Drittes Kapitel
Möglichkeiten einer vorzeitigen Rückgliederung
bis 1933
1. Dit Saarfrage und das Gespräch von Thoiry 1926
Obwohl in der deutschen Saarpolitik Rückgliederung und Abstimmung immer
berücksichtigt wurden, stellte sich die konkrete Frage einer vorzeitigen Rück¬
gliederung erst ab etwa 1925. Bis dahin trat die Saarfrage angesichts der schwie¬
rigen Lage der Weimarer Republik hinter andere Probleme zurück. Die deutschen
Proteste gegen die Politik der Regierungskommission und den französischen Ein¬
fluß an der Saar hatten kaum Erfolg und konnten erst recht nicht eine Revision
des Versailler Saarstatuts bewirken. Auch die Überprüfung der Politik des
Präsidenten Rault durch den Völkerbundsrat im Sommer 19231 war keine Folge
deutscher Proteste, sondern das Werk neutraler Politiker aus Großbritannien und
Schweden. Die deutsche Haltung war also im Grunde von der Einsicht bestimmt,
daß der französische Einfluß im Völkerbund von dieser Seite kaum eine Änderung
der Situation an der Saar erwarten ließ1 2. Immerhin blieb die Hoffnung, daß der
Eintritt Deutschlands in den Völkerbund die Saarfrage im deutschen Sinne
annehmbarer gestalten könne. Wiederholt äußerte sich auch der Reichsaußen¬
minister Stresemann in dieser Richtung, wenn auch ohne weitgesteckte Hoff¬
nungen3.
Demgegenüber schien die Vorbereitung der Locarno-Konferenz neue Möglichkei¬
ten zu bieten, die Versailler Saarregelung zu revidieren. Die deutschen Richtlinien
für die Ministerzusammenkunft in Locarno führten daher auch die Vorverlegung
der Saarabstimmung als Diskussionspunkt auf4. Stresemann verknüpfte diese
1 Z e n n e r, Parteien, S. 71—81.
2 Vgl. die Rede des preuß. Ministerpräsidenten Braun im Landtag am 23.1.1922, in:
Sitzungsberichte des Preuß. Landtags, Bd. 5, 1921/22, Sp. 6380 und die Rede des
Reichsaußenministers Rathenau im Reichstag am 21.6.1922, in: Walther Rathenau,
Gesammelte Reden, Berlin 1924, S. 428ff.
3 Schreiben Stresemanns v. 7.9.1925 an den Kronprinzen, in: Ursachen und Folgen. Vom
deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutsch¬
lands in der Gegenwart, Bd. 6, Berlin (o. J.), S. 488; Schreiben Stresemanns v. 19.3.
1925 an den Botschafter in Moskau, in: Locarno-Konferenz 1925. Eine Dokumenten¬
sammlung. Hrsg, vom Ministerium f. Auswärtige Angelegenheiten der Deutschen De¬
mokratischen Republik, Berlin 1962, S. 75. Deutlich drückte Konsul Poensgen in sei¬
ner Aufzeichnung v. 12.12.1925 (ADAP Serie B, Bd. I, 1, Nr. 22 S. 74) aus, wie ge¬
ring die Auswirkungen eines deutschen Eintritts in den Völkerbund auf die Saarfrage
eingeschätzt wurden: ein deutschfreundlicher Kurs werde sich im Völkerbundsrat in
der Saarfrage nie durchsetzen lassen. Der günstigste Fall sei eine gute Völkerbunds¬
verwaltung, woran jedoch im Reich im Hinblick auf die Abstimmung nicht viel ge¬
legen sein könne. Letzteres betont auch Lambert, Saar, S. 104.
4 Locarno-Konferenz 1925, S. 143, ferner: BA R 431/425, Bl. 255 und 427, Bl. 11 und 14.
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