„Blamage“ ersparen12 und dem Völkerbund die schwierige Durchführung des
Plebiszites abnehmen. Der Verzicht könne nur durch eine endgültige Feststellung
des deutschen Charakters des Saargebietes ausgesprochen werden, um Clemen-
ceaus Äußerung von den 150 000 Saarfranzosen 1919 den Grund zu entziehen.
Schwierigkeiten sah Voigt in der formalen Änderung des Versailler Vertrags, in
noch größerem Maße in der materiellen Einigung mit Frankreich. Konzessionen
kämen nur bei den Gruben in Frage, möglicherweise durch langfristige Kohle¬
lieferungen und eine begrenzte französische Beteiligung, die jedoch schon bedenk¬
lich sei. Am wenigsten schwierig schien Voigt der Zusammenhang der Saarfrage
mit der Rheinlandbesetzung. Juristisch sei eine Einbeziehung des rückgegliederten
Saargebietes in die besetzten Gebiete nicht zwingend, „eine unbesetzte Insel im
Rücken des besetzten Gebietes“ sei allerdings politisch ein Unding. Eine milde
Besatzung der Saar könne mit Frankreich vereinbart werden, wie es Briand bereits
einmal angedeutet habe13. Alles in allem sah Voigt die Schwierigkeiten einer
vorzeitigen Rückgliederung nicht als unüberwindlich. Eine Politik des Abwartens,
die Frankreich allmählich zur Verhandlungsbereitschaft zwinge, verspräche ange¬
sichts des fernen Abstimmungstermins keinen sicheren Erfolg. Deshalb mahnte
Voigt, bei günstiger Gelegenheit offen für Verhandlungen zu sein, das Anliegen
einer Gesamtlösung des Saarproblems aber niemals aus den Augen zu verlieren.
Voigt stellte im Gegensatz zu Stresemann eine Lösung isoliert von der Rheinland¬
räumung nicht außer Betracht. Der Außenminister und der Botschafter in Paris,
von Hoesch, blieben jedoch bei ihrem Konzept, die Saarregelung mit der
Besatzungsfrage zu verbinden14. Briands Bereitschaft, mit Stresemann über alle
Streitfragen zu sprechen, gaben der Linie des deutschen Außenministers zudem
mehr Gewicht. Das daraus entstandene Gespräch von Thoiry am 17. 9. 1926
brachte eine Behandlung auch des Saarproblems auf höchster Ebene, wie die ver¬
fügbaren Aufzeichnungen der Unterredung von Stresemanns Hand15 berichten.
Konkret ging es Briand und Stresemann hier u. a. um eine deutsche Stützungs¬
aktion des französischen Franken durch 1 Milliarde RM, von denen 300 Mio.
durch den Rückkaufpreis für die Saargruben aufgebracht werden sollten. Die
politische Gegenleistung Frankreichs hätte in der Räumung des Rheinlandes und
der Rückgliederung der Saar gelegen und hätte Stresemanns Grundkonzeption von
der Verknüpfung der Rheinland- mit der Saarfrage verwirklicht. Rückblickend ist
von einem beteiligten deutschen Politiker darauf hingewiesen worden, daß beide
Außenminister sich weit vorwagten und wohl auch die Grenzen der Realitäten
12 Diesen Gedanken findet man auch bei Weber, Hans-Siegfried, Der Kampf um die
Saar, Berlin 1928, S. 188.
13 Vgl. Bericht des Botschaftsrats Rieth (Paris) v. 16.4.1926, in: ADAP Serie B, Bd. I, 1,
Nr. 196 S. 467.
14 ADAP Serie B, Bd. I, 2. Nr. 55 S. 114 sowie Drahtbericht des Botschafters v. Hoesch
v. 2.9.1926 (AA Büro RM betr. Saargebiet, Bd. 2).
15 ADAP Serie B, Bd. I, 2, Nr. 88 und 94, Suarez, Georges, Briand, Bd. 6, Paris 1952,
S. 218ff. druckt die Aufzeichnung des französischen Dolmetschers Hesnard über
Thoiry ab, die jedoch die Saarfrage nicht erwähnt. Daß das Saarproblem angeschnit¬
ten wurde, ergibt sich auch aus dem Telegramm des Staatsskr. in d. Reichskanzlei
v. Abend des 17.9., abgedr. in: P ü n d e r, Hermann, Von Preußen nach Europa. Le¬
benserinnerungen, Stuttgart 1968, S. 86.
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