5.1. Die patriotisch-nationale Grundhaltung der saarländischen Bevölkerung
Das Zentrum
Bis zur Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 argumentierten die saarländi¬
schen Parteien in ihrer Politik einhellig für die Rückkehr des Saargebietes zum
Deutschen Reich1. Aufgrund des verlorenen Krieges, des vom Völkerbund ok¬
troyierten und wenig geliebten Regierungs- und Verwaltungssystems, der unklugen
französischen Annexions-, Kultur-, und Wirtschaftspolitik, und nicht zuletzt auf¬
grund gegebener geschichtlicher, sozialer und religiöser Faktoren steuerten die
maßgeblichen Parteien einen "Heim-ins-Reich-Kurs".
Das Saargebiet mit seiner überwiegend katholischen Bevölkerung (72%) zeigte
trotz seiner Industriebevölkerung (1927: 19,2% Hüttenarbeiter, 33,9% Bergarbei¬
ter) eine ausgeprägte Heimatverbundenheit. Ein linkes Proletariat konnte sich in
der Vergangenheit weniger ausbilden, fanden doch die Arbeiter sowohl bereits En¬
de des 19. Jahrhunderts in der Zentrumspartei eine Vorkämpferin für eine frei¬
heitliche Entwicklung gegenüber staatlicher und kapitalistischer Bevormundung
als auch in den katholischen Arbeitervereinen und christlichen Gewerkvereinen
eine Heimstatt; und Religionsfeindlichkeit und Atheismus wurde der Sozialdemo¬
kratie und den freien Gewerkschaften von der Zentrumspresse in allen Wahl¬
kämpfen vorgeworfen2. Auf dieser Grundlage und in Verbindung mit einer ausge¬
sprochen nationalen Parteilinie gelang es dem Zentrum3 von Versailles bis zum
Plebiszit fast durchweg die stärkste Fraktion in den Volksvertretungen zu stellen.
Sogar eine zeitweilige Reserviertheit des saarländischen Zentrums gegenüber dem
preußisch orientierten Nationalliberalismus und Unternehmertum sowie der Grün¬
dungsversuch einer rein katholischen Partei, unabhängig von der reichsdeutschen
Zentrumspartei, ließen das nationale Engagement auf innersaarländischer Ebene
unberührt4; das Zugehörigkeitsgefühl zum Deutschen Reich blieb unangetastet.
Die Liebe zur Nation wurde zur "sittlichen Frage" erklärt. Von der "Stimme des
Blutes", von "pietätvoller Liebe zur eigenen Nation", von einem von Gott geforder¬
ten "geordneten Nationalgefühl" war die Rede; "religiös" und "national" wurden
1 Zu den Möglichkeiten einer vorzeitigen Rückgliederung bis 1933 s. F. Jacoby, Herrschaftsübemahme,
S. 54-82. Von einem ungewissen, nationalen Status der Saarbewohner, um die Frankreich und
Deutschland wirtschaftlich buhlen, spricht R. Capot-Rey, La Region Industrielle Sarroise, S. 595-599,
so daß er ihnen unterstellt: Je suis oiseau, voyez mes ailes ... je suis souris, vivent les rats.
2 S.L.Z. Nr. 12 v. 13.1.1924: "Sind die freien Gewerkschaften religionsfeindlich?"', S.L.Z. Nr. 83 v.
24.3.1928: "Die christliche Sozialdemokratie"; "Volksstimme" Nr. 7 v. 9.1.1924: "Die katholische
Geistlichkeit gegen den Bergarbeiterverband und die übrigen freien Gewerkschaften".
3 Vgl. M. Zenner, Parteien, S. 152-170.
4 Ebenso M. Zenner, Parteien, S. 153ff.
73