VIL Das Saarland unter französischem Einfluß 1945 - 1957/59
1. Wiederbeginn politischen und wirtschaftlichen Lebens
Die Entfaltung wirtschaftlicher und politischer Aktivitäten kam nach dem Kriegsende
im Saarland unterschiedlich schnell und intensiv voran. Mit dem Vorrücken der alliier¬
ten Truppen im Herbst 1944 hatte sich für die Bewohner an der Saar die bange Frage
gestellt, wie ihre politische und wirtschaftliche Zukunft aussehen sollte. Würde Frank¬
reich wiederum, wie nach dem Ersten Weltkrieg, die Abtrennung des Saar-Industrie-
Reviers zur Absicherung seiner Sicherheits- und wirtschaftlichen Bedürfnisse fordern?
Die Antwort blieb lange unklar, denn die französische Saar-Politik der kommenden
Jahre wies einige deutliche Kursänderungen auf. Zum einen waren diese verursacht
durch innenpolitische Ereignisse, zum anderen beruhten sie auf Interventionen der
übrigen Alliierten, die mit den französischen Zielen und Maßnahmen keineswegs
immer einverstanden waren1.
Mitte Juni 1945 hatten die Westalliierten eine grundsätzliche Einigung über die Auftei¬
lung der Besatzungszonen in Deutschland erreicht, so daß ab 10.07.1945 französische
Truppen die amerikanische Besatzung des Saarlandes ablösten. Bereits am 04. Mai 1945
hatten die Amerikaner eine deutsche Zivilregierung, das Regierungspräsidium Saar,
unter der Leitung von Dr. Hans Neureuter, eingesetzt. Anders als in Südbaden,
Südwürttemberg-Hohenzollern oder der Pfalz, wo Frankreich seine Vorstellungen
einer Militärverwaltung der eroberten Gebiete von Anfang an verwirklichen konnte,
mußte sich die französische Besatzungsmacht mit der von der US-Militärregierung ge¬
schaffenen Verwaltungsstruktur und dem von ihr eingesetzten deutschen Personal
befassen2. Zunächst wurde das Saarland von Frankreich mit der übrigen französi¬
schen Besatzungszone gleich behandelt. Am 23.07.45 erfolgte die Ernennung von Ge¬
neral Pierre Koenig zum französischen Oberbefehlshaber in Deutschland. Bevoll¬
mächtigter für das Saarland wurde General Morlière. Aufgrund der Verfügung vom
22.08.1945 schloß sich am 30.08. d.Js. die Berufung von Oberst Gilbert Grandval zum
Délégué Supérieur de la Sarre im Rahmen der Militärregierung an. Sein Kompetenzbe¬
reich umfaßte das Saarland in der vom Versailler Vertrag geschaffenen und bei der
Rückgliederung 1935 beibehaltenen Abgrenzung. Grandval sollte für rund ein Jahr¬
zehnt die französische Politik an der Saar entscheidend prägen3.
Zu Beginn des Jahres 1946 entwickelte Außenminister Bidault ein neues Saarkonzept
der französischen Regierung, indem er die Rückkehr der Saargruben in französisches
Eigentum forderte. Zugleich sollte das Saarland ganz in den französischen Zoll- und
Währungsbereich einbezogen werden, da sich die beiden Wirtschaften gegenseitig er¬
gänzten. Gegen Ende des Jahres 1946 wurde die Trennung des Saarlandes von der übri-
1 Vgl. Herr mann (1982), S. 6ff.; Peter s (1986), S. 43ff., Küppers (1985), S. 25ff.; allge¬
mein zur politischen Entwicklung Schmidt (1959-62) (pohtikwissenschaftiich ausgerich¬
tet); Regitz (1958), S. 57ff.; Manz (1968) (in erster Linie für die Frühphase); Kiersch
(1977), S. 61ff. (zusammenfassender Forschungsstand bis 1976); Frankreich und das Saarland
1945-51 (1952); Fischer (1959); Dischler (1956).
2 Herrmann (1972), S. 10; Küppers (1983), S. 345ff.
3 Herrmann (1972), S. 11.
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