Not. Die Bonner nehmen uns das Brot".21 Wegen des Verlustes des "sozialen Besitz¬
standes" liefen Heinrich Schneiders DPS bei den Landtagswahlen im Sommer 1959
scharenweise die Wähler davon.22 Kollektive Erinnerung ist immer zwischen Mythos,
Fiktion und Realität angesiedelt. Ihr ist genuin, daß Menschen dazu neigen, sich an das
zu erinnern, woran sie sich erinnern wollen.23 Das Eingeständnis, auch ehemalig pro¬
deutsch wirkender Kräfte, von großzügigen Sozialleistungen zur Hoffmann-Zeit erklärt
sich möglicherweise daraus, daß auf diese Weise die nationale Verbundenheit mit
Deutschland, das Gefühl der Treue zum Vaterland, in seiner Uneigennützigkeit unter¬
mauert, vielleicht sogar überhöht werden sollte.
Kollektive Erinnerungen halten einer wissenschaftlichen Analyse nicht immer Stand
und verzerren die Realität, wie die Erinnerung an die französische Besatzungszone
zeigt. Im Rückblick dominieren Ausbeutung und Hunger. Wissenschaftliche Untersu¬
chungen auf breiter Quellenbasis zeigen aber auch eine andere Seite der "Franzo¬
sen-Zeit", nämlich eine in sozialpolitischen Fragen ausgesprochen fortschrittliche
Besatzungspolitik.24
Die vorliegende Arbeit möchte nicht nur die Sozialpolitik der Ära Hoffmann in ihrer
Breite erfassen und auch deskriptiv analysieren, was zwingend notwendig ist, da noch
keine Einzelstudie vorliegt, sondern sie möchte auch globalere politische Zusammen¬
hänge aufzeigen. Die Untersuchung eines bestimmten Politikbereichs der Hoff¬
mann-Zeit ermöglicht es zu prüfen, wo das Zentrum der politischen Entscheidungs¬
findung lag. Wer gestaltete die Sozialpolitik bzw. wer waren ihre Entscheidungsträger?
Gab es in der Sozialpolitik eine politische Selbständigkeit des Saarlandes? Diese
Fragestellung erfordert eine Differenzierung und anschließende Gewichtung der
Entscheidungsebenen. Sie setzt sich mit bestimmten Vorstellungen der kollektiven
Erinnerung auseinander, wie Hoffmann und Kirn seien "Marionetten Grandvals"
gewesen, die in anderer Form auch in der Wissenschaft sich in Schlagwörtern wie
Grandval als "Frankreichs Prokonsul an der Saar" oder Hoffmann als "Protektorats¬
Transparente auf einer Kundgebung der Gewerkschaft Öffentliche Dienste Transport und Verkehr am
4.11.59. Siehe: Hans-Walter Herrmann, Wirtschaftliche und soziale Entwicklung 1918-1959, in: Das
Saarland. Politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung, hrsg. von der Landeszentrale für politische
Bildung, Saarbrücken 1991, S.81.
22 Schneider, Das Wunder, S.520.
23
Alexander und Margarethe Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven
Verhaltens, München 1967, S.65 f.
24
Rainer Hudemann, Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung
1945-1953. Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung im Rahmen französischer Besatzungspolitik,
Mainz 1988. Alain L a 11 a r d, Gewerkschaften und Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz 1945-1949, Mainz
1988. Edgar Wolfrum, Französische Besatzungspolitik und deutsche Sozialdemokratie. Politische
Neuansätze in der "vergessenen Zone" bis zur Bildung des Südweststaates 1945-1952, Düsseldorf 1991.
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