bemerken sie den Zapfen des Weinfasses, den Wendalin in seiner Einfalt nicht wieder auf¬
gesetzt hatte. Hastig eilen sie in den Keller, stellen fest, daß kein Tropfen verlorenge¬
gangen ist, und werfen sich dem verehrungswürdigen Greis zu Füßen. L2 ist zwar erst
1479 erstmals überliefert, beinhaltet aber Traditionselemente, die bis ins 11. Jahrhundert
zurückreichen.170 Eine weitere lateinische Legende L3 („Gloriosus Pater“), die präzise auf
1514 datiert ist,171 schmückt das Weinwunder noch weiter aus. Eberhard, der sich so
eifrig um die offiziösen Tholeyer Heiligen Kuno und Theobert bemüht zeigt, würdigt
Wendalinus mit keiner Silbe und repräsentiert damit vorzüglich das eigentümlich ambiva¬
lente Verhältnis Tholeys zu diesem Heiligen, den man sich nie so recht aneignen wollte.172
Nur wenig vermag Eberhard zur frühen Geschichte Tholeys auszuführen. Seine etymolo¬
gischen Erklärungsansätze sind wenig originell,173 er begnügt sich damit, die Existenz
eines Abtes,.die Befolgung der Regel und den Mönchscharakter des gloriosus pater noster
Theobertus herauszustellen. Ein rudimentäres historisches Bewußtsein ist ihm jedoch
nicht abzusprechen; zur Überlieferungslage bemerkt er: Nonnulli vero hunc abbatem
huius loci toleye fuisse asserunt, sicut et aliquod scripta usque in praesens apud nos repo¬
sita dicunt. Eius nempe conversacionem sanctam plene et integraliter scire non potui, ex
eo eiusdem legenda in huius monasterii combustione174 175 penitus devastata fuit. Quidquid
tamen de eo scribimus, ex certa aliorum revelacione et ex argumento sue canonizacionis
necessario subsequenda praesumendo comprobamus.175 Immer wieder schlägt er von der
fernen Vergangenheit Theoberts die Brücke zu aktuellen Mißständen im Tholeyer Kon¬
vent,176 nie verleugnet er sein reformerisches Anliegen. Seiner — gelegentlich ermüdenden
- Weitschweifigkeit scheint sich Eberhard dabei bewußt gewesen zu sein, wenn er be¬
kennt:
Ecce, fratres dilectissimi, largius quam putavimus circa ordinem caritatis digressi
sumus . . .177
170 hierzu Haubrichs, Basenvillare, S. 61-63
171 Selzer, St. Wendelin, S. 71-74; noch in das letzte Jahr Eberhards zu Tholey fällt die feierliche Um¬
bettung der Gebeine des hl. Wendalinus am 2. Juli 1506, 1512 weilt Kaiser Maximilian I. zu
einem Besuch in St. Wendel. Speziell der anonyme Verfasser von L3 hat aus Eberwins Magnerich-
vita geschöpft, wenn Disibodus und Paulus als Gefährten Wendalins genannt sind und letzterer
Deo militavit (Selzer, St. Wendelin, S. 72, Z. 16).
172 Bei L1 („Cum sancta“; Selzer, St. Wendelin, S. 62-65) handelt es sich um eine monastische Pre¬
digt, die aus Tholey stammen könnte. Eine Datierung auf nach 1317 ergibt sich aus der Erwäh¬
nung eines Brandes im Saarbrücker Schloß, bei dem der hl. Wendalin helfend eingegriffen habe.
Gar als Abt von Tholey erscheint Wendalin zuerst im Augsburger Wenzelspassional von 1471
(Haubrichs, Abtslisten, S. 24).
173 theologia (sancta) = Tholeya (f. lOlr); Theobertus = deus impellens thus (f. 115r)
174 Der letzte große Klosterbrand war 1422.
175 f. 106r; zur Frage des Geschichtsbewußtseins im Bursfelder Verband s. Schreiner, Erneuerung
durch Erinnerung
176 z. B. f. lOlr: Nam pessimi susurrones pacem congregationis destruunt, scandala in conventibus
fratrum nutriunt et disciplinam vite regularis pro posse extinguunt.
177 f. 114v
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