gung der Saar mit dem Reich nicht als eine totale Bejahung des Nazi-Regimes durch die Saarländer angesehen werden, sondern muß unter der besonderen Saar- situation in den vorausgegangenen Jahren sowie den Druckmitteln der National¬ sozialisten relativiert werden. Weder der Rat des Völkerbundes noch die von ihm zur Wahrung einer freien, ge¬ heimen und gleichen Abstimmung bzw. zur Einhaltung der abgegebenen Garan¬ tien geschaffenen Gremien vermochten vor oder nach der Abstimmung die dirigi¬ stischen Lenkungsmanöver des Reiches bzw. der NSDAP zu durchkreuzen. Nicht zuletzt versäumte der OAGH, vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein Zeichen zu setzen und damit einem Unrechtsregime Einhalt zu gebieten. Zu massiv waren die Drohungen und Einwirkungen aus dem Reich vor und nach dem 13. Januar 1935, als daß sie von denen, die Macht und Einfluß besaßen und von den Nationalsozia¬ listen nichts zu befürchten hatten, hätten übersehen oder übergangen werden dür¬ fen. Schon allein das Abfordern von Garantien durch den Völkerbund kann durch¬ aus als eine Negativ-Bewertung des politischen Handelns Hitler-Deutschlands an¬ gesehen werden; die Abgabe der entsprechenden Erklärungen durch Frankreich erschien dagegen eher aus Gründen der Gleichbehandlung geboten. Die Abschlu߬ berichte des Präsidenten des OAGH und des deutschen Staatsvertreters lassen nach außen hin den NS-Staat zwar als ein Regime erscheinen, das die Rechte Anders¬ denkender achtet, doch bleibt sowohl in der Rechtsfindung dieses Gremiums als auch in den Praktiken zur Umgehung der Garantien, und sei es nur bis nach der Ablösung dieser internationalen "Aufsicht", genug Spielraum, um Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Machtkonsolidierung des Regimes an der Saar anzumelden. Dazu zählen ganz besonders die trotz der Schutzbestimmungen des Römischen Abkommens von Bürckel und seinen Kreisleitern veranstalteten "Säuberungs¬ aktionen" etwa bei den Saargruben (1936/37), die über 1,000 Angestellte und Bergarbeiter trafen, oder die Kündigungswelle in der Saarbrücker Stadtverwaltung und den Städtischen Betrieben (1936), verfügt durch Oberbürgermeister Dürrfeld; das Gleiche widerfuhr den Straßenbahnern in Neunkirchen (1936) oder Arbeitern und Beamten der Reichsbahn (1937). Dabei fällt besonders auf, daß von solchen Massenentlassungen gerade ehemalige Status quo-Anhänger und Befürworter der Frankreich-Alternative betroffen waren. Noch 1938 führte eine wirkliche oder vermutete Hitler-Gegnerschaft in Saarbetrieben zu Entlassungen und zu Deporta¬ tionen. Sicherlich konzentrieren sich die Gleichschaltungsmaßnahmen des Reiches in ih¬ rer Masse auf die Anfangsjahre der NS-Herrschaft an der Saar. Doch so wie die Ausrichtung des gesamten Lebens auf die Belange der NS-Diktatur nicht erst mit dem l.März 1935 über die Saarländer hereinbricht, sondern bereits mit dem Ver¬ schwinden der demokratischen Parteien im Herbst 1933 oder der Gründung der "Deutschen Front" 1933/1934, letztlich mit all den mittelbaren, mehr oder weniger verdeckten Einwirkungen aus dem Reich Jahre vorher einsetzt, so erstreckt sich die Gleichschaltung des Saarlandes bis in das Jahr 1945; und viele Bereiche hätten unter anderen Umständen in der Zukunft sicherlich eine weitere Umgestaltung er¬ fahren. Ergriff der Gleichschaltungsprozess auch alle Bereiche des öffentlichen 598