoor lanciert, veröffentlicht wurde, wahrscheinlich mit Unterstützung des Deutschen
Büros für Friedensfragen in Stuttgart. Siehe: IGBE-Archiv, Bochum, Div.32, Mp.6, handschriftliche Notiz.
357 G e s t i e r, Die christlichen Parteien, S.160, 169 und Anm.27. Siehe auch: Schneider, Das Wunder,
S.318,372.
417
lehnen aus diesem Grunde die Einheitsgewerkschaften für das Saargebiet ab (...) eine
andere Generation (...) als die Gruppe Hillenbrand, Kutsch oder Walz."358
Die pro-deutschen christlichen Gewerkschaftler forcierten die nationale Orientierung
der CDU-Saar im Sinne des Kaiser-Ministeriums, denn nicht zuletzt auf ihren Druck
ging das Nein der saarländischen CDU zum Saar-Statut am 7. August 1955 gegen den
ausdrücklichen Willen der Bundespartei zurück, ein Aspekt, auf den Konrad Repgen359
bereits 1980 hingewiesen hatte, und den Markus Gestier leider360 nicht weiter verfolgt.
7.3 Die Verbindungen nach Bonn
Die Vorreiterrolle Hillenbrands
Karl Hillenbrand unterhielt schon sehr früh sowohl Kontakte zur Bonner SPD wie auch
zum Saarreferat im Auswärtigen Amt und zum gesamtdeutschen Ministerium; er war
auch ein Duz-Freund von Jakob Kaiser.361 Nach seinem Ausscheiden als Generalsekre-
tär des Gesamtverbandes der Christlichen Gewerkschaften scheinen die Kontakte eher
nachgelassen zu haben, und wurden nach dem erzwungenen Rücktritt des Ersten
Vorsitzenden der Christlichen Gewerkschaften Öffentlicher Dienst-Eisenbahn durch
die jüngere Generation christlicher Gewerkschaftler um Peter Schaadt, Hans Thome
und Karl Lauer intensiviert, und im Rahmen dieser Bemühungen kam es am 2. Dezem-
ber 1954 in Euskirchen zu einem Treffen zwischen ihnen und Bodens sowie anderen
Vertretern des Kaiser-Ministeriums. Dabei wurde beschlossen, die Zusammenarbeit zu
aktivieren. Ein weiteres Treffen mit Kaiser fand am 31. März 1955 statt.362 Auch
Franz-Josef Strauß scheint den Kontakt zur christlichen Gewerkschaftsopposition im
Saarland gesucht zu haben, wobei der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl Walz hier
entsprechende Kontakte vermittelte.363
Helmut Bergweiler als einer der Gründer der CDU-Saar dürfte hier eine hilfreiche
Rolle gespielt haben, denn er hatte während seiner Tätigkeit als Richter in Schongau
unmittelbar nach dem Krieg Franz-Josef Strauß, der dort Landrat war, kennengelemt.364
Der Hauptansprechpartner für Hilfe von außen wurde für diese Gruppe das Kaiser-
358 BA KO, B 137, Nr.3455, Vermerk vom 18.12.54, III 1 078-3101/54.
359
Repgen, Die Saarfrage.
360 G e s t i e r, Die christlichen Parteien.
361 BA KO, B 137, Nr.3623, J. Kaiser an K. Hilienbrand v. 14.1.50. Ebd., Nr.3410, Abschrift eines Erinne-
rungsprotokolls zur SPS-Parteiausschußsitzung vom 4.11.51.
362 Ebd. Nr.3455, Vermerk vom 18.12.54, III 1-078 3101/54 und vom 25.4.55, III 3-0742-915/55.
363 Ebd., Vermerk W, Bodens vom 1.7.55, III 3 -0708 1515/55. "Minister Strauß hat zugesagt, die Gewerk-
schaftler zum Außenminister zu bringen”. Strauß hatte Peter Schaadt und Karl Lauer durch Vermittlung
von Karl Walz eingeladen.
364
Gestier, Die christlichen Parteien, S.167, Anm.3.
418
Ministerium, der DGB konnte kein Ansprechpartner sein, es sollen aber seit 1952
Kontakte zur christlichen Eisenbahnergewerkschaft in Hamburg bestanden haben.365
Im Kaiser-Ministerium wurde ab 1954/55 den oppositionellen Bestrebungen im christ-
lichen Gewerkschaftslager eine große Bedeutung beigemessen, wie ein Vermerk
Bodens vom 18. Juli 1955 verdeutlicht:"(...) darf die Bedeutung der christlichen
Gewerkschaften, die ich für wirksamer und wichtiger halte in den kommenden Ent-
scheidungen als die CDU-Saar nicht unterschätzt werden."366 Das Kaiser-Ministerium
sah den Schlüssel zur Lösung der Saarfrage bei den Gewerkschaften und Arbeitneh-
mern. In der stärkeren Gewichtung der christlichen Gewerkschaften gegenüber der
CDU-Saar ließ es sich auch von der Mitglieder stärke leiten. Man ging wohl von
unrealistisch hohen Zahlen aus, nämlich 33.600 Mitgliedern in der Gewerkschaft
Christlicher Saarbergleute und von 12.000 Mitgliedern in der Gewerkschaft Christli-
cher Metallarbeiter sowie 6.500 Mitgliedern in der Christlichen Gewerkschaft Öffentli-
cher Dienst.367
Im Ministerium für gesamtdeutsche Fragen legte man großen Wert darauf, daß die
junge Generation christlicher Gewerkschaftler in der CVP verbleiben, und diese weiter
unterwandern sollte. Peter Schaadt und seine Vertrauten sollten sich als Kandidaten für
die CVP aufstellen lassen. Gemeinsam mit dem Kaiser-Ministerium verständigten sie
sich darauf, mit der Gruppe um Hillenbrand, Franz Ruffing und Walz jeglichen Kon-
takt zu meiden und nach außen strenge Distanz zu üben. Nach dem Willen von Bodens
sollten sie alle zu einem bestimmten Zeitpunkt gleichzeitig die CVP verlassen, um den
Abfall von der Regierungspartei besonders wirkungsvoll zu inszenieren und der
CDU-Saar so eine Magnetwirkung zu verleihen.368 Diesem Wunsch entsprachen sie
aber wegen der bevorstehenden Gewerkschaftswahlen nicht.369 Die oppositionellen
christlichen Gewerkschaftler setzten sich zum Ziel, den Gesamtverband Christlicher
Gewerkschaften geschlossen auf Oppositionskurs zu bringen. Dieser Versuch mißlang
jedoch, auch wenn Peter Schaadt zum Chef der Christlichen Eisenbahner ge werkschaft
gewählt wurde. Peter Gier mußte im wichtigsten Verband, der GCS, gegen den zu
diesem Zeitpunkt klar auf CVP-Linie fahrenden Josef Ditzler eine Niederlage ein-
stecken, obwohl sowohl im Vorfeld als auch bei den Delegierten bei der Wahl selbst
365 BA KO, Bl 37, Nr. 345 5 .Vermerk W. Bodens vom 18.12.54, III 078-3101/54. Siehe: Horst-Dieter
Scholl, Die Neugründung christlicher Gewerkschaften in Westdeutschland, Diss. Marburg, S.98.
366 Ebd., Vermerk W. Bodens vom 18.7.55, III 2 -07451628/55.
367 ,
Ebd.
368 Ebd., "Mein Versuch, sie aus taktischen Gründen noch bei der CVP zu halten, um den Abfall von der
Regierungspartei in einen noch zu bestimmenden Zeitpunkt wirkungsvoller zu machen, wurde abgelehnt
mit dem Hinweis auf die notwendige Entscheidung vor den Gewerkschaftswahlen . Siehe auch Vermerk
W. Bodens vom 18.12.54, III 1-078-3101/54.
419
massiv für Gier geworben worden war, so durch den Leiter der Berg-
bau-Berufsgenossenschaft Dr. Nikolaus Fery sowie durch eine groß angelegte Flug-
blattaktion. Tausende von Flugblättern "Christliche Bergarbeiter herhören - Peter Gier
wählen" wurden auf den Gruben verteilt und Mitgliedern getarnt nach Hause
geschickt.370 Die "Saarländische Volkszeitung" feierte die Wahl Ditzlers recht optimi-
stisch mit der Schlagzeile "Bewährungsprobe bestanden - an Stärke gewonnen".371 Das
Kaiser-Ministerium hatte fest mit einem Sieg von Peter Gier gerechnet. Ihn hatte man
als "kommenden Mann der christlichen Gewerkschaften an der Saar" gesehen und
Hoffnungen auf ihn als "eine politische Persönlichkeit von Format" gesetzt.372
Gleichwohl zeigt das Ergebnis von 108 zu 77 Stimmen für Ditzler, daß die Gewerk-
schaft in zwei Lager gespalten war.373 Der Versuch, Peter Gier zum Präsidenten des
Gesamtverbandes gegen Karl Germann durchzusetzen, scheiterte noch knapper mit 7
zu 6 Stimmen, wobei ausschlaggebend war, daß Arbeitsminister Johann Klein (CVP)
zur Vorstandssitzung erschienen war und von seinem Stimmrecht als Mitglied des
Vorstandes Gebrauch machte.374 Dies verdeutlicht, daß vor dem Referendum am 23.
Oktober 1955 auch die christlichen Gewerkschaften immer mehr im Fahrwasser der
Opposition fuhren. Das Kaiser-Ministerium dachte auch daran, neben der CDU eine
pro-deutsch ausgerichtete katholische Arbeiterpartei imSaarland aufzuziehen, in der
christliche Gewerkschaftler gezielt Arbeiter ansprechen sollten, was aber von Peter
Schaadt abgelehnt wurde.375
7.4 Konkurrenz zwischen DGB und christlichen Gewerkschaften
Nach dem Referendum vom 23. Oktober 1955 fürchtete der DGB eine anhaltende
Gewerkschaftszersplitterung an der Saar. Walter Freitag dachte an französische Ver-
hältnisse, zumal unter den Saargewerkschaftlern die Stimmung vorherrschte, alte
Rechnungen zu begleichen.376 Insbesondere beobachtete der DGB mit großer Sorge,
370 IGBE-Archiv Bochum, Div.32, Mp.10, Vermerk J. Ditzler vom 7.7., 8.7. und 11.7.55.
371 SVZ vom 11.7.55.
372 BA KO, B 137, Nr.3455, Vermerk III 3 0708-1515/55.
373 Ebd., Vermerk W. Bodens vom 18.7.55, III 2 -0745 1628/55.
374
Ebd., Vermerk III 3-0742-951/55. Germann versuchte eine Spaltung der christlichen Gewerkschaften
zu verhindern:"Der neue Präsident erklärte nach der Wahl, daß die Gewerkschaften die politische
Neutralität bewahren müßten. Sie müßten sich damit abfinden, daß ihre Mitglieder Anhänger der CVP und
der SPS wie der oppositionellen Parteien sein könnten, die noch nicht zugelassen seien”.
375 Ebd., Vermerk III/ 3-0708/1515/55. "Die Christlichen Gewerkschaften Saar haben inzwischen mit der
CDU-Saar Kontakt aufgenommen. Schaadt hat das hier bekannte Angebot, die Katholische Arbeiterpartei
zu organisieren, abgelehnt".
376 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/355, Walter Freitag auf einer Versammlung der Bundesschule des DGB in
Münster am Stein.
420
daß die christlichen Gewerkschaften von der Gewerkschaftsspaltung profitierten.377 Bei
den Saarknappschaftswahlen am 26. September 1954 hatte sie ihre Sitzzahl von 52 auf
84 erhöhen können, während der I.V. Bergbau statt 115 nur noch 90 Sitze erringen
konnte.378 Darüberhinaus verlor die Einheitsgewerkschaft auch nach dem Referendum
Mitglieder. Auch die Kommunisten machten immer wieder auf sich aufmerksam. Als
Karl Dinges vor einem Ortsausschuß in Dudweiler auf die Vorgänge in Ungarn 1956
zu sprechen kam, wurde er ausgepfiffen. Der DGB-Bundesvorstand sah es als vorran-
gig an, "die relativ starke christliche Gewerkschaft an der Saar zu dezimieren". Dieses
Ziel sollte durch gezieltes Abwerben hauptamtlicher Funktionäre aus dem Gesamt-
verband der Christlichen Gewerkschaften erreicht werden. Erwartet wurde eine Ketten-
reaktion von Übertritten zahlreicher Mitglieder.379 Um den Übertritt zu beschleunigen,
erschien es notwendig, daß vom Gehalt "natürlich keine Schlechterstellung erfolgen"
dürfe.380
Durch das Wickert-Meinungsforschungsinstitut versuchte der DGB die Stimmung
unter den saarländischen Arbeitnehmern zu erkunden. Danach wünschten 59 Prozent
der Befragten, dem DGB im Saarland die meisten Mitglieder.381
Die Arbeitskammerwahlen 1956 wurden zur ersten Machtprobe zwischen DGB und
christlichen Gewerkschaften. Der DGB führte einen fortschrittlichen Wahlkampf. Er
setzte zwei moderne Filmwagen ein und warb in Lichtspieltheatern. Die Kosten belie-
fen sich auf 33.000 DM.382 Das Wahlergebnis rechtfertigte den Einsatz der Mittel nicht,
da die Christlichen ihre Sitzzahl von 11 auf 13 erhöhen konnten, während der DGB auf
16 kam und damit über drei Sitze weniger verfügte als die frühere Einheitsgewerk-
schaft, aber immerhin mit 16 von 30 Sitzen über eine absolute Mehrheit.383
377 Ebd., Georg Reuter an die Mitglieder des DGB-Bundesvorstandes vom 5.9.56. Ob diese Einschätzung
wirklich zutraf, kann nur sehr schwer überprüft werden, da keine wirklich zuverlässigen Mitgliederzahlen
über die saarländischen Gewerkschaften vorliegen. IGBE-Archiv, Div.32, Mp.8, Tätigkeitsbericht des
Bezirkes Illingen 1.6.50-28.2.53, wonach die meisten Mitglieder des I.V.Bergbau nach dem Verbot die
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts ab warten würden.
378 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl.354, Grandval an HC Bonn vom 28.9.54.
379 DGB-Archiv Düsseldorf, 24/354, Vermerk des DGB-Bundesvorstandes vom 29.10.56.
380 CU
Ebd.
381 Ebd., 24/355, Streng vertrauliche Umfrage des DGB-Saar. Fragestellung:"Es gibt christliche
Gewerkschaften und den DGB. Welcher Gewerkschaft wünschen Sie für die Zukunft die meisten
Mitglieder? Ergebnis: 59 Prozent aller Arbeitnehmer wünschten dem DGB die meisten Mitglieder, 19
Prozent den chnstl. Gewerkschaften und 22 Proz. war es gleichgültig.
382 Ebd., Vermerk betreffend Arbeitskammerwahl, Schreiben des DGB-Saar, Karl Dinges, an DGB-
Bundesvorstand vom 19.11.56.
383 Ebd., 24/1, Nr,354, Georg Reuter an die Mitglieder des Bundesvorstandes vom 22.11.56.
421
Der Kampf des DGB gegen die christlichen Gewerkschaften darf aber nicht nur auf die
saarländische Perspektive reduziert, sondern muß im gewerkschaftsgeschichtlichen
Kontext der Bundesrepublik betrachtet werden. Im Oktober 1955 waren in der Bundes-
republik christliche Gewerkschaften, die CGD -ab 1959 CGB- gegründet worden.384
Bin komplexes Ursachenbündel hatte zu dieser Entwicklung geführt. Mit dem
DGB-Vorsitzenden Christian Fette nahm der DGB immer weniger Rücksicht auf
kirchliche Bindungen seiner Mitglieder, christdemokratische Kandidaten kamen bei
Sozial Versicherungswahlen nicht in erhofftem Maße zum Zuge, im
DGB-Bundesvorstand saßen vor allem Sozialdemokraten, daneben belasteten antikleri-
kale Töne das Klima.385 Schon im Juli 1953 hatte der DGB gegen die parteipolitische
Neutralität mit einem Aufruf zur Wahl eines "besseren Bundestages" verstoßen.386
Walter Freitag, der Nachfolger von Christian Fette, lehnte sich auf dem
SPD-Bundesparteitag in Berlin 1954 noch stärker an die Sozialdemokratie an. Wasser
auf die Mühlen der Gegner der Einheitsgewerkschaft war die extrem linke politische
Richtung von Viktor Agartz, dem Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts des
DGB.387
Dennoch blieb da- Erfolg der christlichen Gewerkschaften aus,388 weil die CDU-Spitze,
insbesondere Jakob Kaiser, aber auch die Mehrheit der katholischen Kirche, die von
Vertretern der katholischen Arbeitnehmerbewegung und den CDU-Bundestags-
abgeordneten Winkelheide und Even aufgebauten christlichen Gewerkschaften nicht
unterstützten.389 Von der Rückgliederung des Saarlandes mit den relativ starken christ-
lichen Gewerkschaften erhofften die Exponenten ihrer Organisation einen entscheiden-
den Impuls. Sogar die Fuldaer Bischofskonferenz, die sich bisher in der Gewerk-
schaftsfrage sehr zurückgehalten hatte, drückte 1956 ihre Hoffnung aus, daß die
384 Helga G r e b i n g, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, München 101980, S.261.
385
Jürgen Aretz, Einheitsgewerkschaft und christlich-soziale Tradition, in: Albrecht Langner (Hrsg.),
Katholizismus, Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik 1945-1963, Paderborn 1980, S.224 f.
386 „Wer untj Fortschritt, Freiheit und Einheit will, wer nicht will, daß wieder Gewaltherrschaft und
Krieg, Terror und Bombennächte über uns kommen, der muß durch Abgabe seiner Stimme zur Wahl eines
besseren Bundestages die Kräfte ausschließen helfen, die das deutsche Volk ein zweites Mal ins Unglück
stürzen wollen". Zitiert nach: Aretz, Einheitsgewerkschaft, S.221.
387 Ebd., S.224. Herlind Gundelach, Die Sozialausschüsse zwischen CDU und DGB, Diss. Bonn 1983,
S.131-138, 156. Scholl, Die Neugründung, S.15-27. Vor allem: Schröder, Katholizismus, S.85-90.
Biographische Informationen zu Christian Fette und Viktor Agartz ebd., S.423, 424. Agartz (1897-1964)
war Leiter des Wirtschaftsamtes in der britischen Zone (1946-1947), Mitbegründer (1946) und Leiter des
Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts des DGB (1949*1955), Entlassung 1955, Gewerkschaftsausschluß
1959, seit 1915 Mitglied der SPD, Parteiausschluß 1958.
388 S c h o 11, Die Neugründung, S.109.
389 S chrö d e r, Katholizismus, S.193 f. Die einzigen führenden Politiker der CDU, die sich für die CGD
einsetzten, waren Franz-Josef Wuermeling und Adolf Süsterhenn. insbesondere die CDU-Sozialausschüsse
hielten an der Einheitsgewerkschaft fest. Zu den Sozialausschüssen siehe: Wulf Schönbohm, Die
CDU wird moderne Volkspartei, Stuttgart 1985.
422
Rückgliederung des Saarlandes die CGD stärken werde. Mit Sorge beobachtete sie die
Versuche des DGB, die christlichen Gewerkschaftler an der Saar für den DGB und
seine Industriegewerkschaften zu gewinnen.390
8. Ergebnisse
Die Genese der gewerkschaftlichen Opposition kann nicht auf einen innersaarlän-
dischen Kontext reduziert werden. Sie erklärt sich aus einer unterbliebenen gesell-
schaftlichen Integration, die auf eine Interaktion soziostruktureller Divergenzen und
ihre politische Instrumentalisierung zurückzuführen ist.
In Bonn erkannten Dr. Gustav Strohm, Leiter des Saarreferates im Auswärtigen Amt,
und das Kaiser-Ministerium die Bedeutung der Gewerkschaften und der Bergleute für
die Lösung der Saarfrage. Ihr Ziel bestand darin, die Abtrennung und Wirtschaftsunion
des Saarlandes zu beenden und es in die Bundesrepublik einzugliedern. Dement-
sprechend konzentrierten das Saarreferat unter Strohm und nach dessen Entlassung im
März 1952 primär das Kaiser-Ministerium ihre Anstrengungen vor allem auf die
Gewerkschaften und die Bergleute, wobei die Erfahrung aus der Zeit vor 1935 und der
Bergarbeiterstreik von 1923 diese Strategie maßgeblich beeinflußt hatten. Diese
Einschätzung wie auch die Sozialstruktur des Saarlandes rückten die Gewerkschaften
und Arbeitnehmer des Montanbereichs in den Mittelpunkt oppositioneller Strategien.
Dabei setzte Strohm zunächst auf die DPS und gab von Bonn aus den Anstoß, sich von
einer Unternehmer- und Handwerkerpartei mit starker Mittelstandsorientierung zu
einer Partei mit einem deutlich arbeitnehmerfreundlicheren Sozialprogramm zu wan-
deln. Da Heinrich Schneider und Richard Becker bereits seit Oktober 1947 mit Strohm
in Kontakt standen, sah das Saarreferat in ihnen besonders zuverlässige Stützen und
setzte zunächst weitgehend allein auf die DPS. Wie gestaltend die Rolle Strohms für
die Entwicklung der Saaropposition und auch der DPS gewesen ist, verdeutlichen die
pathetischen Worte Heinrich Schneiders in seinen Erinnerungen "Das Wunder an der
Saar": "Schließlich wurde Dr. Strohm der Initiator eines organisierten Widerstandes an
der Saar! Seine Werkzeuge sollten wir werden!"391 Ab Ende 1951 rückte dann die
oppositionelle Sozialdemokratie in den Mittelpunkt der Bonner Strategien. Das Saarre-
ferat und das gesamtdeutsche Ministerium trauten ihr eher zu, politisch relevante
Gruppen wie Bergleute und Hüttenarbeiter ansprechen zu können. Bestätigt wurden sie
390 Ähnlich die Reaktion der Katholischen Sozialpriester auf ihrer Frankfurter Konferenz, zitiert nach:
Scholl, Die Neugründung, S. 108."Mit größtem Befremden nehmen die Teilnehmer der Konferenz zur
Kenntnis, daß im Saargebiet heftige Bestrebungen zur Gleichschaltung der dort bestehenden christlichen
Gewerkschaften im Gange sind." Vgl. auch Rede von Kardinal Frings am Vorabend zum 1.5.57, zit. nach
Schröder, Katholizismus, S.221, Anm.252:" (...) Durch die Vereinigung mit den saarländischen
christlichen Gewerkschaften ist die Zahl der Mitglieder inzwischen auf über 100.000 gestiegen". Ders. zu
biographischen Informationen zu Even und Winkelheide: Ebd., S.424, 428.
391 Schneider, Das Wunder, S.209.
423
in ihrer Einschätzung durch die gezielte Vernetzungsstrategie Conrads, der alle opposi-
tionellen Richtungen bündeln wollte und auch die Unterstützung von außen suchte.
Gefördert wurde diese Entwicklung durch das ausgesprochen freundschaftliche Ver-
hältnis zwischen Jakob Kaiser und Kurt Conrad.392
Die Basis für das Wirken der Bonner Kräfte bildeten die Oppositionssignale, die in den
Gewerkschaften seit der Wirtschaftsunion immer unüberhörbarer wurden. Hier ist die
Gruppe um Aloys Schmitt zu nennen wie auch Paul Kutsch und die Kommunisten,
letztere agierten vor allem auf Betriebs- und Betriebsratsebene. Die Alltagsprobleme
der Wirtschaftsunion und saarpolitische Fragen stellten sie in den Mittelpunkt ihrer
Agitation, Klassenkampfparolen versteckten sie aber weitgehend in der Mottenkiste.
Sogar ihre kommunistische Identität wollte die KP-Saar mit dem Namen "Sozialisti-
sche Volkspartei Saar" kaschieren und so konsensfähiger werden.393
Zwei Aspekte haben das Hineinwachsen der Gewerkschaften in eine Oppositionsrolle
ganz wesentlich begünsügt und beschleunigt. Die Gewerkschaften zogen Oppositionel-
le vor dem Hintergrund der Illegalisierung der Oppositionsparteien an. Dies bedeutete
eine zunehmende pro-deutsche Orientierung und Politisierung der Gewerkschaften und
insbesondere des Industrieverbandes Bergbau. Die Oppositionsrolle des Industrie-
verbandes förderten ungewollt die autonomistischen Gewerkschaftskräfte sowie die
Regierung Hoffmann mit Innenminister Hector durch den Gewerkschaftsausschluß
von Paul Kutsch, Aloys Schmitt und ihrer Getreuen am 20. November 1952 und das
Verbot des I.V. Bergbau im Februar 1953. Beide Ereignisse wirkten als Katalysatoren
zur Vernetzung oppositioneller Strömungen. Die Gewerkschaften bzw. der mitglieder-
stärkste Industrieverband der Einheitsgewerkschaft wurde dadurch sozusagen offiziell
in seiner Oppositionsrolle bestätigt und damit zum Magnet für alle Opponierenden. Es
ist daher nicht verwunderlich, daß unmittelbar nach dem Ausschluß von Kutsch und
seinen Anhängern Kurt Conrad den Kontakt zu ihnen intensivierte und der DGB
veranlaßt wurde, seine Zuschauerrolle aufzugeben. Die Aktionen gegen den I.V.
Bergbau im November 1952 und Februar 1953 waren Ausdruck der Ohnmacht der
autonomistischen Kräfte, den Dammbruch aufzuhalten, der mit der Wahl Kutschs im
März und Juni 1952 zum Vorsitzenden der Einheitsgewerkschaft und des I.V. Bergbau
eingesetzt hatte. Seit Mai 1952 und vor allem auch im Vorfeld der Landtagswahl Ende
1952 präsentierte sich Kutsch als charismatische Führungsfigur der oppositionellen
Gewerkschaftsrichtung auch in der Bundesrepublik. Von einer politischen Neutralität
des I.V. Bergbau konnte nun wirklich nicht mehr gesprochen werden angesichts des
Aufrufs im Organ "Saar-Bergbau", bei den Landtagswahlen ungültig zu wählen. Die
Mairede von Kutsch wurde in der Auslandspresse bereits als "revolutionär" bewertet
392 Interview mit Norbert Engel am 26.8.1994.
393 LA SB, Staatskanzlei (Stk), Nr.1702, Bl.347.
424
und ein nationaler pro-deutscher Kurs erkannt, wenn auch mit Europa-Lösung als
Alibi: "Die Gewerkschaften treten für die politische und wirtschaftliche Rückglie-
derung an Deutschland ein, erklären aber auch, sie würden sich keiner europäischen
Lösung verschließen".394
Die Regierung Hoffmann und die autonomistischen Gewerkschaftskreise befanden
sich in bezug auf die politische Entwicklung der Einheitsgewerkschaft in der Defensi-
ve, sie agierten nicht mehr, sondern reagierten nur noch. Worin lag die Ursache dieser
Entwicklung? Schließlich gab es in den Gewerkschaften mehr oder weniger stark
überzeugte Anhänger des Konzeptes einer von Deutschland abgetrennten Saar wie
Heinrich Wacker und Eduard Weiter oder Hans Ruffing. Warum konnten Sie diese
Entwicklung nicht aufhalten und kein stabiles Gegengewicht bilden?
Auch wenn in den saarländischen Gewerkschaften zahlreiche Anhänger der Saar-
autonomie vertreten waren, so ist doch zu beobachten, daß trotz ihrer weitgehenden
Idenüfikaüon mit dem politischen Kurs der Regierung Hoffmann/Kirn eine Integration
der Gewerkschaften in das politische System unterblieb. Auch in der Bundesrepublik
gab es zwischen der Regierung Adenauer und dem DGB heftige Kontroversen, man
denke nur an den unter dem Gesichtspunkt der parteipolitischen Neutralität problemati-
schen Aufruf des DGB zur Bundestagswahl 1953. Im Gegensatz zu den Gewerk-
schaften an der Saar konnte aber der DGB seine Mitglieder auf Erfolge verweisen und
innerhalb der Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Gerade Konrad Adenauer
suchte für seinen Kurs der Westintegration die Unterstützung des DGB, setzte auf sein
gutes Verhältnis zum ersten DGB-Chef Hans Böckler und verhinderte so, daß sich u.a.
in der Frage der Westintegration ein Oppositionsblock aus DGB und SPD formierte.
Die Gewerkschaften wurden durch die Montanmitbestimmung wie auch durch das
Betriebsverfassungsgesetz, mit dem die Gewerkschaften zunächst weniger glücklich
waren, zu Ordnungsfaktoren der Gesellschaft.395
Sie übernahmen in Unternehmen Verantwortung, ohne daß die Eigentums Ordnung in
Frage gestellt worden wäre. Die Gewerkschaften wurden in die bürgerlich dominierte
Gesellschaft der Bundesrepublik integriert.396 Sie blieben nicht außen vor, sondern
394 BA KO, B 137, Nr. 1400, Die Tat vom 10.5.52, Saar-Reportage von F. R. AUemann.
395 Klaus M e g e r 1 e, Die Radikalisierung blieb aus. Zur Integration gesellschaftlicher Gruppen in der
Bundesrepublik Deutschland während des Nachkriegsbooms, in: Hartmut Kaelble (Hrsg.), Der Boom
1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und io
Europa, Opladen 1992, S.126. Leo B r a w a n d, Das ungerechte Wunder, in: Karl Dietrich Bracher (Hrsg.),
Nach 25 Jahren, Eine Deutschland-Bilanz, München 1970, S.83. Hans Hermann H a r t w i c h,
Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status Quo, Köln u.a.O.1970, S.127,
396 H a r t w i c h, Sozialstaatspostulat, S.355. Christoph K 1 e s s m a n n, Elemente der ideologischen und
sozialpolitischen Integraüon der westlichen Arbeiterbewegung, in: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland
1945-1955, München 1986, S.109.
425
konnten für sich beanspruchen, die Ordnung der Bundesrepublik mitgestaltet zu haben.
Mitbestimmung und Tarifvertragsfreiheit förderten den sozialen Ausgleich. Im Saar-
land zeigt sich dagegen, daß die Gewerkschaften durch fehlende Tarifautonomie und
eingeschränkte Mitbestimmung gegenüber ihren Mitgliedern unter Legitimierungs-
druck standen. Es gelang ihnen nicht, gegenüber der Régie in Fragen der Gedingekon-
trolle und der Personalpolitik die Wünsche der Basis durchzusetzen. Im Gegensatz zur
französischen Besatzungszone, insbesondere zu Baden, scheint auf Seiten des Hohen
Kommissariates und vor allem bei der Régie kaum die Ansicht bestanden zu haben,
daß die Gewerkschaften den eigenen ökonomischen Interessen dienlich sein würden,
wenn sie die Rolle eines sozialen Ordnungsfaktors spielen konnten.397
Diese Aspekte und die Konfrontation mit französischen Arbeitgebervertretern, vor
allem der Régie, erschwerten eine Integration der Gewerkschaften in das politische
Konzept einer autonomen Saar. Aus diesem Kontext erklärt sich die Nationalisierung
der Gewerkschaften, denn sie setzten angesichts einer schwachen Rolle in Tarif- und
Mitbestimmungsfragen auf nationale Integrationsmuster, um sich selbst zu legitimie-
ren. In der Bundesrepublik läßt sich genau die umgekehrte Entwicklung beobachten.
Dort trug die Sozialpolitik insbesondere durch das konstruktivere Verhältnis zwischen
den Sozialpartnern zur Stabilisierung der jungen Republik bei.398 Nationale Integra-
tionsmuster wurden durch soziale verdrängt.
397
Wolfrum, Französische Besatzungspolitik, S.64.
398 _
Zur legitimatorischen Bedeutung der Sozialpolitik für die Bonner Demokratie, siehe: Hans Günter
Hockerts, Sozialpolitik in der BRD, in: Hans Pohl (Hrsg.), Staatliche, städtische, betriebliche und
kirchliche Sozialpolitik vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1991, S.361. M. Rainer L e p s i u s,
Demokratie in Deutschland, Göttingenl993.
426
VII. BETRIEBLICHE MITBESTIMMUNG
Am Beispiel der saarländischen Mitbestimmung läßt sich die blockierende Wirkung
aus dem Zusammenwirken von sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Divergenzen mit
innerfranzösischen Entwicklungen aufzeigen.
Hinsichtlich sozialer Leistungsgesetze war Grandval bereit, von einer Assimilierung an
Frankreich abzusehen und dem Saarland einen sozialpolitischen Partikularismus
zuzugestehen. Wie die Tarifvertragskontroverse bereits andeutete, galt dies aber nicht
für den Bereich der Sozialordnung bzw. für die Stellung der Arbeitnehmer und ihrer
Interessenorganisationen in der Gesellschaft. Hier zeigt sich eine deutlich restriktivere
Politik - gerade auch im Vergleich zur französischen Besatzungszone, wie das Thema
"betriebliche Mitbestimmung" verdeutlicht.
Die Wirtschaftsunion bewirkte, daß innerfranzösische Erfahrungen und Entwicklungen
in relativ hohem Maße französische Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft an
der Saar beeinflußten, wenn es um Fragen der Sozialordnung bzw. um die gesell-
schaftliche Stellung der Arbeitnehmer und ihrer Interessenorganisationen ging. Die
Ursache dafür lag in tiefverwurzelten sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Divergen-
zen - wie beispielsweise in der Ausübung unternehmerischer Herrschaft. Daneben
spielt aber auch die innerfranzösische Entwicklung eine Rolle, insbesondere die Radi-
kalisierung und Politisierung der französischen Gewerkschaftslandschaft, die mit dem
Ende der Koalition aus Kommunisten, Sozialisten und Christdemokraten einen kräfti-
gen Schub erhielt und zu einer gesellschaftlichen Krise mit zum Teil bürgerkriegs-
ähnlichen Zuständen führte.
Sowohl die französische Innenpolitik als auch die sozial- und mentalitätsgeschicht-
lichen Divergenzen beeinflußten die französische Position zur Mitbestimmung an der
Saar, wobei deutlich wird, daß diese Entwicklung eine fortschrittliche Mitbestim-
mungspoliük im Saarland blockierte. Dazu ist eine ausführliche Darstellung der franzö-
sischen Innenpolitik notwendig, denn die "Crise Sociale" Ende der vierziger Jahre
bildet für die französischen Entscheidungsträger im Saarland eine Folie zur Inter-
pretation saarländischer Entwicklungen.
Zunächst soll die französische Mitbestimmungspolitik im Kontrollrat und in der
französischen Besatzungszone vorgestellt werden, um die Unterschiede zur saarlän-
dischen Entwicklung deutlich werden zu lassen, die im Anschluß ausführlich erörtert
werden, wobei insbesondere die Einstellung französischer Repräsentanten in der
Saarwirtschaft berücksichtigt werden soll.
427
/. Die betriebliche Mitbestimmung in der französischen Besatzungspolitik
1.1 Frankreich und die Mitbestimmungsfrage im Kontrollrat
Die Untersuchungen der französischen Position zur Mitbestimmungsfrage auf Kon-
trollratsebene wie auch die Betriebsrätegesetzgebung in der französischen Besatzungs-
zone haben das von Ernst Deuerlein geprägte Bild einer obstruktiven Rolle
Frankreichs1 im Kontrollrat als unhaltbar entlarvt - zumindest für den Bereich der
Sozialpolitik.
Rainer Hudemann kommt zu dem Ergebnis, daß von einer reinen Obstruktionspolitik
überhaupt keine Rede sein kann und daß grundsätzlich ein differenzierteres Bild
notwendig ist. Frankreich stellte, wie er nachgewiesen hat, die wirtschaftliche Einheit
Deutschlands keineswegs in Frage. Schließlich hätte dies auch seinen eigenen Inter-
essen geschadet, da seine Zone über eine relativ schwache industrielle Substanz verfüg-
te. Entscheidend für die Neubewertung französischer Deutschlandpolitik ist aber auch,
daß die Franzosen entgegen der bisherigen Vorstellung Zentral Verwaltungen sehr wohl
befürworteten, sie aber im Gegensatz zu den Amerikanern nicht in deutsche Hände
legen wollten, und genau dieser Unterschied scheint von den amerikanischen Partnern
nicht akzeptiert worden zu sein. Die Wurzel dieser Divergenzen liegt in den differie-
renden DemokratisierungsVorstellungen, die als eigentliches Grundproblem zu betrach-
ten sind. In der Frage der Sozialversicherung, der Arbeitsämter und auch beim Be-
triebsrätegesetz orientierten sich die Franzosen auf der Kontrollratsebene an der Wirt-
schaftseinheit Deutschlands, während Briten und Amerikaner zwar einerseits von
deutschen Zentral Verwaltungen sprachen, andererseits aber für eine dezentralisierte
Lösung der Sozialversicherungsfrage plädierten.2 Der Alliierte Kontrollrat entschied
sich in der Mitbestimmungsfrage für ein allgemeines Rahmengesetz, das die Bildung
von Betriebsräten erlaubte, sie aber nicht zwingend vorschrieb, ebensowenig war ein
Mindestkatalog von Mitbestimmungsrechten aufgestellt worden.3
In der Forschung gehen die Meinungen über das Gesetz auseinander. Auf der einen
Seite wird, z.B. von Christoph Klessmann, betont, daß das Gesetz erhebliche Freiräume
und Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet habe, da über Betriebs Vereinbarungen Arbeit-
geber und Arbeitnehmer die Rolle der Betriebsräte inhaltlich selbst aushandeln konn-
1 Emst Deuerlein, Frankreichs Obstruktion deutscher Zentral Verwaltung, in: Deutschland-Archiv (DA)
4/1971, S.466-491.
2 Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung
1945-1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik,
Mainz 1988, S. 140-203, insbesondere S. 155-158, 177.
3 Michael F i c h t e r, Besatzungsmacht und Gewerkschaften. Zur Entwicklung und Anwendung der
amerikanischen Besatzungspolitik in Deutschland 1944-1948, Opladen 1982, S.533-535. Hans-Jürgen
Teuteberg, Ursprünge und Entwicklung der Mitbestimmung in Deutschland, in: Hans Pohl und
Wilhelm Treue (Hrsg.), Mitbestimmung. Ursprünge und Entwicklung, Wiesbaden 1981, S.46.
428
ten.4 Auf der anderen Seite wird das Fehlen einer juristisch definierten und konkreti-
sierten Mitbestimmung beklagt. Insbesondere die revisionistische Richtung bemängelt -
wie damals auch viele Sozialdemokraten und Gewerkschaftler daß das Kontrollrats-
gesetz nicht die in der Weimarer Republik gewerkschaftlich erkämpften Rechte bein-
haltete.5
Besonders kritisch äußert sich Siegfried Suckut. Seiner Einschätzung nach haben die
Militärregierungen die Arbeitnehmerinteressen eindeutig den Kapitalinteressen unter-
geordnet und damit erneut bestätigt, daß die unternehmerische Privatinitiative die
Hauptantriebskraft des wirtschaftlichen Neuaufbaus in Deutschland bilden sollte. Er
weist aber auf die gestärkte Rolle der Gewerkschaften hin. Im Unterschied zum Wei-
marer Betriebsrätegesetz sei es den Gewerkschaften ausdrücklich erlaubt worden, die
Betriebsrats wählen wesentlich zu beeinflussen. Einmal sollte damit einer Verselb-
ständigung der Betriebsrätebewegung entgegengewirkt werden, und zum anderen
entsprach die Stärkung der Gewerkschaften den sowjetischen Interessen.6 Was die
Gestaltung des Gesetzes betrifft, so verweist Suckut auf einen britischen Entwurf und
auf die angloamerikanische Rechtstradition, die die Reduzierung des Wortlautes auf
wenige Grundaussagen erkläre.7
Der Weg, ein Rahmengesetz zu schaffen und sich auf die Aufstellung allgemeiner
Grundsätze zu beschränken sowie auf die Ausgestaltung einer umfassenden Betriebs-
verfassung zu verzichten, eröffnete den Besatzungsmächten in ihren Zonen bei der
Umsetzung der Mitbestimmung erhebliche Freiräume, so daß eine in dieser Frage
divergierende Entwicklung vorhersehbar war. Interessant ist es nun, die Rolle Frank-
reichs innerhalb des Alliierten Kontrollrates zu betrachten. Das lange Jahre nicht zuletzt
durch Ernst Deuerlein geprägte Bild der die Einheit Deutschlands in Frage stellenden
und an extremer Föderalisierung interessierten Rolle Frankreichs ist gerade bei einer
genauen Analyse der französischen Haltung zur Sozialpolitik unhaltbar, wie auch die
französische Position zum Betriebsrätegesetz beweist. Frankreich plädierte grundsätz-
lich für eine fortschrittliche Mitbestimmungsregelung, die zumindest an die entspre-
chenden Bestimmungen des Weimarer Betriebsrätegesetzes anknüpfen sollte. Betriebs-
räte sollten im Aufsichtsrat vertreten und eine regelmäßige Informationspflicht der
4 Dorothee Buchhaas, Gesetzgebung im Wiederaufbau. Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen und
Betriebsverfassungsgesetz 1945-1952, Düsseldorf 1985, S.212. Auch: Christoph Klessmann, Die
doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Göttingen 1982, S.133.
Angelika Jacobi-Bettien, Metallgewerkschaft Hessen 1945-1948, Marburg 1982, S.326-328.
6 Siegfried Suckut, Die Betriebsrätebewegung in der sowjetischen Besatzungszone (1945-1948),
Frankfurt a.M. 1982, S.433.
7 Ebd., S.434-436. Willi A. B o e 1 c k e behauptet, das Kontrollratsgesetz sei vom Stuttgarter
Gewerkschaftler Markus Schleicher beeinflußt worden. Ders., Sozialgeschichte Baden-Württembergs
1800-1989, Stuttgart 1989, S.354.
429
Unternehmensleitung obligatorisch sein. Bei Kapitalgesellschaften mit mehr als 100
Arbeitnehmern war vorgesehen, daß einem von den Arbeitnehmern ausgewählten
Wirtschaftsprüfer die Geschäftsunterlagen vorgelegt werden mußten. Eine solche
konkretisierte Mitbestimmung zeigt den Willen der Franzosen, eine Rechtszersplitte-
rung Deutschlands in der Mitbestimmungsfrage zu verhindern, der durch die im
Kontrollratsgesetz vorgesehenen Betriebsvereinbarungen, welche eine Aushandlung
der Kompetenzen über die Tarifpartner vorsahen, Tür und Tor öffneten.8
Auch wenn sich die französische Position in der Mitbestimmungsfrage auf Kontroll-
ratsebene nicht durchsetzen konnte, so bleibt als Befund eine im Vergleich zu Briten
und Amerikanern relativ fortschrittliche Politik.
1.2 Die Betriebsrätegesetzgebung in der französischen Zone
Rainer Hudemann hat bereits 1979 auf die fortschrittliche Betriebsrätegesetzgebung in
der französischen Zone hingewiesen, er verwies insbesondere auf das Betriebsrätege-
setz von Rheinland-Pfalz, das als Grundlage für das badische Gesetz diente, was von
der Forschung bisher völlig übersehen worden war.9 Grundsätzlich gilt nach Hude-
mann für Frankreich in seiner Zone, daß es sich in Sachen Mitbesümmung fortschritt-
licher und konzilianter verhielt als die übrigen Besatzungsmächte.
Rheinland-Pfalz war das erste Land der Westzonen, das eine Verordnung erhielt, die
über die Mitbestimmungsregelungen des Kontrollratsgesetzes spürbar hinausging und
Betriebsräten eine Mitwirkung bei der Entwicklung und Steigerung der Produktion, der
Entnazifizierung und Verhinderung der Rüstungsproduktion zubilligte. Neben diesen
Regelungen, die vor dem Hintergrund der besonderen politischen Verhältnisse der
unmittelbaren Nachkriegszeit zu sehen waren, markierte die Betriebsräteverordnung
für Rheinland-Pfalz auch qualitativ eine hohe Entwicklungsstufe, da in Artikel 37 das
Recht der wirtschaftlichen Mitbestimmung zwar nicht grundsätzlich vorgeschrieben -
aber als möglich vorgesehen wurde.10
Das badische Mitbestimmungsgesetz betonte die wirtschaftliche Mitbestimmung noch
etwas stärker. Es war nach Einschätzung von Edgar Wolfrum das arbeitnehmerfreund-
lichste Betriebsrätegesetz der Nachkriegszeit, so entschlossen sich die Niederlande, das
badische Betriebsrätegesetz als Vorbild für die Mitbestimmungsregelung im eigenen
Gloria Müller, Der halbe Sieg. Weiehenstellungen für die Montanmitbestimmung 1945-1947, in:
Ulrich Borsdorf und dies. (Hrsg.), Beiträge zur Mitbestimmungsdiskussion (WSi Nr. 16), Düsseldorf 1987,
S.30 f.
9
Rainer Hudemannn, Sozialstruktur und Sozialpolitik in der französischen Besatzungszone 1945-
1949. Materialien und Forschungsergebnisse, in: JbWestLG 5/1979, S.391.
10 Alain L a 11 a r d, Gewerkschaften und Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz unter französischer Besatzung
1945-1949, Mainz 1988, S.189, 287-289.
430
Land zu verwenden.11 Bei der Durchführung der Betriebsräteverordnungen stellten sich
allerdings Probleme ein, die jedoch nicht der französischen Militärregierung allein
angelastet werden können. Hinsichtlich der badischen Regelung übte Lucius D. Clay,
Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, massiven Druck auf General
Koenig aus. Ergebnis war, daß aus interalliierter Rücksichtnahme die besonders fort-
schrittliche Mitbestimmungsregelung in wirtschaftlichen Fragen herausgenommen und
auf die überbetrieblichen, paritätisch zusammengesetzten Fachkommissionen verlegt
werden sollte, wobei allerdings das Fachkommissionsgesetz nicht freigegeben wurde.
In Rheinland-Pfalz erwiesen sich, wie Alain Lattard ausführlich untersucht hat, die
Betriebsräte als machtlos, die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen durch Be-
triebsvereinbarungen zu regeln. Sie scheiterten am geschlossenen Widerstand der
Arbeitgeber.12
1.3 Die saarländische Betriebsräteverordnung
Der Befund einer in der französischen Zone fortschrittlichen Mitbestimmungspolitik
läßt vermuten, daß auch im Saarland eine eher progressive Betriebsrätepolitik betrie-
ben wurde, zumal die saarländische Betriebsräteverordnung vom 1. August 1947 in
einigen Passagen der rheinland-pfälzischen wörtlich entsprach.13 Im übrigen zeigen
sich ja auch gewisse Parallelen im Bereich der Sozialversicherungspolitik.
Diese Hypothese hält jedoch einer genaueren Untersuchung nicht stand. Vielmehr
deutet sich an, daß in Fragen der Sozialpartnerschaft, hier sei auch an die von der
französischen Zone abweichende Selbstverwaltungspraxis in der Sozialversicherung
erinnert, von der französischen Militärregierung im Saarland ein anderer Weg einge-
schlagen wurde.
Bereits Rainer Hudemann hat darauf hingewiesen, daß trotz wörtlicher Übernahme
einzelner Passagen der rheinland-pfälzischen Betriebsräteverordnung im Saarland
keine Mitwirkung des Betriebsrates an der Steigerung der Produktion vorgesehen war.
Die saarländische Betriebsräteverordnung betonte stärker als die rheinland-pfälzische
oder badische die sozialpolitischen Aufgaben des Betriebsrates. Er hatte zwar auch zu
11 Edgar Wolfrum, Französische Besatzungspolitik und deutsche Sozialdemokratie. Politische
Neuansätze in der "vergessenen Zone" bis zur Bildung des Südweststaates 1945-1952, Düsseldorf 1991,
S.240, Anm. 32 und S.241, 243, 253.
12 L a 11 a r d, Gewerkschaften und Arbeitgeber, S.287-292.
13 Hudemann, Sozialstruktur und Sozialpolitik, S.391. Verordnung über die Betriebsräte im Saarland
vom 1.8.47 mit Erläuterungen, hrsg. von der Hauptverwaltung der Einheitsgewerkschaft Saar, Saarbrücken
1947. Siehe Verordnung über die Betriebsräte im Saarland vom 1.8.47, in: Abi. der
Verwaltungskommission des Saarld., Nr.39 vom 28.8.47. Das Betriebsrätegesetz galt auch für die
Saarguben nach einer besonderen Durchführungsverordnung vom 1.12.47. Dabei ist wichtig festzustellen,
daß die saarländischen Beamten auf das Recht, einen Vertreter in den Betriebsrat zu wählen, verzichten
mußten, siehe: Francis Roy, Der saarländische Bergmann, Saarbrücken 1954.
431
allen wirtschaftlichen Fragen eine Beratungsfunktion, sie wurde aber lediglich in
Fragen der Kriegsproduktion und Entnazifizierung insoweit präzisiert, als der Betriebs-
rat die ausdrückliche Aufgabe hatte, sie zu verhindern.14
Ungewöhnlich war die Geschäftsführung des Betriebsrates geregelt worden, wonach
der Vorsitz im Betriebsrat beim Arbeitgeber lag.15 Was die Informationspflicht des
Arbeitgebers betraf, so fehlte die Bestimmung, daß der Betriebsrat zur Interpretation
und Kontrolle der jährlichen Betriebsbilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung einen
Wirtschaftsprüfer hinzuziehen konnte. Zunächst einmal legitimierte die Verordnung
die nach dem Zweiten Weltkrieg eingetretenen Veränderungen. Die nach dem Gesetz
zur Ordnung der nationalen Arbeit im "Dritten Reich" gebildeten Vertrauensräte
wurden auch im Saarland noch von der amerikanischen Militärregierung aufgelöst. Sie
setzte provisorische Betriebsvertretungen ein, für jedes Steinkohlenbergwerk wurden
drei Betriebsobmänner ernannt, jeweils einer für die Arbeiter über und einer für die
Bergleute unter Tage sowie ein "Obmann"16 für die Angestellten. Bei der Hauptver-
waltung der Saargruben in Saarbrücken war jeweils ein Obmann für Arbeiter und einer
für Angestellte zugelassen worden. In der übrigen Industrie wurde ähnlich verfahren.17
Dabei ist interessant zu sehen, daß z.B. auf der Burbacher Hütte von unten her durch
die Bildung von Betriebsausschüssen Betriebsobmänner im kleinem Kreis ernannt oder
gewählt wurden. Offizielle Wahlen fanden nicht statt.18 Danach erfolgte dann die
Bestätigung der bestellten Betriebsobleute durch die amerikanische Militärregierung
sowie in Einzelfällen auch durch die französische Militärregierung, die im Juli die
Amerikaner abgelöst hatte. Wie in den vorangegangenen Kapiteln deutlich geworden
ist, waren die Kommunisten auf Betriebsebene besonders engagiert und besetzten dabei
auch die Positionen der Betriebsobleute. Diese Entwicklung hatte also schon unter
amerikanischer Besatzung begonnen und scheint auch von ihr toleriert worden zu sein.
Was die politische Meinungsbildung bis zur Betriebsräteverordnung betrifft, so lassen
sich auf Grund der Quellenarmut zu dieser Frage nur wenige Aussagen entwickeln.
4 Betriebsräteverordnung v. 1.8.47, in: Abl.l947/Nr.39, siehe § 7 Abs.l und 3.
15 Ebd., § 10.
16 Es handelt sich dabei nicht um das alte Amt der Betriebsobmänner aus dem "Dritten Reich”,
nach 1945 wurde dieser Begriff zur Bezeichnung von Belegschaftsvertretern verwandt, siehe R
saarländische Bergmann, S.129.
17 Landesarchiv Saarbrücken (LA SB), Ministerium für Arbeit und Sozialordnung (MifAS),
Neureuter und Kirn an Grandval vom 25.2.46.
18 Ebd.
sondern
о у, Der
Bd.306,
432
Richard Kirn als Direktor der Abteilung Arbeit innerhalb des Regierungspräsidiums
versuchte im Februar 1946 die Mitbestimmungsfrage ins Rollen zu bringen. Er dachte
dabei an eine im wesentlichen am Weimarer Betriebsrätegesetz orientierte Verordnung
und war bemüht, Gilbert Grandval den Mitbestimmungsgedanken schmackhaft zu
machen. Er schlug dabei einen großen Bogen von der Französischen Revolution von
1848 über das Frankfurter Parlament bis zur Weimarer Republik und bemühte sich
damit, zum einen den Mitbestimmungsgedanken mit der Demokratisierung und der
Entnazifizierung zu verknüpfen, zum anderen aber die Verbindung zur französischen
Geschichte herzustellen. Der Entwurf zur Bildung von Fabrikausschüssen in der
Frankfurter Paulskirche sei von den sozialen Forderungen der französischen Februarre-
volution von 1848 und der Kommission "Pour les Travailleurs" beeinflußt worden. Es
scheint so, als ob die Abteilung Arbeit des Regierungspräsidiurns die französische
Militärregierung zu einer schnellen Entscheidung veranlassen wollte:"Unterbleibt die
Einführung (Betriebsrätegesetz ähnlich Weimarer Modell), so erscheint es notwendig,
eine Verordnung über die Betriebs Vertretung zu erlassen, um den bereits bestehenden
Arbeitnehmervertretungen eine gesetzliche Normierung zu geben".19
Die französische Militärregierung reagierte sehr schnell, indem sie fünf Tage später
eine französische Übersetzung des Weimarer Gesetzes anforderte.20 Die Abteilung
Arbeit versuchte nun, die Auswirkungen der Mitbestimmung auf die Wirtschaft zu
relativieren, so erklärten Dr. Neureuter und Richard Kirn:"Irrig ist die Annahme von
Arbeitgebern, daß eine gesteigerte Mitwirkung der Arbeiter bei der Regelung der
Betriebs Verhältnisse etwa auf Grund des Betriebsrätegesetzes das Ende der Wirtschaft
bedeute".21 Andererseits betonten sie vor allem den Zusammenhang zwischen Demo-
kratisierung und Mitbestimmung und versuchten auch möglicherweise bestehenden
Bedenken, durch die Mitbestimmung werde die Eigentumsfrage und Wirtschafts-
ordnung systematisch tangiert, entgegenzuwirken:"Es ist klar, daß der 'Herr im Hau-
se'-Standpunkt des Unternehmers der patriarchalischen Zeit sich in einem fortschritt-
lichen Zeitalter nicht mehr vertreten läßt und daß auf der anderen Seite auch die In-
itiative des Unternehmers, die dem demokratischen Grundsatz entsprechend bei-
zubehalten ist, nicht zu sehr eingeschränkt werden darf ".22
Wenn auch die Genese der Betriebsräteverordnung vom 1. August 1947 anhand der
archivalischen Überlieferung nicht zufriedenstellend aufgearbeitet werden kann, so
lassen sich doch einige Grundlinien erkennen. Die französische Militärregierung im
Saarland stand mit Baden-Baden bei der Regelung der Betriebsräteverordnung in
Kontakt. Emile Laffon hielt es angesichts der besonderen politischen Situation des
19 Ebd., Dr. Neureuter und R. Kim an Grandval vom 11.2.46.
20 Ebd., Militärregierung., Dir. Econ. etFinan. an RP vom 16.2.46
21 Ebd., dies, an Grandval vom 11.2.46.
22 Ebd.
433
Saarlandes für geboten, die französische Regierung zur Stellungnahme zu ver-
anlassen.23 Was die Haltung der Pariser Administration betraf, so zeigt sich auch in der
Mibestimmungsfrage ein uneinheitliches Bild. Während das Außenministerium Grand-
val in dieser Frage freie Hand ließ, forderte Arbeitsminister Lefèvre im April 1947 eine
stärkere Orientierung und Anlehnung der saarländischen Betriebsräteverordnung an die
französische Gesetzgebung. Das Fehlen einer klaren Linie der Pariser Zentrale in dieser
Frage unterstützt den Befund Armin Heinens, daß es keine verbindliche französische
Saarpolitik gegeben hat, sondern ein Konstrukt von Gruppen und Fraktionen mit zum
Teil divergierenden Vorstellungen.24 So wurde wohl mit Rücksicht auf die Bedenken
des französischen Arbeitsministers, dem Betriebsrat die Mitbestimmungsmöglichkeit
in Hygienefragen nicht gegeben. Entgegen Lefèvres Wunsch wurde der Bereich der
Arbeitsplatzsicherheit jedoch gewährt. Der französische Arbeitsminister forderte eine
Assimilierung an französische Regelungen. Er begründete seine Änderungswünsche
mit dem Hinweis, in Frankreich seien für Arbeitsplatzsicherheit und Hygiene nicht der
Betriebsrat, sondern spezielle Institutionen zuständig.25 Grandval beklagte sich bei
Laffon über die Änderungswünsche des französischen Arbeitsministeriums. Sie
beruhten ausschließlich auf einem Vergleich mit der französischen Gesetzgebung,
während ihm das Außenministerium freie Hand gelassen habe. Seine Kritik verdeut-
licht, daß er zu diesem Zeitpunkt für diesen Bereich wohl noch keinen Assimilierungs-
kurs an französische Verhältnisse steuerte.26
Während für die Zeit bis zum Inkrafttreten der saarländischen Betriebsräteverordnung
vom 1. August 1947 die Akten Überlieferung relativ dünn ist, verbessert sich die ar-
chivalische Situation in bezug auf die weitere Entwicklung der Mitbestimmungsfrage
an der Saar grundlegend durch die in Nantes befindlichen Akten der Mission Juridique
des Hohen Kommissariates.
Im folgenden soll die Reaktion der Unternehmer auf die saarländische Betriebsräte Ver-
ordnung vorgestellt werden. Dabei ist zu erinnern, daß nach 1945 in der gesamten
Montanindustrie sowie bei den Saar-Eisenbahnen Franzosen die wirtschaftlichen und
unternehmerischen Führungskräfte an der Saar stellten, dies galt sowohl für die Régie
wie für die unter Sequester stehenden Hütten.
23 Ministère des Affaires Etrangères Nantes (MAE), HCS, Mission Juridique, Questions Sociales
(M.J./Q.S.), J I 3, Laffon an Grandval vom 31,3.47.
24
Armin H e i n e n, Zur französischen Wirtschaftspolitik an der Saar, in: Rainer Hudemann und Raymond
Poidevin (Hrsg.), Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen Geschichte, München 1992, S.172.
25
MAE, Archives de l’occupation française en Allemagne et en Autriche (AdO) Colmar, Doss. Debré, 2
B, Comm. du Plan, Sous Comm., Arbeitsminister Lefèvre an G. Grandval vom 19.4.47.
26 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I 3, Grandval an Laffon vom 19.4.47.
434
Einige der wichtigsten französischen Unternehmerpersönlichkeiten an der Saar sollen
genannt werden:27 Georges Thédrel, Directeur Général der Sequesterverwaltung der
Völklinger und Neunkircher Hütte inklusive des Homburger Eisenwerks und der
Fraulautemer Eisenwerke, und Pierre Single, Directeur Général der Haiberger Hütte,
Robert Baboin und Pierre Couture, Generaldirektoren der Régie des Mines bzw. der
Saargruben, dem größten Arbeitgeber an der Saar. Hinzu kommen u.a. André Jordan,
Directeur Général-Adjoint der Neunkircher Hütte, Josef Roederer, Directeur Général
der Dillinger Hütte, und Roger Friry, Directeur Général von Dynamit AG, Saarwellin-
gen. Saarländer führten dagegen, wenn man von Villeroy & Boch absieht, überwie-
gend Klein- und Mittelbetriebe der Glas- und Textilindustrie, der Metall- und Holzver-
arbeitung sowie Steine und Erden. Diese französische Dominanz hatte auch Aus-
wirkungen auf die unternehmerische Interessenvertretung. In der Vereinigung der
Verbände der Eisen- und Metallindustrie des Saarlandes bildeten saarländische Unter-
nehmer eine Minderheit. Der Industrie- und Handelskammer (IHK), nach Robert Heinz
Schmidt die einflußreichste Kammer des Saarlandes, stand zwar kein französischer
Präsident vor, aber auch in dieser unternehmerischen Interessenvertretung waren
Franzosen präsent: Georges Thédrel als Schatzmeister und Jean Holtzer, der Ver-
waltungsdirektor der Régie des Mines, als Schriftführer. 1952 besetzten Franzosen 4
von 16 Beiratssitzen der IHK, neben Thédrel und Holtzer, Pierre Couture und der
Direktor der Saar-Ferngas AG Guillet.28
Wie reagierte diese geballte Repräsentanz französischer Untemehmerpersönlichkeiten
an der Saar auf die saarländische Betriebsräteverordnung?
1.4 Kritik der "Patrons" an der Betriebsräteverordnung
Die französischen Unternehmerpersönlichkeiten, die in den unter Sequester stehenden
Hütten Leitungsfunktionen ausübten, äußerten erhebliche Kritik an der Betriebsrätever-
ordnung, zugespitzt formuliert: Patrons stellten die Mitbestimmung an den Pranger.
Zunächst beklagte die Unternehmerseite, zu wenig bei den Beratungen zur Betriebs-
räteverordnung hinzugezogen worden zu sein. Georges Thédrel, der Sequesterver-
walter der Völklinger und der Neunkircher Hütte, wandte sich auch als Präsident der
Chambre Syndicale de la grosse métallurgie et de l'industrie de transformation des
Métaux en zone française d'occupation en Allemagne am 4. März 1948 in einem
umfangreichen Schreiben mit zahlreichen Änderungswünschen an den Hohen Kom-
missar.29
27 Robert H. S c h m i d t, Saarpolitik 1945-1957, Bd. 1, Berlin 1959, S.440-442.
28 Ebd., S.497.
29 MAE Nantes, HCS, MJ./Q.S., J I 3, G. Thedrel an G. Grandval vom 4.3.48. Direktor der Feintechnik AG
Homburg an HC vom 10.7.48.
435
In der Betriebsräteverordnung war vorgesehen, daß die Betriebsratsmitglieder die
Möglichkeit hatten, die Gewerkschaften zu Betriebsratssitzungen hinzuzuziehen.
Thédrel, aber auch Single von der Haiberger Hütte, betonten ausdrücklich, den Ge-
werkschaftsvertretern dürfe nur eine "voix consultative", also eine beratende Stimme,
zugestanden werden. Ein anderer Kritikpunkt bezog sich auf die Freistellung der
Betriebsräte zur Erfüllung ihrer Aufgaben und Pflichten. Hier forderte Thédrel eine
Anpassung an französische Regelungen und ein Maximum von 20 Stunden im Monat.
Besonders empfindlich reagierten Thédrel und Single auf die Bestimmung, wonach
mindestens zwei Betriebsratsmitglieder mit Sitz und Stimme im Aufsichtsrat vertreten
sein sollten. In dieser Frage hebelten die Änderungswünsche Tbédrels die Kernpunkte
der Mitbestimmung aus. Die Anzahl der Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat sollte
grundsätzlich auf maximal zwei festgeschrieben, und ihre Position im Aufsichtsrat
durch die Herabstufung ihres Stimmrechts auf eine rein beratende Funktion spürbar
geschwächt werden. Entsprechende Forderungen hatte Thédrel schon am 2. Dezember
1947 bei Grandval reklamiert. Grundsätzlich betonte Thédrel, die saarländische Mit-
bestimmungsregelung müsse der französischen angepaßt werden, denn es könne nicht
angehen, daß den saarländischen Betriebsratsmitgliedern weitergehende Rechte zu-
gebilligt würden als den französischen. Mit derselben Begründung wurde die Größe
der Betriebsräte kritisiert. In Frankreich hätte ein Betrieb ab 2.000 Mitarbeitern einen
achtköpfigen Betriebsrat, die Völklinger Hütte mit 8.000 Mitarbeitern habe dagegen
einen Betriebsrat mit 22 Mitgliedern.30
Der Vorschlag, die Angestellten stärker zu berücksichtigen und von den Arbeitern zu
separieren, bedeutete eine weitere Schwächung des Betriebsrates. Inhaltlich zielte der
Vorschlag auf eine Assimilierung an Frankreich, denn dort wählen z. B. gewerbliche
Angestellte, Meister (Agents de maîtrise) und Techniker in jeweils getrennten Wahl-
gruppen.31
Eine weitere restriktive Forderung bezog sich auf die in Paragraph 59 geregelte Ein-
berufung des Betriebsrates. Hier sollte nur der Arbeitgeber das Recht zur Einberufung
erhalten. Auch dieser Änderungswunsch wurde mit dem Hinweis auf die französische
Gesetzgebung begründet. Ebenfalls mit Blick auf Frankreich lehnten Thédrel und
Single es kategorisch ab, daß der Betriebsrat das Recht haben sollte, regelmäßig in
Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen und andere Dokumente Einsicht nehmen zu
dürfen. In Frankreich bestand aber dieses Recht im Falle der Société Anomyme, also
der Aktiengesellschaften. Die Argumentation Thédrels zeigt, daß zum Verständnis
seiner Position Mentalitätsaspekte eine wichtige Rolle spielen und somit berücksichtigt
30 Ebd., P. Couture an Grandval vom 2.12.47 sowie P. Single an G. Grandval, o.D..
31
Siehe: Bernhard Schmidt, Jürgen Doll, Walther F e k 1 und Siegfried L o e w e, Frankreich-Lexikon.
Schlüsselbegriffe zu Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Geschichte, Kultur, Presse- und Bildungswesen,
Bd.l, Berlin 1981, S.165 f.
436
werden müssen, so wandte er sich dagegen, daß der Betriebsrat gemäß Paragraph 8
Absatz 1 Betriebsräteverordnung, vom Arbeitgeber entsprechende Einsicht verlangen
konnte, obwohl das französische Gesetz Ähnliches vorsah. Das Wort "exiger" müsse
durch "avoir communication" ersetzt werden. Ein weiterer Kritikpunkt Thédrels bezog
sich auf die Durchführung der Betriebsratswahlen. Als eine "solution absolument
inpraticable" bezeichnete er die Bildung der Wahlkomitees durch eine allgemeine
Wahlversammlung. Wahrscheinlich fürchtete er einerseits eine Politisierung des
Arbeitsklimas, andererseits konnte er es mit seinem Unternehmerverständnis nicht
vereinbaren, wenn in einem großen Unternehmen die Arbeit ruhen mußte, um durch
die Einberufung einer Wahlversammlung ein Wahlkomitee zu wählen.32
Die Unternehmer - insbesondere die mit Sequesteraufgaben betrauten französischen
Persönlichkeiten - erhoben einen massiven Protest gegen die saarländische Betriebs-
räteverordnung. Sie forderten eine Anpassung an die französische Gesetzgebung und
prophezeiten, daß Scheitern der Wirtschaftsunion. Dabei versuchten sie aber, wei-
tergehende Mitbestimmungsregeiungen in Aktiengesellschaften - in Frankreich üblich
- an der Saar unter den Tisch fallen zu lassen und setzten dabei wohl auch auf mangeln-
de Kenntnisse der Militärregierung in der französischen Mitbestimmungsgesetzgebung.
Zum anderen wiesen sie daraufhin, daß eine von französischen Gesetzen divergierende
Mitbestimmungsregelung an der Saar Rückwirkungen auf die Situation in Frankreich
haben könnte. Hier scheinen die französischen Unternehmer in der Tat ausgesprochen
besorgt gewesen zu sein. Der Generaldirektor der Haiberger Hütte fürchtete, daß die
französische Mehrheit im Aufsichtsrat der Société des Hauts Fourneaux et Fonderies
gefährdet sein könnte, wenn die saarländischen Betriebsratsmitglieder der Haiberger
Hütte entsprechend der saarländischen Betriebsräteverordnung den Anspruch erheben
würden, im Aufsichtsrat des Stammunternehmens mit Sitz und Stimme vertreten zu
sein. Vor diesem Hintergrund wandten sich die französischen Gesellschaften mit
Beteiligungen im Saarland an Pierre Baudouin Bugnet vom obersten Gerichtshof in
Paris, um ein Rechtsgutachten einzuholen, das jedoch auf elf Seiten entsprechende
Befürchtungen zerstreute.33
Was die Haltung des Hohen Kommissariates betrifft, so ist interessant, daß zu diesem
Zeitpunkt innerhalb der französischen Verwaltung keine Erfahrungswerte und grundle-
gende Kenntnisse über die französische Mitbestimmungsgesetzgebung bekannt gewe-
sen zu sein scheinen, auch von dieser Seite hatte man sich nämlich an Pierre Baudouin
Bugnet gewandt.
32 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I 3, P. Couture an G. Grandval vom 2.12.47.
33
Ebd.
437
Obwohl gegen kein anderes saarländisches Sozialgesetz auch nur annähernd in ähnlich
konzentrierter Form von französischen Unternehmern im Saarland Kritik erhoben
worden ist, und der inoffizielle Druck gegen die Betriebsräteverordnung zwar quellen-
mäßig nicht nachweisbar, sehr wohl aber als denkbar und wahrscheinlich zu werten ist,
wurde den Änderungswünschen keine Rechnung getragen. Angesichts dieser Kon-
stellation kann die Beibehaltung der Betriebsräte Verordnung und die Verabschiedung
des Betriebsverfassungsgesetzes von 1954 auch als eine eher mutige und insgesamt
eher Arbeitnehmerinteressen verpflichtete sozialpolitische Entscheidung des Hohen
Kommissariates gewertet werden, obwohl dies den saarländischen Zeitgenossen so
bestimmt nicht bewußt wurde, weil sie um die Verabschiedung dieses Gesetzes lange
kämpfen mußten und untereinander manchen Strauß ausfochten. Es ist aber zu beden-
ken, daß nicht irgendwer protestierte, sondern Wirtschaftsrepräsentanten, denen
politischer Einfluß auf zahlreichen Ebenen unterstellt werden darf. Die Kritik von
Thedrel und Single steht stellvertretend für ihre grundsätzliche Position, auf politische
Aspekte keine Rücksicht zu nehmen, sozusagen wie Armin Heinen formuliert, sie
verlangten Schutz "vor saarländischer Zumutung", dagegen hielt Grandval es für
notwendig, wirtschaftliche und politische Verantwortung zu verknüpfen.34
Für die weitere Entwicklung der Mitbestimmungsfrage wie für die Unterschiede
zwischen dem Saarland und der übrigen französischen Zone ist die Wirtschaftsunion
entscheidend. Mit ihrem Inkrafttreten wurde von Untemehmerseite engagiert eine
Harmonisierung bzw. Assimilierung an französische Strukturen gefordert.
Vor dem Hintergrund des erheblichen Drucks der französischen Unternehmer im
Saarland ist es interessant, zu beobachten, wie sich nun die Mitbestimmungsfrage
weiter entwickelte, als 1949 Arbeitsminister Kirn einen Entwurf zu einem Betriebs-
verfassungsgesetz vorlegte.
2. Das Ringen um den Ausbau der Mitbestimmung
2.1 Fortschrittliche Mitbestimmung zur Schärfung sozialdemokratischen Profils
Der von Kirn ausgearbeitete Entwurf war ein Versuch, sozialdemokratische Sozial-
politik zu profilieren, und auf diese Weise einer Demokratisierung der Wirtschaft durch
den Ausbau von Arbeitnehmerrechten näher zu kommen. Sein Entwurf orientierte sich
wie der Entwurf der Einheitsgewerkschaft an den fortschrittlichen Mitbestimmungs-
gesetzen in Hessen und Baden. Die hessische Verfassung hatte das Mitbestimmungs-
recht verankert und die Betriebsratsbildung eng mit der betrieblichen Verankerung der
Gewerkschaften verknüpft. Die Betriebsräte waren nach dem hessischen und württem-
bergischen Betriebsrätegesetz verpflichtet, mit den Gewerkschaften auch dann zu-
sammenzuarbeiten, wenn sämtliche Betriebsratsmitglieder nicht gewerkschaftlich
34
Heinen, Zur französischen Wirtschaftspolitik, S.169.
438
organisiert waren. Sie verfügten wie auch in Baden über eine beratende Stimme bei
Betriebsratssitzungen. In Baden konnten die Gewerkschaften zu Besprechungen des
Betriebsrates mit den Arbeitgebern hinzugezogen werden, zum anderen waren sie
maßgeblich mit der Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen in den Fachkommis-
sionen beauftragt. Die Mitbestimmung bezog sich insbesondere auch auf wirtschaftli-
che Fragen. Das Gesetz wurde von CDU und SPD getragen, wobei die hessischen
Christdemokraten mit ihrem Arbeitsminister Josef Amdgen35 innerhalb der CDU weit
links standen. Zunächst einmal sollte die Mitbestimmung für mehr Betriebe als bisher
gelten. Deshalb sah Kims Gesetzentwurf - ebenso wie ein Entwurf der Einheitsgewerk-
schaft - vor, daß bereits ab 5 Arbeitnehmern und nicht wie bisher ab 20 ein Betriebsrat
einzurichten sei. Das bedeutete, daß es in Zukunft auch im kleinen Familienbetrieb
Mitbestimmung geben sollte.36 In diesem Punkt ging der Arbeitsminister sehr weit,
denn in Baden lag die Grenze bei 20 und in Hessen bei 25 Arbeitnehmern.37
Sowohl Kims Entwurf als auch der der Einheitsgewerkschaft strebten nach einem
Ausbau der Mitbestimmungsmöglichkeiten. Der Betriebsrat sollte ein Vetorecht in
Personalfragen erhalten. Die Einheitsgewerkschaft ging noch weiter. Sie forderte, daß
der Betriebsrat bei Massenentlassungen vier Wochen vorher über Art und Umfang
einer beabsichtigten Maßnahme zu verständigen sei. Solche Vorstellungen wurden von
der Arbeitgeberseite kategorisch abgelehnt. Sie war nur bereit, in Fragen der Akkord-
stundenlöhne ein Mitberatungsrecht zuzugestehen und bei Einstellung und Entlassung
den Betriebsrat zu unterrichten; das bedeutete keine Mitbestimmung in personalen
Fragen.38 Auch hier orientierten sich die saarländischen Sozialdemokraten und die
Einheitsgewerkschaft an Baden, Hessen und Württemberg. Das Betriebsrätegesetz
Bremens ging in personalen Fragen übrigens wesentlich weiter, da hier der Betriebsrat
gegen die Einstellung von Vorstandsmitgliedern Bedenken geltend machen konnte, die
im Einvernehmen mit Arbeitgebervereinigung und Gewerkschaften gelöst werden
sollten.39 Was die Mitbestimmung in sozialen Fragen betraf, so sahen alle Gesetz-
entwürfe mit Ausnahme des Arbeitgeberentwurfs eine erhebliche Aufwertung in
5 Josef Arndgen (1894-1966), gelernter Stukkateur, gewerkschaftliches Engagement seit dem 17.
Lebensjahr im Zentralverband christlicher Lederarbeiter (1911-1914), Gewerkschaftssekretär dieses
Verbandes von 1919 bis 1932, dann Verbandsvorsitzender des Zentralverbandes (1932-1933), während des
"Dritten Reiches" schlug er sich als Gemüsehändler durch, nach 1945 gehörte er zu den Mitgründem der
CDU und des DGB, bekleidete von 1947-1949 das Amt des hessischen Ministers für Arbeit und Wohlfahrt
und war von 1949 bis 1965 für die CDU Abgeordneter im Deutschen Bundestag, siehe Biographie bei:
Wolfgang Schröder, Katholizismus und Einheitsgewerkschaft, Bonn 1992, S.423.
36 Ernst-Gerhard E r d m a n n, Das Recht der Arbeitnehmer auf Beteiligung an der Verwaltung der
Betriebe der gewerblichen Wirtschaft. Ein internationaler Rechts vergleich, Köln 1952, S.106.
37
Müller, Das Mitbestimmungsrecht, S.31.
38 E r d m a n n, Das Recht, S.105.
39 M ü 11 e r, Das Mitbestimmungsrecht, S.22-25. Siehe auch: Peter Brandt, Betriebsräte, Neuordnungs-
diskussion und betriebliche Mitbestimmung 1945-1948. Das Beispiel Bremen, in: Internationale
wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeitberbewegung 20/1984, S. 156-202.
439
diesem Bereich vor, da bei der Schaffung und Verwaltung sozialer Einrichtungen dem
Betriebsrat ein volles Mitbestimmungsrecht zu gewähren sei. Die Arbeitgeber wollten
aber nur ein Mitberatungsrecht einräumen. Der Betriebsrat wurde in seinem Recht
durch die Bestimmung gestärkt, daß alle Arbeitgebermaßnahmen ohne Zustimmung
des Betriebsrates unwirksam seien. Auch hier orientierten sich die Saarländer an den
anderen fortschrittlichen Ländergesetzen.40
Ein breiter Konsens vom christlichen Lager bis zur Einheitsgewerkschaft und zur SPS
bildete sich in der Reform der Betriebsräteverordnung, wonach künftig die Betriebs-
ratssitzungen nicht mehr vom Arbeitgeber geleitet werden sollten.41
Einen erheblichen Ausbau der Mitbestimmung bedeutete Kirns Entwurf wie auch der
der Einheitsgewerkschaft in der Frage der wirtschaftlichen Mitbestimmung. Die
Einheitsgewerkschaft wünschte die Mitbestimmung auch in Sachen Arbeits- und
Erzeugungsplan.42
Arbeits minister und Einheitsgewerkschaft strebten im wirtschaftlichen Bereich in
Anlehnung an Baden und Hessen ein grundsätzliches Mitberatungsrecht sowie ein
Mitbestimmungsrecht mit Vetobefugnis in ganz bestimmten Fällen an, nämlich bei:
Änderung des Betriebszweckes; Entscheidungen, die die Grundlagen des Betriebes
wesentlich ändern können; Einführung neuer Arbeitsmethoden; wesentliche Änderung
des Betriebsumfanges, Stillegungen und Fusionen.43
Innerhalb des Kabinetts gelang es Richard Kim jedoch nicht, den Koalitionspartner für
eine aktive Unterstützung seines Gesetzentwurfes zu gewinnen. Auch der Hinweis, daß
die hessische CDU gemeinsam mit der SPD am 26. Mai 1948 das Betriebsrätegesetz
verabschiedet hatte, zog bei den saarländischen Christdemokraten nicht. Vielmehr
deutet sich von Anfang an eine Entwicklung an, die für den Gesamtprozeß typisch sein
sollte, nämlich ein zähes Ringen mit Vertagungen und neuen Gesetzentwürfen bis zur
Verabschiedung des Gesetzes am 7. Juli 1954 - fast fünf Jahre nach dem ersten Ent-
wurf.44 Kirns Entwurf wurde am 15. November 1949 dem Kabinett vorgestellt, die
Beratung über ihn dann aber am 29. November im Kabinett vorerst zurückgestellt. Es
Müller, Das Mitbestimmungsrecht, S.18.
41 Ebd., S.109, 154.
42 Ebd., S.107.
43 Ebd., S.29 f.
44 LA SB, MifAS, Bd,202, Aktenvermerk Referat A/9-9303 vom 1.9.51. Siehe außerdem Presseartikel zum
Thema Betriebsverfassungsgesetz: Ebd,,Schneider-Becker-Archiv (SBA) III 5a-b, z.B. Volksstimme vom
25.11.53.
440
wurde zur weiteren Beratung nach dem Willen des Kabinetts dann zunächst eine
Kommission gebildet. Kirn konnte jedoch keine Beteiligung der Gewerkschaften
durchsetzen. Als dann im Februar 1950 sowohl Gewerkschaften wie auch Arbeitgeber
über das Thema beraten sollten, ließen die Arbeitgeber die Gespräche scheitern, was zu
einer allgemeinen Verhärtung der Fronten beitrug.45
Wie würde nun das Hohe Kommissariat auf diesen Gesetzentwurf, der im Vergleich
zur bisherigen Betriebsräteverordnung, gegen die viele französische Unternehmer
Sturm gelaufen waren, reagieren, bedeutete er doch eine noch spürbarere Abweichung
von der französischen Gesetzgebung?
2.2 Kurswechsel und Widerstand des Hohen Kommissariates in der Mitbestimmungs-
frage
In einer auffällig schroffen Form reagierte Grandval im November 1949 auf Kirns
Gesetzentwurf. Noch bevor der Entwurf im Landtag eingereicht worden war, teilte
Grandval unmißverständlich dem Landtagspräsidenten sein kategorisches Nein mit.46
Die Grundlinie des Hohen Kommissariates bestand darin, daß eine noch stärkere
Abweichung von der derzeitigen französischen Regelung nicht wünschenswert sei.
Dies zeigen die mit Rotstift von einem Mitarbeiter des Hohen Kommissariates vor-
genommenen Bemerkungen am Entwurf Kirns.47 Grandval beklagte, daß der Gesetz-
entwurf sich an der Entwicklung in den deutschen Ländern, insbesondere an Baden,
orientiere.48 Er sah sowohl durch das badische Gesetz als auch durch den saarlän-
dischen Entwurf den Unternehmer seiner Entscheidungsfreiheit beraubt.49
Maßstab müsse die französische Gesetzgebung bzw. zumindest die Charta der 26.
Internationalen Arbeitskonferenz in Philadelphia sein. Rainer Hudemann hat darauf
hingewiesen, daß sie insbesondere der Sozialversicherungsdiskussion Impulse gegeben
hatte und insofern auch die französische Besatzungspolitik beeinflußte.50 In der Mit-
bestimmungsfrage ging allerdings die Betriebsrätegesetzgebung in der französischen
Zone über die Erklärungen von Philadelphia deutlich hinaus. Grandval erhob sie jetzt
aber zum Vergleichsmaßstab bei seiner Ablehnung von Kirns Gesetzentwurf. Nach der
Philadelphia-Konferenz - so Grandval - kämen Betriebsräten vier entscheidende
Funktionen zu: In Personalfragen sei der Betriebsrat zu informieren ("informer”), in
45 Ebd.
46 Ebd., MifAS, Bd.292, Grandval an Landtag des Saarlandes. Dasselbe Schreiben im Original, in: MAE
Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I 3. LA SB, SBA II/5a, Aktenvermerk des Hohen Kommissariates (in
Übersetzung) vom 20.1.50 betreffend die Betriebsräte in Frankreich, im Saarland und in Deutschland.
47 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I 3,Vermerk Grandvals, o. D., wahrscheinlich vom November 49.
48 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.227, B1.19, Vermerk Grandvals.
49 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I 3, Vermerk Grandval, o.D., wahrscheinlich vom Nov.49.
50 Hudemann, Sozialpolitik, S. 132.
441
bezug auf technische und personelle Fragen könne er beraten ("conseiller"), in sozialen
Angelegenheiten mitwirken ( "participer") und die Anwendung von arbeitsrechtlichen
und die Sicherheit betreffenden Bestimmungen kontrollieren ("contrôler").51 Vor dem
Hintergrund der gewünschten Anlehnung an die Erklärung von Philadelphia und an die
französische Gesetzgebung mißfiel der französischen Seite die Ausweitung der Be-
triebsräte schon auf Unternehmen mit 5 Arbeitnehmern, da in Frankreich erst ab 50
Arbeitnehmern ein Betriebsrat eingerichtet werden durfte.
Die Leitung der Betriebsratssitzung durch einen Arbeitnehmervertreter als Vorsitzen-
den und nicht mehr durch den Unternehmer wurde als eine "modification fondamenta-
le" gewertet. Für die französische Seite bedeutete diese Änderung, daß der "patron" zu
einem "invité" herabgestuft und zum Besucher seines eigenen Unternehmens werden
würde. Die von französischen Unternehmern an der Betriebsräteverordnung artikulierte
Kritik scheint auch bei Grandval gefruchtet zu haben, da er unisono mit den Unterneh-
mern jetzt auch die im Vergleich zu Frankreich zu hohe Anzahl der Betriebsratsmit-
glieder kritisierte und die Unterschiede als "tiefgreifend" bewertete.52
Angst vor den Gewerkschaften
Große Bedenken weckte auch die durch den Gesetzentwurf vorhersehbare Stärkung
der Gewerkschaften, die eng an den Betriebsrat gebunden werden sollten.53 Die Ge-
werkschaften sollten nach Kirns Entwurf wie auch nach Vorstellung der Einheits-
gewerkschaft Zugang zu den Betriebsratssitzungen haben, selbst wenn die Betriebsräte
keiner Gewerkschaft angehörten. Darüberhinaus sollten sie die Möglichkeit erhalten,
Personalversammlungen einzuberufen. Kirn wollte so die Gewerkschaften zu Multipli-
katoren bei der Errichtung von Betriebsräten machen.
In Fällen, bei denen auf die Bildung eines Betriebsrates von Unternehmerseite Druck
ausgeübt wurde, oder der Elan der Belegschaft nicht gegeben war, konnte über die
Gewerkschaften von außen ein Impuls zur Einrichtung eines Betriebsrates gegeben
werden.
Daneben wurde auf diese Weise das Konkurrenzverhältnis zwischen Betriebsräten und
Gewerkschaften, wie es am Anfang in der Weimarer Republik zu beklagen war,
endgültig überwunden. Außerdem sollte der Betriebsrat das Recht erhalten, Gewerk-
schaftsexperten einzuladen, um die von den Unternehmern vorgelegten Bilanzen zu
interpretieren und zu kontrollieren. Hier "zog" der französische Industrieminister
bereits am 4. Dezember 1949 in einem Schreiben an das Außenministerium "die rote
Karte".54 Von Seiten des Hohen Kommissariates wurde befürchtet, die Gewerkschaften
MAE Nantes, HCS, M.J./ Q.S., J I 3, Vermerk Grandvals, o.D., wahrscheinlich vom Nov.49.
52 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.227, Bl. 177 f., Vermerk Hohes Komm, vom 20.10.50.
53 MAE Nantes, HCS, M.J./ Q. S., J I 3, Vermerk von J. Decoust vom 7.11.49.
54 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.226, Bl.313, Industrieminister an MAE vom 14.12.49.
442
könnten auf diese Weise in den Besitz wichtiger Informationen, ja sogar von Produk-
tionsgeheimnissen, kommen - mit negativen Auswirkungen für den Produktions-
ablauf.55
Grandval sah deshalb bei einer Anwendung von Kirns Gesetz eine "paralysie progres-
sive’1,56 also eine fortschreitende Lähmung der Saarwirtschaft. Gerade diese Wortwahl
vermittelt die Emotionaliät, mit der über das Thema gestritten wurde, wie auch die
Behauptung Grandvals, Kirns Entwurf ginge weiter als entsprechende Regelungen in
der Sowjetunion.57 Diese grundsätzliche Einschätzung änderte sich auch in den folgen-
den Jahren nicht. Der von der SPS und der Einheitsgewerkschaft entworfene Plan einer
weitergehenden Mitbestimmung wurde als Bedrohung empfunden, Grandval sprach
gegenüber dem Außenministerium von einer "ménaceréelle".58
Gerade die Angst vor den Gewerkschaften bildete in der Mitbestimmungsfrage ein
konstantes Element der französischen Haltung. Vor dem Hintergrund der bereits
erwähnten relaüv starken kommunistischen Basis auf Betriebsrats- und Gewerkschafts-
ebene im Saarland war diese Angst nicht verwunderlich.59
Angst vor Rückwirkungen auf die französische Gesetzgebung
Bereits im Winter 1949 hatten französische Unternehmer im Saarland Befürchtungen
geäußert, daß saarländische Betriebsratsmitglieder französischer Tochterunternehmen
den Anspruch erheben könnten, im Aufsichtsrat der französischen Gesellschaft Sitz
und Stimme zu beanspruchen. Auch im Oktober 1951 bestanden immer noch solche
Bedenken, obwohl nach Einschätzung der Abteilung Arbeit des Hohen Kommissariates
dies absolut auszuschließen, und die Rechtslage klar sei.60 Dennoch verdeutlichen diese
Überlegungen, wie groß die Befürchtungen vor Rückwirkungen auf die innerfranzösi-
schen Verhältnisse waren. Ähnliche Bedenken erhob auch Favre Gilly, der Direktor der
Banque de Réescompte, noch im Juli 1954, als das Betriebsverfassungsgesetz endlich
verabschiedet worden war, obwohl sie gänzlich unbegründet waren, da sich das Gesetz
gar nicht auf den öffentlichen Dienst bezog.61
55 Ebd., Doss.227, B1.176, Grandval an MAE vom 3.2.50. Bl.177 f., Vermerk Hohes Komm, vom 20.10.50.
56 Ebd, Bl. 177.
57 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S, J I 3, "Comme cette dernière (badisches Betriebsrätegesetz), sa mise en
vigueur aboutirait pratiquement à dépouiller le chef d'entreprise de son pouvoir pleinier de décisions
pouvoir qu'il a toujours conservé jusqu' ici (...) même et plus encore en U.R.S.S. pour le faire dépendre de
l'accord, de la non-opposition ou de l’avis du comité".
58 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl. 36, Grandval an MAE vom 3.10.51.
59 Ebd,Doss.227, B1.296 f, Vermerk von A. Rieth vom 13.2.50.
60 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S, J I 3. Vermerk v. R. Thailhades vom 3.10.51.
61 Ebd, ders. an HC vom 27.8. und 2.8.54.
443
Hypothesen zum Kurswechsel Grandvals
Auffallend ist, daß Grandval, der vor Inkrafttreten der Wirtschaftsunion in der Mit-
bestimmungsfrage keineswegs kategorisch eine Assimilation an französische Be-
stimmungen forciert hatte, nach Realisierung der Union und nach der Kritik der Arbeit-
geber zwar keine Mitbestimmungsrechte opferte, sich aber gegen die weitergehenden
Vorstellungen von Gewerkschaften und Sozialdemokratie vehement wehrte und sich
dabei voll und ganz die Kritik der französischen Unternehmer und des Industrie-
ministers zu eigen machte. Dabei ist besonders auffallend, daß jetzt auch die in der
Betriebsräteverordnung vom August 1947 vorgesehene Bestimmung, wonach minde-
stens zwei Betriebsratsmitglieder mit Sitz und Stimme im Aufsichtsrat vertreten sein
sollten, zur Disposition gestellt wurde. Unklar ist, ob dieser Sinneswandel vor dem
Hintergrund der geplanten erweiterten Mitbestimmungsrechte zu sehen war oder
andere Ursachen hatte.62 *
Aus den Akten kann nicht eindeutig beantwortet werden, worauf dieser Kurswechsel
zurückzuführen ist. Grandvai hatte bei der Verabschiedung der Betriebsräteverordnung
im August 1947 noch keine präzise Kenntnis der französischen Mitbestimmungs-
gesetzgebung, so daß sein Kurswechsel möglicherweise auch damit zusammenhängt.
Wahrscheinlicher ist jedoch, daß der Druck der französischen Unternehmer ausschlag-
gebend gewesen sein dürfte. Wie sie machte sich Grandval jetzt zum Fürsprecher eines
Assimilierungskurses und begründete dies mit dem Wirtschaftsanschluß:"Le rattache-
ment économique de la Sarre à la France implique une égalisation des salaires et des
charges sociales. Cette harmonisation des conditions de travail (...)".6J Die gegensätzli-
chen Vorstellungen zwischen Grandval und dem französischen Bergbau- und Indu-
strieminister in der Frage, ob die Régie unter ein neues Betriebsrätegesetz fallen solle
oder nicht, können als Ausdruck eines sehr einseitig an der Saarkohle orientierten
Denkens des Industrieministers gewertet werden. Letztlich offenbart hier wieder die
sozialpolitische Aufarbeitung dieser Zeit das Fehlen eines klaren Pariser Saarkonzep-
tes.
2.3 Differenzen auf der französischen Entscheidungsebene
Innerhalb der Pariser Administration zeigten sich auch in der Mitbestimmungsfrage
Divergenzen. Das Bergbau- und Industrieministerium verdat die Kritikpunkte der
Unternehmer und scheint viel entschiedener und akzentuierter Stellung gegen die
Gesetzentwürfe bezogen zu haben als das Außenministerium, so daß Grandval dem
Industrieminister in dieser Frage wohl näher stand als dem Quai d'Orsay. Bezeichnend
dafür war, daß das Industrieministerium bereits in einem Schreiben vom 4. Dezember
1949 an das Außenministerium in massiver Form vor dem Entwurf des saarländischen
62 Ebd., Projet loi relative aux comités d'entreprise en Sarre, siehe dazu die mit Rotstift angebrachte
Bemerkung "Non".
J Ebd., Vermerk von Grandval, o.D,, wahrscheinlich vom Nov.49.
444
Betriebsrätegesetzes gewarnt hatte, von dort aber keine Antwort erhielt, obwohl auch
Grandval gegenüber dem Außenministerium unmißverständlich den Entwurf Kirns als
inakzeptabel abgelehnt und insbesondere auf die Gefahr der wirtschafüichen Mit-
bestimmung hingewiesen hatte, die die Autorität des Generaldirektors der Régie
einschränken würde.64
Grandval stimmte zwar in der ablehnenden Haltung zur Mitbestimmung mit dem
Industrieminister überein, andererseits wollte er aber im Gegensatz zu ihm, daß ein
Betriebsrätegesetz sich auch auf die Gruben beziehen müsse.05 Er fürchtete, daß eine
Ausklammerung des Bergbaus sich in der öffentlichen Diskussion als außergewöhnlich
gefährlich erweisen könne, insbesondere nachdem mit der Montanmitbestimmung in
der Bundesrepublik gerade in diesem Bereich eine ausgesprochen fortschrittliche und
arbeitnehmerfreundliche Sonderregelung eingeführt worden war.66
Die deskriptive Vorstellung der gegensätzlichen Positionen in Mitbestimmungsfragen
kann jedoch nur ein Oberflächenphänomen aufdecken, zu dessen Verständnis tiefere
Einblicke in die deutsche und französische Gesellschaft notwendig sind. Nicht zuletzt
vor dem Hintergrund, daß zur Hoffmann-Zeit Franzosen an der Spitze von Hütten und
Zechen standen, erscheint eine ausführliche Analyse gerechtfertigt. Sie schärft zudem
den Blick für die tiefgehenden Ursachen der ablehnenden Haltung zu einer weit-
gehenderen Mitbestimmung.
3. Sozial- und mentalitätsgeschichtliche Divergenzen und ihre Auswirkungen auf
die Mitbestimmungsdiskussion
Die Mitbestimmungsproblematik veranschaulicht paradigmatisch, wie konfliktgeladen
und schwerfällig sich die saarländische Sozialpolitik im Zeichen der Wirtschaftsunion
entwickeln konnte, je stärker gesellschaftliche Strukturen und Mentalitäten divergier-
ten. Im Bereich von sozialen Leistungen erwiesen sich traditionelle Unterschiede eher
als hilfreich, ein insgesamt hohes Leistungsniveau im Saarland aufzubauen; im Bereich
der Sozialpartnerschaft zeigt sich aber eine gegensätzliche Entwicklung.
Damit verdeutlicht dieser Ausschnitt saarländischer Geschichte, wie schwierig sich
eine sozialpolitische Harmonisierung bei Vereinigungsprozessen gestalten kann,
unabhängig davon, ob es sich um die Bildung einer wirtschaftlichen Union oder um
einen staatlichen Zusammenschluß handelt.67
64 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.99 und Doss.226. Grandval an MAE vom 14.12.49.
65 Ebd., Doss.227, B1.28 f„ Grandval an MAE v. 9.1.50.
66 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I 3, Vermerk von R. Thailhades vom 29.9.52.
67 Hier ist auf die aktuelle Entwicklung hinzuweisen, deutsch-französische Mitbestimmungsgremien
aufzubauen wie die deutsch-französischen Verbindungsausschüsse von Arbeitnehmervertretungen, wie es
sie erstmals seit 20. Januar 1994 in der Eisen- und Stahlindustrie bei Usinor-Sacilor gibt, siehe: Dillinger
445
Das Thema Mitbestimmung korrespondiert mit der gesellschaftlichen und politischen
Rolle von Unternehmern einerseits und Arbeitnehmern und ihrer Interessenvertretung
andererseits. Hierbei zeigen sich zwischen Deutschland und Frankreich erhebliche
Unterschiede. Was die gesellschaftliche Rolle der Unternehmer betrifft, so offenbart
schon ein Blick auf semantische Aspekte, wie tiefgreifend die Differenzen beider
Länder sind.
3.1 Sprache als Indikator gesellschaftlicher Divergenzen
Die deutschen Wörter "Arbeitgeber" und "Unternehmer" haben gegenüber dem franzö-
sischen "Patron" und "Patronat" einen geradezu neutralen Charakter, das heißt, sie
werden weitgehend wertfrei ohne Abwertungen gebraucht. Das französische "patron"
evoziert Herrschaftskonnotationen, ganz gleich, ob "patron" für den Schutzherrn, den
Lehrmeister, den Schiffseigentümer oder den Chefarzt steht. Dem Begriff "patron" ist
im Vergleich zu den deutschen Begriffen "Arbeitgeber" und "Unternehmer" die Aus-
übung von Macht, einer unteilbaren Macht, immanent.68 Die Geschichte des Wortes
unterstreicht diesen Befund. Ursprünglich bezeichnete das Wort zunächst Schutzheili-
ge, wurde aber im Mittelalter auch zur Bezeichnung des Lehnsherrn verwandt, stand in
der Neuzeit für eine Person, die befiehlt und bedient wird. Erst mit Beginn des 19.
Jahrhunderts findet das Wort Eingang in die Arbeits welt und bezeichnet einen Händler
oder kleinen Unternehmer, der Arbeiter und Lehrlinge beschäftigt, steht dann aber auch
für den Eigentümer eines Industrieunternehmens. "Patron" wird von den Arbeitern seit
der Revolution von 1848 mit Kapitalist gleichgesetzt.69
3.2 Traditionelle Divergenzen in Verständnis und Ausübung unternehmerischer
Herrschaft
Was nun Ausübung und Verständnis unternehmerischer Herrschaft betreffen, so hat
Patrick Fridenson bei seinen Untersuchungen, insbesondere anhand von Fabrikordnun-
gen deutscher und französischer Automobilproduzenten zu Beginn des 20. Jahrhun-
derts, bedeutende Unterschiede festgestellt. Die französischen Arbeits- und Fabrik-
ordnungen konzentrierten sich meist auf technische Aspekte, während die deutschen
die Sozialleistung des Unternehmers stärker berücksichtigten. Diese Diskrepanz erklärt
Fridenson mit dem größeren Einfluß der Angestellten in Frankreich. Nach seiner
Einschätzung orientierten sich die französischen Unternehmer an einem liberalen
Modell. Darunter versteht Fridenson, daß der Arbeitgeber bei seiner Unternehmens-
Hütte-Pressegespräch vom20.1.1994, SZ vom 21.1.und 8.2.94. Handelsblatt vom 8.2.94, freundlicherweise
dem Verfasser von Heinz Gemenich, Betriebsratsvorsitzender der Dillinger Hütte und Vorsitzender des
Verbindungsausschusses, zur Verfügung gestellt.
68 Peter Jansen und Gerhard K i e r s c h, Länderstudie Frankreich, in: Siegfried Mielke (Hrsg.),
Internationales Gewerkschaftshandbuch, Opladen 1983, S.457.
69 Dictionnaire historique de la langue française, Paris 1992, S.1453.
446
führung für sich selbst in maximalem Umfang eine "Herr im Hause-Stellung" bzw.
"Charbonnier est maître chez soi" reklamiert. Demgegenüber stellt er für Deutschland
fest, daß dort seit 1891 Unternehmer fakultativ per Verordnung bei der Ausarbeitung
und Anwendung von Arbeitsordnungen gewählte Arbeiterausschüsse hören sollten.
Diese in Frankreich so nicht zu beobachtende Erscheinung ist nicht auf unternehmeri-
sche Großzügigkeit zurückzuführen, sondern findet ihre Erklärung in einer differieren-
den Wirtschaftsphysiognomie. In Deutschland war zur Jahrhundertwende eine Ten-
denz zur polykratischen Unternehmensstruktur zu beobachten, die nach Ansicht von
Fridenson als Katalysator für formalisierte innerbetriebliche Herrschaftsbeziehungen
wirkte. Für diese Beziehungen war typisch, daß zwischen Unternehmensleitung und
Arbeitnehmern formalisierte Kommunikationsstrukturen entstanden. Ihre institu-
tionalisierte Form fand sich in der Einrichtung von Arbeiterausschüssen. Diese Ent-
wicklung wurde aber erst durch eine starke gewerkschaftliche Organisierung möglich.
Polykraüschen Herrschaftsstrukturen in Deutschland standen nach Ansicht Fridensons
autokratische in Frankreich in Form des weitgehend alleinherrschenden Unternehmers
gegenüber, nicht zuletzt auch gebilligt durch Urteile des Kassationsgerichts, die dem
Patron eine Art Privatgerichtsbarkeit in seinem Unternehmen zubilligten und damit
autokratische Herrschaftsausübung juristisch ab sicherten.70
Das von Fridenson als liberal bezeichnete Herrschaftsmodell der französischen Unter-
nehmer stand im Kontext der französischen Revolution und damit im Kontext einer
Tradition. Im "Loi le Chapelier" der Constituante vom 14./17. Juni 1791, einem Sym-
bol des Liberalismus,71 wurde als Reaküon auf die Bindungen des Zunftwesens de
facto ein Gewerkschaftsverbot ausgesprochen und berufsständische Zusammenschlüs-
se untersagt. Schon Casimir Périer, der liberale Innenminister der Julimonarchie, stellte
im Sinne des von Fridenson definierten liberalen Modells unternehmerischer Herr-
schaft fest:"Die Arbeiter müssen wissen, daß es für sie keinen anderen Ausweg gibt als
Geduld und Resignation."72
Man muß sich in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob nicht die saarländischen
Unternehmensstrukturen bis zur ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eher den
französischen als den deutschen entsprachen. Dafür spricht, daß wichtige Teile des
70 Patrick Fridenson, Herrschaft im Wirtschaftsunternehmen. Deutschland und Frankreich 1880-1914,
in; Jürgen K o c k a (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, Bd.2,
München 1988, S.65-91, insbesondere S.69, 81-83, 87.
71 Das "Loi le Chapelier” war ein nach seinem Initiator Isaac le Chapelier benanntes Dekret. Es war neben
der Garantie des Privateigentums durch die Déclaration des droits de l'homme das wichtigste Wirtschafts-
und Sozialgesetz der Revolution, das die Zünfte auflöste und verbot wie auch Zusammenschlüsse von
Arbeitern und Unternehmern. Siehe; Schmidt, Doll, Fekl und L o e w e, Frankreich-Lexikon, Bd.2,
S.42 f.
72 J a n s e n und K i e r s c h, Länderstudie Frankreich, S.437, 458.
447
saarländischen Industriebesitzes, insbesondere die Eisen- und Stahlindustrie, in den
Händen der Familien Röchling und Stumm lagen. Das Stumm'sche System war ein
Paradebeispiel für die Ausübung einer personalisierten und patriarchalischen Unterneh-
merherrschaft, das der Politiker- und Gewerkschaftlergeneration der Hoffmann-Zeit
noch bewußt gewesen sein dürfte.
Während im Ruhrgebiet im Bereich der Eisen- und Stahlindustrie spätestens durch die
Bildung der Vereinigten Stahlwerke nach dem Ersten Weltkrieg ein großes Unter-
nehmenskonsortium mit in der Tat polykratischen Strukturen entstanden war, basierte
das Röchling'sche Unternehmen auf dem Vermögen der Familie und war bis zum
Kriegsende 1945 durch Hermann Röchling geführt worden. Das Stumm'sche System
in Neunkirchen hatte sich nach 1918 relativ schnell aufgelöst, was auch dazu führte,
daß dort im Gegensatz zu Völklingen Gewerkschaften und Sozialisten stärker Fuß
fassen konnten.73 Patriarchalische Strukturen wirkten an der Saar wohl auch länger als
im Ruhrgebiet, weil die Saargruben als Mines Domaniales (1920-1935) nach französi-
schem Vorbild ausgerichtet wurden und in allen Saarhütten - bis auf Röchling - eine
französische Kapitalmehrheit bestand.74 Daneben ist auf das von der Familie geführte
Keramikunternehmen Villeroy & Boch zu verweisen. Im Bereich der Glasindustrie
aber zeigt sich wie im metallverarbeitenden Bereich ein Trend zu polykratischen
Strukturen. Gerade diese starke Ausprägung patriarchalischer Unternehmensstrukturen
an der Saar dürften aber Richard Kirn und die saarländische Sozialdemokratie nach
1945 dazu veranlaßt haben, durch eine fortschrittliche Mitbestimmungsgesetzgebung
eine gesellschaftliche Modernisierung zu verwirklichen, zumal das Saarland der
Völkerbundszeit nicht in den Genuß des Weimarer Betriebsrätegesetzes gekommen
war. Auch die christlichen Gewerkschaften betonten insbesondere ab 1952, daß es mit
dem seit Stumms-Zeiten im Saarland typischen "Herr-im-Hause-Standpunkt" zu Ende
sein müsse.75
73 Günter Brackeimann, Carl-Ferdinand von Stumm (1836-1901). Christlicher Unternehmer,
Sozialpolitiker, Antisozialist, Bochum 1993. Joachim Heinz, Arbeiter und Arbeiterbewegung an der Saar
1933-1935, Magisterarbeit Universität Saarbrücken 1988, S.143 f. Hans-Chnstian Herrmann, Plante
Hermann Röchling 1940 ein zusammenhängendes Montanrevier Saar-Lor-Lux?, in: Zeitschrift für die
Geschichte der Saargegend, XLII/1994, S.218. Siehe auch: Hermann K o 11 h o f f und Peter O c h s,
Mitbestimmung an der Saar, Köln 1988, S.30, 35, 43. Zu den Verhältnissen vor dem Ersten Weltkrieg,
siehe auch: Hans Horch, Strukturelle Gewalt und autoritäres Verhalten im Lernprozeß der
kapitalistischen Industrialisierung. Untersuchungen zur sozialen Entwicklung im Industrierevier an der Saar
1790-1914, Hannover 1984, S.424, 447-449. Klaus-Michael M a 1 1 m a n n. Die Anfänge der
Bergarbeiterbewegung an der Saar (1848-1904), Saarbrücken 1981, S.189. Gerhard Paul, "Deutsche
Mutter-heim zu Dir!" Warum es mißlang, Hitler an der Saar zu schlagen. Der Saarkampf 1933-1935, Köln
1984, S.48.
74 Klaus-Michael M a 11 m a n n und Horst Steffens, Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an
der Saar, München 1989, S.131, 161, 170.
75 Winfried Becker, Johannes Hoffmann und die frühe Programmatik der CVP, in: Revue d'Allemagne
XVIII/1986, S.41.
448
Dominanz einerfamilialen Wirtschaftsstruktur
Verstärkt wurde die automatische Rolle der französischen Unternehmer durch einen
weiteren Unterschied in der Wirtschaftsphysiognomie. In Frankreich gab es bis in die
fünfziger Jahre eine familialere Unternehmensstruktur mit zahlreichen kleinen und
mittleren Familienbetrieben, von denen dann aber zwischen 1951 und 1963 immerhin
80.000 verschwanden; andererseits blieb die Wirtschaft aber immer noch stärker durch
den agrarischen Sektor dominiert als die deutsche. Der Anteil der Erwerbstätigen in der
Industrie erreichte erst 1968 das deutsche Niveau von 1946.76
Die Bedeutung dieser Unterschiede in der Wirtschaftsstruktur fand politisch in einer
stärkeren Rolle des Kleinbürgertums ihren Ausdruck.77 Die bis weit in die Mitte des
20. Jahrhunderts zu beobachtende Betriebsführung durch Familienmitglieder war in
Frankreich wesentlich stärker als in Deutschland ausgeprägt. Dabei fällt ein "familiär
begründetes Elite-Bewußtseinsmuster" auf, das sich zu einem Mitbestimmungsbegeh-
ren eher restriktiv verhielt, zumal in Frankreich eine "vergleichsweise stärkere Hier-
archisierung und ein geringerer Stellenwert des persönlichen Kontakts zwischen
Führung und Belegschaft" zu beobachten sind. Die Ursachen dafür liegen zum Teil im
Bildungssystem. Die Generalisierungen der Ausübung unternehmerischer Herrschaft
müssen insoweit relativiert werden, als regionale Unterschiede berücksichtigt werden
müssen.78
3.3 Das Hohe Kommissariat und die Mitbestimmung als Spiegel divergierender Menta-
litäten und Soziostrukturen
Diese sozialen und vor allem die Mentalität betreffenden Divergenzen zwischen
Frankreich und Deutschland spielen auch in den Auseinandersetzungen um die Mit-
bestimmung im Saarland eine Rolle, Einer autokratischen Ausübung unternehmeri-
scher Herrschaft mißfiel eine Repräsentanz von Arbeitnehmervertretem im Aufsichts-
rat, vor allem, wenn sie Sitz und Stimme haben sollten.
Das Selbstverständnis einer autokratischen Unternehmermentalität spiegelt sich auch in
Grandvals Feststellung wider, die Arbeiter seien unfähig, weil unwissend, in wirt-
schaftlichen Fragen mitzubestimmen.79 In diesem Zusammenhang muß auch das
soziale Milieu von Grandval gesehen werden. Nach seinem Militärdienst 1926 hatte er
16 Pierre B i r n b a u m, La classe dirigeante française, Paris 1978, S.31-33.
77 Hartmut K a e 1 b 1 e, Frankreich und die Bundesrepublik im Vergleich, in: Ders. (Hrsg.), Der Boom
1948-1973. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen in der Bundesrepublik Deutschland und in
Europa, Opladen 1992, S. 225.
78 Rainer Hudemann, Wirtschaftseliten in Frankreich und Deutschland, in: Ders. und Georges-Henri
Soutou (Hrsg.), Eliten in Deutschland und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert. Strukturen und
Beziehungen, Bd.l, München 1994, S.200-202.
79 Privatarchiv Grandval (PGA), Doss.17, Vermerk von Grandval vom 3.12.49.
449
eine erfolgreiche Karriere bei einem Chemieunternehmen begonnen und war vor
Kriegsausbruch bis zum kaufmännischen Direktor mit Pilotenschein aufgestiegen.80
Der Wunsch, Betriebsräte in Unternehmen ab 5 Mitarbeitern einzuführen, lief der
traditionellen Vorstellung vom innerbetrieblichen Ablauf in einem kleinen Familien-
untemehmen zuwider. Gerade auch in den Führungskreisen der Régie war ein "Herr im
Hause-Denken" zu beobachten. Beispielhaft offenbarte sich diese Mentalität, als im
Saargrubenrat die beiden mehr oder weniger autonomistisch eingestellten Gewerk-
schaftler Hans Ruffing und Johann Dreher im Sinne einer "confiance mutuelle" die
Régie um Mitbestimmung in personellen Fragen der Gedingekontrolle baten. Sie
wünschten, die Gedingekontrolleure sollten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
gemeinsam ausgesucht werden. Von Robert Baboin erhielten sie zur Antwort:"Il est un
principe, qui doit être respecté: le Directeur du siège, sous l'autorité du directeur de la
mine, est responsable de son siège et des salaires, cette autorité est à respecter à tout
prix (...)".81 Baboin sah in dem Begehren der Gewerkschaftler einen Versuch, seine
Autorität in Frage zu stellen.
3.4 Die gesellschaftliche Rolle der französischen Gewerkschaften
Frankreichs Gewerkschaften wird keine durchgreifende politische Macht zugespro-
chen. Siegelten als ideologisch gespalten und extrem politisiert. Während die deutsche
Sozialdemokratie seit jeher intensive Gewerkschaftskontakte pflegte, fand der französi-
sche Sozialismus kein vergleichbares Verhältnis zu den Gewerkschaften.82
Am Anfang der französischen Gewerkschaftsgeschichte stand der Einheitsgedanke,
aber schon nach den beiden Weltkriegen traten ähnlich wie in Italien Gewerkschafts-
spaltungen auf, die zur Ausbildung einer weltanschaulich parzellierten extrem plurali-
stischen Gewerkschaftslandschaft führten.83 Insbesondere ist auf das buntscheckige
Bild in den Betrieben hinzu weisen, so gab es z.B. noch in den 1980er Jahren bis zu
2.000 Hausgewerkschaften.84
80 Dieter Marc Schneider, Gilbert Grandval. Frankreichs Prokonsul an der Saar 1945-1955, in: Stefan
Martens (Hrsg.), Vom "Erbfeind" zum "Erneuerer". Aspekte und Motive der französischen
Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg ( Francia - Beiheft Bd.27), Sigmaringen 1993, S.203.
81 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.234, Bl.19, S.Sitzung des Conseil Sup. des Mines de la Sarre
vom 12.12.49 in Paris.
82 Peter Jansen, Die gescheiterte Sozialpartnerschaft. Die französische Gewerkschaftsbewegung
zwischen Tarif autonomie und Staatsinterventionismus, Frankfurt a.M. u.a.O. 1987, S. 36-38.
83 1895 wurde die Confédération Générale du Travail (C.G.T.) gegründet. 1919 spaltete sich dann ein
chrisüicher Teil ab und gründete die C.F.T.C., Confédération Française des Travailleurs Chrétiens. Nach
1945 spaltete sich eine gemäßigt reformistische Richtung, die Confédération Générale des Cadres ab,
gegen die kommunistische Richtung der C.G.T. dann die Force Ouvrière 1948 als C.G.T. - F.O. und 1964
das christliche Lager durch die Bildung der C.F.D.T., siehe Clemens A. Wurm, Die Gewerkschaften in
der französischen Politik in: PVS XXV/ 1984, S.194.
84 J a n s e n, Gescheiterte Sozialpartnerschaft, S.29, 36 f. Wurm, Die Gewerkschaften, S.l 88, 191-193.
450
Im Unterschied dazu gewann in Deutschland und den skandinavischen Ländern der
Typ Einheitsgewerkschaft Stabilität, in Belgien und den Niederlanden erwies sich ein
Trend zum Dualismus zwischen sozialistischen und christlichen Gewerkschaften.85
Die organisatorischen Defizite der französischen Gewerkschaften erklären sich aus
dem langsameren Industrialisierungsprozeß und dem höheren Anteil von Klein- und
Familienbetrieben. Die Politisierung und Ideologisierung - insbesondere nach der
Spaltung der C.G.T. nach dem Zweiten Weltkrieg - führte tendenziell zu einem Klima
verstärkter Rivalität zwischen den Gewerkschaften und zu einer Radikalisierung im
Umgang untereinander wie auch mit den Arbeitgebern. Die im Kriegs- und Resistance-
kontext entstandene Motivation zur Mitbestimmung schmolz dahin, und an ihre Stelle
trat ein "climatd'intransigeance", ein Klima des Starrsinns und der Unversöhnlichkeit.86
Ganz im Unterschied zur Bundesrepublik wurden die Gewerkschaften nicht zu institu-
tionalisierten Teilnehmern am staatlichen Entscheidungsprozeß, sondern soziale
Fortschritte wurden vielmehr durch die staatliche Sozialpolitik auf den Weg gebracht
und nicht wie in der Bundesrepublik durch sozialpartnerschaftlich kooperativ ausge-
richtete Gewerkschaften im Dialog mit den Unternehmern auf Tarifvertragsebene.87
4. Tradition gegen historischen Reflex: Mitbestimmung in Deutschland und Frank-
reich
Der Stellenwert der Mitbestimmung in der Gesellschaft und insbesondere für die
Gewerkschaften in Deutschland unterscheidet sich grundlegend von anderen europäi-
schen Ländern. Klaus von Beyme betont, daß in Europa Mitbestimmung als etwas
Deutsches verstanden wird, und das Wort schon im Kreise der Staaten der Europäi-
schen Union den Verdacht erwecke, als ob die Bundesrepublik ihr Mitbestimmungs-
modell anderen Staaten überstülpen bzw. nach ganz Europa exportieren wolle. Immer-
hin ist die Bundesrepublik auch, wie von Beyme feststellt, das einzige Land, in dem die
Arbeiter in den Organen privater Kapitalgesellschaften vertreten sind.88 Dieser Befund
wird um so verständlicher, wenn man die Entwicklung des Mitbestimmungsgedankens
in Deutschland und Frankreich miteinander vergleicht. Dabei zeigt sich, daß in Frank-
reich Betriebsräte als historischer Reflex aus dem Kontext des Zweiten Weltkrieges
entstanden sind, getragen von einem nur kurze Zeit andauernden gesellschaftlichen
Konsens. Demgegenüber steht in Deutschland bis zur Verabschiedung des Montanmit-
85 Dies.
86 Xavier Blanc-Jouvan, La participation des travailleurs à la gestion des entreprises en droit
français, in: Franz Gamillscheg u.a. (Hrsg.), Mitbestimmung der Arbeitnehmer in Frankreich,
Großbritannien, Schweden, Italien, den USA und der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a.M. 1978,
S.33-60, insbesondere S.36, 41.
11 Wurm, Die Gewerkschaften, S.190.
88 Klaus von Beyme, Gewerkschaften und Arbeitsbeziehungen in kapitalistischen Ländern, München
1977, S.280.
451
bestimmungsgesetzes 1951 ein mehr als einhundertjähriger Entwicklungsprozeß, so
daß man schon von einer Tradition des Mitbestimmungsgedankens sprechen kann,
insbesondere um diesen langwierigen Prozeß von dem kurzzeitigen in Frankreich
abzugrenzen. Diese Entwicklungsdivergenzen bedingen natürlich auch die eben
gezeigten Unterschiede hinsichtlich des Selbstverständnisses von Unternehmen und
Gewerkschaften.
4.1 Das Entstehen einer Tradition
Vom Vormärz bis zum Weimarer Betriebsrätegesetz
Der Mitbestimmungsgedanke in Deutschland läßt sich bis ins 19. Jahrhundert zurück-
verfolgen, als der bayerische Philosoph Franz von Baader und der Tübinger Staats-
rechtler Robert Mohl bereits vor der Revolution 1848 im Zuge der Pauperismusdebatte
des Vormärz 1835 die Einbürgerung des Proletariats zur Diskussion stellten und dabei
auch Fabrikarbeitern gewisse, wenn auch geringe, Mitbestimmungsrechte konzedier-
ten.89
In der Frankfurter Paulskirche wurde 1848 von einer Minderheit der Entwurf einge-
bracht, in die Gewerbeordnung die Bildung von Fabrikausschüssen aufzunehmen. Sie
sollten aus Arbeitgebern und Vertretern der Werkmeister und Arbeiter zusammenge-
setzt sein.Trotz des Scheiterns der Frankfurter Nationalversammlung kam es aber
dennoch in einigen Unternehmen auf freiwilliger Basis zur Einrichtung von Arbeitneh-
mervertretungen .90
Durch die Arbeiterschutzgesetzgebung 1891 wurde in die Gewerbeordnung eine
Vorschrift aufgenommen, wonach fakultativ Arbeiterausschüsse einzurichten seien.
Preußen übernahm für die weitere Entwicklung dabei insofern eine Vorreiterrolle, als
1905 im Bergbau die Einrichtung von Arbeiterausschüssen zwingend wurde, 1909
dann für das gesamte Reichsgebiet.91 Heftigen Widerstand gegen diese Entwicklung
leisteten starke patriarchalische Unternehmerpersönlichkeiten mit einem hohen wirt-
schaftlichen und politischen Gewicht wie der Freiherr von Stumm-Halberg sowie die
Familien Krupp und Siemens, denn das Gesetz von 1891 bedeutete juristisch, daß ein
ArbeitsVerhältnis nicht mehr eine Privatsache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
war, sondern zu einer öffentlichen Angelegenheit wurde.92
89 Ulrich Engelhardt, Strukturelemente der Bundesrepublik Deutschland. Überlegungen zum Problem
historischer Kontinuität am Beispiel der Betriebsverfassung, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte 69/1982, S.385 f. Hans-Jürgen Teuteberg, Ursprünge und Entwicklung der
Mitbestimmung in Deutschland, in: Hans Pohl und Wilhelm Treue, Mitbestimmung. Ursprünge und
Entwicklung, Wiesbaden 1981, S.9-11.
90
Engelhardt, Strukturelemente, S.385 f. Norbert Horn, Arbeitsrecht und soziale Beziehungen in der
Bundesrepublik in historischer Sicht, in: Werner Conze und M. Rainer Lepsius (Hrsg.), Sozialgeschichte
der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1983, S.328.
91 Horn, Arbeitsrecht, S.328 f.
92
Teuteberg, Ursprünge und Entwicklung, S.21.
452
Von "epochaler Bedeutung" auf dem Weg zur Mitbestimmung war das Hilfsdienst-
gesetz vom 5. Dezember 1916, das die Bildung von Arbeiter- und Angestelltenaus-
schüssen in den gewerblichen Hilfsdienstbetrieben mit mindestens 50 Beschäftigten
sowie die Schaffung von paritätisch zusammengesetzten Einigungs- und Schlichtungs-
stellen vorsah. Seine "epochale" Bedeutung lag nach Einschätzung von Günter Schulz
darin, daß das Hilfsdienstgesetz hinsichtlich der Mitbestimmung die Gelenkstelle
zwischen den Verhältnissen im Kaiserreich und denen in der Weimarer Republik
bildete, weil das Weimarer Betriebsrätegesetz an wichtige sozialpolitische Festlegungen
der Kaiserreichszeit anknüpfte. Psychologisch und politisch unterstützte dieses Gesetz
die Tendenz zu organisatorischen Zusammenschlüssen.93
Durch die revolutionäre Dynamik der Rätebewegung gewann die Mitbestimmung
Einzug in die Weimarer Republik. Ohne sie wäre nach Einschätzung Heinrich August
Winklers das Weimarer Betriebsrätegesetz von 1920 nicht zu Stande gekommen. Das
Gesetz selbst stand im Kontext erheblicher innenpolitischer Spannungen. Zechen- und
Revierräte hatten die Betriebsführung an sich gerissen und versuchten, auf eigene Faust
eine Sozialisierung der Gruben voranzutreiben, hinzu kamen regionale Streikbewegun-
gen im Frühjahr 1919. Die Koalitionsregierung wurde durch die Beratungen über das
Gesetz belastet, insbesondere die SPD mußte mit Rücksicht auf den Koalitionspartner
DDP Zugeständnisse machen. Die Verabschiedung des Gesetzes am 13. Januar 1920
war von heftigen gewalttätigen Demonstrationen mit 42 Toten und 105 Verletzten
begleitet.94
Das Gesetz sah die Einrichtung von Betriebsräten in öffentlichen und privaten Betrie-
ben mit mehr als 20 Arbeitnehmern vor, wobei, einem Wunsch der DDP folgend,
zwischen Vertretern für Arbeiter und Angestellte differenziert wurde, die je nach
Gegenstand getrennt oder gemeinsam berieten. Das wirtschaftliche Mitbestimmungs-
recht war vorhanden, beschränkte sich zwar auf das Recht zur Einsicht in die Finanzen,
sah aber die Präsenz von zwei Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat vor. Im sozialen
und auch personellen Bereich war die Mitbesümmung stark entwickelt. In der Praxis
war die soziale Mitbestimmung bei den Unternehmern nicht gerade beliebt. Die Be-
triebsräte in der Metallindustrie kontrollierten beispielsweise die Invalidenkarten der
Arbeiter, um festzustellen, ob die Arbeitgeber ihre Pflichtanteile an die Sozialversiche-
rung tatsächlich abführten.95
93 Günter Schulz, Bürgerliche Sozialreform in der Weimarer Republik, in: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.),
Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz bis zur
Ära Adenauer, München 1985, S.182.
94 Heinrich August W i n k 1 e r, Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in
der Weimarer Republik 1918-1924, Berlin u.a.O 1984, S.290-294. Zu den Streitpunkten, siehe ebd., S.286-
288, z.B. Frage der Einsicht in die Bilanzen.
95 Benno König, Interessenvertretung am Arbeitsplatz: Betriebsrätepraxis in der Metallindustrie 1920-
1933, in: Klaus Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter im 20. lahrhundert, Sturrgart 1991, S.86.
453
Andererseits verwirklichte das Gesetz nicht die Vorstellung einer gleichberechtigten
Mitwirkung an der Betriebsführung, wie es die Rätebewegung gefordert hatte. Viel-
mehr verfügten die Arbeitnehmer über begrenzte Kompetenzen bei der Entlassung von
Arbeitnehmern, bei der Informaüon über die wirtschaftliche Lage des Betriebes und bei
der Mitwirkung an sozialen Maßnahmen.96
Politisch bedeutete das Betriebsrätegesetz eine Zügelung der Rätebewegung durch
Gewerkschaften und Sozialdemokratie, in der Praxis wirkten die Betriebsräte als
verlängerter Arm der Gewerkschaften bei der Durchführung und Überwachung der
Tarifverträge. Für die Entwicklung in den Unternehmen charakterisiert Helga Grebing
die Betriebsräte als "Stoßdämpfer" bzw. "Bindeglied" zwischen Arbeitnehmern und
Arbeitgebern.97 Reibungspunkte bzw. ein Dualismus im Anspruch auf die Vertretung
von Arbeitnehmerinteressen entwickelten sich zwischen Betriebsräten und Gewerk-
schaften, wenn sich z.B. Betriebsräte auf Firmentarifverträge einließen und die Ge-
werkschaften damit indirekt in ihrer Rolle als Tarifvertragspartner schwächten.98
Das Weimarer Betriebsrätegesetz führte in fast zwei Drittel der Betriebe, auf die es
gesetzlich anwendbar war, zur Einrichtung eines Betriebsrates.99 Betriebsräte konzen-
trierten sich in den Inflationsjahren nicht so sehr auf ihre eigentlichen Mitberatungs-
und Mitbestimmungsaufgaben, sondern versuchten beispielsweise für die Arbeiter des
Betriebes praktische Hilfe durch organisierte Sammlungen zur Beschaffung von
Lebensmitteln und Heizmaterial zu leisten.100
Die Untersuchungen von Benno König zeigen, daß die Arbeit der Betriebsräte ins-
besondere auf der Ebene des Entlassungsschutzes und der Gesundheitsfürsorge sowie
der Hygiene am Arbeitsplatz erhebliche Erfolge verbuchen konnte.101
Der Mitbestimmungsgedanke beschränkte sich aber in der Weimarer Republik nicht
nur auf das Betriebsrätegesetz, sondern spiegelte sich in den Diskussionen über die
Wirtschaftsdemokratie und überbetriebliche Mitbestimmung wider. Hier ist an den
Sozialdemokraten Rudolf Hildering und sein Konzept der Wirtschaftsräte oder an Fritz
Naphtalis Konzept der Wirtschaftsdemokratie zu denken sowie auch an die Vorstel-
lungen zur überbetrieblichen Mitbestimmung der katholischen Soziallehre.102
96 S c h u 1 z, Bürgerliche Sozialreform, S. 191.
97 Helga Grebing, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, München 101980, S.156.
98
König, Interessenvertretung, S.80.
99
M i e 1 k e und Vilmar, Länderstudie Deutschland, S.362 f.
100 K ö n i g, Interessenvertretung, S.71, 87.
101 Ebd., S.84, 90.
102 Rudolf K u d a, Das Konzept der Wirtschaftsdemokratie, in: Heinz-Oskar Vetter (Hrsg.), Vom
Sozialistengesetz zur Mitbestimmung. Zum 100. Geburtstag von Hans Böckler, Köln 1975, S.253, 261,
272. Siegfried M i e 1 k e , Organisationsprobleme und Neuordnungskonzeptionen der Gewerkschaften in
454
Das 1920 bis 1935 unter der Verwaltung des Völkerbundes stehende Saargebiet kam
nicht in den Genuß des Weimarer Betriebsrätegesetzes. An der Saar galt, abgesehen
vom Bergbau, das Hilfsdienstgesetz vom 5. Dezember 1916. Daneben bestanden
Arbeiterausschüsse als Organe zur Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen in den
Betrieben. Seit 1882 gab es in Deutschland Arbeiterausschüsse, seit 1905 war ihre
Büdung auf allen Gruben rechtsverbindlich vorgeschrieben worden. Eine ihrer Haupt-
funktionen bestand in der Wahl der Vertrauensmänner. Ihre Befugnisse waren relativ
gering, sie hatten ein Mitwirkungsrecht in Fragen der Entlohnung sowie ein Mitbera-
tungsrecht hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse und der Sozialeinrichtungen. Die
Tagesordnung der Sitzungen der Arbeiterausschüsse wurde vom Betriebsdirekor
erstellt. Seit dem 28. Juli 1909 wurden per Gesetz die Sicherheitsmänner auf den
Gruben eingeführt. Sie vertraten im Rahmen der von ihnen durchgeführten Sicherheits-
überprüfungen einerseits die Interessen der Bergleute, unterstützten aber auch das
Oberbergamt bei der Durchführung und Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen. Ihnen
konnten sowohl die Bergbehörden als auch der Arbeitgeber kündigen.103
Auch wenn das Saargebiet damit nicht an der Weimarer Mitbestimmungsgesetzgebung
teilhaben konnte, so orientierten sich zur Völkerbundszeit Gewerkschaften, Zentrum
und Sozialdemokratie an der Weimarer Sozialgesetzgebung und forderten, wenn auch
vergeblich, die Einführung des Weimarer Betriebsrätegesetzes. Maria Zenner betont,
daß insbesondere die sozialisüsch orientierte Arbeiterschaft die Regierungskommission
als "Schützerin einer reaktionären sozialpolitischen Haltung des französischen Staates"
gesehen hat, die junge Weimarer Republik aber als "das Land des großen sozial- und
arbeitsrechtlichen Fortschritts".104 Richard Kim und auch viele andere Gewerkschaftler
und Sozialdemokraten, die vor 1935 im Saargebiet tätig gewesen waren, strebten wohl
nicht zuletzt deswegen nach 1945 ein Mitbestimmungsgesetz in Analogie zu Weimar
an, um von der modernen deutschen Entwicklung nicht länger abgekoppelt zu sein.
Das "Dritte Reich" markierte eine Unterbrechung der betrieblichen Mitbesümmung in
Deutschland. Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934
sowie das Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben
vom 23. März 1934 setzten an die Stelle der Betriebsräte sogenannte Vertrauensräte.105
den westlichen Besatzungszonen 1945-1949, in: Erich Matthias und Klaus Schönhoven (Hrsg.), Solidarität
und Menschenwürde, Bonn 1984, S.318. Hans Mommsen, Klassenkampf und Mitbestimmung: Zum
Problem der Kontrolle wirtschaftlicher Macht in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M., S.23-25. Franz
Josef Stegmann, Der soziale Katholizismus und die Mitbestimmung in Deutschland, Paderborn 1974,
S.132-174, 196, 198.
103 Roy, Der saarländische Bergmann, S.125 f.
104 Mana Zenner, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920-1935,
Saarbrücken 1966, S.62-64.
105 Hör n, Arbeitsrecht, S. 330-332.
455
Im Saarland fielen die Sicherheitsmänner auf den Gruben und die Arbeiterausschüsse
weg. An der Spitze der neu eingeführten Vertrauensräte, deren Befugnisse sehr gering
waren, standen die Betriebsführer. Hinzu kamen die recht einflußreichen Obmänner
bzw. Obleute, die aus dem Kreise der Deutschen Arbeitsfront (DAF) kamen. Ihre
Stimme war ausschlaggebend dafür, ob "Gefolgschaftsmitglieder" zur Wehrmacht
einberufen oder als unabkömmlich für den Betrieb eingestuft wurden. Sie prägten sich
der Arbeitnehmerschaft so ein, daß nach 1945 Betriebsräte als Obleute bezeichnet
wurden. Das System der Sicherheitsmänner wurde auf den Saargruben nach 1945
wieder eingeführt.106
Fortschrittliche Mitbestimmungsgesetze der Bundesrepublik im Kontext der Außen-
politik
Während der Gedanke der Wirtschaftsdemokratie auch bei Gewerkschaften und
Sozialdemokratie in der Weimarer Republik nicht ganz unumstritten war, spielte er
nach 1945 eine große Rolle für die SPD und die Gewerkschaften. Regional hat Katrin
Kusch dies für Rheinland-Pfalz eindrucksvoll nachgewiesen. Die Sozialdemokraten
und die Gewerkschaften lehnten die Verfassung mit der Begründung ab, ihre Forde-
rungen nach einer Wirtschaftsdemokratie seien nicht ausreichend verankert worden.
Für ihre Ablehnung war natürlich auch bestimmend, daß sie sich als Sozialdemokraten
angesichts der Sozialstruktur des künstlich geschaffenen Landes kaum Chancen auf
politische Führung ausrechneten.107
Ein Schritt in Richtung mehr Mitbestimmung markiert das bundesdeutsche Montanmit-
bestimmungsgesetz von 1951. Es bestimmt, daß innerhalb des Aufsichtsrates von
Kapitalgesellschaften Arbeitnehmer und Arbeitgeber paritätisch vertreten sein müssen,
in Pattsituationen wird die Entscheidung durch das 11. unparteiische Mitglied des
Aufsichtsrates herbeigeführt. Der Vorstand der Gesellschaften wird durch einen
Arbeitsdirektor, der von den Gewerkschaften vorgeschlagen wird, erweitert. Dieses
Gesetz veranschaulicht den für die junge Bundesrepublik typischen Zusammenhang
zwischen Außen- und Sozialpolitik. Adenauer war auf die Unterstützung der Gewerk-
schaften für sein Westintegrationskonzept angewiesen. Nichts wäre schädlicher gewe-
sen als eine geschlossene Front von DGB und SPD gegen diesen Kurs oder gar ein
Streik, denn die Streikbereitschaft zur Durchsetzung der paritätischen Mitbestimmung
war stark ausgeprägt, und im November 1950 war es zu ersten Kampfmaßnahmen der
IG Bergbau gekommen. Nicht zuletzt stand auch der DGB unter Erfolgsdruck. Ein
Streik hätte der deutschen Wirtschaft den Wind aus den Segeln genommen, der durch
den Korea-Boom entstanden war, und im Ausland, insbesondere in den USA, hätte er
Zweifel an der politischen Stabilität der jungen Demokratie wecken können, die
106 Roy, Der saarländische Bergmann, S.128.
107 Katrin Kusch, Die Wiedergründung der SPD in Rheinland-Pfalz nach dem Zweiten Weltkrieg
(1945-1951), Mainz 1989, S.160.
456
versuchte, volle Souveränität zu erhalten. Das Montanmitbestimmungsgesetz wurde
nicht zuletzt durch die Taktik des Kanzlers gegen den Willen der Koalitionspartner
F.D.P. und DP mit den Stimmen der Sozialdemokraten durchgesetzt.108
Die Weichen zur Montanmitbestimmung waren aber bereits viel früher durch die
britische Militärregierung gestellt worden, die die Denazifizierung und Dekartellisie-
rung des deutschen Montankerns in ihrer Zone anstrebte. Dabei entstand auch eine
partielle Interessengemeinschaft von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Einige Unter-
nehmer standen der Mitbestimmung, insbesondere der Hinzuziehung von Gewerk-
schaftsvertretern in den Aufsichtsrat eher konstruktiv gegenüber, sahen sie doch darin
die Chance, eine Sozialisierung ihrer Betriebe zu verhindern.109
Nach der Verabschiedung des Montanmitbestimmungsgesetzes strebten die Gewerk-
schaften die Übertragung dieses paritätischen Mitbestimmungsmodells auf die gesamte
Wirtschaft an. Dies scheiterte jedoch nicht zuletzt deshalb, weil die Bundesregierung
nicht mehr in dem Maße wie beim Montanmitbestimmungsgesetz auf die Unterstüt-
zung der Gewerkschaften angewiesen war.110 Sie sah in der Montanmitbestimmung
letztlich ein Ausnahme- bzw. Sondergesetz im Kontext einer besonderen politischen
Situation ohne präjudizierende Wirkung. Die Gewerkschaften dagegen bewerteten die
Montanmitbestimmung als Modell für die Mitbestimmung auch in den anderen Wirt-
schaftszweigen.111
Das Betriebsverfassungsgesetz billigt im Vergleich zum Montanmitbestimmungsgesetz
den Arbeitnehmern nur eine Drittelrepräsentanz im Aufsichtsrat zu, wovon zwei
Vertreter vom Betriebsrat benannt werden und drei von der Gewerkschaft, dabei
besitzen die vom Betriebsrat vorgeschlagenen ein Vetorecht. In Unternehmen mit mehr
als 100 Mitarbeitern ist ein paritätisch zusammengesetzter Wirtschaftsausschuß ein-
zurichten, der allerdings nur beratende Funktion hat. Während die Montanmitbestim-
mung sich sowohl auf die wirtschaftlichen Unternehmensentscheidungen wie auch auf
108 Ausführlich dazu: Gabriele Müller-List, Adenauer, Unternehmer und Gewerkschaften über die
Mitbestimmung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 33/1985, S.288-309, insbesondere S.294,
307. Siehe ferner bei: Ulrich Borsdorf, Der Anfang vom Ende ? Die Montanmitbestimmung im poli-
tischen Kräftefeld der frühen Bundesrepublik (1951-1956), in: Ders. und Gloria Müller (Hrsg.), Beiträge
zur Mitbestimmungsdiskussion (WSi Nr.16), Düsseldorf 1987, S.49. Außerdem dazu: Buchhaas,
Gesetzgebung, S.262 f. Engelhardt, Strukturelemente, S.378 f. H o c k e r t s, Bürgerliche
Sozialreform, S.251. Rauft, Bergarbeiter und Mitbestimmung, S.41.
109 Gloria Müller, Der halbe Weg. Weichenstellungen für die Montanmitbestimmung 1945-1947, in:
Ulrich Borsdorf und dies. (Hrsg.), Beiträge zur Mitbestimmungsdiskussion (WSi Nr.16), Düsseldorf 1987,
S.33-35.
110 Horst Thum, Mitbestimmung in der Montanindustrie. Der Mythos vom Sieg der Gewerkschaften.
Stuttgart 1982, S.146f.
111 Rauft, Bergarbeiter und Mitbestimmung, S.42.
457
den Produktionsbereich bezieht, gilt das Betriebsverfassungsgesetz lediglich für den
Bereich der betrieblichen Produktion. Die wirtschaftliche Mitbestimmung in beiden
Gesetzen läßt übrigens keine Einwirkungsmöglichkeit auf den täglichen Produktions-
ablauf zu.112
Das Hohe Kommissariat und die deutsche Mitbestimmung
Das Hohe Kommissariat und später die Mission Diplomatique an der Saar verfolgten
die bundesdeutsche Mitbestimmungsgesetzgebung mit besonderem Interesse. So
finden sich in den Beständen der Mission Juridique die entsprechenden deutschen
Mitbestimmungsgesetze in französischer Übersetzung sowie eine Studie über die
Mitbestimmung im Ausland.113 Angesichts der katholischen Dominanz an der Saar
schenkte die französische Seite der Stellung des Vatikans zur Mitbestimmungsfrage
besondere Aufmerksamkeit, vor allem nachdem der Bochumer Katholikentag ein
deutliches Signal für eine Mitbestimmung in sozialen, personalen und wirtschaftlichen
Fragen gesetzt und den Anspruch auf Mitbestimmung als "natürliches Recht gott-
gewollter Ordnung" bezeichnet hatte.114
Die Mission Juridique ließ sich vom französischen Botschafter beim Vatikan die sechs
wichtigsten Verlautbarungen von Papst Pius XII. zur Mitbestimmungsfrage über-
bringen.115 Ganz im Sinne seines ausgesprochen konservativen Pontifikats stellte sich
Pius XII. gegen eine fortschrittliche Mitbestimmungsregelung, so wie sie von den
Katholiken in Teilen der Bundesrepublik gewünscht worden war, wenn er dabei auch
eine sehr verklausulierte Wortwahl benutzte. Pius XII. problematisierte die Mitbestim-
mung durch die Reflexion über das Eigentum und stellte den Primat des Privateigen-
tums in den Vordergrund.116 Bei genauerer Betrachtung erkennt man, daß die Mission
Diplomatique und Grandval sich bei ihrer Kritik an den weitgehenden Mitbestim-
112 Ludwig Preller, Praxis und Probleme der Sozialpolitik, l.Hb., Tübingen u.a.O. 1970, S.286 -288.
113 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I 3, Deutscher Bundestag DS 1. WP„ Nr.1546, Nr.1858 und Nr.2117.
Niederschrift zur Debatte der 223. und 224.Sitzung des Deutschen Bundestages vom 16.7.62 sowie zur
225.Sitzung vom 17.7. und 19.7.52. La Documentation Française, Nr.1734, Série Sociale XXVI, Les
comités d’entreprise à l'étranger.
114Schroeder, Katholizismus, S.113, 116, 128,
115 Auf dem Internationalen Kongreß der Katholischen Unternehmerverbände am 7.5.49, dem
Internationalen Kongreß für Sozialwissenschaft am 3.6.50, vor christlichen Unternehmern in Italien am
31.1.52, Brief an die 39. Soziale Woche in Frankreich v.7.6.52, Radiobotschaft an den Katholikentag in
Wien am 17.9.52 und Brief an die 21. Soziale Woche in Turin am 27.9.52. Siehe MAE Nantes, HCS,
M.J7Q.S., J13, Franz. Botschaft beim Heiligen Stuhl an A. Antoine, Serv. Jur., Miss. Dipl. Franc, en Sarre
vom 7.10.52. Ebd., Cab. Polit., Doss.54, Bl.49-54. Télégramme v. Vladimir d'Ormesson v. 7.7.50,
Auskünfte und Kommentare zur Ansprache des Papstes v. 3.6.50. Siehe die Verlautbarungen des Papstes
bei: Emile M u h 1 e r, Die Soziallehre der Päpste, München 1970, S.266 f.
116 Karl Otmar von A re t i n, Papsttum und moderne Welt, München 1970, S.220, 226-228, 230. Auch: M
u h 1 e r, Die Soziallehre, S.266 f.
458
mungsforderungen päpstliche Argumente aneigneten. Dies zeigt sich z.B. in den
Bedenken Grandvals hinsichtlich des Einwirkens betriebsfremder Elemente, in diesem
Fall Gewerkschaftler, auf die Unternehmen,117 auch der Vorrang des Privateigentums
entsprach der päpstlichen Perspektive, und deshalb konnte es, wie auch die französi-
schen Repräsentanten an der Saar betonten, kein Recht auf wirtschaftliche Mitbestim-
mung geben. Vor dem Hintergrund des hohen Katholikenanteils an der Saar erschien
möglicherweise der französischen Seite die päpstliche Position von besonderer Bedeu-
tung.
4.2 Mitbestimmung als historischer Reflex ohne stabilen gesellschaftlichen Konsens
Interessant ist nun der Vergleich der deutschen Mitbestimmungsgeschichte mit der
französischen Entwicklung. Hier lassen sich zwar auch die Wurzeln bis ins 19. Jahr-
hundert zurückverfolgen118, aber erst Mitte der dreißiger Jahre, und vor allem im
Zweiten Weltkrieg gewinnt die Mitbestimmung in Frankreich an Dynamik, wobei hier
nicht nur die Résistance sondern auch Vichy-Frankreich eine Rolle gespielt haben.
Unter der Volksfrontregierung waren 1936/37 Kontrollorgane eingerichtet worden, die
für alle Unternehmen mit mehr als 10 Arbeitnehmern vorgesehen waren und die
Aufgabe hatten, Beschwerden der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber weiterzuleiten. Die
französische Betriebsverfassungsgesetzgebung nach 1945 war eng verflochten mit den
Demokratievorsteilungen der Résistance.119
Nach der Befreiung hatten sich in Frankreich sogenannte "Comités à la production"
gebildet, für sie waren die sozialen Betriebsausschüsse der Vichy-Ära sozusagen ein
Negativmodell, weil sie im Ruf der Kollaboration mit den deutschen Besatzern
standen.120
Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer sollte nach der Befreiung die Wiederingang-
setzung der Produktion beschleunigen und die Arbeitgeber kontrollieren. Hier spielten
die aeronautischen Betriebe in Toulouse eine Vorreiterrolle. Die "Comités" waren aus
Arbeitnehmern und aus Direktionsmitgliedern des Unternehmens zusammengesetzt. Im
Programm des Conseil National de la Résistance war zwar nicht von Betriebsräten die
117 Darauf hatte Pius XII. auf dem Kongreß für Sozialwissenschaften am 3.6.50 hingewiesen:"Eine Gefahr
droht nicht minder dann, wenn man für die Lohnempfänger eines Betriebes das Recht auf wirtschaftliche
Mitbestimmung fordert, wenn die Ausübung dieses Rechtes tatsächlich mittelbar oder unmittelbar unter
maßgeblichem Einfluß von Organisationen steht, die von außerhalb des Betriebes ihre Befehle
empfangen", zitiert nach ebd..
118 J a n s e n, Gescheiterte Sozialpartnerschaft, S.67.
119 Gilbert Z i e b u r a, Die Idee der Demokratie in der französischen Widerstandsbewegung. Eine
ideologiekritische Untersuchung, in: Wilhelm Berges und Carl Hinrichs (Hrsg.), Zur Geschichte und
Problemstellung der Demokratie. Festgabe für Hans Herzfeld, Berlin 1957, S.357-362.
120 1 a n s e n, Gescheiterte Sozialpartnerschaft, S.89.
459
Rede, aber von einer "participation des travailleurs à la direction de l'économie". Nach
dem Ende von Vichy deutete sich aber in der französischen Diskussion an, die "partici-
pation" auf den sozialen und nicht auf den wirtschaftlichen Bereich zu konzentrieren,
hier ist auf die Rede de Gaulles in Lille vom 1. Oktober 1944 hinzuweisen.121 Ins-
besondere der Gesetzentwurf von Arbeitsminister Alexandre Parodi, der vom Minister-
rat am 31. Oktober gebilligt wurde, zeigte diesen Weg, gleichwohl verdeutlichen
Parodis Äußerungen die Dominanz der "Patron-Mentalität":"Il a semblé indispensable,
(...) de laisser au chef d’entreprise qui a devant la nation la responsabilité de l'affaire qu'
il a dirigé une autorité correspondant à cette responsabilité."122 Innerhalb der Debatte in
der Nationalversammlung vom 12. Dezember 1944 konnten Abgeordnete ihre fort-
schrittlichenVorstellungen, schon ab 50 Arbeitnehmern einen Betriebsrat einzurichten,
nicht durchsetzen.123
Die Betriebsrätegesetzgebung seit 1945 scheint ein Reflex auf die historische Erfah-
rung der konstruktiven Rolle der Gewerkschaften in der Résistance gewesen zu sein,
wie die Erklärung zur entsprechenden Verordnung vom 22. Februar 1945 eindrucks-
voll verdeutlicht124, ebenso wie eine Rede von Arbeitsminister Parodi vom 13. März
1945:"La Confédération Générale du Travail et la Confédération Française des Travail-
leurs Chrétiens qui ont derrière elles un long passé d'action syndicale, qui sont recon-
stituées clandestinement sous l'occupation allemande, qui ont participé activement à la
lutte du peuple français pour la libération (...)".125
So wurde im Frühjahr 1945 die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung von Be-
triebsausschüssen, die als comité d'entreprise bezeichnet wurden, geschaffen. Die
C.G.T. sah in ihnen eine Etappe für die sozialistische Umgestaltung der Wirtschaft. Das
Gesetz muß im politischen Kontext der Stimmung in Frankreich unmittelbar nach
Kriegsende gesehen werden, die Zusammenarbeit aus der Zeit der Résistance fort-
zuführen. Kommunisten (P.C.F.), Christdemokraten (M.R.P.) und Sozialisten
(S.F.I.O.) bildeten eine Koalitionsregierung. Dieses Gesetz und die darauf folgenden
Ergänzungen bedeuteten für die Mitbestimmung eine Stärkung der Arbeitnehmer-
rechte. Schwerpunkt des Fortschrittes lag allerdings nicht auf dem Feld der wirtschaftli-
chen, sondern der sozialen Mitbestimmung. Keine Betriebsordnung konnte erlassen
werden, ohne nicht vorher zur Begutachtung dem Betriebsrat vorgelegt worden zu sein.
L'année politique, 1944/45, S. 121 f.
122 Ebd., S. 122.
123 Ebd., S. 126.
124 y
Exposé des motifs zurOrd.Nr.45280 vom 22.2.45, "Ce système combine les avantages de l'élection, qui
introduit la démocratie à l'atelier avec celui de la désignation par les organisations syndicales, qu'il est
indispensable d'associer à la grande oeuvre de rénovation de l'industrie française, in: Revue Française du
Travail, Numéro Spéciale I, 1948, S.23.
125 Ebd., S.48.
460
In sozialen Fragen konnte der Betriebsrat bezüglich der Betriebsordnung allerdings nur
dann den Arbeitgeber zu Veränderungen zwingen, wenn er Verstöße gegen die Gesetz-
gebung vermutete, um dann zunächst den Beamten der Ar beits auf sicht einzuschalten.
Die zuständigen Arbeitsinspektoren wurden durch die Präfekten der Départements zur
Kontrolle der privatwirtschaftlichen Betriebe entsandt. Sie sollten insbesondere zwi-
schen Betriebsrat und Arbeitgeber vermitteln.126
Mehr Gestaltungsmöglichkeiten eröffneten sich über die Leitung des Sozialwesens, die
dem Betriebsrat übertragen wurde. Dazu gehörte z.B. die Zuteilung von Werkswoh-
nungen und Schreber- bzw. Werksgärten an die Belegschaft. Den Unternehmern war
dies recht, weil solche Fragen oft zu Unzufriedenheit in der Belegschaft führten, für die
sie nun nicht mehr verantwortlich gemacht werden konnten, da diese Fragen auf der
Betriebsratsschiene erledigt wurden.127 Die Betriebsräte verfügten über eine Rechts-
fähigkeit zur Durchführung sozialer Aufgaben. Die Betriebsärzte des Unternehmens
mußte der Arbeitgeber im Einvernehmen mit dem Betriebsrat ernennen, der Betriebsrat
besaß in dieser Frage sogar ein Auswahl- und Vetorecht.128
Was die wirtschaftliche Mitbesümmung betraf, so muß nach der Betriebsform differen-
ziert werden. Im wirtschaftlichen Bereich galt zunächst wie auch in den anderen
Bereichen mit Ausnahme des Sozialwesens lediglich eine "consultatif- Funktion". In
Privatbetrieben konnte der Betriebsrat Vorschläge zur Produktionssteigerung entwik-
keln. Wenn es sich aber um eine Société Anonyme (Aktiengesellschaft) handelte,
verfügte der Betriebsrat über das Recht, Einblick in die Unterlagen nehmen zu dürfen,
die in den Hauptversammlungen den Aktionären vorgelegt wurden. Alle schriftlichen
Mitteilungen des Unternehmens an die Aktionäre waren dem Betriebsrat vorzulegen.
Hinzu kam, daß er auch auf Kosten des Betriebes einen Sachverständigen hinzuziehen
konnte. Außerdem durften zwei Betriebsratsmitglieder, jeweils eins für Angestellte und
Arbeiter, an den Sitzungen des Verwaltungsrates mit beratender Stimme teilnehmen.129
Handelte es sich um öffentliche und verstaatlichte Unternehmen standen dem Betriebs-
rat in wirtschaftlichen Fragen weitergehende Rechte zu. In diesen Unternehmens-
formen waren Betriebsratsmitglieder im Verwaltungsrat vertreten. Im Regelfall verfüg-
ten sie über ein Drittel der Gesamtsitze, wobei auch hier Unterschiede zwischen den
einzelnen staatlichen Betrieben zu berücksichtigen sind, im Gas- und Elektrizitäts-
bereich war die Arbeitnehmerrepräsentation im Verwaltungsrat etwas geringer, bei der
Régie Renault aber größer. Zum Verständnis der Verhältnisse darf nicht vergessen
werden, daß in der Praxis die Arbeitnehmerposition im Verwaltungsrat eine zusätzliche
126 Erdmann, Das Recht der Arbeitnehmer, S.55.
127 Décret No. 45-2751 vom 2.11.45, in: Revue du Travail, Numéro Spécial I, 1948, S.37.
128 E r d m a n n , Das Recht der Arbeitnehmer, S.51.
129 Ders., S.52-54.
461
Stärkung erfahren konnte, wenn in verstaatlichten Betrieben die Repräsentanten des
Staates, die das Unternehmen leiteten, auch aus dem Arbeiter- und Gewerkschafts-
milieu kamen.130
Der Staat verfügte darüber hinaus in Betriebsrätefragen eine Kontrollfunktion durch
die Commission Supérieure des Comités d'Entreprise. Sie wurde vom Arbeitsminister
gebildet, er berief die Mitglieder und stand der Kommission selbst vor.131
Ein Mitbestimmungsrecht in personellen Fragen war vom Gesetzgeber nicht vor-
gesehen worden. Solche Fragen regelte das französische Kollektivvertragssystem. Ab
März 1948 wurde aber vom Arbeitsministerium per Rundschreiben angeordnet, Be-
triebsräte seien vom Arbeitgeber bei Massenentlassungen, die aus wirtschaftlichen
Gründen oder wegen Strukturveränderungen des Unternehmens notwendig seien, zu
hören, und die Meinung des Betriebsrats sei dem Arbeitsinspektor mitzuteilen.132
Insgesamt sollte man sich davor hüten, die französische Mitbestimmung als ausgespro-
chen restriktiv einzustufen, die Gesetzestexte lassen einen solch pauschalen Schluß
nicht zu. Gleichwohl blieb die französische Mitbestimmung hinter der bundesre-
publikanischen Montanmitbestimmung zurück, aber gerade die wirtschaftlichen
Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bundesrepublik stellen auch heute noch sowohl in
Westeuropa wie im Vergleich zu den USA eine Ausnahme dar. In den USA, Groß-
britannien und Kanada war die Mitbestimmung vorrangig darauf konzipiert worden, in
der Kriegs- und in der Nachkriegszeit die Produktion zu steigern. Eine Ausnahme
bildeten die skandinavischen Staaten. Dort erfolgte aber die Konkretisierung der
Mitbestimmungsinhalte wie der Mitbestimmungsqualität auf der Tarifvertragsebene.133
5. Französische "Crise Sociale" als Folie für die Interpretation saarländischer
Entwicklungen - ein Beispiel für die blockierende Wirkung von Interaktionen
Der Wandel des Hohen Kommissariates zu einer insgesamt restriktiven Haltung in der
Mitbestimmungsfrage soll auch mit der innerfranzösischen Erfahrung in Sachen
Mitbestimmung reflektiert werden. Da französische Unternehmer - wie z.B. Thedrel
und Couture - die saarländischen Hütten und Gruben leiteten, gewann die innerfranzö-
sische Entwicklung einen besonderen Stellenwert, denn es ist davon auszugehen, daß
sie die Entwicklung in ihrem Heimatland verfolgten.
130 Paul Durand, Probleme des Mitbestimmungsrechts in Frankreich, in: Recht der Arbeit 4/1951, S.245.
131 Arrêté du 23.2.45 Modification par l’arrêté vom 28.7.48, in: Revue du Travail, Numéro Spécial I, 1948,
S.33.
132 Erd man n, Das Recht der Arbeitnehmer, S.46. Revue Française du Travail, Num. Spec.I, 1948, S.82.
133 E r d m a n n. Das Recht der Arbeitnehmer, S. 134 f., 150 f.
462
5.1 Der Kurswechsel von P.C.F. und C.G.T.
Die französischen Gewerkschaften waren vor allem durch die Agitation der kommu-
nistisch dominierten C.G.T. extrem politisiert und ideologisiert. Im Mai 1947 zerbrach
die Drei-Parteienkoalition, nachdem Ministerpräsident Ramadier anläßlich eines
Gesetzes zur Eindämmung der Inflation die Vertrauensfrage gestellt hatte und die
Kommunisten geschlossen gegen ihn stimmten. Primär innerparteiliche Überlegungen
waren nach Einschätzung Wilfried Loths für die PCF und ihren Führer Maurice Thorez
bestimmend, den Kurs, Regierungsverantwortung zu übernehmen und zur "Produk-
tionspartei" zu werden, aufzugeben. Massive Kaufkraftverluste und schwierige Lebens-
verhältnisse stellten für die Partei eine Belastungsprobe dar, die zu einer Entfremdung
von der Arbeiterklasse führen konnte, zumal bereits wilde Streiks die Unruhe und
Unzufriedenheit vieler Arbeiter unmißverständlich signalisierten.134 Die Partei, die
unmittelbar nach der Befreiung die Parole "travailler d'abord, revendiquer ensuite"
ausgegeben, sich für die Steigerung der französischen Kohleproduktion eingesetzt und
versuchte hatte, spontane Streiks der Basis zu beruhigen, wurde - zugespitzt formuliert
- von der Produktions- zur Obstruktionspartei.135
Diese Entwicklung sollte aber auch im Kontext der französisch-amerikanischen Bezie-
hungen betrachtet werden. Die tripartistische Koalition mißfiel den Amerikanern. Mit
Unbehagen hatten sie die kommunistischen Regierungsbeteiligungen in Europa ver-
folgt wie auch die Tendenzen der französischen Wirtschaftspolitik zur Nationalisierung
und Abschottung. Hier zeigt sich ein interessantes Wechselspiel zwischen amerika-
nischer und französischer Politik in der Form, daß der französische Botschafter in
Washington Berard wie auch Leon Blum bei seinem Washingtonbesuch diese amerika-
nischen Vorbehalte instrumentalisierten, um die US-Administration zu einer stärkeren
wirtschaftlichen Hilfe zu veranlassen, gleichzeitig aber suggerierten, auf diesem Weg
könne der kommunistische Einfluß zurückgedrängt werden. Die Amerikaner waren
erst nach dem Ausscheiden der Kommunisten aus der Regierung zu stärkerer Finanz-
hilfe bereit. Dies zeigen die Umstände der amerikanischen Soforthilfe für die Charbon-
nages de France im September 1947. Robert Lacoste als Minister für Bergbau und
industrielle Produktion entließ zur selben Zeit C.G.T.- und P.C.F.-Funktionäre aus den
Wilfried L o t h, Frankreichs Kommunisten und der Beginn des Kalten Krieges. Die Entlassung der
kommunistischen Minister im Mai 1947, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 26/1978, S.9, 32,
34-37, 39,61-63. Loths Forschungsergebnisse stellen ein Gegengewicht zu antiamerikanischen Thesen dar,
die das Ausscheiden der kommunistischen Minister als ersten Effekt amerikanischer Containementpolitik
interpretieren wie auch gegen die prowestliche These, wonach in Frankreich wie in Belgien und Italien die
Entlassung der kommunistischen Minister aus der Regierung allein auf Moskauer Weisung erfolgt sei vor
dem Hintergrund der US-Wirtschaftshilfen, um u.a. eine Revision der französischen Westorientierung zu
erzwingen. Siehe dazu: Ebd., S.9-11. Siehe: Ders., Sozialismus und Internationalismus, Die französischen
Sozialisten und die Nachkriegsordnung Europas 1940-1950, Stuttgart 1977, S. 140-142.
135 Evelyne D e s b o i s, Yves Jeanneau und Bruno M a 11 e i, La foi des charbonniers, Les mineurs
dans la bataiile du charbon 1945-1947, Paris 1986, S.25-32, 72, 124.
463
Verwaltungsräten der Charbonnages. In diesem Kontext kam es dann zu Streiks der
C.G.T., die nach französischer und amerikanischer Einschätzung durch Moskau initiiert
wurden.136 Damit wurden die bereits seit Kriegsende zu beobachtenden Streiks, die
spontan von der Basis aus Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Situation ausgegan-
gen waren, politisch instrumentalisiert.
Betriebsräte als Feld politischer Agitation
Dieser Kurswechsel hatte Auswirkungen auf die Rolle der C.G.T. und ihre Arbeit vor
Ort in den Betriebsräten. In der Not des Zweiten Weltkrieges hatten sich im Accord du
Perreux am 17. April 1943 die kommunistischen und nichtkommunistischen Gewerk-
schaftskräfte, C.G.T. und C.F.T.C., darauf verständigt, eine Einheit zu bilden. Sie ging
am 27. Juli 1944 insofern zu Ende, als sich beide getrennt organisierten, politisch aber
noch für gemeinsame Ziele eintraten.137
Der ehemalige kommunistische Arbeitsminister Ambroise Croizat, der die Mitbestim-
mungsgesetzgebung ganz wesentlich mitgestaltet hatte, erklärte die Betriebsräte zu
einem Instrument des Klassenkampfes gegen den Imperialismus.138 Damit war das Tor
zur "Crise Sociale" mit lang andauernden Streiks aufgestoßen wie auch die Krise der
Mitbestimmung unabwendbar. Bereits anläßlich einer Sitzung des ZK der französi-
schen Kommunisten in Puteaux am 27. November 1946 wurden Stimmen laut, die eine
grundsätzlich andere Betriebsrätepolitik reklamierten. Diese unbestimmte Forderung
zielte auf eine eher destruktive Haltung, wie die Rede des Auvergnaten Marchadiers
(Puy-de-Dôme) am 18. Januar 1947 in einer ZK-Sitzung offenbart, in der er beklagte,
die Betriebsräte folgten viel zu sehr den Wünschen der Unternehmer. Die grundsätzli-
che Ablehnung des Betriebsrats wese ns äußerte sich in der Kritik, die Betriebsräte seien
ein Instrument der Patrons zur Spaltung der Arbeiterklasse.139
Wie wirkte sich nun dieser Kurswechsel aus? Die C.G.T. verstärkte ihre Einflußnahme
auf die Betriebsebene.140 Die ihr angehörenden Betriebsratsmitglieder in den Conseils
d'administration in ganz Frankreich trugen politische Fragen in die Betriebe und
starteten Agitationskampagnen mit einer Flut von Deklarationen und Resolutionen
gegen den Marshallplan, gegen die USA und für die "Bewahrung des Friedens".141
Darryl Holter, Politique charbonnière et guerre froide 1945-1950, in: Le Mouvement social
130/1985, S.34, 42-44.
137 Maurice Parodi, L'économie et la société française de 1945 à 1970, Paris 1971, S.282 f.
138 Henry W. E h r m a n n, La politique du patronat français 1936-1955, Paris 1959, S.379, 382.
139 Ebd.
140 Gerhard L e m i n s k y, Entwicklung und Formen der Mitbestimmung in einigen westeuropäischen
Ländern, in: Heinz-Oskar Vetter (Hrsg.), Vom Sozialistengesetz zur Mitbestimmung. Zum 100. Geburtstag
von Hans Böckler, Köln 1975, S.441.
141 Durand, Probleme des Mitbestimmungsrechts, S.246. Henry C. G a 1 a n t, Histoire politique de la
Sécurité Sociale 1945-1952, Paris 1955. S.145, Anm.l.
464
Die Konkurrenz zwischen den Gewerkschaften förderte zusätzlich schon die Politisie-
rung, wie die Wahlen zur Sécurité Sociale zeigten.142
Die vorhandenen Möglichkeiten der Mitbestimmung wurden nicht zu einer konstrukti-
ven Sozialpartnerschaft benutzt, sondern zur politischen Agitation instrumentalisiert.
Soziale Mitbestimmungsrechte wurden im Arbeitskampf gegen Streikbrecher einge-
setzt. So veranlaßte die C.G.T. während eines Streiks die Schließung der Werkskantine,
blockierte auf diese Weise die Verpflegung der arbeitswilligen Beschäftigten und
nötigte damit die Gesamtbelegschaft zur Teilnahme am Streik.143 Die Möglichkeit des
Betriebsrates, die Geschäftsentwicklung zu beobachten, benutzte die kommunistische
Presse dazu, durch Veröffentlichung von Bilanzen klassenkämpferisch die Ausbeutung
der Arbeiterklasse zu demonstrieren. So gelangten bereits im Juli 1946 Informationen
über Preiskalkulationen französischer Unternehmen in die kommunistische Presse.
Solche Ereignisse bestätigten die ohnehin verbreiteten Befürchtungen französischer
Unternehmer, interne Daten und Betriebsgeheimnisse gelangten über die Mitbestim-
mungsorgane in die Öffentlichkeit bzw. an die Konkurrenz, deshalb verfestigte sich
ihre prinzipielle Ablehnung gegenüber der gesamten Mitbestimmungsfrage.144
Wie sehr solche Aktionen das Klima belasteten, wird verständlich, wenn man sich die
Angst der französischen Unternehmer vor der Konkurrenz vergegenwärtigt145 und an
die Mentalität denkt, Entscheidungen und Entwicklungen eher im stillen zu treffen.
5.2 Die Patrons und die Mitbestimmung - zwischen Distanz und Ablehnung
Nicht nur die Kommunisten und die C.G.T. standen der Mitbestimmung ablehnend
gegenüber, sondern auch die Unternehmer. Auch sie trugen dazu bei, die französischen
Betriebsräte in eine Krise zu steuern. Viele Patrons wandten Repressalien gegen
Beschäftigte an, die sich bemühten, in wirtschaftlichen Fragen mitberaten zu wollen.
Daneben behinderten sie die Betriebsratsarbeit mit Schikanen, indem sie sich beispiels-
weise weigerten, den Gewerkschaften Räume zur Verfügung zu stellen oder das
Verteilen der Gewerkschaftspresse auf dem Firmengelände untersagten.146 147 Als be-
sonders wirksam, die Mitbestimmungsgesetzgebung zu umgehen, erwies sich die
Untemehmerpoliük, Verwaltungsratssitzungen sozusagen privat ohne Betriebsvertreter
abzuhalten, dort im Vorfeld Entscheidungen zu treffen und damit die offizielle Sitzung
zur reinen Formsache herabzustufen.'47
142 Siehe Z.B.: Hudemann, Sozialpolitik, S.137.
143 Durand, Probleme des Mitbestimmungsrechts, S.244.
144 Annie L a c r o i x - R i z, La C.G.T. de la Libération à la scission de 1944A947, Paris 1983, S. 168.
145 E h r m a n n , La politique du patronat, S.383.
146 Paul Durand, Das Gesetz vom 11. Februar 1950 und die Entwicklung der Kollektivverträge im
französischen Arbeitsrecht, in: Recht der Arbeit 3/1950, S.362, Anm.5.
147 Ders., Probleme des Mitbestimmungsrechts, S. 246.
465
Eine andere Strategie, die vor allem von Familienunternehmen, in denen patronales
Denken und automatische Herrschaftsstrukturen besonders verbreitet waren, einge-
schlagen wurde, bestand in der Aufteilung des Unternehmens in kleinere Familien-
unternehmen, um auf diese Weise die Einrichtung eines Betriebsrats, die ab einer
Anzahl von 50 Beschäftigten vorgeschrieben war, zu umgehen,148
Auch die soziale Mitbestimmung, die angesichts der Zunahme an sozialen Einrichtun-
gen immer mehr an Bedeutung gewann, wurde von den Unternehmern distanziert oder
ablehnend aufgenommen. Vor dem Hintergrund der immer heftiger ausgetragenen
politischen und ideologischen Rivalität der französischen Gewerkschaften, die sich ja
auch auf Betriebsratsebene niederschlug, versuchten sie, die Unzufriedenheit beim
Zuteilen von Werkswohnungen zu nutzen, um Stimmung gegen den Betriebsrat zu
machen, der in diesen Fragen ein Mitbestimmungsrecht ausübte.149
Eine andere Taktik der Unternehmer, Mitbestimmungsbegehren im Sande verlaufen zu
lassen, bestand darin, ihren Betrieb als Rüstungsunternehmen zu bezeichnen. Auf diese
Weise verweigerte beispielsweise die Direktion von Rhône-Poulenc in Vitry-sur-Seine
dem Betriebsrat die Erteilung von Auskünften.150 Dennoch sollte man der Richtung
von Lacroix-Riz nicht unkritisch folgen, die Krise der Mitbestimmung in Frankreich
sei primär auf unternehmerisches Fehlverhalten zurückführen. Es gab auch, wie Ehr-
mann zeigt, gerade unter den jüngeren Unternehmern andere Kräfte, wie die Position
des Centre des Jeunes Patrons (C.J.P.) beweist,151 und auch die der katholischen Sozial-
lehre aufgeschlossenen Unternehmerkreise in der Confédération des Patrons Ca-
tholiques, die den Veränderungen eher wohlwollend gegenüberstanden. Ein klarer
Kurswechsel erfolgte erst mit der Gründung des Conseil National du Patronat Français
(C.N.P.F.), der die Mitbestimmungsgesetze massiv kritisierte und eine Protestnote an
die Regierung sandte. Es handelte sich bei ihm um eine ausgesprochen einflußreiche
und vor allem geschlossene Interessenvertretung der Arbeitgeber, deren interne Mei-
nungsbildungsprozesse der Öffentlichkeit meist verborgen blieben.152
148 E h r m a n n , La politique du patronat, S.382 f.
149 D u r a n d, Probleme des Mitbestimmungsrechts, S.244.
150 L a c r o i x - R i z, La C.G.T., S.172.
151 Hier ist auch ein Blick auf die Sprachgeschichte aufschlußreich. Das Wort Patron gewinnt mit der
Gründung der C.J.P. eine positivere Bedeutung in der Verbindung "jeune patron", im Sinne eines sozialen
Unternehmertyps, siehe: Dictionnaire historique de la langue française, Paris 1992, S. 1453.
152 Claude Klein, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie in Frankreich, in: Helmut Düvernell (Hrsg.),
Koalitionsfreiheit und Tarif autonomie als Probleme der modernen Demokratie, Berlin 1968, S.151.
Hildegard W a s c h k e, Arbeitsbeziehungen und politische Strukturen im westlichen Ausland, Köln 1982,
S.41. Der C.N.P.F. war 1946 gegründet worden. Er war eine Gegenreaktion der Unternehmer auf ihre
geschwächte gesellschaftliche Stellung unmittelbar nach Kriegsende. Siehe: Schmidt, Doll, Fekl
und L o e w e, Frankreich-Lexikon, Bd.l , S.149.
466
Grundsätzlich gilt, daß die Unternehmer empfindlich darauf reagierten, dem Betriebsrat
ein Mitberatungsrecht oder gar ein Mitbestimmungsrecht in wirtschaftlichen Fragen
zuzugestehen.153 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Reaktion der C.N.P.F.
auf das deutsche Montanmitbestimmungsgesetz. Der Unternehmerverband bezeichnete
das Zustandekommen des Gesetzes als Ergebnis amerikanischen Drucks, eine Über-
tragung auf Frankreich sei gefährlich.154
5.3 Die Distanz der Arbeitnehmer
Es erscheint legitim, von einer Krise des Betriebsratswesens und der Mitbestimmung in
Frankreich zu sprechen, wenn man beobachtet, daß der Mitbestimmungsgedanke vor
dem Hintergrund der Politisierung und Auseinandersetzung zwischen Arbeitnehmer -
und Arbeitgebervertretern zum Fernbleiben bei den Betriebsrätewahlen führte. Dies
zeigte sich schon 1948 und war auch an den Gesetzesnovellen 1948/49 zu beobachten,
als zahlreiche neue Bestimmungen eingeführt werden mußten, in denen Regelungen
vorsahen, was bei Fernbleiben von Betriebsratsmitgliedern und Unregelmäßigkeiten
bei Wahlvorgängen zu tun sei.155
Die Enttäuschung über die Mitbestimmung bei der Masse der Arbeitnehmer schlug sich
in der geringen Wahlbeteiligung bei Betriebsratswahlen nieder, so blieben bei den
Betriebsrätewahlen des Automobilproduzenten Citroen im Januar 1953 im ersten
Wahlgang 53,4 Prozent der wahlberechtigten Arbeitnehmer und im zweiten sogar 56,5
Prozent der Wahl fern.156 Dies kann als Indikator für eine wachsende Gleichgültigkeit
gegenüber der betrieblichen Interessenvertretung gewertet werden.
Sowohl Gewerkschaften als auch Arbeitgeber in Frankreich waren mehrheitlich an
einer Ausgestaltung der Mitbestimmungsgesetzgebung nicht interessiert. Dies zeigen
die Versuche von Arbeitsminister Paul Bacon (M.R.P.), die Mitbestimmung in den
fünfziger Jahren weiter auszubauen. Bacon, der von der katholischen Soziallehre
deutlich beeinflußt war, scheiterte mit seinen Plänen 1953 am Widerstand von Ge-
werkschaften und Patronat.157 Im Gegensatz zur Bundesrepublik leistete die Mit-
153 E h r m a n n , La politique du patronat, S.384. D u r a n d, Probleme des Mitbestimmungsrechts, S.246.
154 E h r m a n n, La politique du patronat, S.384.
155 Siehe z.B. das Circulaire TR.21/48 vom 26.1.48 relative aux instructions concernant le détermination
du caractère représentatif des organisations syndicats sur le plan d'entreprise, Circulaire TR.47/48 vom
5.7.48 concernant l'application des lois vom 7.7.47 proportioned le régime de la représentation
proportioneile dans l'élection des délégués du personnel et des membres des comités d'entreprise, in: Revue
Française du Travail 1948, Numéro Special I, S.7 8 f., 85 f.
156 L'année p o 1 i t i q u e, 1953, S.144.
157 Alain-René Michel, Paul Bacon, in: Marc Sadoun, Jean-François Sirinelli und Robert Vandenbussche
(Hrsg.), La politique sociale du Générale de Gaulle. Actes du colloque de Lille 8-9 décembre 1989, Brüssel
1990, S.227. Paul Bacon bekleidete das Amt des Ministre du Travail et de la Sécurité Sociale von Februar
1950 bis Februar 1952, von Januar 1953 bis Juni 1954, von Februar 1955 bis Januar 1956, von November
467
bestimmung in Frankreich keinen Beitrag zur gesellschaftlichen Stabilisierung, und
insbesondere bei den Gewerkschaften stellten sich hinsichtlich dieses Themas weder
Stolz noch Identifikation ein. Auch als 1955 Bacon erneut wieder das Thema Mit-
bestimmung aufgriff und auch Verbesserungen durchsetzen konnte, scheiterte die
gesetzlich mögliche Ausweitung der Mitbestimmung an der fehlenden Motivation und
Identifikation von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in den Betrieben. So nutzten die
Arbeitnehmer in nur 160 Unternehmen im Zeitraum zwischen 1955 und 1958 die
erweiterten Mitbestimmungsmöglichkeiten.158 Diese Haltung erklärt Maurice Parodi
mit dem Modell der "société bloquée", deren wesentliches Strukturmerkmal in einem
"système de caste, hiérarchisé et centralisé" bestünde.159
5.4 Lang andauernde bürgerkriegsähnliche Streikwellen
Der Bruch der tripartistischen Koalition aus S.F.I.O., M.R.P. und P.C.F. führte zu einer
langandauemden Streikphase bis in die fünfziger Jahre hinein. Es muß hier betont
werden, daß bereits im Vorfeld des Bruches der Koalition seit 1946 zahlreiche Streik-
aktionen von der Basis gegen den Willen der C.G.T.- und P.C.F.-Spitze durchgeführt
worden waren, die nach dem Ende der kommunistischen Regierungsbeteiligung von
der P.C.F. instrumentalisiert wurden. 3.598 Arbeitsniederlegungen mit 3 Millionen
Streikenden im Jahre 1947 und mehr als 6,5 Millionen Streikende im Jahre 1948
deuten das Ausmaß dieser Entwicklung an, die zum Teil von bürgerkriegsähnlichen
Zuständen mit Betriebsbesetzungen, Rathausstürmungen und gewalttätigen Demon-
strationen mit Straßenbarrikaden sowie Sabotageakten begleitet wurden,160 hier ist z.B.
an das Entgleisen des Postzuges Paris-Lille hinzuweisen, der bei Arras infolge Sabota-
ge der Schienenanlagen entgleiste, wobei sechs Menschen starben und dreißig verletzt
wurden.161 Das ganze Land wurde durch Streiks bei Post, Bahn und in den Häfen
1956 bis zu de Gaulles Präsidentschaft und führte dieses Amt unter ihm fort, siehe: Ebd., S.226, 229. Zur
Frage, inwieweit de Gaulle sich mit der Katholischen Soziallehre identifizierte, gehen die Meinungen
auseinander. Siehe: François-Georges D r e y f u s, La lecture gaullienne du catholicisme social: actualité
d'une synthèse?, in: Ebd., S.316. Dagegen meint Philippe L e v i 1 1 a i n , de Gaulle habe zwar durch
Familie, Erziehung und Beruf die Katholische Soziallehre gut gekannt, seine Reden würden jedoch
keineswegs die Terminologie der christlichen Soziallehre widerspiegeln, siehe: Ders., in: Ebd., S.41-50.
158 M i c h e 1, Paul Bacon, S.228.
159 Maurice P a r o d i, L’ économie et la société française de 1945 à 1970, Paris 1971, S.344-346.
160 Bernard L a c h a i s e, De Gaulle aux conflits sociaux au temps du R.P.F., in: Marc Sadoun, Jean
François Sirinelli und Robert Vandenbussche (Hrsg.), La politique sociale du Général de Gaulle, Actes du
colloque 8-9 décembre 1989, Brüssel 1990, S.70-73. Außerdem : L1 année politique, 1948, S.83,
140 f.,162-164, 181 f., 211L; dies., 1949, S.162 f.; dies. 1950, S.74 f.; dies., 1953, S.184. Siehe
insbesondere die anschauliche Darstellung bei Georgette E 1 g e y, La république des illusions 1945-1951
ou la vie secrète de la IV* république, Paris 1965, S.340-366. Allein im Dezember 1947 wurden 97
Sabotageakte gezählt.
E1 g e y, La république des illusions, S.364 f.
468
lahmgelegt.162 163 Auch zu Beginn der fünfziger Jahre rollte die Streikwelle weiter, wobei
die Polarisierung zwischen den Gewerkschaften weiter wuchs, andererseits aber die
gewerkschaftliche Mobilisierung kontinuierlich zurückging und eine Gewerkschafts-
krise unübersehbar war.161 Nicht nur der Kalte Krieg und die Moskauorientierung der
französischen Kommunisten, sondern auch der französische Gewerkschaftspluralismus
war für die Streikentwickung verantwortlich und verschärfte das soziale Klima. Beglei-
tet war diese Entwicklung von einer extremen Politisierung der C.G.T., die sich pro-
nonciert zur internaüonalen Politik äußerte, eine Beteiligung Frankreichs am Marshall-
plan ebenso wie den Schumanplan ablehnte. Die französischen Gewerkschaften befan-
den sich zwischen 1947 und 1953 in einer Phase einer wachsenden Ideologisierung,
und insbesondere bei den Auguststreiks 1953 zeigte sich die Rivalität zwischen den
einzelnen Gewerkschaften in einem extrem hohen Radikalisierungsgrad von
C.G.T./F.O. und C.F.T.C.164
Vor allem auch im französischen Bergbau wurde der kommunistische Einfluß bemerk-
bar. Angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Saargruben ist davon auszugehen,
daß das Hohe Kommissariat und die französischen Unternehmer an der Saar diese
Entwicklung verfolgten. Im Montanrevier Nord und Pas-de-Calais waren sowohl
Bergleute als auch Ingenieure und selbst leitende Angestellte in hohem Maße in der
C.G.T. organisiert. Ausgedehnte Streikaktionen mit einer massiven Propaganda gegen
den Marshallplan waren somit vorprogrammiert und wurden zwischen C.G.T. und
P.C.F. des Départements mit ihrem Führer Léon Delfosse abgestimmt.165
Infolge der Streiks kam es zu enormen Produktionsausfällen.Von September bis
November 1947 wurden statt 2,7 Mio.t Kohle lediglich 700.0001 gefördert. Angesichts
der Streiks im Süden mit Schwerpunkt in Marseille beklagte die Chemieindustrie einen
Produktionsrückgang von bis zu 80 Prozent. Im Bereich der Eisen- und Stahlproduk-
tion waren es 50 bis 66 Prozent und in der Automobilindustrie bis zu 50 Prozent
infolge der Streiks bei Ford-Poissy, Simca-Nanterre, bei Citroën am Quai de Javel im
Pariser Westen und bei Renault in Billancourt.166
2 Ebd., siehe auch: Sylvie G u i 1 1 a u m e, La France contemporaine (1946-1990). Chronologie
contemporaine, Bd.l, Paris 1990, S 53 f.
163 L'a n n é e politique, 1952. Es ist z.B. darauf hinzuweisen, daß nur 50 Prozent der Arbeit- nehmer
der Pariser Kaufhäuser dem Streikaufruf folgten und sogar 90 Prozent der Bergleute in Nord und Pas-de-
Calais im Dezember 1952 in die Gruben einfuhren, siehe: Ebd., S.152, 166, 170. Zur Gewerkschaftskrise,
die sich in innergewerkschaftlichen Richtungskämpfen, Finanzproblemen und massiver Radikalisierung
äußerte und zur Verhaftung von André Stil, dem Chefredakteur der "Humanité" und führenden C.G.T.-
Funktionären wie Lucien Molino und André Tollet führte, siehe: L’année politique, 1953, S.150.
G u i 11 a u m e, La France contemporaine 1946-1990, Bd.l, S.81, 95, 106, 123.
164 P a r o d i, L' économie et la société française, S.282-284.
165 E1 g e y, La république des illusions, S.341-343.
166 L a c r o i x - R i z, La C.G.T. , S.356-359.
469
5.5 Die Auswirkungen der "Crise Sociale" auf die französische Sichtweise saarlän-
discher Entwicklungen
Hat nun diese innerfranzösische Entwicklung, insbesondere die Streikwelle ab 1947,
die Georgette Elgey in ihrer Arbeit über die Vierte Republik als die Phase der 'grande
peure' bezeichnet167, das Bewußtsein der französischen Verantwortlichen an der Saar zu
Fragen der Mitbestimmung und der Gewerkschaften beeinflußt? Angesichts des
saarländischen Gewerkschaftspluralismus und der oppositionellen Richtung innerhalb
des I.V. Bergbau, die zur Gewerkschaftsspaltung führte168, und einer im Gegensatz zur
Bundesrepublik keineswegs marginalisierten KP stand unter diesen Aspekten das
Saarland dem Frankreich der fünfziger Jahre mit seinen finanzschwachen, zersplitterten
und raaikalisierten Gewerkschaften ohne Dachorganisation wesentlich näher als der
Bundesrepublik.169
Diese Überlegung bietet sich ja angesichts der starken kommunistischen Stellung in
den Betriebsräten der Saargruben und ihrem Wirken im I.V. Bergbau geradezu an. Der
im Hohen Kommissariat für Gewerkschafts- und sozialpolitische Fragen zuständige
Alphonse Rieth sprach im Mai 1950 von einer kommunistischen Unterwanderung des
I.V. Bergbau und beklagte den Verlust der politischen Neutralität der Einheitsgewerk-
schaft.170 Die Politisierung der Gewerkschaften wurde durch ihre nationale Agitation
und Emotionalisierung noch problematischer. Das Hohe Kommissariat interpretierte
die Wahl Kutschs zum Vorsitzenden des I.V. Bergbau als Ergebnis eines erfolgreichen
Zusammenwirkens von pro-deutschen und kommunistischen Kräften. Auch in den
Betriebsräten war diese Entwicklung sichtbar geworden, als der Gesamtbetriebsrat der
Saargruben die Parole von Aloys Schmitt "Die Saargruben dem Saarvolk" auf seine
Tagesordnung setzte.171
Diese Entwicklung weckte Ängste an eine Deutsche Front gegen eine autonome Saar.
Insbesondere, nachdem Kurt Conrads DSP zunehmend auf Gewerkschaftsebene
agierte, kam die Schreckensvision einer pro-deutsch wirkenden sozialdemokra-
tisch-kommunistischen Allianz hinzu.172
167 Siehe das entsprechende Kapitel ’La grande peur' bei: E 1 g e y, La république des illusions.
168 Siehe Kapitel V.
169 К a e 1 b 1 e, Frankreich und die Bundesrepublik im Vergleich, S.241.
170 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl.24-28, Vermerk von A. Rieth vom 12.5.50.
171 Aloys Schmitt, Der Industrie-Verband Bergbau, in: Klaus Altmeyer u.a. (Hrsg.), Das Saarland,
Saarbrücken 1958, S.219.
172 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.109, Bl,82, Telegramm Grandvals an MAE 16.6.52,
Bl.84-87, Grandval an MAE vom 15.7.52; ebd., Bl.201-203, Telegramm Grandvals an die franz. Botschaft
in Bonn.
470
Für Grandval wurde der I.V. Bergbau mit seiner oppositionellen Richtung und die
KP-Saar wie C.G.T. und P.C.F. in Frankreich zu einem Schreckgespenst, da nach
seiner Einschätzung die KP die Gewerkschaften dominierte, insbesondere nachdem
französische Beobachter Paul Kutsch in kommunistischem Fahrwasser sahen. Grand-
vals Einschätzung der saarländischen Gewerkschaften wurde dabei in der Tat von der
innenpolitischen Situation Frankreichs der Jahre 1947/48 beeinflußt, wie ein Schreiben
an die französische Botschaft in Bonn beweist, in dem er hinsichtlich des I.V. Bergbau
feststellt:" Tout ces militants ont suivi avec intérêt et souvent avec amertume l'évolution
de la situation syndicale en France, au cours des années 1947-1948: les grèves politi-
ques déclenchés sur ordre Moscou, la scission et l'effrondement d'un puissant mouve-
ment ouvrier".173 Zuvor hatte das Hohe Kommissariat mit Besorgnis die Kontakte der
Saarkommunisten zu den französischen Genossen verfolgt. Bereits seit der Auswei-
sung Oskar Müllers im Jahre 1947 scheinen Kontakte bestanden zu haben. Besonders
prekär war eine Information vom April 1950, wonach gemeinsame Streikaktionen
zwischen dem I.V. Bergbau und französischen Gewerkschaften geplant seien. Die
Streikaktionen auf den Saargruben im Oktober 1951 wurden auch als Ergebnis einer
Beratung zwischen P.C.F.- Aktivisten aus Strasbourg und Funktionären der KP- Saar,
die im I.V. Bergbau engagiert waren, interpretiert.174 Rieth verglich den Einfluß der
KP- Saar auf den I.V. Bergbau bereits im Mai 1950 mit dem Einfluß der P.C.F. auf die
C.G.T. Diese Entwicklung schätzte er als besonders gefährlich ein, weil es der P.C.F.
gelungen sei, auf diese Weise ihre politische Position zu stärken.175
Das bedeutet, französische Entscheidungsträger an der Saar ließen sich in ihren saar-
politischen Einschätzungen deutlich von den innerfranzösischen Entwicklungen ab
1947/48 beeinflussen und zogen Parallelen. Auch in der französischen Besatzungszone
blieb der Kurswechsel der Kommunisten spätestens seit September 1947 nicht ohne
Folgen. Innerhalb der Militärregierung kam es zur Entfernung zahlreicher kommu-
nistischer, aber auch sozialistischer Bediensteter. Nicht zuletzt hatten Kommunisten in
der Militärregierung auch kommunistische Gewerkschaftler in der französischen Zone
gefördert, z.B. Pierre Bilotte, von August bis Oktober 1947 Gouverneur der französi-
schen Militärregierung von Rheinland-Hessen-Nassau.176
173 Ebd, B1.203, Grandval an französische Botschaft in Bonn vom 27.1.53.
174 MAE Nantes. HCS, Cab.Polit., Doss.70, Bl. 118-120, Sûreté-Bericht v. 26.4.50., ebd., Doss.120, B1.75,
Vermerk vom 8.6.51; Bl.88-91, Communiqué an Bonner Botschaft; Bl.93-95, Bericht zu Streikaktionen
vom 2.10.51, verf. v. Hohen Kommissariat.
175 MAE-Paris, EU-Europe, Schis S,, Sarre, Doss.109, B1.24, Vermerk von A. Rieth vom 12.5.50.
176 K u s c h , Die Wiedergründung der SPD, S.162. W o 1 f r u m , Französische Besatzungspolitik, S.234
f.
471
Die Mitbestimmung in Baden, die wie Edgar Wolfrum anschaulich erklärt, unter dem
Dreigestim des Kalten Krieges, des Zerwürfnisses zwischen Sozialdemokraten und
Kommunisten, insbesondere auf Gewerkschaftsebene, und der Furcht der Franzosen
vor Instabilität stand, nahm jedoch keine Rückwärtsentwicklung. Max Faulhaber, Chef
der badischen KPD, hatte für den badischen Gewerkschaftsbund federführend einen
Entwurf zum Betriebsrätegesetz im Oktober 1947 vorgelegt, der sehr fortschrittlich war
und auf breite Zustimmung im Gewerkschaftslager stieß, insbesondere weil er auch
eine wirtschaftliche Mitbestimmung vorsah. Die französische Militärregierung sah sich
weder durch die innerfranzösische Entwicklung noch durch den kommunistischen
Einfluß in den badischen Gewerkschaften dazu veranlaßt, einen restriktiven Kurs in
dieser Frage einzuschlagen. Im Gegenteil, sie mahnte eine zügigere Ausarbeitung an.
Die Entscheidung der Franzosen, das Betriebsrätegesetz nur teilweise unter vorläufi-
gem Verzicht auf die sogenannten Fachkommissionen zu genehmigen, erfolgte primär
auf amerikanischen Druck bzw. interalliierte Rücksichtnahme.177
Dieser Druck stand einer fortschrittlichen Regelung an der Saar nicht im Wege. Hier
wirkten aber andere Faktoren hemmend, wie beispielsweise divergierende Traditionen
und Mentalitäten, denen angesichts der Wirtschaftsunion und dem Gewicht französi-
scher Unternehmer eine erhebliche Bedeutung nicht abgesprochen werden kann.
Während also für das Saarland die innerfranzösische Entwicklung sowie der starke
kommunistische Einfluß in der Einheitsgewerkschaft im Sinne einer Interaktion dazu
beitrugen, daß die französische Seite in der Mitbestimmungsfrage einen deutlich
restriktiveren Kurs verfolgte, scheint für Baden eher das Gegenteil zuzutreffen. Die
Gründe für die divergierende Entwicklung liegen zum einen in der Gewerkschaftsland-
schaft. Zwar waren sowohl in Baden als auch im Saarland die Kommunisten auf
Gewerkschafts- und Betriebsebene ausgesprochen aktiv. In Baden setzte die Militär-
regierung aber ihre Hoffnungen auf eine stärkere Kooperation von CDU und SPD in
den Gewerkschaften und ermahnte entsprechend auch beide Parteien, Betriebspartei-
gruppen zu bilden. Im Saarland konnte die Militärregierung dagegen angesichts des
Gewerkschaftspluralismus diesen Kurs nicht verfolgen. Außerdem sind auch die
gänzlich anderen Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Die französische Militär-
regierung im Saarland sah es als notwendig an, ihren Beitrag zu einer erfolgreichen
Ausgestaltung der Wirtschaftsunion zu leisten. Französische Unternehmer im Saarland,
die auf den unter Sequester stehenden Hütten in leitender Position tätig waren, und
auch die französische Regie des Mines hatten schon Front gegen die Betriebsräte Ver-
ordnung vom August 1947 gemacht. Wie sollte die Militärregierung vor diesem
Hintergrund eine weitergehende Mitbestimmungsregelung ä la Kirn unterstützen
können? In Baden dagegen mußte die französische Betriebsrätepolitik nicht auf die
erfolgreiche Gestaltung einer Wirtschaftsunion Rücksicht nehmen, sondern hier war
177 W o 1 f r u m, Französische Besatzungspolitik, S.241-243, 252-254,
472
die Betriebsrätepolitik vorrangig ein Element französischer Demokratisierungspolitik,
mit der es den Franzosen auch um eine präjudizierende Wirkung für die zukünftige
Gestaltung Deutschlands ging. Die unmittelbare Auswirkung dieses Gesetzes wäre
sowieso angesichts der gerade 1947/48 laufenden Demontagewelle in der französi-
schen Zone gering gewesen. Sie überzog das ganze Land und grub sich im Gedächtnis
der Bevölkerung ein, so daß im kollektiven Bewußtsein die fortschrittliche Sozial-
politik völlig unterging.178
Inwieweit die kommunistische Agitaüon in der Bizone mit Streiks und Hungermär-
schen - vor allem im Ruhrgebiet - die Meinungsbildung des Hohen Kommissariates
beeinflußt hat, läßt sich aus den Akten nicht feststellen.179 In der Militärregierung der
französischen Besatzungszone führte dies hinter vorgehaltener Hand zu teilweise
erheblichen Befürchtungen.180
In Frankreich war die Mitbestimmung von der überwältigenden Mehrheit der Unter-
nehmer nicht positiv aufgenommen worden, auch die Akzeptanz bei den Arbeitneh-
mern war eher gering, ein Umstand, der angesichts der zahlreichen französischen
Unternehmer an der Saar sicherlich nicht der Verabschiedung eines fortschrittlichen
Betriebsverfassungsgesetzes dienlich war.
6. Die Mitbestimmungsfrage in der saarländischen Diskussion
6.1 Nationale Agitation
Wie unterschiedlich ein Gesetz aufgenommen werden kann, zeigt ein Vergleich der
Reaktionen zum bundesdeutschen Betriebsverfassungsgesetz von 1952 durch die
saarländische und die bundesdeutsche Öffentlichkeit. Die Vorgänge um dieses Gesetz
führten in der jungen Bonner Republik zu einer großen innenpolitischen Kontroverse,
die sich zu Massendemonstrationen steigerte. Die Bundesbürger mußten auf ihre
Zeitungen verzichten, da die IG Druck und Papier sich zu einem politischen Streik
entschloß, der die Zeitungsdruckereien lahm legte; ein Streik, der fast jeden Bundes-
bürger traf. Eine Streikwelle mit Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen, wie es
sie zuvor noch nie in der Nachkriegszeit gegeben hatte, zog sich über die Bundesre-
publik. Taktisch war dies vom DGB ausgesprochen ungeschickt, da zur selben Zeit aus
der DDR Drohungen kamen, den Deutschlandvertrag zu verhindern, indem man in der
Bundesrepublik einen Generalstreik auslöse.181 In der Sache waren weder Arbeitgeber
noch die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion bereit, eine weitgehende wirtschaftliche
178 Ebd., S.247-249, 259.
179 Siehe dazu z.B.: Christoph Klessmannund Peter Friedmann, Streiks und Hungermärsche im
Ruhrgebiet 1946-48, Frankfurt a.M. u.a.O. 1978. Ders., Betriebsparteigruppen und Einheitsgewerkschaften,
in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) 31/1983, S.272-307.
180 Kusch, Die Wiedergründung der SPD, S.171.
181 B u c h h a a s, Gesetzgebung, S.282-284.
473
Mitbestimmung zu akzeptieren. Der DGB traf aber mit seiner Streikaktion nicht die
Befindlichkeit der Bevölkerungsmehrheit. Hinzu kam, daß SPD und DGB sich in
taktischen und programmatischen Fragen nicht richtig abgestimmt hatten und das
Verhältnis zwischen DGB-Chef Christian Fette und Erich Ollenhauer, dem damaligen
ersten Steuermann der SPD, zu wünschen übrig ließ.182
Vertreter des DGB sahen mit diesem Gesetz einen schwarzen Tag für die demokrati-
sche Entwicklung der Bundesrepublik hereinbrechen. Im Mai 1952, einige Monate vor
der Abstimmung im Bundestag, hatte der DGB zu einem Kampf für ein fortschritt-
liches Betriebsverfassungsrecht aufgerufen. Die gewerkschaftliche Unzufriedenheit
erklärte sich aus der Enttäuschung über die wirtschaftliche Mitbestimmung, die sich
mehr oder weniger auf ein reines Informationsrecht beschränken sollte. Gegenüber den
Betriebsrätegesetzen von Hessen und Baden wurde dies als Rückschritt empfunden.
Hinzu kam, daß der DGB in dem Gesetz eine antigewerkschaftliche Richtung zu
erkennen glaubte, weil den Gewerkschaften nicht erlaubt wurde, Betriebsräte zu
gewerkschaftlichen Organen betrieblicher Interessenvertretung auszubauen. Betriebs-
räte waren an eine absolute Friedenspflicht, politische Neutralität und vertrauensvolle
Zusammenarbeit mit dem Unternehmer gebunden. Hinzu kam, daß im Aufsichtsrat nur
eine Drittelrepräsentanz für die Arbeitnehmer vorgesehen war.183
Völlig gegensätzlich verhielt sich dazu die Position der saarländischen Öffentlichkeit.
Die SPS sowie die Einheitsgewerkschaft als auch die christlichen Gewerkschaften
begrüßten ausdrücklich nicht nur das zweifellos fortschrittliche Montanmitbestim-
mungsgesetz, sondern auch das vom DGB so enttäuscht aufgenommene Betriebs-
verfassungsgesetz. Die Motive der saarländischen Öffentlichkeit für diese Einschät-
zung sind jedoch völlig gegensätzlich gewesen. Für die SPS war es letztlich eine
Prestigefrage, an der Saar eine Mitbestimmung auf den Weg zu bringen, die den
bundesrepublikanischen Verhältnissen entsprach, weil die Bundesrepublik zur Num-
Ebd., S.243, 279, 283. Hans-Hermann H a r t w i c h, Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher
Status-Quo, Köln u.a.O. 1970, S.181. Kies s mann, Die doppelte Staatsgründung , S.238.
183
Michael F i c h t e r, Aufbau und Neuordnung der Betriebsräte zwischen Klassensolidarität und Be-
triebsloyalität, in: Martin Broszat, Klaus-Dietmar Henke und Hans Woller (Hrsg.), Von Stalingrad zur Wäh-
rungsreform, München 1988, S.469. Christoph Klessmann, Elemente der ideologischen und sozial-
politischen Integration der westdeutschen Arbeiterbewegung, in: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland
1945-1955, München 1986, S.lll. Ders,, Betriebsräte und Gewerkschaften in Deutschland 1945-1952, in:
Heinrich August Winkler (Hrsg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953,
Göttingen 1979, S.44-46. Ders. und Georg Wagner, Das gespaltene Land, S.208-210. Muszynski,
Wirtschaftliche Mitbestimmung, S.119, 122. Alexander von Pia t o, "Was wäre ohne uns?", in:
Gewerkschaftliche Monatshefte 36/1985, S.224. Siehe auch: Eberhard Schmidt, Die verhinderte
Neuordnung 1945-1952. Zur Auseinandersetzung um die Demokratisierung der Wirtschaft in den
westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M. 1970, S.220.
474
mer Eins in Sachen Mitbestimmung geworden war.184 Programmatisch eröffnete die
Mitbestimmungsregelung der SPS die Möglichkeit, sich vom stärkeren Partner CVP
sozialpolitisch abzugrenzen. So sprachen die Sozialdemokraten von der Betriebs-
demokratie, zu der ein fortschrittliches Betriebsrätegesetz gehöre. Auf Gewerkschafts-
kundgebungen präsentierte sich Richard Kirn als Verfechter dieser Politik. Um auf
diesem Weg voranzukommen, versuchte er andererseits den Bedenken gegenüber
seiner Politik psychologisch gerecht zu werden, indem er Ängsten, Mitbestimmung
bedeute eine Beschneidung des Eigentumsrechts, entgegenwirkte und andererseits
betonte, seine Mitbestimmungsvorstellung bedeutete kein Abrücken von der Wirt-
schaftsunion.185
Während die SPS die Mitbestimmungsfrage primär aus einer sozialpolitischen Per-
spektive betrachtete, kann dies für die CVP und führende Gewerkschaftler des I.V.
Bergbau so nicht gesagt werden. Besonders deutlich wird dies bei der Einstellung der
KP-Saar zur Mitbestimmung. Während die KPD sich mit These 37 gegen die Mit-
bestimmung ausgesprochen hatte, weil sie dazu beitragen würde, die Kriegsvorberei-
tungen deutscher Monopolisten und rechter Gewerkschaftler zu unterstützen,186 ver-
folgte die KP-Saar einen ganz anderen Kurs. Sie forderte eine fortschrittliche Mit-
bestimmung für das Saarland, die mindestens bundesrepublikanischem Standard
entsprechen sollte.187 Diese Position beweist die Instrumentalisierung der Mitbestim-
mungsfrage zur nationalen Propaganda durch die saarländischen Kommunisten, denn
vor der Verabschiedung von Montanmitbestimmungs- und Betriebsverfassungsgesetz
war es gerade die KP-Saar, die dieses Thema noch mit Sozialisierungsforderungen
verknüpft hatte, und genau dieser Weg wurde ja in den bundesdeutschen Gesetzen
nicht eingeschlagen.188
Die Forderungen nach einer Anpassung des Saarlandes an die bundesdeutsche Mit-
bestimmung sind von saarpolitischen Motiven bestimmt worden. Die saarländische
Mitbestimmung wurde als unzureichend stigmatisiert und die Bundesrepublik als
Vorbild in Sachen Mitbestimmung präsentiert. Auf diese Weise sollte eine nationale
Orientierung breiter Schichten der Arbeitnehmerschaft gefördert und zugleich Sand ins
184 So die Einschätzung von Dr. Blumenauer, in: LA SB. Wirtschaftsministerium, Nr.793, Aktenvermerk
vom 23.2.54.
185 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Dass.228, Bl. 113, Bericht über Versammlung der E.G. in
Sulzbach am 22. und 23.4.50, verfaßt vom Hohen Kommissariat. Politisches Archiv des Auswärtigen
Amtes Bonn (PAA), Best. Abt.2, Nr,481, B 1.209, Protokoll des Sonderausschusses für die Überprüfung der
Konventionen vom 29.10.51. Saarbrücker-Zeitung vom 7.3. und 8.3.49.
186 Georg F ü 1 b e r t h, KPD und DKP 1945-1990, Heilbronn 21992, S.52 f. Erst auf ihrem Hamburger
Parteitag im Dezember 1954 rückte die KPD davon ab, siehe: Ebd., S.59.
187 LA SB, Schneider-Becker-Archiv (SBA) III/5a, z.B. Neue Zeit vom 5.6.52,
188 Ebd., z.B. Neue Zeit vom 20.10, 27.10., 10.11.49.
475
Getriebe der Wirtschaftsunion gestreut werden, wie vor dem Hintergrund der französi-
schen Verhältnisse und der Reaktionen französischer Unternehmer auf die Betriebs-
räteverordnung vom 1. August 1947 auch zu erwarten war. Die Mitbestimmungsfrage
saarpolitisch zu instrumentalisieren, war auch das Ziel des Saarreferates im Auswärti-
gen Amt. Karl Hillenbrand, Generalsekretär der christlichen Gewerkschaften und
früher Gegner der Saarautonomie, versuchte die Mitbestimmungsdiskussion vor allem
auf den empfindlichen Bereich des Bergbaus zu lenken. Im Dezember 1950 betonte er
mit Blick auf die Saargruben, daß das Mitbestimmungsrecht auch in Betrieben mit
staatlicher Beteiligung nicht abgelehnt werden dürfe.189 Diesen Weg beschritten auch
oppositionelle Gewerkschaftler wie Aloys Schmitt und Paul Kutsch, die für das Saar-
land das deutsche Mitbestimmungsrecht forderten, gleichzeitig aber darauf hinwiesen,
die Saarkonventionen stünden dem entgegen. Damit sollte die Mitbestimmungsfrage
politisiert und allen Arbeitnehmern deutlich werden, daß die besondere Situation des
Saarlandes eine fortschrittliche Betriebsverfassung blockiere.190
6.2 Differenzen im Lager der CVP
Besonders schwierig ist es, die Einstellung der CVP zum Thema Mitbestimmung zu
durchschauen. Grandval scheint zunächst einmal in seinem Ziel, ein Mitbestimmungs-
gesetz ä la Kirn zu verhindern, auf Ministerpräsident Hoffmann und seine Partei gesetzt
zu haben. Die Basis dafür sah Grandval in der ablehnenden Position der CVP-Fraktion
im Landtag zum Mitbestimmungsentwurf Kirns. In einem Schreiben an den Quai
d'Orsay vom 9. Januar 1950 wies Grandval beruhigend auf die ablehnende Haltung der
CVP und des Ministerpräsidenten hin, und in einem Schreiben an Johannes Hoffmann
vom 2. Oktober 1951 appellierte er, er möge ein der deutschen Montanmitbesümmung
ähnliches Gesetz für das Saarland auf jeden Fall verhindern.191 Grandval sah in den
Mitbesümmungsplänen Kirns eine Bedrohung und hielt sie angesichts der Wirtschafts-
union für undurchführbar.192
In seiner Strategie wurde er auch durch die Position des Arbeitgeberverbandes ermu-
tigt, denn von dieser Seite übte Franz Ruland193 eine massive Kritik an den Mitbestim-
mungsplänen, die sich in den entscheidenden Punkten mit der Kritik des Hohen Kom-
missars deckten.194
189 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.60, Bi.147, Revue de Presse, Volkstimme vom 11.12.50.
190
Mitbestimmung in der saarländischen Presse: LA SB, SBA III/5a.
191 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss.227, Bl.26 f., Grandval an MAE v. 9.1.50. Ebd., Doss.109,
Bl.38 f., Grandval an Hoffmann v. 2.10.51, auch MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S..J I 3, Grandval an MAE
vom 9.1.50.
192 MAE Paris, EU-Europe, Sous S. Sarre, Doss. 140, Bl.66, Grandval an Kirn vom 16.5.51.
193
Ruland bekleidete vom 14.4.1951 bis 29.10.1955 das Amt des Wirtschaftsministers, siehe: Hans-Walter
Herrmann und Georg Wilhelm S a n t e, Geschichte des Saarlandes, Würzburg 1972, S.80 f.
194 LA SB, MifAS, Bd.292, Vermerk über eine Besprechung mit Ruland vom 7.3.50., Vermerk Ref A/9-
9302 vom 6.6.52.
476
Ruland wies darauf hin, daß die vorliegenden Gesetzentwürfe sich stark am deutschen
Recht orientierten und mit den Pariser Konventionen nicht zu vereinbaren seien. Die
saarländische Mitbestimmung müsse sich vor dem Hintergrund der Wirtschaftsunion
an französischen Verhältnissen orientieren. In einem ausführlichen Schreiben der
Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeberorganisationen des Saarlandes wurden die ein-
zelnen Kritikpunkte dargelegt:
1. Der Entwurf Kims ginge viel zu weit, er orientiere sich an den Betriebsrätegesetzen
von Hessen und Baden.
2. Die Wirtschaftskonventionen erforderten gleiche Bedingungen für die saarländische
und französische Wirtschaft, dies sei im Fall des vorliegenden Entwurfes nicht mehr
gegeben.
3. Das Betriebsrätegesetz dürfe erst in Betrieben ab 50 Arbeitnehmern Anwendung
finden.
4. Die Angestellten müßten stärker im Betriebsrat berücksichtigt werden. Die Lehr-
linge sollten nicht wahlberechtigt sein, denn Lehrjahre seien keine Herrenjahre.
5. In Anlehnung an das französische Recht solle der Betriebsrat aus einer Verhältnis-
wahl hervorgehen.
6. Der Vorsitz des Betriebsrates müsse entsprechend der französischen Gesetzgebung
beim Arbeitgeber liegen.
Hier zeigt sich eine Koalition von Arbeitgeberorganisation, Arbeitgeberflügel der CVP
und Hohem Kommissar, ähnlich wie sie auch bei der Kontroverse über den Plafond in
der Sozialversicherung zu beobachten war.195
Johannes Hoffmann befand sich in der Mitbestimmungsfrage in einer von Anfang an
schwierigen Situation. Er war nicht nur dem Druck Grandvals und des Arbeitgeber-
flügels seiner Partei ausgesetzt, sondern auch dem öffentlichen Druck des Koalitions-
partners SPS, der Einheitsgewerkschaft und der christlichen Gewerkschaften, die trotz
gewisser unterschiedlicher Auffassungen die Verabschiedung eines Mitbestimmungs-
gesetzes immer wieder anmahnten. Hoffmann scheint bewußt eine Verabschiedung des
Gesetzes hinausgezögert zu haben.
Damit entsprach er einerseits dem Willen Grandvals, dem die Mitbestimmungspläne
viel zu weit gingen, er könnte aber andererseits auch auf Zeit gesetzt haben, um dem
Saarland doch noch eine dem bundesdeutschen Modell entsprechende Mitbestimmung
zu verschaffen; denn gerade er betonte immer wieder den Willen, ein entsprechendes
Gesetz zu verabschieden, wies aber daraufhin, daß ein kleines Land wie das Saarland
sich an größeren Staaten orientieren müsse, und damit meinte er die Bundesrepublik.
Möglichweise setzte er ebenso wie Kirn und die Einheitsgewerkschaft darauf, daß nach
195 Siehe Kap. I und II.
477
Montanmitbestimmungs- und Betriebsverfassungsgesetz die saarländische Mitbestim-
mungsdiskussion so an Dynamik gewinnen könnte, daß die französische Seite ihren
Widerstand aufgeben müßte.
Nach Verabschiedung der bundesdeutschen Mitbestimmungsgesetze, über die die
französische Seite genau informiert war, befürchteten die Franzosen eine "violente
Campagne" von Gewerkschaften und Sozialdemokratie zur Einführung entsprechender
Gesetze an der Saar.196 Grandval suchte nicht nur bei Johannes Hoffmann Hilfe,
sondern insbesondere auch bei Wirtschaftsminister Franz Ruland und dessen Vorgän-
ger Franz Singer. Er setzte damit möglicherweise im Mitbestimmungspoker auch auf
die innerparteilichen Spannungen der CVP in dieser Frage und wandte sich deshalb
persönlich an die Repräsentanten des Wirtschaftsflügels.197
Die starke Orientierung des saarländischen Mitbestimmungsgesetzes, das schließlich
im Juli 1954 verabschiedet wurde, am bundesdeutschen Betriebsverfassungsgesetz ist
unübersehbar. Entscheidende Mitbestimmungsinhalte zu sozialen, personellen und
wirtschaftlichen Angelegenheiten wurden aus dem deutschen Gesetz nahezu wortwört-
lich übernommen.198 Dafür scheinen Erwägungen der praktischen Anwendung und
Handhabung bzw. juristische Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle gespielt zu
haben, überzeugte doch Regierungsrat Hanno Becker, der zuständige Referent des
Arbeitsministeriums, im Ausschuß für Sozialpolitik im Landtag die Anwesenden mit
dem Argument, auf diese Weise "die Kommentare und die Rechtsprechung zum
Mitbestimmungsrecht in der Bundesrepublik verwerten zu können". Bereits im Juli
1953 hatte ein vom Ausschuß gehörter Jurist betont:"Es sei unwahrscheinlich, daß zu
dem saarländischen Betriebsrätegesetz jemals ein Kommentar erscheinen werde,
während zu dem bundesdeutschen Betriebsverfassungsgesetz schon jetzt eine ganze
Reihe von Kommentaren vorlägen".199 Das bedeutet, daß die Orientierung der Saarlän-
der an deutschem Recht in der Erkenntnis bestärkt wurde, selbst nicht zu einer eigenen
saarländischen Sozialgesetzgebung kommen zu können. Eine verständliche Einschät-
zung vor dem Hintergrund, daß in ganz wesentlichen Teilen die Reichsversicherungs-
ordnung immer noch galt, und mit ergänzenden und verändernden Erlassen und
Verordnungen eine schwer durchschaubare und unübersichtliche Rechtssituation
entstanden war. Zugleich wird daran deutlich, was sich auch in der saarländischen
Diskussion seit 1952 immer klarer abzeichnete, daß die Vorstellung, eine autonome
196 MAE Nantes, HCS, M.J./Q.S., J I 3, Vermerk von A. Antoine vom 23.7.52.
197 Ebd., Cab. Polit., Doss. 54, Bl.l f., Grandval an Ruland, Grandval an Hoffmann vom 2.10.51.
198 Bundesarchiv Koblenz (BA KO), Bundesministerium für Arbeit (B 149), Nr.3689, Vorläufige
Gegenüberstellung der bundesrechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und des
Arbeiterschutzes mit dem saarländischen Recht vom 20.11.56.
199 Archiv des Saarländischen Landtages Saarbrücken ( LTA SB), Niederschrift zur Sitzung des
Ausschusses für Sozialpolitik vom 28.4.54 und 1.7.53.
478
Saar verwirklichen zu können, als immer unrealistischer eingeschätzt wurde. Ernst
Roth hatte schon auf dem Parteitag der SPS am 11. September 1948 behauptet:"(...)
Das Saarland zu schaffen ist ein historischer und politischer Unsinn (...). Das Saarland
kann existieren als deutsches oder französisches Département, aber es kann nicht
existieren als selbständiger Staat".2™
Hinsichtlich der Rolle der Gewerkschaften und der Berücksichtigung der Angestellten
zeigen sich partielle Unterschiede. Nach saarländischem Recht wurden die Arbeitneh-
mervertreter grundsätzlich in Gruppenwahlen der Arbeiter und Angestellten getrennt
gewählt, nach Bundesgesetz jedoch gemeinsam. Außerdem galt im Saarland mit
Rücksicht auf die christliche Gewerkschaft das Verhältniswahlrecht. Bei den Wahlvor-
schlägen verfügten die zugelassenen Gewerkschaften über ein Vorschlagsrecht, das
bundesdeutsche Gesetz kannte eine solche Regelung nicht. Vor dem Hintergrund der
gewerkschaftlichen Opposition und dem Erfolg einer "Einheitsliste" bei den Betriebs-
rätewahlen auf Grube König am 27. April 1954, die sich aus Mitgliedern des verbote-
nen I.V. Bergbau zusammengesetzt hatte, wurde diese Regelung getroffen und in der
öffentlichen Diskussion als "lex Kutsch" bezeichnet.200 201 Damit sollte verhindert werden,
daß nichtzugelassene bzw. oppositionelle Kandidaten gewählt werden konnten. Auf
diese Regelung einigte sich der sozialpolitische Ausschuß des Landtages am 16. Juni
1954.202 Das passive Wahlrecht für den Betriebsrat, also die Wählbarkeit, lag im
Saarland mit 24 Jahren deutlich über der Bundesrepublik mit 21 Jahren.203 Eine
Schlechterstellung gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz der Bundesrepublik
betraf die wichtige Regelung der Arbeitnehmerstärke im Aufsichtsrat. Hier galt keine
Drittelrepräsentanz, sondern bei 9 Aufsichtsratsmitgliedern konnten 2 Arbeitnehmer,
bei Aufsichtsräten zwischen 10 und 15 Mitgliedern 3 Arbeitnehmervertreter und bei
Aufsichtsräten mit mehr als 15 Köpfen lediglich 4 Arbeitnehmervertreter in den
Aufsichtsrat entsandt werden.204 Diese Schlechterstellung ist eine wichtige Abweichung
vom bundesdeutschen Betriebsverfassungsgesetz. Sie ging auf das Konto arbeitgeber-
orientierter Kreise in der CVP, denn der CVP-Abgeordnete und christliche Gewerk-
schaftler Hans Ruffing wie die SPS-Vertreter und der Referent des Arbeitsministeriums
plädierten im zuständigen Ausschuß für eine Drittelrepräsentanz, während diese von
den anderen CVP-Mandatsträgern mit der Begründung abgelehnt wurde, "daß in bezug
auf die Beteiligung des Fremdkapitals die Verhältnisse im Saarland anders gelagert
seien als in der Bundesrepublik".205
200 Zitiert nach Ernst Kunkel, Dokumente und Erinnerungen zur Geschichte der SPS 1935-1956,
Dudweiler 1980, S.130f.
201 M a 11 m a n n und Steffens, Lohn der Mühen, S.264.
202 LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik am 16.6.54.
203 BA KO, B 149, Nr.3689, Vorläufige Gegenüberstellung (...).
204 T'L 1
Ebd.
205 LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 28.4.54 und 5.5.54.
479
Dieses Argument hält jedoch einer kritischen Überprüfung nicht stand, denn in Frank-
reich war in einer ganzen Reihe von Unternehmensformen den Arbeitnehmern eine
Drittelstärke im Aufsichtsrat zugesprochen worden. Angesichts der Wirtschafts- und
Sozialstruktur des Saarlandes entstand durch die fehlende Montanmitbestimmung ein
deutlicher Mitbestimmungsrückstand gegenüber der Bundesrepublik. Die saarlän-
dischen Sozialdemokraten waren nicht zuletzt deshalb enttäuscht, weil das Gesetz
gegenüber der Betriebsräteverordnung gewisse Nachteile brachte. Während in der alten
Verordnung dem Vertrauensmann in Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern die
Rechte und Pflichten eines Betriebsrates zuerkannt worden waren, sah das neue Gesetz
nur seine Anhörung vor. Ein ganz sensibler Punkt war die wirtschaftliche Mitbestim-
mung. Das Auskunftsrecht in wirtschaftlichen Angelegenheiten lag nicht mehr direkt
beim Betriebsrat, sondern bei einem Wirtschaftsausschuß, dessen Mitglieder zur Hälfte
jeweüs vom Betriebsrat und durch die Arbeitgeber berufen wurden. Vor allem galt das
neue Gesetz durch eine Veränderung des Arbeitnehmerbegriffs nicht mehr für Bahn
und Post, städtische Straßenbahnen, Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke sowie
gemeinnützige Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts.206 Vor diesem
Hintergrund war die Enttäuschung der SPS verständlich, hatte sie doch versucht, mit
diesem Gesetz ihr sozialpolitisches Profil zu stärken.207
Die Bedeutung der Auseinandersetzungen über das Mitbestimmungsgesetz für das
Zerbrechen der Koalition in der zweiten Juliwoche 1954 dürfte eher sekundär gewesen
sein, denn es gibt keine schriftlichen Belege, die das Gegenteil beweisen. Vielmehr
scheinen Differenzen zwischen SPS und CVP über die weitere Saarpolitik eine primäre
Rolle gespielt zu haben, die sich mit unterschiedlichen sozialpolitischen Vorstellungen
vermischten. Sie erklären sich mit einem zunehmend stärkeren Gewicht des CVP-
Wirtschaftsflügels.208 Nach Armin Heinen ließen die wirtschaftlichen Verhältnisse eine
Zusammenarbeit beider Partner nicht mehr zu.209
Der führende CVP-Sozialpolitiker Jakob Feiler bewertet im Rückblick die Rolle des
Betriebsverfassungsgesetzes für den Bruch der Koalition als "Feigenblatt", vielmehr
meint er zum Koalitionsbruch: "Er geht darauf zurück, daß die politischen Vorstel-
lungen über die Rolle der Saar zwischen SPS und CVP immer stärker auseinandergin-
gen. Kirn wünschte sich die Saar als kleines Luxemburg, als eigenes Land, mit der
Bundesrepublik konnte er sich überhaupt nicht identifizieren, er sah in ihr ein Land mit
nationalsozialistischem Erbe. Hoffmann strebte eine Europäisierung der Saar mit
Beibehaltung der Wirtschaftsunion mit Frankreich an. Wir glaubten, daß wir bei einer
206 Siehe Paragraph 5 der Beiriebsräteverordnung vom 1.8.47, in: Abi. 1947, Nr.39 vom 28.8.47.
207 LA SB, Partei- und Verbandsdrucksachen (PVD), Nr.1435.
208 S c h m i d t, Saarpolitik, Bd.3, S.4 f.
209
Armin Heinen, Saarjahre. Politik und Wirtschaft im Saarland 1945-1955, Bd.2, Habilitationsschrift
Universität Saarbrücken 1994, S.463-465.
480
Abstimmung über das Saar-Statut letztlich ohne Koalition mit der SPS bessere Chan-
cen haben würden. Mit dem Betriebsverfassungsgesetz war ich übrigens auch nicht
zufrieden".210
7. Die Funktion der Arbeitskammer
7.1 Arbeitskammer und gewerkschaftliche Qualifizierung
Mit der Bildung der Akademie der Arbeit 1949 und mit dem Aufbau der Arbeits-
kammer211 1952 sollte im Saarland die Infrastruktur der Gewerkschaften gestärkt
werden. Durch den saarländischen Sonderweg waren die saarländische Einheits-
gewerkschaft wie auch die christlichen Gewerkschaften von den Bildungs- und Wis-
senschaftseinrichtungen des DGB abgetrennt, und damit fehlte eine intellektuelle
Infrastruktur. Die Zahl der hauptamtlichen Funktionäre war im Saarland ohnhehin
geringer, und auch die Mitgliedsbeiträge lagen unter vergleichbarem bundesdeutschen
Niveau.212 Angesichts dieser Ausgangssituation fehlten die Voraussetzungen für eine
gezielte und organisierte gewerkschaftliche Schulung im Saarland. Die Akademie der
Arbeit213 und die Arbeitskammer sollten diesen Mißstand überwinden und sozusagen
ein Äquivalent zum Wirtschaftswissenschaftlichen Institut des DGB in Köln, den
DGB-Bundesschulen, der Sozialakademie Dortmund oder der Akademie der Arbeit in
Frankfurt bilden.214 In einer ministeriellen Ausarbeitung zum Arbeitskammergesetz
heißt es dementsprechend:"Im übrigen erscheint für die Gewerkschaftsführung in
Deutschland die Schaffung solcher Kammern vielleicht deshalb nicht so vordringlich,
weil ihr in dem Wirtschaftswissenschaftlichen Institut in Köln eine fachlich und sach-
lich überragende Einrichtung jetzt schon zur Verfügung steht".215 Genau so bewertete
2,0 Interview mit Jakob Feiler am 24.2.1993.
211 Die saarländische Arbeitskammer von 1925 wurde durch Verordnung der Regierungskommission
errichtet und umfaßte sowohl Arbeitnehmer- als auch Arbeitgebervertreter und unterscheidet sich damit
grundlegend von der Kammer von 1951. Die Kammer konnte zu Fragen, die Arbeitnehmer und Arbeigeber
gemeinsam betrafen, Berichte und Gutachten erstellen, z.B. zum Arbeitsschutz, Tarifrecht und
Sozialversicherung. Finanziert wurde sie über den Haushalt der Regierungskommission. Wegen der
paritätischen Mehrheitsverhältnisse zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite wurde die Arbeit der
Kammerbei kontroversen Themen blockiert. Diese Erfahrungen bestimmten auch die Meinungsbildung in
der Verfassungskommission, von einer paritätisch zusammengesetzten Kammer Abstand zu nehmen,
siehe: Jürgen Peter s, Arbeitnehmerkammem in der BRD?, München 1973, S.34 f. Siehe auch: Maria
Z e n n e r, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920-1935, Saarbrücken
1966, S.118, 121-123. Die Akten der Arbeitskammer des Saargebietes von 1925 sind verschollen,
möglicherweise befinden sie sich im Internationalen Arbeitsamtes in Genf.
212 Kotthoff und Ochs, Mitbestimmung, S.42.
213 Bericht über die Erste ordentl. Generalversammlung der GCS 1950 am 17 ./18.6.50, Saarbrücken 1950,
S.53.
214 Horst-Dieter S c h o 11, Die Neugründung christlicher Gewerkschaften in Westdeutschland, Marburg
1960, S. 112-114.
215 LA SB, MifAS, Bd.25, Ausarbeitung über die Arbeitskammer, ohne Datum- und Verfasserangabe.
481
auch der DGB in Düsseldorf die Bildung der saarländischen Arbeitskammer.216 Das
Arbeitskammerpräsidium und die Kammerversammlung betonten die "erstrangige
Bedeutung" der Schulung von Arbeitnehmervertretern und Gewerkschaftsfunktionä-
ren.217
Die Bildungsfunktion von Arbeitskammer und Akademie der Arbeit, die insbesondere
die gewerkschaftliche Kompetenz in Wirtschafts- und Verwaltungsfragen erhöhen
sollte, muß im größeren Kontext der Wirtschaftsdemokratie gesehen werden. Sie steht
auch in Zusammenhang mit den Bemühungen der saarländischen Landesregierung, das
Berufsschulwesen auszubauen und technische Abendschulen zu errichten. Hier zeigt
sich das gesellschaftliche Ziel, der Arbeitnehmerschaft ein höheres Bildungsniveau zu
ermöglichen und damit gleichzeitig eine Voraussetzung für das Funktionieren einer
Wirtschaftsdemokratie zu erfüllen. Hinsichtlich dieser bildungspolitischen Anstrengun-
gen gingen CVP und SPS Hand in Hand, wobei dies auf das Einverständnis der beiden
Minister Kirn und Straus zurückzu führen sein dürfte. Heinrich Küppers hat für das
Berufsschulwesen nachgewiesen, daß der Arbeitsminister im Kabinett jede Initiative
von Kultusminister Straus zugunsten dieses Bildungsbereiches förderte.218 Straus
kannte im übrigen Naphtalis Konzept der Wirtschaftsdemokratie.219 220
Die Einrichtung der Arbeitskammer war auch Verfassungsauftrag, denn in Artikel 58
und 5922u wurde eine soziale Partnerschaftsidee und eine demokratische Wirtschafts-
verfassung proklamiert. Das Arbeitsministerium sah darin die Überzeugung, daß "die
Demokratie nicht mehr allein eine politische Frage der Auslegung durch Parteien und
Interessengruppen, sondern auch eine Frage der politischen, wirtschaftlichen und
persönlichen Freiheit ist (...)", welche die "gleichberechtigte Stellung von Kapital und
Arbeit" anstrebe. Dahinter stand die Überzeugung, daß "eine Demokratisierung des
staatlichen Lebens („.), wie die Vergangenheit gezeigt hat, ohne eine Demokratisierung
der Wirtschaft nicht möglich" ist.221
DGB-Archiv in der Haus-Böckler-Stiftung, Düsseldorf (DGB-Archiv), Bundesvorstand, Abt.
Organisation, 24/5825, Ludwig Rosenberg an Albin Karl vom 19.6.52.
217
LA SB, MifAS, Bd.25, Ausarbeitung über die Arbeitskammei, ohne Datum- und Verfasserangabe
(maschinenschriftlich).
218 Heinrich Küppers. Bildungspolitik im Saarland 1945-1955. Saarbrücken 1984, S.175-178 und
Anm.223.
219 Fritz N a p h t а 1 i, Wirtschaftsdemokratie. Ihr Wesen, Weg und Ziel, Berlin 1931, S.176-179. Straus
besaß dieses Buch. Das Exemplar in der Universitätsbibliothek Saarbrücken dürfte eine Schenkung von
ihm sein, wie seine Namenseintragung in dem Exemplar vermuten läßt.
220
Danach findet die Wirtschaft des Saarlandes ihre öffentlich rechtliche Vertretung jeweils in der
Industrie- und Handelskammer, der Handwerkskammer, der Landwirtschaftskammer und der
Arbeitskammer. Siehe: Verfassung des Saarlandes vom 15.12.47, in; Abi.1947, S.1077 f.
221
LA SB, MifAS, Bd.25, Ausarbeitung über die Arbeitskammer (...).
482
7.2 Arbeitskammer und Mitbestimmung
Die Arbeitskammer des Saarlandes wurde nach der Industrie- und Handelskammer, der
Handwerkskammer und der Landwirtschaftskammer eingerichtet. Dies hängt nicht
zuletzt mit den turbulenten Beratungen über das Arbeitskammergesetz zusammen. Erst
am 30. Juni 1951 wurde es verabschiedet - in der Bundesrepublik gab es lediglich in
Bremen eine vergleichbare Einrichtung.222
Die SPS versuchte während der Gesetzesberatungen im Ausschuß für Sozialpolitik die
Befugnisse der Arbeitskammer wesentlich zu erweitern. Ein Abänderungsantrag der
SPS sah vor223 , der Kammer auch in wirtschaftlichen Fragen Mitgestaltungsrechte zu
gewähren. Vor allem wurde aber ihre Position insofern gestärkt, als Betriebe und
Verwaltungen verpflichtet werden sollten, der Kammer auf Verlangen Auskünfte zu
erteilen. Seitens der Arbeitgeber formierte sich gegen diese Auskunftspflicht massiver
Widerstand. Sie fürchteten, daß die Arbeitskammer auch in Personalakten Einblick
nehmen könnte, obwohl dies im Gesetzentwurf nicht vorgesehen, andererseits aber
auch nicht expressis verbis ausgeschlossen wurde. Mit der Auskunftspflicht erhielt die
Kammer ein Privileg, über das bisher nur das Statistische Amt verfügt hatte. Die
Arbeitskammer sollte auch Bewegung in die verfahrene Mitbestimmungsdiskussion
bringen, indem ihr als Interessenvertretung der Arbeitnehmer Rechte zugestanden
wurden, die bisher bei den Beratungen über die betriebliche Mitbestimmung kontrovers
diskuüert wurden.224 So schlug die SPS vor, die Kammer solle zu wirtschaftspolitischen
Fragen Berichte und Gutachten erstellen. Zum anderen änderten die Sozialdemokraten
den Arbeitnehmerbegriff in ihrem Sinn. Vorstandsmitglieder, gesetzliche Vertreter von
juristischen Personen und leitende Angestellte, denen maßgeblicher Einfluß auf die
Betriebsführung zustand, galten im Sinne des Arbeitskammergesetzes nicht mehr als
Arbeitnehmer.225
Kirn wollte das politische Gewicht der Arbeitskammer erhöhen. Nachdem im April
1951 die SPS die Koalition verlassen hatte, versuchte sie über den sozialpolitischen
Ausschuß ihre Vorstellungen durchzusetzen und sich sozialpolitisch noch stärker als
bisher von den Christdemokraten abzugrenzen. Die SPS hatte diese Änderungen
zwischen der Zweiten und Dritten Lesung des Gesetzes vorgenommen, was Arbeit-
geber und Industrie- und Handelskammer dazu veranlaßten, den Landtagspräsidenten
und den Ministerpräsidenten aufzufordern, die Dritte Lesung des Gesetzes zu ver-
222 Zur Arbeitskammer Bremen und zum besonderen Engagement sozialdemokratischer Politiker zu dieser
Einrichtung siehe: Gerhard Fischer, Entstehung und Entwicklung von Bremischen Kammern als
Körperschaft des öffentlichen Rechts, Diss. Kiel 1974.
223 LTS DS 11/647 (l.WP).
224 LA SB, Staatskanzlei (StK), Nr.1050, Saarländischer Industriellen-Verband an Johannes Hoffmann vom
2.2.51.
225 Ebd., MifAS, Bd.25, Vermerk von Heinrich Welsch vom 17.6.51.
483
schieben226, was auch geschah.227 Die CVP entschärfte in der Zwischenzeit bis zur
Verabschiedung des Gesetzes am 30. Juni 1951 den umstrittenen Paragraphen 19, der
die Auskunftspflicht betraf.228 Die Kammer mußte das Statistische Amt einschalten,
wenn sie Auskünfte betriebsstatistischer Art anfordern wollte; wenn ein Betrieb sich
weigerte, entschied im Streitfall nicht allein der Arbeitsminister, sondern die Regierung
des Saarlandes.229
7.3 Die Arbeitskammer als Instrument einer kontrollierten Arbeitnehmervertretung
Bisher wurde in der Forschung die politische Funktion der Arbeitskammer im Kontext
von Nationalisierung und Politisierung der Gewerkschaften und der Entstehung der
gewerkschaftlichen Oppositionsrolle übersehen. Das Thema Arbeitskammer zur
Hoffmann-Zeit darf nicht auf die überbetriebliche Mitbestimmung reduziert werden.
Dies wird vor allem beim Blick in die französischen Akten deutlich.
'Coiffer les syndicats'
Die Arbeitskammer sollte zu allen Gesetzen, die wirtschaftliche und soziale Angelegen-
heiten wie auch Tariffragen betrafen, gehört werden. Dies bedeutete, daß sie gewerk-
schaftliche Funktionen übernehmen sollte. Die französischen Beamten im Hohen
Kommissariat interpretierten den Entwurf zum Arbeitskammergesetz als einen Ver-
such, die Rolle der Gewerkschaften zu beschneiden und damit auch ihr Ansehen bei
den Arbeitnehmern mit dem Ziel zu reduzieren, die Arbeitskammer zur entscheidenden
Institution zur Repräsentation von Arbeitnehmerinteressen zu machen. Der Conseiller
Juridique benutzte zur Charakterisierung dieser politischen Veränderung das Wort
"coiffer230
Nach seiner Einschätzung bedeutete das Arbeitskammergesetz den Versuch, die
Gewerkschaften unter die Obhut der Kammer zu stellen bzw. damit die Gewerkschaf-
ten zu "frisieren" und, überspitzt formuliert, in Stromlinienform zur SPS zu bringen.
Dabei verwies er kritisch darauf, daß Frankreich sich als Mitglied der Organisation
International du Travail (OIT) zu Freiheit und Schutz von Gewerkschaftsrechten
Ebd., Staatskanzlei-Kabinettsregistratur Arbeitsministerium (StK/KR/MAW) 1951-T1, Max Weber,
Arbeitsgemeinschaft der Arbeitgeberorganisationen des Saarlandes an Johannes Hoffmann vom 18.6.51.
227 LTS, DS 1/110, Niederschrift zur Sitzung vom 20.6.50, S.622.
228
LTA SB, Niederschrift zur Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik vom 25.6.51. Danach konnte die
Kammer keine Auskunftspflicht von Betrieben verlangen, wenn das Auskunftsverlangen gegen das wohl
verstandene Interesse des Betriebes verstieß.
229
Gesetz über die Errichtung einer Arbeitskammer vom 30.6.51, in: Abi. 1951, S.980 f.
230 MAE Nantes, HCS, MJ./Q.S., J I 6, Vermerk von A. Antoine vom 11.11.50."(...) la Chambre
coordonne les intérêts des diverses organisations professionelles des salariés, il semble que cette institution
soit destinée à 'coiffer' les syndicats, dont l'influence serait de ce fait singulièrement diminuée. (...) les
syndicats seront remplacés purement et simplement par l'Arbeitskammer, exception faite sans doute de leur
rôle technique dans la conclusion des conventions collectives.
484
verpflichtet habe. Hinsichtlich des Gesetzentwurfes sei dies besonders bedenklich, da
seit kurzem auch das Saarland der OIT angehöre, das vorgesehene Gesetz aber die
Gewerkschaft in ihrer Freiheit eingrenze.231
Zu einer heftigen Auseinandersetzung führte auch die von Kirn gestaltete Durch-
führungsverordnung zum Arbeitskammergesetz, die interessante politische Ziele
erkennen läßt.232 Er versuchte auf diese Weise, die christlichen Gewerkschaften zurück-
zudrängen und die Einheitsgewerkschaft zu stärken. Entscheidend ist aber, daß mit
seinem Entwurf zum Arbeitskammergesetz ein politischer Prozeß eingeleitet werden
sollte, der bisher wegen der Politisierung und nationalen Agitation der Gewerkschaften
nicht auf den Weg gebracht werden konnte. Über die Arbeitskammer sollten die
Gewerkschaften letztlich zu einem sozialen und politischen Ordnungsfaktor für das
autonome Saarland werden. Zu diesem Zweck versuchte der sozialdemokratische
Arbeitsminister die Kammer an sein Ministerium zu binden, wobei die Durchführungs-
verordnung zum Arbeitskammergesetz vom 30. April 1953 Weichen stellende Bedeu-
tung haben sollte. Der Schlüssel lag in der Dienstaufsicht des Arbeitsministers über die
Kammer. Der Begriff "Dienstaufsicht" war durch Kims Referent Hanno Becker in der
Sitzung des Ausschusses für Sozialpolitik am 23. Mai 1951 mit dem Hinweis auf
gesetzestechnische Gründe ohne Widerstände akzeptiert worden, wobei den Ausschuß-
mitgliedern die Folgen dieser Begriffsänderung damals nicht bewußt gewesen zu sein
scheinen.233 Über diese Konstruktion versuchte Kirn, die Kammer zur SPS-Bastion
aufzubauen. Insbesondere die christlichen Gewerkschaften sahen darin einen Affront,
dem sie sich massiv widersetzten, vor allem nachhdem der Geschäftsführer der Ar-
beitskammer, der christliche Gewerkschaftler Bernhard Weiter, von Kirn entlassen
worden war.234 Die christlichen Gewerkschaften warfen dem Sozialdemokraten vor, die
Arbeitskammer "zu einer nachgeordneten Dienststelle des Arbeitsministeriums’'
degradieren zu wollen, als ein "ihm gefügiges und von ihm leicht zu lenkendes In-
strument".235 Christliche Gewerkschaftler interpretierten dies als Strategie Kirns, den
Einfluß der christlichen Gewerkschaften in der Arbeitskammer zurückzudrängen. So
könne Kirn die Arbeitskammer zur SPS-Bastion ausbauen und "als Basis jedmöglicher
231 Ebd.
232 Durchführungsverordnung vom 30.4.53 zum Arbeitskammergesetz vom 30.6.51, in: Abi.1953, S.298.
233 LA SB, StK, Nr.2355, Gesamtverband der Christi. Gewerkschaften des Saarlandes vom 2.9.53 an
Ministerpräsident Hoffmann.
234 Ebd., Gesamtverband der Christi. Gewerkschaften an Ministerpräsident Hoffmann vom 2.1.54:”Herr
Ministerpräsident! Die Entbindung des Geschäftsführers der Arbeitskammer von seinen Dienstgeschäften
krönt die tendenziösen Machenschaften des Herrn Arbeitsministers, dessen Bemühen seit dem Bestehen
der Arbeitskammer darauf abgestellt war, den Vertreter der christlichen Gewerkschaften kalt zu stellen.
Dieses Vorgehen richtet sich deshalb bewußt gegen die christlichen Gewerkschaften (...) .
235 Ebd., Gesamtverband der Christi. Gewerkschaften des Saarlandes vom 2.9.53 an Ministerpräsident
Hoffmann.
485
Opposition gegen seinen eventuellen Nachfolger im Amt" nutzen.236 Juristisch war
Kims Dienstaufsicht über die Arbeitskammer vor allem deshalb problematisch, weil sie
als öffentlich rechtliche Körperschaft sich selbst verwalten und nur der mittelbaren
Staatsaufsicht unterstehen konnte. Kirn versuchte durch die von ihm ausgeübte
"Dienstaufsicht" aber ein UnterordnungsVerhältnis herzustellen. Zunächst einmal hatte
der Arbeitsminister zur Wahrnehmung der Arbeitskammergeschäfte einen Verwal-
tungsbeirat geschaffen. Außerdem verpflichtete er die Kammer, die laufenden Ge-
schäfte durch Angestellte wahrnehmen zu lassen. Ihre Einstellung, Entlassung und
Eingruppierung erforderte die Genehmigung des Arbeitsministeriums.237
Auf diesem Weg eröffnete sich die Perspektive einer kontrollierten und disziplinierten
Arbeitnehmerinteressenvertretung. Wenn die Kammer nun zu Gesetzen und Lohn-
fragen Stellung nahm oder zu einem Gutachten aufgefordert wurde, bedeutete dies
einerseits, daß sie Kirns Politik stützen sollte und andererseits, daß die Gewerkschaften
nicht mehr so viele Möglichkeiten zur Polemisierung wie bisher hatten. So heißt es in
einer ministeriellen Vorlage zur Arbeitskammer, daß die Einschaltung der Kammer
"viel zur Koordinierung und Abglättung mancher Anträge und Forderungen beitragen"
könne, denn bisher habe mancher Antrag "einen agitatorischen Beigeschmack"
gehabt.238 Dabei dachte der Arbeitsminister nicht daran, die Gewerkschaften durch die
Arbeitskammer zu ersetzen, sondern vor allem die unbequeme Gewerkschaftsspitze des
I.V. Bergbau durch die Referenten der Arbeitskammer, Angestellte und Beamte, die
nur mit Zustimmung des Ministers berufen werden konnten, zurückzudrängen, denn
sie sollten zunehmend Interessen der Gewerkschaftsbasis artikulieren:"Mit anderen
Worten: wenn (...) sachverständige Referenten zur Verfügung stehen, die frei von jeder
agitatorischen Notwendigkeit die gegebenen Möglichkeiten sachlich einschätzen
können, dann wird auch bei deren Forderungen und Wünschen eine realere und nüch-
terne Schau Platz greifen".239 Die Arbeitskammer als Instrument zur organisierten und
geschulten gewerkschaftlichen Interessenvertretung mit dem Ziel, sie zu einem sozial
und wirtschaftlich mitbestimmenden Ordnungsfaktor zu machen, deutet sich auch in
der Aussage an: "Es bedarf keiner Begründung, daß es weder im Interesse des Staates
noch der Wirtschaft liegt, an Stelle organisierter Gewerkschaften einen nihilistischen
Haufen Unorganisierter zu haben, der das allzuleichte Opfer kommunistischer Agitato-
ren werden würde. Die Beispiele in Frankreich beweisen dies zur Genüge. Darin liegt
auch die tiefere Ursache für die Kampfstellung der Kommunisten gegen die Arbeits-
Ebd.
237
LA SB, MifAS, Bd.25, Arbeitskammer des Saarlandes an Minister für Arbeit und Wohlfahrt vom
29.6.53. Ebd., Rechtsgutachten von Justizrat Dr. Heim über Durchführungsverordnung zum
Arbeitskammergesetz.
238
Ebd., Ausarbeitung über die Arbeitskammer (...).
239 UkJ
Ebd.
486
kammer.”240 Auch die Aussage Heinrich Wackers bei der Verabschiedung des Gesetzes
im Landtag unterstreicht diesen Befund, wenn er in ihr ein Instrument zur Gleichbe-
rechtigung der Arbeitnehmer im modernen Staat sieht und sie mit der Wiederauf-
bauleistung der Arbeitnehmer nach dem Zweiten Weltkrieg legitimiert.241 Letztlich
scheiterte Kirns Strategie. Auch in der Arbeitskammer gewannen pro-deutsche Kräfte
zunehmend an Einfluß. Beispielhaft dafür ist das Engagement der Kammer für eine
Rückgabe der Völklinger Hütte an die Familie Röchling im Oktober 1954.242 Die
gewerkschaftliche Opposition war bereits viel zu stark, die Verankerung der SPS auf
Betriebsebene viel zu schwach, und auch die von Kirn selbst provozierte Ausein-
andersetzung mit den christlichen Gewerkschaften wenig sinnvoll, da in ihren Reihen,
man denke an Hans Ruffing, zahlreiche eher regierungskonforme Kräfte zu finden
waren. Diesen Weg wollte er aber nicht gehen, sah Kirn doch die Kammer auch als
Instrument zur Stabilisierung sozialdemokratischen Einflusses und dies schloß eine
engere Kooperation mit pro-autonomistisch ausgerichteten christlichen Gewerkschaft-
lern auf Kammerebene aus.
Nach der Rückgliederung in die Bundesrepublik konnte die Arbeitskammer erhalten
werden, u. a. wurde die Wahlordnung mehrfach geändert und auch der Tätigkeits-
bereich der Kammer durch die Einbeziehung kultureller Aufgaben ausgebaut.243
240 CVJ
Ebd.
241 LTS, DS 1/11, Niederschrift zur Sitzung vom 30.6.51, S.649.
242 Kotthoff und Ochs, Mitbestimmung, S. 42.
243 Zu den Änderungen im Kontext des Beitrittes des Saarlandes zur Bundesrepublik, siehe: Abi. 1956,
S.434 und 966 f sowie Abi. 1960, S.879 f. Die Einbeziehung kultureller Aufgaben wurde im
Arbeitskammergesetz vom 5.7.67 geregelt, Abi. 1967, S.635. Siehe: Peters, Arbeitnehmerkammem,
S.36f.
487
Vili. Ergebnisse
Die Geschichte des Saarlandes zwischen 1945 und 1955 kann nur hinreichend gewür-
digt werden, wenn die Sozialpolitik dieser Zeit berücksichtigt wird, die durch die
autonomistische Sozialdemokratie mit ihrem Vorsitzenden und langjährigen Minister
für Arbeit und Wohlfahrt Richard Kirn geprägt wurde.
Die Sozialpolitik nahm im Saarland angesichts der sozialen Probleme der Nachkriegs-
zeit wie generell in Europa einen hohen Stellenwert ein. Wegen der Sondersituation des
Landes wurde sie aber zu einem Politikum ersten Ranges. Die autonomistischen
Parteien CVP und SPS versuchten in der Sozialpolitik von Anfang an ein Maximum
ihrer politischen Vorstellungen gegenüber dem französischen Wirtschaftspartner
durchzusetzen und orientierten sich an bewährten Traditionen der deutschen Sozial-
politik, gleichwohl nahmen sie Neuordnungsvorstellungen des französischen Partners
auf, soweit sie eigenen Reformzielen entsprachen.
Die autonomistischen Parteien beanspruchten auf dem Feld der Sozialpolitik einen
besonders großen politischen Spielraum zur Kompensation fehlender wirtschafts-
politischer Kompetenzen. Die Bewahrung eines sozialpolitischen Spielraumes bewirkte
einerseits, daß im Saarland eine sozialpolitische Assimilation an Frankreich unterblieb
und damit gleichzeitig eigene saarländische Organisationsstrukturen und damit eine
sozialpolitische Autonomie erhalten blieb. Im Kontext dieser Entwicklung stand die
Trennung von Sozial- und Wirtschaftspolitik. Die Saarparteien spielten den sozial-
politischen Part, während die Wirtschaftspolitik wesentlich stärker durch Frankreich
geprägt wurde. Die Vorgänge um die Beratungen zum Saarknappschaftsgesetz vom 11.
Juli 1951 zeigen, daß CVP und SPS immer weniger bereit waren, auf die Zwänge der
Wirtschaftsunion Rücksicht zu nehmen und versuchten, über eine sozialpolitische
Emanzipation als Schrittmacher zu größerer wirtschaftspolitischer Unabhängigkeit zu
kommen. Die fortschrittlichen Selbstverwaltungsregelungen, die Abkopplung von der
französischen Plafondhöhe und die Absage an eine breite Rentennivellierung markie-
ren diese Tendenz.
Sozialpolitik diente dazu, gegenüber Frankreich Selbstbewußtsein zu demonstrieren
und langfristig größeren Einfluß in der Wirtschaftspolitik zu gewinnen. Gleichzeitig
fungierte die Sozialpolitik nach innen als Instrument zur Legitimierung einer autono-
men Saar. Der soziale Leistungsvorsprung gegenüber der Bundesrepublik wurde zum
Markenzeichen des Saarlandes erhoben und es wurde suggeriert, daß er mit der Auto-
nomie stehen und fallen würde. Auf Kriegsopfer- und Wahlkampfveranstaltungen
wurde dies ebenso deutlich wie auch in den immer wieder stolz veröffentlichten
Untersuchungen des Internationalen Arbeitsamtes in Genf.
Auch die französische Seite sah in einem hohen sozialen Leistungsstandard ein In-
strument zur politischen Stabilisierung einer von Deutschland separierten Saar, so
488
sprach Grandval als Hoher Kommissar hinsichtlich des Saarlandes von einer ’’Oase"
des sozialen Fortschritts. Hier zeigt sich die Strategie, über die Sozialpolitik französi-
schen Einfluß an der Saar zu sichern. Eine Politik, die sich auch in der französischen
Besatzungszone nachweisen läßt. Zwischen den Ländern der französischen Zone fallen
Differenzen hinsichtlich der sozialpolitischen Standards auf, die mit gesamtpolitischen
Interessen korrelieren. Das sozialpolitische Niveau war dort am höchsten, wo die
französische Seite an einer langfristigen Einflußnahme interessiert war.1
Die Identifikaüon mit einem Sozialstaat Saar sollte nationale Identifikationsmuster etwa
in dem Sinne, als Saarländer zu Deutschland zu gehören, verdrängen. Deshalb wurde
die Sozialpolitik wie ein Maßanzug auf die Sozialstruktur des Landes zugeschnitten.
Die Arbeitslosenversicherung wurde wieder aufgebaut und auf den im Saarland so
dominierenden Bergbau ausgedehnt, innerhalb der Rentenversicherung wurden die
Bestimmungen für Arbeiter und Angestellte auf hohem Niveau egalisiert, Frührentner
wurden durch die staatliche Sozialrentnerhilfe abgesichert. In der Rentenpolitik wurde
weitgehend am Prinzip der Beitragsbiographie festgehalten. Diese Politik entsprach den
Bedürfnissen einer Gesellschaft mit hohem Arbeitnehmeranteil mit mittlerem Ein-
kommensniveau, man denke an die relativ gutverdienenden Bergleute. Zum anderen
wurde gezielt den für Frauen ungünstigen Arbeitsmarktbedingungen einer schwer-
industriell geprägten Region Rechnung getragen, indem insbesondere junge arbeits-
fähige Witwen in den Genuß relativ hoher Renten kommen konnten. Im Vergleich zur
Bundesrepublik wurde eine relativ großzügige Kriegsopferversorgung auf den Weg
gebracht, um so von vornherein zu verhindern, daß diese Gruppe, etwa 10 Prozent der
Gesamtbevölkerung (wobei die von ihnen finanziell abhängigen Familienmitglieder
nicht inbegriffen sind), in Opposition zur autonomen Saar treten könnte. Auch die
Familienzulagen paßten zur saarländischen Sozialstruktur. Begünstigt wurde der hohe
soziale Leistungsstandard einerseits durch die Strategie, die Sozialpolitik zur Stabilisie-
rung einer autonomen Saar zu instrumentalisieren sowie durch die im Vergleich zur
Bundesrepublik ungleich günstigeren Rahmenbedingungen. Die Saar wurde nicht mit
der gesellschaftlichen Aufgabe konfrontiert, Millionen von Vertriebenen integrieren zu
müssen, zudem setzte der wirtschaftliche Wiederaufbau und der damit verbundene
Aufschwung früher ein.
Die kollektive Erinnerung an die günstigen Sozialleistungen der Hoffmann-Zeit stellt
keine Verzerrung der tatsächlichen Verhältnisse dar, sondern erklärt sich daraus, daß
die Sozialleistungen wie ein Maßanzug auf die Sozialstruktur abgestimmt wurden. In
der kollektiven Erinnerung geht allerdings unter, daß die Interessen von Minderheiten,
man denke an die Kriegs- und Zivilblinden sowie die Hirn verletzten, unter der Sonder-
situation des Saarlandes eher litten.
1 Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung
1945-1953, Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik,
Mainz 1988, S.551.
489
Auch wenn den Saarländern bewußt war, durch die Abtrennung von der Bundesre-
publikeinen "sozialen Besitzstand" erworben zu haben, so konnte er dennoch wie das
Ergebnis des Referendums zeigt, nationale Identifikationsmuster nicht verdrängen.
Eine Rolle dürfte dabei auch gespielt haben, daß trotz hoher sozialer Leistungen weite
Teile der Gewerkschaften, insbesondere der wichtigste Industrieverband, der I.V.
Bergbau, das Konzept einer von Deutschland abgetrennten Saar nicht unterstützten.
Die insbesondere vor dem Referendum immer imposanter erscheinende Wirtschafts-
macht Bundesrepublik Deutschland mit ihrer starken Deutschen Mark, ihrem besseren
Warenangebot und ihren enormen Exporterfolgen beeindruckten zweifellos viele
Saarländer. Die autonomistischen Parteien gingen hier jedoch in die Offensive, indem
sie die günstigeren saarländischen Sozialleistungen herausstellten. Die Gegner des
Statuts argumentierten in dieser Frage aus der Defensive heraus und reagierten auf die
sozialpolitische Propaganda von CVP und SPS mit dem Hinweis auf die stärkere
Wirtschaftskraft Deutschlands, primär appellierten sie aber an das Gefühl, zu Deutsch-
land gehören zu wollen. Wirtschaftliche Überlegungen traten auf Seiten der pro-
deutschen Kräfte eher selten in den Mittelpunkt ihrer Argumentation.
Der von Anfang an beachtliche kommunistische Einfluß vor Ort in den Betrieben und
im wichtigsten Industrieverband schuf eine Plattform für eine pro-deutsche Agitation,
die im weiteren Verlauf durch andere pro-deutsche Kräfte aus allen politischen Lagern
an Dynamik gewann und wesentlich dazu beitrug, daß die Gewerkschaften trotz des
hohen sozialen Leistungsstandards zunehmend von Oppositionskräften beherrscht
wurden. Begünstigt wurde dieser Prozeß dadurch, daß sie etwa im Gegensatz zur
Bundesrepublik nicht zu sozialpolitischen Ordnungsfaktoren werden konnten - ange-
sichts der Vielzahl von Hütten- und Bergarbeitern eine Entwicklung von außerordentli-
cher Brisanz. Die Gewerkschaften standen im Saarland vor einer Legitimitätsfrage, die
langfristig ihre Existenz tangierte. Welche Rolle sollten sie spielen, wenn ihre Funktion
als Tarifvertragspartner eingeschränkt und ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten relativ
gering waren und andererseits die staatliche Sozialpolitik soziale Leistungsfortschritte
auf den Weg brachte? Diese Situation förderte das Hineinschlüpfen in die Rolle der
nationalen Opposition. Letztlich waren es Unterschiede in der sozialgeschichtlichen
Tradition und divergierende Mentalitäten, die national überformt wurden. Soziokultu-
relle Divergenzen zwischen Frankreich und Deutschland wurden im Arbeitsalltag auf
den Saargruben für die Menschen erfahrbar, hier sind z.B. die Gedingekontrolle und
die restriktive Haltung der französischen Regie auch gegenüber den autonomistisch
ausgerichteten Gewerkschaftskreisen zu nennen. Solche Erfahrungen festigten na-
tionale Denkmuster, weil sie als französisches Machtstreben wahrgenommen und von
der oppositionellen Propaganda instrumentalisiert wurden - etwa in dem Sinn, die Saar
sei eine "Kolonie Frankreichs" und die Saarländer die "Neger" der Franzosen.2
2 Heribert P iontkowitz, Anfänge westdeutscher Außenpolitik 1946-1949. Das Deutsche Büro für
Friedensfragen, Stuttgart 1978, S.160.
490
Bestätigt wurden diese Wahrnehmungen durch die bisherige Erfahrungswelt. Zu den
prägenden Erlebnissen der Gewerkschaftler und Bergleute mit französischen Gruben-
verwaltungen gehörte der hunderttägige Bergarbeiterstreik von 1923. Er entstand nicht
aus einer primär sozialpolitischen Eskalation, sondern durch eine massive nationale
Überlagerung eines tarifpolitischen Konfliktes, der von den Arbeitern auch nicht als
Gegensatz zwischen Kapital und Proletariat begriffen wurde, sondern als eine Macht-
probe zwischen Saarländern und französischen Interessen.
Daran knüpfte der Leiter des Saarreferates im Auswärtigen Amt Dr. Gustav Strohm an.
Die Saarkumpel sollten als Exponenten einer Rückkehr des Saarlandes zur Bundesre-
publik wirken, in dieser Strategie wurde er durch seine Kenntnisse noch aus der Zeit
vor 1935 als stellvertretender Leiter des Saarreferates im Auswärtigen Amt geprägt.
Strohm verwies intern auf die Bedeutung des Bergarbeiterstreiks von 1923. Er setzte
auf eine nationale Lösung der Saarfrage und instrumentalisierte dazu auch die Mit-
bestimmungsfrage. Das glanzvolle Vorzeigebild des Sozialstaates Saar sollte auf diese
Weise unübersehbare Kratzer bekommen. Spannungen zwischen Gewerkschaften und
Hoffmann-Regierung sowie zur französischen Régie und zum französischen Wirt-
schaftspartner sollten, wo es nur möglich war, so verschärft werden, daß die Gewerk-
schaften in die Rolle der Opposition treten sollten und mit ihnen die Mehrzahl der
Arbeitnehmer, die zugleich auch die Mehrheit der Bevölkerung repräsentierten. Den
Gewerkschaften wie allen Arbeitnehmern sollte vermittelt werden, daß die Wirtschafts-
union ihnen eine fortschrittliche Tarifvertrags- und Mitbestimmungspolitik verwehre.
Diese Taktik war zweifellos geschickt, da der wirtschaftliche Aufschwung der Bundes-
republik langfristig den Vorsprung des Saarlandes in der Höhe sozialer Leistungen
kompensieren würde und damit gleichzeitig die Defizite hinsichtlich gewerkschaftli-
cher Mitgestaltungsmöglichkeiten immer spürbarer würden.
Gleichzeitig formierte sich die oppositionelle Sozialdemokratie auf Betriebs- und
Gewerkschaftsebene. Kurt Conrad nutzte damit die Defizite der SPS in diesem Bereich
aus. Die SPS war mehr eine protestantische Mittelstands- als eine Arbeiterpartei. Ihre
Hochburgen lagen in der Beamten- und Angestelltenmetropole Saarbrücken und in
Ottweiler. In den zahlreichen saarländischen Bergmannsdörfern dominierte die CVP
mit teilweise bis zu 75 Prozent der Stimmen, während die SPS hier unter Landesdurch-
schnitt lag, die KP aber überdurchschnittliche Resultate verbuchen konnte. Auch in den
Hüttenzentren war bis auf Neunkirchen die SPS kein starker politischer Faktor. Conrad
bemühte sich darum, über eine Intensivierung der Kontakte zu bundesdeutschen
Stellen wie SPD und DGB sowie Kaiser-Ministerium, die Opposition zu stabilisieren
und ihr langfristig zusätzliche Dynamik zu verleihen. Er suchte nach der Absetzung
von Paul Kutsch die Kooperation mit oppositionellen Gewerkschaftskräften und schuf
die finanziellen Voraussetzungen bzw. die Infrastruktur für eine intensivierte Opposi-
tionsarbeit, indem er das Kaiser-Ministerium zu finanziellen Hilfen veranlassen konnte.
So förderte das gesamtdeutsche Ministerium die oppositionelle Sozialdemokratie
stärker als die CDU-Saar.
491
Auch den DGB bat er um Unterstützung, die ihm zwar vom Bundesvorstand zunächst
verwehrt, durch regionale Gewerkschaftseliten jedoch zuteil wurde. Ausschlaggebend
hierfür waren unterschiedliche Perspektiven. Der DGB-Bundesvorstand fürchtete um
den Gewerkschaftsgedanken im Saarland, der ohnehin durch die bestehenden christli-
chen Gewerkschaften belastet worden war. Von entscheidendem Gewicht dürften aber
Irritationen gewesen sein. Bundesvorstandsmitglied Albin Karl war es aus seiner
Lebenserfahrung als Opfer des Nationalsozialismus und Gewerkschaftler unver-
ständlich, wie die saarländischen Kollegen mit einem Mann wie Dr. Heinrich Schneider
Zusammenarbeiten und sogar seine Dienste als Rechtsanwalt in Anspruch nehmen
konnten. Für den rheinland-pfälzischen Gewerkschaftsführer Adolf Ludwig, der sich
in den zwanziger Jahren gegen die von Frankreich unterstützten Separationsbestrebun-
gen in der Pfalz und im Rheinland engagiert hatte, lag es dagegen auf der Hand, die
Arbeit der oppositionellen Gewerkschaftler im Saarland zu unterstützten, zumal er mit
Kurt Conrad freundschaftlich verbunden gewesen sein soll.
Die Rolle der pro-deutschen Sozialdemokratie für die Oppositionsarbeit scheint in der
bisherigen Forschung wie in der kollektiven Erinnerung untergegangen zu sein bzw.
im Schatten des rhetorisch versierten und charismatischen Heinrich Schneiders gestan-
den zu haben. Nicht zuletzt deshalb beklagt Norbert Engel - in der pro-deutschen
Sozialdemokratie und im Industrieverband Metall aktiv:"Wir Sozialdemokraten waren
die 'Arbeitstiere', die sich der Gefahr der illegalen Oppositionsarbeit aussetzten."3
Die Beschäftigung mit saarländischer Sozialpolitik sollte auch dazu dienen, an diesem
Politikausschnitt Erkenntnisse über die Entscheidungsstrukturen zu gewinnen. Die
Analyse der politischen Entscheidungsfindung deckt auf, daß Vorstellungen,
Saarpolitiker seien "Diener", "Französlinge", "Marionetten" oder "Erfüllungsgehilfen
der Franzosen" gewesen, für die Sozialpolitik nicht zutreffen. Vielmehr zeigen sich
transnationale bzw. grenzüberschreitende Koalitionen mit wechselnden Partnern. Dies
läßt sich an einer Vielzahl von Beispielen nachweisen.
Das Interesse der christlichen Gewerkschaften Frankreichs an einer weltweiten Stär-
kung des christlichen Gewerkschaftsgedankens und Bidaults Antikommunismus
verwoben sich mit den Bedürfnissen christlicher Gewerkschaftler im Saarland, bei der
Vertretung von Arbeitnehmerinteressen christlichen Positionen ein stärkeres Gewicht
zu verleihen und deshalb christliche Gewerkschaften zu gründen. In diesem Bestreben
wurden sie durch christliche Gewerkschaftler aus dem Elsaß und Pierre-Marie Koenig
unterstützt, während sich die Einheitsgewerkschaft, die SPS, Gilbert Grandval und
Emile Laffon vergeblich dagegenstellten.
3 Interview mit Norbert Engel am 26.8.1994.
492
Hinsichtlich staatlicher Zuschüsse zur Sozialversicherung erhielten die Saarparteien
CVP und SPS erfolgreich von der französischen Régie gegen Grandval und die Pariser
Administration Rückendeckung. Die Erhaltung der Arbeitslosenversicherung und ihre
Ausdehnung auf den Bergbau setzten aber Grandval, die Gewerkschaften und die
Saarregierung gegen die Régie, die diesmal von den Pariser Ministerien unterstützt
wurde, durch. Genauso verhielt es sich hinsichtlich der Feiertagsregelung. Die saarlän-
dischen Zahnärzte wurden in ihrem Widerstand gegen die Kopfpauschale als Honorie-
rungsmodus der gesetzlichen Krankenversicherung durch ihre französischen Stan-
deskollegen des benachbarten Départements Moselle in ihrer Forderung nach Ein-
führung des französischen Honorierungssystems unterstützt.
Diese transnationalen Koalitionen unterstreichen, daß es auf französischer Seite kein
schlüssiges Saarkonzept gegeben hat. Wenn man die französischen Entscheidungs-
träger differenziert, so fällt das starke politische Gewicht Grandvals auf, dessen Mei-
nung für die Position des Quai d'Orsay von entscheidender Bedeutung war, abzulesen
daran, daß abweichende Positionen der Pariser Ministerien sich kaum durchzusetzen
vermochten. Die in der Saarwirtschaft in Verantwortung stehenden französischen
Unternehmer entwickelten in Fragen des Verhältnisses zwischen Arbeitnehmern und
Arbeitgebern einen erheblichen Druck auf die französischen Funktionsträger in der
Politik. Sie veranlaßten Grandval mit ihren Klagen über die Betriebsräteverordnung
vom 1. August 1947, sich gegen eine fortschrittlichere Politik in Mitbestimmungs-
fragen zu stellen, wie sie von der SPS und den Gewerkschaften gefordert wurde. Ihre
Bedenken wurden auch vom Arbeitgeberflügel der CVP geteilt, der sich andererseits
aber saarpoliüsch tendenziell ab 1952 immer stärker an der Bundesrepublik orientierte.
Für die Hoffmann-Zeit markieren die Wiedereinführung und der Ausbau einer Arbeits-
losenversicherung, das Festhalten am Finanzierungsmodell der deutschen Renten-
versicherung wie am Beitragsprinzip das Weiterbestehen deutscher sozialpolitischer
Traditionen. Begünstigt wurde dieser Prozeß dadurch, daß während der Völkerbunds-
zeit die saarländischen Politiker die deutsche Sozialversicherung und ihre Weiter-
entwicklung in der Weimarer Republik wie auch das Weimarer Betriebsrätegesetz als
vorbildlich erachteten. Das Festhalten an deutschen Traditionen führte aber nicht zu
einer erstarrten Sozialpolitik ohne neue Ideen und Impulse oder zu einer Abschottung
gegenüber Frankreich. Gerade in den Bereichen, in denen die deutsche Sozialpolitik
durch das NS-Erbe belastet war und auch nicht auf Traditionen zurückblicken konnte,
war die saarländische Seite offen für die französische Sozialpolitik, wie die Familien-
zulagen zeigen. Andererseits konnte das Saarland seine familienpolitische Sonder-
entwicklung nach 1955 weder bewahren noch die bundesdeutsche Sozialpolitik nach-
haltig beeinflussen. Das Beispiel der Familienzulagen zeigt, daß sozialpolitische
Leistungsvorsprünge und Sonderentwicklungen nicht als Impuls auf die Bundesre-
publikwirken konnten, weil sich die Wirtschaftslobby sowohl gegen ein Weiterbeste-
hen von besonderen Leistungen wie auch ihren Transfer wehrte, obwohl die bundes-
493
deutsche Diskussion um den Familienlastenausgleich durch die saarländischen Fa-
milienzulagen beeinflußt worden war und Bundesfamilienminister Wuermeling sowie
kirchliche Verbände und Familienorganisationen sich für einen Transfer stark gemacht
hatten. Dazu kommt aber, daß im sozialpolitischen Bereich der Bund eine Föderalisie-
rung der Familienpoliük befürchtete. Dies erklärt auch, warum andererseits im Bereich
der Bildungspolitik hinsichtlich der Fremdsprachen zumindest in geringem Umfang
Sonderentwicklungen erhalten blieben.4
Im Vergleich zur französischen Besatzungszone zeigt sich, daß die innerfranzösische
Entwicklung die saarländische Sozialpolitik wesentlich stärker beeinflußt hat. Die
zurückhaltende Position Grandvals gegenüber Kims Selbstverwaltungsvorstoß im
Herbst 1947 scheint in Zusammenhang mit der wachsenden Politisierung bei den
Sozialwahlen der Familienzulagenkasse in Frankreich zu stehen. Die defizitäre Ent-
wicklung der französischen Krankenversicherung, die insbesondere zu Beginn der
fünfziger Jahre weiter kräftig gewachsen war, ließ die Régie und auch das Hohe
Kommissariat in der Selbstverwaltungsfrage weiterhin zurückhaltend sein. So verhin-
derte die Régie die von der saarländischen Seite angestrebte Zwei-Drittel-Mehrheit für
die Arbeitnehmer in den Selbstverwaltungsorganen der Unfallversicherung bzw. der
Bergbaulichen Berufsgenossenschaft, obwohl in Rheinland-Pfalz die französische Seite
eine so fortschrittliche Regelung unterstützte und es die CDU war, die sie schließlich
zum Scheitern brachte. Natürlich spielen hier die Rahmenbedingungen eine erklärende
Rolle. Die sozialpolitische Position der Franzosen im Saarland war wesentlich stärker
von wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt, während für die französische Besat-
zungszone gesellschaftspolitische Intentionen im Rahmen einer Demokratisierungs-
politik eine stärkere Rolle spielten. Dies erklärt auch die Unterschiede in der Mit-
bestimmungspolitik. Die innerfranzösischen Ereignisse nach dem Bruch der tripar-
tistischen Koalition aus S.F.I.O., M.R.P. und P.C.F. und die bis in die fünfziger Jahre
dauernden Streikwellen steigerten die Angst vor einem Ausbau der Mitbestimmung,
nicht zuletzt wegen der intensiven kommunistischen Agitation auf Betriebs- und
Gewerkschaftsebene im Saarland.
Ein weiteres Beispiel für den höheren Stellenwert innerfranzösischer Entwicklungen ist
die Absage der französischen Funktionsträger an das französische Honorierungssystem
in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies hatte sich nämlich in Frankreich nicht
bewährt.
Gerade die Beschäftigung mit der Rolle der Gewerkschaften und der oppositionellen
Sozialdemokratie hat auch gezeigt, daß die Geschichte der Jahre 1945 bis 1955 im
Saarland in ihrer Breite nach dem Ansatz Ludwig Linsmayers unter der Fragestellung
4 Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, Saarbrücken 1984, S. 267.
494
der politischen Kultur analysiert werden sollte.5 Dabei scheinen sich gewisse Kontinui-
täten zur Völkerbundszeit anzudeuten, etwa das Denken in kompromißlosen Gegen-
satzpositionen und eine nationale Grundhaltung. Andererseits zeigen aber die trans-
nationalen Koalitionen - etwa bei den ärztlichen Standesvertretern und vor allem bei
den christlichen Gewerkschaftlern - , daß in der Hoffmann-Zeit neue Denkmuster
aufkommen, die zu einem Teil europäisches Denken konstituieren.
Wenn im Saarland der neunziger Jahre europäisches Denken in der Gesellschaft weit
stärker intemalisiert zu sein scheint als in anderen Regionen - auch Grenzregionen - der
Bundesrepublik, dann ist die kulturgeschichtliche Wirkung der Hoffmann-Zeit zu
thematisieren, denn gerade sie unterscheidet das Saarland von anderen Bundesländern.
Dies ist Stoff für eine spezielle Studie. In der Hoffmann-Zeit ist sowohl bei den Geg-
nern wie bei den Befürwortern der Abtrennung des Saarlandes von Deutschland, der
Blick über die Grenzen, das Vergleichen deutscher und französischer Waren, Lebensart
und Politik zu beobachten, die bis in die Gegenwart hineinreicht. Diese Mentalität
prägte die Identität dieser Region.
5 Ludwig Linsmayer, Politische Kultur im Saargebiet 1920-1932. Symbolische Politik, verhinderte
Demokratisierung, nationalisiertes Kulturleben in einer abgetrennten Region, St. Ingbert 1992.
495
BIOGRAPHISCHER ANHANG:
Nachfolgend sind biographische Daten zu einigen Persönlichkeiten, die sich in der
saarländischen Sozialpolitik und der Gewerkschaftsarbeit hervorgetan haben, zu-
sammengestellt. Bewußt wurde verzichtet auf Angaben über Männer und Frauen, deren
Lebensläufe schon an anderer Stelle publiziert sind.1 Die unterschiedliche Ausführlich-
keit erklärt sich aus der Quellenlage. Archive der Parteien und Verbände, in denen die
meisten Biographierten tätig waren, sind, wie schon in der Einleitung angesprochen,
nicht vorhanden. Einblick in Personalakten der in der Landesverwaltung und der
Landesversicherungsanstalt Beschäftigten war nicht möglich. Einschlägige Daten
konnten der Literatur2 und einzelnen Archivbeständen entnommen werden.3
AMMANN, Karl
*16. August 1890 in St. Ingbert. Nach dem Besuch der Grundschule fuhr er als Berg-
mann ein, ab 1923 leitete er als Gewerkschaftssekretär des Verbandes Deutscher
Bergarbeiter/Bezirk Saar (BAV) die Geschäftsstellen Pfalz und Sulzbach, von daher
dürfte er Richard Kirn gut gekannt haben, der 1928 dort Bezirksleiter wurde. Von 1925
bis zum 1. März 1935 war er Leiter der Rechts- und Sozialabteilung des BAV. Wäh-
rend dieser Zeit besuchte er die Wirtschafts- und Verwaltungsfachschule in Düsseldorf.
In der NS-Zeitin Saarbrücken betrieb er freiberuflich bis 1941 das Beethovencafe, wo
die Möglichkeit der Pflege latenter Kontakte von Sozialdemokraten bestand. Minde-
1 Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, Saarbrücken 1984; Klaus-Michael
M a 1 1 m a n n und Gerhard Paul, Das zersplitterte Nein, Bonn 1989, Karl August Schleiden,
Johannes Hoffmann (1890-1967), in: Peter Neumann (Hrsg.) Saarländische Lebensbilder Bd. 4, Saar-
brücken 1984, S. 251-276; Brigitte S t e i n 1 e, Johannes Hoffmann - Ein Leben, 1990
2 Hanns Klein, Kurzbiograhien der Bürgermeister (Alt-)Saarbrückens, St. Johanns, Malstatt-Burbachs
und der Großstadt Saarbrücken, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend XIX/1971, S. 510 f.; Emst
Kunkel, Dokumente und Erinnerungen, Dudweiler 1980; Klaus-Michael Mall mann und Horst
S t e f f e n s, Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an der Saar, München 1989; Hans-Holger
Paul, Inventar zu den Nachlässen der deutschen Arbeiterbewegung. Für die zehn westdeutschen Länder
und West-Berlin, München u.a.O.1993. Heribert P i o n t k o- w i t z, Anfänge westdeutscher Außenpolitik
1946-1949. Das Deutsche Büro für Friedensfragen, Stuttgart 1978. Robert H. S c h m i d t, Saarpolitik, 3
Bde, Berlin 1959-1962; Dieter Marc Schneider, Saarpolitik und Exil 1933-1955, in: Vierteljahreshefte
für Zeitgeschichte 4/1977 S. 467-545; Heinrich Schneider, Das Wunder an der Saar. Ein Erfolg
politischer Gemeinsamkeit, Stuttgart 1974; 40 Jahre Landtag des Saarlandes, hrsg. vom Präsidenten des
Landtages des Saarlandes, Redaktion Michael Sander- Thomas Schäfer, Saarbrücken 1987;
Biographisches Wörterbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Band I: Politik, Wirtschaft,
Öffentliches Leben, Leitung und Bearbeitung Werner Röder- Herbert A. S t r a u s s, München u.a.O.
1980; Klaus Michael M a 1 1 m a n n und Gerhard Paul, Milieus und Widerstand. Eine Verhaltens-
geschichte der Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bonn 1995; Gerhard Paul, Ungehorsame Soldaten.
Dissens, Verweigerung und Widerstand deutscher Soldaten (1939-1945), St. Ingbert 1994.
3 Landesarchiv Saarbrücken, Landesentschädigungamt (LEA), Nr.1979, 2163, 2514, 2945, 3048, 3084,
3332, 5329, 5615, 6920, 7679, 7996, 8561, 8762, 9080, 9571, 9824, 9954, 10.065, 10.987. Ebd., Samm-
lung Kurzbiographien. Staatskanzlei/Pressearchiv, Nr.2001. Ebd., Sammlung Handfest, Nr.66, 70, F 2000,
F 6000, HZ 437. Ebd., Staatskanzlei, Ordensregistratur, Nr.27, 98, 191, 684, 819, 1909.
496
stens aus dieser Zeit resultiert eine Freundschaft mit Peter Zimmer, Dann wurde er zur
Luftschutzpolizei einberufen. Ab 1. Dezember 1945 bekleidete er im Regierungs-
präsidium Saarbrücken die Funktion des Referenten für Sozialversicherung in der
Abteilung Arbeit, ab 9. Mai 1946 Leiter der Landesversicherungsanstalt für das Saar-
land (ab 23. Juni 1947 als Regierungsdirektor), vom 21. Dezember 1949 bis zum 1.
Juli 1957 dann Direktor der Landesversicherungsanstalt für das Saarland in Saar-
brücken, politisch der SPS zuzuordnen, höchstwahrscheinlich Mitglied, galt als Ver-
trauter Richard Kirns. Ammann erhielt am 30. Dezember 1963 das Bundesverdienst-
kreuz Erster Klasse, u.a. wurde gewürdigt, daß er sich gegen Bestrebungen gewandt
habe, das Saarland von der deutschen Sozialversicherung abzutrennen und sich für die
Erhaltung der Reichsversicherungsordnung eingesetzt habe.
Karl Ammann, Richard Kirn und Peter Zimmer engagierten sich für die Erhaltung
wesentlicher Elemente der deutschen Sozialversicherung, man denke an die Staats-
zuschüsse und die Arbeitslosenversicherung, andererseits setzten sie mit Hilfe der
französischen Militärregierung zahlreiche Reformen durch wie z.B. die Auflösung der
Betriebs- und Ersatzkrankenkassen.
AUFERMANN, Ewald Professor Dr.
* 24. Dezember 1892 in Frankfurt am Main, vor 1933 u.a. Universitätsprofessor in
Frankfurt.
Aufermann leitete als Direktor des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Uni-
versität des Saarlandes auch die Akademie der Arbeit, die dort zum Wintersemester
1949/50 eingerichtet worden war. Seine ursprüngliche Ausbildung zum Di-
plom-Handelslehrer sowie sein Engagement für die Handelsschulen zeigt deutliche
Parallelen zu Kultusminister Dr. Emil Straus, der wahrscheinlich Schüler von Au-
fermann war. Beide verband der Gedanke der Wirtschaftsdemokratie, in dem Sinne
durch eine systematische Ausbildung der Arbeitnehmer die Voraussetzung für ein
erfolgreiches Umsetzen ihrer gesellschaftlichen Anliegen zu schaffen. Nicht zuletzt
deshalb förderte Straus die saarländischen Berufsschulen in außerordentlicher Weise.
Beide kannten aus ihrer Frankfurter Zeit die dorüge, der Universität angegliederte,
Akademie der Arbeit.
Aufermann starb am 6. Oktober 1958.
BACH, Robert
* 7. Dezember 1901 in Limbach, Bez. Amt Homburg/Pfalz. Der Bergmann und Sozial-
demokrat Bach war 1934 Mitglied des Kreistages Homburg und Fraktionssprecher im
Gemeinderat Limbach. Wegen seiner bekannten Einstellung gegen die Deutsche Front
wurde er am 15. Juni 1937 von den Saargruben abgelegt. Nach zweimonatiger Arbeits-
losigkeit fand er eine Beschäftigung als Bauhilfsarbeiter. Am 5. April 1945, wenige
Tage nach der Besetzung des Saarlandes durch US-Truppen, konnte er als Angestellter
bei der Kreisversicherungsanstalt Homburg anfangen. Auf der Zweiten Generalver-
sammlung des I.V. Bergbau 1950 wurde der Gewerkschaftssekretär in den Vorstand
497
gewählt, im Juni 1952 zum Zweiten Vorsitzenden des I.V. Bergbau. Er war Grün-
dungsmitglied der DSP und wichtiger Verbindungsmann des I.V. Bergbau zu den
Sozialdemokraten um Kurt Conrad sowie zur IG Bergbau in Bochum. 1957 wurde er
zum Zweiten Vizepräsidenten der Arbeitskammer gewählt.
BASEL, Friedrich
* 1. Mai 1907 in Wiebelskirchen, Kreis Ottweiler, aktiver Sportler in der Deutschen
Tumerschaft, zunächst Mitgliedschaft und Funktionärstätigkeit in der SPD, 1923 ging
er zur FDJ und war aktiver Funktionär der Arbeitersportbewegung.
Mit 21 Jahren trat er 1928 in die KPD ein, arbeitete zuerst als Hüttenarbeiter, von 1931
bis 1934 dann als Journalist für die kommunistische Arbeiterzeitung an der Saar. Er
war ein enger Weggefährte Fritz Nicolays, gemeinsames Engagement im Abstim-
mungskampf 1935, mit ihm im KZ in Dachau, gemeinsame Emigration nach Frank-
reich und Intemierungszeit, beide kehrten an die Saar zurück und begannen wieder mit
der Parteiarbeit.
Es kam dann zu schweren Differenzen zwischen den ehemaligen Weggefährten, die zu
Bäsels Ausschluß aus Fraktion und Amt im Januar 1950 führten. Er verließ das Saar-
land, arbeitete zwischen 1950 und 1954 für deutsche Zeitungen, war möglicherweise
in dieser Zeit auch in der DDR und kehrte an die Saar zurück, wurde auf dem Parteitag
am4./5. Dezember 1954 zum Ersten Landesvorsitzenden der KP gewählt und von der
Landesleitung am 19. Dezember zum Ersten Sekretär bestellt.
Vom 5. Oktober 1947 bis 23. Januar 1950 und vom 18. Dezember 1955 bis 2. Januar
1961 war er Abgeordneter der KP im Saarländischen Landtag, auch nach deren Verbot
am 9. April 1957. Friedrich Bäsel starb am 17. November 1975,
Sein Nachlaß befindet sich in der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisatio-
nen der DDR im Bundesarchiv in Berlin.
BIEG, Heinrich
* 1909. Er absolvierte nach der Schule eine Ausbildung für den gehobenen Staats- und
Gemeindeverwaltungsdienst. Bereits mit 21 Jahren wurde er Verwaltungsinspektor in
Aßweiler bei Blieskastel. Bieg war aktiver Sportler, zählte zwischen 1932 und 1939 zur
deutschen Spitzenklasse in der Leichtathletik, 1936 Stabhochspringer in der deutschen
Olympiamannschaft. Er gilt als Mitbegründer der christlichen Gewerkschaften an der
Saar nach dem Zweiten Weltkrieg. 1952 wurde er zum Geschäftsführer der Christli-
chen Gewerkschaft Öffentliche Betriebe gewählt, war Vorstandsmitglied der Arbeits-
kammer; seit 1960 Mitglied der Vertreterversammlung der Arbeitskammer und ab
1973 Mitglied des Vorstandes der Vertreterversammmlung der AOK Saar und der
Bundes Versicherungsanstalt für Angestellte in Berlin. Daneben war er Arbeitsrichter
am Landesarbeitsgericht Saarbrücken und Vorsitzender der Leichtathletikabteilung von
Saar 05 Saarbrücken. Heinrich Bieg erhielt am 14. Mai 1976 das Bundesverdienstkreuz
Erster Klasse. Er erlag am 18. September 1977 in Rom einem Herzinfarkt.
498
BIER, Walter
* 28. April 1913 in Landsweiler-Reden, Kreis Ottweiler, Sohn des in Baumholder
geborenen Grubenbergmannes Robert Bier. Während der Völkerbundszeit besuchte er
die französische Domanialschule in Reden. Nach der Schulentlassung wurde er 1927
Jugendarbeiter bei den Mines Domaniales und war im Kommunistischen Jugend-
verband tätig.
Walter Bier qualifizierte sich im April 1935 zum Hauer.
Er engagierte sich gegen die Rückgliederung an Hitler-Deutschland und wurde nach
Ablauf der Zweijahresfrist des "Römischen Abkommens" zum 15. Juli 1937 politisch
gemaßregelt und mit weiteren 24 Landsweiler Bürgern aus dem Grubendienst entlas-
sen, darunter sein Vater und sein Schwiegervater.
Nach einer halbjährigen Arbeitslosigkeit fand er Arbeit bei verschiedenen Bauunter-
nehmungen, so war er am Aufbau der Kokerei Reden ab Februar 1938 beteiligt. Von
Februar bis Mai 1939 leistete er in Mainz seinen Wehrdienst, dann Dienstverpflichtung
zum Westwall, im August 1939 Stellungsbefehl. Er kämpfte in Polen, Frankreich,
Holland, der Tschechoslowakei und in Rußland, April 1942 Beförderung zum Unter-
offizier, am 24. Oktober 1944 in Neuburg-Metz in Gefangenschaft geraten, Rückkehr
ins Saarland am 1. November 1946, bereits am 15. November in der Kokerei Reden als
Maschinist in der Benzoldestillation eingestellt. Bier wurde im Oktober 1947 in den
Betriebsrat der Kokerei Reden gewählt, dort war er 21 Jahre aktiv, ab Februar 1948
auch im Gesamtbetriebsrat der Saargruben, war im geschäftsführenden Ausschuß als
Vertreter der Kokereien und Kraftwerke über 17 Jahre tätig. Nach 46 Jahren Dienstzeit
im Saarbergbau ging er 1973 in Rente.
Als Mitglied der KP und als Gewerkschaftler und Betriebsratsvorsitzender arbeitete er
gegen die Regierung Hoffmann/Kirn.
Von 1949 bis 1964 war Bier Mitglied im Gemeinderat von Landsweiler-Reden, dann
ab 1968 Wiedereinzug, ab 1974 im Gemeinderat der Großgemeinde Schiffweiler, dort
vor allem im Sozial- und Bauausschuß engagiert.
Seit 1972 ist er SPD-Mitglied, bis 1991 im Vorstand des Ortsvereins aktiv. Am 23.
Dezember 1975 erhielt er für seine über zwanzigjährige Tätigkeit im kommunalen
Bereich das Bundesverdienstkreuz am Bande, gründete 1959 die Bauninteressen-
gemeinschaft e.V. Landsweiler-Reden, über 200 Eigenheime sind unter seinem Vorsitz
in Landsweiler-Reden und Heiligenwald errichtet worden.
BODENS, Wilhelm
* 24. August 1910 in Brebene im Selfkant nahe der holländischen Grenze.
Angestellter im gesamtdeutschen Ministerium, dort Dr. Knoop, dem Abteilungsleiter
des Referates III (Grenzfragen), das auch das Saarland bearbeitete, zugeordnet. Mit
dem Saarland war er durch seine Tätigkeit als Geschäftsführer des Rheinischen Hei-
matbundes und als Kulturreferent der Rheinischen Provinzialverwaltung seit 1938
vertraut, zu der auch das Saargebiet gehört hatte. Nicht zuletzt hatte er das Saarland
auch während seines Studiums ( Geschichte, Germanistik, Philosophie, Theologie und
499
Volkskunde) in Bonn am Institut für geschichtliche Landeskunde kennengelernt,
Bodens war Schüler von Prof. Franz Steinbach. Während des Zweiten Weltkrieges als
Abwehroffizier in Holland, Belgien und Nordfrankreich tätig. Nach Entlassung aus der
Kriegsgefangenschaft 1948 im Deutschen Büro für Friedensfragen in Stuttgart tätig,
u.a. Zusammenarbeit in Saarfragen mit Dr. Strohm und Dr. Mommer.
Innerhalb des gesamtdeutschen Ministeriums hielt er vor allem Kontakt zum christli-
chen Lager und zu Heinrich Schneiders DPS, dabei konzentrierte er sich vor allem auf
die christlichen Gewerkschaften. Bodens soll über gute Kontakte zum Trierer Bischof
Bornewasser verfügt haben sowie zu Generalvikar von Meurers.
Von 1957 bis 1959 war er als persönlicher Referent von Ministerpräsident Egon
Reinert und als Abteilungsleiter in der Saarbrücker Staatskanzlei tätig. Von Minister-
präsident Röder wurde er zur Bonner Saarvertretung versetzt und tat dort Dienst bis zu
seiner Pensionierung im Januar 1972.
BUSSE, Ferdinand
Ferdinand Busse gehörte zu den christlichen Gewerkschaftlern, die nach 1935 in der
DAF Funktionen übernommen hatten. Er engagierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg
in der Gewerkschaft Christlicher Saarbergleute und wurde am 8. Dezember 1948
Sachbearbeiter und dann Referatsleiter für Arbeitsrechtsangelegenheiten. Politisch ist
er der Oppositionsgruppe um Karl Hillenbrand zuzuordnen. Busse gehörte zu den
Gründern der CDU-Saar.
CICAK, Fedor, Dr. jur.
* 17. Juni 1916 im kroatischen Pozega, unter Tito verfolgt, seine Familie starb in Titos
Internierungslagern. Er war überzeugter Katholik und vertrat eine linkskatholische
Richtung. Von Aachen aus kam er als Dozent (Lehrbeauftragter für Publizistik am
Wirtschaftswissenschaftlichen Institut) an die Universität des Saarlandes, war dort auch
als Pressereferent tätig und lehrte an der Akademie der Arbeit, schulte u.a. 1949/50
Funktionäre des I.V. Bergbaus und anderer Industrieverbände in antikommunistischen
Strategien, vermittelte u.a. Gedanken der katholischen Soziallehre, verließ aber kurze
Zeit später das Saarland und ging im Oktober 1950 in die USA.
CLEMENS, Peter
* 9. Juli 1905 in Saarbrücken, gelernter Schlosser, seit 1926 bei Maschinenfabrik
Ehrhardt & Sehmer beschäftigt, dort ab 1949 Betriebsrats Vorsitzender, Mitglied im
Partei vor stand der CVP. Er löste 1950 Ludwig Habelitz als Chef der Christlichen
Metallarbeitergewerkschaft ab und bekleidete dieses Amt bis 1957. Clemens gehörte
dem Gründungsvorstand der CDU-Saar an, wurde 1955 zum Ersten stellvertretenden
Landesvorsitzenden der CDU-Saar gewählt und war vom 2, Januar 1956 bis 2. Januar
1961 Mitglied im Saarländischen Landtag. Clemens gehörte zur oppositionellen
christlichen Gewerkschaftsrichtung. Er starb am 21. November 1981.
500
CONRAD, Kurt
* 19. Oktober 1911 in Homburg, erlernte nach der Entlassung aus der Volksschule das
Mechanikerhandwerk und arbeitete als Fabrikwerkmeister bis zu seiner Einberufung
zum Wehrdienst im Jahre 1940. Er fand früh Kontakt zu Organisation der freien
Arbeiterbewegung, gründete mit 16 Jahren in seiner Heimatstadt die Sozialistische
Jugendbewegung und gehörte zum Vorstand des Deutschen Metallarbeiterverbandes
für den Kreis Homburg. Mit 18 Jahren trat er in die SPD ein, soll nach Gerhard Paul
ein heimlicher Symphatisant der 1931 abgespaltenen Sozialistischen Arbeiterpartei und
Status-quo-Anhänger gewesen sein.
Nach Rückkehr aus britischer Kriegsgefangenschaft Ende März 1946 schloß er sich der
neu gegründeten SPS an, wurde bei den Kommunal wählen am 15. September 1946 in
den Homburger Stadtrat gewählt und zum 1. Beigeordneten berufen. Im Oktober 1947
wurde er als SPS-Abgeordneter in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt,
und verweigerte dort seine Zustimmung zu der Präambel der saarländischen Verfas-
sung. 1951 versuchte er vergeblich, innerhalb der SPS die Führung zu übernehmen,
schied daraufhin im April 1952 aus dieser Partei aus und gründete im Juni desselben
Jahres die DSP (Deutsche Sozialdemokratische Partei), der die Saarregierung die
Zulassung versagte. Dennoch bemühte sich Conrad weiterhin erfolgreich um den
Aufbau einer pro-deutschen sozialdemokraüsehen Opposition, indem er die Bedeutung
parteipolitischer Betriebsarbeit erkannte und entsprechende Schwächen der SPS
ausnutzte. Es gelang ihm, seinen Kreis mit oppositionellen Gruppen in der Einheits-
gewerkschaft, vor allem des I.V. Bergbau, zu verbinden. Conrads Bedeutung für die
Opposition tag vor allem darin, daß er Kontakte zur SPD-Zentrale in Bonn, zum DGB
in Düsseldorf und auch zum Kaiser-Ministerium herstellte und auf diesem Weg finan-
zielle Hilfen organisierte. Er arbeitete bis 1955 u.a. als Korrespondent für verschiedene
Zeitungen und war Verlagsleiter in Ludwigshafen.
Sein Engagement und das seiner Genossen in der oppositionellen Sozialdemokratie für
die Rückgliederung des Saarlandes stand immer im Schatten des rhetorisch versierten
und charismatisch auftretenden Heinrich Schneider, auch in der Forschung wurde seine
Rolle bisher nicht voll erkannt.
Bei der offiziellen Zulassung der DSP im Juli 1955 im Zuge der Auseinandersetzung
um das Referendum wurde er zum 1. Vorsitzenden der Partei gewählt und blieb 15
Jahre in diesem Amt, bis 1970 Friedei Läpple an seine Stelle trat. Dem Landtag des
Saarlandes gehörte er in der 3.-6. Wahlperiode an, führte die Fraktion von 1961-1970
und nach dem Tode von Friedei Regitz noch einmal von 1971-1973. Vom 15. Septem-
ber 1957 bis 20 Juli 1959 war er auch Mitglied des Deutschen Bundestages. Im 1.
Kabinett Ney bekleidete er das Amt des Arbeitsministers, im 2. Kabinett Reinert und
im 1. Kabinett Röder leitete er das Innenressort. Eines seiner Hauptziele als Arbeits-
minister war, bei den Verhandlungen über die Eingliederung des Saarlandes in die
Bundesrepublik den “sozialen Besitzstand” wahren zu können, was ihm nicht gelang.
Conrad war auch Mitglied im Aufsichtsrat der Saarbrücker Zeitung.
501
Seine Leistungen wurden am 21. Dezember 1966 durch die Verleihung des Großen
Verdienstordens mit Stern und Schulterband, des Verdienstordens der Bundesrepublik
und 1976 des Saarländischen Verdienstordens gewürdigt. Kurt Conrad verstarb am 16.
Juli 1982.
DTTZLER, Josef
* 15. Dezember 1899 in Hüttersdorf, Krs. Saarlouis, ab Juli 1915 bis Kriegsende
Bergmann auf Grube Viktoria. Noch während des Ersten Weltkrieges Eintritt in den
Gewerkverein christlicher Bergleute, Tätigkeit als Vertrauensmann bis 1935. Von
Anfang an in der 1947 wiedergegründeten christlichen Gewerkschaft in führender
Position als Zweiter Vorsitzender aktiv, Ditzler löste 1954 Hans Ruffing als Ersten
Vorsitzenden ab und bekleidete dieses Amt bis zu seiner Pensionierung 1962. Er war
Mitglied des Saargrubenrates sowie nach dem Übergang der Saargruben in rein deut-
sche Verwaltung Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates und Mitglied im Aufsichtsrat
der Saarbergwerke. Innerhalb der christlichen Gewerkschaft gehörte Ditzler zu den
leisen Kritikern der Wirtschaftsunion, er war ein Gegner des franzö-
sisch-saarländischen Wirtschaftsvertrages, speziell was die Saargruben betraf.
In bezug auf die Geschichte der CDU-Saar spielte Ditzler als Gegner der von Prof.
Görgen geführten Verhandlungen, die CVP mit dem Zentrum zu verbinden, eine
wichtige Rolle. Er engagierte sich für eine Verbindung von CVP und CDU. Josef
Ditzler war einer der sechs saarländischen Mitglieder im elfköpfigen Vorstand der
Christlichen Gewerkschaften Deutschlands und gehörte auch dem Vorstand der Christ-
lichen Bergarbeiter-Internationale an. 1960 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz
Erster Klasse geehrt. Ditzler starb 1971.
DREHER, Johann
* 17. Oktober 1889 in Holz, Kreis Saarbrücken. Bis 1935 war er Mitglied der SPD und
BAV- Gewerkschaftssekretär in Fraulautern. Während kurzer Emigrationszeit im
angrenzenden lothringischen Forbach, später Vorwurf der Bespitzelung von Emigran-
ten und des Einbruchs in die Emigrantenberatungsstelle, Rückkehr ins Saarland 1936,
anschließend Tätigkeit als Werkmeister bei den Hermann-Göring-Werken.
Nach 1945 wurde er im I.V. Bergbau Leiter der Lohn- und Tarifabteilung, im Juli 1950
dann Zweiter Vorsitzender des I.V. Bergbau, spielte herausragende Rolle bei der
Absetzung von Kutsch und gründete Ende 1952 den Gegenverband I.G. Bergbau.
ENGEL, Norbert
* 27. August 1921 in Heidelberg, stammt aus einer Bergmannsfamilie aus Stennweiler.
Der gelernte Friseur entschied sich für die Sozialdemokratie bereits während seiner
Lehrzeit, in der er der Repression und Willkür eines Friseurmeisters ausgesetzt war. Im
Oktober 1940 meldete er sich als Freiwilliger zur Marine, nach einer Sanitätsaus-
büdung wurde er in mehreren Marinelazaretten eingesetzt, ab Januar 1941 Kontakt zur
französischen Widerstandsbewegung in Brest und Boulogne. Im Juni 1943 nach den
502
Niederlanden versetzt, Festnahme am 2. November 1944, von dem Marinekriegs-
gericht Amsterdam zum Tode verurteilt, Flucht am 25. November 1944, anschließend
in Amsterdam untergetaucht.
Nach Kriegsende war er beim Arbeitsamt in Rheydt beschäftigt und kehrte 1946 ins
Saarland zurück.
Er arbeitete im Steueramt der Gemeindeverwaltung Schiffweiler. 1948 wurde er
Vorsitzender des SPS-Ortsverbandes Schiffweiler. Engel ging sehr früh den Weg zur
oppositionellen Sozialdemokratie und engagierte sich als Beauftragter für die Gewerk-
schaftsarbeit der Partei - insbesondere im I.V. Metall.
Nach 1955 wurde er zu einem Multifunktionsträger. Engel bekleidete seit 21. März
1957 über Jahrzehnte hinweg bis Ende August 1986 das Amt des Präsidenten der
Arbeitskammer, wurde Erster Geschäftsführer des DGB-Saar und Landesvorstandsmit-
glied der ÖTV, vom 18. Dezember 1955 bis zum 13. Juli 1975 war er für die SPD
Abgeordneter im saarländischen Landtag, u.a. lange Jahre Vorsitzender des sozial-
politischen Ausschusses und stv. Vorsitzender des Haushalts- und Finanzausschusses,
über Jahre hinweg Vorsitzender des mitgliederstärksten Unterbezirks Neunkirchen, fast
zehn Jahre stellvertretender Landesvorsitzender der SPD-Saar und Präsident des
Fußballclubs von Borussia Neunkirchen, Mitglied im Aufsichtsrat der Neunkircher
Eisenwerke, mehr als 20 Jahre Mitglied des Rundfunk- und des Verwaltungsrates des
Saarländischen Rundfunks.
ETIENNE, Karl
* 12. Februar 1895 in Neunkirchen, zuerst im Bergbau tätig, dann im Eisenbahndienst
und ab 1927 Angestellter bei der Stadt Neunkirchen, Jugendsekretär des Deutschen
Metallarbeiterverbandes (DMV), gründete mit 17 Jahren die Sozialistische Arbeiter-
jugend in Homburg.
1919 Eintritt in die USPD, ab 1920 Mitgliedschaft in der SPD. Etienne kam über den
Arbeitersport zur sozialistischen Arbeiterbewegung und war führendes SPD-Mitglied
an der Saar vor 1935, u.a. Vorsitzender der SPD-Neunkirchen von 1925 bis 1935.
Nach der Abstimmung vom 13. Januar 1935 emigrierte er vorübergehend nach Frank-
reich, kehrte wieder zurück und fand Beschäftigung bei privaten Baufirmen, fühlte sich
dabei unter Beobachtung der Gestapo. Von 1945 bis 1952 stand Karl Etienne an der
Spitze der Neunkircher SPS, dem mitgliederstärksten Bezirk. Er gehörte als Abge-
ordneter dem Ersten Landtag an, war Fraktionsvorsitzender der SPS vom 19. Dezem-
ber 1947 bis 14.November 1951 und stand in Opposition zu Richard Kirn, an den er
den Fraktionsvorsitz abgeben mußte. Etienne trat aus der SPS im Sommer 1952 aus
und gehörte zu den Gründern der DSP.
FEILER, Jakob
* 19. Dezember 1917 in St. Wendel. Nach dem Abitur leistete er 1937 Arbeits- und
Wehrdienst, schlug dann eine Laufbahn des gehobenen Dienstes der Heeresverwaltung
ein, ab 1943 wurde er an die Ostfront abkommandiert und wurde im Oktober 1944
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schwer verwundet. Jakob Feiler nahm am Aufstand der "Freiheitsaktion Bayern" am
27. und 28. April 1945 teil und wurde deshalb zum Tode verurteilt. Kurz darauf geriet
er in amerikanische Kriegsgefangenschaft.
Nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft war er Ende 1945 zunächst als Verwal-
tungsangestellter, dann als Beamter bei der Stadt St. Wendel tätig. 1945 trat er nicht nur
auf Grund seiner christlichen Weltanschauung der CVP bei, sondern weil er in der SPS
eine von Emigranten beherrschte Partei sah, mit der er sich nicht identifizieren konnte.
Innerhalb der CVP engagierte er sich vor allem in der Sozialpolitik und in Kriegsopfer-
fragen. Auch in der VdKdS war er als Zweiter Vorsitzender aktiv, nach der Rückglie-
derung bis in die neunziger Jahre im VdK-Saar, Ziel der “Lex Feiler” war eine Verein-
heitlichung und weitere Verbesserung der Kriegsopferversorgung an der Saar. Nach
dem Referendum trat Feiler einige Monate später in die CDU ein, die in ihm einen
unverzichtbaren Sozialexperten und Verbindungsmann zu den Kriegsopfern sah.
Jakob Feiler gehörte mehr als 23 Jahre dem saarländischen Landtag an, vom 15.
Dezember 1952 für die CVP und dann vom 11. Februar 1957 bis zum 13. Juli 1975 für
die CDU. Er war 12 Jahre Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion und
von 1965 bis 1970 Fraktionsvorsitzender, schließlich 1974-1975 Landtagsvizeprä-
sident, Von März 1969 bis 1973 Amtsvorsteher St. Wendel-Land, bekleidete er das
Amt des Bürgermeisters der Stadt St.Wendel, 1974 Wahl zum Präsidenten des Städte-
und Gemeindetages, u.a. Vorsitzender der Kolpingfamilie und Mitglied im Rundfunk-
und Universitätsrat.
GERMANN, Karl
* 29. September 1877 in Altstadt bei Homburg/Saar, Bergmann und seit 1907 christli-
cher Gewerkschaftler. Ab 1910 war er hauptamtlich als Bezirksleiter für den Bezirk
Neunkirchen beim Gewerkverein Christlicher Bergarbeiter angestellt, 1920 wurde er
zum Regierungsrat bei der neu gegründeten Arbeitskammer ernannt, vom 1. Oktober
1929 an bei der Regierungskommission tätig. Nach der Rückgliederung wurde Ger-
mann zunächst arbeitslos und schlug sich als Versicherungsvertreter durch. 1945
Eintritt in die CVP und Abgeordneter des Ersten Landtags, L Vizepräsident in der 2.
Wahlperiode.
Innerhalb der 1947 wiedergegründeten christlichen Gewerkschaften gehörte er dem
Vorstand an und bekleidete seit 1950 das Amt des Ehrenvorsitzenden, 1955 dann
Vorsitzender des Gesamtverbandes der Christlichen Gewerkschaften, außerdem
Mitglied im Aufsichtsrat der Terra-Versicherung. Karl Germann starb am 11. Oktober
1958.
GIER, Peter
oppositionelle Richtung in der christlichen Gewerkschaft (GCS), Sozialreferent der
GCS, seit 1952 Vizepräsident der Arbeitskammer, nach dem 23. Oktober 1955 Mit-
glied des Saargrubenrates, seit 1955 Zweiter Vorsitzender der GCS, 1956 zum Prä-
sidenten des Christlichen Gewerkschaftsbundes Deutschland gewählt.
504
GLÖBEL Sebastian
vor 1933 Mitglied der Kommunistischen Partei, nach 1933 Eintritt in die NSDAP. Von
Aloys Schmitt in den I.V. Bergbau geholt, weil Glöbel als Fachmann galt. Seit der
Generalversammlung vom 14. September 1952 im Vorstand des I.V. Bergbau, wichti-
ge Rolle in der Kutsch-Affäre. Nach dessen Ausschluß bekleidete er das Amt des
Ersten Vorsitzenden des I.V. Bergbau vom 19. November bis zum 20. Dezember 1952,
ab dann war er Geschäftsführer der Gegenorganisation I.G. Bergbau. Er war exponier-
ter Gegner von Paul Kutsch, deshalb soll er auch nicht Vorsitzender der neuen I.G.
Bergbau geworden sein, wohl aber neben Dreher der eigentliche Verbandsführer.
Glöbels Abfall von den pro-deutschen Kräften um Aloys Schmitt und Paul Kutsch kam
für diese völlig unerwartet. Für seine Haltung soll u.a. sein freundschaftliches Verhält-
nis zu Kirn entscheidend gewesen sein und seine frankophilen Neigungen. Nicht
zuletzt deshalb war er Zielscheibe der Kritik und Polemik der pro-deutschen Kräfte.
GROSS, Peter
* 29. August 1902 in Nunkirchen, Kreis Merzig-Wadern, seit 1925 Mitglied der SPD,
Gross gründete den Ortsverband Nunkirchen, zuerst Hüttenarbeiter, dann ab 1919
Bergmann in Altenwald, 1938 Mitgliedschaft in der N.S.V., dann wegen Widerstandes
gegen die Nationalsozialisten verhaftet.
Nach 1945 Eintritt in die SPS, Mitglied des Landtages. Peter Groß gehörte zur Opposi-
tionsgruppe um Conrad und soll auch schon sehr früh Kontakt zur Bonner SPD ge-
sucht haben. 1947 über die Kreisliste Merzig-Wadern wurde er für die SPS in den
Landtag gewählt, gehörte der SPS-Fraktion auch in der 2. Wahlperiode an. Während
der 4. Wahlperiode rückte er am 23. Oktober 1961 als Abgeordneter der SPD nach und
behielt sein Mandat auch in der 5. Wahlperiode. Seit 1952 Geschäftsführer der Arbei-
terwohlfahrt. Von 1960 bis 1968 war er Bürgermeister von Nunkirchen und seit 1961
wieder Mitglied des Landtages. 1970 erhielt er das Bundesverdienstkreuz Erster
Klasse.
HABELITZ, Ludwig
*14. Dezember 1889 in Kirchenarnbach, Bez. Amt Kaiserslautern, zuerst als Land-
arbeiter tätig, dann von 1907 bis 1909 im Neunkircher Eisenwerk und von 1909 bis
1954 auf der Burbacher Hütte beschäftigt. Von 1923 bis 1935 war er Funktionär des
Christlichen Metallarbeiterverbandes, 1929 Eintritt ins Zentrum. 1944 von der Gestapo
verhaftet und ins KZ Neue Bremm gebracht. Nach 1945 trat er in die CVP ein, 1946
Wahl in den Stadtrat von Saarbrücken und Erster Vorsitzender des Christlichen Metall-
arbeiterverbandes.
Habelitz gehörte dem Landtag des Saarlandes von 1947 bis 1961 an, vom 5. Oktober
1947 bis 2. August 1957 für die CVP, dann vom 2. August 1957 bis zum 19. April
1959 für die CSU und vom 19. April 1959 bis 2. Januar 1961 für die CDU. Habelitz
verstarb am 1. März 1970.
505
HAHN, Peter
* 8. September 1916, Sohn eines Eisenbahnbeamten. Nach der Mittleren Reife absol-
vierte er eine kaufmännische Lehre, Kriegseinsatz auf fast allen Kriegsschauplätzen,
Kriegs Verwundung und Entlassung als Feldwebel 1944, noch während des Krieges
begann er eine Ausbildung als Inspektoranwärter bei der Reichsbahn. Hahn gehörte zu
den oppositionellen christlichen Gewerkschaftlern. In der internationalen christlichen
Gewerkschaftsbewegung war er von 1949 bis 1982 als Mitglied der Fachinternationale
Verkehr (IGVG) mit Sitz in Brüssel engagiert.
Nach 1955 machte Peter Hahn Karriere in der christlichen Gewerkschaftsbewegung:
So wurde er Bundesvorsitzender der Christlichen Gewerkschaft Deutscher Eisenbah-
ner, zu der er während der Hoffmann-Zeit Kontakt aufgenommen hatte und bereits seit
1950 Mitglied im Hauptvorstand gewesen sein soll. Innerhalb des Christlichen Ge-
werkschaftsbundes Deutschland (CGD) war er Vorstandsmitglied.
Peter Hahn bekleidete nach 1955 weitere zahlreiche Funktionen, so war er seit 1960
Mitglied im Rundfunkrat und im Programmbeirat des Saarländischen Rundfunks, vom
23. April 1959 bis zum Ende der 3. Wahlperiode Landtagsabgeordneter der CDU,
daneben lange Jahre Vorstandsmitglied des VdK-Saar und Vorsitzender des Kreis-
verbandes Saarbrücken-Stadt. Aus dem Bahndienst schied er als Bundes bahn amtsrat
aus. Peter Hahn erhielt am 22. März 1976 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und
verstarb am 19. August 1983.
HEINZ, Klaus
* 9. Dezember 1920 in Saarbrücken, gelernter Schlosser. Generalsekretär des I.V.
Verkehr und Transport. Mitglied der SPS und Landtagsabgeordneter in der 2. Wahlpe-
riode, vom Landesparteivorstand war er mit der Forcierung der Gewerkschaftsarbeit
der Partei beauftragt worden. Er fungierte öfters als Vermittler und Kontaktmann
zwischen SPS und DSP-Führung.
HILLENBRAND, Karl
* 1881 in Neuhof/Rhön geboren, seit 1913 an der Saar, von 1900-1934 Mitglied der
Zentrumspartei, führende Rolle im saarländischen Zentrum, Abgeordneter des letzten
preußischen Landtages, aktiver christlicher Gewerkschaftler. Hillenbrand vertrat die
Saarinteressen in der Deutschen Zentrumspartei, im Land- und Reichstag, Mitglied des
Landesrates des Saargebietes und des Saarbrücker Stadtrates, nahm an der wichtigen
Unterredung mit Hitler am 15. März 1933 mit Vertretern von NSDAP, DSVP und
DNVP teil. Im August 1944 von der Gestapo verhaftet.
Nach 1945 trat er in die CVP ein, entwickelte aber eine oppositionelle Haltung zur
autonomen Saar. Er bekleidete die Funktion des Generalsekretärs der wiedergegründe-
ten christlichen Gewerkschaften an der Saar von 1947 bis 1953 (in dieser Eigenschaft
auch Chefredakteur der Gewerkschaftlichen Rundschau), auch hier Exponent einer
pro-deutschen Richtung, enge Kontakte zu Karl Walz, Franz Ruffing, Peter Gier und
Peter Schaadt. 1950 trat er aus der CVP aus, wurde im selben Jahr zum vierten Beisit-
506
zer in den engeren DPS-Vorstand gewählt, dann Mitglied der CDU-Saar. Er verfügte
über gute Kontakte zum Kaiser-Ministerium. Sein Schwiegersohn Dr. Eugen Hutma-
cher war Direktor des Wirtschaftsministeriums. Hillenbrand verstarb Ende 1954 und
wurde in Bonn beigesetzt.
HOPPE, Karl
* 10. Juni 1888 in Kützel/Baden bei Lahr als Sohn eines Kleinbauern und Tabak-
arbeiters. 1916 zog er in den Ersten Weltkrieg und wurde 1917 verwundet. Er trat in
die SPD ein, kämpfte gegen die Kapp-Putschisten und wurde 1924 als Kandidat der
SPD in den Kieler Stadtrat gewählt. Karl Hoppe stellte sein Leben nach dem Krieg in
den Dienst der Kriegsopferversorgung. Er arbeitete hauptamtlich beim Reichsbund und
betreute von 1924 bis 1929 den Gau Schleswig-Holstein. Nebenamtlich war er Mit-
glied des Reichsversorgungsgerichts. 1929 kam er als Fachmann für Kriegsopfer-
versorgung nach Saarbrücken als Gauleiter des Reichsbundes zur Reorganisation der
Verbandsarbeit im Saarland. Nach der Auflösung des Reichsbundes 1933 betrieb er ein
Tabakgeschäft in der Saarbrücker Kaiserstraße, das er nach der Rückgliederung des
Saarlandes an NS-Deutschland aufgeben mußte.
Hoppe ging im Februar 1935 ins Exil nach Frankreich, hielt sich zunächst bis Mai im
angrenzenden lothringischen Forbach auf, ging dann für fünf Monate nach Blaye
(Gironde) und arbeitete von März 1936 bis Mail 1940 in Tours (Département In-
dre-et-Loire), dann im Département Haute-Vienne, wo er Anschluß an das Nationalko-
mitee Freies Deutschland fand. Im Januar 1944 wurde er von der französischen Miliz
deswegen verhaftet, nach Calais gebracht, ins Straflager Wissant überstellt und zur
Zwangsarbeit am Atlantikwall eingesetzt. Es gelang ihm, drei Monate vor seiner
kriegsgerichtlichen Aburteilung, am 30. März 1944 zu fliehen. Der frühere Sozialde-
mokrat, im Juni 1944 in Abwesenheit zum Tode verurteilt, schloß sich kommunisti-
schen Résistancegruppen im Raum Lyon und Toulouse an.
Nach Kriegsende kehrte er ins Saarland zurück, trat im Oktober 1945 in die KP ein und
wurde am 15. September 1946 für die KP in den Saarbrücker Stadtrat gewählter
gehörte der Verfassungskommission vom 23. Mai -25. September 1947 an, wurde
dann am 5. Oktober in die Verfassungsgebende Versammlung gewählt, die seit Ende
Dezember 1947 als Landtag des Saarlandes fungierte, am 14. Oktober 1948 verließ er
die Partei. Karl Hoppe begann seit seiner Rückkehr ins Saarland einen Kriegsopfer-
verband aufzubauen. Der von ihm gegründete VdKdS war eine reine Kriegsopfer-
organisation, unterschied sich damit von entsprechenden Verbänden in anderen Teilen
des ehemaligen Deutschen Reiches, die gemäß Kontrollratsbeschluß als Mischverband
organisiert werden und auch Zivilopfern offenstehen mußten. Er baute die VdKdS zu
einer professionell geführten Organisation aus, der ca. 50.000 Mitglieder angehörten.
Obwohl er ganz klar für die Saarautonomie eintrat und auch wesentlich beim Verbot
der DPS mitgewirkt haben soll, gelang ihm das Kunststück, seinen Verband einerseits
vor einer zerreißenden Politisierung zu bewahren, andererseits aber die Saarpolitik der
Regierung Johannes Hoffmann und Richard Kirn zu unterstützen. Begünstigt wurde
507
dieser Erfolg durch das Selbstverständnis der Kriegsopfer. Für sie war die Verwun-
dung in der Tat idenditätsstiftend, wie auch die relativ reibungslose Überführung der
Mitglieder in bundesdeutsche Organisationen nach 1955 verdeutlicht.
Hoppe verfügte über gute Kontakte zur Militärregierung und wurde Leiter des Presse-
und Informationsamtes der Hoffmann-Regierung, auch bei Ausübung dieses Amtes
dachte er vor allem an die von ihm betreute Gruppe der Kriegsopfer. Er starb am 8. Juli
1963 in Saarbrücken.
JOHN, Hans
nach 1945 wurde er von Adolf Drawe für den I.V. Bergbau angeworben. John kam wie
Drawe und Aloys Schmitt aus der linkskatholischen Vitus-Heller-Bewegung.
Er war Geschäftsführer der von Ernst Wentz als Erstem Vorsitzenden geführten
Postgewerkschaft in der Einheitsgewerkschaft, seit der Zweiten Generalversammlung
1950 im Beirat der Einheitsgewerkschaft, gehörte zum Oppositionskreis um Aloys
Schmitt, Paul Kutsch und Robert Bach, hatte eine deutlich antifranzösische Haltung, in
der Zeit nach der Absetzung Oskar Müllers bis 1951 kämpfte er gegen den Einfluß der
Kommunisten in der Einheitsgewerkschaft.
Seine Frau Hilde war von Sommer 1946 bis Ende 1947 Sekretärin von Heinrich
Wacker.
Nach dem Referendum vom 23. Oktober 1955 bemühte sich John für eine möglichst
weitgehende Integration der saarländischen Gewerkschaftler in den DGB, war aber
gleichzeitig darüber enttäuscht, daß viele Nicht-Saarländer im DGB-Saar führende
Positionen besetzten.
JUNG, Robert Dr,
Vizepräsident des Technischen Ausschusses der LVA Saarland, Sozialversicherungs-
experte und gebürtiger Elsässer, auch in der Sécurité Sociale in Strasbourg in leitender
Position tätig.
JUNGFLEISCH, Alexander Prof.
* 16. Januar 1905. Nach Besuch eines humanistischen Gymnasiums Studium der
Rechtswissenschaften an den Universitäten Marburg, Berlin und Köln. Nach dem
jurististischen Staatsexamen wurde er bei der Regierungskommission des Saargebiets
Referent in der Abteilung Sozialversicherung, 1939 ins Reichsarbeitsministerium in die
Abt. Sozialversicherung versetzt und 1942 zum Oberregierungsrat befördert. Nach
dem Zweiten Weltkrieg wurde er zunächst Direktor des Knappschafts-Oberversiche-
rungsamtes, dann in die Abteilung Sozialversicherung ins Ministerium für Arbeit und
Wohlfahrt versetzt, seit 16. Mai 1949 bei der Landesversicherungsanstalt, ab 24.
Dezember 1949 als stellvertrender Direktor und seit 1959 bis zu seiner Ruhestands-
versetzung Vorsitzender der Geschäftsführung und Erster Direktor. Am 1. August
1972 wurde er zum Gründungsdirektor der Katholischen Fachhochschule für Sozial-
wesen berufen, von 1973 bis 1977 erster gewählter Direktor, 1970 mit dem Großen
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Bundesverdienstkreuz und 1977 durch das von Papst Paul VI. verliehene Komturkreuz
zum Sylvester-Orden ausgezeichnet. Er verstarb am 26. Dezember 1993.
KARL, Albin
* 5. Februar 1889. Karl erlernte den Beruf des Porzellanmalers, wurde durch das
NS-Regime verfolgt. Nach 1945 wurde er ein engagierter Verfechter der Einheits-
gewerkschaft, 1947 Wahl zum Stellvertretenden Vorsitzenden der Einheitsgewerk-
schaft in der britischen Besatzungszone, ab 1949 Mitglied im Geschäftsführenden
Bundesvorstand des DGB. Dort leitete er bis 1956 die Abteilung Organisation und
Verwaltung, vor diesem Hintergrund war er innerhalb des DGB-Bundesvorstandes vor
allem mit Saarfragen beschäftigt, später war er für Finanzen und Vermögensver-
waltung im Bundesvorstand tätig.
Albin Karl steuerte in der Saarfrage einen Kurs parteipolitischer Neutralität und orien-
tierte sich an der Wahrung des Gewerkschaftsgedankens im Saarland. Das hieß für ihn,
eine weitere gewerkschaftliche Zersplitterung zu verhindern, deshalb lehnte er eine
intensive Unterstützung der Gruppe um Kurt Conrad ab. Das Verhältnis zu führenden
oppositionellen Persönlichkeiten wie Aloys Schmitt, Paul Kutsch und Kurt Conrad war
relaüv schlecht. Mit dafür ausschlaggebend könnten die nationalen Töne der oppositio-
nellen Gruppen gewesen sein, die Karl mit Entsetzen zur Kenntnis genommen haben
soll. Im übrigen mißfiel ihm die Zusammenarbeit zwischen gewerkschaftlicher Opposi-
tion und Dr. Heinrich Schneider vor dem Hintergrund der Rolle Schneiders bei der
Saarabstimmung 1935. Karl verstarb am 4. Januar 1976.
KIRN, Richard
* 23. Oktober 1902 in Schiffweiler. Nach der Volksschule fuhr er als Bergmann in
Grube Reden ein, absolvierte mit 22 seine Hauerprüfung, beteiligte sich am Berg-
arbeiterstreik von 1923, wurde angezeigt und verließ das Saargebiet. Nach der Amne-
stie kehrte er zurück, 1924 BAV-Jugendsekretär, von 1928-35 Bezirksleiter im Sulz-
bachtal, seit 1927 im Landesparteivorstand der Sozialdemokratischen Partei des Saar-
gebietes bzw. der SPD. Kirn engagierte sich für den Status quo, arbeitete dabei aus
Überzeugung mit Kommunisten zusammen wie z.B. Herbert Wehner, emigrierte nach
der Saarabstimmung 1935, arbeitete in der C.G.T., wurde 1936 Sekretär der lothringi-
schen Bergarbeitergewerkschaft der C.G.T., Gründungsmitglied des Koordinationsaus-
schusses deutscher Gewerkschaftler in Frankreich am 20. März 1937, Mitunterzeichner
des Volksfrontaufrufs vom 21. Dezember 1935, 1941 verhaftet, Auslieferung an die
Gestapo.
Nach 1945 trat er an die Spitze der saarländischen Sozialdemokratie. Am 30. Juni 1946
wurde er auf dem Ersten ordentlichen Parteitag der Sozialdemokratischen Partei des
Saargebietes einstimmig zum neuen Vorsitzenden und am 5. Oktober 1947 in den
Landtag gewählt. Vom 23. Mai bis 25. September 1947 war er Vizepräsident der
Verfassungskommission.
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Als leitender Regierungsdirektor für Arbeit zog Kirn ins Regierungspräsidium (auf
Empfehlung des französischen Gewerkschaftlers Jouhoux), dann im Oktober 1946 als
Direktor für Arbeit und Wohlfahrt in die Verwaltungskommission ein. Am 20. Dezem-
ber 1947 wurde er als Minister für Arbeit und Wohlfahrt im Kabinett Hoffmann
vereidigt und gleichzeitig zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten bestellt. Bis auf
zwei kurze Unterbrechungen vom 14. April 1951 bis zum 23. Dezember 1952 und
vom 17. Juli 1954 bis 29. Oktober 1955 bekleidete er diese Funktionen.
Sozialpolitisch übernahm Richard Kirn eine führende Rolle. Bei der Sozialversiche-
rungsreform 1947 unterstützte er zusammen mit seinem politischen Ziehvater Peter
Zimmer zwar Neuordnungsvorstellungen der französischen Militärregierung wie
Zentralisierung, Leistungs- und Beitragsvereinheitlichung und Ausdehnung der Sozial-
versicherungspflicht, bewahrte aber gegen den Willen der Franzosen wichtige Elemen-
te der deutschen Sozialversicherung wie z.B. die Arbeitslosenversicherung und auch
die staatlichen Zuschüsse zur Sozialversicherung. Kirn formte das Saarland zum
Sozialstaat durch den erheblichen Ausbau der staatlichen Zuschüsse zur Sozialversi-
cherung. Die Rentengesetze und das Saarknappschaftsgesetz vom 11. Juli 1951 trugen
trotz des Rückzugs aus der Regierung noch seine Handschrift und markierten einen
erheblichen sozialpoliüschen Fortschritt, weil die Unterschiede zwischen Arbeitern und
Angestellten in der Rentenversicherung aufgehoben wurden.
Im Umgang mit der französischen Militärregierung wie mit dem französischen Wirt-
schaftspartner erwies sich Kirn als unbequem und durchsetzungsfähig. Zeitgenossen,
wie z.B. der Leiter der Präsidialkanzlei Franz Schlehofer, bezeichnen ihn als emotional,
manchmal überreagierend und von sozialpolitischen Visionen beseelt. Kims Verhältnis
zu seinem Parteigenossen Justizminister Dr. Heinz Braun war oft angespannt, wobei
hier das gegensätzliche soziale Milieu, aus dem beide kamen, eine Rolle gespielt haben
dürfte. Bei Spannungen versuchte Peter Zimmer den Eklat zu vermeiden. Der außerge-
wöhnliche politische Ehrgeiz Richard Kirns schlug sich nach Einschätzung Kunkels in
der Unfähigkeit nieder, wichtige Arbeiten zu delegieren wie auch in der fehlenden
Bereitschaft, Urlaub zu machen und sich für einige Wochen zurückzuziehen.
Nach der Rückgliederung des Saarlandes mußte er aus den eigenen Reihen ehrverletz-
ende Beleidigungen hinnehmen. Richard Kirn zog sich verbittert ins angrenzende
lothringische Sarreguemines zurück.
Das Saarland suchte spät die Aussöhnung mit ihm, erst 1986 ehrte Ministerpräsident
Oskar Lafontaine ein Jahr nach seinem Amtsantritt den saarländischen Widerstands-
kämpfer und verdienten Arbeitsminister mit der Verleihung des Saarländischen Ver-
dienstordens. Richard Kirn verstarb am 4. April 1988.
KLEIN, Johann
* 9. Januar 1902 in Ittersdorf, Kreis Saarlouis, Sohn eines Bergmanns, zehn Geschwi-
ster. Zehn Jahre Bergmann, dann Tätigkeit als Angestellter in dem Gewerkschafts-
unternehmen "Deutscher Versicherungs-Konzern", anschließend bei der Thuringia
AG/Erfurt.
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Nach Kriegsgefangenschaft Eintritt in die CVP, 1947 in die wiedergegründete Gewerk-
schaft Christlicher Saarbergleute, Funktion als Bezirksleiter in Neunkirchen einschließ-
lich St. Ingbert und Homburg und anschließend Leiter der Sozialabteilung, seit 1952
Mitglied des Landtages. Johann Klein setzte in seiner kurzen Amtszeit als Minister für
Arbeit und Wohlfahrt vom 17. Juli 1954 bis 29. Oktober 1955 sichtbare Akzente. Er
plante eine Rentenreform mit deutlicher Betonung des Beitrags- und Versicherungs-
prinzips. Die Kriegsopferversorgung baute er weiter aus und engagierte sich auch in
Wiedergutmachungsfragen. Sein besonderes Engagement galt den Grenzgänger-
problemen. 1957, inzwischen der CDU beigetreten, übernahm er erneut die Sozial-
abteilung bei der Gewerkschaft Christlicher Saarbergleute, 1962 dann den Gewerk-
schaftsvorsitz, Schatzmeister der Internationalen Christlichen Gewerkschaften. Klein
machte sich für eine Fusion der christlichen Gewerkschaften mit dem DGB stark, was
zum Bruch mit alten Weggefährten führte. Für die CDU war er von 1961 bis 1969
Abgeordneter im Deutschen Bundestag, u.a. auch Vizepräsident der Arbeitskammer,
Mitglied im Kuratorium der Europäischen Akademie in Otzenhausen, Mitglied im
Aufsichtsrat der Saarbergwerke von 1962 bis 1966, Mitglied in verschiedenen Aus-
schüssen der Montanunion.
Im Alter von 74 Jahren starb Johann Klein am 25. Mai 1976. Klein war Träger des
Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse und der Robert Schuman-Medaille.
KÖRNER, Alois
wichtige Rolle in der Oppositionsarbeit der KP-Saar und des I. V. Bergbau, rechte Hand
von Oskar Müller, koordinierende Rolle in der Betriebsparteigruppenarbeit, Betriebs-
ratsvorsitzender auf Grube Heinitz und im Gesamtbetriebsrat der Saargruben. 1949 aus
dem I.V.Bergbau ausgeschlossen und 1952 mit der Wahl Kutschs zum Chef des I.V.
Bergbau wieder aufgenommen.
Er spielte eine wesentliche Rolle in der kommunistischen Betriebspartei- und Gewerk-
schaftsarbeit, organisierte u.a. wilde Streiks, wie die gemeinsam mit der DPS im
Spätsommer und Herbst 1951 durchgeführten Aktionen zeigen. Abgeordneter der KP
im Landtag des Saarlandes in der 2. Wahlperiode.
KÖRNER, Otto
von Aloys Schmitt in den I.V. Bergbau geholt. Im Gegensatz zu seinem Bruder Alois
Körner Mitglied der SPS. Vorsitzender des Schiedsausschusses, der die Kutsch-Gruppe
absetzte.
KUNKEL, Emst
* 17. Mai 1908 in Dudweiler, Kreis Saarbrücken-Land, nach der Volkschule schlug
Kunkel die Verwaltungslaufbahn ein. Er engagierte sich gegen die Rückgliederung an
NS-Deutschland, ging in die französische Emigration und wurde nach der deutschen
Besetzung in Frankreich verhaftet und dienstverpflichtet. Bald nach seiner Rückkehr
ins Saarland am 21. Mai 1945 wurde er von der französischen Militärregierung zum
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Bürgermeister von Völklingen ernannt und im September 1946 als Oberregierungsrat
zur Verwaltungskommission, Abt. Inneres, berufen, dann Ministerialdirektor im
Innenministerium. Dem Landtag des Saarlandes gehörte er in der 1. und 2. Wahl-
periode als Abgeordneter der SPS an, ab 4. Januar 1955 war er Fraktionsvorsitzender.
KUTSCH, Paul
* 14. Februar 1898 in Kutzhof, Kreis Saarbrücken, mit 14 Jahren Berglehrling auf der
Grube Göttelborn, im Ersten Weltkrieg als Segelflieger auf Helgoland, danach bis 1941
wieder Bergmann auf Grube Göttelborn, Mitglied der Vitus-Heller-Bewegung, von
März 1941 bis August 1943 kaufmännischer Angestellter, von Oktober 1943 bis April
1944 Angestellter bei der Saarhütten kn appschaft, danach bis Kriegsende Geschäfts-
führer einer Neunkircher Wäscherei. Nach Kriegsende war er in der Wirtschafts-
abteilung im Bürgermeisteramt Heusweiler tätig, von April 1948 an als Organisations-
leiter des I.V. Bergbau in der Einheitsgewerkschaft, einige Monate später schließlich
Geschäftsführer.
Kutsch organisierte eine massive Protestaktion gegen die Verpachtung der Saargruben
in Sulzbach am 3. August 1949. Mit Aloys Schmitt, den er bereits aus seiner Vi-
tus-Heller-Zeit kannte, verließ Kutsch die Verhandlungen über die saarlän-
disch-französischen Konventionen in Paris im März 1950. Gegen das Ergebnis mobili-
sierte Kutsch am 12. März 1950 eine Protestkundgebung der Einheitsgewerkschaft.
Vor dem Hintergrund zunehmender nationaler Emotionalisierung und Politisierung
wurde Kutsch am 14. Juni zum Ersten Vorsitzenden des I.V. Bergbau gewählt und am
30. März 1952 zum Präsidenten der Einheitsgewerkschaft. Gegen die von ihm geführte
Gewerkschaft wurde am 20. November 1952 eine Polizeiaktion gestartet.
Kutsch hat wesentlich zur nationalen Emotionalisierung der Gewerkschaften bei-
getragen. Im Gegensatz zu Heinrich Wacker verstand er es, durch rhetorisches Ge-
schick seine Zuhörer zu beeinflussen. 1957 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz
geehrt. Kutsch starb am 4. Februar 1959.
LEVY, Gustav
* 7. Oktober 1886 in Saarbrücken als Sohn des Fabrikanten Heinrich Levy. Nach
Absolvierung der großen juristischen Staatsprüfung im Oktober 1913 in Berlin ließ er
sich im Sommer 1914 als Rechtsanwalt in Saarlouis nieder. Im Mai 1922 trat er in die
Sozietät der Brüder Albert und Eugen August, Saarbrücken, ein, zu deren Mandanten
große Werke der saarländischen Schwerindustrie, wie Neunkircher Eisenwerk, Burba-
cher Hütte, Röchlingsche Eisen- und Stahlwerke, Mannesmann Röhrenwerke/Bous,
und einige Banken zählten. Seit 1929 gehörte auch Dr. Hans Neureuter, der von Eugen
August an Kindesstatt angenommen worden war, zu dieser Sozietät. Nachdem die
beiden Brüder August schon im Frühjahr 1935 emigriert waren, verließ auch Gustav
Levy am 29. Februar 1936 kurz vor Ablauf der Garantiefrist das Saarland. Die Saar-
brücker Anwaltspraxis wurde von Dr. Neureuter alleine weitergeführt, bis im Septem-
ber desselben Jahres Berufsverbot gegen ihn verhängt wurde. Levy wurde am
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6.Dezember 1938 die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Er lebte in Strasbourg,
Neuilly sur Seine und nach vorübergehender Interniemng bei Kriegsausbruch im
Département Basses Pyrénées. Als er von französischen Behörden aufgefordert wurde,
sich mit seiner Ehefrau im Internierungslager Gurs zu melden, gab er seine Wohnung
in Navarreux auf, verzog in das Département Creuze und tauchte dort mit geändertem
Namen (Georges Levacher) und Geburtsdatum bis November 1944 in die Illegalität ab.
Nach einem halbjährigen Zwischenaufenthalt in Paris kehrte er im Oktober 1945 nach
Saarbrücken zurück und eröffnete am 10. Dezember wieder eine Anwaltspraxis. Er war
Mitglied der Verfassungskommission und wurde am 5. Oktober 1947 als Abgeordneter
der Demokratischen Partei in den Landtag des Saarlandes gewählt. Diese zunächst nur
sehr locker organisierte Partei, die bei den Kommunalwahlen von 1949 ihre mittelstän-
dische Orientierung herausgestellt hatte, änderte seit dem Eintritt prominenter neuer
Mitglieder (z.B. Richard Becker, Dr. Heinrich Schneider) ihr politisches Konzept und
hinterfragte nun kritisch die Beibehaltung der Wirtschafts- und Währungsunion mit
Frankreich. Bei den Vorstandswahlen 1949 und 1950 fühlten sich Gustav Levy und die
beiden anderen Landtagsabgeordneten der Demokratischen Partei übergangen. Sie
sahen darin ein undemokratisches Verhalten, traten Anfang November aus der Partei
aus, verstanden sich aber nicht zu der vom neuen Vorstand ihnen nahe gelegten Nie-
derlegung ihrer Mandate, sondern behielten sie bis zum Ende der 1. Wahlperiode.
Gustav Levy verstarb am 24. März 1966.
LUDWIG, Adolf
* 27. Juni 1892 in Pirmasens. Ludwig war gelernter Schuhfabrikarbeiter und seit 1910
Mitglied der SPD und der Freien Gewerkschaften, ab 1920 Bürgermeister von Pirma-
sens. Große Popularität gewann er durch sein Engagement gegen separatistische
Bestrebungen, eine neutrale pfälzische Republik zu gründen, deshalb wurde er von der
französischen Besatzungsmacht 1923/24 ausgewiesen.
Nachdem er wieder nach Pirmasens zurückgekehrt und Stadtverordneter und Mitglied
des Bayerischen Landtages 1932 geworden war, verließ er im Juli 1933 nach mehr-
maliger Verhaftung seine Heimat und suchte Schutz im Saargebiet. Zunächst hielt er
sich in St. Ingbert auf, dann arbeitete er im SoPaDe-Grenzsekretariat in Han weder nahe
der französischen Grenze und war Mitarbeiter der Zeitschrift “Wesüand”. Nach der
Rückgliederung des Saarlandes an Nazi-Deutschland floh er nach Frankreich und lebte
bis 1939 in Sarreguemines. Er war Mitarbeiter von Max Braun und setzte seine Hoff-
nungen auf die Büdung einer Volksfront im Exil. Nach Ausbruch des Krieges begab er
sich in die ’Freie Zone’ und hielt sich dort bis 1941 im Département Charente in Chas-
seneuü auf, dann arbeitete er für die SPD in der Dordogne und lebte dort bis Juli 1943
als Landwirt. Er entkam knapp der Gestapo, die ihn entdeckt hatte, und schloß sich im
Herbst 1944 der Bewegung Freies Deutschland' in Toulouse an.
Nach seiner Rückkehr nahm er eine führende Stellung als pfälzischer Sozialdemokrat
und Gewerkschaftler ein, wurde Gewerkschaftsbeauftragter in Hessen-Pfalz. Ludwig
sammelte Erfahrungen im Kampf gegen kommunistische Agitation auf der Gewerk-
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Schafts- und Betriebsratsebene. Ohne Rückspache mit der Militärregierung nahm er an
der Londoner Marshall-Plan-Konferenz am 8. März 1948 teil. Trotz seines Wider-
standes gegen bestimmte Maßnahmen der französischen Militärregierung, wie z.B. die
Gründung des Landes Rheinland-Pfalz, bemühte er sich auch um die
deutsch-französische Verständigung, wobei hier insbesondere die Kontakte zwischen
S.F.I.O. und SPD ausschlaggebend waren. Adolf Ludwig war seit 1949 über drei
Wahlperioden Mitglied des Deutschen Bundestages.
Er spielt für die Geschichte des Saarlandes in der Hoffmann-Zeit insofern eine erwäh-
nenswerte Rolle, weil er die oppositionelle Partei- und Gewerkschaftsarbeit von Kurt
Conrad, mit dem er befreundet gewesen war, unterstützte. So half er bei der tech-
nischen Herstellung von Flugblättern und der "Freien Saarpresse", stellte das Gewerk-
schaftshaus in Elmstein im Pfälzer Wald für Veranstaltungen und Schulungsseminare
zur Verfügung und bemühte sich, das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Kurt
Conrad und Albin Karl zu verbessern. Er verstarb am 18. Februar 1962. Einer seiner
Söhne, Werner Ludwig, trat in die politischen Fußstapfen des Vaters und wurde
Oberbürgermeister von Ludwigshafen.
MARTIN, August
* 16. April 1886 in Ensdorf, Kreis Saarlouis. Martin stammte aus einer streng katho-
lischen Familie, war Vater von fünf Kindern. Nachdem er zunächst Präsident des
Landesversicherungsamtes gewesen war, wurde er als Ministerialdirektor der einzige
bedeutende CVP-Mann im 'roten' Arbeitsministerium.
Martin hatte sozialpolitische Erfahrung, da er bereits seit 1923 als Sekretär beim
Sozialversicherungsamt Saarlouis tätig gewesen war. Hier stieg er zum Regierungsrat
auf. Seine Familie galt bereits in der Zeit vor 1935 in Ensdorf als frankophil, sein
Schwager war Beamter bei den Mines Domaniales.
MATHIEU, Johann
* 6. Dezember 1888 in Neuhütten, Kreis Trier. Nach der Jahrhundertwende kam er als
Bergmann ins Saarrevier und wurde 1913 Mitglied des BAV. Er gehört zu den kom-
munistischen Pionieren an der Saar, so leitete er bereits 1922 einen "Verband der
Kommunisten".
Mathieu leistete während des Nationalsozialismus Widerstand, er stand in Kontakt zur
Forbacher Abschnittsleitung der KPD, nahm auch an Konferenzen in Frankreich teil
und arbeitete für die illegalen Parteiorganisationen in Neunkirchen sowie auf den
Gruben Dechen, Heinitz und Reden.
Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul schreiben ihm eine "konspirative Intel-
ligenz" zu.
Johann Mathieu, ein Gefolgsmann des Vorsitzenden des I. V. Bergbau Oskar Müller,
war nach 1945 ein Gewerkschaftler der ersten Stunde, der auf Grube Dechen bereits im
April 1945 mit der Reorganisation gewerkschaftlicher Interessenvertretung begann,
indem er sich zum Betriebsobmann der Grube Dechen erklärte. Mit Fritz Weyrich
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(Grube Kohlwald), Alois Körner (Heinitz), Martin Jakob (Itzenplitz) und Mathias Aatz
(Roden) bildete er eine Kerntruppe von aktiven Kommunisten, die Betriebspartei-
gruppenarbeit leisteten und den I.V. Bergbau auf kommunistischen Kurs bringen
wollten. Bei der von Oskar Müller initiierten Gründung des I.V. Bergbau am 18.
November 1945 hatte Johann Mathieu als rechte Hand Müllers eine tragende Rolle
übernommen, er eröffnete die Gründungsversammlung und trat als Obmann der
Gruppe Ost mit einem Bericht über die Verhandlungen mit der Militärregierung in
Sachen Sonntagsschichten auf.
Mathieu war überzeugter Einheitsgewerkschaftler, Anfang 1937 hatte er mit anderen
die "Saarvolksfront" in Metz gegründet als ein antifaschistisches Bündnis von Kommu-
nisten, Sozialdemokraten, Katholiken, freien und christlichen Gewerkschaftlern.
Nachdem Heinrich Wacker und insbesondere Eduard Weiter - unterstützt von Grand-
val - die Absetzung Oskar Müllers auf den Weg gebracht hatten, kandidierte Johann
Mathieu, der auch als verlängerter Arm Oskar Müllers galt, für den Vorsitz im I.V.
Bergbau gegen den aus der linkskatholischen Vitus-Heller-Bewegung kommenden
Aioys Schmitt, unterlag aber mit sechs zu neun Stimmen.
Innerhalb des I.V. Bergbau leistete er im Sinne der KP Betriebs- und Gewerkschafts-
arbeit und gehörte dem Gesamtbetriebsrat der Saargruben an.
Er verstarb am 2. Januar 1961 in Neunkirchen.
MECK, Henri
* 31. Juli 1887 in Saverne, Département Bas-Rhin. Er war aktiv am Aufbau einer
christlichen Gewerkschaftsbewegung im Elsaß und am Aufbau des M.R.P. als christde-
mokratischer Partei beteiligt und engagierte sich in hohem Maße für die Katholische
Kirche, die ihn mit dem Croix de l'ordre de Saint Grégoire le Grand ehrte.
Für die saarländische Sozialpolitik spielt er insofern eine Rolle, als er wesentlich an der
Zulassung und Gründung christlicher Gewerkschaften im Juli/August 1947 beteiligt
war. Er kannte aus der Zeit vor 1935 zahlreiche christliche Gewerkschaftler an der
Saar. Diese Achse erklärt vor allem Bidaults Entscheidung, christliche Gewerkschaften
an der Saar zuzulassen. Meck nahm an den Generalversammlungen der Chrisüichen
Gewerkschaften an der Saar teil und verteidigte dabei vehement den Gewerkschafts-
pluralismus. Er starb am 25. Dezember 1966 in Strasbourg.
MOMMER, Karl
Während der NS-Zeit emigrierte Mommer nach Südfrankreich, kehrte 1946 nach
Deutschland zurück und wurde Referent für Sozialpolitik und Flüchtlingsfragen im
Länderrat, Vorsitzender der Jungsozialisten Württemberg-Baden und Mitglied im
Landesvorstand der SPD, von März 1948 bis September 1949 Mitglied im Frankfurter
Wirtschaftsrat, dann Einzug in den Deutschen Bundestag, u.a. von 1961 bis 1966
Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, von 1966 bis 1969
Bundestagsvizepräsident.
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Als Referent und Abteilungsleiter im Deutschen Büro für Friedensfragen in Stuttgart
stand er in engstem Kontakt zu Dr. Strohm und engagierte sich so auch in Saarfragen.
Über Mommer sollen die pro-deutschen Sozialdemokraten bereits unmittelbar nach
Kriegsende in Kontakt zum Partei Vorstand in Hannover gestanden haben, auch für die
Zeit bis zum Referendum war er ein wichtiger Kontaktmann und half bei der Organi-
sierung finanzieller Hilfen für die Opposition mit.
MOSER, Leo
* 1. August 1920 in Wellesweiler, Kreis Ottweiler. Ab 1939 als Metallarbeiter im
Neunkircher Eisenwerk beschäftigt, ab 1950 dort Betriebsratsvorsitzender, im I.V.
Metall innerhalb der Einheitsgewerkschaft Gegenspieler von Richard Rauch. Leo
Moser schloß sich der oppositionellen Sozialdemokratie um Kurt Conrad an und wurde
im Frühjahr 1953 zum Zweiten Vorsitzenden des I.V. Metall gewählt. Nach dem
Referendum baute er den DGB-Saar mit auf und wurde 1960 zum Ersten Vorsitzenden
des DGB-Saar gewählt, übte diese Funktion bis 1972 aus, außerdem Vorsitzender im
Vorstand der LVA. Er war für die SPD Landtagsabgeordneter vom 3. Januar 1961 bis
13. Juli 1975. Leo Moser starb am 7. Januar 1984.
PETRI, Hermann
* 5. Januar 1883 in Neunkirchen, zuerst in der Schloßbrauerei Neunkirchen beschäf-
tigt, dann als Bergmann auf der Grube König. Ab 1909/10 war er Leiter der
BAV-Zahlstelle in Neunkirchen, trat 1917 der SPD bei und übernahm im November
1918 die Leitung des Arbeiter- und Soldatenrates Neunkirchen.
Vom 1. April 1919 bis 1935 Gewerkschaftssekretär des BAV, Mitglied im Stadtrat
Neunkirchen, seit 1922 Beigeordneter, Mitglied des Landesrates (1922-32) und gegen
die Rückgliederung an Nazi-Deutschland engagiert, Emigration nach Frankreich 1935,
wo er der führende Kopf unter den in Montluçon (Département Allier) lebenden
Saaremigranten war und der Widerstandsgruppe des Office sarrois angehörte, Verhaf-
tung durch die Gestapo 1941, wegen angeblichen Hochverrates zu 7 Jahren Zuchthaus
verurteilt. Nach der Befreiung wurde er zum Stadtvormund von Berlin-Spandau
ernannt, Rückkehr an die Saar, Aufbau der SPS, Regierungsrat, Leiter des Arbeitsamtes
Neunkirchen, Mitglied im Ersten Landtag, ab 1952 Ehrenvorsitzender der SPS, gehörte
mit Peter Zimmer bis zur Auflösung der SPS dem Landtag an.
Er vertrat schon recht früh gegenüber Richard Kirn eine kritische Position und war
gegen die Verfassungspräambel, unterwarf sich aber dem Fraktionszwang. Ernst
Kunkel beschreibt ihn als tapferen Genossen, "die Menschlichkeit selber".
Hermann Petri starb am 1. Oktober 1957. Zuvor hatte er hinnehmen müssen, daß die
SPD seiner Heimatstadt Neunkirchen sich gegen seine Übernahme in die SPD ausge-
sprochen hatte.
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RAUCH, Richard
* 6. Dezember 1897 im lothringischen Wolmiinster. Er trat als junger Mann in die SPD
und in die Gewerkschaft ein. Seit 1919 war er Mitglied der freien Gewerkschaft, seit
1925 Mitglied im Freien Metallarbeiterverband, von 1930 bis 1935 hauptamtlicher
Geschäftsführer der Ortsverwaltung Homburg und St. Ingbert des MAV und Vorsit-
zender der SPD-Ortsgruppe Dudweiler.
Am 18. Februar 1935 ging er ins französische Exil nach Foix, ab März 1937 nach
Montbard (Cote d' Or). Am 12. Juli 1941 wurde er verhaftet und nach Saarbrücken
gebracht, von dort weiter nach Oranienburg und ins Konzentrationslager Sachsen-
hausen, dort wurde er am 2. Mai 1945 befreit.
Am 24. Mai 1945 kehrte er ins Saarland zurück, beteiligte sich am Neuaufbau der
sozialdemokratischen Partei und gehörte ihrer Fraktion im Landtag des Saarlandes in
den ersten beiden Wahlperioden an. Rauch gehörte auch zu den Gründern der Einheits-
gewerkschaft und wurde Vorsitzender des I.V. Metall, nach der Absetzung von Paul
Kutsch leitete er kurze Zeit die Einheitsgewerkschaft. Er versuchte zur pro-deutschen
wie zur autonomistischen Seite Kontakt zu halten.
REGITZ, Friedei
* 7. Juni 1925 in Wellesweiler, Kreis Ottweiler. Nach Entlassung aus der britischen
Kriegsgefangenschaft 1945 Verwaltungsangestellter, ab 1947 Jugendsekretär der SPS
und Leiter der Jugendorganisation, in dieser Eigenschaft von 1948 bis 1952 im Lan-
desvorstand der SPS, journalistische Tätigkeit als Volontär und Redakteur der Volks-
stimme. Sehr früh bereits oppositionelle Haltung zum SPS-Kurs, ab 1951 für den
Pressedienst der SPD als Saarkorrespondent tätig, 1952 Austritt aus der SPS, mit Kurt
Conrad und Karl Etienne bildete er den Gründungskreis der illegal arbeitenden DSP,
deren Zweiter Vorsitzender er war, 1955 Einzug in den Saarländischen Landtag als
Abgeordneter für die SPD, Fraktionsvorsitzender, Chefredakteur der "Saarbrücker
Allgemeinen Zeitung", Vorsitzender des Bundes der Sozialistischen Jugend an der Saar
bis 1956. Seit 1966 war er Oberbürgermeister der Stadt Neunkirchen. Bis zu seinem
Tod am 6. August 1971 gehörte er dem saarländischen Landtag an, 1970 bei den
Wahlen zum Landesvorsitzenden unterlag er Friedei Läpple.
RIETH, Alphorne
ehemaliger Generalsekretär des lothringischen Bergarbeiterverbandes der C.G.T., 1936
traf Rieth, S.F.I.O. Mitglied, mit Richard Kirn auf einer Konferenz illegaler gewerk-
schaftlicher Gruppen aus allen Bergbaurevieren in Paris zusammen. Rieth war Kirns
Vorgesetzter, als dieser in die Dienste der C.G.T. trat.
Innerhalb der französischen Militärregierung und des Hohen Kommissariates war er
bis Mitte 1951 zuständig für Gewerkschaftsangelegenheiten und Sozialpolitik. Gleich-
zeitig war er Präsident des Technischen Ausschusses, dem wichtigsten Organ der LVA.
Im Frühjahr 1952 endete seine Tätigkeit im Saarland, und er wurde Unternehmer in
Metz.
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Alphonse Rieth spielte eine entscheidende Rolle bei den Beratungen zur Sozialversi-
cherungsreform 1947. Er unterstützte insbesondere auch die sozialdemokratischen
Bemühungen, die Verwaltungsorgane der Sozialversicherung zu besetzen.
ROTH, Ernst
* 23. April 1901 in Ernstweiler, Bez. Amt Zweibrücken, gelernter Journalist, ab 1924
Redakteur, Vorsitzender des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold Mannheim und Reichs-
tagsabgeordneter für die SPD, Emigration nach Frankreich ( von 1933 bis Kriegsende),
seit 1943 Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland, daher Bekanntschaft mit
Karl Hoppe, im Februar 1945 Vorsitzender der neu gegründeten “Landesgruppe
deutscher Sozialdemokraten in Frankreich”, 1945 im Saarland ansässig geworden,
Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, am Aufbau der Sozialdemokratie an der Saar
beteiligt, 1946-1948 Generalsekretär der SPS, ab 1946 in dieser Eigenschaft Chefre-
dakteur der SPS Parteizeitung "Volksstimme", sehr früh Oppositionskurs zu Kirn,
zunächst engagierte er sich für die Wirtschaftsunion mit Frankreich, vollzog dann aber
einen radikalen Kurswechsel, deshalb war er als Chefredakteur nicht mehr tragbar und
wurde entlassen und schließlich wegen seines Oppositionskurses und seinen Verbin-
dungen zur SPD ausgewiesen, trat aus der SPS aus und wurde Landrat im pfälzischen
Frankenthal, dann SPD-Abgeordneter im Ersten Deutschen Bundestag, Delegierter im
Strasbourger Europarat. Dort starb er unerwartet am 14. Mai 1955. Nach Einschätzung
Kunkels war Roth der erste Vertrauensmann der SPD an der Saar. Der Hohe Kommis-
sar lehnte ihn als Mitglied der Verwaltungskommission ab und verhinderte eine politi-
sche Karriere im Saarland, indem er ihn vom aktiven und passiven Wahlrecht ausge-
schlossen hatte.
RUFFING, Franz.
* 29. März 1921 in Oberbexbach, Bez. Amt Homburg, katholische Erziehung auf der
Konviktschule Speyer, Angestellter, Soldat im Zweiten Weltkrieg, seit 1946 in der
CVP aktiv, engagierte sich bereits 1946 für die Zulassung christlicher Gewerkschaften,
war Mitbegründer und Leiter der "Jungen Generation" in der CVP, wechselte 1951 zur
DPS, wurde dort Generalsekretär. Auf der Generalversammlung 1952/53 wurde er
zum Dritten Vorsitzenden der Christlichen Gewerkschaften Öffentlicher Dienst ge-
wählt.
Franz Ruffings politische Bedeutung in der Hoffmann-Zeit ist unter zwei Aspekten
paradigmatisch. Zum einen stand er mit seinen oppositionellen Aktivitäten in der CVP,
insbesondere in der CVP-Jugendorganisation, stellvertretend dafür, daß insbesondere
von der jüngeren Generation Oppositionssignale ausgingen. Zum anderen bekleidete er
ab 1953 als Leiter des Ferienwerkes der Arbeitskammer des Saarlandes eine wichtige
Rolle, was auch die Kräfteverhältnisse in der Arbeitskammer verdeutlicht, in der
zunehmend die Opposition Fuß fassen konnte.
Ruffing erhielt am 17. Februar 1977 den Saarländischen Verdienstorden.
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RU F FING, Hans
* 21. Januar 1897 in Bexbach, Bez. Amt Homburg. Er stellte sein Leben weitgehend in
den Dienst der christlichen Gewerkschaftsbewegung. Hans Ruffing stammte aus einer
alten Bergmannsfamilie, beide Großväter und deren sieben Söhne waren Bergleute.
Ruffing begann seine Tätigkeit als Bergmann auf der Grube König am 22. Januar
1913. Er nahm im Ersten Weltkrieg als Infanterist in Frankreich und Rumänien Teil,
wurde wegen einer Kriegsverwundung Ende 1917 entlassen, versuchte zunächst den
Bergmannsberuf weiter auszuüben. Wie sein Vater engagierte er sich in der christlichen
Gewerkschaftsbewegung. Im November 1920 wurde er hauptamtlich beim Gewerkver-
ein Christlicher Bergarbeiter Deutschlands angestellt, ab 1923 leitete er den Bezirk
Saarlouis-Fraulautem. In dieser Zeit trat er dem Zentrum bei.
Hans Ruffing gehörte nach Informationen der Sûreté zu den glühendsten Gegnern
einer Rückgliederung des Saarlandes an NS-Deutschland, nach der Rückgliederung
schlug er sich zunächst als Handelsvertreter durch.
Dann wurde er eingezogen und Zahlmeister bei der Wehrmacht, von August 1945 bis
Mai 1946 war er in französischer Kriegsgefangenschaft. Nach der Rückkehr ins
Saarland engagierte er sich zunächst in der Einheitsgewerkschaft und auch in der CVP.
Auf seinen Einsatz geht auch die Wiederzulassung christlicher Gewerkschaften zurück.
In diesem Zusammenhang nutzte er wahrscheinlich seine Kontakte zu dem elsässischen
Gewerkschaftler und M.R.P. Politiker Henri Meck, die vor 1935 entstanden waren. Er
war Mitglied der Verfassungskommission und Abgeordneter der CVP im Landtag des
Saarlandes in den ersten beiden Wahlperioden.
Er wurde einstimmig am 27. August 1947 zum Vorsitzenden der Gewerkschaft Christ-
licher Saarbergleute gewählt und fortlaufend in diesem Amt bis zu seiner Ernennung
zum Arbeits- und Sozialdirektor der Saarbergwerke am 1. April 1954 bestätigt, am 1.
April 1958 trat er in den Ruhestand. Ruffing gehörte zu den konstruktiven Gewerk-
schaftskräften, die sich um ein partnerschaftliches Verhältnis mit der französischen
Régie bemühten, dabei aber Enttäuschungen hinnehmen mußten.
SAVIOLI, Fritz,
* 26. Mai 1905, gelernter Schriftsetzer, dann Maschinensetzer, seit 1929 Mitglied der
SPD, gewerkschaftlich organisiert. Nach Kriegsdienst an der Ostfront im Verwaltungs-
dienst des saarländischen Bergbaus. Eintritt in die SPS, Mitglied des Landtages in der
2. Wahlperiode. Vom Partei Vorstand wurde er 1952 beauftragt, die Gewerkschafts-
arbeit zu intensivieren.
SCHAADT, Peter
Peter Schaadt zählte zur pro-deutschen Richtung im christlichen Gewerkschaftslager.
Insbesondere 1954/55 bemühte er sich um einen regelmäßigen Kontakt zu Wilhelm
Bodens im Kaiser-Ministerium.
Bodens versuchte erfolglos die Gruppe um Schaadt und Peter Gier davon zu überzeu-
gen, eine pro-deutsche Katholische Arbeiterpartei aufzubauen, die neben der CDU vor
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allem die Arbeiter im pro-deutschen Sinn ansprechen sollte. Seit der Zweiten General-
versammlung des Gesamtverbandes der Christlichen Gewerkschaften (1952/53) war er
bis 1955 Vizepräsident des Gesamtverbandes CGS, von 1954 bis 1956 Erster Vorsit-
zender der Christlichen Eisenbahnergewerkschaft, wechselte 1956 zum DGB.
SCHLEHOFER, Franz
* 17. Februar 1915. Studium der Philosophie und Volkswirtschaft in Köln, Bonn und
München, Ausbildung als Diplom-Volkswirt. 1947 Leiter des Büros der Verfassungs-
kommission, anschließend Kreissyndikus beim Landratsamt Ottweiler. Von 1948 bis
1955 Leiter der Präsidialkanzlei und nach Hoffmanns Rücktritt u. a. seit 1959 Ge-
schäftsführer des Saarländischen Industriellen-Verbandes und der Landes Vertretung
Saar des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, heute u. a. Vorstands Vorsitzender
der Union-Stiftung e.V., auch Mitglied im Aufsichtsrat der Saarbrücker Zeitung und
des Verwaltungsrates des Saarländischen Rundfunks.
SCHMIDT, Paul
* 1928 in Wiebelskirchen, Kreis Ottweiler, 1942 Lehre auf Grube Heinitz als Schlos-
ser, 1944 legte er die Gesellenprüfung ab und arbeitete auf Grube Kohlwald als junger
Schlosser, Arbeitsdienst von Januar 1945 bis zum Zusammenbruch, ab Juli fuhr er
wieder als Gruben Schlosser ein und wurde von Aloys Schmitt, den er von Jugend an
über die Pfarrei kannte, gleich für die Gewerkschaft angeworben. Bei der Gründung
des I.V, Bergbau im November 1945 im Klinkental in Landsweiler-Reden war er
Sprecher der Jugend, wurde Jugendobmann der Gruppe Ost und dann Jugendsekretär
im I.V. Bergbau. Er war von der Entlassungsaktion im I.V. Bergbau im November
1952 sowie vom Verbot im Februar 1953 betroffen, seine Frau Walburga war zeitweise
als Sekretärin für den I.V. Bergbau tätig.
Paul Schmidt trat 1953 der verbotenen DSP bei, nach der Rückgliederung ging er in
die SPD und 1957 nach Bochum zur Hauptverwaltung der IGBE, 1962 als Tarifsekre-
tär nach München und dann als Geschäftsstellenleiter und Bezirksleiter Süddeutschland
der IGBE nach Heilbronn. Nach der Wiedervereinigung schickte ihn die IGBE wegen
seiner Saarerfahrung in die neuen Bundesländer zur Reorganisation der Gewerk-
schaftsarbeit. Heute ist er in der Seniorenarbeit der SPD aktiv.
SCHMITT, Aloys
gehörte vor 1935 der Vitus-Heller-Bewegung an und fühlte sich der Wandervogelbe-
wegung verbunden. Nach 1945 Gewerkschaftler der ersten Stunde, der sehr schnell
offen eine oppositionelle Richtung einschlug. Seit 1948 Erster Vorsitzender des I.V.
Bergbau, verzichtete bewußt auf weitere Kandidatur 1950, teilte sich mit Kutsch die
Oppositionsarbeit, er als Stratege, Redenschreiber und Chefredakteur des "Saar-Berg-
bau" in der zweiten Reihe und Paul Kutsch als begnadeter Rhetoriker und öffentlich-
keitswirksamer Repräsentant. Er war Vorstandsmitglied im verbotenen I.V. Bergbau
sowie im Vorstand des wieder gegründeten alten I.V. Bergbau. Auf dem Ersten ordent-
520
liehen Kongreß des DGB in St. Ingbert am 17./18. März 1956 wurde er zum Ersten
Stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Schmitt war ein überzeugter und streng
gläubiger Katholik, der zu den Anhängern Lefebres gehörte. Am 23. April 1994 starb
er im Alter von 89 Jahren in Wiebelskirchen.
SCHULTE, Georg
* 29. September 1903 in Herzfelde, seit 1921 Mitglied der SPD, vor 1933 Journalist,
von 1933 bis 1935 im Saargebiet als Redakteur und Bildberichterstatter bei der sozial-
demokratischen Volksstimme tätig, Führer des sozialistischen Schutzbundes, engster
Mitarbeiter von Max Braun, beherbergte dessen ins Saargebiet emigrierten Bruder
Heinz. Seine Ehefrau Else arbeitete damals als Sekretärin zunächst bei der Arbeiter-
wohlfahrt, dann im SP-Parteisekretariat. Schulte emigrierte im Januar 1935 nach
Toulouse. Von August 1938 bis Juni 1940 unterstützte er als Sekretär Max Braun in
Paris bei Redaktionsarbeiten. Vor der Wehrmacht wich er nach Neris-les-Bains (De-
partement Allier) aus, wo damals auch Hermann Petri lebte. Dort wurde er 1943
festgenommen, über verschiedene Gefängnisse nach Saarbrücken gebracht, zunächst
in das KZ-Lager Goldene Bremm, dann in die Haftanstalt Lerchesflur. Am 8. Februar
1944 wurde er aus der Haft entlassen. Ein gegen ihn eingeleitetes Verfahren wegen
Landesverrates wurde mangels Beweise eingestellt. Bis Kriegsende arbeitete er unter
Gestapoaufsicht als Hilfsarbeiter in Saarbrücken. Am 15. Mai 1945 wurde er in das
Personalamt des neu eingerichteten Regierungspräsidiums Saar eingestellt, am 1.
November 1945 zum Oberregierungsrat ernannt, im Oktober 1946 als Direktor des
Inneren in die Verwaltungskommission des Saarlandes berufen. Bei Wiedergründung
der SPD-Saar war er zu deren Erstem Vorsitzenden gewählt worden, er bekleidete
dieses Amt bis 1947, dann bis September 1948 das Amt des Zweiten Vorsitzenden. In
der 1. Wahlperiode gehörte er der SPS-Fraktion des Landtages des Saarlandes an.
Nach Ablösung der Verwaltungskommission durch die Regierung des Saarlandes hatte
er Anspruch auf Verwendung im höheren Dienst. Erst 1949 nahm er eine Tätigkeit
beim Landeswohnungsamt an, die aber schon am 30. September 1950 mit der Über-
tragung der Rechtsprechung in Wohnraumbewirtschaftungsfragen auf den Verwal-
tungsgerichtshof endete. Im Juli 1953 wurde er zu dem Ernst Kunkel unterstehenden
Landesstock abgeordnet, um dort Fragen des Arbeitsmarktes zu bearbeiten und die
Herausgabe einer neuen Zeitschrift über Arbeits- und Sozialrecht vorzubereiten. Er trat
diese Stelle aber nicht an. Durch Verfügung des Ministerpräsidenten Ney vom 26. Juli
1956 wurde er mit Wirkung zum 1. November 1956 in den Ruhestand versetzt. Seit
1958 von einem politischen Gegner vorgebrachte Behauptungen, er habe nach seiner
Entlassung aus der Haft im Februar 1944 für den SD gearbeitet, erwiesen sich als
haltlos. Schulte starb am 1. Februar 1976 in Saarbrücken.
521
SPRINGER, René Dr. med.
*21. Juli 1892 in Strasbourg, als praktischer Arzt zunächst in Neuenheim bei Heidel-
berg tätig, heiratet 1917 in St. Ingbert Maria August, wie er israelitischen Glaubens.
Seit Dezember 1918 wohnte er in Heidelberg, soll dort auch Stadtverordneter gewesen
sein, und engagierte sich zu dieser Zeit in der Sozialmedizin, unterstützte Dr. Fraenkels
Bestrebungen zur Einrichtung des Lungenkrankenhauses Rohrbach und des Sanatori-
ums Speyrerhof, setzte sich auch für die Wohlfahrtspflege in Baden ein und flüchtete
1933, nachdem er Opfer eines SS-Überfalls geworden war, nach Strasbourg.
Bei Kriegsausbruch wurde er nach Toul einberufen, war dann als Militärarzt in Nancy
tätig, im Januar 1945 ins Kriegsministerium nach Paris als Médecin Colonel abkom-
mandiert, beteiligt an den Vorbereitungen zum Aufbau der französischen Militär-
regierung in Deutschland, kurze Zeit in Baden-Baden tätig, dann nach Saarbrücken
delegiert und Leiter der Abteilung Santé Publique. Er bemühte sich u.a. um den Aufbau
einer saarländischen Penicillinproduktion.
In diese Zeit fällt auch sein außergewöhnliches Engagement zur Verbesserung der
Versorgungssituation, so organisierte er durch seinen persönlichen Einsatz eine Nah-
rungsmittelhilfe für Kinder, die sogenannte "Schweizer Spende". Gute Kontakte zur
Schweiz bestanden schon vorher, denn bereits während des Zweiten Weltkrieges
bemühte er sich in Verbindung mit Kontaktpersonen in Zürich die Internationale
Brigade der Spanienkämpfer finanziell zu unterstützen.
Springer gehörte der S.F.I.O. an. In seiner Eigenschaft als Landesvertrauensarzt der
LVA wandte er sich gegen eine Übernahme des französischen Honorierungssystems.
Ein weiteres Feld seines Wirkens war die TBC-Bekämpfung und die Gründung einer
medizinischen Fakultät an der Universität des Saarlandes. 1952 hielt er sich für ein
halbes Jahr in der Türkei als Berater in ärztlichen Sozialversicherungsfragen auf.
Auf Vorschlag des Auswärtigen Amtes wurde Springer, der nach dem Referendum
weiterhin in Saarbrücken lebte, am 6. November 1974 das Bundesverdienstkreuz Erster
Klasse verliehen. Daneben wurde er durch die Ernennung zum Chevalier de la légion
d'honneur und Officier de l'ordre national du mérite geehrt.
Dr. Springer verstarb am 24. April 1980.
STEINHAUER, Karl
* 19. August 1902 in Saarbrücken, in der christlichen Gewerkschaft seit 1920 in der
Rechtsschutzabteilung tätig, seit 1947 erneut in der Rechtsabteilung der christl. Ge-
werkschaften, klar der oppositionellen Gewerkschaftsrichtung zuzuordnen.
Nach 1955 bekleidete er zahlreiche politische Funktionen: Abgeordneter im Landtag
des Saarlandes vom 18. Dezember 1955 bis 2. Januar 1961, zunächst für die CDU bis
zum 9. Dezember 1958, dann bis 3. Oktober 1960 für die DPS und schließlich frak-
tionslos bis zum 2. Januar 1961. Er verstarb am 19. März 1981.
522
STROHM, Gustav Dr. phil,
* 1. Juni 1893 in Esslingen am Neckar, Besuch eines humanistischen Gymnasiums und
anschließend von 1912 bis 1914 Studium der Geschichte und Philosophie in Tübingen.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges leisteteer bis 1918 Fronteinsatz, danach schloß
er sein Studium 1919 ab und promovierte 1921 zum Dr. phil mit einer Arbeit über die
politischen Ideen der griechischen Demokratie. Er bewarb sich danach für den deut-
schen Auslandsschuldienst, trat 1921 dann in den diplomatischen Dienst ein, zuerst als
Attaché im Auswärtigen Amt, dann 1928 als Legationsrat, 1930 ging er als Konsul
nach Lyon, gleichzeitig beauftragt mit der kommissarischen Leitung der Wirtschafts-
abteilung der Botschaft in Paris. Im Herbst 1933 wurde er ins Auswärtige Amt zurück-
berufen und dem Referat Saargebiet als Stellvertreter zugeteilt. Nach dem italie-
nisch-abessinischen Krieg wurde er als Geschäftsträger nach Addis Abeba geschickt.
Ab März 1944 erhielt er kein Gehalt mehr und arbeitete bis Kriegsende als Fabrik-
arbeiter in Nagold, geriet als Volkssturmpflichtiger in französische Kriegsgefangen-
schaft und kehrte im Januar 1946 nach Stuttgart zurück. Er übersetzte Bücher amerika-
nischer Autoren ins Deutsche und war seit 1947 als Mitarbeiter der "Stuttgarter Rund-
schau" tätig, seit Juli dann beim Deutschen Büro für Friedensfragen mit der Bearbei-
tung von Saarfragen beschäftigt. Dort suchte ihn Fritz Hellwig nach seiner Entlassung
aus dem Kriegsgefangenenlager auf, mit dem er seit dieser Zeit in Saarfragen zu-
sammenarbeitete.
Innerhalb des Auswärtigen Amtes war er Leiter des Referates für Saarfragen. Ihm ging
es darum, die saarländische Öffentlichkeit auf einen pro-deutschen Kurs zu bringen.
Zur Durchsetzung dieses Zieles setzte er auf die Bergleute und insbesondere den I.V.
Bergbau, wobei die Erinnerung an die Zeit vor 1935 und den Bergarbeiterstreik von
1923 ihn in der Einschätzung, die Saarfrage werde auch nach 1945 vom Saarkumpel
entschieden, prägte. Die oppositionellen Gewerkschaftler forderte er auf, die Themen
Mitbestimmung und Tarifvertragsautonomie politisch zu instrumentalisieren und an
ihnen die sozialpolitische Einengung durch den französischen Wirtschaftspartner
vorzuführen. Zunächst setzte Strohm, selbst Mitglied der SPD, parteipolitisch auf die
Opposiüonskraft der DPS und regte ein sozialeres Parteiprogramm an, 1951 zweifelte
er jedoch immer mehr an dem Erfolg der DPS und konzentrierte sich mehr auf die
oppositionelle Sozialdemokratie.
Adenauer suspendierte ihn im April 1952 vorläufig vom Dienst, weil er Informationen
über deutsche Vorschläge zur Lösung der Saarfrage an die Presse weitergeleitet haben
soll, nach Aussagen von Zeitzeugen allerdings auf Anordnung Adenauers. Danach
wurde Strohm als Botschafter im Herbst 1954 nach Südafrika geschickt.
Dr. Strohm starb am 22. August 1957 an den Folgen einer asiatischen Grippe im Alter
von 64 Jahren in Pretoria.
523
TRITTELVITZ, Hermann
* 10. April 1909 in Völklingen-Fenne, Krs. Saarbrücken, Studium der Nationalökono-
mie in Heidelberg und Hamburg, 1945 Amtsbürgermeister von Spiesen-Elversberg,
Landrat des Kreises Homburg bis 1952, Mitglied der SPS, ging dann zur DSP, wurde
als Landrat entlassen und ausgewiesen. Trittelvitz arbeitete ab 1953 als Regierungsrat
im Staatlichen Hafenamt in Ludwigshafen und wurde Bundestagsabgeordneter für die
SPD in Rheinland-Pfalz. Nach dem Referendum legte er sein Bundestagsmandat nieder
und ging ins Saarland zurück, wurde am 3. September 1956 als Oberregierungsrat mit
der Leitung des Arbeitsamtes Saarbrücken beauftragt, wechselte im Mai 1957 ins
Arbeitsministerium und bekleidete das Amt des Arbeitsministers im Kabinett Röder im
Jahre 1959/60. Danach wurde er Vorsitzender des Verwaltungsrates des Saarlän-
dischen Rundfunks.
Am 21. Februar 1967 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. Trittvelvitz
bemühte sich vergeblich um die Wahrung des "sozialen Besitzstandes" bei der Rück-
gliederung des Saarlandes. Der Vater von Hermann Trittelvitz gehörte übrigens zu den
Gründern der CDU-Saar, vor 1945 in der "Bekennenden Kirche" tätig. Er starb am 11.
Januar 1970 in Saarbrücken.
WACKER, Heinrich
* 18. Januar 1887 im württembergischen Aalen, Sozialdemokrat und Gewerkschaftler.
Seit 1909 Mitglied der SPD, Vorsitzender des Bezirkskartells des allgemeinen Freien
Angestelltenbundes. Von 1922 bis 1932 Geschäftsführer des Deutschen Werkmeister-
verbandes, ging nach 1933 ins saarländische Exil, übernahm den Vorsitz im sozialisti-
schen Schutzbund und engagierte sich gegen die Rückgliederung an Hit-
ler-Deutschland. 1935 emigrierte er nach Frankreich, zunächst nach Forbach, wurde im
September 1939 in Mont de Marson bzw. Libourne interniert, ging im Juni 1940 ins
Elsaß und wurde dienstverpflichtet bei der Aero-Gerätebau in Hüningen, 1944 kam er
dann ins tschechische Karlsbad, im Juni 1945 konnte er ins Saarland zurückkehren.
Er spielte eine tragende Rolle beim Wiederaufbau der Gewerkschaften im Saarland,
war Präsident der Einheitsgewerkschaft von 1945 bis 1951, dann ihr Ehrenpräsident
bis zum Frühjahr 1953. Von 1951 bis 1957 war Wacker der Erste Präsident der nach
dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebauten Arbeitskammer des Saarlandes. Der
"Österreich-Fan", so Norbert Engel über ihn, kannte das österreichische Kammerwesen
und gehörte zu den geistigen Vätern der Kammer. In der ersten Wahlperiode des
Saarländischen Landtages war er Abgeordneter der SPS und bis 1953 im Parteivor-
stand. Sehr früh sprach sich Wacker als Präsident der Einheitsgewerkschaft zusammen
mit Eduard Weiter für den Wirtschaftsanschluß an Frankreich aus. Gegen die starke
Position der Kommunisten im I.V. Bergbau war er mehr oder weniger machtlos. Als
Gewerkschaftsführer scheint ihm an der Saar die Popularität gefehlt zu haben, er soll
kein mitreißender Redner gewesen sein, insbesondere kam auch hinzu, daß er mit
württembergischen Akzent sprach.
Auch nach der Rückgliederung blieb er im Saarland und verstarb in Saarbrücken.
524
WALZ, Karl
* 22. Oktober 1900 in Ludwigshafen, bis 1922 im Telephon- und Telegraphendienst
beschäftigt, in der katholischen Jugendbewegung aktiv, Mitgliedschaft im Windhorst-
bund und im Zentrum. Am 1. November 1922 wurde er hauptamtlich Sekretär bei den
Christlichen Gewerkschaften. In dieser Eigenschaft kam er am 1. Dezember 1929 zu
der Gewerkschft Deutscher Eisenbahner nach Saarbrücken, Im Abstimmungskampf
betätigte er sich als Redner der Deutschen Front. Er nahm an beiden Weltkriegen teil.
Nach 1945 trat er in die CVP ein, war ab 1948 CVP-Kreissekretär für Saar-
brücken-Stadt, vertrat aber bald eine oppositionelle Haltung gegenüber der Politik der
Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich. Er hatte wesentlichen Anteil an der
Wiedergründung der christlichen Gewerkschaften an der Saar, war Landesvorsitzender
und Sekretär der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften der handwerklichen
Berufe. Mit Dr. Hubert Ney und anderen gründete er 1952 die zunächst nicht zu-
gelassene CDU-Saar und wurde im folgenden Jahr wegen seiner politischen Tätigkeit
ausgewiesen. Als einer der bewußt aufgestellten Saarländer wurde er am 6. September
1953 über die CDU-Landesliste Rheinland-Pfalz in den Deutschen Bundestag gewählt
und gehörte ihm über mehrere Wahlperioden bis 26. Mai 1967 an. Auf der Bonner
Bühne vermittelte er Kontakte der oppositionellen saarländischen christlichen Gewerk-
schaftlern wie Peter Schaadt und Karl Lauer zum Ministerium für Gesamtdeutsche
Fragen und zu Franz Josef Strauß.
Nach dem Referendum ins Saarland zurückgekehrt wurde er am 18. Februar 1956 zum
2. Stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Saar gewählt und behielt dieses Amt noch
einige Jahre unter der Leitung des Landesverbandes durch Franz Josef Röder.
Hauptberuflich wurde er 1957 Leiter der in Analogie zu den anderen Bundesländern in
Saarbrücken neu gebildeten Landeszentrale für Heimatdienst, später umbenannt in
Landeszentrale für Politische Bildung. Erst 1970 gab er dieses Amt ab. Als Vorsitzen-
der des Landeskuratoriums Unteilbares Deutschland engagierte er sich, in der Öffent-
lichkeit den Gedanken der Wiedervereinigung wach zu halten, auch zu Zeiten, wo dies
nicht auf der Linie der offiziellen Bonner Politik lag. Er starb am 17. April 1990 in
Saarbrücken.
WEITEN, Willi
* 30. Mai 1909 in Saarbrücken. Nach Besuch eines humanistischen Gymnasiums als
kaufmännischer Angestellter tätig, Kriegs Verwundung, Zweiter Vorsitzender der
VdKdS, Eintritt in die CVP, Mitglied des Saarländischen Landtages vom 23. April
1948 bis zu seinem Tode am 1. April 1952.
WELSCH, Heinrich Dr. jur.
* 13. Oktober 1888 in Saarlouis, Jurist. Von 1921 bis 1934 war er als Staatsanwalt in
Saarbrücken tätig, 1934/35 Leiter der Staatspolizeistelle Trier, ab Oktober 1935 Ge-
neralstaatsanwalt in Zweibrücken, 1938-1940 mit Sonderauftrag nach Wien abge-
ordnet, seit Frühsommer 1940 Leiter der Abteilung Justiz beim Chef der Zivilver-
525
waltung in Lothringen. In der Ausübung dieser Funktionen half er zahlreichen Ver-
folgten des Nazi-Regimes.
Seit 1949 bemühte er sich über Robert Schuman auf Bitte von Hermann Röchlings
Schwiegersohn Dr. Hans-Lothar von Gemmingen-Hornberg um dessen vorzeitige
Entlassung. Röchling war von einem französischen Militärgericht zu 10 Jahren Frei-
heitsstrafe verurteilt worden. Im Sommer 1951 führten diese Bemühungen zum Erfolg.
Heinrich Welsch prägte die saarländische Sozialpolitik zwischen 1947 und 1955 als
Präsident des Landesversicherungsamtes und als Direktor des Ministeriums für Arbeit
und Wohlfahrt. Er wirkte ausgleichend und schuf Kompromisse, so z.B. bei den
Auseinandersetzungen mit der Ärzteschaft.
Nach dem Referendum führte Heinrich Welsch vom 29. Oktober 1955 bis zum 10.
Januar 1956 als Ministerpräsident eine Übergangsregierung und bekleidete gleichzeitig
das Amt des Arbeitsministers. Welsch verfügte während der Hoffmann-Zeit nicht nur
über gute Kontakte zu den Anhängern einer autonomen Saar, die auf seinen Rat und
seine Sachkompetenz nicht verzichten wollten, sondern war auch Ansprechpartner für
die pro-deutschen Kräfte, so versuchte Dr. Gustav Strohm, Leiter des Saarreferates im
Bonner Auswärtigen Amt, 1951 Welsch dazu zu bewegen, in die DPS einzutreten und
ihren Vorsitz zu übernehmen. 195S erhielt er das Bundesverdienstkreuz, im September
1968 das Große BVK mit Stern und Schulterband.
Dr. Heinrich Welsch verstarb am 22. November 1976.
WELTER, Eduard
* 8. März 1900 in Saarbrücken, Stadtteil Jägersfreude. Der Sohn eines Bergmannes trat
in die Fußstapfen des Vaters und arbeitete bis zum 17. Lebensjahr auf der Grube
Jägersfreude, dann als Eisenbahner auf dem Saarbrücker Rangierbahnhof. 1925 trat der
seit 1904 in Dudweiler wohnende Weiter in die KPD ein. 1929 wurde er Obmann des
Arbeiterausschusses im Saarbrücker Rangierbahnhof, 1931 kurz vor seiner Entlassung
wurde er in diesem Amt bestätigt. Nach kurzer Arbeitslosigkeit arbeitete er haupt-
amtlich für die Partei. Nationalistische Parolen setzte er unbeschränkt ein, um für die
Partei zu werben. Nach der Machtergreifung Hitlers war er Leiter der illegalen Wider-
standsbewegung der Bezirke Frankfurt/Main, Mannheim und Köln, 1934 dann Landes-
leiter der Widerstandsbewegung in Berlin. Ende Oktober 1934 kehrte er ins Saargebiet
zurück, beteiligte sich aber nicht aktiv am Abstimmungskampf. Weiter wurde 1935
von der Gestapo verhaftet, er entging durch glückliche Umstände einer Verurteilung,
verließ dann aber das Saarland und ging in die französische Emigration, hielt sich. u.a.
in Paris und St. Etienne auf, schloß sich schon sehr früh der Resistance an und kehrte
im Herbst 1945 ins Saarland zurück, bis September 1945 arbeitete er noch in Paris als
Drucker, am 2. November 1945 meldete er sich in Dudweiler an.
Klaus-Michael Mallmann und Gerhard Paul betonen, daß die Idee der deutschen
Nation für Weiter durch das "Dritte Reich" untergegangen sei.
Er gehörte zu den Vertrauten Heinrich Wackers bei der Konstituierung der Einheits-
gewerkschaft im Juli 1945, Weiter wurde zum Stellvertretenden Präsidenten der
526
Einheitsgewerkschaft gewählt, diese Funktion bekleidete er bis zum Ersten Landeskon-
greß der Einheitsgewerkschaft am 20. November 1949, danach war er noch im Vor-
stand. Er selbst hatte am 18. November 1945 den Industrieverband Eisenbahn, Post
und Fernmeldewesen gegründet, den er als Erster Vorsitzender bis zur Ablehnung des
Saar - Statuts führte. Weiter engagierte sich wie Wacker sehr früh für einen Wirt-
schaftsanschluß an Frankreich. Innerhalb der Einheitsgewerkschaft stand er damit im
Gegensatz zu KP-Mann Oskar Müller als Vorsitzendem des I.V. Bergbau. Für die
Absetzung Müllers soll sich Weiter stark gemacht haben, in dem er ihn für die Erhal-
tung der Gewerkschaftseinheit als untragbar bezeichnete. Bis zum 30. April 1947 war
er KP-Mitglied, er wurde wegen seiner profranzösischen Haltung ausgeschlossen.
Eduard Weiter lag viel an der Gewerkschaftseinheit, er versuchte noch im Frühjahr
1948 gegen die bereits seit August bestehenden christlichen Gewerkschaften in Paris
Stimmung zu machen und sie als eine von ehemaligen Nazis beherrschte Organisation
zu diskreditieren.
Weiter ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der saarländischen Gewerk-
schaftslandschaft gewesen, seine Gegner beschimpften ihn als "Französling" oder
"willfähriges Werkzeug der Franzosen". Nach der Rückgliederung an die Bundesre-
publikschied er aus der Gewerkschaftsarbeit aus und wurde Versicherungskaufmann.
Er starb am 16. März 1979 in Saarbrücken.
WENTZ, Ernst
* 22. August 1908 in Kirkel, Bez. Amt Homburg, nach der Volksschule als Post-
beamter bis 1966 in den gehobenen Dienst aufgestiegen, 1947 Mitglied des Bezirks-
vorstandes der Saar-Postgewerkschaft, von 1949 an Bezirksvorsitzender, von 1955 bis
1958 Vorsitzender des DGB-Landesbezirks Saar, seit 1956 Bürgermeister von Kirkel.
Der erste Vorsitzende des DGB-Saar trat während der Hoffmann-Zeit nicht in der
ersten Reihe der oppositionellen Gewerkschaftler auf. Er verstarb Anfang des Jahres
1958.
WESTERMANN, Friedrich
* 23. Januar 1883. Von 1907 bis 1945 auf der Burbacher Hütte tätig, zuletzt als Werk-
meister. Nach dem Ersten Weltkrieg Eintritt in den DMV, 1920 Betriebsratsmitglied,
Zweiter Vorsitzender des DMV-Saarbrücken, Eintritt in die SPD 1919. Nach 1945
wurde er Mitglied der SPS, war Gründungsmitglied des I.V. Metall und Mitglied des
Saarländischen Landtages.
WILL, Hans Peter Dr.
* 2. August 1899 in Frankfurt am Main, Studium der Natur- und Rechtswissenschaften
sowie der Volkswirtschaft an der Universität Frankfurt, Promotion in Staatswissen-
schaften, von 1921 bis 1944 in der freien Wirtschaft tätig.
Will kam mit seiner Frau, einer gebürtigen Elsässerin aus Wissembourg (Département
Bas-Rhin) und Tochter eines protestantischen Pfarrers, die er 1935 in Frankfurt ge-
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heiratet hatte, am 31. Mai 1946 aus dem bayerischen Dinkelsbühl ins Saarland. Seine
Frau besaß die französische Staatsangehörigkeit. Will war während des "Dritten
Reiches" kein Parteimitglied, aber in der N.S.V. eingeschrieben. Will wurde Ministeri-
aldirektor im Wirtschaftsministerium und war führendes Mitglied der SPS. Anfänglich
folgte er dem Kirn-Kurs, schlug dann aber spätestens 1950 eine Oppositionsrichtung
ein. Er galt als Wirtschaftsfachmann und wird als beeindruckende intellektuelle Persön-
lichkeit bezeichnet, die auch innerhalb der Bonner SPD Reputation genoß, dort galt er
als der "Carlo Schmid" der saarländischen Sozialdemokratie und zeitweise als Hoff-
nungsträger der oppositionellen Sozialdemokraten an der Saar. Er war Mitglied des
SPS-Landesvorstandes, Vorstandsmitglied der DSP, Mitglied im Koordinationsaus-
schuß der drei großen nichtkommunistischen Oppositionsparteien, später "Deutscher
Heimatbund", und Vorstandsmitglied im Deutschen Saarbund.
Vom 18. Dezember 1955 bis zum 2. Januar 1961 war er für die SPD Abgeordneter des
saarländischen Landtages und spielte bei der Verfassungsreform in der Dritten Wahl-
periode eine wichtige Rolle, des weiteren Mitglied im Landesparteivorstand und
Mitglied des Deutschen Bundestages sowie Präsident des Saarländischen Automobil-
und Touringclubs. Er starb am 3. Februar 1990.
ZIMMER, Peter,
*31. Dezember 1887 in Schiffweiler/Saar, Bergmannssohn, Hauer auf der Grube
Reden, seit 1909 Mitglied im BAV, zunächst Mitglied der Freisinnigen Partei, dann seit
1916 der SPD, politischer Ziehvater von Richard Kirn, von 1921 bis 1925 Jugend- und
Arbeitersekretär des BAV, Besuch der Handelsschule und der Akademie der Arbeit in
Frankfurt, 1925/26 Bibliothekar bei der Regierungskommission für das Saargebiet,
dann bis 1933 in der Chefredaktion der Bergarbeiterzeitung in Bochum tätig, im April
1933 verhaftet. Zimmer floh aus einem Essener Gefängnis aus NS-Deutschland und
emigrierte im August an die Saar. Im Oktober 1934 wurde er Verwaltungsangestellter
beim Abstimmungsgerichtshof für das Saargebiet, diese Tätigkeit endete im März
1935. Während des "Dritten Reiches" zählte er zu den Informanten Wilhelm Leu-
schners.
Von 1942 bis 1945 war er Geschäftsführer der Betriebskrankenkasse Arnold Becker.
Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er vorübergehend im KZ-Lager Goldene
Bremm in Schutzhaft gehalten, bald nach dem Einmarsch der US-Armee zum Direktor
der Saarknappschaft ernannt.
Als Mitglied der Verfassungskommission spielte er eine führende sozialpolitische Rolle
in der SPS. Seine parteipolitische Bedeutung lag in seiner Vermittlerfunktion zwischen
den beiden Antipoden Richard Kirn und Dr. Heinz Braun. Ab September 1945 war er
im vorläufigen Beirat und Vorstand der Saarknappschaft.
Zimmer spielte eine tragende Rolle bei der Gestaltung der sozialpolitisch relevanten
Abschnitte der saarländischen Verfassung. Mit der Aufnahme der Selbstverwaltung
und der Arbeitslosenversicherung in die Verfassung stellte er Weichen für die Erhal-
tung wichtiger Elemente der deutschen Sozialversicherungstradition. Sein taktisches
528
Talent wie auch seine Contenance trugen ihm Respekt und Autorität ein - wie sich
Ernst Kunkel erinnert. Zimmer ermutigte die französische Militärregierung im Saar-
land, christliche Gewerkschaften nicht zuzulassen, sondern die Einheitsgewerkschaft
zu unterstützen. Er war Zweiter Vorsitzender der SPS, Präsident des Landtages des
Saarlandes in den beiden ersten Wahlperioden und Abgeordneter der SPS in der 3.
Wahlperiode bis 31. März 1956. Bürgermeister der Stadt Saarbrücken vom 19. Juli
1949 bis 18. Juni 1956 und spielte auch bei der Eingliederung der SPS in die SPD eine
wichtige Rolle. Zimmer starb am 12. Oktober 1970.
529
QUELLEN UND DARSTELLUNGEN
I. ARCHIVE:
1.1. Französische Archive:
Ministère des Affaires Etrangères, (MAE):
- Paris
Serie Z, Sous Série Sarre:
47, 48, 52, 53, 65
Serie EU, Sous Série Sarre:
59, 60 - 62, 63, 99, 104 - 109, 145, 146, 226, 234, 236, 238 - 242, 249 - 252, 254 -
261,263, 264, 266
- Nantes:
Haut Commissariat en Sarre,
Cabinet Politique:
54, 64, 65, 69,70, 116, 117, 120, 121, 137
Mission Juridique/Questions Sociales (M.J./Q.S.):1
J 11, J I 3, J 16, J II 1, J II2, J E 4, J n 5, J ü 6, J H 7, J ïï 8, J ni 3
Mission Juridique/Questions Economiques (M.J./Q.E.):
Mines 4, E VI4, E VI 5
Mission Juridique/Questions Financières (M.J.(Q.F.):
F VI 23, F VI 25.
Archives de l'occupation Française en Allemagne et en Autriche, Colmar (AdO
Colmar):
Bestd. Commissariat pour le Land Rhénanie-Palatinat.(CRLP) Fonds réçu du consulat de
France à Mayence (FRCM), Cari. Nr,15
Dossiers Debrés: 2 b
"Privatarchiv"/ Privatnachlaß Gilbert Grandval (PGA):
Dossier 8, 10, 14, 16, 17, 24, 27, Sarre I, Doss. A-H
"Privatarchiv"/ Privatnachlaß Dontot (PAD):
Dossier 5, 9/1 und II
1 Die Bestände der Mission Juridique sind erst provisorisch erschlossen.
530
I. 2. Deutsche Archive:
Bistumsarchiv des Bischöflichen Ordinariates Speyer (BISTA SP):
Bestd. Bischöfliches Hausarchiv B A A-XVI-7, A-XVI-68
BO N.A.28/10-Kart. 18
Bundesarchiv Koblenz (BA KO):
Bestd. NL 80/Nachlaß Hans Blücher2: 123
Bestd. NL 18/Nachlaß Jakob Kaiser: 184
Bestd. B 118/KPD: 41, 49, 60, 171
Bestd. Bundeskanzleramt, B 136: 940
Bestd. Bundesministerium für Arbeit, B 149: 3685, 3686, 3689, 3690, 3692 (1/2),
3693, 3694, 3696 - 3698, 3700, 7120, 7802, 7804, 7807, 7808, 9822, 9831
Bestd. Bundesministerium für Familien fragen, B 153: 000 737, 000 738
Bestd. Bundesministerium des Innern, B 106: 8396, 9370, 9708
Bestd. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, B 137: 1400, 3400, 3410,
3437, 3439, 3446, 3455, 3478, 3623
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (PAA):
Bestd. Abteilung 2: 480-483, 496, 524
Bestd. B 17, Referat 219: 11, 90, 91
Archiv der Sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn (ASDP):
Nachlaß Karl Mommer: 24
Sammlung Emst Kunkel: 7A, 7B, 14, 19, 21A, 50, 61, 62, 66, 67
Bestd. Zeitgeschichtliche Sammlung der SPD-Saar: Ordner mit Landespartei-
vorstandsprotokollen der SPS
Archiv für Christlich Demokratische Politik der Konrad Adenauer Stiftung, St.
Augustin (ACDP):
Nachlaß Peter Clemens: 1-340: 002/1
Nachlaß Franz-Josef Wuermeling: 1-211: 017, 018
Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im
Bundesarchiv, Berlin (SAPM):
Nachlaß Friedrich Basel, Bestand NL 190/ 18-20, 25-27, 29, 34, 58
2 Ein Teil des Nachlasses Blücher befindet sich im nordrhein-westfälischen Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf
sowie im Archiv der Friedrich Naumann-Stiftung in Gummersbach. Die Schriftstücke beziehen sich auf den
Zeitraum 1946-1949, enthalten jedoch keine Hinweise auf das Saarland.
531
DGB-Archiv in der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf (DGB-Archiv):
Bestd. Bundesvorstand, Abt.Organisation, 24: 345, 347, 348, 350, 351, 353-355, 357,
359
Bestd. Protokolle über Sitzungen des DGB-Bundesvorstandes: 8, 9, 22
Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, Bochum, Abt. Archiv und
Bibliothek (IGBE-Archiv):
Bestd. Diverse 31: Mappe 2
Bestd. Diverse 32: Mappe 1, 4,-6, 8-11
Landesarchiv Saarbrücken (LA SB):
Bestd. Amt für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten (AA): 402, 446, 646, 649,
763, 890, 910
Bestd. Ministerium für Arbeit und Sozialordnung (MifAS)3 : Bü.5, Bü.7, Bü.8, Bü.ll,
Bü.12, Bü.14, Bü.15, Bd.18, Bü.25, Bü.26, Bü.28, Bü.30, Bd.31, Bd.34, Bd.82,
Bd.134, Bd.l46,Bd.l91, Bd.222, Bd.226, Bd.230, Bd.249, Bd.285, Bd.306, Bd.318,
Bd.324, Bd.292, Bd.344
Bestd. Ministerium des Innern (MdI): 580, 878
Bestd. Ministerium für Wirtschaft: 793
Bestd. Regierungspräsidium (RP): 3, 5, 11, 12, 79, 80, 86, 88, 119
Bestd. Verwaltungskommission (VWK): 4, 15, 24, 54, 71, 195, 202, 212, 222, 223,
232, 260
Bestd. Staatskanzlei (Stk): 665, 666, 866, 1050, 1256, 1702-1704, 1966, 2347, 2365,
2978,2995,2996,2998, 2999, 3133, 3140, 3146, 3147, 3187, 3207, 3208, 3346, 3349
Kabinettsregistratur/Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt (StK/KR/MAW): 1948-1955.
Ordensregistratur: 27, 98, 191, 684, 819, 1909
Bestd. Staatskanzlei/Pressearchiv: 031-4, 2001.
Bestd. Landesentschädigungsamt (LEA): 1979, 2163, 2514, 2945, 3048, 3084, 3332,
5329, 5615, 6920, 7679, 7996, 8561, 8762, 9080, 9571, 9824, 9954, 10065, 10987.
Bestd. Partei- und Verbandsdrucksachen (PVD):574, 920, 952, 1435
Bestd. Nachlaß Richard Kim: 1, 4
Bestd. Nachlaß Johann Klein: 31, 47, 63, 108
Bestd. Nachlaß Dr. Heinrich Schneider: 45, 49, 149, 194, 233, 542, 396
Bestd. Nachlaß Dr. René Springer: 1, 2, 3
Bestd. Sammlung Handfest (SL Handfest): Nr.66, 70, B 30, F 2000, F 6000, HZ 437
Bestd. Biographische Sammlung
Bestd. Schneider-Becker-Archiv: III 5a-b, 6, IV 1, la, 2, 2c-e, 5, 6, 11, 14, 15 a
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHstA Wi):
Spruchkammerbestände, Abt. 520: We NB 81177 Es 711
Bestd. Staatskanzlei, Abt. 502: 6062
3 Bestand erst provisorisch verzeichnet, Bü=Bündel, Bd= Band(Aktenordner)
532
Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Außenstelle Pattensen (NHA):
NdS 171/Hildesheim H-VE/PE 2247
Bestd. Deutsche Partei (VVP 7): 380, 401, 474
Nachlaß Dr. Wolfgang Bode (WO 40): Nr.10
Archiv des Saarländischen Landtages Saarbrücken (LTA SB):
Niederschriften des sozialpolitischen Ausschusses der 1. und 2. Wahlperiode
Niederschriften des Ausschusses für Wiederaufbau und Wiedergutmachung der 1.
Wahlperiode
Landtag des Saarlandes (LTS), Drucksachen (DS), Plenumsprotokolle bzw. Nieder-
schriften zu den Sitzungen der 1. und 2. Wahlperiode
Landtag des Saarlandes (LTS), Drucksachen (DS) Abt. I und II der 1. und 2. Wahl-
periode
Landesversicherungsanstalt für das Saarland (LVA-Archiv):
Niederschriften des Technischen Ausschusses 1948 - 1951
Geschäftsberichte der Landes Versicherungsanstalt ab 1945
Bundesknappschaft, Bezirksstelle Saar (SKB):
Niederschriften zu den Sitzungen des vorläufigen Vorstandes der Saarknappschaft
Stadtarchiv Neunkirchen (StA NK):
Schenkung Werner Weiland: Ordner zu Wahlen im Saarland Teil 1 und 2
Bestd.: Geschichte des IV Bergbau.
- Referat Aloys Schmitt auf der letzten Generalversammlung des IV Bergbau
- Referat Aloys Schmitt auf der Historischen Konferenz des DGB gegen die Naziherr-
schaft am 7.7.85 in der Stadthalle St. Ingbert
Stadtarchiv Saarbrücken (StA SB):
Bestd. Nachlaß Emile Schüler: 5, 9, 17, 28, 32
Statistisches Amt des Saarlandes Saarbrücken(SAS)
Geschäftsberichte der Kasse für Familienzulagen
Jahresberichte der Saarknappschaft 1947 f.
Mappe, Saarländisches Arbeitsministerium, Referat B 16, Familienzulagen: Vergleich
der Regelungen über die Zahlung von Kindergeld im übrigen Bundesgebiet und von
Familienzulagen im Saarland, Stand l.Mai 1958.
Universitätsarchiv Saarbrücken ( Uni A SB):
Vorlesungsverzeichnisse WS 1949/50- 1955/56
Mitteilungsblatt der Universität des Saarlandes vom 20.3.50
533
Versorgungsamt Saarbrücken (VA SB):
Ordner Kriegsopferversorgung Rechtsangleichung
Manuskript: Günther Hahn, Besitzstandswahrung in der Kriegsopferversorgung des
Saarlandes
VdK- Saar:
Ordner : Beschlüsse des gewählten Landesvorstandes der VdKdS sowie Sitzungsproto-
kolle des Landesvorstandes vom 17.9.1953-18.12.1957
II. INTERVIEWS UND PERSÖNLICHE MITTEILUNGEN:
Lina und Walter Bier, Mitglied der KP-Saar und Mitgliedschaft in Betriebsräten
Norbert Engel, DSP, SPD/(MdL), Präsident der Arbeitskammer des Saarlandes a.D.
Jakob Feiler, CVP, CDU/(MdL) Bürgermeister a.D., Zweiter Landtags Vizepräsident a.D.
Rudof Recktenwald, DSP, SPD/(MdL), Landtagsvizepräsident a.D.
Franz Schlehofer, Direktor der Präsidialkanzlei der Regierung des Saarlandes bis 1955,
Ministerialdirigent a.D.
Paula und Walburga Schmidt, Jugendsekretär im I.V. Bergbau
Aloys Schmitt, u.a. Vorsitzender des I.V.Bergbau
Arno Spengler, Gewerkschaftssekretär I.V. Bergbau
HI. ZEITSCHRIFTEN UND AMTSBLÄTTER:
Amtsblatt (Abi.) des Regierungspräsidiums (1945-46), der Verwaltungskommission
(1946-47), der Regierung des Saarlandes (1947 f.).
Gesetzesblatt der Freien Hansestadt Bremen, 1948
Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1949
Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt, 1949
Gesetz- und Verordnungsblatt für Nordrhein-Westfalen, 1948
Journal Officiel de la République Française 1944, 1950
Journal Officiel du Commandement en Chef Français en Allemagne, 1945
534
GEDRUCKTE QUELLEN UND DARSTELLUNGEN
Monographien und Aufsätze
Da bei manchen Titeln die Funktion zwischen Quelle und Darstellung je nach Zu-
sammenhang differiert, wird auf eine Untergliederung verzichtet. Sammelwerke sind
unter dem Namen des Herausgebers aufgeführt. Aufsätze aus ihnen werden grundsätz-
lich unter vollständiger Nennung des Sammelwerkes aufgeführt. Lexikonartikel sind
nicht aufgeführt. Die Vornamen der Autoren werden in einigen Fällen abgekürzt
wieder gegeben, eine Auflösung war nicht immer möglich.
Abelshauser, Werner, Der Lastenausgleich und die Eingliederung der Vertriebenen und
Flüchtlinge. Eine Skizze, in: Helga Grebing (Hrsg.), Flüchtlinge und Vertriebene in der
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Abosch, Heinz und Karl Pottmann, Die Gewerkschaften in Frankreich, in: Gewerk-
schaftliche Monatshefte 4/1953, S.609-614,
Achinger, Hans, Zur Neuordnung der sozialen Hilfe. Konzept für einen deutschen
Sozialplan, Stuttgart 1954,
Akrami-Göhren, Jutta, Die Familienpolitik im Rahmen der Sozialpolitik mit besonderer
Berücksichtigung der Vorstellungen und der praktischen Tätigkeit der CDU, Diss.
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Zenner, Maria, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920-
1935, Saarbrücken 1966.
Dies., Politische Bewußtseinsbildung in Sonderregimen, in: Rainer Hudemann und
Raymond Poidevin (Hrsg.); Die Saar 1945-1955. Ein Problem der europäischen
Geschichte, München 1992, S.397-404.
569
ABKURZUNGEN
AA Abl. Abt. AfS AOK ASSEDIC AZ Amt für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten Amtsblatt Abteilung Archiv für Sozialgeschichte Allgemeine Ortskrankenkasse Associations pour 1' emploi dans l'industrie et le commerce Aktenzeichen
BAV Bd. BEK Bez. Amt Bl. BM B RD Bü. Bergarbeiterverband Band Barmer Ersatzkasse Bezirksamt Blatt Bundesminister Bundesrepublik Deutschland Bündel
Cab. CDU C.F.T.C. C.G.T. C.G.T./F.O. CSRP CSU CV CVP Cabinet Christlich- Demokratische Union Confédération Française des Travailleurs Chrétiens Confédération Générale du Travail Confédération Générale du Travail - Force ouvrière Christlich-Soziale-Reichspartei Christlich Soziale Union Chevaux Vapeur Christliche Volkspartei
DAF DB Ders. DDP DDR DGB Dies. DP DPS DRP DS DSP DUD Deutsche Arbeitsfront Deutscher Bundestag Derselbe Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutscher Gewerkschaftsbund Dieselbe (n) Deutsche Partei Demokratische Partei Saar Deutsche Reichspartei Drucksache Deutsche Sozialdemokratische Partei Deutschland-Union-Dienst
Ebd. EG EGKS Ebenda Einheitsgewerkschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
570
f. F.D.P. folgende Freie Demokratische Partei
GG GM GWU Geschichte und Gesellschaft Gouvernement Militaire Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Hb. HC HCS Hrsg hrsg. V. HZ Halbband Haut Commissariat Haut Commissariat de la République Française en Sarre Herausgeber herausgegeben von Historische Zeitschrift
IBCG IG IHK I.V. Internationaler Bund Christlicher Gewerkschaften Industriegewerkschaft Industrie- und Handelskammer Industrieverband
JbWestLG Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte
KPD KP-Saar KVA Kommunistische Partei Deutschlands Kommunistische Partei, Landesverband Saar Kreisversicherungsanstalt
LTS LVA LV Amt Landtag des Saarlandes Landesversicherungsanstalt für Arbeit Landesversicherungsamt
MAW MdB MdL MRP Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt Mitglied des Deutschen Bundestages Mitglied des Landtages Mouvement Républicain Populaire
NK NPL Neunkirchen Neue Politische Literatur
PC (F) PVS Parti Communiste Politische Vierteljahresschrift
RgBL RP RVO Reichs gesetzblatt Regierungspräsidium Reichsversicherungsordnung
SB SBZ Sécu Saarbrücken Sowjetische Besatzungszone Sécurité Sociale
571
SED S.F.I.O. SHAEF SKV SPD SPS SRP SVZ SZ Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Section Française de l'Internationale Ouvrière Supreme Headquarters, Allied Expeditionary Forces Saarländische Kriegsopferversorgung Sozialdemokratische Partei Sozialdemokratische Partei des Saarlandes Sozialistische Reichspartei Saarländische Volkszeitung Saarbrücker Zeitung
T TA Tgb. Teil Technischer Ausschuß Tagebuch
UDAF UNAF UNEDIC Union départementale des associations familiales Union nationale des associations familiales Union nationale interprofessionelle pour l'emploi dans l’industrie et le commerce
V. VdKdS von / vom Vereinigung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen des Saarlandes
VfZ vgl. vo Vosti VSWG VW VWK Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte vergleiche Verordnung Volksstimme Vierteljahreshefte für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Volkswagen Verwaltungskommission
WFVG Wehrmachtsfürsorge- und -Versorgungsgesetz
572
PERSONENREGISTER
Dort, wo die Vornamen nicht ermittelt werden konnten, ist Beruf, Dienststelle, Partei
oder Verband angegeben, um eine Hilfe zur Identifizierung der Personen zu bieten.
Forscher wurden nicht berücksichtigt. Kursiv gesetzte Seitenzahlen verweisen auf
Fußnoten im Text, durch Unterstreichung hervorgehoben sind Verweise auf Artikel im
biographischen Anhang.
Aatz, Mathias, Achinger, Hans, Adenauer, Konrad, Agartz, Viktor, Altmaier, Jakob, Altmeier, Peter, Ammann, Karl, Andrez, Robert, Anschütz, Wilhelm, Arend, Louis, Amdgen, Josef, Arndt, Adolf, Arnold, Karl, Auerbach, Philipp, Auerbach, Walter, Aufermann, Ewald, August, Albert, August, Eugen, S.515 S.212 5.185, 202, 205,210, 272 f„ 282, 304-306, 372, 409, 414, 425, 523 S.422 S.273 5.186, 414 S.37,41,43,47, 48-50, 52, 84, 87, 134, 147, 294, 496 S.218 S.84 S.46, 84 S.439 S.273 S.212, 306, 381 f. S.255 S.182 S.327. 497 S.512 S.512
Baader, Franz von, Baboin, Robert, Bacon, Paul, Bach, Robert, Backes, Josef, Bäsel, Fritz, Barzel, Rainer, Baum, Gerhart, Becker, Albert, Becker, Arnold, Becker, Hanno, Becker, Richard, Beckmann, Herbert, Behrens, Hedwig, Bender, August, S.452 S.58, 347, 350, 435, 450 S.133, 467 f. S.326, 369, 373, 395 f., 427, 508 S.337 S.317 f.. 498 S.212 S.386 S.393 S.377 S.478, 485 S.15, 371 f., 375, 377, 413, 423, 513 S.416 S.124 S.322
573
Berard, franz. Botschafter in Washington, Berg, Karl, Bergweiler, Helmut, Bemys, Georges Victor S.463 S.395, 398 f. S.372, 375,418
Gustave, Berrang, Hans, Bidault, Georges, Bieg, Heinrich, Bornewasser, Franz Rudolf, Bier, Lina, Bier, Walter, Bilotte, Pierre, Blücher, Franz, Blum, Dr. Ernst, Blum, Leon, Blum, Karl, Böckler, Hans, Bögler, Franz, Bode, Wolfgang, Bodens, Wilhelm, Born, Josef, Bouillon, Gottfried, Brandt, Willy, Braun, Heinz, Braun, Max, Breitling, Louise, Brochowski, Alexander von, Brückner, Walter, Bugnet, Pierre Baudouin, Bungarten, Franz, Burkhardt, Martin, Buschlinger, Walter, Busse, Ferdinand, S.379 f. S.405 S.298, 301-305, 313 f„ 340, 515 S.498 S.500 S.26, 267, 269, 292 S.26, 267, 269, 292, 322, 324, 499 S.471 S.376 S.242 S.358, 463 S.316 S.425 S.402 S.382-384 S.404, 417-420, 422, 520 S.316, 322 S.287 5.267 S.22, 392, 402, 510, 528 S.513, 521 S.90 S.70 S.369 S.437 S.371 S.322 5.268 S.416, 500
Caffery, US-Botschafter in Paris, Caspers, Johannes, Cicak, Fedor, Clay, Lucius D., Clemens, Peter, Conrad, Kurt, Couture, Pierre, S.303, 305 S.204 S.326, 5QQ S.431 S.417, 500 S.22, 338, 369, 388-390, 395 f., 401 f„ 411 f., 413 415, 424, 470, 491 f., 497, 5Ü1, 505, 509, 514, 516 S.110, 350, 353, 360, 435, 462
574
Croizat, Ambroise, S.74, 464
Daub, Dr. Johann, Decoust, J., Dehler, Thomas, Dejardin, Rene, Delfosse, Leon, Dellenbach, Emil, Dengel, Johann, Detg(j)en, Heinrich, Detemple, Oscar, Detemple, Peter, Dibelius, Otto, Dierks, Carl, Dinges, Karl, Ditzler, Josef, Dörr, Alois, Dontot, Jacques, Doris, Fritz, Dorscheid, Albert, Drawe, Adolf, Dreher, Johann, S.156 S.134, 136 S.281 S.354 S.469 S.84 S.322 S.294, 369 S.395, 404, 406 S.399 S.185 S.41, 46 S.201, 407, 421 S.297, 306, 350. 419. 502 S.322 S.24 S.384-386 S.227 S.339, 50£ S.346 f., 349 f., 363, 392, 450, 502
Eichler, Willi, Ehrhard, Ludwig, Engel, Norbert, Erwig, Johann, Erzberger, Matthias, Etienne, Karl, Ettgen, Peter, Even, Johannes, S.402 S.203, 205, 207 S.26, 199, 396,502 5.321 S.338 S.390, 402,501517 5.322 S.181, 211, 422
Faulhaber, Max, Feiler, Jakob, Fery, Nikolaus, Fette, Christian, Heck, Reinhold, Hiegier, Föcher, Matthias, Forrest, franz. Mil. Reg., Freitag, Walter, Fries, Julius, Frings, Joseph Friry, Roger, S.472 S.26, 225 f., 258, 270, 480,505 S.420 S.422, 474 S.322 S.46 S.407 S.46, 134, 136 S.407, 412, 420, 422 S.84 S.211 S.435
575
Garbe, Julius,
Gasperi, Alcide de,
Gaulle, Charles de,
Gattermann, Vertrauensarzt,
Gemmingen-Hornberg,
Hans-Lothar, von,
George Lloyd David,
Geraldy, Ludwig,
Gerber, Alois,
Germann, Karl,
Gerstenmaier, Eugen,
Gier, Peter,
Gilly, Favre,
Glauben, Franz,
Globke, Hans,
Glöbel, Sebastian,
Görgen, Hermann M.,
Grabowski, Franz,
Grandval, Gilbert,
Greve, Otto Heinrich,
Grieser, Andreas,
Gross, Karl,
Gross, Peter,
S.84
S.304
S.92, 105 f., 460
S.46, 75
S.380, 383, 526
S.107
S.253
S.84
S.420. 504
S.205
S.313,416-420, m 507, 520
S.443
S.338
S.186
S.378, 402, 505
S.502
S.382-384
S.18, 24, 45 f., 54, 57 f„ 64, 75, 79, 91, 110L, 121,
131 f., 135, 140, 153 f., 160, 219-223, 226, 240, 247,
251, 256 f., 267, 270, 272, 291, 295, 297-299, 302-
306, 309, 311, 329, 340, 349, 352 f„ 361, 363, 367 f.,
374, 379, 385, 391, 413, 433 f., 436, 447, 449, 458,
471,476, 489, 492, 494,515
S.273
S.89
S.316
S.505
Habelitz, Ludwig,
Hahn, Peter,
Hammer, Richard,
Harnist, Albert,
Hart, christl. Gewerkschaft,
Hasse, Saarknappschaft,
Hector, Edgar,
Heinz, Klaus,
Heller, Vitus,
Hellwig, Fritz,
Herger, Philipp,
Hermann, Heinrich,
Heukulum, Gerhard van,
Hildering, Rudolf,
S.253, 262, 264, 508. 505
S.416. 506
S.281
S.87
S.312
S.155 f.
S.22, 249, 265, 275, 424
S.393, 506
S.336 f.
S.371, 379 f„ 382, 383,523
S.322
S.326
S.181 f.
S.454
576
Hillenbrand, Karl, Hirschmann, Johannes S.307,312, 342 f., 345, 374 f., 376 f., 416 f„ 476, 500, 506
Baptista, S.212
Hitler, Adolf, S.312
Hoegner, Wilhelm, S.391
Hoffmann, Johannes, S.14, 18, 22, 72 f., 79, 82, 85, 114, 124, 165 f., 168, 231, 233, 257, 265 f„ 268, 271, 272-278, 284, 307- 310, 314,328, 332,340, 342, 344, 361, 363, 365, 367, 385, 413, 416, 425, 476, 480, 508
Holderbaum, Fritz, S.316
Hollbom, Karl, S.46
Holtzer, Jean, S.435
Honecker, Brich, S.338
Hoof, Walter, S.417
Hoor, L„ S.417
Hoppe, Karl, S.167, 218, 220-223, 226, 228, 232, 272, 386, 5QZ, 518
Hoppstädter, Herbert, S.391
Horn, Peter, S.90
Huart, Pierre Baron d\ S.372
Hutmacher, Eugen, S.507
Ifkowitsch, Hermann, S.322
Israel, Peter, S.308
Jakob, Martin, S.515
Job, Paul, S.45
Joch um, Werner, S.391
Jordan, André, S.435
John, Hans, S.338, 375, 406. 508
Jouhoux, Léon, S.510
Jung, Robert, S.46, 52, 74, 5ÛS
Jungfleisch, Alexander, S.41,82, 87, 134. 508
Kaiser, Jakob, S.186, 290, 296, 300, 303, 306, 372, 414, 418, 422, 424
Kärcher, Paul S.260
Karcher, Bodo, S.371, 380
Kaisner, Friedrich, S.322
Kalinke, Margot, S.90, 183
Kannengießer, CVP, Karrenbauer, Oberreg. Rat S.326
Verwaltungskommission, S.46
577
Karl, Albin, S .406-415. 509
Karp, W. von, DGB, S.414
Katzer, Hans, S.207 f.
Keller, Robert, S.316
Kelly, Louis G., S.287
Kerrl, Hans, S .382
Kiefer, Alois, S.316
Kiefer, Peter, S.292, 307
Kimmritz, Wilhelm, S.37-39, 40-44, 46
Kim, Richard, S.14, 18, 22, 37, 45 f„ 49, 53-56, 72, 75, 76, 84, 91, 94, 103, 11, 114, 121, 134, 146, 155, 160, 165 f., 220 f„ 228 f., 238, 240, 249, 251, 254, 256 f., 260, 262, 264 f., 268, 273, 275, 294, 327 f., 332, 365, 366, 392 f., 402, 425, 433, 438, 440-444, 455, 473, 475, 480-487, 488, 494, 503, 508, 5Q2, 516 f., 528
Klaes, Arbeitsmin., S.231
Klein, Johann, S.146, 239, 420. 511
Kloock, Ulrich, S.381 f., 385
Knetch, Walter, S.316
Knogs, Emil, S.499
Koenig, Pierre Marie, S.46, 91, 155 f., 291, 299-305, 313, 340, 372, 431
Körner, Alois, S.286, 322, 324, 367 f., 387, Hl, 514
Körner, Otto, S.326, Hl
Kordt, Theo, S.380 f.
Koßmann, Bartholomäus, S.307, 416
Koutzine, Victor, S.304
Kranzbühler, Otto, S.380
Kratz, S.156
Kraushaar, Richard, S.316
Krohn, Johannes, S.89
Krone, Heinrich, S.203-205
Kuhnen, Willi, S.395
Kunkel, Emst, Kuntz, Präfekt, S.87, 259, 287, 316, 388, 390, 512
franz. Mil. Reg., S.291
Kutsch, Paul, S.169, 284, 326, 332, 336 f., 342, 363 f., 368 f., 372, 375, 387 f., 401 f., 407 f., 412, 417 f., 424, 470 f„ 476, 502, 508, 511, H2, 517
Lacoste, Robert, S.463
Läpple, Friedei, S.501
Laffon, Emile, S.91 f., 302 f., 313, 340, 433 f., 492
Lafontaine, Oskar, S.13, 510
Lang, Johann, S.316, 322
578
Laroque, Pierre, Lauer, Karl, Leber, Georg, Leblang, Johann, Ledere, Jacques, Lefèvre, franz, Arbeitsmin., Lehnen, Emil, Leibbrandt, Friedrich, Leipart, Theodor, Lenhof, Karl, Lenz, Otto, Leuschner, Wilhelm, Levy, Albert, Levy, Gustav, Levy, Heinrich, Licht, Alois, Lill, Peter, Link, Walter, Lion, Dr. Sigmund, Löwenstein, Hubertus S.35, 196 S.418 S.180, 324, 341,362,410 S.326 S.64 S.434 S.84 S.391 f. S.290 S.84 S .307 S.290, 528 S.512 S.244, 249, 251, 253, 256, 260-262, 266, 277, 512 S.512 S.326 S.316 S.213 S.391
Prinz zu, Lorenz, Ernst, Ludwig, Adolf, Ludwig, Werner, S.371,412 S.391 S.393,397, 406, 413 f„ 492, ¿12 S.514
Mackenroth, Gerhard, Maginot, André, Manderscheid, Peter S.212 S.215 S.78
Marchadiers, Gewerkschaftler, S.464
Martin, August, S.46, 80 f., 154, 156, 172, 514
Matthieu, Johann, Mayer, Daniel, Meck, Henri, Mellies, Wilhelm, Merck, Toni, Mergel, Heinz, Meurers, Heinrich von, Michely, Jakob, S.292, 297, 322,114 S. 133, 301 S.298 f., 301 f., Hl S.412 S.391 S.369 S.500 S.287
Minas, christl. Gewerkschaft, S.312
Millerand, Alexandre, S.43
Mössinger, Karl, Mohl, Robert, Mommer, Karl, Montada, Christian, S.271, 388 S.452 S.380, 389, 403, 405, 412, 500, 515 S.316
579
Moser, Leo, Motzek, Rudolf, Müller, Arbo, Müller, Erwin, Müller, Hermann, Müller, Jakob, Müller, Oskar, S.396, 516 S.322, 324 S.295 S.84, 169 S.295 S.84, 291 S.283, 287, 291-297, 311, 318 f., 326, 471, 508, 511, 515, 527
Naphtali, Fritz, Nau, Alfred, Nell-Breuning, Oswald von, Neufang, Robert, Neumann, Erich, Neumann, Siggi, Neureuter, Hans, Newman, James R., Ney, Hubert, Nicolay, Fritz, Niebling, Fritz, S.454 S.405 S.212 S.294 S.341,395 f., 399 S.324, 393 S.247, 433, 513 S.285 S.22, 522 S.294, 311,498 S.395, 398 f.
Obé, Max, Obermeier, Paul, Oeter, Ferdinand, Ollenhauer, Erich, Osbild, Nikolaus, Ost, Friedhelm, Ott, Hanna, S.37 S.287 S.183, 212 S.411, 474 S.316 S.213 S.368
Paris, Robert, Parodi, Alexandre, Paulus, Josef, Pène, Pierre, Perier, Casimir, Perkhuhn, Erwin Peterson, Bruno, Petri, Hermann, Pflimlin, Pierre, Pineau, Christian, Pitz, Johann, Podevin, Georg, Poelke, Eva, Polligkeit, Wilhelm, Pompidou, Georges, S.45-49, 52, 64, 93, 133 S.460 S.395 S.218 S.281,447 S.238 S.295 S.251,273 f., 294, 389, 392. 516 S.299 S ,312 S.391 S.297 S.295 S.182 S.106
580
Ramadier, Paul, Rauch, Richard, Rault, Victor, Regitz, Friedei, Recktenwald, Rudolf, Reimann, Max, Reinecke, August, Reinert, Egon, Reinert, Johann, Remer, Otto Ernst, Reusch, Hermann, Reusch, Paul, Reuter, Georg, Rieth, Alphonse, Röchling, Hermann, Röchling, Max, Roden, Matthias, Röder, Franz Josef, Roederer, Josef, Roentsch, Hannelore, Rosenberg, Ludwig, Roth, Emst, Rotthäuser, Franz, Rubinstein, Roman, Ruffing, Franz, Ruffing, Hans, Ruhland, Franz, S.463 5.389, 516, ¿12 S.28, 370 S.325, 391,400, 402.517 S.26, 259, 375, 392 S.320, 329 S.286, 322 S.500 S.322 S.385 f. S.380 S.380 S.407 S.42, 46-48, 52, 62, 65 f., 73 f., 81, 85, 93, 104, 136, 145, 156, 176, 295, 352 f., 470 f., 111 S.175, 448, 526 S.380 S.322 S.15, 203, 208, 500 S.435 S.213 S.411 5.22.389, 397, 402, 479. 518 S.296 S.295 S.307 f., 416 f., 507.518 S.297, 300, 307, 345 f., 349 f„ 363 f., 425, 450, 479, 502,115 S.476 f.
Saint Hardouin, Jacques Tarbé de, Sarrazin, Otto, Sattler, Wilhelm, Savioli, Fritz, Schaadt, Peter, Schäfer, Hermann, Schäfer, Manfred, Schamowski, Emst Schelsky, Helmut, Schiffgens, Luise, Schiffler, Adolf, Schlachter, Frédéric, Schlagdenhaufen, Henri, S.372 S.380 f. S.316 S.393.519 S.416-420, 507,12Q, 525 S.90 S.208 S.402 S.184, 212 S.389 f., 403 S.395 S.257 S.75
581
Schlehofer, Franz,
Schlick, Jakob,
Schmid, Carlo,
Schmidt, August,
Schmidt, Helmut,
Schmidt, Paul,
Schmidt, Rudolf,
Schmitt, Aloys,
Schneider, August,
Schneider, Heinrich,
Schramm, Alfons,
Schüler, Emile,
Schulte, Georg,
Schulz, Erich,
Schumacher, Kurt,
Schuman, Robert,
Schwartz Jacques,
Seel, Anton,
Seiler, Karl,
Simon, Heinrich,
Single, Pierre,
Spohn, CVP,
Springer, René,
Steines, Oberreg. Rat
Verwaltungskommission,
Steinbach, Franz,
Steinhauer, Karl,
Steinmetz, Arthur,
Storch, Anton,
Straus, Emil,
Strauß, Franz-Josef,
Strohm, Gustav,
Stumm, Carl-Ferdinand von,
Süsterhenn, Adolf,
S.26, 259, 269, 308 f., 520
S.46
S.244, 273, 391,403
S.324, 410, 412
S.192
S.326, 401. 520
S.46
S.26, 169,283, 285, 288, 297, 311 f., 326, 328, 336 f.,
342 f., 350, 360, 363, 368 f., 373, 387 f., 401 f„ 407 f.,
417, 424, 470, 476, 508 f., 512, 515, 520, 521
S.399
S.15, 18, 37-39, 207, 371, 374, 386, 409, 423, 491,
500 f., 509,513
S.218
S.270, 307 f„ 388
S.176, 249, ¿21
S.399
S.302, 341 f., 402
S.372, 526
S.218
S.316
S.316
S.287
S.435 f.
S.326
S.71,76, 85, 522
S.248 f.
S.500
S-522
S.322
S.204, 206, 280
S.22, 84, 257, 264, 497
S.207 f., 376, 418, 525
S.370 f., 376 f., 378 f., 403, 423, 476, 492, 521, 526
S.448, 453
S.210 f., 422
Tessier, Gaston,
Thedrel, Georges,
Thierfelder, Rudolf,
Thomaser, Ambrosius,
Thome, Hans,
Thorez, Maurice,
S.83,298 f.
S.435-438, 462
S.372, 378
S.338
S.322, 324,417
S.305, 463
582
Thun Graf, Tranz, Karl, Treude, Wilhelm, Trittelvitz, Hermann, S.384 S.322 S.38 S.150, 208, ¿24
Uhrig, Emst, S.406
Velde, Johann Josef van der, Verschuer, Frhr. v., Viaion, Friedrich, Voigt, Heinz, S.309 S.384 f. S.209 S.413 f.
Wacker, Heinrich, Wagner, Manfred, Wagner, Reinhold, Walter, Heinrich, Walz, Karl, Wambach, Josef, Wehner, Herbert, Wehr, Matthias, Weidner, Dr. Emil, Weiten, Emil, Weiten, Willi, Weizäcker, Richard von, Welsch, Heinrich, Weiter, Bernhard, Weiter, Eduard, Wendel, Josef, Wentz, Emst, Werle, Dr. Albert, Westarp Graf, Westermann, Friedrich, Weyer, Willi, Weyrich, Fritz, Wiesner, Louis A., Wildt, Hermann, Wilhelm, Fritz, Will, Hans Peter, Winkelheide, Bernhard, Wohieb, Leo, Wolters, August, S.46, 49, 82, 84, 109, 134, 270, 283, 287, 289, 291, 293, 295 f., 307, 316 f., 325, 332, 349, 362, 410, 425, 487, 508, 515, ¿24, 527 S.378 S.46 S.316 S.418, 507. 525 S.395 f. S.267, 324, 341, 405, 509 S.202 S.258 S.270, ¿25 S.220, 225, 254, 259 f. S.19 S.73,79,82,128, 146 f., 229, 366, 376, 366, 376, ¿25 S.485 S.283, 287, 291, 296, 312, 363, 369, 393, 410, 425, 485, 515, 524, 526 S.309-311 S.508, 527 S.39 S.384 S.527 S .386 S.322, 515 S.285 S.169 S.395 f„ 399 S.390, 402 f., 527 S.182, 211,422 S.234 S.72
583
Wuermeling, Franz Josef, S.57, 184-186, 193, 196 f., 422, 494
Zängerle, Fritz, Zender, Jakob, Zeyer, Werner, Zimmer, Peter, Zimmer, Walter, Zinn, Georg August, Zumpf, Karl, S.321 S.402 $.14, 16 S.32, 34, 91, 136, 160, 290 f., 294, 327, 389 f„ 402, 497,510, 516. 528 S.389, 392 $.212 S.326.
584
Veröffentlichungen
der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
I. Hans-Walter Herrmann, Geschichte der Grafschaft Saarwerden bis zum Tahre DM
1527
Band 1: Quellen, 1957ff., 676 S. 1.-3. Lieferung 36,—
Band 2: Darstellung, 1959 (= Dissertation) 265 S. (vergriffen)
III. Maria Zenner, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbunds-
regime 1920-1935, 1966, 434 S. 22,50
IV. Eduard Hlawitschka, Die Anfänge des Hauses Habsburg-Lothringen, 1969,
4. T., 209 S. 25,—
V. Manfred Pohl, Die Geschichte der Saarländischen Kreditbank Aktiengesell-
schaft, 1972, 14 Tab., 146 S. 29,50
VI. Fritz Jacoby, Die nationalsozialistische Herrschaftsübernahme an der Saar,
1973, 275 S. 35,—
VII. Dieter Staerk, Die Wüstungen des Saarlandes, 1976, 445 S. 52,50
VIII. Irmtraut Eder, Die saarländischen Weistümer - Dokumente der Territorial-
politik, 1978, 272 S. 38,—
IX. Marie-Luise Hauck/Wolfgang Läufer, Epitaphienbuch von Henrich Dors
(Genealogia oder Stammregister der durchläuchtigen hoch- und wohlgebore-
nen Fürsten, Grafen und Herren des Hauses Nassau samt Epitaphien von
Henrich Dorsen), 1983, 286 S. 120,—
X. Jürgen Karbach, Die Bauernwirtschaften des Fürstentums Nassau-Saarbrücken
im 18. Jahrhundert, 1977, 7 Tab., 255 S. 48,—
XI. Hans Ammerich, Landesherr und Landesverwaltung, Beiträge zur Regierung
von Pfalz-Zweibrücken am Ende des Alten Reiches, 1981, 6 Beil., 284 S. 55,—
XII. Klaus Michael Mallmann, Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der Saar
(1848-1904), 1981, 370 S. 59,—
XIII. Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt.
Referate und Ergebnisse der Diskussion eines Kolloquiums in Saarlouis vom
24.-27. 6, 1980, zusammengestellt von Hans-Walter Herrmann und Franz
Irsigler, 1983, 256 S. 57,—
XIV. Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, 1984, 362 S. 68,—
XV. Wolfgang Haubrichs, Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters, Philologische,
onomastische und chronologische Untersuchungen, 1986, 267 S. 64,—
XVI. Ernst Klein, Geschichte der saarländischen Steinkohlengrube Sulzbach-Alten-
wald (1841-1932), 1987, 146 S. 29,—
XVII. Thomas Herzig, Geschichte der Elektrizitätsversorgung des Saarlandes unter
besonderer Berücksichtigung der Vereinigten Saar-Elektrizitäts-AG, 1987, 414 S. 48,—
18. Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende (1871-1918).
Referate eines Kolloquiums in Dillingen am 29./30. September 1988, hrsg. von
Hans-Walter Herrmann, 1991, 184 S. 48,
19. Die alte Diözese Metz. Referate einer wissenschaftlichen Tagung in Waldfisch-
bach-Burgalben vom 21.-23. März 1990, hrsg. von Hans-Walter Herrmann,
1993, 320 S. 65—
20. Stefan Flesch, Die monastische Schriftkultur der Saargegend im Mittelalter.
1991, 239 S. 32 —
21. Stadtefttwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (19. u.
20. Jh.), Développement urbain dans la région frontalière France-Allemagne-
Luxembourg (XIXe et XXe siècles), hrsg. von/sous la direction de Rainer
Hudemann, Rolf Wittenbrock, 1991, 362 S., davon 36 S. Abb. 45,—
22. Grenzen und Grenzregionen. Frontières et Régions Frontalières. Borders and
Border Régions, hrsg. von/sous la direction de/edited by Wolfgang Haubrichs,
Reinhard Schneider, 1994, 283 S. 45,—
23. Stefan Leiner, Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegungen;
räumlicher und sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar-Lor-Lux-
Raumes 1856-1910, 1994, 443 S. 48,—
24. Zwischen Saar und Mosel. Festschrift für Hans-Walter Herrmann zum 65.
Geburtstag. Herausgegeben von Wolfgang Haubrichs, Wolfgang Läufer, Rein-
hard Schneider, 1995, 526 S. 110,—
25. Dieter Muskalla, NS-Politik an der Saar unter Josef Bürckel. Gleichschaltung -
Neuordnung - Verwaltung, 1995, 714 S. 78,—
26. LOTHARINGIA eine europäische Kernlandschaft um das Jahr 1000 - une
région au centre de l’Europe autour de l’an Mil. Referate eines Kolloquiums
vom 24. bis 26. Mai 1995 in Saarbrücken. Herausgegeben von Hans-Walter
Herrmann und Reinhard Schneider, 1995, 257 S. 48,—
27. Thomas Trapp, Die Zisterzienserabtei Weiler-Bettnach (Villers-Bettnach) im
Hoch- und Spätmittelalter. in Vorbereitung
28. Hans-Christian Herrmann, Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpart-
nerschaft. Sozialpolitik und Gewerkschaften im Saarland 1945 bis 1955. 1996,
584 S. 68,—
29. Sprachenpolitik in Grenzregionen. Politique linguistique dans les régions
frontalières. Language Policy in Border Régions. Polityka jçzykowa na pogra-
niczach. Herausgegeben von Roland Marti, 1996, 415 S. 58,—
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