VERÖFFENTLICHUNGEN DER
KOMMISSION FÜR SAARLÄNDISCHE LANDESGESCHICHTE
UND VOLKSFORSCHUNG
Stefan Leiner
MIGRATION UND
URBANISIERUNG
Binnenwanderungsbewegungen,
räumlicher und sozialer Wandel
in den Industriestädten des
Saar-Lor-Lux-Raumes 1856-1910
KOMMISSIONSVERLAG:
SAARBRÜCKER DRUCKEREI UND VERLAG GMBH
SAARBRÜCKEN 1994
MIGRATION UND URBANISIERUNG
BINNENWANDERUNGSBEWEGUNGEN; RÄUMLICHER UND
SOZIALER WANDEL IN DEN INDUSTRIESTÄDTEN DES
SAAR-LOR-LUX-RAUMES 1856-1910
Veröffentlichungen
der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
23
Migration und Urbanisierung
Binnenwanderungsbewegungen; räumlicher und
sozialer Wandel in den Industriestädten des
Saar-Lor-Lux-Raumes 1856-1910
Stefan Leiner
Saarbrücken 1994
Kommissionsverlag: SDV Saarbrücker Druckerei und Verlag Gmbh
Die Deutsche Bibliothek - CIP Einheitsaufnahme
Leiner, Stefan:
Migration und Urbanisierung : Binnenwanderungsbewegungen ;
räumlicher und sozialer Wandel in den Industriestädten des
Saar-Lor-Lux-Raumes 1856 - 1910 / Stefan Leiner. -
Saarbrücken : Saarbrücker Dr. und Verl., 1994
(Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische
Landesgeschichte und Volksforschung ; 23)
Zugl.: Saarbrücken, Univ., Diss., 1993
ISBN 3-925036-90-3
NE: Kommission für Saarländische Landesgeschichte und
Volksforschung: Veröffentlichungen der Kommission ...
Gedruckt mit Unterstützung der Arbeitskammer des Saarlandes
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zung und der literarischen oder anderweitigen Bearbeitung.
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Vorwort
Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 1993 von der Philosophi-
schen Fakultät der Universität des Saarlandes als Dissertation angenommen. Sie wurde
finanziell ermöglicht durch ein Landesgraduiertenstipendium sowie durch ein Promo-
tionsstipendium der Ernst-Röchling-Stiftung. Für diese Unterstützung danke ich
sehr.
Mein akademischer Lehrer Professor Dr. Rainer Hudemann hat die Arbeit angeregt
und betreut. Ihm habe ich an erster Stelle zu danken.
Für ihre freundliche Unterstützung beim Suchen der Quellen und Sammeln der Daten
habe ich den Mitarbeitern der im Anhang aufgeführten Archive und Institutionen zu
danken.
Den Teilnehmern des Doktorandenkolloquiums und insbesondere den Mitarbeitern
am Lehrstuhl von Professor Hudemann bin ich für ihre Anregungen und konstruktive
Kritik zu herzlichem Dank verpflichtet. Ein besonderer Dank gilt Dr. Armin Heinen,
der mir in wissenschaftlichen und informationstechnischen Fragen sachkundig und
verständnisvoll zur Seite stand. Mit Dr. Jean-Paul Lehners (Centre universitaire de
Luxembourg) verbinden mich zahlreiche anregende Diskussionen über die Saar-
Lor-Lux-Region und unser gemeinsames Engagement in dem daraus hervorgegange-
nen Arbeitskreis zur Sozialgeschichte der Industrialisierung im Saar-Lor-Lux-Raum
(ASI).
Die Mehrzahl der kartographischen Abbildungen beruhen auf Zeichnungen, die
freundlicherweise von Herrn Raimund Zimmermann erstellt wurden. Für ihre Hilfe
und ihre Ratschläge bei der Überarbeitung und der Korrektur danke ich Judith und
Dietmar Hüser und Annette Maas, für die Unterstützung bei der Erstellung der
Satzvorlage Marcus Hahn, Anne Hirschbach, Katja Müller und Hanne Tischleder.
Der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, insbesonde-
re ihrem Geschäftsführer Herrn Professor Dr. Hans-Walter Herrmann, danke ich für
die Aufnahme der Arbeit in die Reihe ihrer Veröffentlichungen.
Der Druck wurde wesentlich ermöglicht durch die Unterstützung der Arbeitskammer
des Saarlandes im Rahmen ihrer Kooperation mit der Universität. Für einen weiteren
Zuschuß danke ich der Universität des Saarlandes.
Ich widme diese Arbeit meinem verstorbenen Großvater Karl Wiebelt. Er hat mich
durch seine Lebenseinstellung geprägt.
Saarbrücken, im Frühjahr 1994 Stefan Leiner
V
Inhaltsverzeichnis
A) Einleitung - Intention, wissenschaftlicher Kontext und
Aufbau der Studie 1
a) Fragestellung und Intention...................................1
b) Der wissenschaftliche Kontext - Zum Stand der
Urbanisierungs- und Migrationsforschung.......................6
1. Neuere Tendenzen der Stadtgeschichtsschreibung
und Urbanisierungsforschung.......................... 6
2. Die Bevölkerungs- und Migrationsgeschichte ............8
3. Schwerpunkte der Regionalgeschichtsschreibung
von Saarland, Lothringen und Luxemburg................14
3.1 Stadtgeschichte .................................14
3.2 Bevölkerungs- und Migrationsgeschichte...........17
3.3 Grenzraumfragestellung...........................21
c) Der Aufbau der Arbeit........................................23
B) Die Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung von Malstatt-
Burbach, Diedenhofen und Esch-an-der-Alzette im 19. und
frühen 20. Jahrhundert 26
C) Das Meldewesen im Reichsland Elsaß-Lothringen,
im Königreich Preußen und im Großherzogtum Luxemburg
im 19. und frühen 20. Jahrhundert...................................36
a) Rechtliche Grundlagen........................................36
b) Die kommunalen Melderegister als
Hauptquelle der Untersuchung.................................42
1. Die Melderegisterbestände................................42
2. Struktur und Charakteristika der Melderegister...........44
3. Melderegisterumfang und Arbeitsdatensatz ................50
D) Wanderungsbewegungen in Malstatt-Burbach, Diedenhofen
und Esch-an-der-Alzette zwischen 1856 und 1910......................53
a) Das Gesamtwanderungsaufkommen ...............................53
1. Wanderungsvolumen und Wanderungsbilanzen.................58
2. Mobilität und natürliche Bevölkerungsbewegung ...........66
3. Mobilitäts- und Wirtschaftsentwicklung ..................68
4. Saisonale Mobilitätsmuster ..............................73
b) Die Immigranten .............................................82
1. Geschlecht, Konfession, Alter ...........................82
2. Die familiäre und berufliche Situation ..................92
VII
2.1 Einzel- und Familienwanderer....................92
2.2 Die Stellung zum Haushaltsvorstand............. . 96
2.2.1 Ledige Mütter............................99
2.2.2 Geschwisterwanderung....................100
2.3 Die berufliche und soziale Stellung..............102
2.3.1 Wirtschaftssektoren ....................102
2.3.2 Sozialgruppen...........................107
2.3.3 Sozialränge (Schichtenzugehörigkeit) ... 113
2.3.4 Die Arbeiterschaft......................116
2.3.5 Beamte und Angestellte .................124
3. Herkunft und Ziel: Geographische Mobilitätsmuster.......132
3.1 Entfernungen ..................................138
3.2 Landschaftliche Einheiten und
nationale Zugehörigkeiten......................146
3.2.1 Malstatt-Burbach........................146
Exkurs :
Der Wanderungsaustausch mit der
Nahzone Saar-Hunsrück-Pfalz.............153
3.2.2 Diedenhofen.............................160
3.2.3 Esch-an-der-Alzette.....................168
3.2.4 Der Wanderungsaustausch mit
Belgien, Frankreich und Italien.........173
3.2.4.1 Italien.........................173
3.2.4.2 Belgien und Frankreich .........183
3.3 Die ökonomische Struktur der
Herkunfts- und Zielgebiete.....................190
4. Immigrationsprofile - Versuch einer Typologisierung
der Zuwandererschaft nach Malstatt-Burbach
und Diedenhofen.......................................196
4.1 Malstatt-Burbach ..............................196
4.2 Diedenhofen....................................207
E) Die Ausformung räumlicher Sozialbeziehungen in
Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz. :
Viertelbildung zwischen Mobilität und Seßhaftigkeit.................213
a) Die Frequentierung und Expansion des Stadt-
raumes infolge der Zuzugsmobilität .................................213
b) Sozialtopographische Muster
innerstädtischer Wohnortwahl ................................222
VIII
1. Malstatt-Burbach......................................223
2. Diedenhofen ..........................................232
3. Esch-an-der-Alzette...................................236
4. Zusammenfassend-komparative Betrachtung
des Ansiedlungsverhaltens in den drei
Untersuchungsgemeinden ...............................241
c) Fluktuation und Seßhaftigkeit : Analysen
zu Aufenthaltsdauer und Umzugsverhalten .....................246
F) Administrative Rezeption und Steuerungsstrategien hinsichtlich
der Wanderungsbewegungen im Saar-Lor-Lux-Raum während
der Hochindustrialisierungsperiode..................................252
a) Die Wahrnehmung des Wanderungsgeschehens
durch kommunale und staatliche Organe........................252
b) Wohnverhältnisse, Hygiene und Gesundheit :
Die Rolle der mobilen Bevölkerungsteile in
der zeitgenössischen Wohnungsdebatte.........................283
c) Konkubinat, Kellnerinnenwesen, Kriminalität :
Die Instrumentalisierung der Fremdenpolizei
angesichts der Subkulturen einer hochmobilen
Industriegesellschaft........................................301
G) Ergebnisse - Struktur, Folgen und zeitgenössische
Rezeption der Binnenwanderungsbewegungen in den
Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes während
der Hochindustrialisierungsperiode..................................319
H) Methodischer Anhang ......................................335
a) Das Stichprobenverfahren...................................336
b) Die Klassifikation der Variablen Alter,
Aufenthaltsdauer, Beruf sowie (Geburts-,
Herkunfts-, Ziel~)Ort........................................342
1. Die Zeitkategorien: Altersgruppen
und Aufenthaltsintervalle ............................342
2. Das Berufsklassifikationsverfahren
und Schichtungsmodelle................................345
I. Soziale Schichtung nach Sozialgruppen ........347
II. Soziale Schichtung nach Sozialrängen .........348
III. Soziale Schichtung nach Wirtschafts-
sektoren ..............................................349
IX
IV. Berufe und Berufsgruppen
(Berufsklassifikation)..........................350
V. Kommentar...................................... 365
3. Zur Parametrisierung der Variablen Geburtsort,
Herkunftsort und Zielort............................... 368
I. Landschaftsklassifizierung der Kreise...........372
II. Entfemungsklassifizierung der Kreise...........377
III. Entfemungsklassifizierung für
Belgien und Frankreich .........................381
IV. Ökonomische Rang-
klassifizierung der Kreise.............................383
c) Die elaborierten statistischen Analyseverfahren ..............385
1. Die Zeitreihenanalyse...................................385
2. Die Clusteranalyse......................................389
d) Tabellen 392
I) Quellen- und Literaturverzeichnis ..................................399
a) Archivalien (incl. Kurzüberblick
über das Archivalienverzeichnis) ..............................399
b) Gedruckte Quellen (incl. Kurzüberblick
über das Literaturverzeichnis) ............................... 408
c) Forschungsliteratur ..........................................413
K) Tabellen-, Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis....................439
a) Tabellenverzeichnis ..........................................439
b) Abbildungsverzeichnis ........................................439
c) Abkürzungsverzeichnis.........................................443
X
A.
Einleitung - Intention, wissenschaftlicher Kontext
und Aufbau der Studie
a) Fragestellung und Intention
In der Urbanisierungsforschung der letzten 20 Jahre wurde der Frage nach dem Verhältnis
von Industrialisierung, Bevölkerungsbewegungen und Stadtentwicklung stets ein hoher
Stellenwert beigemessen. Thesenhaft umschrieb Wolfgang Köllmann dieses Beziehungs-
geflecht in einem Artikel zur deutschen Bevölkerung im Industriezeitalter folgenderma-
ßen: "Seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts wird auch die Geschichte der deutschen
Bevölkerung wesentlich durch die Industrialisierung bestimmt. Vor allem zwei inein-
andergreifende Prozesse, durch die die Bevölkerung bedeutende Umschichtungen erfuhr,
wurden durch die Entstehung neuer industrieller Standorte ausgelöst: Binnenwanderung
und Verstädterung."1
Die vorliegende Studie setzt geographisch in einem Raum an, der sich erst durch die
Industrialisierung konstituierte. Forschungsgegenstand ist damit ein funktionaler Raum,
der seine Abgrenzung nicht schon im voraus durch Verwaltungsgrenzen erfahren hatte
und daher nicht unmittelbar über eine lineare Grenze verfügte, auch wenn man ihn als
nahezu deckungsgleich mit dem heutigen Saarland, dem zwischen 1870 und 1918
größtenteils vom Deutschen Reich annektierten Lothringen und dem Staat Luxemburg
ansehen kann. Diese Region wurde zwar erst in den 1950er Jahren im Zuge der euro-
päischen Einigung und angesichts der Saarfrage als wirtschaftlich ziemlich homogenes
Gebiet seitens der europäischen Öffentlichkeit wahrgenommen und infolgedessen mit
dem Terminus "Saar-Lor-Lux-Raum" belegt, sah sich aber in ihrer Gesamtheit bereits
ab der Mitte des 19. Jahrhunderts einem rasanten Industrialisierungsprozeß unterworfen,
welcher der Ausbildung gemeinsamer Binnenstrukturen erheblichen Vorschub leistete.2
Die Städte und Gemeinden der Region, die sich unter diesen Umständen zu industriellen
Standorten entwickelten, gewannen eine zunehmende Attraktivität für Arbeitskräfte. Sie
1 Köllmann, Wolfgang: Die deutsche Bevölkerung im Industriezeitalter, in: ders., Bevölkerung
in der industriellen Revolution, Studien zur Bevölkerungsgeschichte Deutschlands, Göttingen
1974, S.35-46, hier: S.37. Vgl. auch Langewiesche, Dieter: Mobilität in deutschen Mittel- und
Großstädten, in: Arbeiter im Industrialisierungsprozeß, Herkunft, Lage und Verhalten, hg. von
Werner Conze u. Ulrich Engelhardt, Stuttgart 1979, S.70-93, hier: S.72 und Marschalck, Peter:
Bevölkerungsgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/M. 1984, S.45ff.
2 Die Benennung des Saar-Lor-Lux-Raumes ist maßgeblich im Zusammenhang mit der Grün-
dung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, Montanunion) zu sehen. Ein-
blick in die Begriffsbildung gewährt Hellwig, Fritz: Wirtschaftsentwicklung und Grenzen im
Raum Saarland-Lothringen-Luxemburg, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 111/1975,
S.159-171.
1
wurden zum Zielpunkt einer Bevölkerungsbewegung, deren erstes Kennzeichen eine
überproportionale Land-Stadt-Wanderung war. Die Gestalt und der Aufgabenbereich
der Kommunen gerieten dadurch unmittelbar in den Sog des industriellen Wandlungspro-
zesses.
Schwerpunkte der Untemehmensaktivitäten bildeten u.a. die Orte Malstatt-Burbach -
seit 1909 Teil der Großstadt Saarbrücken -, das an der lothringischen Mosel nördlich
von Metz gelegene Diedenhofen (Thionville) und Esch-an-der-Alzette, die Metropole
des südluxemburgischen bassirt minier.3
Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht die detaillierte Analyse der regiona-
len, inter- und innerstädtischen Wanderungsbewegungen. Von Interesse sind dabei die
Richtung, Intensität, Zusammensetzung und sozialen Folgen der Migrationsströme, welche
die drei Kommunen seit Beginn der Industrialisierung bis kurz vor den ersten Weltkrieg
berührten. In diesem Zusammenhang wird der Frage nachgegangen, ob in den drei Teilre-
gionen Saarland, Lothringen und Luxemburg sehr ähnliche Migrationsmuster anzutreffen
waren, oder ob sich in den drei - trotz ihres gemeinsamen industriellen Charakters recht
unterschiedlichen - Gemeinden spezifische Migrationskulturen ausbildeten. Es gilt zu
klären, ob und inwieweit die Wanderungsbewegungen der Hochindustrialisierungsperiode
die Industriezentren der Region über administrative Grenzen hinweg sozial miteinander
vernetzten. Außerdem wird erörtert werden, wie das Wanderungsgeschehen seitens
politischer Entscheidungsträger bzw. seitens der bürgerlichen Öffentlichkeit im Königreich
Preußen, im Reichsland Elsaß-Lothringen und im Großherzogtum Luxemburg rezipiert
wurde. Welche administrativen Steuerungsstrategien wurden diskutiert und schließlich
praktisch umgesetzt? Gab es einen Austausch der verschiedenen Landesverwaltungen
untereinander und wie intensiv gestaltete sich dieser? Das Verhältnis reichsdeutscher Stel-
len zum souveränen Großherzogtum Luxemburg und auch zum nationalpolitischen
Kontrahenten Frankreich soll unter dem Gesichtspunkt eines nicht unwesentlichen
zwischenstaatlichen Bevölkerungsaustausches näher betrachtet werden. Es gilt hier die
These nationaler wie regionaler Dependenzen und Interferenzen im Rahmen der be-
hördlichen Auseinandersetzung mit den Migranten empirisch zu überprüfen.
3 Der Sprachgebrauch hinsichtlich der Untersuchungsgemeinden richtet sich in der vorliegenden
Studie nach der jeweils gültigen zeitgenössischen Nomenklatur. Während der Reichslandzeit
(1871-1918), mit der sich der Untersuchungszeitraum im wesentlichen deckt, lautete die offizielle
Bezeichnung für das zuvor französische Thionville "Diedenhofen". Die Germanisierun gm aßnah-
men während des ersten Weltkrieges, im Zuge derer eine ganze Reihe bis dahin frankophoner
Ortsnamen eingedeutscht wurden, finden allerdings keine Berücksichtigung. Zur Vermeidung
von Identifizierungsproblemen wird bei Erstnennungen in der Regel die historische bzw. aktuelle
französische Ortsbezeichnung angegeben. Bei luxemburgischen Ortsnamen wird aufgrund der
offiziellen Dreisprachigkeit des Großherzogtums (Deutsch, Französisch, Luxemburgisch) generell
mit der deutschen Bezeichnung gearbeitet.
2
Das Wanderungsgeschehen im Untersuchungsgebiet wird trotz der Existenz einer
gewissenkontinentalenFemwanderungskomponente(Italiener, Auslandspolen, Amerika-
wanderer), und obwohl es sich um ein grenzübergreifendes Phänomen handelte, bewußt
als "Binnenwanderungsbewegung" bezeichnet. Denn gerade wegen der grenzüber-
schreitenden Perspektive der Studie erscheint die übliche Betrachtung nationalstaatlicher
"Binnenwanderungsströme" unangebracht. Der Begriff "Binnenwanderung" meint im
gegebenen Falle die europäisch-kontinentale Binnenwanderungsbewegung, welche die
Saar-Lor-Lux-Region als integralen Bestandteil des industriell geprägten, westeuropäi-
schen Wirtschaftsraumes tangierte und die von der transatlantischen bzw. kolonialen Mi-
gration deutlich zu unterscheiden ist.
Neben der Auseinandersetzung mit der Migrationsthematik als solcher richtet sich das
Erkenntnisinteresse der Studie schwerpunktmäßig auf die städtebildnerische Dimension
des Migrationsprozesses. Die Zuwanderungen in die industriell-urbanen Agglomerations-
zonen Malstatt-Burbachs, Diedenhofens und Eschs stellten einen entscheidenden Faktor
zur Ausbildung sozialräumlicher Strukturen dar. Städtewachstum und Viertelbildungs-
prozesse liefen unter einem permanenten und bis 1914 ständig zunehmenden Immigra-
tionsdruck ab. Räumlich entwickelten sich die Untersuchungsgemeinden - anders als
Großstädte wie Berlin, Hamburg oder Wien - zwangsweise weitgehend als offene
Urbanisationsfelder auf dem schmalen Grat zwischen Wildwuchs, einigen wenigen stadt-
planerischen Ansätzen und baupolizeilichen Reglementierungsversuchen. Aufgrund ihres
urbanen Charakters, d.h. wegen der nach Einsetzen der Industrialisierung hochschnellen-
den Einwohnerzahlen, der Ausbildung einer jeweils differenzierten Gewerbelandschaft
einschließlich eines umfangreichen Warenverkehrs und des Aufbaus städtischer Lei-
stungssysteme mit Gas-, Wasser-, Stromversorgung, einer aktiven Verkehrspolitik sowie
der Installierung zahlreicher betrieblicher und kommunaler Sozialeinrichtungen (Kranken-
anstalten, Kindergärten, Haushaltungsschulen usw.), werden die drei Kommunen in der
Studie prinzipiell auch schon vor ihrer juristischen Stadtwerdung als "Städte" bezeichnet.4
Mit der vergleichenden Betrachtung von Migrations- und UrbanisierungsVorgängen in
Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz. ist mehr beabsichtigt, als einige grundle-
gende Forschungslücken in der Regionalgeschichtsschreibung zu schließen. Sicherlich
leistet die Studie ihren eigenen Beitrag zur Aufarbeitung bislang recht wenig beachteter
Aspekte sowohl der Sozial- als auch der Stadtgeschichte von Saarland, Lothringen und
Luxemburg. Ihre überregionale Relevanz gewinnt die Untersuchung jedoch dadurch, daß
durch die Themenwahl und Herangehensweise an den Forschungsgegenstand auf breiter
Linie methodisches Neuland betreten wird.
4 Diedenhofen hatte bereits vor der Industrialisierung den Rang einer Kreisstadt bzw. war in
französischer Zeit vor 1870 "chef-lieu d'un arrondissement". Malstatt-Burbach erwarb im Jahre
1875 das Stadtrecht und Esch/Alz. wurde im Jahre 1906 zur "ville" erhoben.
3
Erstens wird mit der Analyse kommunaler Melderegister eine sozialhistorisch höchst
interessante Quellengattung erschlossen, die bislang seitens der Historikerzunft entweder
nicht oder nicht adäquat bearbeitet wurde bzw. bearbeitet werden konnte.5 Erst die
Entwicklung handlicher, zugleich aber sehr leistungsfähiger Kleinrechner gegen Ende
der 1980er Jahre erlaubte die originalgetreue Erhebung von Meldedaten in maschinenles-
barer Form, so daß der volle Informationsgehalt dieser seriellen Massendatenbestände
in der Forschungsarbeit Berücksichtigung finden konnte.6
Zweitens wurden gezielt quantitative Methoden angewandt. Der Einsatz eines präzisen,
mathematisch fundierten Stichprobenverfahrens war an sich schon durch die Art der
Quellenbasis unerläßlich. Darüber hinaus wurde der Versuch unternommen, weitere, in
der Vergangenheit in der Sozialgeschichtsschreibung noch äußerst selten genutzte
statistische Verfahren für die Migrationsforschung dienstbar zu machen. Der Einsatz zeit-
reihenanalytischer Methoden sollte zur Beschreibung und Analyse langfristiger Mobili-
tätsprozesse beitragen. Besonders interessant erschien dabei der Vergleich der Migrations-
reihen mit Wirtschaftsdaten, welche durch Ökonomiehistoriker bereits seit geraumer Zeit
mittels der genannten Verfahren bearbeitet werden. Daneben wurden einzelne Teilunter-
suchungen mit Hilfe der Clusteranalyse in Angriff genommen, einem mathematisch
weniger komplexen, für sozialhistorische Fragestellungen aufgrund seiner Transparenz
bestens geeigneten Klassifizierungsverfahren, das von Historikern ebenfalls erst ver-
gleichsweise selten rezipiert worden ist. Dennoch beschränkt sich die Studie nicht auf
die Cliometrik, sondern bemüht sich, unter Einbeziehung zahlreicher qualitativer Quellen,
um eine Synthese quantitativer und qualitativer Forschungsansätze. Sie richtet sich
keinesfalls einseitig an ein statistisch vorgebildetes Fachpublikum. Eine methodische Vor-
bildfunktion nahm diesbezüglich die von Edward A. Wrighley und Roger S. Schofield
edierte "Population History of England" ein;7 insbesondere die Gliederung jener
Publikation mit dem ausführlichen methodischen Anhang, aus welchem das Bemühen
spricht, die elaborierten statistischen Analyseparameter und -verfahren mehr oder minder
5 Die einzige dem Vf. bekannte historische Studie, die zumindest teilweise auf kommunalen
Melderegistem basiert, stammt von dem Amerikaner James H. Jackson. Vgl. Jackson, James H.
jr.: Migration and Urbanization in the Ruhr Valley (1850-1900), Diss. Minnesota 1980. Jackson
betrachtet stichprobenartig ausschließlich die Duisburger Melderegisterjahrgänge 1867/68 und
1890, nicht zuletzt da es zum damaligen Stand der PC-Entwicklung - das Jahr 1980 gilt als
Geburtsstunde des Personal Computer - arbeitstechnischnahezu unmöglich war, der Massendaten,
welche diese Register enthalten, Herr zu werden.
6 Zur Erfassung des kompletten Informationsgehaltes der Melderegistereinträge ist in den Archiven
eine Volltextaufnahme mittels eines tragbaren Tischcomputers gerade im Rahmen einer ver-
gleichenden Studie unerläßlich.
7 Vgl. Wrighley, Edward A./ Schofield, Roger S. (Hg.): The Population History of England
(1541-1871). A Reconstruction, Cambridge 1989.
4
allgemeinverständlich vorzustellen, wurde bezüglich der vorliegenden Arbeit gleichfalls
als sinnvoll erachtet.
Drittens unterscheidet sich die Themenwahl etwas von der weithin üblichen historiogra-
phischen Praxis. Studien, die sich durch eine interdisziplinär-international-vergleichende
Herangehensweise auszeichnen, sind bisher in der Geschichtswissenschaft selten
geblieben, vor allem im Hinblick auf die Grenzraumfragestellung. Komparative stadt-
geschichtliche Arbeiten beinhalten, sofern sie die zwischenstaatliche Ebene betreffen,
zumeist Metropolenvergleiche. Im vorliegenden Falle ist es dagegen ein Anliegen,
verschiedene Nationalgeschichtsschreibungen sowie speziell verschiedene regionalhistori-
sche Traditionen miteinander zu verknüpfen und somit die Perspektive für eine grenz-
übergreifende, periphere Geschichtslandschaft zu öffnen. Das Konzept des Sonderfor-
schungsbereiches "Vergleichende geschichtliche Städteforschung", den die DFG zwischen
1976 und 1986 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster förderte, wird
in einem neuen thematischen Zusammenhang wieder aufgegriffen und partiell erweitert.8
Es wird der Versuch unternommen, bevölkerungsgeschichtliche, sozialgeschichtliche,
politikgeschichtliche, wirtschaftsgeschichtliche, stadtgeographische, regionalhistorische
und stadtgeschichtliche Forschungsansätze zu einer vergleichenden Betrachtung dreier
benachbarter Städte unter dem Einfluß der Binnenwanderungsbewegungen des Indu-
striezeitalters zu nutzen. Dieses Untersuchungskonzept entstand im Zusammenhang mit
der inhaltlichen Vorbereitung des seit 1991 von der DFG an der Universität des Saarlan-
des geförderten Forschungsprojektes zur "Stadtentwicklung im deutsch-französisch-
luxemburgischen Grenzraum im 19. und 20. Jahrhundert", dessen Erkenntnisinteresse
sich bislang allerdings vordringlich auf das Wohnungswesen und die Stadtplanung richtet.
Der damit in mehrfacher Hinsicht innovative Anspruch der vorliegenden Studie bedingt,
daß verschiedentlich die Möglichkeiten, neue historiographische Wege zu beschreiten,
ausgelotet werden mußten, was den thesenhaften Charakter bestimmter Teilergebnisse
begründet. Die Vorgehensweise war im voraus weniger theoriegeleitet, wodurch die
Untersuchung nicht der bloßen Verifizierung bzw. Falsifizierung von ausformulierten
Hypothesen dienen konnte. In methodischer Hinsicht stand der sozusagen "spielerische",
d.h. explorative Umgang mit dem (quantitativen) Datenmaterial, die Suche nach den Aus-
sagemöglichkeiten, welche die Quellen unter den verschiedensten Gesichtspunkten bargen,
im Vordergrund.
Nicht zuletzt erweist die Ausländer- und Asyldebatte im Deutschland der frühen 1990er
Jahre die immer wiederkehrende thematische Aktualität und tagespolitische Relevanz
von Migrationsforschung in komplexen gesellschaftlichen Kontexten.
* Vgl. Annotierte Gesamtbibliographie des Sonderforschungsbereiches 164 "Vergleichende
geschichtliche Städteforschung" der Westfälischen Wilhelms-Universität (1976-1988), Münster
1989.
5
b) Der wissenschaftliche Kontext - Zum Stand der Urbanisierungs- und
Migrationsforschung
1. Neuere Tendenzen der Stadtgeschichtsschreibung und Urbanisierungs for-
schung
Die deutsche Urbanistik, die für den Bereich der Neueren Geschichte lange im Schatten
der französischen und angelsächsischen Stadtgeschichtsschreibung stand, fand erst Mitte
der 1970er Jahre Anschluß an den internationalen Forschungsstandard. In den 1980er
Jahren erschien dann eine Vielzahl bemerkenswerter Arbeiten, die sich mit dem Ur-
banisationsprozeß als Begleiterscheinung der Industrialisierung im 19. und in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinandersetzten. Darunter finden sich die Gesamtdar-
stellungen von Wolfgang R. Krabbe, Horst Matzerath und Jürgen Reulecke.9 Unter den
französischen Gesamtdarstellungen jüngeren Datums wäre vor allem das fünfbändige
Werk von Georges Duby hervorzuheben.10
Daneben wurde im deutschsprachigen Raum eine Reihe von Sammelbänden veröffentlicht,
welche die Themenvielfalt des Untersuchungsgegenstandes Stadt verdeutlichen. Unter
der Herausgeberschaft von Wilhelm Rausch und Hans-Jürgen Teuteberg erschienen z.B.
Arbeiten mit stark historischen Schwerpunkten (Stadtplanung, städtische Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte, Kommunalpolitik, kommunale Leistungsverwaltung etc.).11 Unter
Federführung von Heinz Heineberg bzw. Horst Matzerath entstanden eher stadtgeogra-
phisch akzentuierte Sammelbände.12 Überhaupt beteiligten sich Geographen sehr rege
auch an der historischen Urbanisierungsforschung. Die Auseinandersetzung mit dem
9 Krabbe, Wolfgang R.: Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1989;
Matzerath, Horst: Urbanisierung in Preußen (1815-1914), Stuttgart 1985; Reulecke, Jürgen: Ge-
schichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt/M. 1985.
10 Duby, Georges (Hg.): Histoire de la France urbaine, 5 Bde,, Paris 1980-1985.
11 Rausch, Wilhelm (Hg.): Die Städte Mitteleuropas im 19. Jahrhundert, Linz 1983 sowie ders.
(Hg.): Die Städte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert, Linz 1984; Teuteberg, Hans-Jürgen (Hg.):
Stadtwachstum, Industrialisierung und sozialer Wandel. Beiträge zur Erforschung der Urbanisie-
rung im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin 1986 sowie ders. (Hg.): Urbanisierung im 19. und 20.
Jahrhundert, Köln 1983.
12 Heineberg, Heinz (Hg.): Innerstädtische Differenzierung und Prozesse im 19. und 20.
Jahrhundert. Geographische und historische Aspekte, Köln-Wien 1987; Matzerath, Horst (Hg.):
Städtewachstum und innerstädtische Strukturveränderungen. Probleme des Urbanisierungsprozesses
im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1984.
6
Zentralortemodell Christallers und die Analyse von Stadt-(Um)Land-Beziehungen bilde-
ten dabei einen wesentlichen Bezugsrahmen.13
Einen stark theoretischen und dabei gegenwartsbezogenen Anspruch erheben in der Regel
soziologische Studien wie die von Peter Saunders.14
Interessant in seinem Bemühen, methodisch neue Wege im Bereich der Quantifizierung
für die Stadtgeschichtsschreibung zu erschließen, ist bis heute ein von Wilhelm H. Schrö-
der veröffentlichter Sammelband.15
Zum Aspekt städtischer Wohnverhältnisse liegt eine reiche Zahl an Publikationen vor,
für die u.a. Hans-Jürgen Teuteberg, Gemens Wischermann und Lutz Niethammer verant-
wortlich zeichnen.16
In neuerer Zeit sind zudem einige Städtemonographien abgeschlossen worden, die einen
dezidiert sozialhistorischen Ansatz in lokale Urbanisierungsanalysen einzubetten ver-
suchen. Dadurch gelingt es Verfassern wie David Crew, Stephan Bleek und William H.
Hubbard Darstellungen der städtischen Sozialgeschichte vorzulegen, die der Komplexität
urbaner Lebenszusammenhänge Rechnung tragen und somit den Ansprüchen der
modernen Urbanisierungsforschung gerecht werden.17
So stark das Forschungsinteresse hinsichtlich der Stadtentwicklung unter historiographi-
schen, geographischen, soziologischen und ökonomischen Gesichtspunkten auch gestiegen
ist, wurde bislang jedoch speziell die international-vergleichende Perspektive in der
deutschen Urbanistik - wie auch in den anderen Nationalgeschichtsschreibungen -
13 Blotevogel, Hans Heinrich: Zentralörtliche Gliederung und Städtesystementwicklung in
Nordrhein-Westfalen, Dortmund 1990; Bulst, Neithard/ Hook, Jürgen/ Irsigler, Franz (Hg.):
Bevölkerung, Wirtschaft, Gesellschaft, Stadt-Land-Beziehungen in Deutschland und Frankreich
vom 14. bis zum 19. Jahrhundert, Trier 1983; Glettler, Monika u.a. (Hg.): Zentrale Städte und
ihr Umland. Wechselwirkungen während der Industrialisierungsperiode in Mitteleuropa,
St.Katharinen 1985.
14 Saunders, Peter: Soziologie der Stadt, Frankfurt/M. 1987. Dies trifft auch auf die folgende ältere
Studie zu: Mackensen, Rainer u.a. (Bearb.): Daseinsformen der Großstadt. Typische Formen
sozialer Existenz in Stadtmitte, Vorstadt, Gürtel der industriellen Großstadt, Tübingen 1959 bzw.
auf die wirtschaftswissenschaftliche Arbeit von Heuer, Hans: Sozioökonomische Bestimmungs-
faktoren der Stadtentwicklung, Stuttgart u.a. 1975.
15 Schröder, Wilhelm H. (Hg.): Moderne Stadtgeschichte, Stuttgart 1979.
16 Teuteberg, Hans-Jürgen (Hg.): Homo habitans. Zur Sozialgeschichte des ländlichen und
städtischen Wohnens in der Neuzeit, Münster 1985; ders./ Wischermann, Clemens (Hg.):
Wohnailtag in Deutschland, Münster 1985; Niethammer, Lutz (Hg.): Wohnen im Wandel,
Wuppertal 1979.
17 Bleek, Stephan: Quartierbildung in der Urbanisierung. Das Münchener Westend (1890-1933),
München 1991; Crew, David: Bochum. Sozialgeschichte einer Industriestadt (1860-1914),
Frankfurt/M. u.a. 1980; Hubbard, William H.: Auf dem Weg zur Großstadt. Eine Sozialgeschichte
der Stadt Graz (1850-1914), München 1984.
7
deutlich vernachlässigt. Die auf der Ebene des Metropolenvergleichs richtungsweisenden
Werke von Paul M. Hohenberg und L.H. Lees, von Anthony Sutcliffe, Thomas Hall oder
von Jean-Luc Pinol haben bis in die Gegenwart nur vergleichsweise wenig Nachahmer
gefunden.18 Grenzraumvergleiche, denen sich bereits in den 1960er Jahren beispielsweise
der Geograph André Traband und Ende der 1980er Jahre die Historiker Rolf Wittenbrock
und Rainer Hudemann gewidmet haben, sind gerade in der Stadtgeschichtsschreibung
äußerst selten geblieben.19
2. Die Bevölkerungs- und Migrationsgeschichte
Diskreditiert durch ihre Involvierung in die Rassenpolitik der Nationalsozialisten, hinkte
die bis in die 1930er Jahre allgemein anerkannte deutsche Bevölkerungswissenschaft
ähnlich wie die Stadtgeschichtsforschung nach 1945 lange dem in Frankreich und England
erreichten Forschungsstandard hinterher.20
Die Vielzahl von historisch-demographischen Arbeiten, die in den letzten Jahren
erschienen ist, bereichert nicht nur die allgemeine deutsche Bevölkerungswissenschaft,
sondern belegt, daß mittlerweile der Anschluß an die - im englisch- und französischspra-
chigen Raum stark demographisch orientierte - internationale Forschung gefunden wurde.
Studien wie die von Arthur E. Imhof, Etienne François und Peter Burg zum demogra-
phischen Umbruch, den der Übergang von der alten Bevölkerungsweise mit hoher
Fruchtbarkeit und hoher Sterblichkeit zur neuen Bevölkerungsweise zwischen dem 16.
und dem 19. Jahrhundert bedeutete, dokumentieren die Fortschritte der demographischen
18 Hohenberg, Paul M./ Lees, L.H.: The Making of Urban Europe (1000-1950), Cambridge/Mass.
1985; Hall, Thomas: Planung europäischer Hauptstädte. Zur Entwicklung des Städtebaus im 19.
und 20. Jahrhundert, Göteborg 1986; Sutcliffe, Anthony: Towards the Planned City, Oxford 1981;
Pinol, Jean-Luc: Le monde des villes au XIXe siècle, Paris 1990.
19 Traband, André: Villes du Rhin. Strasbourg et Mannheim-Ludwigshafen. Etude de géographie
comparée, Paris 1966; Wittenbrock, Rolf: Bauordnungen als Instrumente der Stadtplanung im
ReichslandElsaß-Lothringen(1870-1918). Aspekte der Urbanisierung im deutsch-französischen
Grenzraum, St.Ingbert 1989; Hudemann, Rainer/ ders. (Hg.): Stadtentwicklung im deutsch-
französisch-luxemburgischen Grenzraum (19. und 20. Jahrhundert), Saarbrücken 1991. Das
Interesse an international-vergleichenden Studien ist bislang bei den Stadtgeographen etwas
stärker ausgeprägt als bei den Stadthistorikem. Darüberhinaus ist in diesem Zusammenhang auch
auf den (raum)planungswissenschaftlichen Forschungsbereich zu verweisen, für den u.a. folgende
Dissertation vorliegt: Kong, Jan-Pyo: Zum Wandel der Siedlungsstruktur im Industrialisierungs-
prozeß am Beispiel der Städte Dortmund und Kitakyushu, Diss. Berlin 1979.
20 Vgl. Rödel, Walter G.: Bevölkerungsgeschichte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte
119/1983, S.301-324, hier: 301f.
8
Forschung im deutschsprachigen Raum.21 Das zentrale Interesse dieser Untersuchungen
galt der natürlichen Bevölkerungsbewegung und dem generativen Verhalten, Wande-
rungsbewegungen wurden nur am Rande behandelt. Dies trifft weitgehend auch auf
demographische Untersuchungen zum 19.Jahrhundert zu, die sich gezielt mit den infolge
der Industrialisierung auftretenden Wandlungen auseinandersetzen, welche sich zugleich
allerdings - nicht zuletzt aus arbeitstechnischen Gründen - vornehmlich auf den
dörflichen Bereich beschränken.22
Den demographischen Mikrostudien stehen bevölkerungswissenschaftliche Makroanalysen
gegenüber, unter denen eher historisch-geographische und eher historisch-sozialwissen-
schaftliche Arbeiten zu unterscheiden sind. Gemeinsam ist beiden Forschungsrichtungen
die Suche nach bevölkerungswissenschaftlichen Entwicklungsmodellen.
Wanderungsmotive und Wanderungsaufkommen interessierten in den 1970er Jahren eine
Gruppe um Olaf Boustedt unter raum- und landesplanerischen Aspekten sowie den
Geographen Karl-Heinz Schreiber, wobei festgestellt wurde: "Im Vergleich zu dem
zahlreichen Datenmaterial über den Umfang der WanderungsVorgänge, die räumliche
Wanderungsverflechtung und auch über die demographischen und soziographischen
Merkmale der Wanderer ist die Erforschung der eigentlichen Motive für die Wanderungs-
vorgänge, die Anlässe für einen Wohnortwechsel und alle sonstigen qualitativen Aspekte
des Wanderungsproblems noch außerordentlich wenig erforscht."23 Hans Heinrich
Blotevogel behandelte die "Wanderungszentralität als Teilproblem historischer Zentrali-
tätsforschung" (...). "Regionale Wanderungen sind demnach zu einem wesentlichen Teil
nicht ein wirres Netz sich kreuzender diffuser Bewegungen, sondern im allgemeinen auf
städtische Zentren hin ausgerichtet und deshalb unter dem Begriff Land-Stadt-Wände-
21 Imhof, Arthur E.: Bevölkerungsgeschichte und Historische Demographie, in: Historische Sozial-
wissenschaft, hg. von Reinhard Rürup, Göttingen 1977, S. 16-58; Imhof, Arthur E. (Hg.): Histori-
sche Demographie als Sozialgeschichte. Gießen und Umgebung vom 17. zum 19.Jahrhundert,
Darmstadt-Marburg 1975; François, Etienne: Koblenz im 18.Jahrhundert, Göttingen 1982; Burg,
Peter: Demographie und Geschichte. Zur Auswertung von Katastern und Personenstandsregistern
am Beispiel eines saarländischen Grenzdorfes, in: Rheinische Vierteljahresblätter42/1978, S.298-
383.
22 Hierzu zählt z.B. Hörger, Hermann: Mortalität, Krankheit und Lebenserwartung der Penzberger
Bergarbeiterschaft im 19. und beginnenden 20.Jahrhundert, in: Zeitschrift für Bayerische Landes-
geschichte 43/1980, S.185-222. Vgl. allgemein Rödel, Bevölkerungsgeschichte, S.307L Am
umfassendsten ist wahrscheinlich die Arbeit von Knödel, John E.: Demographie Behavior in the
Fast. A Study of Fourteen German Village Populations in the Eighteenth and Nineteenth
Centuries, Cambridge 1988.
23 Boustedt, Olaf: Zum Programm für den Aufbau einer laufenden Wanderungsstatistik für die
Städte, in: ders. u.a., Beiträge zur räumlichen Bevölkerungsbewegung, Hannover 1970, S.l-28,
hier: S.9; Schreiber, Karl-Heinz: Wanderungsursachen und idealtypische Verhaltensmuster mobiler
Bevölkerungsgruppen, Diss. Frankfurt/M. 1974.
9
rung faßbar".24 ln jüngster Vergangenheit stellte der Geograph Hans-Dieter Laux seine
bemerkenswerte Habilitationsschrift zur "Bevölkerungsdynamik preußischer Städte in
der Epoche der Industrialisierung (1875-1905)" fertig. Laux beschreibt auf der Basis
amtlicher Statistiken die Bedeutung von bevölkerungsrelevanten Komponenten (wie
Wanderung, natürlicher Bevölkerungsentwicklung und Eingemeindungen) auf das Städ-
tewachstum einzelner Orte in Preußen, die er nach funktionalen Typen unterscheidet.23
Die "Land-Stadt-Wanderung als Faktor des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses
zur industriellen Gesellschaft in Deutschland nach 1871" beschäftigte auch Rolf Sudek
in seiner sozial wissenschaftlichen Dissertation.26
Als Historiker verfolgte Wolfgang Köllmann diesen Ansatz bereits vor mehr als 25
Jahren, indem er in seinen bevölkerungsgeschichtlichen Arbeiten stets den engen
Zusammenhang von Industrialisierung, Bevölkerungsentwicklung und Urbanisierung be-
tonte. Die Stadt des Industriezeitalters stellt sich ihm daher nicht allein als Raum
veränderter sozialer und generativer Verhaltensweisen dar, sondern ist selbst - als sich
unter dem Einfluß der Industrialisierung wandelnder Schauplatz demographischer Prozesse
- Forschungsgegenstand im Rahmen einer modernen Bevölkerungsgcschichtc.27 Obwohl
der Untersuchungsgegenstand Stadt auch im Mittelpunkt bevölkerungsgeschichtlicher
Studien von Dieter Langewiesche und Horst Matzerath stand, behielten diese - wie schon
Köllmann - grundsätzlich eine Makroperspektive bei.28 Langewiesche griff beispiels-
weise die methodische Zugangsweise von Rudolf Heberle und Fritz Meyer aus den
1930er Jahren auf, ohne deren Datenbasis, welche auf zeitgenössischen Städtestatistiken
beruhte, wesentlich zu erweitern.29 Dennoch gelten Langewiesches Artikel über die
24 Blotevogel, Hans-Heinrich: Wanderung und Zentralität an Beispielen aus dem Raum Westfalen
vor der Industrialisierung, in: Stadt-Land-Beziehungen und Zentralität als Problem der histo-
rischen Raumforschung, Hannover 1974, S.235-264, hier: S.257 bzw. 238.
25 Laux, Hans-Dieter: Bevölkerungsdynamik preußischer Städte in der Epoche der Hoch-
industrialisierung(1875-1905). Ein Beitragzur interdisziplinären Urbanisierungsforschung,Habil.
Bonn 1990.
26 Sudek, Rolf: Geographische Mobüität als Faktor des politischen und sozialen Wandels in
Deutschland seit 1871, Diss. Mainz 1983, S.l.
27 Köllmann, Bevölkerung in der industriellen Revolution; ders.: Binnenwanderung und Bevölke-
rungsstrukturen der Ruhrgebietsgroßstädte im Jahre 1907, in: Soziale Welt 9/1958, S.265-276.
28 Langewiesche, Dieter Wanderungsbewegungen in der Hochindustrialisierungsperiode. Regionale
interstädtische und innerstädtische Mobilität in Deutschland (1880-1914), in: VSWG 64/1977,
S. 1 -40; ders., Mobüität; Matzerath, Horst: Grundstrukturen städtischer Bevölkerungsentwicklung
in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert, in: Rausch, Die Städte Mitteleuropas im 19. Jahrhundert,
S.25-46.
29 Heberle, Rudolf/ Meyer, Fritz: Die Großstädte im Strome der Binnenwanderung, Leipzig 1937.
10
Wanderungsbewegungen in der Hochindustrialisierungsperiode und die Publikation von
Heberle und Meyer noch immer als die entscheidenden Meilensteine der modernen
deutschen Binnenwanderungsforschung. Die genannten Autoren gingen davon aus, daß
es für den Versuch, die Gesamtmigration zu erfassen, unverzichtbar sei, auch eine Ana-
lyse der Zusammensetzung der Wanderungsströme vorzunehmen. "Die bisherigen
Untersuchungsergebnisse stützten sich auf die Arbeitshypothese, daß die Zusammenset-
zung der Wanderungsgewinne nicht repräsentativ ist für die Zusammensetzung der Ge-
samtmigration.’,3° Die Ergebnisse von Heberle/Meyer und Langewiesche zeigen dem-
gegenüber, vor welch immensen gesellschaftspolitischen Problemen die Städte in der
Industrialisierungsperiode tatsächlich standen, da nämlich die Wanderungsbewegungen
ein wesentlich größeres Volumen aufwiesen, als es der Wanderungsgewinn, der sich
beispielsweise bei Einwohnerzählungen zeigte, vermuten läßt.
Die beiden von Gerd Hohorst und Peter Marschalck verfaßten Überblickswerke zur
historischen Bevölkerungsentwicklung Deutschlands basieren ebenfalls auf der traditionel-
len Makroperspektive.31 Gerd Hohorst bediente sich dabei explizit eines bevölkerungs-
wissenschaftlich-entwicklungstheoretischen Ansatzes, um den Zusammenhang zwischen
der Wirtschafts- und der Bevölkerungsentwicklung Preußens zu qualifizieren.
Die zahlreichen Arbeiten von Klaus J. Bade zum Problemkreis Immigration, Emigration,
Ausländerpolitik und Arbeitsmarkt im Deutschland des 19. und 20. Jahrhundert haben
gleichfalls einen gesamtstaatlichen bzw. größeren regionalen Bezugsrahmen.32 Urbane
Migrationsphänomene werden nur sekundär angesprochen. Bades Forschungen sind darum
eher mit Studien in Zusammenhang zu bringen, in welchen nationale Migrantengruppen
Beachtung finden, als mit Arbeiten zu inter- und innerstädtischen Wanderungsbe-
30 Langewiesche, Mobüität, S.72.
31 Hohorst, Gerd: Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsentwicklung in Preußen 1816 bis 1914,
Diss. Münster 1975; Marschalck, Bevölkerungsgeschichte.
32 Bade, Klaus J. (Hg.): Arbeiterstatistik zur Ausländerkontrolle. Die ’Nachweisungen’ der
preußischen Landräte über den 'Zugang, Abgang und Bestand der ausländischen Arbeiter im
preußischen Staate' (1906-1914), in: AfSG 24/1984, S. 163-284; ders. (Hg.): Auswanderer-Wan-
derarbeiter-Gastarbeiter. Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wanderung in Deutschland seit der Mitte
des 19.Jahrhunderts, 2 Bde., Ostfildern 1984; ders.: Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wanderung
im Wandel vom Agrar- zum Industriestaat, in: Ploetz - Das Deutsche Kaiserreich, hg. von Dieter
Langewiesche, Freiburg-Würzburg 1984, S.73-80; ders.: Massenwanderungen und Arbeitsmarkt
im deutschen Nordosten von 1880 bis zum ersten Weltkrieg. Überseeische Auswanderung, interne
Abw-anderung und kontinentale Zuwanderung, in: AfSG 20/1980, S.265-324; ders. (Hg.):
Population, Labour and Migration in 19th and 20th Century Germany, Leamington u.a. 1987;
ders.: ’Preußengänger' und 'Abwehrpolitik'. Ausländerbeschäftigung, Ausländerpolitik und
Ausländerkontrolle auf dem Arbeitsmarkt in Preußen vor dem ersten Weltkrieg, in: AfSG 24/1984,
S.91-162; ders.: Vom Auswanderungsland zum Einwanderungsland? Deutschland (1880-1980),
Berlin 1983.
11
wegungen nach dem Vorbild Köllmanns. Zum italienischen und insbesondere zum polni-
schen Arbeiterzuzug nach Deutschland existiert mittlerweile eine ganze Reihe von Publi-
kationen.3'1
Auf ein wesentlich ausgeprägteres Forschungsinteresse als in Deutschland stößt die
Immigrationsproblematik schon seit geraumer Zeit bei den Historikern (und Soziologen)
der ehemals bedeutenden Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich. Aus der
umfangreichen, neueren französischen Immigrationsforschung ist u.a. die Gesamtdar-
stellung Gérard Noiriels für das 19. und 20. Jahrhundert hervorzuheben.33 34
Entgegen dieser Forschungstendenz haben einige Historiker dennoch den Ansatz
weiterverfolgt, den Langewiesche 1974 im Rückgriff auf Heberle/Meyer für das gesamte
deutsche Reichsgebiet auf der Basis amtlicher Daten entwickelt hatte, und trugen durch
Detailstudien zur intensiven Erforschung städtischer Binnenwanderungsbewegungen des
19. und frühen 20. Jahrhunderts und des damit verbundenen sozialen Wandels in
kommunalen Kontexten bei. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Synthese
von bevölkerungswissenschaftlicher Perspektive, demographischer Empirie und allge-
meiner sozialgeschichtlicher Analyse, um die sich vornehmlich eine Gruppe von So-
zialhistorikem im Umfeld von Werner Conze verdient gemacht hat. Peter Borscheid,
Wolfgang von Hippel, Hermann-Josef Rupieper und Heilwig Schomerus erstellten ihre
Mobilitätsstudien für südwestdeutsche Städte auf der Basis von Heiratsregistern,
Inventaren und Teilungen sowie Personalbüchem von Industrieunternehmen.35 Besonders
33 Del Fabbro, René: Wanderarbeiter oder Einwanderer? Die italienischen Arbeitsmigranten in
der Wilhelminischen Gesellschaft, in: AfSG 32/1992, S.207-229; ders.: Italienische Wan-
derarbeiter im Wilhelminischen Deutschland (1890-1914), in: VSWG 76/1989, S.202-228;
Hauschildt, Elke: Polnische Arbeitsmigranten in Wilhelmsburg bei Hamburg während des
Kaiserreichs und der Weimarer Republik, Dortmund 1986; Murphy, Richard C: Gastarbeiter
im Deutschen Reich. Polen in Bottrop (1891-1933'!, Wuppertal 1982; Murzynowska, Kristvna:
Die polnischen Erwerbsauswanderer im Ruhrgebiet während der Jahre 1880 bis 1914, Dortmund
1979; Schmidt, Georg: Kaiser Wilhelms Gastarbeiter. Die polnischen Erwerbsauswanderer in
Gladbeck während der Jahre 1874 bis 1914, Gladbeck 1990.
34 Noiriel, Gérard: Le creuset français. Histoire de l'immigration (XIXe-XXe siècles), Paris 1988.
Vgl. daneben ders.: L'histoire de l'immigration en France. Note sur un enjeu, Paris 1984.
35 Borscheid, Peter: Textilarbeiterschaft in der Industrialisierung. Soziale Lage und Mobüität in
Württemberg im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1978; ders.: Schranken sozialer Mobüität und
Binnenwanderung im 19 Jahrhundert, in: Conze/ Engelhardt, Arbeiter im Industrialisierungsprozeß,
S.31-50; Hippel, Wolfgang von: Regionale und soziale Herkunft der Bevölkerung einer Industrie-
stadt. Untersuchungen zu Ludwigshafen a. Rh. (1867-1914), ebda., S.51 -69; ders. : Binnenwande-
rung und Verstädterung. Zur Herkunft der Bevölkerung von Ludwigshafen und Mannheim im
Zeichen der Industrialisierung, in: RheinNeckar-Raum an der Schwelle des Industriezeitalters,
hg. vom Institut für Landeskunde und Regionalforschung der Universität Mannheim, Mannheim
1984, S.27-47; Rupieper, Hermann-Josef: Regionale Herkunft, Fluktuation und innerbetriebliche
Mobilität der Arbeiterschaft der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (1844-1914), in:
Conze/Engelhardt, Arbeiterim Industrialisierungsprozeß,S.94-112; Schomerus, Heilwig: Saison-
12
zu erwähnen ist in diesem Kontext eine Arbeit jüngeren Datums, in der Sylvia Schraut
mit dem genannten Quellenmaterial in methodisch und inhaltlich überzeugender Weise
den sozialen Wandel Esslingens im Industrialisierungsprozeß zwischen 1800 und 1870
nachzeichnet.36
Für München hat kürzlich Stephan Bleek eine ähnlich detaillierte Mobilitätsstudie
vorgelegt.37 Die in jüngerer Vergangenheit methodisch anregendste Darstellung aus dem
geographischen Bereich stammt von Dietrich Denecke.38
Ähnlich innovative Ansätze finden sich bei Jürgen Brockstedt und James H. Jackson,
die sich dem Migrationsphänomen mittels elaborierter statistischer Methoden näherten.39
Die Amerikaner James H. Jackson, und daneben Steve Hochstadt sowie David Crew,
die der Schule der "New Urban History" zuzurechnen sind, analysierten das städtische
Wanderungsgeschehen in deutschen Gemeinden des 19. Jahrhunderts auf der Grundlage
von Bürgerbüchem, Adreßbüchern, amtlicher Bevölkerungsstatistik, Volkszählungen und
werteten zu Beginn der 1980er Jahre - wohl als erste überhaupt - systematisch kom-
munale Melderegister aus.40 Erstaunlich ist, daß, eine Dekade nach Fertigstellung dieser
aufschlußreichen Studien, die einzigartige Quellengattungder kommunalen Melderegister,
welche beispielsweise in Frankreich völlig unbekannt ist, in der deutschen Urbanistik
und speziell in der Migrationsforschung keine weitere Berücksichtigung gefunden hat.
arbeit und Fluktuation. Überlegungen zur Struktur der mobilen Arbeiterschaft (1850-1914), ebda.,
S.113-119.
36 Schraut, Sylvia: Sozialer Wandel im Industrialisierungsprozeß. Esslingen (1800-1870),
Sigmaringen 1989. Die Dissertation wurde wissenschaftlich durch Wolfgang von Hippel betreut.
37 Bleek, Stephan: Stadtviertelbüdung im Urbanisierungsprozeß. Städtische Mobilität und
Lebensweise am Beispiel von München 1850 bis 1939, München 1992. Vgl. auch ders.: Mobilität
und Seßhaftigkeit in deutschen Großstädten während der Urbanisierung, in: GG 15/1989, S.5-33,
hier: S.5 ff.
38 Denecke, Dietrich: Aspekte sozialgeographischer Interpretationen innerstädtischer Mobilität
im 19: und 20. Jahrhundert. Allgemeiner Forschungsstand und Forschungsbeispiele, in: Heineberg,
Innerstädtische Differenzierung und Prozesse im 19. und 20. Jahrhundert, S. 133-157.
39 Brockstedt, Jürgen: Regionale Mobilität, Wirtschaftsentwicklung und Sozialstruktur in
Schleswig-Holstein (1800-1964), in: Schröder, Moderne Stadtgeschichte, S.179-198; Jackson,
James H. jr.: Wanderungen in Duisburg während der Industrialisierung (1850-1910), ebda.,
S.217-237; ders.: Migration in Duisburg (1867-1890), in: Journal of Urban Historv 5/1982, H.8,
S.235-270.
40 Jackson, Migration and Urbanization in the Ruhr Valley. Erst kürzlich erschien vom selben
Autor eine ausführliche Beschreibung der kommunalen deutschen Melderegister als Quelle für
die Sozialgeschichte: ders.: Alltagsgeschichte, Social Science History and the Study of Mundane
Movements in the 19th-Century-Germany, in: HSR 16/1991, H.l, S.23-47. Crew, Bochum;
Hochstadt, Steve: Migration in Germany. An historical study, Diss. Providence/R.I. 1981.
13
Desweiteren ist abschließend festzuhalten, daß das Industrierevier an der mittleren Saar,
sowohl seitens der deutschen Stadtgeschichtsschreibung als auch seitens der deutschen
Migrationsforschung bislang nahezu vollständig ausgeklammert wurde. Selbst Hans-
Dieter Laux bezieht das Saargebiet nicht in seine vergleichende Untersuchung über die
Bevölkerungsentwicklung in Preußen mit ein. In der Regel findet in der südlichen Rhein-
provinz nur die traditionsreichere Bezirkshauptstadt Trier, die ohne Zweifel im Zuge der
Industrialisierung im Vergleich zur Saarbrücker Urbanisationszone erheblich an Bedeu-
tung verlor, als vermeintlich südlichste preußische Stadt von Rang Erwähnung. Dies mag
daran liegen, daß erst im Jahre 1910 durch die Zusammenlegung der Städte Saarbrücken,
St Johann und Malstatt-Burbach ein einheitlicher großstädtischer Verwaltungskörper in
der äußersten rheinpreußischen Peripherie geschaffen wurde, womit die Wirtschafts- und
Bevölkerungsdaten dieses Stadtraumes verhältnismäßig spät hinreichend Eingang in die
amtliche Statistik fanden. Dabei kann die Aufarbeitung der Urbanisierungsgeschichte
der Saarregion im Kontext der deutschen Urbanistik durchaus als Korrektiv für die um-
fangreichen Erkenntnisse herangezogen werden, welche einerseits die Großstadtforschung
und andererseits die zahlreichen Untersuchungen über die großen deutschen Industrieräu-
me wie das Ruhrgebiet oder die Rhein-Neckar-Region erbracht haben.
3. Schwerpunkte derRegionalgeschichtsschreibungvon Saarland, Lothringen
und Luxemburg
Für die jeweilige Nationalgeschichtsschreibung in Deutschland und Frankreich waren
in der Vergangenheit die Grenzgebiete, die zusammen mit Luxemburg den Raum Saar-
Lor-Lux bilden, höchstens peripherer Forschungsgegenstand. Hierzu mag einerseits die
geographische Grenzlage selbst wesentlich beigetragen haben, andererseits verfügten diese
Gebiete nicht über die urbane Dichte und zentralen Funktionen, die etwa das Ruhrgebiet,
das nicht in vergleichbarer Weise von Staatsgrenzen durchschnitten wurde, ausbilden
konnte.
3.1 Stadtgeschichte
Von daher mag es nicht verwundern, daß die Stadtgeschichte für die durch Landesgren-
zen voneinander getrennten Teilgebiete nach modernen historiographischen Maßstäben
nur äußerst ungenügend aufgearbeitet ist.
14
Die beste Materiallage ergibt sich für das westlothringische Nancy, das allerdings
außerhalb der von der Industrialisierung betroffenen Zone liegt.41 Zur Geschichte der
ostlothringischen Departementhauptstadt Metz liegt zwar ein neuerer Sammelband vor42,
doch hauen gerade moderne stadtgeschichtliche Themen einer detaillierten Aufarbei-
tung.43 Der Geschichte Thionvilles (Diedenhofen) widmen sich neben heimatgeschicht-
lichen Publikationen nur wenige wissenschaftliche Artikel und eine Anzahl unveröffent-
lichter Examensarbeiten.44 Eine umfassende historiographische Darstellung Thionvilles
bereitet zur Zeit François Roth vor.
Kaum anders liegen die Verhältnisse im Saarland. Die letzte Gesamtdarstellung der Saar-
brücker Stadtgeschichte reicht ins Jahr 1903 zurück.45 Die Zahl stadthistorischer Fach-
publikationen ist recht bescheiden, so daß für Kemthemen der modernen Stadtentwicklung
noch immer die beiden Festschriften zum 25jährigen und 50jährigen Jubiläum der
Großstadtwerdung herangezogen werden müssen.46 Aus schwerpunktmäßig geographi-
scher Sicht untersuchte Hans Ried die Siedlungs- und Funktionsentwicklung der Stadt
Saarbrücken.47 Der neueste Sammelband von Paul Thomes, Karl-August Schleiden und
Franz Rudolph Schmitt stellt nicht mehr als eine populärwissenschaftliche Bild- und
41 Vgl. die entsprechenden Arbeiten von P. Clémendot, P. Denis, R.-M. Dion, C. Seyer, O.
Voilliard u.a.
42 Le Moigne, François-Yves (Hg.): Histoire de Metz, Toulouse 1986.
43 Dies zeigt beispielsweise folgende Magisterarbeit jüngeren Datums: Woite, Stefanie: Der
Eisenbahnbau im politischen Kräftefeld der Metzer Stadterweiterung, Magisterarbeit Saarbrücken
1987; vgl. zusammenfassend dies.: Die Anfänge des Bahnhofs in Metz im Spannungsfeld
unterschiedlicher Interessen von Einwohnerschaft, Stadtverwaltung und Reichsbehörden (1898-
1908), in: Hudemann/Wittenbrock, Stadtentwicklung, S. 159-178.
44 Zu den genannten wissenschaftlichen Darstellungen gehören u.a.: Roth, François: Thionville
sous l'annexion (1870-1914), in: Cahiers lorrains 1989, H.1, S.71-83; Ziviani, ?J Nicolas, Ph./
Pabst, J.-L. u.a.: Le développement urbanistique de Thionville sous l'occupation allemande
(1870-1918), Nancy 1981; Heckei, Patrick: Thionville de 1871 à 1891, Magisterarbeit Metz 1977;
Ancel, Gervais: Thionville. Etude de géographie urbaine, Diplomarbeit Nancy 1954; Vidal, Lewin:
L'évolution du milieu humain à Thionville de la fin du XIXe siècle à nos jours, Diplomarbeit
Paris 1957.
45 Ruppersberg, Albert: Geschichte der Städte Saarbrücken und St.Johann von 1815 bis 1909,
der Stadt Malstatt-Burbach und der vereinigten Stadt Saarbrücken bis zum Jahre 1914, 2. Aufl.,
Saarbrücken 1914 (ND St.Ingbert 1979).
46 Krueckemeyer, Heinrich (Hg.): Fünfundzwanzig (25) Jahre Stadt Saarbrücken, Saarbrücken
1934; Saarbrücken 50 Jahre Großstadt, hg. vom Kulturdezementen der Stadt Saarbrücken,
Saarbrücken 1959.
47 Ried, Hans: Die Siedlungs- und Funktionsentwicklung der Stadt Saarbrücken, Diss. Saar-
brücken 1958.
15
Materialsammlung dar.48 Allerdings existiert mittlerweile eine Reihe von Aufsätzen zu
Teilfragestellungen der Saarbrücker Stadtentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert.49
Ausgesprochen wenig Literatur findet sich auch zur luxemburgischen Stadtgeschichte.50
Zur Geschichte der Industriestadt Esch/Alz. gibt es bislang vornehmlich heimathistorische
Darstellungen, die in ihrer Mehrzahl älteren Datums sind.51 Ein etwas breiteres themati-
sches Spektrum decken dabei die Jubiläumsbände aus den Jahren 1940 und 1956 ab.52
Der stadtgeschichtliche Ausstellungskatalog des Sozialhistorikers Denis Scuto aus dem
Jahre 1989 nähert sich den Standards moderner Urbanistik an.53 Wissenschaftliche
Zeitschriftenartikel über sozial- und wirtschaftshistorische Aspekte der Escher Stadt-
entwicklung veröffentlichten Henri Klees und Sylvie Kremer-Schmit.54
48 Thomes, Paul/ Schleiden, Karl-August Schmitt, Franz Rudolf (Hg.): Saarbrücken. Stationen
auf dem Weg zur Großstadt, Saarbrücken 1989.
49 Dazu zählen u.a. Herrmann, Hans-Walter: Die Städte im Saarland, in: Städtebuch Rheinland-
Pfalz und Saarland, hg. von Erich Keyser, Stuttgart 1964, S.469-550; Klein, Hanns: Saarbrücken
- territoriales und wirtschaftliches Zentrum der Saar, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte
111/1975, S. 138-158; Fehn, Klaus: Saarbrücken. Großstadtbildung im grenznahen Bergbau- und
Industrierevier, in: Stadt und Stadtraum, Hannover 1974, S.105-124; Loth, Wilfried: Fünf-
undsiebzig (75) Jahre Großstadt Saarbrücken, in: Saarbrücker Hefte Nr.55/1984; Wittenbrock,
Rolf: Industriedörfer und Verstädterung, in: Industriekultur an der Saar, hg. von Richard van
Dülmen, München 1989, S.84-95; Wittenbrock, Rolf: Die Stadtplanung in St.Johann im ^.Jahr-
hundert, in: Saarbrücker Hefte, Nr.60/1988, S.83-129; Leiner, Stefan: Die Saarbrücker Städte-
vereinigung von 1909. Problemlösungsstrategie zwischen bürgerlichen Interessen, urbanen
Sachzwängen und wilhelminischem Obrigkeitsstaat, in: Hudemann/Wittenbrock, Stadtentwicklung,
S.281-306.
50 Bezüglich der Geschichte der Landeshauptstadt existiert: Koltz, J.P.: Baugeschichte der Stadt
und Festung Luxemburg, 2. Aufl., Luxemburg 1970. Stadtgeschichtliche Themen werden auch
angerissen in: Trausch, Gilbert: Le Luxembourg à l'époque contemporaine, (=Manuel d’histoire
luxembourgeoise, Bd.4), Luxembourg 1975.
51 Dazu zählt z.B.: Thiel, B.-J.: Vom alten Esch-an-der-Alzette, Luxemburg 1939. Etwas
umfassender informieren: Ketter, Norbert: Esch-an-der-Alzette, Esch 1970; Flies, Josef: Das
andere Esch-an-der-Alzette. Ein Gang durch seine Geschichte, Luxemburg 1979.
52 Livre du Cinquantenaire de la Ville d’Esch-sur-Alzette (1906-1956), Esch 1956; Vieil Esch.
Guide de l'exposition historique et folklorique. Fêtes du Cinquantenaire de la ville d'Esch-sur-
Alzette, Esch 1956; La Ville d’Esch de 1839 à 1939. Centenaire de l'Indépendance, Esch 1940.
53 Scuto, Denis u.a. (Bearb.): Esch-sur-Alzette. Du village à la ville industrielle. Art et révolution
industrielle au pays de la terre rouge, Esch/Alz. 1989.
54 Klees, Henri: Materialien zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Gemeinden des Kantons
Esch, in: Galerie 1/1982, S.384-400 u. 2/1983, S.667-675; Kremer-Schmit, Sylvie: L'industrie
du fer à Esch-sur-Alzette et ses effets pendant la période de 1845 à 1870, in: Galène 4/1986,
S.243-259, S.381-396 u. S,539-550. Der Artikel beruht auf: dies.: L'industrie du fer à Esch-sur-
Alzette et ses effets pendant la période de 1845 à 1870, Examensarbeit Luxembourg 1966,
Daneben existiert: Camy, Janine: Esch-sur-Alzette. D’un village à une vüle, d'une ville à une
16
3.2 Bevöikerungs- und Migrationsgeschichte
Als besonders schmerzlich erweist sich immer wieder das vollständige Fehlen einer
Bevöikerungs- bzw. Sozialgeschichte der Region.
Eine stattliche Anzahl bevölkerungsstatistischer Studien zu Lothringen erschien bereits
in der Reichslandzeit zwischen 1871 und 1918.55 Auch in der Folgezeit - nach der
Rückgliederung Elsaß-Lothringens an Frankreich - wurden unter dem Einfluß der dort
stark beachteten demographischen Forschung in gewissen Abständen Arbeiten zur
Bevölkerungsentwicklung veröffentlicht.56 Dazu kamen in jüngerer Zeit einige interes-
sante Untersuchungen wie die von Yvon Fabert über die demographische Entwicklung
Lothringens, von Charles Hiegel zur Ein- und Auswanderungsproblematik vom 17. bis
ins 20. Jahrhundert, von Louis Köll zur italienischen Einwanderung im 20. Jahrhundert,
von Norman Layboum über die elsaß-lothringische Auswanderung vom 18. bis ins 20.
Jahrhundert sowie die Arbeiten von Alfred Wahl zu Fragen der nationalpolitisch
motivierten Ein- und Auswanderung im Zusammenhang mit der deutschen Annexion
1870/71.57 Bevölkerungsgeschichtliche Aspekte beachten auch François Baudin mit
Daniel Rondeau sowie Serge Bonnet in ihren sozialhistorischen Studien über die
lothringische Arbeiterschaft.58
agglomération, Examensarbeit Luxembourg 1980.
55 Beiträge zur Bevölkerungsstatistik von Elsaß-Lothringen, 2 Bde., Straßburg 1875; Die Bevöl-
kerung Elsaß-Lothringens nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 1.Dezember 1905 und
früheren Zählungen, hg. v. Statistischen Bureau für Elsaß-Lothringen, Straßburg 1908. Vgl. auch
die entsprechenden Arbeiten von H. Platzer, P. Vidal de la Blache u.a.
56 Vgl. die entsprechenden Arbeiten von H. Bauli, W. Gley, P. Lévy, A. Schmidlin u.a.
57 Fabert, Yvon: Croissance démographique et dévéloppement de la région lorraine (1861-1965),
Nancy 1965; Hiegel, Charles: La Lorraine. Foyer de l'immigration et émigration du fin du 17e
siècle à 1940, in: Bulletin de la section d'histoire moderne et contemporaine 13 (1980), S.99-107;
KolI, Louis: Immigration italienne et intégration française à Aboué (1901-1939), in: Annales
de l'Est 30 (1978), H.3, S.231-265; Layboum, Norman: L'émigration des Alsaciens et des
Lorrains du 18e au 20e siècle, 2 Bde., Strasbourg 1983; Wahl, Alfred: L'immigration allemande
en Alsace-Lorraine entre 1871 et 1918, in: Recherches germaniques 3 (1973), S.202-217; ders.:
L'option et l'émigration des Alsaciens-Lorrains (1871-1872), Paris 1974.
ss Baudin, François/Rondeau, Daniel: Chagrin lorrain. La vie ouvrière en Lorraine (1870-1914),
Paris 1979; Bonnet, Serge: L’homme de fer. Mineurs de fer et ouvriers sidérurgistes lorrains
(1889-1930), Metz 1975; ders.: La ligne rouge des hauts-fourneaux, Paris 1981; ders./Santini.
Charles/ Barthélémy, Hubert: Appartenance politique et attitude religieuse dans l'émigration ita-
lienne en Lorraine sidérurgique, in: Archives de sociologie des religions 13/1962, S.45-71; dies.:
Les italiens dans l'arrondissement de Briey avant 1914, in: .Annales de l'Est 13/1962, H.l, S.64-
92; dies.: La vie ouvrière vue par les instituteurs en Meurthe-et-Moselle (1890-1900), in: Le
mouvement social 65/1965, S.81-96.
17
Bei all diesen Arbeiten stellt sich jedoch das Problem, daß einerseits die Städte nicht
zentral im Blickfeld demographischer Untersuchungen stehen, andererseits die nationalge-
schichtliche Grundausrichtung nicht aufgegeben sowie der interdisziplinäre Ansatz
vernachlässigt wird. Die lothringische Geschichtsschreibung - vor allem hinsichtlich der
Periode von 1871 bis 1914 und insbesondere aufgrund der Sprach- und Schriftprobleme,
die sich jüngeren französischen Historikern angesichts der in Sütterlin gehaltenen deut-
schen Verwaltungsakten stellen, - beschränkt sich häufig auf den süd- und westlo-
thringischen Bereich, d.h. die Départements Meuse, Meurthe-et-Moselle sowie Vosges,
mit starken Akzenten auf Nancy und auf dem Industriebecken um Briey und Longwy.
Eine - die verschiedenen Forschungsergebnisse verbindende - bevölkerungsgeschichtliche
Gesamtdarstellung Lothringens im 19. und 20. Jahrhundert existiert nicht. Die Migra-
tionsforschung beschränkt sich in erster Linie auf die Analyse der Fern-, Aus- bzw. Ein-
wanderung.
Dies gilt auch für die saarländische Bevölkerungsgeschichte, allerdings weniger für die
Industrialisierungsperiode. Denn bislang existiert keine historiographische Arbeit über
den Italienerzuzug bzw. die Polenfrage im Saarrevier. Die Amerikaauswanderung aus
dem Saarraum während des 19. Jahrhunderts beschäftigte Josef Mergen und Peter
Marschalck.59 Dem Kreis der saarländischen Familienkundler entstammt eine Anzahl von
Publikationen über die Zuwanderung aus Tirol und die Osteuropawanderungen seit dem
17. Jahrhundert.60
Anregungen zu einer interdisziplinär-vergleichenden Vorgehensweise sind den ein-
schlägigen Aufsätzen Klaus Fehns zu entnehmen. Fehn verbindet gezielt politikge-
schichtliche, bevölkerungshistorische und geographische Aspekte der Forschung, wobei
er beispielsweise die kommunalen Melderegister als Quellengattung für die städtische
59 Marschalck, Peter: Brasilienauswanderer aus dem Saar-Hunsrück-Raum in Bremen (1826-
1828), in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 34-35/1986-1987, S. 164-185; Mergen,
Josef: Die Auswanderung aus den ehemals preußischen Teilen des Saarlandes im 19.Jahrhundert,
2 Bde., Saarbrücken 1973 u. 1987; Mergen, Josef: Umfang und Gründe der Amerika-Auswande-
rung aus dem Saarland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (1800-1852), in: Saarbrücker
Hefte Nr. 12/1960, S.68-77.
50 Zu nennen sind in diesem Kontext u.a. Hacker, Werner: Auswanderer aus Rheinpfalz und Saar-
land im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1987; Petto, Walter: Einwanderer aus Tirol und Vorarlberg
in die Saargegend, Saarbrücken 1976; Thewes, Alfons: Zur Auswanderungsbewegung der Tiroler
im 17. und 18. Jahrhundert. Dargestellt an der Entwicklung einzelner Famüien des saarländisch-
lothringischen Grenzraumes, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 29/1981, S.88-92;
Waldemar, Karl H.: Wanderungen aus dem Raum des heutigen Saarlandes in das Banat im 18.
Jahrhundert, Mettlach 1972.
18
Bevölkerungs- und Sozialgeschichte vorstellt.61 Allerdings wurde dieser Ansatz bisher
nicht weiter verfolgt und in keiner empirischen Untersuchung umgesetzt. Zwei Aufsätze
von Wolfgang Läufer, welche von Jürgen Karbach unlängst durch eine Materialsammlung
ergänzt wurden, fassen die bekannten Ergebnisse nochmals zusammen, enthalten aber
im wesentlichen keine weiterführenden Analysen.62 Gleiches gilt in bevölkerungs-
geschichtlicher Hinsicht für die Bergarbeiter-Studie von Klaus-Michael Mallmann und
Horst Steffens.63
Die Geschichte der Bergarbeiterschaft an der Saar im 19. und frühen 20. Jahrhundert
wurde in der historiographischen Literatur im übrigen schon recht umfassend dargestellt,
während entsprechende Untersuchungen zur Fabrikarbeiterschaft noch ausstehen. Völlig
zu unrecht fand der bergbauliche Bereich in der Vergangenheit regionalgeschichtlich
gegenüber den großen Hüttenuntemehmen (einschließlich der Zulieferungsbranchen und
der metallverarbeitenden Industrie) eine überproportionale Berücksichtigung. Es gehört
ohne Zweifel zu den dringlichsten Desiderata saarländischer Sozialgeschichtsschreibung,
die nahezu inexistente Fabrikarbeitergeschichte aus dem Schatten der Bergmann-Historie
herauszuführen. In den letzten Jahren tastete sich lediglich Gerhard Arnes an diesen The-
menkreis heran.64
Ebenfalls erst in jüngster Vergangenheit wurden erste dezidiert demographische Arbeiten
publiziert, die sich mit dem generativen Verhalten in saarländischen Industriegemeinden
61 Fehn, Klaus: Ansätze zur Erforschung der Bevölkerungs- und Sozialgeschichte des saarländi-
schen Bergbau- und Industriegebietes im 19. und 20.Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche
Landesgeschichte3/1977,S.419-440;ders.: Räumliche Bevölkerungsbewegungim saarländischen
Bergbau- und Industriegebiet während des 19. und frühen 20 Jahrhunderts, in: Mitteilungen der
Geographischen Gesellschaft zu München 59/1974, S.57-73; ders.: Preußische Siedlungspolitik
im saarländischen Bergbaurevier (1816-1919), Saarbrücken 1982.
62 Läufer, Wolfgang: Bevölkerungs- und siedlungsgeschichtliche Aspekte der Industrialisierung
an der Saar, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 29/1981, S.122-164; ders.: Eine
Region in Bewegung. Bevölkerung und Siedlung im Prozeß der Industrialisierung, in: Richtig
daheim waren wir nie, hg. von Klaus-Michael Mallmann, Gerhard Paul u. Ralph Schock, Berlin
1987, S.21-26; Karbach, Jürgen: Bevölkerungszahlendes Saarlandes (1800-1910), in: Zeitschrift
für die Geschichte der Saargegend 34-35/1986-1987, S. 186-275.
63 Mallmann, Klaus-Michael/ Steffens, Horst: Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an
der Saar, München 1989. Ebenso: Steffens, Horst: Autorität und Revolte. Alltagsleben und Streik-
verhalten der Bergarbeiter an der Saar im 19. Jahrhundert, Weingarten 1986.
54 Arnes, Gerhard: Arbeiten auf der Hütte. Lebenskontexte von Hüttenarbeitern, in: van Dülmen,
Industriekultur an der Saar, S. 109-122.
19
während des 19. Jahrhunderts auseinandersetzen.65 Eine umfassende Wirtschafts- und
Sozialgeschichte des Saarraumes ist für den Herbst 1993 angekündigt.
Zur luxemburgischen Bevölkerungsgeschichte liegen nur sehr wenige Veröffentlichungen
vor. Interessante Perspektiven ergeben sich jedoch aus diversen Examensarbeiten, die
luxemburgische Studenten an deutschen bzw. französischen Universitäten vorgelegt haben,
und die z.T. über die Luxemburger Nationalbibliothek zugänglich sind. Die Frage der
ausländischen Immigration ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besaß stets auch
aus historiographischer Sicht besondere Relevanz in dem heute kaum mehr als 360.000
Einwohner zählenden Land. Die Ortsstudien von Paul Didlinger, Jean Reitz und Robert
Weber sowie die Gesamtbetrachtung durch Guy Pauly haben wesentlich zur Aufarbeitung
der luxemburgischen Bevölkerungs- und Migrationsgeschichte des ausgehenden 19. und
beginnenden 20. Jahrhunderts beigetragen.66 Eigens mit dem italienischen Arbeiterzuzug
beschäftigte sich der Historiker Gilbert Trausch zu Beginn der 1980er Jahre.67 Etwa zehn
Jahre später widmete die luxemburgische Kulturzeitschrift Forum der Immigrationsge-
schichte ein Themenheft.68 Serge Hoffmann setzte sich mit fremdenfeindlichen und
rassistischen Tendenzen in Luxemburg angesichts des Ausländerzustroms in der
65 Jacob, Joachim: Vom Bauerndorf zum Industrieort. Neunkirchen in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts, in: Hudemann/Wittenbrock, Stadtentwicklung, S.21-34; Krick, Hans-Werner:
Bevölkerungsentwicklung. St.Ingbert im 19.Jahrhundert, hg. von der Geschichtswerkstatt
St.Ingbert, St.Ingbert 1990. Die beiden Artikel basieren auf den Magisterarbeiten der Autoren
zur Sozialgeschichte Neunkirchens und St.Ingberts im 19.Jahrhundert.
66 Didlinger, Paul: Die Entwicklung der ausländischen Bevölkerung der Stadt Esch/Alzette von
(1900-1925), Examensarbeit Luxemburg 1978; Pauly, Guy: L’immigration au Luxembourg de
1870 jusqu'à la veille de la première guerre mondiale. La population étrangère au Luxembourg,
sa structure économique et sociale, Examensarbeit Luxembourg 1975; Reitz, Jean: L'immigration
étrangère à Differdange au début du XXe siècle (1898-1914), Magisterarbeit Nancy 1984; Weber,
Robert: Die Ausländer in Düdelingen um die Jahrhundertwende. Ein Beitrag zur Geschichte der
Einwanderung nach Düdelingen von 1898 bis 1919, Examensarbeit Luxemburg 1982.
67 Trausch, Gilbert: L'immigration italienne au Luxembourg des origines (1890) à la grande crise
de 1929, in: Hémecht 33/1981, H.4, S.443-473; Trausch, Gilbert: Les italiens du Grand-Duché
de Luxembourg (1890-1940), in: Risorgimento 1/1980, H.l, S.7-31.
68 Le Luxembourg et ses étrangers. Les immigrés dans la société luxembourgeoise, in: Forum
fir kritesch Informatioun iwer Politik, Kultur a Relioun, Nr.111/1989, S.19-45. Vgl. auch:
Koerperich, LJ Krantz, R.: Düdelinger Fremdarbeiter von 1883 bis zur Jahrhundertwende, in:
An der Ucht 25/1971, S.105-108.
20
Zwischenkriegszeit auseinander.69 Demographische Aspekte der luxemburgischen Ge-
schichte im 19. und 20. Jahrhundert wurden von Gérard Trausch analysiert.70
Trotz des bescheidenen Umfangs der luxemburgischen Sozialgeschichtsschreibung sind
die Wanderungsbewegungen der Industrialisierungsperiode innerhalb der Saar-Lor-Lux-
Region bezüglich Luxemburg am besten aufgearbeitet.
3.3 Grenzraumfragestellung
Historiographische Arbeiten, die sich mit Grenzräumen und dem Faktor Grenze per se
auseinandersetzen, sind sowohl im allgemeinen als auch im besonderen Fall der Saar-
Lor-Lux-Region bislang selten geblieben.
Die politikwissenschaftliche Zeitschrift West European Politics stellte sich 1982 als
Podium zur Darstellung der Grenzraumthematik mit aktuellen Bezügen zur Verfügung,
wobei auch historische Hintergründe berücksichtigt wurden.71 Hans Medick erörterte
in dem kürzlich erschienenen Themenheft "Grenzen" der Zeitschrift SOWI politik- und
sozialgeschichtliche Aspekte, Oskar Schwarzer und Markus A. Denzel wirtschaftshi-
storische Gesichtspunkte von Grenzen in Europa.72 Medick weist darauf hin, daß übliche
"zentristische" Vorstellungen von der Nationen- und Staatsbildung in der Geschichte
durch eine kritische Hinterfragung aus einer Grenzraumperspektive heraus unter Um-
ständen revidiert werden müssen.
Mit der Grenzraumfragestellung beschäftigen sich in Saarland, Lothringen und Luxem-
burg seit geraumer Zeit Wissenschaftler verschiedener Fachgebiete, u.a. in einem
interdisziplinären Forschungsschwerpunkt der Philosophischen Fakultät der Universität
des Saarlandes.73 Aus den Reihen der Historiker wurden vor allem seit den 1980er
69 Hoffmann, Serge: Les problèmes de l'immigration et la montée de la xénophobie et du racisme
au Grand-Duché de Luxembourg à la veille de la Ile guerre mondiale, in: Galérie 4/1986, S.521-
536.
70 Trausch, Gérard: La croissance démographique du Grand-Duché de Luxembourg du début
du XIXe siècle à nos jours, 2. Aufl., Luxembourg 1973.
71 Vgl. vor allem Tägil, Sven: The Question of Border Régions in Western Europe. A Historical
Background, in: Western European Politics 5/1982, H.4, S. 18-33.
72 Medick, Hans: Zur politischen Sozialgeschichte der Grenzen in der Neuzeit Europas, in: SOWI
20/1991, H.3, S.157-163; Schwarzer, Oskar/ Denzel, Markus A.: Wirtschaftsräume und die
Entstehungvon Grenzen. Versuch eines historisch-systematischenAnsatzes, in: ebda., S. 172-178.
73 Interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt: Probleme von Grenzräumen und Interferenzräumen.
Der Saar-Lor-Lux-Raum als Paradigma, Saarbrücken 1985; Brücher, Wolfgang/ Franke, Peter
Robert (Hg.): Probleme von Grenzregionen. Das Beispiel des Saar-Lor-Lux-Raumes, Saar-
21
Jahren eine Anzahl von Artikeln mit grenzübergreifenden Themenstellungen veröffent-
licht. Bilaterale luxemburgisch-französische Beziehungen stehen im Mittelpunkt der Pu-
blikationen von Gilbert Trausch und Raymond Poidevin74, Fragen des deutsch-französi-
schen Verhältnisses in der Grenzregion von Saarland und Lothringen behandeln Studien
von François Roth, Hans-Walter Herrmann, Konrad Fuchs und Rolf Wittenbrock.75 Die
geschichtliche Entwicklung der trinationalen Kontaktzone Saar-Lor-Lux in ihrer Gesamt-
heit ist Gegenstand neuerer Arbeiten von Rainer Hudemann und Paul Thomes.76
Eindeutiger Schwerpunkt der genannten Veröffentlichungen zum saarländisch-lothrin-
gisch-luxemburgischen Grenzraum ist die Politik- und Wirtschaftsgeschichte. Sozial-
und bevölkerungsgeschichtliche Themen wurden bislang keinesfalls in angemessener
Weise berücksichtigt.
brücken 1987.
74 Poidevin, Raymond/ Trausch, Gilbert (Hg.): Les relations franco-luxembourgeoises de Louis
XTV à Robert Schuman. Actes du Colloque de Luxembourg 17-19 novembre 1977, Metz 1978;
Trausch, Gilbert: Alsace-Lorraine et Luxembourg ou l’enjeu politique d'une comparaison, in:
L'Europe, l'Alsace et la France. Etudes réunies en l'honneur du doyen George Livet, o.O. 1986,
S.345-356.
75 Roth, François: Espace sarrois et Lorraine: relations et convergences (1815-1925), in:
Brücher/Franke, Probleme von Grenzregionen, S.67-84; Roth, François: La frontière franco-alle-
mande (1871-1918), in: Annales de l'Est 44/1992, H.l, S.35-52; ders.: Les Lorrains entre la
France et l'Allemagne, Nancy 1981; ders.: Les Prussiens à Pont-à-Mousson. Histoire d’une in-
terpénétration d'intérêts (1856-1914), in: Annales de l'Est 42/1990, H.l, S.35-62; Herrmann,
Hans-Walter: Die Geschichte des Saarlandes. Umstrittener Grenzraum, in: Deutschland, Portrait
einer Nation, Bd.8: Bayern, Baden-Württemberg, Saarland, Gütersloh 1986, S.414-421; ders.:
Saarbrücken. Stadt an der Grenze, in: Stadt an der Grenze, hg. von Bernhard Kirchgässner u.
Wilhelm Otto Keller, Sigmaringen 1990, S.119-135; Fuchs, Konrad: Ausbau und Funktionen
des Eisenbahnnetzes im lothringisch-saarländischen Industrierevier, in: Das Saarrevier zwischen
Reichsgründung und Kriegsende (1871-1918), hg. von Hans-Walter Herrmann, Saarbrücken
1990, S.133-147; Wittenbrock, Bauordnungen. Von den älteren Arbeiten wäre zu nennen:
Kloevekom, Fritz: Geschichte des saarländisch-lothringischen Eisenhüttenwesens, Saarbrücken
1958.
s Hudemann, Rainer: Grenzübergreif ende Wechselwirkungen in der Urbanisierung. Fragestellung
und Forschungsprobleme, in: ders./ Wittenbrock, Stadtentwicklung, S.9-20; Thomes, Paul:
Wirtschaftliche Verflechtungen einer Grenzregion. Die Industrielandschaft Saar-Lor-Lux im 19.
Jahrhundert, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 14/1988, S.181-198.
22
c) Der Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Untersuchung widmet sich einigen der skizzierten Desiderata mit einer
exemplarischen Betrachtung der drei Industriestädte Malstatt-Burbach, Diedenhofen und
Esch/Alz. in der Zeit zwischen der Gründung der Burbacher Hütte (1856) und der
Vereinigung Malstatt-Burbachs mit (Alt-)Saarbrücken und St.Johann zur Großstadt
Saarbrücken (1909/1910). Diese Zeitspanne beinhaltet den industriellen "take-off" im
saarländisch-lothringisch-luxemburgischen Grenzgebiet einschließlich der Jahre einer
forcierten Industrialisierung der Region bis zum Vorabend des ersten Weltkrieges. Im
Untersuchungszeitraum handelte es sich bei den drei Gemeinden um Dörfer bzw.
Kleinstädte, die im Zuge von Industrieansiedlungen und ausgeprägten Binnenwanderungs-
bewegungen rasch ein mittleres urbanes Entwicklungsniveau erreichten.
Der Akzent der Studie liegt etwas stärker auf der Saarhüttenstadt. Grundsätzlich wurde
zwar eine komparative Analyse der historischen Entwicklung in den drei Gemeinden
angestrebt, im Rahmen derer die Städte gleichgewichtig berücksichtigt werden sollten;
in der Praxis ergab es sich jedoch, daß in fast allen wesentlichen Punkten hinreichend
Material zur Erörterung der Malstatt-Burbacher Verhältnisse vorhanden war, während
aufgrund der zum Teil unbefriedigenden Quellenlage in den beiden anderen Kommunen
zuweilen auf eine vergleichende Darstellung der lothringischen oder luxemburgischen
Gemeinde verzichtet werden mußte.
Der Darstellungsteil der vorliegenden Arbeit gliedert sich in vier inhaltlich relativ
geschlossene Blöcke zuzüglich eines knappen regionalgeschichtlichen Orientierungs-
kapitels sowie eines ausführlichen Anhangs.
Zu Beginn werden die rechtlichen Grundlagen des Meldewesens im Untersuchungsraum
kurz Umrissen und die kommunalen Melderegister als Hauptquelle der empirischen
Migrationsanalyse vorgestellt. Die Struktur des daraus resultierenden Arbeitsdatensatzes
wird anschließend in aller Kürze beschrieben, um dem Leser die Datengrundlage der
zahlreichen, mit Hilfe unterschiedlicher quantitativer Verfahren ermittelten Einzelresultate
transparent zu machen. (Kapitel C)
Zum besseren Verständnis des folgenden Analyseteiis kann ein ausführlicher methodischer
Anhang zu Rate gezogen werden. (Kapitel H) Der Annex nimmt mit Absicht einen
breiten Raum am Ende der Arbeit ein, damit dem in der Regel wohl nicht quantitativ
geschulten Leser die Möglichkeit geboten wird, Einblick sowohl in die teils komplexen
statistischen Verfahren als auch in die sozialgeschichtlichen und geographisch-raum-
strukturellen Klassifikationskriterien zu gewinnen. Diese Kurzdarstellungen können jedoch
keineswegs dazu dienen, eine detaillierte Kenntnis der entsprechenden Methoden zu
vermitteln; sie wollen nicht mehr, als die jeweiligen Grundprinzipien der speziellen
Verfahren verständlich machen bzw. den methodisch versierten Leser über die gewählten
23
Parameter informieren. Die Lektüre des Stichprobenabschnittes wird sicherlich helfen,
besonders den Aussagewert der in den zahlreichen Tabellen aufgeführten Anteils- und
Durchschnittswerte bzw. Kennziffern richtig einzuschätzen. Die Relevanz der Abschnitte
über die berufliche und soziale Stellung der Migranten wird nur aus der zugrundeliegen-
den Berufsklassifikation und den entsprechenden Schichtungsmodellen ersichtlich. Zur
Erörterung der geographischen Mobilitätsmuster wurden einige Arbeitsbegriffe eingeführt
(z.B. Landschaft, Kreis, ökonomischer Rangparameter), die ohne eine nähere Kenntnis
der Präliminarien unter Umständen zu Mißverständnissen führen können.
Die Beschreibung und historiographische Analyse des quantifizierbaren Quellenmaterials,
d.h. die Melderegisterauswertung selbst, erfolgt in einem zweiten inhaltlichen Hauptkom-
plex. (Kapitel D) In zwei Unterabschnitten wird dabei zum einen die Wanderungs-
bewegung in ihrer Gänze als strukturelles Phänomen betrachtet und zum anderen rücken
die wandernden Menschen ins Blickfeld. Ihre persönliche Disposition (Geschlecht, Alter,
Familienstand, Konfession) findet dabei ebenso Beachtung wie ihre berufliche und damit
gesellschaftliche Stellung sowie ihr geographischer Herkunfts- und Zielbereich. Um-
fangreiches, die Wanderungsbewegung bzw. die Migranten qualifizierendes Zahlenmate-
rial wurde hierzu in Textform gebracht. Grundsätzlich steht keine der zahlreichen
Tabellen unkommentiert im Text, sondern die tabellarische Darstellung wird als
komprimierte, sozusagen kodierte Basis zur Interpretation historischer Realität her-
angezogen. Die numerischen Tabellen sind ausschließlich in ihrer kommentierend ver-
schriftlichten Fassung letztlich historiographisch relevant und können per se nur als
strukturierte Zusammenfassungen angesehen werden. Leider liegt es in der Natur von
Texten, die auf numerischen Quellen beruhen und sich eng an quantitative Analysen
anlehnen, daß diese kaum in flüssige Prosa umzusetzen sind, womit insbesondere das
umfangreiche Migrationskapitel streckenweise verhältnismäßig mühsam zu lesen sein
wird.
Das auf die Erörterung des Wanderungsgeschehens folgende Kapitel widmet sich den
Effekten der Migrationen auf die Stadttopographie. Besondere Beachtung finden dabei
sozialräumliche Formierungsprozesse, die einer Viertelbildung Vorschub leisteten.
(Kapitel E)
Abschließend wurde umfangreiches Verwaltungsschriftgut ausgewertet, welches erlaubt,
den Wahmehmungshorizont kommunaler und staatlicher Organe hinsichtlich der
Binnenwanderungsbewegungen näher zu charakterisieren. (Kapitel F) Im Kontext der
zeitgenössischen Debatte um Wohnraummangel, Wohnungshygiene und Volksgesundheit
spielten die mobilen Bevölkerungsteile eine wichtige Rolle, so daß anhand der konkreten
Auseinandersetzung öffentlicher Entscheidungsträger mit der Wohnungsfrage vor Ort
Formen der administrativen Rezeption und Reaktion gegenüber den massenhaften
Migrationen deutlich werden. Das staatliche Ringen um praktikable Steuerungsstrategien
24
gegenüber den Wanderungsbewegungen mündete - wie sich zeigt - in der spezifischen
Grenzraumsituation der Untersuchungsgemeinden schließlich in eine Ausweisungspraxis,
indem sich sowohl die Behörden als auch die bürgerliche Öffentlichkeit in ihrer Wande-
rungskritik zunehmend auf gesellschaftliche Randgruppen (Prostituierte, Zuhälter,
Kriminelle, "wilde Ehen") fixierten.
25
B. Die Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung von
Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch-an-der-Alzette
IM 19. UND FRÜHEN 20. JAHRHUNDERT
Das Jahr 1850:
In unmittelbarer Nachbarschaft der beiden südlichsten Städte der preußischen Rhein-
provinz, Saarbrücken und St.Johann, liegen die beiden Dörfer Malstatt und Burbach.
Die Dörfer sind Mitglieder des Bürgermeistereiverbands Saarbrücken, der seine Vcr-
waltungsaufgaben in Malstatt in Person eines Gemeindevorstehers sowie je eines
Ortsvorstehers in Burbach und im Ortsteil Rußhütte wahmimmt. Die Dörfer zählen
zusammen ungefähr 2.400 Einwohner, die vornehmlich in der agrarischen Lebenswelt
verwurzelt sind. Daneben bieten die Dörfer einigen Kleinhandwerkem ein Auskommen.
Bauern- und Wochenmärkte bestimmen den örtlichen Handel. Es existieren einige
Mühlen und Ziegeleien. Im näheren Umkreis bestehen unter staatlicher Regie eine Anzahl
von Steinkohlengruben. Den Steinkohlenbergbau auf dem eigenen Bann, der hier von
der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die 1820er Jahre in bescheidenem Maßstab betrieben
worden ist, gibt es allerdings nicht mehr. Die Glasproduktion wurde bereits vor über 100
Jahren eingestellt. Der landwirtschaftliche Rhythmus von Aussaat und Ernte prägt den
Alltag in Malstatt und Burbach. Für die ärmeren Bevölkerungsteile des Realteilungs-
gebietes besteht häufig in der Emigration die einzige Zukunftsperspektive.
Ein sehr ähnliches Bild bietet sich in Esch-an-der-Alzette, der luxemburgischen
Gemeinde, dicht an der französisch-lothringischen Grenze, etwa 20 Kilometer südlich
der Hauptstadt Luxemburg gelegen. Die meisten der wenig mehr als 2.000 Einwohner
sind Kleinbauern, die sich ihr schmales Einkommen durch Nebentätigkeiten als Steinhauer
oder Ziegler aufbessem. Die wesentlichen traditionellen Handwerkerberufe, so z.B.
Schreiner, Schuster, Schneider, Schmiede und Zimmerleute, sind in der Gemeinde
vertreten. Daneben besitzt der Ort seit dem Jahre 1841 bescheidene Administrativfunktio-
nen, da er im Zuge der Verwaltungsreform nach der luxemburgischen Unabhängigkeit
von den Niederlanden (1839) zum administrativen Mittelpunkt eines eigenen Kantons
erhoben worden ist. Vor einigen Jahren wurden zwar die in früheren Jahrhunderten
genutzten Eisenerzvorkommen im Süden des Großheizogtums "wiederentdeckt". Der
Erzbergbau spielt zu diesem Zeitpunkt jedoch noch keine Rolle im Wirtschaftsleben der
Gemeinde. Die Gegend besitzt einen bäuerlichen Charakter, die Bevölkerung ist vielfach
arm und Auswanderungen nach Amerika - wie schon 100 Jahre zuvor nach Osteuropa
(Banat, Rußland) - sind keine Seltenheit.
Thionville, dessen Militäranlagen im 18. Jahrhundert dazu ausgebaut worden waren, im
ostfranzösischen Festungsgürtel Metz-Verdun-Sedan den nordlothringischen Moselüber-
gang zwischen Metz und Luxemburg zu verteidigen, besitzt demgegenüber zum gleichen
26
Zeitpunkt schon Kleinstadtcharakter. Die Garnison spielt im städtischen Leben eine
entscheidende Rolle. Ungefähr ein Viertel der knapp 5.000 Einwohner sind Soldaten.
Die Stadt ist "chef-lieu" des gleichnamigen Arrondissements und zudem Gerichtsort.
Trotz der Konkurrenz des nur etwa 20 Kilometer südlich gelegenen Metz ist Thionville
für sein agrarisches Hinterland das entscheidende Gewerbe- und Handelszentrum. Bereits
Abb. 1 : Überblickskartc des Untersuchungsraumes Saarland-Lothringen-Luxemburg
mit den Städten Malstatt-Burbach, Diedenhofen (Thionville) und Esch-an-der-
Alzette
im 17. Jahrhundert kamen auf 1.500 Einwohner 132 Handwerker. Vor allem die Nach-
frage des Militärs läßt die Handwerksbetriebe florieren. Dazu zählen auch Tuchma-
chereien, Gerbereien und Brauereien, darunter nicht zuletzt die große Brauerei im
benachbarten Yutz (Jeutz). Mehrere große Mühlen befinden sich auf städtischem Bann.
Berühmt sind die Holzverarbeitungsbctriebe, die Möbelfabrikation und die Fertigung von
Bauhölzern durch die örtlichen Schreiner und Zimmerleute. Einen weiten Einzugsbereich
bis tief nach Innerfrankreich sowie ins benachbarte Ausland haben die Messen und
Märkte der Stadt: die traditionelle Septembermesse, die Getreidemesse und der Vieh-
markt. Dazu kommen die für die umliegenden landwirtschaftlichen (Klein-)Betricbe und
die alltägliche Versorgung der Stadtbevölkerung eminent wichtigen Wochenmärkte. Bis
27
ins frühe 20. Jahrhundert wird Thionville Umschlagplatz der Weinbauregion an der
lothringischen Mosel bleiben, und etliche Winzer haben darum Mitte des 19. Jahrhunderts
ihren Wohnsitz in der Kommune. Außerdem besitzt die Gemeinde Bedeutung für den
französischen Transithandel mit Belgien, Luxemburg und Deutschland. Wie in Metz lebt
innerhalb der Mauem ein mehrheitlich französischsprachiges Stadtbürgertum, während
die ländliche Bevölkerung des Umlandes, vor allem östlich Thionvilles, fast ausschließlich
einen deutschen, moselfränkischen Dialekt spricht.
Das Jahr 1910:
Malstatt-Burbach - 1875 zur Stadt erhoben - hat sich mit zirka 45.000 Einwohnern
zur bevölkerungsreichsten Gemeinde des Saarreviers aufgeschwungen und wurde im Jahre
1909 mit (Alt-)Saarbrücken und St.Johann zur Großstadt Saarbrücken vereinigt, die
zusammen über 100.000 Einwohner zählt. Malstatt-Burbach ist der Hauptort der
eisenverarbeitenden Industrie an der Saar. Das 1856 von belgisch-luxemburgischen
Unternehmern gegründete Hüttenwerk ist mit seinen mehr als 5.000 Arbeitern neben dem
Neunkircher Eisenwerk der größte eisenschaffende Betrieb der Region. Außerdem
bestehen ein Gußstahlwerk, drei Maschinenfabriken, zwei Metallgießereien, eine
Waggonfabrik, eine Tresorfabrik, eine Eisenbahnhauptwerkstätte, zwei Zementwerke und
mehrere Ziegelfabriken. Allein die Metallindustrie beschäftigt ungefähr 7.000 Arbeiter.
Ausgedehnte Gleisanlagen erstrecken sich seit den 1850er Jahren über das Gemeindege-
biet und vielfältige Eisenbahnverbindungen gewährleisten den Personen-, vor allem aber
den Güterverkehr in alle Himmelsrichtungen. Es gibt mehrere Industrie- bzw. Güterbahn-
höfe und einen Personenbahnhof ; der St. Johann-Saarbrücker Hauptbahnhof liegt teilweise
auf Malstatt-Burbacher Bann. Ein Industriehafen ermöglicht die Nutzung der Saar als
Wasserstraße und bietet Zugang zum lothringisch-französischen Kanalnetz sowie über
die Mosel zum Rhein. Seit 1891 ist die Stadt mit ihren Nachbarorten durch eine
Straßenbahn verbunden, die seit 1899 sogar elektrisch betrieben wird. Die Kommune
verfügt über ein Gaswerk, eine moderne Stromversorgung ist durch Lieferverträge mit
der Bergwerksdirektion sichergestellt.
Esch-an-der-Alzette - 1906 zur Stadt erhoben - steht zum gleichen Zeitpunkt im
Range der unumschränkten Industriekapitale Luxemburgs. Mit ihren etwa 15.000
Einwohnern ist Esch zur zweitgrößten Gemeinde im Großherzogtum geworden. Mitt-
lerweile prägen drei Hüttenwerke das Bild der Stadt: im Jahre 1871 wurden sowohl die
ersten Hochöfen der Société Auguste Metz & Co. ("Metze Schmelz") als auch der 5-4.
des Hauts Fourneaux de Luxembourg der Gebrüder Brasseur ("Brasseurschmelz")
angeblasen. An der Errichtung der "Metze Schmelz" in Esch-Schifflingen war übrigens
die Betreibergesellschaft der Burbacher Hütte, die Luxemburgische Bergwerks- und
Saarbrücker Hüttengesellschaft (S.A. des Mines du Luxembourg et des Forges de
28
Sarrebruck) beteiligt. Im Jahre 1892
fusionierte die SA. des Hauts Fourneaux
de Luxembourg mit dem Aachener
Hütten-Aktien-Verein und die
"Brasseurschmelz" wurde zur "Rote-
Erde-Hütte" bzw. "Usine des Terres
Rouges". Im Jahre 1909 hat das nach
1900 nochmals erweiterte "Rote-Erde"-
Konsortium darüber hinaus begonnen, ein
drittes Eisenwerk im Ortsteil Esch-Belval
zu errichten. Die "Adolf-Emil-Hütte"
wird schließlich im Jahre 1912 die
Produktion aufnehmen. Den zweiten
bedeutenden Gewerbezweig der Gemeinde
bildet der Erzbergbau. Im Süden und
Westen der Stadt wird in mehrere Gruben
eingefahren, wo schon deutlich über 1.000
Bergleute die Minette förderten, bevor das
erste Hüttenwerk seinen Betrieb aufnahm.
Im Jahre 1909 wurde in Esch eine Bergschule gegründet. Seit den frühen 1860er Jahren
verfügt die Stadt über einen Eisenbahnanschluß; die Bahnanlagen werden ständig
erweitert, die Hüttenwerke und Minen erhalten eigene Industriegleise. Seit 1899 gibt es
eine kommunale Gasversorgung, ein kleines privates Elektrizitätswerk arbeitet seit dem
Jahre 1900 und wird im Jahre 1911 in städtische Regie übergehen. Bis zur Schaffung
anderer Infrastruktureinrichtungen, z.B. einer Straßenbahn, sollen aber noch einige Jahre
verstreichen.
Thionville, das seit der deutschen Annexion Elsaß-Lothringens offiziell den Namen
Diedenhofen führt, hat trotz einschneidender gesellschaftlicher und ökonomischer
Umwälzungen seine traditionelle Verwaltungs- und Handelsfunktion festigen können.
Die Stadt beherbergt gleich zwei Kreisverwaltungen, nachdem der ursprüngliche Kreis
im Jahre 1901 in einen je eigenständigen Ost- und Westteil aufgespalten worden ist.
Die Stadt selbst liegt im weiterhin stark agrarisch orientierten Kreis Diedenhofen-Ost,
bildet aber auch das Verwaltungszentrum des Industriekreiscs Diedenhofen-West. Sie
ist beispielsweise Sitz einer Bergschule, die sowohl das Führungspersonal der an der
westwärts verschobenen, französischen Grenze gelegenen Minette gruben als auch die
zukünftigen Betriebsleiter der Steinkohlengruben an der preußischen Grenze, nahe
Saarbrücken, ausbildet. Nachdem die Festungswälle um die Stadt im Jahre 1901 endlich
geschleift worden sind, haben Handel und Gewerbe in der Kommune in kürzester Zeit
Stadt
Jahr MB ES TH
1850/51 2.395 2.154 4.947
1855 2.554 1.985
1860/61 3.749 2.101 7.818
1865 4.871 2.404
1870/71 7.333 3.042 7.207
1875 11.780 5.069 7.168
1880 12.401 6.101 7.155
1885 14.095 6.772 8.111
1890 16.799 6.871 8.923
1895 22.350 8.339 9.167
1900 29.573 11.097 10.062
1905 35.868 11.985 11.948
1909/10 42.922 15.196 14.184
Tab.l: Einwohnerzahlen von Malstatt-Bur-
bach, Diedenhofen und Esch/Alz.
1850-1910
29
einen deutlichen Aufschwung erfahren. Hierzu trägt nicht zuletzt die bereits 1898 auf
städtischem Barm (aber außerhalb der Militäranlagen) seitens der saarländischen
Untemehmerfamilie Röchling gegründete "Karlshütte" bei, die zwischen 700 und 800
Arbeiter beschäftigt. Daneben werden eine Zementfabrik und eine große Thomas-
schlackenmühle betrieben. Lange hat die Stadtmauer nicht nur eine räumliche Aus-
dehnung der Stadt, sondern auch die Ansiedlung von weiteren Gewerbetreibenden
verhindert. Die Stadt erlebt aber jetzt auf der Basis des Erweiterungsplanes des Kölner
Stadtbaumeisters Stübben einen Bauboom. Die Bevölkerungszahl liegt nun bei über
14.000, während die Einwohnerschaft infolge der militärischen Einschnürung in den
vorhergehenden Jahrzehnten nur sehr mühsam auf knapp 9.000 Personen anwachsen
konnte. Die noch in den 1870er Jahren bestehende frankophone Bevölkerungsmehrheit
sieht sich nun mit einer Minderheitensituation konfrontiert; bereits seit zwei Jahrzehnten
ist Französisch als gleichberechtigte Verwaltungssprache abgeschafft. Ein Güter- und
ein Personenbahnhof, ein Moselhafen und eine Gaszentrale sind schon einige Jahre zuvor
unter militärischen Versorgungsaspekten gebaut worden und begünstigen die verspätet
einsetzende industrielleEntwicklung erheblich. Trotz des industriellen "take-off, welcher
die Stadt erfaßt hat, bewahrt sie auch weiterhin ihren militärischen Charakter, wenngleich
das Festungskonzept deutlich modifiziert wurde. Die Gamisonstärke liegt ständig bei
ungefähr 2.000 Mann - und über 700 Pferden.1
** *
Der Verstädterungsprozeß in Malstatt-Burbach und Esch/Alz. läßt sich anhand des
Bevölkerungswachstums, das diese Gemeinden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts
erfuhren, besonders deutlich ablesen. (Abb. 2) Charakteristisch ist der rasante Anstieg
der Einwohnerzahl sowohl der saarländischen als auch der luxemburgischen Kommune
ab Mitte der 1850er bzw. ab dem Beginn der 1860er Jahre bis etwa 1875. In 'Malstatt-
Burbach schnellte die Bevölkerungszahl ab 1856, d.h. mit Gründung der Burbacher Hütte,
in die Höhe. In Esch/Alz. war schon in den 1860er Jahren im Zuge der Erschließung
erster Erzminen ein leichter Einwohnerzuwachs festzustellen, und im Jahre 1871 erfolgte
1 Die hier dargelegte Entwicklungsskizze der Industrialisierung und Urbanisierung Malstatt-
Burbachs, Eschs und Thionvilles/Diedenhofens beruht auf der im Literaturverzeichnis in den
entsprechenden Abschnitten genannten ortsgeschichtlichen Literatur. Für Malstatt-Burbach sind
neben den älteren Arbeiten insbesondere relevant das Städtebuch Rheinland- Pf alz/ Saarland sowie
die Artikel von Hanns Klein und Klaus Fehn. Überblicksartige Darstellungen zur Escher
Stadtgeschichte finden sich im Ausstellungskatalog von Denis Scuto, im Jubüäumsband aus dem
Jahre 1939 sowie in den Arbeiten von Janine Camy und Paul Didlinger. Für Thionville/
Diedenhofen ist zu verweisen auf die Arbeiten von Gervais Ancel, Lewin Vidal und François
Roth.
30
mit der Ansiedlung der beiden Hüttenwerke am Ost- und am Westrand der Stadt eine
abrupte Zunahme der Einwohnerschaft. Infolge der sogenannten Gründerkrise (von 1873
bis 1878/79) kam die rasante Bevölkerungsentwicklung ab dem Jahr 1875 ins Stocken,
um in der Saarhüttenstadt etwa ab 1888 und in der südluxemburgischen Industriemetro-
pole ziemlich genau ab 1890 wieder deutlich größere Zuwächse zu verzeichnen. In
Diedenhofen kam demgegenüber nach der Jahrhundertwende erstmalig eine ähnlich
gesteigerte, industrialisierungsbedingte Bevölkerungszunahme zum Tragen.
Der Befund dieser drei Phasen in der Bevölkerungsentwicklung der beiden Industriedörfer
und späteren Industriestädte Malstatt-Burbach und Esch/Alz. bildet den Ausgangspunkt
aller weiteren, in der vorliegenden Studie unternommenen Analysen des Wanderungs-
geschehens. Sofern im folgenden mehrfach von der Krisenphase zwischen 1875 und 1890
Abb. 2 : Bevölkerungsentwicklung von Malstatt-Burbach, Diedenhofen und
Esch/Alz. 1850-1910 (Iogarithmische Skala)
die Rede ist, so wird damit nicht in erster Linie auf die Wirtschaftskonjunktur Bezug
genommen, obgleich die demographische Stagnation in diesem Zeitraum eng mit
ökonomischen Konjunkturerscheinungen zusammenhing und die stagnative Bevölkerungs-
entwicklung in den untersuchten Städten offensichtlich eine Parallelerscheinung zur
Großen Rezession der Jahre 1873 bis 1895 war. Eine Erholung von Stockungsphasen
bzw. Konjunktureinbrüchen erfolgt in der Wirtschaft im allgemeinen wesentlich spontaner
als im demographischen Bereich, vor allem hinsichtlich der Gesamteinwohncrentwicklung.
31
Unter Ökonomen wird beispielsweise das Ende der Gründerkrise ungefähr 1878/79
gesehen, mit einer anschließenden Neubelebung der Wirtschaft in den 1880er Jahren und
mit einem erneuten Einbruch nach 1890. Die Einwohnerentwicklung in den Unter-
suchungsstädten folgte zwar in ihrem Trend der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung,
der spürbare ökonomische Aufschwung der 1880er Jahre verursachte aber offensichtlich
nur einen sehr gemäßigten Anstieg der Gesamteinwohnerzahl von Malstatt-Burbach und
blieb ohne Auswirkungen in Esch; Alz. Die Wirtschaftskrise zu Beginn der 1890er Jahre
vermochte weder an der Saar noch an der Alzette das erneut gesteigerte Bevölkerungs-
wachstum abzubremsen. Daher erschien es im Hinblick auf eine bevölkerungs- und
migrationsgeschichtliche Analyse sinnvoll, die Industrialisierungsperiode unabhängig von
üblichen wirtschaftshistorischen Einteilungen gemäß der bevölkerungsgeschichtlichen
Eigendynamik zeitlich zu untergliedern, und zwar in die drei Untersuchungsteilzeiträume
von 1856 - d.h. vom Beginn der Industrialisierung in Malstatt-Burbach - bis ins Jahr
1875, von 1876 bis 1889 sowie von 1890 bis 1909, also bis zum Zeitpunkt der
Vereinigung Malstatt-Burbachs mit seinen beiden Nachbarstädten. Wegen des enormen
Wanderungsaufkommens gerade im dritten Teilabschnitt und weil für die Vergleichs-
gemeinde Esch/Alz. die jüngste berücksichtigte Volkszählung aus dem Jahre 1900
stammt, wurde bei einigen Analyseschritten eine weitere Unterteilung in die Zeiträume
von 1890 bis 1900 sowie von 1901 bis 1909 vorgenommen.
Welches waren die elementaren Rahmenbedingungen für das hier skizzierte, beschleunigte
Städte- und Bevölkerungswachstum in Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz.?
Grundlegend für die Industrialisierung und damit auch für die Urbanisierung der
industriearmen, überwiegend landwirtschaftlich geprägten Region Saarland-Lothringen-
Luxemburg war das Zusammentreffen mehrerer Faktoren.2 Eine technologische Voraus-
setzung der Forcierung von Bergbau und Eisenerzeugung in der Saarregion, wo schon
lange mit vorindustriellen Methoden Steinkohle gefördert und Erze verhüttet worden sind,
bildete die Möglichkeit zur Nutzung der Steinkohle für die Eisenerzeugung im Hochofen,
welche erst die Umwandlung von Kohle in Koks erlaubte. Dadurch siedelten sich
einerseits größere Eisenwerke, wie etwa die Burbacher Hütte, "auf der Kohle” an bzw.
wurden, wie das Neunkircher Eisenwerk, wesentlich erweitert; und andererseits erhöhte
sich die Nachfrage nach Steinkohle erheblich, was die Industrialisierung der südlichen
Rheinprovinz in Gang setzte.
2 Vgl. im folgenden Hellwig, Wirtschaftsentwicklung.
32
Ein zweiter Faktor war die Wiederentdeckung der Eisenerzvorkommen in Luxemburg
und Lothringen in den 1820er Jahren bzw. deren industrielle Erschließung ab den 1850er
Jahren. Die Existenz der räumlich zwischen 60 und 100 Kilometer getrennten Steinkohle-
und Erzlagerstätten hätte sicherlich den historischen Industrialisierungsschub nicht
bewirken können, wenn nicht durch den Bau eines umfangreichen Eisenbahnnetzes der
Transport der jeweils fehlenden Grundstoffe zu den Eisenproduktionsstätten gewährleistet
worden wäre. Ab den späten 1840er Jahren bis in die frühen 1870er Jahre erhielten die
jungen Lndustriezonen an der mittleren Saar, im südlichen Luxemburg und im nördlichen
Lothringen Anschluß an das internationale Schienennetz.3 Dies war unumgänglich, denn
wegen des Phosporgehalts der lothringisch-luxemburgischen Minette-Erze (oolithische
Erze) und der minderen Qualität der Saarkohle genügte nicht allein die Verkehrs-
anbindung der benachbarten Saar-Lor-Lux-Standorte untereinander, sondern war der
Import von sogenannten Alluvialerzen und Steinkohle aus anderen europäischen Revieren
notwendig.
Eine revolutionäre technologische Neuerung speziell für das Minettegebiet und das nahe
Saarrevier bedeutete darum die Erfindung eines Verhüttungsverfahrens durch die Briten
Thomas und Gilchrist im Jahre 1878, das die Verbrennung des Phosphors während der
Produktion des sogenannten Thomasstahls und damit die stärkere Nutzung der regionalen
Erze ermöglichte. Der luxemburgische Unternehmer Norbert Metz ("Metze Schmelz")
erwarb als erster Kontinentaleuropäer die Lizenz auf das Thomas-Verfahren, gefolgt
vom Saarindustriellen Stumm (Neunkircher Eisenwerk) und dem Lothringer Unternehmen
de Wendel.
Neben dieser gemeinsamen technologischen Basis war ausschlaggebend für die Genese
starker regionaler Binnenstrukturen, daß zum einen durch die Einbeziehung Luxemburgs
in den deutschen Zollverein (1842) und zum anderen durch die Annexion Elsaß-Loth-
ringens durch das neugegründete Deutsche Reich (1871) ein einheitlicher politischer
Rahmen für den Wirtschaftsraum Saarland-Lothringen-Luxemburg geschaffen wurde.
Unabhängig von nationalen Grenzen hatten sich allerdings schon um die Mitte des 19.
Jahrhunderts die führenden Industrieunternehmen in den jeweils benachbarten Teilregio-
nen wirtschaftlich engagiert, indem sie Konzessionen auf Bodenschätze und Beteiligungen
3 Vgl. allgemein Blaich, Fritz: Der Einfluß der Eisenbahnpolitik auf die Struktur der Arbeitsmärkte
im Zeitalter der Industrialisierung, in: Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarkt, hg. von Hermann
Kellenbenz, München 1974, S.86-109 und speziell zum Saar-Lor-Lux-Raum: Fuchs,
Eisenbahnnetze; Hoppstädter, Kurt: Die Entwicklung des saarländischen Eisenbahnnetzes als
Voraussetzung für die Bildung des Wirtschaftsraumes an der Saar, in: Saarbrücker Hefte
Nr.4/1956.
33
an Industriewerken erworben oder eigene Werke gegründet hatten.4 Bereits in den 1850er
und 1860er Jahren interessierten sich saarländische Industrielle für die luxemburgischen
und lothringischen Minette-Vorkommen. Neben dem Luxemburger Unternehmen Metz
& Co. investierte auch die Firma Stumm in die Escher Erzgruben und erwarb zudem
eine Minenkonzession im französischen Montet. Im Gegenzug gründeten luxemburgisch-
belgische Kapitalgeber die Burbacher Hütte bei Saarbrücken und die Betreibergesellschaft
der Forges de Sarrebruck, die - wie bereits erwähnt - auch in industrielle
Unternehmungen in Luxemburg selbst involviert war, eröffnete zusätzlich eine Erzmine
bei Maxéville. Die Saarbrücker Kaufmannsfamilien Haldy und Röchling waren ab 1856
Hauptaktionäre einer Eisenhütte im lothringischen Pont-ä-Mousson. Das Saarbrücker
Unternehmen Karcher & Westermann ließ sich in Ars-sur- Mosel le nahe Metz nieder.
Die unternehmerische Verflechtung der Region setzte sich auch über den deutsch-
französischen Konflikt von 1870/71 und die Annexion des Reichslandes hinaus fort. Diese
Ereignisse bedeuteten einerseits eine Erleichterung, andererseits aber auch eine
Behinderung für die wirtschaftliche Betätigung der Industrieunternehmen im Grenzraum.
Hindernisse zur Ansiedlung von Saaruntemehmen im jetzigen Deutsch-Lothringen waren
damit zwar ausgeräumt worden, das Engagement dieser Firmen in den bei Frankreich
verbliebenen lothringischen Industriezonen um Longwy und Briey sowie in der Nähe
von Nancy wurde staatlicherseits jedoch ebenso ungern gesehen wie auf der anderen Seite
der Grenze die fortgesetzten Aktivitäten der französischen Firma de Wendel im
Reichsland. Dennoch wahrten Haldy und Röchling ihren Einfluß in Pont-ä-Mousson,
die Stumm-Gruppe erwarb 1876 sogar neue Erzkonzessionen in der Nähe von Longwy
und de Wendel intensivierte seine Untemehmenspolitik im lothringischen Kohlebecken
an der preußischen Grenze sowie im Ome- und Fentschtal (vallée de l'Orne; vallée de
la Fentsch bzw. Fontoy) bei Diedenhofen. Mit der Einführung des Thomas-Verfahrens
kam es ab den 1880er Jahren zu weiteren Hüttengründungen in unmittelbarer
Nachbarschaft der Erzlagerstätten. De Wendel gründete 1881 ein Tochterwerk in
Hayingen (Hayange) und gab den Anstoß zur rasanten industriellen Entwicklung des
Fentschtales, wo z.B. in Algringen (Algrange) und Kneutingen (Knutange) sukzessive
neue Industrieanlagen entstanden, und wo das Haus de Wendel maßgeblichen
wirtschaftlichen und politischen Einfluß besaß. Die Dillinger Hütte baute 1886 in
Redingen (Rédange) ein Zweigwerk, die Firma Stumm 1891 in Ueckingen (Uckange)
und Röchling 1898 die "Karlshütte" bei Diedenhofen. Das im rheinpfälzisch-bayerischen
St.Ingbert beheimatete Unternehmen der Gebrüder Krämer fusionierte 1905 mit der
luxemburgischen Hochofengesellschaft von Rümelingen, die wiederum im lothringischen
4 Vgl. im folgenden Kloevekom, Eisenhüttenwesen; Roth, Prussiens; Thomes, Wirtschaftliche
Verflechtungen.
34
Oettingen (Ottange) als Pächter ein Hüttenwerk betrieb.5 Die luxemburgische Metz-
Gruppe wurde im Jahre 1911 gemeinsam mit der Luxemburgischen Bergwerks- und
Saarbrücker Hüttengesellschaft in die ARBED (Aciéries réunies de Burbach, Esch et
Dudelange) überführt, wodurch u.a. die Hüttenwerke Esch-Schifflingen ("Metze-
Schmelz") und die Burbacher Hütte unter gemeinsamer Verwaltung standen.
Externe Investitionen, z.B. durch rheinisch-westfälische Industrielle erfolgten verhältnis-
mäßig spät. Von großer Tragweite war deren Engagement in Luxemburg, wo die seit
1904/1905 bestehende Interessengemeinschaft aus Aachener Hütten-Actien-Verein!
Abteilung 'Rote Erde', Gelsenkirchener Bergwerks AG und Schalker Gruben- und
Hüttenverein im Jahre 1907 zur Rhein-Elbe -Gelsenkirchener Bergwerksgesellschaft fu-
sionierte und damit sowohl die Erzförderung als auch die Eisenerzeugung in der
luxemburgischen Industriemetropole Esch/Alz. zu einem wesentlichen Teil in Händen
außerregionaler Kapitalgeber lag.6 In Lothringen waren zwar schon in den 1860er Jahren
belgische Unternehmer aktiv geworden, rheinisch-westfälische Firmen erwarben erste
Minen- und Hüttenkonzessionen allerdings erst nach 1890.7
Bis zum ersten Weltkrieg konnte sich daher - trotz des wachsenden Einflusses reichs-
deutschen Kapitals aus dem Ruhrgebiet und trotz administrativer Hürden, die vor allem
ab den 1890er Jahren grenzübergreifende Wirtschaftsaktivitäten zwischen Deutschland
und Frankreich deutlich erschwerten - das unternehmerische Binnennetzwerk des Saar-
Lor-Lux-Raumes mit seinen engen Kontakten zu den nahen französischen und belgischen
Industriegebieten verdichten, das neben einem ausgeprägten Kapitalfluß und einem
umfangreichen Güterverkehr innerhalb der Region einen intensiven Informationsaustausch
zwischen den einzelnen Industriestandorten gewährleistete, der nicht zuletzt die hier näher
zu analysierenden Bevölkerungsbewegungen maßgeblich beeinflußte. Weil das Engage-
ment der Konzerne von Rhein und Ruhr recht spät einsetzte, bestanden bereits gefestigte
Binnenwanderungsstrukturen, die sich zum Teil erheblich von denjenigen des rheinisch-
westfälischen Industriegebietes unterschieden. Struktur und Auswirkungen dieses
regionalspezifischen, unter den vorgestellten Rahmenbedingungen ablaufenden Wande-
rungsgeschehens innerhalb des Saar-Lor-Lux-Raumes von der Mitte des 19. Jahrhun-
derts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts sind Gegenstand der vorliegenden Studie.
5 Vgl. hierzu insbesondere Thomes, Wirtschaftliche Verflechtungen, S.192.
6 Vgl. Scuto, Esch.
Vgl. Roth, François: La Lorraine annexée 1870-1918, Nancy 1976, S.309ff.
35
C. Das Meldewesen im Königreich Preussen, im Reichsland
Elsass-Lothringen und im Grossherzogtum Luxemburg im
19. UND FRÜHEN 20. JAHRHUNDERT
a) Rechtliche Grundlagen
"Migration was a universal experience of ordinary Germans long before industrialization
(...). Düring the 19th Century, mass population movement became commonplace as the
ambitious, the desperate, and the restless abandoned their rural hamlets of the promises
of the New Wold and the urban industrial complexes (...).1,1 Diese Massenwanderungs-
bewegungen wurden im Grunde durch die großen gesellschaftlichen Umwälzungen im
Zuge der französischen Revolution und der napoleonischen Herrschaft in Europa er-
möglicht, die ihre deutlichen Spuren vor allem in Recht und Verfassung der links-
rheinischen deutschen Gebiete hinterlassen hatten, und in deren Folge schließlich in allen
deutschen Staaten grundlegende Reformen durchgeführt wurden. Eine herausragende Stel-
lung nahm in diesem Zusammenhang das Oktoberedikt (9.Oktober 1807) des leitenden
preußischen Ministers und Freiherm vom Stein ein, denn die damit zugestandenen Rechte
"Freizügigkeit, freier Güterverkehr, freie Berufswahl - das löste in der Konsequenz die
ständische, die gebundene Gesellschaft, in der Geburt über die soziale Position entschied,
auf; Entschluß, Befähigung, Leistung, Mobilität rückten an deren Stelle."2
Die (sozusagen migrationsrelevanten) Reformimpulse des Oktoberediktes fanden ihre
Bestätigung eine Dekade später in der 1817 erfolgten Proklamation der Reise- und
Niederlassungsfreiheit in Preußen, welche das verschieden gegründete Freizügigkeitsrecht
der ehemals französischen - nach 1815 schließlich größtenteils Preußen zugeschlagenen
- linksrheinischen deutschen Gebiete mit demjenigen des restlichen preußischen
Staatsterritoriums auf eine gemeinsame Basis stellte/ Im weiteren Verlauf der deutschen
Verfassungsgeschichte wurde dieses Grundrecht sowohl im Gesetzeskodex des 1867 * 3
: Jackson, Alltagsgeschichte, S.24. Jackson gibt im Rahmen einer ausführlichen
Quellenbeschreiöung deutscher Einwohneimelderegister des 19. Jahrhunderts einen hervorragenden
Überblick über die Entwicklung der amtlichen Statistik und des Meldewesens in Deutschland.
: Nipperdev, Thomas: Deutsche Geschichte 1800-1S66. Bürgerwelt und starker Staat, München
1984, S.44. Nipperdev charakterisiert das Oktoberedikt als "Fanfare der Reform” (S.43).
3 Vgl. Jackson, Alltagsgeschichte, S.28.
36
gegründeten Norddeutschen Bundes als auch in der Verfassung des Deutschen Reiches
von 1871 ausdrücklich verankert.4
Die Gesetzeslage in Preußen, und später des Deutschen Reiches, garantierte Personen
mit einem festen Wohnsitz sowohl die volle Bewegungsfreiheit als auch die freie
Domizilwahl innerhalb des eigenen Staatsgebietes. In der Realität blieben diese Rechte
jedoch von Beginn an durch spezielle administrative Beschränkungen und polizeiliche
Überwachungsmaßnahmen eingeschränkt.5 Verschiedenen staatlichen Organen war es
ein Anliegen, durch eine gezielte Reglementierung jegliche Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung sowie vor allem fiskal-administrativer Interessen von vornherein
zu unterbinden, welche durch die Inanspruchnahme des Rechts auf Freizügigkeit seitens
ihrer Untertanen hätte entstehen können. So drängte in den 1830er Jahren die preußische
Finanzverwaltung mehrfach das Königlich Preußische Statistische Büreau zur Einführung
ständiger Einwohnerregister. Im Laufe dieses Jahrzehnts präzisierten und verschärften
die einzelnen preußischen Regierungspräsidenten tatsächlich die seit 1817 geltenden Mel-
deverordnungen in der Weise, daß beispielsweise im Regierungsbezirk Trier bis zum
Jahre 1837 schließlich jeder Hauseigentümer, Vermieter, jede Dienstherrschaft sowie jeder
Arbeitgeber zur An- bzw. Abmeldung seiner ortsfremden Mieter und Arbeitnehmer
innerhalb einer Frist von 24 Stunden bzw. drei Tagen unter Strafandrohung verpflichtet
wurde.6
Die gesamtstaatliche Koordinierung erfolgte allerdings erst 1843, indem das Gesetz über
die Aufnahme neu anziehender Personen unter Bekräftigung der Freizügigkeit und
Niederlassungsfreiheit innerhalb Preußens die allgemeine polizeiliche Meldepflicht ein-
schließlich der Meldeverantwortung des Wohnungsgebers festlegte. Ausgenommen von
dieser Regelung wurden Arme oder von Armut bedrohte und strafrechtlich verfolgte Per-
4 Vgl. Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes, Gesetz über die Freizügigkeit vom 1.11.1867
(=Nr.l6), §§ 1 und 10; Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, Gesetz, betr. die Verfassung
des Deutschen Reiches vom 16.4.1871 (=№.628).
5 Vgl. Jackson, Alltagsgeschichte, S.28.
6 Vgl. Amtsblatt der Regierung Trier, Bezirkspolizeiverordnung (BPolVO) betr. Polizeüiche An-
und Abmeldungen vom 8.2.1837 sowie die BPolVO betr. die Fremdenmeldung vom 11.7.1833,
vom 10.9.1834, vom 30.9.1835 und vom 11.2.1837. Zu beachten ist hier das geltende Prinzip
der Heimatgebundenheit jedes preußischen Untertans. Ein Wohnortwechsel bedeutete in der Regel
nicht auch den Verlust der Bindung an den angestammten Heimatort, dem man - bis ins späte
19. Jahrhundert im Gegensatz zum Wohnort - steuerverpflichtet blieb, und dem beispielsweise
im Falle der eigenen Verarmung die Versorgungspflicht zukam.
37
sonen, aber auch Fremde und Reisende, welche in den Zuständigkeitsbereich der
Fremdenpolizei fielen,7
Die Bevölkerungsstatistik in Preußen litt zu diesem Zeitpunkt unter einer erheblichen
Kompetenzenaufsplitterung. Lebensdaten wurden in weiten Landesteilen noch durch die
Kirchen erhoben, Volkszählungen führte das Statistische Büreau durch, Steuerlisten wur-
den unter der Regie des Finanzministeriums erstellt, die fluktuierenden Bevölkerungsteile
erfaßte im Falle preußischer Staatsbürger die Ortspolizei, Ausländer jedoch die Frem-
denpolizei.8
Die beschleunigte industrielle Entwicklung seit Beginn der 1850er Jahre, begleitet von
größeren Bevölkerungsbewegungen, erzwang zumindest eine Überarbeitung und Straffung
des polizeilichen Meldewesens, indem den Ortspolizeibehörden nun die Gesamtver-
antwortung für die exakte und erstmals auch fortlaufende Registrierung aller mobilen
Bevölkenmgsteile übertragen wurde, zwecks ständiger Korrektur der Klassensteuerrollen.
Das Trierer Regierungspräsidium erließ in diesem Sinne im August 1856 eine Polizeiver-
ordnung zur Meldung neu anziehender Personen. Diese Direktive legte die seitens der
Meldestelle aufzunehmenden detaillierten Angaben zu den anziehenden Personen fest,
bestimmte eine Meldefrist von 14 Tagen, und zwar für den Zuwanderer selbst, unter
Androhung einer Strafe von bis zu 10 Talern bei Zuwiderhandlung.9 Neuartig war hierbei
die Registrierung aller Zuwanderer, ob es sich um Ausländer, Ortsfremde oder Neubürger
handelte, welcher man als Preuße auf Antrag durch Stadtratsbeschluß und Zahlung eines
Bürgereinkaufsgeldes werden konnte.
Ein umfassendes Meldewesen im heutigen Sinne wurde jedoch erst mit der Verordnungs-
novelle des Jahres 1874 geschaffen. Jeder Zuzug in eine Ortschaft sowie jeder Umzug
innerhalb einer Ortschaft sollten gemäß diesem Erlaß im Zeitraum von drei Tagen danach,
jeder Abzug aus einer Ortschaft im voraus der zuständigen Meldestelle bei der Ortspolizei
durch den Migranten schriftlich oder mündlich angezeigt werden.10 Diese Vorgaben
bildeten auch das Kernstück der Meldeverordnungen von 1892 und 1900, welche die
7 Vgl. Gesetzsammlung für die Königlich Preußischen Staaten, Gesetz über die Aufnahme neu
anziehender Personen vom 31.12.1842 (=№.2317). Unter "Fremden" sind hier "Ausländer" zu
verstehen.
3 Vgl. Jackson, Alltagsgeschichte, S.29f.
9 Vgl. Amtsblatt der Regierung zu Trier, BPolVO betr. die Meldung neu anziehender Personen
vom 21.8.1856. Registriert werden sollten Vor- und Zunahme, Stand bzw. Beruf, Alter, Ge-
burtsort, Ehepartner, Kinder sowie der letzte Wohnort des Zuziehenden. Zu beachten ist die
Meldepflicht des Zuwanderers selbst, während die vorherigen Regelungen eine Meldung seitens
des Wohnungsgebers forderten.
10 Vgl. Saarbrücker Kreis-Blatt, BPolVO betr. das Meldewesen vom 22.12.1874 mit Gültigkeit
ab dem 1.9.1875.
38
bestehende Meldepflicht vor allem über verkürzte Fristen und höhere Strafandrohungen
jeweils weiter verschärften.“
Neben diesen allgemeinen Meldebestimmungen galten weiterhin die bereits seit den
1830er Jahren bestehenden eigenen Bestimmungen für besonders mobile Arbeitnehmer-
gruppen. "Dienstboten, Arbeiter und Gewerbsgehilfen aller Art, welche außerhalb ihres
Wohnortes einen Dienst resp. Arbeit übernehmen wollen, haben sich (...) bei der
Ortspolizeibehörde binnen 3 Tagen zu melden", ihr Abzug sei innerhalb von 24 Stunden
seitens des Arbeitgebers anzuzeigen, forderte eine Trierer Polizeiverordnung aus dem
Jahre 1869, ausdrücklich in Ergänzung der sonstigen Meldegesetze.11 12 Zusammen mit
den Vorschriften der Gewerbeordnung über die Führung von Dienst- und Arbeitsbüchern
seitens der Dienstboten, Gesellen, Gehilfen, Lehrlinge und Fabrikarbeiter wurde damit
der Anstoß zur Einrichtung eigener Gesinde-, Gesellen- und Arbeitermelderegister
gegeben, welche den preußischen Behörden eine weitreichende Kontrolle der Mobilität
in diesen Bevölkerungsgruppen ermöglichten.13
Preußen spielte mit seinen ausgefeilten Meldegesetzen im 19. Jahrhundert stets eine Vor-
reiterrolle in Deutschland. Die Staaten des Norddeutschen Bundes übernahmen nach
dessen Gründung im Lauf der Zeit ebenso die preußischen Regelungen wie die süddeut-
schen Staaten nach der Reichsgründung und paßten sie ihren jeweiligen Bedürfnissen
an.14
Im Reichsland Elsaß-Lothringen entstanden ebenfalls erstmals nach der Annexion von
1871 Meldegesetze, welche dem französischen Recht und der französischen Bevölke-
rungsstatistik mit ihrer klassischen Aufteilung in Personenstandswesen (état civil) und
Volkszählungen (dénombrement de la population) völlig fremd waren und dies bis weit
ins 20. Jahrhundert auch blieben. Bereits für das Jahr 1874 erarbeitete der Magistrat von
Diedenhofen, offensichtlich nach preußischen Vorlagen, eine recht moderne
Ortspolizeiverordnung, welche folgendes bestimmte: "Tout changement de domicile
parsuite d'entrée dans un logement ou parsuite de déménagement de même que tout
changement apporté dans le nombre des personnes occupant ensemble le même logement,
11 Vgl. ebda, BPolVO vom 16.5.1892 mit obligatorischer schriftlicher Anmeldung und einer
möglichen Inhaftierung bei Nichtbefolgung bzw. BPolVO vom 15.10.1900 mit einer Verkürzung
der Meldefrist für Reichsausländer auf 24 Stunden.
12 Amtsblatt der Regierung zu Trier, § 2 der BPolVO über die Anmeldung von Fremden und
Dienstboten vom 7.1.1869 in Präzisierung der Gesetze für den Norddeutschen Bund über das
Paßwesen vom 12.10.1867 und über die Freizügigkeit vom 1.11.1867.
13 Vgl- Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes, §§ 107ff., Gesetz betr. die Abänderung der
Gewerbeordnung vom 17.7.1878 (=Nr.l259) und desgl. vom 1.7.1883 (=Nr.l504).
14 Vgl. Jackson, Alltagsgeschichte, S.31f.
39
parsuite de l'entrée et du départ des domestiques, des ouvriers, des apprentis des tout
locataires et des habitants des chambres garnies etc. doit être déclarés à la police dans
les quarante-huit heures qui suivent le changement (...) Toutes les personnes qui prennent
un logement dans la commune de Thionville, et ont l'intention de s'y fixer, sont tenues
d'en faire par écrit ou personnellement dans les 8 jours de l'arrivée en cette ville la
déclaration au bureau du commissaire de police." [sic]15 Der Meldepflicht unterlag der
Wohnungseigentümer bzw. der Vermieter - dies blieb bis 1918 eine Eigenheit des reichs-
ländischen Melderechts. Ansonsten nahmen die Diedenhofener Bestimmungen fast im
Detail die Kemvorschriften der Bezirkspolizeiverordnung der preußischen Regierung in
Trier vorweg, welche ein Jahr später, im Dezember 1874, vorgelegt wurde. Der
Lothringer Rigidität eines "emprisonnement proportionnel" in ihrer Strafklausel folgten
die Preußen gar erst in der Verordnung von 1892.16
Eine landesweite Regelung des Meldewesens in Verbindung mit der Einführung fort-
laufender Melderegister erfolgte auf Veranlassung des Kaiserlichen Ministeriums für
Elsaß-Lothringen zeitgleich in den drei Bezirken des Reichslands (Lothringen, Ober-
und Unterelsaß) jedoch erst im Jahre 1883 und galt in dieser Form bis zum Ende des
ersten Weltkriegs. Interessanterweise unterschied sich die Bezirkspolizeiverordnung für
Lothringen inhaltlich kaum vom zehn Jahre älteren Diedenhofener Ortsgesetz, welches
dadurch aufgehoben wurde.17 Damit bestand in Preußen und in Elsaß-Lothringen ein
nahezu identisches Melderecht, mit Ausnahme der Meldepflicht des Wohnungs-
eigentümers anstatt des Wohnungsnehmers im Reichsland. Diesen Unterschied monierte
1903 ein Teil der lothringischen Presse und drängte - allerdings erfolglos - auf eine
angleichende Modifizierung der Landesgesetze: "In unserem preußischen Nachbarbczirk
Trier wird das polizeiliche Meldewesen bedeutend zweckmäßiger als bei uns im Reichs-
lande gehandhabt, und dort bestehen sehr nachahmenswerte Vorschriften in dem vorange-
15 ACTh 2 D 17: Registre des arrêtés du maire (1871-1936), Art.l et Art.8 de l’arrêté sur la
déclaration de changements de domicüe du 28 décembre 1873. Die grammatikalisch nicht
fehlerfreie Syntax entspricht der Originalausfertigung des Bürgermeistererlasses.
16 Vgl. ebda., Art.10.
17 Vgl. ADM 17 Z 17: Bezirksdirektion Lothringen (BDLo) an die Kreisdirektion Diedenhofen
(KDTh) vom 16.6.1883 mit der BPolVO betr. das polizeiliche Meldewesen einschließlich der
Vollzugsanweisung vom 15.6.1883: Inkrafttreten 1.7.1883; Meldepflicht 24 Stunden nach Zu-
bzw. Abzug durch den Wohnungsgeber; Strafandrohung nach Art471, Nr_5 u. Art.475, Nr.2 Code
pénal (!). Die entsprechenden Erlasse für das Ober- und Unterelsaß ergingen am vom 18.6. bzw.
16.6.1883.
40
gebenen, den Ab-, Zu- und Umziehenden selbst zur Meldung und zur Vorlage von Aus-
weisen verpflichtenden Sinne.’’18
Analog zu preußischen Regelungen waren auch in Elsaß-Lothringen Dienstboten,
Handwerker und Arbeiter einer speziellen Registrierung unterworfen. Außergewöhnlich
strenge Vorschriften trafen in der Gamisonsstadt Diedenhofen mit ihrer besonderen
Infrastruktur die Hausangestellten, denen nur nach vorhergehender polizeilicher Meldung
und nur mit Wissen des Dienstherm Wohnraum vermietet werden durfte, und die sogar
eigene Möbel und Kleider nur mit schriftlicher Genehmigung des Arbeitgebers außerhalb
dessen Wohnung verbringen durften.19
Die preußische Gesetzgebung beeinflußte auch das seit 1842 dem Deutschen Zollverein
angehörende, souveräne Großherzogtum Luxemburg. Die Installation eines allgemeinen
Meldewesens gelang auf kommunaler Ebene partiell jedoch erst um die Jahrhundert-
wende, national erst in den 1920er Jahren. Selbst die mehrfach begonnene systematische
Registrierung der sehr umfangreichen ausländischen Arbeitsimmigranten konnte lange
nicht in befriedigendem Maße bewältigt werden. Zwar erachtete man bereits 1856 die
Einführung eines ständigen Bevölkerungsregisters nach belgischem Vorbild zur Kontrolle
der Bevölkerungsbewegungen sowie des Zivilstandes und aus Gründen der Strafverfol-
gung für angebracht, doch erfuhr diese Initiative keine rechtliche Fixierung.20 Die
Versuche einzelner Kommunen, seit Mitte der 1870er Jahre in Eigenregie Melderegister
einzuführen, scheiterten mit fortschreitender Industrialisierung und wachsender Bevölke-
rungsmobilität an arbeitstechnischen Problemen. Die Stadt Esch/Alz. ließ ihr 1875
begonnenes Melderegisterprojekt nach wenigen Jahren resigniert auslaufen.21 Bis in die
1920er Jahre beschäftigte man sich im Großherzogtum auf nationaler Ebene ausschließlich
mit Fragen des AusländerTechts, der Fremdenmeldung und Ausweisungspraxis.22 Erst
18 Vgl. ebda.: Ausschnitt aus der Lothringer Bürger-Zeitung vom 31.1.1903: "Über das polizei-
liche Meldewesen".
19 Vgl. ACTh 2 D 17: Ortspolizeiverordnung betr. Dienstbücher vom 19.5.1875.
20 Vgl. ANL H 1016: Korrespondenz des Administrateur général (AG) de la justice, des AG des
affaires communales und der drei Distriktkommissare von Luxemburg, Diekirch und Grevenma-
cher vom 13.2., 21.2. und 24.4.1856.
21 Vgl. die verschiedenen (unsignierten) Registerbände im Bureau de la Population (BdPE) der
Stadt Esch/Alz. (1875-1890).
22 Vgl. die Bestände ANL J 70-J 73. In einem Schreiben vom 17.7.1897 [J 73/29] äußert der
Procureur Général [Generalstaatsanwalt] gegenüber dem Ministre d'Etat [Regierungschef]: "Mon-
sieur le commissaire de district Diekirch propose (...) de préscire l’introduction d'un registre de
population dans chaque commune (...) D me semble cependant pratique de tenir un registre séparé
pour les déclarations des étrangers et celles des indigènes." Diese Initiative fand jedoch keine
41
mit den Escher Gemeinderatsbeschiüssen vom 28. März 1898 und 10. April 1899 kam
in der bedeutendsten Industriegemeinde Luxemburgs ein Reglement über die An- und
Abmeldungen zustande, das vorgab: "Jeder Luxemburger und jeder Ausländer, welcher
ermächtigt ist, im Großherzogtum seinen Wohnsitz zu nehmen, muß, wenn er sich auf
dem Gebiete dieser Gemeinde niedergelassen hat, innerhalb 5 Tagen nach seiner Ankunft,
auf dem Gemeindesekretariate (...) Anzeige machen."23 Gleiches galt für Um- bzw.
Abzüge innerhalb bzw. aus Esch, womit das Meldewescn in den drei Untersuchungsge-
meinden Esch, Diedenhofen und Malstatt-Burbach auf einer vergleichbaren Basis stand,
denn Dienst- und Arbeitsbücher waren in Luxemburg bereits 1860 verpflichtend
eingeführt worden.24 *
b) Die kommunalen Einwohnermelderegister als Hauptquelle der Unter-
suchung
1. Die Melderegisterbestände
Resultierend aus der Rechtslage finden sich in den drei Untersuchungsgemeinden recht
unterschiedliche Melderegisterbestände.
Das vor 1914 der preußischen Rheinprovinz zugehörige Malstatt-Burbach verfügt über
die bei weitem umfangreichsten und detailliertesten Dokumente. In dem damals noch
recht überschaubaren Örtchen war gemäß Regierungsverordnung im Jahre 1856 mit der
Registrierung von Meldedaten begonnen worden. Das Register über die Anmeldung neu
anziehender Personen23 bestand in seiner allgemeinen Form bis 1866. Mit der Errichtung
einer eigenen Bürgermeisterei in dem mit seinem Hüttenwerk rasch expandierenden
Gemeinwesen (1866) begann man anreisende Familien und zuwandemde Einzelpersonen
getrennt zu dokumentieren, indem ab dem Folgejahr sowohl ein Familien- als auch ein
Arbeiter-Anmelde-Rcgister geführt wurde.26 Mit der Verleihung der Stadtrechte an
keine Erwiderung.
23 Reglement über die An- und Abmeldungen, in: Zusammenstellung der Polizei-Reglemente
der Stadt Esch a. Alz., Esch/Alz. 1925, S.7f.
24 Vgl. ANL H 841 (vol.l): Lois du 13 décembre 1860 sur les livrets d'ouvriers et de domestiques
einschließlich Règlement du 30 juin 1861 sur les livrets d'ouvriers et de domestiques.
23 StadtA SB, MB 1269 [1 Bd.]: Register über die Anmeldung neu anziehender Personen für
den Zeitraum 1857 bis 1867.
26 Das Familien-Anmelderegister findet sich im StadtA SB, MB 1270 bis MB 1278 sowie MB
1280 [10 Bde.] (1867-1901). Die entsprechenden Index-Bände sind StadtA SB, MB 1279 und
42
Malstatt-Burbach (1875) spaltete sich vom Allgemeinen Arbeiter-Anmelde-Register
zusätzlich ein eigenes Register der Arbeiter der Burbacher Hütte ab.27 Den Diversifizie-
rungsvorgang komplettierten die beiden im Jahre 1883 errichteten Gesinde- und
Gesellenregister, in denen die Zuwanderung von Hausangestellten bzw. von Handwerks-
gesellen eigens aufgeführt wurde.28 Die interne Regelung veranlaßte das polizeiliche
Meldebüro ab 1883, "Arbeiter, welche der gewerblichen Unterstützungskasse beitreten
müssen, [Arbeiter der] Fabrik von den Gebrüdern Lüttgens, Gesellen usw."29, im
Gesellenregister festzuhalten. "In das Allgemeine Arbeiter-Register werden eingetragen:
die Arbeiter der Koksofenanlage, der Zementfabrik, der Zementwarenfabrik Krutina &
Möhle, der Fischbachtalbahn, der Bahnhofswerkstätten (Bahnschlosser), des Hafenamtes,
der Grubenanlagen, die Rottenarbeiter, falls selbige nicht verheiratet sind. Die Verheirate-
ten sind zur Anmeldung auf dem Bürgermeisteramte aufzufordem - vorausgesetzt, daß
deren Familien auch hier wohnen."30 Im Zeitraum zwischen 1895 und 1899 wurden
das Hüttenarbeiter-, Gesellen- und Gesinde-Register jedoch schrittweise wieder ins
Allgemeine Arbeiter-Register integriert.31 Schließlich übernahm die neu gegründete
Kreispolizeidirektion Saarbrücken im Jahre 1901 das Meldewesen der Industriestadt und
überführte das verbleibende Familien- und das Allgemeine Arbeiter-Register in eine
die drei Saarstädte Saarbrücken, St.Johann und Malstatt-Burbach umfassende Melde-
kartei.32
Die kommunale Einwohnermeldebehörde der Stadt Diedenhofen arbeitete dagegen bis
zum Ersten Weltkrieg ausschließlich mit einem zweigliedrigen System. Ab 1883 bestand
MB 1282 bis MB 1287. Trotz laufender Abmeldevermerke im Anmelderegister führte man
parallel (ausschließlich für Familienwanderer) ein Familien-Abmelderegister: StadtA SB, MB
1288 bis MB 1295 [8 Bde.] (1861-1901) mit den Index-Bänden StadtA SB, MB 1296 bis MB
1301. Das Allgemeine Arbeiter-Register umfaßt die Dokumente StadtA SB, MB 1302 bis MB
1310 [9 Bde.] (1866-1901) mit den Index-Bänden StadtA SB, MB 1311 bis MB 1318.
27 StadtA SB, MB 1324f. [2 Bde.]: Register der Arbeiter auf der Burbacher Hütte (1875-1894).
23 StadtA SB, MB'1319f. [2 Bde.]: Gesellenregister (1883-1895); StadtA SB, MB 1321-1323
[3 Bde.]: Gesinderegister (1883-1898).
29 Vgl. StadtA SB, MB 1311, Einband.
30 Vgl. StadtA SB, MB 1304, Einband.
31 Die Rückführung des Hüttenarbeiterregisters ins Allgemeine Arbeiterregister erfolgte im Jahre
1895, die des Gesinderegisters 1896 und die des Gesellenregisters 1899.
Bei dieser Kartei handelt es sich um einen umfangreichen, alphabetisch sortierten Famüien-
Karten-Bestand im StadtA SB in 2.102 durchnumerierten Kisten für den Zeitraum der Errichtung
der Kreispolizeidirektion Saarbrücken bis zum Ende der Völkerbundszeit (1901-1935).
43
hier ein Zuzugsverzeichnis, das etwa zu Beginn der 1890er Jahre in ein Reichs-Inländer-
und ein Reichs-Ausländer-Meldeverzeichnis aufgespalten wurde.33
Durch die auch im Vergleich zum Reichsland recht späte Rechtskodifizierung des
Meldewesens im luxemburgischen Esch/Aiz. entstand ein Melderegister im eigentlichen
Sinne erst um 1900, welches bis 1953 als fortlaufende Kartei weitergeführt wurde.34
Frühere Dokumentationsversuche tragen letztendlich mehr den Charakter unsystematischer
Stichproben. Ein 1883 begonnenes Registre de la population sowie ein 1876 begonnenes
Registre des arrivées zeigen vielversprechende Ansätze. Die Informationen werden jedoch
bereits für die unmittelbar folgenden Jahre sehr schnell dürftiger und die offensichtliche
völlige Überlastung der Meldebehörde angesichts des mächtigen Wanderungsvolumens
in der Phase der Hochindustrialisierung bedingte die Einstellung der Registrierung im
Verlauf einer Dekade.35
2. Struktur und Charakteristika der Melderegister
Die genannten Melderegister der drei zu untersuchenden Städte sind sich in ihrer
Grundstruktur sehr ähnlich. Sie enthalten in tabellarischer Form einerseits Angaben zu
den erfolgten Wanderungsfällen, d.h bezüglich des Zu-, Um- oder Wegzuges einzelner
Personen oder Personengruppen, welche wären: Ankunftsdatum, bisheriger Wohnort,
neues Domizil bei Zu- oder Umzug sowie Abreisedatum und Zielort im Falle eines
Wegzuges aus der Stadt. Andererseits wurden umfangreiche persönliche Daten der
Migranten festgehalten, wie etwa Name, Beruf, Geburtsdatum und -ort, Religionsbe-
kenntnis und Nationalität, verschiedentlich auch Arbeitgeber. Im Lauf der Jahre steigerte
sich das Informationsbedürfnis der Kommunalbehörden - vor allem in Malstatt-Burbach
-, der Angabenkatalog wurde ausgeweitet und präzisiert, die Art der Legitimationspapiere
33 ACTh 1 F 7 bis 1 F 14 [9 Bde.]: Registres d'entrée et de sorde de la population (1883-1909).
Von den ursprünglich zwölf Registerbänden bis 1909 sind die Bände 1 bis 5 und 7 des Inländer -
Registers vorhanden, Band 6 fehlt; vom Ausländer-Register existiert heute noch Band 3, die
Bände 1 und 2 fehlen. Daneben findet sich noch der Teüband A-K des Inländermelde-
verzeichnisses der Jahre 1911 und 1912 unter der Signatur ACTh 1 F 15.
34 Der gesamte historische Melderegisterbestand der Stadt Esch/Alz. wurde bislang nicht ins
Stadtarchiv überführt und befindet sich noch bei seiner Ursprungsbehörde: BdPE. Registre de
la population (ca.1900-1953) [144 Karteikasten mit je mehreren hundert Meldekarten].
35 Vgl. BdPE, Registre de la population de la commune Esch sA. (1883-1897), Bd. A-K
[unvollständig]; BdPE, Arrivées (1876-1889) [dito]. Daneben existieren im BdPE: Liste des habi-
tants (Juli 1843); Liste des babitants dressée pendant les mois de novembre et décembre 1877
et modifiée ultérieurement selon le mouvement de la population [dito]; Abgangs- und Zugangs-
Verzeichnis (1905) [nur Luxemburger, unvollständig]; Zugangs-Verzeichnis (1906) [dito].
44
(Paß, Heimatschein, Militärentlassungsschein, Arbeitsbuch, Dienstbuch u.ä.), das
Militärverhältnis männlicher Ankömmlinge, die Besteuerungsverhältnisse oder die erfolg-
ten Impfungen fanden Beachtung.36
Wurde ein Wanderungsfall tatsächlich erfaßt, konnten die von Verwaltungsseite er-
wünschten Daten in der Regel vollständig dokumentiert werden. Aber: "Scattered
evidence exists that an unregistered floating population of unknown size slipped through
the registration process, thus avoiding the grasp of the city tax collector. In the city of
Duisburg, for example, the number of persons cited by the police for the violation of
registration regulations between 1871 and 1891 was equal to between 0.(9)% and 5.(4)%
of the annual volume of registrations."37 Darüber hinaus kann davon ausgegangen
werden, daß die systematische Erhebungsfehlerquote in Großstädten noch erheblich höher
zu veranschlagen ist.38
In der Tat äußerten auch die Meldestellen in den hier zu betrachtenden Industriege-
meinden ihren Unmut über die mangelnde Meldedisziplin. Die Gemeinde Malstatt-Bur-
bach bemerkt zu den statistischen Aufstellungen in ihrem .Jahresverwaltungsbericht von
1875/76, "daß die angegebenen Zahlen im Allgemeinen, namentlich bei der abziehenden
Bevölkerung auf Genauigkeit keinen Anspruch machen können, da eine regelmäßige An-
und Abmeldung der Arbeiter, Gesellen und Gesinde leider nicht zu constatiren ist. Wenn
in dieser Hinsicht seitens der Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Hausbesitzer mehr Sorgfalt
und Pünktlichkeit auf Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen (...) aufgewendet werden
würde; so würden damit (...) die sonst unvermeidlichen Unregelmäßigkeiten bei den
Steuerlisten, Wählerlisten u.s.w. vermieden werden können."39 Besonders die fehlende
Abmeldemoral machte den Behörden zu schaffen. Der resignative Kommentar zu einer
Statistik über die Bevölkerungsentwicklung der luxemburgischen Industriemetropole Esch
aus dem Jahre 1926 lautete: "Diese Statistik ist falsch, weil so viele Leute sich nicht
abmelden. Die Zahlen wo '?' stehen [1912-1915, d.Vf.] sind 'grundfalsch'", weil erst seit
1923 eine entsprechend präzise Rechtsverordnung zum Meldewesen existierte, "und von
da ab sich der Irrtum auf ein Minimum reduzierte."40
36 Vgl. bezüglich des Informationsgehaltes der einzelnen Register Tab.2 u. Tab.3 , S.46f. Die
zuletzt genannten Angaben wurden in der vorliegenden Arbeit wegen ihrer Unvollständigkeit
nicht berücksichtigt; Namensangaben wurden aufgrund datenrechtlicher Gegebenheiten nicht
miteinbezogen.
37 Jackson, Alltagsgeschichte, S.32.
31 Vgl. ebda. Jackson zufolge liegen für Berlin Schätzungen vor, die den Erhebungsfehler bei
Männern auf 10% bis 21%, bei Frauen auf 3% bis 11% beziffern.
39 StadtA SB, MB 267: Städtische Verwaltungsberichte, Bd.l (1836-1889), H.1875/76, S.U.
40 ACEs 520.0: Verzeichnis der Einwohner, der Zu- und Abgänge 1908-1926.
45
Register von-bis Angaben betreffend
Ankunfts- Abreise- letzten Ziel Domizil Hauswirt Umzüge
[MR = Melderegister) datum datum Aufenthalt
Mal«tatt-Burbach
nur
- Allgemeines MR 1856-1866 ja ja ja ja Ortsteil ja nein
- Fainilien-MR 1867-1901 ja ja ja ja ab 1873 ab 1873 ab 1877
ja ja ja
- Allgemeines bis 1883
Arbeiter-MR 1866-1901 ja ja Heimatort ja ja ja ja
- Hütten- bis 1883 ab 1883
Arbeiter-MR 1875-1894 ja ja Heimatort ja ja ja ja
- Gesellen-MR 1883-1895 ja ja ja ja ja ja ja
- Gesinde-MR 1883-1898 ja ja ja ja ja ja ja
- Kreis-Melde-
Kartei 1901-1935 ja ja ja ja ja ja ja
Diedsnhofen
- Registre
d'entrée et 1883-1912 ja ja ja ja ja nein ja
de sortie de
la population
Esch-an-der-Alzette nur
- Registre de la falls falls Anzahl
population -1883-1897 Zuzug nach ja Zuzug nach ja ja nein der
1877 1877 Umzüge
Tab.2 Melderegisterinformationen, A. Daten über erfolgte Zu-, Um- und Abzüge
Register von-bis Angaben bezüglich
Beruf Arbeit - Alter Geburts- Konfes- Familien- Nationa- Eltern
(MR = Melderegister] geber ort sion stand lität
Malstatt-Burbach - Allgemeines MR 1856-1867 ja nein ja nein ja ja ja nein
nicht nicht nicht
- Ramilien-MR 1867-1901 ja nein 1867-72, ab 1873 1867-72, 1867-72, z.T. nein
sonst ja ja sonst ja sonst ja
- Allgemeines bis 1883 alle ja
Arbeiter-MR 1866-1901 ja ja ja Heimatort ja ohne Familie z .T.
- Hütten- alle bis 1883 ab 1883 alle ab 1899 ab 1883
Arbeiter-MR 1875-1894 ja Burbacher ja Heimatort ja ohne ja ja
Hütte Familie
- Gesellen-MR 1883-1895 ja ja ja ja ja alle ohne Farn. z.T. ja
- Gesinde-MR 1883-1898 ja ja ja ja ja alle ohne Farn. z.T. ja
- Kreis-Melde- 1901-Ì935
Kartei ja nein ja ja ja ja ja nein
Diedenhofen
- Registre d'entrée nein
et de sortie de la population 1883-1912 ja nein ja ja ja ja ja
Esch-an-der-Alzette nein
- Registre de 1883-1897 ja nein ja ja nein ja nein
la population
4».
Tul>.3 Melderegisterinformationen, B. Daten über beteiligte Personen
Neben den Versäumnissen beim Wegzug aus der Gemeinde erkannten die Verwaltungen
auch schon frühzeitig die Problematik der Erfassung der extrem mobilen Bevölkerungs-
gruppen. Beispielsweise schrieb der Escher Bürgermeister im Jahre 1878: "Ich darf mir
wohl erlauben (...), Sie darauf hinzuweisen, daß es schlechterdings unmöglich erscheint,
für eine industrielle Ortschaft wie Esch, in deren Bevölkerung täglich Veränderungen
stattfinden, die durch das betreffende Formular verlangten Aufschlüsse genau zu liefern.
Es wird wohl im Gemeindesekretariat über den Zugang neuer und den Abgang gewesener
Einwohner ein Register geführt. Indeß versäumen trotz allen Drängens der Lokalbehörden
viele Ankömmlinge, sich auf der Bürgermeisterei zu melden (...) Diejenigen Familien,
welche die Gemeinde verlassen, melden sich diesetwegen nun gar nicht. Es ist reiner
Zufall, wenn die Lokalbehörde etwas in dieser Hinsicht erfährt. Von den (...) unverheira-
teten Arbeitern kann in Betreff der gewünschten Nachweisungen keine Rede sein."41
Die meldetechnisch nicht greifbare, "'flottante', nicht in Familienbande lebende Arbeiter-
bevölkerung" bezifferte er zu diesem Zeitpunkt auf durchschnittlich etwa 650 anwesende
Personen, von denen es auch noch 1886 heißt: "Über den Zuzug oder die Abreise der
sehr zahlreichen Arbeiter, Gesellen, Lehrlinge und Dienstboten amtlich Buch zu führen
ist zu Esch unmöglich."42
Als Reaktion auf die vergleichbare Situation in den Städten des Reichslandes empfahl
die Abteilung des Innern im Ministerium für Elsaß-Lothringen den Kreisräten, "Zuwi-
derhandlungen [gegen die Verordnungen über die Durchführung des polizeilichen
Meldewesens vom Juni 1883] ohne Nachsicht zur Anzeige zu bringen"43.
Doch offenbarten sich vor Ort in der Regel andere Schwierigkeiten. Eine zügige Ab-
fertigung der Melde willigen konnte in der südluxemburgischen Gemeinde Differdingen
im Jahre 1910 z.B. nicht erfolgen, weil es an einer dringend benötigten zweiten Schreib-
maschine mangelte, keine geübten Schreibmaschinenschreiber vorhanden waren und
zudem die Bitte um Anschaffung eines neuen Farbbandes für die einzige verfügbare
Schreibmaschine von übergeordneter Stelle abgelehnt worden war.44 In der Nachbarge-
meinde Düdelingen konnte im gleichen Jahr von den zwei Sachbearbeitern im Meldebüro
nur einer Schreibmaschine schreiben, im Winter wurde der Feldhüter zur Entgegennahme
41 ANL H 1017: Mouvement de la population (1875-1880): der Bürgermeister von Esch/Alz.
an den zuständigen Distriktkommissar v. 16.2.1878.
42 ANL G 949: Mouvement de la population (1885): handschriftliche Notiz zur Übersicht der
während des Jahres 1885 in der Bevölkerung eintretenden Veränderungen.
43 ADM 17 Z 17: Police des étrangers. Déclarations d’entrée et de sortie de la population u.a.:
Ministerium für Elsaß-Lothringen (MinEL), Abt. d. Innern, an die Kreisverwaltungen v.
28.8.1886.
44 Vgl. ANL J 70/5: Police des étrangers - simplification des écritures dans le service de la police
des étrangers: der Polizeikommissar v. Differdingen an seinen Escher Kollegen v. 24.10.1910.
48
von Anmeldungen eingesetzt, große Schwierigkeiten bereitete das benutzte Durch-
schlagpapier bei Korrekturen, die wiederum aufgrund ständig falsch geschriebener
italienischer Namen häufig anfielen.45 Gemäß den Ermittlungen eines Regierungsbeamten
kostete die Erstellung einer ordentlichen Meldung die Escher Fremdenpolizei im Jahre
1910 mindestens 30 Minuten von der Originaldeklaration über zwei Kopien, den Eintrag
ins Melderegister bis hin zum Versand der Kopien an die Ortspolizei und die Gen-
darmerie.46 Bei diesem Zeitaufwand alleine zur Aufnahme eines einzigen Meldefalles
ohne Berücksichtigung sonstiger Arbeiten, wie z.B. Korrekturen, Schriftwechsel oder
Nachforschungen im Ausland, war es den personell unzureichend ausgestatteten
Meldestellen schlechterdings unmöglich, den Wanderungsstrom, der im letzten Drittel
des 19. Jahrhunderts durch ihre Städte floß, vollständig zu dokumentieren.
Der von Jackson für Duisburg konstatierte systematische Erhebungsfehler von durch-
schnittlich weniger als fünf Prozent nicht urkundenmäßig belegter Wanderungsfälle pro
Jahr, der aufgrund vergleichbarer sozio-ökonomischer Strukturen auch für die Unter-
suchungsgemeinden nicht unrealistisch sein dürfte, überrascht positiv, da diese Zahl im
Gegensatz zur zeitgenössischen Skepsis gegenüber den selbst ermittelten Ziffern aus
heutiger Sicht eine verhältnismäßige Exaktheit des Meidewesens im ausgehenden 19.
Jahrhundert offenbart. Die Unterrepräsentanz sehr migrationsfreudiger Bevölkerungsteile,
d.h. wohl vor allem junger, alleinstehender Angehöriger bestimmter Gruppen innerhalb
der Unterschicht, kann die Ergebnisse der vorliegenden Studie also nicht grundsätzlich
in Frage stellen. Auf eine eigene Analyse der Abmelderegister, die ausschließlich für
Familienwanderer in Malstatt-Burbach vorliegen, wurde verzichtet. Dieser Teilaspekt
wurde unter Einbeziehung der m.E. weniger problematischen Abmeldevermerke in den
Anmelderegistem bearbeitet.47
Die in allen Belangen besonders unbefriedigende Situation des Meldewesens in Esch/Alz.
bis zum Ende der Untersuchungsperiode veranlagte in diesem Falle zum ergänzenden
Rückgriff auf die luxemburgischen Volkszählungsakten.
45 Vgl. ebda.: der Polizeikommissar von Düdelingen an seinen Escher Kollegen v. 24.10.1910.
46 Vgl. ebda.: Bericht d. Regierungsrates Frauenberg im Auftrag d. Staatsministers u. d. Direktors
des Innern v. Oktober 1910. Zur Abhilfe empfahl Frauenberg den Einsatz von Durchschlagpapier,
wodurch er einen Zeitgewinn von 156 Bürotagen bei 300 Jahresarbeitstagen aufgrund einer
fünfminütigen Zeitersparnis pro Meldefall errechnete.
47 Die Abmeldevermerke in den Anmelderegistem berücksichtigen im Gegensatz zu den Ab-
melderegistem auch nicht gemeldete Abzüge. Die Angaben sind zwar weniger ausführlich, doch
erlauben sie im Rahmen einer sozio-strukturellen Analyse zumindest weitgehendere Rückschlüsse
auf das Wanderungsverhalten aller mobilen Bevölkerungsteile.
49
3.
Melderegisterumfang und Arbeitsdatensatz
Die polizeilichen Meldebehörden von Diedenhofen und Malstatt-Burbach beurkundeten
zwischen 1856 bzw. 1883 und 1909 in den beiden Städten zusammen alleine über
150.000 Zuzüge, an denen schätzungsweise 230.000 Personen beteiligt waren. Diese
Grundgesamtheit wurde stichprobenmäßig in einen aus neun Zeit- bzw. Berufs-Kohorten
bestehenden Arbeitsdatensatz überführt, der 14.091 Anmeldungen mit 19.516 Zuwande-
rem umfaßt. (Tab.4)
Darin enthalten ist eine Gesamtaufnahme des Registers der Arbeiter der Burbacher Hütte
(1875-1894).48 Die anderen berufsspezifischen Register sowie der Familienregisterbe-
stand der saarländischen Untersuchungsgemeinde, bestehend aus dem allgemeinen
Melderegister, dem Familienanmelderegister und der Kreis-Melde-Kartei, werden durch
je gesonderte Stichproben (Samples) abgebildet. Diese wiederum wurden, um drei ver-
gleichbare Zeitkohorten für die Zeitabschnitte 1856 bis 1875, 1876 bis 1889 und 1890
bis 1901 bzw. 1909 zu erhalten, soweit möglich proportional geschichtet.49 Die Ab-
grenzung dieser Zeiträume erfolgte aufgrund der Gesamtbevölkerungsentwicklung in den
drei Kommunen, die unter dem Einfluß der Wirtschaftskonjunktur nach einer
Wachstumsphase in den 50er und 60er Jahren Mitte der 1870er Jahre stagnierte, um Ende
der 1880er Jahre wieder deutliche Zugewinne zu verzeichnen.50
Der weniger umfangreiche und administrativ weniger aufgegliederte Melderegisterbestand
in Thionvilie (Diedenhofen) veranlaßte zur Beschränkung auf eine weniger differenzierte
Stichprobenerhebung. In einem einzigen Sample sind proportional geschichtet alle
Jahrgänge von 1883 bis 1910 enthalten.
Das Grundkriterium für die Mächtigkeit aller lancierten Zufallsstichproben war eine
möglichst hohe Genauigkeit der Ergebnisse. Für Prozentwerte, die aufgrund der Stich-
48 Dieser Teildatensatz wurde dem Vf. dankenswerterweise von Olaf Marx (Trier) zur Verfügung
gestellt, der auf dieser Basis bereits eine detaillierte Analyse im Rahmen seiner unveröffentlichten
Magisterarbeit vorgenommen hat: Marx, Olaf: Die Arbeiter der Burbacher Hütte bei Saarbrücken
(1875-1901), Magisterarbeit Trier 1990. Marx hat dabei in nicht ganz unproblematischer Weise
den im Hüttenarbeiter-Register erfaßten Personenkreis um die Personen in den anderen
Melderegistem erweitert, welche eindeutig als Hüttenarbeiter zu identifizieren waren. Diese
records wurden im Arbeitsdatensatz zur vorliegenden Arbeit im Vorfeld der Auswertung wieder
eliminiert.
49 Proportionale Schichtung bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die drei Teilstichproben nach
dem tatsächlichen zahlenmäßigen Umfang der Migrationen in den drei vordefinierten Zeitab-
schnitten entweder gleich im richtigen Zahlenverhältnis zueinander erhoben worden sind oder
aber entsprechend gewichtet in der Auswertung berücksichtigt wurden, falls eine proportionale
Erhebung die Ergebnisgenauigkeit stark beeinträchtigt hätte.
50 Vgl. Kapitel B.
50
Register von-bis [MR = Melderegister] Melderegister- Stichproben- Umf ang (Personenzahl)
Malstatt-Burbach (MB) - Allgemeines MR 1856-1875 4 Familien-MR I876-I889 1890-1901 - Allgemeines Arbeiter-MR 1866-1901 - Hütten- Arbeiter-MR 1875-1894 - Gesellen-MR 1883-1895 - Gesinde-MR 1883-1898 - Kreis-Melde- Kartei 1901-1935 Gesamtzahl der Meldefälle Gesamtzahl der Personen 2.914a 781 4.082" 847 9-777" 963 23.173 1.290 7.434b 7.434 6.118 266 7.234 372 ca. 43.000* 1.069 ca.106.620 13.022 ca.170.000 18.118
Diedenhofen (TH) — Rpci ci t* -po d’entrée et 1883-1909 de sortie de la population 45.435* Fälle 1.069 ca.60.000 Personen 1-398
Summe d.Meldefälle f.TH u.MB Summe d. Personen f.TH u.MB ca.152.055 14.091 ca.230.000 19.516
Esch-an-der-Alzette - Registre de la Population ~l883“l897 * Recensement de la population 1871 1890 1900 * Gesamtzahl der Haushalte * Gesamtzahl der Personen * Anzahl der Meldefälle, Beinhaltet die Persone identifizierbaren Hütte Anzahl der Haushalte. 975" Fälle 200 ca.4.000 Personen 793 487c 243 1.28lc 427 1.909c 400 3.677 1.070 ca.22.000 6.152 nicht der Personen, n im Hüttenarbeiterregister und die narbeiter aus den anderen Registern.
Tab.4 : Melderegister- und Stichprobenumfang
probenerhebung ermittelt werden sollten, war darum vor der Ziehung des Samples eine
maximale Abweichung vom reellen historischen Wert um drei Prozentpunkte nach oben
bzw. unten festgelegt worden.31 Zugleich sollte diese dreiprozentige Toleranzgrenze
mit 95prozcntiger Sicherheit nicht überschritten werden. Das bedeutet: angenommen man
51 Für Detailinformationen zum Stichprobenverfahren vgl. im methodischen Teil (Kapitel H) den
Anhang A. Die Genauigkeit von Durchschnittswerten, welche von der Standardabweichung
abhängt, ist in den aufgrund der genannten Vorüberlegungen bemessenen Stichproben in der Regel
höher als diejenige von Anteilswerten. Vgl. ebda.
51
würde anstatt einer einzigen gleich 100 Stichproben mit einem nach diesem Schema
errechneten Umfang ziehen, so würden stichprobentheoretisch die daraus gewonnenen
Anteilswerte nur in fünf von 100 Fällen um mehr als drei Prozentpunkte vom historischen
Wert abweichen. Die auf diesen Kriterien basierenden Einzelstichproben wurden als groß
genug erachtet, um signifikante Unterschiede zwischen den drei Untersuchungsstädten
zu ermitteln.
Unter diesen Gesichtspunkten erfolgte auch die mangels ausreichender Meldedaten vor-
genommene Erhebung der Escher Volkszählungen. Die ausgewählten Recensements der
Jahre 1871, 1890 und 1900 korrespondieren mit den für Malstatt-Burbach definierten
Wanderungsphasen und wurden durch eine Sondierungsstichprobe aus dem Registre de
la population ergänzt. Dies ermöglicht eine komparative Betrachtung der einzelnen
Zählungsjahre, die in Kombination mit der Auswertung des vorhandenen Melderegister-
teilbestandes wenigstens partiell differenzierte und vergleichbare Ergebnisse - wenn nicht
über den genauen Umfang, so doch über die Qualität - des die Stadt Esch berührenden
Wanderungsstroms liefern soll.52
Die Gesamtheit aller in der vorliegenden Studie berücksichtigten Dokumente beinhaltet
- einschließlich der etwas anders gearteten Escher Quellen - nahezu 157.000 Melde-
bzw. Volkszählungsdatensätze, welche einen Personenkreis von zirka 256.000 Menschen
einschließen. Mittels des genannten Auswahlverfahrens wurden davon 15.361 Fälle mit
26.461 Personen selektiert. Die vielfältigen Informationseinheiten der benutzten Melde-
und Volkszählungsakten wurden aufgrund datenrechtlicher Vorgaben in anonymisierter
Form, d.h. unter Auslassung jeglicher Namensangabe, ansonsten jedoch uncodiert, d.h.
im Originalwortlaut, in den Arbeitsdatensatz aufgenommen, um einen Informationsverlust
gegenüber den Archivalien weitestgehend zu verhindern. Der so gewonnene Datenbestand
konnte in Hinblick auf die Erfordernisse der verschiedensten Analyseschritte flexibel
weiterverarbeitet werden, ohne daß bereits in der Erhebungsphase eine irreversible
Vorstrukturierung des zu betrachtenden Materials vorgenommen worden war.53
52 Die Volkszählungsunterlagen der Stadt Esch (von den einzelnen Haushaltsbögen bis zu den
veröffentlichten Ergebnissen) finden sich vollständig im luxemburgischen Nationalarchiv. Die
Daten der Jahre 1871 und 1890 wurden bereits von Véronique Schaber-Majerus (Luxemburg)
stichprobenmäßig erhoben und dem Vf. freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Der ebenfalls
von Véronique Schaber-Majerus betrachtete Jahrgang 1916 wurde hier aus inhaltlichen Gesichts-
punkten durch den Jahrgang 1900 aus den Beständen der ANL ersetzt. Die Volkszählung von
1900 erfaßte für die vorliegende Arbeit unabdingbare Daten, die in den folgenden recensements
vor dem ersten Weltkrieg nicht wieder erfragt wurden. Zur bereits erfolgten, jedoch deutlich
anders akzentuierten Auswertung der genannten Quellen, vgl. Schaber, Véronique: Familles et
ménages à Esch-sur-Alzette, étudiés en fonction des recensements de la population de 1871,
1890 et 1916, Magisterarbeit Strasbourg 1984.
53 Vgl. das Datenbankschema am Ende von Anhang A.
52
D.
Wanderungsbewegungen in Malstatt-Burbach, Diedenhofen
UND ESCH-AN-DER-ALZETTE ZWISCHEN 1856 UND 1910
a) Das Gesamtwanderungsaufkommen
"Um existieren zu können, braucht die Stadt Zuzug von außen, und so lockt sie immer
neue Menschen an, die sich auch bereitwillig einfinden. Viele lassen sich von den
aufgeklärten städtischen Verhältnissen, den echten oder scheinbaren Freiheiten, den bes-
seren Löhnen blenden, manche kommen auch, weil das Land oder eine andere Stadt
nichts mehr von ihnen wissen will, sie kurzerhand verstoßen hat."1 Dieser Gesetzmäßig-
keit unterlag das Städtewesen bereits seit Jahrhunderten. Demgegenüber sah sich Dieter
Langewiesche veranlaßt, die neue Qualität der grundlegenden Bevölkerungsumschich-
tungen im Deutschland des 19. Jahrhunderts mit folgendem Superlativ zu charakterisieren:
"Nach der Jahrhundertmitte begann mit der Binnenwanderungsbewegung die größte Be-
völkerungsbewegung in der deutschen Geschichte, die den Prozeß der Verstädterung erst
ermöglichte.”2 Die Betrachtung des grenzübergreifenden Untersuchungsraumes von Saar-
land, Lothringen und Luxemburg stützt diesen Befund. Im Zeitraum von 1860 bis 1910
wuchs beispielsweise die Bevölkerung der Gemeinde Malstatt-Burbach um mehr als das
Elffache, diejenige von Esch um mehr als das Siebenfache und die Einwohnerschaft des
sehr lange durch Festungsanlagen eingeschnürten Diedenhofen immerhin in nur 30 Jahren
auf knapp das Doppelte an. (Tab.6) Eine Bevölkerungsexplosion dieses Ausmaßes konnte
nicht allein durch den natürlichen Bevölkerungszuwachs in Gang gebracht worden sein.
Hierzu war ein immenser Wanderungszustrom notwendig. Zum Bevölkerungswachstum
des im Jahre 1860 weniger als 4.000 Einwohner zählenden Malstatt-Burbach, wo 50
Jahre später fast 40.000 Menschen mehr ansässig waren, trug ein Wanderungsgewinn
von ungefähr 15.000 Personen bei. Allerdings war die Summe von mehr als 270.000 Zu-
und Abzügen erforderlich, um diesen Wanderungssaldo zu erzielen. D.h. die wanderungs-
bedingte Bevölkerungszunahme bedurfte der geographischen Mobilität von 18 mal mehr
Menschen, als sich schließlich in der Stadt niederließen. Auf insgesamt näherungsweise
144.000 Zuzüge kamen hierbei etwa 129.000 Abzüge aus der Kommune.
Die jährlichen Zuwachsraten in Malstatt-Burbach, aber auch in Esch, lagen in bestimmten
Zeitabschnitten bei über zehn Prozent der Gesamteinwohnerzahl. (Tab.5) Vor allem die
Periode von 1850 bis 1875 und der Zeitraum ab 1890 waren für diese beiden Städte durch
einz.T. bis zu 17prozentiges jährliches Bevölkerungswachstum gekennzeichnet. Dagegen
1 Braudel, Fernand: Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts. Der Alltag, 2. Aufl., München
1990, S.534.
Langewiesche, Wanderungsbewegungen in der Hochindustrialisierungsperiode, S.lf.
53
erzielte das sich spät industrialisierende Diedenhofen erst ab der Jahrhundertwende spür-
bare jährliche Einwohnergewinne mit Wachstumsraten von über drei Prozent. In den
Jahren nach der deutschen Annexion erfuhr die
zuvor dominant frankophone Festungsstadt erst
einmal leichte, aber stetige Bevölkerungsein-
bußen, als es in den umliegenden Industriege-
meinden gerade kräftig boomte. Doch die
Gründerkrise bremste den Aufschwung in Esch
und Malstatt-Burbach vehement ab. Zwischen
1876 und dem Ende der 1880er Jahre gingen
die Wachstumsraten abrupt und drastisch zu-
rück. Stagnation und Einwohnerverluste wech-
selten hier ab,, während sich Diedenhofen
zumindest in der ersten Hälfte der 80er Jahre
von den Opfzons-Verlusten, den Nachwehen des
deutsch-französischen Krieges, zu erholen be-
gann. Mit der letzten Dekade des vergangenen
Jahrhunderts traten alle drei Gemeinden in eine
neuerliche Wachstumsphase ein, indem Dieden-
hofen den Anschluß an die industrielle Ent-
wicklung der Gesamtregion fand, und die
beiden anderen Industriestädte fortgesetzt be-
deutende Bevölkerungsgewinne verbuchen
konnten, dabei jedoch - außer in einigen wenigen Ausnahmejahren - von der hitzigen
Entwicklung der 50er, 60er und frühen 70er Jahre verschont blieben.3
Die graphische Darstellung der jährlichen Bevölkerungszuwachsraten erlaubt eine etwas
detailliertere Betrachtung der signifikanten Unterschiede bzw. Übereinstimmungen in
der Entwicklung der drei Untersuchungsgemeinden (Abb.3). Die Kurvenverläufe von
Esch und Malstatt-Burbach weisen starke Ähnlichkeiten auf, vor allem im Zeitabschnitt
1890 bis 1909, währenddessen die Abfolge der Wachstumsraten dem gleichen Schwin-
gungsmuster folgte. Die deutlich höhere Varianz der Escher Kennziffern täuscht ein
wenig darüber hinweg, daß auch in der frühen Periode, bis 1875, für beide Orte, wenn
auch leicht phasenverschoben, gewisse Analogien zu konstatieren sind. Beide Gemeinden
verzeichneten zu Beginn und Mitte der 1860er sowie wieder zu Beginn der 1870er Jahre
Stadt/ MB ES TH
Periode % % %
1861-1870 7,00 3,89 -0,40
1871-1875 9,98 11,90 -0,44
1876-1880 1,06 3,17 -0,54
1881-1885 2,60 2,12 2,26
1886-1890 3,62 0,29 1,93
1891-1895 5,92 3,52 0,54
1896-1900 4,87 6,00 1,88
1901-1905 3,94 1,58 2,94
1906-1909/10 4,60 6,31 3,00
MB=Malstatt-Burbach;ES=Esch/-
Alz. ;TH=Diedenhofen
Tab.5: Durchschnittlichejährliche Zu-
wachsraten der Bevölkerung in
Prozent der Gesamteinwohner-
zahl
3 Vgl. die aggregierten Zuwachsraten in Tab.5. Die exakten Jahreswerte sind der Tab.7 zu
entnehmen.
54
erhebliche Zugewinne.4 Ursächlich begründet wurde die durchgängig erhöhte Variations-
breite der Escher Wachstumsraten durch die abweichende Wirtschaftsstruktur der südlu-
xemburgischen Kommune, wo im Gegensatz zum Monopol der Burbacher Hütte bis in
die 1870er Jahre der Erzbergbau die dynamischere Eisen- und Stahlindustrie in den
Schatten stellte. Nicht zuletzt auch wegen der geringeren Einwohnerzahl besaßen einzelne
Zu- und Abzugsschübe größere Effekte auf den Bevölkerungsstand in Esch.
Anders als in der frühen
und der späten Phase mit
einer jeweils positiven
Korrelation stand die mitt-
lere Periode ganz im Zei-
chen einer gegenläufigen
Entwicklung der Zuwachs-
raten. Zwar lagen die
Durchschnittswerte für
Esch und Malstatt-Bur-
bach deutlich niedriger als
vor 1876 bzw. nach 1889,
doch korrelieren beide
Datenreihen hier eindeutig negativ. Der Schwerpunkt der Bevölkerungskrise lag in Esch
im Gegensatz zur saarländischen Gemeinde nach 1880, während diese ab 1882 die
Bevölkerungsverluste der Jahre 1877, 1878 und 1879 wieder wettzumachen begann. In
steter Regelmäßigkeit standen den Entwickiungsrückgängen in der einen Stadt leichte
Zuwächse in der anderen gegenüber. Dies kann als ein Indiz für zeitweilige innerregionale
Krisenwanderungen im Sinne von phasenverschobenen Austauschbewegungen gewertet
werden, indem einerseits während der Wirtschaftsfiaute die Zuwanderer aus mittlerer
Distanz sowie vor allem Femwanderer ausblieben und andererseits entlassene Arbeits-
kräfte innerhalb der Saar-Lor-Lux-Montanregion in den zahlreichen Schwesterwerken
des vorherigen Arbeitgebers oder in anderen Industriesektoren, unter Umständen gruppen-
weise, ihr Glück suchten.
Zuwachsraten in % Oer Einwohnerzahl
—*— Malstatt-Bb. ' ' Esch/Alz. -~ Diedenhofen
Abb.3 : Jährliche Bevölkerungswachstumsraten 1860-1909
4 Die Zuwachsrate der Stadt Esch betrug im Jahr 1871 44,84 Prozent, was eine Steigerung der
Einwohnerzahl von 3.042 auf 4.406 im Jahre 1872 bedeutete. Es handelt sich hier keineswegs
um einen Zählfehler oder eine Änderung der Zählkriterien. Ebenso ist eine Vergrößerung des
Gemeindebezirks nachweisbar nicht die Ursache dieses Niveausprungs. Das Phänomen ist
unzweifelhaft im Kontext der gleichzeitigen Ansiedlung von zwei Hüttenbetrieben, der "Brasseur-
Schmelz" und der "Metze-Schmelz", zu sehen.
55
Jahr Einwohnerzahl Wanderungsvolumen Reproduktions- volumen Wanderungs- bilanz Reproduktionsbi- lanz
MB Tes Ith MB ES Ith MB (ES TH MB ES I TH MB 1 ES Tn?
1860 3.749 2.101 263 318 153 298 245 42 114 11 4"
1861 4.139 2.107 7.818 184 324 126 302 256 0 134 6 -it
1862 4.064 2.334 841 328 118 293 -167 189 92 38 3
1863 4.399 2.404 383 392 121 322 211 29 124 41 -3t
1864 4.612 2.260 565 436 146 281 69 -158 144 14 -15
1865 4.871 2.404 535 462 158 277 131 120 128 24 -5
1866 5.295 2.414 561 477 278 311 251 154 173 -144 -43
1867 5.769 2.676 1.354 510 150 292 294 228 180 34 -12
1868 6.345 2.825 1.039 629 165 291 373 108 203 41 17
1869 6.920 2.869 890 685 165 293 424 11 151 33 -43
1870 7.333 3.042 819 778 209 245 283 122 130 51 -29
1871 7.702 4.406 7.207 1.079 574 784 224 309 425 1.350 -31* -56 14 -11
1872 8.659 4.238 1.501 173 992 306 320 689 -244 268 76 24
1873 9.615 4.468 1.945 151 905 327 342 705 157 251 73 10
1874 10.698 4.711 1.972 69 1.043 405 359 662 118 421 125 49
1875 11.780 5.069 7.168 2.771 1.220 1.239 417 379 759 233 -32" 323 125 7
1876 12.417 5.130 1.970 136 1.127 373 390 290 -84 347 145 48
1877 12.435 5.345 2.079 278 1.051 303 395 -299 64 317 151 35
1878 12.325 5.614 1.994 852 1.110 354 358 -430 149 320 120 26
1879 12.214 5.816 1.723 1.620 988 416 340 -437 92 326 110 54
1880 12.401 6.101 7.155 2.212 1.699 1.019 408 341 -76 155 -39* 263 130 1’
1881 12.518 6.213 2557 1.124 461 335 -237 -21 354 133 15
1882 13.157 6.317 1.977 1.040 515 328 313 73 326 31 20
1883 13.446 6.381 2.777 1.010 434 318 -39 -122 328 186 34
1884 13.735 6.693 2.889 1.148 446 347 -57 154 346 158 21
1885 14.095 6.772 8.111 3.039 1.131 462 359 -27 -51 (162) 387 130 57
1886 14.429 6.785 (8.245) 4.143 (2.110) 1.137 406 316 ^41 -141 (102) 375 154 32
1887 14.949 6.819 (8.413) 4.088 (2.816) 1.126 349 328 68 -111 (136) 452 145 32
1888 14.950 6.843 (8.610) 4.370 (3.470) 1.121 391 303 -446 -57 (168) 447 81 29
1889 16.419 6.865 (8.776) 3.328 (2.711) 1.153 399 303 974 -125 (131) 495 147 35
1890 16.799 6.871 8.923 4.492 (2.060) 1.346 355 331 -56 -99 (100) 436 105 49
1891 17.817 7.162 (8.968) 4.806 (2.448) 1.310 413 371 472 180 ( 8) 546 111 37
1892 18.378 7.457 (9.012) 4.785 (2.238) 1596 392 366 199 209 ( 8) 362 86 36
1893 20.415 7.841 (9.038) 3547 (2508) 1582 388 348 1.527 240 ( 8) 510 144 18
1894 21.042 8.129 (9.103) 6.093 (2.111) 1536 395 350 31 185 ( 7) 596 103 58
1895 22.350 8.339 9.167 5.293 (2.864) 1.633 507 337 747 89 ( 10) 561 121 55
1896 23.343 8.347 (9.341) 7.274 (3.053) 1.699 497 313 250 -125 (123) 743 133 51
1897 24.647 9.248 (9.554) 7.714 (2.619) 1.866 601 378 400 760 (105) 904 141 108
1898 26.183 10.449 (9.739) 9.156 (4.072) 2.038 558 357 614 1.051 (164) 922 150 21
1899 27.778 10.852 (9.859) 9.418 (3.761) 2.149 537 401 706 308 (151) 889 95 -31
1900 29.573 11.097 10.062 11.600 (4.612) 2.305 660 495 944 89 (186) 851 156 17
1901 30.611 11.243 5.298 5.629 2.168 621 446 -22 -143 1.060 289 84
1902 31.601 11.365 9.149 7.832 2.239 644 425 193 -52 797 174 119
1903 32.537 11.389 24.778 1.714 2500 677 475 -94 -199 1.030 223 75
1904 34.383 11.352 17549 4.103 2.287 661 482 859 -294 987 257 34
1905 35.868 11.985 11.948 18515 2.454 708 527 453 389 296* 1.032 244 93
1906 37.383 12.781 21.169 2.456 764 510 449 580 1.066 216 88
1907 39.111 14.942 17.444 2.478 733 565 548 1.956 1.180 205 97
1908 41.911 15.018 13.916 4.489 2.546 760 564 1.702 -148 1.098 224 70
1909 42.922 15.196 14.720 5566 2523 700 562 -78 -26 1.089 204 112
1910 14.184 524 359“ 76
* = 10-Jahres-Durchschnitt,11 * 5-Jahres-Durchschnitt, 0 = Schätzwert ____
Tab.6: Einwohnerzahl, Wanderungs- und Reprodukrionsvolumina, Wanderungs- und Reproduktiv
bilanzen
56
Jahr Malstatt-Burbach Esch/Alz. Diedenhofen
MKZ WSKZ jBWR MKZ WSKZ jBWR MKZ WSKZ jBWR
1860 70 65 20
1861 44 62 10,40 0 0,29
1862 207 -41 -1,81 81 10,77
1863 87 48 8,24 12 3,00
1864 123 15 4,84 -70 -5,99
1865 110 27 5,62 50 6,37
1866 106 47 8,70 64 0,42
1867 235 51 8,95 85 10,85
1868 164 59 9,98 38 5,57
1869 129 61 9,06 4 1,56
1870 112 39 5,97 40 6,03
1871 140 55 5,03 130 306 44,84 -4*
1872 173 80 12,43 41 -58 -3,81
1873 202 73 11,04 34 35 5,43
1874 184 62 11,26 15 25 5,44
1875 235 64 10,11 241 46 7,60 -9b
1876 159 23 5,41 27 -16 1,20
1877 167 -24 0,14 52 12 4,19
1878 162 -35 -0,88 152 27 5,03
1879 141 -36 -0.90 279 16 3,60
1880 178 -6 1,53 278 25 4,90 -5b
1881 204 -19 0,94 -3 1,84
1882 150 24 5,10 12 1,67
1883 207 -3 2,20 -19 1,01
1884 210 -4 2,15 23 4,89
1885 216 -2 2,62 -8 1,18 21b
1886 287 -3 2,37 -21 0,19 (256) (12) (1,65)
1887 273 5 3,60 -16 0,50 (335) (16) (2,04)
1888 292 -30 0,01 -8 0,35 (403) (20) (2.34)
1889 203 59 9,83 -18 0,32 (309) (15) (1,93)
1890 267 -3 2,31 -14 0,09 (231) (11) (1,70)
1891 270 26 6,06 25 4,24 (273) ( D (0,50)
1892 260 11 3,15 28 4,12 (248) ( 1) (0,49)
1893 164 75 11,08 31 5,15 (255) ( 1) (0,29)
1894 290 1 3,07 23 3,67 (232) ( 1) (0,72)
1895 237 33 6,22 11 2,58 (312) ( I) (0,71)
1896 312 11 4,44 -15 0,10 (327) (13) (1,90)
1897 313 16 5,59 82 10,79 (274) (11) (2,28)
1898 350 23 6,23 101 12,99 (418) (17) (1,94)
1899 339 25 6.09 28 3,86 (381) (15) (1,23)
1900 392 32 6,46 8 2,26 (458) (18) (2.06)
1901 173 -1 3,51 501 -13 1.32
1902 290 6 3,23 689 -5 1,09
1903 762 -3 2,96 150 -17 0,21
1904 510 25 5,67 361 -26 -0,32
1905 516 13 4,32 32 5,58 27b
1906 566 12 4,22 45 6,64
1907 446 14 4,62 131 16,91
1908 332 41 7,16 299 -10 0,51
1909 343 -2 2.41 353 -2 1.19
1910 27b
* = 10-Jahres-Durchschnitt,6 = 5-Jahres-Durchschnirt, () = Schàtzwerte
Tab.7: Mobilitàtskennziffem (MKZ), Wanderungssaldokennziffern (WSKZ) und
jàhrliche Bevòlkerungswachstumsraten (jBWR)
57
Eine Überprüfung dieser These bietet sich im Zusammenhang mit der Analyse der
Wanderungsrouten (Herkunftsorte der Zu- bzw. Zielorte der Abwanderer) an.
Für das lothringische Diedenhofen sind zwar nur die (geschätzten) Zuwachsraten weniger
Jahre (1886 bis 1900) (Tab.7) verfügbar, doch erlauben bereits diese Ziffern sowie die
vorhandenen Durchschnittswerte (Tab.5) einige vergleichende Rückschlüsse. Die
wesentlich geringere Bevölkerungsdynamik und die bis in den letzten Abschnitt des
Untersuchungszeitraums unbedeutenden Zuwachsraten sind bereits angesprochen worden
und treten graphisch dementsprechend deutlich hervor. (Abb.3) Zudem zeigt sich aber,
daß auch noch die in Esch und Malstatt-Burbach signifikante Neubelebungsphase der
Bevölkerungskonjunktur ab 1889/90 Diedenhofen völlig unberührt ließ, wo das Wachstum
gegen Null tendierte. Dies bedeutet wohl, daß die Gamisonsstadt ihr Bevölkerungs-
potential an die benachbarten, prosperierenden Industriestädte abgeben mußte, bis mit
der Gründung der Röchling'schen ''Karlshütte1' (1898) und der Niederlegung der Wälle
(1901) die Industrialisierung auch den Lebensrhythmus der Stadt Diedenhofen zu
bestimmen begann.
Wie kamen aber nun die aufgezeigten Bevölkerungszuwächse zustande? Weichen Anteil
hatten die offenbar nicht unbeträchtlichen Wanderungsbewegungen an der Steigerung
der Einwohnerzahlen? Welche Entwicklung nahm die Mobilität über die Untersuchungs-
zeitspanne hinweg? Wie veränderten sich demographische Eckwerte, wie Geburten- und
Sterbeziffern, im Kontext dieses Städte Wachstums? Und schließlich: Wie verhielten sich
die Mobilitäts-und Bevölkerungskonjunktur zur Wirtschaftskonjunktur? Gab es saisonale
Besonderheiten und wie wandelte sich die Wanderungssaison im Verlauf der verschiede-
nen Industrialisierungsphasen?
1. Wanderungsvolumen und Wanderungsbilanzen
Mit den Städten wuchs zugleich Jahr um Jahr tendenziell die Zahl der Menschen, welche
durch diese expandierenden Gemeinwesen angezogen wurden. Während das in Malstatt-
Burbach meßbare Wanderungsvolumen, d.h die Summe aller Zu- und Abwanderer, in
den 1870er Jahren bis zu 1.800 Personen pro Jahr umfaßte, zählte man in der ersten
Dekade des angebrochenen 20. Jahrhunderts jährlich kaum weniger als durchschnittlich
15.000 Personen.5 Die Abwanderung betrug hier zwischen 18696 und 1909 im Mittel
5 Vgl. Tab.6. Das Wanderungsvolumen für Malstatt-Burbach wurde rechnerisch folgendermaßen
ermittelt: Einwohnerzahl + Geburten - Sterbefälle + Zuwanderer - Einwohner des Folgejahres.
Die Summen der Eintragungen in die Abmelderegister weichen aufgrund der bereis erwähnten
zeitgenössischen Erfassungsfehler teils erheblich von den errechneten Werten ab und sind m.E-
unbrauchbar. Die Werte für Diedenhofen sind reine Schätzwerte, da hier die Bevölkerungszahlen
nicht lückenlos dokumentiert sind; es handelt sich dabei zwar um recht zuverlässige Durch-
schnittswerte, sie können jedoch nicht die Varianz des Wanderungsvolumens widerspiegeln. Die
58
88,21 Prozent der gesamten Jahreszuwanderung. Allerdings erscheint es angebracht, auch
hinsichtlich des Zu-/Abwandererverhältnisses wieder drei Zeitabschnitte zu unterscheiden:
eine erste Phase bis einschließlich 1875 mit jeweils ungefähr doppelt so viel Zu- wie
Abwanderem, die Phase 1876 bis 1889 mit stets etwa acht Prozent mehr Ab- als
Zuzüglern und die abschließende Phase ab 1890 mit konstant zirka zehnprozentigen Zu-
wanderungsüberschüssen.
Aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die Mobilitätskennnziffem der einzelnen
Untersuchungsjahre, die das Verhältnis zwischen Einwohnerzahl und Wanderungsvolumen
ausdrücken (Tab.7).7 Die durchschnittliche jährliche Mobilitätskennziffer des saarländi-
schen Industriestandortes liegt für die lange Zeitspanne von 1869 bis 1909 bei 272, d.h.
daß sich der Wanderungsstrom über 40 Jahre hinweg im Mittel jährlich in der Größen-
ordnung zwischen einem Viertel und einem Drittel der Gesamtbevölkerung bewegte. Der
Spitzenwert findet sich mit 762 Promille im Jahre 1903; d.h. die Zahl der mobilen
Personen in Malstatt-Burbach während des Jahres 1903 entsprach mehr als drei Viertel
der am Jahresende dort ansässigen Bevölkerung. Die beiden niedrigsten Werte mit 112
bzw. 140 entstammen den Kriegsjahren 1870 bzw. 1871. Die Mobilität in den Mittel-
städten des deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraumes war damit hinsichtlich
ihres relativen Umfangs vergleichbar den Bevölkerungsbewegungen in den
reichsdeutschen Großstädten. Denn auch dort durchzog jedes Jahr "ein Wanderungsstrom
die Städte, der im Durchschnitt ca. ein Viertel bis über ein Drittel aller Einwohner von
Großstädten ausmachte."8 Die mittlere Mobilitätskennziffer für die Gesamtheit aller
Escher Daten sind amtlichen Publikationen entnommen und entbehren, wie schon ein Vergleich
mit den Werten der (sehr exakt zu ermittelnden) Wanderungsbilanz zeigt, z.T. mit Sicherheit einer
realen Grundlage. Die Angaben für die Jahre nach 1900 dürften etwas zuverlässiger sein.
Allgemein ist zu beachten: "Bei allen Untersuchungen, bei denen irgendwelche Aussagen unter
Zugrundelegung der Gesamtmasse der Wanderungen (Wanderungsvolumen) gemacht werden,
spielt der Fehler nur eine geringe Rolle, (...) weil er sich stets in einer Richtung (Verminderung
des tatsächlichen Wanderungsumschlags) auswirkt." Vgl. Heberle, Rudolf/ Meyer, Fritz: Die
Großstädte im Strome der Binnenwanderung. Wirtschafts- und bevölkerungswissenschaftliche
Untersuchungen über Wanderung und Mobilität in deutschen Städten, Leipzig 1937, S.82f.
6 Die Zu- und Abwanderungszahlen vor 1869 sind für weitergehende Berechnungen m.E. nicht
zuverlässig genug und sollten im Sinne von Tendenzwerten interpretiert werden,
7 Die Mobüitätskennziffer (MKZ) ergibt sich rechnerisch aus:
Wcmdenaigrrohamn ^
Einwohnerzahl
und bezeichnet den Promille-Anteil der Jahresgesamtzuwandenmg an der Gesamteinwohnerzahl.
Bezüglich der Zuverlässigkeit der MKZ gilt das gleiche wie für das Wanderungsvolumen, da
diese hieraus errechnet wird. Zur Kritik der MKZ vgl. Bleek, Mobüität, S.15. Auf das von Bleek
angesprochene Problem der Fluktuation wird im Abschnitt über die Aufenthaltsdauer (Kapitel
E) genauer eingegangen.
8 Vgl. Langewiesche, Wanderungsbewegungen, S.6f.
59
deutschen Großstädte in den Jahren 1886 bis 1900 beträgt 291, für die dynamischsten
unter ihnen, mit einer Einwohnerzahl zwischen 50.000 und 100.000, ergibt sich eine
Mobilitätskennziffer von 346.9 Die Vergleichswerte für die zu diesem Zeitpunkt weit
von großstädtischen Dimensionen entfernten Kommunen Malstatt-Burbach und
Diedenhofen liegen bei 283 bzw. 314. Verlagern wir unseren Vergleichszeitraum auf
die Jahre 1901 bis 1904, erreichen Malstatt-Burbach (MKZ: 434) als auch das luxembur-
gische Esch (MKZ: 425) deutlich höhere Mobilitätswerte als die deutschen Metropolen.10
Malstatt-Burbach, das sich nach 1900 bevölkerungsmäßig rapide dem Großstadtniveau
von 50.000 Einwohnern näherte, gehörte damit hinsichtlich seines Mobilitätsaufkommens
zur nationalen Spitzengruppe. Unter den 30 von Fritz Meyer untersuchten Großstädten
hätte der heutige Saarbrücker Stadtteil Platz drei der deutschen Rangliste belegt, fünf
Promillepunkte hinter Duisburg, welches auf das erstplazierte Wiesbaden folgte, noch
vor Frankfurt, Dortmund, Bochum und Essen.11
Bereits Rudolf Heberle und Fritz Meyer wie auch Dieter Langewiesche haben nach-
gewiesen, daß eine hohe Mobilität keineswegs zwangsläufig einen hohen Wanderungs-
gewinn bedingen muß, sondern daß zumindest hinsichtlich ihres quantitativen Umfangs
"kein Zusammenhang zwischen Mobilität und Wanderungseffekt besteht"12. Die eben
genannten hervorstechenden mittleren Mobilitätskennziffem der Jahre 1901 bis 1904
erzielten Esch und Malstatt-Burbach beispielsweise in einer Phase ausgesprochener
Wanderungsverluste. Die Stadt Esch verlor währenddessen mehr Menschen durch Abzug
als ihr durch Zuwanderung zugute kamen, und zwar in einer Größenordnung von jährlich
im Schnitt 15 Promille im Verhältnis zur Gesamteinwohnerzahl, d.h. sie büßte in diesem
vierjährigen Zeitraum insgesamt sechs Prozent ihrer mittleren Bevölkerung ein.13
9 Vgl. ebda., S.7.
10 Nur für diesen Zeitraum liegen relativ zuverlässige Daten bezüglich des die Stadt Esch
berührenden Wanderungsvolumens vor (Tab.7). Die Mobüitätskennziffer für alle Großstadtkate-
gorien im Deutschen Reich beträgt hier 304, für die Großstädte mit bis zu 100.000 Einwohnern
322; vgl. ebda.
11 Vgl. Heberle/ Meyer, Großstädte, S.131. Allerdings bezieht sich der Durchschnittswert der
Mobüitätskennziffembei Fritz Meyer auf die Jahre 1900 bis 1912, während für Malstatt-Burbach
nur die Angaben für die Jahre 1900 bis 1909 verfügbar sind, welche im Zehn-Jahres-Durchschnitt
die Mobüitätskennziffer 433 ergeben.
12 Ebda., S.91. Vgl. zudem: Langewiesche, Wanderungsbewegungen, S.12f. Langewiesche
verweist darauf, daß die Höhe der Wanderungsgewinne zwar nicht vom Wanderungsvolumen,
wohl aber von der Richtung der Mobüitätskurve abhängt.
13 Vgl. Tab.7 und Abb.4. Die Wanderungssaldokennziffer wird analog der Mobüitätskennziffer
berechnet, indem das W anderungssal do mi11000 multipliziert und durch die Gesamte inwohnerzahl
dividiert wird. Als Ergebnis erhält man eine Verhältniszahl, welche in Promille ausgedrückt den
Mobüitätsüberschuß in Beziehung zum Bevölkerungsbestand setzt.
60
Ergänzend sei angeführt, daß Maistatt-Burbach Ende des Jahres 1898 bei einem
Wanderungsaufkommen von 350 Personen pro 1000 Einwohner auf einen Wanderungs-
überschuß von 23 Promille bzw. 2,3 Prozent seiner Bevölkerungszahl blicken konnte,
während sich die Stadt
Esch bei einer vergleich-
baren Mobilitätskennziffer
von 361 im Jahre 1904 mit
einem Wanderungsdefizit
von 2,6 Prozent (WSKZ:
26) abfinden mußte.
(Tab.7)
Insgesamt erlangten diese
beiden Gemeinden wäh-
rend der gesamten Unter-
suchungsperiode (1860-
1909) im Schnitt ansehnli-
che 18 Promille Migra-
tionsgewinn jährlich auf
saarländischer bzw. 21 Promille auf luxemburgischer Seite.14 Malstatt-Burbach konnte
auch hier mit einem Zuzugsüberschuß von 14 Neubürgem auf 1000 Ortsansässige (1900-
1909) den Standard deutscher Großstädte halten und rangierte u.a. vor Altona (+13), Köln
(+12), Essen (+11) und Duisburg (+10).13
Die Bedeutung der Migrationsbewegungen für die Gesamtbevölkerungsentwicklung der
Städte erhellt die Tatsache, daß sich exakt die Auf- und Abschwungphasen, welche bei
der exemplarischen Betrachtung der jährlichen Zuwachsraten von Malstatt-Burbach und
Esch lokalisiert werden konnten (Abb.3), bei den fortgeschriebenen Wandcrungssal-
dokennziffem (WSKZ) wiederfinden. Dies betrifft sowohl die Abfolge als auch die Höhe
der Ausschläge der WSKZ-Kurve. (Abb.4) Die erheblichen Bevölkerungszuwächse der
ersten Periode (1860-1875) wurden demnach offensichtlich von den durchweg hohen
Abb. 4 : Wanderungssaldo-und Mobüitätskennziffem für Mal-
statt-Burbach 1860-1909
14 Da es sich bei der ermittelten jährlichen Gesamteinwohnerzahl sowie den standesamtlich beleg-
ten Geburten- und Sterbeziffern um recht präzise Zahlenangaben handelt, können die Wande-
rungsbilanz und die davon abgeleitete Wanderungssaldokennziffer ebenfalls - und zwar über
die gesamte Untersuchungsperiode - Anspruch auf Zuverlässigkeit erheben, weil sich die Wande-
rungsbilanz errechnen läßt aus der absoluten Bevölkerungsbüanz abzüglich der natürlichen
Bevölkerungsbilanz, welche hier als Reproduktionsbilanz bezeichnet wird. (Tab.6) Eine gewisse
(vernachlässigbare) Fehlerquote ergibt sich aus dem Anteil in den zeitgenössischen Dokumenten
aus erklärlichen Gründen nur unzulänglich dokumentierter, verelendeter vagabundierender
Bevölkerungsteüe.
u Vgl. Heberle/ Meyer, Großstädte, S.119.
61
Wanderungsüberschüssen getragen, die in dieser Höhe in den folgenden Jahren nur noch
ausgesprochen selten zustande kamen. In keiner der späteren Perioden wurden bei solch
niedrigem Wanderungsvolumen so hohe Wanderungsgewinne im Verhältnis zur ansässi-
gen Bevölkerung erzielt. Demgemäß stand die Krisenphase (1876-1889) ganz im Zeichen
von negativen Wanderungssalden, die eine Stagnation der Einwohnerentwicklung
verursachten und teilweise zu negativen Wachstumsraten führten. Ab 1890 stützten die
im Vergleich zum ersten Teilabschnitt zwar abgeschwächten, jedoch bis auf das bekannte
Zwischentief (1901-1903) konstanten Zuzugsgewinne erneut die weitere jährliche
Bevölkerungszunahme.16
Auffälligerweise kehrte sich in Malstatt-Burbach das Verhältnis von Mobilitätsintensität
und Wanderungsbilanz innerhalb der Krisenperiode ab 1881 schlagartig um, und erst
ab 1896 stellte sich der vorherige Zusammenhang wieder ein. (Abb.4) Während zwischen
186917 und 1880 sowie 1896 und 1909 ein Anstieg der Mobilitätskennziffer in der Regel
von einem, wie auch immer gearteten, Anstieg des Wanderungssaldos begleitet war und
analog dazu eine rückläufige Mobilitätskennziffer auch ein im Vergleich zum Vorjahr
niedrigeres Wanderungssaldo nach sich zog, bedeutete zwischen 1881 und 1895 jede
Mobilitätssteigerung zugleich einen Rückgang des Wanderungssaldos bzw. jeder
Mobilitätsrückgang eine zeitgleiche Erholung der Wanderungsbilanz. Dabei hatte eine
plötzlich gestiegene Mobilität offensichtlich ihre Ursache in einer plötzlichen Abwande-
rungswelle, eine plötzlich sinkende Mobilitätskennziffer fußte auf dem Ausbleiben starker
Emigration.
Dieser Befund mag zwar die These von Dieter Langewiesche bestätigen, nach der sich
Zustrom und Abstrom in aller Regel mit gleicher Tendenz, steigend oder fallend, aber
nicht gleich stark entwickelten. Die Aussage: "Die Zuwanderung reagierte flexibler auf
Konjunkturschwankungen als die Abwanderung; deshalb stieg der Zustrom in Auf-
schwungjahren schneller und fiel in Stockungsphasen rascher, so daß die Wanderungs-
gewinne in Depressionszeiten geringer waren als in Phasen des Aufschwungs"18, kann
ihrem Anspruch auf Allgemeingültigkeit allerdings nicht gerecht werden. Denn für die
saarländische Industriestadt deutet alles darauf hin, daß in diesem fest begrenzten Zeit-
raum (1880-1896) gerade die Abwanderung den erheblich flexibleren Teil des Wande-
rungsvolumens ausmachte. Zwar kam zwischen 1875 und 1879 erst einmal die
Zuwanderung ins Stocken. Während die Immigrationszahlen aber im weiteren Verlauf
16 Wie der Vergleich der Wanderungssaldokennziffern in Tab.7 erkennen läßt, gelten diese
Feststellungen für Esch ebenso wie für Malstatt-Burbach.
17 Vgl. die Hinweise zur Qualität der Angaben über das Wanderungsvolumen vor 1869 und zur
Mobilitätskennziffer in Anm.öf.
13 Langewiesche, Wanderungsbewegungen, S.12.
62
der Bevölkerungskrise nach 1879 wieder relativ kontinuierlich anzusteigen begannen,
bildete in erster Linie die immer präsente Auswanderungschance das sich der
ökonomischen Krisenkonjunktur schnell anpassende Korrektiv. (Abb. 5)
Eine entsprechende Gegenüber-
stellung veranschaulicht die
deutlich stärkere Korrelation
zwischen Abwanderungs- und
allgemeiner Mobilitätskonjunktur
(Abb. 6, oben) als zwischen Zu-
wanderungs- und allgemeiner
Mobilitätskonjunktur (Abb. 6,
Mitte). Folgt die Kurve der
Emigrationsziffern zwischen
1860 und 1875 den Mobilitäts-
kennziffem noch sehr schema-
tisch, ist ab dem Jahr 1876 die Abwanderungszeitreihe über weite Strecken ziemlich
deckungsgleich mit derjenigen der Gesamtmobilität. Die Amplitude der Immigrationskon-
junktur gibt sich bis nach der Jahrhundertwende erheblich träger; es bleibt im großen
und ganzen bei tendenziellen Annäherungen an die Konjunktur der Gesamtmobilität.
Freilich scheint sich der Trend der Gesamtwanderung etwas enger an den Immigrations-
ais an den Emigrationstrend angelehnt zu haben (Abb. 6, unten). Die Amplitudenmodu-
lation der Emigrationsreihe ist ausgeprägter, die Abfolge von Auf- und Abschwüngen
ist bis in die Mitte der 90er Jahre kürzer, und zwar erfolgt sie mit ungefähr der doppelten
Frequenz der beiden anderen Reihen. Die Zuwanderungsreihe zeigt dagegen nur durch
eine Phasenverschiebung im Verlauf der 80er Jahre eine größere Differenz zur Gesamt-
mobilität.19
Abb. 5 : Die Zu- und Abwanderung nach Malstatt-Bur -
bach 1867-1900
19 Die hier besprochenen Zeitreihen wurden mittels eines zu Beginn der 1980er Jahre von
Wmfned Stier (St.Gallen) entwickelten Verfahrens bearbeitet, welches eine völlige Trend-, Kon-
junktur- oder Saison-Eliminierunggemäß dem ökonometrischen Komponentenmodell ermöglicht
sowie anschließend die absolut maßstabsgetreue Projektion der bereinigten Zeitreihe in den
Ursprungsmaßstab und damit in die Originaldatenreihe erlaubt. Vgl. den entsprechenden Abschnitt
Zeitreihenanalyse im Anhang C. Als Konjunktur wurden seitens des Vf. Schwingungen von weni-
ger als 12 Jahren (von der Talsohle bis zum folgenden Amplituden-Scheitelpunkt) innerhalb der
50 Datenpunkte umfassenden Zeitreihe definiert. Die Trendreihen beinhalten alle Schwingungen
von mehr als 12 Jahren. Dies güt auch für alle weiteren Trend- und Konjunkturdarstellungen.
63
Abb. 6 : Trend und Konjunktur der Mobilitätskennziffem (MKZ), der Zuwanderer- sowie
Abwandererzahlen von Malstatt-Burbach im Vergleich
64
Auf eine Kurzformel gebracht, bildete demgemäß - und im eindeutigen Widerspruch
zu den Thesen Langewiesches - die Zuwanderung die Trendkomponente, die Ab-
wanderung jedoch die Konjunkturkomponente des Wanderungsumschtags in dem schnell
vom Dorf zur starken Mittelstadt expandierenden Malstatt-Burbach.
Auch der die Kommune hart treffende Konjunktureinbruch vermochte anscheinend die
Erwartung der Zuwanderer auf verbesserte Subsistenzmöglichkeiten in dem städtischen
Gemeinwesen prinzipiell nicht zu mindern, bis aus dem eigenen Erleben der Krisenrealität
sehr häufig der Entschluß zum erneuten Wegzug gefaßt wurde. Je schwieriger die
städtischen Lebensumstände wurden, umso größer wurde die Emigrationsbereitschaft.
Der Wille anderer, in der Stadt ihr persönliches Glück zu versuchen, wurde davon
offenbar jedoch nicht berührt.
Dabei ist bemerkenswert, daß sich dieses Regelsystem erst exakt fünf Jahre nach Beginn
der aus heutiger Sicht feststellbaren Bevölkerungskrise einstellte und sich die Bevölkerung
diesem Regelsystem darüber hinaus genau fünf Jahre nach deren Ende wieder entzog.
(Abb. 4) Erst nach mehrjähriger Krisenerfahrung gewann man, wie es scheint, seitens
der besonders mobilen Bevölkerungsteile die Einsicht, daß jede auch nur halbwegs
günstige Gelegenheit beim Schopfe gepackt werden müsse. Falls sich in der Stadt, in
der man gerade verweilte, abzeichnete, daß sich die ökonomischen Rahmenbedingungen
nicht allzu ungünstig gestalteten, hieß es auf jeden Fall vorläufig einmal zu verweilen.
Andererseits veranlaßte jede spürbare Verschlechterung der Umstände offensichtlich zu
spontanen Abzugsbewegungen, um ja nicht an dem Industriestandort oder in der Stadt
der letzte zu sein, wo sich vielleicht eine neuerliche Chance bot. Diese These läßt sich
mit der eingangs formulierten Annahme zeitweiliger innerregionaler Austauschwanderun-
gen während der wirtschaftlichen Baisse vereinbaren. Entsprechend der zeitversetzten
Etablierung dieses Handlungsmusters verlor sich ebenfalls sozusagen mit fünfjähriger
Verspätung die in gewisser Weise als instinktiv zu bezeichnende Ängstlichkeit im
Wanderungsverhalten, und man fand zu gesteigerter Risikobereitschaft zurück, unter der
Prämisse, daß, wenn sich die Subsistenzbedingungen beispielsweise in Malstatt-Burbach
schon vielversprechend anließen, doch auch andernorts ein gutes, vielleicht besseres,
Auskommen zu erwarten sein dürfte.
65
2.
Mobilität und natürliche Bevölkerungsbewegung
Gegenüber diesen Phänomenen gestaltete sich die natürliche Einwohnerentwicklung
wesentlich gleichförmiger als das Wanderungsaufkommen. Sie bildete die stabile Kom-
ponente in der Bevölkerungsgeschichte der drei Untersuchungsgemeinden. Wie nicht
anders zu erwarten, wuchs das Reproduktionsvolumen, d.h. die Summe der jährlichen
Geburten und Sterbefälle, entsprechend der Einwohnerzahl der Kommunen stetig an.
Allein Diedenhofen nahm dabei wieder eine Sonderstellung ein. (Tab.6) Die Reproduk-
tionsbilanzen20 von Esch und Malstatt-Burbach im Übergang von der agrarischen zur
industriellen Bevölkerungsweise zwischen 1860 und 1909 waren durchweg positiv sowie
im Trend linear steigend, aufgrund der Korrelation mit dem Bevölkerungszuwachs sowie
eher gleichbleibenden Geburtenziffern bei relativ schnell sinkenden Sterbeziffern.21 Die
im Jahre 1866 negative Bilanz der Stadt Esch ist auf eine Cholera-Epidemie zurückzu-
führen, der einmalige Minuswert für Malstatt-Burbach (1871) dürfte kriegsbedingt sein.
(Tab.6) Mit dem über die Jahre zunehmenden Mobilitätsaufkommen verlor die natürliche
Bevölkerungsbewegung an Gewicht im Verhältnis zur Einwohnerzahl. Denn während
die Mobilitätskennziffem regelrecht anschwollen, gingen die Reproduktionskennziffem
bis zum ersten Weltkrieg ständig weiter zurück.22 Die durchschnittlichen Jahres-Repro-
duktionskennziffem in der Anfangs-, Krisen- und Endphase der Untersuchung für
Malstatt-Burbach lauten 95, 81 und 72, diejenigen für Esch 68, 66 und 55. Dies läßt
erkennen, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem prozentualen Zuwachs
20 Die Reproduktionsbüanz ist die Anzahl der Geburten abzüglich der Anzahl der Sterbefälle
innerhalb eines Kalenderjahres.
21 Vgl. Anhang D. Die Geburten- bzw. Sterbeziffern bezeichnen den prozentuellen Anteil von
Geburten bzw. Sterbefällen an der Einwohnerzahl.
Malstatt- Burbach Esch/Alz. Dieden- hofen
GZ StZ GZ StZ GZ StZ
1860-75 5,85 3,28 3,73 2,94 2,0 2,5
1876-89 5,53 2,90 4,49 2,30 2,2 1,8
1890-09 5,06 2,16 3,57 1,97 2,2 1,75
GZ = Geburtenziffer, StZ = Sterbeziffer.
Zum Übergangsphänomen von der agrarischen zur industriellen Bevölkerungsweise vgl. den
zusammenfassenden Abschnitt bei Bade, Bevölkerung, S.73f.
22 Die Reproduktionskennziffer errechnet sich wie die Mobüitätskennziffer, doch wird hier das
Wanderungsvolumen durch das Reproduktionsvolumen ersetzt. Sie drückt in Promille das
Verhältnis der Sterbefälle und Geburten zur Gesamteinwohnerzahl aus.
66
der Zu- auch die Abwanderung im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung der Städte
systematisch anstieg. D.h. der Anteil mobiler Bevölkerungsteile vergrößerte sich im Ver-
hältnis zu den sich auf Dauer ansiedelnden und bereits seßhaften Bürgern. Bei der Be-
trachtung von Gesamteinwohnerzahlen muß also berücksichtigt werden, daß es sich
hierbei nicht um einen fixen Personenbestand handelte, sondern daß in einem sich ständig
verändernden Stadtkörper stets ein sehr hoher Anteil fluktuierender Menschen verweilte,
welche nur kurzfristig ihren Wohnsitz innerhalb des Gemeindebezirks genommen hatten.
Die Gegenüberstellung von Wandemngs- und Reproduktionsbilanzen (Geburtenüber-
schuß) mit ihrem jeweiligen Beitrag zur absoluten Bevölkerungsbilanz belegt sowohl
den ursächlichen Zusam-
menhang zwischen der
allgemeinen Mobilität und
kurzfristigen Schwan-
kungen in der Bevölke-
iungskonjunktur, als auch
den Stellenwert der na-
türlichen Bevölkerungs-
gewinne für einen langfri-
stigen Wachstumstrend in
den Stadtgesellschaften.
(Abb.7) Auffallend ist
zudem, um wieviel stärker
sich Migrationen im klei-
neren Esch auf die Ent-
wicklung auswirkten, wo
die stabilisierende Wirkung
der natürlichen Reproduk-
tion, mangels Masse, nicht
in mit Malstatt-Burbach
vergleichbarem Maße zum
Tragen kommen konnte.
Der Diedenhofener Befund
unterscheidet sich z.T.
grundlegend von den vor-
gelegten Ergebnissen be-
züglich Esch und Mal-
statt-Burbach. Die nord-
lothringische Gamisonsstadt blieb aufgrund ihres Festungscharakters deutlich hinter der
Personen
Esch/Alz.
Malstal t-Bürbach
Reproduktlonsbllanz I 1 Wanderungsbllanz
Bevöikerungsbllanz
Abb.7 : Reproduktions-, Wanderungs- und Bevölkerungs-
bilanz von Esch/Alz. und Malstatt-Burbach 1860-
1909
67
Entwicklung der beiden Vergleichsstädte zurück. Vom Beginn des Untersuchungszeit-
raums bis einschließlich 1871 wies Diedenhofen nahezu jedes Jahr eine negative
Reproduktionsbilanz und damit einen Sterblichkeitsüberschuß auf. Die Wanderungsbilanz
bewegte sich im Mittel sogar bis mindestens 1880 im Minusbereich. (Tab.6) Das
Verhältnis zwischen natürlicher Bevölkerungsbewegung und Wanderungsaufkommen
war Umwälzungen unterworfen, welche Esch und Malstatt-Burbach nach 1860 jedenfalls
nicht mehr erlebten. Charakteristisch hierfür sind die Reproduktionskennziffem 44 (1860-
1875), 74 (1876-1889) und 26 (1890-1909). Vor 1876 starben im Jahresdurchschnitt
14 Menschen mehr, als geboren wurden. Und etwa 30 Menschen mehr verließen die Stadt
als sich in ihr ansiedelten. In der mittleren Periode setzte sich der Abwanderungstrend
fort, während die Sterblichkeit nun doch deutlich zurückging.23 Der natürliche Bevölke-
rungszuwachs, frühestens ab 1881 gestützt von leichten Wanderungsüberschüssen, verhalf
der Stadt zu steigenden Einwohnerzahlen. Erst ab den 1890er Jahren wurden die rapide
zunehmenden Wanderungsbewegungen zum Motor der weiteren Entwicklung. Wie in
der luxemburgischen und der saarländischen Gemeinde wandelte die traditionelle Stadtge-
sellschaft, wenn auch sehr spät, ihr Gesicht, hin zu einer Einwohnerschaft mit um-
fangreichen mobilen Bevölkerungsteilen. Die starke Mobilität hatte in Diedenhofen zu
diesem Zeitpunkt ihre Entsprechung in besonders ertragreichen Wanderungsüberschüssen.
Die durchschnittliche Wanderungssaldokennziffer 27 für die Jahre 1901 bis 1910 lag
beinahe doppelt so hoch wie die von Malstatt-Burbach bzw. Esch (beide WSKZ 14).
Zudem machte der Wanderungsgewinn stadtintem das Zweifache des Geburtenüber-
schusses aus.
3. Mobilitäts- und Wirtschaftsentwicklung
Die allgemeine Bevölkerungsentwicklung stand nach dem bislang Gesagten offenbar in
vielfacher Hinsicht in einem sehr engen Zusammenhang mit den zahlreichen Verände-
rungen im ökonomischen Gefüge der drei Untersuchungsstädte sowie konjunkturellen
Schwankungen in der regionalen Wirtschaft. "Die Stockungen und Aufschwünge der
städtischen Wanderungsbewegungen folgten den Konjunkturzyklen (...) Der größere und
vielfältigere Arbeitsmarkt in Großstädten bot leichter als in kleineren Orten die Möglich-
keit, Arbeitsstellen innerhalb des Wohnorts zu wechseln oder den Verlust des Ar-
beitsplatzes am Ort zu kompensieren, ohne zur Abwanderung gezwungen zu sein."24
23 Vgl. Anm.21.
24 Langewiesche, Wanderungsbewegungen, S.9f. Vgl. auch Heberle/ Meyer, Großstädte, S.94ff.
Dieter Langewiesche übersieht in seiner Konzentration auf Großstädte, daß sich gerade in kleine-
ren Städten wie Malstatt-Burbach in Kriesenzeiten mangels der genannten Kompensations-
möglichkeit u.U. gerade die Abwanderung als die dynamischere Komponente des Wanderungsum-
68
Produktion (In 1.000 t)
Personen
-50
1860
1870
1880 1890
Konjunktur
1900
600
400
.200
Demgemäß dürfte sich die wirtschaftliche Entwicklung bereits einer einzigen Führungs-
branche gerade in Gemeinwesen der Größenordnung von Diedenhofen, Esch und Mal-
statt-Burbach als bevölkerungsgeschichtlich besonders prägend erwiesen haben.
Schon die Lektüre der Wanderungsbilanzen (Tab.6) zeigt den Konnex zwischen denjeni-
gen Jahren, in welchen herausragende Wanderungsgewinne zustande kamen, und wirt-
schaftshistorischen Schlüsselereignissen. In Esch fielen die Migrationsüberschüsse des
Jahres 1871 mit der
Gründung der beiden
Escher Hüttenwerke zu-
sammen. Die Zuwande-
rungen der Jahre 1892 bis
1894 sowie 1897 bis 1899
standen im Zeichen des
Zuflusses ausländischen
Kapitals und erheblicher
Werkserweiterungen nach
dem Kauf der "Rote-
Erde-Hütte" ("Brasseur-
Schmelz”) durch den
Aachener Hütten -Actien -
verein. Die Überschüsse
der Jahre 1905 bis 1908
- -200
1909
-400
Walzproduktion
Belegschaft
Abb.8 : Die konjunkturelle Entwicklung der Walzwerk-
produktion und der Belegschaft der Burbacher Hütte
im Vergleich
sind im Kontext der Bildung einer Interessengemeinschaft (1904) und wenig später einer
Fusion (1907) des Aachener Hütten-Actienvereins mit der Gelsenkirchener Bergwerks
AG und dem Schalker Gruben- und Hüttenverein zu sehen. Die Gesellschaft mit Sitz
in Gelsenkirchen war zu diesem Zeitpunkt - nach Krupp in Essen - der zweitgrößte
Kohle- und Stahlproduzent in Deutschland. Die hohen Zuwanderungsraten in Malstatt-
Burbach in der ersten Hälfte der 1870er Jahre, zu Beginn der 90er Jahre, um die Jahr-
hundertwende sowie ab 1904 entstanden jeweils in Phasen umfangreicher Erweiterungen
der Burbacher Hütte. Die späten Diedenhofener Zuwächse wurden durch die Gründung
des Röchlingschen Hüttenwerks (1898) und die Niederlegung der Wälle (1901) ermög-
licht.
Doch folgte die Mobilitätsentwicklung tatsächlich den Wirtschaftszyklen in dem von
Langewiesche unterstellten Maße?
Die Aufschwünge und Stockungen der Walzwerkproduktionskonjunktur der Burbacher
Hütte lassen sich jedenfalls unbestritten in der kurz- bis mittelfristigen Entwicklung der
Schlags erweisen konnte.
69
Belegschaftsziffem detailliert ablesen.25 (Abb.8) Die Zahl der beschäftigten Arbeiter
variierte sowohl im Zusammenhang mit sanfteren als auch mit heftigeren Auf- oder
Abschwüngen im Walzwerkausstoß. Die maximale konjunkturelle, trendfreie Variations-
spanne betrug dabei bis zu 800 Arbeitskräfte innerhalb von vier Jahren (1898-1901).
Dies besagt, daß sich ohne den effektiven positiven Wachstumstrend, aufgrund einer
kurzfristigen Produktionskrise, der im Jahre 1898 präsente Arbeiterstamm der Burbacher
Hütte im Verhältnis zur personellen Ausstattung des Werks 1901 real um nahezu 800
Arbeiter reduziert hat. Die korrespondierende trendfreie Produktionsreduktion betrug von
1899 auf 1901 ungefähr 70.000 Tonnen. Der historische Konjunktureinbruch, der in einen
anhaltend positiven Wachstumstrend eingebettet war, verursachte allerdings nur den
Rückgang der Belegschaft von 3.395 auf 3.301 - also um 94 - Arbeiter, bei einer 1901
im Verhältnis zu 1899 um 43.221 Tonnen verminderten Walzwerkproduktion, was
immerhin der Gesamtproduktion des Jahres 1875 entsprach. Die Trendkomponente
bewirkte demnach eine Abmilderung der Konjunkturflaute, indem statt 23,6 Prozent nur
2,8 Prozent Belegschaftsverluste zustande kamen. Eindringlich zeigt dieses Beispiel, wie
spontan und vollständig das Zusammenspiel zwischen Belegschafts- und Produktionsent-
wicklung innerhalb relativ kurzer Zeiträume funktionierte. Dies ist ebenso für Ab- wie
für Aufschwungphasen - etwa unmittelbar nach der Jahrhundertwende - festzuhalten.
Rationalisierungsmaßnahmen, technische Neuerungen oder sonstige Ereignisse zeitigten
also kein in kürzeren bis mittleren Zeitspannen feststellbares Auseinanderdriften der Pro-
duktions- und Belegschaftszeitreihen des Industriebetriebs.
Nun ist anzunehmen, daß die Beschäftigungsverhältnisse im vor Ort wirtschaftlich do-
minierenden Industrieunternehmen nicht zuletzt gemäß dem Sombartschen Gesetz vom
doppelten Stellenwert maßgeblich auf die Mobilität innerhalb Malstatt-Burbachs
zurückwirkten. Da die Belegschaftskonjunktur mit der Produktionskonjunktur des Walz-
werks der Burbacher Hütte aufs engste korrelierte, dürften - ganz im Sinne Langewie-
sches - auch Mobilität und Wirtschaftsentwicklung nicht allzu stark differiert haben.
25 Als Quellen zur Ermittlung der Walzwerkproduktion und der Belegschaftszahlen der Burbacher
Hütte dienten: Born, Wilhelm: Die wirtschaftliche Entwicklung der Saar-Großeisenindustrie seit
der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1919; Die Burbacher Hütte 1856-1906. Denkschrift zur
Feier des 50jährigen Bestehens der Hütte am 22. Juni 1906, Saarlouis 1906; Jahresberichte der
Handelskammer zu Saarbrücken, Jg.l867ff.; Müller, Hermann: Die Übererzeugung im Saarländer
Hüttengewerbe von 1856 bis 1913, Jena 1935. Die Produktionszahlen des Walzwerks der
Burbacher Hütte sollen als Indikator für die Wirtschaftsentwicklung Malstatt-Burbachs dienen,
da dieser Produktionszweig hüttentechnischen Innovationen nicht so stark wie die Roheisen-
oder Stahlerzeugung unterworfen war. Die eisenschaffenden Betriebe der Hütte waren außerdem
krisenanfälliger, weniger kompensationsfähig, die Produktion wurde z.T. auf Schwesterwerke
verlagert, so daß sich die dominante örtliche industrielle Wirtschaftsentwicklung im weiterver-
arbeitenden Walzbetrieb am ehesten in charakteristischer Weise niedergeschlagen haben dürfte.
70
Die Trendreihen von Walzproduktion und Mobilitätskennziffern sind sich tendenziell
sehr ähnlich. (Abb.9, oben) Beide Reihen werden gekennzeichnet durch einen sanften
Aufschwung bis um das Jahr 1870, die bekannte Stagnationsperiode Mitte der 1870er
Jahre, einen kräftigeren Zuwachs in den 80er Jahren und einen deutlich beschleunigten
Aufschwung ab spätestens Mitte der 90er Jahre. Die Mobilitätswerte ergeben ein ausge-
prägteres Schwingungsmuster. Die Stagnationsperiode ab 1875/76 wirkte hier länger nach,
der Aufschwung Ende der 80er Jahre erfolgte intensiver, wurde aber offensichtlich im
Zuge der beiden Krisen 1892/93 und 1901/02 kurzfristig in einen negativen Trend umge-
kehrt, um sich danach in einem sehr lebhaften Aufschwung wieder dem Wirtschaftstrend
anzunähem, bis die neuerliche Krise 1908/09 beide Entwicklungen etwas zurückgehen
ließ.
Die Analyse der Konjunkturzyklen vermag den Zusammenhang zwischen Wirtschafts-
und Mobilitätsentwicklung auch im kurzwelligeren Schwingungsbereich zu bestätigen.
(Abb.9, unten) Die beiden Konjunkturreihen zeigen vergleichbare Verläufe mit den
Stockungsphasen zwischen 1862 und 1866 sowie 1874 bis 1876 bzw. dem Aufschwung
zwischen 1867 und 1873. Auch ab 1893 präsentieren beide Reihen vergleichbare
Merkmale mit der schnellen, in der Mobilität etwas verhalteneren, Überwindung der Krise
1892/93, dem klaren Einbruch 1901/02, der nachfolgenden (Über-)Kompensation und
der Folgckrise 1908/09. Von größtem Interesse ist daneben die fast perfekt negativ
korrelierte Zeitspanne zwischen 1877 und 1893. Spitzenjahren der Produktionskonjunktur
wie 1878, 1882 und 1888 standen in dieser Phase auffälligerweise die schwachen bis
sehr schwachen Wanderungsjahre 1879,1882 und 1889 gegenüber. Jahre mit sichtbaren
Produktionsrückgängen wie 1880 oder 1886 zeitigten steigende Mobilitätsraten, so 1881
und 1886. Hier tritt uns ein ähnliches Ergebnis entgegen wie beim Vergleich der
Mobilität mit der Wanderungsbilanz26, als sich für die Periode 1881 bis 1896 eine
negative Korrelation einstellte. Die Umkehrung des Produktions-Mobilitäts-Zu-
sammenhangs erfolgte jedoch bereits im Jahr 1877 und verlor sich schon wieder nach
1892.
Aufgrund dieses Befundes sowie der Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen
Abwanderungs- und Mobilitätskonjunktur27 zeichnet sich ein sukzessives Strukturanpas-
sungsphänomen ab: Als sich nach der Stockungsphase von 1874 bis 1876, welche bereits
ab 1876 einen starken Rückgang der Wanderungsgewinne nach sich gezogen hatte, die
Produktionsverhältnisse in der Burbacher Hütte wieder zu erholen begannen, sind dennoch
ab 1880 infolge der kollektiven ökonomischen Krisenerfahrung Abwanderungen plötzlich
ausgeblieben, die ansonsten gewöhnlich wirtschaftliche Aufschwungphasen begleiteten
26 Vgl. S.62.
77 Vgl. s.63.
71
und zuzüglich bestimmter
Immigrationszuwächse
eine ansteigende Mobilität
verursachten. Nachfolgen-
de Stockungen im Wirt-
schaftszyklus lösten da-
gegen überproportionale
Abwanderungsbewegungen
aus, was die Gesamtmo-
bilität hochschnellen ließ,
aber nur anfangs noch von
kompensierenden Zuwande-
rungsschüben begleitet
war. Denn spätestens im
fünften Jahr nach seiner
Etablierung bewirkte die-
ses kollektive Verhaltens-
muster die Umkehrung der
bislang positiven Korre-
lation zwischen Mobilität
und Wanderungssaldcn.
Steigende Wanderungsbe-
reitschaft führte nun zu
niedrigeren Wanderungs-
überschüssen bzw. zu
Wanderungsverlusten. Die
Produktion (In 1000 t)
1880 W90
Tr*nd
iaos
Produktion (In 1.000 t)
MKZ
-50
• -200
. 111111111
1860
1870
“ 111111
1880 1890
Konjunktur
-LAJ-LAAJ-I
1900
1909
-300
MKZ
Walzproduktion
Abb.9 : Konjunktur und Trend der Walzwerkproduktion der
Burbacher Hütte sowie der Mobilitätskennziffem
(MKZ) von Malstatt-Burbach im Vergleich
Entwicklung der Mobilitätsbilanz blieb damit im Gegensatz zur Gesamtmobilitäts-
konjunktur, wenngleich auf niedrigerem Niveau, durchgehend positiv an den Wirtschafts-
zyklus angekoppelt.28 Während aber der Produktions- und der Mobilitätszyklus ab dem
Jahre 1893 wieder gleichgerichtet fortgeschrieben werden konnten, kam eine positive
Korrelation zwischen Mobilitätsumschlag und Wanderungsbilanz erst wieder ab 1896
zustande.
Fassen wir die bisherigen Teilergebnisse abschließend noch einmal zusammen: Der
Strukturanpassungsprozeß zwischen Wirtschaft und Mobilität in der Industriegemeinde
Malstatt-Burbach in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dürfte im wesentlichen
28 Vgl. Abb.4 und Abb.9, unten. Besonders die positive Korrelation von Wirtschaftskonjunktur
und Wanderungssaldokennziffem in den Jahren 1882 und 1889 ist beachtlich.
72
folgende Entwicklungsschritte beinhaltet haben: (1.) Im Jahre 1876 begann sich unter
dem Eindruck der Gründerkrise eine stagnative Bevölkerungsentwicklung abzuzeichnen,
(2.) um ein Jahr zeitversetzt kehrte sich 1877 das Verhältnis zwischen Produktions- und
Mobilitätskonjunktur ins Negative um, (3.) um weitere vier Jahre phasenverschoben er-
folgte 1881 die Umkehrung der bisher positiven Korrelation zwischen Wanderungsauf-
kommen und Wanderungsgewinn. Die Wiederherstellung der vor 1876 wirksamen Ab-
hängigkeitsverhältnisse vollzog sich ebenfalls schrittweise, und zwar (1.) für den Produk-
tions- und Mobilitätszyklus zum Jahre 1894, d.h. (2.) spätestens drei Jahre nach Abschluß
der eigentlichen Bevölkerungskrise, sowie (3.) zum Jahre 1896 für den Entwick-
lungszusammenhang von Mobilität und Wanderungsbilanz.
Obgleich diese Ergebnisse schon allein aufgrund lückenhafter Datenreihen nicht für die
Gemeinden Esch oder Diedenhofen überprüft werden können, dürfte sich doch durch
die exemplarische Erörterung der Malstatt-Burbacher Verhältnisse zumindest der viel-
leicht noch engere konjunkturelle Konnex zwischen der Wirtschafts- und Bevölke-
rungsentwicklung in Städten unterhalb des Großstadtniveaus erwiesen haben.
4. Saisonale Mobilitätsmuster
Nach der Analyse von Trend- und Konjunkturerscheinungen im Vergleich von Wirtschaft
und Mobilität stellt sich abschließend die Frage nach den saisonalen Gesichtspunkten
der Wanderungsbewegungen. Von zentralem Interesse ist dabei, in welcher Weise sich
das saisonale Wanderungsverhalten in der Abfolge der drei augenfälligen Teilabschnitte
der Untersuchungsperiode verändert hat. Es ist also zu hinterfragen, welche monatlichen
Mobilitätsmuster den Jahreswanderungsumschlag und damit letztendlich die mehljährige
Wanderungskonjunktur bis hin zum Wanderungstrend beeinflussen konnten.
Das diesbezüglich aus den Anmelderegistem zu gewinnende Datenmaterial erlaubt für
den zweiten und dritten Zeitabschnitt einen Vergleich zwischen Diedenhofen und Mal-
statt-Burbach. (Abb.9)29 Die bis in die späten 1890er Jahre höchst unterschiedliche Wirt-
29 Die Daten, welche den folgenden Graphiken in diesem Kapitel zugrunde liegen, entstammen
den a.a.O. ausführlich vorgestellten Melderegisterstichproben. Abb.9 basiert ausschließlich auf
Immigrationsstatistiken. Mit 95prozentiger Sicherheit beträgt die Genauigkeit der monatlichen
Zuwanderungszahlen bzgl. Malstatt-Burbach zwischen günstigstenfalls ±0,52 und schlechtestens
±1,22 Prozent (mit 99prozentiger Sicherheit: ± 0,61% bis 1,61%), bzgl. Diedenhofen zwischen
±133 und ±4,22 Prozent. D.h. beipielsweise, daß die Zuwanderungsziffern für Malstatt-Burbach
stichprobentheoretisch maximal um bis zu 1,22 Prozent, minimal um bis zu 0,52 Prozent vom
realen Wert abweichen können. Die relativ hohe Ungenauigkeitsquote für Diedenhofen, die sich
im übrigen ausschließlich auf wenige Monatsziffem im Zeitraum 1883 bis 1889 bezieht, kommt
durch einen sehr niedrigen Saraple-Umfang für einzelne Monatswerte zustande. Die graphisch
dargestellte Tendenz der Zuwanderungssaison wird dadurch nicht einschneidend berührt. Vgl.
zur Berechnung der Ergebnisgenauigkeit Anhang A. Bei allen saisonalen Analysen wurden die
73
schaftsstrukur in den bei-
den Gemeinden manife-
stierte sich vor allem in
der zweiten Untersu-
chungsphase. Die Dieden-
hofener Saison zeigte hier
eine wesentlich größere
Varianz als die Malstatt-
Burbacher Reihe. Der Sai-
sonverlauf in Malstatt-Bur-
bach kannte weniger Ex-
treme. Die Differenz zwi-
schen starken und schwa-
chen Zuwanderungsmo-
naten war abgeschwächt
im Verhältnis zu Dieden-
hofen. Außerdem lagen die Zuwanderungsspitzen in Diedenhofen im Februar und August,
während Malstatt-Burbach im April, Mai und November die meisten Zuwanderer em-
pfing. Dagegen präsentierten beide Städte in der dritten Untersuchungsphase, nun unter
sehr viel ähnlicheren ökonomischen Rahmenbedingungen, fast identische saisonale Zu-
wanderungsmuster. Allein die Frühjahrssaison wurde in Diedenhofen im Februar, März
und April bereits wirksam, während die Immigration in Malstatt-Burbach im April einen
eindeutigen Höhepunkt erlebte, nach einem leichteren Zuwachs im März und einem
schnelleren Zuwandererrückgang im Mai. Die Sommersaison im Juli sowie die Herbst-
saison von September bis November verliefen in dem lothringischen und dem saarländi-
schen Ort in völlig analoger Weise.
Dieses sehr differenzierte Ergebnis steht in klarem Widerspruch zu den saisonalen
Mobilitätskurven der Großstädte Berlin und Königsberg, welche "über den gesamten
Untersuchungszeitraum [1871-1900] äußerst konstant [bleiben]. Die steilen Wande-
rungsspitzen im April und Oktober heben sich schroff ab von dem sinkenden Wan-
Abb.10 : Saisonale Schwankungen im Zuwanderungsauf-
kommen von Diedenhofen und Malstatt-Burbach
(SKZ = Saisonkennziffer)
Summen der monatlichen Wanderungsfälle in den drei Untersuchungsphasen auf je zwölf 30-
Tages-Monate normiert. Denn der bloße Vergleich von Kalendermonaten beruht auf bis zu zehn
Prozent voneinander abweichenden Zeiteinheiten. Durch die Normierung wird gewährleistet, daß
z.B. dem 28- bzw. 29-tägigen Februar im Jahreszusammenhang das gleiche Gewicht wie dem,
stets 31 Tage umfassenden, Januar zukommt
In einem abschließenden Bearbeitungsschritt wurden aus den normierten Monatswerten für die
drei Untersuchungsphasen die Saisonkennziffem berechnet, welche das prozentuale Verhältnis
des monatlichen Wanderungsaufkommens zum Gesamtmonatsdurchschnitt ausdrücken. Die Abb.9
bis Abb.12 zur Wanderungssaison beruhen auf diesen Saisonkennziffem.
74
derungsvolumen im Sommer und Winter. Erst in der Nachkriegszeit ist eine Tendenz
zum Ausgleich dieser Schwankungen festzustellen. Das typische Gepräge der Wande-
rungssaison änderte sich aber nicht."30 Im klein- bis mittelstädtischen Milieu Diedenho-
fens und Malstatt-Burbachs wandelte sich die Wanderungssaison erheblich. Die
beschleunigte Verstädterung in diesen beiden Kommunen war begleitet von mehreren
Evolutionsschritten in der saisonalen Mobilitätsentwicklung, welche andernorts nach
Erreichen eines bestimmten Urbanisierungsgrades im weiteren Verlauf großstädtischer
Expansion dagegen offenbar in einem typischen Evolutionsstadium verharrte.
Das Malstatt-Burbacher Wanderungsgeschehen stand 1856 bis 1875 sowie 1890 bis 1909
im Zeichen einer dreigipfligen, 1876 bis 1889 dagegen einer zweigipfligen Mobilitäts-
saison. Im zweiten Abschnitt kam überhaupt kein sommerlicher Wanderungszuwachs
zustande. Dafür zeigte sich das Immigrationshoch in den beiden Frühjahrsmonaten April
und Mai ein wenig stabiler als in der vorhergehenden bzw. nachfolgenden Periode. Selbst
die dreigipfligc Saison der ersten (A) und dritten Phase (C) kennzcichneten große
Unterschiede. Das Zuzugsmaximum wurde vor 1876 jeweils im Herbst (Oktober), nach
1889 jedoch im Frühling (April) erreicht. Diese Umgewichtung ging einher mit Verände-
rungen in der Dauer der Zuwanderungsspitzen. In Phase C ging die in Phase A neben
der im April auch im Februar relativ starke Immigration gänzlich in einer dominierenden
Aprilwanderung auf. Der Spitzenwert der Sommersaison im August mit einer bereits im
Juli kräftigen Zuwanderung (A) verlagerte sich ausschließlich auf den Juli (Q. Allerdings
dehnte sich das Herbsthoch von einem (A) auf drei Monate (Q aus. Darüber hinaus fielen
die Zuwanderungszahlen in den Wintermonaten während der Spätphase deutlicher als
zuvor ab, und der ehedem nicht unmaßgebliche Immigrationsmonat Februar war nun
neben Dezember und Januar Bestandteil der "Winterflaute".
Für Diedenhofen präsentiert sich der Entwicklungssprung noch deutlicher. Nach 1890
unterlag auch die lothringische Stadt der für die industrielle Bevölkerungsweise offenbar
typischen, dreigipfligen Zuwanderungssaison. Übereinstimmend mit der Vorlaufphase
ist ein ausgeprägtes Sommerhoch festzuhalten, dessen Spitze sich nur vom August auf
den Monat Juli verschob, sowie der eindeutige winterliche Immigrationsrückgang im De-
zember und Januar. Die Frühsaison wandelte sich dagegen vollkommen. Der März,
welcher vormals die mit Abstand geringsten Zuwanderungen der Jahre 1883 bis 1889
verzeichnet hatte, mauserte sich neben den weiterhin ertragreichen Immigrationsmonaten
w Langewiesche, Wanderungsbewegungen, S.15. Auch die Wanderungssaison der von Heberle/
Meyer, Großstädte, S.171ff. untersuchten Großstädte weist nicht die für Diedenhofen und
Malstatt-Burbach zu konstatierenden Unterschiede in den einzelnen Stadtentwicklungsphasen
auf.
75
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■*■“ Anmeldungen —— Abmeldungen
JFMAMJJASOND JFMAMJ JASOND JFMAMJ JASOND
DIEDENHOFEN
Anmeldungen
Abmeldungen
Abb.ll : Zuwanderungssaison der verschiedenen Wanderungsgruppen gemäß der
Malstatt-Burbacher Melderegistereinteilung
J FMAMJ JASOND JFMAMJJASOND J FMAMJ JASOND
Monat
— Familien ““ Allg.Arbelter
JFMAMJJASOND JFMAMJJASOND J FMAMJ JASOND
Monat
““ Flüttenarbelter —— Gesellen -----------Gesinde
Februar und April zum Spitzenmonat im Kontext des jahreszeitlichen Zuzugsschwer-
punkts.
Vor einem weiterführenden inhaltlichen Interpretationsversuch lohnt sich ein vergleichen-
der Blick auf das Abwanderungsverhaiten der Zuzügler. (Abb.12)31 Auffälligerweise
zeigen die Abwanderungs- und die Zuwanderungssaison hochgradige Übereinstimmun-
gen. Vor allem für Malstatt-Burbach sind kaum Abweichungen festzustellen, abgesehen
von der etwas erhöhten Emigrationsneigung zq Beginn des Frühjahrs (Februar, März)
sowie dem kurzen sommerlichen Abwanderungsboom im Monat Juli während der Krisen-
periode (1876-1889). Die höchsten bzw. niedrigsten Abwanderungs- und Zuzugsquoten
wurden in der saarländischen Gemeinde in der Regel aber in denselben Monaten erreicht.
In Jahren mit Wanderungsüberschüssen wie in Jahren mit Wanderungsdefiziten dürften
die Gewinne bzw. Verluste folglich in den gleichen Monaten zustande gekommen sein.
Mit Einschränkungen gilt dies auch für Diedenhofen. Die Grundstruktur von Zu- und
Abwanderung ist ähnlich, in der letzten Phase allerdings zeitlich um einen Monat versetzt,
in der ersten Phase gleichermaßen stark variierend mit intensiven Kurvenausschlägen,
jedoch fast in spiegelbildlicher Abfolge.
Diese verschiedenen Verläufe der Wanderungssaison stehen in einem direkten Abhängig-
keitsverhältnis zur Beschäftigungssaison innerhalb der Städte und in ihrem agrarisch
geprägten Umland.32
Der Einfluß der ländlichen Saison auf Malstatt-Burbach war aufgrund des rasanten
industriellen Aufschwungs schon im ersten Untersuchungsteilzeitraum (A) nur noch
rudimentär, wenn auch stetig, spürbar. Es gab offensichtlich keinen Monat, in dem der
Zuzug im Verhältnis zur Abwanderung (oder umgekehrt) eindeutig dominierte. Die Frei-
setzung oder Bindung von Arbeitskräften durch die einem eigenen Jahresrhythmus
unterworfene Landwirtschaft beeinflußte die städtische Wanderungssaison also bereits
seit den 1860er Jahren nicht mehr in dem Maße, daß es zu Überschneidungen gekommen
wäre. Die allmähliche Verlagerung des Mobilitätsmaximums vom Herbst auf das Frühjahr
31 In die Analyse der Abwanderungen wurden hier ausschließlich die Abzüge der in den
Anmelderegistem verzeichneten Personen miteinbezogen. In Diedenhofen wurde kein eigenes
Abmelderegister geführt; das Malstatt-Burbacher Abmelderegister wurde nicht eigens ausgewertet.
Die Datengrundlage des dargestellten saisonalen Abzugsverhaltens in Abb.12 bilden die Abmelde-
vermerke in den Anmelderegistem. Vgl. Kapitel C. Die monatlichen Abmeldesaisonkennziffem
wurden für die drei Untersuchungsphasen gemäß ihrem durchschnittlichen prozentualen Anteil
an der Zuwanderung umgerechnet und somit maßstabsgetreu in die graphische Darstellung der
Anmeldesaison eingetragen. Der prozentuale Anteil der Abwanderung an der Zuwanderung in
Malstatt-Burbach betrug bis 1875 durchschnittlich 48,9 Prozent, von 1876 bis 1889 1083 Prozent
und nach 1889 89,1 Prozent. In Diedenhofen kamen von 1883 bis 1889 auf 100 Immigranten
zirka 91 Emigranten, nach 1889 waren es zirka 92 Abwanderer.
32 Vgl. hierzu allgemein Heberle/ Meyer, Großstädte, S.171£f.
77
bestätigt aber, daß die Stadt erst im Verlauf des Verstädterungsprozesses an Bedeutung
für die "Überwinterung" ländlicher Arbeitskräfte verlor und quasi entgegen der
agrarischen Saison im Frühling ihre größte Anziehungskraft gewann. Zu sehen ist au-
ßerdem, daß die im Vergleich zur Immigration stärkste Abwanderung jeweils im August,
später im Juli, Raum griff, d.h. in den Sommermonaten, die von großer Bedeutung für
die Landwirtschaft waren. Dies gilt für alle drei Untersuchungsphasen (A bis C). In der
Periode A, als die höchsten Wanderungsgewinne zustande kamen, stieg die Abwanderung
von Juni auf August um 60 Prozentpunkte an, während die Zuwanderung gerade einmal
um 20 Prozentpunkte anzog. In Phase B, in welcher die Abwanderung im Schnitt ohnehin
die Zuwanderung übertraf, erzielten bei einem völligen Ausfall der sommerlichen Zuwan-
derung die Emigrationsziffem ein zusätzliches leichtes Zwischenhoch im Juli. Und selbst
in Phase C reichten einzig im Juli die Abwanderungsraten an die Zuwanderungszahlen
heran. Die während der Wirtschaftsflaute (B) in den Sommermonaten ausbleibende, im
Frühjahr um etwa zehn Prozentpunkte geschwächte Immigration bei gleichzeitig verhal-
tener Abzugsneigung, dürfte sich auf eine allgemeine fehlende Zuwanderungsneigung
zurückführen lassen. Andererseits verließen zu diesem Zeitpunkt aller Erwartung nach
schwerpunktmäßig ungelernte Arbeiter mit Bindungen ins agrarische Hinterland die Stadt,
während die Industrie Fachkräfte zu halten versuchte. Diese Randphänomene stellten
jedoch bloße Relikte einer vorindustriellen Stadt-Land-Beziehung dar.33 Insgesamt hatte
nämlich die räumliche Nähe Malstatt-Burbachs zu Saarbrücken und St.Johann sowie
der stärkere Anteil von Stadt-Stadt-Wanderungen im Kontext der fortschreitenden
industriellen Vernetzung der Grenzregion den Einfluß der ländlichen Beschäftigungssaison
enorm gemindert und letztlich eine gleichmäßigere Verteilung des Wanderungsstroms
auf die Jahreszeiten bewirkt.34
Die Mobilitätssaison des lothringischen Diedenhofen trug dagegen bis in die abschließen-
de Phase die typischen Charakterzüge eines in seinem agrarischen Umland isolierten Ge-
meinwesens. Die mobilen Bevölkerungsteile der Stadt handelten dabei einerseits im
Rhythmus der ländlichen Saison, was z.B. zu einem schlagartigen Wanderungsriickgang
im klassischen Bestellungsmonat März führte und sich in einer kräftigen Sommermobilität
innerhalb eines äußerst ungleichmäßigen Jahresverlaufs niederschlug. Andererseits läßt
33 Vgl. auch Tenfelde, Klaus: Sozialgeschichte der Bergarbeiterschaft an der Ruhr im 19.
Jahrhundert, Bonn-Bad Godesberg 1977, der für die Bergbaugemeinden des Ruhrgebiets
nachweisen konnte, "daß die vorindustrielle Rhythmik von Arbeits- und Ruhemonaten mit dazwi-
schenliegenden Phasen der Wanderung (...) noch die Mobilitätsrhythmen der längst (...) ansässig
Gewordenen mitbestimmt, wie dies in einer (...) starken Fnihjahrsfluktuation (April/Mai), einer
erhöhten sommerlichen Mobilität und im erneuten Anstieg der kommunalen An- und Abmel-
dungen zur bergbaulichen Winterkonjunktur (Okt./Nov.) (...) zum Ausdruck kommt" (S.233).
34 Vgl. Heberle/ Meyer, Großstädte, S.183.
78
der Emigrationsüberhang im Herbst (September, November) auf eine umfassende
Übersiedlung von Arbeitskräften in benachbarte industrielle Winterquartiere schließen.
Diedenhofen zeigte demgemäß nicht nur stark traditionelle Stadt-Land-Beziehungen,
sondern schien außerdem seinerseits vor dem Winter im regionalen Netzwerk der
Industriestandorte infolge seiner vorindustriellen Infrastruktur eine einseitige Rekrutie-
rungsbasis für ungelernte Arbeitskräfte zu bilden. Die Sonderstellung der Stadt wurde
zusätzlich verstärkt durch ihren Festungs- und Gamisonscharakter. Abhängig von den
Anforderungen der stationierten Einheiten war der Zu- oder Abzug von Arbeitskräften,
nicht zuletzt auch im Wechsel von Einquartierung und Manöver, eigenen Gesetzmäßig-
keiten unterworfen. Die Festungsanlagen und Sicherheitsrayons beschränkten beispiels-
weise den verfügbaren Wohnraum, so daß nur in Zeiten geringer Militärpräsenz - so
bei Frühjahrs- oder Herbstmanövem - erweiterte Logismöglichkeiten für externe
Arbeitskräfte innerhalb der Stadt verfügbar waren. Vor allem Vertreter traditioneller
Handwerksberufe, Bauhandwerker, Dienst- und Gaststättenpersonal, nicht aber industriel-
le Arbeitskräfte, frequentierten zu gegebenen Zeiten im Frühling und Sommer den Ort,
um ihn rechtzeitig vor der Wintereinquartierung wieder zu verlassen.35 Daneben ergaben
sich aufgrund der zentralen Marktfunktion der Kommune für Agrarprodukte zeitweilig
verstärkte Zuzüge durch Händler und Kaufleute, welche Produkte wie Holz, Getreide,
Vieh, Wein o.ä. entweder an den Mann (ans Militär) bringen oder auch kaufen wollten.
Das Bild änderte sich erst, als das Militär verstärkt in neuen Kasernen außerhalb der Stadt
Quartier bezog und sich erste Industriebetriebe ansiedelten. Zwischen 1890 und 1909
bildete sich die typische Wanderungssaison einer Industriestadt heraus, wobei im
Gegensatz zu Malstatt-Burbach deutliche Abwanderungsüberschüsse im April, Mai und
August die ungebrochen starke Bindung zum agrarischen Umland dokumentieren.
Es versteht sich von selbst, daß die Beschäftigungssaison, deren grundsätzliche Aus-
wirkungen auf den Ablauf der Gesamtwanderungssaison hier eingehend thematisiert
wurden, von Branche zu Branche z.T. außerordentlich variieren konnte. Die innerstädtisch
in zeitgenössischen Augen migrationsfelevanten Untergruppen der Bevölkerung wurden
in Malstatt-Burbach bekanntlich in je eigenen Anmelderegistem erfaßt. Somit ist für
die saarländische Gemeinde ein Vergleich der Wanderungssaison der zugewanderten
Familien sowie der Einzelzuwanderer, aufgeteilt nach Arbeitern der Burbacher Hütte, 5
5 Für Hausangestellte und Gaststättenpersonal sowie m.E. für Kellnerinnen (Prostituierte) kann
wohl besonders für eine Gamisonsstadt wie Diedenhofen ein mit der Wintereinquartierung ein-
hergehendes herbstliches Zuwanderungshoch unterstellt werden. Diesen berufsspezifischen
jahreszeitlichen Wanderungsgewinn sehen auch Heberle/ Meyer, Großstädte, S.191.
79
sonstigen Arbeitern, Handwerksgesellen und Gesinde möglich. (Abb.llj*6 Die Zuwande-
rungssaison der Familien deckt sich über die drei Teilzeiträume (A bis Q hinweg am
ehesten mit der Gesamtzuwanderungssaison. Der einzig signifikante Unterschied ist die
anhaltend massive Herbstsaison, die sich bis 1909 mit der Frühsaison messen konnte.
Die Familienwanderer, unter denen sich wie beim Gesinde anteilsmäßig mehr Land-
Stadt- als Stadt-Stadt-Wanderer fanden, bewahrten also verstärkt den vorindustriellen
Habitus, erst nach Abschluß der landwirtschaftlichen Arbeitsperiode den Schritt in die
Stadt zu gehen.37 Anhand der Zuwanderungssaison der allgemeinen Arbeiter läßt sich
sehr anschaulich der Übergang von einer zweigipfligen Mobilitätssaison mit einem
erheblichen Herbstzuwandereranteil zu einer dreigipfligen Mobilitätssaison mit einem
eindeutigen Frühjahrsschwerpunkt verfolgen, d.h. die konsequente Lösung der zu großen
Teilen ungelernten oder angelernten Arbeiterschaft aus dem agrarischen Lebenszusam-
menhang. Der enge Konnex zwischen industrieller Arbeitswelt und einer eminent
frühjahrsbetonten, also einer zum landwirtschaftlichen Sektor antizyklischen, dreigipfligen
Immigrationssaison wird aus den beiden Saisonreihen der Hüttenarbeiterzuwanderung
ersichtlich. Die Zuwanderungsquoten der Hüttenarbeiter in den Monaten April und Mai
übertrafen den Gesamtmonatsdurchschnitt um kaum weniger als 50 Prozent, während
die Quoten aller anderen Monate in Phase B überhaupt nicht, in Phase C nur mit den
vergleichsweise unbedeutenden Sommer- und Herbstspitzen an den Jahresschnitt
heranlangten. Charakteristisch an der Zuwanderungssaison der Gesellen aus den
traditionellen Handwerksberufen ist das Mobilitätsmaximum in den Sommermonaten (Q,
das vor allem aus dem gewaltigen Arbeitskräftebedarf im Bereich des Bauhandwerks
während der wärmeren Jahreshälfte resultierte. Wie tiefgreifend die Rezession in Phase
36 Die Ergebnisgenauigkeit (in Prozent) beträgt in den drei Untersuchungsphasen für die
Stichproben aus den einzelnen Registergattungen:
Phase/ Anmelde- register A min. - max. B rain. - max. C min. - max.
Familien ±1,07 - ±1,43 ±0,98 - ±1,23 ±0,88 - ±133
allg. Arbeiter ±2,80 - ±432 ±2,87 - ±532 ±1,45 - ±2,08
Gesellen ±3,86 - ±6,17 ±230 - ±5,49
Gesinde ±237 - ±732 ±2,66 - ±3,93
Bezüglich des Hüttenarbeiter-Anmelderegisters sei daran erinnert, daß die Daten komplett erhoben
wurden. Erhöhte stichprobentheoretische Abweichungserwartungen bezüglich der anderen Register
resultieren auch hier aus dem z.T. bescheidenen Stichprobenumfang. Selbst bei der höchsten zu
erwartenden Genauigkeitsdifferenz (7,32 Prozent für Gesinde in B) würde sich aßerdings der
Kurvenverlauf in den hieraus erstellten Graphiken nicht grundsätzlich ändern.
37 Vgl. Langewiesche, Wanderungsbewegungen, S36, der die Famüienwanderung als "MobÜitäts-
form vornehmlich der agrarischen Bevölkerung" charakterisiert.
80
B alle Beschäftigungsbranchen traf, mag neben der Tatsache, daß in dieser Periode in
allen Wirtschaftszweigen ein sommerlicher Zuwanderungsanstieg ausblieb, besonders
der frappierende Einbruch der Sommersaison des Handwerks belegen. Die Depression
wirkte sich einzig auf die Gesindezuwanderungssaison weniger im Sommer als im
Frühjahr aus, wo im Gegensatz zur Phase C praktisch kein Einstellungsbedarf bestand.
Dies dürfte weitestgehend mit der schwierigen Lage des Handwerks Zusammenhängen,
da nämlich vorwiegend Handwerksmeister hauswirtschaftliche Dienstleistungen in
Anspruch nahmen, um während der Bausaison z.B. die Unterkunft und Verpflegung ihrer
auf der Basis von Monatskontrakten verpflichteten Gesellen zu gewährleisten. Falls von
dieser Seite Interesse an der Anstellung von Dienstboten bestand, dann also vor dem
handwerklichen Zuwanderungsschub über die Sommermonate, und dieser blieb in Phase
B bekanntermaßen aus. Das Hauptgewicht des Gesindezuzugs lag auf dem Herbst. Die
Verrichtung hauswirtschaftlicher Tätigkeiten durch Dienstboten über Winter kam
anscheinend noch nicht einmal in Phase B zum Erliegen. Abschließend sei darauf
hingewiesen, daß die Zuwanderungssaison nach 1889 in allen aufgeführten Branchen,
obgleich je branchenspeziflsch gewichtet, einhellig dreigipfliger Ausprägung war, woraus
das entsprechend charakteristische Erscheinungsbild der Gesamtmobilitätssaison
hervorgehen konnte.
Diese aussagekräftigen Ergebnisse im Rahmen einer überblicksartigen Betrachtung
kleinerer Untersuchungseinheiten rechtfertigen das Unterfangen, im folgenden die Detail-
analyse des Wanderungsumschlags zu vertiefen.
81
b) Die Immigranten
Die Wanderungsströme, die zunächst vornehmlich als einheitliche Gesamtbewegung
analysiert wurden, rekrutierten sich aus einer Vielzahl von Einzelpersonen. Die persönli-
che Lebenssituation, die soziale Position sowie die regionale Herkunft derjenigen, welche
sich zum Verlassen ihres angestammten Wohnortes veranlaßt sahen und daraufhin
vielfach über einen längeren Lebensabschnitt hinweg sehr mobil blieben, unterschied
sich - mit einer bestimmten Variationsbreite - deutlich vom Persönlichkeits- und Sozial-
profil, aber auch vom "ererbten" geographischen Bezugsraum, mehrheitlich seßhafter
Bevölkerungsteile. Es stellt sich damit die Frage: Welche Charakteristika zeichneten die
Zuwanderer in Diedenhofen, Esch-an-der-Alzette und Malstatt-Burbach konkret aus?
"Geschlecht, Alter und nationale Herkunft waren und sind" - für sich gesehen ebenso
wie das Religionsbekenntnis, die Standeszugehörigkeit (der Beruf)38 und die Stellung
innerhalb der Familie - "Merkmale grober, aber gleichwohl nachhaltiger Differenzierung,
da sie auf äußerst stabilen und komplexen gesellschaftlichen und politischen Rollen
aufbauen".39 In den folgenden Abschnitten werden darum diese sozialhistorischen
Elementarvariablen einer systematischen Betrachtung unterzogen. Die Gliederung
unterscheidet dabei zum einen die im engeren Sinne personenbezogenen Eigenschaften
(Geschlecht, Alter, Konfession), zum anderen solche Rollen, die dem Einzelnen im
sozialen Kontext zugewiesen werden (familiäre und berufliche Stellung), und drittens
den Aspekt der regionalen Herkunft und der Wahl des nächsten geographischen Ziels
durch den Zuwanderer. Die Ergebnisse dieser Einzelanalysen sollen durch ihre an-
schließende Verknüpfung der Erarbeitung typischer Zuwandererprofile dienen.
1. Geschlecht, Konfession, Alter
Zu den hervorstechenden Merkmalen der mobilen Bevölkerungsteile zählt sicherlich die
anteilsmäßig erheblich größere Wanderungsbereitschaft von Männern als von Frauen.
Die Zuwanderung nach Diedenhofen zwischen 1883 und 1909 sowie nach Malstatt-
Burbach zwischen 1856 und 1909 wurde insgesamt zu je ungefähr zwei Dritteln von
38 Die Begriffe Beruf und Stand wurden seitens der Meldebehörden bis zum ersten Weltkrieg
analog verwendet, indem die entsprechende Melderegisterrubrik entweder mit einem der beiden
Termini übertitelt wurde oder aber die Doppelüberschrift Stand/Beruf eingesetzt wurde. Die
Melderegistereinträge lassen zu keinem Zeitpunkt auf eine Differenzierung zwischen den beiden
Bezeichnungen schließen.
39 Mooser, Josef: Arbeiterleben in Deutschland 1900-1970. Klassenlagen, Kultur und Politik,
Frankfurt/M. 1984, S.31.
82
Männern getragen. (Tab.8)40 Im luxemburgischen Kanton Esch zählte man im Jahre 1903
gar 90 Prozent männliche Zuzügler gegenüber nur zehn Prozent Frauen.41
Dabei bestanden, wie das saarländische Beispiel zeigt, erhebliche Unterschiede in der
Geschlechterzusammensetzung des Wanderungsumschlags bei Familien- und Indi-
vidualwanderem. So lag der männliche Zuwandereranteil aus dem Kreise derjenigen,
welche den Zuzug nach Malstatt-Burbach im Familienverband vollzogen, mit 56,5
Prozent gegenüber 43,5 Prozent Frauen deutlich unter dem Prozentsatz aller Immigranten.
Umso mächtiger war der Männerüberhang unter den Einzelwanderem, wo nahezu 80
Prozent des Zuzuges von Männern und nur knapp 20 Prozent von Frauen getragen
wurden. Der männliche Anteil an den alleinreisenden Chargen der Arbeiter- und
Handwerkerschaft lag zwischen 90 und über 99 Prozent. Ausschließlich im Dienst-
botensektor herrschte die weibliche Zuwanderung mit 82 Prozent gegenüber nur 18
Prozent Männern vor, was hinsichtlich der genannten Gesamtanteile die weitgehende
männliche Dominanz etwas abmilderte.
Außerdem gestaltete sich das Geschlechterverhältnis im Zeitverlauf keineswegs konstant.
Auffallend ist das Ansteigen des Frauenanteils in Malstatt-Burbach von Zeitabschnitt
A nach C. Dieses Phänomen resultierte aus einem vermehrten Zuzug von weiblichen
Einzelwanderem, denn das Geschlechterverhältnis innerhalb der Familienwanderer
veränderte sich nicht in entscheidendem Maße. In den mittleren Industriebetrieben außer-
40 Die Zahlenangaben zur Immigration nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach resultieren, wie
auch im folgenden, aus einer Auswertung der oben ausführlich vorgestellten Melderegi-
sterstichproben. Die stichprobentheoretische Ergebnisgenauigkeit d9J bezieht sich stets auf eine
vorgegebene 95prozentige Sicherheit. Dieser Grundsatz wurde auch dann beibehalten, wenn unter
Zugrundelegung einer 99prozentigen Sicherheit noch eine sehr hohe Ergebnispräzision zu
konstatieren war, was keineswegs nur die Ausnahme büdete. Vgl. den methodischen Anhang
A. Für das luxemburgische Esch-an-der-Alzette wurde soweit möglich eine komparative Aus-
wertung der Volkszählungen der Jahre 1871, 1890 und 1900 vorgenommen. Bezüglich der
Ergebnisgenauigkeit güt das gleiche wie für Diedenhofen und Malstatt-Burbach. Nur mußte hier,
sofern mittels der Volkszählungsanalyse keine relevanten Aussagen hinsichtlich der Zuwanderung
gewonnen werden konnten, leider desöfteren eine Beschränkung auf die einschlägige Fachliteratur
erfolgen.
41 Vgl. Mouvement de la population dans le Grand-Duché pendant l'année 1903, (=Publications
de la commission permanente de statistique, fasc.9), Luxembourg 1905, S. 10: 89,2 % Männer,
10,8 % Frauen. Für die Stadt Esch selbst sind keine zuverlässigen Zahlen zu ermitteln. Die
Verhältnisse im Kanton Esch unterschieden sich damit grundlegend von denen der anderen
luxemburgischen Kantone. Für den Kanton Luxemburg-Land ist wie für Malstatt-Burbach und
Diedenhofen eine Relation von zwei Dritteln männlicher zu einem Drittel weiblicher Immigranten
festzuhalten. Die Gesamtrelation innerhalb der Zuwandererschaft nach Luxemburg betrug 72,6
Prozent Männer zu 27,4 Prozent Frauen. Darüber hinaus bestand im Kanton Luxemburg-Stadt
1903 ein ausgeglichenes Männer-Frauen-Zuwanderungsverhältnis, wo unter den inländischen
Zuwanderem (aus anderen luxemburgischen Gemeinden kommend) zugleich die Frauen mit 57
Prozent dominierten. Hier spielt der Dienstbotenbedarf der Hauptstadt eine entscheidende Rolle.
83
Phase/ Stadt A 1856-1875 B 1876-1889 C 1890-1900 D 1901-1909 A-C/D 1856-1900/09
Diedenhofen m: / 58,9 d,,:±6.l 60,2 d,,:±4,l 70,1 d„:±3,6 64,3 dw:2,3
w: / 41,1 1^:248 39,8 rv543 29,9 rv,:602 35,7 rv,: 1393
Malstatt- m: 74,1 d,,:±1.8 71,2 d,,:±1.5 65,1 d*:±l,5 58,1 d«:±2,3 62,3 d„:±0,9
Burbach w: 25,9 iv,:2258 28,8 n«,:3126 34,9 tv,: 3675 41,9 iv,: 1781 37,7 iv,: 10840
Malstatt- m: 58,4 d,5:±2,l 53,4 d,s:±l,9 56.1 cf„:±2,0 56,7 d,,:±l,2
Burbach: w: 41,6 1^:2052 46,6 n0:2591 43,9 iv2277 43,3 no:6920
Familienwande-
rer
Malstatt- m: 98,1 d,,:±2,5 87,9 d„:±2,8 73,9 d„:±2.3 79,8 d95:±l,7
Burbach: w: 1,9 n„:206 12,1 rv535 26,1 iv,: 1398 20,2 iv,:2139
Einzel wanderer
m = männlich. w = weiblich
d95=Ergebnisgenauigkeit in %, n0=Stichprobenumfang
Tab.8: Prozentanteil von Männern und Frauen an der Zuwanderung nach Diedenhofen und
Malstatt-Burbach
halb der Hütte wurden vor allem in Phase C häufiger auch weibliche Arbeitskräfte, z.B.
als Tagelöhnerinnen, eingesetzt und der Anteil männlicher Dienstboten ging zugunsten
der weiblichen Hausangestellten zunehmend zurück. Der industrielle Bedarf an männ-
lichen Arbeitskräften und der industrielle Wandel der örtlichen Wirtschaftstruktur erfolgte
eindeutig zu Lasten des in diesem Sektor männlicherseits vorherrschenden und im agra-
rischen Kontext verwurzelten Knec/zf-Berufs, womit sich das Dienstbotenwesen zu einer
reinen Frauendomäne entwickeln konnte. Denn das ebenfalls agrarisch geprägte Berufbild
der Magd erfreute sich auf dem expansiven städtischen Arbeitsmarkt, ganz im Gegensatz
zu seinem männlichen Pendant, in Form der Dienstmagd einer starken, ja steigenden
Nachfrage. Im Verlauf dieses Prozesses gelang es den Frauen ihren Anteil an der
Einzelzuwanderung von knapp zwei Prozent in Phase A auf mehr als ein Viertel (26,1
%) in Phase C heraufzuschrauben. Damit stieg der Frauenanteil an der Gesamtzuwande-
rung von etwa einem Viertel (25,9 %) in Phase A um 16 Prozentpunkte auf über 40
Prozent in Phase C an.
Ein anderes Bild zeigt sich für Diedenhofen, wo die beschleunigte Industrialisierung und
das Städtewachsmm in Phase C eine gesteigerte Anziehungskraft auf männliche Zuwan-
derer ausübte. Die notwendigen Aufbauleistungen bedingten eine zu zwei Dritteln
männlich dominierte Einwanderung (65,4 %). Zuvor in Phase B hatte im Rahmen der
gamisonsstädtischen Infrastruktur noch ein über 40prozentiger Frauenanteil großes
Gewicht unter den Zuwanderem.
84
Die Escher Volkszählungsdaten lassen auf ein wiederum anderes Phänomen schließen.
Der Anteil männlicher Einwohner war hier in Phase A am höchsten (61,4 %), fiel dann
in Phase B deutlich ab (54,1 %), um in Phase C erneut anzusteigen (56,0 %). Die
Anteilswerte für Männer unter den nicht Ortsgebürtigen, vor allem unter den nicht
ortsgebürtigen Ausländem, folgten dieser Wellenbewegung, jedoch mit um zwischen fünf
(B) bzw. 14 (A) und 12 (C) Prozentpunkte höher liegenden Zahlen als in der Gesamt-
bevölkerung. Für die luxemburgische Industriegemeinde kann demnach von wahr-
scheinlich zwei durch verstärkte Immigrationen begleiteten Industrialisierungsschüben
(Phasen A und C) ausgegangen werden, was sich in je einem enormen Anstieg männ-
licher Zuwanderung gegenüber einer stark abgeschwächten weiblichen Zuwanderung
bemerkbar machte.42 Auf die natürliche Bevölkerungsbewegung kann diese sprunghafte
Entwicklung mit Sicherheit nicht zurückgeführt werden. Ausdruck des zweiten Indu-
strialisierungsschubes mit einem schlagartig erhöhten Arbeitskräftebedarf in Phase C ist
beipielsweise der im Jahre 1903 90prozentige Männeranteil an der Gesamtzuwanderung
in Esch. Strukturprägend wirkte sich speziell hier die von Diedenhofen und Malstatt-
Burbach verschiedene, außerordentlich hohe Ausländer(fem)zuwandeningsquote aus. Zwar
waren von den Escher Neubürgem des Jahres 1903, welche aus anderen luxemburgischen
Gemeinden übersiedelten, bereits über drei Viertel (77,0 %) Männer, doch wurde dies
von den mehr als anderthalb mal soviel Zuwanderem, die vom Ausland her zureisten,
mit einem Männeranteil von über 96 Prozent nochmals übertroffen.43
Die konfessionelle Zusammensetzung der Zuwandererschaft änderte sich über die gesamte
Erhebungsperiode nicht in dem Umfang wie das Geschlechterverhältnis. (Tab.9)44 Die
42 Vgl. diesbezüglich nochmals die Darstellung der jährlichen Bevölkenmgswachstumsraten in
Kapitel D, Abschnitt a): Die Escher Wachstumsraten stagnierten in Phase B vergleichbar Malstatt-
Burbach, waren aber zuvor (A) als auch danach (C) größtenteils wesentlich stärker ausgeprägt
als in der saarländischen Kommune.
43 Vgl. Mouvement de la Population 1903, S.10. Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz.,
S.49; Weber, Ausländer in Düdelingen, S. 108f.; Reitz, Immigration étrangère à Differdange, S. 111
zeigen, daß diese extrem hohen männlichen Zuwandereranteüe auch für das Jahr 1910 galten,
und zwar für alle südluxemburgischen Industriegemeinden. Der Männerüberhang unter den zu-
wändernden Italienern zeitigte stets Anteüswerte von weit über 90 Prozent; von den deutschen
Immigranten waren je nach Gemeinde etwa 70 bis 80 Prozent männlichen Geschlechts.
Die prozentualen Anteüe von Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften über die drei
aufgeführten Konfessionen hinaus bewegten sich in einer Größenordnung von weniger als 0,1
Prozent des Gesamtwanderungsaufkommens in den Untersuchungsgemeinden. Dazu gehörten
Methodisten, Russisch-Orthodoxe sowie freireligiös-atheistische Personen. Die Konfessions-
angaben über Einzelwanderer in Phase A fallen mit insgesamt nur 29 Nennungen zu spärlich
aus’11111 inhaltlich interpretierbar zu sein; daher wurde auf eine Wiedergabe der diesbezüglichen
Prozentwerte verzichtet.
85
Phase/ A B C D A-C/D
Stadt 1856-1875 1876-1889 1890-1900 1901-1909 1856-1900/09
Diedenhofen rk: / 81,3 dw:±4,8 76,5 d„:±3,6 83,5 d,,:±3.0 80,4 d,,:±2.1
ev: / 17,1 IV251 23,1 1^:541 15,8 rio:600 18.9 no: 1393
jd: / 1.6 0,4 0,7 0,7
Malstatt- rk: 75,9 c4,:±2,0 69,0 d,,:±1.7 65,3 d„:± 1,6 70,0 d,s:±2,l 67,0 d,,:±0,9
Burbach ev: 23,5 1^:1815 30,5 1^:2875 34,1 IV358I 29,5 IV1771 32,3 rv,: 10042
jd: 0,6 0,5 0,6 0,5 0,7
Malstatt- rk: 71.4 d„:±2,l 65,2 d,,:±1.9 61,6 d„:±0,9 64,7 d,,:±1.2
Burbach: ev: 27,6 r^: 1786 33,9 IV2543 37,3 IV2280 34,3 IV6609
Familienwande- jd: 1,0 0,9 U 1,0
rer
Malstatt- rk: / 72,6 d95:±4,8 69,0 d„:±2,5 70,0 d*:±2,2
Burbach: ev: / 27,4 no:332 31,0 no: 1301 30,0 tV 1662
Einzelwanderer jd:/ 0.0 0,0 0,0
rk=römisch-katholisch, ev=evangelisch (lutherisch, reformiert, uniert, protestantisch), jd=jüdisch (mosaisch,
israelitisch)
c4im,I=Ergebnisgenauigkeit in % für den Wert mit der größten Abweichungserwartung,
n0=Stichprobenumfang
Tab.9 : Prozentanteil der einzelnen Konfessionen an der Zuwanderung nach Diedenhofen und
Malstatt-Burbach
Dominanz katholischer Zuwanderer blieb in allen drei Städten durchweg ungebrochen.
Der Anteil jüdischer Zuzügler bewegte sich in der Regel bei weniger als einem Prozent
der Gesamtzuwanderung,
Die saarländischen Verhältnisse unterschieden sich allerdings etwas von der Situation
in Lothringen und Luxemburg. Malstatt-Burbach, selbst ehemals in der protestantischen
Grafschaft Saarbrücken gelegen, in unmittelbarer Nachbarschaft zu einst ebenfalls
mehrheitlich protestantischen Gebieten und Bestandteil des "protestantischen Preußen",
verzeichnete mit insgesamt einem Drittel die .relativ höchsten evangelischen Zuwande-
rerteile im Untersuchungsraum. Vor allem im Rahmen der Familienzuwanderung kamen
Protestanten in die Industriestadt; und auch nur hier finden sich signifikante jüdische
Zuwanderungszahlen. Der diesbezüglich wirksame Zusammenhang zwischen dem Re-
ligionsbekenntnis und der Zugehörigkeit zu bestimmten Beruf- bzw. Sozialgruppen wird
in einem der folgenden Analyseschritte von weiterem Interesse sein. Auffällig erscheint
im aktuellen Kontext der tendenziell sinkende Einfluß der Katholiken unter den Immi-
granten, indem sie zwischen Phase A und C anteilsmäßig zehn Prozentpunkte einbüßten,
während der Part von Zuzüglern evangelischer Konfession zeitgleich in analoger Weise
wuchs. Diese Entwicklung vollzog sich schwerpunktmäßig unter den Einzelwanderem.
Die Katholiken gewannen nur im Bereich des traditionellen Handwerks an Gewicht. In
86
der Arbeiterschaft und im Dienstbotenwesen verloren die Katholiken etwas von ihrer
dominanten Stellung, wenngleich der protestantische Zuwanderungsanteil es kaum je
vermochte, die ein-Drittel-Marke zu überschreiten.
Dieser Befund mag Indiz für einen Strukturbruch auf dem regionalen Arbeitsmarkt sein,
welcher sich im Zuge eines allgemeinen Wandels von industriellen und handwerklichen
Berufsbildern ergab. Ebenso wie sich das traditionelle Handwerk im von altersher prote-
stantischen Saarbrücker Regionalzusammenhang den Katholiken zu öffnen begann, fanden
Protestanten nach und nach Zugang zu bislang überwiegend von (ungelernten) katholi-
schen Arbeitern wahrgenommenen Positionen in der Industrie. Den Schlüssel hierzu
bildete ein verzweigtes Ursachengeflecht, innerhalb dessen u.a. folgende Faktoren zum
Tragen kamen: die systematische Etablierung katholischer Bevölkerungsteile innerhalb
der Malstatt-Burbacher Gesellschaft, eine allgemein verbesserte Schulbildung, die In-
stallierung industrieller Ausbildungsgänge und damit verbunden das wachsende Sozial-
prestige industrieller Facharbeit, die. .bhängigkeit traditioneller Handwerksbetriebe von
Industrieaufträgen, d.h. auch die Industrialisierung handwerklicher Tätigkeiten.
In Diedenhofen war der Anteil evangelischer Zuwanderer sehr viel bescheidener und
erreichte, auch wenn von Phase В nach C eine leichte Steigerung festzustellen war, kaum
20 Prozent der Gesamtzuwanderung. Unter dem Aspekt, daß die nordlothringische Stadt
mit dem fast rein katholischen Umfeld Frankreichs, Luxemburgs sowie des nördlichen
Saarlandes und des belgischen Südens vor der deutschen Annexion nur eine verschwin-
dend kleine nicht-katholische Bevölkerungsminderheit beherbergt hatte, muß dieser
20prozentige protestantische Wanderungszustrom in seiner Konsequenz für die Kon-
fessionsstruktur der Kommune als wesentlich schwerwiegender eingestuft werden.
Vergleichbar verhält es sich mit dem luxemburgischen Esch. Die Konfessionsverhältnisse
innerhalb der Zuwanderung sind diesbezüglich leider nicht zu ermitteln. Allerdings ist
aufgrund der Volkszählungen zu konstatieren, daß sich der Anteil der evangelischen
Bevölkerung von Phase A nach В um das Zweieinhalbfache steigerte und von Phase В
nach C wiederum fast verdoppelte. Dennoch behielten die Katholiken bis ins Jahr 1900
ihre unumschränkte Vormachtstellung in Esch mit einem Bevölkerungsanteil von 95
Prozent. Die Protestanten verdrängten aber die jüdische Gemeinde aus ihrer noch 1871
wahrgenommenen Rolle als stärkste religiöse Minderheit und bauten ihre Position in der
kommunalen Gesellschaft systematisch aus. Der protestantische Bevölkerungszuwachs
war die alleinige Folge der ausländischen, d.h. vorwiegend der deutschen Zuwanderung
nach Esch. Die Escher Einwohnerschaft mit luxemburgischer Nationalität hatte bis 1909
nahezu keine Protestanten in ihren Reihen. Bei den in Esch ansässigen Ausländem
87
handelte es sich dagegen 1871 in über sechs, 1890 und 1900 in mehr als elf von 100
Fällen um Protestanten.45
Die Wanderungsbewegungen des 19. Jahrhunderts hatten also in Malstatt-Burbach den
Effekt eines prozentuell wachsenden katholischen Bevölkerungsteils, in Diedenhofen und
Esch aber proportional steigender Protestantenzahlen. Insgesamt gesehen wurden folglich
die überkommenen konfessionellen Strukturen in jeder Teilregion aufgebrochen, womit
die Bürger dieser Städte erstmals seit der Reformations- und Hugenottenzeit gezwungen
waren innerhalb ihrer (nicht mehr existenten) Mauern eine konfessionelle Vielfalt zu re-
spektieren und zu leben. Denn schon aufgrund des verschiedenen Festkalenders der
einzelnen Konfessionen veränderten sich mit der öffentlichen Kultur in den Städten
zugleich gesellschaftliche Realitäten.
Einen tiefgreifenden Wandel der Altersstruktur von Diedenhofen, Esch-an-der-Alzette
und Malstatt-Burbach hatte die altersspezifische Zusammensetzung der Zu wandererschaft
zur Folge. Das Durchschnittsalter der Immigranten lag in Diedenhofen bei wenig mehr
als 24 Jahren, in Malstatt-Burbach bei weniger als 22 Jahren, und zwar mit jeweils recht
geringen mittleren Abweichungen vom Durchschnittswert in der Größenordnung von
näherungsweise 12 bzw. 13 Jahren (Standardabweichung). (Tab.10). Dies führte letztlich
zu einer Verjüngung der Gemeindebevölkerungen, so daß z.B. die Escher Einwohner-
schaft im Jahre 1900 im Mittel gerade einmal 24 Jahre (SD: 17 Jahre, d95:±0,43 %,
1^:2210) zählte. Dieser Veijüngungseffekt wurde zusätzlich dadurch gefördert, daß sich
das Durchschnittsalter der Zuzügler zwischen 1856 und 1909 zunehmend verringerte.
Waren die Malstatt-Burbach-Immigranten in Phase A im Mittel noch etwa 24 Jahre alt
und zählten sie in den Phasen B und C ungefähr 23 Jahre, bezifferte sich ihr Durch-
schnittsalter in Phase D nur auf annähernd 22 Jahre.46 Auch bezüglich der Altersstruktur
45 Die Prozentanteile der jüdischen und protestantischen Bevölkerung in Esch/Alz. lauteten:
Periode A B C
Esch: ev:l,0 d„:*0,7 24 (4*:*0,6 44 (4*1*0,9
Gesamtbevölkerang jd:2,2 1^1561 1,9 IV2379 1,6 iv 2212
Esch: ev:6,3 (4*:*34 11,2 d9,:±2,9 11,7 <4*:*24
ausländische Bevölkerung jd: 1,6 n,;190 24 iV 445 1,7 iv 659
Die Ergebnisgenauigkeit ist nur für den Wert mit der größten theoretischen Ergebnisabweichung
angegeben.
46 In Diedenhofen schien der Altersschnitt zwar absolut um 0,2 Jahre anzusteigen, doch fiel
zugleich der mittlere Abweichungswert vom Durchschnitt um fast zwei Jahre, so daß auch hier
effektiv von einer Verjüngung der Zuwandererschaft von Phase A nach B ausgegangen werden
kann.
88
bildeten die Wanderer im Familienverband wieder die kontinuitätswahrende Komponente
der Gesamtzuwanderung, denn hier blieb das Altersmittel im Zeitverlauf relativ konstant.
im Gegensatz dazu wurden die Einzelwanderer mit der Zeit immer jünger und waren
in Phase A durchschnittlich 26 Jahre alt, in Phase B 25 sowie in Phase C 24 Jahre. Dieser
Prozeß betraf alle Branchen außer der Hüttenarbeiterschaft, deren Altersmittel auf seinem
Niveau verharrte. Das absolut gesehen höhere Durchschnittsalter der Einzelwanderer samt
der wesentlich geringeren mittleren Altersabweichung ergab sich, weil unter diesen im
Vergleich zu den Familienwanderem keine Kinder und erheblich weniger alte Leute zu
Buche schlugen.
Phase/ A B C D A-C/D
Stadt 1856-1875 1876-1889 1890-1900 1901-1909 1856-1900/09
Diedenhofen MW: / 24 2 d«:±1.7 24.4 d,s:±0,7 25,1 d,5:±0,6 24.4 d*,:±0.6
SD: / 13.2 tV 244 11,2 tv535 11,2 rv589 11.8 IV1382
Malstatt- MW: 23.6 d^:±0.6 22.8 d„:±0.5 22,7 d,5:±0,4 21.8 c4j:±0.6 21.8 d,,:±0,3
Burbach SD: 13,5 iv 1898 12,0 tV2771 11.2 rv'3665 13.7 IV1781 13,1 tVlOl 15
Malstatt- MW: 21,8 <^±0.8 20.9 d*:±0,7 21,0 c45:±0.6 21.1 d„:±0.4
Burbach: Familienwande- SD: 16.0 rv 1764 16.1 TV2257 15.0 IV 2268 15,6 IV 6289
rer
Maistatt- MW: 26.3 d,s:±l,7 24.6 d^:±0.7 23.6 d,5:±0.4 24.0 d,,:i0.3
Burbach: Einzelwanderer SD: 9,8 rv 134 8.2 rv514 7.4 1^:1397 7,9 n0:2045
MW = Durchschnittsalter in Jahren (arithmetischer Mittelwert),
SD = Standardabweichung (Standard deviation)
d^Ergebnisgenauigkeit in Jahren. n,=Stichprobenumtang
Tab.10 : Durchschnittsalter der Zuwanderer nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach
Demzufolge zeigt sich in Bezug auf die Zuwanderer eine typische Altersverteilung.
(Tab. 11 u. Abb.13)47 Der Altersmedian der Immigranten in Diedenhofen und Malstatt-
Burbach liegt in jedem Falle, wie bereits das allgemeine Durchschnittsalter von zwischen
21 und 24 Jahren vermuten ließ, innerhalb der Gruppe der jungen Erwachsenen. D.h.
jeweils die Hälfte der Zuwanderer war jünger bis maximal zwischen 21 und 24 Jahren,
Die Ergebnisgenauigkeit wird in dieser Tabelle nicht eigens aufgeführt. Die Abweichungs-
erwartung beträgt für Malstatt-Burbach maximal ±0,8 7c (gesamt), ±0,9 % (Familienwanderer)
zw. ±2,0 % (Einzelwanderer), bezüglich Diedenhofen maximal ±2,3 % und zwar jeweils für
en Wert, welcher der 50-Prozent-Marke am nächsten kommt. Die Abweichungserwartung für
ie anderen Prozentwerte ist günstiger, z.T. deutlich günstiger.
89
sowie die andere Hälfte 21 bis 24 Jahre und älter war. Andererseits waren in Diedenhofen
und Malstatt-Burbach mehr als 50 Prozent der Zuwanderer zwischen 17 und 34 Jahren
alt. Dadurch unterschieden sich die mobilen Bevölkerungsteile deutlich von herkömm-
lichen Normalpopulationen, in welchen die Gesamtbevölkerung erheblich mehr Alters-
gruppen umfaßt, so daß die 15- bis 49jährigen zirka die Hälfte der Einwohnerschaft stel-
len. In Diedenhofen machten die 17- bis 34jährigen Immigranten 66,5 Prozent der
Gesamtzuwanderung aus, in der saarländischen Industriestadt insgesamt 58,8 Prozent,
von den Einzelzuwanderem gar 81,6 Prozent. Allgemein kaum 15 Prozent hatten
altersmäßig bereits 35 und mehr Jahre erreicht.
Stadt/ TH MB (je %) ES (1910)
Alterklasse Jahre % GESAMT FAM EINZEL Alter %
Säugling Ó-1 1 3,1 ò,d
Kleinkind 2-5 4,2 8,5 11,3 0,0
Kind 6-12 5,1 8,1 10,7 0,1
jugendliches Kind 13-16 6,9 6,5 5,9 8,3 0-14 2,2
jugendlicher Erwachsener 17-20 19,5 16,2 10,6 33,2 15-19 14,7
junger Erwachsener 21-24 20,2 16,9 14,5 24,3 20-24 24,7
Erwachsener 25-34 26,8 23,9 23,9 24,1 25-34 37,3
älterer Erwachsener 35-54 13,5 11,2 11,9 9,3 35-54 19,5
Senior 54 und älter 1,9 2,6 3,2 0,8 >54 1,6
Prozentsumme iöö,i ìòM" 100,1 iöö,ö "
d^rnax ”±Ü35 ±0,8 "±Ü35 ±2,0 >
Do 1382 10414 8369 2045 2^740
TH = Diedenhofen, MB = Malstatt-Burbach (FAM: Familienwanderer, EINZEL: Einzelwanderer),
ES = Esch (ausländische Immigranten nach Didlinger)
d^max = Ergebnisgenauigkeit (maximaler Abweichungserwartungswert), rio = Stichprobenumfang
Tab.ll : Altersverteilung unter den Zuwanderem in Diedenhofen und Malstatt-Burbach
(1856-1909) sowie unter den ausländischen Zuwanderem in Esch/Alz. (1910)
Nur unter den ausländischen Zuzüglern nach Esch beanspruchten die mehr als 34jährigen
im Jahre 1910 über 20 Prozent der Auslandsimmigration, während zugleich nur 2,2
Prozent jünger als 15 Jahre waren. Die altermäßige Zusammensetzung der umfangreichen
ausländischen Zuwandererschaft in das kleine Großherzogtum besaß sowieso die
Eigenheit einer extrem hohen Frequentierung der Kategorien Erwachsene und ältere
Erwachsene, deren Prozentanteile zusammengenommen die entsprechenden Werte für
Diedenhofen bzw. Malstatt-Burbach um 15 bis 20 Prozentpunkte übertrafen. Dies ist
im Kontext der bedeutenden italienischen Femzuwanderung zu sehen, also dem Zu-
sammenspiel des Faktors Alter mit dem Faktor Herkunft, worauf in einem der nächsten
Abschnitte eingegangen werden wird.
90
Der Anteil der Kinder (0-16 Jahre) an der Zuwanderung war in Diedenhofen um einiges
geringer (18,2 %) als in Malstatt-Burbach, wo sich fast 30 Prozent der Immigranten im
Kindesalter befanden. Dies
belegt den herausragenden
Stellenwert der recht
schmalen, aber dennoch
extrem hoch frequentierten
Altersgruppe der 17- bis
34jährigen in der Gami-
sonsstadt während und
schon vor der industriellen
Aufbauperiode. Die in
manchen Belangen aus-
gewogenere Wirtschafts-
struktur der saarländischen
Industriestadt mit dem 50
Jahre früher erfolgten
Industrialisierungsschub
bot demgegenüber offen-
sichtlich auch in hohem
Maße Familien mit Kin-
dern sowie älteren Men-
schen Anreiz und Raum
zur Ansiedlung.
Die Prozentanteile einzel-
ner Altersklassen variierten
im übrigen in den einzel-
nen Untersuchungsperio-
den nur ausgesprochen
leicht. In der Saarbrücker
Tcilstadt verzeichneten die
einzelnen Teilzeiträume
weitgehende relative Übereinstimmungen, außer daß der Anteil der älteren Erwachsenen
im Zuge der allgemeinen Veijüngungstendenz systematisch geringer wurde, während
die jugendlichen Erwachsenen an Gewicht gewannen. Der Verjüngungseffekt zeigte so-
wohl bei den Einzelwanderem auch bei den Familienwanderem ganz besonders unter
den älteren Erwachsenen mit Einbußen zwischen summa summarum sechs und acht
Prozentpunkten große Wirkung.
%
Abb.13 : Altersverteilung unter den Zuwanderem in Die-
denhofen, Malstatt-Burbach (1856-1909) und unter
den ausländischen Zuwanderem nach Esch/Alz.
(1910)
91
Es fällt auf, daß in Malstatt-Burbach sowohl unter der Gesamtheit der Zuwanderer als
auch besonders unter den Familienwanderern die Gruppe der jugendlichen Kinder im
Vergleich zu den beiden vorhergehenden Altersklassen wie zu den nachfolgenden
Kategorien verhältnismäßig schwach besetzt war. Ursache hierfür könnte der Umstand
sein, daß gerade die jugendlichen Kinder aufgrund einer gewissen unterstellbaren
Fähigkeit zur Eigenverantwortung einerseits in den Umzug der Kemfamilie nicht mehr
unbedingt miteinbezogen werden mußten und andererseits im Stande waren eine
begonnene Schul- oder Berufsausbildung bzw. Berufsausübung unter der Obhut eines
Verwandten oder Arbeitgebers alleine durchzustehen. Im Interesse eines Schulabschlusses
bzw. einer beruflichen Etablierung konnte oder mußte speziell diese Altersgruppe vor
den Risiken eines Wohnortwechsels bewahrt werden, wodurch sich diese Alterskategorie
als besonders immobil darstellte.
Bevor die spezifischen familiären und beruflichen Befindlichkeiten der Immigranten in
den Blickpunkt gerückt werden, sei in aller Kürze zusammenfassend festgehalten, daß
das Erscheinungsbild der mobilen Bevölkerungsteile in den Industriestädten der Saar-
Lor-Lux-Region in der zweiten Hälfte des 19. und zum Beginn des 20. Jahrhunderts
unter idealtypischen Gesichtspunkten von Zuwanderem männlichen Geschlechts und
katholischen Bekenntnisses im jungen Erwachsenenalter, und zwar mit kontinuierlicher
Verjüngungstendenz, dominiert wurde.
2. Die familiäre und berufliche Situation
2.1 Einzel- und Familienwanderer
Im vorangehenden Text wurde bereits mehrfach eine Unterscheidung zwischen Familien-
und Einzelwanderem getroffen. Einziges Einteilungskriterium waren dabei die Ver-
zeichnungskategorien der Malstatt-Burbacher Melderegister. Die Größenordnung der
Individualwanderung im Verhältnis zur Familienmigration ist per se jedoch noch nicht
angesprochen worden.
Nach 1875 kamen auf 100 Immigranten sowohl in Maistatt-Burbach als auch in
Diedenhofen deutlich mehr als 50 Personen, welche den Umzug alleine in Angriff
nahmen. (Tab.12)48 Der Anteil der "Singles” an der Gesamtzuwanderung stieg nach
1890 in Malstatt-Burbach auf über 60 Prozent an und machte in Diedenhofen während
dieser Phase gar mehr als zwei Drittel (66,9 %) des Zuwanderungsaufkommens aus, ein
48 Die Prozentzahlen Lm Zeitraum vor 1876 (A) werden durch den relativ hohen Anteil der in
keine Kategorie einzuordnenden Personen verfälscht, so daß sich hier keine präzisen inhaltlichen
Aussagen treffen lassen.
92
Phänomen, welches im Zusammenhang mit der im vorigen Kapitel angesprochenen
"Veijüngungstendenz" der Zuwandererschaft zu sehen ist. Diese Dominanz der Ein-
zelzuwanderung schlug sich allerdings an den Zielorten keineswegs in einer steten
Zunahme von Einzelhaushalten nieder, wie das Beispiel der Stadt Esch zeigt, wo über
die gesamte Untersuchungsperiode hinweg weniger als ein Prozent der Bevölkerung -
und zwar nahezu ausschließlich ältere, verwitwete Menschen - gezwungen waren einen
Ein-Personen-Haushalt zu führen und stets über 98 Prozent der Einwohner innerhalb
eines größeren sozialen Kontextes lebten.
Zuziehende Einzelpersonen stießen also in der Regel in einen Haushaltszusammenhang
hinein, indem sie häufig bei vor Ort ansässigen Familien gastierten. Der zwischen 1871
und 1900 zirka 20prozentige Bevölkerungsanteil erweiterter Kernfamilien in Esch
verdeutlicht - angesichts sehr beschränkter Schlafhauskapazitäten - die herausragende
Rolle des Einliegerwesens für das Wohnen in den hochfrequentierten Immigrations-
gemeinden der Industriereviere.
Der saarländische Fall belegt, daß Einzelwanderer dabei nicht selten bei Verwandten ein
Unterkommen finden konnten. Im Verlauf der migrativen Erschließung der Industriege-
meinden boten sich in stark zunehmendem Maße familiäre "Brückenköpfe" als Logier-
möglichkeiten und soziale Anknüpfungspunkte an, so daß zwischen 1890 und 1900 mehr
als ein Zehntel (11,2 %) aller Zuwanderer, d.h. gut ein Sechstel der Individualan-
kömmlinge in Malstatt-Burbach direkt familiären Anschluß am neuen Wohn- und
Arbeitsort fand. Im Gegensatz zu den Haushaltsstrukturen in den Einwanderungs-
gemeinden selbst traf man aber bei Umzügen, sofern der Wohnortwechsel nicht ohnehin
von einem "Single" vorgenommen wurde, nur in einigen wenigen Ausnahmefallen andere
Personen an als Eltern bzw. Eltemteilc mit ihren Kindern, d.h. die klassische Kerafamili-
enkonstellation.49 Denn sowohl in Diedenhofen als auch in Malstatt-Burbach kam
gerade durchschnittlich ein Prozent der Immigranten im erweiterten Familienverband an
seinen neuen Wohnort. Dem standen alles in allem immerhin über 40 Prozent Kemfa-
milien-Zuwanderer in Malstatt-Burbach bzw. 34 Prozent Kemfamilien-Zuwanderer in
Diedenhofen gegenüber.
49 Zur Definition von Familien- und Haushaltsstrukturen stützt sich die vorliegende Arbeit auf
den Ansatz von Peter Laslett und folgt damit der Vorgehensweise von Véronique Schaber in ihrer
Arbeit über die Familien- und Haushaltsstrukturen in Esch 1871 bis 1916. Vgl. einführend: Las-
lett, Peter/Wall, Richard (Hg.): Household and Famüy in past Time, Cambridge 1972. Die recht
differenzierten Familienkategorien Lasletts wurden im vorliegenden Fall in drei zusammenfassende
Rubriken überführt: Einzelpersonen, Kemfamüien und erweiterte Kemfamüien. Unter Kernfa-
milien werden dabei alle denkbaren Eltem-Kind-Konstellationen zusammengefaßt. Die Rubrik
erweiterte Kernfamilie beinhaltet alle Wanderungsfälle bzw. Haushalte, bei denen aie Kernfamilie
um eine oder mehrere externe Personen (sonstige Verwandte wie Großeltern, Onkel, Tanten, Cou-
sins, Cousinen sowie Kostgänger, Mieter, Angestellte) ergänzt war.
93
Malstatt-Burbach (bezogen auf die Gesamtheit der Zuwanderer)
Phase/ Familientypus A 1856-1875 Personen Anteil im 0 B 1876-1889 Personen Anteil im 0 C 1890-1900 Personen Anteil im 0 A-C 1856-1900 Personen Anteil im 0
Einzelperson gesamt 1 42,1 % 1 56,4 % 1 61,7% 1 56,9 %
Typ A 39,5 % 51,5 % 50,5 % 49,3 %
Typ B 2,6 % 4,9 % 11,2 % 7.6 %
Kemfamiiie 3,96 49,2 % 3,99 42,2 % 3,88 37,4 % 3,93 max.:14 40,7 %
erweiterte 5,30 1.5 % 4,31 1.2 % 5,01 0,7 % 5.01 max.:ll 1,0%
Kemfamiiie
nicht zugeordnet 7,1 % 0,2 % 0,1 % 1,4 %
Summe 99,9 % 100,0 % 99,9 % 100,0 %
Einzelwanderer Typ A = echter Individualzuwanderer ohne Familie am Zielort
Einzelwanderer Typ B = Individualzuwanderer mit familiärem Anschluß am Zielort
Diedenhofen (bezogen auf die Gesamtheit der Zuwanderer)
Phase/ Familientypus A 1856-1882 B 1883-1889 Personen Anteil im 0 C 1890-1909 Personen Anteil im 0 B-C 1883-1909 Personen Anteil im 0
Einzelperson 1 56.0 % 1 66,9 % 1 64,9 %
Kemfamiiie 3,15 44,0 % 2,94 31.8 % 2,98 max.:9 34,0 %
erweiterte Kemfamiiie 0,0 % 4.50 1,1 % 4,50 max.:7 0,9 %
nicht zugeordnet 0,0 % 0,2 % 0,1 %
Summe 100,0% 100,0 % 100,0 %
Esch-an-der-Alzette (bezogen auf die Einwohnerschaft)
Phase/ Familientypus A 1871 Personen Anteil im 0 B 1890 Personen Anteil im 0 C 1900 Personen Anteil im 0 A-C 1871-1900 Personen Anteil im 0
Einzelperson 1 0,3 % 1 0.8 % 1 0,7 % 1 0,6 %
Kemfamiiie 4,52 79,9 % 4,94 77,2 % 4.31 77.1 % 4,54 max.: 18 77,7 %
erweiterte Kemfamiiie 7,62 19,2 % 7,35 21,7 % 7,45 21,3 % 7,45 max.:23 21,0 %
nicht zugeordnet 0,7 % 03 % 0,8 % 0.6 %
Summe 100,0 % 100.0 % 100,0 % 99,9 %
Anmerkung : Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab. 12: Zuordnung der Immigranten in Malstart-Burbach, Diedenhofen bzw. der Ein-
wohner von Esch/Alz. zu verschiedenen Familientypen und durchschnittliche
Familiengröße der einzelnen Familientypen
94
Komplementär zum bereits genannten kontinuierlichen Anstieg der Einzelzuwanderungs-
quote ist hierbei das stete Sinken der Zuwandereranteile aus beiden Familienkategorien
zu beachten. In Malstatt-Burbach reduzierte sich z.B. der Anteil der Kernfamilien-
zuwanderung von etwa der Hälfte der Gesamtzuwanderung (49,2%) zwischen 1856 und
1875 (A) auf zwischen 1890 und 1900 (C) etwas mehr als ein Drittel (37,4%), während
die Zuwandererquote für die Zuzügler im Rahmen erweiterter Kernfamilien im gleichen
Zeitraum von mageren 1,5 Prozent auf unbedeutende 0,7 Prozent fiel.
Die durchschnittliche Zahl der am Wohnortwechsel beteiligten Familienmitglieder in
diesen beiden Familienkategorien veränderte sich im Untersuchungszeitraum dagegen
nicht entscheidend. Kernfamilien setzten sich in Malstatt-Burbach durchweg aus etwa
vier Personen, erweiterte Kernfamilien aus etwa fünf Personen zusammen. In Diedenhofen
zählten zuwandemde Kernfamilien im Schnitt zirka drei Mitglieder, erweiterte Kernfa -
milien vier bis fünf Mitglieder, womit hier bei Familienumzügen in jeder Kategorie
auffälligefweise durchschnittlich eine Person weniger beteiligt war als in der saarländi-
schen Vergleichsgemeinde.50 Ob die schlechtere Wohnraumsituationin der Garnisonsstadt
einen ausreichenden Erklärungsansatz für dieses Phänomen bietet oder andere Gründe
dafür verantwortlich zu machen sind, dürfte kaum nachweisbar sein. Auffällig ist in der
lothringischen Kommune jedenfalls das Zusammentreffen einer quantitativ stärkeren
Einzel Wanderung mit einer Familienmigration, die im Einzelfall üblicherweise von
weniger Personen getragen wurde als in Malstatt-Burbach.
Die zitierten Durchschnittswerte legen zwar als die für einen Umzug im Familienkreis
günstigste Konstellation einen Drei- bis Vier-Personen-Haushalt nahe, d.h. wohl häufig
den Zuzug einer Familie mit Vater, Mutter und ein bis zwei Kindern - was im weiteren
auch seine Bestätigung finden wird.51 Dies besagt aber keineswegs, daß
Wohnortwechsel, wenn auch seltener, mit wesentlich mehr Familienmitgliedern getätigt
wurden. Die für Malstatt-Burbach größte stichprobenmäßig erfaßte Kernfamilie zählte
14 Mitglieder (Diedenhofen: 9), die größte erweiterte Kernfamilie elf Personen (Dieden-
hofen: 7). Dennoch scheint für Familien ab vier bis fünf Mitgliedern in der Regel die
seßhafte Lebensphase begonnen zu haben.
Die Escher Volkszählungen stützen diese Annahme. Über drei Viertel der Bevölkerung
(77,7%) lebte hier zwischen 1871 und 1900 in Kernfamilien, welche durchschnittlich
50 Bei den in Tab. 12 sowie hier aufgeführten Mittelwerten zur Familiengröße ist durchgehend
mit Standardabweichungen von ungefähr zwei Personen zu rechnen. Die Ergebnisgenauigkeit
(djj) beträgt für nahezu alle Werte ±0,1 Personen. Bezüglich der Genauigkeit der Prozentwerte
in Tab. 12 vgl. Anhang D; gleiches güt für alle folgenden tabellarischen Darstellungen.
51 Die Standardabweichung mit dem Näherungswert 2 präzisiert diesen Befund für Malstatt-
Burbach beispielsweise folgendermaßen: Vater, Mutter, zwei Kinder ± zwei Kinder, d.h. Vater,
Mutter mit keinem Kind bzw. mit bis zu vier Kindern.
95
vier bis fünf Mitglieder zählten.52 Diese Kernfamilien bildeten dann häufig Kristalli-
sationspunkte für die mobilen Familienteile jeglichen Verwandschaftsgrades, für junge,
ledige Verwandte mit hoher Arbeitsmobilität ebenso wie für alte, verwitwete Verwandte
mit schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Und darüber hinaus wurden nicht selten
Personen, welche vor Ort ohne familiären Anschluß waren, als Kostgänger in die
Haushaltsgemeinschaft aufgenommen, so daß in Esch im Schnitt sieben bis acht Personen
dem Kreis erweiterter Kernfamilien angehörten.53
Es mag vielleicht etwas überraschen, daß unter den Zuwanderem nach Diedenhofen wie
nach Malstatt-Burbach die Maxima bezüglich der Familiengröße durch Kernfamilien
erzielt wurden und nicht, wie u.U. erwartet werden kann, durch erweiterte Kernfamilien.
(Tab. 12) Dieser Umstand dürfte von daherrühren, daß unter den in Mobilität befindlichen
Populationen - im Gegensatz zu bereits ortsansässigen Bevölkerungsteilen, wie wir sie
in den Escher Volkszählungen sehen - sich tendenziell nur dann die Bereitschaft zur
Mitführung von Personen, welche außerhalb des engsten Familienkreises standen, ein-
stellte, falls die Mitgliederzahl der Kernfamilie noch nicht bzw. nicht mehr allzu groß
war. Die Kernfamilie genoß sozusagen umzugsmäßig Priorität. Es war in diesem Sinne
durchaus möglich, daß sich eine 14-köpfige Kernfamilie aus wirtschaftlichen Zwangs-
lagen heraus zum Ortswechsel nach Malstatt-Burbach entschloß, d.h. ein Ehepaar mit
zwölf Kindern. Hatten sich Eltern aber schon um eine vielköpfige Kinderschar zu küm-
mern, bürdeten sie sich in einer akuten Umzugssituation nur in den seltensten Fällen
einen weiteren, oftmals alten, kranken Familienangehörigen auf, weshalb auch die elfköp-
fige erweiterte Kernfamilie, welche nach Malstatt-Burbach verzog, ein besonderes Ex-
trembeispiel darstellt.
Verändern wir an dieser Stelle die Perspektive von einer Betrachtung der Familie als
Ganzes auf den Personenkreis hin, welcher die Familie trägt, so sollten sich uns
detailliertere Einblicke in die familiäre Struktur der Immigrationen eröffnen.
2.2 Die Stellung zum Haushaltsvorstand
Relevant ist unter diesem Gesichtspunkt die Position des Immigranten zum Haushaltsvor-
stand, d.h. zum rechtlichen Oberhaupt und Vertreter der Familie bzw. der Haushaits-
51 Arithmet. Mittel: 4,54 Personen; Standardabweichung: ca. ♦ 2 Personen, Maximalwert: 18
Personen.
53 Vgl. S.93. Ungefähr ein Fünftel der Escher Bevölkerung lebte zwischen 1871 und 1900 in
erweiterten Kernfamilien.
96
gemeinschaft nach außen hin.54 (Tab. 13) Gemäß der untergeordneten Stellung erwei-
terter Kernfamilien innerhalb der Zuwanderungsströme kam folglich nur eine sehr
geringfügige Personenzahl innerhalb eines Haushaltskontextes als kemfamilienfremde
Verwandte, als Hausangestellte, Kostgänger o.ä. an den lothringischen oder an den
saarländischen Industriestandort (0,1% bis 0,4%). Die überragende Mehrheit der
Immigranten sah sich selbst in der Position des Haushaltsvorstandes bzw. in der Rolle
des Ehepartners, d.h. der Ehefrau, des Haushaltsvorstandes. In durchschnittlich fast 77
von 100 Fällen waren die Ankömmlinge in Malstatt-Burbach entweder für sich selbst
oder aber für sich selbst und eine Familie verantwortlich. Die Tendenz war wiederum
deutlich steigend, indem diese Quote von in der Phase 1856/75 (A) noch zwei Drittel
(66,6%) auf in der Phase 1890/1900 (C) vier Fünftel (80,2%) anwuchs. Im Rahmen einer
ähnlichen Entwicklung meldeten in mehr als 85 von 100 Fällen mündige, eigenverant-
wortliche Personen ihre Ankunft in Diedenhofen.55 Der Anteil der alleinstehenden
Haushaltsvorstände (Tab. 13) entsprach natürlicherweise der von Phase A nach Phase C
anwachsenden Einzelzuwandererquote (Tab. 12).
Entsprechend den im Verlauf der Untersuchungsperiode sinkenden Anteilen von Fa-
milienzuwanderem reduzierte sich sowohl die Zahl der Ehepartner als auch die Zahl der
Kinder (Tab.13) an der Gesamtzuwanderung in den beiden Städten. Der Umstand jeweils
ziemlich gleichzahliger Ehepartner-Kinder-Proportionen im Zeitverlauf sowohl in
Malstatt-Burbach wie in Diedenhofen dürfte die eingangs aufgestellte These des hervor-
stechenden Stellenwerts von Vier-Personen-Umzügen von Familien mit Vater, Mutter
und zwei Kindern erhärten.
Ein nur relativ geringer, jedoch konstanter Prozentsatz von Haushaltsvorständen verzog
mit familiärem Anhang, aber ohne den Ehepartner (Tab. 13, HHV&Familie ohne Ehepart-
ner). Zu diesem Personenkreis zählten in erster Linie verwitwete Eltemteile mit ihren
Kindern. Verheiratete Frauen mit ihren Kindern spielen in dieser Kategorie eine
überraschend unbedeutende Rolle. Es scheinen solche Ehefrauen recht selten ihrem bereits
in Malstatt-Burbach oder Diedenhofen arbeitenden Ehegatten gefolgt zu sein. Der Umzug
von Familien an den Arbeitsort des Familienvaters im Sinne einer "Nachzügler-Wande-
rung" war offenbar nicht so sehr typisch. Allerdings ist die Zuverlässigkeit der Melde-
register in dieser Frage anzuzweifeln. Denn möglicherweise meldete sich ein Familien-
vater mit seiner zu einem bestimmten Zeitpunkt nachziehenden Restfamilie infolge des
wohl damit meist verbundenen Umzugs in ein geräumigeres Quartier nochmals bei der
Die Stellung zum Haushaltsvorstand bzw. Haushaltungsvorstand büdete eine eigene Rubrik
in den luxemburgischen Volkszahlungsformularen.
In Malstatt-Burbach machten die Rubriken HHV allein, HHV&Ehepartner und HHV&Familie
ohne Ehepartner (Tab.13) zusammen und gesamtdurchschnittlich 76,9 Prozent der Zuwanderung
aus, in Diedenhofen waren dies 85,3 Prozent.
97
Malstatt-Burbach (bezogen auf die Gesamtheit der Zuwanderer)
Phase/ Stellung zum Haushaltsvorstand A 1856-1875 B 1876-1889 C 1890-1900 A-C 1856-1900
HHV allein 42,0 % 56,1 % 61,3 % 56,5 %
HHV&Ehepartner 23.5 % 19,5 % 17,6 % 19,1 %
HHV&Familie ohne Ehepartner 1,1 % 1,3 % 1,3 % 1,3 %
Kind 25.9 % 22,6 % 19,4 % 21,5 %
sonstiger Verwandter 0.3 % 0,3 % 0,2 % 0,3 %
Personal, Mieter, Kostgänger u.ä. 0,0 % 0,1 % 0,1 % 0,1 %
Summe 99,9 % 100,0 % 100,0 % 100,1 %
Diedenhofen (bezogen auf die Gesamtheit der Zuwanderer)
Phase/ Stellung zum Haushaltsvorstand A 1856-1882 B 1883-1889 c 1890-1909 B-C 1883-1909
HHV allein 56,0 % 66,9 % 64,9 %
HHV &Ehepartner 18,7 % 15,1 % 15,7 %
HHV&Familie ohne Ehepartner 4,4 % 4.8 % 4,7 %
Kind 20,6 % 12,7 % 14,1 %
sonstiger Verwandter 0,0 % 0,3 % 0,2 %
Personal, Mieter, Kostgänger u.ä. 0,4 % 0,3 % 0,2 %
Summe 100,1 % 100,1 % 99,9 %
Esch-an-der-Alzette (bezogen auf die Einwohnerschaft)
Phase/ Stellung zum Haushaltsvorstand A 1871 B 1890 C 1900 A-C 1871-1900
HHV allein 2.7 % \2 % 1,6 % 1,7 %
HHV & Ehepartner 23,7 % 29.9 % 30,1 % 28.7 %
HHV&Familie ohne Ehepartner 2,6 % 2,1 % 1,9 % 2,2 %
Kind 36,7 % 51.5 % 42.6 % 43,9 %
sonstiger Verwandter 5,1 % 4,3 % 5,1 % 4,9 %
Personal, Mieter, Kostgänger u.ä. 29,3 % 11,0 % 18,7 % 18,6 %
Summe 100,1 % 100,0 % 100,0 % 100,0 %
Anmerkung: Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab. 13: Stellung der Immigranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen bzw. der
Einwohner von Esch/Alz. zum Haushaltsvorstand (HHV)
98
Ortspolizei als "Neuzugang" an, was formal nicht korrekt war, da er schon zuvor als
Einzelperson in der betreffenden Stadt ein Domizil bezogen hatte. Andererseits handelte
es sich auch im Falle solcher "Neuzuzüge" wohl im engeren Sinne um effektive
"Nachzügler-Wanderungen", bei denen z.B. der Familienvater nur zum Zwecke des
Umzuges eine Abmeldung erwirkt hatte, um unter Beibehaltung seiner Arbeitsstelle
schnellstmöglich mit seiner Familie eine Neuanmeldung zu tätigen.56
Wie zahlenmäßig gering diese Rubrik der Haushaltsvorstände mit Familie, aber ohne
Ehepartner, auch gewesen sein mag, so fanden sich in ihr, wie schon das vorige Beispiel
belegt, aus sozialhistorischer Perspektive interessante Minderheiten. Neben dem genannten
Personenkreis sind hier zwei weitere Unterkategorien eine Erwähnung Wert: die ledigen
Mütter und die Geschwister.
2.2.1 Ledige Mütter
Die Gruppe der ledigen Mütter, welche mit deutlich weniger als einem halben Prozent
an der Gesamtzuwanderung in der Region zu Buche schlug, weist vielsagende Struktur-
merkmale auf. Zum einen handelte es sich allgemein um sehr junge Frauen mit einem
mittleren Alter von knapp 22 Jahren. Zweitens betrug das Alter der Kinder dieser Frauen
im Schnitt weniger als anderthalb Jahre (1,42 J.), wobei 60 Prozent dieser Kinder beim
Zuzug mit der Mutter jünger als ein Jahr waren bzw. wenige Tage nach der Ankunft
geboren wurden. Drittens hatten sich nahezu alle ledigen Mütter im Dienstbotenbereich
verdingt.37 Und schließlich fand man unter ihnen keine Femwanderer, da sie mit weni-
gen Ausnahmen aus dem unmittelbaren Umland ihres neuen städtischen Wohnortes zuzo-
gen. Der Großteil der ledigen Mütter sah sich demnach gerade unter den Belastungen
von Geburt und Stillperiode einer Situation der sozialen Ächtung ausgesetzt. Denn nur
wenige unter ihnen tätigten den Ortswechsel, um in den Schoß ihrer (Kem-)Familie
zurückzukehren. Sie waren in der vielleicht schwierigsten Phase ihrer unehelichen
Mutterschaft zum Verlassen des gewohnten Lebensbereiches gezwungen und weitgehend
auf sich alleine gestellt. Die Rolle des "Ausgestoßen-Seins" wurde sicherlich auch
dadurch nicht grundlegend gemildert, daß die Frauen u.U. bei Verwandten, z.B. einer
Patentante, unterkamen. Die durchgängige Selbstbezeichnung mit Hauswirtschaftsberufen
läßt auf die Notwendigkeit einer fortgesetzten eigenständigen beruflichen Betätigung der
56 Die Begrifflichkeit der "Zuwanderung" bzw. des "Zuzuges" ist angesichts der überaus hohen
Fluktuation in der Bevölkerung inhalüich innerhalb einer gewissen Bandbreite zu interpretieren
und kann keinesfalls auf einen spezifischen Migrationstypus eingeengt werden.
17 Eine ledige Mutter bezeichnete sich als "Schauspielerin", einige wenige meldeten sich ohne
Berufsbezeichnung an.
99
Mütter schließen. Die nachträgliche Legitimation von Mutter und Kind durch eine spätere
Heirat erfolgte, falls überhaupt und soweit hier festzustellen ist, in der Regel erst nach
einer angemessenen Frist von nicht selten mehreren Jahren. Darüberhinaus legt die
Analyse der Hcrkunfts-, Ziel- und Geburtsorte sowie der Aufenthaltsdauer der ledigen
Mütter nahe, daß erst einer oftmals nicht unbeträchtlichen Zeitspanne nach der Geburt
eine Rückkehr in den ursprünglichen sozialen Kontext folgte. Dieses Faktum wird
dadurch erhärtet, daß ausschließlich solche ledige Mütter im Familienkreis, d.h. mit ihren
Eltern und/odcr Geschwistern, also nicht als völlig alleinstehende Personen, unter der
Einwandererschaft anzutreffen waren, deren Kinder durchschnittlich bereits drei Jahre
alt waren. Diese Erkenntnisse werfen aber nur ein paar Streiflichter auf das soziale
Phänomen lediger Mütter und illegitimer Kinder, und zwar aus dem Blickwinkel der
Mcldebehördcn. Die mit Sicherheit hohe Dunkelziffer läßt anhand dieser Art von
amtlichen Daten die vor dem Hintergrund unehelicher Schwangerschaften ablaufenden
gesellschaftlichen Vorgänge nur andeutungsweise erhellen.
2.2.2 Geschwisterwanderung
Die Geschwisterwanderung ist mittels Melderegisterstichproben quantitativ ebenso
unvollkommen zu erschließen wie die Illegitimität.58 Sicher ist allerdings, daß dieser
Typus gemeinschaftlichen Wohnortwechsels im Übergangsbereich von der Familien-
zur Individualwandcrung erheblich häutiger zustande kam. Gerade in jungen Jahren, d.h.
vor der Gründung einer eigenen Familie, wurden Umzüge gerne von Geschwistern
gemeinsam unternommen, zumal es sich dabei nicht selten um die ersten einschneidenden,
cltemunabhängigen Schritte im Leben gehandelt haben dürfte. Das Durchschnittsalter
der stichprobenmäßig für Malstatt-Burbach erfaßten Geschwisterwanderer war 20 Jahre,
in Dndenhofca 23 Jahre. Zumeist waren dabei etwa gleichaltrige Geschwisterpaare anzu-
treffen Es scheint aber auch durchaus üblich gewesen zu sein, daß ältere, unverheiratete
Personen mit Berufserfahrung im .Alter von Anfang bis Mine 20 Jahren von einem ihrer
■iüngerer. Brüder oder Schwestern, die an der Schwelle zum Berufsleben standen (15-17
JahreX begleitet wurden. Verheiratete Immigranten, vor allem jung Verheiratete, führten
fast tue Geschwister mit sich.
Es darf insgesamt bezweifelt werden, daß ¿he Mehrzahl derjenigen, welche sich als
EraKtauwandere? ar. ihrer neuer Wdhncrrer azoeldecen. auch tasächiich m r. gerochen
$..mc allem unterwegs warm. Neben der GeschwBapwaridrrung gar es s&hsr. ersehn eher
C<me:rschafhsw£r>deruzgen jedweder .Am ange fangen von der Vcxwandsdsafis-
2cwjcidimde Gesmrwsasr -ureter gerterthn mehr
tea. sondere edsr Gesdransarwi ais separare: Exsretnowjoctarer Eme lahaüssncnrrree erfaß
hater mr rr. nee sahsaBSa Fade* ra-s cos: mem Gescrr-iscer. me cemenssm rmgenagim snc.
Wanderung bis hin zu regionalen Gruppenwanderungen. Vereinzelt lassen sich in den
Melderegistem Zuzüge von Onkeln bzw. Tanten mit ihren Nichten oder Neffen sowie
von Cousins und Cousinen identifizieren. Im Zuge der italienischen Femzuwanderung
schloß man sich oftmals zu mehr als zehnköpfigen dörflichen Wanderungsgemeinschaften
zusammen, um unter der Organisation von Wanderungsagenturen den Weg in die Indu-
striereviere jenseits der Alpen zu wagen. In allen diesen Fragen kann ein exaktes Bild
aus den vorliegenden Quellen leider nicht gewonnen werden. Festzuhalten bleibt, daß
die Einzel- im Verhältnis zur Familienzuwanderung sehr differenziert zu sehen ist.
Auf den Teilaspekt Land-Stadt-Wanderung bezogen heißt dies z.B.: Es kann nicht genü-
gen, die oft problematisierte Auflösung der Dorf- und Familienstrukturen während der
Industrialisierung nur aus einer lokalen Perspektive zu beurteilen. Der Umzug vom Dorf
in die Stadt stellte zumeist wohl keinen abrupten Übergang von einer rural-integrativen
Lebensweise in eine Welt ohne Bindungen dar, sondern traditionelle dörflich-familiäre
Sozialzusammenhänge trugen den einzelnen Immigranten förmlich in die Stadt hinein
und fingen ihn dort sogar noch auf. Erst im Laufe eines längeren und kontinuierlichen
Wohnens in der Stadt - ohne eine regelmäßige saisonale Rückkehr in die ländliche Le-
benswelt - kam es zur langsamen Herauslösung aus dem dörflichen Kontext, dabei aber
zugleich zur Integration in den städtischen Lebensraum. Die bloße Wahrnehmung der
enormen, amtlich notierten Einzelzuwanderung per se würde demgegenüber zwangsläufig
zu fatalen Fehlinterpretätionen führen.
Den Grad der Einbindung "auswärtiger" Bevölkerungsteile in den expandierenden
Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes vergegenwärtigt, wie bereits mehrfach
angedeutet wurde, die Situation in Esch. Fast 20 Prozent (18,6%) der Menschen in den
Escher Haushalten waren Kostgänger, Untermieter oder Hausangestellte, nahezu fünf
Prozent (4,9%) nicht zur Kemfamilie zählende Verwandte. (Tab. 13) In der "ortsansäs-
sigen" Einwohnerschaft nahmen anteilsmäßig nur weniger als halb so viele Personen die
Rolle eines Haushaltsvorstandes bzw. der Frau eines Haushaltsvorstandes wahr (32,6%)
wie unter der Zuwandererschaft in Diedenhofen (85,3%) oder Malstatt-Burbach (76,9%).
Das Argument der relativen Seßhaftigkeit von fünf- und mehrköpfigen Familien wird
durch die Tatsache gestützt, daß man in Esch gleichzeitig auf im Schnitt anteilsmäßig
mehr als doppelt so viele Kinder innerhalb der Haushalte traf als unter den Immigranten
in Diedenhofen oder Malstatt-Burbach.
101
2.3 Die berufliche und soziale Stellung der Zuwanderer
"Beruf wird heute definiert als der Kreis der Tätigkeiten mit zugehörigen Pflichten und
Rechten, den der Mensch im Rahmen der Sozialordnung als dauernde Aufgabe ausfüllt
und der ihm zumeist zum Erwerb des Lebensunterhaltes dient. Der Begriff wird in diesem
Sinne wertfrei, funktional verstanden. Doch wohnt ihm tatsächlich eine Wertung meist
schon deswegen inne, weil es sich um eine dauernde Aufgabe handelt, die nach ver-
schiedenen Kriterien (Grad der Erlernung und Berechtigung, Höhe der Vergütung,
Lebensweise, zuerkanntes Ansehen) gemessen zu werden pflegt."59 Der undifferenzierte
Gebrauch der Begriffe Beruf, Stand und Gewerbe in den Melderegistem der Städte der
Saar-Lor-Lux-Region spricht für den deutlich engeren Konnex zwischen der Zugehö-
rigkeit zu einer Berufsgruppe und der automatischen Zuweisung zu einer bestimmten
sozialen Rangkategorie in der - im Vergleich zur Gegenwart - weitgehend noch einem
Standesdenken verhafteten Gesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.60 Darum
bilden in der historischen Sozialforschung Berufsbezeichnungen eine maßgebliche Basis
für gesellschaftliche Schichtungsmodelle.61 Die vorliegenden Berufsangaben in den drei
untersuchten Gemeinden dienten demgemäß einer weitergehenden Einordnung der
Zuwandererschaft bzw. der Bevölkerung in Sozialgruppen, Gesellschaftsschichten sowie
Wirtschaftssektoren.
2.3.1 Wirtschaftssektoren
Im Rahmen einer Grobunterteilung der Wirtschaft der betrachteten Industriestädte in die
Bereiche Landwirtschaft, Gewerbe, Dienstleistung und Militär ist die zahlenmäßige
Dominanz des Zustroms in den gewerblichen Sektor augenfällig. (Tab. 14) Die Malstatt-
Burbacher Zuwanderer waren zwischen 1856 und 1909 zu deutlich über zwei Drittel
(69 %) beruflich dem Gewerbebereich zuzuordnen. An zweiter Position standen die
Dienstleistungsberufe mit etwas mehr als einem Fünftel der Immigranten (21,9 %),
während agrarische Berufe mit gerade einmal 6,6 Prozent zur Zuwanderung in das
einstige Bauerndorf beitrugen. Militärs spielten über die gesamte Beobachtungsperiode
aufgrund des Fehlens einer örtlichen Garnison keine Rolle im Migrationszusammenhang.
59 Conze, Werner: Artikel "Beruf”, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Historisches Lexikon zur
politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner, Werner Conze u. Reinhard
Koselleck, Bd.l, Stuttgart 1972, S.490-507, hier: S.490.
60 Vgl. Kapitel D, b), Anm.38.
61 Vgl. Anhang B2.
102
Trotz des vorrangigen Zuzugs von Mitgliedern aus Berufsgruppen des gewerblichen
Sektors ist zu betonen, daß der Anteil dieses Personenkreises, welcher in der Take-Off-
Phase der Industrialisierung des Saarreviers zwischen 1856 und 1875 noch 86,7 Prozent
der Zuwanderung ausmachte, bis nach der Jahrhundertwende (1901-1909) um nahezu
22 Prozentpunkte auf 65 Prozent zurückging, während zugleich der Anteil der Dienstlei-
stungsberufe um fast 15 Prozentpunkte anstieg, nämlich von 12 Prozent auf 26,8 Prozent
der Zuwanderung. Dem überdurchschnittlichen Zuzug von vor allem Industriearbeitern
in der Ansiedlungsphase industrieller Betriebe folgte also offenbar ein Immigrationsschub
von Verwaltungskräften, Dienstboten usw. Der fortgesetzte Wandel der Zusammensetzung
der Bevölkerung markiert den Weg vom Bauerndorf über das Industriedorf zur Etablie-
rung einer städtischen Infrastruktur in Malstatt-Burbach. Mit dem Sinken des Anteils
gewerblicher Berufe ging ebenso, und zwar bis um 1900, ein zwar bescheidener, so doch
wachsender Prozentsatz agrarischer Berufe einher. Zwischen 1890 und 1900 kamen zirka
zehn Prozent (9,9 %) der Berufstätigen aus der bäuerlichen Arbeitswelt. Dieser Wert
halbierte sich jedoch in der unmittelbar darauf folgenden Phase von 1901 bis 1909 (5,0
%). Der mit der Industrialisierung erst langsam wachsende Arbeitskräftebedarf der beiden
vor Ort wirtschaftlich dominierenden Branchen von Industrie und Handwerk konnte
anscheinend anfangs noch durch gewerbliches Personal selbst gedeckt werden. Der Push-
Effekt einer stetig zurückgehenden Nachfrage nach landwirtschaftlichen Arbeitskräften
infolge rationalisierter Anbaumethoden auf dem Lande und der Pull-Effekt eines
anhaltend großen Bedarfs auch an ungelernten Arbeitern in den städtischen
Industriebetrieben äußerte sich bis zur Jahrhundertwende in dem steigenden Zuzug von
ihrem Selbstverständnis nach ländlichen Bevölkerungsteilen, welche unter Umständen
auch nur vorübergehende Beschäftigungen suchten. Spätestens im Verlauf der ersten
Dekade des 20. Jahrhunderts scheint sich dann ein Regelsystem etabliert zu haben, in
dem quasi die Nachfolgegeneration der im gewerblichen Sektor Tätigen die Nachfrage
nach Personal in diesem Wirtschaftsbereich befriedigen und somit ein verstärkter Rück-
griff auf den sich ebenfalls stabilisierenden agrarischen Arbeitsmarkt ausbleiben konnte.In
der Zusammensetzung der Bevölkerung des luxemburgischen Esch-an-der-AIzette
zeigen sich sehr ähnliche Phänomene. Auch hier handelte es sich um eine reine Industrie-
gemeinde, in der militärische Belange keine Rolle spielten und der gewerbliche Sektor
(70,5 % der Einwohner) vor dem Dienstleistungssektor (15,1 %) bei einem geringen
Anteil des agrarischen Sektors (4,5 %) die kommunale Wirtschafts- und Berufsstruktur
beherrschte. Auch hier fällt der tendenzielle Rückgang gewerblicher Berufe bei einem
gleichzeitigen Anwachsen von Dienstleistungsbemfen in der Zuwandererschaft auf.62
42 Die hohe Zahl unbekannter Berufe in den Zähljahren 1890 (11,5 %) und 1900 (9,5 %) verzerren
das Bild etwas.
103
Malstatt-Burbach (bezogen auf die Gesamtheit der Zuwanderer)
Phase/ A B c D A-D
Wirtschafts- 1856-1875 1876-1889 1890-1900 1901-1909 1856-1909
sekior
agrarisch 0,8 % 7,5 % 9,9 % 5,0 % 6,6 %
gewerblich 86,7% 79,1 % 67,3 % 65,0 % 69,0 %
Dienstleistung 12,0 % 12,5 % 20,2 % 26,8 % 21,9 %
Militär 0,2 % 0,0 % 0,1 % 0,0 % 0,0 %
sonstiger 0,0 % 0,4 % 1,2 % 2,1 % u %
unbekannt 0,3 % 0,3 % 1,2 % 1,1 % 1,0 %
Summe 100,0 % 99,8% 99,9 % 100,0 % 100,0 %
Diedenhofen (bezogen auf die Gesamtheit der Zuwanderer)
Phase/ A B C D B-D
Wirtschafts- bis 1882 1883-1889 1890-1900 1900-1909 1883-1909
sektor
agrarisch 23,3 % 18,7 % 10,8 % 15,9 %
gewerblich 55,7% 52,8 % 62,7% 57,6 %
Dienstleistung 16,5 % 24,0 % 20,5 % 21,2 %
Militär 1,7 % 1,4 % 0,6 % 1,1 %
sonstiger 0,6 % 0,2 % 1,7% 0,9 %
unbekannt 2,3 % 3,0 % 3,7% 3,2 %
Summe 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 %
Esch-an-dcr-Alzettc (bezogen auf die Einwohnerschaft)
Phase/ A B C A-C
Wirtschafts- 1871 1890 1900 1871-1900
sektor
agrarisch 8,9 % 5,2 % 2,2 % | 4,5 %
gewerblich 82,3 % 64,5 % 69,4 % 70,5 %
Dienstleistung 7,4 % 16,2% 17,6 % 15,1 %
Militär 0,1 % 0,2 % 0,0% 0,1 %
sonstiger 0,0 % 2,4 % u % 1,4 %
unbekannt 1,3 % 11.5 % 9,5 % 8,4 %
Summe 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 %
Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab. 14 : Zuordnung der Immigranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen
bzw. der Einwohner von Esch/Alz. zu Wirtschaftssektoren
104
105
Allerdings ist in der Metropole des südluxemburgischen bassin minier mit ihrer längeren
bergbaulich-industriellen Tradition schon früher als in der jungen Industriegemeinde
Malstatt-Burbach über den Indikator der Berufsbezeichnungen ein dezidierter Bedeu-
tungsverlust des agrarischen Sektors zu konstatieren.
Dieses Bild wird durch den Befund in Diedenhofen kontrastiert. Agrarische Berufe
blieben unter den Immigranten bis ans Ende des Untersuchungszeitraums von erheblicher
Bedeutung, selbst unter dem Gesichtspunkt eines Anteilsverlustes von 12,5 Pro-
zentpunkten von Phase B (1883-1889), in der über fast ein Viertel der Zuwanderer land-
wirtschaftliche Berufsangaben vorliegen, nach Phase D (1901-1909) mit immerhin noch
über 10 Prozent (10,8 %) ruralen Arbeitskräften. Der Gewerbebereich war im Gegensatz
zu den beiden Vergleichsgemeinden durch wachsende Anteilswerte gekennzeichnet. Das
relative Maximum des Dienstleistungsanteils an der Zuwanderung lag hier mit 24 Prozent
in Phase C (1890-1900), zeichnete sich aber auch noch in Phase D (1901-1909) durch
einen höheren Wert (20,5 %) als in der ersten Zeitkohorte (1883-1889) aus, in welcher
- also bereits vor der eigentlichen Industrialisierung der nordlothringischen Kommune
- mit 16,5 Prozent Dienstleistungsberufen ein im Vergleich zu Malstatt-Burbach oder
Esch enorm hohes Niveau erreicht war. Ursache dieser Differenz ist die Tatsache, daß
Diedenhofen bereits seit langem ein städtisches Gemeinwesen bildete, und zwar das
Wirtschafts- und Verwaltungszentrum Nordlothrigens, während aus den kleinen Bauern-
dörfern Malstatt-Burbach und Esch erst mit der Industrialisierung Kommunen mit ur-
banem Charakter erwuchsen. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist der Faktor Militär,
der im Falle des Bezugs von Privatquartieren durch Offiziere, Unteroffiziere oder Sol-
daten in den Melderegistern der Gamisonsstadt zu Buche schlug, wenngleich mit
quantitativ abnehmender Tendenz.63 Es ist augenfällig, daß Diedenhofen in der
abschließenden Phase D (1901-1909) in der ökonomischen Zusammensetzung seiner
Zuwandererschaft durchaus über vergleichbare Strukturen verfügte wie die Malstatt-
Burbacher Zuzügler (1901-1909) oder die Escher Bevölkerung (1900): näherungsweise
zwei Drittel der Ankömmlinge rekrutierten sich aus gewerblichen Berufen (62,5 %), etwa
ein Fünftel (20,5 %) entstammten dem Dienstleistungssektor und an dritter Stelle
rangierten die landwirtschaftlichen Berufe (10,8 %), bei zugleich untergeordneter Rolle
des Militärs (0,6 %). Grundlegend ist für Diedenhofen jedoch, daß relativ verspätet ein
Transformationsvorgang Raum gegriffen hatte, in welchem die Kleinstadt ihren agrarisch-
militärischen Charakter verlor und in ein expansives, industriell geprägtes urbanes Ge-
meinwesen einmündete, in dem die agrarische und die militärische Komponente weiterhin
eine begrenzte Wirksamkeit behielten.
63 Der Zuzug von Müitärangehörigen wurde nur dann in den kommunalen Melderegistem
festgehalten, falls diese außerhalb der Kasernen in Privatwohnungen Quartier bezogen. Das Militär
büdete so gesehen eine unabhängige Gemeinde innerhalb der Stadtgemeinde.
106
2.3.2 Sozialgruppen
Bei der Eingruppierung der Zuwanderer in die ökonomischen Bereiche Landwirtschaft,
Gewerbe, Dienstleistung und Militär handelt es sich, wie gesagt, um ein recht grobes,
unhierarchisches Analysekriterium, welches nur allgemeine Aussagen über die Bedeutung
der Immigration für bestimmte Wirtschaftssektoren nach sich ziehen kann. Im folgenden
soll die Zuwanderung in ihrer stadtgesellschaftlichen Relevanz vertiefend untersucht wer-
den, indem einzelne Sozialgruppen, die sich aus einem spezifischen sozialen
Schichtungsmodell ergeben, in den Blickpunkt gerückt werden. (Tab.15)64
Bei der Betrachtung der beteiligten Sozialgruppen ist unübersehbar, daß die Zuwanderung
in die Industriestädte der Saar-Lor-Lux-Region zum überwiegenden Teil von Arbeitern
sowie Beamten und Angestellten getragen wurde. Über den gesamten Un-
tersuchungszeitraum waren mehr als 70 Prozent der Immigranten in Malstatt-Burbach
(71,2 %) und in Diedenhofen (70,2 %) entweder gelernte oder ungelernte Arbeiter, je-
weils etwa 22 Prozent (MB: 22,0 %, TH: 21,8 %) waren mittlere oder untere Beamte
oder Angestellte.65 Oberbürgerliche Gmppen fanden sich in diesem Kontext nur mit
sehr geringen Prozentsätzen, wobei das Besitzbürgertum in den Industriekommunen so
gut wie keine Rolle spielte (je weniger als 0,1%) und das Bildungsbürgertum kaum einen
einprozentigen Wanderungsanteil erzielte (MB: 0,5%, TH: 1,0%). Die Gruppe der
Selbständigen, d.h. der (VolI-)Bauem, Handwerksmeister und Kaufleute {alter Mittel-
stand), erfuhr einen durchschnittlichen Wanderungszustrom von 4,1 Prozent in Malstatt-
Burbach bzw. 3,4 Prozent in Diedenhofen und war, wenigstens am saarländischen
Industriestandort, eine der stadtgesellschaftlichen Wachstumsgruppen. Während nämlich
im alten Mittelstand der Zuzug von (Voll-)Bauem stets zwischen 0,2 und 0,4 Prozent
stagnierte und derjenige von Handwerksmeistern zwischen einem halben und anderthalb
Prozent pendelte, wuchs der Anteil der selbständigen Kaufleute und Unternehmer von
Phase A nach Phase D kontinuierlich von 1,5 Prozent auf 3,6 Prozent der Zuwanderung
an. Als weitere Zuwachsgruppen erwiesen sich in Malstatt-Burbach der neue Mittel-
stand und ganz besonders die Gruppe der unteren Beamten und Angestellten. Die
kleinbürgerliche Schicht der niederen Gehaltsempfänger legte zwischen 1856/75 (5,1%)
und 1901/09 (18,4%) 13,3 Prozentpunkte zu und nahm somit im letzten Teilabschnitt
der Studie hinter den beiden Arbeiterkategorien den dritten Platz in der Immigrations-
rangliste ein, den in den ersten drei Untersuchungsphasen die von 7,1 (A) auf 10,9 Pro-
64 Vgl. Anhang B2, Abschnitt I.
Der Gesamtanteil für mittlere und untere Beamte oder Angestellte ergibt sich aus der Addition
der Sozialgruppen Neuer Mittelstand und untere Beamte/Angestellte, zu denen auch Offiziere,
Unteroffiziere und Soldaten gerechnet wurden.
107
Malstatt-Burbach Phase/ Sozial gruppe (bezogen a A 1856-1875 jf die Gesa B 1876-1889 ntheit der / c 1890-1900 'uwandererj D 1901-1909 A-D 1856-1909
Bildungs- u. Be- sitzbürgertum 0,3 % 0,3 % 0,6 % 0,6 % 0,5 %
Alter Mittelstand 2.7 % 2,8 % 4.4 % 4,7 % 4.1 %
Neuer Mittelstand 7,0 % 8,5 % 10,9 % 8 J % 9,0 %
ungelernte Arbeiter 61.4 % 50.1 % 42.9 % 39.2 % 43.0 %
gelernte Arbeiter 22,9 % 33,1 % 29,7 % 25,7 % 28,2 %
untere Beamte/ Angestellte 5,1 % 4,0 % 9,3 % 18,4 % 13,0 %
sonstige Unterschicht 0,3 % 0,7 % 0,8 % 1,7 % 1,2 %
unbekannt 0,3 % 0.3 % 1.2 % 1.1 % 1,0 %
Summe Diedenhofen (bez Phase/ Sozial eruDDe 100,0 % 3gen auf dii A bis 1882 99,8 % ; Gesamthe B 1883-1889 99,8 % t der Zuwa C 1890-1900 100,0 % nderer) D 1900-1909 100,0 % B-D 1883-1909
Bildungs- u. Be- sitzbüreertum 1,7 % 1,2 % 0,6 % 1,0 %
Alter Mittelstand 4,0 % 4,2 % 2,4 % 3,4 %
Neuer Mittelstand 9,1 % 10,8 % 9,5 % 10,0 %
ungelernte Arbeiter 39.8 % 36,6 % 49.5 % 42.8 %
gelernte Arbeiter 35,2 % 30,6 % 214 % 27,4 %
untere Beamte/ Angestellte 8,0 % 13,6 % 11,6 % 11,8 %
sonstige Unterschicht 0,0 % 0,0 % 1,0 % 0,5 %
unbekannt 2.3 % 3.0 % 3.7 % 3.2 %
Summe Esch-an-der-Ah Phase/ SozialeruDoe ette (bezogt A 1871 100,0 % :n auf die E B 1890 100,0 % inwohnersc c 1900 100,0 % baft) A-C 1871-1900 100,0 %
Bildungs- u. Be- sitzbür2erturn 0,6 % 1,0 % 1,0 % 0,9 %
.Alter Mittelstand 9,1 % 12,3 % 10,6 % 10,9 %
Neuer Mittelstand 4,6 % 11,2 % 8,8 % 8,7 %
ungelernte Arbeiter 43,6 % 26,0 % 23,0 % 28,1 %
gelernte Arbeiter 38,3 % 30,9 % 37,6 % 35,7 %
untere Beamte/ Angestellte 2,4 % 6,7 % 9,3 % 7,1 %
sonstige Unterschicht 0,0 % 0,3 % 0,3 % 0,2 %
unbekannt 1.3 % 11.5 % 9.5 % 8.4 %
Summe 100.0 % Zur Ergel 100.0 % Dmsgenauigkei 100.0 % | 100.0 % vgl. Anhang D.
Tab.15: Zuordnung der Immigranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen bzw.
der Einwohner von Esch/Alz. zu Sozialgruppen
108
untere Beamte.Angest
13.0 %
sonstige
2.2 %
Bürgertum
0.5 %
Alter Mittelstand
4.1 %
Neuer Mittelstand
9.0 %
gelernte Arbeiter
28.2 %
ungelernte Arbeiter
43.0 %
Malstatt-Burbach
1856-1909
Diedenhofen
1883-1909
109
zent (Q expandierende Sozialgruppe der mittleren Beamten und Angestellten (neuer Mit-
telstand) beansprucht hatte. Die zuvor beschriebene signifikante Entwicklung des
Dienstleistungsbereiches basierte auf diesen Gegebenheiten.
Im fortlaufenden Verstädterungsprozeß verzeichneten überdies "Nischengruppen" wie
Hausierer, Schausteller, Artisten u.ä. aus dem Kreis der sonstigen Unterschicht einen,
wenn auch bescheidenen Wachstumstrend.
Demgegenüber stand der relative Rückgang sowohl der Gruppe der gelernten als auch
der ungelernten Arbeiter in Malstatt-Burbach, der jedoch nicht darüber hinwegtäuschen
sollte, daß infolge des systematisch steigenden Zuwanderungsvolumens die absoluten
Zahlen der Arbeiterimmigration keineswegs rückläufig waren. Im Vergleich zu den
anderen Sozialgruppen verlor die Industriearbeiterschaft zwischen den 1850er Jahren und
dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts allerdings vehement an Boden. Der Anteil
ungelernter Arbeiter reduzierte sich von 1856/75 (A) nach 1876/89 (B) um mehr als zehn
Prozentpunkte, daraufhin nach 1890/1900 (C) nochmals um mehr als sieben Prozent-
punkte und nach 1901/09 (D) um weitere 3,7 Prozentpunkte, so daß statt wie anfangs
mehr als 60 Prozent abschließend weniger als 40 Prozent der Zuwanderer in die
saarländische Hüttenstadt ungelernte Arbeiter waren. Nach einem Niveausprung von zehn
Prozentpunkten in der Beteiligung gelernter Arbeiter an der Immigration von 1856/75
nach 1876/89, welcher den gleichzeitigen Rückgang ungelernter Kräfte in der Arbeiter-
schaft gewissermaßen neutralisierte, retardierten die Anteilswerte auch für die Fach-
arbeiter in den beiden folgenden Phasen 1890/1900 und 1901/09 jeweils um dreieinhalb
bis vier Prozentpunkte. Gelernte Arbeiter machten damit nach der Jahrhundertwende nur
noch ziemlich exakt ein Viertel (25,7%) des Zuzugs nach Malstatt-Burbach aus, wogegen
zwischen der Mitte der 1870er und dem Ende der 1880er Jahre (B) noch fast ein Drittel
(33,1%) der Immigration von diesen getragen worden war. Das interne Verhältnis
zwischen gelernten und ungelernten Arbeitern gestaltete sich dabei ab Phase B im
beiderseitigen relativen Rückgang konstant. Denn nachdem sich die interne Relation von
73 Prozent ungelernten zu 27 Prozent gelernten Arbeitern während Phase A ab Phase
B zugunsten der gelernten Arbeiter mit einem Verhältnis von 60 Anlem- bzw. Hilfs-
kräften zu 40 Fachkräften auf 100 Arbeiter verschoben hatte, veränderte sich an dieser
Gewichtung bis 1909 nichts mehr.66
In völlig anderer Weise gestaltete sich die Entwicklung in Diedenhofen. Wie schon die
Betrachtung der Wirtschaftssektoren gezeigt hatte, wirkten hier zwei Faktoren ent-
scheidend auf das Zuwanderungsgeschehen: die bestehende kleinstädtische Infrastruktur
und das Faktum der verspäteten Industrialisierung. So entwickelte sich zwar einerseits * 59
66 Die interne Relation zwischen ungelernten und gelernten Arbeitern in Malstatt-Burbach betrug
in der Tat sowohl in Phase B als auch in Phase D 60 zu 40, während sie sich in Phase C auf
59 zu 41 bei 100 Arbeitern belief.
110
der Anteil des neuen Mittelstandes in den Phasen B bis D sehr ähnlich dem Anteil der
mittleren Beamten und Angestellten in Malstatt-Burbach, andererseits aber war die
Gruppe der unteren Beamten und Angestellten aufgrund des in der Kleinstadt vorhandenen
Verwaltungsapparates, im Gegensatz zu den Verhältnissen in der saarländischen Ge-
meinde, keine entscheidende Zuwachskategorie, obgleich auch hier durchschnittlich über
zehn Prozent (11,8%) der Zuwanderer dieser Sozialgruppe angehörten. Vergleichbares
gilt für die Gruppe der Selbständigen (alter Mittelstand), die anteilsmäßig anders als in
Malstatt-Burbach eher im Rückgang begriffen war. In Diedenhofen meldeten sich
ohnehin nicht viele und zunehmend weniger (Voll-)Bauem auch als Kaufleute an. Aus-
schließlich Handwerksmeister stärkten den alten Mittelstand in der Gamisonsgemeinde
durch Zuzug. Die Aufnahmekapazitäten der traditionsreichen Stadt in diesen sehr boden-
ständigen Berufsgruppen waren - wieder im Gegensatz zu den jungen, expansiven
Verstädterungszentren Esch und Malstatt-Burbach - beschränkt. Die einzige Ausnahme
bildeten Handwerksberufe, die mit der einsetzenden Industrialisierung vor allem im
Bausektor und im Zulieferbereich stark nachgefragt wurden. Letztendlich verschieden
entfaltete sich auch die Arbeiterzuwanderung. Hatte in Malstatt-Burbach im fortschrei-
tenden Industrialisierungsprozeß eine Gewichtsverlagerung von Hilfsarbeitern auf
Facharbeiter stattgefunden, nahmen fortgesetzt relativ mehr ungelernte Arbeiter und zu-
gleich weniger gelernte Arbeiter ihren Wohnsitz in Diedenhofen. Während im Zeit-
abschnitt 1883/89 (B) zwischen diesen beiden Sozialgruppen ein noch recht ausgewogenes
Zuzugsverhältnis von 53 ungelernten auf 47 gelernte Arbeiter bestand, kamen in der
Phase 1901/09 (D), d.h. mit dem Industrialisierungsschub nach der Niederlegung der
Festungswälle, auf 70 Anlemkräfte nur noch 30 Facharbeiter, sei es weil industrielle
Fachkräfte von den nahe gelegenen und mittlerweile längst etablierten Standorten
gebunden wurden oder weil das weite, industriell unberührte, agrarische Hinterland
Diedenhofens ein großes Potential von Anlemkräften zur Verfügung stellte. Auf die
speziellen Fragen zur Arbeitermigration soll aber in einem eigenen Abschnitt ausführli-
cher Bezug genommen werden.
In den Escher Volkszählungen lassen sich die Folgen eines Zuwanderungsvorganges,
wie er wohl nicht sehr anders in Maistatt-Burbach mit seinen ähnlichen strukturellen
Rahmenbedingungen Raum gegriffen hatte, deutlich ablesen. Denn die sich wandelnde
Bevölkerungsstruktur dürfte - verstanden als Funktion der Immigration - die soziale
Zusammensetzung der Zuwanderung in gewisser Weise widerspiegeln. Und in diesem
Sinne sind die erheblichen strukturellen Übereinstimmungen zwischen der Malstatt-
Burbacher Zuwandererschaft und der Escher Einwohnerschaft keineswegs verwunderlich.
Zu nennen wären hier die entscheidende Zunahme des Bevölkerungsanteils von Beamten
und Angestellten in den beiden Sozialgruppen des neuen Mittelstandes als auch der
unteren Beamten und Angestellten, der durchweg mindere Einfluß des Großbürgertums,
111
eine gewisse Wachstumstendenz im alten Mittelstand und eine Umgewichtung innerhalb
der Arbeiterschaft von ungelernten zugunsten gelernter Arbeiter. Bezüglich der Selb-
ständigen (alter Mittelstand) kann insofern von einem Wachstum die Rede sein, als zwar
der Prozentsatz der (Voll-)Bauem zwischen 1871 und 1900 von vier Prozent auf ein
halbes Prozent zurückging, die Zahl der Handwerksmeister aber zugleich von knapp
einem Prozent auf über vier Prozent, die Zahl der Kaufleute von vier auf sechs Prozent
der Gesamteinwohnerzahl anstieg.67 Im Falle der beiden Arbeiterkategorien wuchs im
Zuge sinkender Hilfsarbeiterquoten von im Jahre 1871 43,6 Prozent auf im Jahre 1900
23 Prozent und einer zeitgleichen relativen Stagnation der Facharbeiterquote bei
durchschnittlich 35,7 Prozent der relative Arbeiteranteil mit höherem Qualifikationsniveau.
Von 100 Arbeitern benannten sich in der Volkszählung des Jahres 1871 47 Personen
mit einem Lemberuf, im Jahre 1890 waren dies schon 54 Personen und im Jahre 1900
gar 62 Personen.
Als Fazit bleibt festzuhalten: im Zuge der Entwicklung vom Bauerndorf zur Industrie-
stadt, also eines Vorganges, der die beiden Gemeinden Malstatt-Burbach und Esch-an-
der-Alzette betraf, ist über das immigrationsbedingte kontinuierliche Wachstum der Ar-
beiterbevölkerung hinaus zu sehen, daß es erstmals in der Geschichte dieser Gemeinden
zum Aufbau einer nennenswerten Verwaltung sowie eines örtlichen Groß- und Einzel-
handels kam, was der massiv anschwellende Zuwanderungsstrom einerseits von Beamten
und Angestellten sowie andererseits von Kaufleuten und Unternehmern gewährleistete.
Außerdem war ein dezidierter Aufschwung des kommunalen Handwerks zu verzeichnen,
indem die (Klein-)Untemehmen dieser Branche als Bau- und Zulieferbetriebe in den
Industrialisierungsprozeß eingebunden wurden.68 Nach einem anfänglichen Übergewicht
der Arbeiterzuwanderung wandelte sich die Zusammensetzung des Wanderungsstroms
zusehends und bedingte neben einem Qualifikationsfortschritt in den Reihen der
anziehenden Arbeiterschaft eine zunehmende Diversifizierung der städtischen Infrastruk-
tur. Beim sukzessiven Wanderungszuwachs in den genannten Branchen handelte es sich
sozusagen um einen "Nachzieheffekt" im Sinne des Sombartschen Gesetzes vom dop-
pelten Stellenwert.
67 Die insgesamt deutlich höheren Prozentwerte für den alten Mittelstand in den Escher
Volkszählungen als in den Malstatt-Burbacher Melderegistern erklären sich aus der bereits
genannten Bodenständigkeit dieser Sozialgruppe. Während die Akten der Saarhüttenstadt aus-
schließlich über den Zuwachs Aufschluß geben, benennen die luxemburgischen Dokumente den
Gesamtbestand zu einem gewissen Zeitpunkt vor Ort.
68 Zu beachten ist, daß die Sozialgruppe alter Mittelstand in Tab. 15 nur Handwerksmeister
beinhaltet. Handwerksgesellen und Lehrlinge werden unter der Rubrik gelernte Arbeiter geführt.
Vgl. Anhang B2.
112
Der Wandel einer Kleinstadt, wie Diedenhofen, zur Industriestadt brachte demgegenüber
eine bestehende, den kleinstädtischen Gegebenheiten angepaßte, urbane Infrastruktur ins
Ungleichgewicht. Die Stadt verlor ihren Charakter als regionales Spezialisierungszentrum.
Aus dem vormodemen Städtesystem überkommene, berufsständische Strukturen wurden
aufgebrochen, und im Rahmen eines Rückgangs des durchschnittlichen Qualifikationsni-
veaus durch den überproportionalen Zuzug ungelernter Arbeiter traten an die Stelle einer
hochqualifizierten Handwerkerschaft ebenso schnell wie zahlreich verfügbare industrielle
Anlemkräfte. Gleichzeitig wurden die privatwirtschaftlichen und öffentlichen Ver-
waltungsapparate personell aufgestockt, die traditionelle Handelsfunktion trat in den
Hintergrund. Der örtliche Handel und das alteingesessene Handwerk konnten mit der
industriellen Entwicklung nicht Schritt halten, so daß nach der Jahrhundertwende ein
vehementer Überhang an industrieller Fertigungskapazität bestand, der durch ein enorm
gestiegenes Dienstleistungsangebot ergänzt wurde.
2.3.3 Sozialränge (Schichtenzugehörigkeit)
Ordnet man die verschiedenen Sozialgruppen einer gesellschaftlichen Rangskala mit
Ober-, Mittel- und Unterschicht zu, so ergibt sich zwangsläufig ein deutliches Überge-
wicht der Unterschichtenimmigration, bei einem sehr gemäßigten Zuzug der Mittel-
schichten und einem unwesentlichen Oberschichtenanteil. (Tab. 16) Hieraus vielleicht
spontan abgeleitete Proletarisierungshypothesen werden jedoch durch eine differenzierte
Betrachtung der Entwicklung des Zuwanderungsstroms in Frage gestellt. Denn zwischen
1856 und 1909 nahm der zu Beginn noch mit über 60 Prozent (61,4) dominierende Anteil
der unteren Unterschicht an der Zuwanderung nach Malstatt-Burbach systematisch ab
und betrug nach 1900 nur noch knapp über 40 Prozent (40,6%), während sowohl die
obere Unterschicht als auch die untere sowie die obere Mittelschicht z.T. erheblich an
Gewicht gewannen. Die Mittel- und Oberschichten legten in diesem Zeitraum zusammen
zwar etwa vier Prozentpunkte gegenüber den Unterschichten zu. Eine Addition der
Anteile der oberen Unterschicht und der unteren Mittelschicht verweist aber darauf, wie
stark sich die Tendenz zur Nivellierung sozialer Extreme und damit zur Bildung einer
Mittelstandsgesellschaft ansatzweise bereits im Verlauf der Industrialisierung ausprägte.
So wuchs der Anteil dieser beiden Gesellschaftsschichten von in der Periode 1856/75
(A) schon über einem Drittel (36,7%) während der folgenden 15 bis 25 Jahre kon-
tinuierlich auf deutlich über die Hälfte der Zuwandererschaft (53,6%) in der Phase
1901/09 (D) an. Als weiterer Beleg für diesen Vorgang sei die Einwohnerschaft des lu-
xemburgischen Esch angeführt, wo unter dem Einfluß der industriellen Binnen-
wanderungsbewegung allein der Anteil der unteren Unterschicht zwischen 1871 und 1900
um mehr als 20 Prozentpunkte zurückging und es der oberen Unterschicht ge-
113
meinsam mit der unteren Mittelschicht gelang,
sich anteilsmäßig von im Jahre 1871 52,1 Pro-
zent über im Jahre 1890 56,4 Prozent auf im
Jahre 1900 61,7 Prozent der Gesamtbevölkerung
zu steigern. Die Mittelschicht (obere und untere
MS) umfaßte dabei zur Jahrhundertwende in
dieser Stadt fast 20 Prozent der Einwohner.
Eine gegenläufige Entwicklung kennzeichnete
die Zuwanderung nach Diedenhofen. Hier
wuchs in der abschließenden Phase D zwischen
1901 und 1909 der Immigrationsanteil der
unteren Unterschicht auf über 50 Prozent
(50,5%) an, während die obere Unterschicht
zwischen den Phasen B (1883/89) und D um
zehn Prozentpunkte retardierte und sich in den
restlichen Schichten eine relative Stagnation
einstellte. Der gemeinsame Immigrationsanteil
der oberen Unterschicht und der unteren Mit-
telschicht in der nordlothringischen Metropole
belief sich daher nach der Jahrhundertwende nur
noch auf 43 Prozent.
Einem gesellschaftlichen Nivellierungsprozeß
in den beiden Industriedörfem Malstatt-Burbach
und Esch mit der immigrationsbedingten Ten-
denz zur Ausbildung eher ausgewogener Klas-
senrelationen entsprach also in der Gami-
sonsstadt Diedenhofen bis kurz vor den ersten
Weltkrieg eine gesellschaftliche Polarisierung
unter fortschreitender Akzentuierung der Unter-
schichtenbevölkerung.
obere UnterS 41.5
untere UnterS 43.9
unbekannt 0.9
Malstatt-Burbach
1856-1909
obere UnterS 39.2
untere UnterS 43.3
unbekannt 3.2
Esch
1871-1900
OberS 0.9
obere Mittels 4.2
untere Mittels 1S.3
obere UnterS 42.0
untere UnterS 2S.3
unoekannt 8.4
114
Malstatt-Burbach (bezogen auf die Gesamtheit der Zuwanderer)
Phase/ A B c D A-D
Gesellschafts- schicht 1856-1875 1876-1889 1890-1900 1901-1909 1856-1909
Oberschicht 0,2 % 0.3 % 0,6 <7o 0,6 % 0.6 %
obere Mittels 14 % 2,3 % 3.9 % 4.0 % 34 %
untere Mittels 8,4 % 9,0 % 1U % 9,2 % 9,7 %
obere UnterS 28,3 % 37,8 % 39,2 % 44,4 % 414 %
untere UnterS 61,4 % 50,2 % 43,7 % 40,6 % 43,9 %
unbekannt 0,3 % 0,3 % 1,2 % 1,1 % 0,9 %
Summe 99,9 % 99,9 % 100,1 % 100,0 % 100,1 %
Diedenhofen (bezogen auf die Gesamtheit der Zuwanderer)
Phase/ A B c D B-D
Gesellschafts- schicht bis 1882 1883-1889 1890-1900 1900-1909 1883-1909
Oberschicht 1,1 % 04 % 0,4 % 0,5 %
obere Mittels 2,8 % 5,3 % 24 % 3,6 %
untere Mittels 10,8 % 10,4 % 9,9 % 10,2 %
obere UnterS 43,2 % 44,2 % 33,1 % 39,2 %
untere UnterS 39,8 % 36,6 % 504 % 43,3 %
unbekannt 2,3 % 3,0 % 3,7 % 3,2 %
Summe 100,0 % 100,0 % 100,0 % 100,0 %
Esch-an-der-Alzette (bezogen auf die Einwohnerschaft)
Phase/ A B c A-C
Gesellschafts- schicht 1871 1890 1900 1871-1900
Oberschicht 0,6 % 1,0 % 1,0 % 0,9 %
obere Mittels 2,3 % 4,9 % 4,6 % 4,2 %
untere Mittels 11,4 % 18,7 % 14,8 % 15,3 %
obere UnterS 40,7 % 37,7 % 46,9 % 42,8 %
untere UnterS 43,6 % 26,2 % 234 % 28,3 %
unbekannt u % 1U % 94 % 8,4 %
Summe 0 100,0 % 100,0 % 100,0 96 100,0 %
Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab.16: Zuordnung der Immigranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen bzw.
der Einwohner von Esch/Alz. zu Gesellschaftsschichten
115
2.3.4 Die Arbeiterschaft
In der Bevölkerungsentwicklung der Industriestädte im Saar-Lor-Lux-Raum stechen
einerseits die Arbeiter sowie andererseits die Beamten und Angestellten quantitativ
besonders hervor. Mit diesen beiden beruflichen Großkategorien wollen wir uns darum
im gegenwärtigen bzw. im folgenden Abschnitt näher beschäftigen.
Bislang war die Arbeiterschaft nur als Ganzes Gegenstand der sozialhistorischen Analyse.
Einzig die Unterteilung in gelernte und ungelernte Arbeiter diente einer etwas differen-
zierten Betrachtung dieser Gesellschaftsgruppe. In welchen Fertigungsbereichen die
Arbeiter ihrem Broterwerb nachgingen, welche Tätigkeitsfelder anteilsmäßig von
wievielen Arbeitern frequentiert wurden, ist jedoch noch nicht ausreichend angesprochen
worden. Denn gerade unter diesem Gesichtspunkt ist zu sehen, wie unterschiedlich sich
- trotz einer ausgesprochen ähnlichen soziostrukturellen Gesamtentwicklung69 - die
Verhältnisse in Esch und Malstatt-Burbach gestalteten. (Tab.17)
Der erste gravierende Unterschied betrifft den Stellenwert der Bergleute in den beiden
Gemeinden. In Malstatt-Burbach waren marginale ein bis maximal drei Prozent der
zuwandemden Arbeiter in den Kohlengruben beschäftigt. In Esch dagegen ging stets ein
bedeutender Teil der ortsansässigen Arbeiterschaft einer bergmännischen Lohnarbeit in
den nahegelegenen Erzminen nach. Im Jahre 1871 arbeiteten zirka 20 Prozent und in
den Jahren 1890 und 1900 fast der doppelte Prozentsatz der Arbeiter vor Ort als Mineure
in den Erzgruben.
Zum Zweiten benannte sich anläßlich der Anmeldung in Malstatt-Burbach über die
gesamte Untersuchungsperiode konstant etwa ein Viertel der Arbeiter (22 bis 29 Prozent)
mit Berufsbezeichnungen, welche diese eindeutig als Fabrik-, d.h vor allem als Hütten-
arbeiter auswies. Die Volkszählungsdaten in Esch lassen jedoch nur für den Zeitraum
zwischen 1871 und 1890 auf einen verstärkten Zustrom von Fabrikarbeitern schließen,
da der Anteil dieser Arbeiterkategorie in den folgenden Jahren im Verhältnis zu den
Bergleuten auf relativ bescheidenem Niveau stagnierte.
Drittens nahm in Malstatt-Burbach der Anteil von handwerklichen Facharbeitern an der
Arbeiterimmigration zwischen 1856 und 1900 in außerordentlicher Weise zu, während
sich der Prozentsatz der Handwerker in Esch von 1871 auf 1890 zwischenzeitlich stark
reduzierte, um danach nur leicht wieder anzusteigen.
Gemeinsam ist beiden Kommunen ausschließlich die rückläufige Zahl sonstiger Arbeiter.
Zu dieser Gruppe zählten vornehmlich Tagelöhner und daneben Arbeiter in eher
peripheren Wirtschaftszweigen (Steinhauer, Ziegler, Transportarbeiter, Heimarbeiter,
Hausierer u.ä.) sowie Arbeiter im öffentlichen Dienst (Hafenarbeiter, Bahnarbeiter,
65 Vgl. S.112.
116
Telegraphenarbeiter u.ä.). Das wesentliche Charakteristikum dieser Kategorie ist der hohe
Anteil ungelernter und damit grundsätzlich universell ersetzbarer Arbeitskräfte. Die
sinkende Bedeutung dieser Gruppe für Esch und Malstatt-Burbach kann als ausschlagge-
bendes Indiz für den raumgreifenden Spezialisierungs- und Qualifikationsfortschritt
innerhalb der Arbeiterschaft interpretiert werden. Profitiert haben von diesem Vorgang
in den beiden Industriestädten aber jeweils höchst unterschiedliche Berufsspanen. So
kompensierte in Malstatt-Burbach die steigende Handwerkerimmigration den nachlassen-
den Zustrom sonstiger Arbeiter. In Esch war zwischen 1871 und 1890 ein nahezu 20
Prozentpunkte zählender Rückgang der sonstigen Arbeiter von einem ebenso starken
Anstieg des Bergarbeiteranteils begleitet. Außerdem wurde zugleich ein Einbruch um
zwölf Prozentpunkte bei der Handwerkerschaft in der südluxemburgischen Kommune
von einem vergleichbaren Anstieg der Fabrikarbeiterpopulation aufgefangen.
Die überaus günstige Entwicklung der Handwerksberufe in der saarländischen Gemeinde
dürfte allerdings nicht zuletzt auch auf die spezifische Lage der Industriestadt in einer
gemeinsamen Urbanisierungszone mit den Städten StJohann und Saarbrücken zurückzu-
führen sein, zumal Malstatt-Burbach in dieser Konstellation den maßgeblichen Gewerbe-
standort darstellte. Der Kundenkreis der örtlichen Handwerksbetriebe war hier also we-
sentlich weiter gefaßt als in Esch, das Seite an Seite mit seinen südluxemburgischen
Nachbarn Düdelingen und Differdingen einer montanindustriellen Monostruktur verhaftet
war. Dennoch sollte das Verhältnis zwischen Handwerk und Industrie auch in Esch
durchaus unter dem Aspekt einer positiven, sich gegenseitig begünstigenden Beziehung
betrachtet werden. Zwar vermochte die Industrie mit ihrem enormen Arbeitskräftebedarf
im Kontext der Gründung der beiden Hüttenwerke (1871) offensichtlich genuine Hand-
werker an sich zu binden, doch zogen die Handwerksbetriebe vor Ort Nutzen aus der
industriellen Entwicklung, was sowohl die Neuansiedlung von Handwerksmeistern bereits
zwischen 1871 und 1890 als auch die Zunahme der handwerklichen Facharbeiter in
Relation zu den Bergleuten wie zu den Fabrikarbeitern zwischen 1890 und 1900 be-
legt.70
Die industrielle Genese in Diedenhofen scheint dagegen einen effektiven Bedeutungs-
verlust des in der nordlothringischen Kapitale stark ausgebildeten herkömmlichen
Handwerks eingeleitet zu haben. Der Anteil der Handwerker an der Gesamtarbeiter-
immigration reduzierte sich nach der Gründung der "Karlshütte" (1898) und der Nieder-
legung der Wälle (1901) schlagartig um fast 30 Prozentpunktc! Im gewerblichen
Wirtschaftssektor Diedenhofcns vollzog sich ein einschneidender Funktionswandel. Das
in Klein- und Kleinstbetrieben ausgeübte Handwerk wurde als traditioneller Träger der
TOVgj. S .112 u. Tab.17. Außerdem sollte beachtet bleiben, daß der stark rückläufige Anteilswert
der Handwerker an der Arbeiterschaft von 1871 auf 1890 nur einen leichten Rückgang der ab-
soluten Handwerkerzahl im bevölkerungsmäßig vehement expandierenden Esch zur Folge hatte.
117
Malstatt-Burbach (bezogen auf die zu wandernde Arbeiterschaft)
Phase/ A B C D A-D
Berufsgruppe 1856-1875 1876-1889 1890-1900 1901-1909 1856-1909
Bergarbeiter 1,1 % 2,7 % 2,7 % 2,6 %
Fabrikarbeiter 29,3 % 22,3 % 23,4 % 23,5 %
Handwerker 8,1 % 27,0 % 35,7 % 315 %
sonstige Arbeiter 61,6 % 48,2 % 38,2 % 42,3 %
Summe 100,1 % 100.2 % 100,0 % 99,9 %
Diedenhofen (bezogen auf die zuwandemde Arbeiterschaft)
Phase/ A B C D B-D
Berufsgruppe bis 1882 1883-1889 1890-1900 1901-1909 1883-1909
Bergarbeiter 0,5 % 0,0 % 0,2 % 0,0 %
Fabrikarbeiter 2,2 % 4,2 % 7,5 % 5,5 %
Handwerker 59,8 % 57,7 % 28,3 % 43,6 %
sonstige Arbeiter 38,0 % 37,5 % 64,2 % 50,6 %
Summe 100,5 % 99,4 % 100, 99,7 %
2 %
Esch-an-der-Alzette (bezogen auf die ortsansässige Arbeiterschaft)
Phase/ A B c A-C
Berufsgruppe 1871 1890 1900 1 1871-1900
Bergarbeiter 19,3 % 38,5 % 37,3% 34,0 %
Fabrikarbeiter 0,5 % 12,9 % 12,3 % 10,1 %
Handwerker 28,2 % 15,4 % 19,7 % 20,1 %
sonstige Arbeiter 52,0 % 33,1 % 30,8 % 35,8 %
Summe 100,0 % 99,9 % 100,1 % 100,0 %
Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab.17 : Tätigkeitsfelder der zuwandemden Arbeiter in Malstatt-Burbach und Diedenho-
fen bzw. der ansässigen Arbeiter in Esch/Alz.
gewerblichen Wirtschaft im Zuge der kurzfristigen Errichtung und Inbetriebnahme indu-
strieller Fertigungsanlagen völlig überrollt und konnte sich davon offenbar vor dem ersten
Weltkrieg nicht mehr erholen. Das nur zögerliche Anwachsen der Fabrikarbeiterquote
und der sprunghafte Anstieg der "all-rounder" (sonstige Arbeiter) verweist auf den hoch-
gradigen Facharbeitermangel in der sich verspätet industrialisierenden Gamisons-
118
Berufssparte
Bergarbeiter
Fabrikarbeiter
Handwerker
sonstige Arbeiter
1856-1875 1876-1889 1890-1900
Malstatt-Burbach
1883-1889
1890-1900
Diedenhofen
1901-1909
1871
1890
Esch/Alz.
1900
119
Stadt.71 Dieses Faktum läßt auf die dringliche Notwendigkeit zur Einbindung handwerk-
licher Fachkräfte direkt in den industriellen Fertigungsprozeß schließen. Die Anstellung
gerade von Metallhandwerkem traditioneller Schule, wie Schlossern und Schmieden
jeglicher Façon, oder auch Bauhandwerkem, wie Zimmerleuten und Schreinern, war auch
in den Industriebetrieben Malstatt-Burbachs bzw. Eschs nicht ungewöhnlich; aber die
Vehemenz der strukturellen Veränderungen in Diedenhofen legt sprichwörtlich die
Zerschlagung des bislang dominierenden handwerklichen Wirtschaftszweiges nahe. Der
Verlust an Sozialprestige sowie die Einengung des konkreten Entscheidungs- und
Kompetenzbereiches für den einzelnen Handwerker durch seine Einbeziehung in indu-
strielle Produktionsabläufe kam einer sozialen Degradierung gleich und bedingte im
kommunalen Rahmen einen durchschnittlichen Rückgang qualifizierter beruflicher
Tätigkeit. Der Diedenhofener Kreisdirektor brachte den Sachverhalt folgendermaßen auf
den Punkt: "Das Handwerk vermag hier im Allgemeinen auf keinen grünen Zweig zu
kommen. Nur wo der Betrieb einen fabrikmäßigen Charakter trägt [...] sind auch günstige
Ergebnisse zu verzeichnen. Das Kleinhandwerk aber vermag nicht emporzukommen."72
In Malstatt-Burbach hatten traditionelle Handwerksbetriebe potentielle, finanzstarke
öffentliche und private Kunden in den unmittelbaren Nachbargemeinden Saarbrücken
und St Johann, d.h. außerhalb des eigenen industriell dominierten Stadtwesens, im Hinter-
grund. Zudem etablierten sich Handwerksbetriebe, ebenso wie in Esch, von Beginn an
als "Trittbrettfahrer" der Hütten, des Bergbaus und einiger mittelständischer Finnen. In
Diedenhofen aber wurde einer blühenden Handwerkskultur zumindest in großen
Teilbereichen eine marginalisierte Zulieferrolle (für Material und Arbeitskräfte) aufge-
zwungen. Der künstlerische Aspekt verschiedener Handwerksberufe blieb weitgehend
auf der Strecke. Die Stadt büßte ihre zuvor hohe Attraktivität als Anlaufstelle für wan-
dernde Gesellen des traditionellen Handwerks ein.
Wie gestalteten sich nun aber die Arbeiterverhältnisse innerhalb der führenden wirt-
schaftlichen Wachstumsbranche, im engeren Bereich der Metallindustrie selbst? Partizi-
pierten die Fabrikarbeiter an der in Malstatt-Burbach und Esch gesamtwirtschaftlich
wahrnehmbaren Anhebung des Qualifikationsniveaus? Waren es vielleicht gerade die
Fabriken, welche einen beruflichen und folglich den sozialen Aufstieg begünstigten?
n Der Bergarbeiteranteil in Diedenhofen war aufgrund der relativen Feme zu den Erz- und mehr
noch zu den Steinkohlerevieren völlig bedeutungslos. Vgl. Tab. 17.
72 ADM 8 AL 244: Jahresbericht der KDTh über die Lage der Industrie und Landwirtschaft v.
29. Oktober 1894.
120
Das saarländische Beispiel vermag diese Annahme anhand der Arbeiterzuwanderung nicht
zu untermauern. (Tab.18)73
Zwar nahm zwischen 1856 und 1900/1909 der Anteil zureisender Arbeiter ohne jegliche
Ausbildung deutlich ab. Prozentuale Gewinne im größeren Stil konnte infolgedessen
allerdings nur die nächsthöhere Kategorie der Anlemkräfte (niedrige Qualifikation)
verbuchen, während ein unter Umständen zu erwartendes Wachstum in den Reihen der
Phase/ Qualifika- tionsniveau A 1856-1875 B 1876-1889 C 1890-1900 D 1901-1909 A-D 1856-1909
hoch (293) 4,6 % 9.3 % 7,3 % 8,9 % 8,0 %
mittel (294) 4,2 % 10,7 % 6.4 % 3,8 % 7.2 %
niedrig (300) 18,9 % 15,6 % 29,5 % 27,8 % 25,7 %
ohne (310) 72,3 % 64,4 % 56,7 % 59,4 % 59,0 %
Summe 100,0 % 100.0 % 99,9 % 99,9 % 99,9 %
ntedrig
Qualifikationsniveau der
ztmändernden Fabrikarteiter
Tab.18 : Qualifikationsniveau der zu wandernden Fabrikarbeiterschaft (ohne Handwerker, Hausierer,
Heim- und Transportarbeiter) nach Malstatt-Burbach
mittel- und hochqualifizierten Arbeiter nach dem positiven Niveausprung von Phase A
(1856/75) nach Phase B (1876/89) ausblieb. Die Facharbeiterquote (hohe Qualifikation)
stagnierte ab den 1870er Jahren zwischen sieben und neun Prozent, und der Anteilswert
der qualifizierten Anlemkräfte (mittlere Qualifikation) fiel sogar von etwa zehn auf
weniger als vier Prozent der Fabrikarbeiterimmigration.
Mit der zunehmenden Maschinisierung der industriellen Betriebe erfolgte offensichtlich
die Einebnung der Qualifikationsunterschiede innerhalb der Fabrikarbeiterschaft. Diese
Entwicklung zeichnete sich bereits seit der Jahrhundertmitte ab, "vollzog sich jedoch in
den einzelnen Teilbetrieben mit unterschiedlicher Intensität, denn im Gegensatz zu den
Hochofen- und Walzwerken erfuhr die dazwischenliegende Produktionsstufe des Roh-
eisenfrischens wegen der Abhängigkeit des traditionell angewandten Puddelverfahrens
von der menschlichen Leistungsfähigkeit erst mit der Einführung der modernen Stahlge-
Die Qualifikationskategorien in Tab.18 korrespondieren mit der Einteilung der Berufsgruppen
in Anhang B2, Abschnitt TV, NT. 293 (hoch), 294 (mittel). 300 (niedrig) und 310 (ohne). Es
finden sich in diesen Berufsgruppen auch Arbeiter, welche nicht bei der Hütte bzw. in den
Fabriken beschäftigt waren. Ihre statistische Eliminierung ist arbeitstechnisch kaum möglich. Auf-
grund ihrer geringen Gesamtzahl fallen diese aber nicht so sehr ins Gewicht, daß sie die
beabsichtigte Analyse von Entwicklungstendenzen unter der Fabrikarbeiterschaft gefährdeten.
Das Zahlenmaterial zu den beiden anderen Gemeinden, Diedenhofen und Esch, erlaubt hier keine
detaillierten Aussagen.
121
winnungsverfahren - und das heißt für die Burbacher Hütte nicht vor der letzten Dekade
des vorigen Jahrhunderts - eine grundlegende chemische Objektivierung".74
Die Umstellung auf das Bessemerverfahren bedeutete somit das definitive Aus für den
Puddlerberuf. "Ein einziger hochqualifizierter Mann überblickte und leitete den Frisch-
betrieb vom Steuertisch aus (...) Von den übrigen Arbeitern hingegen wurde lediglich
erwartet, daß sie unverzüglich seinen Aufforderungen Folge leisteten."75 Das Ver-
schwinden der Puddler aus dem Burbacher Werk bewirkte ab Phase C (1890/1900) eine
entscheidende Schwächung des Arbeiteranteils mit mittlerem Qualifikationsniveau am
Fabrikarbeiterzuzug bei einer gleichzeitigen massiven Zunahme des Anteils von Anlem-
kräften. Das Anlemen wurde zum Standard innerbetrieblicher Ausbildung, das Gros der
Belegschaft nahm Anlerntätigkeiten wahr und kam nicht über den Hilfsarbeiterstatus
hinaus. Lediglich die kleine Gruppe der Meister und Techniker erfuhr durch die genannte
technische Neuerung über ein gesteigertes Maß an Verantwortung und Weisungsbefugnis
im Produktionsprozeß einen Zuwachs an beruflichem und sozialem Prestige.76 Die
Schicht hochqualifizierter Facharbeiter blieb recht dünn, da einerseits ein effektiver
Mangel an ausgebildeten Industriehandwerkem herrschte und sich andererseits das
Engagement der Betriebsleitungen zur Weiterqualifizierung ihrer Belegschaft aus
Kostengründen, aufgrund sozialpolitischer Intentionen und infolge der ohnehin aktuellen
Verfügbarkeit von ungelernten Kräften in Grenzen hielt.
Die Betriebspolitik wies vielmehr in eine andere Richtung. Anstatt auf die Erweiterung
der individuellen beruflichen Kompetenz ihrer Arbeiter hinzuarbeiten, um sich sukzessive
eine breite hochqualifizierte Stammbelegschaft zu sichern, setzte die Hüttenleitung im
Rahmen ihres Anlemkonzeptes auf eine Politik der Hochspezialisierung. Ungelernte
Arbeiter wurden dabei in einer kurzen Anlemphase an eine stark spezialisierte Tätigkeit
herangeführt, welche ihnen keinen Raum für eigenverantwortliches Handeln ließ, die
wegen des hohen Spezialisierungsgrades nur einen enorm verengten und nach oben hin
stark beschränkten Karriere gang bot sowie aufgrund der kurzfristigen Ersetzbarkeit des
Hilfsarbeiters stets mit einer akuten Entlassungsgefahr verbunden blieb. Eingebettet waren
diese Tätigkeiten in ein System der künstlichen Differenzierung, das je nach Dauer der
74 Vgl. Marx, Arbeiter der Burbacher Hütte, S.101. Die Mantschen Arbeitsergebnisse basieren
ausschließlich auf einer Analyse der Individualregister (Allgemeines Arbeiterregister, Hütten-
arbeiterregister) ohne Berücksichtigung der anziehenden Hüttenarbeiter mit familiärem Anschluß,
welche im Familienregister dokumentiert wurden. Im vorliegenden Abschnitt wird der Versuch
unternommen, die Mantschen Resultate unter Ergänzung der eigenen Daten in den Gesamtkontext
einzuordnen.
75 Wengenroth, Ulrich: Untemehmensstrategien und technischer Fortschritt. Die deutsche und
die britische Stahlindustrie 1865-1895, Gottingen-Zürich 1986, S.34f.
76 Vgl. Marx, Arbeiter der Burbacher Hütte, S.102f.
122
Betriebszugehörigkeit zwischen sozial besser bzw. schlechter abgesicherten "ständigen"
bzw. "unständigen Arbeitern" unterschied oder aber mit einer höchst fragwürdigen
Hierarchisierung einfachster Verrichtungen, kaum wahrnehmbare Qualifikationsunter-
schiede voraussetzend, das betriebseigene Lohnabstufungsmodell rechtfertigte. So stoßen
wir um die Jahrhundertwende auf eine bislang unbekannte Vielfalt innerbetrieblicher
Berufsbezeichnungen, die in der Unterscheidung zwischen Arbeitern 1., 2., 3., 4. oder
gar 5. Kategorie gipfelte. Die Gesamtentwicklung stand damit im Zeichen zweier
Prozesse: eine innerbetriebliche Nivellierung der Arbeiterschaft durch Dequalifizierung
ging mit einer (künstlichen) Differenzierung durch Spezialisierung einher.77 "Eine perma-
nent feindselige Trennung zwischen gelernten und angelernten/ ungelernten Arbeiter-
gruppen war das unvermeidliche Resultat dieser spannungsgeladenen Konstellation."78
Die in den Melderegistem ablesbare Einstellungspraxis der Burbacher Hütte bildete -
frei nach dem Motto "divide et impera" - ein wirkungsvolles Steuerungsinstrumentarium
im Kontext der betrieblichen Personal- und lokalen Sozialpolitik.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die in der Immigration nach Malstatt-
Burbach feststellbare sukzessive Anhebung des Ausbildungsniveaus sich keineswegs
übermäßig stark unter den Arbeitern bemerkbar machte. Der Qualifikationsfortschritt in-
nerhalb der Arbeiterschaft bestand - jedenfalls für den saarländischen Industriestandort
- in Anteilsgewinnen der Gruppe handwerklicher Fachkräfte, welche in der Tradition
des Zunfthandwerks standen (291, 292)79. Der Prozentsatz hochqualifizierter Indu-
striehandwerker (293) entwickelte sich dagegen deutlich weniger dynamisch. Allgemein
bestand unter den Fabrikarbeitern anstelle fortschreitender fachlicher Qualifikation die
Tendenz zur Spezialisierung in Anlemtätigkeiten. Zusätzlich zur Stagnation in den
Facharbeiterberufen verlor die Kategorie von Anlernberufen mit einem recht hohen Aus-
bildungsstandard (294), welche sozusagen den Übergangsbereich zwischen Anlernberufen
und echten Lehrberufen bildete, nach 1890 erheblich an Gewicht. Dies vertiefte die Kluft
zwischen der "Arbeiteraristokratie" und den an- bzw. ungelernten Hilfsarbeitern, obwohl
auch der Zuzugsanteil ungelernter Arbeiter im Rückgang begriffen war, was zumindest
einen bescheidenen Qualifikationsgewinn auf breiter Ebene bedeutete. Daß von 100 an-
ziehenden Arbeitern in Malstatt-Burbach ab Mitte der 1870er Jahre immerhin 40
vorgeben konnten, eine Facharbeiterausbildung genossen zu haben80, war also eher der
handwerklichen Zulieferbranche als unmittelbar den industriellen Großbetrieben zu verdanken.
n Vgl. ebda., S.105ff.
71 Ebda., S.106.
75 Vgl. die Berufsgruppen in Anhang B2, Abschnitt IV.
"Vgl. S.110.
123
2.3.5 Beamte und Angestellte
Neben der Arbeiterschaft kam den Beamten und Angestellten (Privatbeamten) eine
herausragende Rolle im Binnenwanderungsgeschehen der Saar-Lor-Lux-Region zu. Im
Rahmen einer Detailanalyse wäre hier zunächst einmal zu fragen, wie das quantitative
Verhältnis zwischen Beamten und Angestellten grundsätzlich aussah. Welches Gewicht
hatten Berufe des technischen Dienstes in Relation zu reinen Verwaltungsberufen sowohl
bei öffentlichen Behörden als auch in der Privatwirtschaft? Es stellt sich die Frage nach
interessanten Entwicklungen im Bereich der unteren Beamten und Angestellten, wo im
Zuge der Urbanisierung neuartige Berufsfelder erschlossen wurden. Ab wann und in wel-
chem Umfang etablierten sich sozialpflegerische Berufe auf dem Arbeitsmarkt? Ab wann
und in welchem Umfang setzte der kommunale Handel Verkäuferinnen und Verkäufer
ein? Schließlich wäre zu klären, wie sich unter den Prämissen eines sozialen Schich-
tungsmodells das Zahlenverhältnis zwischen unteren, mittleren und höheren Beamten
bzw. Angestellten in der Zuwandererschaft gestaltete?
Für die Frühphase der Untersuchung kann unterstellt werden, daß in Diedenhofen und
mehr noch in Malstatt-Burbach das Dienstleistungsangebot recht dürftig gewesen sein
muß und sich offensichtlich schwerpunktmäßig auf Dienstleistungen amtlicher Behörden
erstreckte. Im saarländischen Industriedorf zogen zwischen 1856 und 1875 bzw. in der
lothringischen Kleinstadt zwischen 1883 und 1889 nicht sehr viele Beamte und Ange-
stellte sowie jeweils etwas mehr Staatsbedienstete als Angestellte zu. Der Aufbau der
Industrieanlagen wurde folglich privatwirtschaftlich von einer relativ bescheidenen Zahl
Angestellter betreut und war von einem recht umfassenden Auf- bzw. Ausbau staatlicher
und kommunaler Einrichtungen begleitet. Im Verhältnis zum privaten Dienstleistungsbe-
reich expandierte im weiteren Verlauf der Industrialisierung und Urbanisierung der öf-
fentliche Behördenapparat jedoch ungleich verhaltener und erreichte strukturbedingt rasch
einen gewissen Sättigungsgrad, so daß nach der Jahrhundertwende in beiden Städten vier
Fünftel der Zuwanderung im Dienstleistungssektor von Angestellten getragen wurden.
Die Angestellten im luxemburgischen Esch stellten gemäß der Volkszählung des Jahres
1900 über 70 Prozent derjenigen, welche Dienstleistungen erbrachten, gegenüber knapp
30 Prozent Staats-, Landes- oder Gemeindebeamten. (Tab. 19)
Ein besonders breites Spektrum an Tätigkeiten bot sich Beamten und Angestellten der
mittleren Laufbahnebene. Die Vielfalt der Berufsbezeichnungen war hier am größten.
Nach einem anfänglichen Übergewicht von Zuwandcrem mit Verwaltungsaufgaben wur-
den in den mittleren Führungspositionen nach und nach relativ mehr Stellen im techni-
schen als im rein administrativen Sektor besetzt. (Tab.20) Dabei traten erhebliche Unter-
schiede zwischen dem privaten und dem öffentlichen Dienstleistungsbereich hervor. Die
Immigrationsanteile der mittleren Chargen des technischen Dienstes in der Industrie wuch-
124
scn überproportional an
und lagen nach 1900 in
Diedenhofen und Mal-
statt- Burbach deutl ich
über 40 Prozent. Unter
den mittleren Beamten
und Angestellten in
Esch beanspruchte diese
Gruppe - wohl unter
ähnlichen Rahmenbe-
dingungen - im Jahre
1900 etwa ein Drittel
(32,6%) der Stellen.
Die Anteile des öffent-
lichen technischen
Dienstes, d.h. vor allem
von Ingenieuren,
A B C D
DIEDENHOFEN 1856-1882 1883-1889 1890-1900 1901-1909
u&m Beamte 51,7 % 35,9 % 17,3 %
u&ra Angestellte 44,8 % 63,1 % 81,6 %
höhere Beamte u. Angestellte 3,4 % 1,0 % 1,0 %
MALSTATT- BURBACH 1856-1875 1876-1889 1890-1900 1901-1909
u&m Beamte 53,1 % 25,6 % 313 % 20,7 %
u&m Angestellte 46,6 % 73,8 % 66,7 % 78,6 %
höhere Beamte u. Angestellte 0,2 % 0,6 % 1,8 % 0,8 %
ESCH 1871 1890 1900
u&ra Beamte 32,8 % 32,8 % 27,8 %
u&m Angestellte 65,5 % 643 % 70,1 %
höhere Beamte u. Angestellte 1,8 % 3,0 % 2,1 %
bei Esch bezogen auf die Bevölkerung, bei Diedenbofen und Malstatt-Buibach bezogen
auf die Zuwandererschaft;
u4m Beamte bzw. Angestellte * untere und mittlere Beamte bzw. Angestellte; zur
Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab. 19: Zahlenverhältnis zwischen Beamten und Angestellten
(Privatbeamten)
Meistern und Aufsehern
bei der Post, der Bahn
und (soweit vorhanden)
im staatlichen Bergbau, blieben in Diedenhofen durchweg unter zehn Prozent der Dienst-
leistungsimmigration auf mittlerer Ebene und pendelten sich auch in Malstatt-Burbach
von vor 1876 noch zirka 20 Prozent (20,9%) nach 1890 auf knapp zehn Prozent (10,5%)
ein. In Esch waren im Jahre 1900 ebenfalls weniger als zehn Prozent (8,1%) der mittleren
Beamten im technischen Dienst beschäftigt. Die insgesamt wachsende Bedeutung des
technischen Dienstes stand also in engem Zusammenhang mit dem positiven privatwirt-
schaftlichen ’Wachstumstrend vor dem ersten Weltkrieg. Der Betrieb und Ausbau staatli-
cher Infrastruktureinrichtungen in Verkehrs- und informationstechnischer Hinsicht, für
das Saarland auch im Bergbau, band in Relation zur Privatwirtschaft immer weniger
Kräfte. Während das Engagement der öffentlichen Hand in der Phase des "take-off",
als es um die strukturelle Erschließung der zukünftigen Industriezentren ging, für
technisch versierte Führungskräfte noch einen maßgeblichen Faktor auf dem Arbeitsmarkt
darstellte, traten der Staat und die Kommunen gegen Ende des Untersuchungszeitraums
diesbezüglich zunehmend in den Hintergrund.
Nicht ganz das Gleiche gilt für den Bereich der mittleren Verwaltung. Zwar sank zuneh-
mend auch der relative Anteil der mittleren Verwaltungsbeamten an der Zuwanderung
nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach im mittleren Dienstleistungsbereich. Die
prozentualen Zugewinne der Verwaltungsangestellten waren zugleich in Diedenhofen
125
aber weniger stark, so daß
der Anteil der Verwal-
tungsangestellten (24,4%)
zwischen 1900 und 1909
nur knapp den Anteil der
Verwaltungsbeamten
(22,0%) überstieg. In Mal-
statt-Burbach waren auf
mittlerer Ebene die Pro-
zentwerte für die Verwal-
tungsangestellten im Ge-
samtzusammenhang ebenso
rückläufig wie für die
Verwaltungsbeamten. Dies
erklärt den relativen
Bedeutungsverlust der
Verwaltungsberufe
gegenüber den technisch
akzentuierten Berufen im
Dienstleistungssektor.
Die Auswirkungen dieser
A B C D
DIEDENHOFEN 1856-1882 1883-1889 1890-1900 1901-1909
öff.-technisch 7,1 % 9,1 % 4,9 %
priv.-technisch 7,1 % 203 % 48,8 %
öff. Verwaltung 71.4 % 47.7 % 22,0 %
priv. Verwaltung 14,3 % 22.7 % 24,4 %
MALSTATT- BURBACH 1856-1875 1876-1889 1890-1900 1901-1909
öff.-technisch 20,9 % 143 % 103 % 103 %
priv.-technisch 43,0 % 18,0 % 32,6 % 43,4 %
öff. Verwaltung 31,4 % 42,1 % 393 % 263 %
priv. Verwaltung 4.7 % 25.6 % 17,4 % 19,7 %
ESCH 1871 1890 1900
öff.-technisch 0,0 % 5,4 % 8,1 %
priv.-technisch 5,6 % 34,4 % 32,6 %
öff. Verwaltung 41,7 % 43,0 % 453 %
priv. Verwaltung 52,8 % 17,2 % 14,0 %
bei Esch bzogen auf die Bevölkerung, bei Diedenhofen und Mlistart-Bürbach be-
zogen auf die Zuwandererschaft;
Öff. ■ öffentlich ; priv. * privatwirtschaftlich; zur Ergebnisgenauigkeit
vg!. Anhang D.
Tab.20 : Berufe des technischen und des Verwaltungsdien-
stes bei den mittleren Beamten und Angestellten
(Privatbeamten)
Immigrationsphänomene auf die Struktur des Dienstleistungsbereiches in Diedenhofen
und Malstatt-Burbach lassen sich aufgrund einer jeweils nur sehr lückenhaften Überliefe-
rung von Volkszählungsmaterialien nicht detailliert nachvollziehen. Eine vergleichbare
Entwicklung führte jedenfalls unter den Beamten und Angestellten in der Escher Bevöl-
kerung zu folgenden Resultaten: Im Verlauf der Industrialisierung bildete der technische
Dienst die entscheidende Wachstumsbranche für mittlere Beamte und Angestellte,
während der Anteil von Verwaltungstätigkeiten im Verhältnis hierzu fortgesetzt an Ge-
wicht verlor. Letztlich lag allerdings der Anteil der mittleren Verwaltungsbeamten und -
angestellten um die Jahrhundertwende immer noch um fast 20 Prozentpunkte über dem
der Beschäftigten in den mittleren Führungsetagen des technischen Dienstes. Die öffentli-
che Verwaltung beschäftigte zu diesem Zeitpunkt die meisten der mittleren Beamten und
Angestellten (45,3%), dicht gefolgt von den technischen Angestellten in der Privatwirt-
schaft (32,6%). In den Büros der (industriellen) Betriebsverwaltungen fanden zugleich
14 Prozent dieser Gruppe eine Anstellung, während die Staats- und Kommunalbeamten
des technischen Dienstes 8,1 Prozent der Stellen beanspruchten.
Im Jahre 1900 diente in Esch etwas mehr als die Hälfte der Beamten und Angestellten
des mittleren Dienstes dem Staat oder der Gemeinde und nahm vorzugsweise Verwal-
126
tungsaufgaben wahr. Die andere Hälfte dieser Berufsgruppe arbeitete in privatwirtschaftli-
chen Einrichtungen, deren Produktionsorientierung einen enormen Einsatz technisch
qualifizierten Führungspersonals erforderlich machte und in ungleich bescheidenerem
Maße als die öffentliche Hand Beschäftigungsmöglichkeiten für Verwaltungsangestellte
bot. In der südluxemburgischen Gemeinde hatte sich im Rahmen der genannten Umstruk-
turierungstendenzen auf der mittleren Laufbahnebene insgesamt ein leichtes Übergewicht
der Beamten gegenüber den Angestellten ergeben. Die Zuwanderung nach Diedenhofen
und Malstatt-Burbach wurde allerdings nach 1900 im gleichen Wirtschaftssektor von
einem deutlichen Immigrationsvorsprung der privatwirtschaftlichen Dienstleistungsbemfe
geprägt, so daß hier auf mittleren Führungspositionen insgesamt eine zumindest tendenzi-
elle Gewichtsverlagerung zugunsten der Privatwirtschaft zu unterstellen ist.81
Auf der unteren Laufbahnebene war diese Vorrangstellung privatwirtschaftlicher
Dienstleistungsberufe für alle drei Untersuchungsgemeinden schon wesentlich früher
gegeben. (Tab.21 )K
Von den Zuwanderem nach Diedenhofen waren vor 1890 bereits 70 Prozent der unteren
Beamten und Angestellten bei privaten Arbeitgebern im Dienst, zwischen 1890 und 1900
zirka 80 Prozent und nach 1900 sogar näherungsweise 90 Prozent.83 In Malstatt-Bur-
bach waren vor 1876 die Angestellten im öffentlichen Dienst noch in der Überzahl, zwi-
schen 1876 und 1900 reduzierte sich ihr Immigrationsanteil aber auf durchschnittlich
30 Prozent und betrug nach 1900 weniger als 15 Prozent des Zuzuges. Und ganz ähnlich
gestalteten sich die Verhältnisse in der Escher Bevölkerung, wo im Jahre 1871 schon
über 80 Prozent, 1890 mehr als 85 Prozent und 1900 weit über 90 Prozent der unteren
Beamten und Angestellten nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt wurden.
Den weitaus größten Teil, und bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts den
nahezu ausschließlichen Teil, der Privatangestellten machten die Dienstboten einschließ-
lich des Gaststättenpersonals aus. Im Migrationszusammenhang traten jedoch in Malstatt-
Burbach ab den 1880er Jahren, in Diedenhofen ab den 1890er Jahren, mit den Verkäufe-
rinnen und Verkäufern sowie in der sozialpflegerischen Sparte neue Berufsgruppen auf
den Plan. Verkaufspersonal fand sich in der Malstatt-Burbacher Zuwandererschaft in
91 In Phase D (1900/09) waren in Diedenhofen 73 ,2 Prozent der zuwandemden mittleren Beamten
und Angestellten privatwirtschaftlich tätig, in Malstatt-Burbach 63,1 Prozent.
G Die Rubrik der Angestellten im öffentlichen Dienst deckt sich mit der Berufskategorie 350,
die Rubrik der Privatangestellten entspricht der Berufskategorie 340, das Verkaufspersonal findet
sich in der Berufskategorie 341 und die sozialpflegerischen Berufe repräsentiert die Berufs-
kategorie 342. Vgl. Anhang B2, Abschnitt IV. Die Berufskategorie 340 beinhaltet dabei über-
wiegend Dienstboten und Gaststättenpersonal.
93 Hier werden die drei Berufskategorien 340, 341 und 342 zusammengefaßt und den Angestellten
im öffentlichen Dienst (350) gegenübergestellt.
127
sehr bescheidenem Maße
(1,7 % der unteren
Beamten und Angestellten)
seit Beginn der 1880er
Jahre, eine feste Größe im
Migrationszusammenhang
wurde diese Berufsgruppe
erst nach 1890 (12,4 %).
Ähnliches gilt für Die-
denhofen und Esch. Auch
die sozialpflegerischen
Berufe wurden erst im
Zeitabschnitt 1876 bis
1889 relevant und
etablierten sich nach 1890.
(Tab.21)84 Dieses Faktum
bedeutet keineswegs eine
bloße Bereicherung der
Berufslandschaft in den
Städten, sondern ist ein
vielsagendes Indiz für die
A B C D
DIEDENHOFEN 1856-1882 1883-1889 1890-1900 1901-1909
Angestellte (öff.Dienst) 28,6 % 19,3 % 10,7 %
Privat ingestellte 71,4 % 56,1 % 66,1 %
V erkaufspersonal 0,0 % 174 % 16,1 %
soz.-pfleg. Berufe 0,0 % 7,0 % 7,1 %
MALSTATT- BURBACH 1856-1875 1876-1889 1890-1900 1901-1909
Angestellte (öff.Dienst) 57,8 % 29,2 % 31,9 % 13,7 %
Privatangestellte 42,2 % 64,9 % 48,0 % 69,8 %
Verkaufsperson al 0,0 % 1,7 % 12,4 % 11,0 %
soz.-pfleg. Berufe 0,0 % 4,3 % 7,7 % 54 %
ESCH 1871 1890 1900
Angestellte (öff.Dienst) 16,7 % 13,0 % 7,7 %
Privat angestellte 77,8 % 624 % 66,3 %
Verkaufspersonal 0,0 % 74 % 1,9 %
soz.-pfleg. Berufe 5,6 % 17,4 % 24,0 %
bei Esch bezogen auf die Bevölkerung, bei Diedenhofen und Malstttt-Burbach
auf die Zuwandererschaft; zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab.21 : Untere Beamte und Angestellte (Privatbeamte)
Qualität des fortschreitenden Urbanisierungsprozesses.
Einerseits markiert das Auftreten der neuen Berufe gravierende Veränderungen infolge
der betrieblichen und staatlichen Sozialpolitik nach 1870 sowie im Kontext einer struktu-
rellen Ausdifferenzierung des kommunalen Einzelhandels, andererseits spiegelt die ge-
nannte Entwicklung das steigende Qualifikationsniveau in den städtischen Unterschichten
wider.
Zu den ersten berufsbildenden Schulen überhaupt zählten u.a. Lehranstalten für Haus-
wirtschaft und Krankenpflege. Diese Institute stützten den gegen Ende des 19. Jahrhun-
derts von betrieblicher und staatlicher Seite initiierten Leistungsfortschritt in sozialpflege-
rischen Belangen personell ab. Die zahlreichen Küchen und Kantinen der Industriebetriebe
84 In Esch waren bereits 1871 5,6 Prozent der unteren Beamten und Angestellten in sozial-
pflegerischen Berufen tätig. Auch in Diedenhofen und Malstatt-Burbach wird es schon vor den
1880er Jahren Kinderfrauen, Hauswirtschafterinnen und Krankenpflegepersonal gegeben haben.
Innerhalb der Binnenwanderungen, d.h. auch als eigenes Berufsbild, ist diese Gruppe aber erst
später greifbar. Zuvor deckte die Bevölkerung jener Gemeinden ihren diesbezüglichen Bedarf
wohl aus den Reihen der (aufgrund der Vertrauensstellung notwendigerweise besonders
zuverlässigen) Hausangestellten. Verkaufspersonal ist in Esch ebenfalls erst in der Volkszählung
von 1890 nachgewiesen.
128
ebenso wie die allerorts neu gegründeten betrieblichen und öffentlichen Krankenanstalten
deckten beispielsweise ihren ständig steigenden Bedarf an Fachkräften über die genannten
Bildungseinrichtungen, die ihren Absolventen eine qualifizierte Ausbildung mit auf den
Weg gaben.85 Aus typischen Teilbereichen der Arbeit von klassischen Hausangestellten,
wie etwa der Haushaltsführung oder der Kinderbetreuung, erwuchsen eigene in sich ge-
schlossene Berufsprofile. Berufsbezogene schulische Ausbildungsgänge werteten so-
zialpflegerische Tätigkeiten dieser Art entscheidend auf. Man konnte sich nun zur
staatlich geprüften Hauswirtschafterin oder Kindergärtnerin ausbilden lassen, was bislang
benachteiligten Unterschichtengruppen - vor allem auch Frauen - erweiterte soziale
Aufstiegsmöglichkeiten bot.
Parallel dazu entwickelte sich im städtischen Einzelhandel das Berufsbild der Verkäuferin
bzw. des Verkäufers. Hatte in der Regel ein Geschäftsinhaber in den aufstrebenden
Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes ursprünglich seine Kundschaft persönlich
bedient, wurde es ab einem bestimmten Zeitpunkt anscheinend in zunehmendem Maße
üblich, für die Kundenbetreuung spezielles Verkaufspersonal einzustellen. Ausgebildete
Einzelhandelskaufleute haben sich dabei offenbar zunehmend aus dem Verkauf zurückge-
zogen und sahen ihren Aufgabenbereich verstärkt im Einkauf und der Buchführung. Hat-
ten mehr oder weniger unqualifizierte Hausangestellte bislang im Laden nur ausgeholfen
oder geschäftliche Botengänge und dergleichen verrichtet, erwuchs auch hier aus dem
weiten Betätigungsfeld der Dienstboten ein eigenständiger Beruf, über den man sich ge-
sellschaftlich identifizieren konnte und über den man nicht zuletzt durch den aktiven
Kundenkontakt eine gegenüber dem traditionellen Hauspersonal sozial höherstehende
Position einnahm. Grundsätzlich dürfte die Herausbildung des Verkäuferinnenberufs mit
der Ausdifferenzierung des kommunalen Einzelhandels einhergegangen sein. So machte
allein schon die Ansiedlung moderner Kaufhäuser mit mehreren Etagen und Abteilungen,
die in Diedenhofen, Esch und Malstatt-Burbach bis dato unbekannt waren, die Anstellung
von repräsentativem Verkaufspersonal nötig. Urbane Geschäftsstrukturen begannen dörf-
lich-kleinstädtische Einzelhandelsstrukturen abzulösen.
Im Anschluß an diese ausführliche Analyse des allgemeinen Verhältnisses zwischen
Beamten und Angestellten sowie der Entwicklung einzelner Berufssparten innerhalb der
mittleren bzw. unteren Beamten- bzw. Angestelltenschaft sollen noch ein paar ab-
B Daneben ist auch der Aspekt der sozialen Disziplinierungs- und haushaltstechnisch-hygieni-
schen Standardisierungsabsicht gegenüber den Unterschichten durch die Einrichtung berufsbil-
dender Institute zu sehen. Vgl. speziell zum Untersuchungsraum Thomes, Paul: Verwaltete
Krankheit. Die Entstehung des modernen Krankenhauses, in: van Dülmen, Industriekultur an der
Saar, S.160-172; Hoherz, Hilde: 'Krystaüisationspunkt allen Glücks'. Frauenarbeit in der ’Ara
Stumm', ebda., S. 193-207 sowie sehr aufschlußreich zur Zwischenkriegszeit: dies.: 'Es mußte
zu Zwangsmitteln gegriffen werden...’. Hausfrauenschulen nach dem Ersten Weltkrieg am Beispiel
Fraulautern, in: Eckstein, Journal für Geschichte Nr.3/1992, S.4-7.
129
grenzende Bemerkungen
über das quantitative
Verhältnis der drei ange-
sprochenen Lauf-
bahnebenen des unteren,
mittleren und höheren
Dienstes zueinander
stehen. (Tab.22)
In Diedenhofen und Esch
zeigt sich während des
Untersuchungszeitraums
eine deutliche Zu-
wachstendenz beim
Dienstleistungspersonal der
unteren Laufbahnebene bei
einem gleichzeitigen rela-
tiven Rückgang des Perso-
nals der mittleren Lauf-
bahnebene. Der vor 1890
gewichtige Anteil der
mittleren Führungskräfte reduzierte sich zugunsten der unteren Laufbahnebene, so daß
um bzw. nach 1900 in der Escher Einwohnerschaft bzw. in der Diedenhofener Zuwan-
dererschaft die unteren Beamten und Angestellten zahlenmäßig dominierten. Diese
Gewichtsverlagerung demonstriert in anschaulicher Weise den Übergang von der Auf-
bauphase in der privaten und staatlichen Administration, während vorrangig die Besetzung
der Schlüsselpositionen innerhalb der Verwaltungen vorgenommen worden war, hin zum
Normalbetrieb in den Büros, wo die verschiedensten speziellen Routineaufgaben an Mit-
arbeiter der unteren Laufbahnebene deligiert werden konnten. Erstaunlicherweise bot sich
in Malstatt-Burbach ein hiervon völlig verschiedenes Bild, da in der saarländischen
Gemeinde in den Zeitabschnitten A (1856/75) und B (1876/89) die untere gegenüber der
mittleren Laufbahnebene deutlich überrepräsentiert war und sich erst in Phase C
(1890/1900) eine den beiden anderen Städten vergleichbare Relation einstellte. Die
einzigartige Lage Malstatt-Burbachs in Nachbarschaft zu den beiden Städten St Johann
und vor allem zu Saarbrücken, wo sich eine Vielzahl von leitenden Behörden zentral
niedergelassen hatten und die als Wohnorte eine gesteigerte Attraktivität gegenüber der
Industriestadt besaßen, bedingte dieses Strukturphänomen. Die räumliche Nähe zu tradi-
tionellen Verwaltungszentren verhinderte die adäquate Ansiedlung mittlerer und höherer
Führungskräfte aus der Privatwirtschaft wie aus dem öffentlichen Dienst und begünstigte
A B C D
DIEDENHO- FEN 1856-1882 1883-1889 1890-1900 1901-1909
untere B&A 484 % 55,4 % 57,1 %
mittlere B&A 48,2 % 43,6 % 41,8 %
höhere B&A 3,4 % 1,0 % 1,0 %
MALSTATT- BURBACH 1856-1875 1876-1889 1890-1900 1901-1909
untere B&A 84,2 % 63,9 % 50,6 % 69,8 %
mittlere B&A 15,5 % 354 % 47,6 % 294 %
höhere B&A 0.2 % 0,6 % 1,8 % 0,8 %
ESCH 1871 1890 1900
untere B&A 32,8 % 41,1 % 53,6 %
mittlere B&A 654 % 56,0 % 44,3 %
höhere B&A 1.8 % 3,0 % 2,1 %
bei Esch bezog ca auf die Bevölkerung, bei Diedenhofen und Malstatt-Burbach
bezogen auf die Zuwandererschaft;
B&A * Beamte und Angestellte;
zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab.22 : Zahlenverhältnis zwischen den Angehörigen der
einzelnen Laufbahnebenen der Beamten und
Angestellten (Privatbeamten)
130
aus siedlungstopographischer Sicht in verschärfter Form die Ausbildung sozio-profes-
sioneller Monostrukturen, so daß das saarländische Malstatt-Burbach mehr noch als das
lothringische Diedenhofen oder auch das luxemburgische Esch den dezidierten Charakter
einer Arbeiterstadt mit höchstens kleinbürgerlichen Akzenten besaß.
131
3. Herkunft und Ziel: Geographische Mobilitätsmuster
Als Basisinformationen für die Analyse geographischer Mobilitätsmuster bieten uns die
Melderegister der Städte Diedenhofen und Malstatt-Burbach die Herkunfts-, Geburts-
sowie Zielorte der Zuwanderer an. Aus den Escher Volkszählungen sind uns ausschließ-
lich die Geburtsorte der Einwohner bekannt.86
Aufgrund dieser Daten sollen in einem ersten Untersuchungsschritt grundsätzliche Fragen
der Mobilitätsbereitschaft angesprochen werden: Waren die Zuwanderer vor ihrem Zuzug
schon mobil, d.h. waren ihre Geburtskreise zugleich ihre Herkunftskreise oder nicht?
Wie stark war die Bindung der Immigranten an ihre Herkunfts- bzw. Geburtskreise, d.h.
wie häufig waren ihre Herkunfts- bzw. Geburtskreise zugleich auch ihre Zielkreise beim
Abzug aus der Stadt?87
Anschließend wird eine ausführliche Erörterung der räumlichen und strukturellen Distanz
zwischen den Städten des Saar-Lor-Lux-Raumes und den Herkunfts- bzw. Zielkreisen
der Zuzügler vorgenommen. Dabei wird zu fragen sein, welche Kilometerdistanzen die
Migranten auf sich nahmen, aus welchen Regionen, welchen Staatsgebieten sie sich
rekrutierten und schließlich wie ihre Herkunfts- bzw. Zielgebiete ökonomisch strukturiert
waren.88
Zuerst einmal wird das Faktum einer hochmobilen mitteleuropäischen Bevölkerung im
Zeitalter der Industrialisierung dadurch bestätigt, daß in Malstatt-Burbach wie in
Diedenhofen deutlich weniger als die Hälfte der Zuwanderer aus demselben Kreis zu-
zogen, in welchem sie geboren worden waren. (Tab.23) Dies gilt für die saarländische
Kommune unabhängig von der Entfernung zum Herkunftskreis. Auch Nahwanderer aus
einem Umkreis von maximal 80 Kilometern waren keineswegs häufiger zugleich dort
geboren. Zuzügler aus dem (eigenen) Kreis Saarbrücken waren sogar seltener hier
geboren, als es die Gesamtheit der Zuwanderer in ihren Herkunftsgebieten war. Und dabei
nahm generell der Anteil der im Herkunftskreis Geborenen rapide ab, so daß zwischen
86 Vgl. Kapitel C.
87 Der kleinräumlich-regionale Bezug ist m.E. im Hinblick auf Herkunft und Ziel der Migranten
eher beachtenswert als das wesentlich rigidere (und meist in der zeitgenössischen und historischen
Statistik instrumentalisierte) Kriterium des Bezugs zu einem Ort, da mir ein früherer Umzug von
einem zu einem anderen Ort innerhalb eines Kreises der Herkunfts- bzw. Zielregion im Sinne
der Fragestellung nicht unbedingt signifikant erscheint und u.U. das Bild der Mobüitätsbereitschaft
in der ohnehin hochmobilen Epoche einfach überzeichnet. Zum Begriff des Kreises vgl. Anhang
B3.
88 Vgl. Anhang B3.
132
1890 und 1900 nur noch für knapp 23 von 100 Immigranten Herkunfts- und Geburtskreis
identisch waren.89
Die Verhältnisse unter den Malstatt-Burbacher Familienwanderern unterschieden sich
allerdings fundamental von denjenigen unter den Einzelwanderem. Denn während kon-
stant zwischen 40 und 50 Prozent der Familienzuwanderer Herkunftsorte benannten, die
in nächster Nachbarschaft zu ihren Geburtsorten lagen, kamen von 100 Individualzuzüg-
lem höchstens 15 aus ihrem Geburtskreis - bei stark fallender Tendenz. Das Wande-
rungsverhalten von Alleinstehenden charakterisierten demzufolge vornehmlich Etappen-
wanderungen. Dies untermauert Langewiesches These, "Familien erwiesen sich in der
Hochindustrialisierungsphase als innerörtlich hochgradig mobil, regional dagegen als rela-
tiv immobil"90.
Andererseits war die effektive Bindung der "Singles" an ihre angestammten Heimatkreise
enorm. Weit über 90 Prozent der Alleinwanderer verließen Malstatt-Burbach in Richtung
ihrer Geburtskreise. Nur maximal 2 von 100 alleinstehenden Personen kehrten in den
Kreis zurück, aus dem sie zuvor angezogen waren, der aber nicht zugleich ihr Geburts-
kreis war.91 Und völlig neue Ziele wurden im Falle eines Wegzugs seitens der Binnen-
wanderer ohne familiäre Begleitung ebenfalls nur äußerst selten eingeschlagen (0,5%
bis 4,0%).
Dagegen konnten sich zwischen 39 und 45 Prozent der Familienwanderer entschließen,
Neuland zu betreten, indem sie sich weder in Richtung ihrer Geburts- noch ihrer
unmittelbaren Herkunftskreise wandten. Von 100 Familienwanderem, die Malstatt-
Burbach den Rücken kehrten, fühlten sich immerhin zirka 19 bis 24 Personen erneut von
ihren vorherigen Aufenthaltskreisen angezogen.92 Aber nur verhältnismäßig bescheidene
35 bis 39 Prozent trugen sich mit dem Gedanken einer Rückkehr in ihren jeweiligen Ge-
burtskreis.
39 Im reichsdeutschen Zusammenhang äußerte sich die gesteigerte Mobilität der Hochindu-
strialisierungsperiode so, daß im Jahre 1907 "von 60,4 Mill. im Deutschen Reich Geborenen 29
Miß. (48,0%) außerhalb der Gemeinde ihrer Geburt [lebten]". Langewiesche, Wanderungs-
bewegungen, S.20.
90 Langewiesche, Wanderungsbewegungen, S.29. Auf das Phänomen der innerstädtischen Umzüge
wird in Kapitel E gesondert eingegangen.
91 Gemeint ist an dieser Stelle ausschließlich die Rückkehr in den HerkunftsÄreis, sofern dieser
nicht auch zugleich den GeburtsAreis des Migranten darstellte. Unter Berücksichtigung der
gleichzeitigen Herkunfts- und Geburtsfo-else wählten insgesamt maximal acht Prozent der
Alleinstehenden den vormaligen Aufenthalt zum neuerlichen Wanderungsziel.
92 Dito. Unter den Familienwanderem betrug der Anteil der Rückkehrer in die HerkunftsJb'eise
insgesamt zwischen 42,1 Prozent und 53,4 Prozent.
133
Für Diedenhofen liegen nicht die detaillierten Angaben wie für die saarländische
Hüttenstadt vor. Dennoch ist zu sehen, daß aus der Gesamtheit der Zuwandererschaft
in der nordlothringischen Metropole nur rund 45 Prozent, nach 1900 kaum mehr als 40
Prozent (41,5%) von ihren Geburtskreisen her anzogen. Auch in den Wanderungs-
umschlag des bis zur Jahrhundertwende kleinstädtischen Milieus war also nicht nur die
Bevölkerung des direkten Umlands miteinbezogen, sondern Diedenhofen war ebenso wie
die benachbarten Industrieorte Zielpunkt von Etappenwanderungen, wenngleich deutliche
graduelle Unterschiede festzustellen sind. Die bis zur Industrialisierung des Ortes beste-
hende, besonders enge Bindung Diedenhofens an die eingeborene Bevölkerung seines
Hinterlandes äußerte sich - ganz im Gegensatz zu Malstatt-Burbach - aber darin, daß
in den 1880er Jahren etwas mehr als die Hälfte (50,7%) der Zuwanderer aus dem eigenen
Kreis Diedenhofen-Ost und in den 1890er Jahren sogar ungefähr 54 von 100 Immi-
granten aus nächster Nähe bereits schon dort geboren worden waren. Mit den Um-
wälzungen des Industrialisierungsprozesses reduzierte sich dieser Anteilswert schlagartig
auf knapp ein Drittel (32,5%). Die immigrationsrelevante Attraktivität der Industrie betraf
damit nicht nur die Siedlungsstruktur der Stadt selbst, sondern wirkte sich in erheblichem
Maße auch auf ihr Umland aus, das mit dem anbrechenden 20. Jahrhundert zur erwei-
terten Ansiedlungszone der jungen Industriestadt wurde. Eine gesteigerte Mobilität erfaßte
neben dem städtischen Kem auch die umliegenden Bauerndörfer. Immer häufiger
siedelten sich Auswärtige in den benachbarten Agrargemeinden an, um diese nach einer
gewissen Zeitspanne oftmals wieder zeitweise oder für immer in Richtung des städtischen
Zentrums zu verlassen. Der Anteil der Ortsgebürtigen an der Einwohnerschaft dieser
Dörfer ging zurück und mit dem Regelfall weitgehender Seßhaftigkeit der agrarischen
Bevölkerung im kleinstädtischen Umfeld ein Stück vorindustrieller Normalität verloren.
In der Wahl ihrer Wanderungsziele unterschieden sich die Migranten in Diedenhofen
nicht unerheblich von ihren Kollegen in Malstatt-Burbach. Das Verhalten der Gesamtheit
der Wanderer in Diedenhofen erinnert darin an die Familienwanderer in der Saarstadt.
Nicht übermäßig viele (33% bis 41%) verließen Diedenhofen in Richtung ihres jeweiligen
Geburtskreises. Eine beachtliche Anzahl (21% bis 26 %) kehrte. in ihre Herkunftskreise
zurück. Und außer in den 1890er Jahren richtete die Mehrzahl (38% bis 43%) ihre
Schritte in neue Regionen, d.h. weder in den Geburts- noch in den Herkunftskreis.
Hypothesenhaft ist hieraus abzu leiten, daß Diedenhofen vor wie nach den Umwälzungen
der Jahrhundertwende zumindest bis 1910 den Charakter eines typischen Durchgangsortes
innehatte.Vor der Industrialisierung spielte die Stadt als Handelsplatz, als Garnison und
als Handwerkeretappe eine wesentliche Rolle. Reisende Handelsleute und ständig von
134
MALSTATT- BURBACH A 1856-1875 B 1876-1889 C 1890-1900 A-C 1856-1900
Malstatt-Burbach (alle)
H = G 45,8% 31,0% 22,4% 25,1%
H <> G 54,2% 69,0% 77,6% 74,9%
Z = H 23,7% 11,7% 9,6% 11,0%
o II 35,4% 67,4% 67,7% 66,9%
ZoH und ZoG 40,9% 20,9% 22,7% 22,1%
Malstatt-Burbach (Individualwanderer)
X ii o 13,8% 1,2% 3,6%
H <> G 86,2% 98,8% 96,4%
Z = H 1,7% 0,7% 0,9%
Z = G 94,3% 98,7% 97,9%
ZoH und ZoG 4,0% 1,2% 1,2%
Malstatt-Burbach (Familienwanderer)
Ü n SC 45,8% 49,4% 44,0% 46,0%
H <> G 54,2% 50,6% 56,0% 54,0%
Z = H 23,7% 22,4% 18,6% 20,8%
o II M 35,4% 38,8% 36,1% 36,8%
ZoH und ZoG 40,9% 38,8% 45,3% 42,4%
DIEDEN- HOFEN B 1883-1889 C 1890-1900 D 1901-1909 B-D 1883-1909
H = G 43,8% 45,7% 415% 43,5%
H o G 56,2% 54,3% . 58,5% 56,5%
Z = H 25,8% 21,3% 23,9% 23,2%
Z = G 34,4% 40,8% 32,8% 36,1%
ZoH und ZoG 39,8% 37,9% 43,3% 40,8%
G = Geburtskreis, H = Herkunftskieis, Z » Ziclkreis,<> bedeutet: "ist ungleich"; zur Ergebnisgenauigkeit vg. Anhang D.
Tab.23 : Relationen zwischen den Geburts-, Herkunfts- und 7Az\kreisen der Zuwanderer
nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach
135
Versetzungen betroffene Militärs93 sowie vor allem Handwerker "auf der Walz" stellten
bis um 1900 maßgebliche Teile der mobilen Bevölkerung in der Stadt. Dies sind aber
Berufsgruppen, die eben gerade nicht örtlich gebunden sind, so daß eine Ziel-Rückkehr-
Wanderung als Normalfall auch nicht zu unterstellen ist.
Nach 1900 war Diedenhofen
als Industriestadt gerade im
Aufbau begriffen und blieb
somit offensichtlich erst ein-
mal Durchgangsstation im
Rahmen einer industrieorien-
tierten Chancenwanderung.
Der etablierte Industriestand-
ort Malstatt-Burbach bildete
dagegen, wie wir gesehen
haben, vornehmlich auch für
die alleinstehenden Arbeiter
einen regionalen Sammel-
punkt, wo man zum Abschluß
einer Ausbildungs- oder Ar-
beitswanderung, die zumeist
über mehrere Stationen führte, auf jeden Fall noch einmal ein Domizil bezogen haben
wollte, bevor der Weg in den HeimatAms eingeschlagen wurde.94 Orte wie Diedenhofen
dagegen blieben Etappe, in die einen unter Umständen die Neugier zwar trieb, von denen
man aber nicht so ganz wußte, was daraus einmal werden würde. Diedenhofen - das
konnte in den Augen der Binnenwanderer nicht alles gewesen sein, was die Industrie
der Region zu bieten hatte. Mag sein, daß darum verhältnismäßig wenige von der lo-
thringischen Kommune aus unverzüglich in heimatliche Gefilde aufbrachen.
Welche Wege wurden nun aber ganz konkret im Rahmen dieser hochgradigen regionalen
Mobilität eingeschlagen? Uber welche Stationen führten die genannten Etappenwanderun-
gen?
Die Mcldercgister geben hierüber nur in einem sehr begrenzten Maße Auskunft. Sie
benennen nicht mehr als den Geburtsort sowie den letzten Aufenthaltsort der Migranten.
Geburtskreis/ Herkunftskreis Ottweiler Merzig Saarlouis
eigener Kreis 44,4% 47,9% 54,3%
Kreis Saarbrücken 35,2% 30,8% 28,1%
sonstige Saarkreise 5,5% 5,3% 2,8%
Lothringen 3,8% 6,2% 7,8%
sonstiges Deutsch- 10,2% 8,7% 5,6%
land
Ausland 0,8% 1,1% 1,4%
Summe 99,9% 100,0% 100,0%
Zur Ergebaisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab .24 : Herkunft der in den Kreisen Ottweiler, Merzig
und Saarlouis geborenen Zuwanderer in Malstatt-
Burbach
93 Dies güt im aktuellen Zusammenhang nur insofern, als Müitärs ein zivües Domizil in Anspruch
nahmen. Kasernierte Militärangehörige wurden in den kommunalen Melderegistem nicht beachtet
und fließen damit in die Zivilstatistik nicht mit ein.
94 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß die alleinstehenden Wanderer in Malstatt-
Burbach zwar zu deutlich über 85 Prozent nicht aus ihren Gebwtskreisen kamen, jedoch von
der Saarhüttenstadt aus zu weit über 90 Prozent in ihre Geburtsfereise zurückkehrten.
136
Eine exemplarische Betrachtung der Herkunft derjenigen Zu Wanderer nach Malstatt-
Burbach, welche in den (neben dem Kreis Saarbrücken) meistgenannten Saarkreisen
Ottweiler, Merzig und Saarlouis geboren worden waren, ergibt immerhin folgendes Bild.
(Tab.24)
Jeweils etwa die Hälfte der in den drei bezeichneten Saarkreisen Geborenen verzog direkt
aus ihrem Heimatkreis in die Industriestadt Malstatt-Burbach. Jeweils ungefähr ein Drittel
wagte nicht den unmittelbaren Schritt in das industrielle Zentrum am Mittellauf der Saar,
sondern ließ sich zuerst einmal anderweitig im Kreis Saarbrücken nieder, bevor der
Umzug in die Hüttenstadt vorgenommen wurde. Möglicherweise scheute man tatsächlich
den sofortigen Schritt aus dem zumindest noch in Teilen einer agrarischen Lebensweise
verhafteten Raum in die den meisten Zuzüglern fremde Industriezone und tastete sich
quasi an sie heran. Andere saarländische Kreise wurden aber erstaunlich selten ange-
steuert, was für die grundsätzliche Zielgerichtetheit der Wanderungen spricht. Die we-
nigsten verschlug es vor einem Zuzug nach Malstatt-Burbach ins benachbarte Ausland.
Die restlichen Migranten verteilten sich auf Lothringen und sonstige deutsche Territorien,
und zwar nach regionaler Herkunft mit höchst unterschiedlicher Gewichtung. Auffallend
ist zum einen, daß allgemein häufiger reichsdeutsche Gebiete als sonstige saarländische
Kreise aufgesucht wurden. Zum anderen zog es die Merziger und Saarlouiser in einer
Zahl nach Lothringen, welche den vorläufigen Zuzug in die sonstigen Saarkreise deutlich
übertraf. Die historisch bedingten, besonders engen Verbindungen zwischen dem Kreis
Saarlouis und Lothringen machten sich hierbei in der bevorzugten Wahl einer lothringi-
schen Zwischenstation seitens der von dort stammenden Binnenwanderer unter weitge-
hender Auslassung der sonstigen Saarkreise bemerkbar.
All dies deutet die Routen der Etappenwanderer jedoch nur an, denn aufgrund der
Kenntnis der jeweils letzten Wanderungsstation läßt sich nur ein sehr unvollständiges
Bild dieses Migrationsphänomens gewinnen, wie insgesamt das individuelle Wande-
rungsverhalten aufgrund der Datenbasis nur in Ansätzen nachzuzeichnen ist.95 Darum
wollen wir uns im folgenden wieder stärker auf die strukturelle Komponente des Wande-
rungsgeschehens aus der Perspektive der Untersuchungsgemeinden konzentrieren.
95 Leider liegen für den Untersuchungsraum keine Arbeiter-(Auto-)Biographien bezüglich der
Industrialisierungsperiode vor, welche zumindest in exemplarischer Weise vertiefende Einblicke
in die Wanderungsrealität der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewähren könnten.
137
3.1 Entfernungen96
Der weitaus größte Teil des Binnenwanderungsgeschehens spielte sich im Umkreis von
bis zu 80 Kilometern um die Untersuchungsstädte ab. Innerhalb dieser Entfernung lagen
auch die Gemeinden Diedenhofen, Esch und Malstatt-Burbach zueinander. Die 80-Ki-
lometer-Zonen um diese drei Kommunen beschreiben also in etwa den Untersuchungs-
raum, auf den die vorliegende Studie Bezug nimmt. Daher bestärkt das Faktum des
vorrangigen Wanderungsaustausches innerhalb dieses Distanzbereiches die These von
der nicht nur wirtschafts- sondern in hohem Maße auch sozialräumlichen Geschlossenheit
dieser grenzübergreifenden Region.
Jeweils mehr als 80 von 100 Zuwandcrcm nach Malstatt-Burbach kamen aus Orten,
die nicht weiter als 80 Luftlinienkilometer von der Saarhüttenstadt entfernt gelegen waren.
(Tab.25) Und anteilsmäßig ungefähr die gleiche Zahl derjenigen zugereisten Personen,
welche die Gemeinde wieder verließen, verblieben innerhalb des genannten Distanzberei-
ches. Zu keiner Phase der gesamten Untersuchungsperiode unterschritt der Anteil der
Zuzügler aus der Saar-Lor-Lux-Region einschließlich der unmittelbar angrenzenden
Gebiete die 80-Prozent-Marke. Allerdings vollzog sich eine Gewichtsverlagerung in
dem Sinne, daß der Zuzug aus dem eigenen Kreis Saarbrücken an Bedeutung gewann:
nach der Jahrhundertwende kam mehr als die Hälfte (53,6%) der Zuzügler aus direkten
Nadibargemeinden. Der Zuzug aus den beiden sich anschließenden Entfemungskategorien
(weniger als 30 km, 30 bis 80 km) war dagegen rückläufig und tendenziell ereigneten
sich Wohnortwcchsel von außerhalb des 80-Kiloraeter-Gürtels immer häufiger.97
In verstärktem Maße ist jedoch bei der Wahl der Abzugsziele zu bemerken, daß jene
nach und nach weiter gefaßt wurden und die Bereitschaft zur Überwindung geographi-
scher Entfernungen beim Wegzug größer als beim Zuzug war. Vor allem ab Mitte der
1870er Jahre erfolgten sukzessive weniger Umzüge in den eigenen Kreis und in Orte,
die bis zu 30 Kilometer entf ernt lagen. Die drei Saarstädte bildeten eine Agglomerations-
zonc mit einer spezifischen Sogwirkung, wobei die Hüttenstadt eine starke Anziehungs-
kraft auf die mobilen Bevölkerungsteile der nächstliegcnden Ortschaften ausübte, Ab-
96 Zur Einteüung der Entfemungsklassen (Tab.25) vgl. Anhang B3.
97 Aufgrund dieser Erkenntnisse muß folgender These Langewiesches bezüglich ihres dia-
chronischen Anspruchs eindeutig widersprochen werden: "In der Struktur der Wanderung lassen
sich Unterschiede auch in den einzelnen Phasen erkennen: Zunächst füllten sich die industriellen
Standorte aus ihrem Umland, dann aus dem Nahwanderungsbereich (...); nur die freien Spitzen
wurden aus der Ferawanderung (...) abgedeckt" Langewiesche, Wanderungsbewegungen, S.20.
Der umfangreiche Wanderungsaus tausch zwischen der saarländischen Gemeinde und ihrem nahen
Umland hielt über den Untersuchungszeitraum hinweg unvermindert an. Eine Staffelung der
geographischen Herkunftskontingente ist zwar synchron-graduell, jedoch kaum diachron zu kon-
statieren.
138
Wanderer jedoch vorzugsweise in entferntere Gebiete entließ. Die Territorien, die sich
in 80 bis 300 Kilometern Entfernung ausdehnten, erfreuten sich dabei offenbar wachsen-
der Beliebtheit. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts verzogen somit im Schnitt
erstmals weniger als vier Fünftel (78,2%) der Abzügler innerhalb des engeren regionalen
Zusammenhangs, wozu nicht zuletzt ab den 1890er Jahren auch die vorwiegend von Ita-
lienern dominierte Femwanderung (500 bis 750 km) beitrug.
Seitens der Individual Wanderer war aufgrund des vorliegenden Materials nicht generell
eine Tendenz zur Überwindung größerer Kilometerdistanzen als bei Familienwanderem
festzustellen. Einerseits kamen aber gerade die "Singles" im Zuge ausgeprägter Etap-
penwanderungen nach Malstatt-Burbach, was den Blick für die tatsächlich zurückgelegten
Entfernungen verstellt. Andererseits entzerrt hier erst die Betrachtung einzelner Be-
rufsgruppen den vordergründigen Eindruck. Denn während sich im Nahbereich genügend
ungelernte Arbeitskräfte wie z.B. Taglöhner und Dienstboten fanden, scheint zumindest
bis zur Inbetriebnahme des Burbacher Thomasstahlwerkes (1891) insbesondere ein
Mangel an typischen Metallhandwerkem geherrscht zu haben, da in dieser Berufssparte
eine gewisse Massierung in der Zuwanderung aus mittleren und großen Distanzen
zustande kam.98
In Diedenhofen besaß die Immigration aus dem 80-KiIometer-Bereich bis zur Jahrhun-
dertwende annähernd das gleiche Gewicht wie in Malstatt-Burbach. Bereits in den 1890er
Jahren verlagerte sich allerdings das Rekrutierungsfeld der Diedenhofener Bevölkerung
nach außen und im Anschluß an die Hüttengründung dehnte sich ihr Einzugsbereich
entscheidend aus. Der Anteil der Nahwanderer an der Immigrantenschaft sank nach 1900
insgesamt von über 80 Prozent auf unter 75 Prozent. Zur stärksten Zuzugszone außerhalb
des 80-Kilometer-Kreises entwickelte sich dabei mit 12,8 Prozent der 500- bis 750-
Kilometer-Bereich, was der italienischen Femzuwanderungszone entsprach.
Der Abstrom aus der Stadt in ihr direktes Umland blieb jedoch schon in den 1880er
Jahren wesentlich schwächer als der Zustrom aus diesem Bereich, geschweige den
Anteilswerten in der saarländischen Hüttenstadt. Zwischen 1883 und 1909 verblieben
stets nur 71 bis 76 von 100 Emigranten in der Region (bis zu 80 km). Die anderen ver-
zogen vorzugsweise in Gebiete in 80 bis 300 Kilometern Entfernung, eine wachsende
Zahl ging in 180 bis 450 Kilometern Entfernung sich erstreckende Territorien und mit
der z.T. saisonal geprägten italienischen Femwanderung legte ein stark zunehmender Pro-
zentsatz mehr als 500 Kilometer beim Wegzug aus Lothringen zurück.
Das städtische Gemeinwesen spielte also - stärker noch als Malstatt-Burbach - offen-
sichtlich eine maßgebliche Rolle als "Sprungbrett" für Einwohner des agrarischen
Umlandes aus der Region heraus, da anteilsmäßig bedeutend weniger Personen in die
” Marx, Arbeiter der Burbacher Hütte, S.164ff.
139
Phase/ Entfernung HERKUNFT ZIEL
A B c D A-D A B c D A-D
MALSTATT-BURBACH (von 100 Zuwande rem kamen aus bzw. gingen nach ...)
Kreis Saarbrücken 36,8 38,6 42,0 53,6 46,9 42,0 49,6 48,3 39,9 43,6~
weniger als 30 km 27,7 29,8 21,8 14,9 19,7 20,4 23,2 21,1 17,2 19,5
30 bis 80 km 23,7 22,6 19,1 15,6 18,1 26,3 19,5 15,3 21,1 19,7
80 bis 300 km 6,3 5,7 9,1 7,1 7,5 4,8 5,2 8,1 11,1 9,0
180 bis 450 km 3,5 1,5 2,8 1,6 2,0 3,9 1,6 3,5 3,4 3,2
300 bis 550 km 0,2 0,4 0,7 1,4 1,0 0,6 0,2 0,5 0,5 05
500 bis 750 km 0,5 0,7 3,8 5,1 4,1 0,3 2,7 5,0 3,4
700 bis 950 km 0,4 0,4 0,1 0,5 0,4 1,2 0,2 1,5 0,9
mehr als 900 km 0,8 0,2 0,2 0,1 0,2 0,2 0,1 0,1
Übersee 0,1 0,2 0,3 0,2 0,2 1,0 0,2 0,2 0,3 0,3
Summe 100,0 100,0 100,0 100,0 100,1 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0
DIEDENHOFEN (von 100 Zuwanderem kamen aus bzw. gingen nach ...)
Kreis Diedenh.-Ost 31,0 37,8 36,0 35,8 16,7 27,8 34,7 29,1
weniger als 30 km 35,8 25,4 18,6 24,2 43,0 27,8 19,9 26,7
30 bis 80 km 21,0 19,0 19,8 19,7 16,7 15,6 19,9 17,7
80 bis 300 km 8,3 9,5 7,4 8,4 19,3 16,0 11,4 14,4
180 bis 450 km 1,3 1,6 2,9 2,1 0,8 3,5 1,9
300 bis 550 km 1,7 2,5 1,4 1,9 0,9 3,8 0,3 1,7
500 bis 750 km 0,9 2,7 12,8 6,9 1,8 3,4 10,1 6,2
700 bis 950 km 1,2 0,5 0,7 1,8 0,3 0,4
mehr als 900 km 0,4 0,7 0,4 2,3 0,9
Übersee 2,7 1,0
Summe 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0
Phasen: A = 1856-1875, B = 1876/83-1889, C = 1890-1900, D = 1901-1909
Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D,
Tab.25 : Entfernung der Herkunfts- und ZicUcreise der Zuwanderer bezüglich Malstatt-Burbach
Diedenhofen
140
Diedenhofener Periphe-
rie zurückkehrten als
aus ihr auszogen. Die
Stadt bildete sozusagen
für bestimmte Bevölke-
rungsteile das "Tor zur
Welt". Dies trifft auf
den gesamten Untersu-
chungszeitraum zu.
Zusätzlich erfuhr jedoch
das interne Stadt-Um-
land-Verhältnis im
Emigrationszusammen-
hang eine grund-
sätzliche Wandlung.
Anders als im saarlän-
dischen Falle, wo die
Abzügler im Laufe der
Zeit allgemein eher aus
dem direkten städti-
schen Kontext heraus
tendierten, löste der
eigene Kreis Diedenhofen-Ost nach und nach das nähere Umland (bis zu 30 km) als
bevorzugte Wegzugszone ab. Der unmittelbar an die Stadt angrenzende Siedlungsraum
wurde erst dann attraktiv, als das frühneuzeitliche Festungskonzept für Diedenhofen gegen
Ende des 19. Jahrhunderts verworfen wurde, was schließlich in der Niederlegung der
Wälle (1901) endete. Während sich Malstatt-Burbach kontinuierlich von innen nach au-
ßen entwickeln konnte, bestand aufgrund des Festungscharakters der Stadt Diedenhofen
in einer gewissen Distanz um die Stadtmauern ein Besiedlungsvakuum, welches nicht
vor der Modifizierung der militärstrategischen Prämissen aufgefüllt werden konnte. Die
Korrektur dieser siedlungsgenetischen Sonderentwicklung band daher im Zuge der Indu-
strialisierung anteilsmäßig große Migrationspotentiale.
Die Auswirkungen solcher Wanderungsbewegungen auf die Gebürtigkeit der städtischen
Bevölkerung lassen sich am Beispiel der Gemeinde Esch/Alz. sehr gut ablesen. Während
sich der Anteil der in 80 Kilometern Umkreis Geborenen im Jahre 1871 noch auf 96
Prozent belief, hatten im Jahre 1890 nur noch 91 von 100 Einwohnern hier "das Licht
der Welt erblickt", im Jahre 1900 gar nur noch knapp 80 von 100 Ortsansässigen.
(Tab.26) Vor allem die Anteile der im eigenen Kreis Luxemburg-Süd sowie der im
ESCH (von 100 Einwohnern wurden geboren in ... )
Jahr/ A В с A-C
Entfernung 1871 1890 1900 1871-1900
Kreis 62,7 58,9 50,5 55,5
Luxemburg-Süd
weniger als 30 km 2,3 2,9 3,3 3,0
30 bis 80 km 31,0 29,2 26,7 28,3
80 bis 300 km 3,2 5,2 6,1 5,2
180 bis 450 km 0,5 1,4 2,3 1,7
300 bis 550 km 0,2 0,7 1,2 0,8
500 bis 750 km 0,2 1,3 9,7 5,2
700 bis 950 km 0,1 0,1 0,1
mehr als 900 km 0,1 0,1 0,1
Übersee 0,1
Summe 100,0 100,0 100,0 99,9
Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab.26 : Entfernung der Geburtskreise der Einwohner von
Esch/Alz.
141
Abb.14 : Prozentuale Verteilung der Migranten in Malstatt-Burbach auf die verschiede-
nen Entfemungszonen (Vgl. Tab.25)
142
Abb.15 : Prozentuale Verteilung der Migranten in Diedenhofen auf die verschiedenen
Entferaungszonen (Vgl. Tab.25)
143
Abb.16 : Entfernung der Geburtsfcrewe der Einwohner von Esch/Alz.f Prozentuale Ver-
teilung auf Entfemungszonen (Vgl. Tab.26)
144
Distanzbereich 30 bis 80 Kilometer Gebürtigen sank rapide. Die Quoten derjenigen
Einwohner, welche in den vier anschließenden Entfernungszonen zwischen 80 und 750
Kilometern geboren worden waren, wuchsen dagegen im gleichen Zeitraum allesamt auf
ein Vielfaches an, was für die luxemburgische Industriestadt einen massiven Zuwachs
der Ausländerkontingente zur Folge hatte.
Für das Binnenwanderungsgeschehen aller drei Untersuchungsstädte war damit, zu-
sammenfassend gesagt, der innerregionale Bevölkerungsaustausch wesentlich, auch wenn
die Städte Diedenhofen und Esch/Alz. im Vergleich zu Malstatt-Burbach über um einige
Nuancen weitreichendere Einzugsgebiete verfügten.
Das lag im luxemburgischen Fall wohl an der Enge des eigenen Territoriums, wodurch
sich schon verhältnismäßig früh das Problem der Begrenztheit der landeseigenen
Migrationsressourcen stellte, so daß eher als andernorts die Notwendigkeit eines aus-
wärtigen Zuzuges bestand. Weil aber die benachbarten Industrien Lothringens, Belgiens
und Preußens die eigenen Bevölkerungspotentiale erst einmal selbst banden, war die
Industriestadt partiell bereits vor den beiden Vergleichsgemeinden auf eine Zuwanderung
aus entfernteren Gebieten angewiesen.
Für Diedenhofen stellte sich eine spezifische Situation, die zuweilen als "militärkolonial"
charakterisiert wurde. Einerseits hatte sich infolge der Annexion Elsaß-Lothringens und
des Exodus' der meisten französischen Einwohner gerade aus der frankophonen Festungs-
stadt ein demographisches Vakuum ergeben, das es aufzufüllen galt. Andererseits bot
die ''Militärkolonie", in deren Nordteil Diedenhofen gelegen war, als reichsdeutsches
Neusiedlungsgebiet in ihrer rapiden industriellen Entwicklung besondere Ansiedlungs-
anreize für mobile Bevölkerungsteile aus den verschiedensten Regionen Deutschlands,
wodurch Diedenhofen nicht in dem Maße wie Malstatt-Burbach auf die Immigration
aus dem eigenen Hinterland beschränkt blieb.
Auch die unmittelbaren Stadt-Umland-Beziehungen konnten sich bezüglich der drei
Untersuchungsstädte ohne weiteres recht verschieden gestalten.
Aus welchen Regionen, welchen Landschaftsräumen rekrutierten sich die Zuwanderer
jedoch ganz konkret? Welche Nationalitäten, welche Staatsangehörigkeiten bestimmten
das Bild der Binnenwanderung in den Industriegemeinden des Saar-Lor-Lux-Raumes?
Verhinderten bestimmte Staatsgrenzen Migrationen, oder aber war es den Binnenwande-
rem möglich, sich über solche verwaltungsmäßige Trennungslinien hinwegzusetzen?
145
3.2 Landschaftliche Einheiten und nationale Zugehörigkeiten
3.2.1 Malstatt-Bürbach"
Das Haupteinzugsgebiet Malstatt-Burbachs stellten die sechs preußischen Saarkreise
Merzig, Ottweiler (Neunkirchen), Saarlouis, Saarbrücken, Saarburg/Saar und St.Wendel
dar. (Tab.27, Herkunft)100 Außerhalb der preußischen Saarregion bildeten der Hunsrück
und die Pfalz die primäre Rekrutierungsbasis der Zuwandererschaft in die Saarhüttenstadt,
unmittelbar gefolgt von Westdeutschland (Hessen, nördliches Rheinland, Westfalen). Erst
an fünfter Stelle stand die Einwanderung aus dem Lothringischen und die sechste Position
nahm die südeuropäische Immigration ein, obwohl die Italiener erst ab den 1890er Jahren
massiv in den Saar-Lor-Lux-Raum drängten. Aus allen anderen Landschaften kamen
insgesamt je weniger als zwei Prozent der Zuzügler.
Frappierend ist dabei in erster Linie die relativ starke Stellung der in erheblichem Maße
industrialisierten westdeutschen Regionen der nördlichen Rheinlande und Westfalens
(Ruhrgebiet) sowie Hessens bezüglich der Zuwanderung in die Saarhüttenstadt. Einzig
der Zuzug aus diesem Bereich war neben der südeuropäischen Immigration zwischen
1856 und 1909 durch gewichtige relative Wachstumsraten gekennzeichnet. Die anfänglich
herausragenden Einwanderungskontingente aus dem Hunsrück wurden demgegenüber
zunehmend bescheidener und übertrafen nach 1900 kaum noch den westdeutschen Zuzug.
Auch die lothringischen Zuzüge gestalteten sich spätestens ab den 1890er Jahren
rückläufig. Der entscheidende Zustrom aus den Saarkreisen und die nicht unbeträchtlichen
pfälzischen Immigrationsanteile verblieben jedoch über die gesamte Untersuchungsperiode
hinweg recht konstant.
Zu den weniger bedeutenden Rekrutierungsgebieten sei vermerkt, daß aus dem Elsaß
und aus Nordeutschland eine wachsende Zuwanderungsintensität festzustellen war,
während der ohnehin bescheidene Zustrom aus der Eifel sowie aus den west- und nord-
europäischen Staaten zusehends versiegte.
Demgemäß kam zwangsläufig die weitaus größte Zahl (72% bis 81%) der Zuzügler von
preußischem Staatsgebiet aus in die südwestpreußische Industriemetropole, wenn auch
mit leicht rückläufiger Tendenz. Dahinter folgten mit einem jeweils recht konstanten re-
lativen Beitrag die Zuwanderungen aus dem Reichsland Elsaß-Lothringen, Zuzüge von
bayerischem, d.h. vorwiegend von bayerisch-rheinpfälzischem Staatsgebiet sowie aus
99 Zur Landschaftseinteüung in Tab.27 vgl. Anhang B3. Der in Tab.27 ausgewiesene Rang
bezeichnet den Stellenwert der Zuwanderung aus einer bzw. der Abwanderung in eine Landschaft
oder ein Staatsgebiet bezüglich der gesamten Untersuchungsperiode.
100 Zur Landschaftseinteüung vgl. (wie im folgenden) Anhang B3.
146
den Kleinstaaten Luxemburg und Oldenburg, d.h. vornehmlich aus dem Birkenfelder
Land. Unter Beachtung der insgesamt negativen Immigrationsentwicklung aus dem
Hunsrück kann dies nur bedeuten, daß es speziell der Zuzug aus den preußischen
Hunsrückkreisen war, der im Gegensatz zur Zuwanderung der Birkenfelder nachließ.
Italien nahm in der Abfolge der Herkunftsländer den vierten Rang ein, aufgrund eines
kräftigen Immigrationsaufschwungs, welcher in leicht abgeschwächter Form den hessi-
schen Staaten den fünften Rangplatz einbrachte und in ähnlicher Weise auch die
Bedeutung Badens (Rang 7) anwachsen ließ.
Vor allem der italienischen Zuwanderung neben kleineren, weitestgehend ebenfalls
national-italienischen, von ihrer Staatsangehörigkeit her aber österreichisch-ungarischen
Kontigenten (aus dem Trentino) war es zu verdanken, daß der Anteil der Zuzüge aus
dem Ausland von 3,3 Prozent vor dem Jahr 1876 auf 5,8 Prozent nach 1900 anstieg,
wenngleich sowohl die Zuzügler aus Frankreich als auch aus Belgien an der Saar nach
und nach ausblieben. Als Minderheit fallen in diesem Zusammenhang die Zuwanderer
aus Übersee auf, deren Prozentsatz am Gesamtzuzug in die Hüttenstadt zwar gering, aber
in einer steten Zunahme begriffen war und bei denen es sich generell um Rückwanderer
entweder aus den nord- bzw. südamerikanischen Auswanderungsgebieten oder, in spä-
teren Jahren, aus afrikanischen und ostasiatischen Besitzungen vorwiegend der deutschen
aber auch anderer europäischer Kolonialmächte handelte. Eine polnische Zuwanderung
blieb im Gegensatz zum rheinisch-westfälischen Industriegebiet an der Saar vollkommen
aus. Die Zuwanderungsanteile sowohl aus Ostdeutschland (Ost- u. Westpreußen,
Pommern, Posen, Schlesien) als auch aus Osteuropa (Rußland) und den polnischen
Besitzungen der Habsburgermonarchie (Galizien) sind für Malstatt-Burbach zu ver-
nachlässigen. Der Anteil dieser Immigrationskontingente betrug insgesamt kaum mehr
als ein halbes Prozent, wovon der Großteil ihrer Nationalität nach (d.h. nicht nur ihrer
Staatsangehörigkeit nach) Deutsche aus ostdeutschen Gebieten repräsentierte.
Die Ausländeranteile in Malstatt-Burbach lagen summa summarum, wie wir sehen wer-
den, z.T. drastisch unter denjenigen der lothringischen und der luxemburgischen Untersu-
chungsgemeinde, was allerdings nicht zwangsläufig auf eine spezifische Undurchlässigkeit
der preußischen Staatsgrenze gegenüber Reichsausländem schließen läßt. Denn den
Italienern gelang es offenbar, sich relativ frei innerhalb der gesamten reichsdeutsch-preu-
ßisch-elsässisch-lothringisch und luxemburgisch-französisch-belgischen Grenzregion
zu bewegen. Vielmehr scheinen von einzelnen Nationalitäten bzw. Landsmannschaften
bestimmte Wanderungsrouten bevorzugt worden zu sein, die jedoch im Lauf der Zeit
geändert werden konnten, wobei die Rahmenbedingungen hierfür noch zu erörtern sein
werden.
147
Zunächst ist aber die Frage zu klären, inwieweit die Zielregionen identisch mit den
Herkunftsregionen der Zuzügler waren, ob sich die Zuwanderer nach ihrem Abzug aus
Malstatt-Burbach anteilsmäßig in vergleichbarer Weise auf die umliegenden Landschaften
verteilten.
Schon auf den ersten Blick unterscheidet sich die Rangfolge fei Ziellandschaften deutlich
von derjenigen der Herkunftsgebiete. (Tab.27, Ziel) Ausschließlich die Saarregion und
der Hunsrück behaupteten wie in der Reihenfolge der Herkunftslandschaften die ersten
beiden Plätze. Das besagt zwar, daß diese beiden Territorien die wesentliche Bevölke-
rungsaustauschzone für die Stadt Malstatt-Burbach - gleichermaßen wie wohl für das
gesamte saarländische Industriebecken - bildeten. Andererseits ist aber nicht zu über-
sehen, daß insbesondere der Hunsrück und in abgeschwächter Form auch die Saarkreise
als Herkunfts- wie als Zielregionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und über
die Jahrhundertwende hinaus eminent an Gewicht gegenüber anderen Landschaften verlo-
ren.
Das Faktum, daß die Pfalz in Relation zu anderen Landschaften als Abzugsziel eine
deutlich geringere Rolle spielte denn als Herzugsbasis, charakterisiert diese Landschaft
in ihrer dadurch positiven Wanderungsbilanz aus der Perspektive Malstatt-Burbachs als
maßgebliches Zuzugsgebiet.501 Weniger umfangreiche, so doch augenfällige Immigra-
tionsüberschüsse sind für den Untersuchungszeitraum ferner aus dem südeuropäischen
und dem norddeutschen Bereich zu unterstellen.102 Eine offensichtlich negative Wande-
rungsbilanz ergab sich aus Malstatt-Burbachcr Sicht zumindest in bestimmten Zeit-
abschnitten gegenüber Westdeutschland, Lothringen und dem Elsaß, was bedeutet, daß
durchschnittlich mehr Leute dorthin verzogen als von dort in der Industriestadt eintrafen.
Die Hauptaustauschzone in Gestalt der preußischen Saarkreisc und des Hunsrücks bildete
anscheinend phasenweise eher ein Auffangbecken für Abzügler oder aber vorzugsweise
ein Migrationsreservoir für Zuzügler nach Malstatt-Burbach. Der Wegzug in die
Saarkreise Preußens dürfte dabei vor allem zwischen 1876 und 1900 überwogen haben,
der Zuzug erst nach der Jahrhundertwende. Dagegen scheint der Immigrationsüberschuß
aus dem Hunsrück in den 1890er Jahren - bei insgesamt allerdings nachlassender
Wanderungsintensitätaus dieser Landschaft - überaus gewichtig gewesen zu sein, gegen-
über einem Zuzugsdefizit nach dem Jahr 1900.
Was hieß dies im territorialstaatlichen Kontext?
101 In der Rangfolge der Herkunftslandschaften nahm die Pfalz den dritten Platz, unter den
Ziellandschaften jedoch nur die fünfte Stelle ein. Unter dem Gesichtspunkt, daß die Abwanderung
zahlenmäßig kaum hinter der Zuwanderung zurückstand (vgl. den Abschnitt über Wanderungs-
voiumen und Wanderungsbüanzen in Kapitel D) bedeutete dies einen Zuwanderungsüberschuß
aus dem Pfälzischen in der Saarhünenstadt.
102 Südeuropa: Herkunftsrang 6, Zielrang 7/ Nordeutschland: Herkunftsrang 11, Zielrang 15.
148
Die relative Zahl der Wegzüge auf preußisches Staatsgebiet nahm vergleichbar den
Zuzügen aus Preußen zugunsten anderer Zielstaaten zwischen 1856 und 1909 stark ab.
Wie bereits für die preußischen Saarkreise ausgeführt worden ist, gestaltete sich im
Rahmen dieser rückläufigen Tendenz in der Periode von 1876 bis 1900 der Wegzug
anteilsmäßig stärker als der Zuzug und in umgekehrter Weise nach der Jahrhundertwende.
Zum bevorzugten Migrationsziel im Anschluß an einen Aufenthalt in Malstatt-Burbach
entwickelte sich zugleich, d.h. erst nach 1900, das Reichsland Elsaß-Lothringen. Da mit
den hessischen Staaten ein anteilsmäßig zunehmendes aber durchaus gleichgewichtiges
Austauschverhältnis bestand, muß das rheinisch-westfälische Industriegebiet ebenfalls
eine Abzugszone gebildet haben.103
Darüber hinaus kam ein reger und ziemlich ausgewogener Bevölkerungsaustausch mit
den Großherzogtümem Luxemburg und Baden in Gang. Nach der Jahrhundertwende
wurde Luxemburg dabei zunehmend als Wanderungsziel attraktiv, das Pendel der
Austauschbeziehungschlug also verstärkt in Richtung des Großherzogtumsaus. Bezüglich
Badens ist dessen herausragende Position im süddeutschen Raum insofern bemerkenswert,
als weder mit Württemberg noch mit Bayern (abgesehen von der Rheinpfalz) ein
nennenswerter Wanderungsaustausch zustande kam, obwohl hier distanzmäßig nicht
unbedingt eine gravierende Differenz bestand. Speziell die industrialisierten Staaten bzw.
Regionen des näheren und weiteren Umlandes übten somit eine Anziehungskraft auf die
Malstatt-Burbach streifenden mobilen Bevölkerungsteile aus. Ausgeprägte und zumindest
gleichgewichtige migrative Austauschbeziehungen kamen seitens der saarländischen
Hüttenstadt folglich vorzugsweise mit den Staaten zustande, die ebenso wie die Saarre-
gion von der Industrialisierung betroffen waren. Bezüglich des Ruhrgebiets und seines
Hinterlands sowie bezüglich Lothringens ergab sich sogar eine negative Wande-
rungsbilanz; d.h. es handelte sich in diesen beiden Fällen um Nettoabzugsgebiete für
Malstatt-Burbach.
Aus strukturschwachen Staaten kamen entsprechend mehr Menschen, als die Hüttenstadt
wieder in jene Richtung verließen. Dies betraf vornehmlich das Königreich Bayern mit
der Rheinpfalz, Italien und das oldenburgische Hunsrückfürstentum Birkenfeld, welche
neben den preußischen Saarkreisen in ihrer Eigenschaft als primäre Zuzugsgebiete für
Malstatt-Burbach hervorgehoben werden müssen. Bei der bisherigen Betrachtung fand
‘(U Die hessischen Staaten wurden mit den nördlichen Rheinlanden und Westfalen, d.h. dem
rheinisch-westfälischen Industriegebiet inclusive seines Hinterlandes, in der Landschaftskategorie
Westdeutschland zusammengefaßt. Da Westdeutschland im Verhältnis zu Malstatt-Burbach als
typisches Abzugs gebiet ermittelt werden konnte und zu den hessischen Staaten bevölkerungsmäßig
eine Austauschbeziehung bestand, muß zwangsläufig das verbleibende nördliche Rheinland mit
Westfalen, d.h. konsequenterweise das rheinisch-westfälische Industriegebiet, das westdeutsche
Auffangbecken für mobile Bevölkerungsteüe aus dem saarländischen Malstatt-Burbach dargestellt
haben.
149
'—
Phase/ Landschaft & Staat HERKUNFT _ ZIEL
Ra A B c D A-D Ra A c D “AIT
von 100 Zuwand ererr kamen aus bzw. gingen in fol sende LANDSCHAFTEN...
Saar 1 38,6 58p 33,9 62,2 59,4 1 57,8 63,2 633 50,4 56J 8,9
Hunsrück 2 14,1 8,9 9,8 6,6 8,4 2 13,6 8,8 7,5 8,9
Pfalz 3 5,5 12,0 6,3 6,1 7,0 5 4,2 93 53 53 5,8
Westdeutschland 4 5,7 3,7 7,6 6,3 63 3 5,3 3,7 73 10,1 8,2
Lothringen 5 5,3 7,3 6,4 5,0 5,7 4 7,6 7,0 5,1 7,0 65
Südeuropa 6 0,3 0,3 3,0 4,6 33 7 0,3 0,1 1,7 4,6 2,2
"HsäB 7 0,9 1,0 13 2,4 1,8 6 0,1 0,2 1,4 33 23
Eifel 8 2,9 2,9 13 1,2 1,6 10 43 2,2 U U 1,4
Süddeutschland 9 1,3 0,8 2,2 1,1 13 8 0,6 13 1,6 2,8 21
Militär 10 0,8 0,9 2,7 0,9 13 12 - 1,4 1,0 0,8 0,9
Norddeutschland 11 0,1 0,4 0,7 13 0,9 15 - 0,2 0,4 0,4 03
Luxemburg 12 1,2 0,7 0,6 0,7 0,7 9 13 03 0,7 2,1 13
Mitteldeutschland 12 0,6 0,5 1,0 0,6 0,7 12 0,6 0,2 2,0 03 0,9
West&Nord-Eu- ropa 14 1,6 1,2 03 0,2 03 11 2,0 13 0,7 0,8 1,0
Ostdeutschland 14 0,8 0,5 0,3 0,6 03 14 1,2 0,2 0,3 1,4 0,8
Ubersee 16 0,1 0,2 03 0,2 0,2 15 1,0 0,2 0,2 0,3 03
Osteuropa 17 0,1 0,1 - 0,1 0,1 17 - - 0,1 - -
Summe 100,0 ioö,o iöö,ö "IW IW “TW iöö.ö 100,0 IW "TüöJ
von 100 Zuwandcrem kamen aus bzw . gingen in folgende STAATEN
Preußen 1 80,7 72,2 7376 753 7T6 1 81,0 IW W2 6$,2 73,8
Elsaß-Lothringen 2 6,3 8,4 7,9 73 7,6 2 73 73 6,6 10,6 8,8
Bayern 3 6,2 123 7,1 6,6 7,6 3 4,4 9,9 5,8 6,1 65
Italien 4 - - 2,6 4,3 3,2 4 - - 1,4 4,2 26
Hessische Staaten 5 0,6 1,1 23 2,2 2,0 5 0,4 1,0 1,8 2,8 21
Oldenburg 6 1,9 2,4 2,4 0,9 1,6 8 1,1 1,6 0,8 0,9 1,0
Luxemburg 7 1,2 0,7 0,7 0,7 0,7 6 13 03 0,7 2,1 15
Baden 7 0,4 03 13 0,4 0,7 7 - 0,8 0,9 1,9 13
Sächsische Staaten 9 0,2 0,2 0,4 0,6 0,4 10 0,6 0,2 0,3 0,3 03
Frankreich 10 1,2 1,0 0,2 0,1 0,3 9 0,9 13 03 0,7 0,7
Ubersee 11 0,1 0,2 0,3 0,2 0,2 10 1,0 0,2 0,2 0,3 03
Württemberg 11 0,3 0,1 0,2 0,2 0,2 12 0,4 0,2 0,3 0,1 0,2
Österreich-Ungarn 11 - 0,1 0,2 0,3 0,2 12 - - - 03 02
Belgien 14 0,4 0,2 0,3 0,1 0,1 12 1,0 0,1 0,4 - 03
Rußland 14 0,1 0,1 - 0,1 0,1 18 - - 0,1 - "
Hohenzollem 14 - - 0,1 0,1 0,1 - - - - - ~
Schweiz 14 0,1 0,2 0,2 0,1 0,1 16 0,3 - 0,3 0,1
Mecklenburg 14 - 0,2 - 0,1 0,1 16 - - 0.2 0,1 0,1
Thünng. Staaten 14 - - 0,2 - 0,1 12 - - 0,8 - 03
Spanien 20 0,2 “
Großbritannien 21 - - 0,1 - - 18 - - 0,1 - •
Schweden 22 - - 0,1 - - - - - - - •
Dänemark - - - - - - 18 - - - 0,1 •
Summe 1ÖÖ,Ö 1ÖÖ.Ö 100,0 8 o IW 100,0 100,0 8 O ►— 8 O “TüüT
Ra = Rang; Phasen: A = 1856-1875, B = 1876- Zur Ergebnisgenauigkeit 1889, C = 1890-1900, D = vgL Anhang D. 1901-1909
Tab.27 : Landschaftliche sowie staatliche Herkunft und Ziele der Binnenwanderer in
Malstatt-Burbach 1856-1909
150
Süd-
europa
'Landschaften':
I Eifel
II Luxemburg
III Hunsrück
IV Saar
V Pfalz
VI Lothringen
VII Elsaß
Kreise':
1 Schleswig u. Holstein
2 Oldenburg
3 Hannover
4 Mecklenburg
5 Pommern
6 Westpreußen
7 Ostpreußen
8 Posen
9 Schlesien
10 Rheinprovinz (ohne Eifei,
Hunsrück u. Saar)
11 Westfalen
12 Hessen
13 Thüringen
14 Sachsen
15 Brandenburg
16 Baden
17 Württemberg u. Hohenzollem
18 Bayern
Abb.17 : Landschaftliche Herkunft und Ziele der Migranten in Malstatt-Burbach (Vgl. Tab.27)
151
kaum Berücksichtigung, daß im Sinne grundsätzlich häufig mehr oder weniger linearer
Entwicklungen im Wanderungsgeschehen die Anteilswerte für die Ein- und Auswande-
rung bezüglich einiger Landschaften bzw. Staaten für die Untersuchungsphase B (1876-
1889) etwas aus dem Rahmen fallen.
Hier bietet es sich an, die an anderer Stelle entwickelte These von überproportionalen
innerregionalen Wanderungsbewegungen während der Krisenphase ab Mitte der 1870er
und in den 1880er Jahren, noch einmal aufzugreifen.104
In der Tat ist für den genannten Zeitabschnitt ein Ausbleiben der zuvor erheblichen
Zuwanderung aus dem Hunsrück und aus Westdeutschland zu konstatieren. Dieser
Rückgang der Zuzugsmobilität betraf im westdeutschen Raum eindeutig das rheinisch-
westfälische Industriegebiet, weil der Immigrationsanteil der hessischen Staaten einen
Anstieg von 0,5 Prozentpunkten von Phase A (1856-1875) auf Phase B (1876-1889)
verzeichnete. Aus dem Hunsrück muß der Zuzug aus den preußischen Kreisen rückläufig
gewesen sein, da sich der oldenburgisch-birkenfeldische Anteil in derselben Zeit ebenfalls
um 0,5 Prozentpunkte steigerte. Dies bedeutete eine Einbuße von 2,5 Prozentpunkten
hinsichtlich der "Ruhrrt-Zuzüge und von 5,7 Prozentpunkten für die Zuzüge aus den
preußischen Teilen des Hunsrücks.105 Außerdem erlitt die Auslandsimmigration einen
empfindlichen Einbruch. Die Anzugsquote aus dem Ausland, d.h. die Summe aller
Zuzugsanteile aus reichsausländischen Staaten, betrug bis 1875 3,3 Prozent, zwischen
1876 und 1889 aber nur noch 2,5 Prozent, kletterte daraufhin in den 1890er Jahren wieder
auf 4,7 Prozent, um nach 1900 5,8 Prozent der Gesamtzuwanderung zu erreichen.
Wesentlich aber ist, daß sich zugleich der pfälzische Immigrationsanteil mehr als
verdoppelte und der lothringische bzw. elsaß-lothringische Immigrationsanteil gegenüber
vor 1876 rund zwei Prozentpunkte zulegte.106 In den 1890er Jahren (Phase C) normali-
sierten sich die Migrationsanteile wieder, indem sich - mit gewissen Niveau Verschiebun-
gen - die Relationen der Phase vor 1876 (A) erneut einstellten.
Dies kann nur heißen, daß infolge der Krisenkonjunktur tatsächlich die prognostizierte
Konzentration auf die engere Migrationszone erfolgte. Die Bereitschaft zum migrativen
Vorstoß von außen in die Region hinein und aus der Region heraus blieb aufgrund eines
gesteigerten Risikobewußtseins gedämpft. Die Außenkontakte reduzierten sich deutlich,
104 Vgl. Kapitel D, Abschnitt a), S.55 u. S.65.
105 Der Zuzugsanteü des Hunsrücks abzüglich des Anteüs Oldenburgs (d.h. quasi des Fürstentums
Birkenfeld) an der Gesamtzuwanderung ergibt den Zuwanderungsanteii der preußischen
Hunsrückkreise. Der Immigrationsanteü des rheinisch-westfalischen Industriegebiets (nördliches
Rheinland und Westfalen, Ruhrgebiet) ist durch Subtraktion des Anteüs der hessischen Staaten
vom westdeutschen Anteü zu ermitteln.
:06 Die genannten Entwicklungen spiegelten sich in ähnlicher Weise auch in den Wegzugsquoten
der genannten Regionen.
152
so halbierte sich z.B. ungefähr der Anteil der Zuzüge aus dem Industriegebiet an Rhein
und Ruhr nach Malstatt-Burbach. Allein der Anteil der Zuzüge aus den benachbarten
Hauptrekrutierungsgebieten Lothringens und der Pfalz stieg jeweils immens an. Dazu
kam ein relativ stärkerer Zufluß aus dem Birkenfelder Land.107 Für die Bevölkerung
anderer Randlandschaften wie den preußischen Hunsrückkreisen, Süddeutschland oder
auch West- und Nordeuropa (Frankreich, Belgien u.a.) scheinen aber kaum noch
Immigrationsanreize bestanden zu haben. Eine zusätzliche Bestätigung findet die eingangs
formulierte These darin, daß der Anteil der Zu- und Abzüge aus bzw. in den Di-
stanzbereich von weniger als 80 Kilometern um die Saarhüttenstadt zwischen 1876 und
1889 deutlich höher lag als sowohl im vorhergehenden wie auch in den beiden nachfol-
genden Zeitabschnitten.108
Die bisherigen Analysen zeichnen ein sehr komplexes Bild der Migrationen der Industria-
lisierungsperiode. Daß es sich dabei um dezidierte Binnenwanderungsbewegungen
handelte ist nicht zu bestreiten. Die überseeische Abwanderung machte insgesamt nur
0,3 Prozent der Wegzüge von Malstatt-Burbach aus, wobei klar zu sehen ist, wie mit
dem Einsetzen der Industrialisierung die Überseewanderung, welche bereits zwischen
1856 und 1875 nicht mehr als 1,0 Prozent der Gesamtemigration ausgemacht hatte, ab
Mitte der 1870er Jahre auf einem Niveau von 0,2 Prozent vollständig marginalisierte.
Der Ermittlung vertiefender Erkenntnisse über das innerregionale Wanderungsgeschehen
soll ein - den Abschnitt über die Saarhüttenstadt abschließender - Exkurs über die Zu-
sammensetzung der umfangreichen Zu- und Abwanderungsströme aus der nächsten Um-
gebung der Untersuchungsgemeinde dienen.
Exkurs : Der Wanderungsaustausch mit der Nahzone
Saar-Hunsrück-Pfalz
Von den sechs preußischen Saarkreisen kam es aus Sicht Malstatt-Burbachs mit vieren
zu einem ausgeprägten Wanderungsaustausch. (Tab.28) Der Kreis Saarburg, in seiner
Nähe sowohl zu Trier als auch zu den nordlothringischen und südluxemburgischen Indu-
striestandorten, entwickelte ebensowenig intensive Beziehungen zur Hüttenstadt an der
mittleren Saar wie der Kreis St.Wendel, trotz oder gerade wegen seiner damaligen 07
07 Mit den hessischen Staaten kam es eher zu einem verstärkten Wanderungsaustausch ohne
einseitige Gewinne.
,08 Vgl. Tab.25, S.140. Von den Zuzüglern kamen in Phase B 91,0% aus bis zu 80 Kilometern
Entfernung, in Phase A 88,2%, in Phase C 82,9% und in Phase D 84,1%. Von den Abzüglern
kamen in Phase B 92,3% aus bis zu 80 Kilometern Entfernung, in Phase A 88,7%, in Phase C
84,7% und in Phase D 78,2%.
153
weitläufigen räumlichen Ausdehnung über Baumholder bis an die Grenze des Kreises
Meisenheim. Enge Bande bestanden dagegen im Migrationszusammenhang zwischen
Malstatt-Burbach und den Kreisen Ottweiler, Saarlouis, Merzig und natürlich Saar-
brücken.
Drei Viertel des Wanderungsgeschehens in der Saarregion spielte sich zwischen der
Industriegemeinde und den benachbarten Orten des eigenen Kreises ab. Der Kreis Saar-
brücken bildete mit den Städten Malstatt-Burbach, St.Johann und (Alt-)Saarbrücken
einschließlich der ebenso in den Verstädterungsprozeß einbezogenen umliegenden
Ortschaften wie Völklingen, den Köllertalgemeinden (Püttlingen-Köllerbach-Rie-
gelsberg-Heusweiler) oder auch dem Sulzbachtalkomplex (Dudweiler-Fischbach-Sulz-
bach-Quierschied-Friedrichsthal) eine umfassende Urbanisationszone, welche zunehmend
wie ein Magnet auf die mobilen Bevölkerungsteile der Region wirkte. Die Umzüge in-
nerhalb des Kreises - d.h. auch die Wohnungswechsel nach Malstatt-Burbach - erhielten
aufgrund der fortschreitenden Vernetzung dieses Verdichtungsraumes (z.B. durch Stra-
ßenbahnen) mehr und mehr den Charakter innerstädtischer Domizilwechsel.
Der Zu- und Abzug von bzw. nach außerhalb verteilte sich auf die Kreise Ottweiler,
Saarlouis und Merzig. War der Wanderungsumschlag zwischen Malstatt-Burbach und
den beiden anderen Kreisen des Saartales, Saarlouis und Merzig, in der industriellen Auf-
bauphase bis Mitte der 1870er Jahre noch umfangreicher gewesen als der Austausch mit
dem Kreis Ottweiler, wo die Gemeinde Neunkirchen mit dem Stummschen Eisenwerk
expandierte, so begann sich nach 1875 ein reger Arbeitskräfteaustausch zwischen den
beiden Hüttenstandorten einzustellen, hinter dem die Migration aus bzw. ins eher ländli-
che Saarlouiser und Merziger Land anteilsmäßig immer deutlicher zurückblieb. Die
Wechselbeziehung zwischen Malstatt-Burbach und dem Kreis Ottweiler zeichnete sich
durch ihre relative Beständigkeit aus, wobei bis zur Jahrhundertwende die Saarstadt, nach
1900 der Kreis um das Stummsche Stammwerk eher von den Wanderungsbewegungen
profitiert haben dürften. Auffallend ist das Ansteigen der Zuzugsintensität aus dem
Ottweiler Kreis nach Malstatt-Burbach im Kontext der Wirtschaftsflaute (Phase B: 1876—
1889) alä-Zugleich die Zuzugsintensität aus dem agrarischen Hinterland der Kreise
Saarlouis wie auch Merzig prozentual nicht unerheblich nachließ. Was bislang allgemein
formuliert worden ist, bestätigt sich also auch bei der exemplarischen Betrachtung der
preußischen Saarkreise: im industriellen Zusammenhang sozialisierte Bevölkerungsteile
versuchten angesichts verschlechterter Beschäftigungsverhältnisse in der Hüttenindustrie
also offensichtlich weiterhin in einem Industriebetrieb Anstellung zu finden, was die
regionale Chancenwanderung von Standort zu Standort ankurbelte. Die Bereitschaft zum
Eintritt aus der vornehmlich agrarisch geprägten in die industrielle Welt stagnierte aber
zugleich.
154
Analog den Verhältnissen zwischen Malstatt-Burbach und den preußischen Saarkreisen
besaß nur die Migration aus bzw. in einige der unter dem Lands chaftsbcgriff Hunsrück
zusammengefaßten Kreise Gewicht. Die zwischen Mosel und Rhein gelegenen Kreise
Zell, Simmem und St.Goar blieben durchweg unbedeutend für die Einwohnerschaft der
Saarhüttenstadt. Der Land- und Stadtkreis Trier, das Zentrum des Mosellandes und Sitz
der Bezirksverwaltung der südlichen Rheinprovinz, unterhielt seitens der Hunsrückkreise
- ganz im Gegensatz zum unmittelbar südwestlich anschließenden Kreis Saarburg/Saar-
den hervorstechenden Bevölkerungsaustausch mit Malstatt-Burbach. Dies zeigt, daß den
Wanderungsströmen zwischen regionalen Zentren ein hoher Stellenwert zukam, da diese,
Sammelpunkten gleich, zunächst einmal die mobilen Bevölkerungsteile ihres eigenen
Hinterlandes anzogen, um diese häufig erst anschließend in den Einzugsbereich benach-
barter Zentren zu entlassen.
Bis zur Jahrhundertwende nahm das Fürstentum Birkenfeld unter den Hunsrück^rewen
den zweiten Rang bezüglich der Zuwanderung nach Malstatt-Burbach ein. Der oldenbur-
gische Kleinstaat stellte, da er anteilsmäßig seltener als Wanderungsziel von der
Saarhüttenstadt aus gewählt wurde, neben dem Kreis Kreuznach unter den Hunsrückterri-
torien ein Nettozuzugsgebiet für Malstatt-Burbach dar. Kreuznach selbst rangierte mit
sehr gleichmäßigen Zuzugsanteilen (13% bis 14%) lange hinter Birkenfeld, bis nach 1900
mit etwa einem Drittel schlagartig die meisten Hunsrückimmigranten aus diesem Kreis
zureisten. Dieser Entwicklungssprung harrt noch einer Erklärung. Die Zuzugsanteile aus
dem viertstärksten Immigrationskreis Bemcastel-Cues steigerten sich ebenso kontinu-
ierlich wie die Trierer Kontingente zurückgingen.
Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Eisenbahnnetzes und der
Entwicklung der Zuwanderung aus einzelnen Teilen des Hunsrücks ist genausowenig
festzustellen wie für die Saar- oder Pfalzkrcise. Die Bahnlinie Trier-Saarbrücken war
1861 fertiggestellt, aber anstatt daß der Zuzug aus dem Trierer Land zulegte, nahm dieser
sukzessive eher ab. Die Bevölkerung des Kreises Saarburg scheint von der Trasse in
Richtung der Saarmetropole kaum Gebrauch gemacht zu haben. Kreuznach verfügte zur
gleichen Zeit bereits über eine Bahnverbindung via Neunkirchen nach Saarbrücken, der
Immigrationsschub aus diesem Kreis erfolgte aber erst nach 1900. Für den Zuzug aus
dem Kreis St.Wcndel gab diese Streckenführung offenbar ebenfalls keine wesentlichen
Impulse. Gleiches gilt für die Kreise an der Moselstrecke Koblenz-Trier, die 1879 voll-
endet wurde. Die Beispiele ließen sich für die Pfalzkrcise beliebig fortsetzen. Andererseits
ist jedoch auch keine negative Korrelation zwischen Eisenbahnbau und Wanderungs-
intensität zu konstatieren. D.h. mit der Ausweitung des Streckennetzes der Reichsbahn
stagnierte keineswegs das Wanderungsaufkommen seitens der erschlossenen Gebiete in
Bezug auf eine Indus tri eansiedlung wie Malstatt-Burbach. Die grundsätzliche Möglichkeit
155
Phase/ Kreis HERKUNFT 1 7TFT.
Ra A D A-D Ra A B C D A-D
von IOC Zuwanderem von d er S A A R kamen aus bzw. gingen in folgende Kreise ...
Saarbrücken 62.1 65,2 72,4 85.3 7773 r 72,6 7T.0 75.2 78,5 75X
Otrweiler 8.7 11.7 8,8 6,2 7,9 2 5,3 6,4 8,8 9,0 8,5
Saarlouis 3 12,7 10,2 8,8 3,8 6.7 3 10,8 8,6 8.3 6,0 7,3
Merag 4 12,3 7.9 4,9 2.3 4,4 4 9,9 5,3 4,6 2,2 3,8
St.Wendel 5 2,2 3,6 3/5 1,6 2,4 5 " 1,6 1.8 3,6 2.6
Saarburg/Saar 6 1,9 1,5 1.6 0,7 U 6 1.4 1.0 1,4 0,7 1.0
Summe 99,9" “l'ÖÖT —TWIT 99,9 99[9 100,0 99,9 100,1 100,0 löö.ö
von loo Zuv, ande rem aus dem H U N S R U C K kamen aus bzw. gingen in folgende Kreise
Trier 1 57,2 48.2 41,6 278 r 64,7 60.7 WT 4-7,6
Kreuznach 2 13,1 14,3 14,0 32,2 23,3 2 14,3 7,8 3,7 29,6 18,3
Birke nie Id 3 13,1 26,1 24,1 10,4 17,0 4 8,4 17.4 7,0 10,2 10,3
Bemcastel-Cues 4 11,4 7.2 13,5 20,9 16,5 3 9,3 8,7 17,2 13,3 13,5
Zell/Mosel 5 3,4 3.1 1,3 5,2 3,8 6 3.3 2.3 2.6 4,1 3,4
Simmem 6 1.4 1,1 4,3 0,9 22 5 - 3,0 7,4 6,1 5,8
St. Goar 7 0.3 - 1.2 2,6 1.7 7 " - 0,6 2,0 1,2
Summe 99.9 ■"TOT “TOT.Ò 100,0 10Ö.Ö 100,0 1 "99T 73o.ö' " 100,0 100.1
von 100 Zuwanderern aus der PFALZ kamen aus bzw. gingen in folgende Kreise ...
Zweibrücken 41.7 44.1 39,7 39,3 40.4 r 534T 40,3 5377 5T7T 50,3
Homburg 2 23.1 19.9 17,7 28,0 23.7 2 3,0 27,7 18.6 19,0 19,4
Kaiserslautern 3 9,0 12,8 14,0 15,0 14,1 3 28.8 10,9 12,4 12.1 12,6
Tusel 4 5.8 6,3 3,9 5,6 5,4 4 - 2,7 2,8 8.6 5.6
Pirmasens 5 - 5.6 11,3 1,9 5,0 8 - 7,3 1,9 - 1,7
Speyer b 9.7 3,0 1,9 4,7 3,9 11 - - - - -
Kirchheim-Bo- 7 - - 4.8 4,7 3,6 7 15,1 - 2.8 - 2,2
landen
Neustadt/W. S 6,2 3,9 2.8 - 1,6 5 - 5,5 1,9 5.2 4,1
Frankenthai 9 - 0,8 0,9 1,1 6 - 3,7 2.5 1,7 2,0
Landau 10 - u 1,9 - 0,7 8 - - 3,4 1,7 1,7
Bergzabern 10 4,4 1,1 0,8 - 0.7 10 - 1,8 - - 0,3
Germersheun 12 - - 0,4 - 0,1 11 - - - - -
Summe 100,0 100,0" “7öo,ü~ “TÖÖJJ iÖiXöj 99,9 99,9 100,0 100,0 99T
Ra = Rang; Phasen A = 1856-1875, B = 1876-1889, C = 1890-1900, D = 1901- 1909
Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab.28 : Verteilung der Binnenwanderer in Malstatt-Burbach auf die Saar-, Hunsrück- und Pfalz-
Kreise 1856-1909
zum relativ bequemen täglichen Pendelverkehr zwischen Wohn- und Arbeitsort war in
näherer und mittlerer Distanz nicht effektiv migrationsrelevant.
Die abrupte Zunahme des Immigrationsanteils des Fürstentums Birkenfeld nach 1875
dürfte von daher gleichfalls nicht unbedingt auf die Inbetriebnahme eines Eisenbahn-
anschlusses direkt nach Birkenfeld im Jahre 1880 zurückzuführen sein. Vielmehr scheint
hier auch ein Zusammenhang mit der Wirtschaftskonjunktur bestanden zu haben,
wenngleich eine historische Begründung für dieses Faktum ebenfalls nicht auf der Hand
liegt. Denn während sich der prozenmale Zuzug aller preußischen Hunsrückkreise nach
156
rv
euznach
Abb.18 a-c : Prozentuale Verteilung der Binnenwanderer in Mal-
statt-Burbach auf die Saar- (oben), Hunsrück- (Mitte) und
Pfalzkreise (unten) (Vgl. Tab.28)
157
Malstatt-Burbach in der Krisenphase ab 1876 ausnahmslos rückläufig gestaltete, verdop-
pelte gleichzeitig das oldenburgische Fürstentum seinen Immigrationsanteil im Vergleich
zur vorhergehenden Phase und behielt auch in den 1890er Jahren einen fast 25prozentigen
Zuzugsanteil, welcher erst nach 1900 stark zurückging. Oder hatte sich in diesem Falle
ein spezifisches Zusammenspiel zwischen der regionalen Wirtschaftsentwicklung, dem
Wanderungsverhalten anderer Landsmannschaften und der verkehrstechnischen Er-
schließung Birkenfelds ergeben? Auch diese Frage muß vorerst offen bleiben.
Das Wanderungsgeschehen mit der Pfalz betraf in erster Linie die westpfälzischen
Bezirksämter (= Kreise)109 Zweibrücken, Homburg, Kaiserslautern und Kusel. Die
Vorderpfalz bereicherte den Wanderungsumschlag insgesamt gesehen kaum. Die
Migrationsanteile aus diesem Bereich waren über den Untersuchungszeitraum hinweg
tendenziell rückläufig. Die meisten Wanderungsfälle ereigneten sich zwischen Malstatt-
Burbach und dem Bezirksamt Zweibrücken, zu dem das ab 1902 eigenständige und nach
1920 dem Saargebiet zugeschlagene Bezirksamt St.Ingbert zählte. Die Zu- und Abzugs-
quoten dieses Bezirksamtes bewegten sich konstant auf einem Niveau von 40 bzw. 50
Prozent der pfälzischen Wanderung. Ungefähr um die Hälfte schwächer flössen die Wan-
derungsströme zwischen dem sich damals bis dicht vor die "Tore" Kaiserslauterns er-
streckenden Bezirksamt Homburg und der Hüttenstadt. Dabei retardierte der Zustrom
aus dem Bezirksamt Homburg interessanterweise zwischen 1876 und 1900, d.h. in den
beiden Phasen, als sich der ansonsten sehr bescheidene Bevölkerungsaustausch mit dem
Bezirksamt Pirmasens (Herzugsrang 5) recht intensiv anließ. Das Gewicht derjenigen
Immigranten in Malstatt-Burbach, welche das Bezirksamt Kaiserslautem hinter sich
gelassen hatten, war prozentual einem kontinuierlichen Wachstum unterworfen, während
die Abflußquoten ständig fielen. Der Kreis um die westpfälzische Metropole wurde somit
zusehends eine Rekrutierungsbasis für die Einwohnerschaft der saarländischen Gemeinde,
den Stellenwert des Bezirksamtes Zweibrücken aber keinesfalls antastend. Hier dürften
die im Trierer Kontext schon einmal angesprochenen besonderen Beziehungen von regio-
nalen Zentren untereinander eine Rolle gespielt haben. Sicherlich führte der Weg vieler
pfälzischer Migranten über das Regionalzentrum Kaiserslautem in die Industriezone an
der Saar. Möglicherweise läßt sich das Phänomen zeitweilig ausbleibender und nachfol-
gend wieder vermehrter Zuzüge aus den Bezirksämtern Homburg und Pirmasens über
die Entwicklung des Kaiserslautemer Arbeitsmarktes erklären. Führte die Wande-
109 Der Begriff Kreis bezeichnete im Königreich Bayern die Regierungsbezirke, während die
unteren Verwaltungseinheiten ab 1862 als Bezirksämter (zuvor: Landkommissariate) geführt
wurden. So büdete beispielsweise die bayerische Rheinpfalz den Rheinkreis, welcher 1837 in
Pfalzkreis umbenannt wurde und dessen Verwaltungszentrale in Speyer lag. Die Bezirksämter
entsprachen den preußischen oder auch reichsländischen Kreisen. Die Bezeichnungen Bezirksamt
und Kreis sind daher im vorliegenden Text analog zu verstehen.
158
rungsroute der Kuselaner in der Regel zuerst in das Zentrum der Westpfalz oder re-
präsentierten die stets zwischen vier und sechs Prozent der pfälzischen Zuwanderung,
welche im direkten Zuzug aus dem Bezirksamt Kusel nach Malstatt-Burbach kamen,
das bevorzugte Wanderungsverhalten dieser Bevölkerungsgruppe? Der von Kusel
herführende, im Jahre 1868 fertiggestellte Eisenbahnanschluß mündete in Landstuhl auf
die Strecke Ludwigshafen-Homburg-Saarbrücken ein und bot Gelegenheit zur Weiter-
fahrt in beide Richtungen. Aber nutzten die im Sinne der Studie mobilen Bevölkerungs-
teile die Bahn überhaupt als Beförderungsmittel?
Als eine neuerliche Bestätigung der These von der Zunahme der innerregionalen
Mobilitätsintensität während der wirtschaftlichen Baisse nach 1875 ist zu werten, daß
zwischen 1876 und 1889 mit Ausnahme des Bezirkamtes Homburg die Prozentanteile
der Immigration aus sämtlichen nächstgelegenen westpfälzischen Bezirksämtern anstiegen,
während der zuvor noch ansehnliche Zuzug aus den vorderpfälzischen Bezirksämtern
Neustadt/Weinstrasse, Speyer und Bergzabern erheblich nachließ. Außerdem verringerte
sich zeitgleich der Abzug von der Saarhüttenstadt aus in die Bezirksämter Zweibrücken
sowie Kaiserslautern in einschneidender Weise. Mag sein, daß mobile Bevölkerungsteile
des Bezirksamtes Homburg diese Lücke zu füllen trachteten und daher wiederum deren
Zuwanderung nach Malstatt-Burbach ins Stocken kam.
Fassen wir zusammen: In den Landschaften Saar, Hunsrück und Pfalz, in welche
Malstatt-Burbach eingebettet bzw. zu denen die Kommune in unmittelbar Nachbarschaft
lag, bestand jeweils nur seitens einer bestimmten Anzahl von Kreisen ein intensiver
Wanderungsaustausch mit der Saarhüttenstadt, keinesfalls jedoch geschlossen mit einem
jener Gebiete. Der Faktor der räumlichen Nähe spielte diesbezüglich zwar eine Rolle,
aber die Möglichkeit zur Überwindung geographischer Distanzen mittels der sich rasch
ausweitenden Eisenbahnverbindungen führte offensichtlich nicht zu einschneidenden
Änderungen der Migrationsverhältnisse innerhalb der Region. Kreise mit einer regionalen
Zentrenfunktion wie Saarbrücken, Trier, Zweibrücken-St.Ingbert sowie in gewissem Sinne
auch Kaiserslautern und Kreuznach stellten sozusagen Kristallisationspunkte des Wande-
rungsgeschehens dar und unterhielten die für die jeweilige Landschaft zahlenmäßig
dominierenden Austauschbeziehungenmit dem industriellen Fertigungszentrum Malstatt-
Burbach. Die krisenhafte Wirtschaftsentwicklung zwischen 1876 und 1889 führte zu einer
Intensivierung des Wanderungsaustausches mit der Mehrzahl der westpfälzischen
Bezirksämter, dem Fürstentum Birkenfeld sowie den preußischen Saarkreisen Saarbrücken
und Ottweiler-Neunkirchen. Die Zuzugsmobilität aus den preußischen Hunsrückkreisen,
den nördlichen Saarkreisen (außer St.Wendel) und der Vorderpfalz erlebte dagegen in
dieser Phase einen Einbruch. Es wird deutlich, daß sich während der Wirtschaftsflaute
nicht nur die Zu- und Abzüge von und nach außerhalb des Saar-Lor-Lux-Raumes,
sondern auch die Mobilität im regionalen Zusammenhang auf ein Mindestmaß reduzierte:
159
aufgewertet wurde der Wanderungsaustausch zwischen Industriestandorten, Bestand hatte
der Zuzug von Arbeitskräften aus strukturell stark benachteiligten agrarisch-pro-
toindustriellen Gebieten, die auf eine auswärtige Beschäftigung angewiesen waren und
sich gezwungen sahen, auch noch der geringsten Anstellungschance in der krisengeschüt-
telten Saarindustrie nachzugehen.
3.2.2 Diedenhofen110
Vergleichbar den Migrationsverhältnissen in Malstatt-Burbach bildete die eigene,
lothringische Landschaft das Haupteinzugsgebiet Diedenhofens. (Tab.29) Gesamtdurch-
schnittlich mehr als 60 von 100 Zuzüglern (61,4%) kamen aus lothringischen Kreisen
in die Gamisonstadt. Wie die Saarkreise bezüglich der Saarhüttenstadt erfuhr auch Loth-
ringen im Laufe des Untersuchungszeitraums gegenüber anderen Regionen einen relativen
Bedeutungsverlust im Wanderungsgeschehen mit Diedenhofen. Hauptsächlich Ein-
wanderer aus den preußischen Saarkreisen, aus Südeuropa, vornehmlich aus Italien, sowie
West- und Nordeuropa, in erster Linie aus Frankreich, gewannen zugleich anteilsmäßig
gegenüber den Lothringern an Gewicht. Die stärksten nicht-lothringischen Zuzugskontin-
gente stellten die preußischen Saarkreise (7,8%), gefolgt von Südeuropa (5,5%), obwohl
die Italiener hier in den 1890er Jahren wesentlich zaghafter Fuß faßten als in Malstatt-
Burbach, dafür aber nach 1900 eminent stark in die Hüttenstadt an der Mosel drängten.
Das kleine Luxemburg trug, gemessen an seiner territorialen Ausdehnung, beträchtlich
zum Diedenhofener Wanderungsumschlag bei (5,4% des Zuzuges). Daneben fanden sich
Immigranten aus Westdeutschland erstaunlich zahlreich ein (4,6%), von denen fast drei
Viertel (3,1%) die rheinisch-westfälische Industrieregion als letzten Aufenthalt in
Anspruch genommen hatten. Es überrascht ein wenig, daß der Zuzug aus dem Ruhrgebiet
(und dessen Hinterland) prozentual in den 1880er Jahren (Phase B) am stärksten war,
als von Industrialisierung in Diedenhofen noch nicht die Rede sein konnte, und sich
anteilsmäßig in den beiden folgenden Zeitabschnitten deutlich reduzierte, als sich die
ersten Industriebetriebe ansiedelten.111
Aufschlußreich ist der relativ verhaltene Zustrom aus dem Elsaß (3,4%), der Pfalz (1,5%)
und dem Hunsrück (2,3%). Elsaß-Lothringen bildete zwar eine verwaltungsmäßige
Einheit, einen geschlossenen sprachlichen Komplex allerdings durch die Differenz zwi-
110 Zur Landschaftseinteüung in Tab.29 vgl. Anhang B3. Der Rang in Tab.29 bezeichnet den
Stellenwert der Zuwanderung aus einer bzw. der Abwanderung in eine Landschaft oder ein
Staatsgebiet bezüglich der gesamten Untersuchungsperiode.
111 Subtrahiert man die hessischen Immigrationsanteile von den westdeutschen Kontingenten, so
machte die Zuwanderung aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet in Phase B 4,4 Prozent,
in Phase C 2,9 Prozent und in Phase D 2,8 Prozent des Gesamtzuzugs aus.
160
sehen fränkischem und alemannischem Dialekt ohnehin nur aus dem Blickwinkel der
anderssprachigen Administration, solange dieser Siedlungsraum im französischen
Staatsverband verweilte. Auch die sozio-ökonomische Einheit war sicherlich nur ansatz-
weise gegeben, schon weil das Elsaß in seiner Orientierung auf die eigenen Zentren und
vor allem auf Straßburg hin keinen überdurchschnittlichen Bevölkerungsaustausch mit
Diedenhofen als einem der bedeutendsten Zentralorte Lothringens unterhielt, was diese
Landschaft in ihren Beziehungen zu Lothringen von anderen Regionen abgehoben hätte.
Die Bindungen zwischen Lothringen, dem Saargebiet und Luxemburg waren in sozialer
und wirtschaftlicher Hinsicht bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wesentlich
ausgeprägter und rechtfertigen den Gebrauch eines subsumierenden strukturellen Raumbe-
griffs für die Regionen Saar-Lothringen-Luxemburg eher als für das Elsaß und Lothrin-
gen.
Die Bevölkerungen von Pfalz und Hunsrück waren offenbar stark auf das Industriegebiet
an der Saar hin orientiert. In nur bescheidenem Maße profitierte Diedenhofen von deren
regionaler Mobilität. Dabei fällt auf, daß die Hunsrückwanderung ins nördliche Lothrin-
gen nahezu ausschließlich von Bewohnern der preußischen Hunsrückkreise getragen
wurde, während die in Malstatt-Burbach durch ihren besonders beharrlichen Zuzug
hervorstechenden Birkenfelder sich nicht am Diedenhofener Wanderungsumschlag be-
teiligten.112 Es ist daher zu unterstellen, daß das oldenburgisch-birkenfeldische Migra-
tionspotential innerhalb der Saar-Lor-Lux-Region vollständig vom Saargebiet absorbiert
werden konnte.
Unter den Abzugszielen genossen Lothringen und die preußischen Saarkreise annähernd
den gleichen Vorrang wie unter den Hexkunftslandschaften.
Prozentual verblieben mit Ausnahme der Zeit nach 1900 allerdings wesentlich weniger
Personen in Lothringen als von dort nach Diedenhofen zugezogen waren. Dieses Faktum
untermauert die These von der "Sprungbrettfunktion" des nordlothringischen Zentralortes
für die Bewohner des im innerregionalen Vergleich ziemlich dünn besiedelten agrarischen
Hinterlandes.
Im Verhältnis zwischen Diedenhofen und den lothringischen Kreisen fallt generell auf,
wie sehr sich das Wanderungsgeschehen auf die beiden Diedenhofener Kreise und den
Kreis Metz beschränkte. (Tab.30) Nahezu 20 Prozent der Immigranten aus dem Lothrin-
gischen kamen in den 1880er Jahren allein aus dem rein bäuerlichen Kreis Diedenhofen-
Ost, in den 1890er Jahren kaum weniger als 30 Prozent und nach 1900 gar fast 40 Pro-
112 Unter der Rubrik Oldenburg finden sich bis auf irrelevante 0,4 Prozent bezüglich der
Abwanderung aus Diedenhofen in der Phase zwischen 1890 und 1900 keine Migrationsanteile.
161
HERKUNFT
Tin:
Phase/
Landschaft &
Staat
B-D
TT
T5 pnr
von 100 Zuw< inde rem kamen aus bzw. gingen in 1 olgende LA NDSCH A F 1 [' E N
Lothringen 1 71,2 66,5 53,1 61,4 l 57,9 55,7 52,1 54,4
Saar 2 4,4 6,6 10,1 7,8 2 10,5 8,3 9,8 9,4
Südeuropa 3 - 0,4 12,1 5,5 5 - 0,4 9,8 4,6
Luxemburg 4 7,4 3,1 6,6 5,4 7 2,6 1,1 6,6 3,9
Westdeutschland 5 4,8 5,2 4,0 4,6 4 1,8 7,2 5,7 5,6
Elsaß 6 3,5 3,9 3,0 3,4 3 6,1 8,7 4,1 6,2
Mitteldeutschland 7 2,2 3,7 1,7 2,5 9 1,8 4,2 1,3 2,4
Hunsrück 8 1,3 3,5 1,7 2,3 8 6,1 3,4 1,6 3,0
West&Nord- 9 0,9 1,4 2,5 1,8 6 8,8 1,9 5,0 45
Europa
Pfalz 10 1,7 1,2 1,7 1,51 11 1,8 0,4 1,6 1,2
Süddeutschland 11 1,7 1,4 0,8 1,2 11 0,8 1,9 1,2
Ostdeutschland 12 - 1,5 1,0 1,0 10 1,8 2,3 0,3 1,3
Eifel 13 0,9 1,0 0,2 0,6 15 - 0,8 - 0,3
Norddeutschland 13 - 0,6 0,8 0,6 13 0,9 1,9 0,3 1,0
Militär 15 - 0,2 0,5 0,3 16 0,4 - i 0,1
Osteuropa 16 - - 0,2 0,1 “ “ - “
Ubersee - - “ 13 2,7 1,0
Summe 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 TSSJ
von 100 Zt iwamderera kamen aus bzw. gingen in folgende STAATEN
Elsaß-Lothringen 1 747T 70,5 56,4 63^0 1 64,0 64,6 "56,1 —Sü7
Preußen 2 11,8 18,6 17,6 17,0 2 21,9 21,7 17,4 19,7
Luxemburg 3 7,4 3,1 6,6 5,4 3 2,6 1,1 6,6 3,9
Italien 4 - 11,3 5,0 3 8,5 3,9
Bayern 5 2,2 2,1 2,2 2,2 7 1,8 1,1 1,6 1,4
Hessische Staaten 6 0,4 2,3 1,2 1,5 6 0,9 3,8 1,3 2,2
Frankreich 7 0,9 1,0 2,0 1,4 3 7,9 1*5 4,4 3,9
Sächsische Staa- 8 U 1,0 0,7 0,9 9 - 1,9 0,3 0,9
ten 0,6
Schweiz 9 “ 0,2 0,8 0,4 11 “ 1,3
Baden 10 0,9 0,2 0,2 0,3 9 - 1,9 0,9
üelgien 10 - 0,4 0,3 0,3 12 0,9 0,4 0,3 0,4
Württemberg 12 0,4 0,2 0,2 0,2 - ‘
Thüring. Staaten 13 “ 0,2 oa 0,1 * • - — "
Niederlande 13 - - 0,2 0,1 - - “ "
Rußland 13 - - 0,2 0,1 " “ —
Österreich- 13 - 0,2 - 0,1 13 - 0,4 - 0,1
Ungarn 1,0
Ubersee - - - 8 2,7
Großbritannien - * - “ 13 - 0,3 0,1
Mecklenburg - - * - - 13 0,4 " 0,1
Oldenburg - - - - - 13 0,4 0,1
Summe 100,ö w ■w [TüüJ] ïüôüT io0,0 im 10W
Ra = Rang; Phasen: A = 1856-1882, B = 1883-1889, C = 1890-1900, D = 1901-1909
Zur Ergcbnisgenauigkeit vgL Anhang D.
Tab.29 : Landschaftliche sowie staatliche Herkunft und Ziele der Binnenwandercr in Diedenbofe
1883-1909
162
West-u.
Nordeuropa
Süd-
europa
) Eife4
II Luxemburg
IN Hunsrück
IV Saar
V Pfalz
VI Lothringen
VII Elsaß
"Kreise*:
1 Schleswig u, Holstein
2 Oldenburg
3 Hannover
4 Mecklenburg
5 Pommern
8 Westpreußen
7 Ostpreußen
8 Posen
9 Schlesien
10 Rheinprovinz (ohne Eifel,
Hunsrück u, Saar)
11 Westfalen
12 Hessen
13 Thüringen
14 Sachsen
15 Brandenburg
16 Baden
17 Württemberg u. Hohenzoilem
18 Bayern
Abb-19 : Landschaftliche Herkunft und Ziele der Migranten in Diedenhofen (Vgl. Tab.29)
163
Phase/ Kreis HERKUNFT ZIEL
a B C D B-D Ra B C D B-D
von 100 Zuwanderem aus L oTTTr THTTe N kamen aus bzw. gingen in folgende Kreise ...
Diedenhofen i 4X6 56,7 67,4 58,2 1 ZX8 4X7 wr 53.4
-Ost (33,7) (43,6) (41.1) (40,7) (19,7) (28,6) (37,0) (30,7)
-West (9.8) (13.1) (26.3) (17.5) (9,1) (21,1) (29,7) (22.8)
Metz 2 38,0 26.7 22,2 27,2 2 62,1 36,7 26,7 36,8
Forbach 3 8.0 5.5 3.8 5.3 4 3.0 3,4 1,8 2,6
Bolchen 4 2,5 4.9 1,9 3,3 3 1.5 4.8 1,2 2,6
Saarbur g/Lothr. 5 6.1 2.0 0.9 2.4 5 - 3.4 2.4 2,4
Saargemünd 6 1.2 2.0 2.2 1.9 6 4,5 0.7 0,6 1,3
Chäteau-Saüns 7 0,6 2.0 1,6 1,6 7 - 1.4 0,6 0,8
Summe 100,0 99,8 100,0 9(3,9 99T" ' 100,1 löö.ö 9X9”
Ra = *ang; Phasen: B = 1883-1889. C = 1890-1900. D = 1901-1909
Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab,30 : Verteilung der Binnenwanderer in Diedenhofen auf die lothringischen Kreise 1883-
1909
zent. Sofern Zu- und Abzüge aus bzw. nach Lothringen erfolgten, so konzentrierten sich
diese Wohnortwechsel Zusehens auf die Kreise Diedenhofen-Ost und Diedenhofen-West.
Sogar der Bevölkerungsaustausch mit dem Nachbarkreis Metz ging rapide zurück. Zwei
Drittel der Lothringenwanderungen wickelte die Hüttenstadt nach 1900 mit dem Dieden-
hofener Land ab. Deutsch-Lothringen war in sich sozio-ökonomisch recht inkonsistent.
Der industrielle Komplex Metz-Diedenhofen führte, wie es scheint, in gewisser Weise
ein innerlothringisches Eigenleben, an dem die anderen nordreichsländischen Kreise nur
in sehr bescheidenem Maße beteiligt waren. Die Kreise Bolchen, Saarburg/Lothringen
und Château-Salins, die sich in sozusagen in einer Randlage befanden, blieben vornehm-
lich der Landwirtschaft verhaftet, wobei deren relativ geringe Besiedlungsdichte den
andernorts mit der Industrialisierung benachbarter Gebiete erfolgten Mobilitätsschub ver-
hinderte. Der Kreis Forbach verfügte selbst über eine Anzahl industrieller Anlagen, vor
allem der Bergbau spielte hier eine gewisse Rolle, und orientierte sich wie der Kreis
Saargemünd eher auf das Industriegebiet an der Saar hin als in Richtung der Mosel-
industrien.
Die Stellung Diedenhofens als Verkehrs- und insbesondere als Eisenbahnknotenpunkt
machte die Stadt zudem ganz allgemein zu einem der bevorzugten Anlaufplätze in
Lothringen für Femreisende und wohl auch Femwanderer aller Art.
Bezüglich der Wahl der preußischen Saarkreise als Abwanderungsziel zeigte sich eine
gegenüber dem Herzugsverhalten asynchrone Anteilsentwicklung. So gestaltete sich der
Abzug ins Saargebiet bis zur Jahrhundertwende prozentual erheblich intensiver als der
164
Abb.20 : Verteilung der Binnenwanderer in Diedenhofen auf die lothringischen Kreise
(Vgl. Tab.30)
Zuzug aus den Saarkreisen. Erst nach 1900 dürften mehr Migranten von der Saar an die
Mosel gekommen sein als umgekehrt.113 Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen
der Malstatt-Burbacher Migrationsanalyse hinsichtlich des Wanderungsumschlags mit
Elsaß-Lothringen.114
Das Elsaß stellte mit seinen überaus hohen Wegzugsanteilen (Abzugsrang 3) in Relation
zu den Zuzugsquoten (Herzugsrang 6) ein Nettoabzugsgebiet für Diedenhofen dar.
Ähnliches gilt für die Austauschbeziehungen mit den westeuropäischen Staaten in den
1880er Jahren und in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts. Zwar existierte keine sehr
rege Bevölkerungsbewegung zwischen Nordlothringen und dem nahegelegenen Belgien
geschweige den Niederlanden oder Großbritannien, jedoch der Wanderungsstrom von,
vornehmlich aber nach Frankreich hinein war nicht ganz unerheblich (Herzugsrang 7,
113 Auf eine nähere Betrachtung des Wanderungsaufkommens mit anderen Landschaften als
Lothringen wurde aus stichprobentechnischen Gründen verzichtet. Hinsichtlich der Saar kann
jedoch erwähnt werden, daß sich der Wanderungsaustausch mit dem Kreis Saarbrücken besonders
intensiv gestaltete, was in erster Linie für die Jahre nach 1900 naheliegend ist, da die Röch-
lingschen Hüttenwerke in Völklingen (Kreis Saarbrücken) und Diedenhofen Schwesterwerke
waren. Die Orientierung des Kreises Saarlouis auf Lothringen hin ist an anderer Stelle bereits
angesprochen worden und bestätigt sich hier. Daneben spielte der nächstgelegene preußische Kreis
Saarburg/Saar im Diedenhofener Wanderungsgeschehen eine gewisse Rolle.
114 Vgl. S.149.
165
Zuzugsrang 3). Die deutsch-französische Grenze muß infolgedessen, trotz der eindeutigen
nationalpolitischen Frontstellung zwischen dem Deutschen Kaiserreich und der Französi-
schen Republik, für die hier untersuchten Wanderungsbewegungen in beiden Richtungen
grundsätzlich durchlässig gewesen sein.115
Dies trifft in verstärktem Maße auf die deutsch-luxemburgische Grenze zu. Das Wande-
rungsaufkommen zwischen dem Großherzogtum und der Gamisonsstadt verhalf dabei
Diedenhofen zumindest bis zur Industrialisierung zu Bevölkerungsgewinnen (Herzugsrang
4, Abzugsrang 7).
Das Ausbleiben von Belgiern dürfte daher nicht zwangsläufig als Indiz für erfolgreiche
Versuche zur Unterbindung grenzüberschreitender Migrationen durch die Grenzbehörden
zu werten sein, sondern es ist vielmehr anzunehmen, daß sich die Bevölkerung der nahen,
mehrheitlich französischsprachigen belgischen Provinz Luxembourg vorzugsweise in
Richtung der eigenen belgischen und unter Umständen auch nordfranzösischen Montan-
industriereviere orientiert hat. Denn in Longwy, im französischen Teil Lothringens, waren
beispielsweise im Jahre 1896 71,7 Prozent der etwa 10.000 Ausländer Belgier und
Luxemburger, 14 Prozent Italiener und 12,9 Prozent Deutsche.116
Die Austauschbeziehungen zwischen Diedenhofen und einzelnen Staaten spiegeln das
hier schwerpunktmäßig dargestellte Wanderungsgeschehen bezüglich verschiedener
Landschaften wider. Ergänzend sei auf folgende Phänomene hingewiesen:
Erstens kam es offensichtlich in einem gewissen Umfang zu Wanderungsgewinnen durch
Zuzügler aus bayerischen Gebieten (Herzugsrang 5, Abzugsrang 7). Da freilich der
bayerische Wegzugsanteil an der Gesamtemigration in den 1880er Jahren sowie nach
1900 identisch mit dem pfälzischen Prozentsatz war, kann die positive bayerische Wan-
derungsbilanz nur durch Zuzügler aus den rechtsrheinischen bayerischen Kreisen erzielt
worden sein. Dies unterschied die Migrationsverhältnisse in Nordlothringen grundsätzlich
von denjenigen an der Saar.
Zweitens übertraf der Bevölkerungsaustausch Diedenhofens mit dem Ausland denjenigen
der saarländischen Vergleichs gemeinde um ein Vielfaches. Der reichsausländische Anteil
der Zuzügler betrug in den 1880er Jahren 8,3 Prozent, in den 1890er Jahren 4,9 Prozent
und stieg nach 1900 auf über ein Fünftel der Gesamtimmigration (21,4%) an. Der
endgültige Durchbruch der italienischen Massenimmigration in den Saar-Lor-Lux-Raum
nach der Jahrhundertwende spielte dabei die entscheidende Rolle, ein beträchtlicher Teil
dieses Wanderungsaufkommens ist jedoch auf die Grenzlage Diedenhofens zu Frankreich
und die auch nach der Annexion anhaltenden Wanderungsbewegungen zwischen Inner-
115 Vgl. hierzu auch Roth, La frontière franco-allemande (1871-1918), in: Annales de l'Est
44/1992, H.l, S.35-52.
us Vgl. Noiriel, Gérard: Longwy. Immigrés et prolétaires (1880-1980), Paris 1984, S.172.
166
frankreich, in erster Linie aber dem französischen Teil Lothringens und Deutsch-
Lothringen zurückzuführen. Die maßgebliche Ursache für den überdurchschnittlichen
Prozentsatz der italienischen Femzuwanderung dürfte in der verspäteten Industrialisierung
Diedenhofens zu sehen sein, wodurch die Arbeitskräftepotentiale der eigenen Region
sowie der umliegenden Landschaften weitgehend an bereits länger ansässigen Indu-
striestandorten gebunden wurden. Außerdem könnte die relative Nähe der deutsch-lo-
thringischen Industrien zum romanischen Sprachraum einer Ansiedlung der Italiener
Vorschub geleistet haben.
Das vehemente Absinken der Auslandsanteile im Rahmen der Wanderungsbewegungen
im Laufe der 1890er Jahre legt einen Strukturbruch während dieses Zeitabschnitts (Phase
Q in Diedenhofen nahe. Eine genaue Betrachtung der Immigrations- und Emigra-
tionsquoten aller aufgeführten Landschaften und Staaten verstärkt diesen Eindruck, denn
der Zuzug aus Luxemburg, West- und Nordeuropa (Frankreich) sowie dem Rheinland,
Westfalen und der Pfalz lag in den Jahren nach 1890 zum Teil entschieden unter den
Prozentsätzen der 1880er Jahre.117 Zugleich stieg die Wanderungsintensität hinsichtlich
einer Vielzahl deutscher Staaten immens an; zu nennen wären hier Teile West- und Mit-
teldeutschlands, das Elsaß, der Hunsrück und die Eifel, d.h. in staatlicher Hinsicht vor
allem Preußen, Bayern (rechsrheinisch) sowie die hessischen und sächsischen Territorien.
Zwei historische Phänome griffen hier ineinander: mehr oder minder wirksame national-
staatliche Abgrenzungsmechanismen und der kommunale industrielle "take-off”.
Zum einen wirkte sich zu Beginn dieses Zeitabschnitts konkret die verschärfte außen-
politische Frontstellung zwischen der französischen und der deutschen Regierung im
Zeichen der Revanchepolitik des französischen Kriegsministers Boulanger ("général
revanche") und der deutschen Hochrüstungspolitik unter Wilhelm II. aus, indem restrik-
tivere Grenzkontrollen und häufigere Zurückweisungen bzw. Ausweisungen "unerwünsch-
ter Personen" die Atmosphäre im Grenzraum vergifteten und den Wanderungsaustausch
mit dem Ausland wenn nicht verhinderten, so doch behinderten.118 Ebenfalls während
der 1890er Jahre, d.h. in deren letztem Drittel, begann für Diedenhofen die Industrialisie-
rung. Die Röchlingsche "Karlshütte" wurde 1898 gegründet, nachdem die Saarindustriel-
len bereits seit 1889/90 über einen Kohlenlieferungsvertrag für die städtische Gasanstalt
ihr Augenmerk auf Diedenhofen gerichtet hatten. Der Industrialisierungsprozeß trug das
seine zur Marginalisierung traditioneller Austauschbeziehungen bei, indem er den erwei-
terten Zuzug von industriellen Arbeitskräften zwecks Aufbau und Betrieb der Hütten-
117 Zum einen gingen die Zuzugsquoten der genannten Regionen in der Regel zurück, zum anderen
fielen die Abzugsanteüe gegenüber Phase B z.T. deutlich ab. Dies trifft besonders auf West-
und Nordeuropa, speziell aber auf Frankreich, zu.
118 Vgl. Roth, La frontière franco-allemande, S.40ff.: "Entre 1887 et 1891 la situation fut difficile
et a laissé beaucoup de souvenirs désagréables." (S.40)
167
anlagen notwendig machte. Der Zuzug aus den ländlichen Regionen Luxemburgs und
der Pfalz wurde zwar in absoluten Zahlen nicht schwächer, doch verlor er relativ an Be-
deutung im industriell-gewerblichen Zuwandererstrom. Die Migration aus bzw. in den
rheinisch-westfälischen Raum blieb ebenfalls keineswegs aus, sie konnte aber nicht der
dynamischen Entwicklung der Wanderungsströme aus bzw. in andere deutsche Regionen
standhalten, die für Diedenhofen anteilmäßig größere Wandererpotentiale freizusetzten
vermochten. Als nach der Jahrhundertwende das Zuzugsaufkommen aus Deutschland
insgesamt mit dem wirtschaftlichen Wachstum in der lothringischen Hüttenstadt nicht
mehr Schritt halten konnte, wurde der Arbeitskräftebedarf - die politischen Rahmenbe-
dingungen hatten sich diesbezüglich allgemein wieder verbessert - schwerpunktmäßig
auch mit ausländischen Arbeitskräften gedeckt.
3.2.3 Esch-an-der-Alzetteu9
Für Esch/Alz. bildete, nicht anders als für die beiden benachbarten Teilregionen Loth-
ringen und Saar, trotz seiner Lage im äußersten Süden Luxemburgs, das eigene Staatster-
ritorium die primäre Migrationszone. Denn zwischen 85 und 68 von 100 Einwohnern
der Gemeinde waren im Zeitraum von 1871 bis 1900 gebürtige Luxemburger. (Tab.31)
Dabei scheint es im Gegensatz zu Diedenhofen keinesfalls zu einer Einengung des
innerluxemburgischen Einzugsbereiches des Industriezentrums gekommen zu sein. Der
Anteil der aus dem bassin minier stammenden Luxemburger betrug konstant zirka 74
Prozent gegenüber 26 Prozent Luxemburgern mit Geburtsorten im Norden des Großher-
zogtums. Die Luxemburger verloren aber in ihrer Gesamtheit permanent an Gewicht in
der Einwohnerschaft. Der Ausländeranteil in der Bevölkerung bezifferte sich im Jahre
1871 schon auf 15 Prozent, 1890 auf mehr als 20 Prozent und stieg in gerade einmal
zehn Jahren auf über 31 Prozent im Jahre 1900 an.120
Die benachbarten Gebiete der Saar-Lor-Lux-Region waren, sofern die Volkszählungen
darüber Aufschluß geben, allerdings am Escher Wanderungsgeschehen nicht so sehr stark
beteiligt. Nur zwischen vier und etwas über sechs Prozent der Einwohner waren an der
Saar oder in Lothringen geboren. Im Jahre 1910 dürften schätzungsweise sechs bis sieben
119 Zur Landschaftseinteüung in Tab.31 vgl. Anhang B3. Der in Tab.31 ausgewiesene Rang
bezieht sich auf den Stellenwert einer Landschaft bzw. eines Staates bezüglich der gesamten
Untersuchungsperiode.
120 Der Ausländeranteü an der Gesamtbevölkerung betrug im Jahre 1900 in Esch gemäß Didlinger
36,6%, in den NachbargemeindenDifferdingen 46,4%, Düdelingen 40,0% und Rümelingen 36,5%.
Diese Anteilswerte stiegen bis ins Jahr 1910 in der Gemeinden Esch auf 45,8% an und in
Differdingen auf 51,4%, während die ausländische Bevölkerung in Rümelingen prozentual
stagnierte und in Düdelingen auf 36,6% zurückging. Vgl. Didlinger, Ausländische Bevölkerung
Esch/Alz., S.236.
168
Prozent der ausländischen Zuzügler nach Esch aus den preußischen Saarkreisen und
Lothringen zugezogen sein.121 Dies steht in eindeutigem Kontrast zu den Verhältnissen
in den beiden Vergleichsgemeinden: Von 100 nicht-saarländischen Zuwanderem in
Malstatt-Burbach benannten immerhin 15 Personen einen Herkunftsort innerhalb
Lothringens oder Luxemburgs und von 100 Diedenhofener Immigranten kamen gar mehr
als 35 aus einem der beiden Nachbarterritorien. Es ist schon geäußert worden, daß die
luxemburgischen Industrieorte vergleichsweise früh einer Immigration von außerhalb der
Saar-Lor-Lux-Region offenstanden, da die eigenen Migrationspotentiale zur Deckung
des industriellen Arbeitskräftebedarfs zeitig versiegten und es angesichts der parallelen
industriellen Erschließung der angrenzenden Gebiete nicht in ausreichendem Maße gelang,
Bevölkerungsteile aus der Saarregion und Lothringen nach Luxemburg anzuwerben.122
Unmittelbar im Anschluß an die Krisenphase, welche für die Malstatt-Burbacher Hütten-
industrie zwischen 1876 und 1889 ermittelt worden ist, wies allerdings interessanterweise
gerade derjenige Escher Bevölkerungsteil, welcher aus den preußischen Saarkreisen
stammte, seinen prozentual weitaus höchsten Anteilswert auf (1890: 2,6%). Dies erhärtet
zum wiederholten Male die Annahme eines intensiveren innerregionalen Wande-
rungsaustausches während der genannten Periode, in diesem Falle von der Saar an die
luxemburgische Alzette.
Nahezu alle Landsmannschaften, die ins Wanderungsgeschehen miteinbezogen waren,
steigerten auf Kosten der einheimischen Luxemburger zwischen 1871 und 1900 ihren
Anteil an der Escher Einwohnerschaft. Bezüglich deutscher Landschaften entwickelte
sich im Rahmen dessen der Zuzug aus Westdeutschland, aus der Eifel sowie aus dem
Hunsrück verhältnismäßig stark, d.h. zwar schwächer als die lothringische aber insgesamt
gewichtiger als die saarländische Immigration. Die Zuwanderung aus Westdeutschland
entfaltete hinsichtlich des rheinisch-westfälischen Bereichs eine ansehnliche Dynamik,
was sicherlich dadurch begünstigt wurde, daß sich eines der beiden Escher Hüttenwerke
im Besitz einer Gelsenkirchener Aktiengesellschaft befand.123 Der gute Kontakt in die
Eifel beruhte auf den traditionellen Beziehungen dieser Region zum landschaftlich, wirt-
schaftlich und sozial ähnlich strukturierten nordluxemburgischen Ösling. Speziell das
Bitburger Land spielte dabei - nicht zuletzt wegen seiner früheren Zugehörigkeit zum
121 Der angegebene Anteiiswert ergibt sich durch Umrechnung der von Didlinger ermittelten
Zahlen. Vgl. Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz., S.41ff.
122 Vgl. S.145.
123 Der Anteil der Escher Einwohner, die im nördlichen Rheinland oder Westfalen geboren waren,
bezifferte sich, subtrahiert man den Prozentsatz der hessischen Staaten vom westdeutschen
Prozentsatz, im Jahre 1871 auf 0,6 Prozent, im Jahre 1890 auf 1,5 Prozent und im Jahre 1900
auf 2,2 Prozent.
169
Herzogtum Luxemburg sowie der engen Verwandschaft des dort gesprochenen mosel-
fränkischen Dialektes mit dem Luxemburgischen - eine entscheidende Rolle. Die
Bismarck'schen Kulturkampfmaßnahmen seit den 1870er Jahren und die katastrophalen
Mißernten der 1880er Jahre begünstigten in besonderer Weise den Exodus von Teilen
der katholischen Landbevölkerung des Kreises Bitburg ins luxemburgische Erzbck-
ken.124
In Bezug auf den Hunsrück ist wie für Lothringen festzuhalten, daß der Bevölkerungs-
austausch ausschließlich mit den preußischen Hunsrückkreisen unter fast vollständiger
Auslassung des oldenburgischen Fürstentums Birkenfeld zustandekam.
Jahr/ Landschaft von 100 Einwohnern wurden geboren in ... Jahr/ von 100 Einwohnern wurden geboren in ...
Ra Ä T3T Staat Ra A c A-C
Luxemburg 1 557T 79.8 68.4 75,2 Luxemburg 1 85.Ö 79.8 68.4 75,2
-Südwest (73.8) (73.8) (73.9) (73.8) Preußen 2 3,1 8.2 8.3 7.2
-Nordost (26.2) (26.2) (26.1) (26.2) Elsaß-Lothringen 3 3,7 3.6 5,6 4.6
West&Nord-Europa 2 7.1 4,6 5.3 53 Italien 4 - 0.4 8,3 4.2
Südeuropa 3 - 1.4 9.8 5.3 Belgien 5 5.4 2.6 2,4 3,1
Lothringen 4 3.5 3,4 5.2 4.3 Frankreich 6 1.6 1,9 2,9 2,3
Westdeutschland 5 1,3 2.2 2.5 2.2 Bayern 7 0.3 1,1 1.4 1.1
Eifel 5 0.5 2.3 2.8 2 2 Österr.-Ungam 8 - 0.8 1.1 0,8
Hunsrück 7 1.3 1.5 1.8 1.6 Hess. Staaten 9 0.7 0,7 0.3 03
Saar 8 0.6 2.6 U 13 Sächs. Staaten 10 - 0.2 03 0.3
Süddeutschland 9 0.3 0.6 1.0 0,7 Schweiz 10 - 0.2 0.4 0.3
Pfalz 10 0.1 0,7 0,8 0,6 Baden 12 0,1 0.1 0,2 0.1
Mitteldeutschland 11 0.2 0,3 0,6 0.4 Oldenburg 12 - 0,1 0,1 0.1
Elsaß 12 0,2 0.1 0.3 0.2 Württemberg 12 - 0.1 0,1 0,1
Ostdeutschland 12 - 0.2 0,2 0.2 Niederlande 12 0.1 0.1 - 0,1
Norddeutschland 14 - 0.2 0.1 0,1 Übersee 16 . 0.1 - -
Übersee 15 - 0.1 -
Summe 100,0 100,0 100,0' 100,0 Summe g b 100.0 100,0 10Ö.Ö
Ra = Rang; Zähljahre: A = 1871. B = 1890, C = 1900
Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab.31: Landschaftliche sowie staaüiche Zuordnung der Geburtsorte der Einwohner von Esch/Alz.
in den Jahren 1871, 1890 und 1900
Luxemburg gehörte dem Deutschen Zollverein an, bildete also eine Wirtschaftsunion
mit dem Deutschen Reich, weshalb die umfangreichen Zuwanderungen aus Deutschland
angesichts des industriellen Arbeitskräftebedarfs nicht verwundern können. Der außer-
dcutsche Zuzug, der in erster Linie von Italienern, Belgiern und Franzosen getragen
wurde, kann daher nur als imposant bezeichnet werden, denn sowohl im Jahre 1871 als
auch im Jahre 1900 war die Hälfte aller nicht-luxemburgischen Einwohner der südlu-
124 Vgl. Didlinger, Ausländische Bevölkerung von Esch/Alz., S.74ff.
170
West- u.
Nordeuropa
I Eifel
II Luxemburg
III Hunsrück
IV Saar
V Pfalz
VI Lothringen
VII Eisaß
‘Kreise':
1 Schleswig u. Holstein
2 Oldenburg
3 Hannover
4 Mecklenburg
5 Pommern
8 Westpreußen
7 Ostpreußen
8 Posen
9 Schlesien
10 Rhelnprovlnz (ohne Eifel,
Hunsrück u. Saar)
11 Westfalen
12 Hessen
13 Thüringen
14 Sachsen
15 Brandenburg
18 Baden
17 Württemberg u. Hohenzollem
18 Bayern
Abb.21 : Prozentuale Verteilung der Einwohner von Esch/Alz. auf die verschiedenen
Geburtslandschaften (Vgl. Tab.31)
171
xemburgischen Hüttenstadt nicht in Deutschland geboren, im Jahre 1890 handelte es sich
um ungefähr ein Drittel der Ausländer in Esch. Die Italiener tauchten erstmals in der
Volkszählung von 1890 mit einem bescheidenen Prozentsatz (0,4%) auf, waren aber be-
reits im Jahre 1900 - wie auch in den beiden Vergleichsstädten - sehr zahlreich vertreten
(8,3%), indem sie hier mehr als die Hälfte der nicht-deutschen Ausländer der Gemeinde
stellten. Die italienischen Zuzugskontingente bezifferten sich unmittelbar vor dem ersten
Weltkrieg jährlich auf das Zwei- bis Dreifache der deutschen Immigration. Im Jahre 1910
waren zwei Drittel (66,4%) der knapp 3.000 Zuwanderer nach Esch Italiener gegenüber
etwa einem Viertel (26,1%) Deutsche. Die restlichen Immigranten zogen schwerpunkt-
mäßig aus Frankreich (2,4%) und Belgien (1,1%) zu.125
Die Austauschbeziehungen zwischen Esch und den beiden dominierenden west- und
nordeuropäischen Staaten Belgien und Frankreich waren im Vorfeld einem spezifischen
Wandlungsprozeß unterworfen. Während der belgische Bevölkerungsteil in Esch einen
vehementen relativen Rückgang verzeichnete, vergrößerte sich der Prozentsatz der
gebürtigen Franzosen an der Gesamteinwohnerschaft kontinuierlich. Die Bande zwischen
Luxemburg und Belgien, welche bis ins Jahr 1839 einem gemeinsamen Herrscher untertan
gewesen waren, lockerten sich offensichtlich im Verlauf der Industrialisierung. Die
Belgier orientierten sich anscheinend verstärkt auf ihre eigenen Industriegebiete und in
Richtung des französischen Nachbarn. Auch Luxemburg dürfte ganz allgemein an einer
Intensivierung seiner Kontakte zu Frankreich interessiert gewesen sein, um die Wirt-
schaftsunion mit dem Deutschen Reich keinesfalls zu einer (vielfach befürchteten)
nationalistisch-expansionistischen Umklammerung ausarten zu lassen. Es ist anzunehmen,
daß schon deswegen der Wanderungsaustausch mit der Französischen Republik gerne
gesehen wurde.
Die Betrachtung der bedeutendsten außerdeutschen Wanderungsbeiträge aus Belgien,
Frankreich sowie Italien in die drei Untersuchungsstädte Diedenhofen, Esch und Malstatt-
Burbach soll an dieser Stelle etwas vertieft werden. Ein besonderes Augenmerk wird
dabei auf die Frage gerichtet sein, welche Départements bzw. Provinzen insbesondere
das Wanderungsgeschehen mit den Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes trugen.
Handelte es sich bei den Migrationen hinsichtlich Frankreichs oder auch Belgiens um
ein Grenzraumphänomen? Welche Rolle spielten Femwanderungen im französischen wie
belgischen Kontext? Welche Regionen der Apenninhalbinsel nährten vorzugsweise die
italienischen Wanderungsströme? Welche Rolle spielte der Zuzug aus den italienischen
Siedlungsgebieten im habsburgischen Staatsverband?
125 Vgl. ebda., S.42.
172
3.2.4 Der Wanderungsaustausch mit Belgien, Frankreich und Italien
3.2.4.1 Italien126
Im Bericht des Diedenhofener Kreisdirektors zur Lage der Industrie und Landwirtschaft
vom Herbst 1894 heißt es: "Neue Erzgruben werden aufgeschlossen, neue Eisenwerke
gebaut, alte Werke erfahren die großartigste Erweiterung; die einheimischen Arbeiter
genügen dem Bedarfe auch nicht im Entferntesten. Luxemburger und Italiener, auch
Franzosen und sonstige Ausländer werden zu vielen Hunderten, ja zu Tausenden
beschäftigt."127
In den Folgejahren führte ein permanenter Arbeitermangel zur weiteren Einstellung aus-
ländischer Arbeiter, unter denen in zunehmendem Maße die Italiener hervorstachen.128
So beschäftigte die Röchlingsche "Karlshütte" im Jahre 1903 606 Arbeiter, darunter 182
Italiener (30%). Von den 70 Arbeitern der Diedenhofener Zementfabrik besaßen 55
Arbeiter die italienische Staatsangehörigkeit (78,6%) und in den Thomasschlackenmühlen
waren von 130 Beschäftigten 40 italienischer Herkunft (30,8%).129 Ein ähnliches Bild
ergab sich an anderen lothringischen Industriestandorten diesseits wie jenseits der
deutsch-französischen Grenze. In den Industriegemeinden Deutsch-Lothringens betrug
der italienische Anteil an der Gesamtbevölkerung unmittelbar vor dem Kriege schät-
zungsweise durchschnittlich 20 bis 30 Prozent. Auf 100 Einwohner der Gemeinde Hayin-
gen kamen im Jahre 1910 beispielsweise 18 Italiener und von 100 Einwohnern der
lothringischen Nachbargemeinde Eschs, Deutsch-Oth (Audun-le-Tiche), waren sogar
39 italienischer Herkunft.130 Für die beiden lothringischen Industriebecken um Briey
und Longwy, d.h. auf der französischen Seite der Grenze, werden im gleichen Zeitraum
durchschnittliche Italieneranteile von 60 bis 70 Prozent der Gesamteinwohnerzahl bezeugt.
In dem nahe Briey gelegenen Auboué handelte es sich im Jahre 1913 bei 62 von 100
126 Zur Italienerwanderung vgl. allgemein die zeitgenössische Darstellung von Britschgi-
Schimmer, Ina: Die wirtschaftliche und soziale Lage der italienischen Arbeiter in Deutschland.
Ein Beitrag zur ausländischen Arbeiterfrage, Karlsruhe 1916 sowie die beiden neueren Aufsätze
von Del Fabbro, Italienische Wanderarbeiter im Wilhelminischen Deutschland bzw. Wander-
arbeiter oder Einwanderer?
127 ADM 8 AL 244, Der Kreisdirektor des Kreises Diedenhofen an den Bezirkspräsidenten in
Metz betr. Lage der Industrie und der Landwirtschaft vom 29.0ktober 1894.
128 Vgl. ebda., Bericht vom 3.November 1899.
129 Vgl. ebda., Bericht des Kreisdirektors des Kreises Diedenhofen-Ost betr. Lage der Industrie
und der Landwirtschaft vom 24.November 1903.
130 Vgl. Hottenger, Georges: Pays de Briey et pays messin, in: Bulletin de la Société industrielle
de l'Est 112(1913), S.30-43, hier: S.31 und Roth, Lorraine annexée, S.368.
173
Einwohnern um Italiener und bereits zwei Jahre zuvor stammten von 1.700 am Orte
beschäftigten Bergleuten 1.550 aus Italien (91,2%).131
Auch im luxemburgischen bassin minier sowie dem Industriegebiet an der mittleren Saar
Bereits Mitte der 1870er Jahre exi-
stierte eine kleine italienische Ge-
meinde in Esch. (Tab.32)132 Ver-
einzelt dürften die ersten Italiener
hier jedoch schon in den 1860er Jah-
ren aufgetreten sein, indem sie allem
Anschein nach vom Lothringer Erz-
becken aus, wo früher als in Luxem-
burg mit dem Minetteabbau begonnen
worden war, über die Grenze wech-
selten.133
Ihre Zahl stieg bis ins Jahr 1910 auf
über 3.000 ständig anwesende Per-
sonen an, was einem Fünftel (20,1%)
der Gesamteinwohnerzahl entsprach.
Der entscheidende quantitative Ent-
wicklungssprung erfolgte dabei im Zeitraum zwischen 1895 und 1900. Hierfür dürfte
neben dem stetig steigenden Arbeitskräftebedarf der expandierenden Montanindustrie
in einem gewissen Rahmen zusätzlich verantwortlich gewesen sein, daß nach dem Atten-
tat, welches der italienische Anarchist Caserío am 25. Juni 1894 in Lyon auf den Präsi-
denten der Französischen Republik, Camot, verübte, sich die italienischen Gastarbeiter
in den französischen Industrierevieren einer besonders fremdenfeindlichen Atmosphäre
ausgesetzt sahen und infolgedessen von Westlothringen her nun verstärkt das luxem-
burgische Staatsgebiet frequentierten.134
wuchs die Zahl der Italiener kräftig an.
Jahr Einwohner- zahl Italiener- zahl Italiener- anteil
1875 6.203 23 0,4%
1880 6.101 45 0,7%
1885 6.772 67 1,0%
1890 6.871 110 1,6%
1895 8.129 275 3,4%
1900 11.097 1.572 14,2%
1905 11.995 1.898 15,8%
1910 16,537 3.320 20,1%
Quelle : ACEs 522.0
Tab.32 : Anteil der Italiener an der Gesamtbe-
völkerung von Esch/Alz. 1875-1910
131 Vgl. Hottenger, ebda, und Köll, Immigration italienne S.233 u. 237.
132 Vgl. ACE 522.0, Etrangers: Nombre des habitants et des Italiens (1875-1947).
133 Vgl. Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz., S.61 sowie Schuster, J.-P.: Die ersten
Italiener in Esch an der Alzerte und ihre missionarische Betreuung, in: Luxemburger Marienkalen-
der 1968, S.61-70, hier: S.62 und Trausch, Immigration italienne. Die Akten der Escher Frem-
denpolizei verzeichnen einen im Jahre 1862 in Mandemach (Luxemburg) geborenen Italiener,
dessen Vater die italienische Staatsbürgerschaft besaß und dessen Mutter aus Luxemburg stammte.
Die erste Geburt eines Italieners in Esch/Alz. ist für den 10. Februar 1876 belegt. Vgl. BdPE,
Liste des habitants (1877).
134 Vgl. Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz., S.62.
174
Obwohl weder in Deutsch-Lothringen noch an der Saar ein den französischen Teilen
Lothringens bzw. Luxemburgs quantitativ vergleichbares Arbeitskräftedefizit bestand,
profitierten offensichtlich auch die Industrien dieser beiden Regionen in Form eines
anwachsenden Zustroms italienischer Arbeiter im Kontext des eigenen Wirtschafts-
wachstums vom auslösenden Moment des akut xenophoben Klimas im Nachbarland.
Die vehemente italienische Zuwanderung an die
Saar begann ebenfalls ab Mitte der 1890er
Jahre. Zum Jahresende 1905 weilten bereits
über 2.000 Italiener im Kreis Saarbrücken,
deren Zahl sich bis zum Dezember des Jahres
1909 nochmals verdreifachte (6.000 Italiener)
und damit ein Niveau erreichte, das bis 1914
gehalten werden konnte. (Tab.33) Ungefähr je-
weils ein Drittel der italienischen Einwohner
des Kreises lebte dabei auf dem Gebiet der spä-
teren Großstadt Saarbrücken, wovon wiederum
die überwiegende Mehrzahl in Malstatt-Bur-
bach residierte. Die Jahre 1906 und 1907 mar-
kierten die Spitzen der italienischen Vor-
kriegswanderung in dem Saarkreis, als im Jah-
resverlauf je zwischen 5.000 und 5.400 Italiener
zuwanderten sowie zwischen 3.700 und 4.000
von ihnen den Kreis wieder verließen. Diese
Kontingente bescherten dem Saarbrücker Kreis
einen Migrationsüberschuß von zirka 1.400
Personen im Jahr 1906 bzw. einen Migrations-
überschuß von etwa 1.300 Personen im Jahr
1907 allein durch italienische Femwande-
rer.135
Der Kriegsausbruch im August 1914 und der italienische Kriegseintritt im Februar 1915
bedeuteten einen brutalen Einschnitt für die Präsenz der italienischen Gastarbeiter in allen
drei Teilregionen. Dem deutschen Kriegseintritt folgte eine panikartige Heimreisewelle
der Italiener aus den Industriegebieten der Saar-Lor-Lux-Region, obwohl zu Kriegs-
beginn keine unmittelbare Notwendigkeit zum Wegzug bestand, da Italien bis 1915 in
dem Konflikt formell neutral blieb. Allerdings drängten die französischen Behörden, wohl
Jahr Zuzug Abzug Gesamt- zahl am Jahres- ende
1905 3.697 2.035
19Ö"<T 5.404 3.992 3.447
1907 5.050 3.760 4.737
1908 3.011 3.235 4.513
1909 4.193 2.692 6.014
191:0 L S 1.375 719 1,633 789 4.022 1.664
1911 L S 1.387 771 1.464 704 3.945 1.731
1912 L S 1.012 635 837 617 4.120 1.749
" 1913 L S 1.307 843 654 750 4.773 1.842
1914 L S L = Krei 47 532 s Saarbrüc 4.732 2.258 cen-Land 88 116
S = kreisfreie Großstadt Saarbrücken (ab
1910)
Quelle : LHA Ko 403/6795-6798
Tab.33 : Die Italiener im Kreis Saar-
brücken 1905-1914
135 Vg], LHA Koblenz, Best.403/6795, 6796, 6797, 6798: Zu- und Abgangslisten der aus-
ländischen Arbeiter in dem Regierungsbezirke Trier (1905-1914).
175
aufgrund der außenpolitischen deutsch-italienischen Allianz durch die Verträge von 1882
bzw. 1912 und wegen des drohenden deutsch-französischen Waffenganges in nächster
Nähe der grenznahen Industrieansiedlungen, die Italiener zum Verlassen des Landes. Die
Italiener vor Ort ergriffen spätestens angesichts des deutschen Einmarsches in Luxemburg
die Flucht, was seitens der italienischen Behörden durch die Organisation von Bahntrans-
porten in die Heimat unterstützt und in geordnete Bahnen gelenkt wurde.136 Während
am Jahresende 1913 6.615 Italiener im Kreis Saarbrücken gezählt worden waren, ver-
blieben dort trotz der relativen Grenzfeme im Dezember 1914 gerade noch 204 italieni-
sche Staatsbürger.137 Mit der deutschen Invasion Luxemburgs verließen 18.000 Italiener
das Großherzogtum in Richtung Heimat.138
Vor diesen Ereignissen bildeten italienische Arbeiter wesentliche Teile der Industriebeleg-
schaften. Vor allem in den eisenschaffenden und eisenverarbeitenden Industriebetrieben
waren Italiener als ungelernte Arbeitskräfte begehrt. Dies trifft in verschärftem Maße
auf den Saarraum zu. Die Italiener im Kreis Saarbrücken wurden nahezu ausschließlich
in der Hüttenindustrie beschäftigt. Wenige von ihnen verdingten sich als Knechte oder
Mägde in der Landwirtschaft. Der preußische Bergfiskus des Saargebietes beschäftigte
bis 1914 keine italienischen Arbeitskräfte - mit Ausnahme eines kurzen Intermezzos
während der Jahre 1907 bis 1909, in denen die zeitgenössische Fremdenstatistik des Krei-
ses und der Stadt Saarbrücken etwa einer Tausendschaft italienischer Wanderarbeiter
bergbauliche Tätigkeiten zuschreibt.139 Die Bergbaugesellschaften, welche die Minet-
telagerstätten im Moselraum erschlossen, griffen dagegen massiv auf italienische Arbeiter
zurück, so daß beispielsweise im französischen Auboue der Abbau der Eisenerze fast
ausschließlich von Italienern geleistet wurde.140
Ebenso uneinheitlich wie die Einsatzfelder der Italiener in den drei Teilregionen, so
signifikant waren die Unterschiede zwischen den italienischen Wanderergruppen in
136 Vgl. Köll, Immigration italienne, S.237ff.: "A Auboué, le 1er août 1914, mine et fonderie
cessaient brusquement le travaü et les autorités françaises «incitaient les étrangers à quitter au
plus vite la région et à rentrer chez eux»." (S.237) sowie Trausch, Immigration italienne, S.464f.
137 Vgl. LHA Koblenz, Best.403/6798.
13S Vgl. Trausch, Immigration italienne, S.464.
139 Vgl. LHA Koblenz, Best.403/6796 u. 6797. Der betriebspolitische Hintergrund dieses
Phänomens harrt einer eigenen Bearbeitung. Der Italieneranteü an der Belegschaft der osüo-
thringischen Steinkohlegruben des Kreises Forbach betrug ebenfalls nur bescheidene 1,8 Prozent
(303 Bergleute) im Jahre 1913. Vgl. Roth, Lorraine annexée, S.359.
140 Vgl. S.174.
176
Lothringen, Luxemburg und an der Saar hinsichtlich ihrer regionalen Herkunft.
(Tab.34)141
Zwar stellten die nördlichen Regionen Lombardei, Venetien, Piemont, Emilia-Romagna,
Ligurien, Friaul und das österreichische Trentino zusammen in allen Teilen des Unter-
suchungsraumes die jeweils umfangreichsten Zuzugskontingente. Und ebenso blieb der
Wanderungsaustausch mit dem süditalienischen Mezzogiorno bis nach 1945 allgemein
irrelevant. Dennoch verfügten die einzelnen Industriereviere über durchaus spezifische
Rekrutierungsgebiete in Italien.
In Diedenhofen und Esch wurde neben dem norditalienischen Zuzug spätestens ab der
Jahrhundertwende eine nicht unwesentliche Arbeitsimmigration aus Mittelitalienwirksam,
während in Malstatt-Burbach fast ausschließlich Norditaliener anzutreffen waren.
Etwa ein Fünftel der Italiener, die sich nach Gründung der "Karlshütte" in Diedenhofen
anmeldeten, kamen aus den mittelitalienischen Regionen Marche und vor allem Lati-
um.142 Italiener aus den Marche spielten auch in Esch eine gewisse Rolle. Herausragend
und ohne Äquivalent war in der südluxemburgischen Kommune allerdings der Wande-
rungsbeitrag der umbrischen Provinz Perugia, einer zentralitalienischen Region, welche
spätestens ab 1900 und wieder nach dem Kriege den ersten Rang in der Zuwanderung
nach Esch einnahm. Umbrien entsandte aber zumindest bis 1914 weder nach Malstatt-
Burbach noch nach Diedenhofen ein nennenswertes Arbeitskräftekontingent.143 Diese
intensive Zuzugsmobilität aus Umbrien und den Marche kann die Gemeinde Esch aber
erst mit einer zweiten italienischen Immigrationswelle erfaßt haben. Denn die Volks-
141 Für Maistatt-Burbach fanden sich nur in den Individualregistem detailliertere Angaben über
die regionale Herkunft der Italiener. In den anderen Meldedokumenten wurde als Herkunftsort
ganz allgemein "Italien" vermerkt. Die Werte der Rubrik Esch 1900-1925 wurden der Arbeit
von Didlinger entnommen. Ebenso entspricht die Grobeinteilung der Apenninhalbinsel in Nord-,
Mittel- und Süditalien der KategorisierungDidlingers. Vgl. Didlinger, Ausländische Bevölkerung
Esch/Alz,, S.57ff. Aufgrund des jeweils sehr geringen Stichprobenumfangs in den hier betrachte-
ten Untergruppen, sind die vorliegenden Prozentwerte mehr noch als in anderen Aufstellungen
als Tendenzwerte zu interpretieren.
142 In der zeitgenössischen westlothringischen Publizistik wurde die Ansicht vertreten, daß die
Mehrzahl der im Becken von Briey anwesenden Italiener aus Zentralitalien stammte, d.h. aus
den Regionen Marche, Toskana sowie Romagna, hier schwerpunktmäßig aus den Provinzen Parma
bzw. Modena. Den Norditalienem aus dem Piemont, der Lombardei, Venetien und dem Trentino
(Tirol) wurde dabei eine zwar bedeutende, wenngleich hinsichtlich Mittelitalien untergeordnete
Rolle zugesprochen. Vgl. Hottenger, Georges: Le Pays de Briey, Paris-Nancy 1912, S.98 sowie
Bonnet Santini/ Barthélémy, Les italiens dans l'arrondissement de Briey S.23, die für die Indu-
striereviere von Longwry und Briey gleichfalls den Einfluß der mittelitalienischen Provinzen für
entscheidend halten.
143 Vgl. hierzu auch Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz., S.57 u. 6Qf. Speziell die
im Jahre 1901 nicht mehr als 4.000 bis 6.000 Einwohner zählenden Gemeinden Gualdo Tadino,
Gubbio und Nocera Umbra speisten den Zuzug aus der Provinz Perugia nach Esch ganz erheblich.
177
zählung des Jahres 1890 weist diese Kontingente noch nicht aus, sondern belegt im Ge-
genteil, daß in der Frühphase der italienischen Zuwanderung hauptsächlich Norditaliener
an die Alzette gekommen waren. Dabei fallt der bedeutende Anteil von Italienern mit
österreichischer Staatsbürgerschaft auf.
Ort/ Phase Region Malstatt- Burbach % 1890-1900 Dieden hofen Esch/Alz. (%)
% 1900-1909 1890 1900 sa. 1890/1900 (Didlinger) 1900-1925
Piemont No Í6,Í 4,3 20,0 8,7 9,4 i?),i
Aosta-Tal No 0,7 0,7
Ligurien No 1,8 0,7 0,7 0,3
Lombardei No 28,6 36,2 14,0 13,1 20,7
Trentino (Ö) No 2,1 40,0 8,7 10,7
Venetien No 21,4 17,0 20,0 12,0 12,5 17,2
Friaul No 14,2 4,3
Emilia-Romagna No 16,1 14,9 6,7 6,3 7,5
Toskana Mi 0,7 0,7 3,3
Marche Mi 6,4 12,0 11,2 13,5
Umbrien Mi 31,3 29,3 21,9
Latium Mi 12,8 0,7 0,7 0,6
Abruzzen Mi 10,0 0,7 2,3
Campagna Sü 2T 4,0 VT Ü3"
Basilicata Sü 10,0 0,7 0,1
Calabrien Sü 1,8 0,7
sonstige Sü 1,4
Nord-Italien 98,2 78,7 8öTT 53,4 "VT12J
Mittel-Italien 19,1 lo.o 44,7 42,6 41,6
Süditalien TF TT1 10,0 4,0 4,4 "“TT
Prozentsumme 100,0 99,9 100,0 100,2 100,4 100,1
Tab.34: Herkunftsregionen der Italiener in Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/Aiz.
zwischen 1890 und 1909 (1925)
Knüpfte die moderne italienische Zuwanderung des Industriezeitalters nach Luxemburg
zu Beginn etwa an solchen Austauschbeziehungen an, welche im 18. Jahrhundert während
der gemeinsamen Zugehörigkeit des (bis 1918 einen Teil Tirols bildenden) Trentino und
Luxemburgs zum Habsburgerreich aufgebaut worden waren? Ist es im Sinne einer
Südverlagerung des Mobilitätsphänomens für Teile des Untersuchungsraums vielleicht
sogar möglich, eine Entwicklungslinie von der deutschen Tirolerimmigration des 17. und
18. Jahrhunderts zur italienischen Tirolerimmigration des 19. Jahrhunderts nachzuzeich-
178
FRANKREICH
lufenhche 'rcgtocu*:
1 • Piemont
I - Aeaii-Tk!
3 • Ujurien
4 - Lombardei
5 - H-enüno-Alto
Adlfe (aierr.)
6 • \*ncticn
7 - Friisl-VenetU Giuha ’*•
S Emi&s-RorTui&na
9 • Tbacana
10 • Mireöc
II ■ Umbrien
12 ■ Latium
IS • Abrufen
14 - Saditaüen (vjl Campe gna,
Builcau u. Calobrien)
Abb22 : Hauptwanderungsrouten der italienischen Wander-
arbeiter im Saar-Lor-Lux-Raum
Abb.23 : Herkunftsregionen der Italiener in Malstatt-Burbach, Dic-
denhofen und Esch/Alz., Basis: Prozentwerte (Vgl. Tab.34)
179
ncn? Der bisherige historiographische Erkenntnisstand läßt hier nur die Formulierung
neuer Forschungshypothesen zu. Neuere luxemburgische Studien heben beispielsweise
auch auf die Zuzugskontinuität italienischer Bauarbeiter (Maurer, Zimmerleute) ab, von
der Ara der Festungsbauten hin zur Industrialisierungsphase im Großherzogtum144.
Was nach der Jahrhundertwende die Regionen Umbrien und Marche für den Ort
Esch/Alz. bedeuteten, das waren die Regionen Marche und Abruzzen für seinen direkten
westlichen Nachbarn Differdingen sowie die Regionen Umbrien und Abruzzen für seinen
unmittelbaren östlichen Nachbarn Düdelingen. Der mittelitalienische Zustrom von
Arbeitskräften übertraf in diesen beiden Gemeinden prozentual sogar die Immigration
aus Norditalien, die hier wie auch in Esch vornehmlich auf dem Zuzug aus der Lom-
bardei und aus Venetien beruhte.145
Es scheint als hätten nicht nur die drei Teilregionen des Saar-Lor-Lux-Raumes, sondern
darin wiederum jede einzelne Industriegemeinde, einen spezifischen Bevölkerungsaus-
tausch mit ihren bevorzugten Korrespondenzregionen in Italien unterhalten. In Esch
lautete beispielsweise die Rangfolge der vier meistgenannten italienischen Rekrutierungs-
regionen: 1.Umbrien (21,9%), 2.Lombardei (20,7%), 3.Venetien (17,2%), 4.Marche
(13,5%), in Differdingen dagegen: l.Marche (31,2%), 2.Lombardei (20,4%), 3 Abruzzen
(15,2%), 4.Emilia-Romagna (9,1%), wobei Umbrien nur das sechststärkstc Zuzugskontin-
gent (7,1%) stellte, und schließlich galt in Düdelingen folgende Rangliste: l.Venetien
(25,6%), 2.Umbrien (20,7%), 3Abruzzen (18,8%), 4.Lombardei (14,9%)}*6 Diese in
gewisser Weise bilateralen Austauschbeziehungen kamen hinsichtlich anderer Nationa-
litäten nicht in dem Maße zustande, wie dies bei der Betrachtung der italienischen
Wanderungsbewegungen deutlich wird.147
Ein wesentliches Charakteristikum der italienischen Wanderarbeiter in der mitteleuropäi-
schen Industrieregion von Nordlothringen, Südluxemburg und dem Saargebiet war also
deren Neigung, recht beharrlich diejenigen Etappen anzusteuem, welche seitens ihrer
144 Diesen Aspekt der italienischen Arbeiterwanderung nach Luxemburg bearbeitet zur Zeit
Antoinette Reuter am Centre de Documentation sur les Migrations Humaines in Düdelingen.
145 Vgl. die vergleichende Aufstellung in Reitz, Immigration étrangère à Differdange, S.124. Die
Differdinger Studie von Reitz betrifft den Zeitraum 1904 bis 1913, die darin zitierte Studie von
Weber über Düdelingen behandelt den Zeitraum 1898 bis 1919. In Differdingen kamen demgemäß
55 von 100 Italienern aus Mittelitalien (Norditalien: 43), in Düdelingen handelte es sich in 50
von 100 Fällen um Italiener aus zentraiitalienischen Provinzen (Norditalien: 48).
146 Dito.
147 Vgl. ebda., S.130ff. für die deutschen Zuzugskontingente aus Preußen und Bayern. Hier tritt
nur eine gewisse "Vorliebe" von oberbayerischen Zuzüglern für Esch und Düdelingen zutage,
welche diese beiden Ortschaften sowohl von ihrem Nachbarn Differdingen als auch von Malstatt-
Burbach abhebt.
180
eigenen Landsmannschaft (im engeren Sinne) bereits aufgeschlossen worden waren. Das
Wanderungsverhalten der Italiener war in diesem Zusammenhang offensichtlich noch
stärker als das anderer Wanderungsgruppen auf die Dorfgemeinschaft bzw. auf andere
verhältnismäßig kleinräumliche Sozialzusammenhänge in der Herkunftsregion hin
orientiert, wie insgesamt die Identifikation mit dem Herkunftsdorf bzw. der engeren Her-
kunftsregion von Italienern wesentlich länger aufrechterhalten wurde als durch andere
Landsmannschaften oder Nationalitäten. Dies äußerte sich nicht zuletzt darin, daß eine
Vielzahl italienischer Arbeiter in den Saar-Lor-Lux-Industrien regelmäßig und über
längere Zeiträume hinweg einen Großteil ihres Lohnes nach Hause schickten, so daß zeit-
genössische Chronisten vermerkten, "des régions entières (Parma, Reggio Emilia etc.)
vivent des épargnes que les émigrés leur envoient de l'étranger"148.
Die im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert oftmals beklagte Unstetheit
italienischer Arbeitskräfte dürfte daher keineswegs jeglicher Systematik entbehrt haben.
Vielmehr ist es als Forschungsdesiderat zu bezeichnen, daß die regionalen Ansied-
lungsnetze italienischer Landsmannschaften innerhalb des Saar-Lor-Lux-Raumes bisher
noch nicht herausgearbeitet und analysiert wurden. Bereits die staatlichen und kom-
munalen Behörden der Zuzugsgebiete hatten erhebliche Schwierigkeiten, der italienischen
Migranten habhaft zu werden, die sich geschickt und ausgesprochen effektiv diversen
Verwaltungszwängen zu entziehen wußten, indem sie sehr flexibel grenzüberschreitend
agierten. "Il suffisait qu'ils ne puissent trouver à se loger de façon assez économique,
que des camarades les attirent ailleurs ou que, repris de justice ou considérés comme
«agitateurs», «anarchistes», ils aient maille à partir avec la police. Ils passaient alors
clandestinement la frontière toute proche et peu gardée sans attendre d'être arrêtés ou
expulsés."149 Die Staatsgrenzen im industrialisierten Grenzraum beschnitten sowohl
den Aktionsradius der zeitgenössischen Verfolgungsorgane als auch der nachfolgenden
Historikergenerationen. Das Netzwerk von Wanderungsstationen, welches die einzelnen,
stark in heimatlichen Regionalstrukturen verwurzelten Italienergruppen aufbauten, er-
streckte sich dagegen über die Grenzen hinweg und bot dem Einzelnen zahlreiche Wahl-
und Ausweichmöglichkeiten, indem jede italienische Regionalgruppe offenbar eine ganz
bestimmte Reihe von Zielorten in der Industrialisierungszone bevorzugt frequentierte.
Was bedeutete dies aus der Perspektive der drei untersuchten Industrieorte?
Malstatt-Burbach wurde im Gegensatz zu Diedenhofen und Esch seitens der Mittel-
italiener, wie schon gesagt, nicht angesteuert. Außerdem lagen die Herkunftsschwerpunkte
141 Dosio, A7 Vercelli, T.: L'émigration italienne en Europe. Sa protection, son organisation par
l’Assistance des Ouvriers Italiens Emigrés, in: Action Populaire No.70/1905, S.6f. und weitere
Quellenbelege bei Bonnet/Santini/Barthélémy, Les italiens dans l'arrondissement de Briey, S.27.
149 Kôll, Immigration italienne, S.236.
181
der Norditaliener in der Saarhüttenstadt z.T. in anderen Provinzen als in den beiden
Vergleichsgemeinden. (Tab.34 u. Abb.23) Aus der Lombardei und aus Venetien rekrutier-
ten alle drei Industriegemeinden die Mehrzahl ihrer norditalienischen Wanderarbeiter.
Die lombardischen Provinzen (darunter vor allem Bergamo und Como) scheinen jedoch
für Esch - anders als für Malstatt-Burbach und Diedenhofen - erst langsam an Bedeu-
tung gewonnen zu haben, ebenso wie das Trentino seine anfänglich starke Position im
Escher Wanderungsgeschehen schnell einbüßte. Malstatt-Burbach in seiner Fixierung
auf Norditalien konnte eine nicht unbedeutende Arbeiterzahl aus den friaulischen
Provinzen Gorizia und Pordenone gewinnen, während eine Immigration aus dieser Region
in Esch und Diedenhofen nahezu ausblieb. Andererseits gab es in Malstatt-Burbach wie
in Diedenhofen nennenswerte, in Esch aber weniger relevante Zuzugskontingente aus
der Emilia-Romagna (Provinzen Piacenza, Forli, Parma, Reggio nell'Emilia), während
sowohl in Malstatt-Burbach als auch in Esch zahlreiche Piemontesi (vorzugsweise aus
den Provinzen Novara und Cuneo) zu finden waren, deren Präsenz sich in Diedenhofen
wiederum bescheidener ausnahm.150
Eine gewisse Grunddisposition im Wanderungsverhalten der Italiener ergab sich aufgrund
der Existenz zweier großer Anzugsrouten. (Abb.22)
Die eine führte ausgehend vom lombardischen Chiasso auf dem Bahnwege durch die
Schweiz, dann über Basel und Straßburg in den Saar-Lor-Lux-Raum, und zwar vorzugs-
weise über den Metzer Bahnhof, in den Jahren nach 1900 aber auch häufig mit Saar-
brücken als vorläufiger Endstation. Die zweite Route begann mit einer Überfahrt vom
Riviera-Hafen Livorno nach Marseille, führte von dort über Lyon und Dijon weiter in
die nordfranzösischen, belgischen sowie nördlich von Nancy gelegenen westlothringischen
Industriereviere von Briey und Longwy. Beide Trassen trennte auf Höhe der mittel-
europäischen Industriezone die deutsch-französische Grenze.151
Es ist leicht einzusehen, weshalb gerade in den französischen Industrierevieren West-
lothringens und an einigen Industriestandorten des frankophilen Luxemburg ein relativer
Überhang an Arbeitskräften aus Zentralitalien zustande kam, wenn man sich die geogra-
phische Nähe der mittelitalienischen Rekrutierungsgebiete zum Emigrationshafen Livorno
vergegenwärtigt, welcher den Ausgangspunkt der "Frankreich-Route" bildete. Die
Vorrangstellung der Norditaliener in Malstatt-Burbach läßt sich in analoger Weise auf
die günstige Lage der Hüttenstadt an der "Chiasso-Trasse" zurückführen.
150 Für eine detaillierte Analyse der italienischen Herzugsgebiete auf Provinzialniveau reicht das
der Studie auf der Basis einer Stichprobe zugrundeliegende Datenmaterial nicht aus. Eine
diesbezügliche Spezialuntersuchung wäre in Ergänzung der luxemburgischen Arbeiten von
Didlinger, Reitz und Weber durchaus angebracht.
151 Vgl. Köll, Immigration italienne, S.235L und LHA Ko 403/6796.
182
Andererseits setzte die Anwerbungspolitik der Société des Hauts Fourneaux et Fonderies
de Pont-à-Mousson, d.h. eines maßgeblichen Hüttenuntemehmens im Becken von Briey,
nach der Jahrhundertwende in Chiasso an. Die Gesellschaft eröffnete dort im Jahre 1902
ein Einstellungsbüro für italienische Arbeiter, da der bestehende Zustrom den Arbeits-
kräftebedarf der westlothringischen Betriebe offenbar nicht zu befriedigen vermochte.
Die ostfranzösischen Werber operierten von der Lombardei aus allerdings nicht nur in
Norditalien, sondern gingen auf ihrer Suche nach Hütten- und Minenarbeitern auch in
die Städte und Dörfer der Emilia-Romagna, der Marche und anderer mittelitalienischer
Regionen.152
Für die französischen Industrien an der deutschen Grenze bestand eine besondere
Zwangslage, da erstens ihr eigenes Hinterland nicht genügend gewerbliche Lohnarbeiter
freisetzte und zweitens aufgrund der Verkehrslage die französischen wie auch die
deutschen Nachbarreviere die existenten Femzuwanderungsstöme weitestgehend ab-
sorbierten. Ein Großteil der infolgedessen gezielt angeworbenen Arbeitskräfte blieb jedoch
weiterhin auf der langen Bahnreise in den elsässischen, lothringischen oder preußischen
Fertigungszentren hängen bzw. wurde unterwegs abgeworben. Zeitweise erreichte nicht
einmal jeder zweite der vermittelten italienischen Industriearbeiter seinen ostfranzösischen
Bestimmungsort. In Phasen akuten Arbeitskräftemangels muß angesichts dieser Zahlen
in Bezug auf die Italienerzüge unter Umständen sogar von einer regelrechten "Arbeits-
kräfte-Piraterie" zwischen Alzette, Mosel und Saar ausgegangen werden, zumal die
deutsch-lothringischen und saarländischen Hüttenwerke vor 1914 auf dem Apennin nicht
selbst aktiv wurden.153
3.2.4.2 Belgien und Frankreich
Das Wanderungsgeschehen mit Italien war eine "Einbahnstraße". Italiener suchten zwar
die Industrieregionen in ihren nördlichen Nachbarländern auf, eine Arbeitsemigration
aus diesen Staaten in das südeuropäische Land kam aber im Zusammenhang mit der
Industrialisierung Norditaliens nicht in Gang. Der Habitus der Italiener war mehrheitlich
der von "Gastarbeitern", welche den Gedanken an eine echte Emigration aus dem
Heimatland und Integration in das Gastland weit von sich wiesen.
152 Dito.
153 Dito. Zu den erwähnten Abwerbungen vgl. insbesondere Bonnet/ Santini/ Barthélémy, Les
italiens dans l'arrondissement de Briey, S.23 einschließlich weiterer Quellenbelege. Die Anwer-
bungspraxis von(italienischen)Arbeitskräftendurch IndustriebetriebedesSaar-Lor-Lux-Raumes
gilt es noch zu erhellen. Dem Vf. sind im Rahmen seiner Studien vergleichbare Bürogründungen
wie die der «Pont-à-Mousson» in Chiasso seitens deutscher oder luxemburgischer Indu-
striebetriebe nicht zur Kenntnis gelangt.
183
Ganz anders verhielt es sich mit Belgien und Frankreich, die einen regen Bevölkerungs-
austausch mit den südwestdeutschen und luxemburgischen Industrierevieren unterhielten.
Das Wanderungsaufkommen in diesem Kontext war trotz der geographischen Nähe
quantitativ nicht mit der Italienermigration zu vergleichen. Aber diese Bewegungen
wurden von den mobilen Bcvölkerungsteilen beider Seiten getragen und hatten Bestand
in einer nationalpolitisch z.T. sehr spannungsgeladenen Situation zwischen den beteiligten
Staaten.
Prozentanteile in den Jahren ...
Nationalität 1890 1900
Deutsche 35,5 32,3 25,9
Franzosen 31,9 35,9 45,1
Luxemburger 10,0 9,1 7,3
Niederländer 19,3 17,2 13,8
sonstige 3,3 5,5 7,9
Prozentsumme 100,0 TTOT 1ÖÖ,0
Quelle: Annuaires statistiques de la Belgique 1890-1910
Tab.35 : Verteilung der in den wallonischen Provin-
zen Belgiens lebenden Ausländer auf die ver-
schiedenen Nationalitäten 1890-1910
Die ausländische Bevölkerung
der vier wallonischen Provinzen
Belgiens (Hainaut, Liège, Lu-
xembourg, Namur) bestand z.B.
zwischen 1890 und 1910 im
wesentlichen aus Deutschen,
Franzosen, Luxemburgern und
Niederländern (Tab.35) Die
Immigration aus Italien und
Polen blieb bis in die 1920er
Jahre nahezu unbedeutend, stand
dann aber hinter dem französi-
schen Kontigent an zweiter bzw.
dritter Stelle der Auslandszu-
wanderung nach Belgien.
Mit welchen belgischen Provinzen und mit welchen französischen Départements
unterhielten nun aber die im Blickpunkt stehenden Industriegemeinden des Saar-Lor-
Lux-Raumes den genannten Wanderungsaustausch?
Das Wanderungsgeschehen zwischen den drei Untersuchungsgemeinden und Belgien
spielte sich vor allem mit den stärker industrialisierten wallonischen Provinzen ab, was
in erster Linie die nächstgelegene Provinz Luxembourg betraf. (Tab.36)154 Recht intensiv
gestaltete sich auch der Bevölkerungsaustausch mit der Provinz Liège (Lüttich), während
die beiden verbleibenden Provinzen - Wallonie, Namur und Hainaut - im Wanderungs-
geschehen etwas zurückstanden.
154 Auf Prozentangaben zur Herkunft der Belgienwanderer in Malstatt-Burbach und in Die-
denhofen wurde aufgrund des unzureichenden Stichprobenumfangs verzichtet. Tendenziell
entsprachen die ermittelten Herkunftsregionen denjenigen der beiden genannten luxemburgischen
Industriegemeinden. Vgl. zu den Anteüswerten für Esch (1900-1925): Didlinger, Ausländische
Bevölkerung Esch/Alz., S.85, bezüglich Differdingen (1898-1914): Reitz, Immigration étrangère
à Differdange, S.139 sowie hinsichtlich Düdelingen (1898-1919): Weber, Ausländer in Düdelin-
gen, S.49.
184
Der Kontakt mit der Provinz Luxembourg wurde dadurch erleichtert, daß im stark
frequentierten Raum Arlon der luxemburgische Dialekt gängig war. Überhaupt bestanden
infolge der gemeinsamen Sprache sowie einer gemeinsamen politischen Vergangenheit,
vergleichbar dem Verhältnis zwischen Nordluxemburg und dem Bitburger Land, gerade
seitens der Gemeinden des groß he rzoglichen Erzbeckens beste Beziehungen zu den
belgischen Bezirken Arlon und Virton, die sich u.a. in einem umfangreichen Pend-
lerwesen äußerten. Vom quantitativ leider kaum zu fassenden Pendlerverkehr profitierten
neben den Industriestandorten des Großherzogtums auch zahlreiche Gemeinden im
belgische Provinz Esch 1870-1900 Esch 1900-1925 (Didlinger) Differdingen 1898-1914 (Reitz) Düdelingen 1898-1919 (Weber) Nennunj Melderegis MB 1 in den tem von ... TH
Luxembourg 34,2 59,0 54,2 39,6 ja ja
Liège 24,3 20,4 22,8 29,9 ja nein
Namur 14,2 5,3 7,4 7,2 ja ja
Hainaut 12,8 4,6 7,2 13,8 ja nein
sonstige 14,5 10,7 8,4 9,5 ja nein
Prozentsumme 100,0 iööTT 100,0 100,0
MB = Malstatt-Burbach; TH = Diedenhofen
Tab.36: Herkunft der Zuzügler aus Belgien nach Esch/Alz., Differdingen und Düddingen
sowie nach Malstatt-Burbach und Diedenhofen 1870-1925
französischen Teil Lothringens. Im Jahre 1910 arbeiteten beispielsweise zirka 3.500
Arbeiter aus den Bezirken Arlon und Virton im Ausland, davon etwa 2.000 im Industrie-
revier von Longwy.155 Deutsch-Lothringen und die grenzferne Saarregion wurden von
diesem Phänomen weniger berührt.
Ein zweiter Aspekt der Belgienwanderung erscheint erwähnenswert. Die gesonderte
Betrachtung des Wanderungsverhalten der luxemburgischen Staatsbürger, welche in die
Gegenrichtung nach Belgien verzogen, zeigt ein spezifisches Mobilitätsmuster. Wie auch
in der Gesamtmigration ging die Teilpopulation der Luxemburger aus dem Kanton
Esch/Alz., welche nach Belgien verzog, mehrheitlich in die Provinz Luxembourg (58,2%).
An zweiter Stelle stand jedoch der Umzug in die Provinz Brabant, d.h. in den Brüsseler
Raum (29,9%), wie eine Statistik aus dem Jahre 1903 belegt156. Die luxemburgische
Belgien-Emigration aus dem Kanton Luxemburg-Stadt sowie den ländlichen Kantonen
155 Vgl. hierzu noch etwas ausführlicher Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz., S.85f.
56 Vg], Mouvement de la population dans le Grand-Duché pendant l'année 1903, (=Publications
de la commission permanante de statistique du Grand-Duché de Luxembourg), Luxembourg 1905,
S.14.
185
Grevenmacher und Remich orientierte sich gar vorrangig auf die belgische Hauptstadt
hin.137
Abb.24 : Herkunftsprovinzen der belgischen Zuzügler nach Esch/Alz. 1870-1914
Es existierte also in diesem Zusammenhang eine Kombination von Grenzraumwanderung
und einer Art von Metropolenwanderung, d.h. einer geographischen Mobilität über eine
größere Distanz unter relativer Vernachlässigung der dazwischenliegenden Regionen.
Diese beiden parallelen Wanderungsströme sind mit zwei sehr verschiedenen sozio-
professionellen Trägergruppen zu identifizieren. Während es sich bei der Grenzraummo-
bilität schwerpunktmäßig um eine Industriearbeitermigration gehandelt haben dürfte, ist
aufgrund der spezifischen Struktur der Rekrutierungsgebiete anzunehmen, daß die Provinz
Brabant überwiegend im Dienstleistungssektor beheimatete Personenkreise anzog. Zu
denken ist dabei an Dienstboten, Kaufleute sowie Verwaltungs- und Büropersonal. Hierin
zeigte sich womöglich eine gewisse Persistenz traditioneller Bindungen zwischen dem
erst seit 1839 eigenstaatlichen Luxemburg und Belgien, d.h. vor allem zwischen den
bürgerlichen Eliten der beiden Hauptstädte Luxemburg und Brüssel, obwohl die
luxemburgisch-belgischen Kontakte bis 1914 im Kontext der Bevölkerungsbewegungen
des Industriezeitalters kontinuierlich an Gewicht verloren.
137 Dito. Aus dem Kanton Luxemburg-Stadt gingen 48,7% der nach Belgien emigrierenden
Luxemburger nach Brabant (belgische Provinz Luxembourg [bLux]: 25,6%), aus den Kantonen
Grevenmacher und Remich je 66,7% (bLux 16,7% bzw. 33,3%).
186
Ähnliche Beobachtungen sind im Wanderungsaustausch der Untersuchungsregion mit
Frankreich zu machen. Die französischen Grenzdepartements und der Pariser Raum
setzen hier Akzente.
franzôsisches Département Esch 1870-1900 Esch 1900-1925 (Didlinger) Differdingen 1898-1914 (Reitz) Düdelingen 1898-1919 (Weber)
Seine (incl.Paris) 27,9 13,0 10,1 15,2
Meurthe-et-Moselle 27,8 43,3 26,7 36,2
Meuse 7,9 4,7 5,5 5,3
Vosges 2,8 1,8 3,5 4,0
Ardennes 4,5 4,7 2,4 5,3
sonstige 29,1 32,5 51,8 34,0
Prozentsumme 100,0 100,0 100,0 100,0
Tab.37 : Herkunft der Zuzügler aus Frankreich nach Esch/Alz., Differ-
dingen und Düdelingen 1870-1925
Ungefähr 30 bis 40 Prozent des Wanderungsgeschehens mit Frankreich spielte sich mit
dem unmittelbaren Grenzdépartement Meurthe-et-Moselle ab. Die lothringischen
Départements Meurthe-et-Moselle, Meuse und Vosges beanspruchten zusammen bis
zur Hälfte des Migrationsaufkommens, das seitens Frankreichs mit den grenznahen
Industrieorten Luxemburgs, aber auch Deutsch-Lothringens und des Saarreviers zustande
kam. Abhängig von der geographischen Lage der luxemburgischen bzw. deutschen
Korrespondenzgemeinden spielten weitere grenznahe Départements, wie z.B. das Départe-
ment Ardennes für die südluxemburgischen Gemeinden, eine größere Rolle. (Tab.37)
Allein zwischen 10 und 20 von 100 Frankreichwanderem, welche die Untersuchungs-
gemeinden passierten, aber kamen aus bzw. gingen in den Pariser Raum (Département
Seine incl. Paris). Vor der Jahrhundertwende scheint die französische Metropole eine
noch größere Attraktivität auf Arbeitskräfte aus dem Saar-Lor-Lux-Raum besessen zu
haben. Die französischen Herkunftsorte der Neubürger Malstatt-Burbachs, Diedenhofens
sowie des südluxemburgischen Esch und seiner Nachbargemeinden lagen nicht zuletzt
deswegen auffällig oft entlang der Verkehrswege, welche Westlothringen mit der
französischen Hauptstadt verbanden. Schließlich ist eine gewisse Häufung in der Nennung
187
von Départements der nordfranzösischen Industriezone hervorzustreichen (Ardennes,
Nord, Pas-de-Calais). (Abb.25 und Tab.37)158
Auch der Wanderungsaustausch zwischen der Französischen Republik und dem Unter-
suchungsraum war also gekennzeichnet durch die Kombination einer dominanten Grenz-
raummobilität mit einer gesteigerten Wanderungsintensität hinsichtlich des nationalen
Zentrums.
In diesem Zusammenhang gestaltete sich das Wanderungsverhalten der Emigranten mit
luxemburgischer Staatsangehörigkeit aus dem Großherzogtum nach Frankreich analog
der luxemburgischen Abzugsmobilität in Richtung Belgien. Aus dem Industriekanton
Esch/Alz. ging zirka die Hälfte der ins Nachbarland emigrierenden Luxemburger (52,0%)
ins Département Meurthe-et-Moselle, zirka ein Drittel dieses Personenkreises (31,8%)
orientierte sich aber auf das nationale Zentrum Paris hin. Die Migranten aus Luxemburg-
Stadt bzw. aus ländlichen Kantonen wie Luxemburg-Land, Diekirch, Vianden oder
Grevenmacher wählten, sofern sie nach Frankreich verzogen, mehrheitlich den Pariser
Raum als Wanderungsziel.159 Die Dienstleistungsmobilität bildete dabei sicherlich eine
maßgebliche Komponente. Im Unterschied zum Wanderungsumschlag mit dem Raum
Brüssel bestand in der französischen Metropole allerdings ein nicht unerheblicher
Arbeitsmarkt für gewerbliche Lohnarbeit, so daß beispielsweise zahlreiche Bauhandwerker
aus der Untersuchungsregion Paris und seine banlieue frequentierten. Darum besaß die
Ile de France als Herkunftsregion der Frankreichwanderer auch in den industriell
geprägten Städten des Saarreviers, von Lothringen und von Luxemburg durchweg
verhältnismäßig großes Gewicht.
158 Auf Prozentangaben zur Herkunft der Frankreichwanderer in Malstatt-Burbach und in
Diedenhofen wurde aufgrund des unzureichenden Stichprobenumfangs verzichtet. Tendenziell
entsprachen die ermittelten Herkunftsregionen denjenigen der beiden genannten luxemburgischen
Industriegemeinden. Vgl. zu den Anteilswerten für Esch (1900-1925): Didlinger, Ausländische
Bevölkerung Esch/Alz., S.89, bezüglich Differdingen (1898-1914): Reitz, Immigration étrangère
à Differdange, S.137 sowie hinsichtlich Düdelingen (1898-1919): Weber, Ausländer in Düddin-
gen, S.52.
159 Vgl. Mouvement de la population 1903, S.14.
188
1 Meurthe-et-Moselle
2 Seine (incl. Paris)
3 Meuse
4 Vosges
5 Ardennes
Diedenhofen
Esch /
Malstatt-
Burbach
6 Marne
7 Haute-Marne
8 Aube
9 Seine-et-Marae
10 Aisne
11 Nord
12 Pas-de-Calais
13 Oise
14 Doubs
15 Morbihan
X * sonstige Nennungen
Abb.25 : Die hauptsächlichen französischen Herkunftsdepartements der Zuwanderer in
die Industriestädte des Saar-Lor-Lux-Raumes vor 1914
Malstatt- Burbach 1856-1909 Diedenhofen 1883-1909 Esch 1870-1900 Esch 1900-1925 (Didlinger) Differdingen 1898-1914 (Reitz) Düdelingen 1898-1919 (Weber)
Meurthe-et-M. Meurthe-et-M. Seine Meurthe-et-M. Meurthe-et-M. Meurthe-et-M.
Seine Seine Meurthe-et-M. Seine Seine Seine
Aube Vosges Meuse Meuse Nord Ardennes
Ardennes Marne Pas-de-Calais Ardennes Meuse Meuse
Vosges Ardennes Haute-Marne Nord Pas-de-Calais Vosges
Haute-Marne Ardennes Marne Vosges Haute-Marne
Doubs Seine-et-Marne Haute-Marne Morbihan Marne
Oise Vosges Ardennes Nord
Tab38 : Die acht meistgenannten französischen Herkunftsdepartements der Zuwanderer
nach Malstatt-Burbach, Diedenhofen, Esch/Alz., Differdingen und Düdelingen
189
3.3 Die ökonomische Struktur der Herkunfts- und Zielgebiete160
Wollte man die Binnenwanderungen der Hochindustrialisierungsperiode unter dem
Begriffspaar Land-Stadt- und Stadt-Land-Wanderung ausschließlich als Umzugs-
bewegungen zwischen ökonomisch unterentwickelten, in erster Linie agrarisch struktu-
rierten Gebieten und den funktional stark differenzierten Urbanisierungszonen der Indu-
striereviere charakterisieren, bedeutete dies eine Verkürzung in zweierlei Hinsicht:
Einerseits fand in hohem Maße ein Bevölkerungsaustausch zwischen einzelnen Ver-
städterungszentren statt.
Andererseits ist das kleinräumlich sehr nuancierte Wirtschaftsgefüge Europas im
ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert kaum auf das Gegensatzpaar ländlich-
bzw. dörflich-monostrukturell und urban-komplex zu reduzieren.
Dies gilt auch für das Wanderungsgeschehen im Saar-Lor-Lux-Raum, wo die Migratio-
nen, welche die Industriestädte Diedenhofen, Esch/Alz. und Malstatt-Burbach betrafen,
keineswegs vornehmlich aus und im Rückfluß wieder in rein agrarische Regionen er-
folgten. (Tab.39)
Der Stellenwert der auf einem äußerst niederen Entwicklungsniveau verharrenden Kreise
(Rangparameter 1) war und blieb für den Wanderungsumschlag aller Untersuchungsstädte
von Beginn bis zum Ende des Beobachtungszeitraums von untergeordneter Bedeutung.
Zwar kam beim Wanderungsgeschehen in Diedenhofen und in Esch zum Tragen, daß
diese beiden Städte jeweils in ein ausgesprochen agrarisches Umland eingebettet waren,
weshalb der Zu- und Abzug in die lothringische Gamisonsstadt bis zu ungefähr einem
Drittel von Kreisen der Rangkategorie 2 abhing und die Escher Einwohnerschaft zirka
zu einem Viertel in stark ländlich geprägten Kreisen geboren worden war. Aber
abgesehen davon sank der Zu- und Abzugsanteil der Kreise mit mittlerem Entwicklungs-
niveau (Rangparameter 3 und 4) sowohl in Malstatt-Burbach als auch in Diedenhofen
zwischen 1860 und 1909 gewaltig ab und stagnierte in Esch auf sehr bescheidenem
Niveau, während Kreise mit einem gehobenen Urbanisierungsgrad (Rangparameter 5 und
6) in der lothringischen wie in der saarländischen Stadt enorm an Gewicht gewannen.
In der luxemburgischen Gemeinde unterschritt deren demographischer Beitrag, sofern
dies anhand der Gebürtigkeit zu ermitteln ist, keinesfalls die Zwei-Drittel-Marke.
Dieses Phänomen kennzeichnet die fortgesetzte Vernetzung der Industriereviere mitein-
ander.
Aus der Perspektive Malstatt-Burbachs verdichtete sich zunehmend das Wanderungs-
geschehen innerhalb der Agglomerationszone der drei im Jahre 1909 zur Großstadt
Saarbrücken vereinigten Saarstädte, welcher die Hüttenstadt selbst angehörte (Rangpara-
160 Zum ökonomischen Rangparameter vgl. Anhang B3.
190
meter 6).161 Der Zuzug aus den benachbarten industriellen Verstädterungsregionen
(Rangparameter 5), von denen die Kreise Ottweiler, Diedenhofen-West, Luxemburg-Süd
und Kaiserslautem hervorzustreichen sind, bewegte sich konstant auf erhöhtem Niveau.
Der Abzug in diesen Bereich erfuhr zugleich eine erhebliche Steigerung, so daß der
Bevölkerungsaustausch der Industriezonen untereinander, anfänglich schon nicht weniger
als die Hälfte der Migrationspotentiale bindend, nach 1900 zwischen 60 und 70 Prozent
der Wohnortwechsel ausmachte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang der besonders
hohe Immigrationsanteil aus den 5er-Kreisen in der Saarhüttenstadt während der Jahre
1876 bis 1889 (Phase B), als die Wirtschaftsflaute den Zustrom aus nicht-industriell
entwickelten Regionen dämpfte und sich der Austausch zwischen den verschiedenen
Industriestandorten der Saar-Lor-Lux-Region intensivierte. Als weiteres Indiz für dieses
spezifische Verhältnis zwischen den regionalen Industriezentren während der wirt-
schaftlichen Stockungsphase sei auf die zeitgleich deutlich erhöhte Präsenz von Personen
aus dem Kreis Saarbrücken (Rangparameter 6) im luxemburgischen Esch verwiesen,
welche die Volkszählung des Jahres 1890 an den Tag bringt.162 Nicht zuletzt war auch
ein relatives Anwachsen der Migrationskontingente zu verzeichnen, die sich von Malstatt-
Burbach aus in Richtung Straßburg als höchstdifferenziertem regionalem Zentrum in
mittlerer Distanz wandten (Rangparameter 7).
Dem standen die kontinuierlichen prozentualen Einbußen der mittleren Rangkategorien
3 und 4 gegenüber, welche hinsichtlich Malstatt-Burbachs vorzugsweise die Kreise
Zweibrücken, Trier, Saarlouis und Metz bzw. Birkenfeld, Homburg, Forbach, Saargemünd
und Merzig betrafen.
Im Falle Diedenhofens kam es mit der Industrialisierung zu einem vehementen Einschnitt
in die einseitigen Austauschbeziehungen, welche der nordlothringische Zentralort bis
dahin mit einigen, eher ländlichen Regionen unterhalten hatte. Gerade nach der Jahrhun-
dertwende ging der Zuzug aus den Kreisen der Rangkategorien 1 bis 4 zum Teil schlag-
artig zurück, was - mit Ausnahme der 2er-Gebiete - auch für den Wegzug galt. Während
also schwerpunktmäßig Migrationen aus den bzw. in die Kreise Bolchen (Boulay), Metz,
Saarlouis und Merzig an Gewicht verloren, stieg die Zahl der Zu- und Abzüge in Bezug
auf die Kreise der Rangkategorien 5 und 6, will sagen: Diedenhofen-West, Luxemburg-
Süd, Ottweiler und Saarbrücken, maßgeblich an. Die Beziehungen zum Straßburger Raum
(Rangkategorie 7) wandelten sich im Zuge der Industrialisierung dahingehend, daß Die-
denhofen seine zuvor eindeutig negative Wanderungsbilanz ausgewogener gestalten
16’ Der Rangparameter 6 wird ausschließlich vom Kreis Saarbrücken repräsentiert, zu dem hier
auch Malstatt-Burbach gerechnet wird. Im Untersuchungszeitraum stiegen die Zu- wie die
Abzugsanteile bezüglich dieses Kreises recht kontinuierlich an. Vgl. Tab.39 und Anhang B3.
m Vgl. hierzu ausführlicher S.162ff.
191
Phase/ Rangparameter HERKUNFT ZIEL
А В С D A-D 74/ c; в A-D
MALSTATT-BUR] (von 100 Zuwanderem kamen aus bzv i ACH v. gingen nach ...)
1 (dörflich- monostruktureU) 6,0 5,1 5,0 4,9 5,1 6,4 3,7 4,8 63 5,6
1 3,2 3,8 4,6 23 3,4 3,1 23 2,8 3,1 3,0
"3 24,6 22,9 18,8 12,7 16,6 25,3 21,7 17,1 17,3 18,4
ü,/ 13,7 12,4 8,2 10,8 113 11,4 8,7 9,2 9,6
5 8,5 11,9 8,7 - 7,9 8,7 6,4 7,1 8,8 12,0 10,1
T> 41,3 42,3 50,1 63,1 54,9 47,3 533 57,0 50,5 52,3
7 (urban-komplex) 0,7 0,4 0,4 0,7 0,6 0,1 0,3 0,9 1,4 1,0
üiimme 1ОДГ ■щг 100,0 100,0 TÏÏÜJ 100,1 100,0 100,1 100,0 100,0
DIEDENH OFEN (von 100 Zuwand erem kamen aus bzw. gingen nach . •0
1 (dörflich- monostrukturell) 4,9 8,7 3,1 5,7 7,2 8,0 2,1 5,2
T~ 35,6 37,7 33,4 35,5 18,6 27,9 30,4 27,3
1 35,1 26,7 21,5 26,1 483 30,3 22,5 30,1
4 8,8 7,3 6,0 7,0 63 5,0 1,7 3,7
"3 14,1 14,4 29,4 20,5 113 19,4 28,3 21,9
6 0,5 4,3 4,2 3,6 2,1 33 10,4 6,3
7 (urban-komplex) 1,0 0,9 2,4 1,6 63 6,0 4t6 5,4
Summe 100,0 1Ò0.Ò 100,Ô тда 100,1 “ЩГ 100,0 99,$
ESÒ H/ALZ (Von 100 Einwohnern wurden geboren in ...)
1 (dörflich— monostrukturell) 0,7 2,9 4,7 33
T~ 25,3 25,1 24,0 25,6
3 2,7 2,7 3,5 3,1
4 0,3 1,2 1,2 1,0
5 70,5 67,4 66,0 673
& 0,4 0,7 0,5 03
7 (urban-komplex) 0,1 0,1 0,1
Summe "ЩЯ 100,0 iod.tö iöö,9
Phasen: А = 1856-1875 bzw. 1871, В = 1876/83-1889 bzw. 1890 C = 1890-1900 bzw. 1900, D = 1901-1909 Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab,39 : Die Verteilung der Zuwanderer in Malstatt-Burbach und Diedenhofen auf
Herkunfts- und Ziclkreise bzw. der Einwohner von Esch auf Geburtskreise mit unter-
schiedlichem urban-ökonomischem Entwicklungsniveau
192
Malstatt-Burbach
Esch/Alz.
JL
Abb.26 : Die Verteilung der Migranten bzw.
Einwohner auf Herkunfts- und Ziel-
bzw. Geburtskreise mit unterschiedlichem
Entwicklungsniveau (Vgl. Tab.39)
193
konnte. Anteilig mehr Menschen verzogen aus dem elsaß-lothringischen Verwaltungszen-
trum und seinem direkten Umland an die Mosel, und prozentual weniger Menschen ver-
ließen Diedenhofen, das so plötzlich einen industriellen Charakter ausbildete, in Richtung
des Oberrheins.
Den eigenen Kreis Diedenhofen-Ost prägte bis zum Ende des Kaiserreiches die
Landwirtschaft, weshalb dieser mit dem Rangparameter 2 qualifiziert wurde. Ganz
allgemein ist zum Wanderungsumschlag zwischen der Stadt Diedenhofen und den Kreisen
dieses Entwicklungsniveaus, unter denen für die Kommune außer dem Kreis Diedenho-
fen-Ost noch die Kreise Saarburg/Saar und Luxemburg-Nord eine gewisse Rolle spielten,
zu vermerken, daß mit der Industrialisierung vor Ort zwar ein Immigrationsrückgang
hieraus zu konstatieren war. Der Abzug aus der Stadt zielte aber auch nach 1900, sogar
in gesteigertem Maße, in den 2er-Bereich, was daran gelegen haben dürfte, daß es im
eigenen Kreis ein Siedlungsvakuum zu füllen galt, welches das Festungskonzept Die-
denhofens bis ins 20. Jahrhundert künstlich aufrecht erhalten hatte.163 Der Raum Dieden-
hofen verdichtete sich nach der Niederlegung der Festungswälle analog der Saarbrücker
U rbanisierungszone.
Die uns für Esch vorliegenden Zahlen fallen auf den ersten Blick etwas aus der Reihe.
Die stärker urbanisierten Kreise des 5er- und 6er-Niveaus, nämlich die benachbarten
Industrieregionen Diedenhofen-West und Saarbrücken im Konzert mit dem eigenen Kreis
Luxemburg-Süd, entließen demnach anders als bezüglich der Vergleichsstädte Dieden-
hofen und Malstatt-Burbach anteilig sinkende statt anwachsendc Bevölkerungsteile in
die luxemburgische Industriegemeinde. Zugleich stieg die Zahl der in Kreisen der
Rangkategorie 1 Geborenen offenbar stetig an. Deutlich wird hierdurch aber nur, daß
sich der Wanderungsaustausch mit den angrenzenden reichsdeutschen Industrierevieren
relativ bescheiden ausnahm, das Verhältnis der Rekrutierungsquoten zwischen den beiden
luxemburgischen Teilregionen ziemlich konstant blieb und sich im deutschen Nahbereich
vor allem die Beziehungen zu den ländlichen Eifelkreisen (Bitburg, Daun, Prüm) intensi-
vierten.
Der ökonomische Rangparameter konnte aus arbeitstechnischen Gründen leider nur für
den inländisch-deutschen Nahbereich ermittelt werden, weshalb die für Esch so wichtigen
Femzuwanderungs- und Ausländerkontingente hier keine Berücksichtigung finden. Das
Gesamtbild hinsichtlich der Stadt Esch wird daher in dieser tabellarischen Darstellung
erheblich verzerrt.
Esch war allerdings wie Diedenhofen und Malstatt-Burbach in den genannten regionalen
Vemetzungsprozeß miteingebunden, nur ist diesbezüglich der Beitrag des rheinisch-west-
fälischen sowie der nordfranzösisch-belgischen Industriereviere unbedingt zu beachten.
163 Vgl. hierzu ausführlicher S.löOff.
194
Es scheint, die luxemburgische Gemeinde gab sich - aufgrund bestimmter sozio-
ökonomischer Grunddispositionen - schon im ausgehenden 19. Jahrhundert weniger
provinziell auf den engeren Saar-Lor-Lux-Raum hin orientiert und daher etwas
"europäischer" als seine beiden Vergleichsstädte, obwohl daneben eine Vielzahl spezifi-
scher sozio-ökonomischer Gemeinsamkeiten und Austauschbeziehungen einen zu-
sammenfassenden Raumbegriff für die drei Teilregionen, denen Diedenhofen, Esch und
Malstatt-Burbach angehören, rechtfertigen.
Ein wesentlicher Aspekt ist in diesem Zusammenhang, daß die strukturelle Distanz, d.h.
die graduellen Unterschiede hinsichtlich des urban-industriellen Entwicklungsniveaus,
zwischen den untersuchten Industriegemeinden sowie den Herkunfts- und Zielregionen
ihrer mobilen Bevölkerungsteile zwischen 1850 und 1910 zunehmend geringer wurde.
Gemeint ist damit, daß aus dem Blickwinkel der Untersuchungsgemeinden eine Verlage-
rung der geographischen Rekrutierungsschwerpunkte zustande kam.164
Zwar spielte sich das Wanderungsgeschehen seitens der Industriestädte Diedenhofen,
Esch/Alz. und Malstatt-Burbach schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend
mit den Kreisen ab, die letztlich selbst einer industriell-urbanen Entwicklung unterworfen
waren. Doch verlor der ohnehin nur in recht begrenztem Maße stattfindende Wande-
rungsaustausch dieser städtischen Gemeinwesen mit ausgesprochen dörflich-monostruktu-
rellen Regionen weiterhin sukzessive an Bedeutung. Der Industriezonenaustausch war
es, der sich intensivierte. Die Migrationsbewegungen vom Land in die Stadt und umge-
kehrt traten quantitativ endgültig in den Hintergrund, nachdem die anfänglich anscheinend
noch umfangreichen Übervölkerungspotentiale landwirtschaftlich dominierter Gebiete
in die expandierenden industriellen Verstädterungszonen erschöpft waren. Das ländliche
Übervölkerungsproblem des Pauperismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde
mit der Industrialisierung in der Saar-Lor-Lux-Region sehr schnell ein typisch urbanes
Problem. Dies belegt u.a. die Entwicklung der städtischen Behausungsziffem im
ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.
164 Die hier vorgenommene Analyse erlaubt diesen Schluß nur im Sinne einer Verlagerung der
geographischen Rekrutierungsschwerpunlcte, unabhängig von individuellen Entwicklungsfort-
schritten einzelner Rekrutierungsgebiete, weil die Rangparametrisierung des Stichjahres 1910
für die gesamte Untersuchungsperiode beibehalten wird.
195
4. Immigrationsprofile - Versuch einer Typologisierung der Zuwandererschaft
nach Malstatt-Burbach und Diedenhofen
Bislang wurden hinsichtlich der Zuwanderer nach Diedenhofen, Esch und Malstatt-
Burbach die verschiedenen Charakteristika, welche ihre Person (Geschlecht, Alter, Kon-
fession), ihren sozialen Kontext (Familie und Beruf) sowie ihre regionalen Bezüge (Her-
kunft und Ziel) betrafen, in einer ausgesprochen diachronischen Weise mehr oder weniger
getrennt voneinander betrachtet.
Nun bleibt zu fragen, welche Zuwanderergruppen aufgrund spezifischer Kombinationen
aller sie charakterisierenden Persönlichkeitsmerkmale das Wanderungsgeschehen in den
drei Untersuchungsgemeinden in typischer Weise prägten. Sind Teile der Immigranten-
schaft zu greifen, welche in ihrer altersmäßigen, familiären und beruflichen Situation
sowie durch ihre konfessionelle und regionale Herkunft oder die Dauer ihres Aufenthaltes
in den Industrieorten gegenüber anderen Zuzüglern hervorstachen?
Unter Beachtung ihrer Altersstruktur, ihrer familiären Situation, ihrer konfessionellen
Zugehörigkeit, der von ihnen zurückgelegten Wanderungsdistanz, der urban-ökonomi-
schen Struktur ihrer Herkunftsregion sowie ihrer Verweildauer in der Zuzugsgemeinde
lassen sich in Malstatt-Burbach acht Berufsgruppen bzw. Cluster von Berufsgruppen
ermitteln, die zum einen den Zuzug quantitativ maßgeblich mitbestimmten und zum
anderen deutlich untereinander bzw. vom Rest der Zuwandererschaft abgrenzbar sind.
In Diedenhofen sind vier solcher Cluster hervorzuheben.165
4.1 Malstatt-Burbach
Neben einer vielschichtigen Restkategorie verfügten im Zuzugs geschehen der Saarhüt-
tenstadt folgende acht berufsständische Gruppen über jeweils besonders ausgeprägte
Merkmalsstrukturen:166
165 Diese Untergruppen wurden mittels einer Gusteranalyse ermittelt, welche die einzelnen
Immigranten bzw. Einwohner gemäß ihrer Zugehörigkeit zu den in Anhang B2 aufgelisteten
Berufsklassen anhand der Gesamtheit der genannten Merkmale (Alter, Familienstand, Religion,
Entfernung bzw. ökonomische Struktur des Herkunftsortes und Aufenthaltsdauer in der jeweiligen
Untersuchungsgemeinde) schrittweise in sogenannten Clustern zusammenfaßt. Zum cluster-
analytischen Verfahren vgl. Anhang C2. Eine clusteranalytische Untersuchung der Stadt Esch
wurde in diesem Punkt ausgeklammert, weil spezifische Immigrationsdaten hierzu nicht vorliegen.
166 Vgl. Tab.40, S.198 und die Kurztypologie in Tab.41, S.206.
196
1) Kaufleute und technische Angestellte
(180, 231, 233)167
Selbständige und vor allem Angestellte aus dem kaufmännischen wie auch aus dem
technischen Bereich waren im Falle eines Zuzugs nach Malstatt-Burbach in der Regel
zwischen 24 und 27 Jahren alt. Dies entsprach angesichts des jugendlichen Durch-
schnittsalters der Gesamtimmigrantenschaft einem mittleren Altersniveau.168
Fast drei Viertel (73%) von ihnen kamen alleine, d.h. ohne familiären Anhang in die
Kommune. Die meisten dürften gerade im Begriff gewesen sein, als Jungkaufleute bzw.
technisches Nachwuchspersonal erste Berufserfahrungen zu sammeln.
Zugleich handelte es sich um den Personenkreis mit dem geringsten Katholikenanteil
(43,2%), der höchsten Protestantenquote (51,0%) und einer im Berufsgruppenvergleich
einzigartig umfangreichen jüdischen Minderheit (5,8%).
Diese Leute kamen eindeutig aus städtischen Kontexten169 und zwar vorzugsweise aus
dem Nahbereich von weniger als 30 Kilometern Entfernung, aber auch mit im Vergleich
zu den anderen Berufsgruppen überaus starken Kontingenten aus Distanzbereichen zwi-
schen 80 und 550 Kilometern. Der Zuzug seitens der Kaufleute und der Techniker
erfolgte somit entweder aus der unmittelbaren Saarbrücker Agglomerationszone oder aus
Urbanisierungszonen von außerhalb des direkten Saar-Lor-Lux-Raumes. In der
erweiterten Nahdistanz gab sich diese Gruppe verhältnismäßig immobil.
Insgesamt besaßen diese Berufsstände eine ausgeprägte Tendenz zur Seßhaftigkeit: man
verweilte von Ausnahmen abgesehen (3,9%) mindestens ein halbes Jahr und häufiger
noch mehrere Jahre ohne einen erneuten Wohnortwechsel. Nur etwa ein Drittel (36%)
von ihnen verließ Malstatt-Burbach vor Ablauf eines Jahres.170
167 Vgl. Anhang B2.
168 Das Durchschnittsalter in diesem Cluster betrug 25,9 Jahre bei einer Standardabweichung von
7,6 Jahren. Der Altersdurchschnitt in der Gesamtheit der Zuwanderer nach Malstatt-Burbach
betrug 21,8 Jahre bei einer Standardabweichung von 13,1 Jahren.
155 Mehr als drei Viertel (76,8%) der Kaufleute und Techniker kamen aus urban-industriell recht
weit entwickelten Kreisen der Rangkategorien 5 bis 7. Dies waren über 7 Prozentpunkte mehr
ali> der Zuzugsanteil der diesbezüglich nächststärksten Berufsgruppe der hochqualifizierten
Facharbeiter (69,5%).
170 Zur Verweildauer der Immigranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen vgl. ausführlich
Kapitel E.
197
Clust«r-
Numner
0
1
2
6
4
3
5
7
8
Beruf»klas»enbezeichnung Berufsklasse Verschmelzungsschema
[alle sonstigen]
Kaufleute
Handlungsgehilfen.Commis.Verwalter
Techniker.Laboranten.Zeichner
mittl.Beaate/Angest.(öff.Dienst)
untere Beamte/Angest.(öff.Dienst)
Facharbeiter (hochqualifiziert)
Facharbeiter (qualifiziert)
Handwerksgesellen u. -lehrlinge
agrar.Unterschicht (Knechte,Mägde)
untere Privatangest. (Dienstboten)
Handwerker
angelernte Arbeiter
ungelernte Arbeiter
Tab.40 : Cluster von Berufsgruppen incl. Verschmelzungsschema für Malstatt-Burbach 1856-
1909
2) Beamte und Angestellte (mittlere, untere)
(227, 350)
Die Beamten und Angestellten der mittleren bzw. unteren Ränge des öffentlichen Dienstes
bildeten mit einem Durchschnittsalter von nahezu 31 Jahren171 die älteste Untergruppe
im Wanderungszustrom an die mittlere Saar.
Sie verzogen vergleichsweise selten alleine (46,7%), trafen also mehrheitlich in Beglei-
tung ihres Ehegatten (11,8%) und von allen Zuzugsgruppen mit Abstand am häufigsten
im Familienkreise (41,5%), d.h. meist mit Ehepartner und Kindern, in Malstatt-Burbach
ein. Hierin waren sie den hoch- und mittelgradig qualifizierten Arbeitern sehr ähnlich.
Allerdings fanden sich - abgesehen von der Kaufmannschaft - unter ihnen anteilsmäßig
die meisten Protestanten. In der Saarhüttenstadt zählte man neben den Kaufleuten und
Technikern nur noch unter den Beamten und Angestellten mehr Protestanten als
Katholiken.172
Ihre Anreise erfolgte in erster Linie aus einem Umkreis von maximal 80 Kilometern
Entfernung und darin vornehmlich aus dem unmittelbaren Nahbereich (weniger als 30
Kilometer). Nicht wenige verließen einen stark ländlich geprägten regionalen Kontext.1T?
171 Durchschnittsalter: 30,7 Jahre, Standardabweichung: 9,6 Jahre.
172 Von 100 Beamten und Angestellten des mittleren und unteren Dienstes waren 51 prote-
stantischen, aber nur 49 katholischen Bekenntnisses, ein Prozentsatz, der angesichts der
Konfessionsverteilung an der Saar recht bescheiden anmutet.
173 Mehr als 80 von 100 Beamten und Angestellten kamen aus der 80-Kilometer-Distanz (81,6%).
Ungefähr 13 Prozent der Beamten und Angestellten benannten als vorherigen Wohnsitz
Gemeinden aus Kreisen der Rangkategorien 1 oder 2- .Ansonsten kam nur die Gruppe der dem
traditionellen Zunftwesen verbundenen Handwerker (292) häufiger (14,6%) aus Bereichen mit
diesem Entwicklungsniveau.
198
Die Beamten und Angestellten zeichneten sich durch eine unvergleichlich hohe Orts-
festigkeit aus. Hatten Personen dieser Berufskategorien einmal einen Wohnortwechsel
nach Malstatt-Burbach durchgeführt, verzogen nicht mehr als 18 Prozent von ihnen vor
Ablauf eines Jahres an einen anderen Ort.
3) Dienstboten (Dienstknechte und -mägde, Knecht, Mägde)
(270,340)
Im Dienstleistungsbereich stach mit den Hausangestellten eine dritte und zugleich die
einzig weiblich dominierte Zuwanderergruppe hervor. Während die Beamten und Ange-
stellten des öffentlichen Dienstes per Saldo die ältesten Zuzügler stellten, bildeten die
Dienstboten mit einem Durchschnittsalter von weniger als 22 Jahren174 die jüngste aller
auffälligen Immigrantengruppen. In der kleinen, noch eher einem agrarischen Kontext
verbundenen Untergruppe der Knechte und Mägde lag dabei das Altersmittel etwas höher
als im Personeiikreis, der sich selbst schon anläßlich der polizeilichen Meldung als
Dienstknecht bzw. Dienstmagd bezeichnete.175 Mehrheitlich gehörten die Dienstboten
allerdings der Alterklasse der 17 bis 20jährigen an (39,9%).
Die Hausangestellten traten häufiger alleine auf als die Angehörigen jedes anderen
Berufsstandes; von 100 Domestiken kamen 95 ohne familiäre Begleitung nach Malstatt-
Burbach und bezogen dort auch kein Quartier bei Familienangehörigen.
Der Protestantenanteil unter ihnen war im Vergleich zur Arbeiterschaft recht hoch
(32,0%). Dies lag daran, daß sich deren Rekrutierungsgebiet fast ausschließlich in einer
maximalen Distanz von 30 Kilometern um die Saarhüttenstadt erstreckte, wodurch
verstärkt angestammte Bevölkerungsteile aus Gemeinden der ehemaligen, mehrheitlich
protestantischen Grafschaft Nassau-Saarbrücken miteinbezogen wurden.
Das Wanderungsverhalten der Dienstboten charakterisierten typische saisonale Umzugs-
rhythmen. (Dienst-)Knechte und Mägde residierten in der Regel zwischen einem Monat
und einem Jahr in der Stadt, bevor sie diese wieder verließen. Mobilitätsschwerpunkte
ergaben sich nach Aufenthalten von einem Monat bis zu einem halben Jahr.
lv Durchschnittsalter: 21,8 Jahre, Standardabweichung: 7,0 Jahre.
175 Das Durchschnittsalter der Knechte und Mägde betrug etwa 23 Jahre bei einer Standard-
abweichung von 8,5 Jahren. Die Dienstknechte und Dienstmägde waren durchschnittlich ungefähr
21 Jahre alt (SD: 5,5 Jahre).
199
4) Zunfthandwerker176
(292)
Diejenigen zuziehenden Handwerker, bei denen starke Bezüge zum traditionellen
Zunfthandwerk festzustellen sind, wiesen einige Ähnlichkeiten mit den Dienstboten auf.
Auch sie zählten im Schnitt gerade einmal 22 Jahre177; kaum einer war älter als 24
Jahre; mehr als ein Drittel von ihnen (35,1%) war zwischen 17 und 20 Jahren alt. 90
Prozent von ihnen kamen als Einzelwanderer. Konfessionell bekannten sich deutlich mehr
als 40 Prozent (45,2%) der Zunfthandwerker zur evangelischen Kirche. Ihr Einzugsbereich
beschränkte sich auf die 80-Kilometer-Zone um Malstatt-Burbach, wobei ein Zuzugs-
schwerpunkt im Gegensatz zu den Dienstboten im Distanzgürtel von 30 bis 80 Kilome-
tern, d.h. in der erweiterten Nahzone, lag. Die Dienstboten kamen unmittelbar aus dem
urbanen Agglomerationsbereich der Saarstädte Saarbrücken, StJohann und Malstatt-
Burbach. Die Herkunftsorte der Zunfthandwerker waren dagegen vorzugsweise noch rein
ländlich geprägt oder nur wenig entwickelt. Unter den acht auffälligen Zuwanderer-
gruppen stellten sie das relativ größte aus einem dörflich-agrarischen Milieu stammende
Kontigent sowie die wenigsten Zuzügler aus Regionen mit einem gehobenen Ent-
wicklungsniveau.178 Vergleichbar den Hausangestellten zeigten sich bei diesen
Handwerkern typische saisonale Mobilitätsmuster: die meisten von ihnen blieben ungefähr
ein halbes Jahr, Kurzaufenthalte von einer Woche bis zu einem Monat waren gängig,
sehr selten verweilte man länger als ein Jahr in der Untersuchungsgemeinde.
176 Innerhalb der Handwerkerschaft werden zwei Untergruppen unterschieden. Zum einen ist ein
Personenkreis zu fassen, der sich mit den Attributen -geselle bzw. -lehrling belegte. Diese
berufliche Selbstbezeichnung läßt auf eine soziale Herkunft und fortgesetzte Bindung dieser
Gruppe an herkömmliche Ausbildungsgänge und Hierachien in Berufen des traditionellen
Zunfthandwerks schließen. Sie wird deshalb hierunter dem abstrahierenden BegnfiZunfthandwerk
geführt.
Das Zunfthandwerk wurde durch die Gruppe der industrialisierten Handwerker kontrastiert. Es
handelte sich dabei nicht per se um Industriehandwerker, welche in der vorliegenden Studie als
Facharbeiter (hochqualifizierte Industriearbeiter) firmieren, sondern um Arbeiter in Hand-
werksberufen, deren berufliche Eigenbezeichnung (z.B. Schreiner, Schmied usw.) keine weitere
Spezifizierung enthielt, die sich selbst also offensichtlich nicht mehr in die klassische Hierarchie
Meister, Geselle, Lehrling einordneten und deren Tätigkeitsbereich gegenüber vorindustriellen
Arbeitsfeldern mehr oder minder industrielle Charakteristika aufgewiesen haben dürfte - sei es
durch eine Anstellung im örtlichen Hüttenwerk (Burbacher Hütte) bzw. in einem der mittleren
Industrieunternehmen (Maschinenfabrik Ehrhard & Sehmer, Waggonbau Lüttgens, Eisengießerei
Müller u.a.), sei es durch die indirekte Abhängigkeit eines sie beschäftigenden handwerklichen
Zulieferbetriebs vom industriellen Produktionsprozeß.
177 Standardabweichung: 6,9 Jahre.
178 Aus Kreisen mit den ökonomischen Rangparametem 1 oder 2 kamen 14,6% der Zunft-
handwerker, aus Kreisen der Kategorien 3 oder 4 383% und aus Kreisen der Kategorien 5 bis
7 relativ bescheidene 47,1%.
200
5) industrialisierte Handwerker
(291)
Die hier bezeichneten Handwerker hatten mehr mit den Arbeitern gemein als mit den
Zunfthandwerkern.
Ihr Altersschnitt lag bei 27 Jahren179; nicht wenige waren zwischen 17 und 24 Jahren
alt; die mit fast einem Drittel (31,3%) umfassendste Altersgruppe war jedoch die der
25- bis 34jährigen.
Ein Drittel von ihnen (34,0%) war verheiratet, ein Viertel (25,3%) hatte Frau und Kinder,
so daß nur vergleichsweise bescheidene zwei Drittel (66,0%) allein angereist waren.
Weit über die Hälfte der industrialisierten Handwerker war katholisch (60,2%).
Der Zuzug erfolgte im Gegensatz zu den Zunfthandwerkern auch verstärkt aus der
Mitteldistanz von 80 bis 300 Kilometern sowie in erheblich höherem Maße als bei jenen
aus dem unmittelbaren Umland bis 30 Kilometer Entfernung. Die erweiterte Nahzone
zwischen 30 und 80 Kilometern, welcher in besonderem Maße die Zunfthandwerker ent-
stammten, wurde seitens dieser Zuwanderergruppe merklich seltener frequentiert. Zugleich
handelte es sich bei den Herkunftsregionen dieser Handwerker in 56 Prozent der Fälle
um urban-industriell ziemlich weit entwickelte Gebiete der Rangkategorien 5 bis 7.
Weniger als 10 von 100 industrialisierten Handwerkern (9,9%) zogen aus rein bäuerli-
chen Kreisen an.
Neben der durchaus vorhandenen Saisonkomponente machte sich bei den vorliegenden
Handwerkern eine unübersehbare Tendenz zur Seßhaftigkeit bemerkbar. Es scheint als
verließen die industrialisierten Handwerker entweder schwerpunktmäßig nach etwa einem
halben Jahr die Hüttenstadt wieder, oder sie blieben gleich mehrere Jahre.
Die Existenz des industrialisierten Handwerks markierte ein doppeltes sozioprofessionel-
les Übergangsphänomen: den Wandel althergebrachter und damit die Herausbildung neuer
handwerklicher Berufsbilder sowie einen einschneidenden sozialen Umbruch innerhalb
des Handwerkerstandes.
Einerseits ist nämlich die gesamtdurchschnittliche Altersdifferenz zwischen industriali-
sierten Handwerkern und Zunfthandwerkern in diesem Kontext zu erklären durch ein
konsequentes Überwechseln junger Handwerker aus Innungsbetrieben hinein in Werkstät-
ten des industriellen Wirkungsbereiches. Die auffällige Differenz in der Herkunft (geo-
graphisch, strukturell) der beiden Handwerkerkategorien läßt darüber hinaus typische
handwerkliche Lebensläufe des späten 19. Jahrhunderts erahnen. Der individuelle lebens-
zeitliche Wandel handwerklicher Tätigkeit wird deutlich, den z.B. ein Schreiner, ein
179 Altersdurchschnitt: 27,4 Jahre; Standardabweichung: 9,7 Jahre.
201
Schmied oder ein Klempner in einer Phase zu vollziehen gezwungen war, in welcher
ein Handwerker(ausbildungs)überschuß in ländlichen Gebieten zeitlich und regional
zusammeniiel mit dem Arbeitskräftebedarf expandierender Industriebetriebe in den
benachbarten Urbanisierungszonen - wie der an der mittleren Saar. Prototypisch konnte
sich beispielsweise folgende Karriere ergeben: die Lehrzeit wurde in einem kleinen
Zunfthandwerksbetrieb absolviert, die Wander- und Gesellenjahre brachten erste Kontakte
mit Werkstätten im industriellen Einflußbereich (Land-Stadt-Wanderung) und langsam
erfolgte der Übergang von dezidiert handwerklichen Tätigkeiten zu vom industriellen
Fertigungssprozeß bestimmten oder per sc industriellen Arbeitsgängen (Stadt-Stadt-
Wanderung, Industriezonenaustausch).
Andererseits faßten im industrialisierten Handwerk solche Bevölkerungskreise Fuß, denen
der Zugang zum Zunfthandwerk aufgrund überkommener regionaler Sozialstrukturen
bislang versagt geblieben war. D.h. im industrialisierten Handwerk waren bemerkens-
werterweise auch Personenkreise vertreten, welche jm traditionellen Handwerk außen
vor geblieben waren. Unter Berücksichtigung der Konfessions-und Wirtschaftsstruktur
der ehemals nassau-saarbrückischen Gebiete berechtigt der vergleichsweise hohe Katho-
likenanteil unter den industrialisierten Handwerkern zu dieser Annahme. Neben
geographischen und infrastrukturcllcn Gesichtspunkten bildete an der Saar also auch die
konfessionelle Herkunft einen Faktor im industrialisierungsbedingten Wandel des
Handwerkerstandes.180
180 Dieser empirische Befund bestätigt die Forschungsergebnisse von Jürgen Kocka bezüglich
des Wandels berufsständischer Identität von Handwerksgesellen und zur Herauslösung der
Handwerkerschaft aus einem ständisch-zünftischen Kontext im sich industrialisierenden Deutsch-
land des 19. Jahrhunderts für die südwestdeutsche Industrieregion. Vgl. hierzu ausführlich Kocka,
Jürgen: Arbeitsverhältnisse und Arbeiterexistenzen. Grundlagen der Klassenbüdung im 19. Jahr-
hundert (=Geschichte der Arbeiter und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit Ende des 18.
Jahrhunderts, Bd.2), Bonn 1990, S.329ff. bzw. S.335ff. Vgl. außerdem zur Differenzierung
zwischen Handwerkern und Arbeitern während der Hochindustrialisierungsperiode: Ritter, Gerhard
AVTenfelde, Klaus: Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, (=Geschichte der Arbeiter
und der Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, BdJ), Bonn 1992,
S.272ff. Ritter/ Tenfelde unterscheiden zwischen Handwerksgesellen (hier: Zunfthandwerker),
Gesellenarbeitem (hier: industrialisierte Handwerker), Industriearbeitern (hier: Facharbeiter) und
ungelernten Fabrikarbeitern (hier: angelernte u. Hilfsarbeiter).
202
6) Facharbeiter
(293, 294)
Der Altersschnitt der Facharbeiter lag kaum unter 30 Jahren.181 Damit bildeten die
Facharbeiter nach den Beamten und Angestellten die älteste Immigrantenschar unter den
relevanten Zuzugsgruppen. Zugleich kamen sie mit Ausnahme der Beamten und
Angestellten am scltesten alleine. Relativ am häufigsten reisten sie zu zweit, d.h. meist
mit Ehepartner, mehr als ein Drittel von ihnen (36,7%) verzog mit Frau und Kind(em).
Der Katholikenanteil unter ihnen war mit 62,9 Prozent nochmals höher als unter den
Handwerkern, wenn auch der Protestantenanteil hier noch deutlich über dem der beiden
folgenden Arbeiterkategorien (angelernte und ungelernte Arbeiter) lag.
Die Herkunftsgebiete der Facharbeiter blieben ziemlich eng auf urban-industriell stark
entwickelte Gebiete beschränkt.182 Dabei zeigte sich eine hohe Mobilität im Nahbereich
(bis 30 Kilometer), eine im Arbeitervergleich recht hohe Zuzugsbereitschaft aus der
Mitteldistanz (80 bis 300 Kilometer) sowie aus der erweiterten Mitteldistanz (180 bis
450 Kilometer).
Den Facharbeitern war - wie allen Arbeitergruppen - ein den industrialisierten Hand-
werkern sehr ähnliches Seßhaftigkeitsverhalten zueigen. Sowohl eine Tendenz zur
andauernden Ortsfestigkeit als auch eine Neigung zu Halbjahresaufenthalten, also eine
saisonale Komponente, waren zu konstatieren. Mehrjährige Aufenthalte kamen dabei im
Vergleich zu den beiden Handwerkskategorien häufiger vor. Nur 31 von 100 Fach-
arbeitern verließen Malstatt-Burbach schon wieder vor Ablauf eines Jahres.
7) angelernte Arbeiter
(300)
Auch die Arbeiter aus Anlernberufen verfügten über ein recht hohes Altersmittel von
28,3 Jahren.183 Sie kamen etwas häufiger als die Facharbeiter alleine in die Saarhütten-
stadt, aber auch von diesen wanderte mehr als ein Drittel (36,5%) im Familienkreise zu.
Mehr als 70 von 100 Anlemkräften (73,7%) waren katholisch, d.h. nur wenig mehr als
ein Viertel evangelischen Bekenntnisses.
Ihr Einzugsgebiet zeigte sich geographisch weniger ausgedehnt als dasjenige der
Facharbeiter; vor allem frequentierten sie öfter den Entfemungsbereich zwischen 30 und
‘81 Altersdurchschnitt: 29,4 Jahre; Standardabweichung: 9,7 Jahre.
182 Fast 70% der Facharbeiter (69 ,5%) kamen aus Kreisen der Rangparameter 5 bis 7, nur knapp
3% aus Kreisen des 1er- und 2er-Niveaus.
183 Die Standardabweichung betrug 9 Jahre, wobei sich eine gewisse Häufung im Altersbereich
um die 25 Jahre ergab (Median).
203
80 Kilometern und dabei eher auch die ländlichen Regionen. Ihr Seßhaftigkeitsverhalten
unterschied sich nur unwesentlich von dem der industriellen Fachkräfte.
8) Hilfsarbeiter (ungelernte Arbeiter)
(310)
Die breiteste Altersverteilung unter allen Zuzugsgruppen war unter den Hilfsarbeitern
festzustellen. Bei identischem Durchschnittsalter wie unter den angelernten Arbeitern
(28,3 Jahre)184 verteilten sich die zuwandemden Hilfsarbeiter einigermaßen gleichmäßig
auf alle Altersgruppen zwischen 17 Jahren und dem Rentenalter; eine gewisse Massierung
trat ausschließlich in der Altersgruppe von 25 bis 34 Jahren auf. Dennoch kamen fast
zwei Drittel (64,2%) von ihnen ohne Ehepartner oder sonstigen familiären Anhang in
die Industriestadt.
Nahezu 80 von 100 Hilfsarbeitern (79,2%) waren katholisch; in keinem Berufsstand
fanden sich weniger Protestanten.
Die Hilfsarbeiter kamen noch häufiger als die angelernten Arbeiter aus 30 bis 80
Kilometern Entfernung nach Malstatt-Burbach und entstammten zugleich seltener dem
unmittelbaren Saarbrücker Umland (bis 30 Kilometer). Nahezu ein Zehntel von ihnen
waren (italienische) Femwanderer, während nur bescheidene Kontingente Herkunftsorte
in der Mitteldistanz aufzuweisen hatten. Dabei waren die Hilfsarbeiter unter allen
Arbeitern am häufigsten im ländlichen Bereich beheimatet. Kaum die Hälfte (49,0%)
von ihnen wanderte aus infrastrukturell stark entwickelten Zonen zu (Rangparameter 5
bis 7), dagegen kamen 10,8 Prozent aus dem rein agrarischen Raum (Rangparameter 1
oder 2). Ihre Aufenthalte in Malstatt-Burbach glichen zeitlich gesehen weitgehend
denjenigen der Fach- und Anlemkräfte, wenngleich Wegzüge nach einer ein- bis
sechsmonatigen Frist etwas häufiger vorkamen als bei ihren höher qualifizierten Kollegen.
Folgende charakteristische Merkmalsstrukturen ergaben sich demnach in Abhängigkeit
von der Berufsgruppenzugehörigkeit der Zuwanderer ins saarländische Malstatt-Burbach:
Grundsätzlich lassen sich unter den Immigranten drei Altersgruppen unterscheiden.
Dienstboten und Zunfthandwerker (Gesellen und Lehrlinge) stellten mit einem Durch-
schnittsalter von etwa 22 Jahren sehr junge Zuwanderungskontingente. Kaufleute, techni-
sche Angestellte und industrialisierte Handwerker waren einer mittleren Alterskategorie
von durchschnittlich 26 bis 27 Jahren zuzurechnen. Beamte bzw. Angestellte des öffent-
lichen Dienstes, Facharbeiter und angelernte Arbeiter wagten dagegen den Umzug in
die Industriestadt im Schnitt erst im relativ fortgeschrittenen Alter von fast 30 Jahren.
184 Standardabweichung: 10,4 Jahre.
204
Eine sehr breit angelegte Alterstruktur hatten nur die Hilfsarbeiter (ungelernte Arbeiter)
vorzuweisen.
Dienstboten, Handwerker - darunter vor allem die Zunfthandwerker -, aber auch Hilfs-
arbeiter und (Jung-)Kaufleute erwiesen sich bezüglich des Familienstandes im Mo-
bilitätskontext als typische Einzelwanderer. Beamte und Angestellte des öffentlichen
Dienstes sowie Arbeiter des mittleren und hohen Qualifikationsniveaus waren dagegen
typische Familienwanderer. Für die Arbeiterschaft ist dabei festzuhaltcn, daß je niedriger
der Ausbildungsstand einzuschätzen ist, umso seltener mit familiärem Anhang verzogen
wurde.
Eine ähnliche Gesetzmäßigkeit ergab sich hinsichtlich der Konfessionszugehörigkeit
der Immigranten. Denn für die Gesamtheit der hier betrachteten gewerblichen Berufs-
gruppen, d.h. Handwerker und Arbeiter, offenbart sich ein stetig sinkender Protestanten-
anteil von den Zunfthandwerkern über die industrialisierten Handwerker, die Facharbeiter
und die angelernten Arbeiter hin zu den Hilfsarbeitern. Grob gesagt war im gewerblichen
Sektor Malstatt-Burbachs der Katholikenanteil einer Berufssparte umso größer, je nied-
riger deren zeitgenössisches Sozialprestige einzustufen ist. Unter den restlichen Berufs-
gruppen der Kaufleute und der Gehaltsempfänger, in eingeschränktem Maße auch unter
den Dienstboten hatten protestantische Bevölkerungsteile erhebliches Gewicht.
Bezüglich der Herkunftsgebiete der Zuzügler zeigte sich in allen Berufszweigen eine
erhebliche Konzentration auf den Bereich bis 80 Kilometer Entfernung. Die Mobilität
der Beamten und Angestellten und die Dienstbotenwanderung blieben in besonderer
Weise auf die Nahzone beschränkt, während Kaufleute, Teile der Handwerkerschaft sowie
Facharbeiter auch in nicht unbeträchtlichem Maße aus der näheren und weiteren Mitteldi-
stanz (bis 450 Kilometer) zureisten. Für die Arbeiterschaft galt, je niedriger der Qualifi-
kationsgrad umso stärker entwickelte sich der Zuzug aus dem weiteren Umland (30 bis
80 Kilometer) und umso seltener reiste man aus der engeren Agglomerationszone an,
umso seltener aber auch aus Gebieten außerhalb des 80-Kilometer-Bereiches. Eine
Ausnahme bildete die Femzuwanderung der vor Ort meist Hilfstätigkeiten verrichtenden
italienischen Arbeiter.
Zugleich bestand innerhalb der Arbeiterschaft ein eindeutiger Konnex zwischen der in-
frastrukturellen Beschaffenheit des Herkunftkreises und der fachlichen Qualifikation
des Zuzüglers: hier galt, je besser die Ausbildung, umso eher erfolgte die Anreise aus
einem urban-industriell höher entwickelten Raum. Innerhalb der Handwerkerschaft zeigte
sich die Verwurzelung des Zunfthandwerks im ländlichen bzw. des industrialisierten
Handwerks im städtischen Kontext. Kaufleute und Techniker, aber erstaunlicherweise
205
Kaufleute, kaufmännische und technische Angestellte (180, 231, 233)
mittelalt
mehrheitlich "Singles"
- stärkster Protestantenanteii einschließlich der umfangreichsten jüdischen Minderheit
urban-industrialisierte Herkunftsgebiete sowohl in der unmittelbaren Nachbarschaft wie auch
in der (erweiterten) Mitteldistanz
sehr seßhaft
Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes (227, 350)
älteste Untergruppe
Zuzug am häufigsten im Familienverband
sehr starkes protestantisches Element
Nahzone bis 80 Kilometer als primärer Herkunftsraum, dabei häufig auch aus ländlichen Gebie-
ten
außerordentlich hohe Seßhaftigkeit
Dienstboten (270, 340)
einzige überwiegend weibliche Berufssparte im Zuwanderungsgeschehen
- jüngste Untergruppe
Zuzug fast immer alleine
starke protestantische Minderheit innerhalb der Berufsgruppe
- bevorzugte Zuwanderung aus nächster Nähe der industriell-urbanen Agglomerationszone der
drei Saarstädte
typische Saisonwanderung
Zunfihandwerker (292)
sehr jung
Zuzug fast immer alleine
fast zur Hälfte evangelisch
Zuzug vornehmlich aus dem 80-Kilometer-Gürtel, dabei in erster Linie aus dörflich-agrari-
schen Kreisen der 30- bis 80-Distanz
typische Saisonwanderung
industrialisierte Handwerker (291)
mittelalt bis alt
fast die Hälfte vollzog den Wohnortwechsel mit Ehepartner bzw. mit Ehepartner und Kind(em)
mehrheitlich katholisch
Zuzug einerseits aus dem unmittelbaren Umland, andererseits vergleichsweise oft aus der
Mitteldistanz (bis 300 Kilometer), dabei vorzugsweise aus urban-industriell weiterentwickelten
Regionen
eine gewisse Ortsfestigkeit und eine saisonale Mobilität ergänzten sich hinsichtlich des
Seßhaftigkeitsverhaltens
Facharbeiter (293, 294)
relativ alt
Umzug mehrheitlich im Familienverband
zu über 60 Prozent katholisch
Herkunft eng auf urban-industriell hochentwickelte Gebiete des Nahbereiches sowie der näheren
und weiteren Mitteldistanz beschränkt
saisonale Mobilität wie auch Seßhaftigkeitstendenzen feststellbar
angelernte Arbeiter (300)
- relativ alt
Zuzug etwas seltener im Familienkreis als die Facharbeiter
deutliche (Drei-Viertel-)Mehrheit katholisch
- Einzugsbereich stärker auf die 80-Kilometer-Zone eingeschränkt als derjenige der Facharbeiter,
dazu etwas häufiger aus ländlichen Regionen
saisonale Mobilität wie auch Seßhaftigkeitstendenzen feststellbar
Hilfsarbeiter (310)
breite Verteilung über alle Altersklassen
kommen zu zwei Dritteln alleine in die Industriestadt
überwiegende fVier-Fünftel-)Mehrheit katholisch
Herkunft vornehmlich aus eher ländlichen Gebieten in 30 bis 80 Kilometern Entfernung, starke
italienische Femzuwanderungskontingente
imArbeitervergleichverstärktesaisonaieMobilitätaberauch Seßhaftigkeitstendenzenfeststellbar
Tab.41: Kurztypologie der maßgeblichen Zuwanderungskontingente nach Malstatt-Bur-
bach
206
auch Dienstboten kamen verhältnismäßig selten aus Agrarregionen, ganz im Gegensatz
zu Beamten und Angestellten, welche sich verstärkt auch aus diesem Bereich rekrutierten.
In der Verweildauer der Berufsgruppen ist eine auffällige Dichotomie hervorzuheben.
Ein typischer Aufenthalt dauerte entweder zwischen einem und sechs Monaten oder aber
gleich mehrere Jahre. Als besonders seßhaft erwiesen sich Kaufleute, kaufmännische
Angestellte, Techniker, Facharbeiter und vor allem Beamte und Angestellte des öffentli-
chen Dienstes. Saisonaufenthalte kamen typischerweise bei Dienstboten, Handwerkern
sowie z.T. auch bei industriellen Anlem- und Hilfskräften in Frage. Anfällig für
Kurzaufenthalte von bis zu einer Woche zeigten sich in erster Linie Handwerksgesellen
und -lehrlinge.
4.2 Diedenhofen
Bei der Zuwanderung ins lothringische Diedenhofen stachen vier Berufsgruppen aufgrund
ihrer Merkmalstrukturen gegenüber dem Rest der Zuzügler besonders hervor. Im
Vergleich zur saarländischen Untersuchungsgemeinde zeigte sich das Immigrationsge-
schehen hier also weniger differenziert. Im wesentlichen bedingte der verspätete Indu-
strialisierungsschub im industriellen Sektor der Festungsstadt spezifische Rekrutierungs-
probleme an qualifiziertem Fachpersonal und damit einen Immigrationsüberhang seitens
ungelernter Arbeitskräfte, während der Gamisonscharakter den Dienstbotenzuzug
außerordentlich begünstigte. Der rapide Wandel handwerklicher Tätigkeitsfelder unter
dem Einfluß der neu entstehenden industriellen Werke äußerte sich gerade in Diedenhofen
in einer augenfälligen Immigration von industrialisierten Handwerkern}*5
1. ländliche Dienstboten (Knechte und Mägde)
(270)
Unter den nach Diedenhofen zuwandemden Dienstboten lassen sich wie auch in Malstatt-
Burbach zwei Gesindekategorien ausmachen: solche, die sich selbst noch undifferenziert
als Knecht bzw. Magd bezeichnten und sich offenbar noch als Angehörige der ländlichen
Unterschicht empfanden und solche, die sich ausdrücklich einem städtisch-bürgerlichen
Milieu zurechneten.186 Die Trennungslinie zwischen diesen beiden Untergruppen ist
155 Vgl. Tab.42, S.208 und die Kurztypologie Tab.43, S.212.
136 Kocka verweist auf den Sprachgebrauch der preußischen Statistik, welche bis 1858 zwischen
landwirtschaftlichem und gewerblichem Gesinde unterschied. Er selbst arbeitet mit den Begriffen
landwirtschaftliches und häusliches Gesinde. Die in der vorliegenden Arbeit aufgrund der eigenen
empirischen Analyse getroffene Unterscheidung entspricht in etwa diesen beiden Kategorien.
Allerdings dürfte meines Erachtens der Tätigkeitsbereich der ländlichen Dienstboten in den hier
207
dabei in Diedenhofen deutlicher zu sehen als in der saarländischen Vergleichsgemeinde,
da in der Gamisonsstadt unter dem "verstädterten" Gesinde mit den Kellnerinnen ein
Berufsstand hervorstach, der in der Saarhüttenstadt nahezu unbedeutend blieb.
Cluster- Berufsklassenbezeichnung Berufsklasse
Nummer
0 [alle sonstigen] [Rest]
2 untere Angestellte (städtische Dienstboten) 340
3 Handwerker (industrialisierte Handwerker) 291
4 ungelernte Arbeiter (Hilfsarbeiter) 310
1 agrar.Unterschicht (ländliche Dienstboten) 270
Verschmelzungsschema
Tab.42 : Cluster von Berufsgruppen incl. Verschmelzungsschema für Diedenhofen 1883-
1909
Die anreisenden Knechte, vor allem aber Mägde - denn auch in Nordlothringen handelte
es sich bei der Gesindemobilität um ein ausgesprochen von Frauen dominiertes Phänomen
- waren extrem jung. Mehr als 60 von 100 ländlichen Dienstboten waren maximal 20
Jahre alt, etwa 20 von 100 Personen zählten noch nicht einmal 17 Jahre, so daß ihr
Altersdurchschnitt gerade einmal 20 Jahre betrug.187 Fast alle Knechte und Mägde
wanderten allein zu. Mehr als fünf von sechs Knechten oder Mägden (84,6%) waren
katholisch. Ebenfalls über 80 Prozent von ihnen (81,7%) stammten aus einem Umkreis
von weniger als 80 Kilometern. Nicht viel weniger als die Hälfte von ihnen hatte sich
zuvor in ausgesprochen agrarisch geprägten Regionen aufgehalten. Das ländliche Gesinde
verweilte zumeist zwischen einem Monat und einem halben Jahr in Diedenhofen; unge-
fähr ein Drittel blieb länger als ein halbes Jahr bis hin zu einem mehr als einjährigen
Aufenthalt präsent. Knechte und Mägde zählten damit keineswegs zu den höchstmobilen
Bevölkerungsteilen Diedenhofens.
betrachteten Untersuchungsgemeinden keineswegs auf außerhäusliche Verrichtungen beschränkt
gewesen sein, ebenso wie städtische (häuslich-gewerbliche) Dienstboten auch für Hof, Stall und
Werkstatt zuständig gewesen sein konnten. Kriterium für die Einordnung der verschiedenen
Dienstboten in eine der beiden Gesindekategorien ist vielmehr der Grad ihrer Einbindung in die
agrarische Lebenswelt, welcher sich in der beruflichen Eigenbezeichnung ausdrückte, d.h. unter
anderem der Grad der mentalen Akzeptanz sowie der bewußten Integration in den urban-
bürgerlichen Bereich. Vgl. speziell hierzu Kocka, Arbeitsverhältnisse, S.112ff. Eine umfassende
Darstellung des Wandels häuslicher Gesindetätigkeit im Verlauf des 19. Jahrhunderts findet sich
ebda., S.111-145.
187 Das Altersmittel unter dem ländlichen Gesinde lag bei 203 Jahren mit einer Standardabwei-
chung von 5,1 Jahren.
208
2. städtische Dienstboten (Dienstknechte, Dienstmägde, Kellnerinnen")
(340)
Diese Art der Hausangestellten war mit einem Durchschnittsalter von zirka 22 Jahren
zwar ebenfalls recht jung, in nur 38 Prozent der Fälle allerdings unter 21 Jahren.188
In der Regel zählten sie zwischen 21 und 24 Jahren, nicht wenige waren 25 Jahre und
älter. Ausschließlich Ledige vertraten diesen Berufsstand im Zuwanderungsstrom. Für
lothringische Verhältnisse war der Protestantenanteil von ungefähr einem Viertel relativ
hoch. Ihr Rekrutierungsschwerpunkt lag wie bei den ländlichen Dienstboten in erster
Linie innerhalb der 80-Kilometer-Distanz, Zuzüge aus der Mitteldistanz von bis zu 300
Kilometern Entfernung kamen jedoch durchaus öfter vor, wobei 60 Prozent der Her-
kunftsregionen zumindest einem mittleren urban-industriellen Entwicklungsniveau
(Rangparameter 3 oder 4) zuzuordnen waren. Eine besondere Eigenheit dieser Berufs-
gruppe war ihre Neigung zu Kurzaufenthalten von weniger als einem Monat oder auch
von weniger als einer Woche. Vorzugsweise verließen die städtischen Dienstboten die
Gemeinde jedoch im Zeitraum zwischen einem Monat und einem halben Jahr.
Insgesamt zeigten sich also innerhalb des Dienstbotenstandes der Stadt Diedenhofen zwei
Berufsbilder mit eminent unterschiedlichen Merkmalsausprägungen. Phänotypisch setzten
sich die sehr jungen Bauemmägde, die in der Regel aus den katholischen Agrarregionen
Lothringens und Luxemburgs stammten und deren Umzugsverhalten weniger von der
ansonsten beklagten Unstetheit bestimmt war, sehr deutlich von den städtischen Dienst-
boten ab. Die Angehörigen jener Berufsgruppe, welche in der Gamisonsstadt quantitativ
von den Kellnerinnen dominiert wurde, waren im Schnitt zwei Jahre älter, kamen ver-
stärkt aus nicht unmittelbar benachbarten und z.T. erheblich verstädterten Regionen,
verfügten nicht zuletzt daher zu 75 Prozent weder über die elsaß-lothringische noch die
luxemburgische Staatsbürgerschaft und verließen die Gemeinde auffallend oft bereits nach
außerordentlich kurzen Aufenthalten.
Daraus ist zweierlei zu schließen:
Zum einen hatte sich offensichtlich in der Stadt Diedenhofen mit seinem ursprünglich
rein ländlichen Kontext noch kein dezidiert städtisches Gesinde ausgebildet. Die
Begrifflichkeit einer Dienstmagd war wesentlich seltener gebräuchlich als im saarlän-
dischen Fall. Den Dienstbotensektor teilten sich nicht wie in Malstatt-Burbach Mägde
und Dienstmägde, die beide in der Industriestadt als Hausangestellte tätig waren - wenn-
gleich mit einem recht unterschiedlichen Sozialisierungshintergrund. In Diedenhofen ist
zwischen Mägden und Kellnerinnen zu unterscheiden. Der Oberbegriff Mägde kenn-
zeichnet dabei ganz allgemein den Bereich des häuslichen Gesindes, das aufgrund der
188 Durchschnittsalter: 22,6 Jahre; Standardabweichung: 7,5 Jahre.
209
spezifischen Lage der Kommune überwiegend aus dem agrarischen Hinterland rekrutiert
wurde.
Der Begriff Kellnerinnen - und dies wäre der zweite Gesichtspunkt - bezeichnet das
in Diedenhofen besonders zahlreich zuwandemde weibliche Gaststättenpersonal, wovon
viele, wenn nicht deren Mehrzahl, als Prostitutierte zu identifizieren sind. Beleg hierfür
ist u.a. eine ausgedehnte Kellnerinnendebatte, welche die kommunalen und staatlichen
Gesundheits- und Aufsichtsbehörden nach der Jahrhundertwende beschäftigte.189 Es
handelte sich bei dieser Berufsfonnation also nicht um Gesinde im eigentlichen Sinne.
Das Wanderungsverhalten der Kellnerinnen stand nicht zuletzt auch darum Mobilitäts-
mustem anderer Gesindegruppen diametral entgegen: das massive Auftreten, die relativ
weiten Anzugswege, häufige Stadt-Stadt-Wanderungen und extreme Kurzaufenthalte
gerade der Kellnerinnen lassen sich unter dem Aspekt der allgemeinen beruflichen Rah-
menbedingungen und der gesellschaftlichen Ächtung von Prostituierten, unter Berücksich-
tigung einer zugleich erhöhten Nachfrage über die Militärpräsenz in Diedenhofen, leicht
erklären. Das Dienstbotenwesen in der lothringischen Gemeinde wies von daher große
Unterschiede zu demjenigen von Malstatt-Burbach oder auch Esch auf.
3. industrialisierte Handwerker
(291)
Wie in Malstatt-Burbach bildeten die Handwerker mit industriellem Hintergrund eine
der herausragenden Immigrantengruppen Diedenhofens - allerdings ohne eine Ent-
sprechung in Form zuwandemder Zunfthandwerker.
Die Altersstruktur der industrialisierten Handwerker in Diedenhofen entsprach dabei
derjenigen der gleichen Berufskategorie in der Saarhüttenstadt. Das Altersmittel betrug
hier wie dort etwa 27 Jahre190. Die Altersgruppe der 25- bis 34jährigen war in beiden
Kommunen am stärksten vertreten.
Immerhin ein Fünftel von ihnen zog mit Ehepartner bzw. mit Ehepartner und Kind(em)
zu. Wie unter den städtischen Dienstboten gehörte näherungsweise ein Viertel der
evangelischen Kirche an. Der Distanzbereich, dem die industrialisierten Handwerker ent-
stammten, entsprach ebenfalls ungefähr demjenigen des städtischen Gesindes, wobei die
Handwerker etwas seltener längere Strecken zurücklegten. Anders als an der Saar
verteilten sie sich dabei recht gleichmäßig auf Regionen von unterschiedlichstem infra-
strukturellem Entwicklungsniveau. Weder der dörflich-ländliche noch der urban-
189 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel F.
190 Das Durchschnittsalter der industrialisierten Handwerker in Diedenhofen belief sich auf 27,5
Jahre (Malstatt-Burbach: 27,4 Jahre) bei einer Standardabweichung von 9,5 Jahren (Malstatt-
Burbach: 9,7 Jahre).
210
industrielle Raum stellten in überproportionaler Weise Arbeitskräfte für diese Berufssparte
zur Verfügung. Die Mobilitätsbereitschaft der Berufsgruppe kennzeichneten gehäufte
Umzüge bereits vor Ablauf eines halben Jahres. Eine gewisse Tendenz zum Verbleib
über Zeitspannen von bis zu einem Jahr und länger war jedoch nicht zu übersehen.
4. Hilfsarbeiter
(310)
Die ungelernten Arbeiter bildeten die relativ älteste der auffälligen Zuzugsgruppen in
die Industriestadt an der Mosel. Stark besetzt waren die Altersgruppen von 17 bis 20
Jahren sowie von 25 bis 34 Jahren; allein ein Viertel von ihnen war aber bereits älter
als 35 Jahre, so daß ihr Durchschnittsalter mit 29 Jahren zu beziffern ist.191
Der Anteil der Hilfsarbeiter, welche im Familienkreis zuzogen, war für Diedenhofener
Verhältnisse vergleichsweise hoch, da es sich nur bei drei von vier ungelernten Arbeitern
um Individualzuwanderer handelte.
Gleichzeitig beanspruchte diese Berufssparte die höchste Katholikenquote in der
Immigrantenschaft: nur zehn Prozent von ihnen waren protestantisch, 90 Prozent aber
katholisch.
Der Zuzug erfolgte in erster Linie aus der Nahzone (bis 80 Kilometer), beinhaltete aber
auch die in Lothringen besonders zahlreichen italienischen Femwanderer. Aus Regionen
der Mitteldistanz blieben Hilfsarbeiter weitestgehend aus. Dabei entstammten sie ebenso
häufig ländlichen wie urbanen Räumen, seltener aber Regionen, deren Infrastruktur
mittelmäßig ausgebildet war (Rangparameter 3 oder 4). Wie bei allen Malstatt-Burbacher
Arbeiterkategorien als auch bei den Diedenhofener industrialisierten Handwerkern kamen
bezüglich der Aufenthaltsdauer der zuziehenden Hilfsarbeiter sowohl eine Saison- als
auch eine Seßhaftigkeitskomponente zum Tragen.
Fassen wir noch einmal zusammen: In besonderem Maße prägten vier Immigrations-
gruppen das Wanderungsgeschehen in Diedenhofen. Grundsätzlich wiesen diese Verbände
analoge Merkmalstrukturen zu den vergleichbaren Gruppierungen in der Saarhüttenstadt
auf. Dennoch zeitigten die unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen in Diedenhofen
teilweise erheblich von der Immigration nach Malstatt-Burbach abweichende Binnenwan-
derungsphänomene. Der Zuzug qualifizierter Industriearbeiter hatte nicht den ent-
scheidenden Stellenwert wie andernorts; die Hilfsarbeiterimmigration bildete die
maßgebliche Komponente im klassischen Arbeitermilieu. Der handwerkliche Bereich
wurde weitgehend durch den umfangreichen Zuzug industrialisierter Handwerker über-
191 Altersmittel: 28,9 Jahre, Standardabweichung: 10,7 Jahre. Die Verteilung auf die Altersklassen
war vergleichbar Malstatt-Burbach relativ breit gestreut.
211
formt. Unter der Berufsbezeichnung Kellnerin traten in der lothringischen Gamisonsstadt
anders als am saarländischen Industrieort in erhöhtem Maße Prostituierte auf den Plan.
ländliche Dienstboten (270)
weibliche Bemfssparte
- jüngste Untergruppe
Zuzug fast immer alleine
in 5 von 6 Fällen katholisch
bevorzugte Zuwanderung aus ländlichen Kreisen der 80-Kilometer-Zone
typische Saisonwanderung im Halb- bis Ein-Jahres-Rhythmus
städtische Dienstboten (340)
weibliche Berufssparte
junge Untergruppe (dabei älter als ländliche Dienstboten)
darin Sonderfaü: Prostituierte
Zuzug fast immer alleine
vergleichsweise hoher Protestantenanteil (ein Viertel)
Herxunftsgebiete zum einen in der Nahzone, zum anderen verstärkt aber auch in der Mittel-
distanz (bis 300 km) und dabei in erster Linie aus Regionen mit mittlerem Entwicklungsniveau
ausgeprägte Neigung zu Kurzaufenthalten von maximal einem Monat, häufig Saisonaufenthalte
von bis zu einem haben Jahr
industrialisierte Handwerker (291)
mittelalt bis alt
Zuzug in einem von fünf Fällen mit Ehepartner bzw. mit Ehepartner und Kind(em)
vergleichsweise hoher Protestantenanteil (ein Viertel)
Zuzug einerseits aus dem immittelbaren Umland, andererseits vergleichsweise oft aus der
MitteTdistanz (bis 300 Kilometer), dabei gleichmäßig aus Regionen aller Entwicklungsniveaus
saisonale Mobilitätsmuster und eine gewisse Ortsfestigkeit ergänzen sich hinsichtlich des
Seßhaftigkeitsverhaltens
Hilfsarbeiter (310)
relativ älteste Untergruppe, dabei: breite Verteilung über alle Altersklassen
Zuzug in einem von vier Fällen mit Ehepartner bzw. mit Ehepartner und Kind(em)
größter Katholikenanteil von allen auffälligen Zuzugs gruppen nach Diedenhofen
Herkunft vornehmlich aus eher ländlichen Gebieten in 30 bis 80 Kilometern Entfernung, starke
italienische Femzuwanderungskontingente
saisonale Mobilitätsmuster und eine gewisse Ortsfestigkeit ergänzen sich hinsichtlich des
Seßhaftigkeitsverhaltens
Tab.43 : Kurztypologie der maßgeblichen Zuwanderungskontingente nach Diedenhofen
Eigens hervorzuheben ist die aufgrund der verspäteten Industrialisierung und gehemmten
Stadtentwicklung nur sehr zögerliche Ansiedlung von Familien, welche sich bei allen
wesentlichen Zuwanderungsgruppen im Vergleich zu Malstatt-Burbach durch eine
überproportionale Individualmigration bemerkbar machte. Zudem zeigt sich, daß der auch
in Lothringen feststellbare Wandel der Konfessionsverhältnisse in einem nicht zu unter-
schätzenden Maße durch vergleichsweise starke protestantische Minderheiten in zwei
der vier auffälligen Zuwanderergruppen (industrialisierte Handwerker und städtische
Dienstboten) zustande kam, bedingt durch die beiden Subpopulationen, welche zumindest
partiell auch aus der Mitteldistanz anreisten.
212
E.
Die Ausformung räumlicher Sozialbeziehungen
in Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz. :
Viertelbildung zwischen Mobilität und Sesshaftigkeit
Die Quantität und die Qualität der Wanderungsbewegungen, welche im vorangehenden
Kapitel ausführlich dargelegt wurden, werfen Fragen auf nach den Folgen der Migrationen
für das sozialräumliche Gefüge der Städte.
In welchem Ausmaß und in welcher Lage zum alten Ortskem wurde erstens das
Besiedlungsterrain der untersuchten Gemeinden ausgeweitet, und inwiefern kam es zwei-
tens zur räumlichen Abgrenzung seitens der am Zuzugsgeschehen beteiligten Sozialgrup-
pen?
Wie hoch war der Grad der sozialen Durchmischung in den Industriestädten? Ist für die
Untersuchungsperiode in der Regel ein Viertelbildungsprozeß zu unterstellen, so daß
bestimmte Straßenzüge schwerpunktmäßig in der Hand einzelner Berufsgruppen oder
Landsmannschaften waren? Möglicherweise ergab sich die gesellschaftliche Differenzie-
rung in stadttopographischer Hinsicht eher vertikal, denn horizontal, in dem Sinne, daß
beispielsweise Kaufleute, Verwaltungsangestellte und Arbeiter in derselben Straße oder
gar im selben Haus wohnten, wobei sich deren sozialer Status nur in der Lage der
Wohnung innerhalb des Hauses (Erdgeschoß, "Belle-Etage", Dachgeschoß) ausdrückte.
Schließlich bleibt noch zu erörtern, wie lange überhaupt Wohnraum in der Regel genutzt
wurde.
Die Leitfragc im folgenden lautet ganz allgemein: Nach welchen Mustern vollzog sich
innerhalb der Städte die Aneignung und Ablegung von Wohnraum während der wan-
derungsintensiven Hochindustrialisierungsperiode?
a) Die Frequentierung und Expansion des Stadtraumes infolge der Zu-
zugsmobilität
In allen drei Untersuchungsgemeinden kam es sowohl zu einer Verdichtung als auch zu
einer bedeutenden Ausdehnung der vor der Industrialisierung bestehenden Siedlungs-
flächen.1
Nach Gründung des Hüttenwerks (1856) wuchsen die beiden Dörfer Burbach und
Malstatt rapide aufeinander zu. Ansatzpunkte waren die beiden Ortskeme rechts und
links der Industrieanlagen, welche sich einerseits verdichteten und andererseits räumlich
auf den Industriebetrieb hin orientierten. Später fand die Stadt Malstatt-Burbach Anschluß
an die ’’Neustadt'’ des Nachbarortes St.Johann mit dem Bahnhofsviertei und der
1 Vgl. die schematischen Kartendarstellungen in Abb.27-29,S.214f.
213
Abb.27 : Die Siedlungsfläche von Malstatt-Burbach 1850
und 1905
Abb.28 : Die Siedlungsfläche von Esch/Alz. 1850, 1871 und 1905
214
Abb.29 : Die Siedlungsfläche von Thionville/ Diedenhofen zu Beginn des 19. Jahr-
hunderts und 1905
215
Königlichen Bergwerksdirektion. Desweiteren begann sich ihr Siedlungsbereich entlang
der Verkehrsachsen am rechten Saarufer nach Westen sowie in den hügligen Waldbereich
nach Norden hin bandförmig aufzufächem. Planungen zur flächenmäßigen Erschließung
des Saarufers und des nördlichen Stadtrandes bestanden bereits seit der Jahrhundertwende.
Im großen Stile erfolgte die Bebauung allerdings erst nach 1918.
Eine ebenso dynamische Entwicklung erfuhr das südluxemburgische Esch, wo ausgehend
von einem alten dörflichen Siedlungskem neue Wohngebiete in Ausrichtung auf den
Bahnhof, die "Rote-Erde-Hütte" und die Stollenmundlöcher der Erzminen entstanden.
Eingeschränkt wurde diese süd- bis südwestliche Ortserweiterung durch die Grenzlage
der Gemeinde. Die räumliche Verdichtung des Ortszentrums wurde durch die relative
Nähe des unmittelbar nordöstlich anschließenden Geländes des ältesten ortsansässigen
Hüttenwerkes, der "Metze Schmelz", gefördert. Unmittelbare Folge des rasanten indu-
striellen Wachstums in Esch selbst war letztlich auch die schnelle Expansion und enge
Anbindung des Siedlungsraumes der nordöstlichen Annexe Schifflingen an die
Kemgemeinde, Nach der Ansiedlung eines dritten Hüttenwerkes (Esch-Belval) wurde
in den letzten Jahren vor dem Weltkrieg sowie in der Zwischenkriegszeit das gesamte
Terrain westlich des ehemaligen Dorfes erschlossen.
Das lothringische Diedenhofen war bis um die Jahrhundertwende von Festungsmauem
umgeben. Diese Einengung bedingte die intensivste Nutzung des verwinkelten Innenstadt-
bereiches, was zu einer hochgradigen Siedlungsverdichtung im Stadtzentrum führte. Selbst
nach der Niederlegung der Wälle (1898) bildete der Stadtkern noch den maßgeblichen
Wohnbereich der Gemeinde. Erweitert wurde die Siedlungsfläche zuerst auf einem den
ehemaligen Festungsanlagen vorgelagerten Terrain. An die im Jahre 1898 im äußersten
Südwesten des Stadtgebietes gegründete "Karlshütte" gliederte sich in Orientierung auf
die Altstadt hin der Wohnbezirk Beauregard an. Verhältnismäßig schleppend ging die
Stadt erst ab dem Jahre 1902 an die bauliche Erschließung des zuvor befestigten Areals,
welches sie vom Militär käuflich erworben hatte.2 Ringförmig dehnte sich die Stadt
daraufhin um das alte Stadtzentrum aus. Bis 1914 konnte die Stadterweiterung jedoch
erst ansatzweise verwirklicht werden.
Wie vollzog sich nun aber konkret diese städtische Expansion unter dem Einfluß der
Binnenwanderung?
In keiner der drei Städte ergoß sich der Zuwandererstrom gleichermaßen heftig in alle
Gemeindebezirke. Auszugehen ist vom "Nebeneinanderbestehen einer hochmobilen
2 Die Stadterweiterung Diedenhofens erfolgte auf der Grundlage eines Planes, welchen Joseph
Stübben im Jahre 1902 erstellt hatte, sowie einer ins gleiche Jahr zu datierenden Bauordnung.
Vgl. hierzu Wittenbrock, Bauordnungen, S.217ff.
216
Gruppe und einer sich nach der Wanderung rasch konsolidierenden Gruppe".3 Ein hoch-
gradiger Immigrationsdruck bestand jeweils nur in einigen Lagen, in anderen Vierteln
war weniger vom hektischen Kommen und Gehen der mobilen Bevölkerungsteile zu
spüren.
Welche waren die meistfrequentierten Stadtviertel? Wo äußerte sich der Bevölkerungs-
ansturm auf die Industriestädte am vehementesten?
Über eine kontinuierliche Zuwanderung erfolgte in der Regel vom alten Besiedlungskem
aus eine gleichmäßige Verdichtung des bebauten Geländes und eine langsame Aus-
dehnung nach außen. Hier unterlagen die Kommunen einer mehr oder weniger harmoni-
schen räumlichen Expansion. Ergänzend hierzu befanden sich an den Stadträndern häufig
die unruhigsten Wachstumszonen, welche unter einem permanenten, extrem hohen
Wanderungsdruck standen. Die schnelle Errichtung minderwertigen Wohnraums in Form
von Barackensiedlungen war in diesen Bezirken eine der möglichen Konsequenzen.
Bezogen wurden solche Straßen üblicherweise von Arbeitern, zumeist unqualifizierten
(Saison-) Arbeitern. Aber auch Straßenzüge mit einem hohen bürgerlichen Bevölkerungs-
anteil gehörten teilweise zu den meistfrequentierten Wohnbezirken. Die gesteigerte
Zuzugsquote in diese Viertel ist sicherlich auf den fortwährenden Zu- und Abzug von
Dienstbotenpersonal in bzw. aus bürgerlichen Haushalten oder auch Handwerks- und
Gaststättenbetrieben zurückzuführen. Außerdem lebten in den Industriestädten der Saar-
Lor-Lux-Region selbst in den "bürgerlichsten" Straßen stets umfangreiche Kontingente
der im allgemeinen recht mobilen Arbeiterschaft.
Die meisten Zu- und Abzüge unter den Malstatt-Burbacher Arbeiterstraßen hatten der
Jenneweg, die Gersweilerstraße (heute: Burbacher Straße), die Parallelstraße, die
Blumenstraße (heute: Wörtherstraße), der Sittersweg und die Ludwigsbergstraße zu
verkraften, welche noch um 1910 allesamt in ziemlicher Randlage zur städtischen
Siedlungsfläche situiert waren. (Abb.30) In jedes Haus im Jenneweg zogen nach überaus
vorsichtiger Schätzung jedes Jahr durchschnittlich mindestens sechs bis sieben Mietpar-
teien von außerhalb Malstatt-Burbachs ein; Umzüge innerhalb der Gemeinde sind dabei
noch nichteinmal berücksichtigt worden. Innerhalb von 20 Jahren wohnten demnach im
Schnitt in jedem Haus dieser Straße 130 unterschiedliche Mietparteien. (Tab.44)4
3 Vgl. Bleek, Mobilität, S.ll.
4 Bei den in Tab.44 sowie in Tab.45 angegebenen Zuzugsziffem handelt es sich um Schätzwerte
über die durchschnittliche jährliche Häufigkeit von Zuzügen in die Häuser einer Straße durch
Immigranten von außerhalb der Gemeinde. Die Grundlage dieser Kennziffer büdete neben den
inmigrationszahlen für die einzelnen Straßen und der Kenntnis ihres Besiedlungszeitraumes der
im Jahre 1890 (für Diedenhofen im Jahre 1900) gegebene Häuserbestand. Im Kontext einer
dynamischeren Migrations- als Wohnungsbauentwicklung dürften die Resultate eher zur Unter-
ais Überschätzung neigen. Dennoch sollte ihr Schätzungscharakter hinsichtlich ihrer inhaltlichen
Relevanz stets berücksichtigt bleiben.
217
Unter den meistfrequentierten Straßenzügen aus dem eher bürgerlichen Milieu sind die
St.Johanner Straße, die Alleestraße und der Marktplatz hervorzuheben. In der Alleestraße
war beispielsweise in jedem Haus öfter als dreimal pro Jahr mit dem Zuzug eines
Neubewohners, der aus einer anderen Gemeinde stammte, zu rechnen. Jedes Haus erlebte
damit im Laufe von 40 Jahren durchschnittlich 135 Zuzüge, was wiederum als eine äu-
ßerst vorsichtige Schätzung anzusehen ist.
In den Häusern der ruhigeren Innenstadtviertel kam es dagegen schätzungsweise alle zwei
bis fünf Jahre zu einem Neubezug von außerhalb der Gemeinde.
Zu den vom Wände -
rungs- und Um-
zugsgeschehen quasi
nicht tangierten
Stadtbezirken zählten
in erster Linie die
Hausbesitzerviertel,
welche auf der
Grundlage einer be-
trieblichen Klein-
wohnungsbauförde-
rung durch die Hüt-
te, die Bergverwal-
tung oder den Bahn-
fiscus im Stadtteil
Rußhütte, am St.Jo-
hanner Bahnhof so-
wie in der Hütten-
straße und der
Lehmkaul errichtet worden waren.
Ähnliches findet sich in Diedenhofen. (Tab.45, Abb.31)J Allerdings war hier der
Innenstadtbereich aufgrund der militärisch bedingten Beschränkung der Siedlungsfläche
wesentlich stärker von Zuzügen betroffen als etwa in den beiden Vergleichsstädten Mal-
statt-Burbach und Esch/Alz. Hauptzuzugsgebiet, vor allem für Arbeiter, stellte aber auch
in der lothringischen Garnisonsstadt mit Beauregard ein vorgelagerter Stadtteil dar. Eben-
falls sehr vorsichtig geschätzt betrug in den Häusern der meistfrequentierten Straßen des
Diedenhofener Ortszentrums die Zahl der jährlichen Zuzüge von auswärts vier bis sechs,
Straße Straßencharakter geschätzte Mindestzahl der jährlichen Zuzüge pro Haus auf der Basis des Häuserbestan- des von 1890
Jenneweg proletarisch
StJohanner Straße bürgerlich 5,0
Gersweiler Straße proletarisch 4,9
Alleestraße bürgerlich 3,4
Hafenstraße gemischt 2,2
Bluraenstraße proletarisch 1,8
Parallelstraße proletarisch 1,8
Marktplatz bürgerlich 1,8
Lebacher Straße gemischt 1,6
Sittersweg proletarisch 1,6
Ludwigsbergstraße gemischt bis proletarisch 1,7
Tab.44 : Die seitens auswärtiger Zuzügler meistfrequentierten
Straßen in Malstatt-Burbach 1856-1909
s Vgl. Anm.4.
218
in den Häusern der Beauregarder Straßenzüge sogar zwischen sieben und acht!6 Sonstige
innerörtliche Bereiche dürften immerhin noch zwei- bis dreimal pro Jahr und Haus von
Neubezügen betroffen gewesen sein.
Straße heutiger Straßenname geschätzte Mindestzahl der jährlichen Zuzüge pro Haus auf der Basis des Häuserbe- standes von 1900
“Beauregard 7,7
Potemenstraße me de la poterne 5,7
Bannofenstraße me du four banal 5,1
Paradeplatz boulevard Maréchal Foch 4,7
Brandstraße me brûlée 4,6
Merschstraße me du Mersch 3,8
Alte Rathausstraße me de l'Hôtel de Ville 3,8
Collegiums traße me du collège 3,8
Tab.45 : Die seitens auswärtiger Zuzügler meistfrequentierten Straßen in Diedenhofen
1883-1909
Die restlichen auf städtischem Bann befindlichen Vororte, welche angesichts der
Rayonbestimmungen der Vaubanschen Festungsanlagen relativ weit vom Stadtkern
entfernt lagen, blieben vor dem ersten Weltkrieg vom intensiven Wanderungsgeschehen
weitgehend ausgeschlossen. In die Häuser der Dörfer Malgringen, Ober- wie Untergen-
tringen, Briquerie und St.Franz hielten wahrscheinlich jeweils nicht häufiger als alle ein
bis drei Jahre Neubürger Einzug.
Für das luxemburgische Esch lassen sich solche Hausfrequentierungsziffern leider nicht
ermitteln. Eine im Jahre 1908/1909 publizierte Kommunalstatistik über die Bezugsdauer
von Wohnungen bestätigt jedoch auch für Esch eine gesteigerte Fluktuation im exponier-
ten Grenzviertel. Hier betrug die mittlere Bezugsdauer von Wohnungen nur etwas über
zwei Jahre (2,2 Jahre) im Gegensatz zu fast drei Jahren (2,9 Jahre) im engeren Escher
Kembereich. Anhand dieser zeitgenössischen Untersuchung ist auch ersichtlich, daß die
Bezugsdauer von Wohnungen bzw. Häusern eminent von der Größe und Güte der Woh-
6 Im Ortsteil Beauregard wurde daher schätzungsweise jedes Haus im Zeitraum von 25 Jahren
durchschnittlich von 200 Neuzuzüglem aufgesucht. Die meistfrequentierten Innenstadtstraßen
erlebten im selben Zeitraum durchschnittlich 100 bis 150 Zuzüge pro Haus.
219
220
Abb.31 : Die meistfrequentierten Straßen in Diedenhofen 1883-1909
221
nungen abhing. Einerseits bestand die kürzeste Bezugsdauer, d.h. die höchste Neubezugs-
quote, hinsichtlich sehr kleiner Domizile. Ein-Zimmer-Wohnungen wechselten bereits
nach einem bis anderthalb Jahren ihre Mieter, geräumige Wohnungen mit mehr als sechs
Zimmern blieben durchschnittlich vier bis fünf Jahre von derselben Mietpartei bewohnt.7
Andererseits häuften sich die Zu-, Ab- und Umzüge ganz besonders in den
überquellenden Arbeitervierteln, Grenz und Brill, wo pro Haus - und diese waren in der
Regel keineswegs außergewöhnlich groß gebaut - zwischen 20 und 40 Bewohnern ihr
(nicht umsonst meist kurzfristiges) Dasein fristeten.8
b) Sozialtopographische Muster innerstädtischer Wohnortwahl
Bei den Wanderungsbewegungen im städtischen Kontext handelte es sich um ein sehr
komplexes Geschehen. Das Ansiedlungsverhalten der Zuzügler wurde von den ver-
schiedensten Faktoren bestimmt. Die Nähe zum Arbeitsplatz, das Wohnraumangebot ein-
schließlich des aktuellen Mietpreisniveaus, die Familiengröße, aber auch die bestehende
Sozialtopographie in der Anzugsgemeinde beeinflußten die Domizilwahl sicherlich ent-
scheidend mit. Dabei dürfte nicht nur der Beruf des Neuankömmlings eine Rolle gespielt
haben, sondern auch seine regionale Herkunft, seine sprachliche Heimat, unter Umständen
auch sein Alter und ob der betreffende einen längeren oder kürzeren Aufenthalt beab-
sichtigte.
Die innerstädtische Wohnortwahl der Immigranten nach Diedenhofen und Malstatt-
Burbach sowie der Einwohnerschaft von Esch/Alz. wurde daher unter den Gesichts-
punkten Beruf, Herkunft, Konfession, Alter und Aufenthaltsdauer untersucht. In einem
ersten Schritt galt das Interesse allen Zuwanderem, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit
zu einer sozialen Schicht, in einem zweiten Schritt ausschließlich den Arbeitern.
Als entscheidende Variablen konnten unzweifelhaft der Beruf, die regionale Herkunft
und die Konfession ermittelt werden, während das Alter und die (beabsichtigte) Auf-
enthaltsdauer offensichtlich weniger ausschlaggebend für die Domizilwahl waren. Daß
dabei in einem gewissen Umfang Autokorrelationen zwischen der regionalen, kon-
7 Vgl. Häuser- und Wohnungsuntersuchung in den Gemeinden Differdingen, Düdelingen,
Esch/Alz., Hollerich, Arsdorf, Mertert, Rodenburg und Klerf, Teil II: Wohnungsstatistik, hg. vom
Großherzogtum Luxemburg, (=Publikationen der ständigen Kommission für Statistik, H.XVIII),
Luxemburg 1909, S.168.
* Vgl. Häuser- und Wohnungsuntersuchung in den Gemeinden Differdingen, Düdelingen,
Esch/Alz., Hollerich, Arsdorf, Mertert, Rodenburg und Klerf, Teil I: Häuserstatistik, hg. vom
Großherzogtum Luxemburg, (=Publikationen der ständigen Kommission für Statistik, H.XVI),
Luxemburg 1908, Anhang: S.20f.
222
fessionellen und beruflichen Heimat von Immigranten bestanden, haben die vorangegan-
genen Abschnitte ja schon gezeigt. D.h. leicht überspitzt gesagt, daß bestimmte Berufs-
gruppenschwerpunktmäßigbestimmtengeographischen Rekrutierungsräumenzugeordnet
werden konnten, die darüber hinaus in manchen Fällen eine charakteristische Konfes-
sionsstruktur vorzuweisen hatten.
1. Malstatt-Burbach
In den zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegebenen 119 Straßen bzw. Teilstraßen der
saarländischen Hüttenstadt kam es im Zuge der Migrationsbewegungen allgemein gesehen
zu einer recht starken sozialen Durchmischung. Gesellschaftlich relativ weitreichend
entflochtene Straßenzüge bestanden nur im östlichen Teil des an die Stadtgemeinde
St.Johann grenzenden Stadtbezirks Malstatt.
Dennoch läßt sich das Siedlungsgebiet der Kommune Malstatt-Burbach für den Untersu-
chungszeitraum in sechs bzw. fünf sozialtopographisch relevante Siedlungskategorien
unterteilen. Neben mehr oder weniger dem Arbeitermilieu zuzuordnenden Straßen hatten
sich zwei (klein-)bürgerlich akzentuierte Wohnbereiche sowie zwei weitere, durch unter-
schiedliche sozioprofessionelle Mischkulturen charakterisierte Ansiedlungseinheiten
herausgebildet (Tab.46 u. Abb.32, S.245).9
9 Die folgenden Ausführungen basieren auf einer Clusteranalyse über den Straßenbestand
(=Klassifikationsobjekte)der Stadt Malstatt-Burbach zu Beginn des Jahres 1911. Die sehr langen
und dicht bebauten Straßen (Berg-, Breite-, Ludwig-, Luisen- und Wilhelmstraße) wurden hierzu
aus Praktikabilitätsgründen zweigeteilt. Um einer Verfälschung der Analysergebnisse vorzubeugen,
wurden in diesem Zusammenhang einzelne ansiedlungsrelevante Einrichtungen aus den betreffen-
den Straßen ausgeklammert und diesen als Klassifikationsobjekte gleichgestellt. Dazu gehören
z.B. die Schlafhäuser. Die Relevanz dieser Unterscheidung konnte im Zuge des Clustering jedoch
nicht erwiesen werden. Als Klassifikationsmerkmale wurden jeweüs der Beruf, die geographische
Herkunft, die Konfessionszugehörigkeit, das Alter und die Aufenthaltsdauer der Zuzügler, die
in einzelnen Straßen ihr Domizil bezogen, berücksichtigt. Das formale Verfahren legte eine 6-
Cluster-Lösung nahe, wobei der in Tab.46 mit der Ziffer 0 gekennzeichnete Cluster einen hetero-
genen Restcluster darstellt, welcher aus der inhaltlichen Besprechung ausgeklammert wurde.
Cluster-Nr.O enthält vorwiegend kürzere, schwach frequentierte Straßen. Resultat der Cluster-
analyse ist eine Zusammenstellung gesellschaftlich sehr ähnlich strukturierter Straßenzüge, unab-
hängig von ihrer räumlichen Lage zueinander. Die eventuell sinnvolle Betrachtung kleinerer
Bezugseinheiten, beispielsweise einzelner Häuser oder Häuserzeilen, konnte im Rahmen dieser
Studie nicht geleistet werden. Vgl. auch Clusteranalyse in Kapitel D, S.196ff. und die methodi-
schen Erläuterungen in Anhang C2.
Zu beachten ist, daß der zeitgenössische Straßenbestand die Grundlage der Analyse büdete.
Benutzte Straßennamen können daher von der heutigen Nomenklatur abweichen, weil die Straßen-
namen ab der Jahrhundertwende mehrfach reformiert wurden. Die heutige Namensform wird im
Text jedoch in der Regel ergänzend genannt. An dieser Stelle ist noch zu erwähnen, daß die
eingangs zitierte Malstatt-Burbacher Wilhelmstraße heute den westlichen Teü der Hochstraße
einnimmt und die Luisenstraße seit dem Jahre 1906 Luisenthaler Straße heißt.
223
1) Das "Bürgerviertel11: St.Johanner- und östliche Breitestraße
Der östliche, unmittelbar im alten Malstatter Ortskem gelegene Teil der Breitestraße
sowie die St.Johanner Straße, welche den Stadtbezirk Malstatt mit dem auf St.Johanner
Bann situierten Hauptbahnhof der drei Saarstädte verband, besaßen besondere Attraktivität
für bürgerliche Zuzügler.
In Malstatt-Burbach bildete sich aber nicht wie etwa an den malerischen Hängen des
Triller oder des Petersberges auf der Saarbrücker Saarseite ein geschlossenes bürgerliches
Wohnviertel aus. Das "Bürgerviertel" der Hüttenstadt trug vielmehr den Charakter einer
- wenngleich repräsentativen - Verkehrsachse. So blieben diese beiden Straßenzüge auch
keineswegs ausschließlich Freiberuflern, höheren Beamten sowie Angestellten und
Kaufleuten Vorbehalten. "Bürgerlich" für Malstatt-Burbacher Verhältnisse hieß: nicht
mehr als ein Fünftel der Zuzügler zählte zur Arbeiterschaft und immerhin ein Viertel
ging einer Beschäftigung als leitende bzw. mittlere Angestellte, selbständige Kaufleute,
Handwerksmeister oder Freiberufler (Apotheker, Arzt, Notar u.ä.) nach. Dazu kam eine
außerordentlich hohe Zahl an Dienstbotenpersonal (ungefähr 15 Prozent), welches zumeist
im Haushalt des Arbeitgebers logierte.10
Falls Angehörige der häufig auswärtigen Verwaltungselite überhaupt in der Saarhütten-
stadt wohnten, dann war es hier. Der Anteil der Saarländer war vergleichsweise gering
(55 Prozent), der Anteil der Protestanten beachtlich (40 Prozent) und die im Ortsvergleich
größte jüdische Minorität (3 Prozent) bezog hier ihren Wohnsitz. Und auch dies ist in
schichtenspezifischer Hinsicht bezeichnend: Die relative Zahl der Kinder hielt sich
auffallenderweise in sehr engen Grenzen. Kaum ein Viertel der sich hier niederlassenden
Anzügler war jünger als 17 Jahre, während die Kinderrate in allen anderen Stadtteilen
bei deutlich über einem Drittel lag.
Leitendes Fachpersonal von außerhalb der Rheinprovinz, sei es aus Westdeutschland
(Westfalen, Hessen), sei es aus Nord-, Mittel- oder Ostdeutschland, die zusammen
mindestens 20 Prozent der Neubewohner stellten, wohnte offenbar vorzugsweise in dieser
äußersten Ostecke der Stadt. Das Überwechseln in das aufgrund seines reichhaltigen
Kulturangebots reizvollere Saarbrücken, wo zudem diverse übergeordnete Verwaltungs-
stellen angesiedelt waren, konnte über die Malstatter Brücke (ab 1899 sogar mit der Stra-
ßenbahn) leicht bewerkstelligt werden. Der Weg zum Hauptbahnhof als zentraler Perso-
nenbeförderungsstation war nicht weit und die St.Johanner Straße bildete mit der Brei-
testraße in gewissem Sinne eine Fortsetzung der repräsentativen Einkaufsmeile der Han-
10 Die restlichen Prozentpunkte entfielen auf denjenigen Personenkreis, der keiner eigenen
Berufstätigkeit nachging, d.h. in erster Linie Kinder sowie solche Ankömmlinge, die - aus
welchen Gründen auch immer - keine Berufsangabe machten.
224
Clumter- Viertel-
Nummer Charakter
0
3 'Arbeiter'
4 Mischkulturi
1 'BUrger'
2 'Mittelschicht'
5 MischkulturZ
Straße
Verschmelzung«Schema
[REST]
Jakob
Köllner
Luisen2
J enneweg
vdHeydt
Bergl
3erg2
Hafen
Rudolf
Weiden
Pfaffenkopf
Schul
Garsweilar
Neu
3chacht
Luisenl
Adolf
Wallenbaua
MUhlenweg
Alte Kirchhof
Schl elf milhle
Mathiasgasse
Pferchgasse
Hahnengasse
König
Fischbach
Saarbrücker
Sittersweg
Hoch
Krenzeisberg
Margarethen
Saar
Rastpfühl
Parallel
Blumen
Labacher
Ludwlgl
Ludwig2
Vllhelm2
Breitel
Vllhelml
Breite2
StJohanner
Allee
Ludwigsberg
Tab.46 : Cluster von (Teil-) Straßen incl. Verschmelzungsschema für Malstatt-Burbach
1856-1909
delsstadt St Johann, der Bahnhofstraße. Die Hauptstraßenbahntrasse der Saarstädte ver-
band bereits ab dem Jahr 1893 diese Straßenzüge miteinander.11
Der Stadtbezirk Burbach lag dagegen zu weit abseits; noch 1910 führte nur eine Fähre
ans andere Saarufer und zwar ins Arbeiterdorf Gersweiler. Zwischen den beiden
Stadtbezirken der Industriegemeindc breitete sich großflächig das Burbachcr Hüttenwerk
aus und schnürte das Industriedorf Burbach von Malstatt ab. Dort aber etablierte sich
über das Wanderungsgeschehen ein bescheidener bürgerlicher Vorposten, der sich gesell-
schaftlich wie geographisch - der Straßenname wirkt in diesem Zusammenhang pro gram -
11 Zur Entwicklung des Straßenbahnnetzes im Bereich der Saarstädte vgl. Fünfundsiebzig (75)
Jahre Gesellschaft für Straßenbahnen im Saartal AG - Saarbrücken, Saarbrücken 1967, S.44ff.
225
matisch - wohl durchaus mit dem etwas mondäneren Nachbarn St Johann verbunden
fühlte.
2) Die Alleestraße: Wohnstraße der Mittelschicht
Quer zur St.Johanner Straße lag in Verlängerung der St.Johanner Bahnhofstraße die
Alleestraße (seit 1909 Trierer Straße). Die unmittelbare Nachbarschaft der Königlichen
Bergwerksdirektion, der Königlichen Eisenbahnverwaltung sowie des Hafenamtes
bevorzugten Angehörige des neuen Mittelstandes, d.h. mittlere Beamte und Angestellte,
als Wohngegend (14 Prozent der Zuzügler). Außerdem nahmen in der Alleestraße
überdurchschnittlich viele Kaufleute, Handwerksmeister und Mitglieder der bürgerlichen
Oberschicht ihren Wohnsitz, wenngleich im Verhältnis etwas seltener als in der St Johan-
ner- oder Breitestraße (5 Prozent der Zuzügler). Der Anteil der hier ansässigen Dienst-
boten überschritt (mit etwa 7 Prozent) daher ebenfalls ein wenig den für die Stadt
üblichen Wert, während die Arbeiterschaft wiederum kaum ein Fünftel des Zuzuges aus-
machte.12
Im Gegensatz zum "Bürgerviertel" stammten die Alleestraßenbewohner in erster Linie
aus der Saarregion; nahezu zwei Drittel von ihnen - mehr als in jedem anderen Stadt-
viertel - reisten aus einem der Saarkreise her an. Die anderen klassischen Rekrutierungs-
gebiete der Industriestadt (Pfalz, Hunsrück, Lothringen, Eifel) waren dagegen verhältnis-
mäßig schwach vertreten. Dafür kam ein beträchtlicher Teil aus den rechtsrheinisch
gelegenen preußischen Regionen. Aber nicht nur deshalb bestanden unter den Zuzüglern
in die Alleestraße zugunsten des protestantischen Bekenntnisses verschobene Konfes-
sionsverhältnisse. Ungefähr die Hälfte der sich hier niederlassenden Personen waren
Protestanten; d.h. angesichts einer kleinen jüdischen Minderheit wohnten in der Allee-
straße mehr Protestanten als Katholiken. Dies unterschied diesen Straßenzug in außer-
ordentlicher Weise vom Rest der Hüttenstadt und ist sicherlich vorrangig im Zusammen-
hang mit der spezifischen zeitgenössischen Sozialstruktur von Verwaltungen im allgemei-
nen sowie der preußischen Staatsverwaltung im besonderen zu sehen.
Die Alleestraße besaß mit ihrem bemerkenswert hohen Anteil mittlerer Beamten- und
Angesteiltenfamilien, zuzüglich einer kleineren Gruppe von Selbständigen und den
ebenfalls hier ansässigen "Arbeiteraristokraten" sowie ihrem preußisch akzentuierten
protestantisch-saarländischen Milieu im innerstädtischen Vergleich den Charakter eines
Wohnviertels der Mittelschicht.
12 Für die restlichen Alleestraßenbewohner ist eine Berufetätigkeit nicht belegt. Allein 38 Prozent
der Alleesträßler befanden sich dabei noch im Kindesalter.
226
Der Malstatter Wohnbezirk Alleestraße mitsamt der St.Johanner- und partiell auch der
Breitestraße teilte darüber hinaus in seiner exponierten Lage am äußersten östlichen
Stadtrand mit den Nachbarstädten St.Johann und Saarbrücken ein Stück (klein-)bür-
gerlicher Urbanität, deren Flair dort in größerem Umfang als in der Hüttenstadt gegen-
wärtig war.
3) Die Arbeiterwohnbezirke
Einen deutlichen Kontrast zu diesen beiden kleinbürgerlich bis bürgerlich strukturierten
Wohnbereichen bildeten die 35 Straßenzüge, in welchen die Arbeiterschaft eindeutig den
Ton angab. Jene verteilten sich mit gewissen Siedlungsschwerpunkten über das ganze
Stadtgebiet. Sie berührten die alten Ortskeme von Burbach und Malstatt rechts und links
der Hüttenanlagen, in denen die Straßen noch in ihrer ursprünglichen dörflichen
Anordnung verschachtelt waren, ebenso wie die städtischen Randbezirke mit den
langgezogenen Ausfallstraßen nach Völklingen, Von-der-Heydt, Lebach und über den
Stadtteil Rußhütte ins Sulzbachtal hinein.
Gemeinsam war diesen Straßen, daß nahezu alle Berufstätigen, die hier ihren Wohnsitz
nahmen, einer Lohnarbeit nachgingen. Zwei Drittel von diesen waren ungelernte Arbeiter,
ein Drittel gelernte Arbeiter (Industriefacharbeiter, Industriehandwerker).13 Angestellte
und Beamte bezogen ein Domizil in diesen Siedlungszonen nur zu sehr bescheidenen
Prozentsätzen, andere Berufsgruppen fielen so gut wie nicht ins Gewicht.14
Die Herkunftsgebiete der Anwohner dieser Straßen schlüsselten sich aufgrund der
zahlenmäßigen Vormachtstellung der Arbeiterschaft im Gesamtwanderungsaufkommen
der allgemeinen Tendenz entsprechend auf, so daß nach der Saarregion, welche zirka
60 Prozent der Zuzügler stellte, anteilsmäßig Immigranten aus dem Hunsrück (8,8%),
Westdeutschland (6,8%), Lothringen (6,4%), der Pfalz (6,1%) und Italien (2,4%)
folgten.15
Ebenfalls im allgemeinen Trend lag die Zahlenrelation zwischen den beiden großen
christlichen Konfessionen, indem etwas mehr als zwei Drittel der Anwohner katholisch
13 Ungefähr 45 Prozent der Ankömmlinge waren berufstätig, davon betrafen knapp 40 Prozent-
punkte den Arbeiterstand.
‘4 Von den etwa 45 Prozent der Berufstätigen unter der Zuwandererschaft in diese Straßen
entfielen jeweüs zirka 3 Prozentpunkte auf mittlere Beamte und Angestellte bzw. auf untere Be-
amte und Angestellte (einschließlich der Dienstboten).
15 Vgl. Kapitel D, S.146ff.
227
und demgemäß etwas weniger als ein Drittel evangelisch waren. Andere Konfessionen
spielten hier keine Rolle.
In diesem Milieu der buntgewürfelten Landsmannschaften und eines allgegenwärtigen
Unterschichtenkatholizismus, das in allen Ecken der Stadt anzutreffen war, fand sich die
Arbeiterkultur in der Saarhüttenstadt.
Die gesonderte Analyse des Ansiedlungsverhaltens der anreisenden Arbeiter bestätigt
den Eindruck, daß in Malstatt-Burbach durchweg eine vielgestaltige Arbeiter-Misch-
Wohnkultur Bestand hatte.16 Es bildeten sich im wesentlichen offenbar keine Arbeiter-
wohnviertel aus, in denen exclusiv Angehörige einer spezifischen Arbeitergruppe hausten.
Eine relativ weitreichende räumliche Nähe zwischen den Wohnungen der Facharbeiter
und der Hilfsarbeiter war demnach gegeben. Gleiches galt für die dem handwerklichen
Bereich entstammenden Arbeiter im Verhältnis zu sonstigen Fabrikarbeitern. Auch im
Privaten muß also ständig der kommunikative Kontakt zwischen allen Arbeitergruppen
gewährleistet gewesen sein.
Nur in den Straßenzügen am westlichen Rand des Hüttengeländes (Krenzeisberg, Mar-
garethenstraße, östliche Wilhelmstraße) kam es in einem gewissen Rahmen zu einer Mas-
sierung ungelernter Arbeiter. Außerdem befand sich im Ortsteil Rußhütte eine ansehnliche
Bergarbeiterkolonie. Dieses Stadtviertel führte allerdings aufgrund seiner abgeschnittenen
Lage in einem engen Seitental und in seiner Ausrichtung auf die nordöstlich der
Saarstädte befindlichen Bergbauregionen ohnehin weitgehend ein Eigenleben im Ver-
hältnis zum restlichen Stadtkörper. Eine Ansiedlung von Bergleuten kam im Malstatt-
Burbacher Stadtgebiet fast nur im Bezirk Rußhütte zustande. Die Mobilität dieser
Berufssparte war sehr gemäßigt, der Bezug von Eigenheimen, deren Bau die Königliche
Bergwerksdirektion mit Prämien förderte, erfolgte überaus häufig, so daß diese Berufs-
gruppe im Wanderungsgeschehen und auf dem Wohnungsmarkt der Stadt kaum ins
Gewicht fiel.
Eine echte Ausnahme in der Siedlungslandschaft der Hüttenstadt fand sich nur an der
Nahtstelle zwischen Malstatt und Burbach, im Dreieck zwischen der Eisengießerei Müller,
der städtischen Gasanstalt, dem Hüttenwerk, dem Burbacher Personenbahnhof und dem
städtischen Schlachthof: die Blumenstraße (seit 1909 Wörther Straße). Das nördlich dieser
Straße gelegene, heute sehr dicht bebaute Areal bis zu den Ziegelhütten am Rastpfuhl
war bis zum Jahre 1910 baulich noch nicht erschlossen. In diesem "toten Winkel"
existierte eine Art kleines Arbeiterghetto. Während der Saarländeranteil ansonsten
mindestens 50 Prozent betrug, gehörten zu den Anwohnern der hochfrequentierten Blu-
16 Hier wurde eine zweite Clusteranalyse durchgeführt, welche nur in Hinblick auf die zuziehenden
Arbeiterfamilien erfolgte. Die Objekt- und Merkmalsauswahl stimmte mit derjenigen des ersten
Analyseschrittes überein. Vgl. Anm.9.
228
menstraße hinsichtlich des gesamten Untersuchungszeitraums gesamtdurchschnittlich
weniger als 45 Prozent Saarländer. Andererseits wuchs neben einer recht starken Gruppe
von Hunsrückem der Anteil der Italiener unter den Zuzüglern beständig. Ihr
durchschnittlicher Gesamtanteil betrug 16 Prozent, und gegen 1910 dürfte der Charakter
der Straße in entscheidendem Maße von ihren italienischen Bewohnern geprägt gewesen
sein.
Außerdem wies die Straße eine sehr einseitige Berufsstruktur auf: hier wohnten fast
ausnahmslos Arbeiter, wovon etwa zwei Drittel Anlem- oder Hilfstätigkeiten nachgingen
und mehr als 20 Prozent Tätigkeiten im Bereich des industrialisierten Handwerks
verrichteten. Zunfthandwerksgesellen sowie gelernte Industriearbeiter (Berufsklassen 293
und 294) waren dagegen nur sehr selten anzutreffen.
Die Italienerpräsenz war im innerstädtischen Vergleich in der Blumenstraße am stärksten.
Daneben siedelten sich kleinere Gruppen am Torhaus, d.h. in der Nähe des Güterbahnhofs
Schleifmühle, und in der Wiesenstraße an, also in Nachbarschaft der Asphaltfabrik Lim-
burg, der Zementfabrik Böcking & Dietzsch und des Malstatter Güterbahnhofs. Auch
in diesen beiden Fällen befanden sich die Arbeitsstellen unmittelbar in Sichtweite und
die räumliche Trennung von den Wohngebieten der restlichen Bevölkerungsteile war nicht
zu übersehen.
Die sozio-professioneile Segregation erfolgte in Malstatt-Burbach aber von diesen
Ausnahmen abgesehen über andere Mechanismen. Zum einen dürften die Arbeitnehmer
in jedem der Malstatt-Burbacher Unternehmen bestrebt gewesen sein, möglichst in der
Nähe ihrer Arbeitsstätte ein Domizil zu finden, womit sich zumindest hinsichtlich der
Arbeitnehmerschaft der größeren Etablissements wie der Hütte, des Gußstahlwerks und
der Eisenbahnwerkstätte betriebsspezifische Wohnviertel ergeben haben dürften, die sich
in den Melderegistern allerdings nicht widerspiegeln. Man könnte dies als eine horizontale
Differenzierung bezeichnen. Zum anderen sorgte das von der Hüttenleitung und der
Eisenbahnverwaltung den Maßnahmen der Bergwerksdirektion nachempfundene Prämien-
haussystem für eine vertikale Gliederung der Arbeiterschaft in Hausbesitzer und Miet-
zinszahler. Die Hütten- und die Lehmkaulstraße zeugen hiervon. Zum dritten spiegelte
sich der soziale Status z.T. in der Mietwohnung, welche bezogen wurde. Geräumige
Wohnungen in der ersten Etage wurden sicherlich eher von sozial höher gestellten
Arbeiterfamilien in Anspruch genommen als die zumeist engen Mansarden- oder gar
Kellerwohnungen.
4) Gemischtstrukturierte Wohnviertel 1
Neben den genannten Wohn- und Ansiedlungsformen fiel eine Reihe von Straßenzügen
auf, welche über ausgeprägte Mischkulturen hinsichtlich der sozio-professionellen
229
Stellung ihrer Anwohner verfügten. Dazu zählten sehr zentral gelegene Straßen wie die
Lebacher Straße im oberen Malstatt, die Ludwigstraße und der westliche Teil der
Breitestraße im unteren Malstatt sowie die ins Burbacher Zentrum weisende Wilhelm-
straße: also durchweg belebte Verkehrs- und Verkaufsstraßen.
Hier ließen sich Arbeiter, Beamte, Angestellte und Selbständige nieder. Der Arbeiteranteil
lag einerseits zwar höher als in den bürgerlichen Siedlungsbereichen, andererseits aber
auch niedriger als in den reinen Arbeiterwohngebieten. Das Verhältnis zwischen den
gelernten und ungelernten Arbeitern gestaltete sich dabei recht gleichgewichtig.17 Im
ökonomischen Sektor existierte eine ausgewogene Einzelhandels-, Gaststätten- und
Handwerkerkultur. Daneben kann eine etwas erweiterte Ansiedlungsneigung von Beamten
und Angestellten konstatiert werden. Die KonfessionsVerteilung entsprach in etwa
derjenigen in den Arbeiterwohngebieten. Die Herkunftszonen der Anwohner waren
allerdings etwas weiter gestreut und z.T. nicht so sehr auf die klassischen Arbeiterrekru-
tierungsgebiete beschränkt. Es kamen beispielsweise weniger Personen aus der Saarregion
selbst (55%), dafür traf man häufiger auf Leute aus dem Hunsrück (10,8%) und auch
verhältnismäßig oft auf solche von außerhalb der weiteren Saar-Lor-Lux-Region
(ca. 18%).
5) Gemischtstrukturierte Wohnviertel 2: der Sonderfall Ludwigsbergstraße
Die Ludwigsbergstraße, erstens in angenehmer Nachbarschaft zu den bürgerlichen Wohn-
gebieten, zweitens in günstiger Nähe zu den Einkaufsstraßen Malstatts oder auch
St Johanns sowie drittens direkt gegenüber dem städtischen Naherholungszentrum Stadt -
park Ludwigsberg gelegen, stellte einen Sonderfall unter den Mischsiedlungsbereichen
dar.
Die Repartition der einzelnen Berufsgruppen an der Zuwandererschaft stimmte zwar
ungefähr mit derjenigen des anderen Mischviertels überein. Ausschließlich die gegenüber
den gelernten Arbeitern fast anderthalbmal so starke Präsenz der Hilfsarbeiter ist als
signifikante Abweichung festzuhalten.
Die Anwohnerschaft der Ludwigsbergstraße zeigte jedoch hinsichtlich der Herkunfs-
regionen, des Konfessionsschlüssels, der Altersverteilung und der ansonsten völlig un-
signifikanten Aufenthaltsdauer erhebliche Abweichungen.
Erstaunlich mutet das völlige Fehlen von Leuten aus dem Hunsrück an, während starke
landsmannschaftliche Minderheiten der Eifel (5,6%) und dem benachbarten Großherzog-
17 Etwas mehr als 30 Prozent der Zuzügler in diese Straßenzüge waren Arbeiter, von denen jeweüs
die Hälfte qualifizierte bzw. Anlemkräfte waren.
230
tum Luxemburg (6,9%) entstammten. Diese Herkunftsgebiete waren ansonsten ungleich
schwächer repräsentiert.
Nicht zuletzt auch darum war dieser Straßenzug zu 80 Prozent katholisch, nur 20 Prozent
gehörten der evangelischen Religionsgemeinschaft an. Zudem war der Prozentsatz der
Kinder unter den Bewohnern dieser Straße höher als sonstwo in der Industriegemeinde;
er betrug näherungsweise 45 Prozent. Darüber hinaus verweilten gerade diese Leute in
gut 70 Prozent der Fälle mehrere Jahre in der Stadt, bevor sie diese wieder verließen.
Sie verhielten sich also ausgesprochen seßhaft.
Aus diesen Fakten ist zu schließen, daß es sich im vorliegenden Falle um ein Wohnviertel
handelte, welches - aus welchen Gründen auch immer - eine besondere Attraktivität
für Familien mit Kindern besaß. Die höchstmobile Altersgruppe der 17-24jährigen war
nur minimal vertreten, die Gruppe der 25-35jährigen - also die der Eltemjahrgänge -
neben derjenigen der Kinder (16 Jahre und jünger) umso stärker.
Wer sich hier ansiedelte, beendete, wie es scheint, in der Regel aufgrund seines Lebens-
alters und der familiären Situation mit bereits mehreren Kindern seine mobile Lebens-
phase.
Siedlungsgeographisch interessant erscheint das Aneinanderstoßen eines eminent
protestantischen (Alleestraße) und eines eminent katholischen Wohnbezirks (Ludwigs-
bergstraße), welche beide recht scharf zu umreißen sind, gerade am Rande der in konfes-
sioneller Hinsicht generell stark durchmischten städtischen Besiedlungszone.
231
2.
Diedenhofen
Wie in der saarländischen Hüttenstadt ergab sich im lothringischen Diedenhofen im Zuge
der Industrialisierung eine beträchtliche sozio-professionelle Durchmischung in allen
städtischen Wohngebieten. Größer noch als in Malstatt-Burbach war hier in jedem
Stadtviertel der Anteil der Arbeiter unter den Zuzüglern - eine Folge der über alle Maßen
beengten Siedlungsverhältnisse in der Festungs- und Gamisonstadt. In kaum einer Straße
gehörten weniger als die Hälfte der Neubewohner dem Arbeiterstand an.18
Ganz im Gegensatz zur Industriegemeinde an der mittleren Saar überlagerte in Diedenho-
fen jedoch eine umfangreiche Unterschichtenbevölkerung durch ihre massive Zuwande-
rung die stadtbürgerlichen Siedlungsstrukturen eines traditionellen städtischen Gemeinwe-
sens, während es in den beiden Bauerndörfern Malstatt und Burbach erst im Zuge der
Wanderungsbewegungen der Industrialisierungsperiode zur Ansiedlung einer nennens-
werten bürgerlichen Mittel- und Oberschicht kam. Die Wohnviertel der (Klein-)Bürger
fanden sich daher in Diedenhofen - zumindest bis zum ersten Weltkrieg - im Stadtzen-
trum und nicht an der Peripherie der kommunalen Siedlungsfläche wie in der Saarhütten-
stadt. Die Arbeiterschaft wurde in der Moselstadt zuerst einmal in die Annexe verwiesen.
Vier charakteristische Wohnbezirke entstanden in Diedenhofen bis etwa zum Jahre 1910.
In dreien davon war das städtische Bürgertum präsent. Ein abgeschlossenes Arbeiterviertel
entstand. (Tab.47 u. Abb.33, S.246)
1) Die stadtbürgerliche Insel im Herzen des Gemeinwesens: Marktplatz (place du
marche) und Jemapperstraße (rue iemappesj
In den Geschäfts- und Wohnstraßen des alten Diedenhofener Zentrums vermochte das
Stadtbürgertum noch am ehesten dem Arbeiterzustrom in die Gemeinde zu trotzen.
Innerhalb des erst um die Jahrhundertwende niedergelegten Festungsrings erhielt sich
auf der Basis von angestammtem Hausbesitz ein eminent bürgerlich geprägtes Wohnvier-
tel am Marktplatz hinter dem Stadthaus und in der benachbarten Jemapperstraße.
Seine Bewohner nahmen zu über 20 Prozent Schlüsselpositionen in Handwerk, Handel
und Verwaltung wahr. Ungefähr ein Zehntel der Ankömmlinge trat als niedere Angestell-
11 Der genannte Anteüswert bezieht sich nicht nur auf die Berufstätigen, sondern auf alle
Anwohner der berücksichtigten Straßenzüge einschließlich der Kinder und derjenigen Personen,
welche keine Angabe über eine eventuelle Berufstätigkeit machten! Grundlage für die folgenden
Ausführungen ist analog zum Abschnitt über Malstatt-Burbach eine Clusteranalyse über die
Wohnstraßen der Stadt Diedenhofen. Zu beachten ist wie schon zuvor, daß es sich bei dem
Personenkreis, welcher beschrieben wird, stets um die Zuzügler in die Gemeinde handelt. Eine
Aussage über die Bewohner der Straße wird also nur indirekt getroffen, obschon die Immigration
natürlich die Zusammensetzung der jeweüs aktuellen Anwohnerschaft maßgeblich beeinflußte.
232
te, d.h. vornehmlich als Gesinde, bei dieser Gesellschaftsgruppe in den Dienst. Und bei
nur wenig mehr als 45 von 100 Immigranten handelte es sich um gelernte oder ungelernte
Arbeiter oder Handwerker, was ein recht bescheidener Prozentsatz für Diedenhofener
Verhältnisse war.19
Cluster- Viertel- Straße
Nummer charakter
0 [Rest]
1 'Bürger' J emapper Marktplatz
2 'Mittelschichtl' Bannofen Hospital
3 ' Mittelachicht2' Luxemburger Pariser Brand
4 'Arbeiter' Beauregard
Versehmelzungeschema
Tab.47 : Cluster von Straßen incl. Verschmelzungsschema für Diedenhofen 1883-1909
Der Anteil der Lothringer in diesen beiden Straßenzügen war unter den Vergleichs vierteln
am niedrigsten (56%), während die Altdeutschen, welche zu großen Teilen auch aus der
Saarregion oder Westdeutschland (Hessen, Westfalen, nördliche Rheinlande) zureisten
(19%), sich nicht unmaßgeblich am Zuzug hierhin beteiligten (37%).
Die Konfessionsverteilung unterschied sich darum auch etwas von der in Diedenhofen
üblichen, indem über ein Viertel (26%) der Zuzügler evangelisch war.
2) Wohnbereiche der Mittelschicht 1: Der neue Mittelstand der Bannofen- und der
Hospitalstraße (rue du four banal, rue de l'hopitaD
Unmittelbar an die Jemapperstraße schloß sich im Diedenhofener Ortskem ein ebenfalls
zu gutem Teil bürgerlich geprägter Wohnbezirk an. Hier vollzog sich der Zuzug von
Kaufleuten, Handwerksmeistern und bürgerlichen Freiberuflern nicht in dem Maße wie
nebenan. Aber zirka 14 Prozent der Ankömmlinge in diesem Viertel waren mittlere
Beamte und Angestellte (neuer Mittelstand). Wiederum fast 10 Prozent fanden Dienst,
Kost und Logis als Hausangestellte, was als Indiz für die Existenz einer bürgerlichen
Wohnkultur zu werten ist. Hier waren allerdings mehr als die Hälfte der Zuzügler (52%)
Arbeiter, wovon 24 Prozentpunkte auf Facharbeiter aus Industrie und Handwerk entfielen.
Fast zwei Drittel der Neubürger dieses Viertels hatten vorher bereits einen Wohnort
innerhalb Lothringens. Die Position der Altdeutschen war - mit Ausnahme der Westdeut-
19 Die verbleibenden 20 bis 25 Prozent der Neubürger waren nicht berufstätige Frauen und Kinder.
233
sehen - folglich nicht so stark. Die "Moselfranken" aus Luxemburg und aus der Eifel
frequentierten dieses Viertel verhältnismäßig zahlreich.
Dennoch bekannte sich auch in diesen beiden Straßen ein Viertel der Zuzügler zur
evangelischen Kirche.
3) Wohnbereiche der Mittelschicht 2: Handwerker-, Handels- und Gaststättenkultur
in der Pariser-, Brand- und Luxemburger Straße (nie de Paris, rue brûlée, rue
de Luxembourg)
In einem dritten Bereich innerhalb der 1898 geschleiften Festungsanlagen, und zwar
entlang der Ausfallstraßen in Richtung Metz und Luxemburg zeigte Diedenhofen einen
bürgerlichen "touch". Zwar stieg der Anteil der sich ansiedelnden Arbeiter mit
zunehmender Entfernung von der Stadtmitte (55%); daneben bezogen hier vor allem
Kaufleute, aber auch Handwerksmeister und Gastwirte ein Domizil, was diesem Bezirk
einen eigenen Charakter verlieh. Sie veranlaßten beispielsweise immerhin fast 16 von
100 Zuzüglern sich als Gesinde jeglicher Art in der Pariser-, Brand- oder Luxemburger
Straße niederzulassen. Der neue Mittelstand blieb auch nicht aus (6,4%).
Die Herkunftsregionen der Bewohner dieses Viertels lagen genauso oft wie in der
Bannofen- und der Hospitalstraße im Lothringischen, zeichneten sich ansonsten jedoch
durch eine sehr breite Streuung aus.
Die starke Stellung der Kaufmannschaft spiegelte sich in einer nicht unbedeutenden
jüdischen Minderheit wider, welche in diesen Straßenzügen eine Wohnung bezog (4%
der Zuzügler). Jüdische Bürger waren in Diedenhofen ansonsten kaum anzutreffen.
Daneben standen etwa 16 Prozent Protestanten 80 Prozent Katholiken gegenüber.
4) Das Arbeiterviertel: Die Vororte Beau regard und Gassion
Der bürgerliche Wohnbereich wurde im Süden von der Mosel, im Norden von ausladen-
den Gebäudekomplexen eingeengt, welche vom Militär genutzt wurden. Neue bürgerliche
Wohnviertel waren seit der Jahrhundertwende ringförmig um die Stadt geplant. Die
Bebauung dieses Areals konnte bis zum Kriege jedoch nur ansatzweise verwirklicht
werden.
Im Südwesten, und zwar außerhalb der Stadtmauern zwischen der City und den neuen
Industrieanlagen schloß sich in exponierter Lage ein weitläufiges Arbeiterwohngebiet
an. Kristallisationspunkte bildeten die der Stadt weit vorgelagerte " Karlshütte ", das
städtische Gas- und Elektrizitätswerk, der alte Bahnhof und das Bürgerhospital.
Annähernd 70 von 100 der nach Bcauregard ziehenden Leute waren Arbeiter, davon 40
Hilfsarbeiter und 30 Fachkräfte. Neben den 20 Prozent nicht berufstätiger Frauen, Alten
234
und Kinder verteilten sich die restlichen 10 Prozentpunkte auf einige wenige Einzelhänd-
ler sowie untere bzw. mittlere Beamte und Angestellte.
Unter den Neubürgem des Viertels befanden sich zu 57 Prozent Lothringer. Der Zuzug
aus der Saarregion war mit einem Anteil von fast 9 Prozent auch nicht schwach. Das
größte auswärtige Zuzugskontingent stellten allerdings mit gesamtdurchschnittlich nahezu
16 Prozent des Immigrationsaufkommens die Italiener.
Näherungsweise 90 Prozent der in Beauregard eine Wohnung beziehenden Personen war
daher auch katholisch, etwa 10 Prozent protestantisch. Die Diskrepanz zu den
(klein-)bürgerlichen Vierteln zeigte sich gerade auch in konfessioneller Beziehung.
Im Ansiedlungsverhalten der Unterschichtenbevölkerung läßt sich eine klare Dichotomie
erkennen. Faktisch der ganze (zivile) Innenstadtbereich zog im Rahmen des Unter-
schichtenzuzugs vor allem untere Privatangestellte (Gesinde) jeder Couleur an, welche
in den gutbürgerlichen Haushalten, den Familienuntemehmen des Handwerks, im örtli-
chen Einzelhandel und in der Gastronomie auf ein reichhaltiges Stellenangebot trafen.
Der Lebensbereich der anderweitig schon genannten Kellnerinnen beschränkte sich
beispielsweise vollkommen auf diese Straßenzüge.20 Unter den hier ansässigen Arbeitern
waren in erster Linie handwerklich versierte Arbeiter zu finden, denen die Werkstätten
des örtlichen Handwerks, welche im Dienste des Militärs und der benachbarten Industrie
ein gutes Auskommen gehabt haben dürften, reichlich Arbeit boten. Primär industriell
orientierte Arbeiter, ob gelernt oder ungelernt, suchten aus verkehrstechnischen Gründen
vorzugsweise einen Wohnort in der Nähe der Industrieanlagen. Ihr Prozentsatz in der
Innenstadt hielt sich in Grenzen, der Stadtteil Beauregard und die Annexe Gassion,
welche das Röchlingsche Hüttenwerk beheimatete, waren deren bevorzugte Quartiere.
20 Vgl. Kapitel D, S.209f.
235
3.
Esch/Alz.
Die Viertelbildung in der luxemburgischen Industriestadt erbrachte Phänomene, welche
den Vorgängen in der Saarhüttenstadt Malstatt-Burbach partiell ähnelten. Die Ausgangs-
situation der beiden Kommunen war trotz mancher Unterschiede schließlich auch
vergleichbar: beide waren einst kleine Bauerndörfer, welche die Industrialisierung einem
Verstädterungsprozeß unterwarf. Ergebnis dieses Prozesses war ein sozio-professionell
mischstrukturierter alter Ortskem mit einem recht hohen Arbeiteranteil, während die
"besseren" Viertel - zumindest bis 1914 - an den Rändern des städtischen Siedlungs-
bereichs zu finden waren. Dazu kam in der luxemburgischen Gemeinde allerdings ein
Cluster-
Nummer
0
2
1
3
4
Viertel-
charakter
'Mischviertel'
'BUrger'
’Mittelschicht'
'Arbeiter'
Strafle
[Rest]
Quartier
Wasserboltgen
Neudorf
Gross
Vinzenz
Handels
Kanal
Bahnhofsavenue
Luxemburger
Other
Hoehl
Verschmalzungsschema
Tab.48 : Cluster von Straßen incl. Verschmelzungsschema für Esch/Alz. 1871-1900
Arbeiterwohngebiet, welches durch die Bahnlinie nach Lothringen einigermaßen vom
Ort abgeschnitten wurde. Den wesentlichen Unterschied zwischen Malstatt-Burbach und
Esch machte die dortige Ansiedlung dreier Hüttenwerke rund um das vorgegebene Sied-
lungsterrain zuzüglich der ebenfalls auf Escher Bann gelegenen Bergwerksanlagen. Das
Burbacher Hüttenwerk war dagegen mitten ins spätere Stadtgebiet zwischen die beiden
Dörfer Malstatt und Burbach plaziert worden, so daß sich die Wohnbezirke um die Indu-
strieanlagen herum gruppierten anstatt umgekehrt. Die Arbeiterschaft war in Malstatt-
Burbach in den beiden Stadtkernen selbst relativ zahlreicher vertreten als in Esch, wo
sich vor allem in der Zwischenkriegszeit die Arbeiterwohnbezirke auf die Indu-
striebetriebe in ihrer Randlage ausrichteten und der Stadtkern sozusagen verbürgerlichte.
Doch um die Jahrhundertwende sah dies noch anders aus: (Tab.48 u. Abb.34, S.247)21
21 Zur Viertelbildung in Esch wurde wie bezüglich Malstatt-Burbachs und Diedenhofens eine
Clusteranalyse durchgeführt. Klassifikationsobjektebüdeten gleichfalls die Straßen, die Klassifi-
kationsmerkmale bezogen sich jedoch auf die Bewohner der Straßen und nicht - wie in den
beiden anderen Orten - auf die Zuzügler in die Straßen, weil hinsichtlich der Gemeinde Esch
als Arbeitsbasis keinehinreichenden Meldedaten, sondern ausschließlich Volkszählungsunterlagen
236
1) Bürgerlichkeit in Randlage: die Luxemburgerstraße
Parallel zur Alzette verlief am nordöstlichen Stadtrand die Hauptverkehrsstraße von Esch
nach Luxemburg. Entlang dieser Straße wohnte vorzugsweise die bürgerliche Ober- und
Mittelschicht des Ortes. Mehr als 20 Prozent ihrer Anwohner waren Selbständige
(Kaufleute, Handwerksmeister, Freiberufler) oder mittlere Beamte und Angestellte. Nur
knapp 15 Prozent gehörten der Arbeiterschaft an. Ebensoviele ihrer Anwohner genossen
Kost- und Logis als Dienstboten in einem der bürgerlichen Haushalte.22
Über 80 Prozent der in der Luxemburger Straße Ansässigen besaßen die luxemburgische
Staatsangehörigkeit, das restliche Fünftel dominierten deutsche Staatsbürger, wovon das
umfangreichste Kontingent (5%) aus Lothringen stammte.
Die Katholiken waren - wie überall im Großherzogtum - auch in diesem Viertel
unangefochten in der Überzahl. Daneben fanden sich aber sowohl eine protestantische
als auch eine jüdische Minorität, welchen jeweils 3 Prozent der Bewohner des Straßen-
zuges angehörten.
2) Gemischte Wohnkultur im Zentrum und seinen Ausläufern
Im gesamten Escher Innenstadtbereich kam es zu einer Mischbesiedlung durch die
unterschiedlichsten Berufsgruppen aus den verschiedensten Herkunftsregionen.23
In diesem Viertel waren die Familien und damit wohl auch die Seßhaftigkeit am größten.
Die Präsenz von fast 60 Prozent Nicht-Berufstätigen, wozu in erster Linie Kinder, Haus-
frauen und Alte zu rechnen sind, zeugt davon.24 Ungefähr 30 von 100 Anwohnern waren
als Arbeiter beschäftigt (75 Prozent der Erwerbstätigen), die eine Hälfte als ungelernte
und die andere Hälfte als gelernte Kräfte. "Bürgerliche Berufe" nahmen zirka 10 Prozent
wahr (25 Prozent der Erwerbstätigen). Vor allem mittlere Beamte bzw. Angestellte sowie
Einzelhändler und Handwerksmeister gehörten diesem Personenkreis an.
verfügbar waren. Das KlüssißkationsmerYmalAufenthaltsdauer stand für die Berechnungen nicht
zur Verfügung.
22 Die Hälfte der Anwohner war nicht berufstätig, vier Fünftel hiervon waren Kinder.
23 Auch im Restcluster, der nicht so sehr heterogen zusammengesetzt ist und sich im wesentlichen
auch auf die Ortsmitte und die unmittelbar angrenzenden Straßen der schnell wachsenden
Neubauviertel erstreckt, ist diese Mischstruktur nachzuweisen. Das Verschmelzungsschema in
Tab.48 verdeutlicht die Nähe von Cluster-Nr.2 zum Restcluster, welche größere Ähnlichkeiten
bezeichnet als zwischen Cluster 2 und den Clustern 1, 3 sowie 4, mit denen jener erst später
vereinigt wird.
24 Von diesem Personenkreis waren drei Viertel Kinder (41 Prozentpunkte), der Rest vorwiegend
Ehefrauen und ältere Familienmitglieder.
237
Die Bevölkerung dieses Viertels rekrutierte sich anteilmäßig in etwa aus den gleichen
Gebieten wie die der Luxemburger Straße, wobei unter den Deutschen sowohl die
Lothringer (5%) als auch die Westdeutschen aus dem Hessischen, Westfalischen bzw.
dem nördlichen Rheinland (3%) Akzente setzten.
Konfessionell lassen sich daher auch keine gravierenden Unterschiede festmachen. Die
Katholikenrate lag bei 95 Prozent gegenüber 2 bis 3 Prozent Protestanten und 3 bis 4
Prozent Juden. Da sich die Escher Kaufmannschaft eher noch im Zentrum als in der
Peripherie der Luxemburger Straße ausbreitete, übertraf die im Handel traditionell stark
verwurzelte mosaische Minderheit in diesem Wohnbezirk zahlenmäßig die protestantische
Gemeinde. Nicht ohne Grund erbaute man im Jahre 1899 gerade am Rande des alten
Ortskems, am Schnittpunkt von Kanal-, Ziegelei-, St.Vinzenz-undWasserboltgenstraße,
die jüdische Synagoge.25
3) Facharbeiter und Kleinbürger: die Escher Mittelschicht der Other Straße
Die Other Straße bildete die südwestliche Verlängerung der von Nordosten, von der Stadt
Luxemburg her in den Ort führenden Verkehrsachse, welche über die Bahnhof Straße das
Stadtzentrum passierte und dann unter diesem Namen an der "Rote-Erde-Hütte" vorbei
ins lothringische Deutsch-Oth (Audun-le-Tiche) führte.
Von den Bewohnern dieses Straßenzuges waren 35 Prozent Arbeiter, was 70 Prozent
der Erwerbstätigen entsprach.26 Fast 12 Prozent (24 Prozent der Berufstätigen) waren
selbständig, vornehmlich als Einzelhändler und Gastwirte, oder waren mittlere Beamte
bzw. Angestellte. Bei den verbleibenden 3 Prozent (6 Prozent der Erwerbstätigen)
handelte es sich um Dienstboten.
Entscheidend hinsichtlich der Sozialstruktur dieses Viertels ist, daß hier zweieinhalbmal
soviele gelernte Arbeiter wohnten wie ungelernte Arbeiter. Ziemlich exakt 25 der 35
Arbeiter, welche auf 100 Anwohner dieses Viertels kamen, arbeiteten in einem Lemberuf.
Arbeiter mit einem recht hohen Qualifikationsniveau (Berufsklassen 291, 292, 293 und
294), d.h. Arbeitnehmer mit einer in der Regel bereits etwas gehobenen Position in der
Arbeiterwelt sowie guten beruflichen und damit sozialen Aufstiegschancen infolge ihrer
Ausbildung, hausten sozusagen Tür an Tür mit Kleinbürgern. Der Begriff eines "ver-
25 Vgl. Camy, Esch/Alz., S.28.
26 Die Hälfte der Anwohner war nicht berufstätig (Frauen, Kinder, Alte).
238
kleinbürgerlichten" bzw. "verkleinbürgerlichenden" Arbeitermilieus erscheint hier
treffend.27
Worin bestanden nun die Differenzen zu den sozialtopographischen Merkmalen des
Innenstadtbere iches ?
Zuerst einmal verfügten die Luxemburger über einen geringeren Bevölkerungsanteil als
in den beiden erstbesprochenen Wohnbezirken. Nur ungefähr 67 Prozent der Anwohner
besaßen die luxemburgische Staatsangehörigkeit. Die Ausländerquote präsentierte sich
demgemäß etwas erhöht. Neben Deutschen aus allen Teilen des Reiches - Lothringer
spielten hier keineswegs die entscheidende Rolle, welche die Nähe der Landesgrenze
erwarten läßt - traf man hier im Gegensatz zu den anderen Vierteln Italiener (etwa 9%),
Belgier und Franzosen (etwa 6%) in nicht geringer Zahl an. Außerdem faßten für lu-
xemburgische Verhältnisse in der Other Straße ungewöhnlich viele Protestanten Fuß.
Mehr als 5 Prozent der Anwohner waren evangelisch, 95 Prozent katholisch. Jüdische
Mitbürger gab es hier nicht.
Dennoch scheinen die Bewohner der Other Straße in gewisser Hinsicht kaum weniger
mit den "Bürgern" der Luxemburger Straße als mit den Arbeitern der Grenz gemein
gehabt zu haben.28
4) Das Arbeitermilieu: Hoehlstraße und Grenzviertel
Die Grenz, das sind die Straßenzüge jenseits der Bahnlinie, welche rücklings schon sehr
bald an die luxemburgisch-lothringische Grenze stoßen. Dieses an der Hoehlstraße
ansetzende Viertel bildete unmittelbar nach der Jahrhundertwende die einzige echte
Arbeiterkolonie der Industriestadt. Das Brill-Viertel mit den Arbeiteragglomerationen
der Brill- und der Burenstraße, welches zwischen Alzette- und Other Straße etwas näher
am Stadtzentrum gelegen war, entwickelte sich erst in späteren Jahren (nach 1905 bzw.
nach 1918) zu einem zweiten bedeutenden Arbeiterquartier.29
In der Hoehlstraße waren mehr als 90 von 100 erwerbstätigen Anwohnern (52% der
Bewohner) der Arbeiterschaft zuzurechnen, nur knapp 10 Prozent (5% der Bewohner)
gingen einem anderen Broterwerb nach. Hier lebte beispielsweise eine ganze Reihe von
Wirtsleuten, welche die zahlreichen Kneipen der Straße bewirtschafteten. In diesem Ar-
beiterwohngebiet waren verhältnismäßig weniger Leute ansässig, die keiner Berufstä-
27 Vgl. hierzu speziell Rosenbaum, Heidi: Proletarische Familien. Arbeiterfamilien und Arbeiter-
väter im frühen20. Jahrhundert zwischen traditioneller,sozialdemokratischerundkleinbürgerlicher
Orientierung, Frankfurt/M. 1992, S.123ff.
28 Vgl. unter diesem Gesichtspunkt auch das Verschmelzungsschema in Tab.48.
29 Vgl. Camy, Esch/Alz., S.30 und Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz., S.141ff.
239
tigkeit nachgingen, als in den anderen Ecken der Stadt (43%). Es ließen sich häufiger
junge Menschen ohne familiären Anhang nieder. Die einen waren noch unverheiratet,
die anderen wohnten nur zeitweilig als Saisonarbeiter in der Stadt und hatten Frau und
Kinder zu Hause gelassen. Über 40 Prozent der Arbeiter konnten keinerlei Ausbildung
nachweisen und gehörten damit einer der höchstmobilen Berufssparten an.
Der Anteil der Luxemburger an der Einwohnerschaft dieses Viertels war im inner-
städtischen Vergleich am geringsten; die Herkunftsorte von weniger als der Hälfte der
Anwohner (49%) lagen im Großherzogtum. Die Italiener (28%) und die Deutschen (20%)
dominierten die zweite Bevölkerungshälfte des Straßenzuges.30 Nach 1890, dann aber
sehr rapide, gewannen die italienischen Zuzügler die Oberhand gegenüber den anderen
ausländischen Immigrantengruppen. Die Zuwanderung aus Deutschland war sehr breit
gestreut, mit gewissen Akzenten aus dem Hunsrück und der Eifel (zusammen etwa 8%).
Konfessionell gesehen standen 92 Prozent Katholiken 8 Prozent Protestanten gegenüber.
In Umkehrung der saarländischen Verhältnisse zeigte sich im luxemburgischen Esch,
daß je proletarischer das Milieu, umso höher die Protestantenquote einer Viertelbevölke-
rung war. Arbeiterwohnbezirke kannten darüber hinaus keine jüdischen Anwohner. Au-
ßerdem stieg analog zum sozialen Status eines Wohnbezirkes dessen Inländeranteil,
während sich der Prozentsatz der dort wohnenden Ausländer deutlich reduzierte. Auf-
fallenderweise nahm mit zunehmender Grenznähe, d.h. mit wachsender Entfernung vom
luxemburgischen Binnenland, von Nordosten nach Südwesten der Ausländeranteil
innerhalb der Gemeinde zu. Deutsche waren dabei allerdings von den verschiedenen
Ausländergruppen noch am ehesten in "Luxemburgervierteln" anzutreffen. In Südwest-
richtung war es daher auch nicht unbedingt deren Anwohneranteil, welcher in
entscheidendem Maße anstieg, sondern in erster Linie die Italiener-, Belgier- und
Franzosenquote, wenngleich sich der Siedlungsschwerpunkt auch der Deutschen süd-
westlich des Ortskerns befand.31
30 Die restlichen drei Prozent wurden vornehmlich von Belgiern und Franzosen in Anspruch
genommen.
31 Vgl. hierzu den Kartenanhang und S.l 15ff. der Studie von Didlinger, Ausländische Bevölkerung
Esch/Alz.
240
4. Zusammenfassend-komparative Betrachtung des Ansiedlungsverhaltens
in den drei Untersuchungsgemeinden
Die Standortwahl der Industriebetriebe war der gemeinsame, jeweils entscheidende Faktor
hinsichtlich der Ausbildung sozio-professioneller Siedlungsstrukturen in Malstatt-
Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz. In der Saarhüttenstadt wirkte daneben der Son-
derfaktor einer Koexistenz dreier selbständiger Städte auf engstem Raume wesentlich
auf die Viertelbildung ein. Für das Ansiedlungsverhalten im lothringischen Diedenhofen
war die noch länger nachwirkende Einschnürung durch die Festungsanlagen und der bis
zum Kriege militärstrategische Charakter der Stadt maßgeblich. Bezüglich der südluxem-
burgischen Gemeinde Esch spielte zusätzlich die unmittelbare Grenzlage eine gewisse
Rolle.
Während in Diedenhofen ein stadtbürgerlich geprägtes Substrat im Zuge der Industriali-
sierung durch ein proletarisches Superstrat überlagert wurde, mußte in Malstatt-Burbach
und in Esch der Verstädterungsprozeß erst einmal in Gang gesetzt werden. Hier reisten
stadtbürgerliche Elemente von auswärts zu, welche in der ortsansässigen Bevölkerung
bis dato nicht zu finden waren. Bürgerliche Wohnbereiche schlossen in der Saarhütten-
stadt und in der Stadtgemeinde an der luxemburgischen Alzette jeweils am Rande des
ursprünglich dörflichen, später städtischen Siedlungskörpers an. In Diedenhofen dagegen
trotzte die bürgerliche Wohnkultur im alten Stadtzentrum dem Zustrom der Arbeiterschaft,
welche zumindest teilweise auf die städtische Randzone verwiesen werden konnte.
Gemein war den drei Industriestädten die hochgradige sozio-professionelle Durch-
mischung aller Wohnbezirke. Der in den drei Kommunen äußerst beschränkte Wohnraum
verhinderte angesichts der rasanten Expansion der lokalen Industrie- und industriellen
Zulieferuntemehmen eine "geordnete" Viertelbildung. Die Lage der Wohnung im Haus
war somit bis zum ersten Weltkrieg mehr noch Ausdruck des sozialen Status' ihrer
Bewohner als die innerörtliche Lage des Wohnhauses selbst. Besonders verschärft stellte
sich die Situation dabei in Diedenhofen dar, wo die Festungsmauem erst kurz nach der
Jahrhundertwende geschleift wurden und das Verfahren zur zivilen Erschließung der bis
dahin unter militärischer Verfügungsgewalt stehenden Areale die Ausweitung des
städtischen Siedlungsterrains erheblich verzögerte.
Trotz der generell weitreichenden Durchmischung der Wohnlandschaften kam es in
Diedenhofen und in Esch stärker als an der mittleren Saar im Laufe der Zeit dennoch
zur Ausbildung von Arbeitervierteln. Diese Viertel richteten sich geographisch vollkom-
men auf die Industriebetriebe aus. In Esch entstand die wesentliche Arbeiteragglomeration
südwestlich des Stadtkerns in Nachbarschaft der Hüttenwerke "Rote-Erde" und Esch-
Belval sowie von Schifflinger Seite her, östlich des Zentrums, in Ausrichtung auf die
"Metze Schmelz". Das Diedenhofener Arbeiterwohngebiet dehnte sich zwischen der
241
Altstadt und dem Hüttenwerk aus. In Malstatt-Burbach lag die Hütte ohnehin mitten
in der Stadt und war somit in die Arbeiterwohnbezirke eingebettet.
In allen drei Gemeinden zeigte sich eine Tendenz zur Viertelbildung, eher aber schon
zur Ghettoisierung, in Hinblick auf die italienischen Zuzugskontingente. Selbst in
Malstatt-Burbach mit seiner dezidierten Arbeiter-Misch-Wohnkultur wurden gerade
die Italiener mehr oder weniger in eigenen Wohnbezirken ausgegrenzt bzw. schotteten
sich selbst gegenüber der mitteleuropäischen Restbevölkerung ab.
Als weiterer Aspekt ist hervorzustreichen, daß die einzelnen Wohnbereiche in den
Untersuchungsstädten über ganz spezifische Konfessionsstrukturen verfügten. Die
Wanderungsbewegungen führten in jedem Falle zu einem Wandel der örtlichen Konfes-
sionsverhältnisse. Die massive Arbeiterimmigration bedeutete für Diedenhofen und Esch,
die bislang neben der katholischen Einwohnerschaft nur über kleinere jüdische Gemeinden
verfügten, die erstmalige Ansiedlung einer größeren protestantischen Bevölkerungs-
minorität. In Malstatt-Burbach erbrachte das Wanderungsgeschehen die Ansiedlung einer
dominant katholischen Arbeiterschicht, welche den ursprünglich protestantischen Cha-
rakter der beiden Bauerndörfer völlig überdeckte, sowie die Etablierung einer neuen, nun
jedoch mittel- und oberschichtenbezogenen evangelischen Teilpopulation.
242
Abb.32 : Viertelbildung in Malstatt-Burbach 1856-1909
N>
-P-
1 Hauptbahnhof u. EiscnbahiiwerkstdUc
2 Bcrgwcrkidirektion
J Hafen und Hafenamt
4 Rathaut
5 Bahnhof MaUtatt und
Zementfabrik Bücking & Dietrich
4 Personenbahnhof Burbach
7 Oüterbahnhof Burbach
5 Maachineofabrik Ehrhard Sc Sehmer
9 Fabrik Fritze
10 EuengteBerei Müller
11 Südlicher Gaswerk
12 Asphaitfabrik Limburg
13 Phosphatmühle
14 Rheinische Lederwerke (Saarbrücken)
13 Dampfziegelei Schanzenberg und
Blaufabrik (Saarbrücken)
14 Waggonfabrik Lüttgens
17 Ziegeleien (RastpfuhJ)
10 Schlachthof
tf 'Ziegelei Niedner
"Bürger"
"Mittelschicht"
"Arbeiter"
"Mischkultur 1
"Mischkultur 2
uu SuizbachtaJ
Abb.33 : Viertelbildung in Diedenhofen 1883-1909
t Schloßhof u, Rathaus
2 Marktplatz
3 alter MairiepUuz
4 Holzplatz
I Luxemburgertorplatz
4 Metzertorplatz
7 Reite der alten
Befestigungsanlagen
1 Kommandantur
* Artillericdepot
10 Proviantmagazin
11 Militirhoapital
ZZZZ "Bürger”
□□D "Mittelschicht 1"
SK "Mittelschicht 2"
■dB "Arbeiter"
Abb.34 : Viertelbildung in Esch/Alz. 1871-1900
245
c) Fluktuation und Seßhaftigkeit: Analysen zu Aufenthaltsdauer und
Umzugsverhalten
Bislang wurde erörtert, wo die innerörtlichen Zielpunkte des Binnenwanderungsstromes
in den drei Untersuchungsgemeinden lagen, welche Stadtteile wie stark und darüber
hinaus von welchen Bevölkerungsgruppen angesteuert wurden. Noch wurde aber nicht
detailliert angesprochen, wie lange Aufenthalte in der Regel dauerten, wie oft innerhalb
der Ortschaften oder auch extern verzogen wurde. Die Perspektive der vorliegenden
Studie beschränkte sich bisher aufgrund der Datenstruktur der Melderegister vornehmlich
auf den Personenkreis, welcher von außerhalb in die Stadt hineinzog, ohne dessen
Mobilitäts- bzw. Seßhaftigkeitsverhalten in der Zeit nach dem Zuzug zu berücksichtigen.
Darum ist es zumindest zum Abschluß des empirischen Teils dieser Arbeit unerläßlich,
dem Hinweis von Stephan Bleek - "Die Umzugsmobilität innerhalb der Großstädte war
vor 1914 extrem hoch" - bezüglich der Industriegemeinden Malstatt-Burbach, Diedenho-
fen und Esch/Alz. nachzugehen.32
Ein Wegzugsdatum liegt in den Melderegistem der Stadt Malstatt-Burbach für 65,1
Prozent, in Diedenhofen für 71,6 Prozent der Zuwanderungsfälle vor.33 D.h. für diesen
Teil der Zuwandererschaft ist ihre Verweildauer in der Kommune festzustellen. Die
restlichen Personen hatten es entweder widerrechtlicherweise versäumt, ihren Abzug bei
der Meldebehörde anzuzeigen, oder aber sie sind auf Dauer in der Gemeinde wohnhaft
geblieben. Aufgrund zeitgenössischer Stellungnahmen der Bürgermeistereiverwaltungen
ist in einer Vielzahl der Fälle von einem Meldeversäumnis auszugehen. Angesichts der
Skepsis in den Reihen der Sachbearbeiter selbst überrascht aus Sicht des Historikers
jedoch positiv, daß immerhin für zwei Drittel und mehr der Immigranten ein Abreise-
datum vorliegt.
In der Saarhüttenstadt verweilte etwas mehr als die Hälfte (53,1%) jener Immigranten,
welche die Stadt nachweislich irgendwann auch wieder verließen, nicht länger als ein
32 Bleek, Mobüität, S.31. Bleek legt dabei Wert auf die Tatsache "einer hohen Fluktuation unter
einer bestimmten Gruppe der Wohnenden". Dieser Aspekt der Höchstmobilität vor allem der
jüngeren, ledigen, z.T. minderqualifizierten Migranten fand bereits mehrfach an anderer Stelle
Erwähnung und trifft sowohl auf die zwischenörtlichen als auch auf die innerörtlichen Um-
zugsbewegungen zu.
33 Vgl. hier wie auch im folgenden Tab.49. Die Aufenthaltsverteilung gestaltete sich hinsichüich
der drei analysierten Zeitkohorten jeweüs recht ähnlich. Auf eine Wiedergabe der Prozentsätze
in den einzelnen Zeitabschnitten wurde darum verzichtet. Die Escher Volkszählungen berück-
sichtigten die Aufenthaltsdauer der Zählbevölkerung nicht. Die Gemeinde Esch muß daher in
diesem Punkt weitestgehend aus der Untersuchung ausgeklammert werden. Vgl. diesbezüglich
die Ausführungen von Didlinger, Ausländische Bevölkerung von Esch/Alz. bzw. als zeitgenös-
sische Quelle die 1908/09 in zwei Bänden veröffentlichte, staatliche Häuser- und Wohnungs-
untersuchung in Luxemburg.
246
DIEDENHOFEN (1883-1909) Einzel- Familien- alle
Aufenthaltsdauer (falls angegeben) wanderer wanderer Immigranten
1- 8 Tage (1 Woche) 5,2% 5^%“ 5,2%
9- 31 Tage (1 Monat) 20,9% 14,0% 19,9%
32-183 Tage (1 halbes Jahr) 46,9% 22,4% 43,6%
184-366 Tage (1 Jahr) 12,0% 15,0% 12,4%
> 366 Tage (länger als 1 Jahr) 15,1% 43,0% 18,9%
Prozentsumme 100,0% iööiö'% ioo,o%
kein Umzugsdatum angegeben 28,4%
durchschnittliche Aufenthaltsdauer 208 Tage 837 Tage 294 Tage
Standardabweichung 364 Tage 1.380 Tage 647 Tage
maximale Aufenthaltsdauer 3.629 Tage 7-538 Tage 7.538 Tage
MALSTATT-BURBACH (1856-1909) Einzel- Familien- alle
Aufenthaltsdauer (falls angegeben) wanderer wanderer Immigranten
1- 8 Tage (1 Woche) 7,9% 1,7% 3,5%
9-31 Tage (1 Monat) 19,1% 4,7% 12,3%
32-183 Tage (1 halbes Jahr) 48,6% 37,6% 40,1%
184-366 Tage (1 Jahr) 15,3% 18,6% 16,4%
> 366 Tage (länger als 1 Jahr) 9,1% 37,4% 27,7%
Prozentsumme 100,0% 10Ö,Ö#> iöö,öfc
kein Umzugsdatum angegeben 34,9% 66,8% 34,0%
durchschnittliche Aufenthaltsdauer 159 Tage 5^5 Tage 54b Tage
Standardabweichung 331 Tage 996 Tage 1.092 Tage
maximale Aufenthaltsdauer 7.676 Tage 12.200 Tage 12.200 Tage
Zur Ergebnisgenauigkeit vgl. Anhang D.
Tab.49 : Aufenthaltsdauer der Zuwanderer nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach
1856/1883-1909
Au/anthafttdauar
(h Tag«)
1-8
K
32-183
184-368
>388
Diadanholan
Maistatl-Bürbach
Abb.35 : Aufenthaltsdauer der Zuwanderer nach Diedenhofen und
Malstatt-Burbach 1856/1883-1909 (Vgl. Tab.49)
247
halbes Jahr. 3,5 Prozent verharrten maximal eine Woche, 12,3 Prozent zwischen einer
Woche und einem Monat, der größte Teil aber kehrte der Gemeinde nach einem ein-
bis sechsmonatigen Aufenthalt wieder den Rücken. In der lothringischen Industriestadt
entschlossen sich gar mehr als zwei Drittel (68,7%) schon vor Ablauf eines halben Jahres
zur neuerlichen Abreise. Auch hier verweilte die Mehrzahl (43,6%) zwischen einem und
sechs Monaten. Personen, deren Präsenz in Diedenhofen oder Malstatt-Burbach länger
als ein halbes Jahr währte, wohnten dann mehrheitlich auch länger als ein Jahr in diesen
Orten. Im Schnitt betrug die Verweildauer der Zuzügler in Diedenhofen 294 Tage, in
Malstatt-Burbach 546 Tage, wobei Aufenthalte zwischen einem und 7.538 Tagen, also
mehr als 20 Jahren, in der Moselgemeinde bzw. 12.200 Tagen, d.h. mehr als 33 Jahren,
in der Saarstadt zustande kamen.34
Das Mobilitätsverhalten der alleinstehenden Migranten unterschied sich in diesem
Zusammenhang wesentlich von demjenigen der Zuzügler im Familienverband. Der
niedrigere Aufenthaltsschnitt in Diedenhofen resultierte letztlich aus dem höheren Wande-
rungsaufkommen durch Individualwanderer als vergleichsweise in Malstatt-Burbach.
Denn sowohl in der Saarhüttenstadt als auch in der Moselmetropole währten die
Aufenthalte der "Singles" zu 75 Prozent kein halbes Jahr, während einmal zugereiste
Familien nur in 42 bis 44 von 100 Fällen bereits schon vor Ablauf eines halben Jahres
anderweitig ihr Glück versuchten. Familien hielten sich in aller Regel mindestens ein
halbes Jahr in einer Wohngemeinde auf, zu 37 bis 43 Prozent residierten sie sogar länger
als ein Jahr am selben Ort. Berücksichtigt man als Daueransiedler nur einen gewissen
Teil des Personenkreises, für den kein Umzugsdatum vorliegt, so wird die überwiegende
Mehrheit der Familien tatsächlich auf längere Sicht ihrem einmal gewählten Wohnort
treu geblieben sein.
Anders verhielt es sich bei den Zuzüglern ohne familiären Anhang.35 Ihre Aufenthalte
beliefen sich durchschnittlich auf etwa ein halbes Jahr (208 Tage in Diedenhofen, 159
Tage in Malstatt-Burbach). Aber auch unter diesen war eine mehrjährige Präsenz
natürlich nicht ausgeschlossen, wenngleich sehr viel seltener. Die mittlere Verweildauer
von Familien währte in Diedenhofen dagegen über zwei Jahre (837 Tage) und in Mal-
M Didlinger stellt für den Zeitraum zwischen den Jahren 1900 und 1925 fest, daß 52,4 Prozent
der ausländischen Zuwanderer nicht länger als 199 Tage in der Gemeinde Esch verweilten und
723 Prozent verzogen bereits wieder vor Ablauf eines ganzen Jahres. Länger als drei Jahre
währten nur 11,0 Prozent der Aufenthalte. Vgl. Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz.,
S.182ff.
35 Festzuhalten ist, daß für diese Migrantengruppe auch seltener das Abreisedatum fehlt. Dies
spricht für die Annahme, daß die Abmeldemoral nicht so schlecht wie zeitgenössisch vermutet
gewesen ist und ein großer Prozentsatz derjenigen, welche sich nicht abmeldeten, auch tatsächlich
der Gemeinde erhalten blieben. Die Ummeldemoral im Falle eines innerörtlichen Wohnungs-
wechsels ist sicherlich kritischer zu sehen.
248
statt-Burbach ungefähr andert-
halb Jahre (573 Tage). Die "Sin-
gle"-Mobilität präsentierte sich
deutlich lebhafter, als es im
Vergleich dazu die familiäre
Fluktuationsbereitschaft zu-
ließ.36
Diese Gesetzmäßigkeit läßt sich
über den gesamten Untersu-
chungszeitraum hinweg beobach-
ten. Generell ist jedoch festzu-
stellen, daß die allgemeine Fluk-
tuationsneigung zwischen dem
Beginn der Industrialisierung und
der Jahrhundertwende langsam
anstieg.
Bleibt die Frage nach den innerörtlichen Umzügen. Ihr genauer Umfang läßt sich kaum
schätzen. In Diedenhofen ist für
die in den Melderegistem
erfaßten Zuzügler in 22,5
Prozent der Fälle ein erster
innerstädtischer Umzug belegt,
einen zweiten Wohnungswechsel
vollzogen 16,3 Prozent der
Immigranten und einen dritten
wagten 3,7 Prozent. Die Belege
hierfür sind in den Malstatt-
Burbacher Registern noch spär-
licher.37 Dieser Befund kann
keinesfalls die Gesamtheit in-
nerörtlicher Domizilwechsel,
welche in der Untersuchungs-
periode durch die zugewanderten
Malstatl-8urt»cft
Abb.36 : Umzugshäufigkeit der umziehenden Mi-
granten in Malstatt-Burbach 1901-1909 (Vgl.
Tab.50)
Zahl der Umzüge absolute Häufigkeit im Sample prozentuale Häufigkeit
1 352 39,4%
2 157 17,1%
3 125 13,6%
4 85 9,3%
5 65 7,1%
6-10 91 9,9%
mehr als 10 33 3,6%
9T8 100,0% (=52,3% aller Zuzügler)
Ergehn isgenauigkeit ±3,2%
Tab.50 : Umzugshäufigkeit im Zeitabschnitt 1901 bis
1909 seitens der zwischen 1901 und 1909
nach Malstatt-Burbach zu gewanderten,
umziehenden Personen
36 Stephan Bleek formuliert es so: "Gerade die Eheschließung dürfte in den meisten Fällen den
Übergang zur seßhaften Daseinsweise begleitet haben." Bleek, Mobüität, S.30.
37 Die Register verzeichnen bei 10 Prozent (53% Singles, 12,8% Familien) der Immigranten einen
innerstädtischen Umzug, bei 6,5 Prozent (3,5% S., 8,2% F.) einen zweiten und bei 2,8 Prozent
(0,5% S., 4,2% F.) einen dritten Domizilwechsel.
249
Bevölkerungsteile erfolgten, darstellen. Die weitaus meisten Umzüge wurden entweder
nicht angezeigt oder zumindest nicht in den Meldeakten verzeichnet.
Ausschließlich für Malstatt-Burbach lassen sich für den Zeitabschnitt zwischen 1901
und 1909 bzw. 1935 ziemlich lückenlos alle Umzüge nachweisen.38 Mehr als die Hälfte
der Personen (52,3%), welche zwischen 1901 und 1909 nach Malstatt-Burbach gekom-
men waren, verzogen noch in-
nerhalb dieses Zeitraums minde-
stens einmal, durchschnittlich
aber dreimal,39 entweder inner-
halb der Stadt oder nach außer-
halb. Einer aus diesem Personen-
kreis führte sogar nach seiner
Ankunft in Malstatt-Burbach,
welche nicht vor 1901 erfolgte,
bis zum Jahresende 1909 ganze
23 Domizilwechsel mit seiner
Familie durch. Dies bildete zwar
eine einzelne, rekordverdächtige Ausnahme, immerhin 13,5 Prozent aus dieser mobilen
Bevölkerungsgruppe (=7,1% aller Zuzügler) erachteten aber mehr als fünf Umzüge
innerhalb von maximal neun Jahren für nötig! (Tab.50 u. Abb.36)
Im Rahmen dieser Wohnungswechsel kam es in einem von fünf Fällen (=20 %) einmal
bis zweimal zu einem neuerlichen Zuzug in die Hüttenstadt. (Tab.51)40
Anzahl der Mehrfachzuzüge absolute Häufigkeit im Sample prozentuale Häufigkeit
I IT7 72,4%
2 37 18,2%
mehr als 2 19 9,4%
2Ü3 100, Ö% (= 22,1% aller Umzügler)
Ergebnisgenauigkeit ±7,2%
Tab.51 : Zahl der erneuten Zuzüge nach Malstatt-
Burbach infolge eines ersten Zu- und Abzu-
ges innerhalb der Jahre 1901-1909
38 Die zwischen den Jahren 1901 und 1935 von der Kreispolizeidirektion Saarbrücken geführten,
alphabetisch geordneten Meldekarten beinhalten alle Umzugsbewegungen (inner- wie außerörtlich)
derjenigen Personen, welche jemals in einer der Saarstädte eine Wohnung bezogen hatten.
39 Die durchschnittliche Anzahl betrug 3,1 Umzüge pro Familie (Standardabweichung: 2,97).
40 Die Anzahl der Mehrfachzuzüge nach einem ersten Abzug betrug 1,42 (Standardabweichung:
0,82). Sechs Mehrfachzuzüge stellten innerhalb der Stichprobe den Maximalwert dar. Zu
Mehrfachaufenthalten seitens der Ausländer in Esch im Zeitraum zwischen 1900 und 1915 vgl.
Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz., S.185. Danach hatten im Verlaufe dieser 26 Jahre
nur 8,7 Prozent der ausländischen Immigranten mehr als zwei Aufenthalte in der Kommune
aufzuweisen. Zu beachten ist allerdings, daß sich die Rahmenbedingungen der Mobilität ab 1914
wesentlich veränderten, so daß eine erhebliche Differenz zu den Verhältnissen während der
Hochindustrialisierungsperiode bestand.
250
Die mittlere Bezugsdauer der ersten Wohnung betrug in Diedenhofen wie in Malstatt-
Burbach ungefähr ein Jahr.41 Der Fall der Saarhüttenstadt bestätigt aufs neue, daß gerade
Familien dazu neigten, an dem einmal gefundenen Wohnraum festzuhalten. Allein-
stehende siedelten durchschnittlich bereits nach weniger als einem halben Jahr in ein
zweites Domizil über, während sich Familien im Schnitt anderthalb Jahre geduldeten.42
Dies kann nicht zuletzt auf den während der Industrialisierungsphase deutlich überlasteten
Wohnungsmarkt zurückgeführt werden, was besonders für Familien ernste Probleme bei
der Wohnungssuche aufgeworfen haben dürfte.
Mehr Informationen über das Umzugsgeschehen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
als diese wenigen Einblicke sind angesichts der Quellenlage in den Untersuchungs-
gemeinden leider nicht zu erhalten. Wesentliche Merkmale der gesteigerten Binnenmobi-
lität im städtischen Kontext dürften dennoch deutlich geworden sein: die enorme Quantität
des Umzugsgeschehens während der Hochindustrialisierungsperiode, die Permanenz einer
saisonalen Komponente in Form zahlreicher kaum halbjährlicher Aufenthalte sowie das
recht unterschiedliche Umzugsverhalten von Alleinstehenden und Familien.
41 Die mittlere Bezugsdauer der ersten Wohnung betrug in Malstatt-Burbach 375,7 Tage (SD:
636,5) und in Diedenhofen 375,2 Tage (SD: 794,3). Hinweise zur Häufigkeit des Wohnungs-
wechsels in der Stadt Esch/Alz. gibt eine statistische Aufstellung, welche infolge der Häuser-
und Wohnungsenquäte des Jahres 1909 veröffentlicht wurde. Die mittlere Bezugsdauer von
Wohnungen betrug hier gesamtdurchschnittlich 2,6 Jahre. Die Häufigkeit des Wohnungswechsels
korrelierte demnach eindeutig mit der Größe der Mietwohnung, indem kleine Wohnungen
wesentlich häufiger ihren Mieter wechselten als geräumige Domizüe mit mehreren Zimmern.
Daneben zeigte sich die Fluktuation im Arbeiterviertel Grenz um einiges erhöht als im Rest der
Gemeinde. Vgl. Häuser- und Wohnungsuntersuchung Luxemburg, Teil 2, S.168.
42 Die durchschnittliche Bezugsdauer der ersten Wohnung betrug seitens der "Singles" 138,2 Tage
(SD: 1793) und bei den Familienwanderem 6063 Tage (SD: 1.080,4). Die mittlere Bezugsdauer
jeder weiteren Wohnung lag daraufhin im Schnitt höher als die des jeweüs zuvor genutzten
Domizils.
251
F. Administrative Rezeption und Steuerungsstrategien hin-
sichtlich der Wanderungsbewegungen im Saar-Lor-Lux-
Raum während der Hochindustrialisierungsperiode
Die umfangreichen Wanderungsbewegungen der Hochindustrialisierungsperiode gingen
mit massiven Bevölkerungsumschichtungen einher. Dieser strukturelle Wandel betraf
sowohl die geographische Verteilung der Bevölkerung in den Industrieregionen sowie
in deren agrarischen Rekrutierungsgebieten als auch das Sozialgefüge der betroffenen
Staaten. Die industrielle Revolution als Auslöser und Basisprozeß der in dieser Studie
betrachteten Binnenwanderungsbewegungen bedingte neben vielfältigen technischen
Innovationen eben auch eine Vielzahl von Umwälzungen im gesellschaftlichen Bereich.
In der Nähe von Industrieansiedlungen entwickelten sich Ballungsräume in bis dahin
ungekannten Ausmaßen. Ein die Industrialisierung begleitender Verstädterungs- und
Urbanisierungsprozeß wurde in Gang gesetzt, welcher so weit ging, daß schon bald eine
"Leutenot auf dem platten Lande" konstatiert werden mußte. Städtische Gesellschaften
entstanden neu und bestehende Stadtwesen wurden darüberhinaus völlig umgekrempelt;
sie wurden sozusagen "sozial überfremdet". Selbst bis dato blühende Agrarregionen ver-
loren im Wirtschaftsgefüge der aufstrebenden Industriestaaten gegenüber den jungen
Industriegebieten an Bedeutung oder zumindest an Attraktivität für die Bevölkerung. Eine
maßgebliche Ursache hierfür waren die meist höheren Löhne in der Industrie als in der
Landwirtschaft. Die hieraus resultierenden sozialen und politischen Konflikte, welche
sich in der Auseinandersetzung von Bürgertum und Arbeiterschaft zuspitzten, sind in
der Forschungsliteratur hinreichend beschrieben worden.
Die Frage ist, welche Haltung die Verantwortlichen der kommunalen und staatlichen
Verwaltungsorgane, also die adlig-bürgerliche Elite der betroffenen Länder, gegenüber
dem Wanderungsgeschehen mit seinen weitreichenden Folgeerscheinungen einnahmen.
In welchem Wahmehmungshorizont beobachteten diese die Migrationen? Welche Schritte
unternahmen sie zur Kontrolle des Wanderungsstroms? Welche administrativen
Steuerungsstrategien wurden erarbeitet und fanden Anwendung, um die Binnenwande-
rungsbewegungen in ihrer Ansicht nach günstige Bahnen zu lenken?
a) Die Wahrnehmung des Wanderungsgeschehens durch kommunale
und staatliche Organe
Im allgemeinen unterlagen die Wanderungsbewegungen bzw. die mobilen Bevölke-
rungsteile der Hochindustrialisierungsperiode einer strengen und mißtrauischen admini-
strativen Überwachung. Keiner der betroffenen Staaten wartete die Resultate der indu-
striell angestoßenen Bevölkerungsentwicklung gelassen ab. In der Saar-Lor-Lux-Region,
252
in welche die Industrie im innerdeutschen sowie gesamteuropäischen Vergleich etwas
verspätet Einzug hielt, stand den Innenverwaltungen sehr bald nach dem Beginn der
beschleunigten Industrialisierung ein normativ verankertes Instrumentarium zur Erfassung
und statistischen Analyse der inter- und innerstädtischen Mobilität zur Verfügung.1
Anders als beispielsweise im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, aber mit dem dort
bereits erworbenen Erfahrungsschatz, hatten die Verwaltungen hier die Gelegenheit, mi-
grative Bevölkerungsbewegungen schon ab einem recht frühen Stadium der industriellen
Erschließung zu protokollieren und eventuell nötige Steuerungsversuche einzuleiten.
Die Beobachtung der Migrationswellen erfolgte schwerpunktmäßig einerseits unter
volkswirtschaftlichen und andererseits unter ethnisch-nationalen Gesichtspunkten.
Politische Intentionen, z.B. zur Kontrolle der Demokratie- und der Arbeiterbewegung,
interessierten im Zusammenhang mit dem Binnenwanderungsgeschehen des Industriali-
sierungszeitalters nur am Rande, sofern ganz konkret eine staatsfeindliche politische In-
filtration aus dem Ausland befürchtet wurde. So observierten die Polizeibehörden nach
der gescheiterten Märzrevolution von 1848 in den 1850er Jahren deutsche Wanderarbeiter,
die aus der Schweiz in die Rheinprovinz heimkehrten, wegen eventueller Kontakte zu
politischen Flüchtlingen in Zürich.2 Oder man nutzte die kommunalen Melderegister
als praktische Nachschlagewerke zum Auffinden "verdächtiger Elemente".3 Das Haupt-
augenmerk richtete sich jedoch auf andere Phänomene. Besonders die Auswirkungen der
Land-Stadt-Wanderung beunruhigten die Behörden, daneben die Folgeprobleme öfter
auftretender Massenarbeitslosigkeiten sowie umfangreiche ausländische Zuzugskontingen-
te, in erster Linie aus Polen und Italien, aber auch aus Frankreich, aus den Niederlanden
und aus Luxemburg. Sonderaspekte in der deutsch-französisch-luxemburgisch-belgischen
Grenzregion bildeten Unruhen in unmittelbarer Grenznähe, besonders durch Ausländer,
sowie Fragen der Präsenz ausländischer Betriebe und ausländischer Führungskräfte auf
eigenem Territorium, sei es in der Privatwirtschaft oder im Staatsdienst, in den vor allem
die germanophonen Luxemburger drängten. Nicht zuletzt beschäftigten sich die Ver-
waltungen mit den Folgen der Bevölkerungsverschiebungen für die Sittlichkeit und Moral
des Staatsvolkes, denn die Industrialisierung bedeutete gerade für einen Großteil der
1 Vgl. Kapitel G
2 Vgl. LHA Ko 442/6384.
3 In den Diedenhofener Polizeiakten findet sich z.B. die Bitte des Petersburger Polizeichefs aus
dem Jahre 1899, einen der Subversivität verdächtigen Russen ausfindig zu machen, der - nur
weü er einen bekritzelten Zettel mit dem Briefkopf einer Diedenhofener Gaststätte an die Polizei
der russischen Hauptstadt geschickt hatte - für "psychisch krank” und "gefährlich" erachtet wurde.
253
Unterschichten auch einen grundsätzlichen Wertewandel im Übergang von der agrarisch-
ländlichen zur industriell-urbanen Lebensweise.4
Die Rezeption der Migrationen seitens der gesellschaftlich maßgeblichen bürgerlichen
Öffentlichkeit zeichnete sich durch eine äußerst selektive Wahrnehmung aus. Obwohl
jeweils nahezu die gesamte Bevölkerung der Industriestaaten in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts in das Wanderungsgeschehen miteinbezogen war, gab der Zuzug
ausländischer Wanderarbeiter stets besonderen Anlaß zur Besorgnis. Die Komplexität
des Wanderungsgeschehens wurde offenbar nicht erfaßt, die Problematik in der in-
nenpolitischen Diskussion allzu oft auf die Ausländerthematik reduziert und damit an
den eigentlichen sozialen Problemen vorbeigeredet.
Das überaus hohe Mobilitätsaufkommen während des Untersuchungszeitraums bildete
ausschließlich im kleinen Großherzogtum Luxemburg effektiv ein Ausländerproblem.
Dies belegen die Zuzugsziffem nach Esch/Alz. des Jahres 1903, wo von 3.676 gezählten
Immigranten neben 1.130 Luxemburgern 2.546 nicht die luxemburgische Staatsangehörig-
keit besaßen. Es beunruhigte die örtlichen Behörden darüberhinaus, daß diese Migranten
auch weiterhin hochgradig mobil blieben. Denn 2.350 der 3.300 Personen, welche die
Gemeinde im gleichen Jahr verließen, waren Ausländer, nur 950 Luxemburger.5 Die
Mobilität in den Industriegemeinden des luxemburgischen Erzbeckens war zeitweise so
groß, daß die Orts- und Fremdenpolizei rein verwaltungstechnisch schon allein mit der
karteimäßigen Erfassung des Wanderungsstromes überfordert war.6
In diesem Kontext vernahm man aus der Presse folgenden Tenor: "Für die Fremden be-
steht im Großherzogtum die größte Freizügigkeit. (...) Kein Wunder, daß das Land von
fremden Vagabunden und Landstreichern förmlich überfüllt ist und die Verbrecher das-
selbe zum willkommenen Schlupfwinkel aufsuchen."7 Phänomene wie Kriminalität und
soziale Verelendung wurden als "Ausländerimport" abqualifiziert, die allgemeine soziale
Problematik urban-industrieller Agglomerationen mit vermeintlichen Patentlösungen ka-
schiert.
Zumindest Teile des Escher Gemeinderates legten die ganz alltäglichen Folgen des
"explosiven Emporschnellens der Bevölkerungszahlen" in erster Linie ebenfalls den
4 Peter Becker beschreibt in ausführlicher Weise die präventive Intention der Polizeibehörden,
die in der Praxis des 19. Jahrhunderts ihren Kompetenzbereich keineswegs ausschließlich auf
sicherheitspolizeiliche Aufgaben beschränkt sahen, sondern deren Selbstverständnis unter
Betonung der sittlich-moralischen Grundwerte der bürgerlichen Gesellschaft auf die Beförderung
der "Wohlfahrt" abzielte. Vgl. Becker, Peter: Randgruppen im Blickfeld der Polizei. Ein Versuch
über die Perspektivität des "praktischen Blicks", in: AfSG 32/1992, S.283-304, bes. S.284.
5 Vgl. ACEs 520.0: Übersichten der Ein- bzw. Auswanderung in die Gemeinde [unvollst.].
6 Vgl. Kapitel C.
7 Zeitungsausriß aus der Luxemburger Freie Presse v. 9.11.1893 in ANL J70/3.
254
Ausländem zur Last. Ansatzpunkt der Kritik bildeten die "teuren Schulneubauten,
Vermehrung des Lehrpersonals, Verstärkung der Polizei, Vermehrung der Ausgaben des
Armenbüreaus usw. usw.", welche für die Kommune als direkte Kosten des Bevölke-
rungswachstums anfielen. Daneben wurde die "abnorme Teuerung der Wohnungen und
Lebensmittel" angeführt. Im Wortlaut eines Zeitgenossen heißt es diesbezüglich: "Es läßt
sich nämlich feststellen, daß sämtliche Lebensmittel in Esch/Alz. teurer sind als sonst
auf irgend einem Platz Europas. Unser Schlachtvieh wird größten Teils aus Deutschland,
wie Cöln etc. bezogen. Butter, Eier usw. wird auf den Wochenmärkten in Luxemburg
aufgekauft und hier in Esch/Alz. mit Gewinn an den Mann gebracht. Das Gemüse etc.
kommt uns von Metz und Luxemburg zu. Dieses sind alles Folgen des abnormen Zuzuges
von Ausländem und bilden für die ansässigen Bewohner und Steuerzahler eine bedeu-
tende Vermehrung der direkten und indirekten Steuern."8 Die Forderung an die Adresse
der Staatsregierung lautete auf Erhebung von Meldegebühren und einer Einkommens-
Steuer für Ausländer nach dem Vorbild der Nachbarstaaten Frankreich und Elsaß-
Lothringen. Beabsichtigt war in diesem Falle vor allem die steuerliche Gleichstellung
von Luxemburgern und Ausländem, um eine gerechtere Verteilung der öffentlichen
Ausgaben zu gewährleisten.9 Wohl weil der Autor den Arbeitskräftebedarf der lokalen
Industriebetriebe zu berücksichtigten wußte, sind abgrenzende und integrative Kom-
ponenten in dieser lokalen Situationsanalyse zu finden.
"En vogue" war im Großherzogtum ansonsten eher der Ruf nach einer mittels Aus-
weisungsrecht durchgreifenden Fremdenpolizei. Noch um 1880 hatte die Staatsadmini-
stration offenbar nicht so recht gewußt, wie sie im Rahmen der Volkszählungen mit den
auswärtigen Wanderarbeitern verfahren sollte. Der Vorschlag zu getrennten Erhebungen
über die "population de droit" (luxemburgische Staatsbürger) und die "population de fait"
(gesamte Einwohnerschaft des Landes) wurde vorgebracht.10 In den 1890er Jahren wurde
auf öffentlichen Druck hin die Ausländermeldepflicht gesetzlich verankert und zugleich
eine weitreichende, juristisch abgesicherte Handhabe für die Fremdenpolizei ge-
schaffen.11 Ein allgemeines Meidewesen, das luxemburgische Staatsbürger miteinbezog,
8 Vgl. ACEs 520.0: Eingabe des Gemeinderates an den Schöffenrat der Gemeinde Esch v.
13.August 1912.
9 Vgl. ebda. Der Vorwurf an auswärtige Arbeitskräfte lautete konkret darauf, die Löhne zu
drücken, selbst gutes Geld zu verdienen und die Einheimischen die Steuern zahlen zu lassen.
Die Steuerleistung der Industriebetriebe kompensiere die Kosten des Ausländerzuzuges nicht.
10 Vgl. ANL H 1017: Kommentar des Distriktkommissars von Luxemburg zum recensement
général v. 1.Dezember 1880.
11 Vgl. ANL J 70/3: Gesetz v. 30.Dezember 1893 incl. Ausführungsbestimmungenv. 22.Dezember
1894.
255
wurde erst wesentlich später installiert.12 Die Aufmerksamkeit richtete sich auf den
Bevölkerungszugang aus dem Ausland, und als sozialpolitisches Instrument wurde auf
eine Verschärfung des Ausweisungsrechtes gesetzt. Sooft die Polizei vermeldete, "que
le contrôle des étrangers appartenant généralement à la classe ouvrière qui affluent dans
le pays se fait plus difficile de jour à jour", forderte die Öffentlichkeit, daß "la police
des étrangers soit exercée avec plus de sévérité".13 Die novellierte Fassung des Gesetzes
über die Fremdenpolizei erging im Jahre 1913.14
Diese Verfahrensweise beruhte auf der Grunddisposition der Behörden und der ein-
heimischen bürgerlichen Schichten gegenüber der Immigrantenschaft, welche - um mit
den Worten des Escher Gendarmeriekommandanten zu sprechen - noch im Jahre 1912
davon ausgingen, daß der "Arbeiterzuzug aller Nationalitäten und Kategorien" hoffentlich
nur bis zur Fertigstellung der großen Werke anhalte, danach aber weniger "gefährliche
Elemente" und "bessere Arbeiter, welche sich einen festen Arbeitsplatz und auch ein
Heim gründen wollen", ins Land bringen würde.13 Die kurzfristige und punktuell
wirksame Ausweisungpraxis wurde daher der Umsetzung eines langfristig angelegten,
sicherlich kostspieligeren, sozialpolitischen Konzeptes vorgezogen.
Auch in den reichsdeutschen Gebieten des Untersuchungsraumes galt den ausländischen
Migranten höchste Aufmerksamkeit im Wanderungsstrom. Hier bestand zwar früher als
im Großherzogtum Luxemburg eine allgemeine Meldepflicht, welche In- und Ausländer
gleichermaßen betraf.16 Das Ministerium für Elsaß-Lothringen legte den Kreisdirekto-
ren allerdings nahe, die Registrierung von Ausländem mit besonderem Nachdruck zu
verfolgen und "Zuwiderhandlungen (...) ohne Nachsicht zur Anzeige zu bringen".17 Mit
großer Akribie wurden Ausländerstatistiken geführt. Sofern ausländische Arbeitskräfte
bei Baumaßnahmen an militärischen Objekten beschäftigt waren, wurden militärische
Organe in die Ausländerkontrolle miteinbezogen.18 Zudem wurden die Meldebehörden
zu besonderer Sorgfalt bei der Ausstellung von Meldekarten für Ausländer angehalten.
12 Vgl. Kapitel C.
13 ANL J 70/6: Schreiben des Generalstaatsanwalts an das Staatsministerium v. 9.Dezember 1911.
14 Vgl. ANL J 70/4: Gesetz v. 18Juli 1913.
15 Vgl. ANL J 70/6: Schreiben des Gendarmeriekommandanten von Esch/Alz. an den General-
staatsanwalt v. 4.Dezember 1912.
16 Vgl. Kapitel C
17 Vgl. ADM 17 Z 17: MinEL an KDTh v. 28 August 1886 in Konkretisierung der Ausführungs-
bestimmungen des Meldegesetzes vom Juni 1883.
18 Vgl. ebda.: MinEL an KDTh v. 7.0ktober 1891 in Ergänzung der Verordnung v. 5.Februar
1891.
256
Ziel dieser Anweisung war es, zu verhindern, daß es Reichsdeutschen gelang, sich dem
Militärdienst zu entziehen, weil sie z.B. nach mehr als lOjährigem Aufenthalt in
Luxemburg die luxemburgische Staatsangehörigkeit erhalten hatten und sich nun im
Meldefalle in der Lage sahen, ihre dadurch keineswegs erloschene reichsdeutsche
Staatsangehörigkeit zu unterschlagen.19 Der "flottanten" Arbeiterbevölkerung der
industrialisierten Grenzregion, auch den Inländern, wurde generell ein reichliches Maß
an Mißtrauen entgegengebracht. Ein Meldeversäumnis bürgerlicher Funktionsträger, na-
mentlich von katholischen Vikaren und Staatsbeamten, wurde dagegen als Kavaliersdelikt
ausdrücklich von einer Strafverfolgung ausgenommen.20 Die administrative Praxis unter-
schied offenbar graduell zwischen Ausländem, inländischen Arbeitern und Bürgerlichen
(inländische Eliten).
In der preußischen Rheinprovinz wurde die kommunale Meldepflicht für Ausländer
im Jahre 1907/1908 um eine Inlandslegitimation erweitert. Dies bedeutete, daß Ausländer,
welche sich innerhalb des preußischen Staatsgebietes bewegten, einen von preußischen
Behörden erstellten Inlandspaß für Ausländer mit sich zu führen hatten.21 Der Ein-
führung dieser Papiere war eine vom Düsseldorfer Regierungspräsidium initiierte
Konferenz vorausgegangen, auf welcher Vertreter aus Industrie und Verwaltung die
Problematik ausländischer Arbeitnehmer erörterten. Angesichts 600.000 ausländischer
Arbeitskräfte in Preußen im Jahre 1906, wovon 240.000 auf die Industrie und 360.000
auf die Landwirtschaft entfielen, war diese Konferenz unumgänglich geworden.22 Als
Vorteile dieses auswärtigen Zustroms von Arbeitskräften wurde formuliert, daß jene
besonders geeignet für niedere Arbeiten seien, die inländischen Arbeiter für eine "höher
qualifizierte Arbeitsleistung" freisetzten und diesen somit das Erreichen einer "höheren
Kulturstufe" ermöglichten. Ein wesentlicher Pluspunkt für die Ausländerbeschäftigung
sei, daß jene in Krisenzeiten leichter abzulegen wären als Inländer. Nachteilig könne sich
jedoch eine allzu große Abhängigkeit des Arbeitsmarktes von ausländischen Kräften
auswirken, einige Landsmannschaften stellten zudem eine "nationale Gefahr" dar.
19 Vgl. ebda.: KDTh an den Bürgermeister von Diedenhofen v. 17. Januar 1900.
20 Vgl. ebda.: MinEL an KDTh v. 9.Dezember 1885 mit Hinweis auf das einschlägige Urteil des
Colmarer Oberlandesgerichts v. 23.Mai 1885, ebda., Bezirkspräsidium von Lothringen in Metz
(BPLo) an KDTh v. 22Juni 1888 bzgl. der Strafverfolgung von Beamten, welche eine Be-
amtenwohnung in der Stadt bezogen, ihre polizeiliche Meldung jedoch versäumt hatten.
21 Vgl. LHA Ko 403/6796: Anordnung des preußischen Innenministeriums v. 21 .Dezember 1907
zur Legitimationspflicht für Ausländer ab dem 1. Februar 1908.
22 Vgl. ebda.: Protokoll der Konferenz über die Einführung von Inlands-Zwangslegitimationen
für ausländische Arbeiter in Essen am 9.Dezember 1907. Unter den 600.000 Ausländem im Preu-
ßen des Jahres 1906 waren 210.000 Auslandspolen, 40.000 Menschen aus Rußland bzw,
Österreich-Ungarn, 90.000 Italiener sowie 70.000 bis 80.000 Niederländer.
257
Desweiteren wurden seitens der Arbeitgeber häufige Kontraktbrüche durch Ausländer
und eine gesteigerte Gewaltbereitschaft unter diesen beklagt.
Konsens wurde schließlich bezüglich der Einrichtung der genannten Inlands-Zwangs-
legitimation für Ausländer erzielt.
Im wesentlichen war diese Maßnahme auf eine strengere Kontrolle der Polen im
rheinisch-westfalischen Industriegebiet gemünzt. Der für das saarländische Industrierevier
zuständige Trierer Regierungspräsident betonte dagegen aus seiner Sicht, wie wichtig
die Ausdehnung der Legitimationspflicht auf die Italiener sei, welche das Hauptkontingent
der Ausländer in seinem Regierungsbezirk stellten. Er richtete daher eigens zwei Grenz-
stellen für italienische Wanderarbeiter, welche in der Regel per Eisenbahn über St.Ludwig
bei Basel und dann über Straßburg im preußischen Gebiet eintrafen, in Saarbrücken und
Trier-Karthaus ein.23
Bei der Ausländerkontrolle scheinen die zuständigen Stellen allerdings schon bald über
das Ziel hinausgeschossen zu sein. Denn der Innenminister sah sich im Mai des
Folgejahres veranlaßt, darauf hinzuweisen, daß Ausländer, welche ohne Legitimationskarte
angetroffen würden, nicht sofort auszuweisen seien, sondern man solle vielmehr -
nötigenfalls wiederholt - auf die Beschaffung einer solchen drängen. Aus gegebenem
Anlaß definierte er in eindeutiger Weise die Stoßrichtung der preußischen Ausländerpoli-
tik: Ziel der Legitimationskarte für Ausländer sei keinesfalls das Zurückdrängen des
ausländischen Arbeiterstroms, sondern die Kontrolle der für die inländische Produktion
notwendigen auswärtigen Arbeitskräfte.24
Die bis dahin geübte Verfahrensweise seiner Beamten zeugte jedoch von einer andersar-
tigen Stimmung in der bürgerlichen Öffentlichkeit.
Ein weiteres praktisches Problem gesellte sich in der südlichen Rheinprovinz dazu. Das
Reichsland bildete für Teile der Arbeiter, welche dem Legitimationszwang unterlagen,
ein naheliegendes Schlupfloch. Denn die Ausländerlegitimation hatte in Elsaß-Lothringen
keine Gültigkeit, was im Saarrevier häufig dazu führte, "daß Arbeiter, die zur Be-
schaffung von Legitimationskarten angehalten wurden, ohne weiteres den Dienst kün-
digten und sich nach Elsaß-Lothringen begaben".23 Sicherlich auch aus diesem Grund
errichtete die Preußische Feldarbeiterzentrale im Jahre 1911 in Metz ein eigenes
Vermittlungsamt, das speziell italienische Arbeitskräfte mit Legitimationskarten versah
23 Vgl. ebda.: Regierungspräsidium Trier (RPTr) an das Oberpräsidium in Koblenz (OPKo) v.
15 Juni 1908. Als Grund für die Ausweitung der Zwangslegitimation auf die Italiener nannte er
die Unleserlichkeit der italienischen Ausweispapiere.
24 Vgl. LHA Ko 403/6797: preußisches Innenministerium an das OPKo v. 31.Mai 1909.
25 Vgl. ebda.: RPTr an OPKo v. 15.Juni 1909 mit der Anregung um Ausdehnung der Legitima-
tionspflicht auf das Reichsland.
258
und von Elsaß-Lothringen aus ins Reichsgebiet vermittelte. Zugleich wurde die Saar-
brücker Grenzstelle für Italiener aufgehoben; in Preußen hatten nun die von der Metzer
Polizei beglaubigten Legitimationskarten Gültigkeit.26
Die Ausländerpolitik der reichsländischen und der preußischen Verwaltung unterschied
sich angesichts der durchaus vergleichbaren Stimmungsbilder in der Öffentlichkeit damit
nur unwesentlich von der in Luxemburg praktizierten Vorgehensweise. Zwangsmaßnah-
men, welche die Kontrolle der ausländischen Arbeitnehmer garantierten und nötigenfalls
deren Abschiebung - auch massenweise - ermöglichten, wurden sozialpolitisch-struktu-
rellen Strategien vorgezogen. Ausländer galten dem Zeitgeist entsprechend als mehr oder
weniger "notwendige Übel", welche die unerwünschten gesellschaftlichen Nebenwirkun-
gen der Industrialisierung weiter verschärften. Der temporäre Charakter ihres Auftretens
wurde allgemein anscheinend nicht bezweifelt.
Zu einem Thema in den zeitgenössischen Verwaltungsberichten wurden die Wanderungs-
phänomene erst in den 1890er Jahren, als sich im Untersuchungsraum einerseits durch
die permanente Abwanderung aus agrarischen in industriell erschlossene Gebiete ein aku-
ter Landarbeitermangel bemerkbar machte und andererseits größere Ausländerkontingente
auf den Arbeitsmarkt zu drängen begannen, was von den Unternehmern zeitweilig
aufgrund ihres Personalbedarfs nach Kräften gefördert wurde.
Im Jahre 1894 wurde dem lothringischen Bezirkspräsidium vom Diedenhofener Kreisdi-
rektor vermeldet: "Neue Erzgruben werden aufgeschlossen, neue Eisenwerke werden er-
baut, alte Werke erfahren die großartigste Erweiterung; die einheimischen Arbeiter
genügen dem Bedarfe nicht im Entferntesten. Luxemburger und Italiener, auch Franzosen
und sonstige Ausländer werden zu vielen Hunderten, ja zu Tausenden beschäftigt.1'27
Gleichzeitig wies er darauf hin, daß zunehmend mehr "Kleingrundbesitzer" in Industrie-
betrieben Arbeit nahmen. Das Lohnniveau in der Industrie sei dabei so hoch, daß bei-
spielsweise im stark industrialisierten Bereich westlich von Diedenhofen die Landwirt-
schaft Not habe, Gesinde und Arbeiter zu finden. Ein Landarbeiter erhielt hier nämlich
am Tag den spärlichen Lohn von 1,20 Mark (bei freier Kost), während ein Industrie-
arbeiter täglich zwischen 2,60 Mark und 3,20 Mark verdiente, Facharbeiter gar bis zu
6,- Mark, und sich diese eines dauernden, nicht witterungsabhängigen Arbeitsplatzes
sicher sein konnten.
26 Vgl. ebda.: preußisches Innenministerium an OPKo v. 19.August 1911. Dies deutet daraufhin,
daß Metz den zentralen Ankunftsbahnhof für Italiener in der Saar-Lor-Lux-Region darstellte.
27 Vgl. ADM 8 AL 244: Jahresberichte des KDTh an das BPLo betr. die Lage von Industrie und
Landwirtschaft, hier: v. 29.0ktober 1894.
259
Die Einleitung von Maßnahmen zum Schutz der eigenen Arbeiter vor dem auswärtigen
Zuzug wurde zu diesem Zeitpunkt nicht in Betracht gezogen, da zur "Gewinnung hoch-
wertigen Materials" eine langjährige Erfahrung nötig sei und deshalb Einheimische den
stark fluktuierenden Ausländem in der Regel vorgezogen würden. Notwendige Kündigun-
gen wurden zuerst gegenüber Ausländem ausgesprochen, welche zudem vorzugsweise
für saisonal eingeschränkte Arbeiten herangezogen wurden, während die saisonun-
abhängige Fabrikarbeit zumindest in dieser Phase noch von einheimischen Kräften
kontrolliert wurde. So betraf auch die Entlassungswelle des Winters 1894/95 vornehmlich
Ausländer, "meist Italiener, deren frühere Zahl durch einen bedeutenden Zuzug aus
Frankreich und in Folge der hiesigen Eisenbahn-, Kanal- und Kasemenbauten sehr ver-
mehrt worden [war]. Auch in Steinbrüchen wurden sie oft verwendet".28
Mit Erstaunen nahm die Bezirksverwaltung zur Kenntnis, "daß die Entfernungen bei dem
Zuzug fremder Arbeiter nicht zu sehr in Betracht zu ziehen sind", was nicht allein die
Anwesenheit zahlreicher Italiener lehre, "an deren Umherziehen man gewöhnt ist, sondern
auch (...) die Tatsache, daß hier westfälische Arbeiter in ganz französisch sprechenden
Gegenden und bei Besitzern, die nur dieser Sprache mächtig sind, so daß eine Verstän-
digung nur sehr schwer möglich ist, die einheimischen Arbeiter vollständig verdrängt
haben".29 Hier offenbarte sich eine Problematik, welche auch in Luxemburg gegen die
"Fremdarbeiter" vorgebracht worden war: das Auftreten der auswärtigen Kräfte als
Lohndrücker. Dies wirkte sich in besonderer Weise im Ziege leiwesen aus. Italiener wie
Westfalen organisierten sich nach dem gleichen Schema, indem eine Kolonne unter einem
sogenannten Rottenführer die ganze Arbeit in mittleren Ziegeleien machte und der
Besitzer nur noch das Material zu stellen brauchte. Da die Akkordleistung dieser Trupps
erheblich höher als diejenige der Einheimischen war, äußerten sich die Ziegeleibesitzer
äußerst zufrieden über diese Leute. Das Ausbleiben von Protesten seitens der ein-
heimischen Bevölkerung gegen dieses Auftreten auswärtiger Arbeiterrotten dürfte sich
nur durch den allgemein erheblichen Arbeitskräftemangel erklären lassen.
Im Gegenteil, die lothringischen Landesbehörden begrüßten in den Folgejahren ausdrück-
lich den weiteren Ausländerzustrom. Ständig mangelte es an "Arbeitskräften für die
Landwirtschaft, da alle erwachsenen männlichen Personen es vorziehen im Berg- oder
Hüttenwerke als auf dem Felde zu arbeiten, und daher in der Landwirtschaft nur
jugendliche Leute und alte Personen, die in der Industrie keine Beschäftigung mehr
finden, verwandt werden können, so daß die größeren landwirtschaftlichen Betriebe
genötigt sind, zur Erntezeit Arbeiter aus dem Auslande (Luxemburg) heranzuziehen."30
28 Dito.
29 Vgl. ADBR 87 AL 4546: Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten, hier: bzgl. 1894.
30 Vgl. ADBR 87 AL 4427: Jahresbericht v. 1.Dezember 1896 bzgl. 1896.
260
Im Jahre 1896 mußte hinsichtlich des Kantons Fentsch sogar festgestellt werden:
"Landwirtschaftliche Arbeiter gibt es in der hiesigen Gegend nicht. Die Berg- und Hüt-
tenarbeiter sind gleichzeitigauch landwirtschaftliche Arbeiter. Dieselben erhalten während
der Erntezeit Urlaub und helfen dann dem Landwirt, der ihnen ein Stück Land zum
Genüße hergegeben, die Ernte einzubringen."31 In diesem Falle ergänzten sich das
Arbeiterbauemtum und die Haupterwerbslandwirtschaft in nahezu symbiotischer Weise.
Die Arbeiter waren zur Ernährung ihrer Familien auf einen bescheidenen landwirtschaft-
lichen Anbau angewiesen, der ihnen angesichts ihrer schmalen Einkommen nur ermög-
licht wurde, indem sie die Pacht für das Grundstück beim Vollbauern über einen Emte-
dienst ableisteten, während dieser infolge des Landarbeitermangels auf die im Urlaub
erbrachte Arbeitsleistung der Industriekräfte zur Bestellung seines Ackerlandes angewie-
sen war.
Im weiteren beobachteten die Aufsichtsbeamten daher eine fortgesetzte Immigrations-
zunahme, speziell der Italiener. Es folgte im Rahmen dessen der allmähliche Einzug der
Femwanderer in die Industrie. Denn "während die Italiener früher nur in Bau-, Berg-,
Steinbruch- und ähnlichen Betrieben zu treffen waren, wurden sie im Berichtsjahre
[1897] vielfach in den Fabrikbetrieben, namentlich in Hüttenwerken verwendet, obwohl
sie hier die Leistungen der einheimischen Bevölkerung nicht erreichen".32 Die Meinung
der Industriellen von diesen Leuten war offenbar geteilt. Manche stellten aufgrund
niedrigerer Lohn- und quasi nicht bestehender Sozialkosten vorzugsweise Italiener ein,
andere wollten nur in Zeiten außerordentlichen Arbeitskräftemangels auf die Südeuropäer
zurückgreifen. Die einheimische Arbeiterschaft stand - wie bezeugt wird - angesichts
der allgemein vorhandenen Arbeitsgelegenheiten dieser erhöhten Beschäftigung aus-
ländischer Kräfte gleichgültig gegenüber. "Klagen wurden nirgens vorgebracht."33
Dieser Trend dauerte im lothringischen Industriegebiet um Diedenhofen bis etwa zur
Jahrhundertwende an. In Industrie und Landwirtschaft "mußten ausländische Arbeiter
in großer Zahl eingestellt werden". Die Agrarlöhne stiegen deutlich, dennoch hatte man
den Landarbeitermangel auch 1898 und 1899 noch immer nicht im Griff. Und im Jahre
1901 war die Situation im landwirtschaftlichen Bereich so angespannt, daß man militäri-
sche Ernteeinsätze erbat, welche das Generalkommando des XVI. Armeekorps allerdings
verweigerte.34 In der Industrie kam es im Jahre 1898 neben den immer zahlreicher
auftretenden Italienern zur gehäuften Einstellung von Arbeitern aus Berlin. Früher als
31 Dito.
32 Vgl. ADBR 87 AL 4431: Jahresbericht v. 28.Februar 1898 bzgl. 1897.
33 Dito.
34 Vgl. ADM 8 AL 244: Jahresberichte der KDTh v. 2.November 1898, v. 3.November 1899
und v. 25.November 1901.
261
auf dem Lande stellte sich aber anscheinend in der Industrie eine gewisse Sättigung des
Arbeitsmarktes ein. Denn das Auftreten dieser neuen Gruppe von "Fremdarbeitern" -
und als solche wurden die "Berliner", die westfälischen "Preußen" und die Italiener
gleichermaßen angesehen - löste einigen Unmut unter der angestammten Arbeiterschaft
aus, weil die auswärtigen Konkurrenten sich durchweg mit niedrigeren Löhnen zufrieden
gaben und die Einheimischen nun erstmals ihre Arbeitsplätze gefährdet sahen.35
Dieser Meinungsumschwung erfaßte auch die Verwaltung. Im Jahre 1900 äußerte sich
das lothringische Gewerbeaufsichtsamt zum ersten Mal höchst erfreut darüber, daß "der
bisherige allzu starke Zuzug fremder Arbeiter (...) ins Stocken [kam]".36 Darüberhinaus
wurde mit Genugtuung erkannt, daß "der Rückschlag in den Eisenindustrien (...) bei den
besonderen Verhältnissen des hiesigen Industriebezirks einen nachteiligen Einfluß auf
den Arbeitsmarkt äußerlich kaum gezeigt [hatte]". Denn "bei Eintritt der rauhen Jahreszeit
kehrten wie stets die Italiener, soweit sie mit Erd- und Maurerarbeiten beschäftigt waren,
zahlreich in die Heimat zurück."37
Gleiches wiederholte sich von nun ab in den Folgejahren und man sah sich in der Lage,
dem Produktionseinbruch des Jahres 1908 sogar einen positiven Aspekt abzugewinnen:
"Die Einschränkung der Produktion hat wenigstens für den Bezirk [Lothringen] den
Vorteil gebracht, daß ein Teil der ausländischen Arbeiter abgelegt werden konnte."38
Der auf der Düsseldorfer Fremdarbeiter-Konferenz des Jahres 1907 betonte positive
Effekt einer Selbstregulation des Arbeitsmarktes über die Ausländerbeschäftigung durch
deren Verfügbarkeit ohne weitergehende soziale Verantwortung bewährte sich also
tatsächlich in der Praxis.
In ähnlicher Weise wie in Lothringen richteten die Staatsorgane der südlichen Rhein-
provinz, des Industriereviers an der mittleren Saar, ihre Aufmerksamkeit erst nach 1890
auf das Wanderungsgeschehen. Die Saarindustrie scheint weniger als die lothringische
Wirtschaft auf solche auswärtigen Arbeitskräfte angewiesen gewesen zu sein, die man
als "fremd" empfand und daher mit dem Begriff "Fremdarbeiter" belegte. Auch der Land-
arbeitermangel nahm an der Saar offenbar weniger bedrohliche Ausmaße an als in der
Nachbarregion. Dennoch dürfte es sich um eine klare Untertreibung der Migrations-
verhältnisse gehandelt haben, als man im Jahre 1894 meinte, konstatieren zu können,
daß Eisenindustrie und Bergbau "ohne jede Mühe und ohne Schädigung der
35 Vgl. ADBR 87 AL 1882: Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten bzgl. 1898.
36 Vgl. ADBR 87 AL 4292: Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten bzgl. 1900.
37 Vgl. ADM 8 AL 244: Jahresberichte der KDTh v. 26.November 1900.
38 Vgl. ADBR 87 AL 3302: desgl. bzgl. 1908.
262
Landwirtschaft" ihre Arbeiter aus der Nachbarschaft und der bayerischen Pfalz
rekrutiere.39 Selbst im Koblenzer Oberpräsidium bezweifelte man die Darstellung der
Trierer Bezirksverwaltung, 1.) in den rein ländlichen Gebieten von Eifel und
Schwarzwälder Hochwald (Westhunsrück) sei die Bevölkerung "außerordentlich seßhaft,
(...) die Neigung landwirtschaftlicher Arbeiter, den gewerblichen Unternehmungen oder
den größeren Städten sich zuzuwenden [sei nur] in geringem Maße vorhanden" und 2.)
sei es auch in den Saarkreisen, "welche im Regierungsbezirk Trier neben landwirt-
schaftlichen Verhältnissen große gewerbliche Unternehmen aufzuweisen haben, (...) in
keiner Weise zu Tage getreten, daß diese Werke den benachbarten ländlichen Gegenden
die Arbeiter entziehen. Nach der Art des Betriebs der Bergwerke, die durch die Lage
der Kohlen gezwungen sind, ihre einzelnen Betriebsstätten über den ganzen Kohlenbezirk
zu verbreiten, ist es zunächst in gewisser Weise ausgeschlossen, daß sich sehr große
Gemeinwesen, größere Städte bilden".40 Die Perspektive des amtlichen Berichterstatters
zeigte in dieser Beurteilung eine eindeutige Verengung auf den staatlichen Saarbergbau,
dessen Belegschaft nicht zuletzt durch die fiskalische Siedlungspolitik in der Tat zu einer
ziemlich seßhaften Lebensweise angehalten wurde. Dabei übersah er allerdings, wie man
im Oberpräsidium am Rande des Berichtes zu vermerken wußte, daß die Einwohnerschaft
der Bergbaugemeinden Sulzbach, Dudweiler und Völklingen-Püttlingen jeweils über
10.000 Einwohner zählte und daß "ein großer Teil der männlichen Bevölkerung des
Hochwaldes und wenigstens aus den Kreisen Warndt, Merzig, Bemkastel, St.Wendel
im Saarrevier [arbeitet] und am Sonntag nach Hause zurück[kehrt]".41 Außerdem blieben
die Verhältnisse im Umfeld der Hüttenstädte, wie Malstatt-Burbach und Neunkirchen,
völlig aus dem Blick. Das Wanderungsgeschehen in diesen Gemeinden unterschied sich
nach dem Befund der empirischen Analyse der Melderegister erheblich vom
Mobilitätsaufkommen im engeren Bergbaurevier. Möglicherweise lag es an der staatlichen
Verantwortung und folglich am Eigenengagement des preußischen Staates im saar-
ländischen Bergbau mit seinem unzweifelhaft herausragenden Gewicht in der
Saarindustrie, daß der Blick für die Verhältnisse im Kontext der eisenschaffenden sowie
der eisenverarbeitenden Industrie etwas getrübt war, welche zudem bis zum Jahre 1901
in Person des Freiherm von Stumm-Halberg über eine wirtschafts- wie sozialpolitisch
besonders dominante Leitfigur verfügte.
Gewisse Folgeerscheinungen der Industrialisierung konnten jedoch auf Dauer auch der
Trierer Bezirksverwaltung nicht verborgen bleiben. Schon im Jahre 1889 wußte man um
39 Vgl. LHA Ko 403/8297: Jahresbericht des RPTr an das OPKo betr. die Lage der landwirt-
schaftlichen Arbeiter v. l2.September 1894.
41 Dito: Bleistiftnotizen am Rand des Berichtes.
263
Landarbeiter, in erster Linie aus den Eifelkreisen Prüm und Daun, welche sich im Herbst
und Winter zwecks Nebenverdienst in der Industrie verdingten, wenngleich in verhältnis-
mäßig geringem Umfang.42 Im Jahre 1897 mußte man ein Besorgnis erregendes
Lohngefälle zwischen dem Weinbau und der Industrie konstatieren. Abwanderungen in
die Industrie waren die unmittelbare Folge.43 Der landwirtschaftliche Bereich im
Regierungsbezirk war davon dann 1899 generell so stark betroffen, daß man "einzelne
Versuche, Dienstknechte aus den östlichen Provinzen (Westpreußen, Posen, Schlesien
etc.) hierher zu ziehen", unternahm. Diese Maßnahme war allerdings nicht von Erfolg
gekrönt, "da die Leute sich hier nicht einzuleben vermochten".44 Seitens des preußischen
Innenministeriums erging im gleichen Jahr ein geheimer Erlaß, welcher zur Milderung
der "Leutenot" in landwirtschaftlichen Regionen die gesetzmäßig garantierte Freizügigkeit
von Jugendlichen unter 18 Jahren einzuschränken gedachte45 Und ein Jahr darauf bot
das Landwirtschaftsministerium im Bedarfsfälle seine Dienste zur Vermittlung italieni-
scher Landarbeiter an, mit denen man "gute Erfahrungen" in Schlesien gesammelt habe
und bezüglich derer im Gegensatz zu den polnischen Arbeitskräften keine "nationalen
Bedenken" bestünden.46
In der Industrie waren auswärtige Arbeiter durchaus präsent. Die Verfahrensweise der
Industrieunternehmen gegenüber auswärtigen Arbeitskräften war sich in Lothringen und
an der Saar sehr ähnlich. Dies trat zu Tage, als 1891/92 mit der Fertigstellung des
Thomasstahlwerks in Malstatt-Burbach der personalintensive Puddelbetrieb weitgehend
eingestellt wurde. Arbeiter, welche in der Hüttenstadt selbst beheimatet waren, wurden
soweit möglich in andere Betriebszweige versetzt, Auswärtige dagegen "beurlaubt".47
Schon bevor die Schließung des Puddelbetriebes zum Tragen kam, hatte der Orts-
bürgermeister wegen der Wohnortbindung des neuen Einkommenssteuergesetzes die
42 Vgi. LHA Ko 403/6794: RPTr an OPKo v. 7.Februar 1889.
43 Vgl. ebda.: Jahresbericht v, 22.September 1897.
44 Vgl. LHA Ko 403/8298: desgl. v. 15-September 1899.
45 Vgl. ebda.: Innenministerium an das OPKo v. 14.0ktober 1899. Ein Wegzug von Jugendlichen
unter 18 Jahren sollte nur mit einem Genehmigungsschreiben der Erziehungsberechtigten und
unter Nachweis einer festen Arbeitsstelle genehmigt werden. Vorschläge zur diesbezüglichen
Änderung des Freizügigkeits- sowie des Unterstützungswohnsitzgesetzes wurden erbeten.
46 Vgl. LHA Ko 403/6794: Preußisches Landwirtschaftsministerium an alle Oberpräsidenten v.
23.Februar 1900. Ausdrücklich wurde eine behördliche Mitwirkung bei der Anwerbung
italienischer Landarbeiter angeboten. Die Landwirtschaftskammer der Rheinprovinz lehnte diesen
Vorschlag am 21 .Mai 1900 jedoch mit der Begründung ab, daß man sich hiermit ein weiteres
Konfliktpotential schaffe.
47 Vgl. LHA Ko 403/8296: RPTr an OPKo betr. die Arbeiterverhältnisse der Burbacher Hütte
v. SJanuar 1892.
264
Betriebsleitung gebeten, vor allem die Weiterbeschäftigung von Arbeitern aus Malstatt-
Burbach und der nächsten Umgebung ins Auge zu fassen. Dieser Bitte entsprach die
Direktion mit einem Rundbrief an alle Abteilungsleiter, was kurzfristig Unruhe unter
der Arbeiterschaft hervorrief, welche nach solchen Äußerungen allgemeine Massen-
entlassungen befürchtete.43 * * * * 48
"Fremdarbeiter", besonders Ausländer, wurden wie auch andernorts nur bei ausgespro-
chenem Arbeitskräftemangel engagiert. So füllten Ausländer, vor allem Italiener, welche
aus diesem Anlaß in den Verwaltungsberichten erstmals für die Saarhütten belegt sind,
die Lücken in den Belegschaften der Industriebetriebe, als diese beispielsweise im Jahre
1899 verzweifelt nach Arbeitern suchten.49 Ging es den Unternehmen schlecht, wurden
die "Fremdarbeiter" zuerst entlassen. Im Jahre 1902 reduzierte z.B. das Saarbrücker
Gußstahlwerk in Malstatt-Burbach seinen Arbeiterstamm im großen Stil von 560 auf
360 Arbeiter. Der Bürgermeister der Gemeinde beschwichtigte die Öffentlichkeit in
diesem Zusammenhang, daß es sich aber zumeist um "auswärtige westfälische Arbeiter"
gehandelt habe.50 Stand wie in diesem Falle die Kündigung einheimischer Kräfte an,
so bemühte sich die öffentliche Hand, dies über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ab-
zufedem. Diese dienten in der Regel dem Ausbau der kommunalen Infrastruktur. Im
Rahmen der Massenentlassungen des Frühjahrs 1902 teilte daher der Saarbrücker Landrat
dem Malstatt-Burbacher Bürgermeister mit: "Der Herr Minister hat darauf hingewiesen,
daß es erwünscht sei, im Hinblick auf den bestehenden Arbeitsmangel die Vergebung
von Wege-, Pflasterungs- und Erdarbeiten an Unternehmer möglichst an die Bedingung
zu knüpfen, daß von diesen nur inländische Arbeiter verwendet werden."51
43 Vgl. ebda.: Brief des Bürgermeisters von Malstatt-Burbach an die Betriebsleitung der Burbacher
Hütte v. 27.November 1891 u. Artikel "Aus der Umgegend" in der St. -Johann-Saarbrücker
Zeitung v. 7. u. 9.Dezember 1891. In den Eisenwerken des Reviers kam es tatsächlich zu um-
fangreichen Entlassungen wegen der Umstellung auf das Thomasverfahren. In der Burbacher Hütte
waren zuvor 70 Puddelöfen mit 800 Arbeitern in Betrieb. Zwischen Dezember 1891 und März
1892 wurden effektiv aber nur 69 Mann entlassen, da 252 Arbeiter in anderen Abteilungen eine
Beschäftigung zugewiesen werden konnte. Vgl. RPTr an OPKo v. 23.März 1892 betr. Entlassun-
gen gewerblicher Arbeiter im Regierungsbezirk Trier.
49 Vgl. LHA Ko 403/8327: Jahresbericht betr. die Lage der Industrie, Arbeiterentlassungen,
Arbeitseinstellungen des RPTr v. 7.Dezember 1899. Vor allem das Neunkircher Eisenwerk der
Gebrüder Stumm klagte über den anhaltenden Arbeitskräftemangel.
50 Vgl. StadtA SB, MB 689: Bürgermeister von Malstatt-Burbach an das RPTr v. 1 Januar 1902.
51 Vgl. ebda.: Landrat des Kreises Saarbrücken an den Bürgermeister von Malstatt-Burbach v.
21.Februar 1902. Die ABM-Maßnahmen waren bereits im Herbst 1901 von langer Hand
vorbereitet worden, so daß das RPTr bereits am 22.November 1901 dem OPKo berichten konnte:
"Die Stadtgemeinden Trier, St.Johann, Saarbrücken und Malstatt-Burbach haben sich auch zur
Vornahme besonderer Straßen- und Wegearbeiten im Falle einer Erweiterung der Arbeitslosigkeit
bereit erklärt." Vgl. LHA Ko 403/8298.
265
Welche Einwände wurden gegen die Beschäftigung von "Fremdarbeitern" im allgemeinen
und gegen ausländische Arbeitskräfte im besonderen erhoben?
Wie wir bereits erfahren haben, hatten die einheimischen Arbeiter prinzipiell nichts gegen
ihre auswärtigen Kollegen einzuwenden, außer daß sie durch deren Präsenz in Krisenzei-
ten ihre eigenen Arbeitsplätze gefährdet sahen. Ausschließlich in Zeiten, in denen die
eigene Existenz bedroht schien, kam es nach Aussage der staatlichen Aufsichtsbehörden
im Arbeitermilieu zu xenophoben Ausbrüchen.52
Ein wesentlicher und ständig genannter bürgerlicher Kritikpunkt setzte dagegen an der
Sitte und Moral der Immigranten an. Der gesamten Arbeiterschaft hielt man schon ent-
rüstet vor, daß, je besser es ihr ginge, Sparsinn und Enthaltsamkeit unter ihnen umso
mehr zu wünschen übrig ließen. "Am Zahltag und den darauf folgenden Tagen wird der
verdiente Lohn in den Wirtshäusern verjubelt, so daß an eine nachdrückliche Besserung
des Standard of life in den Arbeiterfamilien für lange Zeit nicht zu denken ist", berichtet
ein Zeitgenosse.53
Beklagt wurde damit einerseits die Destabilisierung bis hin zur Auflösung der traditionel-
len ländlichen Unterschichtengesellschaft durch die Industrialisierung und andererseits
die Konfrontation der ihrem Selbstverständnis nach staatstragenden bürgerlichen Elite
mit der ihr zahlenmäßig überlegenen, jedoch in ihren Augen sittlich ziemlich unter-
entwickelten Arbeiterschaft in den industriellen Urbanisationszonen. Der Anspruch
bürgerlicher Kreise, die Arbeiterschaft des eigenen Landes auf eine "höhere Kulturstufe"
zu führen, d.h. auch ihrem Nonnenkodex zu unterwerfen, wurde, wie bereits erwähnt,
bei der Düsseldorfer Fremdarbeiter-Konferenz ausdrücklich lanciert.
Im Fremdarbeiterphänomen sah man in zweierlei Hinsicht eine zusätzliche Gefährdung
des gesellschaftlichen Lebens.
Zwar hatten sich 2mm einen in den agrarisch strukturierten Rekrutierungszonen der Indu-
striegebiete die Kleinbauern vielfach finanziell saniert, indem sie über die Woche in den
benachbarten Industriegebieten arbeiteten; das Fempendlerwesen oder die Saisonarbeit
der Männer bzw. der Umzug einer Arbeiterfamilie vom Land in die Stadt hatte ihrer
Ansicht nach allerdings katastrophale Auswirkungen auf das Familienleben. Man konsta-
tierte die Auflösung traditioneller Familienbandc durch die Fabrikarbeit des Familien-
vaters. Die Frauen verlernten ihre Rolle als Hausfrau, egal ob sie z.B. wochentags für
52 Vgl. auch ADBR 87 AL 4371: Jahresbericht des Gewerbeaufsichtsbeamten für Lothringen bzgl.
1903: "Bei dem Mangel an Arbeitern und dem starken Zuzug fremder Arbeiter kann in Lothringen
von einer Arbeitslosigkeit nicht mehr die Rede sein (...) Ausländer wurden in weit größerer
Anzahl als früher beschäftigt, ohne daß sich bis jetzt die inländischen Arbeiter darüber beklagt
hätten."
53 Vgl. ADM 8 AL 244: Jahresbericht der KDTh betr. die Lage der Industrie und der Landwirt-
schaft V. 29.0ktober 1894.
266
den landwirtschaftlichen Familienbetrieb zuständig seien oder mit ihrem Gatten an einem
Industrieort hausten und dort aus finanziellen Gründen einer außerhäuslichen Verrichtung
nachgehen mußten. Die Mädchen heirateten angeblich sehr früh, Männer und Söhne
gingen ständig ins Wirtshaus. Dies und weitere Beispiele belegte in ihren Augen eine
bedauerliche "Verrohung der Moral" der Unterschichten.54
Zum anderen verschärfte - so der Tenor der Presse sowie der einschlägigen Verwaltungs-
berichte - die Femzuwanderung höchst mobiler Wanderarbeiter diese Mißstände in
erschreckender Weise. Verwaltungsfachleute bemerkten: "Die eingeborene, seßhafte
Arbeiterbevölkerung ist (...) gegenüber der eingewanderten und fluktuierenden in der
Minderzahl vertreten und derem schlechtem Einfluß unterworfen." In erster Linie seien
in diesem Zusammenhang die Italiener zu nennen, die "durch ihr ausschweifendes
geschlechtliches Leben (...) äußerst unsittlich auf die Bevölkerung [einwirkten]". Es seien
die ausländischen Arbeiter verantwortlich für die weite Verbreitung der "Trunk- und
Genußsucht".53 Allerdings kamen die deutschen Verwaltungsorgane Lothringens auch
nicht umhin, einen schädlichen Einfluß durch reichsdeutsche Wanderarbeiter festzustellen:
"Der eingeborene Arbeiter lebt im allgemeinen viel mehr in der Familie und ist weit
weniger vergnügungssüchtig als der zugewanderte altdeutsche Arbeiter."56 Namentlich
die Ausbreitung des Vereinswesens durch altdeutsche Zuzügler wurde bedauert.
Die Aktivitäten und den Lebenswandel von Reichsinländem konnte man zwar mißbilligen,
weder die Überwachung noch die Unterbindung dieser Tatbestände konnte jedoch
betrieben werden. Einerseits waren die genannten "Übel" per se nicht illegal, andererseits
war dies rein arbeits- und verwaltungstechnisch nicht zu leisten.
Die ausländischen Bevölkerungsminoritäten boten in diesem Falle eine geeignetere
Angriffsfläche.
Im preußischen Einflußbereich - und hierzu ist auch das Reichsland Elsaß-Lothringen
zu rechnen - unterlag die Ost-West-Wanderung aus den polnischen Siedlungsgebieten
in Deutschland, Rußland und Österreich-Ungarn einer besonders strengen Kontrolle.57
Die Überwachung der Polen im Reich wurde aus einer nationalpolitischen Intention
heraus vor allem in der Rheinprovinz mit einer solchen Energie und Verbissenheit
54 Vgl. ADBR87 AL 1882: Jahresbericht des Gewerbeaufsichtsbeamten für Lothringen bzgl. 1898.
55 Vgl. ADBR 87 AL 4427: desgl. bzgl. 1896.
56 Vgl. ADBR 87 AL 4371: desgl. bzgl. 1903.
57 Vgl. hierzu speziell: Wehler, Hans-Ulrich: Die Polenpolitik im Deutschen Kaiserreich (1871-
1918), in: Politische Ideologien und nationalstaatliche Ordnung, Festschrift für Theodor Schieder,
hg. von Kurt Kluxen u. Wolfgang J. Mommsen, München 1968 sowie die Monographien zur
polnischen Arbeitermigration von Elke Hauschild (1986), Richard C. Murphy (1982), Kristyna
Murzinowska (1979) und Georg Schmidt (1990).
267
durchgeführt, daß die in diesem Sektor tätigen Verwaltungskräfte weitgehend hierauf
fixiert waren und sich somit den Blick für andere Migrationsfragen selbst verstellten.
Das "Polenproblem" betraf im wesentlichen das Ruhrgebiet. Im Grenzraum, den die
südliche Rheinprovinz und der Bezirk Lothringen gemeinsam mit dem Großherzogtum
Luxemburg bildeten, waren andere Wanderungsphänomene von Gewicht.
Übergeordnete Stellen bombardierten dennoch förmlich alle Bezirkspräsidien der
Rheinprovinz sowie des Reichslandes mit Anfragen und Anordnungen hinsichtlich
eventuell beschäftigter "National-Polen" aus deutsch-polnischen, russisch-polnischen
oder österreichisch-polnischen Gebieten. Dabei war der Zuzug von polnischen Ar-
beitskräften bis 1914 sowohl an der Saar als auch in Lothringen nahezu irrelevant. Im
ganzen Regierungsbezirk Trier lebten im Jahre 1901 gerade einmal 13 ausländisch-polni-
sche Arbeiter.58 Und auf die Absichtserklärung des preußischen Innenministeriums bzw.
des Oberpräsidiums in Koblenz zur Ausschließung aller ausländisch-slawischen Arbeiter
aus landwirtschaftlichen wie gewerblichen Betrieben der Rheinprovinz bzw. auf die Emp-
fehlung, falls notwendig, wenigstens "anti-polnisch gesinnte" Ruthenen (=Ukrainer) den
polnischen Arbeitern vorzuziehen, erklärte der Trierer Verwaltungschef lapidar, daß ein
wirkliches Bedürfnis nach solchen Arbeitskräften weder in der Landwirtschaft noch der
Industrie des Bezirkes bestehe. Vielmehr brachte erst der diesbezügliche Schriftverkehr
den Saarbrücker Landrat auf die Idee, in seinem stark industrialisierten Kreis könne der
Einsatz von polnischen Landarbeitern rentabler sein, weil die eigenen Leute mittlerweile
"zu hohe Ansprüche" stellten.59 Die 19 ostpreußischen, polnischen und russischen
Knechte bzw. Mägde, welche im Jahre 1905 auf zwei nahe der Stadt Saarbrücken
gelegenen Höfen in Dienst waren, hatten sich schließlich gemäß seinen Worten als
"billige, zuverlässige Saisonarbeiter" und Stützen der Betriebe bewährt! Es blieb letztlich
allerdings bei diesem Gedankenspiel.60
In keinem Industrieunternehmen des Saarreviers fanden sich zur gleichen Zeit slawische
Arbeitskräfte.
Die Verfahrenspraxis in Lothringen orientierte sich am preußischen Vorbild. Die
Ansiedlung slawischer Arbeiter wurde - so selten sich überhaupt die Notwendigkeit bot
58 Vgl. LHA Ko 403/6795: RPTr an OPKo betr. Saisonbeschäftigung ausländisch-polnischer
Arbeiter v. 9.Aprü 1902. Auch deutsch-polnische Kräfte wurden hier keineswegs häufiger
beschäftigt.
59 Vgl. ebda.: Schriftverkehr des Jahres 1905.
60 Vgl. ebda.: Bericht des Saarbrücker Landrates v. 15-Aprü 1905, wonach im Kreis Saarbrücken
auf dem Eschbergerhof 13 Personen und auf dem Petersberger Hof 6 Personen slawischer
Nationalität als Saisonarbeiter angestellt waren. Auch drei Jahre später arbeiteten auf dem
Eschberger Hof mit 15 bis 20 polnisch-russischen Kräften nur unwesentlich mehr solcher
Landarbeiter. Vgl. Bericht des Saarbrücker Landrates v. 15.März 1908.
268
- erschwert. Das Reichsamt des Innern drängte deswegen erst 1911 ausdrücklich darauf,
eine Beschäftigung aus nationalpolitischen Gründen nur insoweit zu gestatten, "als hierfür
ein unabweisbares wirtschaftliches Bedürfnis vorliegt und auch dann nur unter Bedin-
gungen, welche das Seßhaftwerden der ausländischen Polen verhindern".61 Der Direktor
des ländlichen Kreises Diedenhofen-Ost meinte zu dieser Initiative, der Erlaß obiger
Vorschriften sei "für den Kreis kein Bedürfnis". Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten in der
dortigen Landwirtschaft nämlich lediglich 13 Russen und zwei österreichische Polen,
während die Industrie acht Russen und 29 Galizier beschäftigte. Sein Kollege aus dem
Industriekreis Diedenhofen-West hatte allerdings "keine Bedenken" gegen die Einführung
dieser Grundsätze. Denn im gewerblichen Sektor seines Verwaltungsbereichs wirkten
immerhin 38 russische und 247 galizische Arbeiter, slawische Landarbeiter kamen hier
jedoch trotz erheblicher Engpässe auf dem agrarischen Arbeitsmarkt nicht vor.62
Die Naturalisierung der Slawen wurde in Abstimmung mit dem preußischen Innenmini-
sterium in der Regel unterbunden, denn ein in Elsaß-Lothringen eingebürgerter Pole
russischer oder österreichischer Staatsangehörigkeit mußte gemäß der Reichsverfassung
im Falle eines Umzuges nach Preußen automatisch als Preuße naturalisiert werden.
Besonders restriktiv wandte man dabei das Einbürgerungsrecht gegenüber russischen
Juden und russischen Polen an. Mit den österreichischen Polen aus Galizien verfuhr man
etwas liberaler, wodurch jene unter den relativ wenigen Slawen im Raum Diedenhofen
überdurchschnittlich präsent waren.63
Die "Polenfrage" stellte in der Saar-Lor-Lux-Region insgesamt aber nicht mehr als eine
Randerscheinung dar. Die hiesigen Verwaltungen hatten neben dem umfangreichen
Italienerzuzug eher mit spezifischen Grenzraumproblemen zu kämpfen. Diese gab es auch
im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, wo im Jahre 1908 neben zahlreichen
Osteuropäern auch ungefähr 90.000 Arbeiter aus den benachbarten Niederlanden ein
Auskommen gefunden hatten. Den Holländern unterstellte man behördlicherseits eine
"antimilitaristische" Haltung, welche die Wehrbereitschaft junger deutscher Arbeiter
zersetze. Die Beunruhigung der Verantwortlichen hielt sich allerdings in Grenzen, da
das "Holländerproblem" immer im Schatten der amtlichen Auseinandersetzung mit den
Polen stand, mit denen wiederum, zum Leidwesen der Staatsbeamten, die Niederländer
ein auffallend gutes Verhältnis unterhielten. Äußerst suspekt waren der preußischen
41 Vgl. ADM 8 AL 262: Reichsamt des Innern an das BPLo v. 27 Juni 1911 incl. der (vertrauli-
chen!) preußischen Vorschriften über die Beschäftigung ausländisch-polnischer Arbeiter als
Anlage, welchen der Wortlaut der reichsländischen Verfügung entnommen wurde.
62 Dito.
63 Vgl. ADM 3 AL 3: Preußisches Innenministerium an den Kaiserlichen Statthalter in Elsaß-
Lothringen v. 7.0ktober 1904 sowie MinEL an alle Bezirkspräsidenten v. 25.Juni 1914.
269
Administration in diesem Kontext Festivitäten polnischer Arbeiter aus der Rheinprovinz,
welche auf niederländischem Hoheitsgebiet stattfanden und eine "Verbrüderung" beider
Minoritäten befürchten ließen.64 65
Die Grenznähe des saarländisch-lothringischen Industriegebietes beinhaltete demgegen-
über in den Augen der deutschen Staatsorgane deshalb eine außerordentliche Brisanz,
weil hier massenweise Arbeiter aus Luxemburg, Belgien und Frankreich einströmten,
welche ihrer Meinung nach im - offensichtlich des öfteren konkret erwarteten - Kriegs-
fälle eine Gefahr im Lande darstellen konnten. Das Trierer Regierungspräsidium bemühte
sich stets, diese spezifisch strategische Grenzraumproblematik herauszustreichen und
betonte gegenüber höheren Stellen ausdrücklich die Marginalität der "Polenfrage" in sei-
nem Bezirk.45
Mehr noch als im Saarrevier sah man sich in Lothringen solchermaßen gearteten
Problemen ausgesetzt. Da waren zum einen die französischen Staatsbürger, von denen
viele nach dem deutsch-französischen Krieg als Elsässer oder Lothringer für Frankreich
optiert hatten und teilweise nun wieder versuchten, in der alten Heimat Fuß zu fassen.66
Um ein Scheitern der Integration des Reichslandes nach Deutschland zu verhindern, fühlte
man sich daher veranlaßt, Daueraufenthalte von Naturalfranzosen nur in Ausnahmefällen
zuzulassen. Vorübergehende Reisen, auch als Tagespendler, unterband man dagegen nur,
wenn "besondere Umstände irgendwelche Nachteile befürchten [ließen]", beispielsweise
bei Militärangehörigen.67 Vorrangiges Ziel der Reichslandverwaltung war es, "zu verhin-
dern, daß sich vollständige französische Kolonien im Lande bildeten".68 Trotzdem
stellten im Jahre 1910 die Franzosen nach den Italienern das zweitgrößte Ausländer-
kontingent in Elsaß-Lothringen.69
Weil der deutsch-amerikanische Staatsvertrag von 1868 auf das 1870/71 annektierte
Elsaß-Lothringen keine Anwendung fand, achtete man darauf, daß sich Elsaß-Lothringer,
welche nach 1871 die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hatten und sich danach
wieder im Reichsland aufhielten, nicht der Wehrpflicht entziehen konnten, denn ihre
64 Vgl. LHA Ko 403/6796: Schreiben des Innenministeriums v. 17.Februar 1908 mit der Kopie
eines Berichtes des deutschen Generalkonsuls in Amsterdam.
65 Vgl. LHA Ko 403/6794: RPTr an OPKo v. 23Januar 1894.
66 Vgl. hierzu allgemein: Wahl, L'option et l'émigration.
67 Vgl. ADM 3 AL 3: Erlaß des MinEL v. 24.April 1880.
68 Vgl. Straßburger Post v. 15 Juli 1907 bzgl. der Ausführung des Statthaltererlasses v. 28 August
1884, welcher die Ausweisung militärpflichtiger Söhne von im Reichsland wohnenden Franzosen
vorsah, falls diese nicht die deutsche Naturalisation anstrebten.
69 Vgl. Straßburger Post v. 19.Januar 1911.
270
deutsche Staatsangehörigkeit und Militärpflicht war im Gegensatz zu allen anderen
Deutschen mit diesem juristischen Tatbestand nicht automatisch erloschen.70
Ein heikles Thema stellte die Frage der Behandlung der Luxemburger in Lothringen und
im Saarrevier dar. Das Großherzogtum befand sich schließlich in einer Wirtschaftsunion
mit dem Deutschen Reich. Gleichwohl hatten die Luxemburger nicht den Status von
Reichsdeutschen. Der wirtschaftliche Kontakt war beiderseits erwünscht, eine zu starke
Stellung luxemburgischer Staatsbürger im Reich sowie umgekehrt der Deutschen im
Großherzogtum suchte die jeweilige Landesregierung jedoch zu vermeiden.
Luxemburger, welche in irgendeiner Form in den reichsländischen Staatsdienst eintreten
wollten, waren daher ab dem Jahre 1878 gezwungen, unter Aufgabe ihrer luxemburgi-
schen Staatsangehörigkeit die elsaß-lothringische Staatsbürgerschaft anzunehmen.71 Eine
vergleichbare gesetzliche Regelung wurde im Jahre 1880 auch in Preußen eingeführt.72
Überaus beunruhigt reagierte der Statthalter Elsaß-Lothringens, als er im Jahre 1896
anläßlich eines Besuches in Metz erfuhr, daß sich zwischen Diedenhofen und der
luxemburgischen Grenze "eine wachsende Ansiedlung luxemburgischer Staatsbürger bilde,
welche die sämtlichen Vorteile der Inländer genießen, ohne an den Lasten und Pflichten
derselben in gleicher Weise Teil zu haben".73 Befürchtet wurde anscheinend, wie
hinsichtlich der Franzosen, die Ausformung einer luxemburgischen Kolonie, welche vor
allem in der unmittelbaren Nähe zur luxemburgischen Grenze bedenklich erschien. In
der Tat wuchs die Zahl der im Reichsland ansässigen Luxemburger nach 1890 stetig an.
Im Jahre 1891 lebten hier 7.320 Luxemburger und im Jahre 1896 bereits 13.769
luxemburgische Staatsbürger. Ein ständig zunehmender Teil der Luxemburger kon-
zentrierte sich auf den Kreis Diedenhofen, wo 1896 allein drei Viertel von ihnen einen
Wohnsitz genommen hatten. Es fiel dabei auf, daß mittlerweile 30 Prozent der anwesen-
den Luxemburger gar nicht mehr im Großherzogtum, sondern bereits in Lothringen
geboren worden waren.
Der lothringische Bezirkspräsident wußte den gesteigerten luxemburgischen Zuzug
unmittelbar mit dem industriellen Aufschwung der Region in Zusammenhang zu bringen,
hob allerdings hervor: "Außerdem kommt aber auch in Betracht, daß die Landwirtschaft
70 Vgl. ADM 3 AL 3: Ministerialerlaß v. 28.Januar 1880.
71 Vgl. ebda.: Verfügung des elsaß-lothringischen Oberpräsidenten v. 29.November 1878. Diese
Maßnahme wurde im Vorfeld mit der luxemburgischen Staatsregierung abgestimmt, wobei
Ausnahmen vorgesehen wurden, was es etwa den in Luxemburg geborenen Kindern des Antrag-
stellers erlaubte, die luxemburgische Staatsangehörigkeit zu behalten. Vgl. hierzu auch: ANL
H 792.
72 Vgl. LASb, LRASb Kr-G 32: Regierungsbeschluß v. 16.Februar 1880.
73 Vgl. ADBR 27 AL 228: Statthalterbüro an das MinEL v. 6-Juli 1896.
271
zu einem erheblichen Teil auf den Zuzug ländlicher Arbeiter aus Luxemburg angewiesen
ist, da auch ein großer Teil der einheimischen ländlichen männlichen Bevölkerung in
der Industrie beschäftigt wird und der Mangel an ländlichen Arbeitern im Kreis Dieden-
hofen besonders durch den Zuzug aus Luxemburg gedeckt wird".74 Mißstimmungen
in der angestammten Bevölkerung beschränkten sich nach seinen Beobachtungen auf
gelegentliche neidvolle Äußerungen, weil lothringische Mädchen luxemburgische Bur-
schen, die keinem Militärdienst unterlagen, den eigenen Landeskindem vorgezogen hatten.
Das Reichslandministerium übersah diese Abhängigkeit der lothringischen Wirtschaft
von luxemburgischen Arbeitskräften geflissentlich und bezog in einer Stellungsnahme
gegenüber dem Statthalter eine dezidiert nationalpolitische Position: "Die in erster Linie
auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Grenzgebiete zurückzuführende Einwanderung
aus Luxemburg muß im Interesse der deutschen Sache unzweifelhaft als unerwünscht
bezeichnet werden, da unter den Eingewanderten unleugbar eine starke Hinneigung zu
Frankreich verbreitet ist.''73 Der Ruf nach Anwendung des Ausweisungsrechts wurde
laut. Hochgradig verdächtig machte die Luxemburger für bestimmte führende Zirkel in
Deutschland ohnehin, "daß in den höheren Kreisen [Luxemburgs] eine bemerkenswerte
Hinneigungzu der geschmeidigen und amüsanten Leichtigkeit des französisch-belgischen
Wesens besteht, während das Landvolk in diesem äußersten Grenzland des deutschen
Sprachgebietes noch unverändert an seinem germanischen Dialekt festhält".76
Zur wirksamen Eindämmung der "Überhandnahme der Luxemburger" in Lothringen
strebte die Reichslandverwaltung eine Abänderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes an.
Nach französischem Vorbild schlug man neben dem in Deutschland gültigen Abstam-
mungsprinzip auch die Heranziehung des Territorialprinzips vor, so daß in Deutschland
geborene Kinder von Ausländem automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten
74 Vgl. ebda.: BPLo an das MinEL v. 13.August 1896 incl. Statistiken.
75 Vgl. ebda.: MinEL an den Statthalter v. ll.September 1896.
76 Vgl. ADM 3 AL 323: vertraulicher Bericht ans Auswärtige Amt in Berlin über die Gründungs-
versammlung eines Regionalkomitees des Pariser Vereins zur Verbreitung der französischen
Sprache (Alliance française pour la propagation de la langue française dans les colonies et à
l'étranger) v. 28.November 1905. Zur Sprachwirklichkeit im Luxemburg des Fin de siècle sei
angemerkt, daß auf höchster Verwaltungs- und Regierungsebene Französisch die gängige
Amtssprache darstellte, während vor allem auf Gemeindeebene in der Regel die deutsche Sprache
vorherrschte. Als beispielsweise am 18.November 1907 anläßlich einer Gemeinderatssitzung in
Esch/Alz. ein in Französisch verfaßtes Regierungsschreiben verlesen wurde, kam folgender Dialog
zustande: A.: "Könnten Sie das nicht auf deutsch sagen?", B.: In einem Wort gesagt, die
Regierung ist damit einverstanden, einen Polizeiagenten für den Posten einzustellen. Vgl. ACEs,
Sitzungsberichte des Gemeinderates.
272
und somit zur Zeit der Großjährigkeit auch der deutschen Militärpflicht unterliegen
würden. Eine praktische Umsetzung jedoch erfuhr auch diese Initiative nicht.77
Es zeigt sich jedenfalls, wie sehr die Politik auf eine nationalstaatliche Abgrenzung zielte,
wobei leitende Verwaltungsbeamte Gedankenspiele anstellten, in welchen man eher
Staatsbürger wie Leibeigene zu transferieren gedachte als sozialpolitisch mit den
Nachbarstaaten zu kooperieren, seien sie (wirtschaftlich) verbündet wie Luxemburg oder
verfeindet wie Frankreich.
Ein "Dom im Auge" der Staatsführung waren darum von ausländischen Kapitalgebem
kontrollierte Industrieunternehmen wie die Burbacher Hütte, welche im Jahre 1889 "die
Werke des Bezirkes überflügelt [hatte, obwohl] die Gesellschaft fast ausschließlich aus
ausländischen Actionären besteht und ihren Sitz in Brüssel hat", zumal die Buchführung
zu diesem Zeitpunkt noch eine französische war.78 Im Malstatt-Burbacher Falle
begnügte man sich mit einer mißtrauischen Beobachtung des Geschäftsbetriebes. In
Lothringen, wo etwa die französische Untemehmerfamilie de Wendel über Werksanlagen
verfügte, versuchte man arbeitsmarktpolitisch in die Industriebetriebe hineinzudirigieren.
Die Innenabteilung des Reichslandministeriums teilte dem lothringischen Bezirks-
präsidenten im Jahre 1900 mit, die Verwaltung müsse "sich angelegen sein lassen, das
ausländische Element in der Leitung der Betriebe ohne Rücksicht darauf, ob die
Gesellschaft ihren Sitz im Inlande oder im Auslande hat, mit den ihr zu Gebote stehenden
Mitteln zurückzudrängen".79 Er forderte die genaue Kontrolle derjenigen Betriebe, von
denen der Kreisdirektor in Metz ihm berichtet habe, "daß sie schädigend auf die
Germanisierung wirken, indem die deutsche Sprache unterdrückt, die französische
gebraucht und deutschsprechende Beamte unter Ersetzung durch Ausländer beseitigt
werden".80 Vorausgegangen war dieser konkreten Handlungsanweisung eine Bezirks-
polizeiverordnung für Lothringen, welche ebenfalls durch das Reichslandministerium
lanciert worden war. Im Musterentwurf zu dieser Verordnung hieß es: "Mit Rücksicht
auf die Gefahren, welche für die Sicherheit der Arbeiter in den mit Herstellung und
Verarbeitung von Roheisen beschäftigten Betrieben dadurch entstehen, daß Betriebsleiter
und Aufsichtsbeamte der deutschen Sprache nicht genügend mächtig sind (...) dürfen
zur Leitung und Beaufsichtigung des Betriebs und der Arbeiter in Hochofenanlagen,
Stahlhütten, Eisen- und Stahlwerken, Gießereien und Schmelzereien nur solche Personen
77 Vgl. ADBR 27 AL 228: MinEL an den Statthalter v. lO.März 1903. Gerade diese Diskussion
hat im Deutschland der 1990er Jahren an neuer Aktualität gewonnen.
71 LHA Ko 403/8321: Jahresbericht zur Lage der Industrie v. 25.Oktober 1885.
79 Vgl. ADM 8 AL 10/11: Innenabteüung des MinEL an das BPLo v. 14.Mai 1900.
273
angestellt werden, welche der deutschen Sprache vollständig mächtig sind".81 Aus-
ländische Arbeiter müßten das Risiko selbst tragen, wenn sie die Sprache ihres Gastlandes
nicht verstünden, während deutsche Arbeiter einen "berechtigten Anspruch" auf deutsch
sprechende Vorgesetzte hätten.82
Das nationalpolitische Anliegen, ausländisches Führungspersonals aus den Werken
herauszudrängen, welche sich auf deutschem Boden befanden, und zwar unter dem Deck-
mantel des Arbeitsschutzes für die in der Realität häufig ebenfalls nicht oder nur mäßig
deutsch sprechenden Arbeiter, ist offensichtlich.83 Umso fadenscheiniger wirkt das
Argument des Arbeitsschutzes für die angeblich in ihrer Mehrheit germanonophonen
Arbeiter. Denn die Verantwortlichen wußten genau, daß sich vor allem an der
französischen Grenze Altdeutsche nur ungern niederließen, dafür aber Italiener, die wohl
weniger Probleme mit der französischen als der deutschen Sprache hatten, sowie
französische Pendler hier im lothringischen Vergleich sehr stark vertreten waren.84
Verursachte die Mobilität der Industrialisierungsperiode den Behörden per se schon
Magendrücken, so reagierten jene extrem nervös hinsichtlich migrativer Vorgänge in
unmittelbarer Nachbarschaft zur französischen Grenze. Bis zum Beginn der industriellen
Erschließung des Saar-Lor-Lux-Raumes war das Wanderungsgeschehen überschaubar
geblieben. In der ersten Hälfte der 1850er Jahre passierten z.B. jährlich nicht mehr als
zwischen 20.000 und 30.000 Personen aus Frankreich den Bahnhof Saarbrücken, welcher
vor der Annexion Elsaß-Lothringens eine der wichtigsten deutsch-französischen Grenz-
stationen bildete.83 Die Ordnungskräfte hatten zu diesem Zeitpunkt die Abfertigung mehr
oder minder umfangreicher Durch- und Auswanderungskontingente zu bewältigen und
dabei speziell "Versuche zur heimlichen Auswanderung" sowie Emigrationsversuche
81 Vgl. ebda.: Muster der Bezirkspolizeiverordnung durch das MinEL v. 28.Juli 1899. Die
Bezirkspolizeiverordnung selbst erging am 22.August 1899.
82 Vgl. ebda.: MinEL an den Vorstand der Südwestdeutschen Eisenberufsgenossenschaft
Saarbrücken (zu Händen des Freiherm von Stumm-Halberg) v. 2.Februar 1900. Verwiesen wurde
auf den konkreten Fall der beiden de Wendelschen Werke in Hayingen und Großmoyeuvre, wo
zwar alle Vorgesetzten der französischen Sprache mächtig waren, aber 44 davon kein Deutsch
konnten, obwohl angeblich die Mehrzahl der Arbeiter ausschließlich deutsch sprach.
83 Gegenüber der Berufsgenossenschaft, welche sich beschwerte, daß ihr eigentlich die Festlegung
von Arbeitsschutzbestimmungen zustehe, wandte das MinEL ein, "daß es sich nicht um eine
Anordnung technischer Einrichtungen zur Verhütung von Betriebsunfällen oder zum Schutz der
Gesundheit und Sittlichkeit der Arbeiter handelt", sondern um eine dezidiert nationalpolitische
Angelegenheit. Vgl. ebda.
84 Vgl. ADBR 87 AL 3302: Jahresbericht des Gewerbeaufsichtsbeamten für Lothringen bzgl.
1908.
83 Vgl. LHA Ko 442/1493, insbesondere den Polizeibericht über den Fremdenverkehr am
Eisenbahnhofe zu Saarbrücken v. 4.Januar 1855.
274
wehrpflichtiger Männer zu unterbinden. Einwanderungen erfolgten nur in sehr kleinem
Maßstab.86
Mit der Industrialisierung änderten sich die Verhältnisse fundamental. Gerade Aus-
wanderungen aus dem frisch erworbenen Reichsland wurden wegen des industriellen und
folglich landwirtschaftlichen Arbeitskräftebedarfs nicht gern gesehen, zumal das Land
nicht unbedeutende Optionsverluste zu verkraften hatte. Besorgt stellte man im Jahre
1893 fest: "Frankreich kann, da seine Bevölkerung sich nicht in genügender Weise
vermehrt, den Zuzug aus dem Auslande nicht mehr entbehren, den besonders die
Grenzländer stellen." Im Sinne der Staatsverwaltung war es darum sehr erfreulich, daß
wenigstens "der Verlust an der Bevölkerung, welchen Elsaß-Lothringen durch diese Aus-
wanderung [nach Frankreich] unausgesetzt erfährt, (...) ausgeglichen [wird] durch
fortwährenden Zuzug aus Altdeutschland".87
Nach der Jahrhundertwende arbeitete man aus arbeitsmarktpolitischen Gründen auch im
Regierungsbezirk Trier der Auswanderung von Arbeitern entgegen. Regierungsstellen
setzten die Bezirksverwaltung in Kenntnis über die Aktivitäten von Werbern, welchen
man Einhalt zu gebieten beabsichtigte. Im Jahre 1908 informierte der deutsche Konsul
in Montreal (Kanada) den Reichskanzler über Agenten der Dominion Coal Company,
welche unter saarländischen Bergleuten mit falschen Lohnversprechungen Anwerbungs-
Versuche unternahmen, und der Vorsitzende des Deutschen Schillervereins zu Brüssel
warnte zugleich eindringlich vor einer Auswanderung in Richtung Belgien, weil die Lage
der bereits massenhaft ausgewanderten Deutschen dort katastrophal sei.88 Diese Informa-
tionspolitik diente dazu, dem Abgang von Arbeitern im großen Stile entgegenzuwirken.
Unter diesem Gesichtspunkt ersuchte das preußische Innen- im Verein mit dem
Handelsministerium im Folgejahr den Trierer Regierungspräsidenten, "daß der Auswan-
derung Deutscher zu dem bezeichneten Bahnbau [am Madeira-Mamore-Projekt in
Brasilien] angesichts der sehr ungünstigen klimatischen Verhältnisse und Arbeits-
bedingungen nachdrücklich entgegengearbeitet wird".89 In vorausschauender Perspektive
86 Dito. Vgl. außerdem zur überseeischen Auswanderung aus dem Saarraum: Mergen, Aus-
wanderung aus den ehemals preußischen Teilen des Saarlandes; ders., Umfang und Gründe der
Amerika-Auswanderung.
87 Vgl. Die Bewegung der Bevölkerung in Elsaß-Lothringen, hg. vom Statistischen Bureau des
Kaiserlichen Ministeriums für Elsaß-Lothringen, (^Statistische Mitteilungen XXIII), Straßburg
1893, S.XXD-XXVII sowie ADM 3 AL 401.
88 Vgl. LHA Ko 442/9694: Reichskanzler Bülow an das OPKo mit einem Schreiben des deutschen
Konsuls Franksen in Montreal v. 12 August 1908 und Schreiben des Vorsitzenden des Deutschen
Schillervereins zu Brüssel an den deutschen Generalkonsul v. 5.September 1908.
85 Vgl. LHA Ko 442/9693: Schreiben des preußischen Innen- sowie des Handels- und Gewerbe-
ministeriums ("Eilt! Vertraulich!") an das RPTr v. 30.Dezember 1909.
275
übereignete schließlich im Jahre 1912 der Evangelische Hauptverein für deutsche
Aussiedler und Auswanderer der Trierer Bezirksverwaltung "das Tagebuch eines
ausgewanderten Bergarbeiters (...), welches als Warnung vor unbesonnener Auswanderung
zur Massenverbreitung besonders geeignet erscheinen muß", denn "der drohende Berg-
arbeiter-Ausstand im Saar-Revier wird zumal bei der herrschenden Kriegsfurcht eine
vermehrte Auswanderung von Bergarbeitern zeitigen".90
Eine eventuelle Arbeiteremigration aus dem Grenzbereich konnte schon allein darum
nicht wohlwollend aufgenommen werden, weil durch einen solchen Arbeitskräfteschwund
der mißliebige Einsatz ausländischer Kräfte nochmals zu steigern unumgänglich geworden
wäre, was wiederum eine zutiefst unerwünschte soziale Instabilität des Grenzraumes nach
sich ziehen mußte.
Daneben mißtraute man auch dem oszillierenden Binnenwanderungsgeschehen innerhalb
der Grenzregion, in welcher Wanderarbeiter unterschiedlichster Herkunft permanent
zwischen den einzelnen Hoheitsgebieten hin und her wechselten. Ein ausdrucksstarkes
Beispiel für das zeitgenössische Stimmungsbild unter bürgerlichen Bevölkerungsteilen
sei als Beleg angeführt: In Diedenhofen fühlten sich die Bürger durch eine kurios
anmutende, grenzraumspezifische Faktorenkombination aus Grenzlage, Stadterweitung
und Wanderungsbewegungen latent in einer Weise bedroht, daß sie sich genötigt sahen,
eine personelle Aufstockung der Schutzpolizei einzufordem. Denn "das Fallen der Tore
und Wälle, das Entstehen einer Anzahl neuer Bauten in der Neustadt, die zerstreute Lage
der Neubauten und der Zuzug vieler fremder Arbeiter, sowie die Lage der Stadt Die-
denhofen an drei Grenzen lassen die Vermehrung der Polizei als ein dringendes Gebot
erscheinen".91 Diese Einschätzung der Lage stellte keineswegs die Ausnahme dar. Zwei
Jahre später wurde im Landesausschuß von Elsaß-Lothringen durch 16 Abgeordnete
offiziell der Antrag gestellt, "die Regierung zu ersuchen, im Hinblick auf die zunehmende
Unsicherheit im industriellen Grenzgebiete Lothringens, baldigst eine Vermehrung der
Gendarmerie in dem bezeichneten Gebiete vorzunehmen".92 Hinsichtlich des lothringi-
schen Industriegebiets, namentlich an der Grenze zu Frankreich, und angesichts der sich
mehrenden Ausschreitungen an der luxemburgischen Grenze müsse man die Regierung
90 Vgl. ebda.: Evangelischer Hauptverein für deutsche Aussiedler und Auswanderer (EHVAA)
an das RPTr v. 18.Dezember 1912 mit folgender Anlage: Splittorf, Rudolf: Bleib’ im Land und
nähre Dich redlich. Aus meinem brasilianischen Tagebuch, hg. v. Auswanderer-Anwalt Pfarrer
Grisebach, (=Der Auswandererfreund. Veröffentlichungen des EHVAA in Witzenhausen, H.2),
o.O, oJ.
91 Vgl. ADM 10 AL 78-80: Gemeinderatsberichte der Stadt Diedenhofen, hier: Sitzung v.
ll.Dezember 1905 (TOP 20: Vermehrung der Schutzpolizei).
92 Vgl. ADBR 39 AL 141: Antrag an den Landesausschuß von Elsaß-Lothringen v. 23.Aprü
1907.
276
veranlassen, "daß auf ein Zusammenwirken der diesseitigen und der französischen Be-
hörden und Beamten im Kampf gegen das Gesindel hingewirkt werden soll", führte einer
der Antragsteller während der Parlamentsdebatte aus.93 Die Furcht, die hochmobile
Arbeiterbevölkerung - denn dieser galt die Sorge - könne außer Kontrolle geraten, ließ
sogar an eine polizeiliche Zusammenarbeit mit dem verfeindeten Nachbarn denken, um
eventueller sozialer Revolten in der Grenzregion Herr zu werden. Die nationale
Bedrohung von innen konnte sogar den äußeren Gegner zum Verbündeten werden lassen.
Der anwesende Unterstaatssekretär Mandel kommentierte die Initiative zustimmend mit
den Worten: "Es ist ganz richtig, daß die sicherheitlichen Zustände in dem Industriege-
biete gefährdet sind durch alle möglichen katilinarischen Existenzen in der fluktuierenden
Arbeiterbevölkerung." Der Antrag wurde daraufhin mehrheitlich angenommen.94
Zu den zitierten "katilinarischen Existenzen" rechneten die Behörden wohl in erster Linie
auch die italienischen Gastarbeiter. Die Italiener befanden sich als einzige Landsmann-
schaft innerhalb des Arbeiterstandes des Untersuchungsraumes in einer ausgegrenzten
Position. Ihre Kultur und Sprache sowie ihr Habitus als Saisonarbeiter, die häufig in
Gruppen auftraten und schnell wieder verschwanden, mutete die Zeitgenossen ausge-
sprochen fremd an, so daß die Südländer in gewisser Weise ein Nimbus der Obskurität
umgab, woraus eine Reihe von Vorurteilen erwuchsen, nach denen z.B. die Italiener, wie
bereits zitiert, ein besonders ausschweifendes Sexualleben führten. Folglich waren die
Italiener in der trinationalen Industriezone die einzige Gemeinschaft von Wanderarbeitern,
gegen die bekanntermaßen pogromartige Unruhen losbrachen. Für das Jahr 1894 sind
in Frankreich infolge der Gewalttat eines Italieners anti-italienische Ressentiments,
welche auf einer breiten Basis standen, bezeugt.95 Und in Luxemburg braute sich, wie
den dortigen Polizeiakten zu entnehmen ist, im Jahre 1897 in den Reihen der ein-
heimischen Bevölkerung ein explosives Gewaltpotential gegen die italienischen Arbeiter-
kollegen zusammen, nachdem sich in Differdingen einer ihrer Landsleute des Mordes
schuldig gemacht hatte.96 Nach der Mordtat begannen Luxemburger anscheinend
italienische Staatsbürger in der Öffentlichkeit anzufeinden. Die Ortspolizei sprach anfangs
zwar nur von "Neckereien", negierte ernsthafte Auseinandersetzungen und hielt Gerüchte
über zu Pfingsten geplante Aktionen gegen die Italiener im bassin minier für "nicht
93 Vgl. ebda.: Sitzungsprotokoll der XXXTV. Session, 20. Sitzung des Landesausschusses v. 2.Mai
1907.
94 Dito.
K Vgl. Kapitel D, S.173ff.
96 Vgl. auch im folgenden ANL J 76/64.
277
emstzunehmen".97 Die italienische Botschaft im Großherzogtum zeigte sich hingegen
zutiefst beunruhigt und ließ sich durch den großherzoglichen Ministerpräsidenten der
"Kontrolle der luxemburgischen Behörden über die Industriegemeinden" versichern, in
denen zu diesem Zwecke das Polizeiaufgebot verstärkt wurde. Berichte von Rümelinger
Polizeistreifen alarmierten die Staatsregierung endgültig, welche besagten, am Pfingst-
montag sei geplant, ausgehend von Esch/Alz., wo wegen der örtlichen Kirmes ein "blauer
Montag" angesagt war, "die Italiener aus dem Erzbecken zu vertreiben".98 Entwarnung
erteilte man erst, nachdem die Escher Polizei in der Nacht von Pfingstsonntag auf
Pfingstmontag sowie am Pfingstdienstag telegraphierte, zum einen sei "die Nacht ohne
Zwischenfall verlaufen" und zum anderen sei, da sich auch tagsüber nichts regte, nunmehr
"keine Aussicht auf Gefahr".99 Eine massive Polizeipräsenz hatte Schlimmeres verhin-
dern können.
Auf dem Arbeitsmarkt waren die italienischen Arbeiter vor allem dadurch konkurrenzfä-
hig, daß sie in der Regel niedrigere Löhne als ihre Kollegen akzeptierten.100 Die
lothringische Gewerbeaufsicht berichtete, daß im Jahre 1901 die Löhne von Tagelöhnern
aufgrund der Verfügbarkeit italienischer Kräfte im Vergleich zum Voijahr um bis zu 20-
prozentige Kürzungen erfahren hatten.101 In den Hütten des luxemburgischen Kohle-
beckens beobachtete man nach der Jahrhundertwende, "daß die einheimischen Arbeiter
in die benachbarten französischen, lothringischen und belgischen Eisenindustriezentren
auswanderten", weil die billigen italienischen Arbeiter das Lohnniveau nach unten
zogen.102
Die Italiener empfanden ihre Entlohnung jedoch keineswegs als gerecht und begehrten
häufig gegen die überaus niedrige Bezahlung ihrer Arbeitsleistung auf. Ihre Streikbereit-
schaft war wesentlich größer als diejenige ihrer mitteleuropäischen Kollegen. Beispiels-
weise legten im Jahre 1901 in einer lothringischen Kalkbrennerei aufgrund von Lohnfor-
derungen 25 bis 30 Italiener die Arbeit nieder; sie wurden daraufhin allesamt entlas-
97 Vgl. ebda, die Berichte der einzelnen Stationskommandanten.
98 Vgl. ebda.: Gendarmerie Rümelingen an den Ministerpräsidenten v. 25.Mai 1897.
99 Vgl. ebda.: Telegramme des Escher Polizeikommissariats v. 7./8.Juni 1897.
100 Vgl. allgemein zur italienischen Arbeiterwanderung nach Deutschland vor 1914 die zeitgenöss-
ische Darstellung von Britschgi-Schimmer, Lage der italienischen Arbeiter sowie die zusam-
menfassenden Darstellungen von Del Fabbro, Wanderarbeiter oder Einwanderer? bzw. Italienische
Wanderarbeiter im Wilhelminischen Deutschland. Vgl. Kapitel D, S.173ff.
101 Vgl. ADBR 87 AL 3357: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten für Lothringen bzgl.
1901.
102 Vgl. Britschgi-Schimmer, Lage der italienischen Arbeiter, S.104.
278
sen.103 Im Jahre 1903 kam es in einem großen Arbeiterwohnungsbauprojekt einer
Minengesellschaft in Lothringen zum Ausstand von 510 der insgesamt 550 Arbeiter,
davon mehrheitlich Italiener. Auch sie verlangten höhere Löhne, die zweite Forderung
des 20-köpfigen italienischen Streikkomitees betraf jedoch eine Wiedergutmachung für
die "unwürdige Behandlung seitens eines Beamten der Firma", welche ihnen widerfahren
war.104 Die Betriebsleitung und die Staatsorgane reagierten gemeinsam, und zwar sehr
hart. Drei italienische "Rädelsführer" wurden festgenommen und nach zwei weiteren
Streiktagen hatten die restlichen Arbeiter die Wahl, gemäß der ursprünglichen Kon-
traktbedingungen weiterzuarbeiten oder aber entlassen zu werden. 94 Italiener kündigten
infolgedessen von selbst ihre Arbeitsstelle.
Arbeiterunruhen duldete die Staatsmacht nicht, schon gar nicht im Grenzgebiet und dort
noch viel weniger seitens ausländischer Wanderarbeiter. Solche Vorgänge unterband man
sofort und mit äußerster Härte. Der Steik von 57 Italienern in Flörchingen wegen Lohn-
differenzen endete mit der Inhaftierung des Sprechers der Gruppe.105 Anläßlich eines
Lohnstreiks unter Führung eines italienischen Arbeiters in Nieder-Jeutz bei Diedenhofen
erfragte die betroffene Unternehmensleitung polizeiliche Unterstützung mit den Worten:
"Wir glauben, daß einem Ausländer gegenüber wir das Recht haben, um strenge Maßre-
geln zu bitten und ersuchen daher (...) die kaiserliche Kreisdirektion ganz ergebenst, den
Mann entweder überwachen oder sonstwie maßregeln zu lassen. " Der italienische "Anstif-
ter" wurde des Landes verwiesen, ein Teil der Streikenden - darunter auch Deutsche
- setzten sich vorsichtshalber aus freien Stücken ins nahe Ausland ab.106
Solidaritätsaktionen zu den keineswegs seltenen Italienerstreiks seitens anderer Arbeiter
kamen in keinem Falle zustande. Organisatorische Kontakte zwischen italienischen und
deutschen oder luxemburgischen Arbeitervereinigungen, welche im Rahmen der interna-
tionalen Konferenzen der Arbeiterbewegung währen der Untersuchungsperiode nicht
auszuschließen sind, kamen vor Ort nicht zum Tragen. Die Staatsadministration bemühte
sich auch energisch darum, solche Verbindungen nicht zustande kommen zu lassen. Als
sich im Jahre 1903 die deutsche Sektion der Vereinigung zum Schutze der italienischen
Auswanderung (Società Umanitaria) gründete und anschickte, wie bereits in Italien und
in der Schweiz nun auch in Deutschland Auswanderungssekretariate zur Unterstützung
103 Vgl. ADBR 87 AL 3357.
104 Vgl. ADBR 87 AL 4371: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten für Lothringen bzgl.
1903.
105 Vgl. ADM 17 Z 20: Polizeibericht v. 14.Juni 1904. Die Streikenden hatten angeblich
Streikbrecher mit Totschlag bedroht.
106 Vgl. ebda.: Brauereiunternehmen in Nieder-Jeutz an die Kreisdirektion Diedenhofen-Ost v.
ö.Mai 1907.
279
italienischer Wanderarbeiter einzurichten, genügte die Bemerkung eines deutschen Diplo-
maten, daß lose Kontakte von der Società zu sozialdemokratischen Arbeitervereinen be-
stünden, sie selbst aber keine sozialdemokratische Agitation betreibe, um diese nichtsde-
stotrotz als sozialdemokratisch einzustufen und ihrem Wirken entgegenzutreten.107 Die
Società verteilte über ihre Auswanderungssekretariate zwei Ratgeber in italienischer
Sprache an Wanderarbeiter. Sie riet den Emigranten nur unter Abschluß von Arbeitsver-
trägen eine Stelle anzutreten, empfahl zur Anreise kostengünstige Gruppenreisen mit der
Bahn, informierte über Arbe itsschutzbestimmungen, die Sozialversicherungsgesetzgebung
und Arbeitnehmerverbände in den Gastländern und versuchte, die Lebensverhältnisse
in den Zielgebieten der Italiener realistisch darzustellen.
Rein karitative Institutionen wie das Opera di assistenza degli operai italiani emigranti
des Cremoneser Bischofs Bonomelli fanden dagegen die wohlwollende Unterstützung
der Verwaltung. Die Wochenschrift La patria des Opera Bonomelli galt als unpolitisch,
anti-sozialdemokratisch, religiös-missionarisch, und es bestanden nur "zweckgebundene
aber inoffizielle" Kontakte zur christlich-katholischen Arbeiterbewegung. Das Hilfswerk
unterhielt Schulen, Asyle, Hospize, Sparkassen, Leihbibliotheken, Werkstätten und
Arbeiterzirkel "belehrender Art".108
Eine subsidiäre Hilfe zum mündigen Arbeiter, der seine Interessen im Gastland selbst
zu vertreten im Stande war, lag nicht im Interesse der Aufsichtsbehörden. Absicht war
es vielmehr, die Arbeitskraft der Italiener für die eigene Industrieproduktion auszunutzen,
ohne weitergehende Fürsorgeverpflichtungen für die Italiener übernehmen zu wollen und
ohne gesellschaftliche oder politische Umwälzungen zuzulassen; allerdings auch ohne
sich im Ausland, namentlich in Italien, eine schlechte Presse bezüglich des Verwal-
tungsumganges mit den Gastarbeitern zu verschaffen. Mit gemischten Gefühlen muß
daher die Reichslandadministration italienische Zeitungsberichte aufgenommen haben,
welche die Lebensumstände von Italienern in Elsaß-Lothringen schilderten und dabei
natürlich die unhaltbaren Wohnverhältnisse im lothringischen Industriegebiet nicht ver-
schwiegen.109 Das Auswärtige Amt versäumte auch nicht, den Statthalter des Reichslan-
des anzuweisen, "die Erfolge unserer Herrschaft möglichst in den Vordergrund zu rücken,
107 Vgl. LHA Ko 442/9722: Schriftverkehr des deutschen Konsuls in Mailand mit der Reichs-
kanzlei sowie des preußischen Innenministeriums mit dem RPTr der Jahre 1904/1905. Die
Anweisung des Innenministeriums zum Vorgehen gegen die Società Umanitaria erging über das
RPTr als geheimer Erlaß v. 22Juli 1905 an die Landräte des Bezirks.
108 Dito. Vgl. speziell zum Opera Bonomelli den Reisebericht des Gründers: Bonomelli, Geremia:
Perigrinazioni Estive, Müano 1914 sowie den Zeitungsartikel: Gli emigrati italiani in Lorena
visitati da Monsignore Bonomelli, in: Corriere della Sera (Milano) v. 3 August 1911.
109 Vgl. ADM 8 AL 262: Übersetzung eines Artikels aus der klerikalen ZeitungL'avvenire d'Italia
aus Bologna aus dem Jahre 1911.
280
etwaige (...) ökonomische Nachteile aber möglichst in den Hintergrund zu stellen oder
unbeachtet zu lassen", als der frühere italienische Minister Crispi zwecks Verwendung
in einer inneritalienischen Auseinandersetzung im Jahre 1892 um eine Darstellung der
elsaß-lothringischen Verhältnisse nachsuchte. Der Statthalter verschickte daraufhin einige
geschönte Statistiken nach Italien.110
In der Realität wurden gerade die Italiener dicht am Existenzminimum gehalten. Ihre
Existenzgrundlage im Saar-Lor-Lux-Raum war so schmal, daß im Zuge einer rezessiven
Wirtschaftsentwicklung im April 1901 39 obdach- und arbeitslose italienische Arbeiter,
von Luxemburg her kommend, bei der Metzer Verwaltung mit der Bitte vorsprachen,
sie nach Italien zurückzubefördem. Die Italiener wurden solange im städtischen Leihhaus
einquartiert, bis die Bezirksregierung, unterstützt durch das Statthalterbüro und das Aus-
wärtige Amt, mit den schweizerischen Behörden die Abschiebungsmodalitäten geklärt
hatte. In der Zwischenzeit spottete die Lokalpresse über das "Italienerlager" als "Sehens-
würdigkeit des alten Metz" und nutzte die Notlage der Gastarbeiter als Aufhänger für
eine allgemeine Erörterung der Problematik der italienischen Einwanderung. Anfang Mai
meldete der Metzer Bürgermeister dem Bezirkspräsidium beunruhigt eine Verschärfung
der Lage, da, nachdem die Sache publik geworden war, "seit einiger Zeit größere und
kleinere Trupps obdach- und mittelloser Italiener in Metz eintreffen."111 In Reaktion
darauf verstieg sich die Straßburger Post zu einem mitleidslosen Vergleich der süd-
europäischen Migranten mit Wanderheuschrecken, als sie schrieb: "Italiener sind bei uns
zur Zeit eine Landplage."112 Die verelendeten Arbeitsmigraten wurden schließlich,
sofern sie nicht zwischenzeitlich doch noch eine Arbeit gefunden hatten, auf Staatskosten
über die deutsch-schweizerische Grenze abgeschoben.113
Obwohl aus den Verwaltungsberichten und der Verwaltungspraxis zu schließen ist, daß
die italienische Arbeitsmigration in Lothringen nur als temporäre Erscheinung angesehen
wurde, fühlte sich die Bezirksverwaltung dennoch im Jähe 1899 bemüßigt, italienische
Sprachkurse für die Polizeibeamten der hochindustrialisierten Kreise Metz und Diedenho-
fen anzubieten. Erst als der massive Italienerzuzug schon knapp zehn Jahre andauerte
110 Vgl. ADBR 27 AL 447: Auswärtiges Amt an den Statthalter von Elsaß-Lothringen v. 5.Januar
1892. Crispi lag mit anderen italienischen Politikern im Streit über die Frage, ob die Lage in
Elsaß-Lothringen mit derjenigen der Lombardei unter österreichischer Herrschaft zu vergleichen
sei, und nahm offenbar eine germanophüe Haltung ein.
111 Vgl. ADM 3 AL 323: Polizeiberichte über wichtige Vorkommnisse v. April/Mai 1901, darin
einen Zeitungsausriß aus der Lothringer Zeitung v. 10 Aprü 1901 sowie weitere Zeitungsartikel.
112 Vgl. ebda.: Zeitungsausriß aus der Straßburger Post v. 15.Mai 1901.
113 Aufgrund einer unklaren Abstimmung der schweizerischen Behörden untereinander dauerte
die Odyssee der aus Deutschland abgeschobenen Italiener von ihrem Eintreffen in Basel bis zum
Transport durch die Eidgenossenschaft noch eine ganze Weile.
281
und die lothringische Wirtschaft bereits mehrere 10.000 italienische Arbeiter beschäftigte,
begannen staatliche Stellen dafür zu sorgen, die Kommunikation zwischen den Italienern
und den Ordnungskräften zu gewährleisten. Man hatte einsehen müssen: "Seit einiger
Zeit hat sich bei den Beamten der Kriminal-Abteilung der Mangel an Kenntnissen in
der italienischen Sprache erheblich fühlbar gemacht. Tausende von Italienern arbeiten
zur Zeit und auf vorläufig unabsehbare Dauer an den neuen Fort[ifikations]bauten und
an den Hüttenwerken des nahen Industriebezirks. Auf dem Bahnhofe lagern häufig dichte
Schwärme von Italienern und im Frühjahr und Herbst bringen Extrazüge Hunderte
hiervon oder nach der Heimat." Ein Dolmetscherdienst hatte sich in der Praxis als un-
durchführbar erwiesen.114
Umso ärgerlicher, wenngleich konsequent, dürfte es gewesen sein, daß gerade die Proble-
me, über welche sich die Polizei im Zusammenhang mit dem Wanderungsgeschehen in
der Industriezone täglich ereiferte, dieses berufliche Fortbildungsangebot zunächst mehr-
fach scheitern ließen: die italienischen Gastarbeiter, welche man zuerst als Sprachlehrer
gewinnen konnte, siedelten - weder mit Vorankündigung noch mit polizeilicher Abmel-
dung - ins französische Industriegebiet jenseits der Grenze über, sobald sich dort bessere
Lebensbedingungen ergaben, und besaßen darüberhinaus die "unbotmäßige Frechheit",
bislang nicht ausgezahlte Honorarbeträge per Postanweisung an ihre neue französische
Adresse zu reklamieren. Erst zwei Jahre nach dem Anlaufen des Fortbildungsprojektes
wurde in Person eines katholischen Vikars, welcher sich während seines Theologiestu-
diums in Rom aufgehalten hatte, eine zuverlässige Lehrperson gefunden.
Wie schon im Falle der erhofften Polizeikooperation mit Frankreich war die Admini-
stration des Reichslandes in der Auseinandersetzung mit der Arbeiterschaft bereit, ein
kurioses Bündnis mit der kürzlich noch als "ultramontan" angefeindeten katholischen
Geistlichkeit einzugehen, ohne deren tatsächlich "ultramontane" Bindung an Rom den
Gendarmen des lothringischen Industriegebietes auch weiterhin die Kommunikation mit
ihrer zahlreichen italienischen Klientel sehr schwer gefallen wäre.
114 Vgl. ADM 3 AL 261: Polizeidirektion Metz an das BPLo v. 18.0ktober 1899 und eine
umfangreiche Dokumentensammlung zum italienischen Sprachunterricht an Polizeibeamte.
282
b) Wohnverhältnisse, Hygiene und Gesundheit. Die Rolle der mobilen
Bevölkerungsteile in der zeitgenössischen Wohnungsdebatte
Eines der vorrangigen sozialpolitischen Themen des ausgehenden 19. und beginnenden
20. Jahrhunderts war die Wohnungsfrage. Im Zuge der Industrialisierung entwickelte sich
die angemessene Unterbringung der unaufhaltsam in die urbanen Agglomerationszonen
einströmenden Menschen zu einem anhaltenden Problem, das in Europa und in den USA
bis hin auf internationale Ebene ausgiebig erörtert wurde.115 Es bestand ein
unmittelbarer Zusammenhang zwischen der außergewöhnlich hohen Bevölkerungs-
mobilität während der Hochindustrialisierungsperiode und dem Wohnraumproblem.
Darum ist zu fragen, wie die Behörden und die bürgerliche Öffentlichkeit der Untersu-
chungsregion das Wanderungsgeschehen insbesondere im Rahmen der Wohnungsdebatte
beurteilten.116
Hinsichtlich der drei Untersuchungsgemeinden existiert nur eine zeitgenössische
Wohnungsstudie, welche gemäß dem methodischen Standard, den entsprechende Groß-
stadtenqueten - beispielsweise in Wien - gesetzt hatten, angefertigt wurde: die 1908/09
publizierte Häuser- und Wohnungsuntersuchung über die luxemburgischen Industriege-
meinden aus den Jahren 1905 und 1906, in der auch Esch/Alz. Berücksichtigung fand.
"Es handelt sich dabei um den seltenen Fall einer Erhebung im Bereich von kleinen
115 Vgl. hierzu als neuere Überblicksdarstellung: Zimmermann, Clemens: Von der Wohnungsfrage
zur Wohnungspolitik. Die Reformbewegung in Deutschland (1845-1914), Göttingen 1991.
116 Der vorliegende Abschnitt beschäftigt sich mit der Wohnungsfrage ausschließlich im unmittel-
baren Kontext der Wanderungsbewegungen. Eine ausführliche Darstellung zu Wohnen und Woh-
nungsbaupolitik im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum ist seitens Christoph
Comelissen (Düsseldorf) und seitens des Vf. in Vorbereitung. Mit dem Themenkomplex "Wohnen
und Wohnungsbaupolitik im Saar-Lor-Lux-Raum" beschäftigt sich der Vf. z.Zt. eingehend im
Rahmen eines an der Universität des Saarlandes beheimateten DFG-Projektes zur Stadtent-
wicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (19./20.Jahrhundert). Außerdem
sind momentan in Bearbeitung: eine Studie über den sozialen Wohnungsbau in luxemburgischen
Industriestädten zwischen 1870 und 1930 durch Antoinette Lorang (Luxemburg) sowie eine Arbeit
über die cités ouvrières in Lothringen zwischen 1850 und 1950 durch Laurent Commaille (Metz).
Bereits publiziert wurden in jüngerer Zeit neuere Ansätze zu einer wissenschaftlichen Gesamtbe-
trachtung der Wohnungsfrage in der Saar-Lor-Lux-Region bzw. deren Teilregionen u.a. von:
Commaille, Laurent: Les cités ouvrières en Lorraine, in: Urbanisme et architecture en Lorraine
1830-1930, hg. von der Société d'histoire et d'architecture de la Lorraine, Metz 1982, S.249-282;
Lehners, Jean-Paul: Wohnen in Düdelingen zu Beginn des 20Jahrhunderts, in: Hudemann/
Wittenbrock, Stadtentwicklung S.35-58; Serwe, Hans-Jürgen: Hausbau und Wohnen, in: van
Dülmen, Industriekultur an der Saar, S. 148-159; Wittenbrock, Rolf/ Leiner, Stefan: Die
Einwirkung politischer Zäsuren auf die kommunale Wohnungspolitik: die Städte in Lothringen
1910-1930, in: Wohnungspolitik im Sozialstaat. Deutsche und europäische Lösungen 1918-1960,
hg. von Günther Schulz, Düsseldorf 1993, S. 47-69. Insbesondere die Wohnungsbaupolitik des
preußischen Bergflscus an der Saar berücksichtigt: Fehn, Preußische Siedlungspolitik.
283
Ortschaften, die sich noch auf dem Weg zur Entwicklung zur Stadt befinden, während
sich die Sozialenqueten der Zeit (...) weit häufiger Mittel- und Großstädten zuwende-
ten."117 Innerhalb des engeren Untersuchungsraumes wurden ansonsten ausschließlich
interne Verwaltungsgutachten hinsichtlich der Wohnungssituation in den Städten und
Gemeinden in Auftrag gegeben.
Die Wohnungsmisere hatte die gesamte Industrialisierungsphase hindurch Bestand. Bereits
im Jahre 1833, als das Institut de France einen Bericht über die Fabrikarbeiterschaft in
Mülhausen/Elsaß und seiner Umgegend anfertigte, zeigte man sich von dem Elend betrof-
fen, das in diesem Zentrum der Frühindustrialisierung herrschte. "Damals waren von den
17.000 in den Fabriken von Mülhausen beschäftigten Arbeitern 5.400 wegen der teuren
Mietzinse gezwungen, in den Dörfern der Umgegend zu wohnen, während die Arbeiter-
wohnungen in der Stadt einen von Schmutz starrenden Anblick darboten."118 Im Jahre
1865 zählte man in der oberelsässischen Industriemetropole auf eine Arbeiterwohnung
durchschnittlich neun Personen, und auch 1882 bevölkerten im Schnitt noch sieben Men-
schen ein solches Domizil, was "aber noch nicht für bedenklich gehalten [wurde]".119
Denn gerade Mülhausen galt als Musterbeispiel für den Arbeiterwohnungsbau, da dort
schon in den 1850er Jahren eine cité ouvrière gegründet und in den folgenden
Jahrzehnten ständig erweitert worden war.120
Die luxemburgische Häuser- und Wohnungsstatistik belegt, daß in den hochfrequentierten
kleinen und mittleren Industrieorten des Untersuchungsraumes auch noch nach der
Jahrhundertwende ein eklatanter Wohnraummangel herrschte. Im Extremfalle der
südluxemburgischen Gemeinde Düdelingen hatte sich bis zum Jahre 1906 die Einwoh-
nerschaft im Vergleich zum Jahre 1871 verfünffacht, der Häuserbestand jedoch nur
verdoppelt. In Esch/Alz. standen zugleich ebenfalls doppelt soviele Häuser wie 1871,
während vergleichsweise etwa zweieinhalbmal soviele Leute darin wohnten.121 Der
Anteil leerstehender Wohnungen, welcher als Indiz für die Auslastung des
Wohnungsmarktes dient, war vor allem in Düdelingen mit 0,8 Prozent ausgesprochen
117 Lehners, Wohnen, S.36.
118 Vgl. Elsässer Journal-Journal d'Alsace v. 14.März 1880: Die Arbeiterstädte im Elsaß.
119 Vgl. ADBR 87 AL 4430: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Oberelsaß bzgl.
1889. Es wird aus dem Bericht nicht eindeutig ersichtlich, ob mit dem Begriff Wohnungen
tatsächlich Arbeiterwohnungen im heutigen Sinne oder aber Arbeiterhäuser gemeint waren.
120 Vgl. zur Entwicklung Mülhausens/Els.: Livet, Georges (Hg.): Histoire de Mulhouse, Strasbourg
1977; Oberlé, Raymond: Mulhouse ou la genèse d'une vüle, Steinbronn-le-Haut 1985.
121 Vgl. Häuser- und Wohnungsuntersuchung Luxemburg, Bd.l, S.14.
284
niedrig.122 Jeweils ungefähr ein Drittel der Bevölkerung der luxemburgischen
Industriegemeinden lebte in "überfüllten Wohnungen"; sofern man eine Mietwohnung
nutzte, war diese in 40 bis 50 von 100 Fällen nach zeitgenössischen Maßstäben
überbelegt.123 Die gesamtörtliche Durchschnittsbewohnerzahl pro Wohnung lag stets
bei mehr als fünf Personen - einschließlich aller Ein- und Zweipersonenhaushalte!
Näherungsweise der Hälfte der Ortsbevölkerungen standen weniger als acht Quadratmeter
Wohnfläche pro Person zur Verfügung, was als unzureichend galt. Dazu kam, daß in
Düdelingen etwa jede zehnte Wohnung, in Esch jede zwölfte Wohnung als "feucht" ein-
gestuft wurde, wodurch je zirka zehn Prozent der Gemeindebevölkerung gezwungen
waren, in feuchten Unterkünften zu hausen.124 Ein Düdelinger Gendarmerie-Brigadier
schilderte die Wohnverhältnisse des Jahres 1897 mit den Worten: "Es herrscht hier
wirklich ein Mangel an Arbeiterwohnungen, obgleich 2/3 der Arbeiter unverheiratet sind
oder keine Familie bei sich haben; jedes Stübchen, ja selbst jede Dachluke oder
Kellerraum ist bewohnt und zwar zu Preisen, welche fast alle um die Hälfte zu hoch
gegriffen sind. Es gibt sehr viele Zimmer hier, in welchen 8-10 oder auch mehr ledige
Arbeiter, welche ihre Menagen selbst machen, wohnen, kochen und schlafen; auch die
meisten Familien sind schlecht logiert, sie haben gewöhnlich nur 2 Zimmer; diejenigen,
welche 3 oder mehr Zimmer haben, halten Kostgänger, so daß alles, vom Keller bis zum
Dachstübchen, überfüllt ist." Der Düdelinger Hüttendirektor bestätigte dies: "Die
diesbezüglichen Zustände sind in den Arbeitervierteln haarsträubend in Bezug auf
Hygiene und Moralität (...). Die Hausmieten sind erdrückend und wucherartig."125
Infolge der Wohnungsnot entstanden an den Ortsrändem ausufemde Barackensiedlungen,
auf deren hygienische und bautechnische Fragwürdigkeit beispielsweise die Escher
Gemeindeverwaltung Mitte der 1890er Jahre mit einem eigenen Ortsstatut reagierte.126
Staatlicherseits wurde am 29. Mai 1906, knapp ein halbes Jahr nach Abschluß der
122 Vgl. Lehners, Wohnen, S.43: "Zur Zeit der Untersuchung wurden generell 2,5% bis 3%
leerstehende Wohnungen als normal angesehen". In Differdingen betrug die Quote in den Jahren
1905/06 1,5%, in Esch/Alz. 2,8%. Vgl. ebda., S.55.
123 Dito.
124 Dito.
125 Zitate aus: Lehners, Wohnen, S.54.
126 Vgl. Règlement communal concernant les baraquements en bois v. 21Januar 1896, in:
Zusammenstellung der Polizei-Reglemente der Stadt Esch a Alz., Esch/Alz. 1925. Falls die Ge-
meindeverwaltung Kenntnis über bedenkliche Zustände in Holzbaracken erhielt, war es ihr
möglich, eine Revision durch das örtliche Medizinalkollegium zu veranlassen, welches wiederum
die notwendigen Abhilfemaßnahmen verbindlich und innerhalb einer ihr angemessen erscheinen-
den Frist anzuordnen befugt war.
285
Häuser- und Wohnungsuntersuchung des Statistischen Amtes von Luxemburg, ein Gesetz
über die Erbauung von billigen Arbeiterwohnungen verabschiedet.127
Kaum anders als im luxemburgischen Erzbecken präsentierten sich die Verhältnisse in
Lothringen.
Die Wohnsituation vor allem der Arbeiterschaft erschien Zeitzeugen "in manchen Orten
übler Art", denn - so ihre Ansicht - es "lassen die Wohnungen vieles zu wünschen übrig,
was im Interesse der Gesundheit und Sittlichkeit erforderlich wäre".128 Hinsichtlich
der Industrieorte des Fentschtales resümierte im Jahre 1896 ein Jounalist: "Allein
zugegeben muß werden, daß hier die Wohnungsverhältnisse schauderhaft erbärmlich
waren und es noch sind, daß sie jeder Menschlichkeit Hohn sprechen."129
Zur industrialisienmgsbedingten Wohnungsmisere gesellte sich im annektierten Lothringen
der Faktor der festungsmäßigen Einschnürung der beiden Verwaltungszentren Metz und
Diedenhofen. Die dort herrschenden schlechten Wohnungsverhältnisse wurden durch das
Faktum verschärft, daß durch die "Unmöglichkeit, sich durch Neubauten auszudehnen"
eine wesentliche Besserung nicht zu erwarten war.130 In Metz, so konstatierte man im
Jahre 1904, seien 60 Prozent der Bevölkerung nicht in der Lage, "menschenwürdig zu
wohnen".131 In Diedenhofen beklagte sich im Jahre 1895 deswegen sogar das Militär.
Neben Metz hatte keine Stadt in Lothringen eine heftigere Entwicklung erfahren. Das
Eisenbahn- und Geschäftsverkehrsaufkommen war in den Jahren zuvor enorm ange-
stiegen. Diedenhofen bildete mittlerweile einen Eisenbahnknotenpunkt mit Anschlüssen
nach Luxemburg, Trier, Metz, Saarbrücken sowie ins industrielle Fentschtal. Der Güter-
und Personenverkehr wurde wegen der benachbarten Hüttenwerke als bedeutend
bezeichnet, obwohl sich am Ort selbst erst drei Jahre später die Röchlingsche "Karlshütte"
ansiedelte. Zudem war die Garnison von früher zwei auf nunmehr vier Infanteriebataillone
aufgestockt worden. Daher waren im Jahre 1895 grundsätzlich alle fiskalischen Wohn-
räume belegt, bei Manövern mußten Bürgerquartiere in Anspruch genommen werden,
und die "Offiziere sind in Ermangelung verfügbarer Wohnungen gezwungen, in den 3
bis 4 Kilometer entfernten Vororten Wohnung zu nehmen", deren Mietpreisniveau man
127 Vgl. Häuser- und Wohnungsuntersuchung Luxemburg, Bd.l, S.3 sowie Lehners, Wohnen,
S.57.
128 Vgl. ADBR 87 AL 4550: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten bzgl. 1891 unter
Nennung der Orte Saarburg/Lothr., Metz, Gebweiler, Colmar, Markirch, Thann, Großmoyeuvre,
Saargemünd.
129 Vgl. ADM 8 AL 262: Lothringer Presse v. 15.September 1896 mit einem Artikel "Zur Frage
der Wohnungsverhältnisse in den Industrieorten Deutsch-Oth und Rüssingen".
130 Vgl. ADBR 87 AL 4552: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten bzgl. 1892.
131 Vgl. ADBR 87 AL 4547: desgl. bzgl. 1904.
286
als außerordentlich hoch empfand. Die Ortskommandantur pochte deshalb auf eine
Erhöhung der Wohnungszuschüsse für Offiziere bzw. auf den Bau von Dienstwohnun-
gen.132 Der zivile Kreisdirektor Diedenhofens wußte allerdings: "Eine Besserung der
herrschenden Wohnungsnot und ein Rückgang der unverhältnismäßig hohen Mietpreise
ist nur von einer Aufhebung oder Hinausschiebung der Festung und einer durchaus sich
ermöglichenden Stadterweiterung zu erwarten."133 Diesem Begehren der Stadt und des
Kreises Diedenhofen wurde - im Gegensatz zu Metz als der damals größten Festung
der Welt - sechs Jahre später entsprochen. Unter den genannten Gesichtspunkten bildeten
in Lothringen die Truppenmassierungen an der Grenze zum verfeindeten Frankreich eine
spezifische Komponente im Zuge der Bevölkerungsverschiebungen der Industrialisie-
rungsperiode.
Als Hauptgrund für den angespannten Wohnungsmarkt benannte man aber allzu oft ohne
Umschweife den Zuzug von "Fremdarbeitern", den die Erweiterung der industriellen
Fertigungsanlagen fortwährend bedingte.134 Die Wanderarbeiter in der Eisenindustrie,
und unter diesen in erster Linie die Italiener, wurden beschuldigt, insbesondere aufgrund
ihrer bevorzugten Wohnform als Kost- und Schlafgänger die Sittlichkeit zu stören.135
Hausten Wanderarbeiter in Holzbaracken, so waren diese wie in Esch zumeist in
unhygienischer Weise überfüllt, "aus ungehobelten Brettern, die Beleuchtung mangelhaft,
feuergefährlich, die Aboitanlagen ekelerregend".136 Einblick in die Wohnverhältnisse
im Diedenhofener Arbeiterviertel Beauregard gibt der Bericht eines Kontrolleurs der
Ortskrankenkasse aus dem Jahre 1903: "Bei meiner jüngsten Kontrolle in Beauregard
und Terville habe ich wahrgenommen, daß in vielen alten Häusern massenweise Italiener
in einem Zimmer zusammenwohnen. Man prallt beim Betreten solcher Löcher förmlich
zurück. Durch den Schmutz, Kot und schlechte Luft (die Löcher sind in den meisten
Fällen halbdunkel) sind Ausbrüche von Krankheiten aller Art unausbleiblich. Hauptsäch-
lich ist es die Krätze, mit der so viele italienische Arbeiter behaftet sind. Da sind bei
einem Unternehmer C. in Terville zur Zeit nicht weniger als 10 Mann, die er in der
vergangenen Woche wegen Krätze nach Hause schicken (...) mußte. Diese Leute wohnen
nun noch mit vielen Kameraden zusammen, schlafen zusammen und auf diese Weise
132 Vgl. ADBR 87 AL 1012: Bericht der Kommandantur des XVI. Armeekorps in Diedenhofen
v. 14.März 1895 bzgl. einer Anfrage auf Abänderung der Servisklasseneinteüung in Elsaß-
Lothringen durch das Generalkommando v. 3.Februar 1895.
133 Vgl. ebda.: KDTh an das BPLo v. 29.Aprü 1895.
134 Vgl. ADBR 87 AL 4631: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten bzgl. 1895.
135 Vgl. ADBR 87 AL 4431: desgl. bzgl. 1897.
136 Vgl. ADBR 87 AL 4371: desgl. bzgl. 1903.
287
wird der Aussatz immer weiter geschleppt."137 Äußerst selten wandte sich die Kritik
gegen die Hausbesitzer selbst oder gipfelte gar in einem Räumungsbefehl wie hinsichtlich
eines Hauses im Kreis Diedenhofen-West, dessen kleine "Kammern nach allen Seiten
hin mit Tüchern hermetisch verschlossen [sind], wodurch das gemeinschaftliche Schlafge-
mach der Logisleute auf diese Weise weder Luft noch Licht erhält. Würden die
Wohnungen ausschließlich von einzelnen Familien bezogen werden, könnte man den
bestehenden Zustand allenfalls noch dulden. In einem Haus aber, das mit italienischen
Kostgängern vollgepfropft ist, wo also so wie so schon die Gefahr des Ausbruchs und
der Übertragung von Infektionskrankheiten besonders nahe liegt, können solche direkt
gesundheitsschädlichen Zustände nicht zugelassen werden."138 In diesem seltenen Falle
zog man den deutschen Hauswirt zur Rechenschaft, dessen Einspruch beim Bezirkspräsi-
dium mit den Worten kommentiert wurde: "Daß N. bei Schließung der beanstandeten
Räume empfindliche Verluste erleiden würde, kann nicht im wörtlichen Sinne sondern
nur dahin aufgefaßt werden, daß dadurch das von ihm angewendete, keine Grenzen
kennende Ausbeutungssystem eine kleine Einbuße erleiden würde."139
Die dritte Anschuldigung neben der Unsittlichkeit und Unhygiene der Behausungen von
"Fremdarbeitern" lautete darauf, daß eigens sie für die extrem hohen Mieten im Industrie-
gebiet verantwortlich seien, weil durch ihre Präsenz die Nachfrage auf dem Wohnungs-
markt außerordentlich angestiegen sei und sie daher die Preise in die Höhe treiben
würden.140 Daß es sich bei den "Fremdarbeitern" keineswegs um die Mehrheit der
mobilen Arbeiterbevölkerung handelte, wurde oft stillschweigend übersehen. So kam es
etwa vor, daß im Jahre 1897 aufgrund der Schließung de Wendelscher Eisenwerke in
Stieringen an der saarländisch-lothringischen Grenze ungefähr 350 Arbeiter, d.h. eine
mittlere Belegschaft mit ihren Familien, an diejenigen Betriebe überwiesen wurden,
welche dasselbe Unternehmen in Hayingen unterhielt. Die Wohnungsnot im Fentschtal
verschlimmerte sich daraufhin in einem Maße, daß Wohnungen nicht einmal mehr zu
137 Vgl. ADM 8 AL 356: Lothringer Bürgerzeitung v. 13 Januar 1903 mit dem Artikel "Sanitäre
Zustände in Beauregard". Außerdem hielt sich die Ortskrankenkasse, welche unter den finanziellen
Folgen der miserablen Wohnverhältnisse stöhnte, durch die Pflegeberichte von katholischen und
protestantischen Schwestern auf dem Laufenden. Sie gab ihrer Hoffnung Ausdruck, daß "die gün-
stige Gelegenheit der Stadterweiterung in erster Linie dazu benutzt werden wird, die traurigen
Wohnungsverhältnisse der arbeitenden Klasse zu verbessern." Vgl. ebda.: Lothringer Bürgerzei-
tung v. 29.Dezember 1901.
138 Vgl. ADM 3 AL 339: KDTh-West an BPLo v. 30Januar 1909.
139 Dito.
140 Vgl. ADM 3 AL 262: Zeitungsausschnitte zum Thema Wohnungsnot, u.a.: Le Lorrain v.
22August 1900 mit der Forderung nach einem sozialen Wohungsbau und die Lothringer
Volksstimme v. 26.Aprü 1904 mit einer drastischen Schüderung der unhygienischen Zustände
von Italienerwohnungen.
288
Höchstpreisen zu erhalten waren.141 Der Zuzug aus dem Ausland bzw. der deutsche
"Fremdarbeiterzuzug" war für diese Wohnungsmisere in keiner Weise verantwortlich,
wenngleich auch hier ein Migrationsfolgeproblem vortag.
Wohnraum war knapp, und zwar im deutschen wie im französischen Teil Lothringens.
Kurioserweise mietete in diesem Zusammenhang im Jahre 1893 ein auf französischer
Seite gelegenes Unternehmen in einem benachbarten deutsch-lothringischen Industrieort
Wohnungen für seine in Deutschland beheimateten Pendelarbeiter an. Dies löste Proteste
unter der Belegschaft des örtlichen Industriebetriebes aus, worauf das Gewerbeaufsichts-
amt mangels einer Handhabe auf dem privaten Wohnungsmarkt die Direktion des
deutschen Werkes an seine Verpflichtung erinnerte, ausreichend Wohnraum für seine
Arbeiter zur Verfügung zu stellen. Das deutsche Unternehmen tat daraufhin nicht mehr,
als die protestierenden Arbeiter zu ent- und den Wohnungsbau zu unterlassen, mit der
Begründung, ihre Wohnungsbaumaßnahmen könnten möglicherweise der französischen
Seite von Nutzen sein.142 Erst auf die Drohung der Staatsverwaltung hin, sie würde
die ausländischen Kräfte des Unternehmens ohne entsprechende Unterkünfte des Landes
verweisen, ging die Gesellschaft an die Errichtung von Arbeiterhäusem.143
Interessant ist, daß die Reichs landverwaltung - wohl aus früheren Erfahrungen heraus
- an die Vergabe von Werkskonzessionen offensichtlich die Bedingung knüpfte, das
Unternehmen habe den Wohnungsbedarf seiner Belegschaft auf eigene Kosten zu sichern.
Den Beschreibungen der "Fremdarbeiter"-Wohnverhältnisse durch die lothringische
Verwaltung läßt sich entnehmen, daß es den Behörden ein besonderes Anliegen war, das
Kost- und Schlafgängerwesen einzudämmen. Zwar wurde das Schlafgängerwesen auch
seitens der Fabrikanten häufig untersagt, und die größeren Werke bestritten aufgrund
der Konzessionsauflagen einen mehr oder minder umfangreichen Betriebswohnungsbau,
durch welchen der Arbeiterschaft zumindest teilweise zweckmäßige Wohnungen be-
reitgestellt werden konnten. Das Untemehmensengagement deckte den Wohnraumbedarf
in den Industriegemeinden allerdings nur ansatzweise ab, während die Privatanbieter,
die auf dem Wohnungsmarkt dominierten, in der Regel zu kleine und überteuerte
Domizile offerierten, weshalb dem Schlafgängerwesen nicht beizukommen war.144 In
ganz Lothringen standen im Jahre 1898 seitens derjenigen Betriebe, welche überhaupt
Arbeiterhäuser hatten errichten lassen, für 9.549 ständig anwesende Arbeiter (ohne die
Saisonkräfte) gerade einmal 1.430 Wohnungen zur Verfügung, d.h. für jede siebte Arbei-
141 Vgl. ADM 8 AL 356: Metzer Zeitung v. 6.0ktober 1897.
142 Vgl. ADBR 87 AL 4432: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten bzgl. 1893.
143 Vgl. ADBR 87 AL 4631: desgl. bzgl. 1895.
144 Vgl. ADBR 87 AL 4546: desgl. bzgl. 1894.
289
terfamilie.145 Häufig verkamen die wenigen Wohnhäuser, die betrieblicherseits erbaut
worden waren, bald schon in einen sehr schlechten Zustand, und die Familien, welche
in den kleinen Wohnungen lebten, nahmen zur Aufbesserung ihrer Finanzen nicht selten
acht bis zehn Kostgänger, zumeist "Fremdarbeiter", auf.146 Das vorläufige Scheitern
der Versuche zur Einschränkung des Kost- und Quartiergängerwesens, welche ab Mitte
der 1890er Jahre unternommen wurden, führte man im Jahre 1899 speziell auf die erneute
Zunahme italienischer Wanderarbeiter in der Region zurück. Zu dieser Zeit versprach
man sich Abhilfe durch die Errichtung von Schlafhäusem147, deren Bau in den Augen
der Verantwortlichen kurzfristig auch einen gewissen Erfolg zeitigte.14® Als sich jedoch
abzeichnete, daß auch der betriebliche Schlafhausbau dem Wanderungsstrom auf Dauer
nicht Paroli bieten konnte, forderte man die Industriellen auf, vor allem das italienische
Einliegerwesen "wegen des schädlichen Einflusses auf Sitte und Moral mit allen Mitteln
[zu verhindern]" und für die italienischen Arbeiter Sammelunterkünfte in Form von
Baracken zu errichten. Die Kritik an den Zuständen in diesen Unterkünften ließ, wie be-
reits erwähnt wurde, nicht lange auf sich warten, und bald schon galten insbesondere
die darin befindlichen Eß- und Schlafräume für Italiener, von Ausnahmen abgesehen,
als sehr unsauber und gesundheitsgefährdend.149
Als ein weiteres Instrument gegen die Wohnungsnot gründete man im ausgehenden 19.
Jahrhundert auf kommunaler Ebene, zumeist aber auf Betreiben übergeordneter Ver-
waltungsstellen, gemeinnützige Baugenossenschaften für die Errichtung von Kleinwoh-
nungen für Arbeiter und bemühte sich um die Einrichtung von Wohnungsnachweisstellen
145 Vgl. ADM 8 AL 356: Beschaffung von Familienwohnungen für gewerbliche und Bergarbeiter
durch Arbeitgeber auf dem Stande vom Herbst 1898. Daneben ist zu beachten, daß bei der
Angabe der Arbeiterzahl nicht die zahlreichen Arbeiter in den Zulieferbetrieben der Industrie
berücksichtigt werden.
146 Vgl. ADBR 87 AL 1882: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten bzgl. 1898 hinsichtlich
der Arbeiterhäuser des Oettinger Hüttenwerkes. Weitere Schilderungen der Wohnverhältnisse
in Privathäusern finden sich in: ADBR 87 AL 4427, wo es heißt: "Die Wohnverhältnisse in
gewöhnlichen Mietwohnungen sind oft jammervoll.", oder auch in ADBR 87 AL 5813, wo
berichtet wird, die Mietwohnungen in Hayingen seien z.T. in einem "furchtbaren Zustand", es
gäbe Wohnungen, wo in zwei Zimmern 12 Leute hausten. Besonders berüchtigt war offenbar
die Situation in Deutsch-Oth (Audun-le-Tiche).
147 Vgl. ADBR 87 AL 1728: desgl. bzgl. 1899. Pilotfunktion für die Eindämmung des Ein-
liegerwesens hatte im lothringischen Industriegebiet die Polizeiverordnung über das Halten von
Kost- und Quartier gangem der Gemeinde Deutsch-Oth (Audun-le-Tiche) v. 2Juni 1895. Die
Stadt Diedenhofen erließ im Jahre 1898 nach dem Vorbüd der Gemeinde Deutsch-Oth eine
Polizeiverordnung über das Halten von Kost- und Schlafgängern. Vgl. ACTh 2 D 17: registre
des anfitfis du maire (1871-1936), Ortspolizeiverordnung v. 1 Juni 1898.
144 Vgl. ebda, und ADBR 87 AL 4292: desgl. bzgl. 1900.
149 Vgl. ADBR 87 AL 3316: desgl. bzgl. 1902.
290
bis hin zur Installierung ständiger Wohnungsinspektionen. Der Widerstand der örtlichen
Hausbesitzer(vereine) dagegen war aus eigenen finanziellen Interessen heraus jedoch
beträchtlich, und auffälligerweise versuchten gerade die Kommunen der untersuchten
Industrieregion, sich dieser Verantwortung zu entziehen. Die Stadt Diedenhofen bekundete
zwar ihr Wohlwollen gegenüber der Genossenschaftsinitiative des Jahres 1905, der
Stadtrat sprach sich aber mit Mehrheit gegen den Beitritt der Gemeinde aus, was eine
gewisse Empörung in der Öffentlichkeit auslöste.150 Die Kommune sah ihren Aufga-
benbereich eher im Aufbau eines Wohnungsnachweises, nicht in der Wohnungsfürsorge,
weiche sie lieber einem privaten bzw. betrieblichen Engagement überließ.151
Ähnliche Erscheinungsformen in der Wahrnehmung und Behandlung der Wohnungsfrage
im Kontext des Wanderungsgeschehens durch die Behörden lassen sich im Saarrevier
festmachen.
Bereits Ende der 1870er Jahre glaubte das zuständige Handels- und Gewerbeministerium
in Berlin, die Einrichtung eines zentralen Schlafhauses für die zahlreichen auswärtigen
Arbeiter der Eisenbahnwerkstätte in Malstatt-Burbach nach dem Beispiel anderer
Staatsbetriebe wie der Grube Von-der-Heydt bei Saarbrücken, der Zeche Borussia bei
Dortmund sowie des Blei- und Silberwerkes Ems sei geeignet, um den in "immer be-
denklicherem Maße zu Tage tretenden, gesundheitsschädlichen und entsittlichenden
Einwirkungen des auch unter der Saarbrücker Arbeiterbevölkerung in gewissem Umfang
üblichen sogenannten Kostgängertunis für die Zukunft tunlichst vorzubeugen".152 Früher
noch als im Reichsland wurde das Schlafhauskonzept als Instrument gegen das Ein-
liegerwesen propagiert. In diesem Zusammenhang erging für die Kreise Saarbrücken und
Ottweiler, den Standorten der beiden bedeutendsten Hüttenwerke der Saarregion, der
Burbacher Hütte sowie des Neunkircher Eisenwerks, bereits im Jahre 1882 eine gegen
150 Vgl. Wittenbrock/Leiner, Wohnungspolitik, S. lOff. Das Stadtparlament ließ lediglich verlauten:
"Jedenfalls erkennt der Gemeinderat die Notwendigkeit an, für die ärmeren Klassen der
Bevölkerung Wohnungen zu errichten, welche mit einem Gärtchen versehen sind, und erklärt
sich bereit auch seinerseits zur Hebung der körperlichen und geistigen Wohlfahrt der ärmeren
Bevölkerung nach Möglichkeit beizutragen." Vgl. ACThT 1/200: Auszug aus dem Beschlußbuch
des Gemeinderates v. 2.0ktober 1905 und den undatierten Zeitungsausriß aus der Lothringer
Bürgerzeitung mit dem Artikel: "Gemeinderat und Baugenossenschaft".
131 Vgl. ACTh T 9/281: Eine aus dem Jahre 1908 erhaltene Wohnungsstatistik der Stadt
Diedenhofen belegte den auch zu diesem Zeitpunkt fortbestehenden Wohnungsnotstand; zum
Erhebungszeitpunkt standen beispielsweise in der gesamten Gemeinde, einschließlich der 3 bis
4 Kilometer entfernten Vororte, nur 26 der hochbegehrten Kleinwohnungen leer.
132 Vgl. LHA Ko 403/8328: preußisches Handels- und Gewerbeministerium an das OPKo v.
4.November 1878 mit dem Vorschlag zur Errichtung eines "Kost- und Logishauses".
291
das Kost- und Mietgängerwesen gerichtete Polizeiverordnung.153 Die Berginspektion
Louisenthal empörte sich jedoch bereits wenige Jahre später, daß besonders junge
Arbeiter der Belegschaft die Schlafhäuser meiden würden, weil sie in Privatquartieren
"leichter und ungestraft unsittlichen Vergnügungen nachgehen können".154 In der
Folgezeit diskutierte man deshalb mehrfach die Verschärfung der genannten Bestimmun-
gen. Aber im Jahre 1893 hielt die Bezirksverwaltung dies angesichts des bedeutenden
Umfangs des Schlafgängerwesens nicht für ratsam. Neben den sicherlich zahlreichen ille-
galen Schlafstellen waren in diesem Jahr im Kreis Saarbrücken schon 2.292 Schlafstellen
mit 5.922 Mietgängern amtlich gemeldet.155
Der Bergfiskus versuchte den negativen Auswirkungen des Einliegerwesens auf eigene
Faust entgegenzuwirken, indem er sich in der Arbeitsordnung der Kohlegruben im
Bedarfsfälle wenigstens anzuordnen vorbehielt, "daß minderjährige Arbeiter solche
Quartiere verlassen, welche in sittlicher und gesundheitlicher Beziehung für unzuträglich
erachtet werden".156 Das preußische Innenministerium unterstützte einige Jahre darauf
diese Maßnahme, als es in einem geheimen Erlaß zur Milderung der Leutenot auf dem
platten Lande den Gemeinden die Möglichkeit einräumte, jugendliche Arbeiter unter 18
Jahren abzuweisen, falls diese keine "den sittlichen und moralischen Anforderungen
entsprechende Wohnung vorzuweisen [hatten]". Beabsichtigt war auch damit vornehmlich
die Beschränkung des Schlafstellenwesens in Industrieansiedlungen.157
Die Königliche Bergwerksdirektion vertrat aber noch 1895 die Ansicht, daß einerseits
"erhebliche Mißstände nicht hervorgetreten" seien und andererseits "einzelne Überschrei-
tungen selbst nach einer Verschärfung der geltenden Bestimmungen nicht vermieden
werden können”.158 Denn das Einliegerunwesen selbst trete vor allem saisonal auf, d.h.
im Sommer, wenn beispielsweise Bauhandwerker das Industriegebiet verstärkt frequen-
tierten, und die Einlieger gehörten in der Regel der fluktuierenden Arbeiterbevölkerung
153 Vgl. ebda.: Polizeiverordnung betr. Kost- und Mietgängerwesen v. 30.Dezember 1882 für
die Kreise Saarbrücken und Ottweiler. Vgl. hierzu auch die Parallelüberlieferung auf Kreisebene
im LASb, LRASb 4.
154 Vgl. LASb, LRASb 4: Berginspektion Louisenthal an das Saarbrücker Landratsamt v.
29.Oktober 1889 ("vertraulich!").
155 Vgl. ebda.: RPTr an OPKo v. 26.Januar 1893 mit einer ausführlichen Statistik über die
Schlafetellen im Regierungsbezirk.
156 Dito.
157 Vgl. LHA Ko 403/8298: geheimer Erlaß des preußischen Innenministeriums v. 14.Oktober
1899.
158 Vgl. LHA Ko 403/8328: Königliche Bergwerksdirektion Saarbrücken an OPKo v.
11.September 1895.
292
an, derer man ohnehin kaum habhaft werden könne. Im Klartext hatte sich demnach in
der Praxis die Polizeiverordnung weder zur Behebung des Wohnraummangels noch zur
Wahrung der Sittlichkeit bewährt. Weil eine akzentuierte Rechtslage nach Meinung der
Bergverwaltung aber auch nicht schaden konnte, erging im Jahre 1896 dennoch eine no-
vellierte Fassung der Polizeiverordnung über das Halten von Kost- und Quartiergängern
in den Saarkreisen.159 Als die Trierer Bezirksregierung im Jahre 1912 auf eine noch-
malige Verschärfung der einschlägigen Bestimmungen drängte, erkannten die Landräte
eine Notwendigkeit jedoch nicht mehr an und bemerkten zum Status quo: "Die Besserung
der Verhältnisse wird einmal auf den Umstand zurückgeführt, daß seitens der großen
Werke mit dem Bau mustergültiger Schlafhäuser fortgefahren wird, und sodann hat sich
eine strenge Handhabung der bestehenden Vorschriften als wirksam erwiesen."160
Die Schlafhauskapazitäten genügten allerdings an der Saar dem Wohnraumbedarf
ebensowenig wie in Lothringen. Speziell auf dem Wohnungsmarkt von Fabrikstädten
wie Malstatt-Burbach spielten die betrieblicherseits gebauten Schlafhäuser eine noch
wesentlich unbedeutendere Rolle als in der engeren Bergbauregion. Die Burbacher Hütte
unterhielt z.B. kurz vor der Jahrhundertwende nicht mehr als drei Schlafhäuser mit
insgesamt 36 Betten! Angesichts des Wanderungsaufkommens sowie der fortdauernden
Wohnungsmisere konnte daher die jeweils notorisch überforderte Ortspolizei auf der Basis
der genannten Rechtslage höchstens punktuell gegen das Einliegerwesen Vorgehen - falls
dies überhaupt in ihrem Interesse lag, denn Alternativen hierzu gab es nicht.161 In
höchst pragmatischer Weise hatte daher der Malstatt-Burbacher Bürgermeister eigens
zur Eindämmung des Schlafgängerwesens bereits Anfang der 1890er Jahre die Hütten-
direktion eindringlich gebeten, ortsansässige Arbeitnehmer oder Kräfte aus der Ta-
geseinpendlerzone auswärtigen Arbeitern vorzuziehen.162
159 Vgl. ebda.: Polizeiverordnung betr. das Kostnehmer- und Schlafstellenwesen v. 28.Januar
1896. Als Vorbild zur Novellierung diente eine entsprechende Polizeiverordnung, welche am
11.Juli 1887 im Regierungsbezirk Düsseldorf für das Ruhrgebiet ergangen war. Vgl. desgl. in
LASb, LRASb 4.
160 Vgl. ebda.: RPTr an OPKo v. 12,Oktober 1912.
161 Vgl. StadtA Sb, MB 379: Sozialleistungen der Hütte (Werbeblatt 1895) sowie: Wohlfahrtsein-
richtungen der Burbacher Hütte bei Saarbrücken, hg. von der Luxemburger Bergwerks- und Saar-
brücker Eisenhütten-Actien-Gesellschaft, Malstatt-Burbach 1897, S.21f.
162 Vgl. LHA Ko 403/8296: RPTr an OPKo v. 8Januar 1892 betr. die Arbeiterverhältnisse auf
der Burbacher Hütte. Der Malstatt-Burbacher Bürgermeister hatte dem Saarbrücker Landrat, wie
dieser seinen Vorgesetzten berichtete, mündlich erklärt, "daß im Interesse der Gemeinden Mal-
statt-Buibach und Gersweiler umsomehr darauf gehalten werden wurde, daß die Arbeiter aus
diesen Gemeinden zu recht berücksichtigt werden, als er das Schlafstellenwesen in vieler Hinsicht
für bedenklich halte".
293
Eine grundsätzliche Lösung der Wohnungsnot konnte aber nur ein forcierter Arbeiterwoh-
nungsbau erbringen, indem die Industrieunternehmen und die Kommunen bzw. der Staat
an einem Strang zogen. Die Realität im saarländischen Industriegebiet glich allerdings
in frappierender Weise derjenigen in Lothringen und Luxemburg. Betrieblicherseits wurde
gebaut - jedoch bei weitem nicht genug, obwohl die Burbacher Hütte schon im Jahre
1858, d.h. zwei Jahre nach der Werksgründung, die ersten Arbeiterhäuser hatte errichten
lassen.163 Die Gemeinde Malstatt-Burbach überließ - wie viele Kommunen - die
Befriedigung des Wohnungsbedarfs sehr lange ausschließlich dem privaten Wohnungs-
markt. Das Jahr 1890 bildete in gewissem Sinne eine Schwelle für die lokale Wohnungs-
politik. Erst in den 1890er Jahren wurden das Wanderungsgeschehen und die damit
verbundenen Unterbringungsprobleme in ihrer Dringlichkeit erkannt und seitens der Stadt
nach Lösungsmöglichkeiten gesucht. So kam es im Jahre 1891 zur Gründung einer
Gemeinnützigen Baugenossenschaft (GBG), an deren Aktivitäten sich die Kommune im
Gegensatz zur Stadt Diedenhofen als federführendes Mitglied beteiligte.164 Dies löste
aber keineswegs einen Bauboom aus. Der GBG gelang bis zum Jahre 1904 gerade einmal
die Errichtung von zwölf Arbeiterhäusem, wobei die Bautätigkeit in den letzten Jahren
nahezu stagniert hatte.165 Die städtische Beteiligung an der GBG hemmte eine dyna-
mische Entwicklung der Genossenschaftstätigkeit eher, als daß es sie beflügelte. Unter
dem Einfluß der mächtigen Hausbesitzerlobby, die in der Stadtverordnetenversammlung
stark vertreten war, neigte die Stadtverwaltung und in deren Reihen besonders der ver-
antwortliche Stadtbaumeister dazu, die Wohnungsmisere zu beschönigen. Die Lokalpresse
berichtete zwar: "Ein empfindlicher Wohnungsmangel herrscht gegenwärtig in Malstatt-
Burbach. Die Folge dieser Kalamität ist, daß die Mietpreise außergewöhnlich hoch sind
und noch fortwährend steigen. Die Ursache des Wohnungsmangels ist in erster Linie
in dem steten Zuzug von fremden Arbeitern zu sehen. Wenn man ferner die erhebliche
Zahl der monatlichen Eheschließungen und die im Verhältnis zu der Größe der Stadt
geringe Zahl der Neubauten in Betracht zieht, so muß man sich wundem, daß noch alle
Leute Unterkunft finden. Es wäre deshalb zu begrüßen, wenn städtischerseits der Bau
von Kleinwohnungen in Aussicht genommen würde."166 Der Stadtbaumeister und die
163 Vgl. StadtASb, MB 379: Situationsplan zum Concessionsgesuchder Saarbrücker Eisenhütten-
Gesellschaft vom 10.Mai 1858 behufs der Erbauung von 21 Arbeiterwohnungen in der Gemeinde
Malstatt-Burbach (genehmigt am 3.Juni 1858).
164 Vgl. StadtASb, MB 762 u. 763: Die Gemeinnützige Baugenossenschaft zu Malstatt-Burbach
mbH, gegründet am 30Aprü 1891.
165 Vgl. StadtA Sb, MB 779: der Bürgermeister von Malstatt-Burbach an den Vorstand des
Rheinischen Vereins zur Förderung des Arbeiterwohnungsbaus, dem Dachverband der gemein-
nützigen Baugenossenschaften in der Rheinprovinz, v. 29.Dezember 1904.
166 Vgl. St.-Johann-Saarbrücker Volkszeitung v. 1.5.1906.
294
GBG verharrten jedoch im Vertrauen auf die innerstädtischen Wohnungsbaumaßnahmen
der Eisenhütte, der Königlichen Eisenbahnverwaltung, des staatlichen Hafenamtes sowie
der St.Johanner Baugenossenschaft (!) in Tatenlosigkeit. Als der Bürgermeister im glei-
chen Zeitraum anfragte, ob die Stadt über Räumlichkeiten verfüge, um obdachlosen
Arbeiterfamilien angesichts der Wohnungsmisere zeitweilig Unterkunft zu gewähren,
urteilte der Stadtbaumeister, "daß Räumlichkeiten nicht vorhanden sind, sondern erst
geschaffen werden müßten durch Neubau. Es ist gefährlich diese Leute, die zu den
schlechtesten Zahlern, oder zu den Familien mit einer reich gesegneten Kinderzahl
gehören, in städtischen Häusern unterzubringen, da man sie nachher nicht wieder los
wird".167 Die Anschaffung und Verteilung von durch die Straßburger Woh-
nungskommission ausgearbeiteten Ratschlägen für gesundes Wohnen lehnte er mit den
Worten ab: "Die Ratschläge treffen durchaus zu, ob aber eine Besserung im gesunden
Wohnen eintritt, wenn diese Ratschläge an Schüler verteilt oder sonst ausgegeben werden,
dürfte doch auch fraglich sein."168 Und die Wohnungsbesichtigungen des Jahres 1905
kommentierte jener damit, daß die meisten in Ordnung und nur wenige zu beanstanden
wären sowie über geltendes Recht eine ausreichende Handhabe zur eventuellen Räumung
und Instandsetzung gegeben sei.169
Aus einer anderen Sicht der Dinge heraus formierte sich im Jahre 1908 ein Mieterverein
für die drei Saarstädte, denn man war der Ansicht: "Bei den häufigen Ortswechseln in
dieser modernen Völkerwanderung ist für den größten Teil der in Industrie, Handwerk,
Handel und anderen Berufsarten beschäftigten Volksgenossen aller Stände kein anderes
Wohnen möglich als das Wohnen zur Miete, und mit jedem Jahre nimmt die Zahl der
Mieter im Verhältnis zu der Zahl der Hausbesitzer zu. (...) Die Mietverhältnisse der zur
Miete wohnenden Bevölkerung entsprechen im großen und ganzen nicht den sozialen
Anforderungen unserer Zeit."170 Hieraus spricht eine realistischere Einschätzung der
Wohnungslage. Denn bereits eine stichprobenartige Wohnungsbesichtigung im Jahre 1904
hatte katastrophale Zustände offenbart, welche die Stadtverwaltung allerdings nicht wahr-
haben wollte. So bezeichnete man den "allgemeinen Eindruck", welchen man von einem
Haus in der Wallenbaumstraße gewonnen hatte, als "ziemlich gut", wobei folgende
Verhältnisse angetroffen worden waren: 1.) Die Hausbesitzerfamilie verteilte sich mit
zehn Kindern bei einer Gesamtfläche von 58 Quadratmetern auf ein Ladenlokal, ein Zim-
167 Vgl. StadtA Sb, MB 378: der Stadtbauineister von Malstatt-Burbach an den Bürgermeister
v. 20Juni 1905 auf Anfrage v. 19Juni 1905.
168 Vgl. ebda.: Notiz des Stadtbaumeisters v. 6.August 1906 zu einem Verlagsangebot aus
Straßburg.
169 Vgl. StadtA Sb, MB 420: Notiz des Stadtbaumeisters v. 21.September 1905.
170 Vgl. StadtA Sb, MB 373 mit einem Ausriß aus der Neuen Saarbrücker Zeitung v. 24.Juli 1908.
295
mer und eine Küche im Erdgeschoß sowie eine Dachmansarde, 2.) eine Mieterfamilie
lebte mit sechs Kindern in zwei Zimmern und Küche im Erdgeschoß (45 qm), 3.) eine
zweite Mieterfamilie mit drei kleinen Kindern in einem Zimmer und Küche im Dachge-
schoß (32 qm) sowie 4.) eine weitere Mieterfamilie mit 5 kleinen Kindern in zwei Zim-
mern und Küche im Dachgeschoß (45 qm). Dieses Haus von 180 Quadratmetern Wohn-
fläche, welches 32 Menschen beherbergte, also nur unwesentlich weniger als die drei
Schlafhäuser der Burbacher Hütte zusammen, stufte die Stadtverwaltung als eines der
besseren Domizile ein!171 Immerhin wurden im Hof dieses Hauses im Gegensatz zu
einem anderen Fall keine freilaufenden Schweine gehalten.
In der Nachbarstadt (AIt-)Saarbrücken war bereits im Jahre 1890/91 eine Feldstudie über
die innerstädtischen Wohnbedingungen durchgeführt worden, aus welcher eine Liste von
90 Häusern hervorgegangen war, "welche mit Personen überfüllt und nicht bewohnbar
sein dürften".172 Es ist anzunehmen, daß sich die Situation am Industriestandort
Malstatt-Burbach im Falle einer vergleichbaren Studie erheblich kritischer dargestellt
hätte.
Gegen die Einrichtung einer ständigen Wohnungsaufsicht wehrte sich die Industriestadt
trotz des permanenten Drängens der übergeordneten Behörden nicht umsonst mit
allerhand Ausflüchten aufs heftigste. Noch im Februar 1905 schrieb der Bürgermeister
dem Regierungspräsidenten: "Von der Errichtung eines Wohnungsaufsichtsamtes wird
einstweilen abgesehen, weil ein Bedürfnis (...) nicht vorliegen dürfte". Und noch im Jahre
1908 lautete ein Stadtratsbeschluß: "Die Beschäftigung einer Wohnungsinspektion wird
einstweilen nicht für erforderlich gehalten."173 Die Stadtverwaltung begnügte sich
vorläufig mit der Einrichtung einer Wohnungsnachweisstelle.174 Der Verteilung dessen,
was vorhanden war, wollte sich die Kommune gerne widmen. Die Erfassung der
Mißstände unterließ man lieber, um gar nicht erst in Gefahr zu geraten, den allgemein
offensichtlichen Handlungsbedarf selbst noch empirisch zu untermauern.
171 Vgl. StadtA Sb, MB 375: Kurzprotokolle einer stichprobenartigen Wohnungsinspektion in
der Von-der-Heydt-Straße, der Blumen- sowie der Wallenbaumstraße aus dem Jahre 1904. Im
zitierten Fall betrug die Höhe der Räume im Erdgeschoß 2,80 Meter und im Dachgeschoß 2,50
Meter. Niemand im Haus verfügte also über die z.B. im Düdelinger Bautenreglement als
Minimum definierten 8 qm Wohnfläche pro Person, da den Mitgliedern der Hausbesitzerfamilie
jeweils nur 4,9 qm zur Verfügung standen und den Mieterfamilien im Dachgeschoß jeweüs auch
nicht mehr als 6,4 qm pro Person. Vgl. Lehners, Wohnen, S.51 u. S.55.
172 Vgl. StadtA Sb, ASB 497: Bericht einer Spezialkommission über die Wohnungsverhältnisse
in der Stadt v. 17Januar 1891.
173 Vgl. ebda.: der Malstatt-Burbacher Bürgermeister an das RPTr v. 14.Februar 1905 sowie den
Stadtratsbeschluß v. 30 Juli 1908. Auf das Insistieren des RPTr bekräftigte die Stadtverordneten-
versammlung diesen Beschluß nochmals am 30.Oktober 1908.
174 Vgl. ebda.: Stadtratsbeschluß zur Einrichtung eines Wohnungsnachweises v. 14.Juli 1904.
296
Erst nach der Vereinigung der drei Saarstädte wurde staatlicherseits, keineswegs durch
die Stadt selbst, die Wohnungsaufsicht über die Großstadt Saarbrücken im Juli 1910 der
Kreispolizeidirektion übertragen.175
Prekär war die Lage auf dem Wohnungsmarkt im Kontext der Wanderungsbewegungen
vor allem auch im Hinblick auf die Gefahr des Ausbruchs von Epidemien. Bereits
mehrfach sind in der Schilderung der Wohnsituation in Arbeitersiedlungen Fragen der
Hygiene und Gesundheit angesprochen worden. Die Aufsicht über die allgemeine
Volksgesundheit lag aber nicht unmittelbar in Händen der Städte und Gemeinden, sondern
der Staatsverwaltung, welche im ReichsIand wie in Preußen in Person der Kreisärzte auf
Gemeindeebene präsent war. Die Volksgesundheit wie die innere Sicherheit, derentwegen
die Migrationsphänomene den höheren Staatsbehörden vorrangig Kopfzerbrechen bereite-
ten, lagen weitgehend außerhalb des lokalen Blickwinkels der Kommunalverwaltungen,
weshalb der Konnex zwischen einer unzureichenden Wohnraumversorgung und einer
akuten innerstädtischen Gesundheitsgefährdung die örtlichen Funktionsträger weniger
beunruhigte als die unvermeidlichen Kosten im Falle eines kommunalen Sozialwohnungs-
baus. Insbesondere staatliche Stellen erkannten jedoch auch in Epidemien eine latent
allgegenwärtige Folgeerscheinung der Migrationen in den industriellen Ballungszentren.
"Über die Wohnverhältnisse in den größeren Ortschaften sind, bei Gelegenheit der
Choleragefahr, Erhebungen durch die Ortspolizeibehörden vorgenommen worden, die
arge Mißstände zu Tage beförderten. Besondere Maßnahmen zu deren Abstellung sind
jedoch (...) nicht ergriffen worden", berichtete die lothringische Fabrikaufsicht im Jahre
1892.176 Neben der punktuell auftretenden, höchst gefährlichen Cholera war Typhus
eine der regelmäßig wiederkehrenden Begleiterscheinungen des Industriali-
sierungszeitalters. Der Diedenhofener Kreisarzt schrieb im Jahre 1899: "In den
Industrieorten unseres Kreises herrscht der Typhus beinahe immer; kaum ist die Seuche
an einem Orte erloschen, so bricht sie in einem anderen wieder aus. Die Ursachen davon
sind hauptsächlich sozialer Natur: Wohnungsmisere, Unrat, fluktuierende
Arbeiterbevölkerung. Es mangelt allenthalben an Arbeiterwohnungen, so daß alle
verfügbaren Räume übervölkert sind. Die vorhandenen Räume sind häufig zu beanstanden
(...) Die fluktuierende Arbeiterbevölkerung bringt immer wieder Krankheitskeime in den
empfänglichen Nährboden."177 Für alle Industrieorte seines Kreises, einschließlich der
175 Vgl. LHA Ko 442^374: Kreispolizeidirektion Saarbrücken an RPTr v. 14 Juli 1910 betr. die
Errichtung eines Wohnungsamtes bzw. v. 23.Mai 1911 mit einem ersten Erfahrungsbericht über
die bisherigen Wohnungsinspektionen.
176 Vgl. ADBR 87 AL 4552: Jahresbericht der Gewerbeaufsichtsbeamten bzgl. 1892.
177 Vgl. ADM 8 AL 262: der Kreisarzt von Diedenhofen an das BPLo v. 17.Dezember 1899.
297
Stadt Diedenhofen, schlug er daraufhin die Bildung ständiger Gesundheitskommissionen
vor, weiche sich aus dem örtlichen Arzt, dem Apotheker, dem Gendarm, dem
Bürgermeister, dem Lehrer, dem Pfarrer und dem einen oder anderen Beamten
zusammensetzen sollte.178 Auch im Bereich der Saarstädte war das Auftreten von
Typhus keineswegs selten.179 Der Reichskommissar für die Typhusbekämpfung im
Südwesten mit Sitz in Saarbrücken wünschte in diesem Zusammenhang eine einheitliche
Regelung des Kost- und Schlafgängerwesens in Form einer einzigen Bezirks- anstelle
vieler Ortspolizeiverordnungen. Die Reichslandverwaltung hielt ein solches Ansinnen
jedoch wegen der unterschiedlichen Verhältnisse in den einzelnen Gemeinden für unange-
bracht.180 Eine zweite Stoßrichtung des Reichskommissariats bildete der
Kleinwohnungsbau "für Arbeiter und geringer besoldete Beamte in den Betrieben und
Verwaltungen des Reiches". Hierfür stellte die Reichsgesundheitsbehörde eigens
Fördermittel zur Verfügung.181 Daß die genannten epidemischen Krankheiten eine reale
und existenzielle Gefahr für die Menschen darstellten, belegt der folgende Rapport des
Diedenhofener Kreisarztes aus dem weniger spektakulären Berichtsjahr 1907: "Die Zahl
der Typhusfälle war keine sehr hohe, nämlich 32 - davon verliefen 5 tödlich. Unter
diesen 32 Typhusfällen kamen 8 auf eine Hausepidemie in Entringen, welche durch die
typhuskranke, aus dem luxemburgischen Gebiete herübergezogene Dienstmagd verursacht
worden war und 6 auf eine kleinere Epidemie in Enscheringen (davon 4 Fälle in
demselben Hause). Es verliefen davon 1 bzw. 2 tödlich. Ein weiterer Typhusfall kam
vor in Diedenhofen bei einem Mädchen, welches sich anscheinend bei einer Reise nach
Nancy infiziert hatte. Es schlossen sich an diesen Fall 2 weitere Typhusfälle bei den
Kostgängern der Mutter des betreffenden Mädchens und bei der Krankenpflegerin
desselben im Spitale an. Im April kam in Wollmeringen ein Pockenfall zur Beobachtung.
Derselbe war aus dem nahen Düdelingen über die Grenze eingeschleppt worden, wurde
im Krankenhause zu Algringen isoliert und endete mit Genesung."182
178 Dito.
179 Vgl. StadtA Sb, MB 521: RPTr an die Bürgermeister der drei Saarstädte Malstatt-Burbach,
Saarbrücken und St.Johann v. 30-Oktober 1904: "Das andauernde Auftreten von Typhus (...)."
180 Vgl. ADM 8 AL 262: der Reichskommissar für die Typhusbekämpfung in Saarbrücken an
das BPLo v. 14.Mai 1907 sowie das ablehnende Schreiben des Ministeriums für Elsaß-Lothringen
v. 23.Mai 1907.
181 Vgl. ACTh T 1/200: Zeitungsausriß aus der Lothringer Zeitung v. 11.Dezember 1904 mit
einem Artikel über die Typhusbekämpfung, wonach im Reichsetat ein entsprechender Betrag aus-
gewiesen worden war.
182 Vgl. ADM 17 Z 234: Sanitätsbericht des Diedenhofener Kreisarztes v. 15 Juli 1907.
298
Unzweifelhaft hatte die enorme Bevölkerungsmobilität erhebliche Bedeutung für die
Ausbreitung dieser Krankheiten.
Der zitierte lothringische Pockenfall stand in Zusammenhang mit einer Pockenepidemie
in Luxemburg während des Jahres 1905/06.183 "Die erste Erkrankung an Pocken trat
am 7.April 1905 in der Ortschaft Reckenthal, Gemeinde Rollingergrund, bei einem ein-
heimischen Bergmann auf, der mit Italienern, die an Pocken erkrankt waren, zusammen
gearbeitet hatte. (...) Am 27.August 1905, d.h. 5 Tage vor der zweiten Erkrankung im
Rollingergrund, wurde der erste Pockenfall in der Gemeinde Hollerich festgestellt. Ein
(...) in einem Kosthause wohnender italienischer Arbeiter war an Pocken erkrankt. Am
folgenden Tage befiel die Krankheit einen anderen italienischen Arbeiter und am dritten
Tage die Wirtin. (...) Am ersten September 1905 (...) wurde zu Luxemburg (...) der erste
Pockenfall in der Hauptstadt angetroffen. Diese Erkrankung betraf ebenfalls einen
italienischen Arbeiter. (...) In Düdelingen zeigte sich der erste Pockenfall am 18.Dezem-
ber 1905 ebenfalls bei einem Italiener."184 Insgesamt erfaßte die Epidemie im Zeitraum
zwischen April 1905 und August 1906 24 luxemburgische Ortschaften und betraf 229
Personen.185 Es starben fast 20 Prozent der Infizierten.186
Insbesondere die hochgradige Wanderungsbereitschaft italienischer Arbeiter hatte zur
flächenmäßigen Verbreitung der Krankheit geführt. Trotz dieser Erfahrungen ließen sich
die Gemeindeverwaltungen nur sehr schwer davon überzeugen, die sozialen Kosten der
sie betreffenden Bevölkerungsverschiebungen mitzutragen bzw. durch Investitionen in
den sozialen Wohnungsbau oder auch in die kommunale Infrastruktur deren uner-
wünschten Folgen vorzubeugen. In den Saarstädten sträubte man sich trotz der akuten
Typhusgefahr sowohl gegen eine aktive Wohnungsbaupolitik als auch gegen die Anlage
einer modernen Kanalisation einschließlich eines Klärwerkes.187 In Esch entschloß man
sich im Jahr nach der für die Gemeinde glimpflich verlaufenen Pockenepidemie nur recht
183 Vgl. Die Pockenepidemie der Jahre 1905 und 1906 im Großherzogtum Luxemburg, (=Beilage
zu H.XVIII der Publ. d. ständigen Kommission f. Statistik), Luxemburg 1910. Es handelt sich
um eine ausgezeichnete und detaillierte Dokumentation der Epidemie in ihrem Verlauf und ihren
Folgen für die Bevölkerung.
184 Vgl. ebda., S.3.
185 Vgl. ebda., S.5.
186 Vgl. ebda., S.9.
187 Vgl. Leiner, Die Saarbrücker Städtevereinigung S.297f.
299
widerstrebend zum Bau eines Krankenhauses, welches im Notfälle beispielsweise die
Isolation von Pockenfällen ermöglicht hätte.188
Die generell schlechten Wohnverhältnisse im Gefolge der Wanderungsbewegungen der
Hochindustrialisierungsperiode im Saar-Lor-Lux-Raum, welche an den Gewerbestand-
orten durchgehend eine akute und allgemeine Gesundheitsgefährdung bedingten, nahmen
in aller Regel sowohl die bürgerliche Öffentlichkeit als auch die Behörden sehr wachsam
und kritisch zur Kenntnis. Die Kommunen zeigten sich angesichts dieses Tatbestandes
jedoch oft in äußerst kurzsichtiger Weise auf das Gemeindebudget bedacht. Übergeord-
nete staatliche Stellen ließen ebenso die Erarbeitung eines sozialpolitisch motivierten
Konzeptes vermissen und beschritten nicht seiten nur den höchstens beschränkt wirk-
samen polizeilichen Verordnungsweg. Gerade die Handhabung der Fremdenpolizei
verdeutlicht, wie mangels eines Gesamtkonzeptes zur Lösung der Probleme, die sich
zwangsläufig innerhalb einer außerordentlich mobilen Gesellschaft ergaben, polizeiliche
Maßnahmen eine entscheidende Rolle spielten, wenngleich diese per Saldo nicht mehr
darstellten als sozialpolitische Ersatzhandlungen mit maßgeblicher Wirkung im mentalen
Bereich. Denn die Aktivitäten der Fremdenpolizei trugen zwar gewiß dazu bei, die
Öffentlichkeit zu beruhigen, gegenüber den eigentlichen sozialen Problemen konnten sie
allerdings nur sehr wenig ausrichten.
188 Vgl. ACE, Sitzungsberichte des Gemeinderates. Zur Illustration dieses Tatbestandes sei
folgender Dialog aus der Escher Gemeinderatsitzung vom 3.Aprü 1907 angeführt:
W.: Wir haben Sachen, die gemacht werden müssen, so z.B. ein Spital. Wenn eine Krankheit
kommt, dann sitzen wir da und haben kein Spital. Wenn etwas vorkommt, fallen die
Leute weg wie Schneeflocken, und wir wissen nicht, wo wir mit den Leuten hin sollen
(...), da sind z.B. die Pocken, die drohen."
Bürgermeister:
"Die Krankheit fürchte ich nicht so sehr. Wir haben uns das letzte Mal herausgezogen,
werden es wohl auch dieses Mal noch können."
W.: "Die Verantwortung wollte ich nicht auf mich nehmen, wenn etwas losbricht."
Bürgermeister:
"Ich sagte als Erster, wir müssen unsere Leute impfen lassen. Für die, die es nicht
tunlassen, machen wir es, wenn nötig, wie in Metz und schicken die Polizei von Haus
zu Haus, und dann wird geimpft. (...) Fremde Leute, die hier arbeiten kommen, müssen
geimpft sein oder werden. (...)"
S.: Ich schließe mich den Worten des Herrn W, an. Es handelt sich nicht nur um die Pocken,
sondern auch sonstige Krankheiten. Die Leute bekommen z.B. eine Magd, einen Knecht,
es bricht eine Krankheit aus, wo fährt man da hin mit den Leuten? (...) Es ist ein guter
Gedanke ein Spital zu bauen."
300
c) Konkubinat, Kellnerinnenwesen, Kriminalität: Die Instrumentalisierung
der Fremdenpolizei angesichts der Subkulturen einer hochmobilen
Industriegesellschaft
Massenhafter Ausdruck des andauernden Wanderungszustroms in die Industriestädte war
das Schlafstellenwesen, welches die Obrigkeit durch ihre einschlägigen Polizeiverord-
nungen sowohl aus einer gesundheitspolitischen als auch aus einer moralistischen
Motivation heraus zum halbwegs illegalen Tatbestand degradierte. Dieser Massen-
erscheinung konnte allerdings auch durch deren Kriminalisierung nicht Einhalt geboten
werden. Das Kost- und Quartiergängerwesen stellte eine spezifische Form von Unter-
schichtenkultur dar, welche im Kontext der Wanderungsbewegungen der Hochindustriali-
sierungsperiode ohne einen allzu großen Kostenaufwand - für die Kommune wie für
den Einzelnen - die Verteilung des knappen innerörtlichen Wohnraums an die häufig
ohne familiären Anhang reisenden Wanderarbeiter gewährleistete. Der bürgerlichen Elite
erschienen diese Wohnverhältnisse unerträglich, für einen Großteil der Arbeiterschaft
war es Normalität.
Während dieses Phänomen auf einer breiten Basis stand, entwickelten sich daneben einige
Nischenkulturen. Dadurch daß der Wanderungsumschlag weitgehend von "Singles"
getragen wurde, die ihre Arbeitsplätze weit ab von ihren Heimatorten aufzusuchen ge-
zwungen waren, gewannen insbesondere in Industrieorten nichteheliche Lebensge-
meinschaften an Bedeutung, welche man zeitgenössisch als "wilde Ehen" oder "Kon-
kubinate" bezeichnete. Außerdem florierte infolge des Männerüberhangs in den In-
dustriezonen die Prostitution. Zwischen beiden Erscheinungen sahen die Behörden im
übrigen keine wesentliche Differenz, denn der männliche Part einer wilden Ehe wurde
als "Zuhälter" tituliert, die Frau als "Dime" oder "Konkubine". Beides, die private ebenso
wie die "gewerbsmäßige Unzucht", wurde strafrechtlich verfolgt.
Zeitgenössischen Polizeiakten zufolge befürchteten moralisierende Kreise, daß innerhalb
der Industriearbeiterschaft der Schritt von der Legalität in die Illegalität besonders dann
nahelag, wenn der Arbeiter eine Schlafstelle antrat, um über ein Verhältnis mit einer al-
leinstehenden Frau, oft der Zimmerwirtin, ins Zuhältermilieu abzugleiten und dort
schließlich einem vollständig kriminellen Lebenswandel zu verfallen. Beispielhaft ist der
Bericht eines luxemburgischen Polizeikommissars aus dem Jahre 1913 über die im
Konkubinate lebenden Personen seines Zuständigkeitsbereiches: "Aus aller Herren Länder
zieht diese Klasse von Leuten hierlands zu. Hauptsächlich aus Deutschland, wo das
Konkubinatswesen gesetzlich verboten ist. (...) Während in den meisten Fällen die
Mannspersonen nicht arbeiten, ergeben sich die Frauenspersonen der erwerbsmäßigen
Prostitution. Selbe üben größtenteils die Straßenprostitution aus, wobei ihre Zuhälter ihnen
in einer gewissen Entfernung folgen, um gegebenenfalls Passanten oder auch solche
301
Personen, weiche die Zuhälterin an einen abgelegenen Platz zur Ausübung der Prostitution
geführt hat, zu überfallen und auszurauben."189 Der Konnex zwischen dem
Schlafgängerwesen bzw, der wilden Ehe und der Regelkriminalität war somit hergestellt.
Das Konkubinatswesen unterlag, weil es die Familie als gesellschaftliche Basis und
Abbild der staatlich-religiösen Ordnung erschütterte, schon wesentlich früher restriktiven
Maßnahmen. Bereits vor der beschleunigten industriellen Entwicklung des Saarbrücker
Raumes infolge der Gründung der Burbacher Hütte befahl das Trierer Regierungs-
präsidium dem zuständigen Landrat die schärfste Überwachung "concubierender
Personen" aufgrund der "Erregung öffentlichen Ärgernisses", und man sah sich veranlaßt,
"aus den von vielen Seiten einlaufenden Klagen über die große Vermehrung von
Concubinaten und über den unsittlichen Einfluß, den die Duldung derselben auf die
Bevölkerung ausübt (...), das auf die Concubinate bezügliche Verfahren neuerdings einer
umfassenden Erörterung zu unterwerfen".190
Gingen diese vorindustriellen Konkubinate wohl in der Regel auf die Realteilungspraxis
hinsichtlich landwirtschaftlichen Kleinbesitzes zurück, welche einem nicht unbedeutenden
Teil der Bevölkerung aus finanziellen Gründen eine Heirat unmöglich machte, handelte
es sich im Saarrevier ab den 1860er Jahren zumeist um eine Folgeerscheinung der
industrialisierungsbedingten Wanderungsbewegungen. Das im Jahre 1871 erstellte Ver-
zeichnis der in wilder Ehe lebenden Familien in Burbach enthielt bis auf eine einzige
Burbacher "Konkubine" ausschließlich Zuzügler aus den benachbarten Rekrutierungs-
gebieten Pfalz, Hunsrück, Hessen, Frankreich und natürlich aus der Saarregion.191
Die Zahl der unehelichen Lebensgemeinschaften nahm vor dem ersten Weltkrieg ständig
zu. Während in der Saarhüttenstadt in der ersten Hälfte der 1870er Jahre zwischen zehn
und 20 solcher Paare beobachtet wurden, zählte man im Jahre 1913 im südluxemburgi-
schen Esch 322 Konkubinate, was immerhin drei Prozent der Gesamtbevölkerung ent-
sprach und damit schätzungsweise fast zehn Prozent der Verheirateten! Unter den 644
Personen, welche eine solche Partnerschaft gewählt hatten, waren 429 (=66,6%) Deutsche,
189 Vgl. ANL J 70/4: Polizeikommissariat Hollerich an die luxemburgische Generalstaatsanwalt-
schaft v. 22.Januar 1913.
190 Vgl. LASb, LRASb 4: RPTr an den Saarbrücker Landrat v. 12.Dezember 1845. Eine Handhabe
zum Vorgehen gegen die Konkubinate boten ein Ministerialerlaß v. 18.August 1838, ein Zir-
kularerlaß v. 5.Juli 1841 sowie eine Zirkularverordnung v. ll.Aprü 1854. Auf die betreffenden
Personen sollte zuerst ein Geistlicher einwirken, falls dessen "Zuspruch" und "Ermahnung" keinen
Erfolg zeitigte, kam es zur Anzeige durch den Geistlichen und daraufhin zur polizeilichen
"Aufhebung der Verhältnisse, unter Anwendung der zu Gebote stehenden Executivmittel". Der
Bischof von Trier arbeitete dabei mit den Staatsbehörden zusammen. Vgl. Schreiben des Bischofs
an das RPTr v. 17.März 1868.
191 Vgl. StadtA Sb, MB 960: Verzeichnis v. 14.Aprü 1871. Vgl. außerdem die entsprechenden
Verzeichnisse v. 22.Aprü 1871 sowie v. 23.Februar 1874.
302
121 (-18,8%) Italiener, 51
(=7,9%) sonstige Auslän-
der und 43 (=6,7%) Lu-
xemburger. (Tab.52)192
In Luxemburg wie an der
Saar bildete die wilde Ehe
vorzugsweise eine Lebens-
form von Arbeitsexilanten,
weniger von Einhei-
mischen.
Im luxemburgischen Par-
lament bezeichnete man
das Konkubinat als "une
des plus grandes plaies
sociales. Le concubinage,
cette avilisante contrefaçon
du mariage, est la source
directe des plus grands désordres et constitue le plus grave et le plus dangereux de tous
les éléments de dissolution sociale". Auf kommunaler Ebene vermerkte man mit
Besorgnis: "Durch das Überhandnehmen der wilden Ehen (...) geht die öffentliche
Sittlichkeit mit Riesenschritten zurück, und die Ausgaben der Stadt für die Nachkommen
solcher Ehen haben jetzt eine bedenkliche Höhe erreicht: das moralische und materielle
Wohl der Stadt ist also ernstlich bedroht."193
Zum Vorwurf des Sittenverfalls ist anzumerken, daß hinsichtlich ihres Familienstandes
zwar zwei Drittel der im Konkubinat lebenden Leute ledig, knapp ein Viertel allerdings
noch anderweitig verheiratet, 5,7 Prozent verwitwet und 3,0 Prozent geschieden waren.
Andererseits wurde in einer Ortschaft festgestellt, daß die Kinder aus wilden Ehen "fast
die Hälfte deijenigen aus [machen], die ohne gesetzliche Entschuldigung der Schule
fortbleiben." Der Verstoß gegen die Schulpflicht als solcher wurde den wilden Ehen zwar
angekreidet, gleichzeitig jedoch kommentiert : "Man sollte dies eigentlich nicht beklagen,
denn derlei Kameraden sind eine beständige Gefahr für die gute Erziehung unserer
Kinder, weil sie durch Erzählung der widerwärtigsten Eheverhältnisse die frühzeitige
Verführung der Mitschüler verursachen. Ferner ist es vielfach soweit gekommen, daß
noch nicht erwachsene Mädchen beim ersten Konflikt mit ihren Angehörigen sich einem
Nationalität männlich weiblich sa.
Deutsche 197 232 429
Italiener 80 41 121
Luxemburger 15 28 43
Franzosen 14 14 28
Belgier 4 6 10
Österreicher 6 1 7
Russen 5 - 5
Niederländer 1 - 1
322 322 644
Familien- stand männlich weiblich sa.
ledig 259 173 432
verheiratet 45 111 156
verwitwet 13 24 37
geschieden 5 14 19
322 322 644
Tab.52 : Zusammensetzung der wilden Ehen in Esch/Alz.
(1913)
192 Vgl. ANL J 70/4: Verzeichnis der in Esch/Alz. im Konkubinate lebender Personen, aufgestellt
im Januar 1913.
m Vgl. ebda.: Sitzungsprotokoli des Wohltätigkeitsbureaus der Stadt Rümelingen v. 7. Juni 1909.
303
fremden Manne anschließen. Wir können mit Namen dienen, daß dies sogar bei recht
braven Eltern eingetroffen ist, wie ist es demnach erst bei sittlich niedriger stehen-
den?"194
Ein finanzielles Problem für die Gemeinden stellten die zahlreichen Sozialwaisen dar,
welche im Kontext der wilden Ehen der kommunalen Fürsorge anheimfielen, sei es durch
eine notwendig erscheinende Intervention der öffentlichen Hand, sei es, weil die Kinder
von ihren Eltern einfach verlassen worden waren.195 Die Zahl der unehelichen Geburten
schoß in die Höhe.196 Darüber hinaus zahlten weder die neu eingeführten Kran-
kenkassen noch die Unfallversicherungen "an die Angehörigen der Concubinäre", so daß
die Kommunen z.B. für Hospitalaufenthalte dieser Leute aufkommen mußten.197
Weil das Konkubinatswesen vornehmlich eine Subkultur der "Fremdarbeiter" darstellte,
lag es nahe, mittels des Ausweisungsrechtes Abhilfe zu schaffen. Diese Verfahrensweise
wurde auch in den Nachbarstaaten praktiziert.
Nachweislich schon im Jahre 1868 hatte die Malstatt-Burbacher Polizei einen Burbacher
Hüttenarbeiter aus der bayerischen Rheinpfalz vorgeladen, um ihm mitzuteilen, daß er,
als Ausländer, aufgrund seiner Lebensführung in Form einer wilden Ehe des Landes
verwiesen würde, falls er nicht innerhalb zweier Wochen die Verbindung löse.198
Mitte der 1880er Jahre schlug die elsaß-lothringische Reichslandverwaltung einen
härteren Kurs gegen wilde Ehen ein. Die Diedenhofener Kreisdirektion konnte zwar zu
diesem Zeitpunkt keine wesentliche Vermehrung der Konkubinate feststellen, bestätigte
aber, daß in verschiedenen Gemeinden eine erhebliche Zahl nichtehelicher Lebens-
gemeinschaften bestehe, gegen welche ein staatliches Vorgehen "im Interesse der
öffentlichen Moral" wünschenswert sei. Im Jahre 1884 hatte eine interne Polizeianweisung
Bestand, "dem Treiben von Personen verschiedenen Geschlechts, welche durch häusliches
194 Ebda.
195 Vgl. ebda.: Verzeichnis der im Konkubinate lebenden Personen. Bezüglich der imehelichen
Lebensgemeinschaften wurden 587 Kinder erfaßt. Davon waren 162 "im Konkubinat erzeugte
Kinder", 16 Kinder des Mannes bzw. 90 Kinder der Frau, welche jeweüs bei diesen lebten sowie
85 Kinder des Mannes bzw. 234 Kinder der Frau, welche jene jeweüs zurückgelassen hatten.
196 Vgl. ebda.: Sitzungsbericht des Wohltätigkeitsbureaus der Stadt Rümelingen. Im Jahre 1891
gab es in Rümelingen 108 Geburten, darunter 4 uneheliche Geburten; im Jahre 1908 kamen auf
200 Geburten 23 uneheliche Geburten.
197 Vgl. ebda.: Die Stadtverwaltung rechnete jährlich mit 18 bis 20 tödlichen Arbeitsunfällen und
etwa ebensovielen Unfällen mit Schwerverletzten, von denen wiederum ein Viertel verstarb und
ein weiteres Viertel "mit dauernder Verkrüppelung endete". Da die Unfallversicherung die
Angehörigen von "Concubinären" nicht als legitime Rechtsnachfolger ansahen, war die Gemeinde
gezwungen, für die Unfallentschädigungen an die Hinterbliebenen aufzukommen.
198 Vgl. StadtA Sb, MB 960: Polizeiprotokoll einer Vorladung v. 26.Dezember 1868. Als
definitiver Abschiebungstermin wurde dem Delinquenten der 16Januar 1869 genannt.
304
Zusammenleben öffentliches Ärgernis erregen, auf jedmögliche Art und Weise Schwie-
rigkeiten in den Weg zu legen und tunlichst bei jeder Veranlassung mit Anzeige wegen
groben Unfugs etc. gegen dieselben einzuschreiten, sowie insbesondere auch namentlich
dahinzuwirken, daß derartige Personen miteinander die Ehe eingehen".199 Die
Alternative für in wilder Ehe lebende Personen hieß, sofern es sich um Ausländer, d.h.
keine Elsaß-Lothringer, handelte, Heirat oder Abschiebung. Die Diedenhofener
Kreisdirektion bedauerte, nicht über strengere Maßregeln zur "Ausrottung des Concubi-
nats" im Sinne von "direkten Zwangsmitteln" zu verfügen. Noch 1891 beklagte sich auch
das Metzer Bezirkspräsidium darüber, daß keine Strafbestimmung gegen "außereheliches
Zusammenleben" vorhanden sei. Dabei schien zu dieser Zeit auch in Lothringen, vor
allem in den unteren sozialen Schichten, das Konkubinatswesen in Zunahme begrif-
fen.200
Die Kampagne gegen wilde Ehen war stets unmittelbar begleitet vom Bemühen um die
Einschränkung der Prostitution. In Lothringen wurden beispielsweise alle einer nicht-
ehelichen Lebensgemeinschaft verdächtigen Personen polizeilich danach überprüft, ob
sowohl für den Mann als auch für die Frau ein eigenes Schlafzimmer vorhanden war.
Bestand - so ein Polizeibericht - "die Wohnung aus genügend Zimmern und abgesonder-
ten Schlafstellen, so wird das Weib als Haushälterin des Mannes betrachtet, und durch
keine Gesetzesbestimmung können sie wegen ihres Zusammenlebens zur Strafe gezogen
oder gezwungen werden ihren Haushalt zu lösen".201 Traf dies nicht zu, leitete der
verantwortliche Kreisdirektor ein Strafverfahren ein: "Betrifft diese Anzeige Ausländer,
so folgt in kürzester Frist [die] Ausweisung und zwar, weil deren Lebensweise der
öffentlichen Moral und Sittlichkeit zuwider ist und [sie] als lästige Ausländer gelten.
Handelt es sich um Inländer, so werden beide wegen Kuppelei resp. gewerbsmäßiger
Prostitution in Anklagestand versetzt und mit (...) Strafen geahndet."202 Es offenbart
sich in dieser Vorgehensweise zum einen die grundsätzliche Schwierigkeit der Polizei,
Konkubinate überhaupt zu erfassen, sowie zum anderen die praktische Gleichbehandlung
von wilden Ehen und Prostitution, mangels einer gesonderten gesetzlichen Regelung.
199 Vgl. ADM 3 AL 341: KDTh an das BPLo v. 20.August 1884 nach einer Anfrage des MinEL
v. ö.Juli 1884.
200 Vgl. ebda.: die Metzer Polizeidirektion an das BPLo v. 8.Januar 1891. Nach summarischen
Erhebungen konnten im Bezirk Lothringen ungefähr 180 wilde Ehen dokumentiert werden. Der
Verwaltungsbericht bezog sich auf einen beigefügten Artikel in der Metzer Presse v. 9.Dezember
1890, in welchem die Zunahme der Konkubinate beklagt wurde.
201 Vgl. ANL J 70/4: Gendarmeriestation Rümelingen an die luxemburgische Staatsanwaltschaft
v. 23.Oktober 1909 mit dem Bericht über einen Informationsbesuch in der lothringischen Ge-
meinde Oettingen am 19.0ktober 1909.
202 Dito.
305
Neben der sittlich-moralischen Begründung hatte bei der Verfolgung der gewerbsmäßigen
Unzucht die gesundheitspolitische Argumentation zur Bekämpfung von Geschlechts-
krankheiten starkes Gewicht. Dieses Anliegen beschäftigte insbesondere die Verwaltung
der Industrie- und Gamisonsstadt Diedenhofen, wo es trotz der Schließung der beiden
Bordelle, welche es bis 1872 in der Stadt gegeben hatte, vor allem nach der Jahrhun-
dertwende im Zuge der Verdoppelung der Garnison sowie der industriellen
Stadterweiterung zu einem größeren Zuzug von "Mädchen und Dirnen" gekommen war.
Eine ganze Reihe sogenannter "Animierkneipen" siedelten sich in Diedenhofen an, in
welchen die Kellnerinnen, die vornehmlich aus Metz und Saarbrücken anreisten,
"liebeshungrigen" Arbeitern und Militärs ihre Dienste anboten.203 So entwickelte sich
der Begriff "Kellnerinnenwesen" zur landläufigen Bezeichnung für die Prostitution, und
im Jahre 1913 erließ der Diedenhofener Bürgermeister eine eigene Polizeiverordnung
betr. das Kellnerinnenwesen.204 Zeitweise wurde sogar ein vollständiges Verbot
weiblichen Bedienungspersonals in Gaststätten erwogen.205
Gleiches gilt für die benachbarte Saarregion, wo die Saarbrücker Polizei in einem
ausführlichen Bericht über die "gewerbsmäßige Unzucht stellenloser Kellnerinnen", darauf
insistierte, die weibliche Bedienung in Wirtshäusern zu untersagen. Der Prostitution
verdächtige Frauen unterlagen im Saarrevier einer ähnlich rigiden Kontrolle wie in
Lothringen, wobei Auswärtige einem Gerichtsverfahren zugeführt und Einheimische der
Sittenkontrolle unterstellt wurden.206 Zwangsmaßnahmen erbrachten allerdings zumeist
nicht den gewünschten Erfolg und so setzte man auf die freiwillige Gesundheitskontrolle,
das sogenannte Straßburger System, oder auf die Denunziation der Prostituierten durch
Bürger.207
203 Vgl. ADM 3 AL 341: Protokoll der Sitzung des Kreisgesundheitsrates des Kreises Diedenho-
fen-Ost v. 4.Juni 1913 sowie v. ö.Januar 1914.
204 Vgl. ACTh 2 D 17: Polizeiverordnung betr. das Kellnerinnenwesen v. ll.September 1913.
Hierin wurde den Gaststätten, welche Kellnerinnen anstellten, u.a. untersagt, zur Ausübung der
Prostitution geeignete Räume zu unterhalten bzw. die Kellnerinnen in den Privaträumen des
Wirtes Gäste bedienen zu lassen. Außerdem wurde die Polizeistunde auf 23.30 Uhr festgesetzt.
205 Vgl. speziell hierzu auch ADM 3 AL 341: Schreiben der Metzer Polizeidirektion an das BPLo
v. 8Januar 1891.
206 Vgl. LASb, LRASb 4: Bericht der Saarbrücker Polizeidirektion an das RPTr v. 14Juni 1894
auf eine Anfrage v. 3.Dezember 1893. Die Vorgehensweise gegen Prostituierte regelten seit 1 Juni
1888 die polizeilichen Vorschriften für die wegen gewerbsmäßiger Unzucht der sanitäts-
polizeilichen Aufsicht unterstellten Weibspersonen.
207 Vgl. ebda.: Amtliche Bekanntmachung in der lokalen Presse auf Veranlassung des preußischen
Innenministeriums v. 19.November 1896 sowie ADM 3 AL 341.
306
All diese Phänomene, welche der Sittlichkeit, der Gesundheit und dem sozialen Frieden
in den betroffenen Regionen abträglich erschienen, angefangen von den migrations-
bedingten Wohnraumproblemen über die hygienischen Mißstände und das Einschleppen
von Epidemien bis hin zu sozialen Auflösungserscheinungen wie der Verbreitung der
wilden Ehe oder auch der Prostitution im Zusammenhang mit einem Heer lediger oder
zumindest zeitweilig alleinstehender männlicher Wanderarbeiter, konnten in ihrer
Gesamtheit über ein normatives Maßnahmenpaket allein kaum erfolgreich angegangen
werden. Im Grunde war die Erarbeitung eines langfristigen, integrativen sozialpolitischen
Konzeptes unerläßlich geworden. Die zuständige Obrigkeit verschloß jedoch ihre Augen
gegenüber dieser Notwendigkeit. Aus einer nationalistischen, teilweise auch xenophoben
bis rassistischen Grundhaltung heraus erfolgte sehr oft eine einseitige Schuldzuweisung
bezüglich der in nächster Umgebung erlebten Mißstände an die "Fremden" und schließlich
infolge der jeweils gegebenen verfassungsrechtlichen Disposition an die "Ausländer".
Die Behörden neigten in ihren Äußerungen dazu, sich selbst und die beunruhigte
Öffentlichkeit in der falschen Gewißheit zu wiegen, daß zumindest ein wesentlicher Teil
der Probleme der Hochindustrialisierungsperiode auf das Konto der ausländischen
Wanderarbeiter mit ihren fremdartigen Sitten und alltäglichen Gepflogenheiten ging.
Folglich mußten nur die Bestimmungen über die Fremdenpolizei dem Stand der Dinge
angepaßt werden, um eine Besserung der kritisierten Zustände zu erzielen. Das Kost-
und Schlafgängerwesen, die wilde Ehe und die Prostitution, welche in besonderem Maße
mit der Präsenz von "Fremdarbeitern" in Zusammenhang gebracht werden konnten, wur-
den daher neben der Regelkriminalität zum Ansatzpunkt einer Ausweisungspolitik, der
im Rahmen der Binnenwanderungsbewegungen des Saar-Lor-Lux-Raumes eine
herausragende sozialpolitische Rolle zukam. Die Fremdenpolizei wurde politisch instru-
mentalisiert, indem der Staat durch sie stellvertretend seine Handlungskompetenz
angesichts der sozialen Umwälzungen der Industrialisierungsphase zu demonstrieren ver-
suchte. In der Grenzraumsituation der gemeinsamen Industrieregion von Saarrevier, mehr
aber noch von Lothringen und Luxemburg bildete dies eine echte Alternative zu anderen
sozial- und innenpolitischen Handlungskonzepten.
Ausweisungsgründe im preußischen Teil des Saarrevieres waren kriminelle Vergehen,
worunter - wie bereits erwähnt - u.a. die berufsmäßige Prostitution und die Erregung
öffentlichen Ärgernisses aufgrund einer wilden Ehe fielen, sowie die politische Agitation,
zu welcher auch Streiks jeglicher Art gerechnet wurden. Der terminus technicus
gegenüber Leuten, die sich einer dieser Straftaten schuldig machten, lautete "lästige
Ausländer". Aus dem Kreis Saarbrücken wurden aufgrund eines solchen Tatbestandes
in erster Linie Italiener abgeschoben, gefolgt von Russen und Polen, d.h. vorzugsweise
307
russische und polnische Juden.208 Daß gegenüber streikenden Ausländem in Lothringen
ähnlich verfahren wurde, ist an anderer Stelle bereits angeklungen. Versäumte ein
ausländischer Arbeitnehmer im Reichsland, die dort übliche Lohn- und Besoldungssteuer
zu zahlen, war dies ebenfalls ein obligatorischer Ausweisungsgrund.209
Für Luxemburg mit seinen enorm hohen Ausländerquoten in den Industriegemeinden
des Erzbeckens war die gesetzliche Regelung der Fremdenpolizei von noch weitaus
größerer Bedeutung als für die beiden Nachbarregionen. Im nationalstaatlichen Mikrokos-
mos des Großherzogtums spiegelte sich - in gesteigerter Intensität - die zeitgenössiche
"Fremdarbeiter"-Diskussion wider, wie sie etwa in den angrenzenden, jedoch ungleich
größeren reichsdeutschen Staaten und Verwaltungsapparaten Raum griff, wobei für
Luxemburg eine einzigartige, überschaubare und dennoch geschlossene Aktenüberliefe-
rung vorliegt. Auf die Entwicklung des Ausländerrechts in Luxemburg in der zweiten
Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts soll daher im folgenden näher einge-
gangen werden.
In den 21 Jahren zwischen 1885 und 1906 wurden aufgrund fremdenpolizeilicher Be-
stimmungen 3.190 Ausländer, welche sich in Luxemburg niederzulassen beabsichtigten,
bereits an der Grenze zurückgewiesen, 1.826 dort wohnende Ausländer wurden ins Aus-
land abgeschoben und 691 aufgrund eines Auslieferungsantrages an ausländische
Behörden ausgeliefert. Allein in den zwei Jahren zwischen 1884 und 1886 gingen 522
Anzeigen gegen im Lande ansässige Ausländer bei der Fremdenpolizei ein.210
Dabei war die großherzogliche Fremdenpolizei erst im Jahre 1884 in provisorischer Weise
eingerichtet worden und hatte ihre definitive rechtliche Grundlage erst im Jahre 1893
erhalten.211 Gemäß diesem Gesetz waren alle Ausländer im Falle des Zu- bzw. eines
Umzuges meldepflichtig gegenüber der Fremdenpolizei.212 Der Grenzübertritt ins Groß-
208 Vgl. LASb, LRASb P-K 11 bzw. 12.
209 Vgl. ADBR 87 AL 2781: Die gesetzliche Grundlage hierfür bildeten die Ministerialverord-
nungen v. 21.September 1891 und v. 27.September 1907. Jahresübersichten über die Ausweisung
von Ausländem aus den Kreisen des Bezirkes Lothringen finden sich einschließlich Namens-
angabe und Begründung jeden Falles in: ADM 3 AL 202 sowie speziell für den Kreis Diedenho-
fen-Ost in: ADM 17 Z 18.
210 Vgl. ANL J 73/26: Statistik der Fremdenpolizei (Mai 1884 - Juni 1886 und ANL J 73/30:
Liste numérique des malfaiteurs étrangers ayant résidé dans le Grand-Duché et ayant donné
lieu à expulsion, renvoi ou extradition pendant la période 1885 à 1907. Zur Gesamtentwicklung
der ausländischen Bevölkerung im Großherzogtum vgl.: Pauly, L’immigration au Luxembourg.
211 Vgl. ANL J 73/30: Zusammenfassender Bericht über die Tätigkeit des service de la police
des étrangers v. 22Januar 1907. Darin heißt es: "L'organisation de la police des étrangers a été
inaugurée provisoirement en 1884 et a reçu sa sanction définitive par la loi du 30 décembre 1893,
qui a rendu obligatoire les déclarations d'arrivée des étrangers résidants dans le Grand-Duché."
212 Vgl, ANL J 70/3: Loi du 22 décembre 1893, Art.l.
308
herzogtum konnte Ausländem verwehrt werden, welche in irgendeiner Weise "gefährlich"
erschienen oder von denen man erwarten konnte, daß sie die "öffentliche Ruhe und
Ordnung" stören würden, oder aber falls zweifelhaft war, ob der Einwanderer über
"ausreichende Existenzmittel" für sich und seine Familie verfügte.213 Gegenüber einem
Ausländer innerhalb Luxemburgs konnte die Ausweisung erwirkt werden, falls dieser
"en état de vagabondage ou de mendicité" angetroffen wurde oder falls er "par sa con-
duite compromet la tranquillité ou l'ordre public".214 Armut und Landfriedensbruch
waren also die wesentlichen Tatbestände, mit welchen gegen mißliebige Ausländer
vorgegangen werden konnte.
Sehr bald schon stellte sich allerdings heraus, daß "la législation actuelle (...) n'est pas
d'aucune utilité pour la police des étrangers".213 Somit wurde bereits kaum zwei Jahre
nach der erstmaligen rechtlichen Fixierung eine Reform des Ausländerrechts angedacht.
Einige praktische Probleme hemmten von Beginn an die Effektivität der Fremdenpolizei.
Eine ganze Reihe bilateraler Vereinbarungen, z.B. hinsichtlich der Abschiebung bedürfti-
ger Personen, mußte die luxemburgische Regierung zum Abschluß bringen, um den
Ausweisungsparagraphen auch in die Tat umsetzen zu können.216 Beispielsweise be-
durfte der unmittelbare Schriftverkehr seitens luxemburgischer Behörden mit deutschen
Dienststellen in Angelegenheiten der Fremdenpolizei einer offiziellen Regelung; denn
einzelne Polizeikommissariate hatten grundsätzlich nicht die Befugnis zur Korrespondenz
mit ausländischen Verwaltungen, sondern waren in der Regel gezwungen, den umständ-
lichen Instanzenweg über die Staatsregierung zu nehmen.217 Dazu kam, daß die
Fremdenpolizei personell chronisch unterbesetzt sowie mangelhaft ausgestattet war,
weshalb jene den umfangreichen Zuzug von Ausländem gemäß den Ausführungs-
bestimmungen zum Gesetz von 1893 in der Praxis unmöglich bewältigen konnte.218
213 Vgl. ebda.: Art.5. Im Originalwortlaut heißt es: "L'entrée (...) peut être refusée à l'étranger
reconnu comme dangereux ou comme pouvant compromettre la tranquillité et l'ordre public."
Weiterhin ist die Rede von den "moyens d'existence suffisants pour eux et leur famille".
214 Vgl. ebda.: Art.6 u. Art.7.
213 Vgl. ANL J 73/29: der Generalstaatsanwalt an den Staatsminister (Regierungschef) v. 15 Juli
1895.
216 Vgl. etwa ANL J 73/25: Die deutsch-luxemburgische Vereinbarung zur Ausweisung
bedürftiger Untertanen des jeweüs anderen Staates.
217 Vgl. ANL J 73/27A: unmittelbarer Geschäftsverkehr mit deutschen Dienststellen seitens der
Fremdenpolizei, arrangement avec l’Allemagne du 1 octobre 1909.
2li Vgl. ANL J 70/5: Extrait du Mémorial no.10 (1911) Beschluß vom 15.Februar 1911, die
Ausführung des Gesetzes vom 30.Dezember 1893 über die Fremdenpolizei betreffend. Diese
Ausführungsanweisung ersetzte die seit 22.Dezember 1894 gültige Bestimmung. Zum Personal-
mangel und den praktischen Problemen, z.B. im Umgang mit den Dienstschreibmaschinen: vgl.
309
Die Frage, "si l'insécurité dans le pays a augmenté par l'invasion des étrangers depuis
la promulgation de la loi de 1893", beantwortete man im Jahre 1907 mit einem ein-
deutigen "Ja".219 Denn wie beispielsweise vom zuständigen Fremdenpolizeibüro versi-
chert worden war, verursachten mittlerweile die Ausländer zwischen 40 Prozent und 50
Prozent aller Gesetzesverstöße im Arrondissement Luxemburg. In den Jahren 1902 bis
1906 waren vor der luxemburgischen Cour d'assises (Schwurgerichtskammer) 101 Fälle
verhandelt worden, wovon allein 44 Prozesse Ausländer betrafen.220
Der Generalstaatsanwalt gab trotz dieser Erkenntnis zu bedenken, daß die Ausweisungs-
politik nach der seit 1893 bestehenden Rechtslage auch noch 1908 reine Ermessenssache
war. Obwohl in Luxemburg eine gewisse Rechtsunsicherheit gegenüber den Ausländem
gegeben war, lag die Abschiebungsquote des Großherzogtums deutlich über deijenigen
Belgiens bzw. Frankreichs. Die dortige Ausländerpolitik berücksichtigte seiner Ansicht
nach die soziale Situation, welche wie in Luxemburg zwangsläufig durch den un-
zweifelhaft notwendigen Zuzug ausländischer Arbeitskräfte entstanden war, besser als
die luxemburgische Praxis, welche den Eindmck von Staatswillkür zu erwecken drohte.
Mahnend wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, daß "l'opinion s'est alarmée en
Allemagne de l'attitude tracassière que la police, usant pourtant de son droit, a eue à
l'égard du capitaine légendaire de Koepenick".221 Das Drängen der Sicherheitsorgane
zielte auf eine Präzisierung der Ausländergesetzgebung, welche der sozialen Situation
des Industriezeitalters Rechnung tragen sollte.
Die Reformierung des Gesetzes über die Fremdenpolizei wurde allerdings erst im Jahre
1912 eingeleitet. Vor der Ausformulierung eines revidierten Gesetzestextes fertigte man
zum einen ausführliche Gutachten über die aktuelle Ausweisungspolitik in Deutschland,
Frankreich und Belgien an. Außerdem holte die Staatsanwaltschaft vorsichtshalber die
Kapitel C.
219 Vgl. ANL J 73/30: anonymer Bericht über die Tätigkeit der Fremdenpolizei v. 22.Januar 1907.
220 Vgl. ebda, sowie die beigefügte Statistik der Cour d'assises (1902-1906). In der bereits
mehrfach zitierten Studie von Didlinger, Ausländer Esch/Alz., S.205ff. findet sich in Form einer
kleinen Materialsammlung ein Abschnitt über die Kriminalität der Ausländer in Esch/Alz.
Aufgrund seines - zugegebenermaßen äußerst lückenhaften - Materials kommt Didlinger zum
Resultat, daß sich "die ausländische Bevölkerung insgesamt weit ruhiger und disziplinierter
verhalten hat, als dies im allgemeinen angenommen wird. Die Ausländer wissen, wie schnell die
luxemburgischen Behörden mit Ausweisungsbeschlüssen bei der Hand sind. Die einheimische
Bevölkerung neigt in Bezug auf die Ausländer allzusehr zu Übertreibungen." Ebda., S.211.
221 Vgl. ebda.: der Generalstaatsanwalt an den Staatsminister v. 30.Dezember 1908. Darin ist zu
lesen: "L'emploi intempestif des rigueurs légales peut briser des existences, reployer dans le mal,
par l'irritation et la désespérance, des personnes, que des ménagements prudemment dispensés
auraient peut-être ramenées sous la discipline sociale."
310
Meinung der Gendarmeriekommandanten ein, welchen schließlich die praktische Anwen-
dung der Gesetze obliegen würde.
In den Rechtsgutachten zeigte sich, daß im Deutschen Reich die Fremdenpolizei
nominell zwar über die Reichsgesetze den Reichsbehörden zukam, daß sich bislang das
Reich diesbezüglich aber nur in geringem Maße engagiert hatte. Ausweisungen erfolgten
in der Regel durch die deutschen Einzelstaaten, von denen allerdings "keiner die
Ausweisung in den Einzelheiten durch ein besonders Gesetz geregelt [hatte]".222 In
Preußen verfuhr man im wesentlichen auf der Grundlage des Allgemeinen Landrechts
von 1817, und in Elsaß-Lothringen hatte noch ein französisches Gesetz aus dem Jahre
1849 Gültigkeit. Eine Landesverweisung wurde gegenüber "lästigen Ausländem" erwirkt,
die wiederum von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden definiert wurden. Ein Auswei-
sungsgrund bestand in aller Regel, falls eine Gefahr für politische Interessen, die
allgemeine Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Staates bestand oder aber aus
wirtschaftlichen Gründen (Mittellosigkeit u.a.). Zuständig für die Abschiebung war in
Preußen die Ortspolizeibehörde, in Elsaß-Lothringen, in bestimmten Fällen nur nach
Genehmigung des Reichslandministeriums, das jeweilige Bezirkspräsidium.
In Frankreich basierten Ausweisungen auf Gesetzen der Jahre 1888 und 1893.223 Dort
bestand wie in Luxemburg eine Meldepflicht für Ausländer, nicht aber für Inländer. Den
einzigen Ausweisungsgrund bildete eine Gefährdung der "sécurité de l'Etat". In der Praxis
wurde grundsätzlich jeder in Frankreich verurteilte Ausländer (gemäß einer Kann-
Bestimmung) durch die Justizbehörden abgeschoben. Das französische Innenministerium
und die Präfekten zeigten besondere Strenge gegenüber ausländischen Vagabunden und
dem unerlaubten Tragen von Waffen. Die sûreté achtete in erster Linie auf Anarchisten.
Außerdem riskierten Unternehmen, welche illegale Einwanderer beschäftigten, emp-
findliche Geldstrafen. Unnachsichtig gegen Ausländer gingen die Behörden vor allem
in den Grenzdépartements vor: "l'arrondissement de Briey, le bassin de Longwy, sont
les régions où l'expulsion se pratique avec le plus de rigueur".224 Um 1910 wurden
im Jahresdurchschnitt jeweils ungefähr 3.000 Ausländer aus Frankreich abgeschoben.
Die Haltung der französischen Republik gegenüber Ausländem erschien dem Gutachter
insgesamt allerdings gemäßigter als die deutsche Verwaltungspraxis, gerade weil die
Einbürgerung wesentlich liberaler gehandhabt wurde als im Deutschen Reich.
Die Rechtslage in Belgien orientierte sich stark am französischen Vorbild und einige
maßgebliche Gesetze trugen das Datum eines der Revolutionsjahre III bis VI, obwohl
222 Vgl. ANL J 70/4: Die Ausweisung aus Deutschland.
223 Vgl. ebda.: Gutachten über die Ausweisungspraxis in Frankreich mit dem Hinweis auf das
décret du 2 octobre 1888 und das loi du 8 août 1893.
311
in den 1860er Jahren und gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe neuer
Rechtsnormen ergangen waren. Die entscheidende Eigenheit der belgischen Ausländerpo-
iitik war, daß Nicht-Belgier grundsätzlich einer Überwachung durch die sûreté unter-
lagen. Dies wurde dadurch gewährleistet, daß in Belgien seit den 1860er Jahren ein
vorbildliches Meldewesen existierte. Ausgewiesen wurden "individus dangereux", d.h.
in erster Linie strafrechtlich Verfolgte, und Personen, welche die öffentliche Ordnung,
Moralität oder Ruhe - "l’ordre, la moralité ou la tranquillité publique" - störten. Die
Naturalisierung zum Belgier war nach dem Territorialprinzip so unproblematisch wie
in Frankreich.225
Die luxemburgischen Gesetze über die Fremdenpolizei aus den Jahren 1880 und 1893
waren eindeutig vom belgischen Vorbild inspiriert worden.226 Die rechtliche Neufassung
sollte sich offenbar stärker an deutschen Leitbildern orientieren. Speziell die explizite
Einbeziehung des Konkubinates in den strafrechtlichen Tatbestand einer Störung der
öffentlichen Ordnung, wie es in den deutschen Bundesstaaten Bayern, Württemberg,
Baden, Hessen und Braunschweig geschah, wollte sich die luxemburgische Obrigkeit
zueigen machen.227
Nachdem sich in der luxemburgischen Abgeordnetenkammer Ende des Jahres 1912 die
Meinung verfestigt hatte, "daß die Fremdenpolizei nicht mit genügender Strenge
wahrgenommen zu werden scheine, oder daß die gesetzlichen Bestimmungen den
Fremden gegenüber keinen ausreichenden Schutz der öffentlichen Ordnung darbieten,
und demgemäß eine Verschärfung der polizeilichen Maßnahmen ins Auge zu fassen sei",
richtete der Generalstaatsanwalt eine Anfrage an die Gendarmeriestationen des Landes,
inwieweit sie es für durchführbar hielten, einen Strafregisterauszug seitens der aus-
ländischen Immigranten zu fordern.228
Der Vorschlag der Staatsanwaltschaft traf weitestgehend auf Zustimmung, außer in
Rümelingen, wo man glaubte, die Maßnahme würde "die Mehrzahl der friedliebenden,
gutgesinnten ausländischen Arbeiter allzusehr treffen".229 Daneben hielt der Brigadier-
Stations-Kommandant von Eich "diese Beibringung" für "mehr oder minder wertlos",
223 Vgl. ebda.: Gutachten über die Ausländerpolitik in Belgien. Im Königreich wurden spätestens
seit 1865 ständige kommunale Einwohnerregister geführt.
226 Vgl. ebda.: Expulsion - droit comparé mit einer Zusammenfassung der drei Einzelgutachten.
227 Die Darstellung der deutschen Rechtslage nimmt im Bestand ANL J 70/4 erheblich mehr Raum
ein als die Gutachten über die Verhältnisse in Belgien und Frankreich.
228 Vgl. ANL J 70/6: Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft v. 4.Dezember 1912 an die
GendarmeriestationenEsch/Alz., Differdingen,Düdelingen, Rümelingen, Bettemburg,Niederker-
schen, Eich, Wasserbillig und Rodingen.
229 Vgl. ebda.: Antwort der Rümelinger Gendarmerie v. 8.Dezember 1912.
312
der Übelstand liege einzig und allein in dem Raummangel der Gefängnisse.230 Durch-
weg befürchteten die Gendarmeriekommandanten, daß in der Praxis mehr als die Hälfte
der Ausländer nicht in der Lage sein würde, das geforderte polizeiliche Führungszeugnis
vorzulegen.231 Aus dem nahe der belgischen Grenze gelegenen Rodingen war zu
vernehmen, daß die 800 bis 900 Arbeiter, welche täglich aus Belgien in die örtlichen
Betriebe einpendelten, praktisch nicht zur Vorlage eines Führungszeugnisses zu zwingen
seien und deren Kontrolle dadurch also nicht gewährleistet würde. Außerdem gab man
von dieser Seite zu bedenken, daß unter den ausländischen Arbeitskräften im Lande sehr
viele Monteure seien, die im Verlauf ihres Aufenthaltes in Luxemburg nirgends seßhaft
würden, so daß sie auch nicht unter die Nachweispflicht fielen, daß aber zugleich "grade
unter dieser Klasse sich Übelbeleumundete befanden".232
Über den Charakter großer Teile der ausländischen Arbeiterschaft waren sich die
einzelnen Polizeistellen einig. Bezeichnend ist die Beurteilung der ausländischen
Wanderarbeiter durch die Bettemburger Gendarmerie: "Zahllose verbrecherisch veranlagte
Ausländer lassen sich erfahrungsgemäß hierlands nieder. (...) In den überaus meisten
Fällen schlagen solche Individuen auch hierlands nicht den Weg der Besserung ein,
beginnen wohl aber regelmäßig zu arbeiten, um früh oder spät, d.h. nachdem sie sich
mit den hiesigen staatlichen Einrichtungen etc. vertraut gemacht, ihre frühere Lauf- resp.
Verbrecherbahn wieder zu betreten. (...) Viele ausländische Arbeiter verstehen es auch
meisterhaft, Krankheit und Gebrechen zu simulieren und so die Krankenkassen schwer
zu belasten."233 Ins gleiche Horn stieß man im benachbarten Differdingen, wo man
vom "Zuzug ausländischen verdächtigen Gesindels” sprach, für das die Gendarmerie
ungefähr 15 Prozent bis 20 Prozent der Immigranten hielt.234 Angesichts der
entspannten Lage auf dem Arbeitsmarkt und weil "die getroffene Maßregel schließlich
230 Vgl. ebda.: Antwort der Eicher Gendarmerie v. 6.Dezember 1912.
231 Aus Esch/Alz. verlautete, etwa 50 Prozent der Ausländer würden einen Nachweis nicht bringen
können, darunter vor allem die Deutschen, weil sich unter diesen sehr viele Personen befänden,
welche sich auf ülegale Weise dem Müitärdienst entzogen hatten. Gleiches güt für Rümelingen.
Im direkt an der deutschen Grenze gelegenen Wasserbillig glaubte man aufgrund der vielen
"Deserteure" bzw. jugendlichen Flüchtlinge aus Besserungsanstalten, zirka 20 Prozent der
Deutschen könnten den Nachweis nicht erbringen. In Niederkerschen schätzte man im voraus
eine 80prozentige Mißerfolgsquote und in Düdelingen meinte man, daß zwar unter den Italienern
nur 20 Prozent Probleme mit einem Führungszeugnis haben würden (viele brachten ohnehin schon
eines mit), unter den anderen Ausländem aber mit einem Ausfall von bis zu 90 Prozent zu
rechnen sei.
232 Vgl. ebda.: Antwort der Rodinger Gendarmerie v. 8.Dezember 1912.
233 Vgl. ebda.: Antwort der Bettemburger Gendarmerie v. 7.Dezember 1912.
234 Vgl. ebda.: Antwort der Differdinger Gendarmerie v. 10.Dezember 1912.
313
doch nur unregelmäßige und umherziehende Arbeiter resp. Individuen, d.h. arbeitsscheue
Individuen, treffen würde (...) [und] hierdurch die bessere Klasse Arbeiter mehr geschützt
und seine Rechte besser bewahrt wären", bestand in Polizeikreisen ein breiter Konsens
darüber, zukünftig einen Strafregisterauszug von Immigranten zu verlangen.235
Besondere Akzente setzten offenbar die Gendarmeriekommandanten von Differdingen
und Düdelingen, welche beide in der Initiative der Staatsanwaltschaft ausdrücklich eine
Möglichkeit zur Eindämmung des unter Ausländem weitverbreiteten Konkubinatswesens
sehen wollten. Weil zudem Ende Dezember 1912 ein Artikel in der Luxemburger Zeitung
über die Verbreitung wilder Ehen insbesondere im bassin minier öffentliches Aufsehen
erregte, erfolgte seitens der luxemburgischen Staatsanwaltschaft aufgrund der Relevanz
für das Gesetzgebungsverfahren bereits Anfang Januar 1913 eine weitere Anfrage an die
Ortspolizeibehörden.236 Die rücklaufenden Berichte legen ein beredtes Zeugnis ab über
das gespannte Verhältnis der unteren Staatsorgane zu den Ausländem in Luxemburg.
Die zum Teil von Abscheu erfüllte oder gar haßbeladene Haltung einheimischer
bürgerlicher Kreise gegenüber der mancherorts zu mehr als der Hälfte dem Ausland
entstammenden Arbeiterbevölkerung brach sich darin Bahn, so daß sich die Lagebe-
schreibungen abschnittweise wie Wild-West-Romane lesen.
Dies trifft weniger auf die Hauptstadt des Großherzogtums zu, wo - so der Rapporteur
- "die im Konkubinate lebenden Ausländer (...) eine wesentliche Störung der öffentlichen
Ordnung nicht bedingen. Selten wird auch hier über solche Geschlechtsgemeinschaften
geklagt. Diese scheinen überhaupt in der Hauptstadt einen wenig fruchtbaren Nährboden
zu finden. Es wird dies vor allem in dem Umstande seinen Grund haben, daß die Stadt
Luxemburg fast keine Industrie hat und ein Bedürfnis zur Einstellung von fremden
Arbeitern nicht besteht."237
Ganz anders äußerte sich der Polizeikommissar der Industriegemeinde Esch/Alz., wo im
Jahre 1913 322 wilde Ehen gezählt wurden und "in der Zeit von nicht einmal 2 Jahren
die Zahl der in Frage kommenden Personen sich (...) mehr als verdoppelt hat. Besonders
das deutsche Element, welches früher dahier nur vereinzelt auftrat, vermehrt sich
[diesbezüglich] von Tag zu Tag in einer tatsächlich beängstigenden Art und Weise."238
235 Dito. Keiner der Bericht erstattenden Gendarmeriekommandanten befürchtete negative
Auswirkungen auf den Bergbau und die Hüttenindustrie durch die Einführung des Strafregister-
auszuges. Der Tenor zur Eindämmung asozialer Elemente über eine solche Maßnahme findet
sich in allen Stellungnahmen wieder.
236 Vgl. ANL J 70/4: Schreiben des luxemburgischen Staatsministers (Regierungschef) v. 3 Januar
1913 über den Generalstaatsanwalt an die Polizeistationen Luxemburg, Esch/Alz., Differdingen,
Düdelingen, Rümelingen, Hollerich.
237 Vgl. ebda.: Antwort des Polizeikommissariates der Stadt Luxemburg v. 7-Aprü 1913.
238 Vgl. ebda.: Antwort des Polizeikommissariats von Esch/Alz. v. 30.Januar 1913.
314
Dies bestätigte die Düdelinger Ortspolizei mit den Worten: "Beim hiesigen Konkubinats-
wesen [handelt es sich] zum größten Teil um Ausländer, doch wirkt dieses Unwesen
immer mehr und mehr ansteckend auch auf Inländer."239
Die Klagen aus den Industrieorten betrafen stereotyp den sittlichen Verfall und die
Kriminalität in den Kommunen, welche man mit dem ausufemden Konkubinatswesen
in einen direkten Zusammenhang brachte: "Unser Land, besonders der Kanton Esch/Alz.,
scheint jedoch der Zufluchtsort sämtlicher, besonders in Deutschland nicht gelittener,
in diesbezüglichen Verhältnissen lebender Personen beiderlei Geschlechts zu sein. Daß
hierdurch eine direkte moralische Verseuchung eintritt, ist handgreiflich. (...) Ein kurzer
Überblick über die schweren Verbrechen, Mord und Totschlag belehrt, daß diese
Schenken [,wo sich Konkubinäre ansiedeln,] auch die Stellen sind, in denen oder in deren
Nähe sich die meisten Verbrechen ereignen."240
Hierzu führte der Berichterstatter das Beispiel eines Italieners und eines Deutschen an:
"Der Wirt Marino P. (...) lebt z.B. mit einer verheirateten Person in wilder Ehe und hat
noch vier, ebenfalls in seiner Schenke wohnende, in wilder Ehe lebende Paare. Über
diesen P. wurden jahraus, jahrein nicht allein von den inländischen, ja sogar von den
ausländischen Polizeien (d.h. den Grenzpolizeien) Berichte über Berichte gemacht, daß
seine Schenke der Sammelpunkt aller Falschspieler, Diebe und Schmuggler sei und dies
mit Tatsachen erhärtet. In einer andern hiesigen Wirtschaft lebt die Wirtin Margaretha
S. mit dem Ausländer Oskar G. in wilder Ehe. Dies ist eine Wirtschaft, wo fast jeden
Abend Sängerinnen die Beine schwenken und Kellnerinnen die Gäste animieren. Nach
der Feierschicht eilen hunderte von Arbeitern hin, und fast jede Woche sind 2 oder 3
Schlägereien zu verzeichnen. Der Zuhälter G. spielt den Patron und führt sich und seine
Zuhälterin mit dem auf diese Art und Weise von den Arbeitern abgeprellten Gelde im
eigenen Auto spazieren. Durch dieses Zuhälterwesen und das Treiben dieser Konkubinen
in den Schenken (...) werden alle Regiemente über Kellnerinnen usw. illusorisch. Um
diese Übel und Pestbeulen an der menschlichen Gesellschaft zu beseitigen, heißt es hier
fest zugreifen."241
Während sich der Escher Polizeikommissar anhand von Einzelbeispielen ereiferte, neigte
sein Differdinger Kollege zu noch weitergehenden Verallgemeinerungen: "Die hier
zusammenlebenden Ausländer sind sämtlich liederliche Subjekte und ist auch ein großer
Teil derselben bereits mehrfach im In- und Auslande vorbestraft. (...) Eine Arbeit nehmen
sie (...) zum Scheine auf, lassen sich aber größtenteils von ihren Zuhälterinnen ernähren.
Nach etlichen Tagen der Arbeit lassen sie sich einen Krankenschein verschreiben und
239 Vgl. ebda.: Antwort der Düdelinger Polizeistation v. 29Januar 1913.
240 Vgl. den Escher Bericht.
315
schädigen so auch auf eine nicht zu unterschätzende Art die Krankenkassen, so daß sie
auch noch die Blutsauger der ordentlichen Arbeiter werden."242 Aus Esch wurde speziell
dieser Tatbestand folgendermaßen bezeugt: "Die Mannsperson arbeitet nur ganz
unregelmäßig oder oft gamicht, die Hälfte der Zeit meldet sie sich krank und dann
können die rechtschaffenden verheirateten Arbeiter für diesen Faulpelz, der seine 2,50
Franken bis 3,- Franken pro Tag aus der Krankenkasse bezieht, noch mitarbeiten."243
Die allgemein beengten Wohnverhältnisse verschärften in den Augen der Polizei die
moralisch prekäre Lage, denn mehr als einmal wurde erwähnt, daß "in wilder Ehe lebende
Personen in den meisten Fällen nur über ein Zimmer, das dann gleichzeitig als Küche,
Wohn- und Schlafzimmer dient, [verfügten]".244 Als besonders verwerflich daran galt,
daß Kinder, welche gezwungen waren, die Schlafstatt der Eltern zu teilen, deren sexuelle
Kontakte unmittelbar miterlebten und dadurch moralisch verdorben wurden. Zwar mußte
man eingestehen, daß auch verheiratete Eltempaare zuweilen "so verroht sind, daß sie
in Gegenwart ihrer Kinder gegen den sittlichen Anstand verstoßen", die eigentliche so-
ziale Gefahr wurde allerdings darin gesehen, daß Kinder bzw. Jugendliche, welche im
Kontext wilder Ehen aufwuchsen, "welche bekanntlich im allgemeinen der Prostitution
Vorschub leisten", derartigen moralischen Entgleisungen ausgesetzt waren.
Die zitierten Polizeiberichte zeigen, daß gerade die wilde Ehe als ureigenster Ausdruck
eines vermeintlichen kulturellen Niedergangs innerhalb der Unterschichten während der
Industrialisierungsperiode angesehen wurde. Die einem (klein-)bürgerlichen Normengefü-
ge verpflichteten Beamten wurden mit Lebensgewohnheiten einer Unterschichtenpopula-
tion konfrontiert, welche z.B. ihrer eigenen Sexualmoral völlig zuwiderliefen, denen
andererseits für gewisse - sicherlich auch verheiratete - Teile der Arbeiterschaft nichts
Verwerfliches anhaftete, da jene zumindest partiell einer vormodem-unterbäuerlichen
Welt entstammten, wo ein gemeinsamer Schlafraum für Eltern und Kinder nichts
Ungewöhnliches war. Die in einem laufenden Gesetzgebungsverfahren endlich einmal
konkret angesprochene Ortspolizei stilisierte jedoch das Konkubinat in Kombination mit
einer ihr auffallenden Schlafzimmersituation hoch zum Kulminationspunkt aller negativen
sozialen Folgen des Industriezeitalters. Die ganze Frustration spricht aus den Dokumenten,
die sich im Rahmen der täglichen Polizeiarbeit ergab, indem die Stationen vor Ort
langfristig mit einem komplexen sozialen Umwälzungsphänomen konfrontiert waren,
welches durch Polizeimittel unmöglich in die gewünschten Bahnen gelenkt werden konn-
te. Neben berechtigter Kritik an realen Mißständen finden sich daher auch eine Menge
stereotyper Vorurteile und monokausaler Schuidzuweisungen in den Polizeigutachten
242 Vgl. den Differdinger Bericht.
243 Vgl. den Escher Bericht.
244 Vgl. ebda.: Antwort der Hollericher Polizeistation v. 22.Januar 1913.
316
an die Staatsanwaltschaft. Mit Hilfe eines Ausweisungsparagraphen für die in wilder Ehe
lebenden Personen, glaubte man ein Instrument zu erhalten, mit welchem die auf den
Nägeln brennende soziale Frage hinsichtlich einer ihrer vermeintlich schlimmsten Aus-
wüchse konkret angegangen werden konnte. Die staatlichen Exekutivorgane wie die
bürgerliche Öffentlichkeit benötigten offensichtlich ein Erfolgserlebnis - ein Stimmungs-
bild, das auch in anderen europäischen Industriestaaten nicht unbekannt gewesen sein
dürfte.
Im Juli 1913 konnte darum der Großherzog ein vom Parlament verabschiedetes novellier-
tes Gesetz über die Fremdenpolizei unterzeichnen, das die geäußerten Tatbestände ex-
pressis verbis berücksichtigte, nicht zuletzt aber, weil zuvor auch die zuständigen
Staatspolizeibehörden eine Präzisierung der rechtlichen Grundlagen hinsichtlich der Aus-
weisungspraxis befürwortet und für praktikabel gehalten hatten.245
Die Bestimmungen des Gesetzes aus dem Jahre 1893 waren darin insofern erweitert
worden, als derjenige an der Grenze zurückgewiesen bzw. aus Luxemburg abgeschoben
werden konnte, der 1.) im Ausland verurteilt worden war oder noch strafrechtlich verfolgt
wurde, 2.) der Prostitution nachging oder diese förderte, 3.) kein "legales" Einkommen
nachweisen konnte oder 4.) seine Familie verlassen hatte.246
In der Presse fand diese gesetzgeberische Maßnahme regen Anklang und wurde teilweise
als noch zu nachsichtig empfunden. Beispielsweise berichtete das Luxemburger Wort
in einem Artikel: "Ein weit fortgeschrittenes Krebsübel und das neue Gesetz über die
Fremdenpolizei".247
Die luxemburgische Staatsanwaltschaft instruierte die Ortspolizeibehörden Anfang August
1913 detailliert über die Durchführung des novellierten Ausländergesetzes. Der General-
staatsanwalt wünschte in allen Amtsbezirken die Erstellung von Listen über Ausländer,
"welche in gegensätzlicher Lebensführung zu den Bestimmungen des neuen Gesetzes
sich befinden", um daraufhin angemessene Schritte einleiten zu können.248 Gemeint
waren damit ausdrücklich männliche und weibliche Konkubinen, "deren Wohnungs-
verhältnisse die im gemeinsamen Haushalte mit ihnen aufwachsenden Kinder vor sittlicher
Schädigung, speziell durch die fehlende Trennung der Schlafräume, nicht zu bewahren
vermögen." Bezüglich derjenigen Ausländer, "welche irgendwie die Prostitution fördern,
245 Vgl. ANL J 70/4: Loi du 18Juli 1913.
246 Vgl. ebda.: In bestimmten Fällen, z.B. für jugendliche Ausländer unter 22 Jahren, gab es eine
Ausnahmeregelung.
247 Vgl. ebda.: Zeitungsausrisse aus dem Luxemburger Wort v. 8.September 1913 und v. 13 Januar
1914: "Sittenzustände und Fremdenpolizei" sowie die entsprechenden Artikel im Luxemburger
Wort v. 9.September 1913, in der Luxemburger Zeitung v. 19.März 1914 und v. 15.Mai 1914.
248 Vgl. ebda.: Schreiben des Generalstaatsanwaltes v. 7August 1913 an die Ortspolizeibehörden.
317
sollen möglichst beweiskräftige Tatsachen angeführt werden." Bei einer unersichtlichen
beruflichen Betätigung sollte die Vorlage eines Einkommensnachweises betrieben werden.
Letztlich ächtete man mit einem solchen Ausweisungsparagraphen in Person einer klei-
nen, polizeilich kontrollierbaren Bevölkerungs gruppe die unübersichtlichen Wanderungs-
bewegungen, die miserable Wohnraumsituation, die unangenehmen Folgeerscheinungen
des komplexen sozialen Wandlungsprozesses von der agrarisch-dörflich-kleinstädtischen
hin zur industriell-urbanen Gesellschaft (Armut, Umbruch familiärer Strukturen, häufige
Arbeitsplatzwechsel etc.), welche sich in den Lebensumständen der gesamten mobilen
Arbeiterschaft widerspiegelten. Diesen vermeintlich fremdartigen '"Sündenbock" verwies
man des Landes - in Luxemburg, im Reichsland, in Preußen und anderswo wie man
die negativ empfundenen Folgen der eigenen Industrialisierung gerne über Bord geworfen
hätte.
318
G. Ergebnisse -
Struktur, Folgen und zeitgenössische Rezeption
der Binnenwanderungsbewegungen in den Industriestädten
des Saar-Lor-Lux-Raumes während
der Hochindustrialisierungsperiode
Ziel der vorliegenden Studie war die Analyse von Intensität, Richtung, Zusammensetzung
und Folgeerscheinungen der Binnenwanderungsbewegungen sowie der Auseinanderset-
zung der Zeitgenossen mit diesem Massenphänomen im Raum Saarland-Lothringen-
Luxemburg zwischen 1856 und 1910. Hierzu wurden in exemplarischer Weise die drei
Städte Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz. einer vergleichenden Betrachtung
unterzogen. Ausgehend vom Tatbestand einer weitreichenden wirtschaftlichen Ver-
flechtung der deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzregion bereits in der Frühphase
der Industrialisierung erfolgte die Untersuchung des regionalen, grenzübergreifenden
Vemetzungsprozesses in seiner sozial- und stadthistorischen Dimension von der Mitte
der 19. Jahrhunderts bis ins erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Der Faktor Grenze -
als administrative Trennungslinie sowohl zwischen reichsdeutschen Ländern, als auch
zwischen den verschiedenen souveränen Staaten der multinationalen Industriezone - fand
dabei besondere Beachtung hinsichtlich seiner Wirkung im sozialhistorischen Kontext
der Wanderungsbewegungen. Es hieß zu überprüfen, inwiefern trennende "Grenz-
schichten" oder durchlässige "Grenzmembranen" den umfangreichen Wanderungsstrom
der Hochindustrialisierungsperiode beeinflußten. Es galt der Frage nach Differenzen,
Dependenzen und/oder Interferenzen im administrativen Handeln der verschiedenen Kom-
munal- und Staatsorgane nachzugehen. Die städtebildnerischen Impulse und Effekte der
Migrationen - in stadträumlicher wie stadtgesellschaftlicher Hinsicht - sollten unter den
verschiedenen einzelstaatlichen normativen Rahmenbedingungen sowie den unter-
schiedlich nuancierten einzelstädtischen sozioökonomischen Vorbedingungen komparativ
herausgearbeitet werden. Letztlich stand die These von sich bis 1914 fortgesetzt
verdichtenden, spezifischen urban-gesellschaftlichen Binnenstrukturen in der Saar-Lor-
Lux-Region auf dem Prüfstand, die das ökonomische Netzwerk im Untersuchungsraum
maßgeblich ergänzten und somit einen relativ konsistenten, grenzübergreifenden Wirt-
schafts- und Sozialraum konstituierten.
Nicht zuletzt der Einsatz bislang wenig angewandter, historisch-sozialwissenschaftlicher
Methoden erbrachte eine Vielzahl von Detailergebnissen, welche an dieser Stelle in
Hinblick auf die Leitfragestellung nochmals thesenartig zusammengefaßt werden sollen.
319
Spezifika des Wanderungsgeschehens in verstädternden Industriedörfern
Sofern man die Wanderungsbewegungen in Relation zur jeweils ortsansässigen Bevölke-
rung setzt, war die Mobilität in Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz. während
der Untersuchungsperiode sowohl hinsichtlich ihres Umfangs als auch hinsichtlich ihres
Beitrags zur Steigerung der Einwohnerzahl (Wanderungsgewinn) durchaus vergleichbar
mit Migrationen im großstädtischen Bereich. (S.59ff.) Darüber hinaus bestanden aber
anscheinend grundlegende Unterschiede zwischen Großstadtwanderungen und dem
Geschehen in den rasch auf klein- bis mittelstädtisches Niveau wachsenden Industriedör-
fem des Saar-Lor-Lux-Raumes. Das Gewicht der verschiedenen Wanderungskom-
ponenten (Zuzug und Abzug), der Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Bevölke-
rungsentwicklung sowie die Genese saisonaler Migrationsmuster differierten offenbar
je nach Verstädterungsgrad erheblich.
Zum einen erwies sich im regionalen Zusammenhang als unzutreffend, daß die Zuzugs-
komponente den flexibleren Teil im Migrationskontext von Städten der Industrialisie-
rungsphase ausmachte - eine Erkenntnis, zu der Dieter Langewiesche aufgrund seiner
Großstadtforschungen gelangt war. Am Beispiel Malstatt-Burbachs konnte nachgewiesen
werden, daß sich zumindest nach der industriellen "Gründerphase" (1856-1880) die Ab-
wanderung konjunkturell äußerst anpassungsfähig zeigte, während die Zuwanderungs-
entwicklung eher an einen kontinuierlich steigenden Trend angekoppelt und zugleich recht
unempfindlich gegen Konjunkturimpulse war. (S.62ff.)
Zum anderen wurde deutlich, wie eng die Bevölkerungsentwicklung in den Industriege-
meinden mit ihrer ökonomischen Monostruktur von der Geschäftslage einer einzigen
wirtschaftlichen Führungsbranche, d.h. zumeist eines einzigen bzw. einiger weniger
Betriebe, abhing. Die Große Rezession, die zwischen 1873 und 1895 vor allem die
Montanindustrie erschütterte, zeitigte daher in den betrachteten Kommunen gesamtörtlich
ein gewandeltes Wanderungsverhalten, während die rezessive Wirtschaftsentwicklung
in den Metropolen aufgrund einer Vielzahl von "Ausweichbranchen" weniger ausgeprägte
Migrationsphänomene nach sich zog. Für die saarländische Gemeinde konnte für den
Zeitraum zwischen der Mitte der 1870er Jahre und der Mitte der 1890er Jahre ein
sukzessiver Strukturanpassungsprozeß nachgewiesen werden, im Zuge dessen es in
Reaktion auf die Wirtschaftskonjunktur vor Ort zu einem verzögerten Wandel der
Mobilitätsmuster kam. Der Konnex zwischen lokaler Wirtschafts- und Bevölkerungs-
entwicklung wurde in dieser Art zuvor noch nicht herausgearbeitet, was sicherlich auch
daran liegt, daß das Phänomen im stark diversifizierten - und in der Vergangenheit
vorzugsweise beachteten - Großstadtmilieu nicht in der isolierten Weise auftreten konnte
wie in den Untersuchungsstädten. (S.71ff.)
320
Außerdem ist festzuhalten, daß saisonale Mobilitätsmuster in den kleineren Städten,
anders als in Großstädten, einem deutlichen Wandel unterworfen waren. Zwar bestimmte
an einem Industriestandort wie Malstatt-Burbach oder Esch/Alz. schon in den 1860er
und 1870er Jahren der agrarische Jahresrhythmus von Aussaat und Ernte im wesentlichen
nicht mehr das Wanderungsgeschehen, wie es bis in die 1890er Jahre in der Festungsstadt
Diedenhofen mit ihrem ländlichen Umfeld und den verspäteten Industrieansiedlungen
geschah. Dennoch erfolgte beispielsweise erst langsam eine Schwerpunktverlagerung der
städtischen Zuzugsmobilität vom Herbst auf das Frühjahr, was den nur langsamen Bedeu-
tungsverlust der Land-Stadt-Wanderung als Überwinterungschance für landwirtschaftliche
Arbeitskräfte markiert. Daneben zeigte die wirtschaftliche Stagnation nach 1875 Wirkung
bei der Saisonkomponente, wodurch sich in dieser Phase völlig andere Mobilitätsmuster
im Jahresverlauf ergaben als in der Zeit vor 1875 bzw. nach 1890. (S.75ff.)
Impulse der Migranten zum stadtgesellschaftlichen Umbruch : Verjüngung,
Individualisierung, konfessionelle Umschichtung, berufsständische Akzentu-
ierung
Zur Charakterisierung der persönlichen Situation der Migranten konnte aus den kom-
munalen Melderegistem von Malstatt-Burbach und Diedenhofen bzw. der Volks-
zählungsunterlagen von Esch/Alz. eine reiche Zahl an Detailerkenntnissen gewonnen
werden. Die Ergebnisse anderweitiger Migrationsstudien fanden dabei tendenziell
weitgehend Bestätigung. Darüberhinaus war es möglich, den Forschungsstand - vor allem
in Hinblick auf den regionalen Kontext - zu differenzieren und teilweise um neue
Aspekte zu ergänzen.
Auch in anderen Gebieten des sich industrialisierenden Europa handelte es sich bei den
Migranten mehrheitlich um männliche und überdurchschnittlich junge Bevölkerungsteile.
(S.82ff.) Ein regionales Spezifikum bildete aber der Wandel der Konfessionsverhältnisse
in den drei Beobachtungsteilräumen. Dabei veränderte sich jeweils die Gesamtrelation
der drei maßgeblichen Konfessionen (Katholiken, Protestanten, Juden) zueinander, wobei
sich in Luxemburg und Lothringen neben den jüdischen erstmals umfangreichere
protestantische Minderheiten etablierten und im Saarbrücker Bereich die Katholiken
gegenüber den bislang dominierenden Protestanten die Oberhand gewannen. In der
Saarhüttenstadt wurde die generelle Umgewichtung der Religionsanteile außerdem ergänzt
durch einen Wandel der Konfessionsstruktur in einzelnen Berufssparten. Die Analyse
der Wanderungsbewegungen offenbarte einen sukzessiven Zuwachs von Protestanten unter
der Industriearbeiterschaft, die sich anfangs vornehmlich aus dem katholischen Milieu
rekrutierte, während Katholiken zugleich vermehrt Zugang in Handwerksberufe fanden,
321
die im Bereich der ehemaligen evangelischen Grafschaft Nassau-Saarbrücken in erster
Linie von Protestanten wahrgenommen worden waren. (S.85ff.)
Aussagekräftige sozialgeschichtliche Resultate erbrachte die Untersuchung der familiären
Situation der Migranten, während und nach dem Zuzug, in eine der betrachteten Städte.
Zwar verzogen viele Menschen nominell allein, d.h. ohne familiären Anhang; ein Großteil
von ihnen befand sich während der Umzugsphase allerdings entweder in Begleitung eines
Geschwisterteils oder eines bzw. mehrerer Dorfgenossen. Sehr häufig bildete ein
Verwandter (oder Bekannter aus der Herkunftsregion) die erste Anlaufstation am neuen
Arbeits- und Wohnort. Der Wohnortwechsel bedeutete daher wohl in der Regel nicht
das oft unterstellte radikale Ausbrechen aus intakten Sozialbeziehungen ("Entwuzelung");
denn der Migrant wurde häufig von Personen aus seinem angestammten Umfeld in die
neue Lebenssituation begleitet, in seinem neuen Kontext häufig von vertrauten Menschen
aufgefangen und somit in die städtische Gesellschaft eingeführt. Zudem läßt die hohe
Fluktuation der mobilen Bevölkerungsteile erwarten, daß man gerade zu Beginn der
mobilen Lebensphase, u.U. in einem saisonalen Wanderungsrhythmus, zwischen dem
industriellen Arbeitsort und der Herkunftsregion pendelte, so daß ein allmähliches
Hineinwachsen in den neuen urbanen Kontext möglich war. Der geographisch weniger
ausgedehnte Einzugsbereich der Industriestandorte der Saar-Lor-Lux-Region begünstigte
diesen Tatbestand in außerordentlicher Weise. Die Begrifflichkeit einer "Individua-
lisierung" der Lebensumstände dürfte der Wanderungsrealität in den jungen Industrie-
städten näher kommen als die scharf akzentuierende, zeitgenössische Formel von der
"Entwurzelung" der städtischen Unterschichten. Die vielfach diskutierte ausgebliebene
Proletarisierung im Untersuchungsraum findet hierin einen zusätzlichen Erklärungsansatz.
(S.92ff.)
Mit fortschreitender Industrialisierung und Urbanisierung scheint sich die Möglichkeit
einer Proletarisierung zumindest in den Industriegemeinden Malstatt-Burbach und Esch
verringert zu haben. Denn aus den Melderegistereinträgen bzw. Volkszählungsakten ist
zu schließen, daß sich im städtischen Zuwanderungsstrom zur Mittelschicht hin zuneh-
mend ausgewogenere Klassenrelationen einstellten. (S.113f.) Im Laufe der Unter-
suchungsperiode veränderte sich beipielsweise die Zusammensetzung der Immigranten-
schaft mit ihrem Schwerpunkt auf den gewerblichen Berufen zugunsten der Dienst-
leistungsberufe, wenngleich der Arbeiterzuzug bis 1914 in der Regel mehr als die Hälfte
der Gesamtwanderung ausmachte. (S.102ff.) Charakteristisch für den Urbanisierungs-
prozeß in Malstatt-Burbach und Esch/Alz. war die Wachstumsdynamik im Bereich von
Verwaltung (Bürotätigkeiten) und Handel. Insbesondere die unteren Beamten und
Angestellten gewannen an Gewicht, neue Berufsbilder mit relativ gehobenem Sozial-
prestige entstanden (Verkäufer/Verkäuferin, sozialpflegerische Berufe). (S.124ff.) Im
Gewerbesektor fällt in erster Linie die massive "Verindustrialisierung" des ehemaligen
322
Zunfthandwerks auf, indem Handwerker der klassischen Sparten verstärkt in den
industriellen Produktionsprozeß miteinbezogen wurden (Zulieferfunktion, innerbetriebliche
Beschäftigung). Erst in diesem Rahmen gelang es den Katholiken, in größerem Maßstab
in Handwerksberufen Fuß zu fassen, deren überkommene quasi-zünftige Sozialstrukturen
ihnen - trotz der offiziellen Gewerbefreiheit - im vorindustriell protestantischen Malstatt-
Burbach den Einzug in solche Tätigkeitsbereiche versperrt hatten. Der feststellbare
Qualifikationsfortschritt innerhalb der Arbeiterschaft beruhte größtenteils auf diesem
Strukturwandel innerhalb des traditionellen Handwerks, für das wiederum seine Ein-
bindung in die industrielle Fertigung wegen der damit oft notwendigen Aufgabe der
unternehmerischen Selbständigkeit einen Verlust an Sozialprestige bzw. den Schritt in
die großbetriebliche Lohnabhängigkeit bedeutete. (S.llöff.) Denn bezüglich ihrer
Hüttenarbeiterbelegschaften verfolgten die Betriebsleitungen schwerpunktmäßig eine
Politik der Spezialisierung bei gleichzeitiger Dequalifizierung. Anlernberufe blieben bis
zum ersten Weltkrieg unter der eigentlichen Industriearbeiterschaft die Regel, Fach-
arbeiterberufe die Ausnahme, besonders als nach der Einführung des Thomas-Verfahrens
der Puddelbetrieb eingestellt und die Eisenproduktion damit weitreichend automatisiert
wurde. (S.122f.)
Von anderer Qualität war der gesellschaftliche Umbruch, den die Stadt Diedenhofen
erfuhr, indem deren Kleinbürgertum sozusagen von einer Arbeiterzuzugswelle überrollt
wurde, nachdem sich kurz vor der Jahrhundertwende der erste größere Industriebetrieb
angesiedelt hatte. Während sich in Malstatt-Burbach und Esch/Alz. erste urban-städtische
Strukturen mit der Industrialisierung ab den 1850er Jahren von Grund auf zu entfalten
begannen, wurde in Diedenhofen um 1900 eine intakte kleinstädtische Infrastruktur in
gewissem Sinne zerschlagen bzw. in kürzester Zeit von einer industriell-urbanen Struktur
überdeckt.
Die migrative Vernetzung des industriellen Grenzraumes
Die Mobilitätsbereitschaft im Untersuchungsraum war sehr groß. Die wenigsten der
Migranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen reisten von ihren Geburtsorten her an;
d.h. sie waren bereits vor ihrem Eintreffen in diesen Industriestädten mobil gewesen.
(S.132ff.) Zugleich aber beschränkte sich der Wanderungsaustausch der untersuchten
Gemeinden überwiegend auf den Nahbereich. Die Städte rekrutierten dabei ihre Zuzügler
in aller Regel aus weniger weit entfernten Regionen, um sie aber durchschnittlich in
etwas weitläufigere Distanzbereiche zu entlassen: vor allem im Verhältnis zu ihrem
direkten Umland nahmen die Industriezentren offenbar eine Art "Sprungbrettfunktion"
ein. (S.138ff.) Obwohl die Nahwanderungen das Migrationsgeschehen dominierten,
bestand dennoch während der gesamten Untersuchungsperiode ein nicht zu unter-
323
schätzender Wanderungskontakt mit dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet, und
nach 1890 stellte sich ein bedeutender Italienerzuzug in allen Teilregionen ein.
Dieser Aspekt wurde vor allem in der Saarlandforschung bislang deutlich vernachlässigt.
Die übliche Einengung der Perspektive auf den preußischen Staatsbergbau, wo weder
die Italiener noch deutsche Arbeitskräfte aus mittleren bis weiten Distanzen ein größere
Rolle spielten, verstellte bislang den Blick für die andersartigen Verhältnisse innerhalb
der Fabrikarbeiterschaft bzw. in den Hüttenstädten der Region. Dabei gestaltete sich der
Wanderungsaustausch der Saarhüttenstadt gerade mit Westdeutschland (Hessen, Westfalen
und nördliches Rheinland) zwischen 1856 und 1910 per Saldo intensiver als mit dem
benachbarten Lothringen. Allerdings stellten der Hunsrück - und darin besonders das
Fürstentum Birkenfeld - sowie die westliche Rheinpfalz neben den preußischen Saar-
kreisen die Hauptrekrutierungsgebiete Malstatt-Burbachs dar. (S.146ff.)
Auch in Diedenhofen waren westdeutsche Wanderungskontingente verhältnismäßig stark
vertreten, jedenfalls stärker als etwa die Elsässer. Die Grenzlage der lothringischen
Gemeinde bedingte einen vermehrten Wanderungsaustausch mit Belgien und Frankreich;
der Arbeitskräftebedarf der verspäteten Industriestadt konnte nur durch einen um-
fangreichen Italienerzuzug gedeckt werden. In erster Linie entstammten die Zuwanderer
in der Gamisonsstadt aber, wie in der Saarhüttenstadt, dem eigenen Hinterland. Bezüglich
des lothringischen Zuzuges wirkte sich in diesem Zusammenhang die Dichotomie
zwischen der nordöstlichen Industriezone um Diedenhofen und Metz sowie den restlichen
Kreisen des Reichslandbezirks aus. Denn der Wanderungsbeitrag letzterer blieb äußerst
bescheiden, wobei einerseits der Unterschied zwischen landwirtschaftlicher und indu-
strieller Lebenswelt zum Tragen kam, und sich andererseits der Kreis Forbach, der über
einige größere Industriebetriebe verfügte, eher auf das nähere Saarrevier hin orientierte.
Am Diedenhofener Beispiel läßt sich ablesen, daß Lothringen - sicherlich aufgrund seiner
geographischen Lage - unter den drei Teilregionen wohl am stärksten mit seinen beiden
Nachbarterritorien, Saarrevier und Luxemburg, sozial vernetzt war; denn abgesehen von
den Lothringern waren Saarländer und Luxemburger in der Moselgemeinde überpropor-
tional repräsentiert. (S.löOff.)
Offener für den Arbeiterzuzug von außerhalb der engeren Saar-Lor-Lux-Region als die
beiden Vergleichsstädte gab sich die Gemeinde Esch/Alz., wenn auch die Luxemburger
selbst zwei Drittel der Einwohnerschaft stellten und vor allem mit Lothringen durchgängig
ein reger Wanderungsaustausch unterhalten wurde, während sich der saarländische
Zuzugsanteil insgesamt relativ bescheiden ausnahm. Insbesondere die außerdeutsche
Immigration besaß im Großherzogtum Gewicht. Die stete Frequentierung der südluxem-
burgischen Industriegemeinde durch Belgier, Franzosen und Italiener war trotz der damit
verbundenen sozialpolitischen Probleme zumindest unter nationaipolitischen Gesichts-
punkten durchaus erwünscht, um die arbeitsmarktpolitische Abhängigkeit des souveränen
324
Kleinstaates vom übermächtigen Nachbarn Deutschland, mit dem man im Zollverein
wirtschaftlich verbunden war, nicht allzu groß werden zu lassen. Dennoch verfügten die
Preußen und Elsaß-Lothringer bis kurz vor der Jahrhundertwende über den zweit- und
drittgrößten Bevölkerungsanteil in der Kommune. Das preußische Kontingent bestand
dabei zeitweise primär aus Westdeutschen, während der Zuzug aus der Eifel, aus dem
Hunsrück und von der Saar zweitrangig war. (S.168ff.)
Grundsätzlich ist für alle drei Teilregionen festzuhalten:
- Der Wanderungsaustausch mit dem unmittelbaren Umland war dominant. Innerhalb
der Saar-Lor-Lux-Region, d.h. der darauf folgenden Entfemungskategorie, ist
erkennbar, daß die einzelnen regionalen Zentren (Saarbrücken, Neunkirchen, Trier,
Kaiserslautern, Metz, Diedenhofen, Luxemburg usw.) besonders intensive Beziehungen
pflegten. Darum besaß der Bevölkerungsaustausch mit schwach entwickelten Gebieten
auch nur untergeordnete Bedeutung, während der Zuzug aus urban-industriellen
Territorien vergleichsweise erhöht und kontinuierlich in Zunahme begriffen war.
(S.190ff.) Wurde ein Umzug aus dem eher agrarischen in das industrielle Milieu
lanciert, so ist aufgrund der Quellenbasis eine Art "Herantasten" aus den dörflich-
landwirtschaftlichen in die urban-industriellen Gebiete wahrnehmbar. (S.137)
Kennzeichnend für die Qualität des Wanderungsnetzwerkes, das sich innerhalb der
untersuchten Grenzregion trotz der mehr oder weniger ausgeprägten Kontakte
einzelner Teilräume mit auswärtigen Rekrutierungszonen ausbildete und fortgesetzt
festigte, ist das Phänomen innerregionaler Krisenwanderungen während der Rezes-
sionsphase (ca.1875-1890). In diesem Zeitraum reduzierte beispielsweise Malstatt-
Burbach in einschneidender Weise den Wanderungsaustausch mit dem Ausland,
Westdeutschland und einigen peripheren Rekrutierungsgebieten (ländliche Saarkreise,
preußischer Hunsrück, Vorderpfalz u.a.). Zugleich nahmen anteilsmäßig die Wande-
rungsbewegungen zwischen der Saarhüttenstadt, Lothringen, Luxemburg, der
Westpfalz und dem Fürstentum Birkenfeld zu. Besonders intensiv gestaltete sich das
Verhältnis zum industriellen Nachbarkreis Ottweiler (Neunkirchen); und im luxembur-
gischen Esch/Alz. waren anteilsmäßig ungewöhnlich viele Saarländer anzutreffen.
(S.65, S.152, S.154, S.159, S.169)
- Im Verhältnis zu den reichsdeutschen Industrieregionen hatte ein nicht unwesentlicher
Kontakt mit dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet Bestand, der die Binnenwan-
derungsstxukturen, die sich innerhalb des Untersuchungsraumes ausbildeten, allerdings
nicht zu überlagern vermochte.
- Weder die reichsdeutschen Binnengrenzen, noch die Staatsgrenze zum souveränen,
wirtschaftlich angegliederten Luxemburg oder die Grenze nach Frankreich bzw.
Belgien bildete ein grundsätzliches Hindernis für die Arbeiterwanderungen im
Untersuchungsraum.
325
- Vor allem die Italiener nutzten nach 1890 die offenen Grenzen zwischen Deutschland,
Frankreich und Luxemburg bei ihrer Suche nach attraktiven Arbeitsplätzen in der
industriellen Grenzzone. Die Italiener blieben dabei bis 1914 die einzige relevante
Femzuwanderergruppe in der Region. Auffälligerweise fanden sie keinen Eingang
in den Steinkohlenbergbau des Saarreviers bzw. des ostlothringischen Kohlebeckens,
während sie eine maßgebliche Stütze des lothringischen und luxemburgischen
Erzbergbaus bildeten. Eindeutige regionale Bezüge nicht nur zwischen den Herkunfts-
und Zielgebieten, sondern auch zwischen einzelnen Herkunftsregionen und spezifi-
schen Zielorten der Italiener im Untersuchungsraum sind zu erkennen und harren einer
weiteren Aufarbeitung. (S.173ff.)
- Aufbauend auf traditionellen migrativen Austauschbeziehungen setzten sich während
der Industrialisierung die Wanderungsbewegungen zwischen dem Untersuchungsraum
sowie Belgien und Frankreich fort bzw. wurden ausgeweitet. In diesem Kontext
erfolgte einerseits eine ausgeprägte Grenzraumwanderung (Département Meurthe-et-
Moselle bzw. belgische Provinz Luxembourg), und andererseits bildeten die beiden
nationalen Metropolen, Paris und Brüssel, schwerpunktmäßig Anlaufpunkte mobiler
Bevölkerungsteile der Saar-Lor-Lux-Region. Bei der Grenzraummobilität handelte
es sich in erster Linie um Arbeiterwanderungen, die in die Industriestandorte rechts
und links der Grenze zielten. An den Metropolenwanderungen beteiligten sich vor
allem Menschen mit Dienstleistungsberufen (Handel, Dienstboten), wenngleich die
Bauwirtschaft der französischen Hauptstadt phasenweise auch viele Handwerker und
Arbeiter anzog. (S.183ff.)
- Slawische Wanderarbeiter spielten bis zum ersten Weltkrieg - und im Gegensatz zur
Zwischenkriegszeit - nicht annähernd die Rolle auf dem Arbeitsmarkt des Saar-Lor-
Lux-Raumes wie die Ruhrpolen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Ihr
Wanderungsbeitrag blieb völlig marginal.
- Außerdem ist hervorzuheben, daß keinerlei Zusammenhang zwischen der Entwicklung
des Eisenbahnnetzes und dem Wanderungsgeschehen in den drei Untersuchungs-
gemeinden festgestellt werden konnte.
Immigrationsprofile
Ansetzend an der sozioprofessionellen Gliederung der Zuwandererschaft in Malstatt-
Burbach und Diedenhofen wurden zur Gesamtcharakterisierung der Immigranten mit Hilfe
einer Clusteranalyse phänotypische Einzelprofile derjenigen Migrantengruppen nachzu-
zeichnen versucht, welche sowohl durch ihren quantitativen Beitrag als auch durch ihre
spezifischen Persönlichkeitsmerkmale aus dem Wanderungsgeschehen in den beiden
Städten hervorstachen. Dieser Analyseschritt legte zusätzlich einige Gesetzmäßigkeiten
326
offen, die erst durch die Einbettung der zuvor gewonnenen Einzelergebnisse in den
multikausalen Gesamtzusammenhang deutlich werden konnten.
Die Charakteristika der in beiden Kommunen so wichtigen industrialisierten Handwerker
wurden ebenso wie Aspekte des Prostituiertenzuzuges in die Arbeiter- und Soldatenstadt
Diedenhofen herausgearbeitet. Für Malstatt-Burbach stellte sich heraus, daß je höher
das Sozialprestige einer Zuwanderergruppe aus den Reihen der Handwerker- bzw.
Arbeiterschaft war, umso weniger Katholiken sich darunter fanden. Außerdem erwies
sich, daß je niedriger das Qualifikationsniveau von Migranten war, der Herkunftsort umso
häufiger speziell im Entfemungsbereich zwischen 30 und 80 Kilometern bzw. umso
seltener in weniger als 30 Kilometern Entfernung lag, oder aber daß je höher der
Ausbildungsstand war, desto häufiger ein Zuzug aus einer Region mit allgemein etwas
gehobenem urban-industriellen Niveau erfolgte. (S.196ff.)
Diese Resultate bestätigen auf empirischer Basis in anderem Zusammenhang geäußerte
Hypothesen und geben weiterführende Hinweise auf den spezifischen Beitrag mobiler
Bevölkerungsteile mit ihrer akzentuierten Sozialstruktur auf die gesellschaftliche
Entwicklung städtischer Gemeinwesen während der Industrialisierungsperiode.
Sozialräumliche Formation und Viertelbildung in freien Urbanisationszonen
Die gesteigerte Mobilität in den Städten Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz.
betraf während des Untersuchungszeitraums keineswegs jeweils alle Stadtteile gleicher-
maßen. Die Migranten frequentierten in der Regel vorwiegend die Randzonen der von
innen nach außen expandierenden Stadtkörper. In Diedenhofen kam es allerdings wegen
der lange aufrechterhaltenen Einschnürung der städtischen Siedlungsfläche durch die
Befestigungsanlagen zu einer außergewöhnlichen Verdichtung des Stadtkerns, welchem
sich quasi eine industrielle Vorstadtsiedlung anzugiiedem begann. Auch nach vorsichtigen
Schätzungen muß allein schon die Anzahl der Neubezüge (ohne innerstädtische Umzüge)
von Häusern in den höchstfrequentierten Straßenzügen durch auswärtige Zuwanderer
enorm hoch gewesen sein. Von den Bewohnern blieben die "Singles" durchschnittlich
gerade einmal ein halbes Jahr seßhaft, um dann einen erneuten Domizilwechsel vor-
zunehmen, Familien verweilten im Schnitt zwei bis drei Jahre. Von den Menschen,
welche die Stadt nach einem Zuzug wieder verlassen hatten, kehrten übrigens nicht
wenige erneut mindestens einmal zurück.
Eine Viertelbildung im üblichen Sinne kam dabei kaum zustande, sondern die Industrie-
städte zeichneten sich durch eine hochgradige sozioprofessionelle Durchmischung aus,
wobei in nahezu allen Straßen mehrheitlich Arbeiter wohnhaft waren. Bürgerliche
Siedlungsschwerpunkte bestanden in Malstatt-Burbach und Esch/Aiz. an den Stadt-
rändern, in Diedenhofen dagegen im Zentrum. Denn während in der Moselgemeinde
327
bereits vor der Industrialisierung im Ortskem ein stadtbürgerlicher Wohnbereich existiert
hatte, siedelten sich in den beiden ehemaligen Bauerndörfern an Alzette und Saar im
Zuge der Verstädterung erstmals stadtbürgerliche Schichten an, welche sich eigene
Wohnbereiche von Grund auf erschließen mußten. Auffällig ist die geographische Aus-
richtung dieser "Viertel" auf die benachbarten traditionellen Stadt gemeinden St .Johann/-
Saarbrücken bzw. in Esch nach Luxemburg hin. Sonstige Tendenzen zur stadträumüchen
Binnendifferenzierung blieben eher schwach. Eine gewisse Rolle spielten offenbar
konfessionelle und landsmannschaftliche Abgrenzungsversuche, obwohl nur hinsichtlich
der Italiener - möglicherweise aus dem eigenen Gastarbeiterverständnis heraus - eine
gewisse "Ghettoisierungstendenz" ablesbar ist. Da sich also eine Viertelbildung stadt-
räumlich nur ansatzweise festmachen läßt, dürften sich soziale Unterschiede insbesondere
in der Lage von Häusern innerhalb einer Straße oder in der Lage von Wohnungen
innerhalb eines Hauses niedergeschlagen haben. (S.217ff.)
Migrationsüberwachung zwischen nationalen Ängsten, revolutionären Befürchtungen
und bürgerlichem Moralanspruch
Die Wanderungsbewegungen der Industrialisierungsperiode unterlagen in allen drei
Teilregionen einer äußerst strengen Überwachung durch die Kommunal- und Staats-
behörden. (S.252ff.) In diesem Rahmen widmete man Arbeitern eine gesteigerte Auf-
merksamkeit im Vergleich zu bürgerlichen Migranten, und Ausländem wurde größeres
Mißtrauen entgegengebracht als Inländern. Besonders sensibel reagierte man auf
ausländische Aktivitäten in Grenznähe. In Lothringen trachtete man danach, die Bildung
von geschlossenen "Franzosenkolonien" oder "Luxemburgersiedlungen" auf reichsdeut-
schem Gebiet zu unterbinden, um einer nationalen Unterwanderung dieses erst kürzlich
erworbenen Territoriums, welche den eigenen Germanisierungsabsichten entgegenstand,
vorzubeugen. Höchst unduldsam zeigte man sich im Falle von Streiks durch Ausländer,
in denen aufgrund des transnationalen Anspruchs der Sozialdemokratie ein sozialrevolu-
tionäres Potential mit einer nationalpolitisch gefährlichen Komponente gesehen wurde
und die man mit sofortiger Inhaftierung ahndete, gefolgt von der Ausweisung der Ver-
antwortlichen. Dies geschah allerdings, ohne daß jemals auch nur ansatzweise organisa-
torische Verbindungen zwischen Arbeitsmigranten aus dem Ausland und der deutschen
Arbeiterbewegung geknüpft worden wären.
In der zeitgenössischen öffentlichen Diskussion, die sich anhand von einschlägigen
Verwaltungsberichten und Zeitungsartikeln verfolgen läßt, wurde die gesteigerte Mobilität
im Industriezeitalter, sofern es um irgendwelche politische Konsequenzen ging, durchweg
als Ausländerproblem behandelt, obwohl sich der Wanderungsaustausch stets vorrangig
im kleinräumlichen Rahmen abspielte, d.h. daß die bedeutendsten Bevölkerungsumschich-
328
tungen vorrangig in der eigenen Nachbarschaft und keineswegs mit dem Ausland zustande
kamen. Symptomatisch hierfür war die Tendenz zur Unterschätzung der Wanderungsbereit-
schaft des eigenen Staatsvolkes, bei gleichzeitiger Überschätzung der Gefahr einer
nationalen Überfremdung. Beispielsweise hielten die Staatsorgane an der Saar die Land-
Stadt-Wanderung aus dem Hunsrück und der Eifel in das Saarrevier zeitweilig für kaum
relevant und glaubten weder an eine Gefährdung des landwirtschaftlichen Arbeits-
kräftepotentials in diesen Regionen, noch wurde die Vehemenz der Bevölkerungs-
agglomerationen in der unmittelbaren Industriezone hinreichend wahrgenommen. Das
Eigenengagement des preußischen Staates in der Montanindustrie (Kohlenbergbau) mit
seinen spezifischen Rekrutierungsmustem und siedlungspolitischen Rahmenbedingungen
dürfte den Blick für die andersartige Situation in den benachbarten Hüttenstädten etwas
getrübt haben. Andererseits wurde sowohl in der preußischen Rheinprovinz als auch im
Reichsland Elsaß-Lothringen ein überaus großer Verwaltungsaufwand getrieben, um
eventuelle polnische Immigrationsbewegungen in die südwestdeutschen Industriereviere
zu kontrollieren, obwohl deren Wanderungsbeitrag minimal war.
Dieser Wahrnehmungshorizont war dezidiert bürgerlicher Art, wie die politischen
Entscheidungsträger ausschließlich dem Bürgertum zuzurechnen waren. Denn während
die Zeitungen und Verwaltungsenqueten im Zusammenhang mit dem Wanderungs-
geschehen ständig nationalpolitisch relevante Eventualitäten erörterten und daneben ganz
entschieden Moral und Sitte der mobilen Bevölkerungsteile anmahnten, gab sich die
eigene Unterschichtenbevölkerung offenbar zumindest solange unbeeindruckt und ohne
jede Protestneigung gegenüber den "Fremdarbeiter"-Kontingenten, bis sie ihre eigenen
Arbeitsplätze, d.h. ihre eigene Existenzgrundlage konkret gefährdet sahen. Erst dann
stimmten sie in den xenophoben Tenor ein. Übergriffe auf "Fremdarbeiter" sind folglich
auch nur äußerst selten bezeugt und betrafen, soweit dies zu ermitteln ist, nur die
Italiener, die sich als einzige Landsmannschaft innerhalb der Region in einer relativ
ausgegrenzten Situation befanden. Die Sittlichkeitskritik betraf die inländische Arbeiter-
bevölkerung ohnehin gleichermaßen wie die "fremden" Migranten, wenngleich im
genannten Schriftgut diesbezüglich expressis verbis in erster Linie von den "Fremden"
die Rede war, die angeblich auf die eigene Einwohnerschaft negativ einwirkten. Es fallt
auf, daß in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Wanderungsgeschehen zumeist
die Begrifflichkeit des "Fremden" verwandt wurde, womit man aus der regionalen
Perspektive heraus neben den Ausländem auch zugewanderte Westfalen oder Arbeiter
aus dem Berliner Raum, d.h. unter Umständen eigene Staatsbürger, bezeichnete, während
Migranten aus der näheren Rekrutierungszone, selbst wenn sie eine andere Staats-
angehörigkeit innehatten, anscheinend häufig implizit nicht unter diese Konnotation fielen.
Ein behördliches Vorgehen im Kontext der Migrationen konnte allerdings ausschließlich
gegen (Reichs-)Ausländer erfolgen. Wahrnehmbare soziale Vemetzungsvorgänge, mentale
329
Identitätsfindungsprozesse sowie nationale Abgrenzungsmechanismen überlagerten sich
offensichtlich in der Grenzregion.
Die Verantwortlichen befanden sich im Zusammenhang mit den Wanderungsbewegungen
in einem Zwiespalt. Zum einen machte der industrielle und der landwirtschaftliche
Arbeitskräftebedarf den Einsatz von auswärtigem - und damit auch ausländischem -
Personal unumgänglich. Zum anderen sah man durch die damit verbundenen Bevölke-
rungsbewegungen permanent die Gefahr einer nationalen und sozialen "Überfremdung"
sowie des Verfalls traditioneller gesellschaftlicher Normen und Werte. Mangels eines
umfassenden sozialpolitischen Konzepts vertröstete man sich mit der Vorstellung, die
Bevölkerungsmobilität komme mit der Saturierung der Industrie bald zum Erliegen.
Angesichts der akuten sozialpolitischen Brisanz der Lage scheute man vereinzelt aber
auch nicht vor Kooperationsinitiativen mit den französischen Stellen, d.h. dem außen-
politischen Gegenspieler, oder dem innenpolitisch zeitweise bekämpften katholischen
Klerus zurück.
Migration und Wohnungsfrage - Vieldiskutierter Handlungsbedarf bei minimaler
Handlungsbereitschaft
Eines der herausragenden Problemfelder, die sich im Zuge des Wanderungsgeschehens
in den expandierenden Industriestädten der Saar-Lor-Lux-Region in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts auftaten, war die Wohnraumversorgung. Allgemein herrschte akuter
Wohnraummangel und die Gefahr des Ausbruchs von Epidemien aufgrund der Über-
belegung von Wohnungen und damit verbundener unhygienischer Wohnverhältnisse. Das
fortwährende Auftreten von Typhuserkrankungen bis hin zur Pockenepidemie nach der
Jahrhundertwende legen ein beredtes Zeugnis von den städtischen Wohnbedingungen
im Untersuchungsraum ab. (S.283ff.)
Aus den zeitgenössischen Dokumenten spricht vor allem Abscheu über die Lebens-
umstände der fluktuierenden Arbeiterbevölkerung. Die Kritik an den Behausungen der
Ausländer äußerte sich dabei in besonders blumigen Schilderungen. Strukturell wurde
in erster Linie das Kost- und Schlafgängerwesen der "Fremdarbeiter" im allgemeinen
als problematisch empfunden. Restriktive Polizeiverordnungen und staatliche Versuche,
ein stärkeres betriebliches Wohnungsbauengagement zu erzwingen, scheiterten angesichts
der schnell steigenden Wohnraumnachfrage ebenso wie Konzepte zur Förderung des
Schlafhausbaus an den Hüttenstandorten in allen drei Teilregionen. Das Bestreben
übergeordneter staatlicher Stellen, den Wohnungsbau in kommunaler Regie voranzutrei-
ben, verschaffte dem Problem ebenfalls keine wesentliche Abhilfe. Die lokalen Ent-
scheidungsträger der Region entzogen sich der gesundheitspolitischen Verantwortung
unter Verweis auf die staatliche Aufsicht über das Gesundheitswesen und unter Rücksicht
330
auf ihre budgetäre Situation. Der Staat besaß gegenüber den Gemeinden keine Zwangs-
mittel, sondern konnte die Kommunen aufgrund fehlender Kompetenzen ausschließlich
durch die Bereitstellung von Fördermitteln zum Wohnungsbau anhalten. Die Städte
zeigten sich jedoch nicht gewillt, Wohnungsbaumaßnahmen im großen Stile einzuleiten,
sondern verhielten sich auffallend ignorant gegenüber den offensichtlichen Mißständen,
weigerten sich eine kommunale Wohnungsaufsicht einzurichten und begnügten sich mit
Hinweisen auf die Verantwortung der Industrie für die Unterbringung ihrer Arbeitskräfte.
Lokale Grundbesitzerinteressen innerhalb der Stadtparlamente spielten dabei eine
entscheidende Rolle. Der Wohnungsmarkt wurde im wesentlichen liberalen Regelungs-
konzepten überlassen. Einem der wenigen strukturpolitisch motivierten Ansätze der
deutschen Staatsbehörden im unmittelbaren Kontext des Wanderungsgeschehens war
damit kein Erfolg beschieden, weil die Kommunen und der Fiskus eine unterschiedliche
Stoßrichtung verfolgten. Ausschließlich kurzfristig wirksame Arbeitsbeschaffungs-
maßnahmen waren die Gemeinden bereit zu finanzieren, falls aufgrund wirtschaftlicher
Einbrüche Massenarbeitslosigkeiten anstanden und es einer Massenverelendung der
ortsansässigen Arbeiterbevölkerung vorzubeugen galt.
Ausweisungspolitik statt Sozialpolitik - Die sozialpolitische Dimension der Fremden-
polizei im Grenzraum
Gerade in Nachbarschaft diverser Staatsgrenzen bot sich der Rückzug auf eine gemeinsa-
me, nationalpolitisch motivierte Ausweichtaktik seitens der staatlichen und kommunalen
Entscheidungsträger im Untersuchungsraum an. Ein Konsens zur Verwirklichung aktiver
sozialpolitischer Maßnahmen, wie dem kommunalen Wohnungsbau, mußte hier deshalb
nicht unbedingt erzielt werden, weil die Grenzlage sowohl eine Schuldzuweisung für
akute Mißstände an die ausländischen Migranten nahelegte, als auch die Möglichkeit
bot, durch Abschiebungsmaßnahmen den Eindruck zu erwecken, die sozialen Probleme
in Person der Ausländer gegebenenfalls über die Grenze zurückweisen zu können.
(S.301ff.) Diese Strategie wurde durch die Tatsache begünstigt, daß im Gegensatz zum
rheinisch-westfälischen Industriegebiet die Mehrzahl der Einwohnerschaft der hiesigen
urban-industriellen Agglomerationen dem näheren Umland entstammte, zudem nur
verhältnismäßig wenige "Fremdarbeiter" aus anderen reichsdeutschen Gebieten zugereist
waren und die "Fremdarbeiter" somit relativ leicht mit den "Ausländern" identifiziert
werden konnten. Umfangreichere Teile der "auswärtigen" Industriearbeiterschaft an Rhein
und Ruhr, so auch viele "Nationalpolen" aus den preußischen Ostprovinzen, besaßen die
deutsche Staatsangehörigkeit, obwohl ihre Rekrutierungsgebiete ungleich weiter als
diejenigen der Migranten im Saar-Lor-Lux-Raum von der Industriezone entfernt lagen,
so daß eine Abschiebung rechtlich nicht ohne weiteres möglich war. Die Ausweisung
331
der zahlreichen russisch- bzw. österreichisch-polnischen Arbeitskräfte im Ruhrgebiet
verursachte aufgrund der Feme der Herkunftsregionen außerdem erhebliche praktische
Schwierigkeiten bei der Rückführung "lästiger Ausländer", welche wegen der Grenznähe
im deutsch-französisch-luxemburgischen Dreiländereck nicht gegeben waren. Geradezu
prädestiniert für die genannte Politik war daher das kleine Großherzogtum Luxemburg;
aber auch die Reichslandverwaltung und die preußischen Staatsbehörden im grenznahen
Regierungsbezirk Trier wußten sich dieses Instrumentariums zu bedienen.
Die geeignete Angriffsfläche für eine restriktive Ausweisungspraxis boten die verschiede-
nen "Nischenkulturen", die sich in den Industrieansiedlungen ausgebildet hatten: die
wilden Ehen, die Prostituierten und Zuhälter, die Arbeitslosen und die Kriminellen. Wie
schon hinsichtlich der Meldegesetzgebung, d.h. bezüglich der Maßnahmen zur Erfassung
der "flottanten" (Arbeiter-)Bevölkerung, orientierten sich die Landesregierungen von
Luxemburg und Elsaß-Lothringen zur Handhabung der Ausländerpolitik, d.h. in Fragen
der Abschiebung unerwünschter, mobiler Bevölkerungsteile, weitgehend am preußischen
Vorbild, das auch Beispielcharakter für die Gesetzgebung in anderen deutschen Einzel-
staaten besaß.
Fazit und Ausblick
Mit neueren quantitativen Methoden wurde die Wanderungskomponente des hochkom-
plexen Urbanisierungsprozesses von drei Industriestädten im deutsch-französisch-
luxemburgischen Grenzraum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins erste Jahrzehnt
des 20. Jahrhunderts vergleichend analysiert.
Es konnte an verschiedene sozialhistorische und stadtgeschichtliche Forschungen sowohl
im allgemeinen als auch im regionalen Kontext angeknüpft werden.
Die Geschichte der italienischen Wanderarbeiter in den mitteleuropäischen Industriegebie-
ten wurde bislang erst ansatzweise bearbeitet, so daß durch die vorliegende Regional-
studie einige neue, nicht nur regionalgeschichtlich relevante Aspekte deutlich gemacht
werden konnten. Eine eigens den Italienern im Saar-Lor-Lux-Raum gewidmete Unter-
suchung steht noch aus.
Die Untersuchung setzt sich aus einer stadtgeschichtlichen Perspektive heraus ins-
besondere mit dem Lebensbereich von Fabrikarbeitern im Saarrevier auseinander und
wagt sich damit an eines der dringlichsten Desiderata der Saargeschichtsschreibung. Die
hiermit gewonnenen Resultate sollten in naher Zukunft durch gezielte Belegschaftsstudien
ergänzt werden. Außerdem wäre eine vergleichbare Migrationsanalyse für die Berg-
arbeiterschaft von Interesse.
Die Arbeit zählt zu den wenigen, einer Mikroperspektive verpflichteten, grenzüber-
greifenden historischen Studien. Zu ähnlichen Fragestellungen wären vergleichbare
332
Untersuchungen z.B. für den deutsch-polnischen bzw. deutsch-tschechischen Grenzbe-
reich wünschenswert, die eine komparative Betrachtung einzelner grenznaher Industriere-
gionen ermöglichen könnten. Im vorliegenden Falle wird deutlich, wie ertragreich ein
solcher Forschungsansatz sein kann. Die Arbeitshypothese, daß im Zuge der Binnenwan-
derungsbewegungen während der Industrialisierung außer einer unternehmerischen Ver-
flechtung innerhalb der Saar-Lor-Lux-Region (unter Einbeziehung der benachbarten
französischen und partiell auch der belgischen Grenzgebiete) eine weitreichende soziale
Vernetzung erfolgte, konnte aus dem Blickwinkel der einzelnen Untersuchungsgemeinden
differenziert überprüft und insgesamt erhärtet werden. Die verschiedenen Landes- und
Staatsgrenzen erwiesen sich dabei trotz diverser nationaler Frontstellungen als überaus
durchlässig. Vor allem unter der Arbeiterschaft scheinen deutlich weniger "Barrieren im
Kopf’ bestanden zu haben, welche die Bereitschaft zum Grenzübertritt hemmten, als in
den administrativ und politisch verantwortlichen bürgerlichen Kreisen. Andererseits waren
die Behörden der betroffenen Staaten in ihrem gemeinsamen Interesse an der Kontrolle
und Einschränkung grenzüberschreitender Wanderungsbewegungen sehr wohl zu einem
administrativen Zusammenwirken bereit und entwickelten sehr ähnliche Handlungsmuster
gegenüber den mobilen Bevölkerungsteilen und darunter vor allem gegenüber den
jeweiligen Ausländem. Zumindest die drei in einer Wirtschaftsunion verbundenen
Teilregionen Lothringen, Luxemburg und die südliche preußische Rheinprovinz (Saarre-
vier) begannen trotz heftiger nationalstaatlicher Abgrenzungsbemühungen sehr weitrei-
chende gemeinsame Binnenstrukturen auszubilden und folglich einen konsistenten
Wirtschafts- und Sozialraum zu konstituieren. Der Bevölkerungsaustausch zwischen den
einzelnen städtisch-urbanen Regionalzentren war ein wesentlicher Ausdruck dieses
Integrationsprozesses, dem 1914 ein jähes Ende bereitet wurde. Über zwei Weltkriege
hinweg, letztlich bis zur Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik Deutschland
und bis zur deutsch-französischen Annäherung in den 1960er Jahren überlagerten
nationalpolitische Aspekte, die sich infolge der blutigen Waffengänge dem Bewußtsein
der Bevölkerung einprägten, zukunftsweisende strukturelle Ansätze. Zuvor, in der zweiten
Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war ein nationalistischer Habitus
gerade der Eliten zwar allgegenwärtig gewesen, vermochte den hier untersuchten, rapide
fortschreitenden Vemetzungsprozeß, den neben den Unternehmern in erster Linie die
Arbeiterschaft trug, jedoch nicht zu verhindern. Für die Persistenz dieser gemeinsamen
Wirtschafts- und Sozialstrukturen spricht, daß nach 1945 insbesondere die Montan-
industrie der Saar-Lor-Lux-Region einen entscheidenden Ansatzpunkt zum Aufbau der
westeuropäischen Wirtschaftsunion bildete, die wiederum ein wesentlicher Baustein für
die Europäische Gemeinschaft in ihrer heutigen Gestalt war.
333
H.
METHODISCHER ANHANG
335
ANHANG A * Das Stichprobenverfahren
a) Das Stichprobenverfahren
Historisch gesehen interessierten sich gerade Großstadtverwaltungen infolge des besonders
massiven Aufkommens serieller Informationen im urbanen Bereich recht früh für die
Anwendungsmöglichkeiten zeitsparender und zugleich repräsentativer Erhebungsmetho-
den.1 Aber erst im Zuge der Weiterentwicklung der mathematischen Grundlagen der
Wahl- und Sozialstatistik nach 1945 reiften die Stichprobenverfahren soweit aus, daß
sie auf kommunaler Ebene regelmäßig eingesetzt werden konnten.2 Darum waren die
Statistischen Büros bis in die 1950er Jahre ausschließlich auf Gesamterhebungen zum
Erhalt präziser statistischer Erkenntnisse angewiesen, deren Zuverlässigkeit außerdem
für sie, letztendlich mangels eines stichprobentheoretisch fundierten Instrumentariums,
nicht zu ermitteln war.
Heute stehen dem Historiker für die retrospektive analytische Betrachtung von Massen-
daten, wie sie u.a. aus den genannten Gründen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts
verstärkt auftreten und welche die Melderegister und Volkszählungsdokumente der
Untersuchungsgemeinden enthalten, effektive Auswahlverfahren zur Verfügung.
Im Bereich der historischen Forschung wurden diese, aus den Sozialwissenschaften kom-
menden und dort stets verfeinerten, Methoden bislang vergleichsweise selten in ihrem
vollen Leistungsumfang eingesetzt. Um den regionalen Bezug zu wahren: Klaus Fehn
beschrieb die in der vorliegenden Arbeit ebenfalls betrachteten Melderegister von Mal-
statt-Burbach überblicksartig mit Hilfe einer willkürlichen Auswahl der Jahrgänge 1885,
1888 und 1891. Die von ihm ermittelten Ergebnisse sind hinsichtlich ihrer Relevanz für
den gesamten Registerbestand infolge der stichprobentheoretisch nicht reflektierten
Vorgehensweise nicht einzuordnen.3 Stichprobentheoretisch ebenfalls äußerst bedenklich
ist die in drei luxemburgischen Untersuchungen angewandte "Buchstaben"-Methode.
Erhebungskriterium ist dabei der Anfangsbuchstabe des Nachnamens einer Personen-
1 Vgl. als frühes Beispiel Schott, Siegmund: Das Stichprobenverfahren in der Städtestatistik. Ein
Versuch, Mannheim 1917.
2 Vgl. z.B. Bamberger, Ludwig: Die Bedeutung der Stichprobenmethode für die Eigenstatistik
der Städte, in: Statistische Mitteilungen der Stadt Köln 10/1955, S.36-48.
3 Vgl. Fehn, Räumliche Bevölkerungsbewegungen, S.67-69.
336
ANHANG A * Das Stichprobenverfahren
gruppe, wobei in der Regel von der Repräsentativität bestimmter Lettern für die
Grundgesamtheit ausgegangen wird. Die genannten Arbeiten über die ausländische
Zuwanderung nach Luxemburg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts greifen unter
der für das Großherzogtum keineswegs überprüften Annahme auf die Buchstaben A, B,
C und M zurück, hier sowohl alle Bevölkerungsteile (A, B) als auch die bedeutendsten
Ausländerkontingente, nämlich Italiener (C) und Deutsche (M), repräsentiert zu sehen.4
Einerseits ist diese Hypothese angreifbar, zum anderen geraten, falls diese Vorgabe
dennoch zutreffen sollte, möglicherweise nationale Minderheiten oder andere lokale
Besonderheiten völlig aus dem Blick. Folgenschwere systematische Fehler bereits bei
der Datenerhebung sind im Rahmen dieser Art von sogenannten systematischen Stich -
proben nicht auszuschließen.
Die vorliegende Studie stützt sich von daher auf sogenannte Zufallsstichproben (random
samples), welche z.T. proportional geschichtet wurden, um präzisere Werteschätzungen
für bestimmte Teilzeiträume oder auch verschiedene berufsspezifische Untergruppen zu
erhalten.5
Der quantitative Umfang der zu ziehenden Samples wurde über die Kennziffer für die
Werteverteilung in den Originaldaten und zwei Werte, die seitens des Bearbeiters festzu-
legen waren, bestimmt: (1.) die gewünschte Sicherheit zur Erlangung (2.) einer ange-
strebten Genauigkeit der Stichprobenergebnisse.6 Existieren, wie im vorliegenden Fall,
4 Vgl. die unveröffentlichten Arbeiten von Didlinger, Ausländische Bevölkerung Esch/Alz. sowie
von Reitz, Immigration étrangère à Differdange. Die Autoren verweisen auf eine gängige Praxis
in der (französischen) Historischen Demographie, die sich auf ältere Arbeiten von Jacques Dupa-
quier über die Frühneuzeit (!) zurückführen läßt.
5 Als Einführung zum Gesamtkomplex der Stichprobenverfahren in der Geschichtsforschung ist
noch immer sehr empfehlenswert: Schofield, Roger S.: Sampling in Historical Research, in: Nine-
teenth-Century-Society, Essays in the use of quantitative methods for the study of social data,
hg. von E.A. Wrighley, Cambridge 1972, S.146-190; vgl. zum Teilaspekt stratification
(Schichtung), S.166ff.
6 Vgl. hier wie im folgenden ebda., S.154ff. und S.lölff. Als Ausgangspunkt zur Festlegung der
Stichprobengröße wurde die erwartete prozentuale Verteüung nur darum herangezogen, weü in
der Regel zur Ermittlung von Durchschnittswerten ein geringerer Stichprobenumfang ausreicht
als zur Beschreibung einer prozentualen Verteüung. Die Samples sollten schließlich für möglichst
alle Teilfragestellungen groß genug sein.
337
ANHANG A * Das Stichprobenverfahren
keine Erkenntnisse über die Proportionen in der Grundgesamtheit, geht man von der "un-
günstigsten" Verteilung aus, bei der genau 50 Prozent der Daten eine bestimmte Werte-
ausprägung aufweisen, welche bei den anderen 50 Prozent der Daten nicht anzutreffen
ist, also dem Faktum der größtmöglichen Variabilität bzw. des größtmöglichen Standard-
fehlers. Daneben wurde eine 95prozentige Sicherheit vereinbart, so daß die Ergebnisse
der Stichprobenziehung innerhalb eines dreiprozentigen Konfidenzintervalls zu liegen
kamen. D.h. bei 95 von 100 Samples sollte ein auswahltechnisch ermittelter Wert um
nicht mehr als drei Prozent vom real in den Melderegistem auszählbaren Wert ab-
weichen.7 Aufgrund dieser Prämissen ergab sich eine erforderliche Stichprobengrund-
größe von 1.069 Datensätzen.8
Zum Vergleich: eine einprozentige Genauigkeit hätte bei ebenfalls 95prozentiger Sicher-
heit den notwendigen Stichprobenumfang auf 9.615 Datensätze angehoben, bei der auch
üblichen 99prozentigen Sicherheit gar auf 16.666 Datensätze.
In der Erhebungspraxis wurden, nachdem die Stichprobengröße feststand, die zu einer
Untergesamtheit gehörenden, zumeist chronologisch geordneten Meldeeinträge gelegent-
lich über mehrere Folianten hinweg laufend durchnumeriert und die daraufhin durch einen
Zufallszahlengenerator ermittelten Registereinträge erhoben. Bezüglich der Volkszäh-
lungen wurde ein analoges Verfahren angewandt.9
7 Vgl. ebda., S.161 ff., Formel 3 und 4. Die Vereinbarung einer 95prozentigen Sicherheit (con-
fident level), d.h. einer mittleren Normalabweichung (normal deviate) von 1,96 Standardabwei-
chungen, ist neben der Parametrisierung von 99 Prozent die in den Sozialwissenschaften geläufig-
ste. "The two confident levels most usually adopted are those of 95 per cent and 99 per cent
certainty" (S.156).
8 Dies ergibt sich aus dem bisher Gesagten folgendermaßen: a) erwünschte Sample-Varianz
V=32/l,962=2,34; b) erforderliche Stichprobengröße n=(50*50)/2,34=1.069. Dieser Wert ist im
Prinzip unabhängig vom zahlenmäßigen Umfang der Grundgesamtheit, kann jedoch, falls die
Stichprobe mehr als 20 Prozent (ein Fünftel) derselben ausmacht, nach unten korrigiert werden.
Vgl. ebda, Formel 6.
9 Im Falle der Malstatt-Burbacher Kreis-Melde-Kartei mußten 1.069 repräsentative Meldefälle
für den Zeitraum 1901 bis 1909 aus der etwa 357.000 Blätter mit zirka 600.000 Menschen in
2.102 Kartons umfassenden Gesamtkartei für die Jahre 1901 bis 1935 ausgewählt werden. Hierzu
wurde zuerst in einem Testlauf eine Durchschnittszahl von ungefähr 20 Meldefällen für die Jahre
1901 bis 1909 in jedem der durchschnittlich 170 Blätter umfassenden Kartons ermittelt. Daraufhin
wurden 53 der laufend durchnumerierten und alphabetisch sortierten Kartons mit Hilfe des
338
ANHANG A * Das Stichprobenverfahren
Der komplette Umfang des Arbeitsdatensatzes von 15.361 Fällen kam aufgrund der
kohortenmäßigen Differenzierung innerhalb der Grundgesamtheit aller Melderegister und
Volkszählungsdokumente zustande. Insgesamt wurden für Diedenhofen, Esch und
Malstatt-Burbach neun Stichproben auf der Basis von 1.069 Einheiten gezogen, zuzüglich
der Gesamterfassung der Hüttenarbeiter. Die Volkszählungen der Stadt Esch wurden in
einer dreifach geschichteten Stichprobe erfaßt, dazu deren Einwohnerregister zusätzlich
in einer kleinen Sondierungsstichprobe. Dem Diedenhofener Register wurde ein melde-
jahrgangsweise proportional geschichtetes Sample gewidmet. Die Malstatt-Burbacher
Register fanden Berücksichtigung in - einschließlich des Hüttenregisters - insgesamt
sieben zeitlich und berufsständisch geschichteten Stichproben.
Die Vorteile dieses Verfahrens liegen auf der Hand: die Auswahlmethode gründet auf
einer objektivierbaren und geschlossenen stochastischen Theorie und bedarf keiner
inhaltlichen Vorinterpretation wie im Falle der Buchstabenmethode. Darüber hinaus sind
die im Sample gewonnenen quantitativen Daten hinsichtlich ihrer stichprobentheoretischen
Präzision und Zuverlässigkeit rechnerisch überprüfbar. Die Güte moderner Stichproben-
verfahren erweist sich u.a. regelmäßig an den häufig erstaunlich präzisen Umfrageergeb-
nissen und Hochrechnungen anläßlich von demokratischen Wahlen, zu deren Erstellung
man sich vergleichbarer stochastischer Modelle bedient.
Die Ergebnisgenauigkeit ergibt sich für jeden einzelnen, der aus den Stichproben
gewonnen, numerischen Werte durch die Umstellung der Formel zur Bestimmung des
Stichprobenumfangs. Beispielsweise errechnet sich die stichprobentheoretische Ge-
nauigkeit eines so ermittelten Prozentwertes aus der Quadratwurzel von p mal q mal t2,
dividiert durch den Stichprobenumfang, wobei p den prozentualen Anteil der Samplewerte
in der Stichprobe ausdrückt, welche die erwünschte Information enthalten, q den
prozentualen Anteil der Samplewerte, welche die Abfragebedingung nicht erfüllen, und
t2 die vorgegebene (in der Regel 95- oder 99prozentige) Sicherheit repräsentiert. In
ähnlicher Weise ist die Genauigkeit eines stichprobenmäßig ermittelten Durchschnitts-
wertes zu errechnen.10
Computers zufällig ausgewählt und jeweils alle Treffer'’ in den Arbeitsdatensatz aufgenommen.
10 In diesem Falle wird t mit der Standardabweichung des Mittelwertes multipliziert und durch
die Quadratwurzel der Stichprobengröße dividiert.
339
ANHANG A * Das Stichprobenverfahren
Die Anteilswerte, die für bestimmte Fragestellungen (z.B. Geschlechterverhältnis,
Verteilung der Migranten auf verschiedene Berufsgruppen) auf der Grundlage der hier
erläuterten Samples errechnet wurden, waren in der Auswertungspraxis häufig erheblich
präziser als die erwünschten plus/minus drei Prozentpunkte. Noch wesentlich genauer
waren in der Regel die arithmetischen Mittelwerte (z.B. Durchschnittsalter). Die Grund-
größe der Stichproben wurde nur darum im voraus relativ groß gewählt, weil auch bei
der Betrachtung von Untergruppen des Personenkreises, welcher in den Melderegistem
dokumentiert worden ist (z.B. nur die Alleinstehenden, nur die Arbeiter oder nur die
Pfälzer), eine ausreichende Ergebnisgenauigkeit gewährleistet sein sollte.
340
ANHANG A
Das Stichprobenverfahren
UMZUGSDATENBANK
(beinhaltet Daten über den
Zu-, Ab- oder Umzug einer
Einzelperson oder einer
Personengruppe)
PERSONENDATENBANK
(beinhaltet individuelle Daten
jeder einzelnen, am Umzug
beteiligten Person)
Identifikation-Nr.
■ Herkunftsort
- Zielort
- Anzugs-, Abzugs- bzw.
Umzugsdatum
-Aufenthaltsdauer
- Domizil (-Straße und
Haus)
-Vermieter
Identifikations-Nr.
Identfflkabons-Nr.
ORTSDATENBANK
— Gemeinde -------- * •
-Kreis
• Landschaft
- Staat
- Distanz
- ökonomischer Rang
Gemeinde
Gemeinde
Gemeinde
- Geschlecht
- Geburtsdatum, Alter
- Geburtsort
- Beruf
-Konfession
- Familienstand
• Nationalität
Geschlecht
Geburtsdatum, Alter
Geburtsort
Beruf
Konfession
Familienstand
Nationalität
BERUFEDATENBANK
Stand
- Berufskiasse
-Sozialrang
-Branche
Stand
Stand
Stand
Schema der Datenbankstruktur zur Melderegisterauswertung
bzw. zur Auswertung der Volkszählungsunterlagen
341
ANHANG Bl * Alter und Aufenthaltsdauer
b) Die Klassifikation der Variablen Alter, Aufenthaltsdauer, Beruf sowie
(Geburts-, Herkunft-, Ziel-) Ort
1. Die Zeitkategorien: Altersklassen und Aufenthaltsintervalle
Zur Beschreibung der Merkmalsverteilung von Variablen mit metrischem bzw. rationalem
Skalenniveau (Größenangaben, Gewichtsangaben, Zeitraumangaben u.a.) finden sich so-
wohl in historischen als auch in aktuellen statistischen Untersuchungen häufig gleichgroße
Datenintervalle. So werden zur Darstellung von Altersverteilungen üblicherweise Fünfjah-
resklassen gebildet, so daß es z.B. eine Gruppe der 0- bis 4jährigen, der 5- bis 9jährigen,
der 10- bis 14jährigen usw. gibt.11 In ähnlicher Weise verfährt man in der Regel bezüg-
lich Aufenthaltsintervallen, wobei etwa Abschnitte von 100 Tagen gewählt werden, sofern
ein Interesse an Aufenthalten von weniger als einem Jahr besteht. Aus Gründen der
Vergleichbarkeit hat sich diese Praxis mehr oder weniger durchgesetzt. Deren Problem
besteht allerdings darin, daß inhaltliche Überlegungen zugunsten statistisch-mathemati-
scher Konventionen nahezu unbeachtet bleiben. Im Interesse einer sozialhistorischen
Feinanalyse muß diese Vorgehensweise recht unbefriedigend erscheinen.
1.1 Die Altersklasseneinteilung
Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde bei der Definition der Altersklassen demnach
bewußt auf gleichgroße, z.B. je fünf Jahre umfassende Alterskategorien verzichtet. Die
Einteilung basiert auf folgenden inhaltlichen Vorüberlegungen: im 19. Jahrhundert wurde
man im Alter von ungefähr sechs Jahren im Rahmen der Schulpflicht erstmals in eine
organisierte und kontrollierte Gesellschaftsgröße eingebunden. Die Altersgruppe zwischen
sechs und zwölf Jahren (Kind) verdient also Aufmerksamkeit, weil der Umzug mit Kin-
dern dieses Alters eine Auseinandersetzung der Eltern mit den Schulbehörden erforderlich
machte, im (häufigeren) Wiederholungsfälle entscheidende Rückwirkungen auf die schuli-
sche Bildung des Kindes haben konnte oder auch etwas über die Einstellung der Eltern
zur Notwendigkeit einer schulischen Integration ihrer Kinder aussagen kann. Die weitere
11 Neugeborene und Säuglinge bis zum Alter von einem Jahr werden in der Demographie
iogischerweise dem Lebensalter 0 (Null) zugeordnet.
342
ANHANG Bl * Alter und Aufenthaltsdauer
Differenzierung der jüngsten Zuwanderer
in Säuglinge und Kleinkinder erschien
sinnvoll, weil der Umzug mit bis zu
zweijährigen Kindern keineswegs ohne
besondere Mühen zu leisten war, vor
allem im unmittelbaren Kontext der Ge-
burt (Stillperiode etc.). Und gerade zum
Zeitpunkt kurz vor bzw. nach der Nieder-
kunft zeigte sich beispielsweise im Zuge
der Melderegisteranalyse eine gewisse
Häufung von Zuzügen, sei es seitens
verheirateter Frauen zum Wohn- und Ar-
beitsort ihres Mannes oder lediger Mütter
aus ländlichen Herkunftsgebieten. Die
Rubrik Kleinkind steht für die Übergangs-
periode vom Säugling zum Kind. Bei den jugendlichen Kindern zwischen 13 und 16 Jah-
ren handelt es sich um eine Altersgruppe, in welcher je nach sozialer Stellung der Familie
bereits der Schritt ins Berufsleben notwendig wurde. Außerdem führte das Knapp-
schaftsstatut der Burbacher Hütte die 14- bis 16jährigen als jüngste Arbeiterkategorie
(jugendliche Arbeiter)12] darüberhinaus finden sich in den Melderegistem vereinzelt
auch schon 13jährige, welche in einem Arbeitsverhältnis standen. Die zeitgenössisch in
mancher Hinsicht relevante Volljährigkeitsgrenze von 24 Jahren bildete den Ausgangs-
punkt für die beiden folgenden Altersklassen. Die Trennung in jugendliche Erwachsene
und junge Erwachsene ist insofern zu vertreten, als die 17- bis 24jährigen, wie erste
Vorauswertungen ergaben, das Gros der Zuwanderer bildeten, so daß eine weitere
Untergliederung präzisere Ergebnisse erwarten ließ. Ähnliche Überlegungen veranlaßten
zur Einteilung der letzten drei Alterskategorien.
interne Altersklassen- bezeichnung Lebensalter in Jahren
Säugling 0-1
Kleinkind 2-5
Kind 6-12
jugendliches Kind 13-16
jugendlicher Er- wachsener 17-20
junger Erwachsener 21-24
Erwachsener 25-34
älterer Erwachsener 35-54
Senior 55 und älter
12 Vgl. Marx, Die Arbeiter der Burbacher Hütte, S.132.
343
ANHANG Bl * Alter und Aufenthaltsdauer
1.2 Die Aufenthaltsintervalle
Um bezüglich der Aufenthaltsdauer der Migranten ebenfalls ein künstliches "Zer-
schneiden" der Zeitabschnitte zu vermeiden, welche im Kontext der Binnenwande-
rungsbewegungen effektiv historisch relevant waren, wurden auch hier Beobach-
tungsintervalle festgelegt, deren Definition in erster Linie auf inhaltlichen Aspekten
beruht. Ausgehend von der Grundannahme, daß die Präsenz der Migranten vorzugsweise
von den Arbeitsverhältnissen abhing, welche jene eingingen, und diese wiederum ver-
mutlich eher auf Wochen-, Monats-, Halbjahres- oder Jahresfrist vereinbart wurden
bzw. kündbar waren denn auf landläufig "ungerade Zeiträume", wie z.B. 10 Tage oder
100 Tage, ergab sich folgende Klassifizierung der individuellen Aufenthaltsdauer in den
Untersuchungsgemeinden:
Bezeichnung des Aufenthalts-Intervalles Aufenthaltsdauer in Tagen
1 Woche 1-8
1 Monat 9-31
1 halbes Jahr 32-183
1 Jahr 184-366
länger als 1 Jahr mehr als 366
Bei der Festlegung des Wochen-, Monats- und Jahresintervalls wurde die maximal
mögliche Dauer des jeweiligen Zeitabschnitts berücksichtigt. Ein Arbeits- oder auch ein
Mietverhältnis, welches auf einen Monat abgeschlossen wurde, konnte sich günstig-
stenfalls über 31 Tage erstrecken, ein Jahresvertrag in Schaltjahren höchstens auf 366
Tage. Die Maximaldauer des Halbjahres ergibt sich durch Halbierung des Maximaljahres
von 366 Tagen. Die Woche wurde gemäß der umgangssprachlichen Praxis auf 8 Tage
definiert.
344
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
2. Das Berufsklassifikationsverfahren und Schichtungsmodelle
In der vorliegenden Studie wurde mit sozialen Schichtungsmodellen gearbeitet, die auf
den zeitgenössischen Berufsbezeichnungen in den Melderegistern bzw. Volkszählungs-
bögen beruhen. "Soziale Schichtung meint die vertikale Gliederung einer Gesellschaft.
Als Klasse, Schicht oder Stand werden die spezifischen Merkmale einer historischen
Gesellschaftsstruktur benannt. Nach wie vor gibt es weder in der Soziologie noch in der
sozialgeschichtlich orientierten Forschung ein allgemein anerkanntes Schichtungs-
modell."13 Auf die Erarbeitung eines eigenen Schichtungsmodells wurde im Rahmen
dieses Dissertationsvorhabens dennoch verzichtet. Die angewandte Berufsklassifikation
folgt weitestgehend dem Ansatz der Bielefelder Arbeitsgruppe um Peter Lundgreen, die
sich zum Zwecke der Untersuchung sozialer Mobilitätsphänomene in den Städten
Duisburg und Minden in Auseinandersetzung mit den sozialen Stratifikationsmodellen
von Sozialhistorikern wie Kocka, Kaelble, Jarausch, Hubbard u.a. darum bemüht hatte,
eine Einteilung zu finden, von der man glaubte, "daß sie für eine städtische Gesellschaft
des 19. Jahrhunderts repräsentativ ist".14 Der Ansatz dieser Gruppe ist gerade deshalb
interessant, weil hier erstens dem städtischen Zusammenhang eine zentrale Rolle
zukommt, zweitens die Berufsgruppen sowohl einer Industriestadt (Duisburg) als auch
einer Verwaltungsstadt (Minden) Berücksichtigung finden, drittens der zeitliche
Schwerpunkt in der Hochindustrialisierungsperiode liegt und viertens eine sehr quellenna-
he Vorgehensweise gewählt wurde.
Mit Recht bemerkt Sylvia Schraut allerdings in diesem Zusammenhang: "Für sozialge-
schichtliche Fragestellungen, zum Beispiel historische Mobilitätsanalysen, erscheint eine
lediglich auf Berufsbezeichnungen basierende Schichtung problematisch."15 Und auch
Lundgreen kann nicht umhin zu konstatieren, daß "dem Zuordnungsgeschäft wohl stets
13 Schraut, Sozialer Wandel, S.348.
14 Lundgreen, Peter/ Kraul, Margret/ Ditt, Karl: Bildungschancen und soziale Mobüität in der
städtischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Göttingen 1988, S.352. Sylvia Schraut entwickelte
etwa zeitgleich zur Bielefelder Gruppe um Peter Lundgreen ein sehr ähnliches Schichtungsmodell
in Zusammenarbeit mit Projekten in Berlin (Kaelble, Federspiel), Paris (Hubbard), Bielefeld
(Kocka, Schüren) und Mannheim (Mocker, von Hippel). Vgl. Schraut, Sozialer Wandel, S.349ff.
15 Schraut, Sozialer Wandel, S.345.
345
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
ein Stück 'Ungenauigkeit' oder 'Willkür' verhaftet [bleibt]".16 Dennoch bietet sich in
der Forschungspraxis kaum eine Alternative zu diesem Verfahren, weil für die konkrete
Zuordnung von Einzelberufen zu Berufsgruppen die Kriterien des Einkommens, der
Qualifikation, des Grades an Selbständigkeit oder des sozialen Prestiges empirisch nicht
immer als Information zur Verfügung stehen. Angesicht dieser Problematik sei den
Erfahrungswerten bereits abgeschlossener Forschungsprojekte ein Vertrauensvorschuß
gewährt, zumal von der Lundgreen-Gruppe die entsprechenden Erkenntnisse einer ganzen
Reihe anderer Studien miteinbezogen wurden und sich in diesem Zusammenhang heraus-
stellte, daß selbst mittels einer subjektiven Einschätzung offensichtlich recht zuverlässige
Ergebnisse zu erzielen sind, da sich auch noch bei dieser Vorgehensweise in Bielefeld
ein hohes Maß an intersubjektiver Übereinstimmung ergab.17
Für eine relativ höhere Signifikanz der über dieses Stratifikationsverfahren ermittelten
Resultate im vorliegenden Falle spricht, daß Untersuchungen zur geographischen
(horizontalen) Mobilität m.E. nicht ganz die gleiche Exaktheit in der Zuordnung zu
einzelnen Klassen bzw. Rangstufen voraussetzen wie Arbeiten zur sozialen (vertikalen)
Mobilität, die sich dezidiert für Phänomene des sozialen Auf- und Abstiegs interessieren.
Darüberhinaus ist die aktuelle Studie zeitlich zum größten Teil im letzten Drittel des 19.
Jahrhunderts und später angesiedelt; und selbst Sylvia Schraut gesteht kritisch zu, daß
die Präzision der Berufs-Selbst-Bezeichnungen im Zuge eines deutlichen Zuwachses
der Industriearbeiterschaft in Esslingen gegen Ende ihres Untersuchungszeitraumes (ab
1825 bis 1845) ebenfalls sehr wohl zugenommen hat.18
Analog der Lundgreenschen Vorgehensweise ist die Zuordnung der ca. 1.600 einzelnen
Berufe zu 50 Berufsgruppen (vgl. IV) Ausgangspunkt für die Schichtungsmodelle. Drei
Schichtungsmodelle werden eingeführt: Soziale Schichtung nach Berufsgruppen (I),
soziale Schichtung nach Sozialrängen (II) und soziale Schichtung nach Wirtschafts-
16 Lundgreen, Büdungschancen, S.354.
17 Vgl. ebda.
18 Vgl. Schraut, Sozialer Wandel, S.346f.
346
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
Sektoren (III).19 Die Berufsgruppen sind mit einer dreistelligen Kennzahl versehen, mit
der die Berufsgruppen in den Schichtungsmodellen I, II und III nachgewiesen werden.
Über diese Nummer sind sie in der Berufsklassifikation (IV) identifizierbar; hier kann
nachvollzogen werden, welchen sozialen Schichten und wirtschaftlichen Sektoren die
Berufsgruppen zugeordnet wurden; ferner, welche konkreten Einzelberufe der jeweiligen
Berufsgruppe zugerechnet werden.20
I. Soziale Schichtung nach Sozialgruppen
Besitzbürgertum
Bildungsbürgertum
Alter Mittelstand
Neuer Mittelstand
Arbeiter
Beamte, Angestellte
Großagrarier (020)
Großbürgertum (030,040,050)
Höhere Beamte und Angestellte (060,071,072,073,074,080)
Offiziere (110,240)
Freie Berufe (090)
Bauern (140,150)
Handwerksmeister (160,170)
Kaufleute (180,190,200,210)
Mittlere Beamte (221,223,224,227,228)
Mittlere Angestellte (231,232,233,234)
Unteroffiziere (250)
Sonstige (225,260)
Ungelernte Arbeiter (270,280,300,310,320)
Gelernte Arbeiter (291,292,293,294)
Untere Beamte und Angestellte (340,341,342,350)
Soldaten (360)
Sonstige (370,330)
19 Vgl. auch die Modellierung von Sylvia Schraut nach sozialen Schichten, beruflicher Stellung
und Wirtschaftssektoren: Schraut, Sozialer Wandel, S.350.
20 Lundgreen ordnet ca. 1300 einzelne Berufe 44 Berufsgruppen zu. Vgl. (auch im folgenden)
Lundgreen, Bildungschancen, S.319ff.
347
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
II. Soziale Schichtung nach Sozialrängen
OBERSCHICHT
227 Beamte, Assistenten, Polizisten, Auf-
020 Gutsbesitzer seher, Schreiber
030 Große Fabrikanten 228 Meister (öff.-techn. Dienst)
040 Bankiers 231 Commis, Handlungsgehilfen, Ver-
050 Leitende Angestellte walter
060 Leitende kommunale Wahlbeamte 232 Werkmeister, Aufseher (privatwirt-
071 Präsidenten, Direktoren, Profes- schaftlich)
soren 233 Techniker, Zeichner, Laboranten,
072 Räte, Assessoren, Referendare, Bauschüler
Richter 250 Unteroffiziere
073 Oberlehrer 260 sonstige Mittelschicht
074 Pastoren
080 Höhere Angestellte (akad.) OBERE UNTERSCHICHT
090 Freie Berufe (akad.)
110 Offiziere (Hauptmann bis General) 291 Handwerker
292 Handwerksgesellen und -lehrlinge
OBERE MITTELSCHICHT 293 Hochqualifizierte Fabrikarbeiter (ho-
hes Qualifikationsniveau)
140 Vollbauern 294 Qualifizierte Arbeiter (mittleres Qua-
180 Kaufleute lifikationsniveau)
190 Kleine Unternehmer, Ge- 320 Arbeiter im Transportgewerbe
schäftsführer 330 Hausierer
223 Rendanten, Sekretäre, Kontrol- 340 Untere Angestellte in der Privatwirt-
leure, Buchhalter, Kommissare schaft
225 Freie Berufe (nicht akad.) 341 Ladenpersonal, Verkäuferinnen
224 Baubeamte, Inspektoren, 342 sozialpflegerische Berufe
Obermeister (techn. Dienst) 350 Untere Beamte, Angestellte im öf-
234 Ingenieure, Privatbeamte fentlichen Dienst
240 Offiziere (Leutnantsrang) 360 Soldaten
UNTERE MITTELSCHICHT UNTERE UNTERSCHICHT
150 Kleinbauern 270 Agrarische Unterschicht
160 Handwerksmeister 280 Heimarbeiter
170 Spezialhandwerker 300 Angelernte Arbeiter (niederes Qua-
200 Kleinhändler lifikationsniveau)
210 Gastwirte 310 Ungelernte Arbeiter (ohne spezielle
221 Lehrer (niedere Schulen), Privat- Qualifikation)
lehrer 370 Sonstige Unterschicht
348
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
III. Soziale Schichtung nach Wirtschaftssektoren
AGRARISCHER SEKTOR
020 Gutsbesitzer
140 Vollbauern
150 Kleinbauern
270 Agrarische Unterschicht
GEWERBLICHER SEKTOR
Großunternehmer, Firmendirektoren
030 Große Fabrikanten
040 Bankiers
050 Leitende Angestellte
(Mittlere bis kleine) Unternehmer und
Selbständige
160 Handwerksmeister
170 Spezialhandwerker
180 Kaufleute
190 Kleine Unternehmer, Ge-
schäftsführer
200 Kleinhändler
210 Gastwirte
(290) Gelernte Arbeiter
291 Handwerker
292 Handwerksgesellen und -lehrlinge
293 Hochqualifizierte Fabrikarbeiter
(hohes Qualifikationsniveau)
294 Qualifizierte Arbeiter (mittleres
Qualifikationsniveau)
Ungelernte Arbeiter
280 Heimarbeiter
300 angelernte Arbeiter (niederes Qua-
lifikationsniveau)
310 ungelernte Arbeiter (ohne spezielle
Qualifikation)
320 Arbeiter im Transportgewerbe
330 Hausierer
DIENSTLEISTUNG
Höhere Beamte, Angestellte
060 Leitende kommunale Wahlbeamte
071 Präsidenten, Direktoren, Professo-
ren
072 Räte, Assessoren, Referendare, Rich-
ter
073 Oberlehrer
074 Pastoren
080 Höhere Angestellte (akad.)
(220) Mittlere Beamte
221 Lehrer (niedere Schulen), Privatlehrer
223 Rendanten, Sekretäre, Kontrolleure,
Buchhalter, Kommissare
224 Baubeamte, Inspektoren, Obermeister
(techn. Dienst)
227 Beamte, Assistenten, Polizisten, Auf-
seher, Schreiber
228 Meister (öff.-techn. Dienst)
(230) Mittlere Angestellte
231 Commis, Handlungsgehilfen, Ver-
walter
232 Werkmeister, Aufseher
(privatwirtschaftlich)
233 Techniker, Zeichner, Laboranten,
Bauschüler
234 Ingenieure, Privatbeamte
Untere Beamte, Angestellte
340 Untere Angestellte in der Privatwirt-
schaft
341 Ladenpersonal, Verkäuferinnen
342 sozialpflegerische Berufe
350 Untere Beamte, Angestellte im öf-
fentlichen Dienst
MILITÄR
110 Offiziere (Hauptmann bis General)
240 Offiziere (Leutnantsrang)
250 Unteroffiziere
360 Soldaten
SONSTIGE
090 Freie Berufe (akad.)
225 Freie Berufe (nicht akad.)
260 Sonstige Mittelschicht
370 Sonstige Unterschicht
349
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
IV. Berufe und Berufsgruppen (Berufsklassifikation)
020 Gutsbesitzer
Gutsbesitzer
030 Große Fabrikanten
Fabrikant
Fabrikbesitzer
Gießereibesitzer
Hüttenbesitzer
Industrie
industriel
KoksofenanJagenbesitzer
040 Bankiers
Bankier
banquier
050 Leitende Angestellte
Director
Direktor
Hochofendirector
Hüttendirektor
Ingenieur JD irektor
ingénieur-directeur (Metz)
Minendirektor
060 Leitende kommunale Wahlbeamte
Bürgermeister
maire
071 Präsidenten, Direktoren, Professoren
chef de gare
directeur de I'abattoir
directeur de poste
professeur de musique
Professor
Telegrafendirektor
072 Räte, Assessoren, Referendare, Richter
Friedensrichter
Geheimer Bergrat
Gerichtsreferendar
juge de paix
juge honoraire
Kgl .Forstassessor
Kgl .Rechnungsrat
Polizeirat
Regierungsassessor
073 Oberlehrer
Oberlehrer
pens.Oberlehrer
074 Pastoren
archiprêtre
Kaplan
ministre protestant
Pastor
Pfarrer
vicaire
Vikar
080 Höhere Angestellte (akademisch)
Advokat
Assistenzarzt,Dr.med.
Chemiker
ChemikerJDr.phil.
Oberingenieur
Secretär, Redakteur, Dr .ph.
090 Freie Berufe (akad.)
Apothekenbesitzer
Apotheker
Arzt
docteur
Dr.
Dr.med.
médecin
notaire
Notar
pharmacien
prakt.Arzt
Roßarzt
Tierarzt
vétérinaire
110 Offiziere (Hauptmann bis General)
capitaine
capitaine en retraite
Haubrist
Hauptmann
Infanterie-Colonel
Major
Oberst-Leutnant
Oberstabsarzt
Oberstleutnant a.D.
officier
officier payeur
Rittmeister
Ulanen-Colonel
Ulanen-Rittmeister
140 Vollbauern
Bauer
Landwirt
Ökonom
150 Kleinbauern, Gartner
Ackerer
Ackerermeister
Ackermann
Bienenzüchter
Blumengärtner
cultivateur
350
ANHANG B2
Berufsklassifikation
fr.Ackerer
Gärtner
Gärtnerin
Gärtnermeister
jardinier
jardinière
veuve,jardinière
veuve,vigneron
vigneron
Winzer
Winzer,Taglöhner
Witwe,Gärtnerin
160 Handwerksmeister
Anstreichermeister
Bäckermeister
Braumeister
Braumeister,Wirt
Buchdruckermeister
Büglerinmeisterin
Coiffeurmeister
cordonnierjnaitre
Dachdeckermeister
Fleischerroeister
Gipsermeister
Glasermeister
KJempnermeister
Konditormeister
maitre maçon
Maurermeister
Mechanikermeister
menuisierjnaitre
Metzgermeister
Näherinnenmeisterin
Nähmeister
Obermüller
Pflasterermeister
plafonnier-Meister
Sattlermeister
Schlächtermeister
Schlosse rraeister, Mechaniker
Schlossermeister
Schmiedemeister
Schneidermeister
Schreinermeister
Schuhmachermeister
Schustermeister
Uhrmachermeister
Wagnermeister
Zimmermannmeister
Zimmermeister
170 Spezialhandwerker
armurier
Buchdrucker
ciseleur
électricien
Goldschmied
horloger
imprimeur
Lithograph
mécanicien
mécanicien des chemins de fer
Mechaniker
opticien
Photograph
photographe
Polsterer
relieur
Restaurateur
Schriftsetzer
Seidenweber
typographe
Uhrmacher
Vergolder
180 Kaufleute
Agent
agent d'assurances
bijoutier
Buchhändlerin
commerçante de vin
Drogeriekaufmann
Drogist
Geschäftsagent
Holzhändler
Kauffrau
Kaufmann
Kaufmännin
Lederhändler
libraire
lingère
Makler
marchand
marchand de bois
marchand de chaussures
marchand de farine
marchand de fayence
marchand de meubles
marchand de vin
marchande de farine
marchande de fayence
marchande de toile
Möbelhändler
négociant
négociant en grains
négociante
quincailler
veuve,couturière
351
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
Viehhändler
Weinhändler
190 Kleine Unternehmer, Geschäftsführer
agent d'affaires
associé,fabriquant de fil
Backste infabrikant
Bauunternehmer
Bierbrauereibesitzer
Brauereibesitzer
Brauereibesitzerin
camioneur
Dampfmühlenbesitzer
Eigentümer
entrepreneur
Fuhrunternehmer
Fuhrunternehmer,Wirt
Gasthofbesitzer
Gasthofbesitzerin
Geschäftsführer
Geschäftsführerin
Geschäftsleiter
Geschäftsmann
Geschäftsreisender
Goldleistenfabrikant
Hausbesitzerin
Hotelier
hôtelier
Kaufmann,Geschäftsführer
Liqueurfabrikant
loueur de voitures
Marmorfabrikant
Mühlenbesitzer
Ölfabrikant
Prokurist
propriétaire
Reisender,Geschäftsführer
Spediteur
Spediteur,Wirt
Spediteursmaitre
Stahlschrankfabrikant
Tabakfabrikant
teneur de lavoir
Tuffsteinfabrikant
Unternehmer
UntemehmerTuhrmann
Unternehmer,Meister
veuve,proprié taire
Wagenfabrikant
Ziegeleibesitzer
200 Kleinhändler
Abonirer,Händler
Bierhändler
chandelier
cirier
commercante
débitant
épicier
épicier-Meister
épicière
Fetthändler
fruitier
Gamhändlerin
Handelsfrau
Handelsmann
Handelsmann,Wirt
Händler
Händlerin
Krämer
Krämerin
Kurzwarengeschäft
Kurzwarenhändlerin
lampiste
limonadier
limonadière
marchand ambulant
marchand,tailleur
marchande
mercier
mercière
Milchhändler
Milchhändlerin
Mützengeschäft
Obsthändler
Pensionär,Krämer
Pensionär,Spezereiwarenhändler
Schuhwarenhändlerin
Spezereihändler
veuve,épicière
veuve,grainetière
veuve,marchande
210 Gastwirte
aubergiste
Bieragent,Wirt
Bierbrauer,Wirt
cabaretier
cabaretierjnineur
cafetier
Chefkoch
fr. Wirt
Fuhrmann, Wirt
gargotier
Gastwirt
Küchenchef
pens.Steiger.Wirt
Privatier,Wirt
Schankwirt
352
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
Schankwirtin
Speisewirt
Wirt
Wirt .Aufseher
Wirt .Bäcker
Wirt.Cementierermeister
Wirtjir.Schreiber
Wirt.fr.Schreiner
Wirt .Fuhrunternehmer
Wirt.pens. Bergmann
Wirt,Sattler
Wirt,Ziramermeister
Wirtin
Witwe,Wirt in
221 Lehrer, Privatlehrer
Elementarlehrerin
ex-instituteur
ex-institutrice
Handarbeitslehrerin
Hauslehrer
Hauslehrerin
instituteur
instituteur en retraite
institutrice
Lehrer
Lehrerin
Lehrerin a.D.
pens.Lehrer
Privatlehrer
professeur
Schulschwester
Tanzlehrer
Tanzlehrerin
223 Rendanten, Sekretäre, Kontrolleure,
Buchhalter, Kommissare
Arbeitersekretär
Bahnbetriebssecretär
Bereichsgenossenschaftssekretär
Bergwerkssecretair
Bergwerksdirektionssekretär
Betriebssecretär
Buchhalter
Buchhalterin
Buchhalterwitwe
Büreauchef
Büreauvorsteher
Bürgermeistereisecretär
Bürochef, Kaufmann
Bürovorsteher
Calculator
Casse nrendant
chef de dépôt de la gare
chef de train de la gare
chef visiteur de la gare
Commissar
comptable
Controllern
Controllern de garnison
Controllern- des douanes
Eisenbahncivilsupemummerar
Eisenbahnbetriebssecretär
Eisenbahnsecretär
Eisenbahnsupemummerar
Gerichtsactuar
Hauptzollamtsekretär
Knappschaftssekretär
Kreissekretär
Landgerichtssecretär
Oberförster
Oberinspektor
Oberpostassistent
Pensionsamtskontrolleur
Polizeibrigadier
Polizeikommissar
préposé en chef d’octroi
Regierungscivilsupemummerar
Regierungssupemummerar
Regjstersupemuramerar
Schlachthofverwalter
secretaire
Secretär
Sekretär
Stadtsecretar
Stationsvorsteher
Steuerkontrolleur
Steuersupemummerar
Supernummerar
surnuméraire
surnuméraire des fortes
Tech.Eisenbahnsekretär
teneur des livres (sic!)
Versicherungsinspector
Verwaltungssekretär
visiteur
visiteur de la gare
Zollinspekteur
Zollrevisor
224 Baubeamte, Inspektoren, Obermeister
(techn. Dienst)
Bergbauconducteur
Berginspektor
Eisenbahnconductor
Förster
Gasinspektor
Geometer
géomètre
353
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
inspecteur des douanes
Inspektor
Kasemeninspector
Kasemeninspektor
Kgl .Förster
Landeswegebauinspektor
Obermeister
Oberschichtmeister
Obersteiger
Obersteiger a.D.
Obertelegraphist
pens.Förster
pens.Oberschichtmeister
Regierungsbauführer
Schulinspektor
Stadtbaumeister
225 Freie Berufe (nicht akademisch)
Baumeister
Brückenbauer
chef d'exploitation
Concertuntemehmer
Eisenkonstrukteur (Ing.)
Privatier
Wiesenbaumeister
227 Beamte, Assitenten, Polizisten, Aufse-
her, Schreiber
Accisenbeamter
agent de police
ancien greffier
Assistent
Bahnassistent
Bahnbeamter
Bahnbeamter,Schreiber
Bahndiätar
Bahngehilfe
Bahnschreiber
Beamter
Beamter,Schreiber
Bergamtsdiätar
Büreauassistent
Bürodiätar
caissier
caissier de la gare
Chausseeaufseher
Civilanwärter
douanier
Eisenbahnassistent
Eisenbahnbauassistent
Eisenbahnbeamter
EisenbahnbeamterJDiätar
Eisenbahnbür odiätar
Eisenbahncanzlist
Eisenbahndiätar
Eisenbahnstationsaspirant
employé
employé à la gare
employé aux fourrages
employé de douanes
employé de l'octroi
employé de la gare
employé de la mairie
employé de régie
employé des chemins de fer
employé du port
employé(Beamter)
Forsthilfsaufseher
Fortilikationsbeamter
Fußgendarm a.D.
Gendarm
gendarme
gendarme en retraite
Gerichtsassistent
Gerichtsschreiber
Gerichtsvollzieher
greffier
greffier de justice
Grenzbeamter
Hauptamtsassistent
Hauptsteueramtsaspirant
Kammeijäger
Kanzlist
Kassenschreiber
Kassierer
Kassiererin
Knappschaftskanzlist
Kriminalschutzmann
Liquidator
Militär anwärter
Militäranwärter,Schlosser
Polizeiagent
Polizeisergeant
Postamtsassistent
Postanwärter
Postassistent
Posteleve
Postgehilfe
Postperceptor
Postpraktikant
Postverwalter
Proviantamtsassistent
receveur d’octroi
receveur municipal
Schreiber
Schutzmann
Sekretariatsschreiber
Staatstelegraphist
354
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
Stationsaspirant
Stationsassistent
Stationsdiätar
Stationsgehilfe
Steuerbeamter
Telegrafist
Telegraphenassistent
Telegraphist
télégraphiste
Telephonistenmeister
Verwaltungsbüreauvolontär
Verwaltungsgehilfe
Wachtmeister
Wachtmeister a.D.
Zahlmeisterapplikant
228 Meister (techn. Dienst)
agent voyer
Bademeister
Bahnmeister
Bahnmeisteraspirant
chef cantonier
chef-poseur
Eisenhahnschachtmeister
Eisenbahnwiegemeister
Eisenzugführer
Lokomotivführer
Lokomotivhilfsführer
Markscheider
Packmeister
pens.Lokomotivführer
Proj ektierer, Bahnmeister
Rangiermeister
Schirrm ann,Rangiermeister
Stationsaufseher
Steiger
Steigeraspirant
Straßenbahnführer
Straßenbahnführer,Händler
Straßenbahnwagenführer
Straßenbahnwagenführer Anstrei-
cher
Wagenmeister
Wegemeisteraspirant
Zugführer
Zugrevisor a.D.
231 Commis, Handlungsgehüfen,Verwalter
Apothekercommis
Apothekerlehrling
Bankbeamter
Bauschreiber
clerc de notaire
Commis
commis
commis aux hypothèques
commis dans un magasin
commis de bureau
commis de l'usine (Metz)
commis des mines
Comptorist
Contorist
Eilgutexpeditionsgehilfe
Eisenbahngüterexpedient
Expeditionsgehilfe
Geschäftsgehilfe
Güterexpedient
Handelsgehilfe
Handlungsgehilfe
Kassengehilfe
Kaufmann
Kaufmanngeselle
Kaufmannlehrling
Kaufmannscommis
Kaufmannslehrling
Kaufmannsvolontair
Kommis
Kontoristin
Kurzwarenhändlercommis
Magazingehilfe
Magazinverwalter
Magazinverwalter,Kaufmann
Materialienverwalter
Notariatsgehilfe
Notarschreiber
Oberkellner
Redakteur
Reisender
sous-chef
Untemehmergehilfe
Vertreter
Verwalter
Verwalter A-Locführer
Volontair
Volontär
232 Werkmeister, Aufseher
Apparatenführer
Arbeiterkontrolleur
Aufseher
Bauführer
chef d'équipe
chef d’équipe de la gare
chef-fondeur
chef-mineur
chef-ouvrier
commis surveillant
Commis(Aufseher Schmelz)
Construkte urm e is te r
355
ANHANG B2
Berufsklassifikation
contre-maitre
contre-maitre d'une brasserie
contre-maitre d'une seierie
contre-maitre,charron
Drehermeister
Eisendrehermeister
Fahrsteiger
fr.Futtermeister
Gasmeister
Gießermeister
Grubensteiger
Hüttenaufseher
Hüttenschmiedemeister
Kesselraeister
Kohlenmeister
Koksmeister
Lackierermeister
Lademeister
Magazinaufseher
Maschinenführer
Maschinenführer,Krämer
Maschinenwerkmeister
Maurerpolier
Meister
Minenbeamter Aufseher
Oberaufseher
Obermeister
payeur
pens.Kohienmeister
Platzmeister
poseur-Meister
Puddlermeister
Rottenführer
Sägemeister
Sandgießermeister
Schachtmeister
Schachtmeister,Schlosser
Schichtmeister
Schichtmeisterassistent
Schiafhausmeister
Schlosser3etriebsleiter
Schmelzaufseher
Schmelzercoramis
Schmelzmeister
Schweißermeister
Stromaufseher
surveillant de l’usine
Walzmeister
Werkführer
Werkmeister
Wiegemeister
Zängleraufseher
233 Techniker, Zeichner, Laboranten, Bauschüler
Bauassistent
Bauschüler
Bautechniker
Bauzeichner
Eisenbahnzeichner
Hüttentechniker
machiniste
Maschinenpraktikant
Maschinentechniker
Maschinenzeichner
Maschinist
Techniker
Techniker Aichitekt
Techniker,Civil-Ingenieur
Tiefbautechniker
Zahntechniker
Zeichner
234 Ingenieure, Privatbearate
Architekt
Bergschüler
Bergwerkssekretär
Betriebsingenieur
Betriebsleiter
employé de l'usine Metz
employé de la maison de Wendel
employé des mines
Fabrikbeamter
Gasingenieur
Grubenbeamter
Hüttenbeamter
Hüttenschreiber
Ingenieur
ingénieur
ingénieur des mines
Maschineningenieur
Minenbeamter
pens.Hüttenbeamter
Schmelzbeamter
Stahlwerkassistent
Usinebeamter
240 Offiziere (Leutnantsrang)
chef de musique militaire
Divisionspfarrer
Leutnant
Lieutenant
lieutenant des douanes
Ober-Roßarzt
Offizier
premier lieutenant
Proviantmeister
Quartiermeister
Rentmeister
356
ANHANG B2
Berufsklassifikation
second lieutenant
Ulanen-Leutnant
250 Unteroffiziere
Feldwebel
Oberfeuerwerker
pens.Feldwebel
sacristaire de division
Sergeant
Ulanenwachtmeister
Unteroffizier
Unterzahlmeister
V.Feldwebel d.Reserve
260 sonstige Mittelschicht
Bildhauer
cand.jur.
Cantor
chef de musique
conservateur
cordelier
Dekorationsmaler
Eleve,Chimist
étudiant
étudiante
Gewerbeschüler
Gymnasiast
Hochschüler
Nonne
Ordensschwester
Organist
organiste
Pianist
religieuse
Schüler (Gartenbautechnik)
Seminaristin
Soubrette
Student
Student (Elektrotechnik)
Studentin
270 agrarische Unterschicht
Ackerergehilfe
berger
fr.Magd
Hirte
Knecht
Knecht, fr.Pächter
Magd
Magd,Witwe
Melker
Schäfer
Stallknecht
280 Heimarbeiter
Bildereinrahmer
blanchisseuse
Büglerin
Büglerinlehrmädchen
Bürstenmacher
Bürstenmacherlehrling
fr.Leinenweber
gazier
Korbflechter
Korbmacher
Leinenweber
rempailleur
repasseuse
sabotier
Stuhlmacher
Tabakspinner
vannier
veuve,laveuse
Wäscherin
Waschfrau
291 Handwerker
Abdecker
Anstreicher
aubergiste,boulanger
Bäcker
Badnerin
Barbier
Bierbrauer
Böttcher
boucher
bouchère
boulanger
Buchbinder
carrossier
casquettier
chapellier
charcutier
charpentier
charpentier,ferblantier
charron
charron,cabaretier
chaudronnier
cloutier
Coiffeur
Conditor
confiseur
cordier
cordonnier
corsetière
couturière
couvreur
cuisinier
cuisinière
Dachdecker
Damenschneiderin
357
ANHANG B2
Berufsklassifikation
décorateur
Drechsler
ébéniste
ferblantier
Fleischer
Friseur
Frise urin
Gerber
Gestellmacher
Gipser
Glaser
Hafner
Handschuhmacher
Haubenmacherin
Holzdreher
Hufschmied
Hutmacher
Installateur
Kaminbauer
Kappenmacher
Kesselschmied
Kleidermacherin
Klempner
Koch
Köchin
Konditor
Küfer
Kupferschmied
Kürschner
maçon
Maler Anstreicher
maréchal
maréchal ferrant
Maurer
menuisier-ébéniste
menuisier
menuisier,marchand,cabaretier
Messerschmied
Metzger
meunier
Müller
Müller,Bäcker
Müller,fr Ackerer
Müllerin
Mützenmacher
Mützenmacherin
Nagelschmied
Näherin
Ölmüller
peintre
peintre en bâtiment,vitrier
Pferdemetzger
Pferdeschlächter
plafonneur
plafonnier
plâtrier
Sattler
Schieferdecker
Schlosser
Schmied
Schmied,Schlosser
Schmied,Taglöhner
Schneider
Schneiderin
Schornsteinfeger
Schreiner
Schuhmacher
Schuster
Schusterwitwe
Schweinemetzger
Seifensieder
Seiler
sellier
sellier,chapelier
serrurier
Steinmetz
Stellmacher
Stukkateur
taillard hab.
tailleur
tailleur d'habits
tailleuse
tanneur
Tapezierer
tapissier
teinturier
Tischler
tonnelier
Töpfer
tourneur en bois
Tuchmacher
Verputzer
veuve,Schneiderin
Wagensattler
Wagenschmied
Wagner
Zängler
Zeugschmied
Zimmerer
Zimmermann
Zuckerbäcker
292 Handwerksgesellen und -lehrlinge
Anstreichergehilfe
Anstreichergeselle
Anstreicherlehrling
Bäckergehilfe
358
ANHANG B2
Berufsklassifikation
Bäckergehilfe,Dienstknecht
Bäckergeselle
Bäckerlehrling
Badegehilfin
Badnerinlehrmädchen
Barbiergehilfe
Bierbrauergeselle
Chemielaborantengehilfe
Coiffeurgehilfe
Coiffeurgeselle
Coiffeurlehrling
Dachdeckergehilfe
Dachdeckergeselle
Flaschnergeselle
Fleischergeselle
Fleischerlehrling
Friseurgehilfe
Friseurlehrling
Gärtnergeselle
Geselle
Gipsergeselle
Hufschmiedegeselle
Installateurgehilfe
Kesselschmiedlehrling
Klempnergeselle
Klempnerlehrling
Kochlehrfräulein
Kochlehrling
Konditorlehrling
Laboratoriumsgehilfe
Mahibursche
Maurergeselle
Maurerlehrling
Metzgerbursche
Metzgergeselle
Metzgerlehrling
Müllerbursche
Müllergeselle
Nagelschmiedgeselle
Näherinnenlehrmädchen
Nählehrmädchen
Photographengeselle
Schlächtergehilfe
Schlossergehilfe
Schlossergeselle
Schlosserlehrling
Schmiedegeselle
Schmiedejunge
Schmiedelehrling
Schmiedgehilfe
Schmiedgeselle
Schneidergehilfe
Schneidergeselle
Schneidergeselle,fr.Metzg
Schreinergeselle
Schreinerlehrling
Schriftsetzerlehrling
Schuhmachergeselle
Schuhmacherlehrling
Schustergeselle
Schustergeselle,Knecht
Schusterlehrling
Schweinemetzgerlehrling
Spezereigeselle
Stellmachergeselle
Tischlergeselle
Uhrm achergehilfe
Uhrmachergeselle
Uhrmacherlehrling
Wagnergeselle
Zämmergeselle
Zimmerlehrling
Zuckerbäckergeselle
293 hochqualifizierte Fabrikarbeiter
(hoher Qualifikationsgrad)
Angelschmied
Ar beiter,Maschinist
Arbeiter,Monteur
Arbeiter,Techniker
Bahndreher
Bahnschlosser
Bahnschmied
Bahnschreiner
Blechschmied
Blechschmiede geselle
Bleischmied
Dreher
Eisenbahnsattler
Eisenbahnschlosser
Eisenbahnschmied
Eisendreher
Eisengießer
Electroschlosser
Fabrikschmied
Fabrikschreiner
Former
Former,Gießermeister
Gelbgießer
Gießer
Gußstahlschmied
Hammerschmied
HüttenschJosser
Hüttenschmied
Kernmacher
Kettenschmied
Lackierer
359
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
Lehmformer
Maschinenmonteur
Maschinenschlosser
Maschinenschmied
Metalldreher
Metallschlosser
Modellschreiner
Monteur
Oberschmelzer
Revisionsschlosser
Rohrformer
Sandformer
Sandgießer
Sandgießer,Wirt
Schlosser .Wirt
Schweißer
Schweißer,Wirt
Stahlschmied
Stangenschmied
Vorarbeiter
Vorwalzer
Walzendreher
Werkstattschre iner
Zechenschmied
Zink-Messing-Gießer
294 qualifizierte Arbeiter
(mittlerer Qualifikationsgrad)
Bergarbeiter
Bergmann
Bergmann (pens.)
Bergmann,Schlepper
Bohrer
Eisenwalzer
Fabrikarbeiter,Werkmeis ter
Fabrikarbeiterlehrling
Feilenhauer
Feilenschleifer
fr.Bergmann
Grubenarbeiter
Hauer
Hochofenarbeiter
Hüttenarbeiter .Schmelzer
Hüttenarbeiter,Schweißer
Lehrling
Luppendreher
Luppenwalzer
Maschinist,Schmelzarbeiter
Minettearbeiter
Minettear beiter,roulleur
mineur
Nieter
ouvrier-mineur
ouvrier-mineur, cabaretier
pens.Bergmann
pens.Bergmann,Krämer
Puddler
Puddler,Hüttenarbeiter
Puddlerlehrling
repasseur
Schleifer
Schmelzer
Schwengler
Stangenwalzer
Stanger
Walzer
Walzer-Witwe
Walzgehilfe
300 angelernte Arbeiter
(niederer Qualifikationsgrad)
ajusteur
Arbeiter(Bergwerk)
Arbeitergeselle
Bauarbeiter
Bodenleger
Brauereiarbeiter
Cementarbeiter
Cementeur
Cementierer
Drahtweber,Knecht
Eisenbahnarbeiter
Eisenrichter
Eisenwieger
Fabrikarbeiter
Fabrikarbeiterin
fr .Hüttenarbeiter
Friseur Anstreicher
Gasarbeiter
Gasmacher
Glashüttenarbeiter
Gradrichter
Gußputzer
Gußstahlwerkarbeiter
Heizer
Heizer,Hüttenar beiter
Heizer,Schmelzarbeiter
Hilfsheizer
Hobler
Hochofenheizer
Holzarbeiter
Holzsäger
Holzschneider
Hüttenarbeiter
Hüttenarbeiter(pens.)
Hüttenarbeiter,Maurer
Kalthauer
Kesselheizer
360
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
Kesselwärter Zementeur
Knecht,Hüttenarbeiter Zementierer
Kokser Ziegelarbeiter
Koksofenarbeiter Ziegelarbeiterin
Lokomotivheizer Ziegler
Lokomotivhilfsheizer Zinkarbeiter
Luppenschläger Zuschläger
Magd,Zieglerin Zuschmierer
Maschinenarbeiter 310 ungelernte Arbeiter
Maschinenputzer (ohne spezielle Qualifikation)
Maschinenwärter Arbeiter
Molkereiarbeiter ArbeiterTfausmeister
Montagearbeiter Arbeiterin
ouvrier d'usine Artilleriedepotarbeiterin
ouvrier,couvreur Backsteinmacher
ouvrier,ferblantier Bahnarbeiter
ouvrier,flotteur Bahnhofsarbeiter
ouvrier,menuisier Bergwerk-Bahnarbeiter
ouvrier,serrurier Bremsarbeiter
ouvrier,tanneur Eisenträger
pens.Bergmann,Taglöhner Erdarbeiter
pens.Hüttenarbeiter Erdfahrer
pens. Wagenwärter Erzfahrer
Pfannenarbeiter Erzklopfer
Pflasterer Erzträgerin
Putzer Feuerwacher
Richter Feuerwehrmann
Sägearbeiter Gerber,Taglöhner
Säger Grundarbeiter
Scherarbeiter Gußfahrer
Scherer Güterbodenarbeiter
Schienenrichter Hafenarbeiter
Schlepper Hammerreiniger
Schlosser,Heizer Handarbeiter
Schmelzarbeiter Handlanger
Schmiedearbeiter Hilfsarbeiter
Stabrichter Hilfsarbeiter Anstreicher
Stahlarbeiter Holzfäller
Stahlwerkarbeiter Holzhauer
Steinmetzarbeiter journalier
Straßenbahnarbeiter journalière
Strumpfarbeiter Kehrbube
tâcheron Kesselputzer
tâcheron,cabaretier Knecht,Steinhauer
Telegraphenarbeiter Knecht,Tagner
tuilier Knecht,Ziegelknecht
Tüncher Koksarbeiter
Wagenwärter Koksarbeiterin
Walzarbeiter Kostgeber u. Arbeiter
Walzenwechsler Luppenfahrer
Wiegenrichter Magazinarbeiter
Zementarbeiter manoeuvre
Zeraentarbeiterin Maurer ,T aglöhner
361
ANHANG B2
Berufsklassifikation
Ofenarbeiter
ouvrier
ouvrier aux chemins de fer
ouvrier d'un magasine
ouvrier des chemins de fer
ouvrier,fruitier
ouvrière
ouvrière en fillets
Packer
Paketträger
pens.Bahnarbeiter
pens.Rottenarbeiter
poseur
Prov Arbeiter
Puddler,Taglöhner
Rottenarbeiter
Sandgräber
Schieferstecher
Schlackenfahrer
Schlackenkipper
Schlackenklopfer
Schmied,Taglöhner
Schwerarbeiter
Stationsarbeiter
Steinbrecher
Steinhauer
Steinhauergehilfe
Steinkipper
Straßenarbeiter
Stundenarbeiter
Stundenarbeiterin
Tagearbeiter
Taglöhner
T agi ohne r(Landwi rtschaft)
Taglöhner3ahnar beiter
TagIöhner,Bergmann
Taglöhner3ürogehilfe
Taglöhner3 Bäcker
Taglöhner,fr.Bergmann
Taglöhner,fr. Gärtner
Taglöhner,fr.Händler
Taglöhner,fr.Pudd]er
Taglöhner »fr.Schlepper
Taglöhner Jx.Schneider
Taglöhner .fr.Schuster
Taglöhner »Invalide
Taglöhner,Knecht
Taglöhner »Krämer
Taglöhner .Maurer
Taglöhner,Minette arbeiter
Taglöhner,Schlosser
Taglöhner .Schmied
Taglöhner .Schuhmacher
Taglöhner,Schuster
Taglöhner,Steinbrecher
Taglöhner,Steinhauer
Taglöhner,Ziegler
Taglöhnerin
Taglöhnerin,Magd
Tagner
Tagner,Knecht
Tagner,Schlosser
Tagnerin
terrassier
terrassier aux chemins de fer
Thùrzieher
veuf,manoeuvre
veuve,journalière
Wagenschieber
Witwe,Taglöhnerin
Zementarbeiter,Taglöhner
Ziegelarbeiter,Tagner
Ziegler,Taglöhner
320 Arbeiter im Transportgewerbe
Bergmann »Fuhrmann
charretier
chauffeur
cocher
Fahrknecht
Fährmann
Fuhrknecht
Fuhrmann
Kärrner
Kutschand
Kutscher
Milchkutscher
Rollfährmann
Schiffer
Schiffeknecht
Steuermann,Schiffer
Transporteur
voiturier
330 Hausierer
Arbeiter3ausierer
Colbotör
Colporteur
Colporteur .fr-Gärtner
Colporteur3-Schremer
Hausier
Hausierer
Hausierhändlerin
Kesselflicker
Kolporteur
Kolporteur ,fr3arbier
Lumpenhändler
Lumpensammler
362
ANHANG B2
Berufsklassifikation
Regenschirmflicker
revendeur
Scherenschleifer
Silberputzer
veuve,chiffonnière
veuve,revendeuse
340 Untere Angestellte
Amrae
Arbeiter,Hausbursche
Bäckeraushilfe
Bote
Büffetfräulein
Büreaudiener
Büreaudiener.Wirt
Diener
Dienstbote
Dienstknecht
Dienstmädchen
Dienstmädchen,Kellnerin
Dienstmädchen,Näherin
Dienstmädchen,Serviererin
Dienstmagd
Dienstmagd,Ehefrau
Dienstmagd,Kassiererin
domestique
fr.Kellnerin
garçon d'écurie
garçon,brasseur
Hausbursche
Hausbursche Arbeiter
Hausbursche Jfüttenarb.
Hausdiener
Hausgehilfin
Haushaltsmagd
Hausknecht
Hausmädchen
Hausmeisterin
huissier
Kammermädchen
Kammerzofe
Kellner
KeUnerJfüttenarbeiter
Kellner,Schnei der
Kellnerin
Kellnerin,Büglerin
Kellnerin,Magd
Kellnerlehrling
Kinderfräulein,Telefonistin
Köchin,Kellnerin
Küchenmädchen
Laufbursche
Mädchen
Magd,Kellnerin
Modistin,Servierfräulein
Pferdejunge
Pförtner
Portier
portier
premier serviteur
Sängerin,Kellnerin
Schenkamme
Servante
servante
Serviermädchen
Stundenfrau
Stundenmädchen
Stundenmagd
Stütze
Stütze der Hausfrau
Tagewächter
Zapfer
Zimmermädchen
Zimmermagd
341 Ladenpersonal, Verkäuferinnen
Geschäftsfräulein
Geschäftsmädchen
Kauffräulein
Ladenfräulein
Ladengehilfin
Ladenmädchen
modiste
Modistin
Verkäufer
Verkäuferin
Verkäuferin(Aushilfe)
veuve,modiste
342 sozialpflegerische Berufe
Haushälterin
Haushaltsschülerin
Hebamme
Kinderfrau
Kinderfräulein
Kindergärtnerin
Kinderlehrerin
Kindermädchen
Kinderschulhilfslehrerin
KJeinkinderlehrerin
Krankenpflegerin
Krankenschwester
Krankeaschwester.Vorsteherin
Krankenwärter
Lazarettgehilfe
Magdjfaush älterin
ménagé
Näherin .Haushälterin
363
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
Ordenskrankenschwester
Schwester
350 Untere Beamte, Angestellte im öffent-
lichen Dienst
aiguilleur aux chemins de fer
Amtsdiener
Bahnhofsbotendienst
Bahnhofswächter
Bahnsteigschaffner
Bahnwärter
Bannhüter
Barrierenwärter
Bremser
Bremser,Eisenbahnschlosser
Briefbote
Briefträger
Büreaugehilfe,Kesselschmied
Büreaugehilfe
Bürogehilfe
Bürogehilfe,Fabrikarbeiter
cantonnier
Dienstmann
Eisenbahnnachtwächter
Eisenbahnschaffner
facteur des postes
Fahrkartenausgeberin
Feldhüter
fr.Bahnwärter
garde de barrière
garde de frein
garde-barrière
garde-champs
garde-frein
Gerichtsvollziehergehilfe
Grenzaufseher
Grubenhüter
Hafenwächter
Hilfsaufseher
Hilfsbahnwärter
Hilfsbremser
Hilfsgefangenenaufseher
Hilfsschreiber
Hilfsvollziehungsbeamter
Hilfsweichensteller
Lehrerin,Telegraphengehilfin
Nachtwächter
Nachtwächter (Militärinvalide)
Parkwärter
pens.Bahnwärter
pens.Bremser
pens, Briefträger
pens.Eisenbahnschaffner
pens.Grubenhüter
pens.Küster
pens.Schutzmann
pens. We ichensteller
Polizeidiener
portier à la gare
Postbeamter
Postbeamter.Briefbote
Postbote
Postexpedäent
Posthilfsbote
Postillion
Postschaffner
Postunterbeamter
Rangierer
sacristain
sacristain protestant
Schaffner
Schlachthofdiener
Schließer
Schreibgehilfe
Schuldiener
sonneur
Straßenbahnkontrolleur
Straßenbahnschaffner
Straßenwärter
surveillant de nuit d'octroi
surveillant de nuit de la gare
Tannhüter
Telegraphenbote
Weichensteller
360 Soldaten
Militär invalide
musicien du militaire
P.Linien.Inf.R.135
Regimentsschneider
S.L.Drag.R.6
Soldat
Ulan
Ulanentrompeter
370 sonstige Unterschicht
Artist
Artistin
Bettlerin
Blumenbinderin
fossoyeur
Invalide
Klavierspieler
Krüppel
Lehrmädchen
MusikerJ-Iüttenarbe iter
ohne, fr.Lumpensammler
pens.Invalide
Schaubudenbesitzer
364
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
Schaukelbesitzer
Schausteller
Schausteller,Buchdrucker
Schaustellerin
Schießbudenbesitzer
Schüler,Arbeiter
Schüler,Taglöhner
Totengräber
Totenträger
999 nicht klassifiziert
a.D.
Abfüller
accrocheur
Bordeier
Brenner
commissionnaire
écolier
Eisenbahndienst
facteur
faveur
Feldmesser
Gehilfe
Gehilfin
Kiffer
Kohlenmesser
locataire
luandier
Maier
Maßgehilfe
ménagère
meyisier
Missionär
musicien
Musiker
Pensionär
Pensionärin
pensionnaire
percepteur des fontes
Pfeifenbäcker
Putzmacherin
rentier
rentière
Rentner
Rentnerin
retraité
samoneur
Sängerin
Schauspieler
Schauspielerin
Schengler
Scheuerexuitor
Schüler
Schülerin
seieur de long
veuve,rentière
Wächter
Wächter,Krämer
Witwe,Rentnerin
0 ohne Beruf
(Ehefrau)
(Erben)
(Pflegekind)
(veuve)
(Witwe)
(Witwer)
ohne Beruf
veuve,ménagère
KOMMENTAR
Die im Darstellungsteil dieser Arbeit getroffenen Aussagen über die Sozialstruktur der
Zuwandererschaft bzw. über die Veränderungen im Sozialgefüge in den ausgewählten
Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes beziehen ihre analytische Relevanz aus den
zugrunde liegenden Schichtungsmodellen. Ausgangspunkt dieser Modelle waren die Be-
rufsbezeichnungen, mit denen sich die untersuchten Personen bei ihrer Anmeldung in
ihrem neuen Wohnort bzw. aus Anlaß von Volkszählungen selbst identifizierten. Eine
ausführliche Einleitung und Begründung zu dieser Vorgehensweise findet sich in der
Monographie der bereits mehrfach genannten Bielefelder Forschungsgruppe aus dem Jahre
365
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
1988, woran sich die vorliegende Einteilung sehr eng orientiert.21 So wurden die beiden
seitens der Lundgreen-Gruppe von Wolfgang Köllmann entlehnten Klassifikationsprinzi-
pien einer sektoralen, kombiniert mit einer hierarchischen Gliederung auch hier über-
nommen.22 Umgesetzt wurden diese Prämissen durch die Überführung der etwa 1.600
einzelnen Berufsbezeichnungen in 50 Berufsgruppen. Im Unterschichtenbereich wurde
das Lundgreensche Raster dabei etwas differenziert und den spezifischen Gegebenheiten
in den hiesigen (Industriearbeiter-)Städten angepaßt. Ein wesentlicher Vorteil des
angewandten Verfahrens ist die Möglichkeit zur Zusammenfassung der 50 Berufsgruppen
in größere Einheiten. Damit können die einzelnen Berufskategorien auf eine sehr flexible
Art und Weise in die eigenen oder auch fremde Schichtungsmodelle überführt werden,
was einen hohen Grad an Vergleichbarkeit gewährleistet.23 Um ein tieferes Verständnis
für die in Anwendung gebrachten Schichtungskriterien zu ermöglichen, soll im folgenden
die konkrete Zuordnung von Einzelberufen zu Berufsgruppen - sofern dies von der
Lundgreen-Studie abweicht - näher kommentiert werden. Vorauszuschicken ist, daß
dabei "die generelle Maxime [galt], in Zweifelsfällen jeweils eine Teilschicht tiefer ein-
zuordnen".24
In der vorliegenden Arbeit wurden mit dem Ladenpersonal (Verkäuferinnen) (341), den
sozialpflegerischen Berufen (342) und den qualifizierten Arbeitern mittleren Qualifika-
tionsniveaus (294) drei neue Berufsgruppen eingeführt. Außerdem wurde die von Lund-
green und seinen Mitarbeitern zwar konzipierte, aber aufgrund der geringen Fallzahl nicht
eigens berücksichtigte Berufsgruppe der Heimarbeiter (280) hier miteinbezogen.25
21 Vgl. Lundgreen, Bildungschancen, S.35Iff.
22 Vgl. ebda., S.352f. und Köllmann, Wolfgang: 'Schema der Gesellschaftsordnung und Mobüität
in der Hochindustrialisierungsperiode' im Artikel 'Industrielle Bevölkerung, Binnenwanderung
und Verstädterung', in: Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, hg. von
Hermann Aubin und Wolfgang Zorn, Bd.2, Stuttgart 1976, S. 17-27, hier: S.19; vgl. bereits zuvor
Köllmann, Wolfgang: The Process of Urbanization in Germany at the Height of the Industrializa-
tion, in: Journal of Contemporary History 4 (1969), H.3, S.59-76, hier: S.71.
23 Vgl. Lundgreen, Bildungschancen, S.353f.
24 Ebda., S.354.
25 Vgl. ebda., S.354-359. Zu den Heimarbeitern vgl. ebda., S.358.
366
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
Die Rubriken des Ladenpersonals (341) und der sozialpflegerischen Berufe (342) entstan-
den durch eine feinere Untergliederung der Berufsgruppe der unteren privatwirtschaftli-
chen Angestellten (340), welche infolgedessen mehr oder weniger nur noch die niederen
Dienstboten bzw. Hausangestellten sowie das Gaststättenpersonal enthält. Die Domestiken
und das Servierpersonal bildeten in der Untersuchungsperiode einen eigenständigen und
relativ umfangreichen Personenkreis. Sie lassen sich leicht unterscheiden von den beiden
Altemativgruppen (1.) des durch seinen repräsentativen Umgang mit Kunden sozial um
einige Nuancen höher gestellten Verkaufspersonals (341) sowie (2.) der recht jungen,
durch die vielerorts entstehenden Fachschulen qualifizierten und im Aufschwung begrif-
fenen Sozialpflegeberufe (342). Die Differenz zwischen den Commis, Handlungsgehilfen,
Verwaltern (231) und den Verkäuferinnen (341) wird in der sehr stark ausführenden
Funktion letzterer unter Ausschluß jeglicher Leitungsaufgaben gesehen.
Im Bereich der Arbeiterschaft (ohne Handwerksberufe und Hausierer) werden vier
Qualifikationsniveaus unterschieden, zuzüglich der Heimarbeiter (280) und der Arbeiter
im Transportgewerbe (320). Die Lundgreensche Gliederung in gelernte Fabrikarbeiter
(293), angelernte Arbeiter (300) und ungelernte Arbeiter (310) wurde dabei im Über-
gangsbereich zwischen angelernten und gelernten Arbeitern um eine Berufskategorie mit
einem mittleren Qualifikationsgrad erweitert (294). So ordnet Lundgreen beispielsweise
die Bergleute mangels einer längeren oder gar formellen Ausbildung der Gruppe der
angelernten Arbeiter (300) zu.26 Meines Erachtens ist allerdings bei gewissen Berufen
in der Montanindustrie, wie etwa dem des Bergmanns, die Existenz eines durchaus
fundierten, wenn auch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt noch informellen Ausbil-
dungsganges zu berücksichtigen. Darüberhinaus charakterisiert auch diesen Beruf zwei-
felsohne ein Grad an Spezialisierung, welcher gerade die Hauerfunktion von Anlemtätig-
keiten wie denen des nicht näher bezeichneten Hüttenarbeiters, Fabrikarbeiters, Kessel-
heizers o.ä. unterscheidet, für die der Erwerb einer profilierten, auf Dauer berufs-
quaiifizierenden Spezialfertigkeit keineswegs vorausgesetzt werden kann. Die Abgrenzung
der Berufsgruppe der qualifizierten Arbeiter (294) nach oben zu den hochqualifizierten
Fabrikarbeitern (293) ist jedoch weiterhin sinnvoll. Nur ein enger Kreis von Arbeitern
verrichtete infolge einer soliden und spezialisierten Ausbildung eine solchermaßen hoch-
26 Vgl. ebda., S.347 und S.358.
367
ANHANG B2 * Berufsklassifikation
qualifizierte Tätigkeit, die diesen Fachkräften sowohl eine entsprechend höhere Ent-
lohnung einbrachte als auch beste innerbetriebliche Aufstiegsmöglichkeiten bot, was ihnen
wiederum das Sozialprestige von "Arbeiteraristokraten" eintrug und sie von der restlichen
Arbeiterschaft abhob.
In allen anderen Fällen folgt die vorliegende Einteilung der Berufsgruppen den Zuord-
nungskriterien der Lundgreen-Gruppe. Bei der sozialen Schichtung nach Wirtschafts-
sektoren (III.) wurde jedoch aus Gründen der Übersichtlichkeit auf die zusätzliche
Gliederung nach Ober-, Mittel- und Unterschicht verzichtet. Eine entsprechende Zuwei-
sung ist im Bedarfsfälle durch die Kombination des ökonomischen Schichtungsmodells
(III.) mit dem gesellschaftlichen Stratifikationsansatz (II.) problemlos auch nachträglich
zu leisten. Die Grundsätze zur sozialen Schichtung nach Rängen und Sozialgruppen
entsprechen in analoger Weise den im Lundgreen-Band ausgeführten Prinzipien.27
3. Zur Parametrisierung der Variablen ‘Geburtsort', 'Herkunftsort' und 'Zielort'
Zur Operationalisierung der geographischen Melderegistervariablen Geburtsort, Her-
kunftsort und Zielort wurden die Distanzparameter Entfernung, Landschaft und Ökono-
mischer Rang eingeführt. Die Installierung dieser Hilfsvariablen gründet auf der
Überlegung, daß für das Migrationsgeschehen neben dem reinen Entfernungsfaktor
möglicherweise sowohl die Zugehörigkeit der Geburts-, Herkunfts- und Zielorte zu
bestimmten festgefügten landschaftlichen Einheiten als auch deren Lage in Wirtschafts-
räumen mit einem spezifischen Industrialisierungs- bzw. Urbanisierungsgrad relevant
gewesen sein könnte.
Der Parameter Entfernung berücksichtigt dabei den quantitativ meßbaren Aspekt der
reinen Kilometerdistanz zwischen der Herkunfts- bzw. Zielregion eines Zu- bzw. Ab-
wanderers, d.h. die verkehrstechnische Komponente, während mittels der beiden anderen
Parameter eine Qualifizierung eher struktureller Distanzen angestrebt wird.
Unter Landschaften werden mehr oder minder naturräumliche Einheiten verstanden, mit
einem traditionellen, integrativen Hintergrund, die jedoch entweder quer über Staats-
27 Vgl. ebda., S.359-362.
368
ANHANG B3 * Distanzparameter
oder Provinzialgrenzen liegen, oder aber geographische Verwaltungsgrößen jedweder
Art ohne Rücksicht auf die politische bzw. staatsrechtliche Realität zusammenfassen.
So können Landschaften, wie etwa die Eifel, einerseits Untergliederungen von Staatsge-
bieten - in diesem Falle Preußens - bilden, andererseits aber auch grenzübergreifend
Territorien vereinen, wie z.B. im Falle des Hunsrücks, wo Teile des preußischen und
Teile des oldenburgischen Staatsverbandes Zusammenkommen. Aus der Perspektive
dreier, nicht weit voneinander entfernter Untersuchungsstädte muß dabei der Landschafts-
begriff, mit für alle drei Kommunen zunehmender räumlicher Distanz zu den Herkunfts-
bzw. Zielorten und zugleich abnehmender Wanderungsintensität, sukzessive weiter gefaßt
werden, so daß eine gewisse Staffelung der benannten Landschaften zustande kommt.
Folglich wird beispielsweise parallel mit den Größen Pfalz, Süddeutschland, Südeuropa
und Übersee gearbeitet.
Die alternative Betrachtung der aus den Dokumenten ebenfalls verfügbaren Variablen
Staatsangehörigkeit, also einer Einheit mit einem eindeutigen territorialen Bezug, würde
insofern nicht zu aussagekräftigen Ergebnissen führen, als etwa Preußen ein Staatsgebiet
umfaßte, das sowohl unmittelbare Nachbarschaftswanderungen als auch Femwanderungen
in Bezug auf den Saar-Lor-Lux-Raum ermöglichte. Zudem läßt sich die Wirkung
administrativer Steuerungsmechanismen auf das Wanderungsverhalten von einem Staat
in einen anderen auch leicht aus dem Zu- und Abstrom aus bzw. nach enger definierten
geographischen Einheiten fassen.
Durch den Landschaftsparameter ist die Herausarbeitung spezifischer Raumrelationen
beabsichtigt, die sich in der bevorzugten, kollektiven Wahl bestimmter Wanderungsziele
durch einzelne Landsmannschaften äußerten. Die Betrachtung landsmannschaftiicher
Mobilitätsmuster ergänzt das einfache Entfemungsmodell mit seinen konzentrischen
Kreisen um die Untersuchungsgemeinden. Sie stellen einen Erklärungsansatz dafür dar,
daß mit wachsender Entfernung die Wanderungsintensität nicht linear, sondern in
Abhängigkeit von gewissen Raumfaktoren, wie der landschaftlichen Geschlossenheit einer
Region, quasi stufenförmig abnahm.
Der ökonomische Rangparameter schließlich mißt die strukturelle Distanz zwischen den
jeweiligen Wirtschaftsräumen, in welchen Diedenhofen, Esch und Malstatt-Burbach
gelegen sind, und den Herkunfts- bzw. Zielgebieten der Migranten. Als Grundlage hierfür
dient eine Studie von Oskar Schwarzer über die räumliche Wirtschaftsordnung in
369
ANHANG B3 * Distanzparameter
Deutschland um 1910.28 Für den Teil derjenigen deutschen und luxemburgischen
Migranten, deren Herkunfts- oder Zielorte nicht weiter als zirka 150 bis 200 Kilometer
von den Untersuchungsgemeinden entfernt lagen, konnte diese Hilfsvariable in Anwen-
dung gebracht werden. Schwarzers Qualifizierungsvariable unterscheidet zehn Ent-
wicklungsstufen, die mit Rangzahlen zwischen 1 und 10 den Industrialisierungs- und
Urbanisierungsgrad der politischen Kreise Deutschlands in dieser Periode definieren. Im
vorliegenden (weiteren) Untersuchungsraum erzielte um das Jahr 1910 die Stadt Straßburg
mit dem Wert 7 den höchsten Agglomerationsgrad, dem Kreis Saarbrücken wurde der
Wert 6, dem Kreis Diedenhofen-West und der Stadt Diedenhofen sowie dem Kanton
Esch wurde der Wert 5 zugemessen.29 Schwarzers Zuweisung zu den zehn Rang-
kategorien ergibt sich aus einer Clusteranalyse30 über die Klassifikationsobjekte politi-
sche Kreise Deutschlands um 1910 und deren Klassifikationsmerkmale, welche wären:
Beschäftigte in der Landwirtschaft, im Gewerbe und im Dienstleistungssektor, Bevölke-
rungsdichte pro landwirtschaftlicher Nutz- bzw. städtischer Verwaltungsfläche, Orts-
klassenrelation und Ortsklassengrößenspannweite, Anzahl der Branchen je Region, Anzahl
industriefähiger Branchen, Betriebsgrößen nach Beschäftigtenzahlen, landwirtschaftliche
Betriebsgrößen bezogen auf die Nutzfläche, landwirtschaftlich Beschäftigte bezogen auf
die Nutzfläche, Anteile traditioneller (Textil-, Leder-, Bekleidungsindustrien) und
moderner (Metallverarbeitung, Maschinenbau, chemische und polygraphische Industrien)
Branchen an der Beschäftigtenzahl, Anteile der Versorgungsbranchen an der Beschäftig-
28 Schwarzer, Oskar: Die räumliche Ordnung der Wirtschaft in Deutschland um 1910. Ein
historisch-systematischer Ansatz zu einer Theorie wirtschaftlicher Entwicklung und strukturellen
Wandels, Stuttgart 1990.
29 Der ländliche Kreis Diedenhofen-Ost, in dem die Stadt Diedenhofen als Kapitale des West-
ais auch Ostkreises gelegen war, erhielt von Schwarzer die Rangziffer 2. Das Großherzogtum
Luxemburg wurde in Schwarzers Arbeit nicht berücksichtigt, meinerseits jedoch in die beiden
Teilräume Nordostluxemburg (Ösling) und Südwestluxemburg (Erzbecken) untergliedert, denen
aufgrund meiner subjektiven Einschätzung die Rangzahlen 2 (Norden) und 5 (Süden) zugewiesen
wurden. Auf eine Einordnung der nächstgelegenen französischen Départements und belgischen
Provinzen wurde allerdings verzichtet.
30 Vgl. Anhang C2.
370
ANHANG B3 * Distanzparameter
tenzahl sowie Anteile von Branchen des Verkehrswesens, der Banken, Versicherungen
und des Handels an der Beschäftigtenzahl.31
Ausgangspunkt für die Distanzparametrisierung ist die Zuordnung der ca. 7.000 unter-
schiedlichen Ortsangaben aus den drei Melderegistervariablen Geburtsort, Herkunftsort
und Zielort zu 86 Regionalkategorien, die im folgenden mit dem Begriff Kreise um-
schrieben werden sollen. Für das nähere Umland, d.h. für die Orte mit einer maximalen
Distanz von 150 bis 200 Luftlinienkilometem zu den Untersuchungsstädten, wurden
tatsächlich die politischen Kreise als Operationalisierungsgröße gewählt. Nur auf diese
Kreise konnte in Folge auch die ökonomische Rangparametrisierung Anwendung finden.
Mit wachsender Entfernung wurden aus praktischen Gründen auch die grundlegenden
Regionalkategorien räumlich weiter gefaßt, so daß unter dem Kreisbegriff letztlich auch
Provinzen (z.B. Brandenburg) und Nationalstaaten (z.B. Schweden) bis hin zu Kon-
tinenten (z.B. Afrika) Vorkommen.32
In einem nächsten Schritt wurden diese 86 Kreise einerseits in 18 Landschaften (I.)
überführt und andererseits 10 Entfernungsklassen (II.) zugeordnet. Mehr als die Hälfte
der Kreise, 48 an der Zahl, konnten zudem mit einem ökonomischen Rangparameter (IV.)
identifiziert werden. Die belgischen und französischen Herkunfts- und Zielorte wurden
zudem zwecks Detailanalysen bezüglich der entsprechenden Wanderersektionen einer
eigenen, zusätzlichen Regionalklassifizierung (III.) unterworfen.
31 Vgl. Schwarzer, Räumliche Ordnung, S.A4-A10.
32 Die Auflistung der 7.134 Ortsnamen einschließlich der Kreise, denen diese zugewiesen wurden,
erschien nicht eigens angebracht, da eine Zuordnung zu Regionalgrößen im Gegensatz zu einer
Berufskategorisierung auf objektiven, allgemeingültigen Kriterien beruht. Die einzelnen Namen
der berücksichtigten Kreise und Erläuterungen zur Kreiseinteilung sind der Land-
schaftsparametrisierung (I.) zu entnehmen.
Hinweis: Aus verschiedenen Gründen waren nicht alle Ortsnamen eindeutig geographisch zuzu-
ordnen. Erstens tragen verschiedene Orte den gleichen Namen und sind ohne nähere Angaben
nicht zu identifizieren. Zweitens finden sich zuweilen Schreibfehler in den Registern, die eine
Identifizierung erschweren. Beispielsweise wurde an einer Stelle im Melderegister der saarländi-
sche Bliesgauort Neualtheim als "Neialdhem" eingetragen - wohl weil der Schreiber mit dem
saarpfälzischen Dialekt seines Klienten nichts anfangen konnte. Im Zuge der Datenaufbereitung
unterblieb im Zweifelsfalle die geographische Klassifizierung.
371
ANHANG B3 * Distanzparameter
I. Landschaftsklassifizierung der Kreise33
EIFEL
Bitburg
Cochem
Daun
Mayen
Prüm
Wittlich
ELSASS
Hagenau (Haguenau)
Molsheim
Oberelsaß [sonstiges]
Schlettstadt (Séléstat)
Straßburg-Land (Strasbourg-Campagne)
Straßburg-Stadt (Strasbourg-Ville)
Weißenburg (Wissembourg)
Zabem (Saveme)
HUNSRÜCK
Bemcastel-Cues
Birkenfeld
St.Goar
Kreuznach
Simmem
Trier (Land u. Stadt)
Zell/Mosel
LOTHRINGEN
Bolchen (Boulay)
Chateau-Salins
Diedenhofen-Ost (Thionville-Est)
Diedenhofen-West (Thionville-Ouest)
Forbach
Metz
Saarburg/Lothr. (Sarrebourg)
Saargemünd (Sarreguemines)
LUXEMBURG
Luxemburg (Nordosten, Ösling)
Luxemburg (Südwesten, Erzbecken)
MITTELDEUTSCHLAND
Brandenburg
Sachsen
Thüringen
NORDDEUTSCHLAND
Braunschweig
Hannover
Holstein
Mecklenburg
Oldenburg
NORD WESTEUROPA
•Belgien
Dänemark
•Frankreich
Großbritannien
Niederlande
Schweden
OSTDEUTSCHLAND
Ostpreußen
Pommern
Posen
Schlesien
Westpreußen
OSTEUROPA
Rußland
PFALZ
Bergzabern
Frankenthal
Germersheim
Homburg
Kirchheim-Boianden
Kaiserslautern
Kusel
Landau
Neustadt/Weinstraße
Pirmasens
Speyer
Zweibrücken
33 Die regionalspezifische Distanzklassifizierung der mit * gekennzeichneten Kreise Belgien und
Frankreich findet sich im Abschnitt (III).
372
ANHANG B3 * Distanzparameter
SAAR
Ottweiler
Saarburg/Saar
Saarbrücken
Merzig
ÜBERSEE
Afrika
Amerika
Asien
Saarlouis
St.Wendel
WESTDEUTSCHLAND
Hessen
Rheinprovinz [sonstige]
Westfalen
SÜDDEUTSCHLAND
Baden
Bayern
Hohenzollem
Württemberg
SÜDEUROPA
Schweiz
Italien
Österreich
Serbien
Spanien
Die Rubrik Kreis bezeichnet in der Regel Territorien in ihren rechtlichen Grenzen des
Stichjahres 1871. Dies gilt für politische Kreise, Provinzen und Staaten. Überseeische
Staaten werden wegen der niedrigen Fallzahlen kontinental (Afrika, Amerika, Asien) zu-
sammengefaßt. Die Bezeichnungen Hessen, Sachsen und Thüringen wurden als Oberbe-
griffe für einzelstaatlich mehr oder weniger stark zersplitterte Regionen gewählt und
beinhalten jeweils alle unter diesen Termini einzuordnenden Königreiche, Provinzen,
Herzogtümer und freien Städte. In ihrer Flächenausdehnung unbedeutende Kleinstaaten
werden angrenzenden oder sie umschließenden größeren Territorien zugeschlagen. So
rechnen z.B. die Fürstentümer Schaumburg-Lippe und Lippe-Detmold zu Westfalen
sowie die Hansestadt Bremen zum Hannoverischen, das Herzogtum Lauenburg und die
Hansestädte Hamburg und Lübeck zu Holstein. Der Begriff Oldenburg bezeichnet aus-
schließlich die norddeutschen Gebiete des Großherzogtums ohne das dazugehörige Für-
stentum Birkenfeld. Mit Bayern sind die bayerischen Lande ohne die Rheinpfalz gemeint.
Mit Rheinprovinz werden diejenigen Kreise der preußischen Rheinprovinz benannt,
welche nicht eigens unter den Landschaftsbezeichnungen Saar, Hunsrück oder Eifel
Berücksichtigung finden. Der Begriff Oberelsaß vereint alle oberelsässischen Kreise (Alt-
kirch, Colmar, Gebweiler, Mülhausen, Rappoltsweiler, Thann) zuzüglich des (infolge
373
ANHANG B3 * Distanzparameter
der Sogwirkung Straßburgs) sehr selten vorkommenden unterelsässischen Kreises Erstein.
Der Kreis Luxemburg (Südwest, Erzbecken) umfaßt die Kantone Mersch, Luxemburg-
Stadt, Luxemburg-Land, Capellen und Esch-sur-Alzette, d.h. den Distrikt Luxemburg.
Die restlichen Kantone, also die Distrikte Diekirch und Grevenmacher beinhaltet der
Kreis Luxemburg (Nordost, Ösling).
Für das Diedenhofener Land werden gemäß der Kreisreform des Jahres 1901, aus welcher
durch eine bloße Aufspaltung des bisherigen Kreises die beiden ökonomisch höchst
verschieden strukturierten Verwaltungseinheiten Diedenhofen-Ost und Diedenhofen-West
hervorgingen, durchgängig zwei Kreis-Bezeichnungen geführt.
Für das Gebiet der bayerischen Rheinpfalz sind jedoch ausschließlich die Verwaltungs-
grenzen von 1871 maßgeblich, d.h. das später eigenständige Bezirksamt St.Ingbert wird
auch über die Reform des Jahres 1902 hinaus bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes
zum Bezirksamt (= Kreis) Zweibrücken gerechnet. Die Region Zweibrücken-St.Ingbert
erfuhr, wie die Untersuchung Schwarzers zeigt, eine einheitliche Entwicklung34, so daß
kn Gegensatz zum Kreis Diedenhofen aufgrund der strukturellen Kontinuität die - gemäß
dem zeitlichen Rahmen der Studie - länger gültige Gebietsstruktur zur Distanzparame-
trisierung herangezogen werden konnte. Ferner sollte beachtet werden, daß bis zur Völ-
kerbundsverwaltung des Saargebietes im Anschluß an den ersten Weltkrieg die geogra-
phische Ausdehnung der Bezirksämter Homburg und Kaiserslautern in ihrer starken
östlichen Orientierung völlig verschieden von der Gestalt der heutigen Kreise gleichen
Namens war.
Bei der Nennung Rußlands und Österreichs ist darauf hinzuweisen, daß darunter im einen
Falle auch größere russisch verwaltete polnische Siedlungsgebiete, im anderen Falle auch
größere österreichisch verwaltete italienische Siedlungsgebiete subsummiert sind, die
hinsichtlich des untersuchten Migrationskontextes von Bedeutung waren.
34 Vgl. Schwarzer, Räumliche Ordnung, S.A111.
374
ANHANG B3 * Distanzparameter
Abb.37 : Die Landschaftsklassifizierung der Kreise in Eifei, Elsaß, Hunsrück, Lothringen,
Luxemburg, Pfalz und Saarrevier
375
Abb.38 : Die Landschaftskiassifizierung der Kreise außerhalb der Saar-Lor-Lux-Region
ANHANG B3 * Distanzparameter
ANHANG B3 * Distanzparameter
II. Entfemungsklassifizierung der Kreise
Distanz in Bezug auf ...
Malstatt-Burbach
A (eigener Kreis)
Saarbrücken
B (näher als 30 km)
Bolchen
Forbach
Homburg
Merzig
Ottweiler
Saargemünd
Saarlouis
St.Wendel
Zweibrücken
C (ca.30-80 km)
Bemcastel-Cues
Birkenfeld
Bitburg
Bergzabern
Chateau-Sai ins
Diedenhofen (West u.
Ost)
Hagenau
Kirchheirn-Bolanden
Kaiserslautern
Kreuznach
Kusel
Landau
Luxemburg (Nordost u.
Südwest)
Metz
Molsheim
Neustadt/W einstraße
Pirmasens
Saarburg/Lothringen
Saarburg/Saar
Simmem
Straßburg (Land u. Stadt)
Trier (Land u. Stadt)
Weißenburg
Wittlich
Zabem
Zell/Mosel
D (ca.80-300 km)
‘Belgien
Baden
Cochem
Daun
Diedenhofen
A (eigener Kreis)
Diedenhofen-Ost
B (näher als 30 km)
Bolchen
Diedenhofen-West
Luxemburg (Südwest)
Metz
Saarburg/Saar
C (ca.30-80 km)
•Belgien
Bemcastel-Cues
Birkenfeld
Bitburg
Chateau-Salins
•Frankreich
Forbach
Homburg
Kusel
Luxemburg (Nordost)
Merzig
Ottweiler
Prüm
Saarburg/Lothringen
Saargemünd
Saarbrücken
Saarlouis
St.Wendel
Trier (Land u. Stadt)
Wittlich
Zweibrücken
D (ca.80-300 km)
•Belgien
Baden
Bergzabern
Cochem
Esch
A (eigener Kreis)
Luxemburg (Südwest)
B (näher als 30 km)
Diedenhofen-Ost
Diedenhofen-West
Saarbur^Saar
C (ca.30-80 km)
‘Belgien
Bemcastel-Cues
Birkenfeld
Bitburg
Bolchen
Chateau-Salins
•Frankreich
Forbach
Luxemburg (Nordost)
Metz
Merzig
Ottweiler
Prüm
Saarbrücken
Saarlouis
St.Wendel
Trier (Land u. Stadt)
Wittlich
D (ca.80-300 km)
•Belgien
Baden
Bergzabern
Cochem
377
ANHANG B3 * Distanzparameter
‘Frankreich
Frankenthal
Germersheim
Hessen
Hohenzollem
Mayen
Oberelsaß [sonstiges]
Prüm
Rheinprovinz [sonstige]
Schlettstadt
Speyer
St, Goar
Württemberg
E (ca.180-450 km)
‘Belgien
Bayern
‘Frankreich
Niederlande
Schweiz
Thüringen
Westfalen
F (ca.300-550 km)
Braunschweig
‘Frankreich
Hannover
Oldenburg
Sachsen
G (ca.500-750 km)
Brandenburg
‘Frankreich
Großbritannien
Holstein
Italien
Mecklenburg
Österreich
Daun
‘Frankreich
Frankenthal
Germersheim
Hagenau
Hessen
Kirchheim-Bolanden
Kaiserslautem
Kreuznach
Landau
Mayen
Molsheim
Neustadt/Weinstraße
Oberelsaß [sonstiges]
Pirmasens
Rheinprovinz [sonstige]
Schlettstadt
Simmem
Speyer
St.Goar
Straßburg (Land u. Stadt)
Weißenburg
Zabem
Zell/Mosel
E (ca. 180-450 km)
‘Belgien
‘Frankreich
Hohenzollem
Niederlande
Schweiz
Thüringen
Westfalen
Württemberg
F (ca.300-550 km)
Bayern
Braunschweig
‘Frankreich
Hannover
Oldenburg
Sachsen
G (ca.500-750 km)
Brandenburg
‘Frankreich
Großbritannien
Holstein
Italien
Mecklenburg
Österreich
Daun
‘Frankreich
Frankenthal
Germersheim
Hagenau
Hessen
Homburg
Kirchheim-Bolanden
Kaiserslautem
Kreuznach
Kusel
Landau
Mayen
Mölsheim
Neustadt/Weinstraße
Oberelsaß [sonstiges]
Pirmasens
Rheinprovinz [sonstige]
Saarburg/Lothringen
Saargemünd
Schlettstadt
Simmem
Speyer
St.Goar
Straßburg (Land u. Stadt)
Weissenburg
Zabem
Zell
Zweibrücken
E (ca. 180-450 km)
‘Belgien
‘Frankreich
Hohenzollem
Niederlande
Schweiz
Thüringen
Westfalen
Württemberg
F (ca.300-550 km)
Bayern
Braunschweig
‘Frankreich
Hannover
Oldenburg
Sachsen
G (ca.500-750 km)
Brandenburg
‘Frankreich
Großbritannien
Holstein
Italien
Mecklenburg
Österreich
378
ANHANG B3 * Distanzparameter
H (ca.700-950 km)
Dänemark
Pommern
Posen
Schlesien
Westpreußen
I (weiter als 900 km)
Ostpreußen
Rußland
Schweden
Serbien
Spanien
K (Übersee)
Afrika
Amerika
Asien
H (ca.700-950 km)
Dänemark
Pommern
Posen
Schlesien
I (weiter als 900 km)
Ostpreußen
Rußland
Schweden
Serbien
Spanien
Westpreußen
K (Übersee)
Afrika
Amerika
Asien
H (ca.700-950 km)
Dänemark
Pommern
Posen
Schlesien
I (weiter als 900 km)
Ostpreußen
Rußland
Schweden
Serbien
Spanien
Westpreußen
K (Übersee)
Afrika
Amerika
Asien
Entfernungen werden durchweg in Luftlinienkilometem angegeben. Die hier gewählten
Distanzklassen basieren auf der Flächenstruktur der im vorhergehenden Abschnitt (I.)
definierten Kreise. Kriterium zur Bemessung der Entfemungsklassen war also vorrangig
die praktikable Möglichkeit, bestimmte vorgegebene geographische Einheiten in ihrer
räumlichen Distanz zu den Untersuchungsgemeinden gruppenweise zusammenzufassen.
Andere, inhaltliche Kriterien für eine Entfemungsklassifizierung sind gerade für diese
Untersuchungsperiode nur sehr schwer festzumachen. Die Entwicklung des Eisenbahnnet-
zes, der Aufbau kommunaler wie regionaler Nahverkehrssysteme und das Vorantreiben
des Straßenbaus änderten ausgerechnet in dieser Phase die Verkehrsbedingungen innerhalb
der Region fundamental, so daß kaum durchgehend bestimmte Kilometerdistanzen mit
einem täglich oder wöchentlich zu leistenden Einpendlerpensum bzw. einer Tages- oder
Mehrtagesreise zu identifizieren sind. Darum fiel die Entscheidung zugunsten einer
technischen Lösung.
Aufgrund der immensen Flächenausdehnung und der relativen Lage bestimmter Kreise
wurden zum Teil, nämlich im wesentlichen für die Kategorien D (80-300 km), E (180-
450 km) und F (300-550 km), überlappende Distanzbereiche eingerichtet. Im Rahmen
der beabsichtigten strukturellen Analyse erscheint die Herausarbeitung einer zentralen
Tendenz auf der Basis dieser "offenen" Kategorien hinreichend aussagekräftig, zumal
der gesteigerte Arbeitszeitaufwand für eine feinere Kreis-Klassifizierung ungerechtfertigt
gewesen wäre. Entscheidend für die Einordnung in eine Entfemungsklasse ist demzufolge
379
ANHANG B3 * Distanzparameter
die mittlere Kilometerdistanz eines Kreises. Der Kreis Preußische Provinz Westfalen,
dessen Grenzen sich zwischen 180 und 380 Luftlinienkilometem vom Untersuchungsraum
entfernt erstrecken, wird beispielsweise dem Distanzbereich E (180-450 km) zugeordnet.
Zwar liegen nicht unbeträchtliche Teile Westfalens innerhalb des Sektors D (80-300 km),
doch ist die erfolgte Zuordnung dadurch sinnvoll, daß von einer primären Anziehungs-
kraft westfälischer Binnenzentren ausgegangen werden muß, welche die strukturelle Di-
stanz, d.h. die Distanz "in den Köpfen" der mobilen Bevölkerung, zum Untersu-
chungsraum effektiv erhöht haben dürfte. Falls die Entscheidung zu einem Wohnort-
wechsel aus dem Westfälischen in das Montanrevier des saarländisch-lothringisch-lu-
xemburgischen Dreiländerecks mental bzw. sicherlich nicht selten auch tatsächlich über
den Umweg westfälischer Zentren führte, ist die Klassifizierung über die mittlere
Entfernung einer Region sowohl vertretbar als auch von analytischer Relevanz. Einem
Zuwanderer aus dem Hessischen (80-310 km) lag wohl tendenziell der Schritt an die
Saar näher als einem Immigranten aus der Schweiz (180-380 km), selbst wenn beide
bislang 250 Luftlinienkilometer von Malstatt-Burbach entfernt gelebt hatten. Auch in
den grundsätzlich objektiven Parameter der räumlichen Entfernung fließt damit eine
strukturelle Komponente mit ein, welche auf subjektive Handlungsmuster einwirkte.
380
ANHANG B3 * Distanzparameter
III. Entfernungsklassifizierung für Belgien und Frankreich35
1) belgische Provinzen
Distanz in Bezue auf... Malstatt-Burbach Diedenhofen Esch
C (ca.30-80 km) - Luxembourg Luxembourg
D (ca.80-180 km) Limburg Lüttich Luxembourg Namur Antwerpen Brabant Hainaut Limburg Lüttich Namur Antwerpen Brabant Hainaut Limburg Lüttich Namur
E (ca. 180-300 km) Antwerpen Brabant Hainaut Ostflandem Westflandem Ostflandem Westflandem Ostflandem Westflandem
französische Départements und Siedlungsräume
C (ca.30-80 km) Meurthe-et-Moselle Meurthe -et- Moselle Meuse Meurthe-et-Moselle Meuse
D (ca.80-180 km) Meuse Ardennes Marne Haute-Marne Vosges Aube Ardennes Marne Haute-Marne Seine-et-Mame Vosges Aube Nord Aisne Ardennes Marne Haute-Marne Seine-et-Mame Vosges Aube Nord Aisne
E (ca. 180-300 km) Seine-et-Mame Nord Aisne Innerfrankreich 1 Innerfrankreich 1 Innerfrankreich 1
F (ca.300-550 km) Innerfrankreich 2 Innerfrankreich 2 Innerfrankreich 2
G (ca.500-750 km) Innerfrankreich 3 Innerfrankreich 3 Innerfrankreich 3
35 Vgl. die Kartendarstellungen, S.186 und S.189.
381
ANHANG B3 * Distanzparameter
Siedlungsräume:
Innerfrankreich 1 = Paris & Départements Côte d'Or, Doubs, Yonne, Haute-Savoie,
Oise, Pas-de-Calais, Seine-Maritime
Innerfrankreich 2 = Départements Manche, Mayenne, Orne, Vendée, Haut-Vienne,
Ardèche, Loire
Innerfrankreich 3 = Départements Pyrénées-Atlantiques, Gironde, Haute-Garonne,
Lot-et-Garonne, Tam-et-Garonne, Aude, Pyrénées-Orientales
Die Distanzklassen unterscheiden sich durch ihre klare Abgrenzung ein wenig von den
in Abschnitt II. gewählten Entfemungsklassen. Aufgrund der relativ kleinräumlichen
Struktur der belgischen Provinzen und der französischen Départements konnte diese
Vorgehensweise angewandt werden. Relevant ist dabei, daß sich die hier gewählten
Klassen in das "offene" Schema des vorhergehenden Abschnitts (II.) problemlos einbinden
lassen.
382
ANHANG B3 * Distanzparameter
IV. Ökonomische Rangklassifizierung der Kreise
Rang 1 (dörflich-monostrukturell)
Bemcastel-Cues
Bitburg
Bolchen (Boulay)
Chateau-Salins
Cochem
Daun
Kusel
Prüm
Simmem
Weißenburg (Wissembourg)
Wittlich
Zabem (Saveme)
Rang 2
Diedenhofen-Ost (Thionville-Est)
Kirchheim-Bolanden
Luxemburg (Nordosten, Ösling)
Saarburg/Lothr. (Sarrebourg)
Saarburg/Saar
St.Wendel
Rang 3
Frankenthal
Kreuznach
Metz
Pirmasens
Saarlouis
Trier (Land u. Stadt)
Zweibrücken
Rang 4
Birkenfeld
Bergzabern
Forbach
Germersheim
Hagenau (Haguenau)
Homburg
Landau
Mayen
Molsheim
Merzig
Saargemünd
Schlettstadt (Séléstat)
St.Goar
Straßburg-Land (Strasbourg-Campagne)
Zell/Mosel
Rang 5
Diedenhofen-West (Thionville-Ouest)
Kaiserslautern
Luxemburg (Südwesten, Erzbecken)
Neustadt/Weinstraße
Ottweiler
Speyer
Rang 6
Saarbrücken
Rang 7 (urban-komplex)
Straßburg-Stadt (Strasbourg-Ville)
Der ökonomische Rangparameter mißt einen wesentlichen Aspekt der strukturellen
Distanz zwischen den Herkunfts- und Zielgebieten. Er qualifiziert das wirtschaftliche
Entwicklungsgefälle zwischen Regionen.36
36 Vgl. Schwarzer, Räumliche Ordnung.
383
Abb.39: Das urban-industrielle Entwicklungsniveau der Kreise in Eifel, Elsaß, Huns-
rück, Lothringen, Luxemburg, Pfalz und Saarrevier im Jahre 1910 (Vgl. Abb.37,
S.375)
384
ANHANG CI * Zeitreihenanalyse
c) Die elaborierten statistischen Analyseverfahren
1. Die Zeitreihenanalyse
Die vorliegende Studie basiert in bestimmten Abschnitten auf einem zeitreihenanalyti-
schen Instrumentarium, welches wohl unter Wirtschaftshistorikem allgemein geläufig
sein dürfte, in der Sozialgeschichte wegen seiner komplex-mathematischen Grundlagen
bislang jedoch nur eine recht bescheidene Resonanz gefunden hat. Darum soll im
folgenden kurz begründet werden, weshalb zeitreihenanalytisch gearbeitet wurde, warum
keine der "klassischen" Vorgehensweisen, sondern ein neueres Filterverfahren eingesetzt
wurde und welchen Prinzipien diese Methode im Vergleich zu den herkömmlichen
Analyseverfahren unterliegt.37
Die Bedeutung zeitreihenanalytischer Forschung liegt darin, die quantitativen Dimensio-
nen unterschiedlicher Prozesse im Zeitablauf sichtbar zu machen.38 In der wirtschafts-
historischen Forschung wurde die Zeitreihenanalyse schwerpunktmäßig dazu eingesetzt,
ökonomische Datenreihen, z.B. Produktionsziffem, nach dem Komponentenmodell von
Saison, Konjunktur und Trend einerseits zu beschreiben und andererseits zu analysieren.
Insbesondere in der seit den 1930er Jahren geführten Diskussion um lange Wellen in
der neuzeitlichen Wirtschaftsentwicklung kam diesem Instrumentarium große Bedeutung
zu.39
37 Aus der (soziologischen) Einführungsliteratur zur Zeitreihenanalyse wären hervorzuheben:
Leiner, Bernd: Einführung in die Zeitreihenanalyse, 2. Aufl., München-Wien 1986 sowie
Schlittgen, R. u. Streitberg, B.H.J.: Zeitreihenanalyse, 3. Aufl., München-Wien 1990. Speziell
um die Anwendung der Zeitreihenanalyse im Kontext der historischen Forschung hat sich in den
letzten Jahren die Zeitschrift Historical Social Research - Historische Sozialforschung (HSR)
verdient gemacht, die vom Kölner Zentrum für Historische Sozialforschung herausgegeben wird.
Vgl. u.a. Stier, Winfried: Basic Concepts and New Methods of Time Series Analysis in Historical
Social Research, in: HSR 14/1989, H.l, S.3-24 und den Artikel von Metz, Rainer: Ansätze,
Begriffe und Verfahren der Analyse ökonomischer Zeitreihen, in: HSR 13/1988, H.3, S.3-103,
worauf sich der vorliegende Text im wesentlichen bezieht.
38 Vgl. Metz, Ansätze, S.10.
39 Vgl. hierzu die zusammenfassende Darstellung von Spree, Reinhard: Lange Wellen wirt-
schaftlicher Entwicklung in der Neuzeit. Historische Befunde, Erklärungen und Untersu-
chungsmethoden (=HSR-Supplement 4), Köln 1991.
385
ANHANG CI * Zeitreihenanalyse
Mittels der Zeitreihenanalyse wird der Nachweis bestimmter zyklischer Prozesse im Zeit-
verlauf geführt. Unter Zyklen werden dabei "solche konjunkturelle Bewegungen [ver-
standen], die im Verlauf einer langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung als regelmäßig
ausgemacht werden".40 Langfristige Schwankungen innerhalb einer ökonometrischen
Reihe werden in diesem Zusammenhang üblicherweise als Trend, mittelfristige Schwan-
kungen als Konjunktur und kurzfristige Schwankungen als Saison benannt.
Das Komponentenmodell und die diesbezüglichen zeitreihenanalytischen Verfahren lassen
sich analog auf sozialhistorische Datenreihen anwenden, z.B. auf Einwohnerzahlen, auf
Geburten-, Sterbe- und Heiratszahlen oder auf Wanderungszahlen, die für einen
bestimmten Zeitraum vorliegen.41
Das bekannteste Verfahren zur Trendbestimmung ist die Kleinste-Quadrate-Methode,
mit deren Hilfe ein linearer Trend ermittelt wird, der graphisch als Linie dargestellt wird,
welche sich quer durch die in ein Koordinatensystem eingetragene Wertereihe bzw. einen
Punkteschwarm zieht. Das Resultat gibt die Realität allerdings ausgesprochen grob
wieder.
Eine etwas bessere Anpassung an die Originalreihen erlaubt die Methode der gleitenden
Mittelwerte. Diese Verfahrensweise zur Eliminierung kurzfristiger erratischer Schwankun-
gen ist in der Wirtschaftsgeschichtsschreibung nicht zuletzt wegen der relativ einfachen
Berechnungsweise weit verbreitet. Es konnte jedoch empirisch nach gewiesen werden,
"daß die gleitenden Mittelwerte u.U. eine Verzerrung des tatsächlichen [Zeitreihen-]Ver-
laufs bewirken, indem sie die ursprünglichen Hoch- und Tiefpunkte der Reihe zeitlich
verschieben. Die Verzerrung kann u.U. so stark sein, daß der historische Reihenverlauf
in sein Gegenteil verkehrt wird, daß also die Aufschwungphasen der Originalreihe als
Abschwungphasen erscheinen und umgekehrt."42 Der Vorwurf der Beliebigkeit läßt sich
ebenso gegen die Trendbestimmung durch Polynome höherer Ordnung erheben.43 Darum
ging man dazu über, anstatt dieser recht einfachen transformativen Verfahren rechentech-
40 Vgl. Borchardt, Knut: Trend, Zyklus, Struktureinbrüche, Zufälle: Was bestimmte die deutsche
Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, in: VSWG 64/1977, S.145-178, hier: S.105.
41 Vgl. z.B. Jockei, Karl-Heinz: Demographische Anwendungen neuerer Zeitreihenverfahren,
in: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 4/1981, S.519-542.
42 Vgl. Metz, Ansätze, S.29ff.
43 Vgl. ebda., S.27ff.
386
ANHANG CI * Zeitreihenanalyse
nisch aufwendige, sogenannte deskriptive Berechnungssysteme, welche in den Natur-
wissenschaften entwickelt worden waren, in zunehmendem Maße auch bei der ökonomi-
schen Zeitreihenanalyse einzusetzen. Hierzu zählt die Spektralanalyse, die auf einer Auto-
korrelation der Reihe, d.h. einem Vergleich der Reihe mit sich selbst, beruht. Die
Spektralanalyse setzt jedoch voraus, daß sogenannte stationäre Prozesse vorliegen, die
weder einen ausgeprägten Trend noch allzu große Extremwerte (Varianz) aufweisen. Im
Gegensatz zu naturwissenschaftlichen UntersuchungsObjekten erfüllt historisches
Datenmaterial diese Vorbedingung aber nur in den seltensten Fällen, außerdem ist letzt-
lich eine Analyse der Trendkomponente selbst weitgehend ausgeschlossen. Die notwen-
dige Trendbereinigung mittels der Erste-Differenzen-Methode oder über Polynomenbe-
rechnung führt zurück zu den Problemen der "klassischen" Analyseverfahren: die
Originalreihe wird in ziemlich unkontrollierter Weise transformiert und kann erst dann
untersucht werden, was die Zuverlässigkeit der Ergebnisse grundsätzlich in Frage stellt.44
Gesucht ist aber ein Transformationsverfahren, durch das die Datenreihe ohne einen
Informationsverlust in ihre Einzelkomponenten zerlegt werden kann. Als richtungsweisend
erwiesen sich hierzu Ansätze, die Zeitreihen gleichsam als Funkfrequenzen zu behandeln,
aus denen sich bestimmte Frequenzbereiche (Frequenzbänder) durch sogenannte 'Filter'
isolieren lassen (Tiefpaßfilter für den Trend, Hochpaßfilter für die Saison, Bandpaßfilter
für die Konjunktur). Denn der Kehrwert der Schwingungsdauer einer konjunkturellen
Phase kann als ihre Frequenz interpretiert werden.45 Theoretischer Ausgangspunkt zur
Entwicklung eines solchen Filterverfahrens waren folgende Überlegungen:
”1. Ein solches Verfahren muß in der Lage sein, alle gewünschten Schwingungen
unverändert aus der Originalreihe in die transformierte Reihe zu übertragen. Der
Terminus gewünschte Schwingung meint hier, daß die Verfahren in der Lage sein
44 Desgl., S.37ff. Die komplexen Modellierungsverfahren, beispielsweise der Box-Jenkins-Ansatz,
weisen eine ähnliche Problematik auf. Sie eignen sich zudem weniger für eine eher deskriptive
Analyse von Zeitreihen. Die Möglichkeiten der Zeitreihenmodellierung hegen vorzugsweise im
Bereich der vergleichenden Kausalitätsanalyse, der Interventionsanalyse (Stichwort: externe Er-
eignisse) und der Prognose des weiteren Zeitreihenverlaufs.
45 Gemeint ist die Zahl 1 geteilt durch die Schwingungsdauer, d.h. die Zeit vom Tiefstpunkt einer
Schwingung bis zum folgenden Scheitelpunkt.
387
ANHANG CI * Zeitreihenanalyse
müssen, beliebig vorgebbare Frequenzbereiche zu übertragen. Was als Frequenzbe-
reich übertragen werden soll, hängt von dem jeweiligen Forschungsansatz ab.
2. Alle anderen Frequenzkombinationen, also die Schwingungen, deren Periodendauer
kleiner oder größer ist als die der gesuchten Komponenten, müssen vollständig
eliminiert werden.
3. Das Verfahren darf keine künstlichen Schwingungen erzeugen, d.h. in der gefilterten
Reihe dürfen nur Schwingungen enthalten sein, die in der Originalreihe auch vorhan-
den sind."46
Winfried Stier gelang die Entwicklung eines solchen digitalen Filterverfahrens, dessen
Herzstück eine Fourier-Transformation bildet, mittels derer eine Originaldatenreihe
rechnerisch in den Frequenzbereich überführt wird, dann in dieser Form "unerwünschte"
Nebenschwingungen herausgerechnet werden und anschließend die verbleibende Daten-
reihe wieder rechnerisch in die Originalskala zurücktransformiert werden kann.47 Der
große Vorteil dieser Methode ist, daß die bereinigte Reihe nach einer angemessenen
Anzahl von Iterationen im wesentlichen ohne Informationsverlust die Darstellung sowohl
des Trends als auch der Konjunktur oder der Saison einer Zeitreihe erlaubt, wobei der
Filterbereich im voraus individuell beliebig gewählt werden kann und die bereinigte Reihe
völlig skalentreu im ursprünglichen Koordinatensystem analysierbar ist.48
In der vorliegenden Arbeit wurden mittels dieses Digitalfilters Trend und Konjunktur
von Zu- und Abwanderungszahlen, Mobilitätskennziffem, Produktions- sowie Beleg-
schaftszahlen der Stadt Malstatt-Burbach bzw. der Burbacher Hütte graphisch dargestellt,
die gefilterten Zeitreihen miteinander verglichen und deren Verlaufsmuster analysiert.
Die Malstatt-Burbacher Zeitreihen umfassen jeweils 50 Jahreswerte vom Jahr 1860 bis
zum Jahr 1909. Als Konjunktur wurden alle Schwingungen in einer zeitlichen Aus-
46 Desgl., S.67 bzgl. des theoretischen Konzepts von Winfried Stier.
47 Desgl., S,67ff. und Stier, Basic Concepts, S.17ff. bzw. Stier, Winfried: Konstruktion und
Einsatz von Digitalfiltem zur Analyse und Prognose ökonomischer Zeitreihen, Opladen 1978.
Ein Praxisbeispiel stellen vor: Metz, Rainer/ Stier, Winfried: Modelling the Long-Wave Phe-
nomena, in: HSR 17/1992, H.3, S.43-62. Die Fourier-Transformation ist ein nach ihrem
Entwickler, dem französischen Mathematiker Joseph de Fourier, benanntes Umrechnungsverfahren.
48 In der Praxis haben sich 3 bis 5 Transformationsläufe als hinreichend erwiesen. Eine gewisse
Unzuverlässigkeit liegt in den Randbereichen der transformierten Zeitreihen vor.
388
ANHANG C2 * Clusteranalyse
dehnung von maximal 12 Jahren von der Talsohle bis zum folgenden Amplitudenschei-
telpunkt interpretiert (Hochpaßfilter). Die Trendreihen beinhalten alle Schwingungsphasen
von mehr als 12 Jahren Dauer (Tiefpaßfilter). Trendbereinigte Reihen können Ab-
schwungphasen aufweisen, die in den negativen Skalenbereich hineinreichen. Dies ist
keineswegs auf einen Verfahrensfehler zurückzuführen, sondern resultiert aus der elimi-
nierten positiven Trendkomponente; der Konjunkturverlauf wird skalengetreu wiedergege-
ben. Die Filterung der Zeitreihen erfolgte durchweg mit dreifacher Iteration.
2. Die Clusteranalyse
In der historiographischen Forschungspraxis stellen sich eine Vielzahl von Klassifizie-
rungsproblemen. Zu nennen wären beispielsweise die Zuordnung von Familien zu be-
stimmten Familientypen oder die Zuordnung von Berufen zu bestimmten sozialen
Schichten. Zu den quantitativen Klassifikationsverfahren, die es ermöglichen, "1.) aus
einer Menge von Objekten hinsichtlich bestimmter Merkmale homogene Klassen zu
bilden oder 2.) eine Menge von Objekten hinsichtlich bestimmter Merkmale bereits be-
kannten Klassen zuzuordnen", gehört die Clusteranalyse.49
Im Gegensatz zur mehrdimensionalen Skalierung (z.B. loglineare Modelle) sowie der
Hauptkomponenten- oder der Faktorenanalyse, zielt die Clusteranalyse auf eine Unter-
suchung der Klassifikationsobjekte ab, während die anderen Verfahren für eine Analyse
der Klassifikationsmerkmale eingesetzt werden. Die genannten alternativen Verfahren
reduzieren in aller Regel den Merkmalsraum über häufig hochkomplexe mathematische
Operationen und ermöglichen anschließend eine inhaltliche Analyse aufgrund einer
graphischen Inspektion.50 Die Clusteranalyse gestattet es hingegen, die Untersuchungs-
objekte hinsichtlich ihrer individuellen Charakteristika durch ein relativ einfaches formal-
49 Vgl. Bacher, Johann: Einführung in die Clusteranalyse mit SPSS-X für Historiker und So-
zialwissenschaftler, in: HSR 14/1989, H.2, S.6-167, hier: S.7. Es handelt sich bei diesem Artikel
um eine sehr kompakte und anschauliche Einführung in die Clusteranalyse, auf welche sich der
folgende Text in weiten Teilen stützt. Als Anwendungsbeispiel vgl. auch: Leiner, Stefan:
Member-Clustering. Ein Konzept zur Analyse erlebter Wissenschaft, in: HSR 16/1991, H.l,
S.148-154.
50 Vgl. Bacher, Einführung, S.13.
389
ANHANG C2 * Clusteranalyse
mathematisches Kalkül in homogene Klassen, sogenannte Cluster, zusammenzufassen.51
Dabei spielt das Meßniveau der Daten (nominal-, ordinal-, intervallskaliert) grundsätzlich
keine Rolle. Die Berechnung einer Clusteranalyse erbringt per se kein definitives End-
resultat, sondern "Voraussetzung für eine gültige Clusterlösung ist ihre inhaltliche In
terpretierbarkeit und ihre Stabilität".52 Da dem Anwender bei den verschiedenen
Arbeitsschritten im Rahmen einer Gusteranalyse eine ganze Reihe von Wahlmöglichkei-
ten eingeräumt werden, ergibt sich in aller Regel erst nach einigen Clusterversuchen eine
der Fragestellung adäquate Parameterkonstellation, die inhaltlich interpretierbare und
"stabile" Ergebnisse liefert. (Abb.40) Das formale Rechenverfahren liefert sozusagen
Lösungsvorschläge, die auf ihre inhaltliche Relevanz und Stabilität überprüft werden
müssen.
Daten matrix
Klassifikationsdatenmatrix
Ähnllchkelts- bzw.
Unähnlichkeitsmatrix
Cluster
Aggregation
Gewichtung
Standardiste
u.fL
erung
Entscheidung für ein
Ähnlichkeits- bzw.
Unähnllchkeitsmaß
Entscheidung für ein
Verschmeizungsverfahren
Abb.40 : Schematische Darstellung des Clusterverfahrens
Die beiden wesentlichen Parameter, welche der Anwender im Vorfeld eines Clusterlaufes
auszuwählen hat, sind einerseits das Maß, mit dem die Ähnlichkeit- bzw. Unähnlichkeit
der Klassifikationsobjekte (z.B. Personen, Familien, Berufsgruppen) errechnet wird, sowie
andererseits das Verschmelzungsverfahren, mit dem die auf ihre Ähnlichkeit- bzw.
Unähnlichkeit überprüften Klassifikationsobjekte zumeist iterativ in Clustern zusam-
mengefaßt werden. Diese beiden Komponenten und damit das ganze Gusterverfahren
51 Vgl. Leiner, Member-Clustering, S.149.
52 Vgl. Bacher, Einführung, S.13.
390
ANHANG C2 * Clusteranalyse
zeichnen sich (auch für den statistisch weniger bewanderten Historiker) durch ihre
vergleichweise hohe Transparenz aus.53
In der vorliegenden Studie wurden zum einen zuwandemde Berufsgruppen gemäß der
individuellen Merkmale ihrer Angehörigen in Clustern zusammengefaßt, um berufs-
spezifische Immigrationsprofile herauszuarbeiten. Zum anderen wurden Viertelbildungs-
prozesse durch eine Clusteranalyse über die Straßenzüge der drei betrachteten Gemeinden
untersucht. Im ersten Falle bildeten Berufsgruppen die Klassifikationsobjekte. Das Alter,
der Familienstand, die Konfession, die Herkunft und die Aufenthaltsdauer der Personen,
die diesen Berufsgruppen jeweils zuzurechnen sind, waren die Klassifikationsmerkmale,
denen zufolge die Berufsgruppen in Klassen zusammengefaßt wurden. Im zweiten Falle
wurden Straßenzüge als Klassifikationsobjekte behandelt, und als Klassifikationsmerkmale
dienten die Berufsgruppenzugehörigkeit, die Herkunft, die Konfession, das Alter und
die Aufenthaltsdauer der Zuzügler in die einzelnen Straßen Malstatt-Burbachs, Dieden-
hofens und Eschs.
In beiden Teiluntersuchungen wurde die Unähnlichkeit zwischen den Klassifikationsob-
jekten anhand der Klassifikationsmerkmale mit Hilfe der City-Block-Metrik ermittelt,
weil nur dieses Unähnlichkeitsmaß "eine Gleichgewichtung aller Abweichungen
unabhängig von deren Größen erreicht", und vor allem hat die City-Block-Metrik den
Vorteil, "daß sie für Klassifikationsmerkmale mit beliebigen Meßniveaus angewendet
werden kann".54
Hinsichtlich des Verschmelzungsverfahrens wurde jeweils auf das Complete-Linkage
zurückgegriffen, welches sich in der Analysepraxis als am unkritischsten erwies und
inhaltlich gut interpretierbare sowie stabile Ergebnisse lieferte.
53 Der in Abb.40 an erster Stelle angeführte Arbeitsschritt bezieht sich auf die Vorbereitung der
Originaldaten für die Clusteranalyse. Hierzu dienen herkömmliche mathematische Operationen
wie beispielsweise eine Gewichtung oder auch eine Standardisierung der Merkmalsvariablen über
eine Z-Transformation, die dem arithmetischen Mittel einer Variable den Wert 0 (Null) und der
Standardabweichung den Wert 1 zuweist, um absolute Differenzen auszugleichen. Andererseits
müssen die Variablen, falls z.B. nominales und ordinales Meßniveau vorliegt, im Vorfeld der
Clusteranalyse auf ein einheitliches Skalenniveau überführt werden.
54 Vgl. ebda., S.49. Das Unähnlichkeitsmaß mußte, wie aus der Aufreihung der Klassifikations-
merkmale ersichtlich ist, auch für nominales Meßniveau geeignet sein.
391
ANHANG D * Tabellen
d) Tabellen
Maximale Abweichungserwartung für.
Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde auf die Angabe der Abweichungserwartung
für jeden einzelnen stichprobenmäßig ermittelten Wert verzichtet. Die hier aufgeführten
Zahlenwerte beziehen sich jeweils auf diejenigen Ergebnisse einer Rubrik, welche über
die maximale Abweichungserwartung verfügen, also auf den "ungünstigsten” Fall. Dies
ist bei Prozentangaben jeweils der Wert, welcher der 50-Prozent-Marke am nächsten
kommt.
Die d^-Angabe ist folgendermaßen zu interpretieren: Mit 95prozentiger Wahrschein-
lichkeit, d.h. bei 95 von 100 Einzelstichproben, ist davon auszugehen, daß der rechnerisch
ermittelte Wert nicht um mehr als id^ Maßeinheiten (z.B. Prozentpunkte) vom realen
Wert abwcicht. Wird beispielsweise angegeben, daß 80 Prozent einer Zuwanderergruppe
männlichen Geschlechts waren, und wurde zugleich d^ mit dem Wert ±2 beziffert, so
kann gesagt werden, daß der Männeranteil in der historischen Realität ziemlich sicher
zwischen 78 Prozent und 82 Prozent der Grundgesamtheit betragen hat.
Tab. 12, S.94: Zuordnung der Immigranten in Malstatt-Burbach, Diedenhofcn bzw. der
Einwohner von Esch/Alz. zu verschiedenen Familientypen und durchschnittliche
Familiengröße der einzelnen Familientypen (nur bzgl. der Prozentangaben)
bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C
Malstatt-Burbach *14 % *1,4% *1,4 %
Diedenhofen *4,4 % ±1,9%
Esch/Alz. * 1,4% *u% ±14 %
Tab.13, S.98: Stellung der Immigranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen bzw. der
Einwohner von Esch/Alz. zum Haushaltsvorstand (HHV)
bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C
Maistatt-Burbach *14 % *1,4 % ±1,4 %
Diedenhofen ±4,4 % ±14 %
Esch/Alz. *1,7% ±1,4% ±14%
392
ANHANG D * Tabellen
Tab. 14, S.104: Zuordnung der Immigranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen bzw.
der Einwohner von Esch/Alz. zu Wirtschaftssektoren
bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach ±1,6 % ±1,6 % ±1,4 % ±2,1 %
Diedenhofen ±5,2% ±3,4 % ±3,1 %
Esch/Alz. ±1,9 % ±2,1 % ±1,9 %
Tab. 15, S.108: Zuordnung der Immigranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen bzw.
der Einwohner von Esch/Alz. zu Sozialgruppen
4»«« bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach ±2,3 % ±1,9 % ±1,5 % ±2,2 %
Diedenhofen ±5,2 % ±3,2% ±3,2 %
Esch/Alz. ±2,5 % ±2,0 % ±2,0 %
Tab.16, S.115: Zuordnung der Immigranten in Malstatt-Burbach und Diedenhofen bzw.
der Einwohner von Esch/Alz. zu Gesellschaftsschichten
d,,^ bezogen auf: Zeitabschnitt/ A B C D
Stadt
Maistatt-Burbach ±2,3 % ±1,9 % ±1,5 % ±2,2 %
Diedenhofen ±5,2% ±3,3 % ±3,2 %
Esch/Alz. ±2,5 % ±2,1 % ±2,1 %
Tab.17, S.118: Tätigkeitsfelder der zuwandemden Arbeiter in Malstatt-Burbach und
Diedenhofen bzw. der ortsansässigen Arbeiter in Esch/Alz.
d^ bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach ±2,5 % ±2,4 % ±1,8 % ±2,8 %
Diedenhofen ±7,2 % ±4,7 % ±3,9 %
Esch/Alz. ±2,9 % ±2,9 % ±2,6 %
Tab.18, S.121: Qualifikationsniveau der zuwandemden Fabrikarbeiterschaft (ohne Hand-
werker, Hausierer, Heim- und Transportarbeiter) nach Malstatt-Burbach
bezogen auf:
Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach ±2,7% ±2,5 % ±2,4% ±3,5 %
393
ANHANG D * Tabellen
Tab. 19, S.125: Zahlenverhältnis zwischen Beamten und Angestellten (Privatbeamten)
in der Zuwandererschaft nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach sowie in der
Bevölkerung von Esch/Alz.
bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach *5,9 % ±4,4 % ±3,2% ±3,6 %
Diedenhofen ±13,0 % ±6,7 % ±5,5 %
Esch/Alz. ±9,0 % ±5,2% ±4,6 %
Tab.20, S.126: Berufe des technischen und des Verwaltungsdienstes bei den mittleren
Beamten und Angestellten (Privatbeamten) in der Zuwandererschaft nach
Diedenhofen und Malstatt-Burbach sowie der Bevölkerung nach Esch/Alz.
d^ bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach ±7,5 % ±6,0 % ±5,2% ±8,0 %
Diedenhofen ±16,9 % ±10,5 % ±10,9 %
Esch/Alz. ±11,6 % ±7,2 % ±7,5 %
Tab.21, S.128: Untere Beamte und Angestellte (Privatbeamte) in der Zuwandererschaft
nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach sowie in der Bevölkerung von Esch/Alz.
d<M bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach ±9,4 % ±8,8% ±4,7% ±4,8%
Diedenhofen ±16,9 % ±9,2% ±8,9 %
Esch/Alz. ±13,7 % ±8,2 % ±6,5 %
Tab.22, S.130: Zahlenverhältnis zwischen den Angehörigen der einzelnen Laufbahn-
ebenen der Beamten und Angestellten (Privatbeamten) in der Zuwandererschaft
nach Malstatt-Burbach und Diedenhofen sowie in der Bevölkerung von Esch/Alz.
d,,^, bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach ±4,3 % ±4,8 % ±3,4 % ±4,6 %
Diedenhofen ±13,0 % ±6,9 % ±7,0 %
Esch/Alz. ±9,0 % ±5,4% ±5,0%
394
ANHANG D * Tabellen
Tab.23, S.135: Relationen zwischen den Geburts-, Herkunfts- und Zielkreisen der
Zuwanderer nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach
bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach (alle) ± 4,4 / 6,0% ± 1,9 / 2,8% ± 1,4 / 2,1%
(Singles) ± 3,8 / 2,6% ± 0,6 / 0,6%
(Familien) ± 4,4 / 6,0% ± 2,2 / 3,5% ± 2,1 / 4,0%
Diedenhofen ± 6,7 / 9,9% ± 4,4 / 6,2% ± 4,0 / 5,6%
Tab.24, S.136: Herkunft der in den Kreisen Ottweiler, Merzig und Saarlouis geborenen
Zuwanderer in Malstatt-Burbach
d«™, bezogen auf:
Geburtskreis/ Ottweiler Merzig Saarlouis
Stadt
Malstatt-Burbach ± 5,0% ±5,5% ± 5,1%
Tab.25, S.140: Entfernung der Herkunfts- und Zielkreise der Zuwanderer bezüglich
Malstatt-Burbach und Diedenhofen (l.Wert=Herkunft/ 2.Wert=Ziel)
d,,^ bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach ± 2,1 / 3,6% ± 1,8 / 2,7% ± 1,6 / 2,7% ± 2,3 / 2,9%
Diedenhofen ± 6,2 / 9,1% ± 4,2 / 5,4% ± 3,7 / 5,2%
Tab.26, S.141: Entfernung der Geburtskreise der Einwohner von Esch/Alz.
d,,^ bezogen auf:
Zeitabschnitt/ Stadt A B C
Esch/Alz. ± 2,4% ± 2,0% ± 2,1%
395
ANHANG D * Tabellen
Tab.27, S.150: Landschaftliche sowie staatliche Herkunft und Ziele der Binnenwanderer
in Malstatt-Burbach 1856-1909 (l.Wert=Herkunft, 2.Wert=Ziel)
bezogen auf: A B C D
Regional- kategorie
Landschaft ± 2,1 / 3,6% ± 1,8 / 2,6% ± 1,6 / 24% * 2,3 / 3,0%
Staat ± 1,7 / 2,9% ± 1,6 / 2,3% ± 14 / 2,2% ± 2,0 / 2,7%
Tab.28, S.156: Verteilung der Binnenwanderer in Malstatt-Burbach auf die Saar-,
Hunsrück- und Pfalzkreise 1856-1909 (l.Wert=Herkunft, 2.Wert=Ziel)
d^m« bezogen auf: Zeitabschnitt/ Kreis A B C D
Saar ± 2,7 / 4,2% ± 2,2 / 2,9% ± 1,9 / 2,9% ± 2,1 / 3,4%
Hunsrück * 5,8 / 10,3% ±6,1/8,8% ± 5,3 / 9,2% ± 84 / 9,4%
Pfalz ± 9,1 / 19,9% ± 5,8 / 9,5% ± 6,8/11,4% ± 9,3 / 12,9%
Tab.29, S.162: Landschaftliche sowie staatliche Herkunft und Ziele der Binnenwanderer
in Diedenhofen 1883-1909 (l.Wert=Herkunft, 2.Wert=Ziel)
d^nnj bezogen auf: Zeitabschnitt/ Regional- kategorie A B C D
Landschaft ± 5,9 / 9,0% ± 4,1 / 6,0% ± 4,0 / 54%
Staat ± 5,6 / 8,8% ± 3,9 / 5,6% ± 4,0 / 54%
Tab.30, S.164: Verteilung der Binnenwanderer in Diedenhofen auf die lothringischen
Kreise 1883-1909 (l.Wert=Herkunft, 2.Wert=Ziel)
bezogen auf: Zeitabschnitt/ Kreis A B C D
Lothringen ± 74 /11,7% ± 5,2 / 7,8% ± 5,4 / 7,4%
396
ANHANG D * Tabellen
Tab.31, S.170: Landschaftliche und staatliche Zuordnung der Geburtsorte der Einwohner
von Esch/Alz. in den Jahren 1871, 1890 und 1900
¿Hmu bezogen auf:
Zeitabschnitt/ Regional- kategorie A B C
Landschaft ± 1,8% ± 1,6% ± 1,9%
Staat ± 1,8% ± 1,6% ± 1,9%
Tab.34, S.178: Herkunftsregionen der Italiener in Malstatt-Burbach, Diedenhofen und
Esch/Alz. zwischen 1890 und 1909 (1925)
bezogen auf: Ort/ Herkunfts- region Malstatt- Burbach Dieden- hofen Esch Esch (Didlinger)
Norditalien ± 3,5% ± 11,7% ± 7,7% ± 1,7%
Mittclitalien ± 11,2% ± 7,7% ± 1,7%
Süditalien ±34% ± 4,1% ± 3,2% ± 0,6%
Tab.39, S.192: Die Verteilung der Zuwanderer in Malstatt-Burbach und Diedenhofen
auf Herkunfts- und Zielkreise bzw. der Einwohner von Esch auf Geburtskreise
mit unterschiedlichem urban-ökonomischem Entwicklungsniveau
(l.Wert=Herkunft bzw. Geburtskreis, 2.Wert=ZieI)
d,,^ bezogen auf: Zeitabschnitt/ Stadt A B C D
Malstatt-Burbach ± 2,3 / 3,9% ± 1,9 / 2,9% ± 1,8 / 2,8% ± 24 / 3,3%
Diedenhofen ± 6,6 / 9,9% ± 44 / 6,4% ± 4,3 / 5,8%
Esch/Alz. ± 2,4% ± 2,0% ± 2,2%
Tab.49, S.247: Aufenthaltsdauer der Zuwanderer nach Diedenhofen und Malstatt-
Burbach 1856/1883-1909
d,,^ bezogen auf: Zeitabschnitt/ Singles Familien alle
Stadt
Diedenhofen % ± 3,8% ± 9,4% ±34%
Mittelwert ± 27 Tage ± 261 Tage ± 45 Tage
Malstatt-Burbach % ±2,7% ± 3,3% ± 2,1%
Mittelwert ± 18 Tage ± 69 Tage ± 46 Tage
397
I.
Quellen- und Literaturverzeichnis
a) Archivalien
1. Frankreich
Die Bezeichnung der Einzeldokumente entspricht durchgehend der aktuellen Nomenklatur in
den entsprechenden Findbüchem, nicht der ursprünglichen Bezeichnung durch die u,U.
deutsche Verwaltung.
1.1 Archives Nationales de la France, Paris (ANF)
F 20 : Statistique
34-45 Mouvement de la population de la France par départements (1874-1896)
504-505 Mouvement de la population des villes chefs-lieux d'arrondissements (1846-
1852)
513 Tableaux divers concernant le mouvement de la population (1845-1853)
763 Conseil supérieur de statistique. Enquête sur la condition du travail (1890).
Institut international de statistique (1889). Congrès à Paris (1889)
832 Etats récapitulatifs du mouvement de la population pendant l'année 1900 par
arrondissement
1.2 Institut National de la Statistique et des Etudes Economiques, Paris (INSEE)
Statistique générale en France
S.FRA 2 Recensements et dénombrements de la population (1801-1936)
[Microfiches]
S.FRA 582/3 Les naturalisations en France (1870-1940) [Microfiches]
S.FRA 582/4 Mouvement de la population française (1851-1942) [Microfiches]
1.3 Archives Départementales du Bas-Rhin, Straßburg (ADBR)
Série AL : Fonds du gouvernement d’Alsace-Lorraine
27 AL : Fonds capital du Statthalter (Statthalterbüro)
228 Etablissement de listes de ressortissants luxembourgeois en Alsace-Lorraine.
Statistique (1896-1903)
447 Statistiques générales, démographiques, professionelles (1897-1900)
39 AL : Délégation d'Alsace-Lorraine (Landesausschuß Elsaß-Lothringen)
141 Propositions pour le gouvernement. Accroissement des forces de gendarmerie
dans les zones industrielles frontalières de la Lorraine (1907)
399
87 AL : Division de l'intérieur (Ministerium für Elsaß-Lothringen, Abteilung des Innern)
1012 Loyers. Catégories de logement en Alsace-Lorraine dans les villes de garnison
(1895)
2781 Imposition des ouvriers salariés étrangers (1903-1918)
3441 Influence des nouvelles lois socio-politiques sur les indigents. Etablissement
d'une statistique des pauvres (1894-1910)
5039 Surveillance des fabriques. Rapports annuels des fonctionnaires chargés (1886-
4430
4550
4552
4432
4546
4631
5813
4427
4431
1882
1728
4292
3357
3316
4371
4547
3302
1888)
desgl. 1889
desgl. 1891
desgl. 1892
desgl. 1893
desgl. 1894
desgl. 1895
desgl. 1896
desgl. 1896
desgl. 1897
desgl. 1898
desgl. 1899
desgl. 1900
desgl. 1901
desgl. 1902
desgl. 1903
desgl. 1904
desgl. 1908
1.4 Archives Départementales de la Moselle, Metz (ADM)
3 AL : Police générale et administrative (allgemeine Polizeiangelegenheiten)
3 Acquisition et perte de la nationalité d'un état confédéré ou de l'empire (1871—
1918)
202 desgl.. Statistiques (1873-1918)
230 Passeports. Laissez-passers (1870-1916)
232 Surveillance exercée à la frontière franco-allemande (1872-1902)
312 Arrêtés de police municipale (1873-1915)
315 Collection d'arrêtés de police par arrondissement. Thionville (1858-1881)
320 Police de Thionville. Affaires diverses (1874-1916)
323 Rapports de police sur des événements importants (1870-1913)
339 Questions du logement en Lorraine (1903-1917)
341 Concubinage, prostitution (1884-1914)
361 Cours d'italien pour le personnel de la police (1899-1908)
401 Mouvement de la population (1871-1899)
403 Dénombrement de la population (1871-1880)
404 desgl. 1885-1895
400
405
desgl. 1900-1916
5 AL : Hygiène (Gesundheitspolizei)
67-69 Rapports annuels. Etat sanitaire et mortalité (1873-1914)
8 AL : Commerce et industrie (Gewerbeaufsicht)
10-11 Mines, usines et carrières. Rapports annuels (1890-1918)
244 Comptes rendus annuels sur la situation de l'industrie et de l'agriculture (1894-
1916)
262 Logement ouvriers dans les centres industriels. Cantines et dortoirs (1893-1911)
286-289 Arrêtés et prescriptions pour l'industrie (1889-1918)
356 Questions sociales. Habitations des ouvriers (1896-1918). Chômage et office du
travail (1893-1917)
10 AL : Affaires communales (Gemeindeangelegenheiten)
78-80 Procès-verbaux des séances du conseil municipal de Thionville (1902-1918)
M : Police administrative. Passeports (Fremdenpolizei, PaBwesen)
109 Passeports. Police de roulage. Etat statistique (1848-1870)
17 Z : Fonds des Directions de cercles (Kreisaufsicht Diedenhofen-Ost)
9 Expulsions et émigration (1878-1914). Naturalisation et immigration (1876-
1918). Contentieux de la nationalité (1892-1918)
17 Police des étrangers. Permis de séjour (1885-1913). Déclaration d’entrée et de
sortie (1893-1915)
18 Statistique des étrangers (1901-1918). Expulsions (1881-1918)
20 Emeutes, mouvements ouvriers, grèves (1884-1918)
27 Police de la circulation (1885-1918)
210 Industrie (1901-1903)
234 Rapports sanitaires (1896-1910)
245 Casernement, ville de Thionville (1873-1902)
18 Z : Fonds des Directions de cercles (Kreisaufsicht Diedenhofen-West)
144 Recensements (1893-1916). Questionnaires communaux (1913)
Cartes et plans
Thionville:
56, 69, 70, 266, 412, 948, 949, 962, 1638, 2098
sonstige:
160, 219, 221, 224, 256, 275, 475, 958, 967, 1101, 1102, 1947, 1950, 1952
401
1.5 Archives Communales de ThionviUe (ACTh)
Die Bestände der Archives Communales de ThionviUe waren zum Zeitpunkt der dortigen
Archivstudien nur vorläufig verzeichnet. Die definitive Einordnung der einzelnen Dokumente
nach den einheitlichen Verzeichnungskriterien des französischen Archivsystems wurde
vorbereitet. Die hier angegebenen Aktenbezeichnungen basieren auf dem provisorischen
Findbuch der Jahre 1988 bis 1992 und können durchaus von der endgültigen Fassung
abweichen.
1 D : Conseü municipal
19/170 ConseU municipal. Délibérations (1905-1915)
19/172 ConseU municipal. Procès-verbaux (1908-1917)
19/174 Arrêtés municipaux (1825-1894)
19/440 Urbanisme. Développement spatial de ThionviUe. Décrets. Résolutions (1896-
1906)
19/441 Urbanisme. Commission (1902)
19/442 desgl. 1908-1912
19/443 desgl. 1907-1913
19/444 desgl. 1908-1917
2 D : Affaires du Maire
15 Registre des arrêtés du maire (1876-1893)
23/59 desgl. 1893-1905
17 Registre des arrêtés permanents du maire (1871-1936)
1 F : Population et statistique
1 Mouvement de la population (1801-1864)
2 Recensement de la population (1821)
3 Recensements et dénombrements de la population (1871-1900)
4-6 Recensement de la population (1871)
7-15 Registres d'entrée et de sortie de la population (1883-1912)
2 F : Commerce et industrie
1 Commerce local (1820-1870)
[ohne] Commerce et industrie (1894-1926)
1/163 Economie. Usines à ThionviUe (1906-1923)
19/103 Commerce et industrie (1904-1907)
19/113 Industrie. Exploitations (1909-1910)
19/114 desgl.
19/122 Industrie et commerce. Exploitations. Réglementations (1905-1922)
2 J : Police
23/16 Associations. Rapports de police (1899-1925)
402
T : Urbanisme
1/200 Réforme de logement. Construction de maisons ouvrières (1904-1930)
9/281 Statistiques concernant les logements (1905-1919)
23/63 Développement spatial de Thionville (1906)
2. Luxemburg
Im Großherzogtum Luxemburg existiert keine umfassende Archivgesetzgebung. Die
Verwahrungspraxis gegenüber amtlichem Schriftgut liegt anders als in Frankreich oder in
Deutschland ausschließlich im Ermessen der jeweils zuständigen Archivare.
Das bis heute maßgebliche Findbuch für die Bestände der Luxemburger Archives Nationales
stammt aus dem Jahre 1910 und ist weitgehend nach politischen Epochen gegliedert. Die
Bezeichnung einzelner Bestände ist irreführend, weil diese häufig auch noch Dokumente aus
späteren Zeitabschnitten enthalten.
Daneben existieren einige wenige, thematisch gegliederte Findbücher neueren Datums (z.B.
das Spezialfindbuch zu den Justizakten, Bestand J).
Das Escher Stadtarchiv arbeitet auf der Basis eines improvisierten Findbuches. Eine genaue
Dokumentenbezeichnungen ist in einigen Fällen daher nicht möglich. Wesentliche Bestände
aus dem 19. Jahrhundert (Städtebau, Bevölkerung etc.) lagern zum Teil noch bei den
Ursprungsbehörden bzw. deren Rechtsnachfolgern. Zum Auffinden der zitierten Aktenstücke
ist man - sowohl im Nationalarchiv als auch im Escher Stadtarchiv bzw. bei den Escher
Kommunalbehörden - auf die sachkundige und stets äußerst zuvorkommende Hilfe der
Sachbearbeiter unbedingt angewiesen.
2.1 Archives Nationales de Luxembourg, Luxemburg (ANL)
Recensements de la population (1871-1916) [Mikrofilme]
G : Régime constitutione! de 1842 à 1856
949 Mouvement de la population (1841-1900)
H : Régime
717
785-786
792
836
841
1016
1017
constitutionel de 1857 à 1880
Police des étrangers. Législation (1868-1880)
Autorisations de résider (1868-1880)
Position des luxembourgeois en Alsace-Lorraine (1870-1880)
Situation politique. Troubles. Violation du territoire
Livrets d'ouvriers. Mendicité et vagabondage. Surveillance de la haute police
Mouvement de la population (1857-1874)
desgl. 1875-1880
J : Justice
70/2 Police des étrangers. Loi du 30 déc. 1893. Execution. Instructions
70/3 Police des étrangers. Loi du 30 déc. 1893
403
70/4 desgl.
70/5 70/6 73/25 73/26 73/27A Police des étrangers. Simplification des écritures. Arrêté du 15 déc. 1911 Police des étrangers. Budget 1913. Police générale. Dénonciation de la Convention de Gotha Police générale. Statistique relative à la police des étrangers (1884-1886) Police des étrangers. Unmittelbarer Geschäftsverkehr mit deutschen Dienststellen (1905-1930)
73/29 Police générale. Tenue d’un registre pour l'inscription des déclarations d'arrivée des étrangers (1896-1897)
73/30 76/64 Loi sur la police des étrangers. Statistique (1896-1908) Mouvement ouvrier. Heurts entre ouvriers italiens et luxembourgeois dans le bassin minier (1897)
2.2 Archives Communales d'Esch-sur-Alzette (ACE)
Sitzungsberichte des Gemeinderats (1876-1914)
52. 520 521 522 Population Généralités Population nationale Etrangers
6. 625 638 Activités sociales et divertissements Assistance et protection en matière de logements Hygiène en matière de logements
7. 701 702 707.4 732.201 732.202 Activités économiaues Histoire économique Démographie. Statistiques économiques Crises économiques Histoire des industries du fer Economie sociale et politique
2.2.a Bureau de la Population d'Esch-sur-Alzette (BdPE)
Registre des déclarations (1877-1885)
- Registre de la population de la commune Esch s .A.: A-K (1883-1897)
Arrivées(1876-1889)
Départs (1873-1900; 1901-1907; 1908-1910)
Registre de la population (1898-1953)
404
2.2.b Bureau d'Architecture (BdAE)
historisches Kartenmaterial, Katasterpläne
3. Deutschland
3.1 Landeshauptarchiv Koblenz (LHA Ko)
403 : Oberpräsidium Koblenz (OPKol
6787 Die Erteilung von Heimatscheinen (1845-1916)
6794-6798 Der Zuzug fremder Arbeiter. 'Sachsengängerei', 5 Bde. (1880-1917)
7180-7183 Die Auswanderungen, 4 Bde. (1826-1913)
8293-8302 Die Erörterung der gewerblichen und Arbeiterverhältnisse, 10 Bde. (1848-1911)
8319-8327 Die Lage der Industrie, Arbeiterentlassungen, Arbeitseinstellungen, 9 Bde.
(1875-1901)
8328 Die Einrichtung von Kost- und Logishäusem für Arbeiter der Eisenbahnen
(1878-1912)
8774 Heiraten zwischen ausländischen und preußischen Untertanen (1833-1892)
442 :
202
1419
1493
1505
3728
3758
3802
3839
4159
4352
4360
4442
6098
6384
6550
6793
Regierungspräsidium Trier (RPTr)
Auswanderungen aus dem Stadtkreise Saarbrücken (1910-1924)
Berg- und Hüttenwesen (1861-1877)
Der Fremdenverkehr am Eisenbahnhofe zu Saarbrücken (1854-1855)
Die Verzeichnisse der Ein- und Ausgewanderten (1871-1876)
Statistisch-topographische Beschreibung des Regierungsbezirkes Trier (1842)
Die polizeiliche Überwachung der Aus- und Durchwanderung (1890-1900)
Statistische Notizen über stattgefundene Einwandeiungen (1845-1860)
Die Auswanderung nach auswärtigen Staaten excl. Amerika (1816-1874)
Das Fabrikwesen und andere Gewerbezweige. Berichte über die Lage des
Handels und der Industrie. Gewerkschaftliche Bewegung (1893-1897)
Die Arbeiterbewegung, Lohnfrage, Arbeitseinstellungen, Sozialdemokratie
(1899-1901)
Die Beschäftigung von Arbeitern, jugendlichen Arbeitern und Arbeiterinnen in
gewerblichen Anlagen (Fabriken), Revision dieser Anlagen, Arbeitshäuser,
bauliche Einrichtungen, Wohlfahrtseinrichtungen (1899-1905)
Die Auswanderung nach Amerika aus dem Kreise Saarbrücken (1889-1910)
Die Auswanderung aus dem Kreise Saarbrücken (1893-1901)
Die Beaufsichtigung der Arbeitervereine und der sozialdemokratischen
Agitationen der aus der Schweiz und aus London zurückkehrenden Arbeiter
(1850-1884)
Zustände in den Grenzbezirken resp. Reibereien zwischen diesseitigen und
fremdländischen Untertanen (1867)
Polizeiverordnungen der Stadtgemeinde Malstatt-Burbach (1896)
405
6808
8293
8492
8617
8618
9374
9442
9693-9695
9722
9731
9915
11197
Übersicht der Hauptursachen der zur Zeit sich mehrenden Auswanderungen
(1852-1863)
Die Kolonien und Schlafhäuser der Bergleute in den Kreisen Saarbrücken und
Ottweiler (1868-1869)
Die Lage der landwirtschaftlichen Arbeiter (1899-1916)
Die Niederlassung preußischer Untertanen im Kreise Saarbrücken (1884-1894)
Die Aufnahme der Ausländer im Kreise Saarbrücken (1891)
Arbeiterwohnungen (1910-1914)
Beschreibung des Regierungsbezirkes Trier (ca, 1862)
Die polizeiliche Überwachung der Aus-, Durch- und Rückwanderung, 3 Bde.
(1850-1915)
Zeitweilige Auswanderung italienischer Arbeiter nach europäischen Ländern
(1904-1905)
Die Zulassung und Beschäftigung ausländischer Arbeiter (russisch und polnisch),
’Sachsengängerei' (1891-1900)
Volkszählung und Statistik überhaupt (1905-1908)
Die Genehmigung zum Erwerb von Grundstücken und zum Gewerbebetriebe im
Regierungsbezirk Trier seitens nichtpreußischer Personen (1901-1910)
3.2 Landesarchiv des Saarlandes, Saarbrücken (LASb)
Landratsamt Saarbrücken
1 Polizeinachrichten aus dem Kreise (1819-1884)
4 Sittlicher Zustand der Einwohnerschaft des Kreises (1835-1900)
Kr-G 32 Aufnahme von Fremden in die Gemeinde (1868-1934)
P-K 11-12 Ausweisung russischer und anderer ausländischer Untertanen (1885-1922)
P-Sp 27 Sittenpolizei (Lustdimen, Konkubinate und Schlafstellenwesen pp.) (1901-1919)
St 25 Volks- und Berufszählung, Statistik (1875-1882)
historische Karten und Pläne
3.3 Stadtarchiv Saarbrücken (StadtA Sb)
Meldekartei der Kreispolizeidirektion Saarbrücken, 2.102 Kartons (1901-1935)
Alt-Saarbrücken (ASB1
497 Arbeiterwohnungen im allgemeinen (1890-1908)
Malstatt-Burbach fMBl
249 Berichte über die Lage des Handels und der Industrie (1892-1901)
375 Einrichtung einer Wohnungsnachweisstelle (1904-1908)
378 Arbeiterwohnungsfrage, Beschaffung von Wohnungen für die Fabrikarbeiter
(1886-1908)
406
379
383
397
419
420
556
566
689
693
762-763
779
854
960
1154
1269
1270-1278
1279
1280-1281
1282-1287
1288-1295
1296-1301
1302-1310
1311-1318
1319-1320
1321-1323
1324
1325
Errichtung von Arbeiterwohnungen durch die Hütte (1858-1897)
Zu- und Abgangslisten der alleinstehenden Arbeiter (1878-1879)
Statistik über Arbeiterwohnungen (1891)
Bau von Arbeiterwohnungen durch die Gemeinnützige Baugenossenschaft
(1894-1905)
Ausführung des Gesetzes zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse (1904-
1905)
Statistik über die Arbeitslöhne und Lebensmittelpreise (1881-1884)
Bevölkerungsstatistik (1838, 1875-1905)
Gestaltung des Arbeitsmarktes (1901-1902)
Statistische Nachweisung über die Zahl der Arbeiter in den Fabriken (1875-
1908)
Die Gemeinnützige Baugenossenschaft (1891-1906)
Die Arbeiterwohnungsfrage (1904-1908)
Nachweisung der von den größeren Etablissements abgemeldeten Arbeiter
(1867-1868)
Polizeiliche Trennung der Konkubinate (1868-1874)
Gründung und Tätigkeit von Baugenossenschaften (1872-1893)
Register über die Anmeldung neu anziehender Personen (1857-1867)
Familienanmelderegister, chronologisch, 9 Bde. (1873-1901)
desgl., alphabetischer Index (1857-1867)
desgl., alphabetisch, 2 Bde. (1867-1876)
desgl., alphabetischer Index, 6 Bde. (1880-1900)
Familienabmelderegister, chronologisch, 8 Bde. (1861-1901)
desgl., alphabetischer Index, 6 Bde. (1867-1899)
Allgemeine Arbeiterregister, chronologisch, 9 Bde. (1866-1901)
desgl., alphabetischer Index, 8 Bde. (1883-1900)
Gesellenregister, chronologisch, 2 Bde. (1883-1895)
Gesinderegister, chronologisch, 3 Bde. (1883-1898)
Register der Arbeiter auf der Burbacher Hütte, alphabetisch (1875-1883)
desgl., chronologisch (1883-1895)
historische Karten und Pläne
3.3.a Katasteramt der Stadt Saarbrücken
Katasterpläne
407
Kurzüberblick zum Literaturverzeichnis
b) Gedruckte Quellen ...........................................................409
1. Amtliche Schriften und Zeitungsliteratur...............................409
1.1 Amtliche Schriften........................................... 409
1.1.1 Luxemburg...............................................409
1.1.2 Deutschland (einschließlich Elsaß-Lothringen............409
1.2 Zeitungen .....................................................410
2. Zeitgenössische Literatur (bis 1914)...................................411
2.1 Soziale Fragen.................................................411
2.2 Mobiiitäts-und Bevölkerungsbewegungen .........................411
2.3 Grenzraumthematik..............................................411
2.4 Lothringen ....................................................412
2.5 Luxemburg.................................................... 412
2.6 Saarland.......................................................413
c) Forschungsliteratur...........................................................413
1. Spezialbibliographien und Forscbungsberichte...........................413
2. Demographische und quantitative Methoden...............................416
3. Überblicksdarstellungen, Handbücher....................................418
4. Sozialgeschichte.......................................................419
5. Urbanisierungs- und Stadtgeschichte....................................421
5.1 Wohnen ........................................................424
6. Migrations- und Bevölkerungsgeschichte............................... 424
7. Grenzraumthematik......................................................428
8. Lothringen.............................................................429
8.1 allgemein......................................................429
8.2 Migrations- und Bevölkerungsgeschichte ........................430
8.3 Thionville (Diedenhofen) ......................................431
9. Luxemburg..............................................................432
9.1 allgemein......................................................432
9.2 Migrations- und Bevölkerungsgeschichte ........................433
9.3 Esch-sur-Alzette...............................................434
10. Saarland...............................................................435
10.1. allgemein......................................................435
10.2. Migrations- und Bevölkerungsgeschichte ........................437
10.3. Saarbrücken (Malstatt-Burbach).................................438
408
b)
Gedruckte Quellen
1. Amtliche Schriften und Zeitungsliteratur
1.1 Amtliche Schriften
1.1.1 Luxemburg
Bourse du travail drEsch/AJz. Rapports 1909-1927, Esch/Alz. 19l0ff.
Etat de la population (=Publications de la Commission permanente de Statistique, No.2 u.3,1900 (1903);
No. 11 u.13, 1905 (1906/1907); No.21, 1907 (1909); No.36, 1910 (1911); No.46, 1922 (1923)),
Luxembourg 1903ff.
Grand-Duché de Luxembourg: Mémorial, Luxembourg 1875ff.
Häuser- und Wohnungsuntersuchungin den Gemeinden Differdingen, Düdelingen, Esch/Alzette, Hollerich,
Arsdorf, Mertert, Rodenburg und Klerf, Teil 1: Häuserstatistik, (=Publikation der ständigen
Kommission für Statistik, H.XVI), Luxemburg 1908 / Teil 2: Wohnungsstatistik, (=Publikation
der ständigen Kommission für Statistik, H.XVIII), Luxemburg 1909
Jahresbericht des Arbeitsnachweisamts Esch an der Alzette. Geschäftsjahr 1912, Esch 1913 u. Geschäftsjahr
1915, Esch 1916
Mouvement de la population pendant l'année 1906, (=Publications de la Commission permanente de
Statistique, fasc.15), Luxembourg 1907
Mouvement de la population pendant l'année 1903, (=Publications de la Commission permanente de
Statistique, fasc.9), Luxembourg 1905
Mouvement de la population pendant les années 1891 à 1902, 2 Bde., (=Publications de la Commission
permanente de Statistique, fasc.6/7), Luxembourg 1904
Mouvement de la population pendant les années 1904 et 1905,(=Publications de la Commission permanen-
te de Statistique, fasc.12), Luxembourg 1906
Die Pockenepidemie der Jahre 1905 und 1906 im Großherzogtum Luxemburg, (=Beilage zu H.XVIII der
Publikation der ständigen Kommission für Statistik), Luxemburg 1910
Rapport général sur la situation de l'industrie et du commerce, hg. von der Chambre du Commerce du
Grand-Duché de Luxembourg, Luxembourg 1868ff.
Sammlung der Gemeinde-Polizei-Reglemente der Stadt Esch/Alz., Esch/Alz. 1925
Statistique historique du Grand-Duché de Luxembourg, 14 Bde., Luxembourg 1889-1900
1.1.2 Deutschland (einschließlich Elsaß-Lothringen)
Alphabetisches Verzeichnis der Gemeinden in Elsaß-Lothringen mit Angabe der Einwohner- und
Häuserzahl derselben nach der Zählung von 1871, Straßburg 1873
Amtsblatt der Regierung Trier 1817ff.
Die Arbeiterbelegschaft der Königlichen Steinkohlengruben bei Saarbrücken nach den Ergebnissen der
statistischen Erhebung (1875-1905), Saarbrücken 1906
Die Arbeiterwohnungsfürsorge im Bezirke der Königlichen Bergwerksdirektion zu Saarbrücken, Saar-
brücken 1902
Beiträge zur Bevölkerungsstatistik von Elsaß-Lothringen, 2 Bde., Straßburg 1875
409
Die Belegschaft des Saarbrücker Bergwerksdirektionsbezirks nach den Ergebnissen der statistischen
Erhebungen vom 1.12.1910, Saarbrücken 1911
Die Bevölkerung Elsaß-Lothringens nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 1.Dezember 1905 und
früheren Zählungen, hg. vom Statistischen Bureau für Elsaß-Lothringen, Straßburg 1908
Die Bewegung der Bevölkerung in Elsaß-Lothringen, hg. vom Statistischen Bureau des Kaiserlichen
Ministeriums für Elsaß-Lothringen, Straßburg 1893
Bundesgesetzblatt des Deutschen Bundes (Reichsgesetzblatt) 1871ff.
Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes I867ff.
Gesetzsammlung für die königlich preußischen Staaten 1817ff.
Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen, Straßburg 1871ff.
Die Gesundheitsverhältnisse und das Medizinalwesen des RegierungsbezirksTrier, 5 Bde., Trier 1882-1895
Jahresberichte der Handelskammer zu Saarbrücken 1867ff.
Saarbrücker Kreis-Blatt 1874ff.
Sammlung der Polizei Verordnungen der Stadtgemeinde Malstatt-Burbach, 2 .Aufl., Malstatt-Burbach 1907
Statistische Darstellung des Kreises Saarbrücken und Jahresverwaltungsbericht pro 1859-1861, St.Johann
1862
1.2 Zeitungen
Berücksichtigt wurden zeitgenössische Jahrgänge folgender Zeitungen:
Elsässer Journal - Journal d'Alsace
Lothringer Volksstimme
Lothringer Zeitung
Luxemburger Freie Presse
Luxemburger Wort
Malstatt-Burbacher Zeitung
Metzer Zeitung
Neue Saarbrücker Zeitung
St.Johann-Saarbrücker Volkszeitung
Straßburger Post
410
2.
Zeitgenössische Literatur (bis 1914)
2.1 Soziale Fragen
Baring, William: Wie Arbeiterwohnungen gut und gesund einzurichten und zu erhalten sind, Basel 1859
Neese, M.: Hauptergebnisse der Wohnungsstatistik deutscher Großstädte, in: Die Wohnungsnot der ärmeren
Klassen in den Großstädten, hg. vom Verein für Socialpolitik, Bd.l, Berlin 1886, S.161-199
Silbergleit, H.: Preußens Städte, Berlin 1908
2.2 Mobilitäts- und Bevölkerungsbewegungen
Allendorf, H.: Der Zuzug in die Städte. Seine Gestalt und Bedeutung für dieselben in der Gegenwart, Jena
1901
Blanchard, E.: La main-d'oeuvre étrangère dans l'agriculture française, Paris 1913
Böckh, Richard: Der Anteil der örtlichen Bewegung an der Zunahme der Bevölkerung der Großstädte,
in: 8. Congrès International d’Hygiène et de Démographie 1894, Bd.7,Budapest 1896, S.382ff.
Britschgi-Schimmer, Ina: Die wirtschaftliche und soziale Lage der italienischen Arbeiter in Deutschland.
Ein Beitrag zur ausländischen Arbeiterfrage, Karlsruhe 1916
Bücher, K.: Die inneren Wanderungen und das Städtewesen in ihrer entwicklungsgeschichtlichen
Bedeutung, Tübingen 1893
Dosio, A./ Vercelli, T.: L'émigration italienne en Europe. Sa protection, son organisation par l'Assistance
des Ouvriers Italiens Emigrés, in: Action populaire No.70/1905, S.6f.
Kuczynski, Robert: Der Zug nach der Stadt. Statistische Studien über Vorgänge der Bevölkerungs-
bewegungen im Deutschen Reich, Stuttgart 1897
Markow, Alexis: Das Wachstum der Bevölkerung und die Entwicklung der Aus- und Einwanderungen,
Ab- und Zuzüge in Preußen und Preußens einzelnen Provinzen, Bezirken und Kreisgruppen von
1824 bis 1885, Tübingen 1889
Schott, Siegmund: Das Stichprobenverfahren in der Städtestatistik. Ein Versuch, Mannheim 1917
Splittorf, Rudolf: Bleib’ im Land und nähre dich redlich. Aus meinem brasilianischen Tagebuch, hg. von
Auswanderer-Anwalt Pfarrer Grisebach, o.O., oJ.
Wirminghaus, A.: Stadt und Land unter dem Einfluß der Binnenwanderung. Ein Überblick über den
gegenwärtigen Stand der Forschung, in: Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik 64/1895,
S.l-34
2.3 Grenzraumthematik
Bosselmann, O.: Die Entlöhnungsmethoden in der südwestdeutsch-luxemburgischenEisenindustrie, Berlin
1906
411
2.4 Lothringen
BauJi, Henri: La population de l’Alsace et de la Lorraine en 1921, in: Annales de géographie 27/1923,
S.12-25
Bonomelli, Gereraia: Perigrinazioni Estive, Milano 1914
Bonomelli, Gereraia: Tre mesi al di là delle Alpi, Milano 1901
Canisy, C. de: L'ouvrier dans les mines de fer du bassin de Briey, Paris 1914
Eheberg, Karl-Theodor: Straßburgs Bevölkerungszahl seit dem Ende des 15.Jahrhunderts bis zur
Gegenwart, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik (NF) 7/1883 , S.297-314 und
8/1884, S.414-430
Hottenger, Georges: Le pays de Briey, hier et aujourd’hui, Nancy 1912
Hottenger, Georges: Pays de Briey et pays messin, in: Bulletin de la Société industrielle de l'Est,
No.l 12/1913, S.30-43
Platzer, Hans: Die Verteilung der landwirtschaftlichen und industriellen Bevölkerung in Elsaß-Lothringen.
Zu der anliegenden wirtschaftsstatistischen Gemeindekarte, in: Nachrichten des Statistischen
Bureaus für Elsaß-Lothringen, Nr.5/1910
Platzer, Hans: Zur Bevölkerungsentwicklung Elsaß-Lothringens, in: Cahiers alsaciens, No.2/1912
Stübben, Josef: Die Stadterweiterung zu Diedenhofen, in: Deutsche Bauzeitung 36/1902, S.305L
Vida] de la Blache, Paul: Evolution de la population en Alsace-Lorraine et dans les départements
limitrophes, in: Annales de géographie 23/1916, S.97-181
Vidal de la Blache, Paul: La France de L'Est (Lorraine, Alsace), Paris 1917
Weil, Bruno: Die Wohnungsverhältnisse der Stadt Metz, Straßburg 1906
Wolfram, Georg: Siedlungsprobleme in Elsaß-Lothringen, Berlin 1915
2.5 Luxemburg
ARBED: Statuten der Betriebskrankenkasse der Vereinigten Hüttenwerke BED. Werk Düddingen,
Esch/Alz. 1912
Arbeitsordnung für die Hüttenbetriebe der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktien-Gesellschaft zu Esch an
der Alzette. Adolf-Emil-Hütte, Esch/Alz. 1916
Calmes, A.: Der Zollanschluß des Großherzogtums Luxemburg an Deutschland 1842-1918, 2 Bde.,
Luxemburg 1919
Einiges über die Wohnungsverhältnisse der ärmeren Arbeiterbevölkerung in Luxemburg, Luxemburg 1907
Esch-an-der-Alzette und seine öffentlichen Bauten, Luxemburg 1873
Legrand, Louis: Les conditions du travail dans les Pays-Bas avec une annexe concernant 1e Grand-Duché
de Luxembourg, Paris 1890
Mantemach, J.P.: Die Industriestadt Esch an der Alzette, Luxemburg 1907
Meyers, Jean: Pocken und Schutzpocken in Esch an der Alzette (1881-1882), in: Bulletin de la Société
des sciences médicales du Grand Duché de Luxembourg 1882, S.96-115
Stäbler, Helmut: Ein Tag auf der Eisenhütte 1916. Überreicht durch die Deutsch-luxemburgische
Bergwerks- und Hütten AG, Abt.Differdingen, Aachen 1916
Weiter, Michel: Mémoire de M. le député Weiter sur la question des habitations ouvrières, Luxembourg
1904
412
Würth-Paquet, F.X.: Esch-sur-Alzette et sections qui en dépendent. Notice historique et statistique,
Luxembourg 1845
2.6 Saarland
Bom, Wilhelm: Die wirtschaftliche Entwicklung der Saar-Großeisenindustrieseit der Mitte des ^.Jahrhun-
derts, Berlin 1919
Die Burbacher Hütte 1856-1906. Denkschrift zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens der Hütte am 22.Juni
1906, Saarlouis 1906
Haßlacher, Anton: Geschichtliche Entwicklung des Steinkohlenbergbaus im Saargebiete, Berlin 1904
Junghann, Heinrich: Das Schlafhaus- und Einliegerwesen im Bezirk der Königlichen Bergwerksdirektion
Saarbrücken, Diss. Münster/Westf. 1912
Köllner, Adolf: Geschichte der Städte Saarbrücken und SUohann, 2 Bde., Saarbrücken 1865 (ND 1981)
Kollmann, Julius: Die Großindustrie des Saargebiets, Stuttgart 1911
Müller, E.: Die Entwickelung der Arbeiterverhältnisse auf den staatlichen Steinkohlenbergwerken vom
Jahre 1816 bis zum Jahre 1903, Berlin 1904
Ruppersberg, Albert: Geschichte der Städte Saarbrücken und StJohann von 1815 bis 1909, der Stadt
Malstatt-Burbach und der vereinigten Stadt Saarbrücken bis zum Jahre 1914,2.Aufl., Saarbrücken
1914 (ND St.Ingbert 1979)
c) Forschungsliteratur
1. Spezialbibliographien und Forschungsberichte
Annotierte Gesamtbibliographie des Sonderfoischungsbereichs 164 "Vergleichende geschichtliche Städtefor-
schung" der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster 1989
Banal, Piene: L'homme du fer en péril. A propos de livres récents, in: Annales de l'Est 37/1985, H.3,
S.209ff.
Bibliographie lonaine, in: Annales de l'Est 1/I950ff.
Bibliographie der Pfalz und des Saarlandes 1927-1950, Speyer 1977
Bibliographie zur europäischen Siedlungsforschung. Archäologie-Geschichte-Geographie, in: Siedlungsfor-
schung l/1983ff.
Bibliographie zur Modernen Stadtgeschichte, in: Informationen zur Modernen Stadtgeschichte l/1970ff.
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Botz, G. (Hg.): "Qualität und Quantität". Zur Praxis der Methoden der Historischen Sozialwissenschaft,
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8.3 Thionville (Diedenhofen)
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Livre du Cinquantenaire de la Ville d'Esch-sur-Alzette (1906-1956), Esch 1956
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Scuto, Denis u.a. (Bearb.): Esch-sur-Alzette. Du village à la ville industrielle, Art et révolution industrielle
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Thiel, B.-J.: Vom alten Esch-an-der-Alzette, Luxemburg 1939
Vieil Esch. Guide de l'exposition historique et folklorique, Fêtes du Cinquantenaire de la Ville d'Esch-
sur-Alzette, Esch 1956
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434
10.
Saarland
10.1. allgemein
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Dillmann, Edwin (Hg.): Erinnerungen an das ländliche Leben. Ein historisches Lesebuch zur dörflichen
Welt an der Saar im 18Л9. Jahrhundert, St.Ingbert 1991
Droege, Georg (Bearb.): Beiträge zur geschichtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Industriegebie-
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Dülmen, Richard van: Industriekultur an der Saar. Zur Entstehung der saarländischen Gesellschaft, in:
Saarbrücker Hefte Nr.64/1990, S.18-22
Ecker, Egon: Industrie und Besiedlung. Der Einfluß der Kohlenbergwerke auf die moderne Siedlungs-
geschichte des Saarlandes, in: Saarbrücker Bergmannskalender 1955, S.87-91
Fehn, Klaus: Preußische Siedlungspolitik im saarländischen Bergbaurevier (1816-1919), Saarbrücken 1982
Fischer, Gert: Wirtschaftliche Strukturen am Vorabend der Industrialisierung. Der Regierungsbezirk Trier
1820-1850, Köln-Wien 1990
Frühauf, Helmut: Der MontanindustriestandortNeunkirchen/Saar (1820-1910), in: Rhein-Neckar-Raum
an der Schwelle des Industriezeitalters, hg. vom Institut für Landeskunde u. Regionalforschung
der Universität Mannheim, Mannheim 1984, S. 199-217
Geis, Ulrike/ Enzweiler, Hans-Jürgen/Bierbrauer, Peter: Die Sozialpolitik an der Saar im 19. Jahrhundert.
Fiskalischer Bergbau, Stumm, Villeroy & Boch, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend
26/1978, S.79-117
Herrmann, Hans-Walter (Hg.): Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende (1871-1918).
Referate eines Kolloquiums in Dillingen am 29730.September 1988, Saarbrücken 1989
Herrmann, Hans-Walter: Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende (1871-1918), in: ders.,
Das Saarrevier, S.9-39
Herrmann, Hans-Walter: Die Verstetigung der Kraft Von der Werkstatt zur Fabrik, in: van Dülmen,
Industriekultur an der Saar, S.71-83
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hg. von Herbert Helbig, Limburg 1973, S.281-310
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Hoppstädter, Kurt: Die Entwicklung des saarländischen Eisenbahnnetzes als Voraussetzung für die Bildung
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Saargegend 29/1981, S.93-121
Latz, Rolf: Die saarländische Schwerindustrie und ihre Nachbarreviere (1878-1938), Saarbrücken 1985
Mallmann, Klaus-Michael: Zwischen Machtanbetung und Revolte. Protestanten und Proletarisierung an
der Saar, in: Herrmann, Das Saarrevier, S.57-70
Mallmann, Klaus-Michael/ Paul, Gerhard/ Schock, Ralph (Hg.): Richtig daheim waren wir nie, Berlin
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Mallmann, Klaus-Michael/ Steffens, Horst: Lohn der Mühen. Geschichte der Bergarbeiter an der Saar,
München 1989
Meiser, Gerd: Stahl aus Neunkirchen. Zur Geschichte des Neunkircher Eisenwerkes, Saarbrücken 1982
Müller, Hermann: Die Übererzeugung im Saarländer Hüttengewerbe von 1856 bis 1913, Jena 1935
Paege, Wilhelm: Die geschichtliche Entwicklung der Eisenindustrie im Saargebiet, insbesondere seit dem
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Schmitt, Johannes: Agrarische Krise und industrieller Aufbruch. Die Sozialtopographie des Saarraums,
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Schmitt, Johannes: Bevölkerungsentwicklung, Wirtschaft, Gesellschaft, in: Restauration und Revolution,
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Schmitt, Johannes: Von der Agrargemeinde zum Pauperismus. Zur Krise der ländlichen Gesellschaft der
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Steffens, Horst: Arbeitstag, Arbeitszumutungen und Widerstand. Bergmännische Arbeitserfahrungen an
der Saar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: AfSG 21/1981, S.l-54
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Tenfelde, Klaus: Arbeiterkultur ira industriellen Ballungsraum, in: Saarbrücker Hefte Nr.64/1990, S.12-17
Thomes, Paul: Die Saarwirtschaft nach der Reichsgründung zwischen Boom und Krise, in: Herrmann, Das
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10.2. Migrations- und Bevöikerungsgeschichte
Dreher, Max: Saarbrücker Auswanderer vor 100 Jahren. Aus der Zeitung "Die Volksstimme" von 1951,
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Fehn, Klaus: Räumliche Bevölkerungsbewegung im saarländischen Bergbau- und Industriegebiet während
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Grasser, Marie-Louise: Zur neueren Bevölkerungsentwicklung des Landes an der mittleren Saar, in:
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Hacker, Werner: Auswanderer aus Rheinpfalz und Saarland im 18. Jahrhundert, Stuttgart 1987
Historisches Gemeindeverzeichnis. Die Einwohnerzahlen der Gemeinden Bayerns in der Zeit von 1840
bis 1952, hg. vom Bayrischen Statistischen Landesamt, München 1952
Karbach, Jürgen: Bevölkerungszahlen des Saarlandes (1800-1910), in: Zeitschrift für die Geschichte der
Saargegend 34-35/1986-1987, S.186-275
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Köster, Rudolf: Geschichtlicher Abriß der Bevölkerungsentwicklung im Saarbrücker Siedlungsraum, in:
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Waldemar, Karl H.: Wanderungen aus dem Raum des heutigen Saarlandes in das Banat im 18. Jahrhundert,
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10.3. Saarbrücken (Malstatt-Burbach)
Fehn, Klaus: Saarbrücken. Großstadtbildung im grenznahen Bergbau- und Industriegebiet, in: Stadt und
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Isbary, Gerhard: Regionale Probleme der Raumordnung. Eine Untersuchung am Beispiel des Landkreises
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Krueckemeyer, Heinrich (Hg,): Fünfundzwanzig (25) Jahre Stadt Saarbrücken, Saarbrücken 1934
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Loth, Wilfried: Fünfundsiebzig (75) Jahre Großstadt Saarbrücken, in: Saarbrücker Hefte Nr.55/1984
Ried, Hans: Die Siedlungs- und Funktionsentwicklung der Stadt Saarbrücken, Diss. Saarbrücken 1958
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Schleiden, Karl-August: Saarbrücken - So wie es war, 3 Bde., Düsseldorf 1973, 1980 u. 1985
Tietz, Bruno: Die sozioökonomische Entwicklung im Saarland und in der Stadt Saarbrücken bis zum Jahre
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Wittenbrock, Rolf: Die Stadtplanung in StJohann im 19.Jahrhundert, in: Saarbrücker Hefte, Nr.60/1988,
S.83-129
438
K. Tabellen-, Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis
a) Tabellenverzeichnis b) Abbildungsverzeichnis
Tab.l, S.29: Einwohnerzahlen von Malstatt-
Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz.
1850-1910
Tab.2, S.46: Melderegisterinformationen, A.
Daten über erfolgte Zu-, Um- und Abzüge
Tab.3, S.47: Melderegisterinformationen, B.
Daten über beteiligte Personen
Tab.4, S.51: Melderegister- und Stichproben-
umfang
Tab.5, S.54: Durchschnittliche jährliche Zu-
wachsraten der Bevölkerung in Prozent der
Einwohnerzahl
Tab.6, S.56: Einwohnerzahl, Wanderungs- und
Reproduktionsvolumina, Wanderungs- und
Reproduktionsbilanzen
Tab.7, S.57: Mobilitätskennziffern (MKZ), Wan-
derungssaldokennziffem (WSKZ) und jähr-
liche Bevölkerungswachstumsraten (jBWR)
Abb.l, S.27: Überblickskarte des Untersuchungs-
raumes Saarland-Lothringen-Luxemburg
mit den Städten Malstatt-Burbach, Dieden-
hofen (Thionville) und Esch-an-der-Al-
zette
Abb.2, S.31: Bevölkerungsentwicklung von Mal-
Burbach, Diedenhofen und Esch/Alz.
1850-1910
Abb.3, S.55: Jährliche Bevölkerungswachstums-
raten 1860-1909
Abb.4, S.61: Wanderungssaldo- und Mobilitäts-
kennziffem für Malstatt-Burbach 1860-
1909
Abb.5, S.63: Die Zu- und Abwanderung nach
Malstatt-Burbach 1867-1900
Abb.6, S.64: Trend und Konjunktur der Mobi-
litätskennziffem, der Zuwanderer- sowie
Abwandererzahlen von Malstatt-Burbach im
Vergleich
Abb.7, S.67: Reproduktions-, Wanderungs- und
Bevölkerungsbilanz von Esch/Alz. und
Malstatt-Burbach 1860-1909
Abb.8, S.69: Die konjunkturelle Entwicklung der
Walzwerkproduktion und der Belegschaft
der Burbacher Hütte im Vergleich
Abb.9, S.72: Konjunktur und Trend der Walz-
werkproduktion der Burbacher Hütte sowie
der Mobilitätskennziffem von Malstatt-
Burbach im Vergleich
Abb.10, S.74: Saisonale Schwankungen im Zu-
wanderungsaufkommen von Diedenhofen
und Malstatt-Burbach
Abb.l 1, S.76: Zuwanderungssaison der verschie-
denen Wanderungsgruppen gemäß der Mal-
statt-Burbacher Melderegistereinteilung
Abb.l2, S.76: An- und Abmeldesaison in Mal-
statt-Burbach und Diedenhofen
439
Tab.8, S.84: Prozentanteil von Männern und
Frauen an der Zuwanderung nach Dieden-
hofen und Malstatt-Burbach
Tab.9, S.86: Prozentanteil der einzelnen Kon-
fessionen an der Zuwanderung nach Die-
denhofen und Malstatt-Burbach
Tab. 10, S.89: Durchschnittsalter der Zuwanderer
nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach
Tab. 11, S.90: Altersverteilung unter den Zuwan-
derem in Diedenhofen und Malstatt-Bur-
bach (1856-1909) sowie unter den auslän-
dischen Zuwanderem in Esch/Alz. (1910)
Tab.12, S.94: Zuordnung der Immigranten in
Malstatt-Burbach, Diedenhofen bzw. der
Einwohner von Esch/Alz. zu verschiedenen
Familientypen und durchschnittliche Fa-
miliengröße der einzelnen Familientypen
Tab. 13, S.98: Stellung der Immigranten bzw. der
Einwohner zum Haushaltsvorstand
Tab.14, S.104: Zuordnung der Immigranten bzw.
der Einwohner zu Wirtschaftssektoren
Tab. 15, S.108: Zuordnung der Immigranten bzw.
Einwohner zu Sozialgruppen
Tab.16, S.115: Zuordnung der Immigranten bzw.
Einwohner zu Gesellschaftsschichten
Tab. 17, S.118: Tätigkeitsfelder der zuwandemden
Arbeiter in Malstatt-Burbach und Dieden-
hofen bzw. der ansässigen Arbeiter in
Esch/Alz.
Tab.18, S.121: Qualifikationsniveau der zuwan-
demden Fabrikarbeiterschaft nach Malstatt-
Burbach
Tab. 19, S.125: Zahlenverhältnis zwischen Be-
amten und Angestellten (Privatbeamten)
Tab.20, S.126: Berufe des technischen und des
Verwaltungsdienstes bei mittleren Beamten
und Angestellten (Privatbeamten)
Tab.2l, S.128: Untere Beamte und Angestellte
(Privatbeamte)
Tab.22, S.130: Zahlenverhältnis zwischen den
Angehörigen der einzelnen Laufbahnebenen
der Beamten und Angestellten (Privatbeam-
ten)
Tab.23, S.135: Relationen zwischen den Ge-
burts-, Herkunfts- und Zielkreisen der
Zuwanderer nach Diedenhofen und Mal-
statt-Burbach
Tab.24, S.136: Herkunft der in den Kreisen Ott-
weiler, Merzig und Saarlouis geborenen
Zuwanderer in Malstatt-Burbach
Abb.13, S.91: Altersverteilung unter den Zuwan-
derem in Diedenhofen und Malstatt-Bur-
bach (1856-1909) sowie unter den auslän-
dischen Zuwanderem in Esch/Alz. (1910)
(incl. Abb.)
(incl. Abb.)
(incl. Abb.)
(incl. Abb.)
(incl. Abb.)
440
Tab.25, S.140: Entfernung der Herkunfts- und
Zielkreise der Zuwanderer bezüglich Mal-
statt-Burbach und Diedenhofen
Tab.26, S.141: Entfernung der Geburtskreise der
Einwohner von Esch/Alz.
Tab.27, S.150: Landschaftliche sowie staatliche
Herkunft und Ziele der Binnenwanderer in
Malstatt-Burbach 1856-1909
Tab.28, S.156: Verteilung der Binnenwanderer in
Malstatt-Burbach auf die Saar-, Hunsrück-
und Pfalzkreise 1856-1909
Tab.29, S.162: Landschaftliche sowie staatliche
Herkunft und Ziele der Binnenwanderer in
Diedenhofen 1883-1909
Tab.30, S.164: Verteilung der Binnenwanderer in
1883-1909
Tab.31, S.170: Landschaftliche sowie staatliche
Zuordnung der Geburtsorte der Einwohner
von Esch/Alz. in den Jahren 1871, 1890
und 1900
Tab.32, S.174: Anteil der Italiener an der Ge-
samtbevölkerung von Esch/Alz. 1875-1910
Tab.33, S.175: Die Italiener im Kreis Saarbrük-
ken 1905-1914
Tab.34, S.178: Herkunftsregionen der Italiener in
Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/-
Alz. zwischen 1890 und 1909
Tab.35, S.184: Verteilung der in den walloni-
schen Provinzen Belgiens lebenden Aus-
länder auf die verschiedenen Nationalitäten
1890-1910
Tab.36, S.185: Herkunft der Zuzügler aus Bel-
gien nach Esch/Alz., Differdingen und Dü-
delingen sowie nach Malstatt-Burbach und
Diedenhofen 1870-1925
Tab.37, S.187: Herkunft der Zuzügler aus Frank-
reich nach Esch/Alz., Differdingen und
Düddingen 1870-1925
Tab,38, S.189: Die acht meistgenannten franzö-
sischen Herkunftsdipartements der Zuwan-
derer nach Malstatt-Burbach, Diedenhofen,
Esch/Alz., Differdingen und Düddingen
Tab.39, S.192: Die Verteilung der Zuwanderer in
Malstatt-Burbach und Diedenhofen auf die
Herkunfts- und Zielkreise bzw. der Ein-
wohner von Esch auf Geburtskreise mit
unterschiedlichem urban-ökonomischem
Entwicklungsniveau
Abb.14, S.142: Prozentuale Verteilung der Mi-
granten in Malstatt-Burbach auf die ver-
schiedenen Entfernungszonen
Abb.15, S.143: Prozentuale Verteilung der Mi-
granten in Diedenhofen auf die verschie-
denen Entfemungszonen
Abb.16, S.144: Entfernung der Geburtskreise der
Einwohner von Esch/Alz., Prozentuale Ver-
teilung auf Entfemungszonen
Abb.17, S.151: Landschaftliche Herkunft und
Ziele der Migranten in Malstatt-Burbach
Abb.18 a-c, S.157: Prozentuale Verteilung der
Binnenwanderer in Malstatt-Burbach auf
die Saar-, Hunsrück- und Pfalz-Kreise
Abb.19, S.163: Landschaftliche Herkunft und
Ziele der Migranten in Diedenhofen
Abb.20, S.165: Verteilung der Binnenwanderer in
Diedenhofen auf die lothringischen Kreise
Abb.21, S.171: Prozentuale Verteilung der Ein-
wohner von Esch/Alz. auf die verschiedenen
Geburtslandschaften
Abb.22, S.179: Hauptwanderungsrouten der ita-
lienischen Wanderarbeiter im Saar-Lor-
Lux-Raum
Abb.23, S.179: Herkunftsregionen der Italiener in
Malstatt-Burbach, Diedenhofen und Esch/-
Alz.
Abb.24, S.186: Herkunftsprovinzen der belgi-
schen Zuzügler nach Esch/Alz. 1870-1914
Abb.25, S.189: Die hauptsächlichen französi-
schen Herkunftsddpartements der Zuwande-
rer in die Industriestädte des Saar-Lor-
Lux-Raumes vor 1914
Abb.26, S.193: Die Verteilung der Migranten
bzw. Einwohner auf Herkunfts- und Ziel-
bzw. Geburtskreise mit unterschiedlichem
Entwicklungsniveau
441
Tab.40, S.198: Cluster von Berufsgruppen incl.
Verschmelzungsschema für Malstatt-Bur-
bach 1856-1909
Tab.41, S.206: Kurztypologie der maßgeblichen
Zuwanderungskontingente nach Malstatt-
Burbach
Tab.42, S.208: Cluster von Berufsgruppen incl.
Verschmelzungsschema für Diedenhofen
1883-1909
Tab.43, S.212: Kurztypologie der maßgeblichen
Zuwanderungskontingente nach Diedenho-
fen
Tab.44, S.218: Die seitens auswärtiger Zuzügler
meistfrequentierten Straßen in Malstatt-
Burbach 1856-1909
Tab.45, S.219: Die seitens auswärtiger Zuzügler
meistfrequentierten Straßen in Diedenhofen
1883-1909
Tab.46, S.225: Cluster von (Teil-)Straßen incl.
Verschmelzungsschema für Malstatt-Bur-
bach 1856-1909
Tab.47, S.233: Cluster von Straßen incl. Ver-
schmelzungsschema für Diedenhofen 1883-
1909
Tab.48, S.236: Cluster von Straßen incl. Ver-
schmelzungsschema für Esch/Alz. 1871—
1900
Tab.49, S.247: Aufenthaltsdauer der Zuwanderer
nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach
1856/1883-1909
Tab.50, S.249: Umzugshäufigkeit im Zeitab-
schnitt 1901 bis 1909 seitens der zwischen
1901 und 1909 nach Malstatt-Burbach
zugewanderten, umziehenden Personen
Tab.51, S.250: Zahl der erneuten Zuzüge nach
Malstatt-Burbach infolge eines ersten Zu-
und Abzuges innerhalb der Jahre 1901-
1909
Tab.52, S.303: Zusammensetzung der wilden
Ehen in Esch/Alz. (1913)
Abb.27, S.214: Die Siedlungsfläche von Mal-
statt-Burbach 1850 und 1905
Abb.28, S.214: Die Siedlungsfläche von Esch/-
Alz. 1850, 1871 und 1905
Abb.29, S.215: Die Siedlungsfläche von Thion-
ville/Diedenhofen zu Beginn des 19. Jahr-
hunderts und 1905
Abb.30, S.220: Die meistfrequentierten Straßen
in Malstatt-Burbach 1856-1909
Abb.31, S.221: Die meistfrequentierten Straßen
in Diedenhofen 1883-1909
Abb.32, S.243: Viertelbildung in Malstatt-Bur-
bach 1856-1909
Abb.33, S.244: Viertelbildung in Diedenhofen
1883-1909
Abb.34, S.245: Viertelbildung in Esch/Alz.
1871-1900
Abb.35, S.247: Aufenthaltsdauer der Zuwanderer
nach Diedenhofen und Malstatt-Burbach
1856/1883-1909
Abb.36, S.249: Umzugshäufigkeit der umziehen-
den Migranten in Malstatt-Burbach 1901-
1909
Abb.37, S.375: Die Landschaftsklassifizierung
der Kreise in Eifel, Elsaß, Hunsrück, Loth-
ringen, Luxemburg, Pfalz und Saarrevier
Abb.38, S.376: Die Landschaftsklassifizierung
der Kreise außerhalb der Saar-Lor-Lux-
Region
Abb.39, S.384: Das urban-industrielle Entwick-
lungsniveau der Kreise in Eifel, Elsaß,
442
Hunsrück, Lothringen, Luxemburg, Pfalz
und Saarrevier im Jahre 1910
Abb.40, S.390: Schematische Darstellung des
Clusterverfahrens
Vgl. außerdem den Tabellen-Anhang, S.392ff.
c) Abkürzungsverzeichnis
ACEs
ACTh
ADBR
ADM
AfS G
ANL
BDLo
BdPE
BDtLG
BPolVO
ES
GG
HSF
HSR
jBWR
KDTh
LA
LHA Ko
MB
MinEL
MKZ
OPKo
RKZ
RPTr
SB
SOWI
StadtA
TH
Vf.
VSWG
WS KZ
Archives Communales d'Esch-sur-Alzette
Archives Communales de Thionville
Archives Départementales du Bas-Rhin, Strasbourg
Archives Départementales de la Moselle, Metz
Archiv für Sozialgeschichte
Archives Nationales du Grand-Duché de Luxembourg
Bezirksdirektion Lothringen
Bureau de la Population de la ville d’Esch-sur-Alzette
Blätter für deutsche Landesgeschichte
Bezirkspolizeiverordnung
(maximale) Abweichungserwartung
Esch-an-der-Alzette/Esch-sur-Alzette
Geschichte und Gesellschaft
Schriftenreihe Historische Sozialforschung
Zeitschrift Historical Social Research - Historische Sozialforschung
jährliche Bevölkerungswachsturasrate
Kreisdirektion Diedenhofen
Landesarchiv
Landeshauptarchiv Koblenz
Malstatt-Burbach
Ministerium für Elsaß-Lothringen
Mobilitätskennziffer
Oberpräsidium Koblenz
Reproduktionskennziffer
Regierungspräsidium Trier
Saarbrücken
Sozialwissenschaftliche Informationen
Stadtarchiv
Diedenhofen/Thionville
Verfasser
Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
Wanderungssaldokennziffer
443
Veröffentlichungen
der Kommission für Saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
DM
I. Hans-Walter Herrmann, Geschichte der Grafschaft Saarwerden bis zum
Jahre 1527
Band 1: Quellen, 1957 ff., 676 S. 1.-3. Lieferung 36,—
Band 2: Darstellung, 1959 (= Dissertation) 265 S. (vergriffen)
II. Saarländische Bibliographie
Band 1: 1961/62, zusammengestellt von Lorenz Drehmann und Heinz
Kalker, 1964, 448 S., 3978 Titel 29,50
Band 2: 1963/64, zusammengestellt von Lorenz Drehmann und Ursel
Perl, 1966, 362 S., 3623 Titel 29,—
Band 3: 1965/66, zusammengestellt von Lorenz Drehmann und Ursel
Perl, 1968, 381 S., 3792 Titel 32,50
Band 4: 1967/68, zusammengestellt von Lorenz Drehmann und Ursel
Perl, 1970, 382 S., 3724 Titel 45,—
Band 5: 1969/70, zusammengestellt von Lorenz Drehmann und Ursel
Perl, 1972, 324 S., 2791 Titel 42,50
Band 6: 1971/72, zusammengestellt von Lorenz Drehmann und Ursel
Perl, 1974, 282 S., 2251 Titel 42,50
Band 7: 1973/74, zusammengestellt von Lorenz Drehmann und Ursel
Perl, 1976, 271 S., 2109 Titel 49,—
Band 8: 1975/76, zusammengestellt von Lorenz Drehmann und Ursel
Perl, 1978, 306 S., 2343 Titel 58,—
Band 9: 1977/78, zusammengestellt von Rudolf Lais und Ursel Perl,
1980, 413 S., 3262 Titel 68,—
Band 10: 1979/80, zusammengestellt von Rudolf Lais und Ursel Perl,
1982, 424 S., 3242 Titel 81,—
Band 11: 1981/82, zusammengestellt von Rudolf Lais und Ursel Perl,
1985, 294 S., 3333 Titel 78,—
Band 12: 1983/84, zusammengestellt von Rudolf Lais und Ursel Perl,
1986, 309 S., 3572 Titel 78,—
Band 13: 1985/86, zusammengestellt von Rudolf Lais und Ursel Perl,
1988, 314 S., 3852 Titel 78,—
Band 14: 1987/88, zusammengestellt von Rudolf Lais und Ursel Perl,
1991, 358 S., 4445 Titel 82,—
Band 15: 1989/90, zusammengestellt von Rudolf Lais und Ursel Perl,
1992, 417 S., 4788 Titel 98,—
III. Maria Zenner, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbunds-
regime 1920-1935, 1966, 434 S. 22,50
IV. Eduard Hlawitschka, Die Anfänge des Hauses Habsburg-Lothringen, 1969,
4. T., 209 S. 25,—
V. Manfred Pohl, Die Geschichte der Saarländischen Kreditbank Aktiengesell-
schaft, 1972, 14 Tab., 146 S. 29,50
VI. Fritz Jacoby, Die nationalsozialistische Herrschaftsübernahme an der Saar,
1973, 275 S. 35,—
VII. Dieter Staerk, Die Wüstungen des Saarlandes, 1976, 445 S. 52,50
VIII. Irmtraut Eder, Die saarländischen Weistümer — Dokumente der Terri-
torialpolitik, 1978, 272 S. 38,—
IX. Marie-Luise Hauck/Wolfgang Läufer, Epitaphienbuch von Henrich Dors
(Genealogia oder Stammregister der durchläuchtigen hoch- und wohlgebo-
renen Fürsten, Grafen und Herren des Hauses Nassau samt Epitaphien von
Henrich Dorsen), 1983, 286 S. 120,—
X. Jürgen Karbach, Die Bauernwirtschaften des Fürstentums Nassau-Saar-
brücken im 18. Jahrhundert, 1977, 7 Tab., 255 S. 48
XI. Hans Ammerich, Landesherr und Landesverwaltung, Beiträge zur Regie-
rung von Pfalz-Zweibrücken am Ende des Alten Reiches, 1981, 6 Beil.,
284 S. 55
XII. Klaus Michael Mallmann, Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der
Saar (1848-1904), 1981, 370 S. 59
XIII. Beiträge zur Geschichte der frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungs-
stadt. Referate und Ergebnisse der Diskussion eines Kolloquiums in
Saarlouis vom 24.-27. 6. 1980, zusammengestellt von Hans-Walter Herr-
mann und Franz Irsigler, 1983, 256 S. 57
XIV. Heinrich Küppers, Bildungspolitik im Saarland 1945-1955, 1984, 362 S. 68
XV. Wolfgang Haubrichs, Die Tholeyer Abtslisten des Mittelalters. Philologi-
sche, onomastische und chronologische Untersuchungen, 1986, 267 S. 64
XVI. Ernst Klein, Geschichte der saarländischen Steinkohlengrube Sulzbach-
Altenwald (1841-1932), 1987, 146 S. 29
XVII. Thomas Herzig, Geschichte der Elektrizitätsversorgung des Saarlandes
unter besonderer Berücksichtigung der Vereinigten Saar-Elektrizitäts-AG,
1987, 414 S. 48
18. Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende (1871-1918).
Referate eines Kolloquiums in Dillingen am 29./30. September 1988, hrsg.
von Hans-Walter Herrmann, 1991, 184 S. 48
19. Die alte Diözese Metz. Referate einer wissenschaftlichen Tagung in Wald-
fischbach-Burgalben vom 21.-23. März 1990, hrsg. von Hans-Walter
Herrmann, 1993, 320 S. 65
20. Stefan Flesch, Die monastische Schriftkultur der Saargegend im Mittelalter.
1991, 239 S. 32
21. Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (19.
u. 20. Jh.), Développement urbain dans la région frontalière France-
Allemagne-Luxembourg (XIXe et XXIe siècles), hrsg. von/sous la direction
de Rainer Hudemann, Rolf Wittenbrock, 1991, 362 S. 45
22. Grenzen und Grenzregionen. Frontières et Régions Frontalières. Borders
and Border Régions, hrsg. von Wolfgang Haubrichs, Reinhard Schneider,
1994, 283 S. 45
23. Stefan Leiner, Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegun-
gen; räumlicher und sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar-
Lor-Lux-Raumes 1856-1910, 1994, 416 S. 48