ihre Position als Verhandlungspartner gegenüber der LVA. Sie war neben der zahlen¬
mäßig unbedeutenden Versicherungsanstalt für Eisenbahner, der einzige gesetzliche
Krankenversicherungsträger mit Ausnahme der Saarknappschaft, die aber über ihre
eigenen Ärzte verfügte.
Die Ausdehnung der Sozialversicherungspflicht und die eingeleitete Zentralisierung
der Versicherungsträger stieß bei vielen Ärzten aber nicht nur aus materiellen Gründen,
sondern auch aus gesellschaftlichen Aspekten auf wenig Gegenliebe. Sie berührte das
Berufsethos, denn mit ihr wurde auch die ärztliche Tätigkeit ohne Kassenzulassung
immer schwieriger und das weckte Ängste, die freiberufliche Existenz zu verlieren, und
vom Arzt mit eigener Praxis in eine Angestellten- und Beamtenposition sozial deklas¬
siert zu werden, wobei auch die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone mit
staatlichen Ambulatorien und Betriebspolikliniken oder der National Health Service in
England diese Ängste bestätigten.189
Vor dem Hintergrund des Ende 1947 erfolgten wirtschaftlichen Anschlusses des
Saarlandes an Frankreich argumentierte die Ärzteschaft, daß eine Anpassung an die
französische Krankenversicherung nur dann sinnvoll sei, wenn auch der französische
Modus der kassenärztlichen Honorierung übernommen werde.190 Das Saarländische
Ärztesyndikat beklagte gegenüber Ministerpräsident Hoffmann: "Wir können es
unseren Mitgliedern nicht weiter zumuten (...) sich mit einer Vergütung zufrieden zu
geben, die kaum der Entlohnung eines ungelernten Hilfsarbeiters entspricht."191
Die Zahnärzte argumentierten ähnlich. Es könne nicht sein, daß die LVA nach dem
wirtschaftlichen Anschluß Bandagisten, Apothekern und Optikern die französischen
Gebührensätze zugestehe, für die Zahnärzte aber wie für die übrigen Ärzte die über
fünfzig Jahre alte preußische Gebührenordnung (Preugo) mit der Honorierung über die
Kopfpauschale immer noch gelte.192 Die Ärzteschaft forderte die Abschaffung der
Kopfpauschale und die Übernahme des französischen Abrechnungssystems der Sécuri¬
té Sociale.
189 H o c k e r t s, Sozialpolitische Entscheidungen, S.42. Christoph Klessmann und Georg
Wagner (Hrsg.), Das gespaltene Land. Leben in Deutschland 1945-1990, München 1993, S.218.
Hinweis auf: Der Angestellte Arzt, in: Mitteilungsblatt des Marburger Bundes, Nr.10/1954, S.181 f. Siehe
auch: Horst Barthel, Die Sozialpolitik in der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung (1945-1949),
in: Gunnar Winkler (Hrsg.), Geschichte der Sozialpolitik der DDR, Ost-Berlin 1989, S.61. Historiker in der
DDR sprachen von einer neuen "sozialökonomischen und politischen Stellung der Ärzte in der
Gesellschaft".
190 .
LA SB, MifAS, Bü. 11, Vermerk zu Artikel in der Zeitung des Saarländischen Ärztesyndikates vom
Juni 1948.
191
Ebd., StK, Nr.3147, Saarländisches Ärztesyndikat an Ministerpräsident J. Hoffmann vom 25.11.49.
192
Ebd., MifAS, Bü.ll, Saarländisches Zahnärztesyndikat an den Hohen Kommissar vom 1.2.50.
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