Veröffentlichungen
der Kommission für saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
in
Maria Zenner
Parteien und Politik im Saargebiet
unter dem Völkerbundsregime
1920 — 1935
Saarbrücken 1966
Kommissionsverlag: Minerva-Verlag Thinnes & Nolte
Veröffentlichungen
der Kommission für saarländische Landesgeschichte
und Volksforschung
III
Maria Zenner
Parteien und Politik im Saargebiet
unter dem Völkerbundsregime
1920 — 1935
Saarbrücken 1966
Kommissionsverlag: Minerva-Verlag Thinnes & Nolte
Druck, Einband und Kiiscbee: Saarbrücker Zeitung, Saarbrücken
Meinen Eltern
Verzeichnis der Abkürzungen
Einleitung
Inhalt
Seite
12
13
Erster Teil
Die Voraussetzungen des politischen Lehens im Saar gebiet 19
Problem der Einheit des Gebietes — geschichtliche und soziale Vor-
aussetzungen aus dem 19. Jahrhundert — Weltkrieg und Revolution
Versailler Vertrag
Zweiter Teil
Die Auseinandersetzung der Parteien mit dem Saarregime des Ver-
sailler Vertrages
Erstes Kapitel:
Die Rolle der Parteien bei der Einspielung des internationalen
Regierungssystems
1. Die Berufung der Regierungskommission 39
2. Die Grundzüge der Regierungsweise unter der Führung Raults 42
3. Die Widerstände der politischen Parteien gegen die Politik Raults 57
4. Der Höhepunkt des Konflikts zwischen Regierung und Bevölke-
rung und die Überprüfung des Saarsystems durch den Rat des
Völkerbundes 71
5. Erfolg und Begrenzung des Einflusses der Parteien in der Aus-
balancierung des internationalen Regierungssystems 82
Zweites Kapitel:
Die Mitwirkung der Parteien bei der gesetzlichen Ausgestaltung der
innersaarländischen Verhältnisse
1. Die Voraussetzungen des Einflusses der politischen Parteien auf
die Gesetzgebung 88
2. Der Einfluß der politischen Parteien auf die großen Fragen der
saarländischen Innenpolitik: 99
a) Das Schulwesen 100
b) Arbeitsrecht und Sozialversicherungen 116
c) Steuergesetzgebung 132
d) Zollfragen 141
3. Ergebnisse der innersaarländischen Entwicklung 148
7
Seite
Drittes Kapitel:
Politische Ideen, Strukturen und System der Parteien des Saargebiets
1. Die Zentrumspartei des Saargebiets 152
2. Die Deutsch-Saarländische Volkspartei 170
3. Die Sozialdemokratische Partei des Saargebiets 179
4. Die Kommunistische Partei des Saargebiets 190
5. Das System der politischen Parteien des Saargebiets 202
Dritter Teil:
Die Auseinandersetzung der Parteien mit der Frage der Rück-
gliederung
Erstes Kapitel:
Die Rolle der Parteien in den deutsch-französischen Saarverhand-
lungen des Jahres 1929/30
1. Die Ausarbeitung eines Rückgliederungsprogramms durch die
saarländischen Parteien 211
2* Das Programm der deutschen Reichsregierung für die Saar-
verhandlungen 222
3. Die Frage eines französischen Saarprogramms in den Jahren der
europäischen Verständigungspolitik Briands 228
4. Der Gang der Verhandlungen 237
Zweites Kapitel:
Die Auseinandersetzung der Parteien mit der Frage der Rück-
gliederung an das nationalsozialistische Deutschland
1. Die NSDAP des Saargebietes vor 1933 251
2. Allgemeine Auswirkungen der nationalsozialistischen Macht-
ergreifung auf das Saargebiet 256
3. Die Reaktion der saarländischen Parteien auf die Machtergreifung
und ihre Versuche zur Selbstbehauptung 265
a) Das pragmatische Programm der Deutsch-Saarländischen
Volkspartei 265
b) Die Zentrumspartei zwischen Widerstand und nationaler
Zusammenarbeit 270
c) Das revolutionäre Programm der Kommunisten 279
d) Die Opposition der Sozialdemokratischen Partei des Saar-
gebietes gegen das nationalsozialistische Deutschland und die
Schwierigkeiten zur Gewinnung eines neuen Saarprogramms 282
8
Seite
4. Zwischen Gleichschaltung, Widerstand und Hoffnung auf inter-
nationale Hilfe 288
a) Die Auflösung der bürgerlichen Parteien und der Zentrums-
partei und ihr Aufgehen in der Deutschen Front 288
b) Die Gleichschaltung der Zentrumspresse 292
c) Das Saarprogramm der Sozialdemokraten: Aufschiebung der
Volksabstimmung 295
5. Die beiden Fronten 298
a) Das Aufgehen der NSDAP-Saar in der Deutschen Front 298
b) Die Festsetzung des Abstimmungstermins durch den Rat des
Völkerbundes und die Garantien für die Saarländer 300
c) Die Bildung einer Einheitsfront aus Kommunisten und Sozial-
demokraten 302
d) Die Schwierigkeiten zur Entfaltung einer katholischen Oppo-
sition 305
e) Die frankophilen Splittergruppen 314
6. Das Ergebnis der Volksabstimmung vom 13. Januar 1935 316
Zusammenfassung der Ergebnisse 318
Verzeichnis der benutzten Quellen und Literatur 324
Anhang (Statistiken und Quellen)
1. Ergebnisse der Landesratswahlen im Saargebiet 335
2. Verteilung der Mandate im Landesrat 336
3. Anteil der Stimmen der NSDAP bei den Wahlen des Jahres 1932 337
4. Anteil der Sitze der NSDAP in den Kreistagen und Gemeinde-
räten im Jahre 1932 337
5. Programmatische Erklärungen der Landesratsfraktionen des
Saargebietes am 19. Juli 1922 338
6. Aufstellung der Petitionen und Denkschriften der politischen
Parteien und der Standesverbände bzw. Wirtschaftsorganisa-
tionen an den Völkerbund 347
7. Brief Hermann Röchlings an Hitler — 23, März 1933 377
8. Beschluß der Deutsch-Saarländischen Volkspartei vom Mai 1933 378
9. Resolution der Delegiertenversammlung der Zentrumspartei des
Saargebietes — 26. März 1933 378
9
Seite
10. Protokoll über die Besprechung der Vertreter der politischen
Parteien des Saargebietes mit Hitler — 15. Mai 1933 379
11. Brief des Vorsitzenden der Zentrumspartei des Saargebietes
Steegmann an Hitler — 2. Juni 1933 382
12. Brief der katholischen Geistlichkeit des Saargebietes an Hitler —
25. September 1933 383
13. Niederschrift über die Besprechung und Vereinbarungen zwischen
Vertretern der Zentrumspartei des Saargebietes und dem Leiter
der NSDAP des Saargebietes, Spaniol, wegen der Auflösung der
Zentrumspartei 384
14. Beschwerdebrief der katholischen Geistlichkeit des Saargebietes
an Hitler — 13. November 1933 388
15. Auszug aus dem Protokoll der Dechantenkonferenz vom 22. Ja-
nuar 1934 zu Saarbrücken 390
16. Aufzeichnung Dr. Schlichs (5. März 1934) über ein Telefon-
gespräch mit dem Geschäftszimmer des Vizekanzlers Papen am
3. Februar 1934 390
17. Schreiben Peter Kiefers an Hitler — 5. Juli 1934 391
18. Briefe Bischof Bornewassers an Hitler — 3. Oktober und
27. August 1934 395
19. Brief Gauleiter Bürckels an Hitler — 29. September 1934 400
20. Antwortschreiben des Reichs- und Preußischen Ministers des
Innern an Bischof Bornewasser — 6. Dezember 1934 401
21. Schreiben der katholischen Geistlichkeit und der katholischen
Jugend des Saargebietes an Ministerialdirektor Dr. Buttmann
im Reichsministerium des Innern — 27. September 1934 404
22. Besprechung zwischen Bischof Bornewasser und dem Referenten
beim Saarbevollmächtigten — 17. November 1934 405
23. Rundschreiben des Bischofs von Trier an die Dechanten des
Saargebietes — 5. Dezember 1934 409
24. Brief des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an Bischof Borne-
wasser — 3. September 1934 410
25. Brief des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an Bischof Borne-
wasser— 4. Februar 1935 412
26. Brief des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an Bischof Sebastian —
22. April 1935 413
10
Seite
27. Stellungnahme evangelischer Pfarrer zur Tätigkeit der Deutschen
Christen und der Haltung des Preußischen Kultusministeriums —
19. Juli 1934 414
28. Die evangelische Geistlichkeit zur Frage der Deutschen Christen
(Dezember 1934) 417
29. Brief des Zentrumsvorsitzenden des Saargebietes, Steegmann, an
Prof. Lauscher — 20. Oktober 1932 419
30. Die Mitglieder der Regierungskommission, Amtsdauer und
Ressorts 420
Personenregister 425
Kartenbeilage: Ergebnisse der Volksabstimmung vom 13. Januar 1935
11
A.A. Verzeichnis der Abkürzungen Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn
AGDB Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund
AStA Allgemeines Staatsarchiv
A.Z. Arbeiter-Zeitung, Saarbrücken
BA Bundesarchiv Koblenz
DNVP Deutschnationale Volkspartei
DDP Deutsch-Demokratische Partei
DSVP Deutsch-Saarländische Volkspartei
DVP Deutsche Volkspartei
GStA Geheimes Staatsarchiv
IGB Internationaler Gewerkschaftsbund
J.o. Journal Officiel
KPD Kommunistische Partei Deutschlands
NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
Pr.-V. Procès Verbaux
SAI Sozialistische Arbeiterinternationale
S.D.N. Société des Nations
S.L.Z. Saarbrücker Landeszeitung
SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands
S.V.Z. Saarbrücker Volkszeitung
S.Z. Saarbrücker Zeitung
VSP Vereinigte Sozialistische Partei
ZK Zentralkomitee
ZP Zentrumspartei
12
Einleitung
Das Saargebiet, im Versailler Vertrag als eigenes Territorium erst geschaffen
und 1920 für fünfzehn Jahre dem Völkerbund unterstellt, hat seither eine
bewegte Geschichte erlebt und sowohl in der internationalen Politik wie vor
allem im deutsch-französischen Verhältnis eine beachtenswerte Rolle gespielt.
Sein Geschick ist mit den großen europäischen Problemen des Versailler Ver-
trages, der europäischen Verständigungspolitik, des Nationalsozialismus und
der jüngsten Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg verknüpft. So befaßte
sich nicht nur die Weltpresse immer wieder mit seinem Schicksal, sondern es
entstand auch eine Vielzahl von Untersuchungen über Saarfragen. In den
ersten Jahren nach 1919 beschäftigten sich besonders Juristen mit diesem
Experiment einer internationalen treuhänderischen Verwaltung durch den
Völkerbund1. Das Saarstatut des Versailler Vertrages und seine praktische
Verwirklichung wurden unter rechtlichen Gesichtspunkten beleuchtet, und
das Problem war besonders im Hinblick auf die Entwicklung des internatio-
nalen Rechts und der internationalen Institutionen interessant. Historische
Arbeiten in Frankreich und Deutschland fußten in den traditionellen Be-
trachtungsweisen beider Völker. Die deutschen Werke ordneten die Politik
Frankreichs an der Saar den französischen Hegemoniebestrebungen seit
Richelieu und Ludwig XIV. ein2, während die Franzosen die westliche
Orientierung des Rheinlands, vor allem auch zur Zeit des Feudalismus, und
die französischen Einflüsse im Saargebiet im Zeitalter Ludwig XIV. und
der Französischen Revolution herausstellten3. Überdies wurden, da das
Saargebiet plötzlich interessant geworden, eine Fülle von Einzeluntersuchun-
gen und Dissertationen4 über Fragen aus der Frühzeit der Entwicklung
(1920 bis 1925) oder über die verschiedenen Sachgebiete, besonders wirt-
schaftlicher und sozialer Art, verfaßt5. Diese Arbeiten stellen eine wertvolle
1 Die bedeutendsten dieser Untersuchungen sind: A. Allot, Le Bassin de la Sarre,
Paris 1924; E. Biesel, Die völkerrechtliche Stellung des Saargebietes (Frankfurter
Abhandlungen zum modernen Völkerrecht, Heft 15), Leipzig 1929; H. Coursier,
Le Statut international du Territoire de la Sarre (Thèse), Paris 1925; R. Frank, Die
staats- und völkerrechtliche Stellung des Saargebietes, Archiv des öffentlichen Rechts,
Bd. 43, Heft 1; C. Groten, Die Kontrolle des Völkerbundes über die Tätigkeit der
Regierungskommission des Saargebietes, Saarbrücken 1929; H. Katsch, Regierung
und Volksvertretung im Saargebiet, Leipziger rechtswissenschaftliche Studien, Heft 57,
Leipzig 1930; H. Wehberg, Saargebiet. Die staats- und völkerrechtliche Stellung
des Saargebietes (Staatsbürgerliche Bibliothek, Heft 116), M.-Gladbadh 1924.
2 Z. B.: M. Herold, J. Nießen, F. Steinbach, Geschichte der französischen Saar-
politik, Bonn 1934; F. Kloevekorn, Zur politischen Geschichte des Saargebietes,
Preußischer Gebietsteil, in: Das Saargebiet, seine Struktur und seine Probleme, Saar-
brücken 1929, S. 67—121; H. Oncken, Die Saarlande im Lichte der europäischen
Geschiehtsenwicklung, in: A. Grabowskyu. G. Sante, Die Grundlagen des Saar-
kampfes, S. 27—40, Berlin 1934.
3 Z. B.: E. Babeion, Le Rhin dans l’Histoire, Paris 1917; Vidal de la Blanche, La
France de l’Est, Paris 1917; R. Capot-Rey, Quand la Sarre était française
(1793—1815), Les Cahiers Rhénans VII, Paris 1928.
4 W. Cartellieri, Verzeichnis der Saardissertationen, Saarbrücken 1933.
5 F. Kloeveko rn, Das Saargebiet, seine Struktur und seine Probleme, Saarbrücken
1929, obwohl unter politischen Gesichtspunkten bearbeitet, enthält wertvolle Einzel-
untersuchungen über Bergbau, Eisenindustrie, Glas- u. Keramikindustrie, über den
Saarmarkt und die Sozialpolitik,
13
Hilfe zur Untersuchung der inneren Verhältnisse des Saargebiets dar, wenn
sie auch zum Teil unter dem Eindruck der politischen Tagesfragen nicht zu
einer sachlichen Auswertung des zusammengestellten Materials gelangten.
Daneben gibt es eine Reihe von Veröffentlichungen von französischer und
von deutscher Seite, denen primär die Aufgabe der Unterstützung des deut-
schen bzw. des französischen Standpunkts in der Saarpolitik zugedacht war6.
In ihnen ist die Tendenz, unter der fast alle Saararbeiten leiden, primär die
außenpolitischen oder nationalpolitischen Aspekte aller Fragen darzustellen
bzw. in den einzelnen Sachgebieten nur jene Probleme zu sehen, die zum
Streitobjekt zwischen der Regierungskommission und der Bevölkerung ge-
worden waren, besonders ausgeprägt. Bei notwendig kritischer Einstellung
in der Benutzung dieser Werke bieten sie jedoch für eine historische Unter-
suchung, die politische Vorstellungen und politische Bewußtseinsbildung in
dem Zeitraum zwischen 1920 und 1935 erfassen will, eine unschätzbare
Hilfe. Sie spiegeln deutlich Denken und Ziele der verschiedenen Gruppen im
Kampf um die Saar. Eine besondere Stellung nimmt die englische Saarlitera-
tur ein7. Sie ist distanzierter, berücksichtigt auch die Probleme der innen-
politischen Entwicklung und zeichnet sich durch eine beachtliche Vertrautheit
mit saarländischen Verhältnissen und Vorstellungen aus. Die umfangreichste
Publikation über die Saarabstimmung ist das Buch von Sarah Wambaugh8,
Mitarbeiterin des Völkerbundssekretariats und Mitglied der Abstimmungs-
kommission für das Saargebiet. Sie gibt zwar auch einen Überblick über die
Entwicklung der Saarfrage von 1919 bis 1933, aber ihr Hauptanliegen ist
die Darstellung der Tätigkeit des Völkerbundsrates, der Regierungskom-
mission und der Abstimmungskommission in den Jahren 1933 und 1934. In
dieser Hinsicht bietet die Arbeit reiches Material und einen umfänglichen
Quellenanhang und berücksichtigt auch die Haltung der Saarbevölkerung in
den Jahren 1933 und 1934.
Interessanterweise wurde nach dem Zweiten Weltkrieg das Problem der
Saarentwicklung von 1920 bis 1935 in Europa von der Forschung nicht
wieder aufgegriffen. Die Veröffentlichungen zur Saarfrage nach 1945, die
jene Periode behandeln, stammen von Amerikanern. Für sie schien die Saar-
6 Z. B.: A. Marvaud, Le Territoire de la Sarre (Bibliothèque du Musée Social), Paris
1924; J. Priou, L’organisation politique et économique du Territoire de la Sarre
(Thèse), Paris 1921. Von französischer Seite gehören vor allem die Veröffentlichungen
des Kreises um die Association Française de la Sarre zu dieser Gruppe: z. B. J.
Re vire, Perdrons-nous la Sarre, Paris 1929; J. Donnadieu, Un infructueux essai
de collaboration franco-allemande en Sarre, Revue Politique et Parlementaire, Bd.
CXLIV (1930), S. 337—355. Von deutscher Seite bes. das schon genannte Werk von
Grabowsky-Sante, außerdem: E. Metzger, Der Einfluß des Saarstatuts auf die
politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Saargebiets (Diss.), Würzburg 1934,
Th. Vogel, Deutsch die Saar immerdar, Berlin 1929, H. S. Weber, Der Kampf
um die Saar, Berlin 1928.
7 W. C. Bisschop, The Saar Controversy („The Grotius Society Publication“ No 2),
London 1924; R. Donald, A Danger Spot in Europe and its Government by the
League of Nations, London 1925; M. Lambert, The Saar, London 1934; S. Os-
borne, The Saar Question a disease spot in Europe, London 1923. Zur ausländi-
schen Literatur steht eine Bibliographie zur Verfügung: F. Hellwig, Die Saar-
literatur Frankreichs und des Auslandes 1914—1935, Kaiserslautern 1937.
8 S. Wambaugh, The Saar Plébiscité, Cambridge — Mass. 1940.
14
entwicklung nach 1920 ohne weiteres als Parallele zu den Ereignissen nach
1945 interessant. So erweiterte Russell seine ursprüngliche Arbeit9, und eine
neue Untersuchung von Cowan stellte die Frage nach dem Verhältnis
Frankreichs zur Saar von 1680 bis 1948 10. Im Saargebiet selbst und in der
deutschen und französischen Forschung erschienen keine Saararbeiten über
die Zeit des Völkerbundsregimes. Der Plan zu den beiden Arbeiten von Hel-
mut Hirsch, die die Themen Versailles und Genf in der Saarfrage aufgrif-
fen11, erwuchs wohl ebenfalls in der Distanz Amerikas vom Europa des
Zweiten Weltkriegs. Die beiden großen Werke über die Saarfrage nach 1945
von Jacques Freymond12 und Robert Schmidt13 sind sehr zurückhaltend in
Rückgriffen auf die Zeit vor 1935. Man empfand wohl, daß Nationalsozia-
lismus und Zweiter Weltkrieg einen solchen Kontinuitätsbruch im politi-
schen Bewußtsein darstellten und die allgemeine politische Situation sich seit
1945 so entscheidend gewandelt hatte, daß man in einer einfachen Heraus-
stellung der Parallelen zwischen der Saarsituation von 1920 bis 1935 und
von 1945 bis 1955 vorsichtig war.
Die vorliegende Arbeit greift nun erneut das Problem der Saar unter dem
Völkerbundsregime auf. Die Distanz, die gegenüber den politischen Erlebnis-
inhalten jener Zeit besteht, und der Abschluß, den das Saarproblem 1955
gefunden hat, lösen die Fragestellung auch für eine Saarländerin von jedem
aktuellen politischen Gesichtspunkt und ermöglichen den Versuch der histo-
rischen Betrachtung einer relativ naheliegenden Vergangenheit. Mit dem
Thema Parteien und Politik im Saargebiet von 1920 bis 1935 soll nicht eine
Parteigeschichte geboten und dadurch eine Lücke in der Saarliteratur ge-
schlossen werden, sondern der Ansatzpunkt bei den politischen Parteien
scheint mir für die Ausweitung der Problemstellung, wie sie notwendig
geworden ist, fruchtbar. Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus und
der veränderten europäischen und weltpolitischen Konstellation der Gegen-
wart wurden für die deutsche Forschung die Fragen nach den politischen
Parteien in der Weimarer Republik, nach der inneren Struktur des deutschen
Nationalstaats und des deutschen Nationalbewußtseins und nach dem Phä-
nomen des Nationalstaats überhaupt aufgeworfen131. Auch die Frage nach
9 F. M. Russell, The International Government of the Saar, Berkeley — California
1926; ders., The Saar Battleground and Pawn, Stanford — California 1951.
10 L. G. Cowan, France and the Saar 1680—1948, New York 1950.
11 H. Hirsch, Die Saar in Versailles (Rheinisches Archiv Nr. 42), Bonn 1952; ders.,
Die Saar von Genf, (Rheinisches Archiv Nr. 46), Bonn 1954.
12 J. Freymond, Die Saar 1945—1955, München 1961.
13 R. H. Schmidt, Saarpolitik 1945—1957, 3 Bde., Berlin 1959, 1960, 1963.
13a Z. B.: K. D. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, Villingen 1955;
E. Matthias u. R. Morsey, Das Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960; W.
Conze, Die Krise des Parteienstaates in Deutschland, Historische Zeitschrift 178,
1954; Th. Schied er, Das Deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat, Wissen-
schaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nord-
rhein-Westfalen, Bd. 20, Köln u. Opladen 1961; ders., Das Verhältnis von politischer
und gesellschaftlicher Verfassung und die Krise des bürgerlichen Liberalismus, Histo-
rische Zeitschrift 177, 1954; ders., Der Nationalstaat in Europa als historisches Phä-
nomen, Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Heft
119, Köln u. Opladen 1964; ders., Idee und Gestalt des übernationalen Staates seit
dem 19. Jahrhundert, Historische Zeitschrift 184, 1957, S. 336—366. Auch in dem
15
dem Funktionieren eines internationalen Systems gewann neue Bedeutung,
In diesem Zusammenhang kann die Untersuchung des politischen Verhaltens
und Denkens der Parteien eines Landes, dessen Geschicke mit zentralen euro-
päischen Problemen der Zwischenkriegsepoche — Versailles, Völkerbund,
Drittes Reich — verbunden waren, aufschlußreich sein. Im Ausgangspunkt
von den politischen Parteien erhalten die Fragen nach dem Funktionieren
des internationalen Verwaltungssystems, den Möglichkeiten einer deutsch-
französischen Zusammenarbeit und der Bewährung des Völkerbundes neue
Aspekte, da ihre Bedeutung für die politische Bewußtseinsbildung deutlich
wird und umgekehrt die Abhängigkeit der großen Politik von Haltung und
politischem Willen der Bevölkerung.
Die Voraussetzungen zu einer solchen Untersuchung erwiesen sich in mehr-
facher Hinsicht als günstig. Einmal blieben die Verhältnisse, da es sich um
ein relativ kleines Land handelt, überschaubar, zum anderen ist das Quellen-
material wegen der Rolle der Saar in der internationalen Politik so umfang-
reich und vielseitig, daß es einer Verengung der Betrachtungsweise entgegen-
steht. Die Verfasserin konnte im Archiv der Vereinten Nationen in Genf,
im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn, im Bundesarchiv in
Koblenz und im Bistumsarchiv in Trier umfangreiches, unveröffentlichtes
Aktenmaterial einsehen und ist den Mitarbeitern dieser Archive, besonders
aber dem ehemaligen Direktor des Archivs der UNO in Genf, Herrn
Dr. Breycha-Veauthier, zu großem Dank für ihre Hilfe bei der Einsicht-
nahme in das Material verpflichtet. Eine Erleichterung der Arbeit war auch,
daß in der Bibliothek der UNO in Genf die internationalen Aktenpublika-
tionen und die internationale Literatur eingesehen werden konnten. Auf
diese Weise war es möglich, zum erstenmal einen Einblick in die Interna der
Zusammenarbeit des Völkerbundssekretariats mit der Regierungskommis-
sion und den Ratsmitgliedern14, in die Protokolle der Regierungskommis-
sion 15, die Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes mit den Saarparteien16
und den tatsächlichen Gang der deutsch-französischen Saarverhandlungen
des Jahres 1929/3017 zu gewinnen. Für die offiziellen Akten des Völker-
bundssekretariats und des Französischen Außenministeriums besteht die 50-
Jahre-Klausel; die Einsichtnahme in die Saarakten der einzelnen Preußi-
schen Ministerien, die im Zentralarchiv in Potsdam liegen, wurde der Ver-
fasserin verweigert18. Das in Genf eingesehene Material und die umfang-
reichen Aktenbände des Auswärtigen Amtes19 geben jedoch solch genaue
Werk von H. Benedikt (Hrsg.), Geschichte der Republik Österreich, Wien 1954,
ist in Teil II die Entwicklung der österreichischen Parteien ausführlich dargestellt.
14 Bes. UNO-Archiv Genf: Société des Nations, Archives des Sections du Secrétariat,
Section Politique, Sarre, Nr. 56 und Nr. 57.
î5 Ebenda: Société des Nations: Commission du Gouvernement de la Sarre, Procès-
verbaux, 1920—1935 (hektographiert).
16 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn, bes. II Besetzte Gebiete, Saargebiet;
Bildung eines Saarausschusses und Politische Parteien.
17 Ebenda, Bde: Rückgliederung des Saargebietes.
18 Brief des Zentralarchivs Potsdam an die Verfasserin v. 9. 1. 1962 / Az. 12.03/Dr.
End./gr.
19 Vgl. dazu das Quellenverzeichnis.
16
Aufschlüsse, daß eine wesentliche Modifizierung der gewonnenen Ergebnisse
nicht mehr zu erwarten steht. Eine Durchsicht der Saarakten der Bayerischen
Archive (Geheimes Staatsarchiv und Allgemeines Staatsarchiv München)
bestätigte diese Auffassung; die Akten ergaben keine neuen Einsichten für
das Thema. Schwieriger war die Quellenfrage für die engere Parteigeschichte,
da keine der Parteien des Saarlandes ein Archiv für die Zeit vor 1935 besitzt.
Die im Stadtarchiv Saarbrücken gesammelten Zeitungsjahrgänge, die Proto-
kolle des Landesrats des Saargebietes20, die Denkschriften der politischen
Parteien an den Rat des Völkerbundes und die Akten des Auswärtigen
Amtes wurden vor allem Grundlage für die Darstellung der Entwicklung
der Parteien und der innersaarländischen gesetzlichen Verhältnisse. Für die
Zentrumspartei war überdies das Bistumsarchiv Trier und die persönliche
Sammlung des Senators Richard Becker21 eine wesentliche Hilfe. Aufschluß-
reich für die Parteientwicklung von 1933 bis 1935 waren besonders die
Akten der Reichskanzlei im Bundesarchiv und ebenfalls das Bistumsarchiv
in Trier. Beiden Archivleitungen bin ich überdies für die Erlaubnis zur
Publikation interessanter Quellen zu großem Dank verpflichtet. Auch den
Persönlichkeiten, die jene Zeit noch erlebten und mir bereitwillig Auskunft
gaben, wie den Mitarbeitern des Landesarchivs und Stadtarchivs zu Saar-
brücken und der landeskundlichen Abteilung der Stadtbücherei sei für ihre
Hilfe gedankt.
Der Aufbau der Arbeit folgt im wesentlichen dem historischen Verlauf. Die
thematische Abgrenzung der einzelnen Kapitel ergab sich aus der Abfolge
der Dominanz der einzelnen Problemkreise und ermöglichte eine ordnende
Überschau und Zwischenzusammenfassungen, zwang allerdings teilweise zu
zeitlichen Rück- und Vorgriffen. Aus dem Rahmen einer historisch-chrono-
logischen Darstellung fällt das Kapitel über politische Ideen, Strukturen und
System der Parteien des Saargebiets. Für die Ordnung des aufgefundenen
Materials in diesem Kapitel, das eine abschließende Betrachtung des ersten
Hauptteiles bringt, bin ich der modernen Parteiforschung und ihrer Erar-
beitung eines Begriffsapparates verpflichtet22. Dieses Kapitel stellt zudem
die Voraussetzungen zusammen, die es für das Verhältnis der saarländischen
Parteien zum Nationalsozialismus zu beachten gilt. Da für die saarlän-
dischen Parteien zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus noch
zwei Jahre länger als im Deutschen Reich grundsätzlich volle Freiheit be-
stand, ist das letzte Kapitel für das Verhalten der Parteien, insbesondere
der Zentrumspartei, gegenüber dem Nationalsozialismus interessant.
20 Diese Protokolle existieren hektographiert ganz (v. 1922 bis 1934) im UNO-Archiv in
Genf, im Landesarchiv Saarbrücken -und bis 1933 auch im Stadtarchiv zu Saarbrücken.
21 Sammlung Becker-Schneider-Archiv des Landesarchivs zu Saarbrücken.
22 Bes. die systematische Studie von M. Duverger, Les Partis Politiques, Paris 1951;
2. Auflage Paris 1954 (dt. Die politischen Parteien, Tübingen 1959) dient der begriff-
lichen Klärung und Einordnung.
Th. S chieder, Der Liberalismus und die Strukturwandlungen der modernen Ge-
sellschaft vom 19. zum 20. Jahrhundert, Relazioni del X Congresso Internazionale
di Scienze Storiche, Biblioteca Sansoni, Florenz 1955, S. 153—172, setzt sich mit den
Stufen der Entwicklung der Parteien, der Parteiforschung und des Begriffsapparates
zur Erfassung der Wandlungen auseinander.
17
Ganz besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Theodor Schieder, der
mich anregte, die Saarfrage für meine Dissertation aufzugreifen, und die
Arbeit mit seinem Rat unterstützte.
An dieser Stelle möchte ich auch der Kommission für Saarländische Landes-
geschichte und Volksforschung für die Übernahme der Drucklegung meiner
Dissertation und Herrn Landesarchivrat Dr. Herrmann für seine bereit-
willige Unterstützung bei den Korrekturarbeiten danken.
18
ERSTER TEIL
Voraussetzungen des politischen Lebens
im Saargebiet
Der Vertrag von Versailles faßte zum erstenmal in der Geschichte das Saar-
gebiet, das heute in etwas veränderter Gestalt ein eigenes Bundesland dar-
stellt, politisch zusammen und trennte es von den Ländern Preußen und
Bayern ab, zu denen es seit dem Ersten und Zweiten Pariser Frieden gehört
hatte1. Die Abgrenzung des Gebietes ergab sich aus wirtschaftlichen Gesichts-
punkten. In der Denkschrift der französischen Delegation zur Friedenskon-
ferenz von Versailles war unter dem Abschnitt II „Wirtschaftliche Repara-
tion“ ausgeführt:
„. . . das Saarbecken ist ein Ganzes, dessen drei Bestandteile die folgenden sind:
die bergbauliche Zone, noch sehr unvollkommen entwickelt; sodann die Industrie-
zone, aus der ersteren hervorgegangen; schließlich die Arbeiterzone, die über die
beiden anderen hinausgreift und mit ihnen durch Eisenbahnlinien verbunden ist,...
c) In diesem Becken, von dem alle Teile miteinander Zusammenhängen, wäre jede
künstlich errichtete Trennung vernichtend. . . 2
Diese wirtschaftlichen Gegebenheiten konstituierten das Gebiet zu einer
gewissen Einheit, wie die Denkschrift richtig ausführte. Sie wurde bei allen
Unterschieden zwischen den dicht besiedelten Gebieten in der Bergbau- und
Industriezone und den agrarischen Randgebieten durch eine relativ große
Fiomogenität der saarländischen Arbeiterbevölkerung noch ergänzt. Die
Einwanderung in die Bergbau- und Hüttengebiete an der mittleren Saar, ins
Sulzbach-, Fischbach- und untere Köllerbachtal erfolgte im 19. Jahrhundert
fast ausschließlich aus den umliegenden agrarischen Gegenden des Huns-
rücks, der Mosel, der Eifel, der Pfalz und Lothringens, vorwiegend aber
aus den Gebieten, die in der Denkschrift als „Arbeiterzone“ bezeichnet wur-
den3. Verwandtschaftliche Beziehungen, Anteile am elterlichen Erbe von
Haus und Äckern blieben den Arbeitern erhalten, oder ihre Erbschaft wurde
bei einer Übersiedlung in die Industriegebiete Grundlage zum Erwerb eines
1 Nur der nördliche Zipfel des Saargebietes war auf dem Wiener Kongreß als Fürsten-
tum Lichtenberg mit der Hauptstadt St. Wendel an den Herzog von Sachsen-Coburg
gefallen. 1834 wurde das Landchen von Preußen gekauft und dem Regierungsbezirk
Trier eingegliedert. Dazu J. Beilot, Hundert Jahre politisches Leben an der Saar
unter preußischer Herrschaft (1815—1919), (Rheinisches Archiv Nr. 45), Bonn 1954,
S. 14 u. 18.
2 Das Saargebiet unter der Herrschaft des Waffenstillstandsabkommens und des Ver-
trages von Versailles, als Weißbuch von der deutschen Regierung dem Reichstag vor-
gelegt, Berlin 1921, S. 4, im folgenden zitiert als Deutsches Weißbuch; A. Tardieu,
La Paix, Paris 1921, S. 283.
3 In der französischen Literatur spricht man meist sehr allgemein von der preußischen
Überfremdung des Gebietes (so besonders J. Re vire, Perdrons-nous la Sarre, Paris
1929, S. 21 u. 25) und unterscheidet nicht zwischen der Einwanderung der Arbeiter,
die aus den umliegenden Gegenden erfolgte, und einer prozentual dazu sehr geringen
Einwanderung von preußischen Beamten und Akademikern. Bes. A. Marvaud, Le
Territoire de la Sarre, son évolution économique et sociale, Paris 1924, S. 104 f., nennt
Arbeiter und Beamte als preußische Einwanderer. Durch diese unklaren Vorstellun-
gen und mangelnden Unterscheidungen beeinflußt, trug z. B. noch 1956 M. Mourin,
Le Saint-Siège et la Sarre, in Politique Etrangère 1956, S. 411, die These vor, daß
fast alle Protestanten an der Saar „émigrés ou descendants d’émigrés“ seien. Tatsäch-
lich haben aber die evangelischen Gebiete an der Saar durch die Einwanderung der
katholischen Arbeiter eine konfessionelle Umstrukturierung im Sinne des prozentualen
Rückganges der evangelischen Bevölkerung erfahren. Zahlenangaben bei Bellot,
a. a. O., S. 116 f.
21
kleinen Hauses und Gartens. Ländlicher Rückhalt, planmäßige Sozialpolitik
der preußischen Bergwerksverwaltung und der Eisenindustriellen unter Füh-
rung des Freiherrn Carl Ferdinand von Stumm-Halberg (1836—1901) be-
günstigten die Besitzbildung und Stufung der Besitzverhältnisse bei der
Arbeiterschaft und verhinderten weitgehend ihre Proletarisierung4. Lebens-
stil und Lebenshaltung unterschieden sich nicht wesentlich in Industriezentren
und agrarischen Gebieten. Die Industrialisierung im Saargebiet ließ Bin-
dungen an Haus, Hof und Boden, Dorfgemeinschaft und Kirche bestehen
und schuf neue an Grube und Eisenwerk und ihre Organisationen wie
Knappschaft, Bergmannskapellen usw. Die geistige Haltung der saarlän-
dischen Arbeiterschaft behielt dadurch ein konservatives Gepräge, und das
Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer blieb bis an die Schwelle
des Ersten Weltkrieges durchgängig patriarchalisch. Die Gleichartigkeit der
Arbeitsmöglichkeiten und der geringe Bedarf an Spezialarbeitern (mit Aus-
nahme der Glasindustrie) trugen ebenfalls zur langen Dauer dieser Ord-
nungsformen bei und verhinderten das Eindringen fremden Ideengutes und
fremder Arbeiter5. Das Saarland mit seiner homogenen Arbeiterschaft stellte
zwar ein klar abzugrenzendes Industriezentrum dar, war aber wirtschaftlich
nicht selbständig lebensfähig6, sondern blieb für die Einfuhr von Eisenerz
und den Export von Kohle, Eisen und Stahl auf Elsaß-Lothringen und den
süddeutschen Markt angewiesen.
Der Geschlossenheit des Industriegebietes und seiner Arbeiterschaft ent-
sprach aber weder eine kulturelle noch eine politische Einheit des Saarlandes,
da dem Gebiet eine gemeinsame historische Vergangenheit und ein geistig-
politischer Mittelpunkt fehlten. Die über hundertjährige Zugehörigkeit zu
den Königreichen Preußen und Bayern zog eine beachtliche Trennungs-
linie durch die saarländische Bevölkerung, der man sich in den ersten Jahr-
zehnten nach 1920 durchaus bewußt war und zum Teil bis heute noch ist.
Ebenso bewußt war man sich der Gliederung in katholische und evangelische
Städte und Dörfer. Aber nicht nur in konfessioneller Hinsicht wirkte die
territoriale Zersplitterung des Saargebietes aus der Zeit vor der Französi-
schen Revolution nach, sondern auch die ehemalige Zugehörigkeit zu den
großen Territorien Kurtrier, Pfalz und Lothringen zeigte sich noch bis ins
20. Jahrhundert in der Bindung der Bevölkerung an die Städte Trier, Speyer
und Metz. Sie war vielfach, besonders in den agrarischen Randgebieten,
4 Vgl. über die Entwicklung der Struktur der saarländischen Arbeiterschaft und ihrer
Sozial Verhältnisse besonders folgende Literatur: A. v. Brandt, Zur sozialen Ent-
wicklung im Saargebiet, Leipzig 1904; K. A. Gabel, Kämpfe und Werden der
Hüttenarbeiterorganisationen an der Saar, Saarbrücken o.J. (1921); H. Junghann,
Das Schlafhaus- und Einliegerwesen im Bezirk der königlichen Bergwerksdirektion
Saarbrüchen, Berlin 1921; E. Müller, Die Entwicklung der Arbeiterverhältnisse auf
den staatlichen Steinkohlenbergwerken von 1816 bis 1903, Berlin 1904; O. Rix-
ecker, Die Bevölkerungsverteilung im Saargebiet, Diss., Berlin 1929; A. Schorr,
Zur Soziologie des Industriearbeiters an der Saar, Völklingen 1931; E. Straus, Die
gesellschaftliche Gliederung des Saargebiets, Diss., Frankfurt 1934; außerdem Bellot,
a. a. O., S. 3—13, S. 100—119, S. 179—203.
5 So auch Straus, a. a. O-, S. 121; Straus sieht in dieser Tatsache auch einen wesent-
lichen Grund für den geringen Einfluß der Sozialdemokraten an der Saar vor 1914.
6 So auch M. Lambert, The Saar, London 1934, S. 133.
22
stärker als an die Großstadt Saarbrücken, die nur in den alten Städten
St. Johann und Saarbrücken auf die Tradition der Grafen von Saarbrücken
zurückreichte, im übrigen aber ihr Gepräge der Industrialisierung des
19. Jahrhunderts und der preußischen Verwaltung verdankte. So waren
enge Beziehungen zu den um das Saarland liegenden größeren Städten aus
alter territorialer und kirchlicher Tradition ebenso gegeben, wie im 19. Jahr-
hundert Verbindungen zu den preußischen und bayrischen Universitäts-
städten und den rheinischen und pfälzischen Verwaltungszentren erwuchsen.
In diesen Verhältnissen spiegelt sich nicht nur die Tatsache, daß dem Saar-
gebiet, als es in Versailles geschaffen wurde, die eine Einheit konstituieren-
den historisdien und kulturellen Elemente fehlten, sondern auch, daß das
Saargebiet trotz seiner Industrialisierung im 19. Jahrhundert eine Lage im
Schatten der großen politischen und kulturellen Entwicklungen behalten
hatte. Dafür zeugt auch, daß vorpreußische Traditionen im 19. Jahrhundert
in diesem Raum nirgends ein politisch wirksames Kultur- und Sonder-
bewußtsein entstehen ließen, das gegenüber der preußischen Herrschaft auf-
gelebt wäre. Am augenfälligsten ist in diesem Zusammenhang, daß die Stadt
Saarlouis als Gründung Ludwigs XIV. mit ihrer immerhin beachtlichen
französischen Tradition und einem gewissen Bevölkerungsprozentsatz fran-
zösischen Ursprungs im 19. Jahrhundert der preußischen Verwaltung keine
Schwierigkeiten bereitete und eine rein deutschsprachige Stadt wurde7. Diese
Lage des Saarlandes im Kulturschatten bildete die Voraussetzung dazu, daß
die führende Beamtenschaft der preußischen Staatsgruben8, der preußischen
Verwaltung und vielfach auch die Akademikerschaft bis zum Ersten Welt-
krieg kaum aus dem Saarland, sondern aus den übrigen Teilen Preußens
stammten. Die politische und kulturelle Entwicklung an der Saar schritt auch
im 19. Jahrhundert langsam voran, und das Gebiet verdiente nur wegen
seiner Industrie besondere Beachtung.
Trotzdem entstanden im Laufe des 19. Jahrhunderts langsam soziale und
politische Probleme, die als spezifisch saarländisch anzusehen sind und die
wesentliche historische Voraussetzungen darstellten, als das Territorium aus
den umliegenden Gebieten herausgelöst und einer Sonderverwaltung unter-
stellt wurde.
Frankreich erstrebte auch im 19. Jahrhundert den Erwerb einiger Teile der
Saar und rief damit politische Reaktionen der Saarbevölkerung hervor9. Im
7 Literatur zur Frage Saarlouis: E. Babeion, Les Français de Sarrelouis en Prusse
Rhénane, in: Revue des Deux Mondes, 6. Jg., Nr. 41, 1917, S. 278—308. Ders.,
Sarrelouis et Sarrebruck, Paris 1918; C. R. Richter und N. Fox, Saarlouis und
Frankreich, Saarbrücken o.J.; Babeion arbeitete als Vertreter der historischen An-
sprüche Frankreichs auf die Saar fälschlicherweise eine Lebendigkeit der französischen
Tradition in Saarlouis heraus, wie sie im 19. Jahrhundert nicht mehr bestand. Vgl.
dazu auch B e 11 o t, a. a. O., S. 16 und S. 83 f.
8 Bereits unter dem Fürsten Wilhelm Fïeinrich von Saarbrücken (1741—1768) waren
die Kohlengruben Staatseigentum geworden und gingen deshalb nach 1815 in preu-
ßischen und bayrischen Staatsbesitz über.
9 Eine historische Darstellung der Ereignisse von 1814/15 bzw. der französischen Saar-
politik des 19. Jahrhunderts enthalten folgende Werke: Babeion, Sarrebruck et
la Diplomatie Parisienne de 1815, in: Revue des Deux Mondes, 6ième Periode, No. 45,
Mai/Juni 1918, S. 841—863. Ders., Le Rhin dans l’Histoire, Paris 1917; L. G. Co-
23
Ersten Pariser Frieden hatte Talleyrand über die Grenzen von 1792 hinaus
an der Saar im Anschluß an Saarlouis die Stadt Saarbrücken und fast das
ganze saarländische Kohlengebiet für Frankreich behauptet. In Saarbrücken
war man enttäuscht, und der Kaufmann Heinrich Böcking trat deshalb noch
im Laufe des Jahres 1814 in Verbindung zu Görres, der sich der Saarfrage
im „Rheinischen Merkur“ 10 annahm. Der Sieg bei Waterloo ließ in Saar-
brücken neue Hoffnungen aufleben. Als Hardenberg auf dem Weg nach
Paris durch Saarbrücken reiste, trugen ihm Vertreter der Bevölkerung ihr
Anliegen vor. Am 11. Juli 1815 traten 345 Bürger der Städte Saarbrücken
und St. Johann mit ihrer Unterschrift für eine Wiedervereinigung mit
Deutschland ein. Der Stadtrat beschloß daraufhin, eine Delegation von sechs
Saarbrücker Bürgern unter der Führung des Kaufmanns Böcking und des
Notars Lauckhard nach Paris ins preußische Hauptquartier zu entsenden,
um den Wünschen der Bevölkerung wirksamen Ausdruck zu verleihen. Die
Petitionen und die Argumente der Delegation trugen in ihren Formulierun-
gen den Stempel der nationalen Bewegung, wie sie in Reaktion gegen das
Napoleonische System im Rheinland und in anderen Teilen Deutschlands
entstanden war. Die Schritte der Bevölkerung stützten die preußischen For-
derungen11 in Paris; im Zweiten Pariser Frieden kamen die Kantone Saar-
brücken, Saarlouis und Rehlingen an Preußen.
Die französische Saarliteratur führte nach 1918 die Aktivität der Saar-
brücker Delegation auf die Agitation einiger Industrieller zurück, die sich
von dem preußischen Staat wirksame Wirtschaftshilfe erwartet hätten. Eine
solche These beachtet die für die damalige Zeit erstaunlich hohe Zahl der
Unterschriften nicht. Die Franzosen versuchten ihre Interpretation durch
den Hinweis auf Petitionen aus dem saarländischen Raum zur Zeit der
Französischen Revolution und auf Abstimmungen zur Zeit Napoleons zu
erhärten und deuteten die Anteilnahme der Bevölkerung am politischen
Leben in jener Epoche als Bekenntnis zu Frankreich12. Dagegen muß man
feststellen, daß die Berührung mit den Ideen der Französischen Revolution
und mit der französischen Gesetzgebung in den Rheinlanden die politische
wan, France and the Saar 1680—1948, New York 1950; F. Hellwig, Der Kampf
um die Saar, Leipzig 1934; ders., „Die Saarbevölkerung in den Jahren vor der Reichs-
gründung“ in: A. Grabowsky u. G. W. Sante, Die Grundlagen des Saarkampfes, Berlin
1934, S. 74—82; M. Herold, J. Nießen, F. Steinbach, Geschichte der französi-
schen Saarpolitik, Bonn 1934; F. Kloevekorn, Das Saargebiet, seine Struktur und
seine Probleme, Saarbrücken 1929, S. 67—120; H. Oncken, „Die Saarlande im Lichte
der europäischen Geschichtsentwicklung“ in: Grabowsky-Sante, a.a.O., S. 27—40; A.
Ruppersberg, Geschichte des Saargebietes, Saarbrücken 1923; J. Bellot, a. a. O.,
berücksichtigt die französische Saarpolitik, soweit sie für die innenpolitische Entwick-
lung an der Saar relevant ist. Sie enthält die für uns entscheidenden Gesichtspunkte,
und die folgende Skizzierung der saarländischen politischen Probleme im 19. Jahr-
hundert stützt sich im wesentlichen auf die Ergebnisse dieser Arbeit.
10 So besonders im „Rheinischen Merkur“ v. 17. 6. 1814, vgl. dazu Kloevekorn,
a. a. O., S. 91.
11 Vgl. dazu K. Griewank, Der Wiener Kongreß und die europäische Restauration2,
Leipzig 1954, S. 312 f.
12 Zu diesem Problem besonders: F. und A. Ecker, Der Widerstand der Saarländer
gegen die Fremdherrschaft der Franzosen 1792—1815, Saarbrücken o.J. (1934); vgl.
auch Lambert, a. a. O., S. 19.
24
Aktivität bürgerlicher Schichten an der Saar geweckt und im Laufe der
Napoleonischen Epoche zum Willen nach nationaler Selbstbestimmung ge-
steigert hatte. Selbstverständlich konnte man zu der damaligen Zeit noch
nicht von einer Willenskundgebung der Gesamtbevölkerung sprechen, da
die Masse des Volkes am politischen Leben noch keinen tätigen Anteil nahm
und sich zu Souveränitätswechseln deshalb nicht äußerte. Honoratioren-
gruppen prägten das politische Leben, und eine solche Gruppe aktiver Saar-
brücker Bürger trat in den Ereignissen von 1815 in beachtlicher Stärke und
Entschlossenheit in Erscheinung. Die politischen Erfolge der Saarbrücker
Bürgerschaft wurden für die Erlebnisinhalte des deutschen Nationalgefühls
an der Saar, insbesondere in Saarbrücken, von entscheidender Bedeutung.
Als im Zuge der italienischen Einigung das deutsche Nationalbewußtsein
allgemein wieder auflebte und die Möglichkeit einer kleindeutschen Eini-
gung gegen Kompensationen an Frankreich aktuell wurde, nahmen Bürger-
schaft und Presse in Saarbrücken zu diesen Fragen mit Leidenschaft Stellung.
Zentrales Problem wurden für die Saarbrücker die französischen Wünsche
nach territorialem Gewinn oder nach dem Ankauf der preußischen Staats-
gruben an der Saar. Die französischen Pläne wurden energisch zurückgewie-
sen, es kam wiederholt zu Treuebekenntnissen gegenüber Preußen, und in
Gedenkfeiern verherrlichte man die Haltung der Saarbrücker in den Jahren
1814/15, in der sich das Nationalbewußtsein der Saarländer bereits geoffen-
bart habe. Die Frage einer nationalen Verteidigung des saarländischen Koh-
lengebietes gegenüber Frankreich trat nach 1871 in den Hintergrund, da mit
der Angliederung Elsaß-Lothringens an das Deutsche Reich das Saargebiet
seinen Charakter als unmittelbares Grenzland Frankreichs verlor.
Eng mit dieser Entwicklung eines Nationalbewußtseins, das sich gegen fran-
zösische Annektionswünsche richtete, war an der Saar in einzelnen Gebieten
eine starke Hinwendung zu dem kleindeutsch-preußischen Nationalstaat
verbunden. Die Einverleibung der Saar in den preußischen Staat hatte die-
sem 1814 und 1815 fernab liegende Gebiete angegliedert, deren Tradition
bis dahin keine Verbindung zu Preußen besaß. Die bodenständige evange-
lische Bevölkerung an der Saar, besonders das Bürgertum der Städte Saar-
brücken und Ottweüer, die preußische Beamten- und Akademikerschaft und
die Industriellen schlugen im Zuge der Nationalbewegung des 19. Jahrhun-
derts diese Brücke. Nach anfänglich radikal demokratischen und linkslibe-
ralen Tendenzen der saarländischen Vertreter in der Paulskirche13 und einer
oppositionellen Haltung im preußischen Abgeordnetenhaus während der
Konfliktszeit, wurde das Saargebiet nach 1867 eine Hochburg des National-
liberalismus, und selbst freikonservative Kandidaten wurden in den Saar-
kreisen gewählt14. Die Bedrohung durch Frankreichs Kompensationswünsche
und die deutsche Einigung unter Preußens Führung begünstigten diese Ent-
13 R. Noack, Die Revolutionsbewegung von 1848/1849 in der Saargegend, Mitteilun-
gen des Historischen Vereins für die Saargegend, Heft 18, Saarbrücken 1928.
14 Übersichten über die Wahlkreise der Saargegend und eine Zusammenstellung der in
den Saarkreisen gewählten Kandidaten für den Preußischen Landtag von 1849—1918
und für den Deutschen Reichstag von 1871—1918 bei Bellot, a. a. O., S. 247—251.
25
wicklung. Die Gegensätze zwischen Nationalliberalen und Freikonserva-
tiven wurden in den Wahlbewegungen kaum ausgetragen, da beide Rich-
tungen in ihrem Erfolg abhängig waren von dem Einfluß, den die Indu-
striellen und die Beamten der staatlichen Bergwerksverwaltung gemeinsam
auf die Arbeiterschaft ausübten. Wahlvereinbarungen wurden getroffen und
gegenseitige Unterstützungen zugesagt. Im gemeinsamen Kampf gegen das
Zentrum näherte man sich noch stärker; die Wahlkämpfe wurden oft mit
nationalen Argumenten bestritten. Eine Grundlage für eine dauernde kon-
servative Parteibildung bot die saarländische Bevölkerungsstruktur nicht,
und die Erfolge von freikonservativen Kandidaten waren nur dem Einfluß
des bedeutendsten saarländischen Industriellen, des Freiherrn von Stumm,
und seiner wiederholten eigenen Kandidatur zuzuschreiben15. Nach seinem
Tode wurde kein Freikonservativer mehr gewählt. Da an der Saar eine
breite großbürgerliche oder industrielle Schidit fehlte, wurde bereits damals
deutlich, daß sich die Nationalliberalen und die Freikonservativen politisch
ohne Wahlunterstützung durch die Arbeiterschaft nicht durchsetzen konnten.
Der Nationalliberalismus behauptete sich in seiner starken Position an der
Saar im Wahlkreis Saarbrücken bis zum Ersten Weltkrieg, da die oben skiz-
zierte Sozialpolitik und die traditionsgebundene Haltung der saarländischen
Arbeiterschaft zunächst durchgängig zu einer Anerkennung des politischen
Führungscharakters der leitenden Beamtenschaft, der Industriellen und des
besitzenden und gebildeten Bürgertums geführt hatten. Die politische Bevor-
mundung wurde lange Zeit von der Arbeiterschaft als selbstverständlich
hingenommen und auch noch in den neunziger Jahren und nach der Jahr-
hundertwende durch Bespitzelung und Druck bei den Wahlen weiter auf-
rechterhalten.
Diese politischen und sozialen Verhältnisse führten auch dazu, daß erste
Ansätze zur Bildung einer sozialdemokratischen Partei an der Saar ener-
gisch unterdrückt wurden16. Auf Initiative Stumms wurde 1877 ein „Komi-
tee der Arbeitgeber zur Bekämpfung der Sozialdemokratie“ gegründet, in
dem alle Arbeitgeber, einschließlich der staatlichen Grubenverwaltung, ver-
treten waren. Jeder Betrieb entließ die Arbeiter, die sich der Sozialdemokra-
tie näherten, und diese Arbeiter wurden im Saarland nicht wieder einge-
stellt. Dieses Vorgehen wie die Geisteshaltung der saarländischen Arbeiter-
schaft ließen wiederholte Versuche der Sozialdemokraten, an der Saar Ein-
fluß zu gewinnen, scheitern. Selbst Bebel vermochte durch sein Auftreten an
der Saar die Verhältnisse nicht zu ändern. Das fast vollständige Fehlen der
Sozialdemokratie und der Freien Gewerkschaften, die von den Arbeitgebern
nicht minder heftig bekämpft wurden, bildeten bis zur Schwelle des Ersten
Weltkrieges ein Kennzeichen des politischen Lebens an der Saar.
Neben den Nationalliberalen und den Freikonservativen gelangte das Zen-
trum nach 1870 zu steigendem Einfluß. In seinen agrarischen Randgebieten
15 Uber den Freiherrn v. Stumm: F. Hellwig, Freiherr von Stumm-Halberg, Fleidel-
berg—Saarbrücken 1936.
16 Zum Kampf gegen die Sozialdemokraten und die Gewerkschaftsbewegung besonders:
Gabel, a. a. O., S. 70—90.
26
war das Saargebiet fast rein katholisch, und da die Einwanderung in die
Industriezone im 19. Jahrhundert vorwiegend aus den umliegenden katho-
lischen Gebieten erfolgte, waren auch eine Reihe evangelischer Orte bald
überwiegend katholisch geworden. Mit dem Fortgang des Kulturkampfes17
begann die Aktivität der Kirche und des Zentrums an der Saar. Man wollte
in diesem katholischen Land Zentrumskandidaten in den Wahlen durch-
setzen. Das Zentrum gewann in der Arbeiterschaft auch wegen seiner Sozial-
lehre Einfluß. Der Zentrumsabgeordnete Hitze kandidierte 1887 im Wahl-
kreis Saarbrücken, im gleichen Jahr wurde vom Zentrum der „Sozial-
politische Verein für den Industriebezirk Saarbrücken“ gegründet, der Ma-
terial über soziale Mißstände sammelte. Der Trierer Abgeordnete Kaplan
Dasbach nahm sich ebenfalls der sozialen Probleme an der Saar an. Katho-
lische Arbeitervereine und christliche Gewerkvereine bildeten nach 1900 in
steigendem Maße die Grundlage für eine breitere gewerkschaftliche Orga-
nisation der Arbeiterschaft18. Ohne Schwierigkeiten vermochte sich das Zen-
trum in dem Wahlkreis Saarburg-Merzig-Saariouis, der fast rein katholisch
und stark ländlich war, durchzusetzen. Nur noch 1870 wurde für den preu-
ßischen Landtag neben dem Zentrumskandidaten ein Freikonservativer ge-
wählt; seit 1871 gab es für den Reichstag und seit 1873 für den Preußischen
Landtag in diesem Wahlkreis nur noch Zentrumsabgeordnete. Dagegen ge-
lang es im Wahlkreis Ottweiler-St. Wendel-Meisenheim den Nationallibe-
ralen und den Freikonservativen gemeinsam, sich zu behaupten. Für den
preußischen Landtag wurden jeweils ein Nationalliberaler und ein Frei-
konservativer, für den deutschen Reichstag Stumm selbst oder ein anderer
Vertreter der Reichspartei gewählt. Dieser ständige Erfolg gegenüber dem
Zentrum wurde durch die Wahlkreiseinteilung erleichtert; denn mit den
überwiegend katholischen Kreisen St. Wendel und Ottweiler war der rein
evangelische und agrarische Kreis Meisenheim, der unter dem Einfluß des
Bundes der Landwirte stand, zusammengefaßt. Nach dem Tode Stumms
siegte in der Reichstagswahl des Jahres 1903 zum erstenmal ein Zentrums-
abgeordneter, und 1912 gewann das Zentrum endgültig auch diesen Wahl-
kreis. Der Kandidat des Zentrums war 1912 Bartholomäus Koßmann, Berg-
mann von Beruf und als Sekretär des Katholischen Arbeitervereins zu poli-
tischem Einfluß gelangt.
Vor Beginn des Ersten Weltkrieges standen sich damit an der Saar nur zwei
politische Lager von Bedeutung gegenüber, Nationalliberale und Zentrum.
Die Gegner bekämpften sich erbittert, und beide rangen um Einfluß in der
Arbeiterschaft. Das Zentrum war seit 1912 in seiner Position in den beiden
Randwahlkreisen unbesiegbar geworden. Es war ihm gelungen, das Ver-
trauen großer Teile der Arbeiterschaft zu gewinnen, in der politischen
Sphäre durch seinen Kampf gegen die Bevormundung der Arbeiterschaft, in
17 Der Kulturkampf an der Saar ist nur in seinen Anfängen untersucht: E. Heitjan,
Zentrumspartei und Zentrumspresse an der Saar zur Zeit des Kulturkampfes, Saar-
louis 1931; außerdem: Beilot, a. a. O., S. 120—178.
18 Vgl. dazu: Gabel, a. a. O., S. 125—149; Straus, a. a. O., S. 57—60; P. Kiefer,
25 Jahre Gewerkverein christlicher Bergarbeiter im Saarrevier, Saarbrücken 1929,
S. 25—40; Beilot, a. a. O., S. 204ff.
27
der sozialen durch sein Programm und den Einfluß der katholischen Arbei-
ter- und christlichen Gewerkvereine. Daß sich die Nationalliberalen im
Wahlkreis Saarbrücken trotz der Aktivität des Zentrums und der Tatsache,
daß auch dieser Wahlkreis überwiegend katholisch und gleichzeitig ausge-
sprochen industriell war, behaupten konnten, läßt sich nicht allein aus der
Einflußnahme der Arbeitgeber auf die Arbeiter erklären. Das preußisch
orientierte Nationalbewußtsein der einheimischen Saarbrücker Bürgerschaft
und ihr geistiger Einfluß, der jahrzehntelang das politische Leben im Kern
des Saargebietes entscheidend prägte, wie der Umstand, daß National-
liberale und Freikonservative zudem bedeutende, an der Saar beheimatete
Persönlichkeiten als Wahlkandidaten zu stellen vermochten, sind weitere
Gründe für den Erfolg. Dem Zentrum dagegen fehlten überragende Poli-
tiker aus den Saarkreisen; seine Kandidaten waren Vertreter des rheinischen
Katholizismus. Nur in der Stadt St. Wendel gab es eine kleine Gruppe ge-
bildeter Bürger, die als katholische Führungsschicht eine Rolle spielte. In den
ländlichen Gebieten der rein katholischen Kreise wuchsen politisch selbst-
bewußte katholische Schichten erst langsam heran. Die geistig politische
Orientierung des Zentrums auf die rheinische und trierische Tradition unter-
schied es von dem preußisch orientierten Nationalliberalismus und ver-
tiefte den Gegensatz zwischen diesen beiden politischen Lagern an der Saar.
Bevor der Versailler Vertrag durch seine Bestimmungen die Voraussetzungen
für das politische Leben an der Saar entscheidend veränderte, hatten Welt-
krieg und Deutsche Revolution einen bedeutsamen Umwandlungsprozeß
eingeleitet. Die Arbeiterschaft war im Kriege über den engen Erfahrungs-
kreis der Heimat hinausgewachsen, innere Dispositionen zu größerer politi-
scher Selbständigkeit und Aktivität wie auch eine Bereitschaft zur Aufgabe
traditioneller Überzeugungen waren entstanden19. Der Umschwung zeigte
sich im November 1918, als im Anschluß an die revolutionären Ereignisse in
Deutschland sich auch in Saarbrücken und vielen größeren Orten des Saar-
landes Arbeiter- und Soldatenräte bildeten20. Diese bedeuteten keine revo-
lutionäre Usurpation der Macht durch die Arbeiterschaft, sondern kündigten
den Willen der saarländischen Bevölkerung zu demokratischer Selbstbestim-
mung an und brachten die endgültige Auflösung des patriarchalischen Sy-
stems. Das Bürgertum wurde von dieser Bewegung vollständig überrannt
und verlor seine einflußreiche politische Position; Initiatoren der Arbeiter-
und Soldatenräte waren meist Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei
oder des „Alten Verbandes“, der freigewerkschaftlichen Organisation der
saarländischen Bergarbeiter21. In Saarbrücken wurde z. B. der Vorsitzende
der Sozialdemokratischen Partei, der Redakteur Valentin Schäfer, Vor-
sitzender des Arbeiter- und Soldatenrates22; in Neunkirchen gehörte ihm
19 So auch Straus, a. a. O., S. 121.
20 K i e f e r, a. a. O., S. 43.
21 Ebenda, S. 43; N. Schmidt (Herausgeber), Chronik der Gemeinde Heiligenwaid,
Neunkirchen 1954, S. 205.
22 Kiefer, a. a. O., S. 46; S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43.
28
der Gewerkschaftssekretär des „Alten Verbandes“, Petri, an23, der später
Landesratsabgeordneter der Sozialdemokratischen Partei wurde. Allent-
halben gewannen die Sozialisten und die Freien Gewerkschaften, die vor
dem Kriege kaum Einfluß besessen hatten, an Boden. Die Mitgliederzahlen
der Freien Gewerkschaften stiegen sprunghaft von 1250 Mitgliedern im
Jahre 1913 auf 23 000 Mitglieder im Jahre 1918 und dann auf 41000 im
Jahre 192024. Im Zuge dieser Bewegung versuchten die Sozialisten in Saar-
brücken die Verhältnisse allein zu gestalten25; im übrigen Saarland wurden
aber auch andere demokratisch und sozial gesinnte Vertreter der Bevölke-
rung in den Arbeiter- und Soldatenrat gewählt. In Neunkirchen gehörten
dem Rat z. B. ein Sekretär der Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaft an, außer-
dem ein Augenarzt, ein Lehrer, ein Kaufmann, ein Rechtsanwalt und ein
Amtsrichter26. In Saarbrücken erzwangen die Christlichen Gewerkschaften
Verhandlungen und Vereinbarungen mit dem Vorsitzenden des Arbeiter-
und Soldatenrates Schäfer, der sich zu den Zusagen bereit fand, daß
„1. die wirtschaftlichen Organisationen (Christliche und Freie Gewerkschaften) nach
wie vor mit- und nebeneinander arbeiten sollten an der Lösung wirtschaftlicher
Berufsfragen;
2. . . . die Vertreter der Christlichen Gewerkschaften zu allen Besprechungen, die der
ASR abhält und in denen öffentliche und soziale Fragen besprochen werden, zwecks
Mitarbeit zuzulassen sind ..27.
Den Forderungen der Christlichen Gewerkschaften war durch eine große
Revierkonferenz am 13. November 1918 in Saarbrücken Nachdruck ver-
liehen worden. Auch die Christlichen Gewerkschaften konnten in diesen
Revolutionstagen ihre Mitgliederzahl um 1500 erhöhen28.
Die Arbeiter- und Soldatenräte bildeten an der Saar nur eine kurze Episode,
da die französischen Besatzungstruppen sie am 24. November 1918 auf-
lösten29. In der Wahlbewegung zur Weimarer Nationalversammlung zeigte
sich aber, welche Bedeutung dem Prozeß an der Saar zukam. Das Bürgertum
blieb weiter in die Defensive gedrängt. Es schloß sich in Arbeitsgemein-
schaften über Parteigruppierungen hinweg zusammen, die Führung fiel aber
den Demokraten zu, und sie vertraten in der Wahlpropaganda betont demo-
kratische und soziale Ziele30. Die bürgerlichen Gruppen konnten in der
Wahl nur 16 Prozent der Stimmen erhalten, während die Mehrheitssozia-
listen 36,2 Prozent errangen31. Gleichsam von heute auf morgen war in den
wenigen Monaten nach dem Krieg offenbar geworden, daß das politische
23 Krajewski, Aus bewegten Zeiten — von Krieg und Kriegsnot, in: Stadt Neun-
kirchen (Saar), Neunkirchen 1955, S. 132/3.
24 Straus, a. a. O., S. 86: Übersicht über die Stärke der Freien und der Christlichen
Gewerkschaften.
25 Kiefer, a. a. O., S. 44.
26 Krajewski, a. a. O., S. 133.
27 Kiefer, a. a. O., S. 46 f.
28 Ebenda, S. 47.
29 Ebenda, S. 48.
30 Näheres darüber S. 170 ff. unten.
31 S.D.N. J.O. 1,8 (1920), S. 68 (5. Periodischer Bericht der Regierungskommission des
Saargebietes).
29
Leben im Industriegebiet der Saar hinfort entscheidend von der Arbeiter-
schaft mitbestimmt würde; diese strebte mit Macht nach Einfluß und Gel-
tung bei der Gestaltung ihrer politischen und sozialen Verhältnisse. Dieser
Demokratisierungsprozeß hatte an der Saar vor dem Versailler Vertrags-
abschluß begonnen und prägte das politische Leben unter den veränderten
Verhältnissen des Völkerbundregimes in tiefgreifender Weise.
Hatten die Deutsche Revolution und der Übergang zu Republik und Parla-
mentarismus an der Saar eine Bedeutung, die vor allem in der Überwindung
der lokalen und eng begrenzten politischen und sozialpolitischen Konstella-
tion des 19. Jahrhunderts zu sehen ist, so wurde das Gebiet durch den Ver-
sailler Vertrag Objekt der großen Politik und gleichzeitig in seinem inneren
politischen Leben von den internationalen Problemen der europäischen
Nachkriegsentwicklung abhängig und mit ihnen konfrontiert.
Der Versailler Vertrag ist in seinen Regelungen für die Saar32 ausgesproche-
nes Zeugnis für den Kompromißcharakter des Vertragswerkes zwischen
französischem Sicherheitsbedürfnis und den westlichen Ideen, wie sie von
Präsident Wilson vertreten wurden. Im Ringen um das Saarstatut waren die
Meinungen besonders hart auf einandergeprallt33. Als Wilson, zermürbt
durch die französischen und englischen Reparationsansprüche und Italiens
Wunsch nach Fiume, am 7. April das Schiff zur Rückkehr nach den USA
anforderte, fiel dieses Ereignis auch mit dem Höhepunkt der Auseinander-
setzungen um die Saarfrage zusammen34. Frankreich mußte im Zuge der
Verhandlungen seine ursprünglichen Forderungen reduzieren, zeigte sich
aber besonders aktiv in der Ausarbeitung von Vorschlägen, die ihm in modi-
fizierter Form wesentliche Ziele seiner Saarpolitik sichern sollten. Von ihrem
eigentlichen Wunsch der Annexion des Saargebietes unter Berufung auf
den Ersten Pariser Frieden waren die französischen Politiker im Konferenz-
verlauf auf die Forderung eines Völkerbundmandates für Frankreich im
Saargebiet mit dem Recht der militärischen Besetzung und der Aufsicht über
die Lokalverwaltung und das Unterrichtswesen und der Möglichkeit einer
schrittweisen Option zum Anschluß an Frankreich zurückgewichen, um
schließlich im endgültigen Vertragswerk folgende Vorrechte zu erhalten35:
Wirtschaftliche Vorrechte: „...das volle und unbeschränkte, völlig
schulden- und lastenfreie Eigentum an den Kohlengruben im Saarbecken,
32 Darstellungen über die Saarverhandlungen in Versailles: E. W. Fischer, Die Ver-
handlungen über die Saarfrage auf der Pariser Friedenskonferenz, Berlin 1924; C.
Groten, Die Entstehungsgeschichte des Saarstatuts, Saarlouis 1934; S. Wam-
baugh, The Saar Plebiscite, Cambridge — Massachusetts 1940, S. 37—39; H.
Hirsch, Die Saar in Versailles (Rheinisches Archiv Nr. 42), Bonn 1952.
33 Vgl. dazu bes. Tardieu, a. a. O., S. 290ff. und Ch. Seymour, The Intimate
Papers of Colonel House, Bd. IV, London 1928, S. 411 ff. Die gesamte Saarliteratur
berichtet über diese Spannungen.
34 Tardieu, a. a. O., S. 300; vgl. dazu auch Seymour, a. a. O., S. 419ff.; M. v. d.
Kall, Das Saargebiet in der Politik der Gegenwart in: Kloevekorn, a. a. O.,
S. 483; Wambaugh, a. a. O., S. 53; Lambert, a. a. O., S. 53f.; Hirsch,
a. a. O., S. 39 ff.
35 Die französischen Memoranden sind veröffentlicht bei Tardieu, a. a. O., S. 279ff.,
S. 294ff. u. S. 301 ff.; deutsche Übersetzung in Dt. Weißbuch, S. 1 ff., S. 9ff., S. 12ff.
30
. . . mit dem ausschließlichen Ausbeutungsrecht“ Frankreichs (Teil III, Ab-
schnitt IV, Artikel 45 des Vertrages)36. In Kapitel I der Anlage zu den Saar-
bestimmungen des Vertrages wurden diese Rechte noch genauer abgegrenzt.
In Kapitel II der Anlage „Regierung des Saarbeckengebiets“ bestimmte § 31
„Das Saarbeckengebiet . . . wird dem französischen Zollsystem eingeord-
net . . .“. Bis zur endgültigen Eingliederung waren Übergangsbestimmungen
für die Dauer von fünf Jahren vorgesehen. § 32 desselben Kapitels besagte:
„Der Umlauf französischen Geldes im Saarbeckengebiet unterliegt keinem Gebot
und keiner Beschränkung.
Der französische Staat hat das Recht, sich bei allen Käufen und Zahlungen und bei
allen Verträgen über die Ausbeutung der Gruben oder ihrer Nebenanlagen des
französischen Geldes zu bedienen.“
Kulturelle Vorrechte: § 14 Kapitel I der Anlage zum Vertrag bestimmte:
„Der französische Staat kann jederzeit als Nebenanlagen der Gruben Volksschulen
oder technische Schulen für das Personal und die Kinder des Personals gründen und
unterhalten und den Unterricht darin in französischer Sprache nach einem von ihm
festgelegten Lehrplan durch von ihm ausgewählte Lehrer erteilen lassen.
Desgleichen kann er Krankenhäuser, Polikliniken, Arbeiterhäuser und -gärten und
andere Wohlfahrtseinrichtungen und gemeinnützige Anstalten gründen und unter-
halten.“
Politisch wurde man nur indirekt gewissen französischen Wünschen ge-
recht. Die Verwaltung des Gebietes durch eine internationale, vom Völker-
bundsrat ernannte Regierungskommission wurde von Frankreich unter dem
Gesichtspunkt der Abtrennung des Saargebietes von Deutschland gesehen
und angenommen. Bevor Tardieu als engster Mitarbeiter Clemenceaus am
9. April den Grundzügen der endgültigen Saarlösung zugestimmt hatte,
waren die folgenden Fragen von ihm gestellt und von Wilson positiv beant-
wortet worden:
„1. La souveraineté allemande sera-t-elle suspendue?
2. La Commission aura-t-elle pleins pouvoirs, y compris celui de révoquer les
fonctionnaires?
3. Les élections au Reichstag seront-elles supprimées?“37
Die fünfzehn Jahre bis zur Abstimmung sollten Frankreich die Möglichkeit
geben, das Gebiet für sich zu gewinnen38.
36 Alle Zitate aus dem Versailler Vertrag, dessen Bestimmungen in Teil III, Abschnitt IV,
Artikel 45—50 mit Anlage zu diesen Artikeln als „Saarstatut“ des Versailler Ver-
trages bezeichnet werden, geben die amtliche deutsche Übersetzung des Vertragstextes
(Reichsgesetzblatt 1919, S. 687 ff.). Abdruck des Saarstatutes in der amtlichen Über-
setzung auch bei C. Groten, Die Volksabstimmung im Saargebiet, S. 19ff. Der
französische und englische Text des Saarstatutes, der für die Auslegung allein bindend
ist, in Niemeyer-Strupp, Jahrbuch des Völkerrechts, Bd. VIII, Die Friedens-
schlüsse 1918—1921, München und Leipzig 1922, S. 104—113.
37 Tardieu, a. a. O., S. 304. Die deutsche Übersetzung in Deutsches Weißbuch, S. 14,
ist nicht restlos klar.
38 In der Sitzung des Rates der Vier am 8. April 1919 hatte Lloyd George bei der
Kennzeichnung des internationalen Verwaltungsstatuts des Saargebietes dargelegt,
daß er überzeugt sei, „que si, dans quelques années, un plébiscite avait lieu, cetce
population ne demanderait pas à revenir à l’Allemagne“. Tardieu, a. a. O., S. 299;
auch zitiert bei Wambaugh, a. a. O., S. 53; Deutsches Weißbuch, S. 12; Hirsch,
a. a. O., S. 44.
31
Der Einfluß Wilsons bei der Saarlösung fand besonders in der Bindung an
den Völkerbund seinen Ausdruck. Artikel 49 des Vertrages besagte:
„Deutschland verzichtet zugunsten des Völkerbunds, der insoweit als Treu-
händer gilt, auf die Regierung des oben bezeichneten Gebiets.“ Nach § 16
und § 17 Kapitel II des Anhanges wird die Regierung des Saarbeckens
„einem den Völkerbund vertretenden Ausschuß übertragen“, der aus fünf
Mitgliedern besteht, die vom Rat des Völkerbundes ernannt werden und
dem ein Franzose und „ein aus dem Saarbeckengebiet stammender und dort
ansässiger Nichtfranzose“ angehören müssen; die drei anderen Mitglieder
müssen aus drei anderen Ländern als Deutschland und Frankreich berufen
werden. Diese Regierungskommission besitzt im Saargebiet „alle Regierungs-
befugnisse, die früher dem Deutschen Reiche, Preußen und Bayern zustan-
den, einschließlich des Rechts, Beamte zu ernennen und abzuberufen und alle
ihm erforderlich scheinenden Verwaltungsstellen und Vertretungen zu schaf-
fen“ (§ 19). Ihr müssen alle amtlichen Urkunden und Archive, die das Saar-
beckengebiet oder die Rechte seiner Einwohner betreffen, ausgeliefert wer-
den (§ 20). Sie sorgt für den Schutz der Interessen der Einwohner im Aus-
land (§ 21), ihr fällt die volle Nutznießung des gesamten Eigentums zu,
„das bisher der Deutschen Reichsregierung oder der Regierung irgend eines
deutschen Staates im Saarbeckengebiet als öffentliches oder privates Staats-
eigentum gehörte" (§ 22). Sie beruft einen Gerichtshof für Zivil- und Straf-
sachen, der die Berufungsinstanz für die im Saarbecken bestehenden Zivil-
und Strafgerichte darstellt (§ 25). Sie erhebt die Abgaben und Steuern (§ 26),
ist für den Schutz der Person und des Eigentums im Saarbeckengebiet ver-
antwortlich und errichtet eine örtliche Gendarmerie zur Aufrechterhaltung
der Ordnung (§ 30). Die Bedeutung der Kompetenzen der Kommission
wurde durch zwei weitere Bestimmungen wesentlich gesteigert. § 23 band
die Regierungskommission bei Gesetzesänderungen oder neuen Gesetzen und
Verordnungen zwar daran, die Äußerung der gewählten Vertreter der Be-
völkerung anzuhören, legte aber fest, daß Gesetze und Verordnungen „durch
den Regierungsausschuß . . . beschlossen und eingeführt“ werden. Die letzte
Entscheidung und Verantwortung für die Gesetzgebung lag also bei der
Regierungskommission. § 33, Kapitel II der Anlage besagte, daß die Regie-
rungskommission zur Auslegung aller Fragen über die Saarbestimmungen
ermächtigt ist und Deutschland und Frankreich in allen Streitfällen, die sich
auf Grund einer verschiedenen Auslegung ergeben, an die Entscheidung der
Regierungskommission gebunden sind.
Platte bei Wilson in der Schaffung der internationalen Verwaltung der Ge-
danke mitgespielt, dem Völkerbund eine konkrete Aufgabe zu geben39, so
kam das Saarstatut auch in anderen Festlegungen den Vorstellungen Wilsons
entgegen. Die freie Abstimmung unter Kontrolle des Völkerbundes sollte
zwar erst in 15 Jahren stattfinden, respektierte aber doch grundsätzlich das
Recht der Selbstbestimmung. Die Garantie der Gesetze und Verordnungen,
wie sie am 11. November 1918 in diesem Gebiet in Kraft waren (§ 23),
39 A. Allot, Le Bassin de la Sarre, Paris 1924, S. 17.
32
spiegelte die Auffassung, daß durch die Vertragsregelungen die Rechtsord-
nung und -Sicherheit der Bevölkerung nicht leiden dürfe. Von demselben
Geist zeugten auch folgende Bestimmungen:
. Bei Festsetzung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsstunden für Män-
ner, Frauen und Kinder hat der Regierungsausschuß die Wünsche der ört-
lichen Arbeiterverbände sowie die vom Völkerbund angenommenen Grund-
sätze zu berücksichtigen“ (§ 23). § 24 sah außerdem die Garantie der Rechte
der Einwohner in allen Versicherungs- und Rentenangelegenheiten vor.
„Deutschland und die Regierung des Saarbeckengebiets haben alle vor-
erwähnten Rechte zu erhalten und zu schützen.“ § 23 bestimmte die Bei-
behaltung der bestehenden Zivil- und Strafgerichte im Saargebiet. § 26 be-
sagte, daß allein der Regierungskommission das Recht zur Erhebung von
Steuern und Abgaben zustehe und daß sie die Steuern nur für die Bedürf-
nisse des Gebietes verwenden dürfe, an das am 11. November 1918 be-
stehende Steuersystem gebunden bleibe und neue Abgaben — abgesehen von
Zöllen — nicht ohne vorherige Befragung der gewählten Vertreter der Be-
völkerung festsetzen könne. § 27 stellte fest, daß die gegenwärtige — also
die deutsche — Staatsangehörigkeit der Bewohner durch die Vertragsbestim-
mungen nicht berührt würde. § 28 garantierte die örtlichen Vertretungen,
die religiösen Freiheiten, die Schulen und die Sprache der Einwohner. § 12
band auch die französische Grubenverwaltung für die Grubenordnung und
die Rechte der Arbeiter an die deutschen Verordnungen und Gesetze, wie sie
vor dem 11. November 1918 in Geltung waren.
Die Vertragsbestimmungen griffen tief in das alltägliche und politische
Leben der Saarbevölkerung ein. Die rein deutsche Bevölkerung empfand die
Loslösung von Deutschland trotz der Garantie ihrer Rechte und Freiheiten
und des Zugeständnisses einer freien Volksabstimmung nach fünfzehn Jah-
ren als Unrecht40. Das Gefühl, entgegen dem Selbstbestimmungsrecht den
französischen wirtschaftlichen und politischen Wünschen in Versailles ausge-
liefert worden zu sein, erhielt im täglichen Leben ständig Nahrung. Durch
den Übergang der Gruben in französischen Staatsbesitz befand sich die Berg-
arbeiterschaft in unmittelbarer Abhängigkeit vom französischen Staat und
von französischen Grubenbeamten. Diese Abhängigkeit war besonders stark,
weil auch alle Nebenanlagen der Gruben „wie Wohnungen von Direktoren,
Angestellten und Arbeitern“ (§ 3, Kap. I der Anlage zum Vertrag) und
Sozial- und Wohlfahrtseinrichtungen der Gruben ebenfalls in französischen
Besitz übergegangen waren. Wenn die französische Grubenverwaltung zwar
auch an die bestehende Rechtsordnung vom 11. November 1918 gebunden
war, so kam ihr aber bei Gesetzesänderungen entscheidende Bedeutung zu.
§ 23, Kap. II des Saarstatuts sagte:
„ . . . Ohne vorgängige Befragung des französischen Staates darf keine Änderung
in der im § 12 vorgesehenen gesetzlichen Ordnung des Grubenbetriebes vorge-
40 Die ersten Schritte gegen die französischen Forderungen hatten saarländische Politiker
im Dezember 1918 eingeleitet. Anfang 1919 war eine entsprechende Denkschrift für
Wilson an Erzberger übergeben worden. Röchling, Wir halten die Saar, S. 27f.;
Wambaugh, a. a. O., S. 43 f.; vgl. auch unten, S. 156.
33
nommen werden, es sei denn, daß diese Änderung die Folge einer allgemeinen vorn
Völkerbund beschlossenen Regelung der Arbeitsverhältnisse ist.“
Durch diese Bestimmung war die Entwicklung der sozial- und arbeitsrecht-
lichen Gesetzgebung vom französischen Staat abhängig. Die Regelungen
über das Zollwesen sahen nach einer Übergangszeit von fünf Jahren eine
vollständige Eingliederung in das französische Zollsystem vor und machten
damit Wirtschaft und Handel an der Saar von der französischen Wirt-
schafts- und Handelspolitik abhängig. Die Übergangsbestimmungen, die zu-
nächst die an der Saar bestehenden Wirtschaftsverbindungen schonten,
waren in ihrer politischen Wirkung geeignet, den Versailler Erfolgen Frank-
reichs an der Saar den Stempel einer Progression aufzudrücken. Ähnlich
ließen auch die Paragraphen über die französische Währung und das Recht
der Errichtung französischer Grubenschulen und Wohlfahrtseinrichtungen
der französischen Grubenverwaltung Maßnahmen offen, die als fortschrei-
tender Einfluß Frankreichs an der Saar anzusehen waren. Die Hoffnung
Frankreichs, durch seine wirtschaftlichen Positionen an der Saar und die
politische Loslösung des Gebietes von Deutschland die Möglichkeit zu be-
sitzen, die Bevölkerung bis zur Volksabstimmung für Frankreich gewinnen
zu können, stand klar im Bewußtsein der Bevölkerung. Jeder französische
Einfluß an der Saar wurde unter den Gesichtspunkten erlebt, wie sie die
französische Note vom 29. März 1919 geltend gemacht hatte:
„ . . . Dies Land war französisch. Diese Tatsache schafft eine Vermutung, daß es
gern wieder französisch werden wird. Das Beispiel Elsaß-Lothringens beweist es.
Schon heute wissen wir, daß die Mehrheit der Bevölkerung von Saarlouis bereit ist,
die Wiedervereinigung mit Frankreich zu verlangen.
Um die Zeit in voller Billigkeit das rückgängig machen zu lassen, was vor einem
Jahrhundert durch Gewalt begangen worden ist, ist es angezeigt, die Frage der
Souveränität über dieses Gebiet gegenwärtig nicht anzuschneiden.
Vorübergehend soll das Gebiet weder unter die Souveränität Deutschlands noch
unter die Souveränität Frankreichs gestellt werden. Es soll unter der Obhut des
Völkerbundes stehen . . ,
Nach Ablauf von fünfzehn Jahren sollen alle Bewohner . . . befragt werden. Vor
diesem Datum soll kein Antrag auf Vereinigung mit Deutschland in Erwägung
gezogen werden, da diese Frist von fünfzehn Jahren gerade deshalb vorgesehen ist,
um die Zeit handeln zu lassen und die Bevölkerung in die Lage zu versetzen,
gerecht und frei über die Souveränität zu entscheiden. Preußen hat für sich 100
Jahre gehabt, um sein Werk der Gewalt zu befestigen.“41.
Die Eigenart der französischen Rechte an der Saar verlieh dem Vertrags-
werk für die Franzosen wie für die Saarländer eine eigentümliche Spannung
zwischen Statik und Dynamik. Die Rechte Frankreichs waren in dem Ver-
trag durch die internationale Verwaltung gleichzeitig garantiert und be-
grenzt und schienen damit einen definitiven Rechtszustand zu schaffen. Da
die Saarlösung aber im Hinblick auf die große politische Entscheidung des
Jahres 1935 den Stempel eines Provisoriums trug, rief sie eine aktive fran-
zösische Saarpolitik hervor, zu der in den Vertragsbestimmungen für Frank-
reich ein gewisser Raum vorhanden war.
41 Deutsches Weißbuch, S. 10: Übersetzung aus Tardieu, a. a. O., S. 295 f.
34
Ähnliche grundsätzliche Spannungen enthielten auch die Bestimmungen, die
das Gebiet an die Verwaltung des Völkerbundes banden. Ganz anders als
für das übrige Deutschland konnte für die Saarbevölkerung in der Neu-
ordnung klar werden, daß der Friedens vertrag von Versailles mit Institu-
tion und Idealen des Völkerbundes verbunden war. Damit war für die
Bevölkerung gleichsam der Zugang zu den konstruktiven Elementen der ge-
schaffenen Neuordnung offen, aber die Vorrechte Frankreichs wie die be-
sonderen Möglichkeiten einer weitergehenden Einflußnahme Frankreichs auf
die Saarverhältnisse mußten von allem Anfang an einen solchen Weg er-
schweren. Fiinzu kam noch ein anderes wesentliches Problem in den Bestim-
mungen über die Verwaltung des Gebietes. Rechte und Freiheiten der Bevöl-
kerung waren zwar garantiert, aber zur weiteren Gestaltung der gesetz-
lichen Verhältnisse war nur eine begrenzte Mitwirkung der Bevölkerung
vorgesehen. Die Bevölkerung sah sich damit in dem Augenblick in weitem
Umfange politischer Rechte entkleidet, als sie in revolutionärem Aufbruch
der Fesseln des patriarchalischen Systems und des preußischen Dreiklassen-
wahlrechtes ledig geworden war. Diese Beschränkung der politischen Selbst-
bestimmung durch das Vertragswerk mußte um so größere Spannungen
schaffen, da im Hinblick auf die Abstimmung der Saarbevölkerung poli-
tische Bewußtseinsbildung und Vorbereitung der Entscheidung als wichtigste
Aufgabe erschienen.
35
ZWEITERTEIL
Die Auseinandersetzung der Parteien mit dem
Saarregime des Versailler Vertrages
\
Erstes Kapitel
Die Rolle der saarländischen Parteien
bei der Einspielung des internationalen Regierungssystems
1. Die Berufung der Regierungskommission
Der Versailler Vertrag gestand Frankreich im Saargebiet umfassende Rechte
zu. Trotzdem müssen die Bestimmungen des Vertrages über die treuhände-
rische Verwaltung des Gebietes durch den Völkerbund1 dahingehend inter-
pretiert werden, daß die internationale Regierungskommission und der Völ-
kerbund dem Land für die fünfzehn Jahre bis zur Volksabstimmung eine
sachliche und unparteiische Verwaltung zu garantieren hatten, in der die
Rechte und Freiheiten der Bevölkerung gewahrt bleiben sollten2. Wenn man
die Einrichtung der internationalen Verwaltung betrachtet, muß man im
Auge behalten, daß alles, was mit dem Versailler Vertrag zusammenhing,
für Frankreich und für Deutschland entscheidende und politisch erregende
Probleme waren, um die die Politiker beider Länder immer wieder und
während der fünfzehn Jahre der internationalen Saarverwaltung rangen.
Auch die Einrichtung des Regierungssystems mußte sich im Spannungsfeld,
das Versailles zwischen Deutschland und Frankreich geschaffen hatte, voll-
ziehen. Des weiteren muß gesehen werden, daß der Völkerbund inauguriert
wurde als eine Institution im Dienste einer neuen politischen Entwicklung
zu Freiheit und Frieden der Völker, die Saarbestimmungen ihm aber eine
Aufgabe administrativer Art zuwiesen, die im Grunde seinen eigentlichen
Funktionen nicht entsprach3. Dieser Situation entsprach — wohl unbewußt
1 Kapitel II des Saarstatuts des Versailler Vertrages.
2 So hieß es in der Instruktion des Rates des Völkerbundes für die Regierungskom-
mission v. 13. 2. 1920: „Die Regierungskommission hat keine anderen Aufgaben und
Interessen als das Wohlergehen der Bevölkerung des Saarbeckengebietes“ (Deutsches
Weißbuch, S. 70, S.D.N. j.O. 1,2 50/51). Ebenso interpretierten die Engländer den
Vertrag, als ihr Memorandum v. 21. 6. 1923 (Dokument C. 411. 1923. I. in S.D.N.
J.O. IV,8 (1923), S. 839) und in einem Exposé Lord Robert Cecil am 3. 7. 1923 vor
dem Rat (ebenda S. 859 ff.) eine Untersuchung forderten, ob die Verwaltung des
Saargebiets mit dem Vertrag von Versailles übereinstimme. In der Literatur arbeite-
ten den Gesichtspunkt der Unparteiischkeit der Kommission nach dem Vertragswerk
besonders scharf heraus: W. R. Bisschop, The Saar Controversy, London 1924,
S. 41; H. Coursier, Le Statut International de la Sarre, Thèse (Droit), Paris 1925,
S. 36f.; H. Wehberg, Die staats- und völkerrechtliche Stellung des Saargebietes,
München-Gladbach, 1924, S. 8.
3 Diese Auffassung vertrat zum erstenmal Lord Robert Cecil, zu jenem Zeitpunkt
der führende englische Völkerbundspolitiker, in der Unterhausdebatte vom 10. 5.
1923, in der er ausführte: „Ich habe ernste Bedenken wegen des Saarexperimentes
überhaupt. Es steht ganz außerhalb des Vertrages. Es ist kein Teil oder Anhängsel
von ihm noch in Übereinstimmung mit den allgemeinen Befugnissen, die dem Rat
oder irgendeiner von ihm eingesetzten Körperschaft durch den Vertrag zugestanden
werden. Es ist eins der Ausnahmebeispiele von Übertragung administrativer Befug-
nisse an die Organe des Völkerbundes. Ich bezweifle sehr, ob das wünschenswert ist.
39
— die Konzeption, die gleich am Anfang in Rat und Sekretariat des Völker-
bundes für die Verwaltung des Saargebiets vertreten wurde: Die internatio-
nale Regierungskommission sollte trotz ihrer Verantwortlichkeit vor dem
Rat des Völkerbundes eine möglichst weitgehende Selbständigkeit in der
Wahrnehmung ihrer Aufgaben besitzen. Dieser Standpunkt wurde sowohl
in der von dem Generalsekretariat ausgearbeiteten Instruktion4 des Rates
für die Mitglieder der Kommission wie in der Praxis bis Ende 1921 fest-
gehalten. Er lag im Vertrag insofern mitbegründet, als dieser der Kommis-
sion als unparteiisches Organ des Völkerbundes uneingeschränktes Inter-
pretationsrecht in allen strittigen Fragen des Saarstatuts gab (§ 33)5. Die
Auswahl und Ernennung der Mitglieder der Regierungskommission durch
den Rat des Völkerbundes stellte nun aber bereits keine reine Verwaltungs-
maßnahme dar, sondern erwuchs aus der politischen Konstellation, wie sie
im Anfangsstadium des Völkerbundes gegeben war. Die Vereinigten Staaten
waren dem Völkerbund nicht beigetreten. Der ursprüngliche Plan, den ame-
rikanischen Professor Haskins, der entscheidend an der Ausarbeitung des
Saarstatuts beteiligt gewesen war, zum Präsidenten der Regierungskommis-
sion zu berufen6, ließ sich nicht realisieren. Frankreich und England besaßen
so im Völkerbund ein unbedingtes Übergewicht, und die erste Kommission
wurde nach den Wünschen des Hauptinteressenten Frankreich zusammen-
Der Völkerbund ist nicht für Verwaltungstätigkeit geschaffen.“ (Parliamentary De-
bates, House of Commons, Voi. 163 Nr. 56 p. 2629—2744, hier zitiert nach der
Übersetzung von Plotho, Saar- und Ruhrfrage im englischen Unterhaus, Potsdam
1923, S. 10). Diese Betrachtungsweise Lord Cecils wurde weder im englischen Unter-
haus noch in der Ratsdebatte vom Juli 1923 in die Diskussion einbezogen. Ein ähn-
licher Standpunkt leuchtete auf, als Helmer Rosting, der damals Direktor der
Minoritätenabteilung im Völkerbundssekretariat und folglich zuständig für die Saar
war, im April 1929 einen Vortrag in Genf über das Saargebiet und den Völkerbund
hielt und das Saargebiet und Danzig als „Findelkinder“ des Völkerbundes bezeichnete.
Er klammerte die Saaraufgabe ganz ausdrücklich aus jenen Aufgaben des Völker-
bundes aus, die aus dem Vertrag und der Idee des Völkerbundes hervorgehen, und
bezeichnete sie als Verwaltungsauftrag an den Völkerbund (Durchschlag des Vortrags
in UNO-Archiv, Genf, Files P.A., S. 67). Dieser Gesichtspunkt ist in der Saarliteratur
nicht auf gegriffen worden, obwohl m. E. in ihm einer der Schlüssel zum Verständnis
des ganzen Systems liegt.
4 Hier hieß es: „Le Conseil de la Société des Nations estime qu’il n’est ni nécessaire
ni opportun de donner à l’avance à la Commission des instructions détaillées en dehors
de celles qui figurent à l’Annexe, avant de se pouvoir baser sur l’expérience acquise.“
S.D.N. J.O. 1,2 (1920), S. 50; Deutsches Weißbuch, S. 70.
5 Ch. H. Haskins, The Saar Territory as it is today, in Foreign Affairs 1,2 (1922),
S. 48, betonte besonders, daß die Schöpfer des Vertragswerkes die Absicht hatten,
eine starke Regierungskommission zu schaffen, die von der Einmischung des Rates
des Völkerbundes sicher sei. Die Kontrollfunktion des Rates komme lediglich in
seinem jährlichen Ernennungsrecht zum Ausdruck. Aus den Vertragsbestimmungen
leiten die Selbständigkeit der Kommission ab: Allot, a. a. O., S. 145—162. Allot
geht so weit, daß er jede Erweiterung des Aufsichtsrechtes des Rates über die Er-
nennung der Kommission hinaus als eine Verbiegung der Vertragsbestimmungen
ansieht. Er führt aus, Wilson habe an der Saar dem Völkerbund eine Aufgabe zu-
weisen wollen, um ihm einen Inhalt zu geben; daraus erkläre sich psychologisch, daß
der Rat an der Saar nach einer Erweiterung seiner Kompetenzen strebe. Bisse hop,
a. a. O., S. 28 30; Coursier, a. a. O., S. 46; vgl. auch: H. Katsch, Regierung
und Volksvertretung im Saargebiet. (Leipziger rechtswissenschaf diche Studien,
Heft 57), Leipzig 1930, S. 58 ff.
6 W a m b a u g h, a. a. O., S. 73 ; M. L a m b e r t, a. a. O., S. 108.
40
gesetzt7. Am 13. Februar 1920 wurden vom Rat des Völkerbundes ernannt:
der französische Staatsrat Rault, den Clemenceau ausgewählt und der
dessen Ziele in der Saarpolitik vertreten hatte8, der Belgier, Major Lambert,
der in der damaligen politischen Konstellation ebenfalls als treuer Partei-
gänger Frankreichs angesehen werden mußte, der Däne Graf Moltke-Huit-
feldt, ein Pariser Rennstallbesitzer und Lebemann, der auf Initiative Frank-
reichs berufen worden war9, und der Saarländer Alfred von Boch, eine un-
abhängige Persönlichkeit. Boch trat aber bereits während des Beamtenstreiks
1920 zurück und wurde durch den Arzt Dr. Hector ersetzt, der während der
Besatzungszeit durch französischen Einfluß anstelle des ausgewiesenen
Dr. Gilles Bürgermeister von Saarlouis geworden war und die Ziele der
Franzosen in der Stadt eifrig verfolgt hatte10. Die Engländer schlugen als
fünftes Mitglied den Kanadier Waugh vor, der aber erst Anfang April nach
Saarbrücken kam11. Diese Verzögerung erklärte sich aus der Tatsache, daß
England nicht bereit war, einen Engländer zu nominieren, nachdem die
Präsidentschaft in der Kommission einem Franzosen zuerkannt werden
sollte12. In der Ratssitzung vom 13. Februar 1920 gab der griechische Rats-
vertreter Caclamanos den Bericht über die Saar und schlug vor, die Präsi-
7 So H. Röchling, Das Saargebiet und der Völkerbund in: A. Grabowsky und
G. W. Sante, Die Grundlagen des Saarkampfes, Berlin 1934, S. 206; H. Rost in g,
a. a. O., S. 68, betonte, daß der Völkerbund 1920 fast noch in einem embryonalen
Zustand gewesen sei. Lambert, a. a. O., S. 95, stellt heraus, daß der Völkerbund
am Anfang nicht unparteiisch war. Vgl. über den Kampf Frankreichs für die Präsi-
dentschaft eines Franzosen auch Katsch, a. a. O., S. 72f.
8 H. Hirsch, Die Saar von Genf (Rheinisches Archiv Nr. 46), Bonn 1954, S. 18.
Vgl. die Übersicht über die Mitglieder der Regierungskommission im Anhang, un-
ter S. 420 ff.
9 S. Osborne, The Saar question, A Disease spot in Europe, London 1923, S. 128,
behauptete, daß die dänische Regierung nicht einmal gefragt worden war über diese
Ernennung. In der Ratsdebatte vom Juli 1923 griff Lord Robert Cecil diese Frage
auf. Graf Moltke-Huitfeldt gab daraufhin folgende Erklärung ab: „M. Moltke-Huit-
feldt déclare, pour remettre les choses au point, qu’en 1920, le Gouvernement danois,
pour des raisons qui lui sont personnelles — le Conseil appréciera — n’a pas voulu
désigner M. de Moltke pour être membre de la Commission de Gouvernement, mais
qu’on a demandé à ce Gouvernement si cette désignation lui serait agréable, il a
répondu affirmativement. Voilà exactement la situation à cette époque, 1920.“ S.D.N.
J.O. IV,8 (1923), S. 911. Diese Darstellung Moltke-Huitfeldts entsprach den Informa-
tionen, die Cecil in englischen Regierungskreisen erhalten hatte (ebenda).
10 Deutsches Weißbuch, S. 48/9; S.D.N. C. 642. M. 382. 1922 I: Denkschrift der politi-
schen Parteien, „Betrifft Dr. Hector, Mitglied der Regierungskommission des Saar-
gebietes“; S.D.N. C. 233. M 133. 1923 I: Denkschrift der politischen Parteien, „Der
Fall Hector und seine Konsequenzen“; bes. in der letzten Denkschrift wurde be-
wiesen, wie Dr. Hector eine Petition der Stadt Saarlouis in profranzösischem Sinne
umgearbeitet und weitergereicht hatte. Vgl. Verzeichnis der Denkschriften nach Genf,
Anlage 6 im Anhang S. 347 ff.
« S.D.N. J.O. 1,4 (1920), S. 192.
12 So Röchling, Wir halten die Saar, Berlin 1934, S. 53; die Behauptung Röchlings,
daß Lord Balfour vor der Februartagung verlangt habe, daß England den Vorsitz
in der Regierungskommission für das Saargebiet erhalte, Clemenceau aber erklärte,
er habe sie bereits Rault versprochen, wird v. Wambaugh a. a. O., S. 74, Anm. 2,
berichtet. Da Sarah Wambaugh bereits damals Mitarbeiterin im Völkerbundssekreta-
riat war, spricht diese Fußnote für eine richtige Orientierung Röchlings. Das Buch
von Röchling, wenn auch unmittelbar für den Abstimmungskampf an der Saar ge-
schrieben, zeugt im ganzen von einer guten Information Röchlings über inter-
nationale Vorgänge in der Saarfrage.
41
dentschaft innerhalb der Regierungskommission dem Franzosen zu über-
tragen, da in Anbetracht der großen wirtschaftlichen Vorteile Frankreichs
an der Saar das Wohl der Bevölkerung eine enge Zusammenarbeit mit
Frankreich notwendig mache, die auf diese Weise am besten gewährleistet
werden könne13. In der gleichen Sitzung wurde auf Vorschlag des Griechen,
dessen Bericht in enger Zusammenarbeit mit dem Sekretariat abgefaßt wor-
den war14, ebenfalls beschlossen, die französischen Truppen im Saargebiet
zu belassen, bis eine lokale Gendarmerie geschaffen sei, wie sie der § 30 des
Statuts zum Schutze der „Person und des Eigentums im Saarbecken“ vorsah.
Damit trat die Regierungskommission unter einem französischen Präsidenten
und unter dem Schutze der französischen Besatzungsarmee ihr Amt an. Das
schuf von vorneherein bei der Saarbevölkerung Mißtrauen, besonders da in
der Periode der französischen Besatzung zur Zeit der Friedensverhand-
lungen bereits Versuche unternommen worden waren, Frankreichs Position
an der Saar über die im Vertrag hinaus erreichten Erfolge zu erweitern15.
Die Saarbevölkerung hatte die Vertragsbestimmungen als schweres Unrecht
angesehen, und die Atmosphäre der Erbitterung gegenüber Frankreich war
in der Besatzungszeit noch gewachsen16. Beachtet man weiter, daß komplexe
und komplizierte Aufgaben im Zusammenhang mit der im Vertrag vor-
gesehenen Übernahme der Rechte des Deutschen Reiches, Preußens und
Bayerns auf die Kommission harrten, wird die Schwierigkeit ihrer Position
deutlich.
2. Die Grundzüge der Regierungsweise unter Führung des
Präsidenten Rault
Als die Regierungskommission im März 1920 ihre Tätigkeit in Saarbrücken
aufnahm, fiel Rault auf Grund seiner Präsidentschaft und der Tatsache, daß
er neben dem Saarländer das einzige Mitglied der Kommission war, das mit
Saarproblemen — wenigstens in französischer Sicht — vertraut war, ein
unbedingtes Übergewicht zu. Dieses verstärkte sich noch, als die Ressorts
verteilt wurden und Rault für sich Inneres, Äußeres, Plandel, Industrie und
13 S.D.N. J.O. 1,2 (1920), S. 45 ff.; Deutsches Weißbuch, S. 66 f.
14 So Röchling, Wir halten die Saar, S. 56, ganz allgemein über die Berichte der
Frühzeit. Das zeugt erneut von guter Information, da im Anfangsstadium die Be-
richte für die Ratssitzungen meist vom Sekretariat sehr eingehend, teilweise wörtlich
vorbereitet, auf jeden Fall aber in engster Absprache mit dem Sekretariat ausgearbei-
tet wurden. Teilweise wurden sie sogar vorher zur Information an Rault übersandt.
S.D.N. Archives du Secretariat, Section Politique, Sarre Nr. 57,12 Colban (personnel).
Hier Korrespondenz mit Rault über Berichte im Rat.
15 Dokumente dazu: Deutsches Weißbuch, S. 25—31; S. 32—39; S. 43—48.
16 S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 102. Rault spricht in seinem I. Periodischen Bericht selbst
von den Härten des Besatzungssystems, die zur Erbitterung der Bevölkerung führten.
Coursier, a. a. O., S. 21—26, empfindet klar, daß das Saarstatut dem Selbst-
bestimmungsrecht der Völker widerspricht. Er spricht von einem Widerstreit zwi-
schen einem politischen Recht (Selbstbestimmungsrecht) und einem wirtschaftlichen
Recht im Reparationsanspruch Frankreichs. Bei der Anerkennung der Tatsache, daß
das Selbstbestimmungsremt gegen die Abtrennung des Saargebietes sprach, weist er
jedoch den wirtschaftlichen Vorrechten Frankreichs rechtschaffende Bedeutung im
internationalen Status des Saargebietes zu.
42
Arbeit in Anspruch nahm17. In seiner Tätigkeit betonte er von Anfang an,
daß es um die Erfüllung des Versailler Vertrages gehe, und in den Sitzungen
der Regierungskommission wurde das Vertragswerk immer wieder als
Richtschnur und Basis aller Entscheidungen herangezogen. Rault begann
seine Arbeit mit einer klaren Konzeption, wie diese Erfüllung des Ver-
sailler Vertrages aussehen müsse. Er bestimmte den Geist seiner Auslegung
und Anwendung. Unter seiner Führung stellte sich die Aufgabe der Regie-
rungskommission in einer dreifachen Schichtung dar:
1. Garantie und Schutz der Rechte Frankreichs,
2. Ausbau der Autonomie des Saargebietes,
3. Verwaltung des Gebietes zum Wohl der Bevölkerung.
Alle drei Gesichtspunkte, die in dieser Reihenfolge für Raults Politik maß-
gebend waren, erhielten aber ihre eigentliche Färbung und Akzentuierung
durch eine tiefer begründete Sehweise der gesamten Aufgaben. Die fran-
zösischen Vorrechte und die Autonomie des Saargebietes wurden vom Hin-
tergrund der Versailler Verhandlungen her betrachtet, d. h. als Restbestand
umfassenderer Forderungen mit gewissen Möglichkeiten, Frankreichs ur-
sprüngliche Zielsetzung in Zukunft zu verwirklichen. Die sachliche Verwal-
tung des Saargebietes wurde als Vorstadium der Volksabstimmung gewertet,
von der sich Frankreich den Gewinn des gesamten oder zumindest eines
wesentlichen Teiles des Gebietes erwartete. Die große Selbständigkeit der
Kommission und seine einflußreiche Stellung ermöglichten Rault in der
Praxis einen Ausbau der französischen Rechte und der saarländischen Auto-
nomie, und gleichzeitig vertrat er die Auffassung, daß diese Politik identisch
oder zumindest vereinbar sei mit einer Regierung im Namen des Völker-
bundes und zum Wohle der Saarbevölkerung.
Die Ausweitung der Rechte Frankreichs
Die wirtschaftlichen Vorrechte Frankreichs wurden über den Vertrag hinaus
noch erweitert durch den Übergang der saarländischen Industrie zu 60 Pro-
zent in die Hand französischer Aktionäre. Besonders traf das für die Eisen-
und Stahlindustrie zu. Rault selbst wies (im Juli 1923) auf diesen Sach-
verhalt in der Saardebatte des Völkerbundrates hin und erklärte ihn als
Konsequenz aus den großen Vorteilen, die der Vertrag durch die Zollunion
und das französische Zollsystem ganz offensichtlich Frankreich habe zuge-
stehen wollen18. Bereits unter der französischen Militärverwaltung hatte
17 S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 101: Von Boch erhielt die Finanzen; Lambert: öffentliche
Arbeiten, Eisenbahnen, Post, Telegraphie; Moltke-Huitfeldt: Unterricht, Kultus,
öffentliche Wohlfahrt, Gesundheitswesen und Sozialversicherungen; für das fünfte
Mitglied wurden Justiz, Landwirtschaft und Ernährung reserviert. Als Waugh dann
nach Saarbrücken kam, wurde eine Neuordnung vollzogen. Rault und Lambert be-
hielten ihre Ressorts, Moltke-Huitfeldt erhielt Kultus und Justiz, Waugh Ernährung
und Finanzen, Boch Landwirtschaft, Gesundheit und öffentliche Wohlfahrt (S.D.N.
J.O. 1,4, S. 192. Amtsblatt der Reg.-Kom. des Saarg., 1. Jg., Nr. 4). Vgl. auch Anlage
Nr. 30, unten S. 420 ff.
18 S.D.N. J.O. IV,8 (1923), S. 909.
43
dieser Prozeß begonnen19 und war von der französischen Regierung durch
Einflußnahme auf Industrielle bewußt gefördert worden20. Durch diese
Entwicklung in der Saarindustrie, den Übergang der Gruben in französi-
schen Staatsbesitz und die Errichtung einer französischen Grubenverwal-
tung, eines französischen Oberbergamtes und einer saarländisch-französi-
schen Handelskammer21 beherrschten die Franzosen das wirtschaftliche
Leben und befand sich der größte Teil der saarländischen Arbeiterschaft in
unmittelbarer Abhängigkeit vom französischen Staat oder von französischen
Industriellen.
Ein einschneidender Vorgang für die wirtschaftliche Vorrangstellung Frank-
reichs an der Saar war die Ausschaltung der deutschen Währung. Dieser Pro-
zeß vollzog sich innerhalb der drei ersten Jahre (1920—1923). Zunächst
machte die französische Grubenverwaltung von § 32 des Saarstatuts, nach
dem der französische Staat das Recht hatte, sich bei allen Käufen und Zah-
lungen des französischen Geldes zu bedienen, bereits am 1. Juli 1920 Ge-
brauch22. Seit diesem Zeitpunkt wurden Angestellte, Beamte und Arbeiter
der Staatsgruben in französischer Währung entlohnt. Das hatte weitgehende
Konsequenzen für das wirtschaftliche Leben an der Saar, und die Regie-
rungskommission war sich der zu erwartenden Erschwerung der Lage durch-
aus bewußt23. Das Nebeneinander der beiden Währungen führte zu einer
Steigerung der Lebenshaltungskosten und der Kohlenpreise für die Eisen-
industrie und zur Not aller Kreise, die nur über Reichsmarkkapitalien und
-einkünfte verfügten24. Die Schwierigkeiten der doppelten Währung und
die fortschreitende Inflation der deutschen Reichsmark ermöglichten der
Regierungskommission eine schrittweise Erweiterung des Umlaufes des
französischen Geldes. Nacheinander wurden zunächst die Metallarbeiter,
dann die Beamten der Regierungskommission und schließlich auch die Arbei-
ter und Angestellten der Kommunen in Francs bezahlt. Die Saarbevölke-
rung wehrte sich zum Teil gegen diese Maßnahmen, besonders die Industrie,
die Angestellten der Post und der Kommunen, die politischen Parteien und
die Christlichen Gewerkschaften25. Schließlich wurde zum 1. Juni 1923 der
Französische Franc durch eine Verordnung der Regierungskommission zum
alleinigen Zahlungsmittel an der Saar erklärt26. Die Chance, die in § 32 des
Saarstatuts zu einer gewissen Progression der französischen Währung an der
19 Osborne, a. a. O., S. 105, Anm. I, beschreibt die Methoden der Militärverwaltung
in diesem Prozeß. Lambert, a. a. O., S. 141 ff., gibt auch eine genaue Übersicht über
die französische Beteiligung an den einzelnen Unternehmen.
20 E. Staley, Private investements and international politics in the Saar, 1919—1920:
a study of politico-economic penetration in a post-war plebiscite area, in Journal of
Political Economy, Bd. XLI (1933), S. 599.
21 Revire, Perdrons-nous la Sarre?, Paris 1929, S. 31.
22 S.D.N. J.O. IV,7 (1923), S. 742 — 14. Per. Ber. d. Reg.-Kom.
23 Ebenda: 1,3 (1920), S. 102 und 11,2 (1921), S. 199.
24 Darüber besonders „Denkschrift über die wirtschaftliche Not des Saargebietes“ vom
September 1921 in Bibliothek der UNO in Genf unter 910.33 D. 39.
25 Vgl. dazu unten Anm. 27; außerdem S. 163 unten.
26 Amtsblatt der Regierungskommission für das Saargebiet, Jg. 1923, Nr. 352; aus-
führlicher Bericht der Regierungskommission über diese Entwicklung in S.D.N. T.O.
IV,7 (1923), S. 741—750.
44
Saar lag, hatte zu einer von der Regierungskommission vollzogenen Aus-
schaltung der deutschen Währung geführt.
Da die deutsche Inflation diesen Prozeß erheblich begünstigt hatte, läßt sich
nur schwer erweisen, daß er von Rault bewußt erstrebt war. Zunächst ein-
mal steht fest, daß die Regierungskommission bei der Einführung der fran-
zösischen Besoldung auf den Gruben keinerlei Bedenken anmeldete, obwohl
sie die Schwierigkeiten voraussah. Aus den wiederholten Besprechungen der
Regierungskommission über die Angelegenheit27 geht hervor, daß Rault und
Lambert besonders eindeutig den Standpunkt vertraten, daß der Umlauf der
französischen Währung zu erweitern sei. In den Verhandlungen mit Ver-
tretern der Saarbevölkerung über die Erhöhung der Markbezüge griffen sie
zu solchen Formulierungen, die von Hector und Waugh als Druckmittel für
die Einführung der französischen Währung angesehen wurden28. Im ganzen
konnte man sich aber von der Entwicklung drängen lassen und brauchte
keine Initiativen zu ergreifen. Daß diese Entwicklung letztlich den fran-
zösischen Wünschen und auch den Tendenzen der französischen Wirtschafts-
politik entsprach, erweist besonders klar die Arbeit Prious, die im Januar
1921 abgeschlossen wurde und in der eindeutig die These vertreten wurde,
daß der § 31 des Vertrages eine totale und möglichst rasche wirtschaftliche
Integration des Saargebietes in das lothringische und damit französische
Wirtschaftsgebiet fordere29. Da Priou darlegt, daß seine Untersuchungen mit
Hilfe der französischen Mitglieder der Regierungskommission und mit Hilfe
der französischen Grubenverwaltung durchgeführt seien30, verdient diese
These besondere Aufmerksamkeit. Er gelangt bei der Betrachtung der Er-
gebnisse der bisherigen Politik zu der Feststellung, daß der augenblickliche
Status noch weit entfernt sei von den Intentionen der Vertragsschöpfer. Von
der Regierungskommission hofft er deshalb, daß „le Gouvernement man-
dataire de la Société des Nations n’hésite pas, par crainte de rompre une
neutralité obligatoire de participer au rattachement économique de la Sarre
à la Lorraine“31. Auch die verschiedene Argumentation Raults in den perio-
27 S.D.N. Commission du Gouvernement, Procès-Verbaux 1920, Sitzung v. 7. 7.,
S. 148—150, befaßte sieb mit den Schwierigkeiten der Metallarbeiter und dem zu
erwartenden Streik wegen der sozialen Notlage, in die diese durch die Einführung
der französischen Währung auf den Gruben geraten waren. Sitzung v. 1. 12. 1920,
S. 372 ff., befaßte sich mit der Tendenz zur Erweiterung des Umlaufs der franz.
Währung. Waugh betonte, daß nichts dafür getan werden dürfe, hielt aber die Aus-
weitung aus wirtschaftlichen Gründen für unumgänglich. Sitzung v. 9. 2. 1921,
S. 85—95, befaßte sich mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage des Eisenbahn-
personals. Da sich bei einer Abstimmung im Laufe der Verhandlungen nur 27°/o für
die Bitte an die Regierungskommission um Einführung des Franc ausgesprochen
hatten, befand man sich in einer schwierigen Lage, blieb aber einstimmig in der
Kommission der Auffassung, daß aus wirtschaftlichen Gründen keine Erhöhung der
Löhne in Mark möglich sei. Sitzung vom 16. 3. 1921, S. 138—140, führte zu einem
einstimmigen Beschluß der Umstellung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Post, Tele-
graphie und Telephon auf französische Währung. Sitzung v. 30. 3. 1921, S. 158 f.:
Beschluß der Bezahlung der Beamten in Francs.
28 Ebenda, 1921, besonders Sitzung v. 9. 2. 1921, S. 85—95.
29 Priou, L’organisation politique et économique de la Sarre, Paris 1921, S. 136.
30 Ebenda, S. 30.
31 Ebenda, S. 175.
45
dischen Berichten — einmal weist er auf die Notwendigkeit der Vorberei-
tung der vollständigen Integration in das französische Zollsystem und dann
wieder auf den Verfall der deutschen Währung hin32 — bestätigt, daß in
diesem Prozeß der Durchsetzung des Franc im Saargebiet französischen In-
teressen gedient werden sollte.
Blieb in der Frage der Einführung der französischen Währung auf Grund
der besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse die Einmütigkeit der Kommis-
sion erhalten und konnte man den Rat des Völkerbundes von der Not-
wendigkeit dieser Entwicklung überzeugen, so rief eine andere Frage schwere
Kontroversen hervor. Eine interne Auseinandersetzung entbrannte zwischen
Waugh einerseits und Rault und Lambert andererseits über den Bau der
französischen Zollhäuser an der saarländischen Grenze. Während Waugh
die These vertrat, daß die Erfüllung des Vertrages in dieser Hinsicht, näm-
lich die Voraussetzungen zu schaffen für die restlose Eingliederung des Saar-
gebietes in das französische Zollsystem im Jahre 1925, Aufgabe des fran-
zösischen Staates sei, betonten Rault und besonders hartnäckig auch Lam-
bert, daß die Kommission dafür zu sorgen habe, daß bis zum Jahre 1925
alles so vorbereitet sei, daß die Zolleingliederung reibungslos funktioniere.
Waugh konnte sich insofern durchsetzen, als er wenigstens erreichte, daß
seine finanziellen Forderungen für den Bau der Zollhäuser vom französi-
schen Staat berücksichtigt werden mußten33. Dieser Vorgang erhellt beson-
ders klar, wie sich die französische Präsidentschaft und die profranzösische
Mehrheit in der Kommission auswirkten. Man ergriff Initiativen und dachte
an Konsequenzen, um alle Chancen Frankreichs im Saarstatut durch die
Kommission selbst zu nutzen.
Zu dieser Erweiterung der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Saar von
Frankreich kam die Anwesenheit des französischen Militärs. Sie widersprach
den Vertragsbestimmungen34, entsprach aber den ursprünglich von Frank-
reich erhobenen Forderungen35. Mit der Begründung, daß die französischen
Truppen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz
32 Hirsch, Die Saar von Genf, S. 32f., stellt richtig diesen Zwiespalt in den Dar-
legungen Raults heraus.
33 Aufschluß darüber geben: S.D.N. Com. d. Gouv. Pr. V., Sitzungen v. 13. 7. 1921,
S. 295—297; v. 16. 12. 1921, S. 430—434; S.D.N. Archives des Sections du Secréta-
riat, Section Politique, Sarre Nr. 57, Aktenstück Waugh: persönliche Korrespondenz
Waughs mit Colban und Gilchrist. Der Norweger Colban war Direktor der Minori-
tätenabteilung im Sekretariat des Völkerbundes und damit für die Saar zuständig.
Der Amerikaner Gilchrist war sein Sachbearbeiter für die Saarfragen.
34 S.D.N. J.O. 1,2 (1920), S. 47: Bereits der Bericht von Caclamanos vom 13. 2. 1920
setzte diese Deutung voraus, wenn er in bezug auf § 30 des Saarstatuts ausführte:
„Hieraus ergibt sich, daß sie (die Reg.-Kom.) bis zu der in dem erwähnten § 30 vor-
gesehenen Errichtung einer saarländischen Gendarmerie die völlige oder teilweise
Beibehaltung oder Rückberufung der zur Aufrechterhaltung der Ordnung berufenen
Truppen verlangen kann, falls ein Bedürfnis hierfür besteht.“ (Deutsche Übersetzung
aus Deutsches Weißbuch, S. 67). Der Rat drängte in der Folge immer wieder auf
Ausbau der Gendarmerie und Verminderung der französischen Truppen; das geht
besonders auch aus zahlreichen Besprechungen und Briefen geheimen Charakters
hervor. S.D.N. Archives des Sections du Secrétariat, Section Politique, Sarre Nr. 57,9:
Troupes françaises — Gendarmerie.
35 Vgl. dazu: Deutsches Weißbuch, S. 10.
46
der französischen Ausbeutungsrechte in den Gruben notwendig seien, wurde
ihre Anwesenheit von Rault immer wieder verteidigt und vom Völkerbund
zunächst trotz der deutschen Proteste geduldet. Gleichzeitig ging Rault nur
sehr zögernd und langsam an den Ausbau einer örtlichen Gendarmerie heran
und vertrat verschleiert den Standpunkt, die örtliche Gendarmerie könne
nie die Stärke erreichen, daß der Verzicht auf das französische Militär mög-
lich werde36.
Der französische Einfluß an der Saar wurde noch durch zwei weitere Maß-
nahmen der Regierungskommission verstärkt, die ebenfalls den Widerstand
der Saarbevölkerung hervorriefen und sie die Objektivität und Unabhängig-
keit der Kommission bezweifeln ließen. Sie übertrug den Schutz der Inter-
essen der Saarländer im Ausland Frankreich und berief vor allem Franzosen
in die leitenden Beamtenstellungen. In der Übertragung der diplomatischen
Vertretung der Saarländer an Frankreich konnte sich die Kommission recht-
lich klar auf den § 21 berufen, in dem es hieß: „Es ist Sache des Regierungs-
ausschusses, mit den ihm angemessen erscheinenden Mitteln und der ihm
angemessen erscheinenden Weise für den Schutz der Interessen der Einwoh-
ner des Saarbeckengebietes im Auslande zu sorgen.“ Die Regierungskom-
mission betonte gegenüber den deutschen Protesten beim Völkerbund, daß
sie „sich von den Gründen leiten ließ, die am 13. Februar d. J. Herrn Cacla-
manos veranlaßt haben, dem Rat des Völkerbundes die Übertragung des
Vorsitzes in der Regierungskommission an das französische Mitglied anzu-
empfehlen“, der Bericht stellte außerdem heraus, daß der Beschluß in der
Regierungskommission einstimmig gefaßt worden sei37.
Die Berufung von französischen Beamten in leitende Regierungsstellen
konnte von der Regierungskommission ohne Zweifel rechtlich verfochten
werden im Hinblick auf Absatz 1 des § 18 des Statutes, der ihr das Recht
der Beamtenberufung ausdrücklich zugestand. Die Notwendigkeit, Fran-
zosen einzustellen, ergab sich vielleicht auch aus praktischen Gesichtspunkten.
Rault sprach und verstand nicht Deutsch38 und wollte einen Mitarbeiterstab
haben, mit dem er ungehindert arbeiten konnte. Gegenüber den Protesten
der Beamtenschaft39 und später der politischen Parteien40 konnte Rault
36 S.D.N. J.O. 11,7 (1921), S. 684; 111,11 (1922), S. 1128; IV,8 (1923), S. 917. Rault
erklärte insbesondere, daß 4000 Mann Gendarmerie zur Aufrechterhaltung der Ord-
nung notwendig seien, daß die Bevölkerung zur Rekrutierung wenig geeignet sei und
daß die Kosten das saarländische Budget zu sehr belasten würden.
37 S.D.N. J.O. 1,8 (1920), S. 67; Deutsches Weißbuch, S. 86; Priou, a. a. O., S. 33, ver-
suchte interessanterweise eine Begründung dieser Maßnahmen zu geben, die voll-
ständig unabhängig von einer französischen Orientierung erscheinen will. Man habe
sich nach dem Vorbild anderer Abstimmungsgebiete gerichtet, in denen der Schutz
der Rechte dem Land übertragen worden sei, aus dem der Abstimmungskommissar
stamme.
38Revire, Perdrons-nous la Sarre?, S. 41, weist auf den französischen Fehler hin,
einen Mann, der nicht Deutsch konnte, in dieses Land „ä. conquerir par persuasion“
zu schicken.
39 Deutsches Weißbuch, S. 160 u. S. 175.
40 Eingabe der politischen Parteien des Saargebietes an den Völkerbund, Juli 1920,
Deutsches Weißbuch, S. 183—186; S.D.N. Dokument C. 755. M. 301. 1923 I, Denk-
schrift der politischen Parteien „Die ausschlaggebende französische Machtstellung in
der Regierungskommission des Saargebietes“ vom 24. 11. 1923.
47
durch den Hinweis auf das Zahlenverhältnis zwischen ausländischen und
deutschen Beamten die Vorwürfe bagatellisieren41. Betrachtet man aber,
welche Stellen tatsächlich mit Franzosen besetzt waren42, so lag die Leitung
aller wichtigen Ministerien in deren Hand. Dazu kam die Tatsache, daß
neben der Verwaltung der Regierungskommission die französische Berg-
werksverwaltung und das französische Bergamt standen und daß ganz
natürlich enge Kontakte zwischen Franzosen in den verschiedenen Positionen
gepflegt wurden43. So war die Klage der Saarländer, von Franzosen statt
von einer neutralen Kommission regiert zu werden, durchaus verständlich.
Zu dieser wirtschaftlichen, militärischen und verwaltungsmäßigen französi-
schen Penetration traten die Bemühungen in kulturpolitischer Hinsicht. Von
dem Recht des § 14 Kapitel I des Saarstatuts zur Errichtung französischer
Schulen machte der französische Staat Gebrauch, aber wieder durch die
Gesetzgebungstätigkeit der Regierungskommission. Diese gestattete den Be-
such der französischen Domanialschulen allen Kindern von Grubenangehöri-
gen und auch anderen saarländischen Kindern, wenn die Eltern um Erlaub-
nis nachsuchten44. Außerdem wurde fakultativer französischer Unterricht in
allen Volksschulen des Saargebietes eingeführt. Diese Maßnahmen wurden
von der Saarbevölkerung als Französisierungstendenz und nicht als weitere
Bildungsmöglichkeit interpretiert45. Auch hier ist die Auffassung von Priou
aufschlußreich, der dazu darlegte:
„II y a avantage pour les relations futures économiques à développer l’enseigne-
ment du français en Sarre, aussi la Commission du Gouvernement ne doit-elle pas
craindre d’envisager l’introduction du système suisse bilingue dont les effets sont
beaucoup dans la prospérité de la République Helvétique.“ 46
Auf die Entwicklung der französischen Schulen im Saargebiet setzten die
Franzosen große Hoffnungen, sie erwarteten sich von ihnen eine Beeinflus-
sung des Plebiszits47.
Die Gesamtheit dieser Maßnahmen ließ die Regierungskommission als
Schrittmacherin einer weitherzigen Interpretation der Vertragsbestimmun-
gen zugunsten Frankreichs erscheinen und führte zu einem stetig wachsenden
Einfluß Frankreichs an der Saar.
41 S.D.N. J.O. IV,9 (1923), S. 1064: Nach der berühmten Ratsdebatte v. 1923 lieferte
Rault diese Übersicht, die erwies, daß nur 73 Ausländer gegenüber 12 000 Deutschen
von der Regierungskommission angestellt waren.
42 S.D.N. C. 755. M. 301. 1923 I: Hier weisen die politischen Parteien in Anlage 3 zur
Denkschrift nach, daß das gesamte Generalsekretariat der Reg.-Kom., die leitenden
Stellen des Geheimsekretariats des Präsidenten, der Direktion des Innern und des
Kabinetts, der obersten Polizeiverwaltung, der Abteilung für Justiz, Schule und
Kirche fast ausschließlich mit Franzosen besetzt waren.
43 Auf die psychologischen Auswirkungen dieser Tatsache weisen besonders Os borne,
a. a. O., S- 162f., und Lambert, a. a. O., S. 109, hin.
44 S.D.N. J.O. 11,8 (1921), S. 845; V,9 (1924), S. 1185ff.; V,ll (1924), S. 1693ff. und
S. 1702.
45 S.D.N. C. 395. M. 185. 1923. I. Denkschrift der politischen Parteien v. 2. 6. 1923
„Der Geist des Saarstatuts und die Praxis der Regierungskommission“.
46 P r i o u, a. a. O., S. 36.
47 Marvaud, a.a.O., S. 100f.; S.L.Z. Nr. 146 v. 7. 6. 1923: Rede des Abgeordneten
Ferry v. 22. 2. 1923.
48
Der Ausbau der saarländischen Autonomie
Die Frage nach dem staatsrechtlichen Status des Saargebiets unter dem
Völkerbundsregime ist schwierig; sie wurde in einer Reihe juristischer Arbei-
ten untersucht und verschieden beantwortet48. Sie war aber nicht nur für das
Volker- und für das Staatsrecht interessant, sondern sie wurde auch bei
konkreten Anlässen Streitobjekt zwischen der Regierungskommission und
der deutschen Reichsregierung. Letztlich war aber im Hinblick auf § 33 des
Saarstatuts die Entscheidung der Regierungskommission maßgebend. Die
Konflikte entsprangen aus dem Problem, daß der Regierungskommission
einerseits alle Rechte des Deutschen Reiches, Bayerns und Preußens in diesem
Gebiete zustanden und ihr der Schutz der Redite Frankreichs oblag und daß
andererseits das Statut die Nationalität und die Rechte der Bewohner und
die Institutionen des Gebietes bewahren wollte und das vorgesehene Plebis-
zit der Neuordnung den Charakter des Provisoriums verlieh. Ohne auf die
verschiedenen juristischen Interpretationen einzugehen, kann man feststellen,
daß das Deutsche Reich und die Bewohner die Aufgabe des Völkerbundes
als eine die bestehenden politischen Rechte und Freiheiten und die ange-
stammte Nationalität bewahrende, also als eine Treuhänderschaft für
Deutschland und zugunsten der Bevölkerung und ihres Deutschtums inter-
pretierten und den Staatscharakter des Gebietes bestritten49. Die Regierungs-
kommission unter Raults Führung dagegen sah in der Autonomie des Ge-
bietes eine notwendige Sicherung ihrer Selbständigkeit und Bewegungsfrei-
heit. Uneingeschränkt durch deutsche Interventionen oder durch Abhängig-
keiten der Bevölkerung von deutschen Institutionen wollte sie den Schutz
der französischen Rechte im Saargebiet und ihre Regierungsaufgaben wahr-
nehmen50. Die Bemühungen der Regierungskommission, im Saargebiet einen
vollständig von Deutschland unabhängigen Status zu schaffen, wurden von
Rault und auch von dem Generalsekretär Morize ausdrücklich als wesent-
lichstes Ziel der Politik der Regierungskommission zur Erfüllung des Ver-
sailler Vertrages dargestellt51.
48 Besonders die bereits genannten Werke von Allot, Coursier, Frank, Priou,
Wehberg und A. Geimer, Die staats- und völkerrechtliche Stellung des Saar-
gebietes unter besonderer Berücksichtigung der ausländischen Literatur, Diss., Saar-
brücken 1931; und E. Biesel Die völkerrechtliche Stellung des Saargebietes (Frank-
furter Abhandlungen zum modernen Völkerrecht, Heft 15), Leipzig 1929.
49 Vgl. z. B. den Notenwechsel über die Frage der Vertretung der saarländischen Aus-
landsinteressen und die Verordnung über die „Eigenschaft als Saareinwohner“, Deut-
sches Weißbuch, S. 82 ff. Gute Zusammenstellungen der verschiedenen Interpreta-
tionen der Treuhänderschaft des Völkerbundes bei C. Groten, Die Kontrolle des
Völkerbunds über die Tätigkeit der Regierungskommission des Saargebietes, Saar-
brücken 1929, S. 9 f., und bei Katsch, a. a. O., S. 14 ff.
50 S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 100—106: In dem 1. per. Ber. Raults vom 25. 3. 1920
spricht er von der ihm gestellten Aufgabe, das Saargebiet gut und zum Wohle der
Bevölkerung zu verwalten; die Hauptaufgabe der Kommission in der Erfüllung des
Vertrages erblickt er aber in der Ausgestaltung der Autonomie: „Elle (Reg.-Kom.)
s’efforce de se conformer au Traité en faisant du Territoire de la Sarre un pays
autonome et indépendant de l’Allemagne“ (S. 104). Ähnlich auch in J.O. 11,2 (1921),
S. 209.
51 S.D.N. J.O. 111,3 (1922), S. 234—236: Am Ende des 10. per. Ber. ist die Rede von
den großen politischen Schwierigkeiten, die von den politischen Parteien gemacht
wurden, aber das Verwaltungswerk sei fast vollendet. „Elle (Reg.-Kom.) est parvenue
49
Rein äußerlich wurde die Selbständigkeit dokumentiert in der Schaffung
einer eigenen saarländischen Flagge und eigener Postwertzeichen52. Dann
wurden ganz konsequent alle deutschen Verwaltungseinflüsse beseitigt; die
Oberpostdirektion und die Eisenbahndirektion wurden selbständige saar-
ländische Institutionen53. Auch die Sozialversicherungseinrichtungen, z. B.
die Knappschaftsvereine, sollten vollständig unabhängig werden. Man
brachte finanzielle Opfer zur Verwirklichung dieser Autonomie54. Außer-
dem war man darauf bedacht, in internationalen Verwaltungsgremien selb-
ständig vertreten55 zu werden und hielt es fijr unmöglich, daß Deutschland
die diplomatische Vertretung für die Saarbevölkerung im Ausland behielt.
Diese Tendenzen zur Ablösung von allen deutschen Verwaltungsinstanzen,
zum Ausbau eigener Verwaltungseinrichtungen und zur Anerkennung einer
staatsrechtlichen Autonomie des Gebietes wurden auch von Bemühungen der
Regierungskommission begleitet, die korporativen Verbindungen mit dem
deutschen Vereinsleben und die Beziehungen zum deutschen Kultur- und
Geistesleben zu verhindern oder zu hemmen. Das Beamtenstatut sah z. B.
vor, daß keine Mitgliedschaft im deutschen Beamtenbund möglich56 sei; das
galt auch für andere Institutionen wie z. B. die Lehrer- und Akademiker-
verbände und ihre Zugehörigkeit zu umfassenderen deutschen Institu-
tionen57. Die Teilnahme an deutschen Veranstaltungen verbot man58.
à assurer cette autonomie du Bassin de la Sarre que le Traité de Paix avait prescrite“ ;
die zukünftige Aufgabe sei weniger schwierig. Coursier, a. a. O-, S. 71—105, er-
arbeitete besonders die rechtlichen Voraussetzungen und die Gründe, die für eine
staatliche Individualität des Saargebietes sprachen, obwohl auch er dem Gebiet keinen
eigentlichen Staatscharakter zuerkannte. Lambert, a. a. O., S. 107, bezeichnete das
Streben nach Autonomie und Unabhängigkeit von Deutschland als ein „axiom“ der
Raultschen Politik.
52 S.D.N. J.O. 11,5/6 (1921), S. 629.
53 S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 105 f., S. 193 f., S. 282 f.; Deutsches Weißbuch, S. 83: Die
Errichtung einer selbständigen Eisenbahnverwaltung für das Saargebiet wurde der
Deutschen Reichsregierung durch die französische Botschaft in Berlin mitgeteilt.
54 S.D.N. Com. d. Gouv. Sarre, Pr.-V., Sitzung vom 8. 6. 1921, S. 244—246: Rault
gibt der Kommission einen Bericht über seine Verhandlungen in Berlin über die
Sozialrenten. Er habe sich dabei von drei Grundsätzen leiten lassen:
1. Aufrechterhaltung und Betonung aller Rechte der Reg.-Kom., die ihr nach dem
Versailler Vertrag zustehen, deshalb „la Commission de Gouvernement a notifié
son intention formelle au Gouvernement allemand de créer dans le Territoire un
système autonome d’assurance“.
2. Sorge dafür, daß die einzelnen Gruppen der Bevölkerung dieselben Vorteile haben
wie in Deutschland.
3. Mit Rücksicht auf die deutschen Proteste, die im Juli in Genf geprüft würden,
habe er in finanzieller Hinsicht nachgegeben, um zu verhindern, daß die Deutsche
Regierung sage, die Reg.-Kom. sei unnachgiebig.
55 Deutsches Weißbuch, S. 101 ff.
56 Amtsblatt d. Reg.-Kom. 1920, S. 51 ff.; Deutsches Weißbuch, S. 211: In der endgülti-
gen Fassung des Beamtenstatuts hieß es in Teil V, Artikel 24: „Ohne Genehmigung
der Regierungskommission ist es den Beamten des Saargebietes untersagt, irgend
welchem beruflichen Vereine, Verbände oder Vereinigung außerhalb des Saargebietes
anzugehören.“
57 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 9. 1924, S. 56.
58 S.D.N. Com. d. Gouv. Pr.-V., Sitzung v. 9./1Q. 6. 1920, S. 121: Ein Lehrer hatte die
Bitte ausgesprochen, an einer pädagogischen Tagung in Berlin teilzunehmen. Rault
erklärte sich prinzipiell und hartnäckig gegen die Genehmigung, und sie wurde des-
halb versagt.
50
Gleichzeitig versuchte man, kulturelle Bindungen zur West-Schweiz und zu
Frankreich zu schaffen, indem die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen
in diesen Gebieten begünstigt wurde59. In der Regierungskommission selbst
erhoben sich bereits am Anfang große Bedenken, ob das zu realisieren sei;
Graf Moltke-Huitfeldt machte ernste Einwände:
„Les Sarrois n’accepteront pas, à son avis, d’entrer en relations avec d’autres Pays
que l’Allemagne, même la Suisse, avant que ces facilités ne leur soient accordées
pour le Reich.“ 60
Trotzdem hielt man sich in den ersten Jahren an die Tendenz Raults und
verbot auch die Teilnahme an Veranstaltungen unpolitischen Charakters.
Schwierig zu lösen war von allem Anfang an die Frage einer übersaarländi-
sdhen Bindung der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften an der Saar waren
Teilglieder der entsprechenden gesamtdeutschen Organisationen, und ihre
Finanzen waren von den Zentralverbänden abhängig. Außerdem sah der
letzte Absatz des § 12 des Saarstatuts vor, daß „die Arbeiter und Ange-
stellten französischer Staatsangehörigkeit“ „den französischen Gewerkschaf-
ten“ angehören dürfen. Es war ausgesprochen schwierig für die Kommis-
sion, dann festzustellen, daß die saarländischen Gewerkschaften die Mit-
gliedschaft in deutschen Verbänden nicht behalten sollten. Priou war deshalb
über die zukünftige Entwicklung der gewerkschaftlichen Organisationen an
der Saar und ihre Verbindung zu Deutschland in Sorge61. Im Zusammen-
hang mit der Lockerung der kulturellen Verbindung zu Deutsdiland gewann
für das politische Leben an der Saar auch die Frage der Abhängigkeit von
den Bistümern Trier und Speyer an Bedeutung. Die Regierungskommission
wollte die saarländische Autonomie auch in der Ablösung von den deutschen
Bistümern realisieren. Man dachte zumindest an die Schaffung einer aposto-
lischen Vikarie62. Im Sinne der Raultschen Politik stellte sich auch die Frage,
wer die Beamten für das Saargebiet auszubilden habe; die Franzosen erwo-
gen den Gedanken der Errichtung einer saarländischen Universität63. Wäh-
rend in der Frage der Lösung von den deutschen Bistümern verschiedene
Schritte unternommen wurden, kam man in der Universitätsangelegenheit
nicht über die Phase der französischen Wünsche hinaus.
Ein weiterer wesentlicher Schritt zur Ausgestaltung eines unabhängigen Saar-
gebietes war die Errichtung eines Obergerichtes in Saarlouis, wie es der § 25
des Statuts für das Saargebiet vorsah. Die Saarländer hatten sich diesen
Gerichtshof als höchste innersaarländische Berufungsinstanz mit vorwiegend
deutschen Richtern besetzt vorgestellt, da der Vertrag die bisher geltende
Rechtsordnung soweit wie möglich erhalten wollte. Rault aber berief den
Schweizer Nippold zum Präsidenten des Gerichtshofes und betonte, daß er
darauf bedacht gewesen sei, sich in dessen Person der Liilfe eines „hervor-
59 2. B.: S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 47, Bericht über Ferienkurse von saarländischen
Lehrern in Nancy und Boulogne/s. m.; vgl. auch unten S. 115 f.
60 S.D.N. Com. d. Gouv. Pr.-V., Sitzung vom 9./10. 6. 1920, S. 121.
61 Priou, a.a.O., S. 126, Anm. 2.
62 Priou, a.a.O., S. 33; Revire, a.a.O., S. 31; Wambaugh, a.a.O., S. 83f.;
ausführlicher über die Bistumsfrage unten S. 155 ff.
63 Priou, a. a. O., S. 33.
51
ragenden, in deutschem Recht bewanderten Mannes, der die deutsche Sprache
spricht und gleichzeitig einem neutralen Lande angehört“, sichern wollte64.
Die Saarländer und die Deutschen bekämpften Nippold und standen dem
Gerichtshof wegen seiner internationalen Zusammensetzung kritisch gegen-
über65. Daß das Mißtrauen der Saarländer in diese Politik der Regierungs-
kommission berechtigt war, geht aus zwei bisher nicht bekannten Tatsachen
hervor. Professor Nippold war Moltke-Huitfeldt durch den Franzosen Fro-
mageot empfohlen und mit vollem Einverständnis von Bourgeois, dem fran-
zösischen Ratsvertreter im Jahre 1920, berufen worden66. Die Verwirk-
lichung der saarländischen Autonomie war also in den Gesamtrahmen der
französischen Politik eingeordnet, und die Franzosen beeinflußten teilweise
die entsprechenden Maßnahmen der Regierungskommission. Nippold selbst,
der bald mit der Regierungskommission in Schwierigkeiten geriet, urteilte
in einem geheimen Bericht nach Genf über die Institution des Obersten
Gerichtes:
„Die Organisation des Gerichtshofes ist das genaue Gegenteil von dem geworden,
was man hätte anstreben sollen und was den Ideen des Völkerbunds und der beson-
deren Situation des Saargebietes entsprochen hatte.“ 67
Er legte des weiteren dar, daß man keinerlei Rücksicht auf die öffentliche
Meinung genommen habe und sich nicht von dem Gedanken habe leiten
lassen, die bestehende Gesetzgebung möglichst wenig zu ändern.
„Die Justizverwaltung in Saarbrücken wollte eben gar keinen freien Gerichtshof
des Völkerbundes schaffen, sondern einfach ein gefügiges Instrument des Bürokra-
tismus.“ 67
Mag auch der Konflikt Nippolds mit der Regierungskommission zur Schärfe
der Formulierungen beigetragen haben, sein Urteil stimmte mit dem der
Saarbevölkerung überein, und da er selbst von der Bevölkerung bekämpft
wurde und über diese hart urteilte68, hatte er keinen Grund, sich mit der
Meinung der Bevölkerung in einem Geheimbericht zu identifizieren.
Den schärfsten Ausdruck fand das Streben der Regierungskommission, dem
Saargebiet weitgehend das Gepräge eines autonomen Staatsgebildes zu
geben, in der Verordnung über die „Eigenschaft als Saarbewohner“ 69. Der
Versailler Vertrag hatte zwar ausdrücklich bestimmt, daß die deutsche
Staatsangehörigkeit der Saarländer erhalten bleibt (§ 27), die Regierungs-
64 S.D.N. J.O. 1,6 (1920), S. 371.
65 Von den elf Richtern dieses Gerichtshofs waren drei Schweizer, zwei Saarländer, zwei
Franzosen, einer war Belgier, einer Niederländer, einer Tscheche und einer Luxem-
burger. Wambaugh, a. a. O., S. 77.
66 So Moltke-Fluitfeldt in einem Gespräch mit Colban, Aufzeichnung Colbans über dieses
Gespräch in S.D.N. Archives des Sections du Secretariat, Section Politique, Sarre
Nr. 57,5. Cour supreme de Justice 1919—1926.
67 Ebenda, im Aktenstück „Cour supreme de justice“ geheimer Bericht Nippolds an
das Sekretariat.
68 O. Nippold, Das Saarregime nach eigenem Erleben, Separatdruck aus der „Neuen
Züricher Zeitung“ Nrn. 503, 557 und 602 März/April 1935, S. 11 ff.
69 Amtsblatt d. Reg.-Kom. d. Saargeb. v. 25. 6. 1921, Nr. 530; Deutsches Weißbuch,
S. 90ff.; J.O. 11,8 (1921), S. 840f.; vgl. zur juristischen Auseinandersetzung mit dieser
Verordnung bes. Katsch, a. a. O., S. 42ff.
52
kommission hielt es aber für notwendig, den Begriff des Saareinwohners,
unabhängig von der Nationalität, eigens zu definieren. In der Verordnung
wurde auch festgelegt, wer diese Einwohnerschaft erwerben könne und unter
welchen Bedingungen. Sie entsprach fast ganz der gesetzlichen Regelung über
eine Staatsangehörigkeit. Außerdem bildete sie die Grundlage für die spä-
tere Regelung des Wahlrechtes70, durch das eingewanderte Franzosen, die
die Saareinwohnerschaft erworben hatten, aktives Wahlrecht ausüben konn-
ten, während das passive Wahlrecht allen nicht im Saargebiet geborenen
Bewohnern genommen wurde, wodurch eine Reihe der führenden Partei-
politiker von der Wählbarkeit zum Landesrat ausgeschlossen wurden.
Die Politik der Regierungskommission unter der Führung Raults wurde von
ihm selbst als getreue Ausgestaltung des Versailler Vertrages angesehen71.
Seine psychologische Situation zwischen Völkerbund und Frankreich erhellt
eine Äußerung Prious:
Die politischen Parteien „ne doivent donc pas crier à l’impérialisme quand nous
nous servons des clauses d’un Traité qui, pour le Bassin de la Sarre, ont été rendues
les plus douces possibles et sont le résultat d’un esprit de bienveillance que l’on ne
serait guère en état d’attendre d’un peuple dont le pays a été ravagé et qui est en
mesure de dicter ses volontés“.72
Auch Frankreich betrachtete den Versailler Vertrag als eine Kompromiß-
lösung und wollte wenigstens jene Möglichkeiten wahrnehmen, die es in
diesem Vertragswerk für seine Interessen sah. Die französischen Unter-
suchungen gelangten auch übereinstimmend zu der Auffassung, daß die
Maßnahmen der Regierungskommission eine glückliche und objektive Reali-
sierung des schwierigen und teilweise unklaren Saarstatuts bedeuteten und
damit eine Bereicherung internationaler Rechtsschöpfungen gewonnen sei73.
Die Maßnahmen der Regierungskommission dürfen deshalb nicht einfach als
eine skrupellose Ausnützung der französischen Chancen gesehen werden,
sondern Rault glaubte an die Möglichkeit einer Politik, in der die Interessen
Frankreichs und des Völkerbundes identifiziert werden konnten, da der
Versailler Vertrag mit Einschluß der Progressionsmöglichkeiten Frankreichs
an der Saar für ihn schon ein Zugeständnis an die Ideen des Völkerbundes
darstellte74. Diese Sicht versperrte indes Rault und vielen Franzosen eine
70 Verordnung über die Errichtung des Landesrates (Absatz 1,3), Amtsblatt d. Reg.-
Kom. d. Saargeb. 1922, Nr. 143.
71 Vgl. oben Anm. 50 u. 51, S. 49.
72 Priou, a. a. O., S. 175.
73 So besonders Coursier, a. a. O., dessen Arbeit die Tätigkeit der Regierungskom-
mission ausgesprochen unter juristischen Gesichtspunkten und wesentlich distanzierter
von französischen politischen Interessen betrachtet als die Arbeiten von Priou, Re-
vire oder Marvaud.
74 Die Formel v. Hirsch, Die Saar von Genf, S. 11: „Die Saar unter dem französischen
Imperialismus“ scheint uns für die Jahre 1920 bis Ende 1922 zu einseitig und noch
in den Denkkategorien der damaligen Zeit gewonnen. Revire, a. a. O., S. 41 ff., gibt
eine Beschreibung des politischen Denkens Raults und behauptet, Rault habe euro-
päisch gedacht und sei von den Ideen des Völkerbundes erfüllt gewesen; er arbeitet
deshalb in der Politik des Präsidenten besonders den Charakter der „demi-mesure“
heraus, z. B. in bezug auf die französischen Truppen. Vgl. auch über die verschiedene
Beurteilung Raults Wambaugh, a. a. O., S. 78.
53
richtige Einschätzung der Haltung der Saarbevölkerung, die eine solche
Identifizierung als unmöglich ansah und von einer Regierung im Auftrag
des Völkerbundes primär Schutz gegen eine französische Übermacht er-
wartete.
In dieser Frühphase entwickelte Rault den Regierungsstil, der ihm persön-
lich lag. Er verhandelte selbständig mit den französischen Ministerien und
mit den französischen Stellen an der Saar, ging mit Fleiß und Energie an
seine Verwaltungsaufgabe, hielt im Generalsekretariat alle Fäden in der
Hand und duldete kaum Widerspruch. Seine Berichte nach Genf75 zeigten
ihn voll Schwung, Selbstbewußtsein und Eigensinn im Beharren auf seinen
Grundthesen.
Das Verhältnis der Regierungskommission zur Bevölkerung
Die hier notwendigerweise nur kurz skizzierte politische Linie der Tätigkeit
der Regierungskommission unter der Führung Raults stellte vor allem die
Akzente jener umfassenden und großen Arbeit heraus, die von der Regie-
rungskommission zu bewältigen war. Die Protokolle ihrer wöchentlichen
Sitzungen erweisen, welch große Nöte es zu beseitigen und welche Aufgaben
es zu lösen galt: Die Lebensmittelversorgung mußte gesichert, die Frage der
Renten und Sozialversicherungen geklärt, ein geregeltes Steuer- und Finanz-
system, das den neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung trug, auf-
gebaut, Maßnahmen zur Behebung der Wohnungsnot und zur Bekämpfung
der Tuberkulose mußten ergriffen, die Konsequenzen der doppelten Wäh-
rung berücksichtigt werden. Aus den Protokollen geht auch hervor, daß die
Regierungskommission ernsthaft an diese Probleme herantrat und bemüht
war, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse möglichst vorteilhaft zu
gestalten, also zum Wohle der Bevölkerung zu regieren76. Des weiteren
erhellen die Niederschriften der Sitzungen der Regierungskommission, daß
in Hinsicht auf diese Fragen dem Regierungsmitglied Hector eine positivere
Beurteilung zukommt, als das im Saargebiet üblich war. Er trug sehr oft die
saarländischen Gesichtspunkte und Wünsche vor und beurteilte die Situation
anders als Rault.
Im Verhältnis zur Bevölkerung hoffte nun Rault, daß eine gute Verwal-
tungstätigkeit das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen könne und daß sich
auf dieser Linie eine Zusammenarbeit herausbilden werde. Seine Proklama-
tion beim Amtsantritt der Regierungskommission enthielt den Satz, daß
75 Die Berichte nach Genf wurden am Anfang von Rault allein ausgearbeitet. Später
wurden die Teile, die von den einzelnen Ressorts geliefert worden waren, von ihm
allein zusammengestellt und mit Schlußfolgerungen versehen. Seit der Ratssitzung
im Juli 1923 wurden sie vor der Absendung den Mitgliedern der Reg.-Kom. vorgelegt
und von diesen gebilligt. S.D.N. J.O. IV,8 (1923), S. 917, dazu auch S.D.N. Ardiives
des Sect. du Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57, Aktenstück Waugh, Originalbrief
Waughs vom 10. 1. 1921 an Gilchrist.
76 S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 100—106: Der erste Bericht Raults nach Genf betonte die
Notwendigkeit umfassender Maßnahmen zum Wohl der Bevölkerung. Auch alle
folgenden Berichte enthalten Kapitel, in denen die Maßnahmen zum Wohle der
Bevölkerung besonders zusammengefaßt sind.
54
„die Regierungskommission es als ihre Pflicht betrachte, das Vertrauen der
Bevölkerung zu gewinnen“; außerdem versprach sie die Förderung von In-
dustrie und Handel, Schutz gegen jede Ausbeutung der Saarländer und
wandte sich besonders wohlwollend an die Arbeiterschaft und kündigte die
Berücksichtigung der Wünsche der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände
an77. Neben einer so konzipierten Arbeit zum materiellen Wohl der Bevöl-
kerung stand in Erfüllung des Vertrages die Wiederherstellung der Frei-
heiten (besonders der Presse- und Vereinsfreiheit) der Bevölkerung78. In der
anfänglichen Hoffnung auf gute Zusammenarbeit trug Rault dem Wunsch
der Lokalvertretungen, die für eine Erhöhung der französischen Kohlen-
steuer eintraten, Rechnung79 und versuchte die Arbeiter im Beamtenstreik
auf die Seite der Regierungskommission zu ziehen80. Die Hoffnung auf ein
Gelingen dieser Politik hielt er auch noch aufrecht, als die Proteste wuchsen;
in seinen Berichten nach Genf sprach er davon, daß die Bevölkerung nur von
einer kleinen Gruppe von Journalisten und Agenten des Deutschen Reiches
irregeleitet werde81. Besonders war er überzeugt, daß die Arbeiterschaft zu
gewinnen sei82. Aufschlußreich für den Glauben Raults ist wieder das Zeug-
nis Prious, der darlegte, daß das Verhältnis zur Arbeiterschaft im ganzen
gut sei, und Befürchtungen für die zukünftige Entwicklung hatte Priou nur
für den Fall, daß sich die wirtschaftliche Lage ungünstig gestalten würde;
auch die Beziehungen der Saarländer zur Regierungskommission sah er nur
unter dieser Perspektive83.
Zu diesem Grundzug trat eine Art juristischen Denkens, das der Situation
unangemessen war. Rault glaubte, daß der abgeschlossene Vertrag in allen
seinen Konsequenzen, also auch einschließlich der schweren politischen
Opfer, die er der rein deutschen Bevölkerung auferlegte, als rechtsetzend
nicht nur in positivistischem Sinne, sondern im Sinne einer neuen morali-
schen Rechtsordnung von der Bevölkerung anzunehmen sei. So forderte
seine Proklamation Gehorsam gegenüber dem Friedensvertrag84, und seine
77 Ebenda, S. 107; Deutsches Weißbuch, S. 71—73; die Zitate aus der Proklamation
folgen der Übersetzung des Deutschen Weißbuches.
78 S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 103 f., „Adoption des mesures liberales“.
79 S.D.N. Com. d. Gouv. Sarre, Pr.-V., Sitzung vom 11. 9. 1920, S. 251, „Or les
assemblées locales qui viennent d’être consultées se sont unanimement prononcées
pour le maintien intégral de la loi allemande, c’est-à-dire pour les taux de 20 ®/o. Il
y a là un courant d’opinion politique très fort dont la Commission a le devoir de tenir
compte.“ Zur Frage der Kohlensteuer Näheres unten S. 134 ff.
80 Deutsches Weißbuch, Dokumente Nr. 131 (S. 197) und Nr. 135 (S. 200 f.).
si S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 102; 1,4 S. 197; 1,5 S. 278; 1,5 S. 284f.
82 Priou, a. a. O., S. 129; S.D.N. J.O. 1,4 (1920), S. 198: Bericht über den Besuch des
Direktors des Internationalen Arbeitsamtes Thomas in Saarbrücken und seine Aus-
sprache mit Vertretern der Arbeiter- und Angestelltenorganisationen und mit der
französischen Grubenverwaltung. J.O. 1,5 (1920), S. 276: Bericht über die Feier des
1. Mai in Saarbrücken mit einem Zug von 40 000 Menschen, der großen Disziplin
der Arbeiterschaft: „...aucun hymne révolutionnaire ou nationaliste n’a été chanté;
aucun discours séditieux n’a été prononcé. Le président s’est félicité d’avoir confiance
à la population en donnant les autorisations que les chefs socialistes avaient solicitées
et d’avoir réussi, par les quelques précautions qu’il avait prescrites, à éviter tout
désordre.“
83 Priou, a. a. O., S. 129.
84 Vgl. Anm. 77 oben.
55
Klagen an das Sekretariat sprachen immer wieder von Hetze gegen diesen
Vertrag85. Da man sich gewisser Schwierigkeiten gegenüber der deutschen
Bevölkerung von Anfang an bewußt war, stellte Rault aus solchem Denken
neben dem Zug der Sorge für die Wohlfahrt der Bevölkerung besonders
Autorität und reale Macht der Kommission heraus.
„In der gleichen Weise, in der die Regierungskommission von dem Bewußtsein
ihrer Pflichten durchdrungen ist, ist sie auch gesonnen, ihrer Autorität Achtung zu
verschaffen, und alle Bestrebungen, von wo sie auch nur immer kommen mögen,
die Bevölkerung zu beunruhigen oder sie zu Fehltritten zu verleiten, unnachsichtig
zu unterdrücken. Der Friedensvertrag hat sie keineswegs wehrlos dahingestellt. Die
Rechte, die er ihr verlieh, setzen sie sehr wohl in den Stand, sich ihrer hohen Auf-
gabe zu widmen, ohne sich durch etwaige eitle oder gar verbrecherische Aufleh-
nungen beeinträchtigen zu lassen . . 86
Zur Stärkung ihrer Autorität nahm die Kommission wiederholt moralische
Hilfe des Völkerbundes in Anspruch, und sie konnte dort wirksam die Auf-
fassung vertreten, daß die Stärkung dieser ihrer Autorität die wichtigste
Voraussetzung für das Funktionieren des Systems sei87. Zur machtmäßigen
Unterbauung des Regierungssystems glaubte Rault, das französische Militär
nicht entbehren zu können. Außerdem kann als eine weitere Grundtendenz
der Raultschen Politik herausgearbeitet werden, daß er nach der Schaffung
gesetzlicher Handhaben strebte, die es ihm ermöglichen sollten, gegebenen-
falls gegen die Opposition einzuschreiten. In ihnen erblickte er ein wirk-
sames Mittel zur Stärkung der Autorität der Kommission, in deren Ermes-
sen es dann liege, strenge Gesetze milde anzuwenden88.
Die Politik Raults und seine Auffassungen über die Zusammenarbeit mit
der Bevölkerung waren begleitet von der Erwartung, auf diese Weise auch
Sympathien für Frankreich gewinnen zu können, da es ja nur gelte, die
preußisch-deutschen Einflüsse auszuschalten und für das Wohl der Bevölke-
rung zu sorgen. Die offiziellen französischen Propagandamaßnahmen aus
der Zeit der Besatzung wurden weitgehend eingestellt89. Träger der fran-
zösischen Propaganda wurden hinfort die Grubenverwaltung mit ihren
Sozialmaßnahmen und ihren Schulen und der Saarbund, eine profranzö-
sische Vereinigung, die als Zeitung den „Saar-Kurier“ herausgab90. Die Re-
ss S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 102; 1,5 (1920), S. 284: Hier werden „Traité de Paix et
l’autorité de la Société des Nations“ zusammengenommen und in ihrem moralischen
Anspruch identifiziert.
56 Deutsches Weißbuch, S. 72; S.D.N. J.O. 1,3 S. 107.
57 Im Laufe vieler Sitzungen des Rates des Völkerbundes wurde der Regierungskom-
mission das Vertrauen und die Anerkennung des Rates ausgesprochen. Diese An-
erkennungen zitierte Hanotaux als französischer Ratsvertreter in seiner Entgegnung
auf das Exposé Lord Robert Cecils am 26. 6. 1923; S.D.N. J.O. IV,8 (1923), S. 865 f.
Diese Anerkennungen waren der Kommission von den englischen Ratsvertretern Sir
Fisher, Lord Robert Cecil und Lord Balfour, von dem Belgier Hymans und dem
Italiener Graf Imperiali ausgesprochen worden.
88 Vgl. dazu unten S. 75.
89 Das betonte immer wieder Robert Herly (sein Pseudonym ist Jean Revire), bes.
in Le mouvement francophile en Sarre in H. Hirsch, a. a. O., S. 92 ff. und in
Re vi re, Perdrons-nous la Sarre?, S. 58.
90 Herly, a. a. O., S. 92 f. ; W. Hoffmann, Die Ideenwelt der mehrheitssozialistischen
Bergarbeiterschaft im Saargebiet, Diss. (Masch.), Bonn 1923, S. 17ff.; Wambaugh,
a. a. O., S. 93
56
gierungskommission erschien der Bevölkerung wegen ihres guten Verhält-
nisses zu den französischen Verwaltungsstellen und Institutionen an der
Saar, wegen ihrer franzosenfreundlichen Orientierung und wegen ihrer
hohen französischen Beamten als bewußte Förderin dieser Propaganda.
War das Vertragswerk bereits auf ein autokratisches Regierungssystem hin
angelegt91, da der Bevölkerung die legislativen Befugnisse fehlten, so setzten
die Vorstellungen Raults und der Grubenverwaltung von der Zusammen-
arbeit mit der Bevölkerung im Grund noch patriarchalische Verhältnisse
voraus, in denen die Bevölkerung durch gute Verwaltung und Sorge für ihr
materielles Wohl gewonnen werden konnte. Es gab in einer solchen Kon-
zeption für die Bevölkerung nur die Haltungen der Akklamation und der
Obstruktion, und diese Haltungen mußten bei der Eigenart des Saarregimes
das moralische Prestige des Völkerbunds und Frankreichs treffen und bei
längerer Dauer zu politischer Sterilität führen.
3. Die Widerstände der politischen Parteien gegen die Politik Raults
Die Entwicklung der Opposition bis zum September 1921
In den Saarbestimmungen des Versaillers Vertrages waren der Bevölkerung
ihre Freiheitsrechte garantiert; die Regierungskommission hatte in der Pro-
klamation bei ihrem Regierungsantritt auf diese Tatsache hingewiesen und
die entgegenstehenden Verfügungen aus der Zeit des Militärregimes besei-
tigt. Für die Entfaltung des politischen Lebens an der Saar und die Begeg-
nung mit der Regierungskommission wurden die Gewerkschaften und die
übrigen Standes- oder wirtschaftspolitischen Vertretungskörperschaften, die
politischen Parteien und die freie saarländische Presse entscheidend. Welchen
Wirkungsraum besaßen nun diese auf Grund des bestehenden Rechtes?
Die Rechte der Gewerkschaften waren durch zwei Bestimmungen des Saar-
statuts des Versaillers Vertrages besonders gesichert. § 12 garantierte die
Rechte der Arbeiter nach den am 11. November 1918 gültigen deutschen
Gesetzen, und § 23 forderte von der Regierungskommission in arbeitsrecht-
licher Hinsicht die Berücksichtigung der Wünsche der Arbeitervertretungen
und der Grundsätze des Völkerbundes92. Existenz, Einflußmöglichkeit und
Hoffnung auf eine konstruktive Weiterentwicklung schienen hier verankert,
und die Praxis der Regierungskommission ließ auch zunächst eine durchaus
freiheitliche Entwicklung im Hinblick auf die Arbeitergewerkschaften er-
91 Haskins, a. a. O., S. 48, betonte, daß die Vertragsschöpfer die Kommission auch
unabhängig von der Obstruktion der Bevölkerung machen wollten. Das hochindu-
strialisierte Gebiet fordere „a strong executive of this type“. Haskins vertrat auch
während der Diskussion um die Schaffung des Landesrates in einem persönlichen und
vertraulichen Gespräch mit Captain Gilchrist im Februar 1922 in Genf die Auf-
fassung: „He thoughs that during the Peace Conference, the power and influence
of political parties in the Saar was not foreseen. He had thought that there might
have been a pro-Gouvernment and an anti-Gouvernment group.“ Aufzeichnung
Gilchrist v. 19. 2. 1922 in S.D.N. Archives, Sections du Secretariat, Sect. Pol. Sarre,
Nr. 56, Dossier General I.
92 Vgl. oben S. 33.
57
warten93. Die übrigen standespolitischen Organisationen wurden durch die
allgemeine Festlegung auf die Gesetzgebung vor dem 11. November 1918
garantiert (§ 23). Sie konnten ihre Tätigkeit an der Saar frei entfalten und
ihre Wünsche in den einzelnen Ressorts vortragen. Die Regierungskommis-
sion verhandelte mit ihnen. Sie waren neben den Gewerkschaften zunächst
die Institutionen, durch die eine Zusammenarbeit zwischen Regierung und
Bevölkerung anlief94.
Die politischen Parteien waren im Statut nicht ausdrücklich genannt, sondern
ihre freie Existenz und Entfaltungsmöglichkeit leiteten sich aus Absatz 1
des Artikels 23 ab. Für sie muß aber gleich ein entscheidender Unterschied
gegenüber den Parteien im Kaiserreich wie in der Weimarer Republik be-
tont werden. Sie besaßen zwar „gesellschaftliche Freizügigkeit“95, aber es
existierten im Saargebiet der Völkerbundsregierung zunächst keine politisch-
staatlichen Organe, innerhalb derer sie zur Geltung kommen konnten. Die
§§ 23 und 26 sprachen zwar von den gewählten Vertretern der Bevölkerung,
die bei Änderung von Gesetzen und Verordnungen und bei Erhebung von
neuen Abgaben und Steuern zu befragen seien, ließen aber offen, in welcher
Form diese Befragung zu erfolgen habe. Die legislativen Befugnisse lagen
letztlich nicht bei den gewählten Vertretern der Bevölkerung, sondern bei
der Regierungskommission. Es bestand also weder ein konstitutionelles noch
ein parlamentarisches Regierungssystem. Die Regierungskommission schuf
für die Einholung der Gutachten der Bevölkerung keine neue politische
Vertretung für das gesamte Gebiet, sondern legte ihre Gesetzesentwürfe den
örtlichen Vertretungskörperschaften vor, die in § 28 der Bevölkerung aus-
drücklich zugesagt worden waren. Die Gemeinde- und Kreistage waren aber
zunächst und vor allem Institutionen, die von lokalen Gesichtspunkten,
nicht aber von größeren politischen Konzeptionen bewegt wurden und ihre
Mitglieder besaßen oft auch nicht die Voraussetzungen zu bedeutungsvolle-
ren Entscheidungen96. Sie waren bis 1922 die einzigen Organe zu einer ver-
antwortlichen Tätigkeit der politischen Parteien. Legislative Rechte hatten
sie aber nur in Fragen der Selbstverwaltung, während sie in Fragen von
entscheidendem politischen Interesse wie der Weiterführung der Gesetz-
gebung des gesamten Gebietes nur konsultative Befugnisse besaßen. Das
93 Vgl. Anm. 82 S. 55. In der Besprechung mit Thomas, dem Direktor des Internatio-
nalen Arbeitsamtes, erörterte man Fragen der Weiterentwicklung der Arbeiter- und
Sozialgesetzgebung.
94 Z. B.: S.D.N. J.O. 1,5 (1920), S. 279 u. 283; J.O. III,3 (1922), S. 217; S.D.N. Com.
d. Gouv. Sarre, Pr.-V., Sitzung vom 9. 2. 1921, S. 285 ff. (Verhandlungen mit
Arbeiterorganisationen); Deutsches Weißbuch, S. 165 (Verhandlungen mit den
Beamtenorganisationen).
95 H.-J. Merkatz, Die Parteien in ihrer Heutigen verfassungspolitischen Bedeutung,
in: Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. 19, 1958, Stuttgart, S. 251. Der Verfasser
fußt auf dem Gutachten der Parteienrechtskommission über die Rechtsordnung des
Parteiwesens von 1957 und zitiert aus diesem: „Parteien bedürfen zu ihrer vollen
Entfaltung nicht nur gesellschaftlicher Freizügigkeit..., sondern auch politisch staat-
licher Organe, innerhalb derer sie zur Geltung kommen können, d. h. sie sind in
ihrer Wirksamkeit an das Repräsentationssystem und seine parlamentarischen Ein-
richtungen gebunden.“
96 Dazu auch Katsch, a. a. O., S. 39.
58
Wahlgesetz vom 29. April 192097 für diese Lokal Vertretungen stellte mit
der Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechtes und der Ver-
hältniswahl einen Fortschritt gegenüber dem preußischen Dreiklassenwahl-
recht dar. Rault betonte in seinem Bericht nach Genf98 den liberalen Geist
dieser Maßnahmen und daß die Bevölkerung größere Freiheiten besäße als
zur Zeit der preußischen Flerrschaft. Das traf im Sinne der „gesellschaft-
lichen Freizügigkeit“ zu, aber die Tatsache blieb, daß für die politischen
Parteien nur ein kleiner Raum zu konstruktiver Arbeit bestand.
In diesem Zusammenhang ist des weiteren zu beachten, daß die Bestimmun-
gen des Versailler Vertrages über die Rechte der Bevölkerung weitgehend
statischen Charakters waren, es sollte um Schutz und Bewahrung einer deut-
schen Rechtsordnung gehen. Mögliche Veränderungen waren in dem Vertrag
nur unter dem Gesichtspunkt der besonderen Verhältnisse des internationa-
len Status, nicht aber im Hinblick auf eine Weiterentwicklung der poli-
tischen Parteien und eine Veränderung der Struktur der deutschen Gesetz-
gebung ins Auge gefaßt. Nun befanden sich aber in der Weimarer Republik
Parteien und Gewerkschaften durch die Einführung des parlamentarischen
Systems und den Ausbau der Arbeits- und Sozialordnung in einer neuen
Situation. Hoffnungen auf ähnliche Entfaltungsmöglichkeiten bestanden
aber im Saargebiet nur für die Gewerkschaften in dem Hinweis auf die
Empfehlungen, die in dieser Hinsicht von dem Völkerbund und vom Inter-
nationalen Arbeitsamt zu erwarten waren. Die Saarbevölkerung hatte je-
doch 1918/19 am Umbruch in Deutschland besonderen Anteil genommen
und wünschte dieselbe Entwicklung. Viele der entscheidenden Veränderun-
gen im deutschen Verfassungs- und Rechtsleben der Weimarer Republik
beruhten zudem gerade auf der Aufnahme der Ideenwelt der westlichen
Demokratien, und ihr Fehlen im Land der Völkerbundsverwaltung schien
unverständlich.
Die saarländische Presse erhielt ebenfalls volle Freiheit. Sie war in ihren
großen Zeitungen ausgesprochen parteipolitisch abhängig und orientiert.
Die „Saarbrücker Landeszeitung“ war das Organ der Zentrumspartei, die
„Saarbrücker Zeitung“ das der Demokraten und der Liberalen und die
„Volksstimme“ das der Sozialdemokratischen Partei; seit 1922 erschien
auch für die Kommunisten eine „Arbeiterzeitung“ im Saargebiet. Die Presse
wurde das Sprachrohr der politischen Parteien und der gewerkschaftlichen
und standespolitischen Organisationen; darüber hinaus übte sie Kritik an
vielen Maßnahmen Frankreichs, der Regierungskommission und des
Völkerbundes in den Saarfragen und verbreitete die internationale Kritik
an den Saarverhältnissen. Da die politischen Parteien keine konstruktive
Entfaltungsmöglichkeit besaßen, sondern auf Versammlungs- und Rede-
tätigkeit ihre ganze Kraft verwenden mußten, wurden die Äußerungen der
Presse besonders im Anfangsstadium von entscheidender Bedeutung. Die
Presse betrachtete sich als berufene Hüterin des Deutschtums an der Saar
und als unerbittliche Wächterin der Rechte der Saarländer gegenüber der
97 Amtsblatt d. Reg.-Kom. d. Saargeb. 1920, Nr. 24, S. 9.
98 S.D.N. 1,4 (1920), S. 196.
59
Regierungskommission99. Diese Ausgangsposition behielt sie während der
ganzen Dauer des Sonderregimes bei.
So eindeutig der deutsche Charakter der Saarbevölkerung und ihre Homo-
genität waren, das Bild der aktiven politischen Kräfte war zunächst durch-
aus vielgestaltig. Die Gewerkschaften aller Richtungen, die standespoii-
tischen Organisationen, die Industrie- und Arbeitgeberverbände hatten ver-
schiedene Interessen und ihre Verhandlungen mit der Regierung notwendig
Zielsetzungen, die teilweise weit auseinanderlagen. Die Freien und die Christ-
lichen Gewerkschaften, die Sozialisten und das Zentrum, das Zentrum und
die Nationalliberalen befanden sich durch die historische Tradition an der
Saar und auch durch den Wahlkampf zur Weimarer Nationalversammlung
in scharf ausgeprägten gegensätzlichen Positionen. Die Gemeinde-, Kreis-
und Stadtparlamente waren in ihrer lokalen Begrenztheit keine Voraus-
setzung zur Entwicklung einer gesamtsaarländischen Konzeption der einzel-
nen Parteien.
Die Regierungskommission unter der energischen Führung Raults konnte
auf Grund dieser Lage die oben skizzierten Verhältnisse rasch und ohne
entscheidende Mitwirkungs- oder Protestmöglichkeit der Saarbevölkerung
schaffen. Aber mit dem ersten Konflikt zwischen Bevölkerung und Regie-
rungskommission begann sich bereits 1920 der grundlegende politische Pro-
zeß der Organisation gegen die Maßnahmen Raults anzubahnen. Über die
Frage der Einstellung der Beamtenschaft in den Dienst der Regierungskom-
mission kam es zu einem großen Streit100. Der Konflikt spitzte sich weniger
durch die Verhandlungen der Regierungskommission mit dem Deutschen
Reich als mit der saarländischen Beamtenvertretung zu. Zunächst war die
Beamtenschaft besorgt über die Verordnung der Regierungskommission vom
16. März 1920, die sich eine Aussonderung von Beamten innerhalb eines
halben Jahres nach Inkrafttreten der Vereinbarungen mit dem Deutschen
Reich vorbehielt; dann führten die Verhandlungen über den Entwurf des
Beamtenstatuts zum Streik der Beamtenschaft, dem die saarländische Be-
völkerung sich in einem eintägigen Sympathiestreik anschloß. Entscheidende
Punkte in diesem Konflikt waren für die Beamtenschaft die Behauptung
der Beamtenrechte, wie sie vor dem 11. November 1918 bestanden hat-
ten101, einschließlich der Vereins- und Korporationsfreiheit, die das Beam-
tenstatut entscheidend einschränken wollte, und die Ablehnung der von der
Regierung konzipierten Disziplinargerichtsbarkeit102. Beamtenorganisatio-
nen und Gewerkschaften fanden sich unter dem Gesichtspunkt der Ver-
99 Uber die Haltung der Presse: E. Wagner, Die Presse des Saargebietes und ihr
publizistischer Kampf gegen die französischen Annexionsbestrebungen in den Jahren
1918 bis 1925, Diss., Saarbrücken 1933; H. Baldauf, Fünfzehn Jahre publizistischer
Kampf um die Saar, Diss., Saarbrücken 1934.
10° Dokumentationsmaterial dazu: Deutsches Weißbuch, S. 152—215; zusammenfassen-
der Bericht über die Frage, S.D.N. J.O. 1,6 (1920), S. 400—404. Fast die gesamte
Literatur geht auf den Beamtenstreik ein; Sonderveröffentlichungen dazu: H. An-
schütz, Der Kampf der Saarbeamten unter der Völkerbundsregierung, Frankfurt
(Main) 1922.
101 Deutsches Weißbuch, S. 157.
102 Ebenda, S. 174 ff,: Gegenvorschläge der Beamtenschaft.
60
teidigung des Koalitionsrechtes zusammen103. Die Versuche der Regierungs-
kommission und des französischen Generals Brissaud-Desmaillet, der we-
gen des verhängten Belagerungszustandes entscheidenden Einfluß besaß,
eine Kluft zwischen Beamten- und Arbeiterschaft aufzureißen104, mißlangen.
Damit hatten die Maßnahmen der Regierungskommission zum erstenmal zu
einer Überbrückung gesellschaftlicher Unterschiede und zu einer einmütigen
Stellungnahme der Gewerkschaften und der übrigen standespolitischen
Organisationen geführt.
Die politischen Parteien standen als solche eigentlich außerhalb der Ent-
wicklung, und alle Organisationen betonten den unpolitischen Charakter
der Streikaktion105. Die Parteien empfanden sich gleichsam ausgeschaltet,
da sie in keiner politischen Vertretungskörperschaft durch legislative Ent-
scheidungen zu den Maßnahmen der Regierungskommission Stellung neh-
men konnten. Ihre Aktivität hatte sich bisher vor allem in Massenversamm-
lungen bekundet, in denen wie z. B. am 13. März 1920 entscheidende For-
derungen (Saarparlament, Abzug der französischen Truppen, Beseitigung
der Kriegsgerichte) erhoben worden waren106. Sie verfaßten in dieser Situa-
tion am 20. Juli 1920 eine Eingabe an den Völkerbund107 *, in der sie nicht
zu den standespolitischen und rechtlichen Fragen der Beamtenschaft, — die
Eingabe lag vor der Ausarbeitung des umstrittenen Beamtenstatuts — son-
dern zu dem nationalen Aspekt, der mit der Beamtenfrage verbunden war,
Stellung nahmen. Sie wandten sich gegen die französischen Beamten in der
saarländischen Verwaltung. Zum gleichen Termin verfaßten sie neben die-
sem nationalpolitischen Protest eine Eingabe an die Regierungskommission,
in der sie um die Einführung einer Volksvertretung für das Saargebiet
baten10S. Alle Parteien hatten unterzeichnet, die Demokraten, die Deutsch-
nationalen, die Liberale Volkspartei, die Sozialdemokratische, die Unab-
hängige Sozialdemokratische Partei und das Zentrum.
In dieser halbjährigen Auseinandersetzung um die Beamtenfragen zeichne-
ten sich bereits wesentliche Faktoren wie Tendenzen ab, die für das inter-
nationale Regierungssystem wie für die Entwicklung des politischen Lebens
im Saargebiet von entscheidender Bedeutung wurden.
Die Stellung der Regierungskommission erwies sich auch in der Praxis als
sehr stark. Diese vermochte sich auf Grund ihrer großen Rechtskompetenzen,
insbesondere des § 33 des Saarstatuts, in der juristischen Fixierung ihrer
Auffassungen fast vollständig durchzusetzen. Die Eingabe der politischen
Parteien an den Rat des Völkerbundes blieb unbeantwortet109; der Rück-
tritt des saarländischen Kommissionsmitgliedes von Boch, der wegen der
Unmöglichkeit, sich in der Regierungskommission in den Beamtenfragen
103 Ebenda, S. 191 ff.: Erklärungen der Gewerkschaften zu dem Beamtenstreik.
104 Ebenda, S. 198 f.: Proklamation der Regierungskommission v. 9. 8. 1920, S. 197: Pro-
klamation des Generals Brissaud-Desmaillet v. 9. 8. 1920.
105 Ebenda, S. 199: Erklärung der Hauptstreikleitung.
106 Röchling, Wir halten die Saar, S. 59f.;Wambaugh, a. a. O., S. 79.
107 Ebenda, S. 183 ff.
los Ebenda, S. 246 f.
109 Ebenda, S. 186,
61
durchzusetzen, erfolgt war, führte zur Ernennung Hectors, also einer Ver-
stärkung des profranzösischen Einflusses in der Regierungskommission110.
In Genf kam es zu einer einmütigen Billigung des Ratsberichtes des Griechen
Caclamanos, in dem der Antrag Bochs auf eine Entsendung einer Unter-
suchungskommission des Völkerbundes ins Saargebiet abgelehnt und erneut
die Selbständigkeit der Kommission herausgestellt wurde:
„II est à mon avis important que le Conseil de la Société des Nations n’intervienne
pas dans l’administration du Bassin de la Sarre, sauf pour des raisons d’ordre
suprême.“ 111
Obwohl die Regierungskommission ohne Machteinbuße aus dem Konflikt
hervorging, wurde damals bereits klar, daß sich eine breite Opposition
gegen sie organisieren konnte. Das Streikrecht hatte sich als wirksame poli-
tische Waffe erwiesen, die Gewerkschaften und standespolitischen Vereini-
gungen hatten sich zu einer Aktion zusammengefunden; die Parteien, ein-
schließlich der Unabhängigen Sozialisten, hatten gemeinsam politische
Forderungen erhoben; die Presse hatte den Kampf gegen die Regierungs-
kommission unterstützt. Einige Zeit nach dem Beamtenstreik blieb zwar
noch eine gewisse Möglichkeit bestehen, daß die politischen und standes-
politischen Kräfte nach verschiedenen Richtungen auseinanderstreben könn-
ten112, aber die im Beamtenstreik angekündigten Tendenzen zum Zusam-
menschluß aller politischen Richtungen setzten sich in der weiteren Ent-
wicklung rasch durch. Entscheidend wurde dabei die Tatsache, daß die
politische Bindung der Regierungskommission es nicht ermöglichte, der
Arbeiterschaft jene Rechte und Freiheiten zu gewähren, die sie in der
Weimarer Republik gewann. Die Regierungskommission unter Raults
Führung wandte sich unter Berufung auf Absatz 3 des § 23 des Saar-
statutes113 gegen die Forderungen der Arbeiterschaft. Die Gewerkschaften
hatten um Einführung der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit und des
Betriebsrätegesetzes gebeten. Rault widersetzte sich in der Sitzung der
Regierungskommission vom 5. Januar 1921114 unter Berufung auf den oben
genannten Paragraphen beiden Forderungen. Er legte dar, die französische
Bergwerksverwaltung sei wahrscheinlich dagegen (— er beharrte auf diesem
Punkt so eigensinnig, daß anzunehmen ist, daß er über die französische
Stellungnahme bereits orientiert war —), man könne also auch für die
anderen Betriebe nicht nachgeben, da sonst die französische Bergwerks-
verwaltung als rückständig erscheine. Hector bemühte sich vergebens, we-
nigstens in der Frage der Betriebsräte etwas zu erreichen. In Zukunft er-
hielten durch die unnachgiebige Haltung der Kommission in diesen Punkten
die arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen immer stärker einen nationalen
und politischen Akzent. Die Regierungskommission erschien als Schützerin
einer reaktionären sozialpolitischen Haltung des französischen Staates, die
lio Vgl, oben S. 41, Anm. 10.
in S.D.N. J.0.1,6 (1920), S. 403.
112 Vgl, dazu unten S. 192 ff.
H3 S. oben S. 33 f.
114 S.D.N. Com. d. Gouv., Pr.-V., 5. 1. 1921, S. 9—11.
62
Weimarer Republik trotz der Not der Nachkriegsjahre als das Land des
großen sozial- und arbeitsrechtlichen Fortschritts. Besonders für die soziali-
stisch orientierte Arbeiterschaft wurden Weimar und die Deutsche Republik
Ausdruck einer vorbildlichen Entwicklung unter sozialistischem Einfluß.
Unter diesen Umständen schritt der Prozeß zur eindeutigen Festlegung der
Saarbevölkerung gegen die Regierungskommission rasch fort. Die Parteien
gewannen für ihr nationales Programm an Boden in den Gewerkschaften
und Verbänden, in denen sie verwurzelt oder auf deren Wählerschaft sie
angewiesen waren. Mit Ausnahme der Kommunisten und der unabhängigen
Sozialisten schlossen sie sich im interparteilichen Ausschuß zusammen115. Die
Erfassung der gesamten Bevölkerung durch parteipolitische oder standes-
politische Organisationen bahnte sich an und führte zu einer Einheits-
front116, in der Gewerkschaften und Verbände, die politischen Parteien und
die Presse im Kampf gegen die Politik der Regierungskommission und
Frankreichs zusammenwirkten.
Dieser Prozeß schien zunächst ohne jeden Einfluß auf das bestehende
Kräfteverhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung zu bleiben. Bis Ende
1921 bestimmte die Regierungskommission unter Führung Raults und in
enger Zusammenarbeit mit Frankreich weiterhin die Gestaltung der saar-
ländischen Verhältnisse. Die übrigen Staaten und Institutionen, die an der
Saar interessiert oder mit ihr befaßt waren — Deutschland, Rat und Sekre-
tariat des Völkerbundes — behielten ebenfalls eine Rolle am Rande und
außerhalb des entscheidenden Geschehens. Die Protestschreiben der Deut-
schen Reichsregierung gegen die Maßnahmen der Regierungskommission
wurden zwar an die Ratsmitglieder verteilt, aber Rault erfuhr immer wie-
der vor dem Rate Anerkennung, z. B. noch auf der Junitagung 1921, als
die deutschen Beschwerden über die französischen Truppen, die massen-
haften Ausweisungen der Saarländer und die Erweiterung des Umlaufs des
französischen Geldes geprüft wurden117. Indes wurde dadurch wie durch die
ersten Eingaben aus dem Saargebiet118 und die Breite der Opposition gegen
Rault die internationale Öffentlichkeit mit Saarproblemen befaßt. Da das
Sekretariat des Völkerbundes ein Interesse an einer guten und erfolgreichen
Verwaltung des Saargebiets besaß, begann es sich seit dem Beamtenstreik
intensiv in Saarfragen einzuarbeiten. Colban und Gilchrist begnügten sich
nicht mehr mit den offiziellen Berichten Raults, sondern besuchten bereits
1920 selbst das Saargebiet119. Colban übte schon damals Kritik an der Amts-
115 Katsch, a. a. O., S. 114.
116 Der Begriff „Einheitsfront“, der in der kommunistischen Taktik seit 1921 (dazu bes.
F. Borkenau, Der europäische Kommunismus, Bern 1952, S. 42—60) eine ent-
scheidende Rolle spielte, wurde im Saargebiet für die enge Zusammenarbeit der Par-
teien untereinander und auch mit den anderen Organisationen unter nationalen
Gesichtspunkten angewandt. Katsch, a. a. O., S. 113 f.
S.D.N. J.O. 11,7 (1921), S. 690.
118 Ebenda, J.O. 1,6 (1920), S. 402 f.; außerdem Dokument D.C.O. 2. B 20/4 260;
Deutsches Weißbuch, S. 232 f. Bereits am 17. 3. 1920 war der Saarbevölkerung das
Petitionsrecht an den Völkerbund durch einen Ratsbeschluß zuerkannt worden. Die
Eingaben sollten über die Reg.-Kom. nach Genf gesandt werden (S.D.N. J.O. Pr.-V.
5ieme Sess., S. 24 ff.).
119 Allot, a. a. O., S. 158 f.; zu Colban und Gilchrist vgl. oben Anm. 33, S. 46.
63
führung Moltke-Huitfeldts und besonders an der Tatsache, daß dieser min-
destens zwei Tage der Woche in Paris weilte120. Gilchrist begann sich auch
an der Selbstherrlichkeit Raults zu stoßen und forderte eine erweiterte
Rechenschaftsablage über die Regierungsführung, besonders über das Bud-
get121. Das Sekretariat wurde genau über die internen Vorgänge in der
Regierungskommission und die autokratische Regierungsweise Raults durch
die ausführliche Korrespondenz Waughs mit Colban, besonders aber mit
Gilchrist, unterrichtet122. Waugh rekurrierte in sachlichen Konflikten an das
Sekretariat. Denselben Weg schlug Nippold, der Präsident des Saarlouiser
Obergerichtes, ein123. So zeigte sich sehr rasch, daß in einem solchen inter-
nationalen Regierungssystem, wie es der Versailler Vertrag vorgesehen
hatte, trotz der Verbiegungen der ursprünglichen Konzeption durch die
französische Präsidentschaft und die profranzösische Mehrheit der Kom-
mission doch noch Korrektur- und Kontrollfaktoren lagen, die in kritischen
Situationen wirksam werden konnten. Im ganzen war man im Sekretariat
des Völkerbundes aber von der fleißigen und sorgfältigen Verwaltungsarbeit
Raults beeindruckt und billigte die Grundzüge seiner Politik als mit dem
Vertrag übereinstimmend. Der Widerstand an der Saar, die deutschen Pro-
teste in Genf, die unmerkliche Intensivierung der Kontrolle durch Sekreta-
riat und Rat, wachsende Schwierigkeiten mit Waugh, zwangen Rault zu
einer gewissen Milderung seiner Maßnahmen, z. B. in der Frage der Aus-
weisung von Saarländern und der Anwendung des Beamtenstatuts124. So
bahnte sich, für die Beteiligten fast unbewußt, eine erste Modifizierung des
Systems an. Rault und das Sekretariat glaubten damals, daß eine gute und
erfolgreiche Völkerbundsverwaltung mit einem zufriedenstellenden Schutz
der französischen Interessen zu vereinen sei.
Erste Erfolge der politischen Parteien durch ihre Interventionen in Genf
Eine neue Phase der Entwicklung begann, als plötzlich und unerwartet
Ende September 1921 in Genf eine große saarländische Delegation zum
Zeitpunkt der Ratssitzung erschien125 und versuchte, über die Regierungs-
kommission hinweg und im Angriff auf diese die Ratsmitglieder über die
Saar zu orientieren und damit aus der Enge der saarländischen Obstruktion
einen Weg zur Einflußnahme zu gewinnen. Die Regierungskommission er-
fuhr erst nach der Abreise der Delegation von diesem Schritt126. Rault war
empört und bestürzt und konnte nur durch den Druck Waughs dazu bewegt
werden, die ihm übersandte Denkschrift der Delegation nach Genf weiter-
120 S.D.N. Archives des Sections d. Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56 (2): Hier eine
Reihe Aufzeichnungen, die sich mit Moltke-Huitfeldt beschäftigen.
121 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Colban (personnel), Brief Gilchrists v. 20. 5. 1921 an
Colban, daß es notwendig sei, Rault etwas mehr Respekt beizubringen und daß er
diesem wegen der Vorlegung des Budgets geschrieben habe.
122 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Waugh enthält diese Korrespondenz.
123 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Cour supreme de Justice.
124 S.D.N. J.O. 1,6 (1920), S. 403; 11,7 (1921), S. 690.
125 Bes. Katsch, a. a. O., S. 148 f.; Röchling, Wir halten die Saar, S. 69ff.
126 S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43 ff.
64
zureichen127. Die Delegation setzte sich aus führenden Vertretern der saar-
ländischen Wirtschaft, der großen Parteien (Zentrum, Liberale Volkspartei
und Sozialdemokratische Partei) und der Gewerkschaften zusammen128.
Hier offenbarte sich erneut die Einheit der in den vergangenen Ereignissen
entstandenen Front. Man brachte eine umfassende Denkschrift mit129, in
der die verschiedenen Wirtschafts- und Industriekreise sich in Einzelgut-
achten zu den Problemen der doppelten Währung geäußert und durchgängig
gegen die Ausweitung des Umlaufs des französischen Geldes als Ruin der
saarländischen Wirtschaft ausgesprochen hatten. Hier zeigte sich zum ersten-
mal ein später immer wieder beschrittener Weg der Saarbevölkerung, durch
möglichst eingehende und gründliche Gutachten von der sachlichen Berechti-
gung ihrer Forderungen und Beschwerden zu überzeugen. Außerdem wollte
man die fehlende parlamentarische Initiative durch die Befassung möglichst
aller interessierter Körperschaften unpolitischen Charakters mit Fragen der
Gesetzgebung ersetzen. Zunächst stieß diese Delegation auf Schwierigkeiten.
Es war schon ein Problem, wie sie Zugang zu den Ratsmitgliedern gewinnen
könne. Die persönlichen Beziehungen Hermann Röchlings zu dem Bruder
von Lord Balfour ebneten diesem schließlich den Weg zu den Engländern
Lord Balfour und Lord Robert Cecil130, während Waugh durch eine Emp-
fehlung für Dr. von Vopelius diesem Zugang zum kanadischen Ratsmitglied
ermöglichte131. Diese Delegation erregte Aufsehen und war für die politische
Erfahrung der Saarländer von großer Bedeutung. Sie erkannten, daß das
Interesse in Genf an eigentlichen Wirtschafts- und Verwaltungsfragen gering
war, daß aber die politische Linie des Funktionierens eines solchen Systems
große Aufmerksamkeit hervorrief132. Man verteilte deshalb an die Rats-
mitglieder eine zweite Denkschrift stärker politischen Charakters133.
Die Saarfrage war mit diesem Schritt vor die Weltöffentlichkeit getragen,
und in den Klagen war das moralische Prestige des Völkerbundes berührt.
Rault war froh, als er nach Genf berichten konnte, die Delegation stelle
keine Vertretung der Saarbevölkerung dar, da sie nicht legitimiert sei und
verschiedene Gewerkschaftsvertreter ein Protesttelegramm und dann ein
Protestschreiben gegen diese „Pseudodelegation“ eingereicht hatten134. Ob-
wohl die Delegation dadurch zunächst in ein gewisses Zwielicht geriet, muß
sie doch als Auftakt zu einer raschen, entscheidenden und für Jahre prägen-
den politischen Konzeption der saarländischen Parteien und als Ausgangs-
punkt der Formierung des saarländischen politischen Lebens angesehen
werden. Der Delegation folgten große Pressekampagnen und eine außer-
ordentliche Aktivierung der Versammlungstätigkeit der politischen Par-
127 S.D.N. Archives des Sections du Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57, Aktenstück
Waugh.
128 R ö c h 1 i n g, a. a. O., S. 70.
129 Vgl. oben Anm. 24, S. 44.
130 Röchling, a. a. O., S. 71.
131 Vgl. oben Anm. 127.
132 R ö c h 1 i n g, a. a. O., S. 70.
133 S.D.N. Dokument C. 394. M. 278. 1921 I „Denkschrift über das Saargebiet“ der
Delegation der Bewohner des Saargebiets.
134 Ebenda, Dokumente: C. 410. M. 288. 1921 I und C. 412. M. 290. 1921 I.
65
teien135. In den Kundgebungen wurde von der Delegation berichtet. Die
Kontakte in Genf waren teilweise gewonnen, und die Chancen für die
politische Zukunft waren erkannt. Die Ratsvertreter hatten sich auf Ge-
spräche eingelassen, die sich nicht auf die juristische Erfüllung des Vertrages,
sondern auf den Geist des internationalen Statutes bezogen136. Diese Akti-
vität führte in kurzer Zeit zu weiteren Schritten, die die Verhältnisse in
Fluß brachten. Zunächst verweigerten die Kreistage und der Stadtrat von
Saarbrücken in schriftlichen Resolutionen an den Völkerbund der Regie-
rungskommission die weitere Erstellung von Gutachten zu Gesetzesentwür-
fen mit der Begründung, daß ihre Stellungnahme nicht beachtet worden sei
und daß sie für diese Aufgaben nicht kompetent seien137. Aufschlußreich für
die politische Konstellation an der Saar war die Begründung des Kreistages
von Saarbrücken-Land; gewerkschaftliche, demokratische und national-
politische Forderungen waren hier miteinander verschmolzen. Die Stellung-
nahme manifestierte die Erfassung der verschiedenen Schichten der Bevölke-
rung. Man forderte vom Völkerbund: Errichtung eines saarländischen Par-
lamentes, Einführung des Betriebsrätegesetzes, Schaffung einer Arbeits-
kammer für das Saargebiet, Einführung aller Sozialgesetze, die seit 1918
in Deutschland verändert oder in Kraft gesetzt wurden, Ausbau der Ver-
mögenssteuer. Außerdem wurden die Parteien und Körperschaften aufge-
fordert, Repräsentanten zum Völkerbundsrat zu entsenden, damit die jetzi-
gen Kommissionsmitglieder abberufen würden und damit vor allem ein
Präsident, der aus einem neutralen Land stamme und die deutsche Sprache
beherrsche, ernannt würde138. Bis Dezember 1921 hatten sich dann schließ-
lich die politischen Parteien auf eine neue gemeinsame große Denkschrift139
geeinigt, die die politische Linie der saarländischen nationalen Einheitsfront
der Parteien festlegte. Der Einleitungsabschnitt dieser Denkschrift lautete:
„Die Unterzeichneten politischen Parteien, welche, abgesehen von einer kaum
nennenswerten Gruppe der Kommunisten, die gesamte Bevölkerung des Saar-
gebietes vertreten, gestatten sich, dem hohen Völkerbund folgendes ergebenst zu
unterbreiten:
Beim Amtsantritt der Regierungskommission des Saargebietes haben die politischen
Parteien ihre grundsätzliche Bereitwilligkeit erklärt, auf dem Boden des Friedens-
vertrages mit einer vom Völkerbund eingesetzten Regierungskommission loyal zum
Wohle der Bevölkerung zu arbeiten. Ach heute beseelt uns derselbe aufrichtige
Wunsch. Wir sind davon durchdrungen, daß gerade das Saargebiet, als ein vom
Völkerbund verwaltetes Land, dazu berufen ist, die vom Völkerbund proklamier-
ten erhabenen Ziele zu verwirklichen. Dieses ist nur möglich durch ein einträchtiges
Zusammenarbeiten zwischen Regierungskommission und Bevölkerung, aber der
Gegensatz zwischen der jetzigen Regierungskommission und der Bevölkerung ist
außerordentlich groß geworden.
Wir erheben feierlich Protest dagegen, daß die Regierungskommission die von ihr
in ihren offiziellen Berichten nach Genf angeführten großen Schwierigkeiten im
135 S.D.N. J.O. III,3 (1922), S. 226.
136 Röchling, a. a. O., S. 71.
137 S.D.N. Dokument C. 11. M. 40. 1922. I.
138 Ebenda.
139 S.D.N. Dokument C. 10. M. 39. 1922. I.
66
Saargebiet zurückführt vorzüglich auf eine illegale Opposition führender Volks-
kreise. Wir erklären, daß der Gegensatz allein verursacht wurde durch das auto-
kratisdie Vorgehen der Regierung.“
Die Beschwerdepunkte, die des weiteren vorgebracht wurden, waren ins-
besondere die Anwesenheit des französischen Militärs im Saargebiet, das
zögernde Vorgehen in der Errichtung einer saarländischen Gendarmerie, die
Wohnungsnot, die sich durch die Anwesenheit der französischen Truppen
verschärfe, die Ausfertigung von Gesetzen ohne Befragung der Bevölke-
rung, Besetzung der bedeutenden Beamtenstellen durch Franzosen, Ände-
rung des gesetzlichen Währungssystems, die profranzösische Zusammen-
setzung der Regierungskommission und die Verhinderung der Aufstellung
von Listen der Abstimmungsberechtigten für das Jahr 1935. Diese Be-
schwerdepunkte wurden alle damit begründet, daß die Regierungskommis-
sion ihre Pflicht nicht im rechten Geiste wahrgenommen habe, und richteten
sich nicht gegen den Versailler Vertrag, ja sie forderten geradezu seine Ein-
haltung. Mit diesen Klagen gegen die Politik der Regierungskommission war
in der Denkschrift noch eine weitere These verbunden: Ein Völkerbunds-
land darf nicht autokratisch regiert werden. Deshalb muß statt der Kreis-
gremien ein saarländisches Parlament geschaffen werden, dessen Gutachten
in der Gesetzgebung berücksichtigt werden. Außerdem wurde eine andere
Bitte ausgesprochen, in der es ebenfalls um eine Erweiterung der Rechte der
Saarländer ging. Das saarländische Mitglied der Regierungskommission
solle vom Völkerbundsrat auf Vorschlag der Saarbevölkerung ernannt wer-
den. Die gemeinsame Linie zu politischer Aktivität und zu einer Hoffnung
auf die zukünftige Entwicklung war in der Formel gefunden: Völkerbunds-
herrschaft bedeutet neben dem Schutz vor ungerechtfertigten französischen
Übergriffen Erweiterung der demokratischen Rechte der Bevölkerung.
Die Eigenart der hiermit vor der Weltöffentlichkeit reklamierten Rechte
führten für eine gewisse Zeit zu einer Gewichtsverschiebung in den politi-
schen Kräften im Spannungsfeld der Saar. Die Saarfrage wurde aus einer
Frage der Verwaltung durch die Regierungskommission unter der Aufsicht
des Völkerbundes langsam zu einem Problem, mit dem sich die Weltpresse
befaßte und zu dessen Lösung sich die Vertreter einiger Staaten des Rates
des Völkerbundes einschalteten. So geriet sie in den Problemkreis der großen
Politik. Zunächst wurde auf Grund der sich wandelnden Situation die Zu-
sammenarbeit zwischen Völkerbundssekretariat und Regierungskommission
intensiviert. Man mußte den neuen, durch die politischen Parteien geschaffe-
nen Verhältnissen Rechnung tragen. Das Sekretariat war darüber orientiert,
daß die Schritte der Parteien auf England einen großen Eindruck gemacht
hatten. In einem Privatbrief an Gilchrist hatte Lord Robert Cecil ge-
schrieben:
„Their attitude (der Saarverwaltung) appears to be that of despotic ruless who
of their grace and favour occasionally consult the inhabitants. That seems to me
an impossible theory of government for Western European at the present time.“ 140
140 S.D.N. Archives des Sections du Secretariat, Section Pol. Sarre, Nr. 57, Aktenstück
Colban (personnel), Abschrift des Privatbriefes Lord Cecils vom 30. 1. 1922 an Gil-
christ.
67
Deshalb hielt Lord Robert Cecil es für notwendig, daß eine Art saarlän-
disches Parlament mit Beratungsrechten geschaffen werde. So wurde vom
Sekretariat die Frage der Schaffung eines saarländischen Parlamentes und
die Ernennung der Kommissionsmitglieder einer ernsthaften Überprüfung
unterzogen. Das Sekretariat drängte141, da es eine gefährliche Entwicklung
der Gesamtsituation im Völkerbund fürchtete, wenn die Saarverhältnisse
nicht gebessert würden. In enger Zusammenarbeit zwischen Regierungs-
kommission und Sekretariat wurde deshalb die Verordnung über die Er-
stellung eines saarländischen Landesrates erarbeitet142. Dabei blieb die Vor-
aussetzung Raults erhalten, daß es sich nur um ein rein beratendes Gremium
handeln könne. Die Protokolle über die Besprechungen zeugen davon, daß
das Sekretariat teilweise geneigt war, der Bevölkerung größere Rechte zu-
zugestehen, aber Raults Tendenz, immer durch gesetzmäßige Sicherungen
jede Gefahr abzuschirmen, setzte sich durch. Außerdem schlug Rault die
Erstellung eines Studienkomitees vor, das auch saarländischen Fachleuten
einen Einfluß auf die Gesetzgebung der Regierungskommission sichern solle.
Er plante eine solch großes Komitee, daß es fast dasselbe Gewicht gehabt
hätte wie der Landesrat. In seinem Verordnungsentwurf rangierte es zudem
vor dem Landesrat. In Raults Konzeption handelte es sich auch nicht um
ein echtes Sachverständigengremium, sondern es sollte wohl eine Neutralisie-
rungsinstanz gegenüber der zu erwartenden Opposition der politischen Par-
teien darstellen. Colban erreichte, daß das Studienkomitee ein kleines Gre-
mium wurde und daß es in der Verordnung an zweite Stelle rückte. (Es
erlangte in Zukunft keinerlei Bedeutung143.) Äußerst aufschlußreich sind in
diesem Zusammenhang auch die Bemühungen Raults, zum Zeitpunkt der
Errichtung des Landesrates eine Verordnung einzuführen, die ihm im Saar-
gebiet die Möglichkeit zum Einschreiten gegen die Presse- und Vereinsfrei-
heit geben sollte. Er wollte das sogenannte „Gesetz Ebert“ übernehmen144.
Colban vertrat mit Erfolg den Standpunkt, man könne nicht mit der einen
Fiand geben und mit der anderen nehmen. Während diese Verhandlungen
schwebten und die endgültige Verabschiedung bevorstand, wandten sich die
saarländischen Parteien erneut am 18. März 1922 an den Rat mit einer
Denkschrift über ihre Forderungen für die Kompetenzen des Landesrates145.
Darin wurden echte Teilhabe an der Regierung des Landes, Immunität,
geheimes gleiches Wahlrecht und Verhältniswahl mit festen Listen verlangt.
Die Schwierigkeiten, die sich aus der Tatsache ergeben könnten, daß die
Regierungskommission allein dem Rat des Völkerbundes verantwortlich sei,
könne man dadurch beheben, daß strittige Fragen vom Völkerbund auf-
141 Ebenda, Brief Colbans v. 3. 2. 1922 aus Paris an Gildhrist, daß er Morize energisch
geschrieben und ihn auf die zu erwartende Haltung Englands hingewiesen habe.
142 Ebenda Nr. 57, Aktenstück „Conseil Consultatif“ enthält die Protokolle über diese
Sitzungen zwischen Colban und Gildhrist und Rault oder anderen Vertretern der
Reg.-Kom.; die folgenden Ausführungen stützen sich auf diese Protokolle.
143 Katsch, a. a. O., S. 4L
344 Vgl. oben Anm. 142. Das deutsche „Gesetz zum Schutze der Republik" war nach der
Ermordung Rathenaus verabschiedet worden; auch auf diesen Sachverhalt, der nicht
mit den saarländischen Verhältnissen zu vergleichen sei, wies Colban hin.
443 S.D.N. Dokument C. 191. M. 105. 1922. I.
68
gegriffen und nach Anhörung der beiden Parteien entschieden würden. Die
Begründung dieser Bitte appellierte ganz bewußt über die Berufung auf die
Paragraphen 19, 23, 26 und 30 des II. Kapitels des Saaranhanges des
Friedensvertrages hinaus an den demokratischen Geist des Völkerbundes.
Darin lag bereits ein schwieriges Problem. In der Forderung der politischen
Parteien nach Erweiterung ihrer Rechte gingen sie über die Vertragsbestim-
mungen hinaus und wollten in dieser Richtung eine gewisse Revision. Sie
schien ihnen aus dem Geist des Völkerbundes notwendig und hätte sie aus
der Alternative von Akklamation und Obstruktion herausgeführt. Die Re-
gierungskommission hielt sie für unannehmbar, Rault fürchtete die Dyna-
mik einer solchen Entwicklung. Das Sekretariat wollte eine Art Mittelweg
beschreiten, indem Instanzen geschaffen wurden, die durch ihre Zusammen-
setzung den Voten der Bevölkerung größeren Einfluß und größeres Gewicht
verleihen sollten. Das tatsächliche Gesetz über den Landesrat146 konnte so
den Forderungen der saarländischen Parteien nicht entsprechen und rief
erneut an der Saar höchste Erregung hervor, ganz besonders bei den Sozial-
demokraten 147. Der mangelnde Einfluß der Bevölkerung bei der Gesetz-
gebung während der beiden ersten Jahre hatte das Mißtrauen und die Er-
bitterung gegen die Regierungskommission so genährt, daß man zunächst
stärker die negativen, denn die positiven Seiten in der Landesratsverord-
nung sah.
Als Rault durch Colban verhindert wurde, das „Gesetz Ebert“ gleichzeitig
mit der Verordnung über den Landesrat einzuführen, wurde eine andere
Vereinbarung getroffen, die das Ansehen der Regierungskommission gegen-
über möglicher Opposition stärken sollte, und zwar scheint das auf Ini-
tiative Frankreichs geschehen zu sein, das wenigstens die bestehende Zu-
sammensetzung der Kommission garantiert wissen wollte. Es wurde an-
geregt, daß der bestehenden Kommission eine Erneuerung ihrer Mandate
bis 1925 in Aussicht gestellt werde148. Das war von den Ratsmitgliedern
nur schwer zu erreichen. Englands Zustimmung blieb bis zur Ratssitzung
ungewiß149. Das Völkerbundssekretariat selbst wollte Moltke-FIuitfeldt aus-
146 Amtsblatt der Reg.-Kom. für d. Saargeb. v. 24. 3. 1922, Nr. 143, S. 41 f.
147 Vgl. dazu unten S. 184.
148 S.D.N. Archives des Sections du Secretariat, Section Pol. Sarre, Nr. 56,2. Damals
(1919—1925) war der Franzose Jean Monnet, der spätere Präsident der Montan-
union, stellvertretender Generalsekretär des Völkerbundes; er machte Colban den
Vorschlag, man könne Rault den Vorsitz bis 1925 lassen, dann könne ein Neutraler
und die letzten 5 Jahre ein Saarländer Präsident werden. An Monnet wandten sich
wiederholt Colban und Gilchrist, wenn sie Schwierigkeiten mit Rault oder dem
Quai d’Orsay hatten.
149 Ebenda Nr. 57, Aktenstück Conseil Consultatif; Ende März 1922 verhandelte Colban
in Paris wegen der Angelegenheit des Landesrates, des Rücktritts von Moltke-Huit-
feldt und der Zusicherung zur Verlängerung der Mandate der Kommissionsmitglieder
bis zum Jahre 1925; vertraulicher Brief Colbans an Gilchrist v. 27. 3. 1922, in dem
er ihn über diese Verhandlungen unterrichtete. Fisher (England) und Graf Imperiali
(Italien) forderten, daß Moltke-Huitfeldt, wenn er erneut bestätigt werde, bis Februar
1923 seinen Rücktritt einreiche. Der Vorgang erhellt die Arbeitsweise des Sekretariats
und des Rates des Völkerbundes. Colban verhandelte vor allen Ratstagungen, auf
denen Saarfragen behandelt wurden, mit den Ratsmitgliedern und versuchte Klarheit
über die politische Konstellation zu erlangen und Gegensätze durch diplomatische
Verhandlungen bereits vorher in Kompromissen auszugleichen.
69
genommen wissen, auch Italien war gegen den Dänen. In den offiziellen
Ratssitzungen offenbarte sich dieser Wandel nicht. Dr. Héctor, gegen den
sich die politischen Parteien in einer Denkschrift gewandt hatten, wurde
wiederernannt. Die Franzosen erreichten auch die erneute Bestätigung
Moltke-Huitfeldts. Die Verordnung über den Landesrat wurde vom Rat
ohne Beanstandungen gebilligt und der liberale Geist der Regierungskom-
mission in dieser Bemühung um die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung
anerkannt. Allen Regierungsmitgliedern wurde in Aussicht gestellt, daß ihre
Bestätigungen jährlich bis 1925 zu erwarten seien150. Die beiden Petitionen
der saarländischen Parteien vom 18. März 1922151 und vom 6. April 1922152
wurden vom Rat nicht aufgegriffen.
Die Saarprobleme waren durch die Delegation vom September 1921 in Fluß
geraten, die Vorstellungen der Beteiligten über die Weiterentwicklung unter-
schieden sich aber erheblich. Das Sekretariat hoffte auf eine allgemeine
Beruhigung und eine sachliche und bessere Zusammenarbeit zwischen Re-
gierung und Bevölkerung und war überdies bereit, einen langsamen Ausbau
der Rechte der Saarbevölkerung zu fördern und einen gewissen Druck auf
Rault zur Besserung der Verhältnisse auszuüben. Z. B. setzte sich das
Sekretariat im August und September 1922 energisch bei der Regierungs-
kommission für eine Verminderung der französischen Truppen ein, sprach
sich gegen jede Erweiterung des Umlaufs des französischen Geldes aus und
verlangte von der Kommission, daß man sich in Antworten auf deutsche
Proteste nidit auf den § 33 berufe153. Rault dagegen ließ bei der Eröffnung
des Landesrates eine Erklärung154 verlesen, in der bei der Betonung der
Hoffnung auf gute Zusammenarbeit erneut die gesetzlichen Grenzen für
die Kompetenzen des Landesrates aufgewiesen wurden. Er blieb also in der
Tradition seines Denkens, das nicht geeignet war, die Situation psychologisch
zu entschärfen. Die Saarländer selbst waren mit dem Erreichten in keiner
Weise zufrieden. Sie versuchten deshalb, den Landesrat zunächst einmal im
Sinne der Demonstration für ihre Forderungen zu benützen. Durch ihr hart-
näckiges Drängen155 erreichten sie bei der Eröffnung des Landesrates die
Einwilligung Raults zur Abgabe programmatischer Erklärungen156, die nach
dem Gesetz nidit möglich waren. In diesen Erklärungen legten alle Parteien
ein Treuebekenntnis zu Deutschland ab und erhoben Forderungen zur Er-
weiterung der Rechte des Landesrates. Die Proteste und Petitionen der
Bevölkerung sollten nun von Landesratsvertretern unterzeichnet werden
und damit diesen das moralische Gewicht der gewählten Volksvertretung
verleihen. Zu den Rats- und Völkerbundstagungen wurden hinfort Delegá-
is0 S.D.N. J.O. 11,5 (1922), S. 417: Ratssitzung v. Januar 1922 u. III,6 S. 501.
151 S.D.N. Dokument C. 191. M. 105. 1922. I.; J.O. III,5 (1922), S. 457 f.
152 S.D.N. Dokument C. 236. M. 132. 1922. I.
153 S.D.N. Archives des Sections du Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56, Dossier General I,
hier vertrauliche Protokolle über Verhandlungen Gilchrists und Colbans mit Morize
am 17. 8. 1922 und am 7. 9. 1922 in Genf und am 10. 9. 1922 zwischen Colban und
Rault.
154 Landesrat des Saargebietes, Sten. Ber. v. 19. 6. 1922, S. 1 ff.
155 Ebenda S. 8—30.
156 Ebenda S. 30—49; vgl. Anlage 5 im Anhang S. 338 ff.
70
tionen aus Landesratsmitgliedern entsandt. Sie wurden von bestimmten
Ratsmitgliedern und Völkerbundsvertretern regelmäßig empfangen. Auch
das Sekretariat in Genf hörte sie an, obwohl es diese Delegationen wegen
des Aufsehens, das sie erregten, und wegen ihres Einflusses auf die inter-
nationale Presse mit einem gewissen Unbehagen betrachtete157. Außerdem
war das Sekretariat der Auffassung, daß die Forderungen der saarländi-
schen Parteien zum größten Teil nicht mit dem Friedensvertrag zu verein-
baren seien158. Die Politik der saarländischen Parteien blieb also weiter auf
große Demonstrationen in Genf angelegt und war damit einer langsamen
und stillschweigenden Umgestaltung der Verhältnisse nicht günstig.
4. Der Höhepunkt des Konflikts zwischen Regierung und Bevölkerung
und die Überprüfung des Saarsystems durch den Rat des Völkerbundes
Gegen Ende des Jahres 1922 kam es zunächst hinter den Kulissen und
schließlich 1923 vor der Weltöffentlichkeit zu einem entscheidenden Kon-
flikt in der Saarfrage. Der Zwang für Rault, unter dem Einfluß von Genf
seine Politik stärker nach den Wünschen des Sekretariats einrichten zu müs-
sen, führte ihn rasch in eine schwierige Situation. Da sich der französische
Standpunkt gegenüber Deutschland immer mehr verhärtete und Frankreich
nicht gewillt war, den neuen Tendenzen in der Saarpolitik nachzugeben,
entstand für Rault allmählich klar die Alternative, Präsident einer neutra-
len Kommission oder Verfechter der französischen Saarpolitik zu sein.
Dariac, der Präsident der Finanzkommission des französischen Abgeord-
netenhauses, nahm in seinem berüchtigten Geheimbericht des Jahres 1922159
auch zu den Saarverhältnissen im Zusammenhang mit Reparations-, Rhein-
land- und Ruhrfrage Stellung. Der Bericht enthielt die schärfsten Angriffe
auf die Politik der Regierungskommission im Jahre 1922. Die Aufrecht-
erhaltung der militärischen Besatzung des Saargebietes wurde gefordert160,
und harte Kritik wurde an der Errichtung des Landesrates geübt, weil die
Wahlen für das gesamte Gebiet einen plebiszitären Charakter annehmen
könnten und damit werde der Termin der Meinungsbefragung der Saar-
157 S.D.N. Archives des Sections du Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57, Conseil Con-
sultatif, Vermerk Gilchrist für Colban v. 12. 5. 1922; Nr. 57, Akt Colban, Gilchrist
an Colban am 26. 2. 1922 über negative Pressereaktionen in der Schweiz und Däne-
mark zur Saarfrage.
158 Ebenda Nr. 57, Akt Colban; Bericht Colbans für Gilchrist über den Empfang eines
saarländischen Journalisten, dem er folgendes darlegte: „. . . I said that the complaints
to which he drew my attention were in the most cases, if not in all, directly against
the stipulations of the Treaty Peace, and that the League of Nations had really
already done quite excellent work in order to administer the S.B. in conformity
with the Treaty, but at the same time so as to make the conditions of the inhabi-
tants as advantageous as compatible with the Treaty.“
159 The Dariac Report, Ruhr, Rheinland and Saar, The full text of the secret report
on the Ruhr, the Rhineland and the Saar, presented in 1922 to the French Govern-
ment. Reproduced from the „Manchester Guardian“ of November 2nd 1922 and
march 5(h 1923. Der Geheimbericht war also nach wenigen Monaten der Weltöffent-
lichkeit bekannt.
160 Ebenda, S. 20 f.
71
bevölkerung zu Ungunsten Frankreichs vorverlegt161. Die Regierungskom-
mission war betroffen, daß Dariac der Kommission keinen Besuch abge-
stattet hatte, als er an der Saar weilte162. Rault klagte Colban und Gilchrist
im Oktober 1922 bei deren Aufenthalt an der Saar:
„The Governing Commission not only has to face this opposition on the part of
the organized political element of the territory, but also the growing hostility in
France.“ 163
Eine französische Finanzkommission besuchte im Herbst 1922 das Saar-
gebiet und wollte die Frage der französischen Kohlensteuer durch Einsicht
in das saarländische Budget überprüfen. Rault verweigerte der Finanz-
kommission die Einsicht, gab dann aber der offiziellen Bitte Frankreichs
statt164. Da Waugh gegen diesen Schritt Stellung nahm, verschärfte sich die
Situation auch in der Kommission. In einem Brief vom 10. November
1922165 schrieb Waugh bereits an Gilchrist: „Believe me, when it comes to
a choice between France and the League, the League takes a back seat
every time.“ Erst jetzt wurde das Problem der Abstimmungen innerhalb der
Kommission entscheidend. Waugh wies in demselben Brief darauf hin, daß
Moltke-Huitfeldt keine selbständige Meinung vertrete, da er wegen seiner
Wiederberufung auf Frankreich angewiesen sei, und auch Hector sei deshalb
nicht wirklich unabhängig. Die Truppenfrage spitzte sich in den Verhand-
lungen mit dem Sekretariat immer mehr zu. In diesem Augenblick erwiesen
sich die französischen Mitglieder der saarländischen Regierung — fast noch
stärker als Rault erscheint in diesem Augenblick sein Generalsekretär Morize
als ihr Exponent — als wirklich abhängig von ihrer Regierung. Morize
erklärte Gilchrist und Colban in einer Besprechung vom 3. Januar 1923166,
daß die französischen Truppen als dauernde oder „semi-permanent“ Ein-
richtung betrachtet werden müßten. Als Colban sein Befremden darüber
ausdrückte, daß die Gendarmerie im letzten Jahr nur um 50 Mann vermehrt
worden sei, fand Morize sich zu keinerlei Versprechungen für eine stärkere
Vermehrung bereit. Colban insistierte in der Truppenfrage „M. Morize
even openly stated that if the Council should decide to withdraw the
French troops, the French troops, supported by the French Government
might decide not to go. Then, he asked, what could you do?“ 167
161 Ebenda, S. 26 f.
162 S.D.N. Archives des Sect, du Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56, Dossier Général I:
In einer vertraulichen Sitzung zwischen Colban, Morize und Gilchrist in Genf am
17. 8. 1922 legte Morize dar: „... the new attitude in certain circles in France
headed by Monsieur Dariac who spent three or four hours in the Saar and never
saw any member of the Gov. Com. The French Gov. was behind the Commission,
but in view of this new developement, he felt that the Commission must stand
where it was and not make more concessions to the political parties.“
163 Ebenda, Bericht Gilchrists über seinen und Colbans Saarbesuch im Oktober 1922.
164 S.D.N., a. a. O-, Nr. 57, Aktenstück Waugh; Brief Waughs an Gilchrist v. 10. 11. 1922;
außerdem S.D.N. Com. d. Gouv. Sarre, Pr.-V. v. 20. 1. 1923, S. 38 u. S.D.N. J.O.
IV,8 (1923), S. 913 u. S. 922 f.
165 Vgl. Anm. 164.
166 S.D.N. Archives des Sections du Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57,9: Troupes
françaises.
167 Ebenda.
72
Das Jahr 1923 brachte dann auf französischer Seite durch die Kombination
von Ruhr- und Saarpolitik eine vollständige Verhärtung des Standpunkts.
Der Leiter der französischen Dienststelle im Völkerbund erklärte Colban
am 12. Januar 1923, als dieser mit ihm sprach, um eine Verminderung der
französischen Truppen an der Saar und den Rücktritt Moltke-Huitfeldts zu
erreichen, „que ia France avait maintenant adopté une nouvelle politique
vis-à-vis de l’Allemagne et qu’il s’y tiendra" 168. Im übrigen sei die Zeit
gekommen, in der man nicht mehr mit der deutschen Regierung diskutieren
solle. Die Proteste der deutschen Regierung beim Völkerbund könnten
keinerlei Aktion hervorrufen. Auch gegen die Vermehrung der saarlän-
dischen Gendarmerie sprach er sich aus; Frankreich, das auf Grund der
Kohlensteuer der größte Steuerzahler an der Saar sei, werde der Regierungs-
kommission nicht erlauben, Ausgaben zu machen, die durch eine stärkere
Vermehrung der lokalen Gendarmerie bedingt seien. Die französische Re-
gierung begann die Politik der Regierungskommission und ihre eigene Saar-
politik in die geplante Ruhrpolitik einzubeziehen und das führte im Jahre
1923 zu einer schweren Krise des Völkerbundregimes an der Saar. Dieses
geriet in eine unhaltbare Situation, da Rault in seiner nun offenbar werden-
den Abhängigkeit von der französischen Regierung sich nach den franzö-
sischen Weisungen richtete und nicht vermochte, eine selbständige Stellung
einzunehmen. Jetzt zeigte sich, daß der französische Standpunkt in der
Regierungskommission identifiziert worden war mit der Arbeit zum Wohle
der Bevölkerung und einer Regierung im Geiste des Völkerbundes.
Die Auseinandersetzung an der Saar begann anläßlich der Lohnforderungen
der Bergarbeiter, deren Lage sich im Laufe des Jahres 1922 verschlechtert
hatte. Die Absatzschwierigkeiten für die Saarkohle hatten zu Feierschichten
geführt. Mit der Erweiterung des Umlaufs des französischen Geldes und der
allgemeinen Erhöhung der Lebenshaltungskosten an der Saar lagen die
Löhne der Bergarbeiter wesentlich niedriger als im Jahre 1920. Bereits seit
August 1922 fanden wiederholt Verhandlungen der Organisationen mit der
Bergverwaltung statt, am 30. Dezember 1922 kündigten die Gewerkschaften
den bisherigen Lohntarif. Die französische Grubenverwaltung war in den
Verhandlungen im Januar 1923 unnachgiebig. Deshalb wurde am 28. Januar
der Streik beschlossen. Nun bot die Regierungskommission ihre Vermittlung
an und ermöglichte der Grubenverwaltung gewisse Lohnerhöhungen durch
die Fierabsetzung der Kohlensteuer von 7,5 auf 5 °/o. Der mit den Gewerk-
schaftsführern vereinbarte Vergleich scheiterte dann am Widerstand der
Vertrauensmännerkonferenz, die die Lohnerhöhungen als unzureichend ab-
lehnte. So begann am 5. Februar ein Streik, der 100 Tage dauerte169.
Der Streik wurde in großer Ruhe, äußerst diszipliniert und fast lückenlos
durchgeführt170. Die beiden Gewerkschaftssekretäre Emil Becker und Karl
168 Ebenda, Nr. 56, Doss. Gén. I, Bericht Colbans über diese Besprechung.
169 J, Schwarz, Das Saargebiet, sein Bergbau und seine Sozialpolitik, Saarbrücken
1926, S. 75 ff.
170 S.D.N. Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 14. 2. 1923, S. 77: In dieser Sitzung betonten Waugh
und Hector die mustergültige Disziplin der Arbeiter und daß es nicht notwendig
sei, irgendwelche neuen Maßnahmen wegen des Streiks zu ergreifen.
73
Krämer, die aus den Freien Gewerkschaften austraten und als Streikbrecher
einen profranzösischen Bergarbeiterverband zu organisieren versuchten,
blieben erfolglos171. Für die saarländische Bergarbeiterschaft wurde der
Streik zum entscheidenden Erlebnis der fünfzehn Jahre Völkerbundsherr-
schaft. Die Erfahrungen mit der französischen Grubenverwaltung, die wäh-
rend des Streiks durch Entlassungen und Wohnungskündigungen gegen die
Arbeiter vorging172, und die Not, die sich durch die lange Dauer des Aus-
standes einstellte, prägten sich den Bergleuten tief ein. Die sozial- und
nationalpolitische Solidarität der Bergarbeiterschaft und ihre Kampfstellung
gegen den französischen Staat als Arbeitgeber verstärkten sich. Außerdem
offenbarte sich im Streik erneut die Einheitsfront aller politischen Kräfte
von links bis rechts, diesmal sogar einschließlich der Kommunisten, und die
Geschlossenheit in den Aktionen von Gewerkschaften, Parteien und Presse.
Der Streik erhielt dadurch den Charakter einer Demonstration gegen die
französische Politik an Saar und Ruhr und gewann politische Bedeutung.
Rault wies in seinem Bericht für den Völkerbund an Hand einer Kosten-
aufstellung nach, daß der Streik nicht aus den Mitteln der saarländischen
Gewerkschaften habe finanziert werden können, und führte bereits den
Ausbruch des Streiks auf politische Gründe zurück173. Gegen beide Fest-
stellungen im Bericht Raults hatte sich Waugh mit Nachdruck ausgesprochen,
sie seien reine Hypothesen174. Daß bei einigen saarländischen Politikern
gleich bei Beginn die politischen Motive eine große Rolle spielten, darf als
sicher angenommen werden175, wenn auch im allgemeinen die saarländischen
Darstellungen, besonders von gewerkschaftlicher Seite, immer wieder den
sozialpolitischen Charakter des Streiks betonten176. Die lange Dauer des
Ausstandes darf allerdings nicht als Beleg des Demonstrationscharakters
herangezogen werden, da die politischen Parteien, der Landesrat und andere
Institutionen sich wiederholt seit Anfang März an Rault um Vermittlung
zum Abbruch des Streiks gewandt hatten177. Rault hatte diese abgelehnt,
da er vom französischen Arbeitsminister Weisung erhalten hatte, sich jeder
Einmischung zu enthalten178. Der Streik war zu einem Machtkampf zwi-
schen der Saarbevölkerung und der französischen Politik geworden.
Aus den Protokollen der Sitzungen der Regierungskommission während
des Streiks geht eindeutig hervor, daß Rault in diesen Monaten ständig
Weisungen aus Paris erhielt und daß die Franzosen den Versuch machten,
die Saarprobleme mit ihren Mitteln zu lösen. Vor allem scheinen sie Rault
171 Schwarz, a. a. O., S. 81 ff.
172 S.D.N. Dokument C. 331. M. 156. 1923. I. Eingabe der Gewerkschaften wegen der
Verdrängung von Arbeitern aus Wohnungen der französischen Grubenverwaltung.
Vgl. auch Schwarz, a. a. O., S. 98 f.
173 S.D.N. J.O. IV,7 (1923), S. 737 ff.
174 S.D.N. Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 19. 6. 1923, S. 277 f.
175 Z. B.: Röchling, Wir halten die Saar, S. 88, schreibt, daß der Streik „in Wirklich-
keit aber wegen des französisch-belgischen Ruhreinbruches“ ausgebrochen sei.
176 So Schwarz, a. a. O., S. 86ff.; Kiefer, a. a. O., S. 96ff.
177 S.D.N. Com. d. Gouv., Pr-V., Sitzungen v. 7. 3. 1923, S. 112; v. 13. 3. 1923 u. v.
29. 3. 1923, S. 169.
178 Ebenda, Pr.-V. v. 21. 3. 1923, S. 147.
74
auch immer wieder darauf hingewiesen zu haben, daß die Regierungskom-
mission verpflichtet sei, Frankreich die ungehinderte Ausbeutung der
Kohlengruben zu garantieren, der Streik das aber unmöglich mache179.
Anläßlich der Debatte mit Waugh wegen der Verminderung der Kohlen-
steuer des französischen Staates für das saarländische Budget am 20. Januar
heißt es im Protokoll über die Darlegungen Raults:
„II affirme son droit, comme commissaire français, de rester en rapport avec son
Gouvernement, de recevoir de lui des instructions et de les suivre." 180
Sofort bei Ausbruch des Streiks am 5. Februar suchte er ohne Rücksprache
mit der Kommission telegraphisch um Verstärkung des französischen Mili-
tärs an der Saar nach181. Seine Stärke belief sich während des Streiks auf
etwa 4800 Mann182. Am 7. März 1923 erließ er eine Notverordnung183
gegen den heftigsten Widerstand Waughs184 und ohne Befragung des Landes-
rates, obwohl diese möglich gewesen wäre185. In dieser Notverordnung
versuchte er wieder, durch gesetzliche Festlegungen der Opposition Herr
zu werden. Die Strafmöglichkeiten des „Gesetzes Ebert“ wurden nun für
Vergehen wie Kritik an der Regierungskommission, am Versailler Ver-
trag oder an einer der Signatarmächte vorgesehen. Schließlich forderte die
französische Regierung von Rault vor Beginn der Apriltagung in Genf
telegraphisch die Verhängung des Belagerungszustandes186. Rault, der in
Genf gegenüber Schweden und England bereits einen schweren Stand hatte,
sich aber trotzdem weitere Maßnahmen im Streik vorbehielt, reiste an-
schließend nach Paris und handelte aus, daß man auf den Belagerungszu-
stand, der die Situation weiter verschärfen würde, verzichtete. Er bot statt
dessen an, durch eine weitere Notverordnung das Streikpostenstehen zu
verbieten. Diese Verordnung erließ er gegen erneuten Widerstand Waughs187
und wieder ohne Befragung des Landesrates am 2. Mai 1923 188. Die Bei-
legung des Streiks erfolgte schließlich durch Vermittlung des Internationalen
Arbeitsamtes, an das sich die politischen Parteien des Landesrates am
5. März 1923 gewandt hatten189.
Diese Vorgänge an der Saar riefen auf Grund der Ausweitung der Bühne,
auf der sich die Saarfragen bereits 1922 abgespielt hatten, die Aktivierung
aller Kräfte hervor, die das System einschloß: Heftigsten Widerstand der
politischen Parteien, des Sekretariates und Waughs, der Ratsmitglieder
England und Schweden und die Erregung der internationalen Presse. Durch
179 Ebenda, Pr.-V. v. 30. 4. 1923, S. 200 ff.
180 Ebenda, Pr.-V. v. 20. 1. 1923, S. 38.
181 Ebenda, Pr.-V. v. 6. 2. 1923, S. 66; S.D.N. J.O. IV,8 (1923), S. 915.
182 S.D.N. J.O. IV,8 (1923), S. 915.
183 Amtsblatt der Reg.-Kom. f. d. Saargebiet, 1923, S. 49 ff., Nr. 167.
184 S.D.N. J.O. IV,6 (1923), S. 596 u. IV,8 S. 924; S.D.N. Archives des Sections du
Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57, Aktenstück Waugh, Brief Waughs v. 19. 3. 1923.
185 S.D.N. Dokument C. 266. M. 145. 1923. I. „Denkschrift der politischen Parteien betr.
die Notverordnung v. 7. 3. 1923".
186 S.D.N. Com. d. Gouv. Sarre, Pr.-V. v. 30. 4. 1923, S. 200.
187 Ebenda, S. 203 f.
188 Amtsblatt der Reg.-Kom. f. d. Saargebiet, 1923, S. 100, Nr. 312.
189 Schwarz, a. a. O., S. 88.
75
das Zusammenwirken all dieser Kräfte kam es zu einem eindrucksvollen
Vorgehen gegen Raults Saarpolitik, die sich in aller Augen als von Frank-
reich abhängig und mit dem Geist des Völkerbundes unvereinbar darstellte.
Während des Streiks verfaßten die politischen Parteien eine Reihe Eingaben
an den Völkerbund190. Von besonderer Bedeutung für die weitere Entwick-
lung waren die Denkschriften mit der Forderung auf Entfernung des fran-
zösischen Militärs, gegen die Notverordnungen Raults vom 7. März 1923
und vom 2. Mai 1923 und schließlich die große zusammenfassende Anklage
gegen die Politik der Regierungskommission in der Denkschrift „Der Geist
des Saarstatuts und die Praxis der Regierungskommission“191. In diesen
Denkschriften wurde vor allem das Verhalten der Regierungskommission
als undemokratisch herausgestellt; es widerspreche dem Geist des Saarstatuts
und den Ideen des Völkerbundes. Außerdem wurde Frankreichs Saarpolitik
mit dem Hinweis auf den Dariac-Bericht angeprangert. In Besprechungen
der Delegation des Landesrats mit Ratsmitgliedern, insbesondere mit dem
Schweden Branting, wurden alle Klagen gegen die Regierungskommission
genau entwickelt.
Das Sekretariat vertrat in diesem Konflikt den Standpunkt, daß Rault sich
den französischen Tendenzen habe widersetzen müssen und sich dazu des
Widerstandes Waughs hätte bedienen sollen. Außerdem protestierte es aufs
schärfste gegen die Verordnung zur Einschränkung der Pressefreiheit. Es
teilte seine Kritik und Empörung sofort Rault und den französischen Mit-
gliedern der Völkerbundsverwaltung mit. Uber diese Mitglieder sollte Rault
zur „Raison“ gebracht werden192. Waugh schrieb eine Reihe äußerst kri-
tischer Briefe193, in denen er vor allem die Tatsache herausarbeitete, daß
Rault eine „docile majority“ in der Regierungskommission wünsche und
daß er in der Frage der Herabsetzung der französischen Kohlesteuer nach
französischen Weisungen und ohne Befragung der Regierungskommission
gehandelt habe.
Die Weltöffentlichkeit wurde besonders aufmerksam durch Bücher und
Artikel, die in England, Schweden, der Schweiz und Amerika erschienen194.
190 Vgl. dazu Aufstellung der Denkschriften der pol. Parteien im Anhang, Anlage 6, S. 347.
191 S.D.N. Dokumente: C. 267. M. 146. 1923. I. (15. 3. 1923); C. 266. M. 145. 1923. I.
(24.3.1923); C. 434. M. 190. 1923. I. (14. 5. 1923); C. 395. M. 185. 1923. I. (2.6.1923).
192 Uber diese Vorgänge im Sekretariat: S.D.N. Ardiives des Sect. du Secretariat, Sect.
Pol. Sarre, Nr. 56, Com. d. Gouv.: Hier Aufzeichnungen über Gespräche mit den
Franzosen in der Völkerbundsverwaltung und Entwürfe von Briefen an Rault. Bes.
Aufzeichnung Gilchrists über ein Gespräch v. 19. 3. 1923, in der es heißt, daß alles
versucht werde „to make Rault see reason“.
193 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück Waugh, bes. Brief v. 12. 2. 1923 an Colban.
194 2. B.: Osborne, a. a. O., arbeitete besonders die wirtschaftlichen Interessen Frank-
reichs an der Saar heraus und die Regierungsweise der Kommission zugunsten der
französischen Interessen; L. Schücking, The Unfortunate Saar District, New
Statesman, Bd. XIX (1922). und The League of Nations and the Saar, ebenda, Bd.
XXI (1923). Die beiden Artikel des Breslauer Juristen, die in England erschienen,
waren sehr aggressiv, der 2. Artikel spricht von „this regime of Tsarism“, S. 101.
Die Kritik, die Männer wie F. S, Nitti, L’Europa senza pace, 1921, und J. M.
Keynes, A Revision of the Treaty, London 1922, auch an der Saarregelung von
Versailles übten, wurde jetzt aufgegriffen. Für die kritische Haltung der Presse seien
nur genannt: „The Manchester Guardian“, der am 14. und 17. 5. 1923 größere
76
In der Unterhausdebatte am 10. Mai 1923 wurde die bisherige englische
Haltung in der Saarfrage besonders durch die Labourparty schärfster Kritik
unterzogen, aber auch die Regierungspartei erkannte die Notwendigkeit
einer Revision der Saarpolitik des Völkerbundes an195. In dieser Erregung
des Jahres 1923 und der dadurch entfesselten internationalen Diskussion
über die Saarfrage wurden zunächst keine juristischen Untersuchungen über
die Befugnisse der Kommission angestellt, sondern die Angriffe wiesen auf
die Unvereinbarkeit des Saarregimes mit dem Geist des Völkerbundes und
seinen hohen Idealen hin. Dabei stießen die Pressekampagnen auch zu Auf-
fassungen durch, die eine Revision des Saarstatuts forderten und massive
Angriffe auf den Versailler Vertrag bedeuteten.
Der erste entscheidende Schritt zu einer tiefgehenden kritischen Auseinander-
setzung mit den Saarfragen im Rahmen des Rates erfolgte auf Initiative
Schwedens. Der schwedische Ministerpräsident Branting erreichte auf der
Apriltagung des Rates, daß die Frage der Notverordnung auf die Tages-
ordnung gesetzt wurde196. In einer Erklärung197 legte er dar, daß die Not-
verordnung viel zu weit gehe und Dinge bestrafen wolle, die in anderen
Ländern unmöglich bestraft werden könnten. Er vertrat vor allem auch
den Standpunkt, daß durch zu strenge Maßnahmen die gespannte Situation
sich nur verschärfen und daß die Regierungskommission die Mentalität der
Bevölkerung verstehen und an einer Befriedung der Geister arbeiten müsse.
Außerdem warf er die Frage auf, wie in der Regierungskommission über
diese Notverordnung abgestimmt worden sei. In vorsichtigen Formulierun-
gen führte auch der englische Unterrichtsminister Eduard Wood aus, daß
es notwendig sei, zu wissen, wie die Regierungskommission über diese Frage
abgestimmt habe. In England hätte eine solche Verordnung nur dazu bei-
getragen, die Situation zu verschärfen. „Mais, si elle (die Regierungskom-
mission, d. Verf.) prend des mesures trop rigoureuses ou prématurées, elle
s’expose au grave danger de soulever l’opinion publique sans le concours
de laquelle aucun gouvernement ne peut réussir d’une façon permanente“ 198.
Raults Erklärungen wurden zur Kenntnis genommen, aber Branting und
Wood verliehen ihrer Auffassung Ausdruck, daß die Verordnung nach der
Beendigung des Streiks zurückgezogen werden müsse199.
Diese Ratssitzung war aber nur ein schwaches Vorspiel der großen Befra-
gung der gesamten Regierungskommission, die auf Initiative Englands auf
der nächsten Ratssitzung in Genf vom 2. bis 7. Juli 1923 stattfand. Sie
erfolgte auf einen offiziellen Schritt der englischen Regierung. Es sollte
geprüft werden „la question de savoir si l’administration du Bassin de la
Artikel über die Saar veröffentlichte, in denen es am 14. 5. hieß, „that the present
Constitution of the Governing Commission is a crying scandai...“ und „The Times“
v. 15. 5. 1923 „Peace Obstacles in the Saar“, in dem es hieß, „The second part of
the decree is directly against peaceful picketing, which is legal in England, Germany,
America, and most parts of the civilized world.“
195 Parliamentary Debates, House of Commons, Vol. 163, Nr. 56, p. 2629—2744.
196 S.D.N. J.O. IV,6 (1923), S. 552.
197 Ebenda, S. 595.
198 Ebenda, S. 598.
199 Ebenda.
77
Sarre par la Commission du Gouvernement a été conforme à l’esprit et à
la lettre du Traité de Versailles200“. Das Aide-mémoire der britisdien Re-
gierung verwies besonders auf die Artikel 17, 18, 23 und 30 des Saarstatutes
des Versailler Vertrages. Die ersten umfassenden Ausführungen Lord Ro-
bert Cecils über die zu untersuchenden Punkte, für die er gegen den Willen
des französischen Ratsmitgliedes Hanotaux eine öffentliche Ratssitzung
erzwungen hatte201, versuchten alle Beschuldigungen, die von den saar-
ländischen Parteien erhoben worden waren, und darüber hinaus die Klage-
punkte Waughs aufzugreifen. Die juristischen Darlegungen Lord Cecils202
stellten zunächst heraus, daß die Kommission unparteiisch sein müsse.
Außerdem betonte er sehr stark die Kontrollpflicht des Rates, der für die
Tätigkeit der Regierungskommission verantwortlich sei. Als Punkte, die
zu prüfen seien, nannte er die beiden strittigen Notverordnungen und die
Fragen, ob der Landesrat zur Begutachtung herangezogen worden und ob
die Streikpostenverordnung durch Intervention der französischen Regierung
zustande gekommen sei. Dann sollte erörtert werden, ob die Mitglieder der
Kommission sich der Unabhängigkeit von anderen Regierungen bewußt
seien, welche Rolle dem Präsidenten in der Kommission zufalle, wie die
periodischen Berichte zustande kämen, des weiteren die Einführung des
französischen Franc als einziges gesetzliches Zahlungsmittel, die Beibehal-
tung des französischen Militärs und der nur langsame Ausbau der saar-
ländischen Gendarmerie.
Auf Ratsbeschluß wurde festgelegt, daß alle fünf Kommissionsmitglieder
zu der Befragung nach Genf einzuladen seien. Die eigentliche Überprüfung
des Saarregimes203 vollzog sich dann in geheimer Sitzung so, daß Lord
Robert Cecil Fragen stellte, die vor allem von Rault, aber bei Gelegenheit
auch von den anderen Kommissionsmitgliedern beantwortet wurden. Trotz
des äußerst höflichen Tones und der bewußt behutsamen Formulierungen,
die im Rat gewählt wurden, gelang es in dieser Sitzung, die neuralgischen
Punkte des Systems klar herauszuschälen. Rault und die Franzosen waren
in die Defensive gedrängt. Besonders schwierig und peinlich wurde die
Situation für sie dadurch, daß England und das Sekretariat durch Waugh
über die Interna in der Regierungspraxis orientiert waren. Eine Unter-
suchung nur auf Grund der Beschwerden der Saarbevölkerung hätte niemals
die Klarheit über die tatsächliche Gewichtsverteilung in der Kommission
bringen können. Hier wurde u. E. erneut offenbar, daß sich in Konflikts-
situationen auch Kontrollen im System selbst bewährten.
Interessant und aufschlußreich war in der Diskussion, wie Rault seine
Politik zu verteidigen suchte. Er sowohl wie Hanotaux stützten sich beson-
ders stark als Angelpunkt des Vertragswerkes auf den § 45, der Frankreich
200 Ebenda, IV,8 (1923), S. 939: Aide-mémoire du gouvernement britannique, en date
du 24 juin 1923.
201 Ebenda, S. 854—856.
202 Ebenda, S. 861 f.
203 Ebenda, S. 908—926, hier Publizierung der geheimen Sitzung mit der Befragung der
Reg.-Kom.
78
die ungehinderte Ausbeutung der Saargruben zuspreche. Er wurde von
ihnen in dieser Debatte gegenüber dem Artikel 46, der Rechte und Wohl-
fahrt der Bevölkerung garantierte, überbetont. Aus seiner Sicht verteidigte
Rault mit Entschiedenheit seine Beziehungen zur französischen Regierung
und sein Verhalten ihr gegenüber. Er sei gleichzeitig „délégué français“
et „le fidéicommissaire de la Société des Nations“. In Berufung auf § 13
des Saarstatuts wollte er die Berechtigung zur Übergabe der Unterlagen
über das saarländische Budget an die französische Regierung nachweisen.
Er mußte die Existenz einer Privatkorrespondenz mit der französischen
Regierung zugeben, über deren Inhalt er die übrigen Mitglieder der Kom-
mission nicht orientierte. Mit Berufung auf Abschnitt 3 des § 30 und das
Interpretationsrecht der Regierungskommission (§ 33) verteidigte er die
Anwesenheit des französischen Militärs, und in der Frage der Gendarmerie
stellte er sich auf den Standpunkt, daß zur Aufrechterhaltung der Ordnung
4000 Mann notwendig seien und er deshalb nicht sagen könne, wann die
französischen Truppen zurückgezogen werden könnten. Diese Interpreta-
tionen Raults und Frankreichs wurden durch die Beurteilung Lord Robert
Cecils infrage gestellt, das Vorgehen bei Erlaß der Notverordnungen kri-
tisiert, die französischen Garnisonstruppen als Dauerlösung abgelehnt. Die
Zusammensetzung der Regierungskommission und die Vorgänge bei den
Berufungen Moltke-Huitfeldts und Lands, des saarländischen Mitglieds, der
an die Stelle Flectors getreten war, wurden erörtert.
Das Schlußkommunique204, das von dem Belgier Hymans, dem Spanier
M. Quinones de Léon und Colban205 ausgearbeitet wurde, war in seinen
Formulierungen sehr vorsichtig. In dem Schlußabschnitt wurde der Kom-
mission Anerkennung für ihr Verwaltungswerk ausgesprochen und volle
Unterstützung in der Erfüllung ihrer Aufgaben zugesagt. Außerdem wur-
den die wirtschaftlichen Gründe, die zur Einführung der französischen
Währung geführt hatten, gebilligt. Das Sekretariat wollte verhindern, daß
das moralische Prestige des Rates und der Regierungskommission unter-
graben würde. Die Erklärung verlieh aber der Hoffnung Ausdruck, daß
die Notverordnungen im gegebenen Augenblick zurückgezogen würden,
sprach sich gegen die fremden Garnisonstruppen und für den raschen Aus-
bau der lokalen Gendarmerie aus, betonte die Verantwortlichkeit der
Kommission vor dem Völkerbund und ihre kollektive Verantwortung für
alle Regierungsmaßnahmen.
Colban schrieb in einem Privatbrief an Gilchrist seine Eindrücke über diese
Ratstagung und ihre Ergebnisse nieder:
„You appear to hâve the idea that I hâve changed my opinion on the Saar ques-
tion. This is by no means the case, and I even, after the termination of the last
Council Session, explained to Morize verbally, in answer to his positive query,
that I hope not to be called upon to go to the Saar as long as M. Moltke and
204 Ebenda, S. 930.
205 S.D.N. Archives des Sect. du Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57,12.
79
M. Land are members of the Governing Commission. But that is just the point:
to my mind the Saar problem is a problem of how the Commission should be
composed and I consider it as a grave aberration when public opinion has con-
centrated on the so-called provisional Decrees, I have not worked on the Saar
questions for more then 3V2 years only to see everything break down because of
ill-advised public opinion, and the League blamed for misadministration where I
feel that the administration has been, almost in every respect, admirable. I, there-
fore, had to make my point quite clear to the Directors Meeting206. I did the
same in several long discussions with Lord Robert before the last Council Ses-
sion, and also during a visit to Paris where I saw a number of persons concerned
with the Saar.
There was once more reason, and a capital one, for stepping in and trying to
put matters straight: the imminent danger of the Saar question leading to a quite
serious quarrel between London and Paris. The view may be held that that would
have been only for the good; I personally do not think so. The League is not
here to make or to favour trouble, but to make peace, and if, as I hope, the
League is called up to assist in settling the greater problem of Europe, it was
of considerable importance to avoid trouble on the Saar problem.
Don’t believe that this means that in any way I have favoured a solution of com-
promise, or even bad compromise. If you read the resolution, of which, by the
way, I myself drafted the greater part, you will see that there is not a word
contrary to what has been our standing policy. I think you will even see that
our policy has been put forward with considerable accuracy, and that the League
has gained great strength for its future work on the Saar question.
I am, therefore, quite hopefull with regard to the future. It has been a good
thing, a very good thing indeed, to have the Saar problem thrashed out, but if
I had not stepped in and done my best to get the question handled with a view
to a peaceful settlement, great harm might have been done on the League“.207
Dieser Standpunkt Colbans als Standpunkt der Sachverständigen im Sekre-
tariat wird noch ergänzt durch einen Brief, den Gilchrist am 25. August
1923 an den Engländer Elbert I. Badwin schickte, als dieser ihn um Aus-
kunft über den Rücktritt Waughs bat. Gilchrist beklagte sich in diesem Brief
über die Journalisten, besonders die liberalen, die die gesamte Saarsituation
nicht richtig sähen. Der Vertrag habe Frankreich viele Vorrechte gegeben,
und außerdem sei die Tatsache zu beachten, daß Frankreich Mitglied des
Völkerbundes sei und Deutschland nicht.
„If the League were universal, as I soon hope it will to be, one of our most
serious handicaps would be removed. Then every government directly interested
in a problem like the Saar problem would be on an equal footing inside the
League. As it is, today, however, the situation is distinctly weighted in favour
of France. It must be remembered that the League is an organization composed
of certain governments and that it acts, according to its covenant, are the re-
presentatives of those governments dictate. It is not directly subject to the dic-
tates of any group of idealists or even to the dictates of the Divine power ...
It is a human institution, placed as regards the Saar problem in a somewhat one-
sided position, and yet expected by a large part of public opinion to act as if
the scales were balanced evenly. However much truth there may be in the pro-
206 Gemeint ist die Arbeitsbesprechung der Direktoren der einzelnen Ressorts des
Völkerbundssekretariats.
207 S.D.N., Archives des Sect, du Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57,12. Brief Colbans an
Gilchrist v. 18. 7. 1923.
80
French character of the Commission, I think it is clear from what has happened
during the last four month that other countries members of the League have not
disinterested themselves in this problem . . .“
Gilchrist wies dann auf die Tatsache hin, daß Frankreich und England
zunächst in der Saarfrage sich als Gegner gegenüberstanden und schließlich
sei doch eine Resolution erarbeitet worden, die man in beiden Ländern mit
Befriedigung aufgenommen habe.
„What would have been done if a Commission of five had been appointed to
govern the Saar and there had been no central machinery like the Secretariat,
the Council and the Assembly of the League to whom such a Commission was
responsible and to which appeal could be made? My final and my important
point is therefore that wether everything in the Saar is runing exactly as you or
I think it should, there is no doubt about the value and efficacy of the League
machinery and League methods for this sort of work, and that the World is
much better off with the League than without it“ 208.
Diese beiden Briefe sind hervorragende Zeugnisse für die Politik, die das
Völkerbundssekretariat in der Vorbereitung dieser Ratstagung und später
verfolgte. Ihre Darstellung der Probleme wird durch viele einzelne Schritte
des Sekretariats und viele Notizen über die Arbeit in ihrer Bedeutung er-
härtet. Die Saarfragen wurden immer in Zusammenhang mit den Gesamt-
anliegen des Völkerbundes gesehen, dessen Existenz noch als in statu nascendi
begriffen wurde. Deshalb sollten auf keinen Fall ob der Saarfrage die Pro-
bleme zwischen den bereits in ihm vereinten Nationen verschärft werden.
Die Äußerungen der Presse an der Saar und der internationalen Presse,
insbesondere der englischen und schwedischen, wurden mit Mißbehagen
betrachtet, weil sie immer wieder die Probleme vom rein ideellen Stand-
punkt aufgriffen und Forderungen erhoben, die eine Revision des Vertrages
bedeutet hätten. Sie verkannten nach Auffassung des Sekretariats die realen
Schwierigkeiten zur Erreichung der Ziele und schadeten der Idee des Völker-
bundes. Außerdem war man sich der positiven Rolle, die der Völkerbund
in der Modifizierung des Herrschaftssystems gespielt hatte, durchaus be-
wußt. Die Ratssitzungen vom April und Juli 1923 hatten zudem nach der
Meinung des Sekretariats freie Bahn für die vom Sekretariat als richtig
erkannte zukünftige Politik geschaffen: Definitiver Abzug der französi-
schen Truppen und Umbildung der Regierungskommission zu einem wirk-
lich internationalen Gremium, insbesondere Ausscheiden des Grafen Moltke-
Huitfeldt und des Saarländers Land, eines unfähigen Mannes, den Hector
bei seinem Ausscheiden benannt hatte. Von einer solchen Umbesetzung der
Kommission erwartete man, daß sich die Politik der Regierungskommission
im Sinne einer unparteiischen und sachlichen Verwaltung weiterentwickle.
Diese Ziele wurden von dem Sekretariat, insbesondere von Colban, mit
Energie und Ausdauer verfolgt und ihre Verwirklichung stieß noch auf
manche Widerstände Frankreichs209.
208 Ebenda.
209 Ebenda, Nr. 56,2. Com. d. Gouv. und Nr. 57,9. Troupes françaises — Gendarmerie
enthalten die Aufzeichnungen über diese Bemühungen Colbans.
81
5. Erfolg und Begrenzung des Einflusses der Parteien in der Ausbalan-
cierung des internationalen Regierungssystems
Verlauf und Ergebnisse der Ratstagung vom Juli 1923 stellten aufsehen-
erregende Ereignisse dar und bedeuteten den Übergang zu einer endgültigen
Kräfteverteilung in dem internationalen Regierungssystem der Saar. Die
Parteien sahen in den Vorgängen des Jahres 1923 nur den Erfolg ihrer
Politik210. Die Ratsdiskussion hatte zwar eine Reihe jener Beschwerden
aufgegriffen, die Delegationen und Petitionen der Saarparteien vorgebracht
hatten, aber sie zeigte überdies klar, daß der Einfluß der Parteien sich im
Zusammenspiel mit anderen Faktoren auswirkte wie begrenzte. Lord Cecils
Vorgehen war sowohl von den Gesichtspunkten des englischen Verhältnisses
zur französischen Politik des Jahres 1923 als auch von denen der saar-
ländischen Parteien, Waughs, Colbans und des Sekretariats bestimmt. Die
Rolle des Schweden Branting auf der Ratstagung verdeutlicht vielleicht am
besten, wieweit die Ziele der Saarländer erreicht worden waren. Branting
muß innerhalb des Rates als der eigentliche Repräsentant der saarländischen
Wünsche angesehen werden. Er hatte nicht nur im April 1923 den Anstoß
zu einer kritischen Auseinandersetzung des Rates mit der Saarentwicklung
gegeben und sich in seinen Ausführungen fast wörtlich der Argumente der
saarländischen Denkschrift vom 24. März 1923 bedient211, sondern griff
auf der Julitagung des Rates die politisch weitreichende Bitte der saar-
ländischen Vertreter um Anhörung vor dem Rat auf212. Lord Robert Cecil
schlug daraufhin vor, auf die Hinzuziehung der Saardelegation zu ver-
zichten, bis man die Befragung der Mitglieder der Regierungskommission
abgeschlossen habe. Nach der Verhandlung drängte Branting nicht weiter
auf die Anhörung der Saarländer. Da die Überprüfung des Saarregimes so
ernsthaft und gründlich durchgeführt worden sei, glaube er „devoir céder
au désir de certains de mes collègues“213. Damit bezog er sich nicht nur auf
die Wünsche Frankreichs, sondern auch des Sekretariats. Der Versuch der
saarländischen Parteien, Zugang zu den Ratssitzungen und auf diese Weise
direkten Einfluß in der höchsten Kontroll- und Führungsinstanz des inter-
nationalen Regierungssystems zu erhalten, war gescheitert. Es war das
einzige Mal, daß eine reale Chance zur Erreichung dieses Zieles bestand,
da die Kritik in der internationalen Öffentlichkeit auf ihrem Höhepunkt
stand. Eine Zulassung der Delegation in dieser einmaligen Situation hätte
wohl dazu geführt, daß sie zur ständigen Einrichtung geworden wäre.
Regierungskommission und Vertretung des saarländischen Landesrats wären
dann beinahe als gleichberechtigte Partner vor dem Schiedsgericht des Rates
erschienen. Dieser Schritt hätte eine erhebliche Schwächung der Stellung der
Regierungskommission bedeutet und eine unaufhaltsame Dynamik zur
210 So bes. Röchling, Wir halten die Saar, S. 97,
211 Vgl. oben S. 77.
212 S.D.N. J.O. IV,8 (1923), S. 871; Am 13. 3. 1923 hatten die politischen Parteien des
Landesrates eine Denkschrift „betreffend offizielle Anhörung des Landesrates seitens
des Völkerbundsrates“ eingereicht (C. 231. M. 131. 1923. I.).
213 Ebenda, S. 931.
82
Demokratisierung des gesamten Systems geschaffen. Branting war sich
dessen durchaus bewußt und erstrebte eine solche Umwandlung. Deshalb
stellte er in seinen Worten über das offizielle Schlußkommunique nicht wie
Hanotaux und Cecil heraus, daß eine friedliche Übereinkunft getroffen
worden sei, sondern betonte nachdrücklich jene Punkte, die Voraussetzung
zu einer Revision der bisherigen Saarpolitik sein sollten, insbesondere die
gemeinsame Verantwortlichkeit der Regierungskommission für ihre Hand-
lungen und die Unabhängigkeit aller ihrer Mitglieder von den Regierungen
ihres Heimatlandes214. Trotz seines Nachgebens in der Frage der Zulassung
der saarländischen Delegation zu den Ratssitzungen sah Branting für die
Zukunft noch alle Chancen zu einer demokratischen Entwicklung des Saar-
systems offen.
Ähnlich wie Branting beurteilten die saarländischen Parteien die Über-
prüfung des Saarsystems im Jahre 1923 als Auftakt zur Durchsetzung ihrer
Ziele. Deshalb sandten sie in den Jahren 1923, 1924 und 1925 eine Fülle
von Denkschriften an den Völkerbundsrat215. Im Rat wurde eine wirksame
Kontrollinstanz erblickt, und man glaubte gleichzeitig an eine Lösung der
Saarprobleme auf der ideellen Basis des Völkerbundes. Die Petitionen der
folgenden Jahre arbeiteten verschiedene Gesichtspunkte heraus.
Zunächst und vor allem ging es um die Umbesetzung der Regierungskom-
mission, damit diese ein wirklich neutrales Gremium werde, und um den
Abzug der französischen Truppen. Deshalb enthielten die Eingaben an den
Rat viele Einzelheiten über den französischen Einfluß in der Regierungs-
kommission216 und forderten die Abberufung der französischen Truppen
und den Ausbau der saarländischen Gendarmerie. In wesentlichen Punkten
stimmten diese Denkschriften der Saarparteien mit den Zielen des Sekreta-
riats und den Tendenzen der englischen Ratspolitik217 in den folgenden
Jahren überein. So konnten die Petitionen der saarländischen Parteien und
die Rücksprachen ihrer Delegationen in Genf einen gewissen Einfluß auf
die Haltung des Rates ausüben. Z. B. berief sich Lord Parmoor auf der
Märztagung 1924, als die Frage der Vermehrung der örtlichen Gendarmerie
und des Rückzugs der französischen Truppen erörtert wurde, ausdrücklich
auf die Unterrichtung durch die saarländische Delegation218. Die Truppen-
und Gendarmeriefrage wurde vom Rat regelmäßig geprüft219 und durch
viele Verhandlungen des Sekretariats mit der Regierungskommission und
214 Ebenda.
215 Vgl. Verzeichnis der Denkschriften in Anlage 6, unten S. 347 ff.
216 Die Probleme der Gesetzgebung im Saargebiet wie die Frage der frz. Grubenschulen
und der Notverordnungen, die ebenfalls vom Rat aufgegriffen wurden, werden im
folgenden Kapitel behandelt.
217 Das zeigt neben dem Verlauf der Ratssitzungen und den Aufzeichnungen im Archiv
des Sekretariats auch der Bericht Lord Robert Cecils vor dem engl. Unterhaus am
29. 12. 1923, Great Britain, Command Papers CMD 2010—2032, in der Bibliothek
der UNO in Genf unter Miscellaneous No 3 (942 p 252).
218 S.D.N. J.O. V,4 (1924), S. 505—508, Dikussion über diese Fragen, Lord Parinoor,
S. 506.
219 Ebenda, V,4 S. 505ff. (März 1924); V,10 S. 1310ff. (Sept. 1924); VI,4 (1925), S. 467
(März 1925); Wambaugh, a. a. O., S. 84f.
83
mit Frankreich vorangetrieben220. Schließlich wurde das Problem, als der
Kanadier Stephens Präsident der Kommission und Deutschland Mitglied
des Völkerbundes geworden war, 1927 in einem tragbaren Kompromiß
gelöst. Die lokale Gendarmerie wurde in ihrer Stärke als ausreichend er-
klärt, und eine international zusammengesetzte Bahnschutztruppe von
höchstens 800 Mann wurde im Saargebiet stationiert und sollte Transport
und Sicherheit auf den saarländischen Eisenbahnen garantieren221.
Seit 1924 vollzog sich außerdem eine Umbesetzung der Regierungskommis-
sion. 1924 wurde der Saarländer Land durch Bartholomäus Koßmann ab-
gelöst, Moltke-Huitfeldt durch den Spanier De Los Monteros, der in den
wenigen Monaten seiner Tätigkeit die volle Sympathie der Saarländer er-
warb. Nach seinem Tode übernahm der Tscheche Vezensky sein Amt. 1926
schied Präsident Rault aus, und die Präsidentschaft fiel hinfort immer an
das kanadische bzw. englische Mitglied der Kommission. 1928 berief der
Rat statt Lambert den Finnen von Ehrnrooth, Nachfolger Raults als fran-
zösisches Kommissionsmitglied wurde sein Neffe Morize222.
An dieser Entwicklung hatten gleichermaßen die saarländischen Parteien,
die stärkere Konsolidierung des Völkerbundes und die wachsende euro-
päische Entspannung entscheidenden Anteil. Da der Abbau der ursprüng-
lichen Positionen der Regierungskommission und Frankreichs sich über
mehrere Jahre erstreckte, wurden die Petitionen der saarländischen Parteien
in den Jahren 1924 und 1925 immer schärfer. Sie begannen manchen Rats-
mitgliedern und vor allem dem Sekretariat 223 als ungeduldige Wiederholung
derselben Klagen lästig zu werden. Das Sekretariat sah demgegenüber, daß
Rault sich nach 1923 bemühte, das Sekretariat zufriedenzustellen 224. Außer-
dem erschien die Konzentration der Saarländer auf ihre Nöte bei der relativ
guten finanziellen und wirtschaftlichen Lage des Saargebietes den Vertretern
der großen internationalen Politik einseitig 225. In dieser Situation erreichten
die saarländischen Parteien in der zweiten Grundlinie ihrer Forderungen,
in dem Streben nach der Demokratisierung des Systems, nichts Wesentliches
mehr. Die wiederholt an den Völkerbund gerichteten Petitionen226 um Er-
220 S.D.N. Archives des Sect. du Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57,9. Troupes fran-
çaises — Gendarmerie.
221 S.D.N. J.O. VIII,4 (1927), S. 403—417.
222 Vgl. Übersicht über die Kommissionsmitglieder und ihre Ressorts, Anlage 30, unten
S. 420 ff. Dort bes. auch Vita Koßmanns.
223 S.D.N. Archives des Sect. du Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56,2.
224 Ebenda: Das zeigen verschiedene Briefe Raults, z. B. der vom 22. 4. 1924 an das
Sekretariat, in dem er über die Erweiterung der Gendarmerie und über die Ver-
änderung der Streikpostenverordnung berichtet. Außerdem habe er M. Morize beauf-
tragt, in Genf beim Internationalen Arbeitsamt sich besonders über die Sozialgesetz-
gebung zu unterrichten. „J*espère répondre ainsi aux directives du Conseil de la
Société des Nations et montrer aux populations ouvrières que la Commission du Gou-
vernement se préoccupe de leur bien-être . ..“.
225 So auch R. Donald, A Danger spot in Europe, London 1925, S. 157. Von den
wirtschaftlich guten Verhältnissen an der Saar berichten fast übereinstimmend alle
Journalisten, die an der Saar weilten.
226 S.D.N. Dokumente: C. 231. M. 131. 1923. I.; C. 75. M. 25. 1924. I.; bes, auch die
beiden Denkschriften der Sozialdemokratischen Partei v. Februar 1925 (C. 173. M. 59.
1925. I.) und v. Februar 1926 — C. 124. M. 53. 1926. I.
84
Weiterung der Rechte des Landesrates, um Anhörung der saarländischen
Delegation vor dem Rat und um die Ernennung des saarländischen Kom-
missionsmitgliedes auf Vorschlag der politischen Parteien lösten keinerlei
Initiative aus, abgesehen von einem weiteren erfolglosen Vorstoß Brantings
im Dezember 1924227. Da die Weltpresse besonders dieses Anliegen der
Saarländer aufgegriffen hatte 228, unternahm es das Sekretariat, ab 1924
durch Informationen an die Presse über den Stand der Saarfragen und die
positiven Ergebnisse des Verwaltungssystems zu orientieren 229. Die Demo-
kratisierung des Systems hätte eine Revision des Vertrages bedeutet, poli-
tische Aktivität des Völkerbundes im Sinne seiner ideellen Grundlagen
gefordert. Das Sekretariat indes betrachtete die Saarfrage nicht als poli-
tische Aufgabe im eigentlichen Sinne, sondern als Verwaltungsaufgabe.
Diese Grundauffassung über das Saarstatut wurde von den politischen Par-
teien nie erkannt, akzeptiert oder gar verstanden. Als der Versailler Ver-
trag das Gebiet dem Völkerbund unterstellt hatte, war eine politische An-
näherung an diese Konzeption primär erfolgt im Gedanken daran, daß
das Ideengut des Völkerbundes für die Saar eine hoffnungsvolle Entwick-
lung ermögliche. Die Nichterfüllung der demokratischen Grundforderungen
der Saarbevölkerung blieb eine dauernde Belastung der gesamten Ordnung.
Das Verhältnis der politischen Parteien zur Regierungskommission behielt
etwas vom Charakter grundsätzlicher Obstruktion, der die Sachlichkeit in
der Beurteilung der Tätigkeit der Kommission fehlte. So urteilten selbst
Männer, die der Saarbevölkerung mit großem Verständnis und Wohlwollen
gegenübertraten wie der Kanadier Stephens230 oder der Saarländer Koß-
mann231. Die Haltung der Parteien wurde auch durch die lange Dauer eines
Verwaltungssystems hervorgerufen, das letztlich doch nur ein Vorstadium
für das unabhängige und freie Plebiszit darstellen sollte.
Mit dieser Tatsache und dem Eindruck, den die französische Progression
und die Politik der Regierungskommission in den ersten Jahren auf die
Parteien gemacht hatten, hing eine dritte Tendenz zusammen, die in den
227 Branting wies auf dieser Ratstagung erneut darauf hin, daß die Vertretung der Saar-
bewohner vor dem Rat gehört werden sollte und arbeitete die Verantwortung des
Völkerbundes zur Entwicklung eines demokratischen Systems im Saargebiet heraus.
S.D.N. J.O. V,4 (1924), S. 507.
22s Vor allem die englischen Journalisten hatten sich in ihren Büchern zu Anwälten der
demokratischen Forderungen der Saarländer gemacht: Osborne, a. a. O., Bis-
schop, a.a.O., und besonders Donald, a.a.O., der klar herausstellte, wie die
Sehweisen von Völkerbund und Saarbevölkerung verschieden blieben.
229 S.D.N. Archives des Sect. du Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56, Dossier General I.
230 Ebenda: In Nr. 56,3b ist ein Gutachten von Stephens von 51 Seiten, das er dem
Sekretariat und englischen Regierungsstellen übersandte. Er besaß volles Verständnis
für die Unpopularität des Regierungssystems (S. 10), legte aber auch dar, daß die
Opposition nur aus der Situation zu erklären sei, 15 Jahre lang den Blick auf das
Plebiszit offen zu halten (S. 29).
231 Koßmann legte wiederholt dar, daß die Opposition gegen die Regierungskom-
mission grundsätzlich sei und daß nach der Rückkehr des Saargebietes nach Deutsch-
land die Saarländer positiver über die gute Verwaltung der Reg.-Kom. urteilen
würden. A. a. O., Nr. 57, Colban (personnel), Bericht über Besprechungen mit den
Mitgliedern der Reg.-Kom. anläßlich eines Besuches an der Saar v. 5.—7. Februar
1925 und in einem Presseinterview 1927 (a. a. O., Nr. 56,2).
85
Schritten der saarländischen Parteien in Genf immer stärker zutage trat.
Die erste Sitzung des Landesrates am 19. Juli 1922 war nicht nur benutzt
worden, um die demokratischen Rechte und eine Revision der Gesetzgebung
der Regierungskommission zu fordern, sondern auch um ein durch Volks-
wahl legitimiertes Treuebekenntnis zu Deutschland abzulegen. Die von
Dariac gefürchtete Bedeutung des saarländischen Landesrates offenbarte
sich damit bereits in der ersten Sitzung. Ein wesentliches Anliegen der Par-
teien war die Vorbereitung des Plebiszits. Nach der Ratsdebatte von 1923
und dem Rücktritt der Regierung Poincare strebten die politischen Parteien
daher eine ernsthafte Revision des Versailler Vertrages an. Zum erstenmal
zeigte sich das eindeutig in dem offenen Brief an Edouard Herriot vom
2. Dezember 1924, der von den Fraktionsführern der Zentrumspartei
(Levacher) und der Deutsch-Saarländischen Volkspartei (Schmelzer) unter-
zeichnet war. Die Einleitung des Briefes lautete:
„Herr Ministerpräsident! Dank der Politik der gegenwärtigen französlsdien Re-
gierung, die getragen ist von dem Willen der Mehrheit des französischen Volkes,
ist eine weitgehende, von der Saarbevölkerung längst herbeigesehnte Entspannung
in den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich eingetreten. Große Hoff-
nungen für eine friedliche Entwicklung der Verhältnisse in Europa knüpfen sich
an diese Tatsache.
Natürlicherweise ist die Saarbevölkerung an dieser Entwicklung außerordentlich
interessiert, da sie von jeder Störung der Beziehung der beiden Völker, welcher
Art sie auch sein mag, zuerst betroffen und geschädigt wird.
Es kann also für die Saarbevölkerung keine größere Lebensfrage geben als die
Tatsache, daß wirklicher Friede zwischen den beiden großen Völkern besteht. Ein
wirklicher Friede ist aber nur dann möglich, wenn die beiden Völker in der gegen-
seitigen Achtung der Nationalität und in der Berücksichtigung beiderseitiger Inter-
essen so weit gehen, daß sie alles vermeiden, was die nationale Eigenliebe des
anderen Volkes oder seiner Angehörigen verletzten muß.“ 232
Der erste Teil der eigentlichen Ausführungen beschäftigte sich dann mit der
wirtschaftlich nicht einträglichen französischen Saarpolitik, die wie die
übrige Politik der Regierungskommission (französische Schulen, Propaganda
und Militär) nicht mit dem Geist der gegenwärtigen französischen Regie-
rung übereinstimmten. Die weiteren Abschnitte verlangten über den bereits
angelaufenen Abbau französischer Positionen hinaus, daß Eisenbahnen, Post
und Telegraphie an die deutsche Reichsregierung verpachtet würden, da
sie, wie die Defizite erwiesen, im gegenwärtigen Zustand unrentabel seien.
Außerdem wandte man sich gegen die für den 10. Januar 1925 vorgesehene
endgültige Eingliederung in das französische Zollsystem. Es wurden ge-
wichtige wirtschaftliche Gründe für diese Forderungen aufgezählt, doch
war wesentlich, daß man die Situation für gekommen hielt, eine Revision
der Saarverhältnisse im Sinne einer Berücksichtigung der deutschen Natio-
nalität der Bewohner erwarten zu dürfen.
Diese direkte Wendung an einen französischen Staatsmann zur Revision
der Saarpolitik war ein Einzelschritt in dem Gesamtbemühen der Saar-
parteien zu dieser Zeit. Man wollte die hier angeklungenen Ziele doch auf
232 S.L.Z. Nr. 324 v. 13. 12. 1924.
86
dem bisherigen Wege erreichen, d. h. durch Schritte beim Völkerbund233.
Man machte geltend, im Versailler Vertrag selbst sei der Völkerbund zu
einer Umgestaltung legitimiert auf Grund des Artikels 46, der ihm als
Treuhänder das Wohl der Saarbevölkerung anvertraue. Die wirtschaftlichen
Probleme, die angesichts der Sperrung der Zollgrenzen gegenüber dem
Deutschen Reich, der beginnenden Verschlechterung der französischen Wäh-
rung und der fortschreitenden wirtschaftlichen Sanierung Deutschlands auf-
tauchten, bildeten die Basis zu Forderungen, die sich von Ausnahmebestim-
mungen für die deutsche Einfuhr an der Saar über Forderungen zur Wieder-
einführung der deutschen Währung bis zur Nichtdurchführung der Ein-
gliederung ins französische Zollsystem erstreckten. Vom Völkerbund wurde
eine konstruktive Politik in dieser Richtung verlangt.
Diese Tendenz in der Politik der saarländischen Parteien, die letztlich in
der Erbitterung über die Abtrennung vom Deutschen Reiche wurzelte,
wurde endgültig und unmißverständlich für die Weltöffentlichkeit in der
saarländischen Feier der tausendjährigen Zugehörigkeit des Rheinlandes
zum Deutschen Reich im Jahre 1925 offenbar 234. Die Saarländer gaben
dieser Feier eindeutig den Charakter einer Vorabstimmung; die Reaktionen
der saarländischen Parteien auf das Vertragswerk und die Saarpolitik der
Regierungskommission und Frankreichs hatten so bereits 1925 für 1935
alles entschieden. Die Parteien vertraten hinfort die Auffassung, daß das
Saarregime überholt sei 235. Auch angesichts dieser Entwicklung besaß der
Völkerbund keine politische Möglichkeit, da das Saargebiet ihm als Ver-
waltungsaufgabe zugewiesen war und seine eigene Existenz auf dem Ver-
sailler Vertrag basierte. Für ihn galt der Rechtsgrundsatz: Pacta sunt ser-
vanda. Das Sekretariat hörte die Wünsche und Erklärungen der Saarbevöl-
kerung an, wies die Parteivertreter aber immer wieder darauf hin, daß
diese Gegenstände eine deutsch-französische Angelegenheit seien und nicht
vom Sekretariat aufgegriffen werden könnten. Neben der Reibungsfläche
zwischen Regierung und Bevölkerung — auch nach der Umwandlung im
Saarregime — blieb die Möglichkeit ständiger Mißverständnisse zwischen
Völkerbund und saarländischen Parteien, da sie das Unvermögen des
Völkerbundes, die Lösung der Saarfrage einzuleiten, weder verstanden
noch akzeptierten.
233 S.D.N. Dokumente: C. 126. M. 36. 1924. I. Denkschrift der pol. Parteien v. 29. 2.
1924 „Die Auswirkung der Frankenentwertung auf das Wirtschaftsleben des Saar-
gebietes“; C. 413. M. 152. 1924. I. Denkschrift der pol. Parteien v. 9. 8. 1924 „Die
mißbräuchliche Ausbeutung des Saargebietes durch Frankreich“; C. 116. M. 56. 1925.
I. Denkschrift der pol. Parteien v. 16. 2. 1925 „Die unhaltbare zollpolitische Lage des
Saargebietes“; C. 128. M. 57. 1925. I. Denkschrift der pol. Parteien v. 20. 2. 1925:
„Die beabsichtigte Währungsverschlechterung im Saargebiet“.
234 Rheinische Jahrtausend-Feier im Saargebiet, Saarbrücken und Völklingen 1925,; L.
Bruch, Jahrtausend-Feier der Rheinlande im Saargebiet, Saarbrücken — Völklingen
1925.
235 Vgl. über die Weiterentwicklung dieser Auffassung unten S. 211 ff.
87
Zweites Kapitel
Die Mitwirkung der Parteien bei der gesetzlichen Ausgestaltung
der innersaarländischen Verhältnisse
1. Die Voraussetzungen des Einflusses der politischen Parteien
auf die Gesetzgebung
In den Jahren nach 1925 klang die europäische Erregung um die Saar ab.
Die Bemühungen des Völkerbundssekretariates um die Neutralisierung des
Verwaltungssystems der Saar und die deutsch-französische Entspannung
trugen zur Beruhigung der internationalen Atmosphäre und der Situation
an der Saar bei. Auch für die politischen Parteien traten die Probleme der
innersaarländischen Verhältnisse stärker in den Vordergrund. Es mußte sich
nun zeigen, was für die weitere innenpolitische Entwicklung im Kampf um
die Einspielung des Systems gewonnen worden war. Der Rahmen für die
Mitwirkung der politischen Parteien auf der Ebene der Gesetzgebung war
zwar juristisch insofern nicht grundlegend geändert worden, als der Saar-
bevölkerung auch hinfort keine legislativen Befugnisse zustanden. Die
Schaffung des Landesrates, das Petitionsrecht an den Rat und die Tätigkeit
der Delegationen der politischen Parteien in Genf bedeuteten aber erwei-
terte Einflußmöglichkeiten. Auf dieser Basis bildeten sich im Zusammen-
wirken zwischen Regierungskommission, Landesrat und Völkerbundsrat
gewisse Grundzüge heraus, die nicht allein aus den rechtlichen Fixierungen1,
sondern auch aus dem tatsächlichen Verhalten und aus praktischen Erwä-
gungen erwuchsen.
Voraussetzungen bei der Regierungskommission
Die Regierungskommission unterschied sich auch weiterhin sowohl in der
Art ihrer Berufung, die vollständig unabhängig von der Volksvertretung
erfolgte, wie durch den Umfang ihrer Kompetenzen in Verwaltung und
Gesetzgebung von allen demokratischen Regierungen. Sie behielt den Cha-
rakter einer volksfremden Regierung, der nicht nur durch die fremde
Nationalität vier ihrer Mitglieder, sondern auch durch die Tatsache ver-
stärkt wurde, daß diese Völkerbundsbeamte ihre Fähigkeiten und Erfah-
rungen in anderen Ländern, unter anderen Verhältnissen und durch andere
Arbeiten erworben und erwiesen hatten, ehe sie an die saarländischen Auf-
1 Eine genaue juristische Untersuchung und Abgrenzung der Rechtsstellung und der
Kompetenzen der Regierungskommission und des Landesrates sind das Haupt-
anliegen der Arbeit von Katsch, a. a. O., bes. S. 53—148. Diese Fragen werden
hier nur soweit dargestellt, wie sie für die politische Entwicklung und den Einfluß
der Saarparteien von Bedeutung waren.
88
gaben herantraten2- Daraus ging notwendig eine gewisse Neigung der ein-
zelnen Mitglieder der Regierungskommission hervor, nach eigener Einsicht
und Erfahrung zu verwalten und zu regieren und andere Gesichtspunkte
als diejenigen der saarländischen Bevölkerung bei ihren Entscheidungen
mitzusehen. Zum anderen ergab sich daraus auch eine gewisse Dominanz
jener Persönlichkeiten, die sich zuerst am intensivsten in die saarländischen
Probleme eingearbeitet hatten. Darauf beruhte auch der Einfluß Raults
und Morizes in der Kommission, nicht nur auf Eigenart und besonderen
Fähigkeiten dieser beiden Männer. Da die Kontrolle für die Tätigkeit der
Saarregierung beim Völkerbundsrat lag, war die Kommission in ihren
Rechenschaftsberichten ebenfalls auf andere Größenverhältnisse und poli-
tische Gesichtspunkte hingeordnet als auf den engen saarländischen Raum.
Trotz dieser Gegebenheiten muß man feststellen, daß fast alle Mitglieder
der Regierungskommission eine gute Kenntnis der saarländischen Verhält-
nisse erlangten und in ihren Entscheidungen Stellungnahme und Wünsche
der Volksvertretung mitsahen. Von einer Reihe der Minister der Regie-
rungskommission kann man sogar sagen, daß ein gutes Verhältnis zur Saar-
bevölkerung und eine ernsthafte Würdigung der Gesichtspunkte des Landes-
rates ihnen ein Anliegen waren: Das gilt natürlich zunächst von dem Saar-
länder Koßmann, der in engem Kontakt mit der Zentrumspartei arbeitete
und das Vertrauen weiter Kreise der Bevölkerung besaß3; der Spanier
Espinosa De Los Monteros gewann in den wenigen Monaten seiner Tätig-
keit die volle Sympathie der Saarländer4; Stephens sah die Überbrückung
der Schwierigkeiten zwischen Regierungskommission und Bevölkerung als
seine Hauptaufgabe an5, wurde sehr populär in Saarbrücken6 und machte
sich vor allem in der Frage der französischen Truppen den Standpunkt der
Saarländer zu eigen7; unter Präsident Wilton vollzog sich die Zusammen-
arbeit zwischen Regierungskommission und Bevölkerung ziemlich reibungs-
los8. Trotzdem behielten sich alle Mitglieder der Regierungskommission
ihre grundsätzliche Entscheidungsfreiheit vor und empfanden sich letztlich
als Repräsentanten eines „gouvernement international aux pouvoirs excep-
tionnellement etendus, place au-dessus de tous les partis et de tous les
courants d’opinion“9, wie es Rault einmal besonders scharf formuliert hatte.
2 So auch Lambert, a. a. O., S. 201.
3 So auch Katsch, a. a. O., S. 55.
4 Katsch, a. a. O., S. 56; G r oten , Die Kontrolle des Völkerbundes, S. 32.
5 Davon zeugen vor allem ein Brief Stephens’ an Colban v. 10. 1. 1924 (S.D.N.
Archives des Sections du Secretariat, Sect. Pol., Sarre, Nr. 56,3b: Aktenstück Ste-
phens) und ein Bericht Stephens’ v. 24. 3. 1924 für den englischen Premier (Abschrift
a. a. O., Nr. 56,1: Dossier general I).
6 Vgl. dazu z. B. die Artikel über die Weihnachtsbescherung, die Herr und Frau
Stephens im Dezember 1926 auf eigene Kosten für saarländische Kinder veranstalte-
ten: S.Z. Nr. 344 v. 19. 12. 1926; S.L.Z. Nr. 343 v. 20. 12. 1926 u. Volksstimme
Nr. 294 v. 20. 12. 1926; außerdem S.Z. v. 28. 6. 1927 „Abschied v. Präsident
G. W. Stephens“; dazu auch M. T. Florinsky, The Saar Struggle, New York 1934,
S. 48; Hirsch, Die Saar von Genf, S. 51.
2 S.D.N. J.O. VIII,4 (1927), S. 403 ff.
8 So auch Lambert, a. a. O., S. 201.
9 S.D.N. J.O. 111,3 (1922), S. 232 (10. period. Bericht).
89
Die Möglichkeiten des Landesrats des Saargebietes zur Mitwirkung bei der
Gesetzgebung
Seit der Errichtung des Landesrats im Jahre 1922 stand der Regierungs-
kommission eine gewählte Volksvertretung für das ganze Saargebiet gegen-
über. Der Landesrat10 wurde durch allgemeine, gleiche und geheime Wahl,
nach gebundenen Listen und dem Verhältniswahlrecht gewählt. Wählbar
waren alle geborenen Saarländer, die 25 Jahre alt waren, die Saarein-
wohnerschaft besaßen, kein Amt außerhalb des Saargebiets bekleideten
und keiner außersaarländischen Vertretungskörperschaft angehörten. Wahl-
berechtigt waren alle Bewohner des Saargebietes, die zwanzig Jahre alt
waren und ebenfalls die Saareinwohnerschaft besaßen. Die Parteien erblick-
ten in den Festlegungen über die Wahlberechtigung eine politische Manipu-
lation der Regierung, da nur geborene Saarländer das passive Wahlrecht
besaßen und damit eine Reihe der saarländischen Parteiführer (besonders
die Vorsitzenden der Zentrumspartei und der Sozialdemokratischen Partei)
nicht in den Landesrat gelangen konnten; außerdem konnten Ausländer, die
verhältnismäßig kurze Zeit im Saargebiet tätig waren, das aktive Wahlrecht
erhalten11. Wahlverfahren und Wahlmodus wurden gesetzlich später auch
nochmals geändert. Durch Verordnung vom 9. Dezember 1923 12 führte die
Regierungskommission ohne Befragung der gewählten Vertreter der Bevöl-
kerung das System der freien Listen ein; sie wolle durch die Streichungs-
möglichkeiten eine größere Freiheit gewähren, hieß es in ihrem Bericht nach
Genf13. Die Nichtbefragung des Landesrates und die Veröffentlichung der
Verordnung kurze Zeit vor dem Termin für die Einreichung der Wahlvor-
schläge sprechen für die Vermutung der saarländischen Parteien, daß Rault
auf diese Weise die führenden Politiker aus der saarländischen Vertretung
ausschalten wollte14. Die Hoffnung der Regierungskommission erfüllte sich
nicht, da Wahlvereinbarungen zwischen den einzelnen Parteien getroffen
wurden15. Nach dem Rücktritt Raults führte die Regierungskommission
durch die Verordnung vom 26. Oktober 192716 wieder die gebundenen
Listen ein und entsprach dadurch dem Wunsch aller Parteien17. Durch die-
selbe Verordnung wurde das passive Wahlrecht erweitert, ebenfalls im Sinne
der von den Parteien und dem Landesrat geäußerten Forderungen. Wählbar
wurden neben den geborenen Saarländern auch diejenigen, die seit sechs
Jahren ununterbrochen im Saargebiet wohnten, keiner anderen Volksver-
tretung angehörten und kein Amt außerhalb des Saargebietes bekleideten.
Die Aufstellung des Landesrates entsprach zwar der eines Parlamentes, aber
dieser gewählten Volksvertretung fehlten alle entscheidenden Rechte eines
10 Verordnung betr. die Errichtung 1. eines Landesrates, 2. eines Studienausschusses v.
24. 3. 1922, Amtsblatt d. Reg.-Kom. 1922. Nr. 143.
n Katsch, a. a. O., S. 102.
12 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1923, Nr. 671.
13 S.D.N. J.O. V,3 (1924), S. 444.
14 Vgl. dazu Katsch, a. a. O., S. 104ff.
15 Ebenda, S. 105 f.
16 Amtsblatt der Reg.-Kom., 1927, Nr. 531.
17 S.D.N. J.O. VIII,9 (1927), S. 1647, auch zu den folgenden Ausführungen.
90
Parlamentes: die Kontrolle der Regierung, das Gesetzgebungsrecht und das
Budgetrecht18. Im Versailler Vertrag waren für die Vertreter der Saarbevöl-
kerung diese Rechte nicht vorgesehen19. Der Landesrat war aber als ent-
scheidendes Organ für die Mitwirkung bei der Gesetzgebung geeignet. Sein
Kompetenzbereich wurde jedoch durch die Verordnung der Regierungskom-
mission über die Errichtung eines Landesrates trotz aller Bemühungen der
Parteien20 klar auf die im Versailler Vertrag vorgesehene Gutachtertätigkeit
bei Veränderung der bestehenden Gesetzgebung und insbesondere bei Steuer-
neuregelungen beschränkt. Juristische Interpretationen des Saarstatutes und
der Landesratsverordnung untersuchten, ob auch einmal veränderte Gesetze,
Milderungen von Gesetzen und Gesetze, die in der Anpassung an die Saar-
situation eine bisher nicht vorhandene Materie betrafen, unter die Kompe-
tenz des Landesrates fielen21. Bei einigen Abweichungen in der Interpreta-
tion und bei einer in Einzelfällen anfangs unterschiedlichen Praxis der Re-
gierungskommission22 bestand nach den ersten Jahren in Theorie und Praxis
die Neigung, alle Verordnungen gesetzgebenden Charakters23 dem Landes-
rat zur Begutachtung vorzulegen.
Der dem Landesrat zugewiesene Kompetenzbereich gab ihm die Möglichkeit,
von der Regierungskommission geplante Verordnungen einzusehen, in den
Kommissionssitzungen24 gründlich darüber zu beraten, andere Vorstellungen
und Wünsche der Bevölkerung über die Materie des vorgesehenen Gesetzes
vorzutragen und in abschließenden Gutachten im Landesrat in Abänderungs-
vorschlägen oder in der Annahme oder Ablehnung der Vorlage seine Auf-
fassungen zum Ausdruck zu bringen. Der Verordnungsentwurf ging dann in
die Regierungskommission zurück, das Gutachten des Landesrates wurde
studiert, und nun beschloß die Regierungskommission in einer ihrer Sitzun-
gen über die endgültige Redaktion und die Verabschiedung der Verordnung.
Durch diesen Gesetzgebungsweg stand dem Landesrat eine beachtliche Ein-
flußmöglichkeit zu. Die Überlegungen der Regierungskommission wurden
durch die Gesichtspunkte der Saarländer erweitert, und eine mangelnde
18 Darüber bes. Katsch, a. a. O., S. 47 f.
19 So auch Katsch, a. a. O., S. 36 ff.; Gr o t en, a. a. O., S. 34f.
20 Vgl. dazu S. 68 dieser Arbeit u. Anm. 145 ebenda.
21 Katsch, a. a. O., S. 131 ff., setzt sich bes. mit dieser Frage in der Praxis der Reg.-
Kom. und in den verschiedenen Interpretationen auseinander.
22 S.D.N. J.O. III,3 (1922), S. 233: Rault war in dem period. Bericht v. 3. 1. 1922, also
vor Errichtung des Landesrates, der Auffassung, daß nur die Gesetze, die eindeutig
eine Veränderung bestehender Gesetze darstellten, den gewählten Vertretern der
Bevölkerung zur Begutachtung vorzulegen seien; in Zweifelsfällen stehe der Reg.-
Kom. das Interpretationsrecht nach § 33 des Saarstatuts zu.
23 Die Regierungskommission erließ alle Gesetze und Gesetzesänderungen nur als Ver-
ordnungen; die juristischen Erklärungen dieses Vorgehens sind verschieden: vgl. dazu
Katsch, a. a. O., S. 81; E. Bergemann, Die Gesetzgebung im Saargebiet (Staats-
bürger-Bibliothek, Heft 123/124), Mönchen-Gladbach 1924, S. 50 ff.
24 Der Landesrat erstellte zu Beginn jeder Legislaturperiode ständige Kommissionen für
folgende Fragen: 1. Steuerfragen, 2. Angelegenheiten der öffentlichen Arbeiten,
3. Wirtschaftsfragen, 4. Verwaltungsfragen, 5. Rechtsfragen, 6. Kultus- und Schul-
angelegenheiten, 7. Soziale Gesetzgebung und arbeitsrechtliche Angelegenheiten,
8. Volkswohlfahrt. Amtsblatt der Reg.-Kom. des Saargeb. 1922, Nr. 574: Geschäfts-
ordnung des Landesrates, Artikel 11; vgl. außerdem Landesrat des Saargeb., Sten.
Bericht v. 5. 3. 1924, S. 2 ff.; K a t sc h, a. a. O., S. 123.
91
Kenntnis der spezifisch saarländischen Verhältnisse konnte dadurch ausge-
glichen werden. In der Regierungskommission war man sich dieser Bedeu-
tung auch durchaus bewußt. So berichtete Rault am Ende der ersten Sit-
zungsperiode des Landesrates nach Genf, daß dieser tüchtig gearbeitet habe
und die Regierungskommission in seinen Stellungnahmen viele Anregungen
finde25. In der letzten Sitzung des Landesrates nach der ersten Legislatur-
periode am 28. November 1923 sprach aus den Äußerungen eines Landes-
ratsvertreters die Überzeugung, daß im Landesrat eine ernsthafte Zusam-
menarbeit zum Wohle der Bevölkerung zustande gekommen sei26.
Besonders aufschlußreich für die Bedeutung der Gutachtertätigkeit des Lan-
desrates sind vielleicht jene Fälle, in denen aus nationalpolitischen Gründen
ein grundsätzlicher Gegensatz über die neue Gesetzgebung zwischen Regie-
rung und Landesrat gegeben war, wie z. B. bei der gesetzlichen Einführung
der französischen Währung als alleiniges Zahlungsmittel im Jahre 1923. Die
Regierungskommission war zur Durchsetzung ihrer Verordnung trotz des
entgegenstehenden Votums des Landesrates entschlossen. Da die Landesrats-
vertreter das wußten, hatten sie für den Fall der Inkraftsetzung der Ver-
ordnung der Regierungskommission ihre Wünsche sorgfältig vorgetragen
und begründet. Die Regierungskommission zog daraufhin ihren ersten Ent-
wurf zurück, und der neue Entwurf wurde mit drei Abgeordneten des
Landesrates, unter Hinzuziehung eines Vertreters der Handelskammer, er-
arbeitet; die endgültige Fassung der Verordnung beruhte auf Übereinkunft
zwischen Regierung und Landesrat27.
Die Landesratsvertreter bemühten sich, durch genaue Überprüfung der Ma-
terie und gründliche Einarbeitung in die einzelnen Sachgebiete ihren Äuße-
rungen Gewicht zu verleihen. Sie holten vor der endgültigen Stellungnahme
Gutachten von allen Organisationen der betroffenen Bevölkerungskreise
ein28. Mitglieder des Landesrates unterrichteten sich auch genau über ähn-
liche gesetzliche Maßnahmen in Deutschland29 und ließen sich teilweise von
erfahrenen Parteikollegen oder Sachbearbeitern im Deutschen Reich bera-
ten30. Die Gutachtertätigkeit des Landesrates fand durch diese Art der Bear-
beitung und durch die daraus hervorgehende Zusammenarbeit zwischen Re-
gierungskommission und Landesrat in einer Unzahl von Verordnungen
einen gewissen Niederschlag.
Als großer Mangel wurde aber in dieser Situation der Artikel 8 der Landes-
ratsverordnung von 1922 empfunden, der ausdrücklich festlegte, daß der
Landesrat nur über die ihm zugewiesenen Vorlagen und Gegenstände zu
beraten habe:
„. . . Insbesondere sind alle Verhandlungen, Anträge und Entschließungen unwirk-
sam, die unmittelbar oder mittelbar den durch den Friedensvertrag von Versailles
25 S.D.N. J.O. IV,1 (1923), S. 90, Bericht v. Dezember 1922.
26 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 28. 11. 1923, S. 8f.
27 Ebenda, Sten. Bericht v. 27. 4. 1923 {Nachmittagssitzung), S. 7 ff.
28 Z. B.: Landesrat d. Saargeb., Sten. Berichte v. 27. 4. 1923 (Nachmittagssitzung), S. 3 f.;
v. 27. 6. 1924, S. 17; v. 7. 1. 1925, S. 5; v. 8. 2. 1933, S. 55 f.
29 Ebenda, Sten. Bericht v. 30. 6. 1925, S. 9f.
30 Landesarchiv Saarbrücken, Becker-Schneider-Archiv: Privatpapiere Richard Becker,
hier Reste von Schriftwechseln, die dafür zeugen.
92
oder den durch die nachfolgenden Verordnungen der Regierungskommission in dem
Saargebiet geschaffenen Rechtszustand betreffen. — Die Ungültigkeitserklärung
erfolgt durch einen Beschluß der Regierungskommission.“31
Durch diesen Artikel sollte einerseits eine Revision der Verordnungen der
Regierungskommission aus der Frühzeit der Entwicklung ausgeschlossen
werden, zum anderen sollte dem Landesrat keine Möglichkeit zu Initiativ-
anträgen zustehen. Damit waren zwei entscheidende Ziele, für die die politi-
schen Parteien bei der Errichtung des Landesrates eingetreten waren, nicht
erreicht.
Ebenso beklagte der Landesrat immer wieder, daß ihm nur der Haushalt-
plan zur Einsichtnahme, nicht aber der Ist-Haushalt vorgelegt werde32.
Dadurch besaß der Landesrat jahrelang keinen wirklichen Einblick in das
Finanzgebaren der Regierungskommission und stellte wiederholt fest, daß
ihm deshalb die Basis für eine sinnvolle Begutachtung der Steuerentwürfe
der Regierungskommission fehle. Auch das Recht zu Anfragen und Inter-
pellationen besaß er nicht.
Die Organisation des Landesrates und seine Geschäftsordnung wie die
Rechtsstellung seiner Mitglieder waren nicht wie bei Parlamenten geregelt:
Der Präsident des Landesrates wurde von der Regierungskommission er-
nannt, die Tagesordnung einer Sitzungsperiode von der Regierungskommis-
sion festgelegt, die Mitglieder der Regierungskommission erschienen zur Be-
gründung ihrer Vorlagen nicht selbst vor dem Landesrat, sondern ließen sich
durch einen Staatskommissar vertreten, den Abgeordneten fehlte die Immu-
nität.
Diese Festlegungen in der Landesratsverordnung bzw. in der Geschäftsord-
nung des Landesrats33 erschienen den Vertretern aller Parteien ungerecht-
fertigt. Selbst bei einer grundsätzlichen Anerkennung des Gesetzgebungs-
rechtes der Regierungskommission hielten sie Initiativanträge und Inter-
pellationen im Landesrat, die Wahl des Landesratspräsidenten durch den
Landesrat, die Festsetzung der Tagesordnung durch Übereinkunft zwischen
Regierungskommission und Landesrat und die Gewährung der Immunität
für die Abgeordneten nach dem Versailler Vertrag für möglich, und gleich-
zeitig sahen sie diese Rechte als wesentlich für eine wirksame Mitwirkung
bei der Gesetzgebung an. Deshalb setzten sich die Parteien in ihren pro-
grammatischen Erklärungen im Landesrat und in ihren Denkschriften nach
Genf mit der Landesratsverordnung auseinander und forderten eine Erwei-
terung der Rechte des Landesrates im dargelegten Sinne34.
31 Amtsblatt d. Reg.-Kom. 1922, Nr. 143.
32 Landesrat d. Saargeb., Sten. Berichte: v. 20. 4, 1923, S. 17; v. 26. 11. 1923, S. 10;
v. 11. 2. 1926, S. 26f.; v. 12. 4. 1926, S. 21; v. 26. 7. 1926, S. 4; vgl. auch Katsch,
a. a. O., S. 138 f.
33 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1922, Nr. 574.
34 Vgl. die Ausführungen der einzelnen Fraktionen bei der Eröffnung des Landesrates
am 19. 7. 1922, Anlage 5, unten S. 338; außerdem Landesrat des Saargeb., Sten.
Berichte v. 5. 3. 1924, S. 6 u. S. 8f.; v. 30. 6. 1925, S. 23f.; v. 12. 4. 1926, S. 5;
v. 3. 5. 1928, S. 5; ferner die Denkschrift der politischen Parteien an den Völker-
bundsrat v. 2. 6. 1923: S.D.N. C. 395. M. 185. 1923. I.
93
Die Saarsachbearbeiter im Völkerbundsekretariat, besonders Colban, hatten
1922 in den Besprechungen mit Mitgliedern und hohen Beamten der Regie-
rungskommission vor dem Erlaß der Landesratsverordnung Auffassungen
vertreten, die mit den saarländischen Wünschen übereinstimmten. So hatte
Colban vorgeschlagen, den Landesratspräsidenten aus der Mitte des Landes-
rats wählen zu lassen, er hatte Bedenken erhoben gegen die Einschränkung
des passiven Wahlrechtes auf die geborenen Saarländer und gegen die For-
mulierungen, wie sie in dem oben zitierten Abschnitt des § 8 der Landesrats-
verordnung ihren Niederschlag fanden35. Dem Sekretariat schien also eine
Ausweitung der Rechte des Landesrates möglich. Rault selbst dachte vor-
übergehend ebenfalls an eine gewisse Berücksichtigung der Wünsche des
Landesrates zur Erweiterung seiner Kompetenzen, verwarf diesen Plan aber
wieder, nach seinen Mitteilungen wegen der scharfen Äußerungen im Lan-
desrat und der Angriffe auf die Regierungskommission36. Später wurde der
Gedanke eines Ausbaues der Rechte des saarländischen Landesrates 1931
nach dem Scheitern der deutsch-französischen Saarverhandlungen nochmals
im Völkerbundsekretariat von Rosting ins Auge gefaßt, aber Koßmann er-
klärte sich, wohl mit Zustimmung der Reichsregierung, gegen eine Änderung
der Verhältnisse, da nur erneut Unruhe entstehen könne37. Vielleicht fürch-
teten Koßmann und die Deutsche Reichsregierung auch, daß dadurch der
Sonderstatus an Attraktion gewinnen könne und auf diese Weise eine
Status-quo-Lösung propagiert werde, besonders da französische Pläne eben-
falls eine Erweiterung der Rechte der Saarbevölkerung vorsahen38. So kam
es zu keiner gesetzlichen Anerkennung umfassenderer Rechte der Saarländer
bei der Gesetzgebung.
Der gesetzlich enge Rahmen für die Tätigkeit des Landesrates wurde aber in
der Praxis sehr schnell erheblich erweitert. Vor allem ließ sich in der Folge
die Eingrenzung auf die von der Regierungskommission festgelegte Tages-
ordnung nicht halten. Von dem Ereignis, daß die Landesratsfraktionen in
der ersten Sitzung des Landesrates von der Regierungskommission die Er-
laubnis zur Abgabe programmatischer Erklärungen erzwangen, war in an-
derem Zusammenhang schon die Rede39. Der Landesrat nahm hinfort für
sich das Recht in Anspruch, zu allen Problemen, die das Saargebiet betrafen,
seien sie außenpolitischer, wirtschaftlicher, sozialer oder anderer Art, Stel-
lung zu nehmen. Die Möglichkeiten dazu schuf er sich zunächst dadurch, daß
er die Diskussion über die Vorlagen ausweitete und daß er in seiner Gesamt-
heit oder die einzelnen Redner für ihre Parteien Initiativanträge zu ver-
35 S.D.N. Archives des Sections du Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 57, Aktenstück:
Conseil consultatif, bes. Sitzung v. 4. 3. 1922.
36 Ebenda, Nr. 57,12: Rault zu Colban bei dessen Besuch in Saarbrücken im Juli 1925;
vgl. auch Landesrat d. Saargeb., Sten. Berichte v. 16. 3. 1925, S. 5, und v. 30. 6. 1925,
S. 23 f.
37 A.A. II Bes. Geb., Saarparlament, Bd. 5: II SG 127, Vermerk Legationsrat Voigt
über eine entsprechende Mitteilung Koßmanns.
38 Vgl. zu diesen Plänen einzelner Franzosen und der Association Française de la Sarre
unten S. 219 ff.
39 Vgl. dazu oben S. 70.
94
wandten Materien einbrachten, Kritik an der Gesetzgebungs- und Verwal-
tungstätigkeit der Regierungskommission übten und auch Anfragen an die
Regierung richteten40. Außerdem wurden Diskussionen zur Geschäftsord-
nung in ähnlicher Weise ausgenutzt, und durch Vereinbarungen der Frak-
tionsführer untereinander wurden schon in den ersten Jahren Erklärungen
und Aussprachen außerhalb der Tagesordnung üblich41. Bereits am 18. Juni
1924 führte der Landesratsvorsitzende Scheuer aus, daß Debatten und Er-
klärungen außerhalb der Tagesordnung zu einem Gewohnheitsrecht gewor-
den seien, und die Fraktionen des Landesrats traten unter Berufung auf
diese Tradition gegen den Protest des Staatskommissars in eine kritische
Erörterung der Politik der Schulabteilung ein42. Am 30. Juni 1925 legte der
Sozialdemokrat Dr. Sender im Landesrat dar, daß die von der Regierungs-
kommission aufoktroyierte Geschäftsordnung eigentlich tot sei und daß der
Landesrat durch seine Einmütigkeit zu einer Sprengung dieser Ordnung
gekommen sei. Auch für die Zukunft glaubte Sender, daß der Landesrat sein
könne, was er aus sich mache43.
Die Regierungskommission mußte diese Entwicklung hinnehmen. In Be-
sprechungen mit Colban und Gildhrist vertrat zwar Morize, der damals
Generalsekretär der Regierungskommission war und wiederholt entschei-
dende Besprechungen mit den Saarsachbearbeitern im Völkerbundsekretariat
führte, noch die Auffassung, daß die Rechte des Landesrates nicht erweitert
werden könnten und daß dem Landesrat nicht das Recht zustehe, Petitionen
und Resolutionen nach Genf zu schicken; die Regierungskommission werde
diese deshalb mit dem Bemerken übersenden, daß sie null und nichtig seien44.
Rault reichte z. B. das Telegramm des Landesrates vom 7. März 1923, das
eine Resolution des Landesrats über die Anhörung der Landesratsmitglieder
vor dem Völkerbund enthielt, mit folgendem Zusatz nach Genf weiter
„. . . une deliberation du Landesrat, prise en violation du Traité de Paix,
qui ne reconnaît au C. Consulatif d’autre attribution que de donner son avis
sur les modifications aux lois et règlements en vigueur et sur les textes nou-
velles44a“. Das war aber für die tatsächliche Entwicklung völlig belanglos.
Rault hatte bereits in seinem Bericht vom Dezember 1922 dargelegt, daß der
40 Z. B. wurde bei Steuervorlagen regelmäßig das Problem der französischen Gruben-
steuer erörtert und das Vorgehen der Regierungskommission in dieser Frage ver-
urteilt. Nach 1924 wurde in diesen Darlegungen die Kündigung des Steuerabkom-
mens mit dem französischen Staat verlangt, und schließlich wurde die Regierungs-
kommission angefragt, ob die Kündigung vollzogen sei. Näheres zu diesem Problem
unter dem Abschnitt über die Steuergesetzgebung unten S. 134 ff. Vgl. auch S. 121
unter dem Abschnitt Sozialgesetzgebung.
41 Vgl. dazu Katsch, a.a.O., S. 141 f., der Beispiele dazu anführt. Sie sollen hier
nicht wiederholt werden, da aus den späteren Darlegungen über das Ideengut der
Parteien hervorgeht, bei welchen Gelegenheiten und zu welchen Fragen die Parteien
im Landesrat Stellung nahmen.
42 Landesrat d. Saargeb., Sten. Bericht v. 18. 6. 1924, S. 3; Katsch, a.a.O., S. 142.
43 Landesrat d. Saargeb., Sten. Bericht v. 30. 6. 1925, S. 13 f.
44 S.D.N. Archives des Sections du Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56, Dossier géné-
ral I, hier Niederschriften über die Besprechungen zwischen Colban, Morize und
Gilchrist am 17. 8. 1922 u. am 7. 9. 1922.
44a Abschrift dieses Briefes a. a. O., Nr. 56,2.
95
Landesrat mehr als sechzig Vorschläge, Interpellationen, Anfragen und Fest-
stellungen an die Regierungskommission gerichtet habe, die sich auf die
Gesetzgebung und fast das gesamte Verwaltungssystem bezögen; die Regie-
rungskommission könne zwar dem Landesrat das Initiativ- und Interpella-
tionsrecht nicht zugestehen, aber sie habe alle diese Äußerungen geprüft und
sie seien zum Teil in den Verordnungsentwürfen der Regierungskommission
verarbeitet worden45.
Mußte die Regierungskommission also eingestehen, daß die in der Praxis
beanspruchten Rechte des Landesrates sich positiv auf die Gesetzgebung aus-
wirken konnten, so veranlaßten sie aber auch noch andere Gründe, dieser
Entwicklung keinen entscheidenden Widerstand entgegenzusetzen. Große
Debatten außerhalb der Tagesordnung waren manchmal geeignet, Partei-
gegensätze sichtbar werden zu lassen. So war z. B. Morize im Oktober 1924
durchaus bereit, die großen Aussprachen im Landesrat über die Not im
Saargebiet zu dulden, weil es dabei auch um die Erörterung der Frage der
Schließung des Röchlingschen Stahlwerkes und damit um die Gegensätze
zwischen den Sozialdemokraten und der Deutsch-Saarländischen Volkspartei
ging46. Die Regierungskommission entschloß sich auch, Anfragen des Lan-
desrates zu beantworten. Zuerst wurde es üblich, durch den Staatskommissar
Anfragen beantworten zu lassen, die im Rahmen der erörterten Gesetzes-
entwürfe lagen47. Später wurden alle Anfragen beantwortet, die in höflicher
Form gestellt waren48. Die Regierungskommission hatte nämlich ein Inter-
esse daran, ihre Auffassungen ebenfalls zu veröffentlichen, damit die Bevöl-
kerung orientiert werde und nicht nur unter dem Einfluß der Äußerungen
der Landesratsmitglieder stehe49. Die Anfragen wurden mündlich durch den
Staatskommissar beantwortet, wenn sie mündlich gestellt waren; auf schrift-
liche Anfragen wurde schriftlich entgegnet50. Seit 1927 legte die Regierungs-
kommission dem Landesrat auch die Ist-Haushalte vor51 52.
Auch in der Frage des Präsidenten des Landesrates trug man ohne gesetz-
liche Änderungen den Wünschen der Parteien Rechnung. Zum Präsidenten
des ersten Landesrates war Koßmann von der Regierungskommission er-
nannt worden. Er gehörte zwar der Zentrumspartei, also der Partei, die die
stärkste Fraktion stellte, an, war aber nicht Mitglied des Landesrates und
blieb Beamter der Regierungskommission32. Als er am 14. März 1924 zum
Mitglied der Regierungskommission berufen wurde, beauftragte die Regie-
rungskommission den Redakteur Scheuer von der Zentrumspartei, der vom
Landesrat 1922 und 1924 zum ersten Beisitzer gewählt worden war, mit
45 S.D.N. J.O. IV,1 (1923), S. 90 f.
46 Katsch, a. a. O., S. 143.
47 So führte Morize in der Sitzung der Reg.-Kom. v. 27. 10. 1927 aus (Com. d. Gouv.,
Pr.-V., S. 578).
48 Ebenda, S. 586. Vgl. auch Landesrat d. Saargeb., Sten. Berichte v. 5. 6. 1930, S. 123;
v. 11. 10. 1927, S. 197 u. S. 217 ff.; v. 25. 1. 1928, S. 350 ff.; v. 3. 3. 1928, S. 364 ff.
49 Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 27. 10. 1927, S. 579.
50 Katsch, a. a. O., S. 146.
51 Ebenda, S. 139; Kall in Kloevekorn, a. a. O., S. 522.
52 Katsch, a. a. O., S. 119.
96
Koßmanns Vertretung53. Scheuer blieb zwar in der zweiten Legislatur-
periode nur stellvertretender Vorsitzender, nahm aber als solcher das Amt
des Vorsitzenden wahr. 1928 erklärte der Staatskommissar bei der Eröff-
nung des neuen Landesrates, die Regierungskommission bitte den Landesrat,
eines seiner Mitglieder als Vorsitzenden zu präsentieren54. Unter grundsätz-
lichen Erklärungen, daß der Landesrat das Recht der Wahl seines Vor-
sitzenden beanspruche, wurde Scheuer gewählt55. Die Regierungskommission
erhob keine Einwände. 1932 wurde der Landesrat von der Regierungskom-
mission ersucht, „durch Wahl festzustellen, welches seiner Mitglieder wäh-
rend der beginnenden Wahlperiode Präsident des Landesrats sein soll“56.
Die Frage nach der Rechtsstellung der Landesratsmitglieder57 gestaltete sich
in der Praxis zu einem schwierigen Problem. Die Freiheit in der Meinungs-
äußerung der Landesratsmitglieder war gefährdet, als die beiden Abgeord-
neten aus Lehrerkreisen, Martin (Zentrum) und Schneider (Sozialdemokrat)
von der Schulabteilung wegen ihrer Äußerungen im Landesrat zur Rechen-
schaft gezogen und gemaßregelt wurden58. Das Fehlen der Immunität im
Sinne der Freiheit von Verhaftung und Strafverfolgung zeigte sich, als 1924
einer und 1928 zwei Abgeordnete der Kommunistischen Partei verhaftet
und 1928 zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Der Landesrat nahm in all
diesen Fällen gegen die Maßnahmen der Regierungskommission Stellung
und beanspruchte die volle Immunität59. Maßregelungen von Landesrats-
mitgliedern wegen ihrer Äußerungen in Ausübung ihres Mandates kamen
nach 1924 nicht mehr vor. Eine Anfrage des Landesrates wegen der Immuni-
tät am 26. Oktober 192760 wurde am 8. Dezember 1927 dahingehend be-
antwortet, daß dem Landesrat die Immunität zwar nicht gewährt werden
könne, da er kein Parlament sei, aber in der Praxis wolle die Regierungs-
kommission die Freiheiten, die aus der Immunität hervorgingen, bei den
Mitgliedern des Landesrates achten61. Die Regierungskommission sah sich
deshalb 1928 bei der Verhaftung der kommunistischen Abgeordneten Rein-
hard und Hey und den folgenden Schritten des Landesrates vor ein schwie-
riges Problem gestellt. Sie befaßte sich in zwei Sitzungen mit der Angelegen-
heit62. Vezensky, der neben der Kultus- und Schulabteilung auch für die
Justiz zuständig war, legte für die Beratungen ein Rechtsgutachten vor, in
dem die Frage der Immunität grundsätzlich und unter Heranziehung der
53 S.D.N. J.O. V,8 (1924), S. 1051; Katsch, a. a. O., S. 119 f.
54 Über die Frage des Vorsitzenden hatte vorher eine lange Diskussion in der Regie-
rungskommission stattgefunden (Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 20. 4, 1928, S. 226—232).
Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 3. 5. 1928, S. 2.
55 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 3. 5. 1928, S. 2f.
56 Ebenda, Sten. Ber. v. 28. 4. 1932, S. 1 f.
57 Zu den Fragen der Immunität und den folgenden Ausführungen vgl. Katsch,
a. a. O., S. 126 ff.
58 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 30. 6. 1925, S. 14 f.
59 Ebenda, Sten. Berichte v. 18. 6. 1924, S. 20; v. 3. 5. 1928, S. 9f. u. S. 22 u. S. 29f.;
v. 12. 6. 1928, S. 42 f.
60 Ebenda, Sten. Ber. v. 12. 6. 1928, S. 55. ,
61 Katsch, a. a. O., S. 128; Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 25. 1. 1928, S. 351.
62 Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 2. 5. 1928, S. 260 f., u. v. 9. 5. 1928, S. 285 f. Die folgenden
Ausführungen stützen sich auf diese Sitzungsprotokolle.
97
verschiedenen Verhältnisse in Deutschland, England und Frankreich unter-
sucht war. Präsident Wilton drängte dagegen auf eine praktische Lösung des
konkreten Falles. Den Ausschlag in der Diskussion gab schließlich Koßmann.
Die beiden hätten im Vertrauen darauf, daß sie als Landesratsmitgiieder
nicht verhaftet würden, bewußt gegen Gesetz und Recht verstoßen; außer-
dem drohe die „Arbeiterzeitung“ mit gewaltsamer Befreiung und das könne
die Regierungskommission sich nicht bieten lassen63. Dem Landesrat wurde
mitgeteilt, daß die Regierungskommission die Wünsche und die Rechte des
Landesrats zwar respektiere, aber die begangenen Vergehen ermöglichten
wegen ihrer Schwere keinen Aufschub des Strafvollzugs64.
In der Praxis standen dem Landesrat und den Parteien durch die gekenn-
zeichnete Entwicklung alle Möglichkeiten der Einwirkung auf die Gesetz-
gebung offen, die man einer Körperschaft ohne legislative Befugnisse zu-
gestehen kann. Der Landesrat oder einzelne Fraktionen konnten sich außer-
halb ihrer Tätigkeit in den Plenarsitzungen und in den Kommissionen auch
mit Eingaben oder in Delegationen an die Regierungskommission wenden65.
Da die Landesratsverordnung und die ursprüngliche Geschäftsordnung
rechtlich weiter gültig blieben, war die bestehende Rechtslage immer wieder
Ausgangspunkt für Angriffe auf die Regierungskommission und auf das
autokratische Herrschaftssystem66. Auch die Tatsache, daß die Regierungs-
kommission letztlich in allen Entscheidungen ihre Freiheit wahrte und allein
die Verantwortung trug, wirkte sich auf die Haltung des Landesrates und
seine Stellungnahme zu den Gesetzesfragen aus, wie die Untersuchung der
einzelnen Materien noch erweisen wird.
Die Bedeutung der Petitionen und Delegationen nach Genf für die Gesetz-
gebung
Die saarländischen Parteien übten ihren Einfluß auf die Gesetzgebung aber
nicht nur im Landesrat aus, sondern die Petitionen und Delegationen an den
Völkerbund waren ein Faktor dieser Einflußnahme, der nicht unterschätzt
werden darf. Die saarländischen Parteien hatten in den ersten Jahren neben
den Problemen, die mit der Stellung Frankreichs an der Saar zusammen-
hingen, auch viele Fragen der innersaarländischen Entwicklung an den Rat
herangetragen. So war nicht nur die Kontrollfunktion des Rates an sich
aktiviert worden, sondern die Parteien hatten erreicht, daß die Mitglieder
des Völkerbundssekretariates und zum Teil auch des Rates mit den saar-
ländischen Verhältnissen, die ihnen zunächst fern gelegen hatten, vertraut
63 Hier zeigte sich, daß auch das saarländische Mitglied der Reg.-Kom. die Situation
jeweils in eigener Verantwortung würdigte und sich nicht in jedem Fall an die
Meinungsäußerung des Landesrates gebunden fühlte.
64 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 12. 6. 1928, S. 42 f.; A.A. II Bes. Geb.: Saar-
parlament, Bd. 4: II SG 1238, hier auch eine Abschrift des Antwortbriefes v. Wilton.
65 Z. B.: Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 2. 12. 1927, S. 675; Einstimmiger Beschluß der
Reg.-Kom., eine Delegation des Landesrates, die darum gebeten hatte, zu empfangen.
Vgl. auch S. 128 Anm. 93 dieser Arbeit.
66 Z. B.: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 28. 4. 1932, S. 7 ff.
98
wurden. Besonders Colban und Gilchrist waren genau orientiert, da sie auch
mehrmals zu längeren Besuchen an der Saar weilten67. In der Kontrolle des
Rates konnten dadurch saarländische Gesichtspunkte wirksam werden. Die
fehlende parlamentarische Kontrolle des Landesrates wurde auf diese Weise
einigermaßen ersetzt. Nur in wenigen Fällen, die in den folgenden Unter-
suchungen der einzelnen Gesetzesmaterien alle behandelt werden, befaßte
sich der Rat mit den saarländischen Beschwerden und verlieh seiner Meinung
Ausdruck und beeinflußte dadurch direkt die saarländische Entwicklung.
Für die Regierungskommission und ihre Entscheidungen waren diese Peti-
tionen auch ohne ausdrücklichen Eingriff des Rates von Bedeutung. Sie sah
sich auf Grund der Eingaben und Delegationen der saarländischen Parteien
gezwungen, ihre gesetzlichen Entscheidungen ausführlich zu begründen oder
sie abzuändern. Sie tat das nicht nur in ihren regelmäßigen Berichten, son-
dern auch in den Begleitschreiben zu den Petitionen und in einigen Fällen
auch in großen Sondergutachten. Neben den Gutachten zu der Frage der
französischen Grubenschulen, zu der Sozialgesetzgebung und zu den Zoll-
fragen, die ebenfalls noch im folgenden behandelt werden, verfaßte sie
große Sondergutachten über die gesetzliche Entwicklung im Wohnungs-
wesen68 und über die Maßnahmen, die sie zur Einschränkung der Freiheit
getroffen hatte69. Sie war sich durch die Schritte der Saarländer klar dar-
über, daß ihre Maßnahmen und deren Begründung einer Kontrolle des
Rates standhalten mußten.
Die saarländischen Parteien gewannen aber nicht nur einen gewissen Einfluß
auf die Kontrolle der Regierungskommission, sondern sie brachten auch
gesetzgeberische Wünsche in Genf vor70. Diese wurden zwar vom Rat nie
aufgegriffen, aber sie verliehen den Initiativanträgen, die gleichzeitig oder
vorher im Landesrat gestellt wurden, ein größeres Gewicht und stellten
einen gewissen moralischen Druck auf die Regierungskommission dar.
2. Der Einfluß der politischen Parteien auf die großen Fragen
der saarländischen Innenpolitik
Der Einfluß der Parteien auf die Verhältnisse an der Saar erhellt noch nicht
hinreichend aus der gekennzeichneten Rechtslage und gewissen allgemeinen
Verhaltensweisen, die sich in ihrem Rahmen herausbildeten. Es bedarf dazu
auch der Untersuchung der tatsächlichen Entwicklung. Deshalb sollen vier
große Problemkreise herausgegriffen werden: Schulwesen, Arbeitsrecht und
Sozialversicherungen, Zoll- und Steuergesetzgebung. Das Saarstatut des
Versailler Vertrages enthielt über diese Gebiete bestimmte Festlegungen;
außerdem fielen sie in verschiedene Ressorts und damit in den Kompetenz-
bereich verschiedener Mitglieder der Regierungskommission. Zum Teil hat-
67 S.D.N. Archives des Sections du Secretariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56 und 57 enthalten
Aufzeichnungen über diese Besudle.
68 S.D.N. J.O. XI,7 (1930), S. 833—837.
69 S.D.N. J.O. XV,4, S. 394—398.
70 Vgl. dazu unten S. 122 f. u. 126.
99
ten sie durch die Gesetzgebungstätigkeit der Regierungskommission in den
ersten Jahren eine politische Bedeutung erlangt. Sie berührten vielfach täg-
liche Interessen der Saarbevölkerung, und in den Diskussionen und Be-
ratungen des Landesrates nahmen sie den größeren Raum ein. In der Aus-
einandersetzung mit ihnen gestaltete sich die praktische Politik der saar-
ländischen Parteien. Die Stellungnahme zu diesen Fragen prägte sich in
ihren Programmen aus und bestimmte in einem gewissen Maße das Verhält-
nis der Parteien zueinander wie Möglichkeit und Breite ihres Einflusses in
der Saarbevölkerung. Vor allem wirkte sich die Haltung der Parteien in
diesen Gesetzgebungsfragen auf ihre Beziehungen zu den Gewerkschaften,
Interessenverbänden und standespolitischen Organisationen aus. So muß
nicht nur das Kräftespiel zwischen Regierungskommission und Landesrat
beachtet werden, sondern auch die Tätigkeit der übrigen Vertretungsinstitu-
tionen der Bevölkerung, soweit dadurch die gesetzliche Entwicklung und
das Verhältnis zwischen den Parteien und ihnen beleuchtet werden kann.
Im Rahmen dieser Arbeit kann natürlich nicht die sachliche Problematik der
verschiedenen Gesetzesmaterien aufgerollt werden. Sie wird nur soweit be-
rührt oder dargestellt, wie sie für unsere Fragestellung der Rolle der Par-
teien in diesem Prozeß der Gestaltung der innersaarländischen Verhältnisse
relevant ist. Bei einigen Fragen ergibt sich die Notwendigkeit, über den
Rahmen der gesetzlichen Entwicklung hinauszugreifen, weil die Bedeutung
der rechtlichen Situation erst dann klar wird. Das trifft besonders auf dem
Gebiet des Schulwesens zu, wo nur teilweise ein gesetzlicher Rahmen bestand
oder geschaffen wurde und die Entfaltung innerhalb dieser Abgrenzungen
die Entwicklung entschied.
Eine Untersuchung der ausgewählten Sachgebiete gewährt einen nahezu
erschöpfenden Einblick in das saarländische Gesetzgebungsgefüge und die
Rolle der Parteien in ihm. Außerdem liefert sie wichtige Voraussetzungen
für die Darstellung der Ideenwelt der Parteien; denn erst eine Zusammen-
schau ihres praktischen Verhaltens und ihrer Programme kann die inneren
Strukturen der Parteien freilegen.
Das Schulwesen
Mit der Abtrennung des Saargebietes vom Deutschen Reich hatten sich für
das kulturelle Leben an der Saar, besonders aber für das Schulwesen, eine
Reihe wichtiger Probleme ergeben. Der Versailler Vertrag sicherte zwar in
§ 28 des Saarstatuts Schulen und Sprache der Bewohner, aber bereits in den
ersten gesetzlichen Maßnahmen der Regierungskommission schienen sich
Möglichkeiten abzuzeichnen, die Organisation und Geist der Schulen an der
Saar entscheidend beeinflussen konnten. Durch die Verordnungen über den
Besuch der französischen Domanialschulen und die Einrichtung des fakulta-
tiven französischen Unterrichts in den Volksschulen des Saarlandes1 wurde
die Frage aufgeworfen, ob auf diese Weise französische Einflüsse in das
1 Vgl. dazu oben S. 48.
100
saarländische Bildungswesen eindringen und die politische Situation mit-
bestimmen würden. Neben einer Gefährdung des deutschen Charakters des
Schulwesens fürchtete man auch den französischen Laizismus und sah die
konfessionelle Volksschule bedroht2.
Ein zweites Problem trat auf, als die Regierungskommission durch Verord-
nung vom 24. November 19203 alle Personallasten für die Volksschullehrer
des Saargebiets übernahm und Sonderzuschläge, die z. B. die Stadt Saar-
brücken gezahlt hatte, verbot. Die saarländische Lehrerschaft und die Par-
teien sahen in der Verordnung vor allem eine Regelung, die eine größere
Abhängigkeit der Volksschullehrer von der Regierungskommission und da-
mit Gefügigkeit gegenüber deren Politik begründen sollte. Außerdem wurde
für die größeren Gemeinden, insbesondere für die Großstadt Saarbrücken,
der Rahmen für eine eigenständige Kultur- und Schulpolitik eingeengt. Die
Maßnahme wurde allgemein als Raultscher Dirigismus gedeutet, wenn die
kleineren Gemeinden auch froh waren, der Personallasten enthoben zu
sein4.
Zu diesen Befürchtungen für die Freiheit der Lehrer und der Gemeinden
trat die Frage, ob in dem abgetrennten Saargebiet, das kulturell von seiner
Verbindung mit dem Rheinraum gelebt hatte, die Lehrerschaft aller Schul-
gattungen genügend geistige Lebendigkeit und Aktivität entfalten würde,
um die notwendige Weiterentwicklung des Schulwesens voranzutreiben und
zu befruchten. Es galt vor allem, die neuen Bildungspläne und die organisa-
torische Gestalt der Schulen in den großen Reform- und Lehrplankommis-
sionen5 in einer Weise zu erarbeiten, daß das saarländische Schulwesen dem
deutschen ebenbürtig blieb und keine Auseinanderentwicklung eintrat, die
eine Weiterbildung der Saarländer an deutschen Universitäten hinderte und
nach der Rückgliederung zu Schwierigkeiten führen würde. Diese Aufgaben
der Saarländer schienen gefährdet, weil die Regierungskommission in ihren
beamtenrechtlichen Festlegungen die Mitgliedschaft in deutschen Verbänden
verbot und außerdem die Teilnahme saarländischer Lehrer am deutschen
kulturellen Leben zu hindern suchte6.
Das Verhältnis der Lehrerverbände und der Parteien zu Regierungskom-
mission und Schulabteilung war auf Grund dieser Probleme durchgängig
von Mißtrauen erfüllt. Der Kampf gegen die französische Domanialschule
und den fakultativen französischen Unterricht wurde zu einem zentralen
Programmpunkt aller Parteien und gab fast allen Landesratsdebatten über
Schulfragen eine kritische und aggressive Note gegenüber der Regierungs-
kommission. Im folgenden sollen die wichtigsten gesetzlichen und organisa-
2 Näheres dazu unten S. 159 f.
3 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1921, Nr. 340.
4 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1924, S. 50; H. Bongard, Das Kultur-
leben an der Saar, in: Kloevekorn, a. a. O., S. 417f.; P. Zenner, Das Schul-
wesen der Stadt Saarbrücken, in Saarbrücken 1909—1959, Saarbrücken — 50 Jahre
Großstadt, Saarbrücken 1959, S. 242 f.
5 S.D.N. J.O. 11,2 (1921), S. 204; 11,5/6 S. 630; III,5 (1922), S. 464: Die Schulabteilung
der Reg.-Kom. hatte 1920 und 1921 große Reform- und Lehrplankommissionen'aus
Lehrern aller Schulgattungen gebildet.
6 Vgl. dazu oben S. 50 f.
101
torischen Maßnahmen auf allen Gebieten des Schulwesens in die Betrachtung
einbezogen werden, damit eine objektive Urteilsbildung über den Einfluß
der Bevölkerung in der Gestaltung des kulturellen Lebens möglich wird.
Die französischen Domanialscbulen und der fakultative französische
Unterricht
Nach der Einrichtung des saarländischen Landesrates und der Gewinnung
der Kontakte in Genf sahen die saarländischen Parteien es als selbstver-
ständlich an, mit allen Mitteln zu versuchen, die von der Regierungskom-
mission geschaffenen gesetzlichen Zustände zu ändern. Insbesondere war
man der Auffassung, daß die Verordnungen der Regierungskommission
über den Besuch der französischen Domanialschulen juristisch unhaltbar
seien. Diese Regelungen entsprächen nicht dem § 14 des Saarstatuts, der die
Grubenschulen nur für die Kinder des französischen Personals vorsehe, und
verletzten die gültigen deutschen Schulpflichtgesetze. Gegen den fakulta-
tiven französischen Unterricht wurde geltend gemacht, daß er zu Propa-
gandazwecken benutzt werde und daß er aus pädagogischen Gründen in
den meisten Fällen im Rahmen der Volksschule abzulehnen sei. Diese Auf-
fassungen wurden wiederholt im Landesrat in den Jahren 1922 bis 1924
dargelegt7. Die großen gemeinsamen Denkschriften der saarländischen Par-
teien vom 6. April 1922, vom 2. Juni 1923 und vom 24. November 1923
machten diese Gesichtspunkte in Genf im Rahmen ihrer allgemeinen Be-
schwerden geltend und verlangten eine entsprechende Änderung der Ver-
hältnisse8. Der Schulkampf erreichte in den Jahren 1923 und 1924 seinen
Höhepunkt. Als Anfang 1923 im Laufe weniger Wochen in Heiligenwald
neun deutsche Volksschulklassen geschlossen werden mußten und die Kinder
zu den französischen Grubenschulen abwanderten9, rief diese Entwicklung
an der Saar größte Erregung hervor. Alle Befürchtungen der Saarländer
schienen nun Wirklichkeit zu werden. Die deutsche Reichsregierung pro-
testierte in Saarbrücken und Genf10; der Bischof von Trier griff in den
Schulkampf ein11. Rault gelang es, seine Auffassung in Genf durchzusetzen.
7 Landesrat d. Saargeb., Sten. Berichte: v. 19. 7. 1922 in den großen Grundsatzerklä-
rungen des Zentrums und der Sozialisten bei Eröffnung des ersten Landesrates (vgl.
Anlage 5, unten S. 338 ff.); v. 30. 10. 1923, S. 7; v. 5. 3. 1924, S. 6; v. 19. 5. 1924,
SS. 37, 50, 56; v. 18. 6. 1924, S. 4 ff.
8 Dokumente:
S.D.N. C. 236. M. 132. 1922. I.
S.D.N. C. 395. M. 185. 1923. I.
S.D.N. C. 755. M. 301. 1923. I.
9 Re vir e, Perdrons-nous la Sarre?, S. 73; G. Fi tt bogen, Die französischen Schulen
im Saargebiet, Berlin 1925, S. 15 ff. In Heiligenwald hatte die französische Werbung
solch große Erfolge, weil die gesamten Bergarbeitersiedlungen wegen der Gruben-
schäden vom preußischen Staat angekauft worden und dann in französischen Besitz
übergegangen waren. Die Bergleute wohnten dadurch in Mietwohnungen der fran-
zösischen Grubenverwaltung, die während des Bergarbeiterstreiks hart gegen die
Bergleute vorging. Vgl. dazu auch oben S. 74 u. Anm. 172 ebenda.
10 Die Protestnoten sind veröffentlicht in: S.D.N. J.O. IV,4 (1923), S. 414—417.
11 Ebenda, S. 419. Näheres dazu S. 159 f. unten.
102
In der Ratssitzung vom 23. April 1923 wurde lediglich beschlossen, der
Deutschen Reichsregierung die Stellungnahme der Regierungskommission zu
übermitteln 12.
1924 wurde das Schulproblem dann erneut mit großer Leidenschaftlichkeit
aufgegriffen. Die Erfolge in den Ratssitzungen des Jahres 1923 und ins-
besondere die Ersetzung Moltke-Huitfeldts durch den Spanier De Los Mon-
teros und des Saarländers Land durch Koßmann schienen neue Voraus-
setzungen zu bieten. Am 19. Mai 1924 kam es im Landesrat wiederum zu
scharfen Anklagen gegen die Schulpolitik der Regierungskommission13, und
die Frage wurde in der Presse mit großer Erregung behandelt14. Der Leiter
der Kultus- und Schulabteilung, De Los Monteros, griff die Beschwerden
auf, hörte die Vertreter der Parteien und den Bürgermeister von Saar-
brücken an und stellte Akten über die Domanialschulen zur Einsicht zur
Verfügung. Die Vertreter der Lehrerorganisationen, der Landesratsfraktion
des Zentrums, der Presse und der Geistlichkeit sahen die Unterlagen ein.
Die Zentrumspartei bat in einer Resolution vom 5. Juni 1924 das Kultus-
ministerium um die Zusammenstellung eines Berichtes und dessen Veröffent-
lichung. Die deutsche Reichsregierung wandte sich ebenfalls 1924 in mehre-
ren Schreiben an den Völkerbund und fügte ihren Beschwerden Rechtsgut-
achten bei, die ihre Auffassung bestätigten. Daraufhin holte auch die Re-
gierungskommission Rechtsgutachten ein und außerdem der Schwede Bran-
ting15. Die Gutachten widersprachen sich.
Der Rat nahm wegen der internationalen Beachtung, die die saarländische
Schulfrage gefunden hatte, am 11. Dezember 1924 zum saarländischen
Schulkampf Stellung. Eine solche Äußerung war für den Rat des Völker-
bundes schwierig. Die widersprüchlichen Interpretationen der Schulbestim-
mungen des Saarstatuts durch die Regierungskommission, die deutsche
Reichsregierung und verschiedene Juristen konnten schwer als Basis einer
Entscheidung dienen, besonders da der Regierungskommission in Streitfällen
nach § 33 das alleinige Interpretationsrecht zustand. Eine Stellungnahme
des Rates gegen die Auffassung der Regierungskommission wurde auch da-
durch fast unmöglich, daß diese ihre Verordnungen ausdrücklich unter Be-
rufung auf das Elternrecht und eine freiheitliche Rechtsordnung verteidigt
hatte16. Auch gegen die Darlegungen der Kommission, daß die Pflege einer
Fremdsprache an der Grenze besonders sinnvoll sei, ließ sich sachlich kaum
etwas einwenden. Außerdem hatte die Regierungskommission betont, daß
sie die Eltern auf die nachteiligen Folgen des Besuches der französischen
Domanialschulen (Ausschluß vor Weiterbildungsmöglichkeiten in Deutsch-
land) ausdrücklich hingewiesen habe und daß die französische Grubenver-
waltung bestreite, einen Druck zum Besuch der Domanialschulen ausgeübt
12 S.D.N. J.O. IV,6 (1923), S. 592.
13 Landesrat d. Saargeb., Sten. Bericht v. 19. 5. 1924, S. 50 ff.
14 S.D.N. J.O. V,9 (1924), S. 1192, audi für die folgenden Ausführungen.
15 Die verschiedenen Eingaben und Berichte an den Völkerbund und die Rechtsgutachten
sind publiziert in: S.D.N. J.O. V,1 (1924), S. 1623—1702 u. VI,2 (1925), S. 250—272.
16 Brief Raults v. 1. 9. 1924 in S.D.N. J.O. V,1 (1924), S. 1700.
103
zu haben17. Die wiederholt dem Rat übersandten Statistiken18 über den
Besuch der französischen Domanialschulen mußten zudem für Außen-
stehende die deutsche und die saarländische Erregung als unverständlich
erscheinen lassen. Abweichend von diesen Darlegungen der Regierungs-
kommission hatte Koßmann sich am 31. August 1924 in einem Sondergut-
achten19 zur Schulfrage von der Auffassung der übrigen Kommission distan-
ziert und auf die zentrale Bedeutung der Frage der französischen Schulen
im gesamten öffentlichen und politischen Leben an der Saar hingewiesen.
Die Bevölkerung sehe in den Verordnungen der Regierungskommission über
den Besuch der französischen Schulen eine Beeinträchtigung der im Friedens-
vertrag ihr ausdrücklich garantierten deutschen Schule und ihrer freien
Selbstbestimmung; er bitte deshalb um Auslegung der Schulbestimmungen
des Saarstatuts des Versailler Vertrages durch neutrale Richter, am besten
vom internationalen Schiedsgericht in Den Haag. Der Ratsbeschluß vom
11. Dezember 1924 war angesichts dieser Gegebenheiten eine beachtliche
Berücksichtigung der Gesichtspunkte der Bevölkerung und Koßmanns. Der
entscheidende Passus im Bericht des italienischen Ratsvertreters Salandra
lautete:
„. . . D’autre part, les rapports très détaillés que la Commission du gouvernement
nous a envoyés démontrent qu’elle s’est rendu compte, non seulement de l’aspect
juridique du problème de l’instruction publique dans la Sarre, mais aussi de son
aspect politique et moral et, notamment, de l’importance qu’a pris ce problème
dans l’opinion publique du territoire, circonstances qui donnent à la question des
écoles françaises une portée plus grande que celle qui résulterait d’une comparaison
pure et simple du petit nombre d’élèves qui fréquentent ces écoles et de ceux qui
fréquentent les écoles ordinaires du territoire. Personnellement, je me rapporte à
la sagesse de la Commission du gouvernement et j’ai pleine confiance qu’elle trou-
vera les moyens pour dissiper les inquiétudes que cette affaire semble avoir créées
dans certains milieux de la population sarroise.“ 20
Rault zog aus diesem Bericht auch die Konsequenz, daß auf diesen Beschluß
hin etwas geschehen müsse. In privaten Verhandlungen mit Ratsmitgliedern
in Genf erreichte er das Einverständnis des französischen, englischen und
italienischen Ratsmitgliedes zu einer Regelung, nach der die Verordnungen
zwar in Kraft bleiben sollten, aber in Zukunft die Erlaubnis zum Besuch
der französischen Domanialschulen für Kinder, deren Eltern nicht zum
Grubenpersonal gehörten, nur in Ausnahmefällen gegeben werden sollte21.
Am 6. Februar 1925 erließ die Regierungskommission eine Bekanntmachung,
die dem Ratsbeschluß vom Dezember Rechnung tragen sollte. Nach einer
Einleitung, in der auf die Klagen wegen des Druckes zum Besuch der
Domanialschulen und die Klagen wegen Belästigungen beim Besuch von
Domanialschulen hingewiesen war, hieß es:
„Die vorgebrachten Klagen veranlassen die Regierungskommission jedoch, öffent-
lich zu erklären, daß es jedem Angestellten der französischen Gruben nach den
17 Ebenda, IV,4 (1923), S. 419, Ber. der Reg. Kom. v. 8. 3. 1923.
18 Ebenda, IV,4 (1923), S. 419; V,9 (1924), S. 1192.
19 Ebenda, V,ll (1924), S. 1702f.
20 Ebenda, VI,2 (1925), S. 250.
21 Com. d. Gouv. Pr.-V. v. 4. 2. 1925, S. 9f.
104
bestehenden Gesetzen freigestellt ist, sein Kind in die öffentliche deutsche Volks-
schule oder in die Domanialschule zu schicken und daß ihm aus diesem freien Ent-
schlüsse kein Schaden von irgend jemand zugefügt werden darf. Die Regierungs-
kommission will diese Freiheit schützen und wird jedem, auf den ein unzulässiger
Zwang wegen der Wahl der Schule für seine Kinder ausgeübt wird, Schutz ge-
währen.“ 22
Eine zweite Bestimmung wies in dem oben gekennzeichneten Sinne auf die
Erschwerung des Besuchs der französischen Domanialschulen hin.
Die persönliche Entscheidungsfreiheit des Grubenpersonals war durch diese
Regelungen garantiert, und der Rechtsauffassung der saarländischen Parteien
war insofern Rechnung getragen, als Eltern, die nicht zum Grubenpersonal
gehörten, ihre Kinder grundsätzlich in die deutschen Volksschulen schicken
mußten. Aber Besuch der französischen Domanialschulen und Teilnahme am
fakultativen französischen Unterricht blieben im Denken der Parteien keine
persönliche und individuelle Angelegenheit, sondern eine politische Entschei-
dung. Deshalb nahm man auch in Zukunft im Landesrat, in der Presse und
in Lehrerkreisen immer wieder gegen beide Einrichtungen Stellung23. Da-
neben sah man in der Propaganda gegen die französischen Schulen eine der
wichtigsten Aufgaben zur Vorbereitung des Plebiszites. So kam die Frage
nie zur Ruhe. Die saarländische Lehrerkammer gab zwei Bücher über die
Domanialschulen24 mit grundsätzlichen Artikeln und mit reichem Dokumen-
tationsmaterial heraus; in fast allen Büchern über die Saar wurde die Schul-
frage als zentrales Problem dargestellt. Besonders seit 1929 wurde die Frage
wieder aktuell. Man glaubte eine neue Aktivität der Franzosen zur Ver-
mehrung des Zugangs zu den Grubenschulen wahrzunehmen. Am 13. Fe-
bruar 1929 veröffentlichten alle Parteien mit Ausnahme der Kommunisten
ein gemeinsames Manifest25, in dem sie die Eltern vor den französischen
Domanialschulen und dem fakultativen französischen Unterricht warnten.
Die Erlernung einer Fremdsprache sei an sich wertvoll, aber in der Situation
des Saargebietes stelle sie ein politisches Faktum dar und sei abzulehnen.
Die Regierungskommission dagegen betonte den unpolitischen und pädago-
gisch wertvollen Charakter dieser Einrichtungen, berichtete vom Erfolg der
Arbeit in den Domanialschulen und im fakultativen Unterricht und davon,
wie sie in der Organisation des französischen Unterrichts (Festsetzung der
Stundenzahlen und Verlegung des Unterrichts in den Nachmittag) seit 1926
die Wünsche der Lehrerschaft berücksichtigt habe26. Neben der grundsätz-
22 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1925, Nr. 86; S.D.N. J.O. VI,3 (1925), S. 315 u. VI,5 S. 766 f.
23 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 12; v. 12. 4. 1926, S. 5; v. 8. 7. 1927,
S. 145 u. S. 169 ff.; für die Landesratsäußerungen nach 1929 vgl. die weiteren Aus-
führungen.
24 Die französischen Domanialschulen im Saargebiet, I. Teil Saarbrücken 1929; II. Teil
Saarbrücken 1934.
25 Im Wortlaut veröffentlicht in „Deutsche Schule an der Saar“, Organ des Katholischen
Lehrerverbandes des Saargebietes, Jg. 1928/29, S. 486; unterzeichnet hatten die Zen-
trumspartei, die Sozialdemokratische Partei, die Deutsch-Saarländische Volkspartei,
die Wirtschaftspartei und die Deutschnationale Volkspartei; außerdem in S.L.Z., S.Z.
u. Volksstimme v. 13. 2. 1929. Bericht über das Manifest in S.D.N. J.O. X)6 (1929),
S. 962. Vgl. dazu und zu den folgenden Ausführungen auch Metzger, a. a. O., S. 72.
26 S.D.N. J.O. X,6 (1929), S. 964.
105
liehen Ablehnung der französischen Schulen und des französischen Unter-
richts stand eine sorgfältige Beobachtung des Verhaltens der Grubenver-
waltung und der Lehrer an französischen Schulen, ob sie nicht gegen die
Bekanntmachung der Regierungskommission vom Februar 1926 verstießen.
Der Zentrumsabgeordnete Martin berichtete am 25. Juli 1929 im Landesrat
ausführlich über französische Propaganda- und Druckmaßnahmen an ein-
zelnen Orten und erhielt die Unterstützung aller Parteien für seinen Protest
gegen die Druckmaßnahmen27. Die Zentrumspartei ließ es nicht dabei be-
wenden, sondern die Zentrumsfraktion des Landesrates faßte am 9. Februar
1930 eine Entschließung in demselben Sinne, die sie an den Präsidenten
Wilton sandte28. In einem offenen Brief29 nahm außerdem der Landesrats-
abgeordnete Kiefer am 1. Februar 1931 nochmals zu der Frage Stellung.
Die Regierungskommission griff alle Beanstandungen auf und führte eine
genaue Untersuchung über die beklagten Fälle durch, aber das Ergebnis wat-
dürftig30. Druckmethoden der offiziellen Grubenverwaltung ließen sich
nicht nachweisen, höchstens eine propagandistische Aktivität einzelner mitt-
lerer Grubenbeamten und einiger Lehrer an französischen Domanialschulen.
Die Grubenverwaltung veröffentlichte 1931 in Anschlägen in den Gruben
den Passus der Bekanntmachung der Regierungskommission vom Februar
1925, der allen die freie Entscheidung in der Schulfrage und den Schutz
gegen Druck zusicherte. Diese Bekanntmachung der Grubenverwaltung wie
die Untersuchungen der Regierungskommission erwiesen eindeutig, daß man
gewillt war, die 1925 geschaffene Rechtsbasis zu respektieren und gegen alle
Druckmaßnahmen einzuschreiten. Aber die Regierungskommission hatte
auch Beschwerden über Belästigungen und moralischen Druck von den
Eltern erhalten, die ihre Kinder zur Grubenschule schickten. Die Regierungs-
kommission untersuchte auch diese Fälle und kam zu dem Ergebnis, daß die
Klagen teilweise berechtigt seien. Außerdem war sie der Ansicht, daß sie
Propaganda gegen und für die Domanialschule nicht unterbinden könne.
Diese Rechtsauffassung widersprach dem Urteil der saarländischen Parteien,
und zu dem abschließenden Bericht der Regierungskommission über ihre
Untersuchungen nahm am 14. April 1931 der Zentrumsabgeordnete Martin
im Landesrat Stellung:
„. . . Es wird so der Anschein erweckt, als ob hüben und drüben gesündigt werde
und als ob die deutsche und französische Schule in voller Gleichberechtigung neben-
einander stünden. In Wirklichkeit ist es so, daß die deutschen Schulen als die
ursprünglichen und naturgegebenen den vollen Schutz des Versailler Vertrages
genießen, während die französischen Schulen eine Konzession darstellen an die
Franzosen, die sich zur Ausbeutung der Gruben hier als Gäste aufhalten. Es wäre
natürlich, wenn das Franzosenkind als Gast eine deutsche Schule besuchte. Es ist
aber unnatürlich, wenn ein deutsches Kind in die nur aus Entgegenkommen be-
willigte Auslandsschule geht. Demgemäß ist auch die Werbung für die Domanial-
27 Landesrat d. Saargeb., Sten. Bericht v. 25. 7. 1929.
28 S.L.2. Nr. 99 v. 10. 4. 1930; S.D.N. J.O. XI,6 (1930), S. 992.
29 S.D.N. J.O. XIII,1 (1932), S. 210.
30 Ebenda, XI,6 (1930), S. 994—997; XII,6 (1931), S. 994—997; XIII,1 (1932), S. 209—211;
auch zu den folgenden Ausführungen.
106
schule unnatürlich, erst recht, wenn mit unlauteren Mitteln gearbeitet wird. Die
Warnung vor dieser Schule ist aber sittlich berechtigt und durchaus erlaubt, daher
auch der Hirtenbrief unseres Bischofs . ,. Damit ist die Gleichstellung der Propa-
ganda mit der Gegenpropaganda vollständig abwegig . . 31-
Die übrigen Parteien vertraten denselben Standpunkt, wenn auch die
Sozialdemokratische Partei der Ansicht war, daß man die französischen
Schulen nicht so tragisch zu nehmen brauche, da man sich auf die deutsche
Bevölkerung verlassen könne, und daß die Frage endgültig nunmehr auf
dem Wege einer deutsch-französischen Verständigung gelöst werden könne32.
Während die Reichsregierung seit 1925 den grundsätzlichen Rechtsstand-
punkt der Regierungskommission resigniert hingenommen hatte33, ent-
zündete sich an der Saar die Propaganda gegen die Regierungskommission
und die Franzosen stets von neuem an diesem Punkt. Tatsächlich bedeuteten
die französischen Grubenschulen seit 1925 keine ernsthafte Gefahr mehr für
die Abstimmung. Das erhellen nicht nur ihre Besuchsziffern, sondern vor
allem ihre Rolle innerhalb des gesamten Schulwesens.
Das Berufsschulwesen
Die Förderung des Berufsschulwesens stellte die Regierungskommission in
ihren Berichten nach Genf als besonders bedeutsame Aufgabe dar34. Sie
sprach ausführlich von Bemühungen und Erfolgen auf diesem Gebiet. Am
1. Mai 1920 war ein besonderes Dezernat für Fach- und Berufsschulwesen
im Rahmen der Schulabteilung errichtet worden35. Die Dringlichkeit, sich
dieser Frage zuzuwenden, ergab sich aus der Tatsache, daß das Berufsschul-
wesen im gesamtdeutschen Raum erst zwischen den beiden Weltkriegen
seinen eigentlichen Ausbau erlebte. Ähnlich wie in Deutschland galt es auch
im Saargebiet, die Anregungen der großen Reformbewegungen zu verarbei-
ten und die organisatorische und geistige Gestalt der verschiedenen Berufs-
schulzweige zu finden. Eine Kommission von dreißig Mitgliedern zur Be-
ratung über die Fortentwicklung des Berufsschulwesens wurde von der Re-
gierungskommission berufen36. Die Gewerkschaften, die Handelskammer,
die Handwerkskammer, die Industrie, die Lehrerkammer, die Berufsschul-
lehrer und die großen Gemeinden waren in ihr vertreten37. Die Fragen
wurden also mit Interesse und Unterstützung der entsprechenden Kreise
erörtert. Das eigentliche Programm zum Ausbau dieses Schulzweiges wurde
von dem Dezernenten, dem Saarländer Martin, mit einem kleinen Kreis von
Pädagogen erarbeitet38. Auch die gesetzliche Regelung des Berufsschulwesens
wurde in Aussicht genommen39. Eine feste finanzielle Basis und Ordnung
31 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 14. 4. 1931, S. 46 f.
32 Ebenda, S. 49 f.
33 A.A. Bes. Geb. II, Saargebiet, Pol. Parteien, Bd. 3, II SG 825.
34 Bes. im 11. period. Bericht v. 8. 4. 1922: S.D.N. J.O. III,5 (1922), S. 464.
35 Z e n n e r, a. a. O., S. 246.
36 S.D.N. J.O. III,5 (1922), S. 464.
32 Ebenda: IV,1 (1923), S. 104.
38 Z e n n e r, a. a. O., S. 246.
39 Vgl. Anm. 37.
107
wurde durch eine Verordnung der Regierungskommission vom 24. Juni
192240 gewonnen. Die Regierungskommission übernahm vom 1. April 1922
an die Personallasten für die Berufsschulen und erklärte die Lehrer zu un-
mittelbaren Staatsbeamten. Die Sachkosten mußten die Gemeinden tragen;
aus den Beiträgen der Arbeitgeber wurden besondere Fonds zur Unter-
stützung von ärmeren Schülern und zur Beschaffung von Lehr- und Lern-
mitteln für diese gebildet. 1924 wurden Gewerbelehrerkurse im Saargebiet
eingerichtet und die Ausbildung der Berufsschullehrer genau geregelt41. In
den folgenden Jahren entwickelten sich die Berufsschulen rasch. Sie glieder-
ten sich in gewerbliche, hauswirtschaftliche, allgemeine und kaufmännische
Berufsschulen42. Besonders in der Stadt Saarbrücken stiegen die Schüler- und
Klassenzahlen stetig an. Hier wurden auch zentrale Berufsschulklassen für
die Umgebung geschaffen. Zur Lösung der Schwierigkeiten bei der Bereit-
stellung der Schulräume kam es zu einem engen Zusammenwirken zwischen
Regierung und Stadt43. Der Ausbau dieses Schulwesens entsprach echten
Bedürfnissen und wurde durch Förderung und Unterstützung aller inter-
essierten Kreise möglich. Obwohl die Berufsschulpflicht gesetzlich zunächst
nicht geregelt wurde, erlitt der Ausbau dadurch keine Einbuße.
Die Aktivität der Schulabteilung in der Berufsschulfrage blieb trotz der
allgemeinen Bejahung dieser Schulgattung nicht völlig unberührt vom Miß-
trauen der Bevölkerung und der Parteien. Die Errichtung saarländischer
Ausbildungsstätten, die Abhängigkeit der Berufsschullehrer von der Regie-
rung und die Tatsache, daß die Fortbildungsinstitutionen der Grubenver-
waltung ebenfalls unter dieses Schulwesen fielen44, nährten teilweise die
Auffassung, daß die Regierungskommission mit diesen Schritten versuche,
die Jugend profranzösisch zu beeinflussen45. Zum Beleg wurde die Rede des
Abgeordneten Ferry vom Februar 1923 herangezogen, der im Zusammen-
hang mit den Einflußmöglichkeiten Frankreichs über die Schulen im Saar-
gebiet die Bedeutung der Fortbildungsschulen betont hatte46. Aus solchen
Interpretationen war eine gewisse Reserve gegenüber der gesetzlichen Rege-
lung des Berufsschulwesens besonders bei der Deutsch-Saarländischen Volks-
partei gegeben.
Im Jahre 1927 schritt die Regierungskommission schließlich zu der seit 1922
geplanten Gesetzgebung47. Ein Rahmengesetz für das Berufsschulwesen
wurde vorgelegt, das die Berufsschulpflicht bis zum 18. Lebensjahr festlegte.
40 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1922, Nr. 366; S.D.N. J.O. III,8 (1922), S. 776; Zenner,
a. a. O., S. 246.
41 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1924, Nrn. 166—170; S.D.N. J.O. IV,1 (1923), S. 105.
42 Die Regierungskommission gab mehrmals eine Übersicht über die Entwicklung, bes.
S.D.N. J.O. VII,3 (1926), S. 387, u. XII,9 (1931), S. 1788. Eine Darstellung der Ent-
wicklung des Berufsschulwesens im Saargebiet enthält: E. Ney, Das Fach- und
Berufsschulwesen des Saargebietes. Würzburg 1936; einen Überblick über die Ent-
wicklung der verschiedenen Berufsschulzweige in Saarbrücken enthält Zenner,
a. a. O., S. 246—251.
« S.D.N. J.O. IV,1 (1923), S. 105, u. VIII,6 (1927), S. 686; Zenner, a. a. O., S. 247.
44 S.D.N. J.O. IV,1 (1923), S. 105.
45 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 8. 7. 1927, S. 172.
46 Ebenda, S. 178 f.
42 S.D.N. J.O. VIII,6 (1927), S. 686.
108
Dieses Rahmengesetz wurde am 8. Juli 1927 im Landesrat verabschiedet,
nachdem es vorher in sieben Kommissionssitzungen beraten48 und die von
der Vorlage abweichende Stellungnahme einer Mehrheit aus Zentrum und
Deutsch-Saarländischer Volkspartei und einer Minderheit aus Kommunisten
und Sozialdemokraten fixiert worden war49. Alle Parteien sprachen in der
Landesratssitzung erneut zu dem Entwurf. Die von der Regierungskommis-
sion vorgelegte Verordnung entsprach im wesentlichen dem preußischen
Berufsschulgesetz vom 31. Juli 1923 und wo sie über dieses Gesetz hinaus-
ging, folgte sie dem badischen Gesetz50. Die positivste Einstellung zu dem
gesamten Gesetzentwurf zeigten die Sozialdemokraten und Kommunisten.
Sie forderten als Sonderwünsche besonders die Befreiung aller Schüler von
irgendwelchen Ausgaben für Bücher, Fahrgeld usw. und die Schaffung von
Schülerausschüssen. Die Zentrumspartei stimmte dem Verordnungsentwurf
mit den in der Kommission erarbeiteten Veränderungszusätzen unter der
Bedingung zu, daß der Religionsunterricht obligatorisches Fach in der Be-
rufsschule werde und Geistliche in die Schulausschüsse berufen würden51.
Außerdem wollte sie einen Absatz gegen die Koedukation52. Die Deutsch-
Saarländische Volkspartei riet der Regierungskommission grundsätzlich von
der Inkraftsetzung der Verordnung ab, da die Berufsschule sich auch ohne
diese gesetzliche Festlegung stetig weiterentwickele53. Eine solche könne nach
der Rückgliederung erfolgen. Für den Fall des Inkrafttretens der Verord-
nung erklärte sie sich für das Mehrheitsgutachten der Kommission. Da dieses
aber die besonderen Forderungen des Zentrums über den Religionsunterricht
und die Ablehnung der Koedukation einschloß, präzisierte die Deutsch-
Saarländische Volkspartei die Auffassungen über den lebenskundlichen
Unterricht auf konfessioneller Grundlage dahingehend, daß er freiwillig
sein und am Rande des normalen Stundenplanes liegen müsse54. Alle Par-
teien hatten gemeinsam vor allem zwei Veränderungswünsche. Die Regie-
rungskommission hatte Neuerrichtungen „nach Anhören“ der Kreis- und
Gemeindevertretungen vorgesehen, die Parteien verlangten statt dessen „im
Einvernehmen mit“; außerdem sah der Entwurf der Parteien statt des Vor-
schlagrechtes der Schulausschüsse (Liste mit drei Kandidaten) die Wahl der
Lehrkräfte durch die Schulausschüsse und die Gemeindevertretungen vor und
räumte der Regierungskommission nur ein Bestätigungsrecht ein55. Man trug
hier dem wiederholt vorgetragenen Wunsch nach größerer Selbständigkeit
der Gemeinden Rechnung. Die endgültige Verordnung der Regierungskom-
mission56 griff einzelne Forderungen der Parteien auf, blieb aber bei der
ursprünglichen Fassung über die Mitwirkung der Gemeinden und Kreisver-
48 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 8. 7. 1927, S. 132.
49 Ebenda: Im Anhang zum Sten. Bericht v. 8. 7. 1927 Kommissionsbericht, der die
Regierungsvorlage, das Minderheits- und Mehrheitsgutachten nebeneinander enthält.
50 Ebenda, Sten. Ber. v. 8. 7. 1927, S. 163.
51 Ebenda, S. 172.
52 Ebenda, S. 166.
53 Ebenda, S. 181.
54 Ebenda, S. 181 f.
55 Ebenda: Kommissionsbericht im Anhang S. 4.
56 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1928, Nr. 465.
109
tretungen und die Zusammensetzung der Schulausschüsse. Besonders mußte
die Regierungskommission sich mit den Wünschen der Zentrumspartei aus-
einandersetzen, die das Mehrheitsgutachten bestimmt hatte. Diese Wünsche
entsprachen übrigens nicht dem preußischen Rahmengesetz. Die Regierungs-
kommission versuchte, in der endgültigen Verordnung eine Art Ausgleich
zwischen den vorgetragenen Meinungen zu schaffen. Der lebenskundliche
Unterricht wurde den Religionsgemeinschaften zugewiesen und sollte auf
konfessioneller Grundlage erfolgen57 58. Eine Anregung der Sozialdemokra-
tischen Partei38 griff sie auf, indem sie festsetzte, daß die Kosten für diesen
Unterricht zu Lasten der Religionsgemeinschaften gehen. In den Ausfüh-
rungsbestimmungen zur Verordnung59 über die Berufsschulen wurde dieser
lebenskundliche Unterricht als ordentliches, obligatorisches Fach bezeichnet,
Abmeldungen von diesem Unterricht waren möglich. Die von den Par-
teien in dieser Diskussion beanstandete Sonderausbildung der saarländischen
Gewerbelehrer blieb zwar noch einige Jahre bestehen, folgte aber bereits
seit 1926 durch Übernahme der entsprechenden Bestimmungen dem preu-
ßischen Vorbild60. 1931 wurden die saarländischen Seminare und Kurse
aufgehoben, und ab Ostern 1931 besuchten die Saarländer die Ausbildungs-
stätten in Preußen61.
Die Volksschule
Die saarländische Volksschule behielt äußerlich und innerlich ihre deutsche
Gestalt. Abgesehen von der zeitweisen und nur örtlichen Gefährdung ein-
zelner Volksschulen durch die französischen Domanialschulen wurde die
Volksschule in ihrer deutschen Eigenart nie bedroht. Versuche zu einem
ernsthaften Eingriff in ihre Struktur und ihren Geist unternahm die Re-
gierungskommission nicht; ihre Schulpolitik auf diesem Sektor respektierte
die Vorgefundenen, im Saarstatut garantierten Verhältnisse. Die Vertreter
der Lehrerverbände, der Geistlichkeit und der Parteien gewannen entschei-
denden Einfluß bei Fragen der Weiterentwicklung. Das Verhältnis zu dem
Direktor der Schulabteilung, Notton, war zwar wegen seiner Haltung in
der Frage der französischen Domanialschulen gespannt62, aber als katho-
lischer Geistlicher und Mitglied der Zentrumspartei griff er auch Wünsche
der Zentrumspartei auf63. Nach seinem Eintritt ins Kultusministerium
wurde der Plan einer Reform der Volksschule im Sinne der Einheitsschule
fallengelassen64 und die Aufrechterhaltung der konfessionellen Volksschule
ausdrücklich zugesichert6S.
57 Ebenda: § 1, Absatz 2 der Verordnung.
58 Landesrat d. Saargeb., Sten. Bericht v. 8. 7. 1927, S. 155.
59 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1928, Nr. 766.
60 A. a. O. Jg. 1926, Nr. 155 u. Jg. 1927, Nr. 80.
61 A. a. O. Jg. 1930, Nr. 426.
62 Näheres zu Notton unten S. 161.
63 Das warf die Sozialdemokratische Partei der Zentrumspartei vor, z. B. in der Landes-
ratssitzung v. 30. 10. 1923, Sten. Ber., S. 23.
64 S.D.N. J.O. 11,5/6 (1921), S. 630.
65 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 23. 10. 1923, S. 8 und S. 10.
110
Eine Kontroverse zwischen Regierungskommission und Landesrat in Volks-
schulfragen ergab sich, als die Regierung als Konsequenz der Übernahme
der Personallasten für Volksschullehrer66 1923 einen Verordnungsentwurf
über die Bildung von Schulkommissionen vorlegte. Der Verordnungsentwurf
legte das Berufungs- und Ernennungsrecht grundsätzlich in die Hand der
Regierung, sah für die Schulkommissionen aber noch eine begrenzte Mit-
wirkung vor 67. Alle Parteien lehnten in der Beratung im Landesrat am
30. Oktober 1923 den Verordnungsentwurf ab, weil darin die Selbständig-
keit der Gemeinden beschnitten werde68; die Sozialdemokraten, die Demo-
kraten und die Kommunisten lehnten den Entwurf außerdem ab, weil er
eine weitere „Konfessionalisierung“ des Schulwesens bedeute69. Die Zen-
trumspartei dagegen begrüßte im Verordnungsentwurf den Gedanken der
Schaffung konfessioneller Schulkommissionen mit Hinzuziehung von Geist-
lichen und Eltern70. Sie legte einen vollständig neuen Entwurf vor, in dem
die Kompetenz der Schulkommissionen erweitert, also die beklagte Beschnei-
dung der Gemeinderechte nicht enthalten war, aber die Vorschläge über die
Beteiligung der Geistlichen und der Eltern aus dem Regierungsentwurf auf-
gegriffen waren71. Die Regierungskommission verzichtete daraufhin zu-
nächst auf eine gesetzliche Regelung; in der Praxis wurde ein Mittelweg
zwischen ihren Vorstellungen und den Forderungen der Parteien einge-
halten72. Gesetzlich wurde die Frage der Ernennung der Lehrer erst 1930
gelöst, als die Regierungskommission auf Wunsch des Landesrates73 einen
Verordnungsentwurf vorlegte, der der preußischen Regelung entsprach. Mit
Ausnahme der Stimmen der Kommunisten wurde er einstimmig vom Lan-
desrat am 21. Januar 1930 angenommen74. Für den bayrischen Teil des
Saargebietes galt das Ernennungsrecht der Regierungskommission, weil das
der bayrischen Gesetzgebung entsprach75. Bei der Diskussion 1923 hatte sich
der Zentrumsredner aus dem pfälzischen Teil des Saargebietes gegen eine
Vereinheitlichung der Gesetzgebung ausgesprochen76.
Auch die übrigen gesetzlichen Regelungen auf dem Gebiet der Volksschule
richteten sich nach der deutschen Entwicklung. Die geistliche Schulaufsicht
wurde nach dem Willen der Lehrerschaft abgeschafft, nachdem man vorher
mit den Bischöfen von Trier und Speyer verhandelt hatte77. Die Verordnung
66 Vgl. dazu oben S. 101.
67 S.D.N. J.O. IV,12 (1923), S. 1561; außerdem die Ausführungen des Staatskommissars
zu Beginn der Landesratssitzung v. 30. 10. 1923, Sten. Ber., S. 1 f.
68 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 30. 10. 1923, S. 8 u. S. 12 ff.: Zentrum in breiten
Erörterungen über die Reckte der Gemeinden mit einer staatsrechtlichen Begründung
im Sinne des Subsidiaritätsprinzips; S. 21 Sozialisten; S. 23 f. die Kommunisten;
S. 24 die Demokraten. Die Liberale Volkspartei hatte aus anderen Gründen der
Sitzung nicht beigewohnt, teilte aber den allgemeinen Standpunkt.
69 Ebenda, S. 22; S. 23 a; S. 24.
70 Ebenda, S. 12.
71 Ebenda, S. 16—18.
72 H. S. Weber, Der Kampf um die Saar, Berlin 1928, S. 128.
73 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 21. 1. 1930, S. 50.
74 Ebenda, S. 56; Verordnung veröffentlicht im Amtsblatt der Reg.-Kom. 1930, Nr. 96.
75 S.D.N. J.O. XI,5 (1930), S. 483.
76 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 30. 10. 1923, S. 19.
77 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1921, Nr. 550; S.D.N. J.O. 11,8 (1921), S. 846.
111
vom 23. März 1926 über die religiöse Kindererziehung78 folgte ebenfalls
der deutschen Gesetzgebung und wurde vom Landesrat bejaht79. Die Re-
gierungskommission wies in ihrem Bericht nach Genf darauf hin, daß es
wichtig sei, die Einheit der gesetzlichen Regelung in dieser Frage herzu-
stellen, da häufig Kinder aus Deutschland nach einer Übersiedlung ihrer
Eltern saarländische Schulen besuchten80. Der Abbau der Lehrerseminare in
Preußen führte auch im Saargebiet zur Umwandlung der Lehrerseminare
in Höhere Schulen (Landesstudienanstalten)81. Der Plan, eine eigene päd-
agogische Hochschule im Saargebiet zu gründen, wurde fallengelassen, da
Lehrerüberschuß bestand. Die Saarländer besuchten die pädagogischen Aka-
demien in Preußen und Hessen82.
Für die innere Gestalt der Volksschule wurde die Erarbeitung eines neuen
Bildungs- und Arbeitsplanes entscheidend. Er wurde unter Leitung des
Volksschuldezernenten Dr. Lichthardt mit Kommissionen saarländischer
Schulleute in den Jahren 1921/22 fertiggestellt83. Es ging vor allem um eine
Aufnahme der pädagogischen Anregungen, die von der Arbeitsschulbewe-
gung und der Idee des Heimatprinzips im Unterricht ausgegangen waren84.
Der Plan wurde 1922 veröffentlicht. Er schützte die saarländische Volks-
schule vor einer inneren Erstarrung durch die Isolierung und zeugte von der
geistigen Auseinandersetzung mit den aktuellen pädagogischen Problemen
im deutschen Bildungsraum. Er entsprach ähnlichen Bildungsplänen in den
deutschen Ländern, besonders in Preußen.
Eine interessante und rein saarländische Neuregelung entsprang aus dem
Bemühen der Reformkommissionen um die Durchlässigkeit des Schulwesens,
die Gründung der sog. „Sonderklassen“ 85. In größeren ländlichen Orten des
Saargebietes wurden für begabte Volksschüler ab dem 5. Schuljahr drei-
jährige Kurse in Französisch oder Latein neben dem Volksschulunterricht
eingerichtet. Der Unterricht wurde von Lehrern der Höheren Schule erteilt
und ermöglichte nach erfolgreichem Besuch den Eintritt in die entsprechen-
den Klassen der Höheren Schule ohne Prüfung und ohne Zeitverlust. Diese
Schulen trugen der besonderen Struktur des Saargebietes Rechnung und
78 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1926, Nr. 174.
79 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 11. 2. 1926: Alle Parteien außer den Kommunisten
stimmten zu. Die Sozialdemokraten hatten zwar gewisse Bedenken gegen die Ver-
ordnung, stimmten ihr aber wegen der Rechtsangleichung an die deutschen Verhält-
nisse unter der Bedingung zu, daß die §§ 135 bis 150 der Deutschen Reichsverfassung
über das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im Saargebiet eingeführt würden
(ebenda, S. 11—15).
8° S.D.N. J.O. VII,9 (1926), S. 1126.
81 Ebenda: III,5 (1922), S. 464.
82 W. Martin, Um die pädagogische Akademie im Saargebiet, in: Die deutsche Schule
an der Saar, 5. Jg. 1925/26 S. 102—106 stellt die Entwicklung dieser Frage dar;
außerdem: Deutsche Schule an der Saar, 6. Jg. 1926/27 S. 179: Saarländer auf der
pädagogischen Akademie in Bonn.
83 S.D.N. J.O. III,5 (1922), S. 464.
84 Bildungs- und Arbeitsplan für die achtklassigen Volksschulen des Saargebietes, grund-
legend dargestellt von praktischen Schulmännern, Saarbrücken 1922: die Grundsatz-
kapitel S. 5—16 handeln von diesen Reformideen.
85 Berichte der Reg.-Kom. darüber: S.D.N. J.O. IV,7 (1923), S. 756; VIII,9 (1927),
S. 1051; XVI,4 (1935), S. 525.
112
waren geeignet, Fortbildungsbestrebungen in den konservativ-ländlichen
Gebieten zu wecken.
Für die innere Gestalt der saarländischen Volksschule wurde es aber von
entscheidender Bedeutung, daß die Sondersituation des Saargebietes einen
starken Behauptungswillen und eine große geistige Lebendigkeit und Aktivi-
tät der Lehrerschaft entfesselt hatte86. Die Lehrerkammer des Saargebietes
trug der Regierungskommission in einer Vielzahl von Eingaben immer
wieder ihre Wünsche über organisatorische und innere Fragen der Schule
vor87. Die Lehrerverbände machten ebenfalls Eingaben87; und die beiden
Lehrervertreter im Landesrat Martin (Zentrumspartei) und Schneider (So-
zialdemokratische Partei) sorgten für die Einheit der Bemühungen von
Lehrerschaft und Parteien. Es gelang den Verbänden, von der Regierungs-
kommission die Erlaubnis zur Wiederangliederung an die deutschen Orga-
nisationen zu erhalten88, und die saarländischen Lehrer nahmen an Fort-
bildungstagungen in Deutschland teil89. Vor allem aber wurden im Saar-
gebiet eine Fülle von Weiterbildungsmöglichkeiten von der Lehrerschaft
selbst geschaffen. Die Lehrerkammer richtete Hochschulkurse ein, für die
angesehene deutsche Pädagogen, Psychologen und Theologen gewonnen
wurden. In Saarbrücken wurde eine Zweigstelle des Deutschen Institutes für
Wissenschaftliche Pädagogik (Münster) errichtet, die ebenfalls Vortrags-
reihen und Arbeitstagungen veranstaltete; auch die Saarbrücker Abteilung
der Verwaltungsakademie Frankfurt bot pädagogische Vortragsreihen an90.
Diese Bemühungen wurden finanziell von deutschen Institutionen, von der
preußischen Regierung91 und von der Regierungskommission unterstützt92.
So entstand ein intensives pädagogisches Leben an der Saar, das sich in
einem beachtlichen Niveau in den saarländischen Lehrerzeitschriften der
damaligen Zeit spiegelte. Man kann von einer Blüte des damaligen Volks-
schulwesens an der Saar sprechen.
Das mittlere und höhere Schulwesen
Auch die weiterführenden Schulen blieben in ihrer deutschen Eigenart er-
halten. Die Lehrer für die Höheren Schulen führten ihre Studien an deut-
schen Universitäten durch; die Mittelschullehrerprüfung mußte weiterhin
vor der preußischen Provinzialschulbehörde in Koblenz abgelegt werden;
86 Darüber auch Z e n n e r, a. a. O., S. 243 f.
87 Z. B. Deutsche Schule an der Saar, 5. Jg. 1925/26, S. 718 ff.; 6. Jg. 1926/27, S. 288 ff.
u. S. 536 f.
88 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. Mai 1924, S. 56.
89 Deutsche Schule an der Saar, 5. Jg. 1925/26, S. 245ff.; 6. Jg. 1926/27, S. 182; 8. Jg.
1928/29, S. 99.
90 Z e n n e r, a. a. O., S. 234.
91 In Köln saß als Verbindungsmann der preußischen Regierung zum Saargebiet Regie-
rungsrat Watermann, der die kulturellen, kirchlichen und caritativen Institutionen
finanziell unterstützte. Die Regierungskommission berichtete erst davon nach Genf,
als sie 1934 anläßlich einer Haussuchung bei der Deutschen Front auf diese Ein-
richtung stieß. Vgl. unten S. 256 Anm. 46.
97 S.D.N. J.O. VIII,9 (1927), S. 1051 f.; XIII,1 (1932), S. 202; XIII,4 (1932), S. 973.
113
die preußische Ordnung für die Ausbildung und die Prüfung für das Lehr-
amt an Handelsschulen wurde 1923 an der Saar eingeführt93; die preußische
Prüfungsordnung für das künstlerische Lehramt vom 22. Mai 1922 wurde
zum 1. Oktober 1928 übernommen94. Soweit Examina nicht in Deutschland
abgelegt wurden, führte die Regierungskommission mit den entsprechenden
deutschen Stellen Verhandlungen über die Anerkennung in Deutschland95.
Lehrpläne und neue Formen und Zweige des Höheren Schulwesens richteten
sich nach dem preußischen Vorbild. Z. B. erfuhr das städtische Reformreal-
gymnasium in Saarbrücken einen Ausbau und eine Umgestaltung im Lehr-
plan im Sinne der preußischen Richtlinien von 1925; die städtische Augusta-
Victoria-Schule und die Ursulinenschule in Saarbrücken wurden nach dem
preußischen Vorbild in Oberlyzeen umgewandelt und beide errichteten
einen Zweig „Realgymnasiale Studienanstalt“ 96. Für die Mittelschulen wurde
in lebendiger Auseinandersetzung mit der Reformpädagogik ebenfalls ein
neuer Bildungsplan erarbeitet97. Alle weiterführenden Schulen benutzten
deutsche Lehrbücher, teilweise mit ausgesprochen nationalen Tendenzen98.
Die Regierungskommission ließ dem Höheren Schulwesen eine wohlwollende
Förderung zuteil werden durch Finanzierung von Schulhausneubauten und
Unterstützung des Ausbaues der Höheren Schulen99. Die in Landesstudien-
anstalten umgewandelten Lehrerseminare stellten eine Kurzform der Höhe-
ren Schule dar (Aufbauschulen) 10°, führten aber zum Abitur. Sie waren in
den ländlichen Randgebieten des Saarlandes eine sinnvolle Einrichtung.
Außerdem errichtete die Regierungskommission eine staatliche Kunst-
schule101 und eine Ingenieurschule102 in Saarbrücken. Diese Einrichtungen
und auch andere kulturelle Maßnahmen wie die Gründung des Saarland-
museums und des staatlichen Konservatoramtes zeigten den Willen der
Regierungskommission zur Förderung des kulturellen Lebens103. Diese Po-
litik hatte teilweise, wie z. B. bei der Errichtung der Ingenieurschule, auch
als Beweis zu dienen, daß die Regierungskommission ein eigenständiges
saarländisches Bildungswesen, das von den Preußen vernachlässigt worden
sei, fördern wolle104.
93 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1923, Nr. 685.
94 Ebenda, Jg. 1928, Nr. 117.
95 S.D.N. J.O. X,9 (1929), S. 1338.
96 Ebenda: XVI,4 (1935), S. 254 f., u. Zenn er, a. a. O., S. 245.
97 Uber den Ausbau der Mittelschulen die Reg.-Kom.: S.D.N. J.O. XII,9 (1931), S. 1788;
über den Lehrplan und die Reformbestrebungen Zenner, a.a.O., S. 245. Nach Ab-
schluß dieser Arbeit erschien noch Ch. Röger, Die Cecilienschule zu Saarbrücken, Ein
Schulreformversuch Franz Joseph Niemanns in den Jahren 1912—1924, Veröffent-
lichungen des Instituts für Landeskunde des Saarlandes 13, Saarbrücken 1965.
98 Die Reg.-Kom. berichtete gelegentlich von der Einführung deutscher Lehrbücher:
S.D.N. J.O. VII,3 (1926), S. 386. Die Sozialdemokraten nahmen öfter gegen natio-
nalistische Tendenzen in Lehrbüchern Stellung: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v.
8. 7. 1927, S. 147 ff.; vgl. auch unten S. 186.
99 S.D.N. J.O. XII,3 (1931), S. 386; XVI,4 (1935), S. 254f.
100 Ebenda: III,5 (1922), S. 464; VIII,9 (1927), S. 1050.
101 S.D.N. J.O. VII,3 (1926), S. 386.
102 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1922, Nr. 595.
103 S.D.N. J.O. VII,12 (1926), S. 1607 ff.
104 So die Reg.-Kom. selbst in ihrem 7. Bericht: S.D.N. J.O. 11,5/6 (1921), S. 631.
114
Eine Betrachtung der Entwicklung des saarländischen Schulwesens während
der Zeit der Völkerbundsregierung zeigt also, daß die Befürchtungen der
ersten Jahre sich nicht erfüllt hatten. Wie im Saarstatut vorgesehen, waren
das bestehende Schulwesen von fremden Einflüssen unberührt und die vom
französischen Staat eingerichteten Schulen trotz günstiger gesetzlicher Vor-
aussetzungen eine bedeutungslose Randerscheinung im Bildungwesen ge-
blieben. Die gewissen staatsdirigistischen Tendenzen der Regierungskommis-
sion hatten in den ersten Jahren zu scharfen Auseinandersetzungen der
Regierungskommission und der Stadt Saarbrücken geführt105, aber auf die
Dauer wirkten sie sich finanziell und organisatorisch für das Schulwesen
günstig aus, ohne daß Initiative und Mitwirkung der Lehrerschaft und der
Gemeinden verhindert wurden. Die Bindung der Regierungskommission an
die demokratische Vorstellungswelt des Völkerbundes hatte sie von Anfang
an auch Wege zur Zusammenarbeit mit den führenden Lehrerkreisen be-
schreiten lassen und hatte diesen und den deutschen Dezernenten der Schul-
abteilung schon in den ersten Jahren die Ausgestaltung des Schulwesens
überlassen. Eine Zusammenarbeit war entstanden, die institutionell und
geistig zu einem Ausbau des saarländischen Schulwesens geführt und dieses
wesentlich bereichert hatte. Die nach 1926 in zunehmendem Maße voll-
zogene Rechtsangleichung an die preußischen Reformen und Gesetze aus der
Zeit nach 1920 unterstrich auch gesetzlich den deutschen Charakter des
Schulwesens.
Die Regierungskommission vertrat jedoch auch ein eigenes Anliegen, dem sie
selbst in der Kulturpolitik des Saargebietes große Bedeutung zumaß. Sie
wollte zu den Ideen des Völkerbundes und der Völkerversöhnung erziehen.
Sie unterstützte deshalb den Besuch von Lehrerferienkursen106, die über
diese Ideen unterrichteten. Nach dem Eintritt Deutschlands in den Völker-
bund hielt sie außerdem den Zeitpunkt für gekommen, in den Schulen einen
Unterricht über den Völkerbund anzuregen107. Der Westschweizer Du
Paquier, der in der saarländischen Schulabteilung den fakultativen fran-
zösischen Unterricht beaufsichtigte, verfaßte eine Broschüre für diesen
Unterricht108, und die Probleme wurden 1928 auf die Tagesordnung aller
Lehrerarbeitsgemeinschaften gesetzt109. Es kam zu einer Diskussion inner-
halb der Lehrerschaft. Grundsätzlich wurden die Ideen der Völkerverstän-
digung und der internationalen Friedensinstitutionen auch für den Unter-
richt allgemein bejaht, aber nicht enthusiastisch aufgenommen. Man übte
gegenüber den Ferienkursen in Genf, obwohl man ihre politische Neutralität
anerkannte110, eine gewisse Zurückhaltung und rief immer wieder die Er-
innerung an die ersten Jahre wach, in denen die Verbindungen nach der
105 2 c n n c r b. 3. O. S*242 f,
106 S.D.N. J.O. VII,3 (1926), S. 387; VII,12 S. 1609; VIII,9 (1927), S. 1052; IX,12 (1928),
S. 2016; X,12 (1929), S. 1231 f.; XI,12 (1930), S. 1792; XIII,1 (1932), S. 202; XIV,1
(1933), S. 139.
107 Ebenda: VII,12 (1926), S. 1609; IX,8 (1928), S. 1343 f.
108 S.D.N. J.O. VIII,3 (1927), S. 305 f.
109 Ebenda: IX,3 (1928), S. 292.
HO Deutsche Schule an der Saar, 8. Jg. (1928/29), S. 213, Anm. der Schriftleitung.
115
Westschweiz und Frankreich von der Regierungskommission begünstigt,
nach Deutschland aber unterbunden worden waren111. Daran änderte sich
auch nichts, als in Berlin112 entsprechende Kurse stattfanden, die ebenfalls
von saarländischen Lehrern mit finanzieller Unterstützung der Regierungs-
kommission besucht wurden. Audi in den Schulen kam die Unterrichtung
über internationale Friedensinstitutionen und -bemühungen wenig zur Gel-
tung. Man übte im Landesrat und in den Lehrerzeitschriften scharfe Kritik
an den vorgeschlagenen Lehrbüchern, vor allem wenn darin französische
Friedensapostel oder Ideen besonders breit dargestellt wurden113. Außerdem
lebte das Ressentiment gegenüber der Saarsituation stets erneut auf:
„. . . Wer will es uns ferner übelnehmen, daß wir in der Verteidigung der mensch-
lichen Urrechte, der Verbundenheit mit unserem Volk, skeptisch werden gegen
einen internationalen Geist, der bei uns vertreten ist durch eine Verwaltung, die
durch das Versailler Diktat zu der dritten Abstimmungsmöglichkeit gehört.. .“ I14.
Solche Auffassungen verhinderten eine Befruchtung des Geistes der saar-
ländischen Schulen, wenn auch die Sozialdemokraten115 und einige Päda-
gogen zu einer gültigen Konzeption über die Verbindung von nationaler
Selbstbestimmung und internationaler Friedenspolitik gelangt waren116. Die
Kampf- und Abstimmungssituation überschattete solche Bemühungen und
prägte das geistige und politische Klima der Schulen und das Verhältnis zur
Regierungskommission.
Arbeitsrecht und Sozialversicherungen
Die Entwicklung des Arbeitsrechts und der Sozialversicherungen war im
Saargebiet in ganz besonderer Weise durch die Kompliziertheit des in Ver-
sailles geschaffenen Systems belastet. In anderen Zusammenhängen wurden
die entsprechenden Bestimmungen bereits genannt, die hier noch einmal
kurz zusammengefaßt werden sollen: Die grundsätzliche Festlegung auf die
Rechtsordnung vom 11. November 1918 auch in dieser Materie1, die Bin-
dung der Regierungskommission an die vom Völkerbund angenommenen
fortschrittlichen Grundsätze über Arbeitsrecht2, das Verbot, die bestehende
Rechtsordnung für die Gruben ohne Befragung des französischen Staates
zu verändern3, die Garantie der Versicherungsansprüche der saarländischen
111 Ebenda, 8. Jg. (1928/29), S. 90f.: Erinnerungen an bekannte Genfer Ausflüge; Jg. 10
(1930/31), S. 110: Genfer Sommerkurse.
H2 S.D.N. J.O. XI,3 (1930), S. 280.
113 Deutsche Schule an der Saar, 8. Jg. 1928/29, S. 451 ff.: W. Hard, Ein Lesebuch des
Völkerfriedens.
m Deutsche Schule an der Saar, 8. Jg. 1928/29, S. 213; ähnliche Gedanken ebenda,
S. 102f.: Hard, Der Tag des guten Willens, und 6. Jg. 1926/27, S. 363.
115 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 25. 7. 1929, S. 321. Vgl. auch unten S. 186.
116 Vgl. dazu Zenner, Der Völkerbund im Unterricht der Volksschule, in: Neue
Deutsche Schule, Frankfurt (Main), Mai 1928.
1 § 12 und § 23 des Saarstatuts; vgl. auch oben S. 57.
2 § 23 Absatz 4 des Saarstatuts; darüber auch oben S. 33.
3 § 23 Absatz 3 des Saarstatuts; vgl, auch oben S. 33 f.
116
Arbeiter und Angestellten der Gruben durch den französischen Staat, dem
die Deutsche Reichsregierung dazu die mathematischen Reserven auszu-
zahlen habe4, und die Garantie der übrigen Versicherungs- und Renten-
ansprüche durch das Deutsche Reich und die Regierungskommission5.
Auch erste Grundpositionen der Regierungskommission wie der Bevölke-
rung, die sich für die Weiterentwicklung abzeichneten, wurden bereits be-
rührt: Das Ziel der Regierungskommission, ein autonomes saarländisches
Versicherungswesen zu schaffen6, und das Bestreben der Gewerkschaften
und eines Teiles der Parteien, im Saargebiet eine Angleichung an die arbeits-
rechtliche Gesetzgebung der Weimarer Republik zu erreichen, was auf ge-
wisse Widerstände der Regierungskommission und der französischen Berg-
verwaltung stieß7.
Die gesetzliche Entwicklung auf diesem Gebiet wurde in der Zeit von 1920
bis 1923 insofern überwiegend von der Regierungskommission bestimmt als
diese konsequent und ohne Rücksicht auf Einwendungen der Arbeiterver-
treter die gesamten Sozialversicherungen des Saargebietes von den deutschen
Versicherungsträgern und Aufsichtsbehörden ablöste. Im Bereich der Berg-
werke übernahm das neu gegründete Oberbergamt in Saarbrücken die Auf-
gaben der Oberbergämter Bonn und München für das Saargebiet und die
Aufsicht über die Sozialversicherungen8. Die Kosten für das Oberbergamt
trug zunächst die französische Grubenverwaltung9. Diese Maßnahmen
riefen eine große Beunruhigung unter der Arbeiterschaft hervor, die für ihre
Ansprüche und Bezüge fürchtete10. Auch die Kompetenzen der Knapp-
schafts-Oberversicherungsträger Bonn und München wurden einem Knapp-
schafts-Oberversicherungsamt in Saarbrücken übertragen11. Für die Ent-
schädigungen und Renten bei Grubenunfällen hatte die französische Gruben-
verwaltung zunächst einen „Unfallausschuß“ gebildet, der nur die Zahlung
bei Unfällen übernahm, die sich nach dem 10. Januar 1920 (Übergang der
Gruben in französischen Staatsbesitz) ereignet hatten12. Die Altrentner
mußten weiter von Deutschland entschädigt werden. Das komplizierte die
Errechnung und Zahlung der Renten, die sich aus verschiedenen Versiche-
rungen zusammensetzten, und führte bei der doppelten Währung zu einer
ungeheueren Not der Altrentner13. Der „Unfallausschuß“ wurde 1921 durch
die Regierungskommission in die „Saarknappschafts-Berufsgenossenschaft“
4 Saarstatut § 4.
5 Saarstatut § 24; vgl. oben S. 33.
6 Vgl. oben S. 50, bes. Anm. 54 ebenda.
7 Vgl. oben S. 62 f.
s Amtsblatt der Reg.-Kom. 1920, Nr. 22; M. Karius, Zur Sozialpolitik im Saargebiet,
in Kloevekorn, a. a. O., S. 353.
9 K a r i u s, a. a. O., S. 353.
10 S.D.N. J.O. 1,5 (1920), S. 278; Die Reg.-Kom. berichtete von dieser Beunruhigung der
Bergarbeiterschaft wegen der Schaffung des Oberbergamtes und daß sie den Arbeitern
entsprechende Zusicherungen für ihre Renten gegeben habe. Vgl. auch Wildt,
Die Sozialversicherung im Saargebiet. Diss. (jur. Masdi.), Jena o. J. (1924), S. 24.
Amtsblatt der Reg.-Kom. 1921, Nrn. 321 u. 389; Karius, a. a. O., S. 353.
12 K a r i u s, a. a. O., S. 367.
15 Ebenda.
117
umgewandelt, welche hinfort alle Rentner entschädigte14. Die saarländischen
Knappschaftsvereine, in deren Aufgabenbereich die Kranken- und Pensions-
versicherungen fielen15, lösten gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter
im Vorstand, also auf Beschluß der französischen Arbeitgebervertreter, das
Vertragsverhältnis zum deutschen Knappschaftsrückversicherungsverband16.
Für die Unfallversicherungen außerhalb des französischen Bergbaues wur-
den sämtliche saarländischen Versicherungsträger zu einer gewerblichen und
zu einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft zusammengefaßt17. Für
die Reichsinvaliden- und Angestelltenversicherung wurden ebenfalls unab-
hängige saarländische Versicherungsträger errichtet. Das Landesversiche-
rungsamt Saargebiet und die neu gegründeten Institutionen übernahmen die
gesamte Rentenlast für das Saargebiet, ohne daß die Frage einer entspre-
chenden Beteiligung der deutschen Versicherungsträger zunächst befriedigend
gelöst war18. Der Neuaufbau des saarländischen Versicherungswesens diente
auch der organisatorischen Vereinfachung19. Das gesamte Sozialversiche-
rungswesen wurde dem Präsidenten Rault unterstellt, in dessen Ressort
bereits die arbeitsrechtlichen Fragen fielen20.
Rault und die Regierungskommission bemühten sich während der Zeit des
organisatorischen Neubaues des Versicherungswesens, die soziale Lage der
Arbeiterschaft und der Rentenempfänger zu verbessern und den im Saar-
statut garantierten Stand der Vorkriegszeit zu sichern21. Durch die Über-
tragung aller Rentenlasten auf die saarländischen Versicherungsinstitutionen
und die Umstellung des Versicherungswesens auf Francs wurde dieses Ziel
bei der rasch fortschreitenden Inflation in Deutschland schon teilweise er-
reicht. Außerdem trug die Regierungskommission den wiederholt geäußerten
Wünschen der Parteien und der Arbeitervertreter insofern Rechnung, als
sie bereits in diesen ersten Jahren eine Reihe von deutschen Versicherungs-
gesetzen, die nach dem 11. November 1918 erlassen worden waren, für das
Saargebiet einführte22. Sie prüfte laufend die Entwicklung der deutschen
Versicherungsgesetzgebung, um im Einzelfall zu entscheiden, ob die Ge-
setze in den Rahmen der saarländischen Gesetzgebung ganz oder teilweise
14 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1921, Nr. 615.
15 Im Saargebiet waren die Reichsversicherungsgesetze im 19. Jahrhundert organisato-
risch in die alten saarländischen Knappschaftsvereine eingegliedert worden; darüber
K a r i u s, a. a. O., S. 366.
16 Näheres dazu Wildt, a. a.O., S. 74 f. u. Karius a. a.O., S. 369. Das Oberbergamt
und das Landesversicherungsamt, die nacheinander als Berufungsinstanzen angerufen
worden waren, hatten sich für die französischen Arbeitgeber und gegen die Meinung
der Arbeitnehmer im Knappschaftsverband entschieden.
17 Zur Neuorganisation des Versicherungswesens außerhalb der Bergverwaltung: Amts-
blatt der Reg.-Kom. 1921, Nrn. 745, 747, 752, 753, 754, 780; S.D.N. J.O. III,1 (1922),
S. 48; III,3 S. 222; Karius, a. a. O., S. 379.
18 Wildt, a. a. O., S. 62; Reg.-Kom. in Dokument: S.D.N. C. 701. M. 254. 1925. I.
19 S.D.N. J.O. 11,8 (1921), S. 631.
20 Ebenda, 1,4 (1920), S. 192; Amtsblatt der Reg.-Kom. 1921, Nr. 490.
21 S.D.N. J.O. 11,5/6 (1921), S. 631.
22 Z. B.: Amtsblatt der Reg.-Kom. 1921, Nrn. 491, 613, 614, 749, 829 u. 830; S.D.N.
J.O. 1,8 (1920), S. 76 u. 77; 11,5/6 (1921), S. 631; III,8 (1922), S. 777; IV,1 (1923),
S. 106.
118
aufzunehmen oder ob sie abzulehnen seien23. Neben diesen Maßnahmen
standen die Gewährung von Teuerungszulagen und Sonderzuwendungen24.
Diese Regelungen waren von den Parteien und Arbeitervertretern zum
größten Teil vorher gefordert worden und fanden die Zustimmung des
Landesrates25.
Für die sozialen Verhältnisse an der Saar war auch die Entwicklung der
Wohlfahrtsgesetzgebung und der sozialen Fürsorge bedeutungsvoll. Diese
Aufgaben fielen von Anfang an in das Ressort des saarländischen Kom-
missionsmitgliedes26. Insbesondere ging es um die Regelung der Renten der
Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. Die Regierungskommission
übernahm die Rentenzahlungen, ehe der deutsche Anteil festgelegt war,
suchte der großen Not zu steuern und den Wünschen der Bevölkerung
wenigstens teilweise Rechnung zu tragen. Deutsche Gesetze aus der Zeit
nach dem 11. November 1918 wurden übernommen und die Wohlfahrts-
einrichtungen ausgebaut27.
Ein entscheidendes Problem für die Leistungsfähigkeit der saarländischen
Versicherungsträger und die Kriegsbeschädigtenversorgung blieb aber die
finanzielle Beteiligung des Deutschen Reiches und die Regelung der teilweise
schwierigen organisatorischen Fragen. Die Regierungskommission führte
deshalb in den ersten Jahren wiederholt Verhandlungen mit dem Deutschen
Reich in Berlin und Frankfurt28. Die Deutsche Reichsregierung ging an diese
Verhandlungen nur ungern heran, da sie einerseits die Abtrennung des saar-
ländischen Versicherungswesens nicht wünschte und diese zu verhindern
suchte, insbesondere die Lösung des Saarbrücker Knappschaftsvereins vom
deutschen Knappschaftsrückversicherungsverband29. Zum anderen zögerte
die Reichsregierung, die finanziellen Lasten für die saarländischen Versiche-
rungen zu übernehmen, vor allem in dem Ausmaß, wie sie der französische
Staat nach § 4 des Saarstatutes für die Grubenversicherungen forderte30. Es
kam nie zu einer Einigung zwischen dem französischen und deutschen Staat
über die Frage der sog. mathematischen Reserven, die Deutschland auszahlen
sollte31. Die französische Grubenverwaltung und die Saarregierung ver-
traten deshalb wiederholt die Auffassung, daß die Deutsche Regierung
ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachgekommen und an der schlech-
ten Lage der Rentner schuld sei32. Für die Sozialversicherungen außerhalb
der Bergwerksverwaltung (und die Kriegsbeschädigten) wurden in Abreden,
besonders in der Frankfurter Abrede33, das Ausmaß der Beteiligung des
23 S.D.N. J.O. III,5 (1922), S. 466.
24 Ebenda: IV,1 (1923), S. 90; IV,7 S. 756f.
25 Ebenda: IV, 1 S. 90.
26 S.D.N. J.O. 1,4 (1920), S. 192.
27 Ebenda 1,8 S. 76; S. 78; 11,2, S. 208.
2« Ebenda: 11,2 S. 204; S. 208; 11,5/6 S. 633; 11,8 S. 838 ff.; III,3 S. 222; III,5 S. 465 f.;
III,8 S. 777; IV,1 S. 106 f.
29 Wildt, a.a.O., S. 69f.
30 Dazu K a r i u s, a. a. O., S. 367 f.
31 S.D.N. Dokument C. 701. M. 254. 1925. I.; Karius, a. a. O., S. 367f.
32 S.D.N. C. 701. M. 254. 1925. I.
33 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1923, Nrn. 689 u. 690.
119
Deutschen Reiches an den Renten- und Pensionszahlungen und die organi-
satorischen Fragen der Rentenerrechnung und -Zahlung geregelt34. In diesen
Verhandlungen wurde zudem vereinbart, daß bestimmte deutsche Sozial-
und Fürsorgegesetze im Saargebiet übernommen würden35.
Die Entwicklung der ersten Jahre brachte also eine Fülle von organisato-
rischen und gesetzlichen Neuerungen im Versicherungswesen und war in
ihrer Kompliziertheit für die Bevölkerung kaum überschaubar. Das Inein-
ander der Maßnahmen zur Schaffung eines autonomen Versicherungswesens
und zur Umstellung in französische Franken und das Nebeneinander älterer
und neuerer Gesetze brachten trotz gelegentlicher Einführung deutscher
Sozialgesetze unter dem Plinweis der Erhaltung einer gewissen Einheitlich-
keit in dieser Materie mit Deutschland36 doch eine beachtliche Sonder-
entwicklung im Saargebiet37. Die Vertreter der Parteien und Gewerkschaf-
ten stellten in diesen ersten Jahren immer wieder fest, daß vorteilhafte
deutsche Gesetze erst nach einer gewissen Zeit oder überhaupt nicht im Saar-
gebiet Geltung erlangten und daß die Abtrennung zu vielen organisato-
rischen Schwierigkeiten geführt habe. Nach den ersten Jahren forderten sie
deshalb immer klarer und einmütiger die restlose Angleichung an die
deutsche Versicherungsgesetzgebung und die Wiederangliederung an die
deutschen Versicherungsträger38.
Auch auf arbeitsrechtlichem Sektor war in den ersten Jahren unter der
Regierungskommission keine Stagnation der Verhältnisse auf dem Stand
der Gesetzgebung vom 11. November 1918 eingetreten. Bereits während
der Besatzungszeit hatten die saarländischen Gewerkschaften im Frühjahr
1919 die Einführung des Achtstundentags in den Hütten39 und am 16. Juni
die achtstündige und am 1. August 1919 die 7V2Stündige Schicht unter Tage
in den Bergwerken40 erreicht. Die Ansätze zu kollektiven Arbeitsverträgen
lagen ebenfalls im Jahre 1919. Im Oktober 1921 wurden die Gewerkschaf-
ten als die berufenen Vertreter der Arbeiterschaft durch die französische
Bergverwaltung anerkannt und ein erster eigentlicher Tarifvertrag abge-
schlossen41. Seitdem waren Tarifverträge praktisch geübtes Recht im Saar-
gebiet, ohne daß die entsprechenden gesetzlichen Regelungen aus der Wei-
marer Republik übernommen wurden. In der Frage des Schlichtungswesens
genehmigte die Regierungskommission durch Verordnung vom 7. Mai
34 Berichte der Regierungskommission über den Inhalt dieser Abreden: S.D.N. J.O.
III, 3 (1922), S. 222: Hier Vereinbarungen von Frankfurt über Unfall- und Invaliden-
versicherungen und die Regelung des Zusammenwirkens von deutschen und saarlän-
dischen Organen und die Schaffung gemischter Gerichtsinstitutionen. S.D.N. J.O.
IV, 1 (1923): Hier Regelung der Kriegsbeschädigten Versorgung; Übernahme der Ren-
ten zu V4 durch das Deutsche Reich, iU, Verwaltungskosten und eventuelle rein saar-
ländische Zulagen durch die Regierungskommission.
35 Ebenda: 11,8 (1921), S. 838f.; IV,1 (1923), S. 106f.
36 Ebenda: IV,7 S. 756.
37 So die Reg.-Kom. selbst in ihrem ausführlichen Gutachten über diese Fragen an den
Rat des Völkerbundes vom 3. 11. 1925, S.D.N. C. 695. M. 250. 1925. I.
38 Näheres dazu in den folgenden Ausführungen.
39 Borck, a. a. O., S. 110.
40 Obe, a. a. O., S. 12f.
41 Ebenda, S. 30 f.
120
192042 die Aufrechterhaltung der Schlichtungsausschüsse, die auf Grund des
Hilfsdienstgesetzes vom 5. Dezember 1916 errichtet worden waren. In dem
Vorspann zu dieser Verordnung war darauf hingewiesen, daß das deutsche
Gesetz vom 23. Dezember 1918 über Tarifverträge, Arbeiter- und Ange-
stelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten im Saargebiet
nicht gültig sei; die Aufrechterhaltung der Schlichtungsausschüsse war als
eine gewisse Ersatzlösung für dieses Gesetz gedacht. Auf Wunsch der Ge-
werkschaften führte die Regierungskommission das deutsche Gesetz vom
29. Oktober 1920 über die Änderung der Gewerbegerichte im Saargebiet
ein43. Mit dieser Entwicklung waren die Parteien und Gewerkschaften nicht
zufrieden. Sie hatten seit 1920 wiederholt in Verhandlungen mit der Re-
gierungskommission, in Denkschriften nach Genf und Erklärungen im
Landesrat die Einführung der gesamten arbeitsrechtlichen Gesetzgebung der
Weimarer Republik im Saargebiet gefordert44.
Eine neue Phase der Entwicklung trat ein, als während des Streiks des
Jahres 1923 die Gegensätze zwischen Bergarbeiterschaft und französischer
Grubenverwaltung und auch die Erbitterung über die Haltung der Regie-
rungskommission wuchsen. Die Gewerkschaften und die Parteien entfalte-
ten nun in den Fragen des Arbeitsrechtes und des Versicherungsrechtes neue
Aktivität. Bereits am 9. April wandten sich die Gewerkschaften beschwerde-
führend über die Wohnungsmaßnahmen der Grubenverwaltung an den Rat
des Völkerbundes45. Die Verordnung Raults vom 2. Mai 1923, die das
Streikpostenstehen verbot, wurde als entscheidender Eingriff in das be-
stehende Arbeitsrecht angesehen und rief den einmütigen Protest des Landes-
rates in der Sitzung vom 14. Mai 1923 hervor46, der in der Denkschrift an
den Völkerbundsrat vom 22. Mai 1923 niedergelegt wurde47. In der großen
Anklageschrift gegen die Regierungskommission vom 2. Juni 1923 „Der
Geist des Saarstatuts und die Praxis der Regierungskommission“ wurden
die Einführung des Schlichtungswesens und der Arbeitskammer verlangt und
über die Stagnation des Arbeitsrechts und der Sozialgesetzgebung geklagt48.
In derselben Zeit verschärften sich die Gegensätze in den Knappschafts-
vereinen zwischen den Knappschaftsältesten und den französischen Arbeit-
gebern. Die Knappschaftspensionen lagen prozentual zum Lohn wesentlich
unter den Vorkriegsleistungen, und die Arbeitnehmer forderten eine Er-
höhung der Grundpensionen durch Beitragserhöhung. Die Franzosen wei-
gerten sich mit Hinweis auf die Arbeitsverhältnisse in Frankreich, die
42 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1920, Nr. 40; S.D.N. J.O. 1,5 (1920), S. 277.
«3 S.D.N. J.O. 11,5/6 (1921), S. 631.
44 Z. B.: S.Z. Nr. 67 v. 19. 3. 1921: „Präsident Rault zu wichtigen Fragen der Saar-
bevölkerung“; S.L.Z. Nr. 2 v. 3. 1. 1922: „Die arbeitsreditlidie und sozialpolitische
Stellung der Hütten- und Metallarbeiterschaft des Saargebietes“; S.D.N. C. 11. M. 40.
1922. I. Beschluß des Kreisrates Saarbrücken-Land v. 19. 11. 1921; S.D.N. C. 412.
M. 290. 1921. I.; Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 7. 1922, S. 30 ff., als An-
lage 5, unten S. 338 ff.
45 S.D.N. C. 331. M. 156. 1923. I.; vgl. auch oben S. 74.
46 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 14. 5. 1923, S. 2 ff.
42 S.D.N. C. 434. M. 190. 1923.1.
48 Ebenda, C 395. M. 185. 1923. I.
121
schlechter seien als an der Saar49. Die Parteien griffen das Problem der
sozialen Lage der Saarbevölkerung in einer Denkschrift vom 25. August 1923
auf, in der sie die Notlage der Pensionäre, Kriegsbeschädigten und Ruhe-
standsbeamten im Saargebiet50 behandelten. Die Gewerkschaften wandten
sich im Oktober 1923 in einem Memorandum über die sozialen und arbeits-
rechtlichen Zustände an der Saar51 an das Internationale Arbeitsamt und
entsandten eine Delegation aus Gewerkschafts- und Parteivertretern zur
internationalen Arbeitstagung nach Genf, die bei den verschiedenen Konfe-
renzvertretern die Anliegen der Saarländer vortrug52. Die Denkschrift be-
rief sich ausdrücklich auf § 23, Absatz 4 des Saarstatuts des Versailler Ver-
trages, in dem der Bevölkerung die Berücksichtigung der vom Völkerbund
angenommenen Grundsätze zugesichert sei. Die Formulierung der Denk-
schrift zeigte, daß sie als Druckmittel auf die Regierungskommission gedacht
war, da jeder Abschnitt mit der Bitte um entsprechende Einwirkung auf die
Regierungskommission eingeleitet wurde. Gefordert wurden im einzelnen
die Aufhebung der Streikpostenverordnung, die Anerkennung der Gewerk-
schaften als berufene Interessenvertretung der Arbeitnehmer, eine achtungs-
vollere Behandlung der vorgetragenen Vorschläge und Wünsche durch die
Regierungskommission, eine Verbesserung der arbeitsrechtlichen Situation
durch Betriebsvertretungen, amtliches Schlichtungswesen, obligatorische
Schiedsgerichtsbarkeit und gesetzliche Verankerung des Achtstundentages.
Die Orientierung an der arbeitsrechtlichen Situation der Weimarer Republik
war eindeutig. Diese umfangreiche Aktivität der Parteien und Gewerkschaf-
ten leitete eine neue Entwicklung ein. Die in Genf tagende internationale
Arbeitskonferenz faßte auf Grund der Schritte der Saarbevölkerung am
29. Oktober 1923 folgenden Beschluß:
„La conférence, après avoir pris connaissance de Tarticle 23, paragraphe 4 . . .
prie le Conseil d’administration d’examiner la question de savoir s’il y a lieu
d’entrer en relation par le Secrétaire général avec le Conseil de la Société des
Nations pour examiner par quelles mesures il pourra être constitutioneliement
donné satisfaction aux organisations locales de la Sarre et comment le bureau
international du Travail pourra se mettre à la disposition de la Commission du
Gouvernement pour l’application des „Principes adoptés par la Société des Na-
tions.“ 53
Nur auf Grund der Einwände des französischen Vertreters Fontaine, daß
auch Rault sich wegen der sozialen Fragen an der Saar bereits an das Inter-
nationale Arbeitsamt gewandt habe, wurde in diesem Beschluß die ausdrück-
liche Berufung auf das Memorandum der saarländischen Gewerkschaften
gestrichen54. Der Rat des Völkerbundes beschäftigte sich auf der Julitagung
49 Darüber W i 1 d t, a. a. O., S. 104.
50 S.D.N. C. 597. M. 228. 1923. I.
51 Abschriften dieser Denkschrift in S.D.N., Ardiives des Sections d. Secretariat, Sect.
Pol., Sarre, Nr. 56, Dossier general I, und A.A. II Bes. Geb., Saargebiet, Internationale
Arbeitsorganisation, Bd. 1.
52 A.A., II Bes. Geb., Saargebiet, Internationale Arbeitsorganisation, Bd. 1.
53 Ebenda: II SG 63.
54 Ebenda: II SG 2544.
122
und im Dezember 1923 mit der Frage der Streikpostenverordnung, und auch
im Dezember 1923 hielten Branting und Lord Cecil trotz der Ausführungen
Raults an ihrer grundsätzlichen Auffassung fest, daß die Streikpostenver-
ordnung möglichst bald zurückzuziehen sei55. Angesichts dieser Entwicklung
legte Rault den Gewerkschaftsvertretern in einer Besprechung im Dezember
1923 dar, er werde sich für die Zulassung einer saarländischen Vertretung
beim Internationalen Arbeitsamt einsetzen und das Jahr 1924 werde für die
Saar ein sozialpolitisches Jahr56. Tatsächlich hatte sich Rault auf Grund des
Oktoberbeschlusses am 10. Dezember 1923 an das Internationale Arbeitsamt
gewandt, damit die Frage einer Zulassung des Saargebiets beim Internatio-
nalen Arbeitsamt geprüft werde57. Die Pläne zur Vertretung des Saargebiets
beim Internationalen Arbeitsamt verwirklichten sich aber nicht. Direktor
Thomas hatte im Einverständnis mit den Franzosen und der Regierungs-
kommission die Zulassung der Saar mit beratender Stimme vorgeschlagen
und entsprechende Verhandlungen mit den saarländischen Gewerkschafts-
vertretern geführt58. Gegen diesen Plan hatte das Auswärtige Amt des Deut-
schen Reiches die schwersten Bedenken, weil es darin die Betonung einer
Quasi-Souveränität des Saargebietes sah und die Gewerkschaften als Teil-
verbände der Gesamtdeutschen Gewerkschaften bereits beim Internationalen
Arbeitsamt vertreten seien. Deutschland wollte selbstverständlich eine Ver-
besserung der Lage der saarländischen Arbeiterschaft, fürchtete aber auch für
die Gewerkschaften eine politisch gefährliche Entwicklung durch eine Ver-
tretung in Genf59. Als die Bedenken des Auswärtigen Amtes den saarlän-
dischen Gewerkschaftsführern vorgetragen wurden, beugten sich die Christ-
lichen Gewerkschaften sofort den Gründen des Auswärtigen Amtes, wäh-
rend die Freien Gewerkschaften sich Bedenkzeit erbaten, da die Lage an der
Saar so schlecht sei, daß unbedingt Mittel und Wege zur Besserung gefunden
werden müßten60. Da Direktor Thomas, dem das Auswärtige Amt seine
Bedenken ebenfalls vortrug, sich diesen Gesichtspunkten nicht anschloß,
wurde die Flaltung der Freien Gewerkschaften entscheidend. Sie forderten
schließlich die Errichtung einer saarländischen Arbeitskammer nach deut-
schem Vorbild, der die Aufgabe zufallen sollte, die arbeitsrechtliche und
sozialpolitische Situation an der Saar zu überprüfen und Vorschläge zu ihrer
Verbesserung zu entwickeln. In einem zweiten Schritt sollte dann untersucht
werden, wie die Beziehungen zum Internationalen Arbeitsamt zu pflegen
seien61. Damit war der Plan einer selbständigen saarländischen Vertretung
gefallen. Die gesetzliche Entwicklung in den Jahren 1924 und 1925 geriet
aber durch die internationale Aufmerksamkeit, die auch für diese Fragen
durch die genannten Schritte geweckt worden war, in Fluß.
55 S.D.N. J.O. V,2 (1924), S. 352 ff.
56 A.A., a. a. O., II SG 139.
57 Ebenda.
58 Ebenda, außerdem II SG 285, II SG 399.
59 Ebenda.
60 A.A., a. a. O., II SG 399.
61 A.A., a. a. O., II SG 440.
123
Arbeitsrechtlich kam es zu drei wesentlichen Verbesserungen. Die Streik-
postenverordnung wurde am 15. Juli 1924 durch eine neue Verordnung
ersetzt, die zwar nicht die alte Gesetzgebung wiedereinführte, aber Streik-
posten unter bestimmten Bedingungen erlaubte; die Verordnung lehnte sich
an das englische Vorbild an62. Ein zweites Anliegen der Arbeiterschaft wurde
aufgegriffen, als sich vor der Schließung des Röchlingschen Stahlwerkes im
September 1924 eine scharfe Kontroverse zwischen den Gewerkschaften und
Röchling ergab. Röchling hatte zur Aufrechterhaltung des Betriebes den
vorübergehenden Übergang zum alten Zweischichtsystem mit der entspre-
chenden Erhöhung der Arbeitszeit vorgeschlagen63. Die Regierungskommis-
sion benutzte diese Gelegenheit, die seit Jahren geforderte gesetzliche Rege-
lung des Achtstundentags nun zu vollziehen. Durch Verordnung vom 8. No-
vember 192464 legte sie unter Berufung auf die Vorschläge der internatio-
nalen Arbeiterorganisation des Völkerbundes vom 28. November 1919 die
tägliche Arbeitszeit von 8 und die wöchentliche von 48 Stunden fest. Die
Regelung der Arbeitszeit war seitdem im Saargebiet eindeutiger und einheit-
licher als in der Weimarer Republik, wo man zu derselben Zeit in der Stahl-
industrie wieder zum alten Arbeitssystem übergegangen war65. Eine weitere
Berücksichtigung der Wünsche der Parteien und der Arbeiterschaft brachte
die Errichtung einer saarländischen Arbeitskammer durch Verordnung vom
18. September 192566. In der Beratung des Arbeitskammergesetzes zeigten
sich scharfe Gegensätze zwischen der Regierung und dem Landesrat, vor
allem in der Auffassung über die Berufung der Mitglieder der Kammer. Der
Regierungsentwurf sah nur ein Vorschlagsrecht der einzelnen Verbände und
Gewerkschaften vor, während der Landesrat verlangte, daß die Arbeits-
kammer auf demokratische Weise, also durch Wahl, zu erstellen sei67. Die
endgültige Verordnung berücksichtigte diesen Wunsch der Parteien und
Gewerkschaften; nur in der Ernennung und Finanzierung der Geschäfts-
träger hielt die Regierungskommission an ihrer ursprünglichen Konzeption
fest.
Auch auf anderen Sektoren der Sozialpolitik kam es in den Jahren 1924
und 1925 zu einer Reihe gesetzlicher Regelungen nach den Wünschen der
Bevölkerung. Vor allem gestaltete sich mit der Berufung Koßmanns 1924
das Verhältnis zur Wohlfahrtsabteilung zunächst durchaus günstig. Beson-
ders die Zentrumspartei und in ihrem Gefolge auch die Deutsch-Saarlän-
dische Volkspartei wollten Koßmann keine unnötigen Schwierigkeiten
machen. Die Vertreter beider Parteien betonten in der Landesratssitzung
vom 27. Juni 1924, als eine Kriegsbeschädigtenverordnung verabschiedet
4,2 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1924, Nr. 388; S.D.N. J.O. V,12 (1924), S. 1783.
63 S.D.N. J.O. V,12 (1924), S. 1783; Röchling, Wir haken die Saar, S. 108; Borck,
a. a. O., S. 110.
64 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1924, Nr. 642.
65 B o r c k, a. a. O,, S. lllf.
66 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1925, Nr. 484; über die Vorverhandlungen vgl. S.D.N. J.O.
V,8 (1924), S. 1049, und V,12 S. 1732.
67 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 16. 3. 1925, S. 3ff.; vgl. auch Borck, a. a. O.,
S. 66—71; K a r i u s, a. a. O., S. 374 f.; Katsch, a. a. O., S. 146.
124
wurde, den neuen Arbeitsstil, den Koßmann entwickelt habe: Er habe die
Landesratskommission empfangen und die schwebenden Fragen mit ihr
besprochen, eine hoffnungsvolle Entwicklung bahne sich an68. Die Vorlage
der Regierung sah die Einführung eines deutschen Gesetzes vor und stellte
eine Verbesserung dar; sie wurde deshalb vom Landesrat angenommen69.
Weitere Vorlagen der Abteilung Wohlfahrt und Sozialversicherungen wur-
den in den folgenden Jahren einstimmig vom Landesrat verabschiedet, da
sie den Wünschen und Forderungen des Landesrates entsprachen70.
Ein entscheidendes Problem sozialer Art im Saargebiet blieben aber die
Knappschaftsversicherungen. Die Diskussion hatte sich seit 1923 verschärft.
Insbesondere verlangten die Gewerkschaften und die Parteien die Einfüh-
rung des Reichsknappschaftsgesetzes vom 23. Juni 1923 mit den entspre-
chenden Erhöhungen der Pensionen und Renten und auch der Beiträge. Es
gelang, die Frage in Fluß zu bringen. Im Juni 1924 konnten die Berg-
arbeitervertreter ihre Wünsche auf dem Oberbergamt darlegen, dann fanden
Verhandlungen mit dem Präsidenten des Verwaltungsrates der Saargruben,
mit der Bergwerksdirektion, mit dem französischen Arbeitsminister in Paris
und mit dem Präsidenten und einzelnen Ministern in der Regierungskom-
mission statt71. Der Landesrat unterstützte in entsprechenden Erklärungen
die angemeldeten Forderungen72. Eine Einigung über die saarländische
Knappschaftsnovelle konnte in den Punkten der organisatorischen Zusam-
menfassung der saarländischen Knappschaftsvereine und einer gewissen
Demokratisierung des Verwaltungssystems der Kassen erreicht werden73;
das Problem der Erhöhung der Grundrenten und Pensionen erwies sich auf
Grund der Stellungnahme des französischen Staates als unlösbar74. Die Re-
gierungsvorlage, die am 9. Juli 1925 im Landesrat diskutiert wurde, erhielt
deshalb in dem Kommissionsgutachten eine wesentliche Ausweitung im
Sinne der Angleichung an das Reichsknappschaftsgesetz75, und der Landes-
rat forderte, daß der umgearbeitete Entwurf von der Regierungskommission
ohne Rücksicht auf den französischen Staat verabschiedet werde76 77. Die end-
gültige Verordnung vom 16. September 192577 bedeutete eine beachtliche
Verbesserung gegenüber dem vorherigen Rechtszustand78, entsprach aber
nicht den Vorschlägen des Landesrats und enttäuschte deshalb die Berg-
arbeiterschaft, die Gewerkschaften und die Parteien.
In den Landesratsdiskussionen der Jahre 1924 und 1925 über die Fragen der
arbeitsrechtlichen und sozialen Gesetzgebung kristallisierten sich gewisse
68 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 27. 6. 1924, S. 2 und 23 f.
69 Ebenda, S. 25.
70 2. B.: Landesratssitzungen, Sten. Ber. v. 7. 1. 1925, S. 25; v. 13. 2. 1925, S. 22;
v. 29. 10. 1925, S. 2.
71 Ebenda: Sten. Ber. v. 16. 3. 1925, S. 11; v. 9. 7. 1925, S. 23 f.
72 Ebenda: Sten. Ber. v. 16. 3. 1925, S. 11 und S. 14.
73 Volksstimme Nr. 10 v. 13. 1. 1925: „Die Bergarbeitervertreter beim Präsidenten der
Regierungskommission“.
74 Ebenda; außerdem Karius, a. a. O., S. 370; Obe, a. a. O., S, 88.
75 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 9. 7. 1925, Kommissionsbericht S. 9 ff.
76 Ebenda, S. 17.
77 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1925, Nr. 517.
78 Darüber Obe, a. a. O., S. 88.
125
Grundzüge der Stellungnahme der Parteivertreter heraus. Zunächst stimm-
ten alle Parteivertreter, einschließlich der Kommunisten, materiellen Ver-
besserungen im Versicherungs- und Versorgungswesen immer zu79. Vielfach
wurden in der Landesratssitzung bei solchen Gelegenheiten gegenüber dem
Regierungsentwurf Anträge auf Erhöhung gestellt80. Überdies wurden auch
wiederholt strukturelle Umänderungen und Erweiterungen der Regierungs-
vorlage verlangt81. Ähnlich hatte man sich auch in der Frage der Kriegs-
beschädigten verhalten, als man zwar die Regierungsvorlage bejahte, aber
der Regierung auf Grund der Eingaben der Kriegsbeschädigtenverbände für
die Zukunft weitere Forderungen und Vorschläge einreichte, die vom Lan-
desrat auch als Anregung für die Gesetzgebung des Deutschen Reiches aufge-
faßt wurden82. Außerdem wurde die Diskussion der Verordnungsentwürfe
wiederholt dazu benutzt, sämtliche arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen
Wünsche anzumelden83 und zu ihrer Verwirklichung entsprechende Maß-
nahmen von der Regierungskommission zu fordern, besonders Verhand-
lungen mit dem Deutschen Reich zum Rückanschluß der saarländischen Ver-
sicherungen 84.
In diesen Diskussionen und in der saarländischen Öffentlichkeit erschienen
die Maßnahmen der Regierungskommission angesichts der erhobenen Forde-
rungen immer nur als Stückwerk. Der Landesrat begriff sich als Wächter der
im Friedensvertrag garantierten Rechte der Bevölkerung und als Initiator
für eine Ausgestaltung der Gesetzgebung nach deutschem Vorbild. Aus dieser
Haltung entschlossen sich die Parteien und die Gewerkschaften, den uner-
füllten Wünschen durch die Anrufung des Rates des Völkerbundes größeren
Nachdruck zu verleihen. Am 5. September 1925 wurden eine gemeinsame
Denkschrift der Zentrumspartei und der Deutsch-Saarländischen Volks-
partei und eine Denkschrift der Gewerkschaften an den Rat des Völker-
bundes gesandt85 und von der saarländischen Delegation im September bei
einzelnen Ratsmitgliedern dargelegt. In diesen Memoranden waren die
Unterschiede in den Versicherungsleistungen zwischen Deutschland und dem
Saargebiet an Hand von statistischem Material aufgezeigt, und für die
79 Vgl. die Quellenangaben in Anm. 70.
80 Z. B.: Landesrat des Saargeb., Sten. Bericht v. 27. 6. 1924, S. 25; Einstimmige An-
nahme eines Antrags der Kommunisten: „Allen Kriegsopfern sind aus der Landes-
kasse des Saargebietes auf die in der Novelle vorgesehenen Bezüge 50 %> Erhöhung
zu gewähren.“ Sten. Bericht v. 31. 3. 1925: Einstimmige Annahme des sozialdemo-
kratischen Antrags, die Drittelungsgrenze in der Unfallversicherung auf 7000 Frs.
heraufzusetzen.
81 Vgl. die Forderungen des Landesrates über die Arbeitskammer und über die Knapp-
schaftsversicherungen.
82 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 27. 6. 1924, S. 17, S. 25, S. 30 f., und S.D.N.
J.O. V,9 (1924), S. 1194.
83 Ebenda: Sten. Ber. v. 5. 3. 1924, S. 7 u. 10; v. 16. 3. 1925, S. 13 ff.
84 Ebenda: Sten. Ber. v. 13. 2. 1925, S. 5f.; v. 5. 8. 1925, S. 4, S. 17 f.
85 S.D.N. C. 605. M. 193. 1925. I.: Hier beide Denkschriften. Die Zentrumspartei und
die Deutsch-Saarländische Volkspartei hatten eine selbständige Denkschrift verfaßt,
weil die Sozialisten aus dem interparteilichen Ausschuß ausgetreten waren. Beide
Parteien, insbesondere die Röchlingpartei, hatten ein Interesse daran, gerade jetzt als
sozial fortschrittlich zu erscheinen. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf
diese Denkschriften.
126
Sozialversicherungen wurde eine Übernahme der gesamten deutschen Ge-
setzgebung wie eine Wiederangliederung an die deutschen Versicherungs-
träger verlangt. Das Vorgehen der Regierungskommission zur Abtrennung
der saarländischen Versicherungsträger wurde als ungesetzlich bezeichnet. In
arbeitsrechtlicher Hinsicht forderte man ebenfalls die restlose Einführung
der deutschen Nachkriegsgesetzgebung über Arbeiterschutz und Koalitions-
recht, Kollektivverträge und Schiedsgerichtsbarkeit, Arbeitervertretung, Ar-
beitsvermittlung und Arbeitslosenunterstützung. Dieselben Wünsche wurden
auch in der Denkschrift der Sozialdemokratischen Partei vom Februar
192686 erneut in Genf vorgetragen. Rault war über die Denkschriften vom
September 1925 und die Verhandlungen der saarländischen Delegation be-
unruhigt, reiste deshalb nach Genf und besprach die Angelegenheit mit dem
Generalsekretär Drummond87. Außerdem arbeitete die Regierungskommis-
sion ein ausführliches Gutachten zu den Memoranden vom September aus.
Dieses Gutachten war aus je einem Gutachten von Rault und von Koßmann
entstanden und in der endgültigen Überarbeitung von der Regierungskom-
mission einstimmig gutgeheißen worden88. Es wurde am 3. November 1925
dem Rat übersandt89.
Grundsätzlich betonte das Gutachten der Regierungskommission die wirt-
schaftliche Sonderentwicklung des Saargebietes und die Notwendigkeit, auch
in dem Versicherungswesen auf die Struktur der saarländischen Wirtschaft
Rüdesicht zu nehmen. Außerdem wurde zu den Vergleichstabellen über
deutsche und saarländische Leistungen geltend gemacht, daß die Aufstellung
nicht überall vom Durchschnitt der deutschen Leistungen, sondern von
Höchstleistungen ausgehe. Die Regierungskommission habe die Leistungen
im Saargebiet laufend erhöht und habe den Stand der Vorkriegszeit, der
durch den Friedensvertrag garantiert sei, wiederherstellen können. Außer-
dem seien auch die anderen Komponenten der Wohlfahrt wie Vollbeschäf-
tigung und Kaufkraft der Löhne mitzusehen. Kein Land kenne zwar so
hohe Leistungen wie Deutschland, aber die Saarländer sähen nur die höheren
Leistungen, ohne an die Belastungen für die Wirtschaft und die Steigerung
der Lebenshaltungskosten durch eine solche Politik zu denken. Außerdem
wies die Regierungskommission auch auf die Notwendigkeit der Befragung
des französischen Staates hin und stellte fest, daß Deutschland seinen finan-
ziellen Verpflichtungen in den Sozialversicherungen nicht nachgekommen sei.
Zu den arbeitsrechtlichen Wünschen der Memoranden legte die Regierungs-
kommission zunächst einmal dar, daß die Darstellung der Gewerkschaften
den falschen Eindruck erwecke, als ob bestimmte fortschrittliche Entwick-
lungen an der Saar nicht gegeben seien. Das Gutachten zeigte im einzelnen
auf, daß die arbeitsrechtliche Lage und die Praxis durchaus günstig seien und
erhob sachliche Einwände gegen die gewünschten deutschen Gesetze, ins-
86 S.D.N. C. 124. M. 53. 1926. I.
87 S.D.N., Archives du Secrétariat, Sect. Politique, Sarre, Nr. 56, Dossier général I,
Record of Interview E.D. v. 8. 9. 1925: Drummond für Colban.
88 Com. d. Gouv., Procès-verbaux v. 31. 10. 1925, S. 5, u. v. 3. 11. 1925.
89 S.D.N. C. 701. M. 254. 1925. I., auch zu den folgenden Ausführungen.
127
besondere gegen die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit und das Betriebs-
rätegesetz. Die Verbindlichkeit der Schiedsgerichtsbarkeit enge Freiheit und
Tätigkeitsbereich der Gewerkschaften ein, und man stehe teilweise diesem
Gesetz bereits kritisch gegenüber90. Über das Betriebsrätegesetz seien die
Urteile sehr verschieden, und man habe noch nicht genügend Erfahrungen
gesammelt.
Die Ausgangsposition zur Beurteilung der strittigen Fragen war in den Peti-
tionen der Parteien und Gewerkschaften grundsätzlich verschieden von der
Sicht im Memorandum der Regierungskommission. Die Gewerkschaften und
Parteien erhoben Forderungen für die Bevölkerung und kritisierten das
Bestehende als unzureichend, während die Regierungskommission ihre So-
zial- und Arbeiterpolitik im Rahmen ihrer gesamten Regierungstätigkeit
und ihrer Verantwortung für die Finanzen und die Wirtschaft sah. Die
Saarländer blickten auf das deutsche Vorbild, die Regierungskommission
verglich mit der Situation auch anderer europäischer Länder, insbesondere
der Frankreichs und Englands.
Der Rat griff diese Probleme der inneren Gesetzgebung des Saargebiets nicht
auf, aber die folgenden Jahre brachten laufend Erfolge für die Wünsche der
Saarländer. 1926 wurde nach Raults Rücktritt die Abteilung Sozialversiche-
rungen Koßmann unterstellt91, die Kosten für die Unterhaltung des Ober-
bergamtes gingen gemäß dem Wunsch des Landesrats auf die Landeskasse
über92. Die Parteien reichten immer wieder ihre Verbesserungsvorschläge zu
den einzelnen Gebieten der Sozialversicherung ein und machten sie im Lan-
desrat geltend93. Die Regierungskommission, Abteilung Sozialversicherun-
gen, arbeitete an Reformen in der Sozialversicherung. Bereits am 1. August
1926 wurde eine große Reform mit wesentlichen Erhöhungen der Gruben-
renten durchgeführt94.
Entscheidender für die Durchsetzung der saarländischen Wünsche wurde
aber, daß die Parteien und Gewerkschaften sich mit den Verhandlungen im
Saargebiet nicht zufrieden gaben, sondern sich unmittelbar nach Berlin
wandten. Der Landesrat hatte 1925 von der Regierungskommission Ver-
handlungen mit dem Deutschen Reich wegen der Sozialversicherungen ver-
langt95. Sie sollten der Angleichung an die deutschen Leistungen und dem
Wiederanschluß an die deutschen Versicherungsträger dienen. Als Röchling
1925 durch seine Bemühungen in Deutschland finanzielle Hilfe für sein
90 Borck, a. a. O., S. 64, gibt eine Übersicht über die erfolgreiche Tätigkeit der unver-
bindlichen Schlichtungsausschüsse im Saargebiet und folgert daraus, daß viele ehe-
malige Verfechter der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit ihre Auffassung geändert
hätten.
91 Neuverteilung der Ämter: Amtsblatt der Reg.-Kom. 1926, Nr. 161.
92 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 17. 11. 1925, S. 8; Karius, a. a. O., S. 353.
93 S.L.Z. Nr. 145 v. 30. 5. 1927: Hier berichtete der Landesratsabgeordnete Gärtner auf
dem Parteitag der Zentrumspartei in seinem Referat über die Sozialpolitik, daß die
Zentrumsfraktion allein 11 eigene Eingaben wegen der Sozialversicherung an die
Regierungskommission gemacht habe und mit den anderen Parteien zusammen noch
weitere 19 Eingaben.
94 Ebenda und S.D.N. J.O. V,12 (1926), S. 1606.
95 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 8. 1925, S. 4.
128
Werk und die Zollstundungen erreichte96 und Deutschland sich zur Be-
treuungsaktion für die Beamten entschloß97, drängten besonders die Zen-
trumspartei und die Sozialdemokraten auf entsprechende Hilfe für die
Arbeiterschaft98. Man wandte sich mit weiteren Gesuchen an die Deutsche
Reichsregierung99, nachdem bereits Reichstagsmitglieder für das Anliegen
der Verbesserung der saarländischen Versicherungen aktiviert worden
waren100. Auf Grund dieser Schritte kam es am 5. Mai 1927 durch Reichs-
kabinettbeschluß zur Bildung eines Saarausschusses aus Vertretern der Saar-
parteien, der Gewerkschaften und der Handelskammer; der Ausschuß sollte
die Reichsregierung in Saarangelegenheiten beraten101. In der ersten Sitzung
des Saarausschusses forderten die saarländischen Gewerkschaftsvertreter eine
direkte Finanzhilfe für die Saararbeiterschaft, während der Fachreferent,
Ministerialdirektor Dr. Grieser, nur von der Bereitschaft der Reichsregierung
zur Hilfe in den Sozialversicherungen sprach102. Die saarländischen Be-
mühungen hatten noch 1927 zwei große Erfolge: Am 13. Oktober 1927 kam
es zur Heidelberger Abrede103 zwischen der Regierungskommission des
Saargebietes und der Deutschen Regierung. Das Deutsche Reich zahlte auf
Grund dieser Vereinbarung gewisse Beträge an die saarländischen Versiche-
96 Vgl. darüber unten S. 145 f.
97 S.D.N. J.O. VIII,3 (1927), S. 299f.; Das Deutsche Reich hatte der Regierungskom-
mission im Juli 1926 mitgeteilt, daß es den Beamten, die es der Regierungskommis-
sion zur Verfügung gestellt habe, eine Hilfe in Reichsmark zukommen lassen wolle.
Die Regierungskommission trat daraufhin in Verhandlungen mit der Reichsregierung,
und man einigte sich in Trier dahingehend, daß die Regierungskommission allen
Beamten und Angestellten im Saargebiet eine einmalige außerordentliche Zulage zahle
und das Deutsche Reich von dieser Zulage die Summe für die aus dem deutschen
Dienst beurlaubten Beamten zur Verfügung stelle. Zu dieser Entwicklung war es
gekommen, weil die Beamtengehälter im Saargebiet nicht den deutschen entsprachen,
die Bemühungen bei der Regierungskommission zwar wesentliche Verbesserungen,
aber keine vollständige Angleichung gebracht hatten. Da Kabinettsbeschlüsse des
Deutschen Reiches, Preußens und Bayerns vom Oktober und November 1920 Vor-
lagen, die den Beamten die alte Rechtsstellung zusicherten, geriet das Deutsche Reich
in Schwierigkeiten, als die Beamten aus dem Saargebiet sich nach Berlin wandten.
98 Landesrat d. Saargeb., Sten. Berichte v. 22. 11. 1926, S. 13, u. bes. v. 16. 12. 1926,
S. 68: Hier wird berichtet von der Erregung der Arbeiter über die Zulage für die
Beamtenschaft; Zentrum und Sozialdemokraten stellten Anträge für die Arbeiter-
schaft und verhandelten in diesem Sinne mit Koßmann.
99 A.A., II Bes. Geb.: Saargebiet, Gründung des Saarausschusses, Bd. 1: II SG 1104.
100 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 8. 1925, S. 19: Hier Hinweis auf den Beschluß
des Reichstages v. 17. 7. 1925, durch den folgende Vorlage des sozialpolitischen Aus-
schusses angenommen wurde: „Der Reichstag möge beschließen, die Regierung zu
ersuchen, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln darauf hinzuweisen, daß die
Lage der Rentenempfänger des Saargebietes nach Möglichkeit der der Rentenempfän-
ger im übrigen Reichsgebiet angepaßt wird.“
101 Vgl. Anm. 99: Die Rolle des Saarausschusses wurde im Aktenstück II SG 1321 folgen-
dermaßen umrissen: „Alle Reichsressorts haben dafür zu sorgen, daß in keiner das
Saargebiet berührenden Frage von erheblicher Wichtigkeit Entscheidungen getroffen
werden, ohne daß vorher den Vertretern des Saargebietes Gelegenheit zur Erörterung
gegeben worden ist.“ Tatsächlich ist der Saarausschuß in Zukunft aber selten ein-
berufen worden; er erlangte nur eine gewisse Bedeutung zur Geltendmachung der
saarländischen Vorstellungen vor den deutsch-französischen Saarverhandlungen. Nähe-
res darüber unten S. 227. In der Saarliteratur findet sich nur bei Katsch, a. a. O.,
S. 109, Anm. 1, ein Hinweis auf die Gründung dieses Ausschusses.
102 A.A., a. a. O., II SG 1293, Aufzeichnung über die Sitzung mit den Saarvertretern
am 13. 5. 1927.
103 Amtsblatt der Reg.-Kom. v. 19. 10. 1927, Nr. 41; S.D.N. J.O. IX,3 (1928), S. 290.
129
rungsinstitutionen und beteiligte sich auch direkt an den Pensions- und
Rentenzahlungen, insgesamt leistete es nach der Auffassung der Regierungs-
kommission einen Zuschuß von 60 Millionen Francs. Auch die Knappschafts-
pensionen waren in diese Regelung einbegriffen. Durch diese Abmachung
konnten die Leistungen wesentlich erhöht werden und konnte eine weitere
Angleichung an die deutsche Versicherungsgesetzgebung erfolgen104. Das
Drängen der Gewerkschaften hatte aber auch dazu geführt, daß der Arbei-
terschaft im Saargebiet einmalig eine Unterstützungssumme ausgezahlt
wurde105. Die Gelder wurden von der Reichsregierung an die Zentralgewerk-
schaften und von diesen an die saarländischen Gewerkschaftsführer gezahlt,
die sie verteilten. Die Regierungskommission war über diese Maßnahme, die
von entsprechend unklugen Äußerungen saarländischer Gewerkschaftsführer
begleitet war, empört, verlangte Auskunft in Berlin und berichtete an den
Völkerbund. Die Erwiderung der Reichsregierung zeigte, daß diese nur
ungern dem Drängen der Gewerkschaften nachgegeben hatte und daß der
Gedanke, auf diese Weise alle Sonderunterstützungen für die Saararbeiter-
sdhaft, insbesondere auch die Grenzgängerunterstützung zu beenden, eine
Rolle gespielt hatte106. Auch in Zukunft wandten sich die Saarparteien und
die Gewerkschaften in schwierigen sozialen Lagen an das Deutsche Reich um
Hilfe, so besonders im Frühjahr 1928 wegen der beginnenden Weltwirt-
schaftskrise. Man erreichte einen Mehrabsatz von Kohle in Deutschland und
wünschte außerdem Bemühungen der Reichsregierung um die Einführung
der deutschen Arbeitslosengesetzgebung an der Saar107. Als die Brüningschen
Sparmaßnahmen 1931 für die Sozialversicherungen im Saargebiet durch die
Regierungskommission in konsequenter Anwendung der Heidelberger Ab-
rede teilweise übernommen wurden, erreichten die Saarparteien und Ge-
werkschaften, daß Deutschland die alten Sätze für das Saargebiet etwas
länger zahlte108.
104 S.D.N. J.O. IX,8 S. 1344f.; IX,12 S. 2019; X,9 (1929), S. 1338.
105 S.D.N. J.O. IX,8 (1928), S. 1340—1347, hier sind auch die Sonderstellungnahme Koß-
manns und die Antwort der Reichsregierung abgedruckt. Die Besprechung der An-
gelegenheit innerhalb der Regierungskommission in Com. d. Gouv. Pr.-V. v. 5. 10.
1927, S. 532—538; v. 12. 10. 1927, S. 554.
106 S.D.N. J.O. IX,8 S. 1346 f.: Die Wünsche der Saarbevölkerung seien wegen der
Kürzung der Löhne, der Feierschichten und der Entlassungen im Bergbau immer
dringender geworden, man habe deshalb die Hilfsaktion über die Gewerkschaften und
die gleichzeitige Einstellung der „Saargänger“-Unterstützung beschlossen. Die „Saar-
gänger“-Zulage war als Unterstützung für die Fahrtkosten und die Einbußen beim
Umtausch des Geldes denjenigen Arbeitern gezahlt worden, die im Saargebiet arbei-
teten, aber außerhalb des Gebietes wohnten. Darüber auch S.Z. Nr. 75 v. 16. 3. 1928:
„Die Not der Saargrenzgebiete“ und P. Keuth, Der Kampf um den Saarmarkt,
in Kloevekorn, a. a. O., S. 292 u. S. 328; außerdem AStA München MW 16 290 u. 8262.
107 S.L.Z. Nr. 2 v. 3. 1. 1928: „Der Hilferuf des Saarzentrums“ (Telegramme des Saar-
zentrums an Marx, den Direktor der Reichsbahnverwaltung und an die Zentrums-
fraktion des Reichstages); Volksstimme Nr. 65 v. 16. 3. 1928: „Saarfragen im Haus-
haltsausschuß“ (Die Saargängerunterstützung wird ab 1. Februar 1928 wieder ge-
währt. Abnahme von Saarkohle durch das Reich. — Notstandsarbeiten im Saar-
grenzgebiet).
108 S.D.N. J.O. XIII,6 (1932), S. 1126. Außerdem: A.A. II. Bes. Geb., Saargebiet, Pol.
Angelegenheiten, Bd. 41: II SG 61. Koßmann war empört, daß man die Hilfe des
Reiches in Anspruch nahm, obwohl es im Deutschen Reich schlechter ginge als an
der Saar.
130
Aber nicht nur an das Deutsche Reich wandte man sich wegen der Durch-
setzung der saarländischen Wünsche, sondern auch an das Internationale
Arbeitsamt, dessen Vermittlung man in Paris wegen der französischen
Widerstände in der Erhöhung der Knappschaftsbeiträge und wegen der
Entlassungen auf den Saargruben in Anspruch nahm109. So konnte auch das
Knappschaftsversicherungswesen laufend verbessert werden, zunächst durch
die höheren Leistungen Deutschlands, dann durch die Knappschaftsnovelle
im Jahre 1930, die sich an das deutsche Knappschaftsgesetz von 1923 an-
lehnte110.
Auf dem Sektor des Versicherungswesens hatten die Vertreter der Saar-
parteien also ihre Ziele erreicht. Je näher die Abstimmung rückte, desto
stärker war eine Anpassung an die deutschen Versicherungen gegeben111.
Außerdem wurden bereits 1932 durch Bemühungen der Regierungskommis-
sion Gegenseitigkeitsabmachungen zwischen Deutschland, der Saarregierung
und Frankreich getroffen, welche die Übernahme von Versicherungsansprü-
chen, die Personen im Saargebiet, in deutschen Grenzgebieten und in Elsaß-
Lothringen erworben hatten, durch deutsche, französische oder saarländische
Versicherungsträger regelten. Sie schufen eine günstige Rechtsbasis für den
Augenblick der Rückgliederung112. Auf arbeitsrechtlichem Gebiet wurde da-
gegen die Rechtsangleichung an die Weimarer Republik nicht vollzogen. Die
entsprechenden Forderungen wurden zwar gelegentlich auf den Parteitagen
des Zentrums, insbesondere aber der Sozialdemokraten noch erhoben113,
spielten aber keine entscheidende Rolle mehr. Man war durch die laufenden
Verbesserungen im Zusammenhang mit einer günstigen wirtschaftlichen Ent-
wicklung doch weitgehend befriedigt. Allerdings trug man an der Weltwirt-
schaftskrise, die zwar später und im Umfang der Arbeitslosigkeit etwas
weniger schlimm als in Deutschland einsetzte, nach den Jahren verhältnis-
mäßig hohen Lebensstandards besonders hart und wünschte, daß die Re-
gierungskommission durch öffentliche Arbeiten der Not steuere114. Die gro-
ßen Arbeitsbeschaffungsprogramme der Parteien scheiterten am Widerstand
der Regierungskommission, die auf Grund der ausführlichen internationalen
Studien in dieser Frage zu dem Ergebnis gelangt war, daß diese Projekte
109 S.L.Z. Nr. 66 v. 7. 3. 1928: „Die Bemühungen der Saardelegation um die Erhöhung
der Sozialversicherung“; S.L.Z. Nr. 67 v. 8. 3. 1928: „Die Saardelegierten bei Tho-
mas“; S.Z. Nr. 68 v. 8. 3. 1928: „Die Not des Saargebiets“; Volksstimme Nr. 59
v. 9. 3. 1928: „Sozialdemokratische Demarche in Genf“.
110 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 21. 1. 1930; S.D.N. J.O. XI,5 (1930), S. 482 ff.,
im 41. Ber. der Reg.-Kom.; Amtsblatt der Reg.-Kom. 1930, Nr. 195, S. 172 ff.
Hl S.D.N. J.O. XII,6 (1931), S. 992.
H2 Ebenda, XIV,1 (1933), S. 140 f.
1)3 Volksstimme Nr. 45, v. 23. 2. 1931: Stürmischer Aufstieg, Entschließung zur Sozial-
politik des Parteitags der Sozialdemokraten. S.L.Z. Nr. 145 v. 30. 5. 1927: Ent-
schließung des Zentrumsparteitages zur Sozialpolitik; Landesrat des Saargeb., Sten.
Ber. v. 14. 4. 1931, S. 60.
114 Dazu besonders: Volksstimme Nr. 45 v. 23. 2. 1932: „Sozialdemokratie und Saar-
Situation, Die Entschließungen unseres Parteitages“, „Entschließung zur Anleihe- und
Arbeitsmarkt-Politik“; Volksstimme Nr. 116 v. 21. 5. 1931: „Bei Curtius“; Landes-
archiv Saarbrücken, Schneider-Becker-Archiv, Privatpapiere R. Becker, Nr. 136: Hier
Protokoll einer Besprechung zwischen Reg.-Kom. und Landesratsabordnung über
diese Fragen am 14. 7. 1931. Landesrat, Sten. Ber. v. 14. 4. 1931, S. 209.
131
nicht geeignet seien, Hilfe für längere Zeit zu schaffen115. Durch die Not seit
1930 wuchs natürlich an der Saar auch die allgemeine Unzufriedenheit mit
der sozialen Lage, und man neigte dazu, die Regierungskommission dafür
verantwortlich zu machen, wenn sie die vorgetragenen Wünsche nicht erfüllt
hatte116.
Steuergesetzgebung
Das Zusammenwirken zwischen Regierung und Volksvertretung in der
Frage der Gestaltung des saarländischen Steuersystems ist in mehrfacher
Hinsicht interessant und aufschlußreich. In den Regelungen des Saarstatuts
über die Steuergesetzgebung spiegelte sich noch etwas von der Auffassung,
daß es sich bei der Steuerbewilligung um das parlamentarische Urrecht
handelt. Deshalb legte der § 26 ausdrücklich fest, daß die Abgaben und
Steuern ausschließlich für die Bedürfnisse des Gebietes zu verwenden seien,
daß das bestehende Steuersystem, soweit die Verhältnisse es gestatten, bei-
behalten werden soll und daß keine neue Abgabe erhoben werden dürfe
ohne vorherige Befragung der gewählten Vertreter der Bevölkerung. In den
Berichten der Regierungskommission nach Genf kam durchgängig während
der gesamten Dauer des internationalen Verwaltungssystems zum Ausdruck,
daß man die Wünsche der Bevölkerung in diesem Punkt besonders ernsthaft
prüfte; ein Abweichen von den Voten der Saarländer wurde jedesmal beson-
ders sorgfältig begründet. Des weiteren zeigte sich, daß Regierungskommis-
sion und Volksvertretung gleichermaßen ein Interesse an einem gut funktio-
nierenden Steuersystem hatten, das den wirtschaftlichen und sozialen Ge-
gebenheiten des Saargebiets Rechnung trug und die Basis zu einer gesunden
Verwaltungspolitik bot1. Das am 11. November 1918 bestehende Steuer-
system befriedigte weder Regierungskommission noch Bevölkerung, und
beide erstrebten eine Neuordnung. Die Regierungskommission legte in ihren
ersten Berichten nach Genf ihre Sorge um das Budget dar, schilderte die
Unordnung, die in der Steuerverwaltung durch Krieg und Nachkriegszeit
entstanden war, und wies auf die erheblichen steuergesetzlichen Unterschiede
zwischen preußischem und bayrischem Teil des Gebietes hin2, Im Deutschen
Reich war in der Zwischenzeit die Erzbergersche Steuerreform erfolgt, und
in den saarländischen Gewerkschaftskreisen und besonders in der Sozial-
demokratie forderte man eine soziale Steuerreform, vor allem die Einfüh-
rung der Besitzsteuer3. Die Regierungskommission betonte ihren Willen zu
einer umfassenden Neuordnung des Steuerwesens, wandte sich indes gleich
ns S.D.N. J.O. XIII,1 (1932), S. 194f.; Lambert, a. a. O., S. 209.
116 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 13. 10. 1931, S. 206ff.; v. 24. 11. 1931; Volks-
stimme Nr. 141 v. 22. 6. 1931: „Was tut die Regierungskommission zum Schutz der
Bergarbeiter?"; S.L.Z. Nr. 331 v. 5. 12. 1932: „Wieder Erregung unter den Saar-
bergarbeitern“.
1 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 20. 4. 1923, S. 9.
2 S.D.N. J.O. 1,5 (1920), S. 281; 1,6 S. 370; 1,8 S. 73.
3 S.Z. Nr. 67 v. 19. 3.1921: „Präsident Rault zu wichtigen Fragen der Saarbevölkerung“.
132
gegen diese sozialistischen Tendenzen und machte geltend, daß dadurch eine
Abwanderung des Kapitals von der Saar erfolgen könne4.
In einer ersten Phase der Steuergesetzgebung beschritt die Regierungskom-
mission durchaus selbständige Wege. Sie lehnte die Übernahme der Erz-
bergerschen Steuerreform grundsätzlich ab und erklärte in ihren Berichten
nach Genf, daß sie „une législation fiscale, adoptée à la situation particu-
lière du Territoire et aux mœurs des habitants, qui réaliserait l’unité du
régime d’impôt“ erstrebe5. Der Weg dazu wurde über die indirekten Steuern
gesucht6. Das französische Steuersystem hatte diese Auffassung der Regie-
rungskommission beeinflußt wie die Überzeugung des Kanadiers Waugh,
daß auf diese Weise rasch eine Sanierung des Staatshaushalts zu erreichen
sei7. Damit kein Widerstand der Lokalvertretungen gegen diese Steuern
entstehe, erfüllte man deren Wunsch nach einer zwanzigprozentigen Besteue-
rung des französischen Bergfiskus8. Trotzdem sprachen sich die gewählten
Vertreter der Bevölkerung in Zukunft gegen diese Steuerverordnungen aus,
weil sie keine Einsicht in das Budget besaßen und grundsätzlich indirekte
Steuern ablehnten, ehe das direkte Steuersystem verbessert sei9. Neben der
Einführung der indirekten Steuern wurden in den ersten Jahren einige
deutsche Gesetze übernommen und erste Schritte zur Vereinheitlichung des
Steuerwesens getan10. Die erste Phase der Steuergesetzgebung war eindeutig
von der Konzeption der Regierungskommission geprägt.
Ein zweiter entscheidender Schritt in der Ausgestaltung des saarländischen
Steuerwesens geschah 1923. Sinn der umfassenden Steuervorlage war 1. eine
Anpassung an die Umstellung der Währung in französische Francs, 2. eine
steuerliche Gleichstellung zwischen dem preußischen und bayrischen Teil des
Saargebietes und 3. eine angemessene Regelung des Steueranteils von Ge-
meinden und Staat11. Diese Steuergesetze wurden in intensiver Zusammen-
arbeit zwischen der Finanzkommission des Landesrats und der Regierungs-
kommission bearbeitet12. Es gelang, eine weitgehende Übereinstimmung
zwischen Volksvertretung und Regierungskommission zu erreichen. Die
Landesrats Vertreter des Zentrums und besonders auch der Liberalen Volks-
partei, die zusammen die Parlamentsmehrheit für diese Neuregelung dar-
stellten, betonten ausdrücklich, daß die Zusammenarbeit vorbildlich gewesen
sei und daß der Landesrat in der Bewilligung der Steuern der Regierungs-
kommission für ihre Arbeit die notwendige finanzielle Basis habe sichern
wollen13. Man erwarte allerdings auch, daß auf Grund der neuen finan-
ziellen Voraussetzungen eine entsprechende Anhebung der Pensionen, Ren-
4 Ebenda.
5 S.D.N. J.O. 1,8 (1920), S. 73, und ähnlich 11,2 (1921), S. 204.
6 Ebenda: 1,8 S. 73.
7 Ebenda.
8 Ebenda: 1,8 S. 74.
9 Ebenda: III,3 (1922), S. 232.
10 Ebenda: 11,8 (1921), S. 844; IV,7 (1923), S. 752; Amtsblatt der Reg.-Kom. 1920,
Nr. 250.
11 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 24. 11. 1923, S. 3; S.D.N. J.O. V,3 (1924), S. 446 f.
12 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 24. 11. 1923, S. 3.
13 Ebenda, S. 7.
133
ten und Beamtengehälter erfolge14. Alle Abgeordneten hatten die Verein-
heitlichung des Steuersystems gebilligt. Vor allem trug auch die Regelung,
daß die Einkommen- und Lohnsteuer zu einem erheblichen Teil den Ge-
meinden zufloß, dem Willen der Volksvertretung Rechnung15. Der Landes-
rat hatte das ausdrücklich gewünscht, obwohl sich dadurch eine Rechtslage
ergab, die sich von der deutschen unterschied. Alle Vertreter waren der An-
sicht, daß Steuerhoheit und Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden unange-
tastet bleiben sollten16. Über die Selbständigkeit der Gemeinden wurde
wegen des bestehenden politischen Systems ängstlich gewacht:
„Der Gemeinde fällt, das müssen wir für die Zukunft besonders betonen, die
Hauptaufgabe zu, die Eigenart und Tradition des Saargebietes zu pflegen . . .“ 17
Daneben zeichneten sich 1923 besonders klar jene Steuerprobleme ab, die zu
grundsätzlichen Gegensätzen zwischen Regierungskommission und Landes-
rat führen mußten.
Die vom Landesrat im Rahmen der Vermögenssteuer geforderte Besteuerung
der Gesellschaften hatte die Regierungskommission prinzipiell abgelehnt, da
dadurch der Unternehmergeist an der Saar untergraben werden könne18. Die
Bevorzugung des bereits früher geschaffenen indirekten Steuersystems wie
der Schutz der Industrie gegen eine überstarke Besteuerung brachten die
Regierungskommission in einen Konflikt mit dem Landesrat, der sich in
Zukunft noch verschärfen sollte.
Ein weiteres Problem tauchte in der Frage der Umsatzsteuer für Aus- und
Einfuhr auf. Die bestehende deutsche Gesetzgebung unterschied sich in die-
sem Punkt wesentlich von der französischen Gesetzgebung, die in Deutsch-
land unbekannte oder wesentlich höhere Steuern vorsah19. Die Regierungs-
kommission hielt im Hinblick auf die am 10. Januar 1925 eintretende end-
gültige Eingliederung in das französische Zollsystem eine Angleichung an
die französische Umsatzsteuer für notwendig. Sie berücksichtigte die ent-
gegenstehenden Wünsche der Bevölkerung nur insofern, als sie die Anglei-
chung schrittweise vollzog und bis zum 10. Januar 1925 eine Reihe Be-
freiungen bei der Einfuhr zuließ.
Auf diese Periode einer im ganzen positiven Zusammenarbeit in der Steuer-
gesetzgebung folgte eine Zeit scharfer Gegensätze. Diese Entwicklung trat
ein, weil gewisse Steuerregelungen und Vorlagen einen nationalpolitischen
Aspekt besaßen. Die Frage der französischen Kohlensteuer war ein Grund-
14 Ebenda: Nachmittagssitzung vom 24. 11. 1923, S. 8, und Nachmittagssitzung vom
28. 11. 1923, S. 7.
15 S.D.N. J.O. V,3 (1924), S. 447 f.
16 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 24. 11. 1923, S. 3 u. S. 8: Bereits früher war
wiederholt die finanzielle Selbständigkeit der Gemeinden gefordert worden (z. B.
a. a. O., 20. 4. 1923, S. 14).
17 Ebenda: 24. 11. 1923, S. 9.
18 S.D.N. J.O. V,3 (1924), S. 447 f.
19 Ebenda, auch für die folgenden Ausführungen. Im AStA München MW 8786 ein
Rechtsgutachten über „Das saarländische Umsatzsteuerrecht hinsichtlich Einfuhr und
Ausfuhr“.
134
problem, das immer wieder alle Steuerdiskussionen überschattete. § 13 des
Saarstatuts des Versailler Vertrages besagte:
„Die Beiträge der Gruben und ihrer Nebenanlagen zu dem örtlichen Haushalt des
Saarbeckengebietes werden unter gebührender Berücksichtigung des Verhältnisses
des Wertes der Gruben zu dem gesamten steuerpflichtigen Haushalt des Saar-
beckens festgesetzt.“
Ursprünglich verlangte die Regierungskommission, als sie noch keine Ein-
nahmen besaß, von der französischen Gruben Verwaltung ab 1. Januar 1920
die Kohlensteuer nach dem deutschen Gesetz vom 8. April 1917, reduzierte
sie aber für die Zeit vom 1. April bis 31. Juli 1920 von 20 auf 10 Prozent20.
Da das deutsche Gesetz am 31. Juli 1920 auslief, wurden die Lokalvertre-
tungen befragt. Da diese sich einstimmig und mit ungewöhnlicher Eindring-
lichkeit dafür einsetzten, daß die Kohlensteuer in der Höhe von 20 Prozent
erhalten blieb, beugte sich die Regierungskommission diesem Beschluß, weil
„. . . il lui devenait difficile d’obtenir de ces mêmes assemblées un avis favo-
rable pour l’établissement de taxes nouvelles, . . 21. Im übrigen vertrat die
Regierungskommission bereits in diesen ersten Berichten die Auffassung, daß
sich die Steuer in dieser Höhe auf die Dauer nicht halten ließe und daß die
Basis für die Verwirklichung des § 13 genau juristisch geprüft werden
müsse22. In der Folge wurde die Kohlensteuer deshalb schrittweise reduziert,
am 1. April 1921 bereits auf 10 Prozent, dann am 1. August 1922 auf
7,5 Prozent und am 1. Februar 1923 auf 5 Prozent. Die Senkung wurde mit
Rücksicht auf den Protest der französischen Regierung und die wirtschaft-
lichen Schwierigkeiten, die sich für den Absatz der Saarkohle daraus ergeben
könnten, begründet23. Wegen der Absatzschwierigkeiten für die Saarkohle
dachten damals auch Gewerkschaftskreise an einen eventuellen Abbau der
Kohlensteuer24. Der Landesrat war mit der Regelung der Kohlensteuer un-
zufrieden, forderte nach § 13 des Saarstatuts einen Beitrag der Gruben zu
den Gemeindehaushalten und war gegen eine Steuer, die von den Verbrau-
chern zu tragen war25. Auch in Genf führten die Fraktionen des Landesrats
wegen des Vorgehens der Regierungskommission in der Frage der Kohlen-
steuer in der Denkschrift vom 24. November 1923 Beschwerde26. Eine Spe-
zialkommission zur Überprüfung des § 13 wurde eingesetzt27, und schließ-
lich wurde die Frage durch ein Abkommen zwischen der Regierungskommis-
sion und dem französischen Staat im März 1924 geregelt28. Auf Grund einer
Aufstellung des steuerbaren Vermögens des Saargebietes und der Gruben
20 S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 105; 1,4 S. 197f.
21 Ebenda: 1,8 S. 73 f.; Amtsblatt der Reg.~Kom. 1920, Nr. 175. S. auch oben S. 55.
22 S.D.N. J.O. 11,2 (1921), S. 203; 11,5/6 S. 624.
W Ebenda: 11,2 (1921), S. 203; 11,5/6 S. 624; IV,1 (1923), S. 101; IV,7 S. 752.
24 S.2. Nr. 134 v. 23. 5. 1922: „Revierkonferenz des Gewerkvereins christlicher Berg-
arbeiter“, Rede des Gewerkschaftssekretärs Kuhnen; A.Z. Nr. 110 v. 1. 6. 1922:
„Die Wahlen zum Landesrat“.
25 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 20. 4. 1923, S. 14, u. v. 24. 11. 1923, S. 5 ff.;
v. 19. 5. 1924, S. 11.
26 S.D.N. C. 755. M. 301. 1923. I.
22 Ebenda, J.O. IV,12 (1923), S. 1559.
28 Ebenda, J.O. V,8 (1924), S. 1051 f.
135
wurde der Anteil des französischen Staates zum saarländischen Staats- und
zu den Gemeindehaushalten errechnet. Die Regelung war ohne Befragung
der Bevölkerung erfolgt. Das Abkommen stellte nach Auffassung der Be-
völkerung eine eindeutige Begünstigung des französischen Staates dar, der
dadurch einen ungewöhnlichen Profit aus den Saargruben ziehen könne29.
In der Folgezeit nahmen die Parteien und der Landesrat immer wieder in
Sitzungen und Denkschriften nach Genf gegen dieses Steuerabkommen Stel-
lung und verlangten seine Kündigung30. Die Präsidenten Stephens und Wil-
ton trugen schließlich dem Wunsche der Bevölkerung Rechnung. Im März
1927 wandte sich die Regierungskommission wegen einer Überprüfung des
Errechnungskoeffizienten des Abkommens von 1924 an die französische
Regierung „et a ainsi tenu compte d’un vœu fréquemment exprimé par la
population31“. Da nach übereinstimmender Ansicht der Mitglieder eine
Gesamtkündigung des Steuerabkommens zu großen Schwierigkeiten führen
konnte, erstrebte man zunächst eine Überprüfung des Koeffizienten zur
Errechnung des Anteils der Steuern für die französischen Staatsgruben,
wollte aber außerdem langsam eine „révision aimable“ des Gesamtabkom-
mens erreichen32. Koßmann wurde mit der Verhandlungsführung beauf-
tragt33, tatsächlich erreicht wurde aber nur eine Erhöhung des Beitrags zu
den Gemeindehaushalten von 2400000 Frs auf 3 Millionen Frs34. Später
wurde der Beitrag noch auf 3,2 Millionen erhöht35. Eine weitergehende
Belastung des französischen Staates erwies sich als schwierig, da eine ent-
sprechende Untersuchung der Regierungskommission ergeben hatte, daß die
saarländischen Hütten mit der Hälfte der Belegschaft in einem Zeitraum, in
dem die französischen Gruben 41 Millionen Francs Steuern zahlen mußten,
nur 11 Millionen erbracht hatten36. Auch mit Rücksicht auf die Absatz-
schwierigkeiten für die Saarkohle und aus Besorgnis wegen einer Verteue-
29 E. Metzger, Der Einfluß des Saarstatuts auf die politischen und wirtschaftlichen
Verhältnisse des Saargebietes, Würzburg 1934, S. 86—91, „Die Steuerpolitik der
Regierungskommission“. Hier spricht Metzger nur von der Frage der Steuern der
Gruben und des französischen Staates und legt die Auffassungen der Saarbevölkerung
dar. Die kritische Stellungnahme der Saarländer stütze sich auf die Tatsachen, daß die
Arbeitskraft mitberechnet war bei dem Gesamtvermögen des Saargebietes und daß
die Zolleinnahmen vom Steueraufkommen ausgegliedert blieben.
30 S.D.N. C. 413. M. 152. 1924. I. Denkschrift der Landesratsfraktionen des Zentrums,
der Sozialdemokraten und der Deutsch-Saarländischen Volkspartei v. 9. 8. 1924: „Die
mißbräuchliche Ausbeutung des Saargebietes durch Frankreich“. C. 520. M. 200.
1926. I. Denkschrift der Landesratsfraktionen des Zentrums und der Deutsch-Saar-
ländischen Volkspartei v. 11. 8. 1926: „Die französische Mehrheit der Regierungs-
kommission — ein Schaden für das Saargebiet“. Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber.
v. 17. 11. 1925, S. 9, Nachmittagssitzung S. 12; v. 12. 4. 1926, S. 36, Nachmittags-
sitzung S. 11; S.L.Z. Nr. 350 v. 28. 12. 1927; S.Z. Nr. 352 v. 28. 12. 1927; Nr. 353
v. 29. 12. 1927.
31 S.D.N. J.O. VIII,6 (1927), S. 683; Kall, a. a. O., S. 521; Metzger, a. a. O., S. 90.
32 Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 14. 12. 1927, S. 715ff.; S.D.N. J.O. IX,5 (1928), S. 760f.
33 A.A. II Bes. Geb. Saargebiet: Französische Grubenverwaltung — Besteuerung der
franz. Grubenverwaltung, Bd. 1 : Hier Korrespondenz Koßmanns in dieser Frage mit
dem Auswärtigen Amt, das ihm ein Gutachten über die Fragen lieferte.
34 S.D.N. J.O. IX,5 (1928), S. 760 f.
35 A.A., a. a. O., e. o. II SG 1601: Seit 1. April 1930.
36 Ebenda: II SG 423, Brief Koßmanns an das A.A. v. 8. 2. 1928.
136
rung der Kohlepreise gab sich die Regierungskommission mit dem Erreichten
zufrieden und bestand nicht auf einer umfassenden Neuregelung37.
Eine weitere Kontroverse in Steuerfragen ergab sich im Zusammenhang mit
der Eingliederung in das französische Zollsystem, als Frankreich die Ein-
führung der französischen Verbrauchssteuern an der Saar verlangte. Diese
Steuern wurden nicht wegen der Bedenken der Sozialisten gegen indirekte
Steuern überhaupt38 abgelehnt, sondern bei allen Parteien spielten national-
politische Gesichtspunkte eine wesentliche Rolle39. Man wehrte sich gegen
den Einfluß Frankreichs auf die inneren Verhältnisse an der Saar, der sich
aus der Zolleingliederung ergab. Die Verhandlungen zwischen Regierungs-
kommission und Landesrat führten zu keinem Ergebnis, obwohl die Regie-
rungskommission zum Ausgleich für diese Steuern, die sich nicht aus Er-
fordernissen des saarländischen Etats ergeben hatten, eine Reform der Ein-
kommensteuer zur Entlastung der minderbemittelten Schichten versprochen
hatte40. Diese indirekten Steuern wurden gegen den Willen des Landesrates
gesetzlich eingeführt41.
1926 folgte dann eine weitere große Steuernovelle, die nun den wiederholt
vorgetragenen Wünschen der Bevölkerung über eine sozialere Ausgestaltung
des direkten Steuersystems Rechnung trug42. Die Steuerfreibeträge bei der
Einkommen- und Lohnsteuer für berufliche Auslagen und Familienunterhalt
wurden um 50 bzw. 100 Prozent erhöht. Diese Regierungsvorlage wurde
unverändert angenommen. In der Vermögenssteuer wurde auf Wunsch des
Landesrates die Grenze des nicht zu versteuernden Vermögens für alte und
arbeitsunfähige Leute noch wesentlich erhöht. Als Ersatz für die auf diese
Weise ausfallenden Steuern brachte die Regierungskommission Vorlagen zur
Erhöhung der Umsatzsteuer und der indirekten Steuern (Verbauchssteuer)
vor den Landesrat. Der Landesrat verweigerte grundsätzlich die Umsatz-
steuer, nahm in aller Schärfe gegen die französische Luxussteuer, mit der der
saarländische Import an der Grenze durch die Zollverwaltung belegt wurde,
und gegen die indirekten Steuern nach französischem System Stellung43. Die
Regierungskommission solle den französischen Staat höher besteuern und
Einblick in den Isthaushalt gewähren und außerdem seien noch Reserven
da44. Alle Parteien verlangten gegenüber den bestehenden französisch orien-
tierten indirekten Steuern die Einführung der Reichssteuern45. Die Regie-
rungskommission berücksichtigte die Wünsche der Bevölkerung in der Weise,
37 S.D.N. J.O. IX,5 (1928), S. 760f.; Lambert, a. a. O., S. 202, weist ebenfalls darauf
hin, daß die Regierungskommission mit Rücksicht auf den Absatz der Saarkohle keine
zu hohe Besteuerung der Gruben habe erstreben können.
38 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 19.
39 Ebenda, Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 19 u. S. 21; v. 13. 2. 1925, S. 28; v. 2. 4. 1925,
S. 7 ff.
« Ebenda, Sten. Ber. v. 13. 2. 1925, S. 28.
41 Amtsblatt d. Reg.-Kom. 1925, Nrn. 418, 460, 490 u. 505.
42 Bericht der Reg.-Kom. über die Gesamtsteuerreform von 1926: S.D.N. J.O. VII,5
(1926), S. 652, u. VII,9 S. 1123.
43 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 11. 2. 1926, S. 26ff.; v. 13. 4. 1926, S. 33f.;
v. 26. 7. 1926, S. 4.
44 Ebenda: Sten. Ber. v. 26. 7. 1926, S. 4.
45 Ebenda: Sten. Ber. v. 12. 4. 1926, S. 35.
137
daß die indirekten Steuern wesentlich geringer als geplant erhöht wurden46.
Die folgenden Jahre waren an der Saar von einer wirtschaftlich günstigen
Entwicklung gekennzeichnet. Das führte im Steuerwesen zu weiteren steuer-
lichen Entlastungen nach den Wünschen der Bevölkerung. Bereits die Jahre
1927 und 1928 brachten gewisse neue Erleichterungen in Lohn- und Ein-
kommensteuer und erste Erleichterungen in den indirekten Steuern. Die
Regierungskommission hatte die Steuersenkungen im Hinblick auf die Kür-
zung der Löhne und Gehälter vorgenommen47. Außerdem wurde das Pro-
blem der sog. Luxussteuer, gegen die der Landesrat immer wieder Stellung
genommen hatte48, auf gegriffen und eine Lösung mit Zustimmung der
Bevölkerung erstrebt. In langen Verhandlungen zwischen Vertretern der
Regierungskommission, des saarländischen Wirtschaftslebens und der fran-
zösischen Zollverwaltung wurde ein Kompromiß erarbeitet, der der Auf-
fassung des Landesrats, daß diese Zollgebühr nicht dem saarländischen Recht
entspreche, Rechnung trug49. In den folgenden Jahren wurde die Luxus-
steuer nochmals gesenkt und schließlich am 22. August 1934 ganz beseitigt50.
1929/30 führte die Regierungskommission eine weitere große Steuerreform
durch. Sie griff die Forderungen nach einer umfassenden Steuerreform und
Steuersenkung, die im Landesrat oder von Vertretern von Berufs- und Wirt-
schaftsorganisationen wiederholt angemeldet worden waren, auf51. In ihrem
Bericht nach Genf legte die Regierungskommission dar, sie habe diese
Wünsche nicht berücksichtigen können, ehe die Stabilisierung der Währung
erreicht, die Beamtenbesoldung endgültig geregelt und ein Überblick über
die Höhe der Zolleinnahmen nach dem Abschluß der deutsch-französischen
Zollvereinbarungen gewonnen worden sei52. Diese Voraussetzungen seien
erst seit 1929 gegeben. Die Steuerreform53 brachte im wesentlichen eine
Ermäßigung der Einkommen- und Lohnsteuer und der Gewerbesteuer und
ersetzte in der Einkommensteuer das alte Klassensystem durch die stufen-
weise Progression. Außerdem wurde auch eine gewisse Ermäßigung der
indirekten Steuern vorgenommen. Die Regierungskommission entsprach in
ihrer endgültigen Beschlußfassung den Voten des Landesrates, soweit es ihr
eben tragbar erschien, so daß die Steuerermäßigung die ursprünglichen
Regierungsvorlagen erheblich überschritt. Eine Berücksichtigung aller aus-
gesprochenen Wünsche wäre finanziell untragbar gewesen, da fast alle
46 S.D.N. J.O. VII,9 (1926), S. 1123.
47 Beridhte der Regierungskommission zu diesen Erleichterungen: S.D.N. J.O. VIII,6
(1927), S. 683; VIII,9 S. 1048; VIII,12 S. 1642; IX,12 (1928), S. 2013.
48 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 11. 2. 1926, S. 26f. u. S. 30; v. 13. 4. 1926, S. 30 ff.
49 S.D.N. J.O. VIII,3 (1927), S. 300.
50 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 6. 1930, S. 111 ff.; S.D.N. J.O. XI,9 (1930),
S. 1086; XI,12 S. 1188; XV,1 (1934), S. 24.
51 Z. B.: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 13. 4. 1927, S. 72; v. 2. 6. 1927, S. 80;
v. 8. 7. 1927, S. 130. Die Reg.-Kom. berichtete über diese Wünsche in ihrem 40. Rap-
port: S.D.N. J.O. XI,3 (1930), S. 276.
52 S.D.N. J.O. XI,3 (1930), S. 276 f.
53 Über die Steuerreform und zu den folgenden Darlegungen: Berichte der Reg.-Kom.:
Ebenda XI,3 S. 276 f.; XI,5 S. 475 ff.; außerdem Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber.
v. 20. 12. 1929, S. 358—406.
138
Steuerarten beanstandet wurden. Die Regierungskommission sprach in ihrem
Bericht über diese Gesetzgebung bereits erste Bedenken gegen die Steuer-
reform aus, da durch die Zunahme der Arbeitslosigkeit und die Sozialver-
sicherungsauslagen gerade damals dem Etat besondere Belastungen er-
wuchsen. Durch diese Neuregelung lagen die Steuern im Saargebiet unter
den Reichssteuern54.
Die Verschärfung der Weltwirtschaftskrise mit den großen Lasten für die
Arbeitslosen zwang die Regierungskommission 1932 zu einer Erhöhung der
Steuern55. Der Landesrat lehnte sie als nicht notwendig ab56. Die Regie-
rungskommission nahm zwar bei der endgültigen gesetzlichen Regelung noch
auf einige Wünsche des Landesrats Rücksicht, aber die unwillkommenen
Steuererhöhungen und eine neue Politik der Regierungskommission gegen-
über dem Finanzgebaren der Gemeinden führte zu Spannungen auf finanz-
politischem Gebiet. Die Regierungskommission hatte nach der Steuerreform
von 1923 dem Willen der Parteien nach finanzieller Selbständigkeit der
Gemeinden durch verschiedene Maßnahmen Rechnung getragen. So war
nach der Steuerreform von 1926, die vor allem die Gemeindesteuern ver-
ringert hatte, eine Neuverteilung der Steuern zwischen Staat und Gemein-
den zur Sanierung der Gemeindefinanzen erfolgt57. Nach den Steuerkür-
zungen von 1929/30 kam die Regierung den Gemeindehaushalten mit gro-
ßen Zuwendungen zu Hilfe58. Die erste Steuererhöhung in der Weltwirt-
schaftskrise betraf die Biersteuer, die den Gemeinden zufloß und vom
Landesrat deshalb gebilligt wurde59. Die Gemeinden gerieten in der Welt-
wirtschaftskrise in große Bedrängnis, da sie vorher eine großzügige Anleihe-
politik getrieben hatten, und nun die Mittel zur Zurückzahlung kurzfristiger
Anleihen wie zur Arbeitslosenunterstützung fehlten. Die Regierungskom-
mission legte daraufhin dem Landesrat Verordnungsentwürfe vor, die kurz-
fristige Anleihen von der Erlaubnis der Regierungskommission abhängig
machten und ihr ein Uberwachungsrecht und die Interventionsmöglichkeit
in die Finanzverwaltung der Gemeinden zugestanden60. Die bürgerlichen
Parteien wandten sich deshalb am 16. Januar 1932 in einer Eingabe an
Präsident Wilton, um gegen diesen geplanten Eingriff in die Selbstverwal-
tung der Gemeinden zu protestieren61. Als Notverordnungen wurden die
entsprechenden gesetzlichen Regelungen am 23. März 1932 erlassen62. Sie
bedeuteten in der gegebenen Situation wohl eine Notwendigkeit63. Die
54 A.A. II Bes. Geb., Saargebiet, Bildung eines Saarausschusses, Bd. 2, II SG 1809, Gut-
achten Friedbergs über die Saarverhältnisse vom 26. 8. 1930.
55 S.D.N. J.O. XIV,1 (1933), S. 133 ff.; XV,5 (1934), S. 439 f.
56 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 8. 8. 1932, S. 194 ff.
57 S.D.N. J.O. VII,9 (1926), S. 1123; VIII,6 (1927), S. 683.
58 Ebenda, XI,12 (1930), S. 1187.
59 Ebenda, XII,9 (1931), S. 1783.
60 Ebenda, XIII,4 (1933), S. 965; Lambert, a. a. O., S. 207ff.
61 Abschrift dieser Eingabe in A.A. II Bes. Geb., Saargebiet, Politische Angelegenheiten,
Bd. 41, unter II SG 392.
62 Amtsblatt der Reg.-Kom. 1932, Nr. 166 und 167.
63 So auch Lambert, a. a. O., S. 207 f., und Latz Rap., „Die gemeindliche Selbstver-
waltung im Saargebiet“ in ACADEMIA, Saarnummer, 46. Jg., Nr. 9, Januar 1934,
S. 235—237.
139
Regierungskommission war durch Sparmaßnahmen, vor allem die Kürzung
der Gehälter, Löhne, Pensionen und Renten, durch die Steuererhöhung und
durch Rückgriff auf die Reserven in der Lage, den Staatshaushalt zu regu-
lieren. Durch ihre Politik gegenüber den Gemeinden suchte sie ein Finanz-
chaos in diesen demokratischen Gebilden, die nicht zu unpopulären Maß-
nahmen schreiten wollten, zu verhindern64.
Die Regierungskommission und die Parteien hatten aber audi bei Beginn
der Weltwirtschaftskrise ein gemeinsames bedeutsames Projekt für die Saar
entwickelt, die Aufnahme einer großen internationalen Anleihe65. Besonders
die Sozialdemokratische Partei unter der Führung von Braun hatte sich
immer wieder leidenschaftlich für diesen Plan eingesetzt66. Da der Völker-
bundsrat diese Anleihe genehmigen mußte, hatte Deutschland sie verhindern
können67.
Insgesamt war es in der Steuerpolitik des Saargebiets zu einer fruchtbaren
Zusammenarbeit zwischen Regierung und Bevölkerung gekommen. Die Ge-
sichtspunkte der Regierungskommission wie der Bevölkerung hatten in der
Gestaltung der Verhältnisse Geltung gefunden. Die Einführung der indirek-
ten Steuern und der Schutz der saarländischen Industrie vor einer steuer-
lichen Überbelastung waren Anliegen, die von der Regierungskommission
zur Sanierung des Staatshaushaltes, zur Anpassung an die Zollunion mit
Frankreich und zum Wohl des wirtschaftlichen Lebens an der Saar auch
gegen die Wünsche der Bevölkerung durchgesetzt worden waren. In der
sozialen Ausgestaltung des direkten Steuersystems und der Respektierung
der finanziellen Selbständigkeit der Gemeinden hatte man den Forderungen
des Landesrates entsprochen. So war besonders seit 1926 eine Gesamtord-
nung entstanden, die sowohl die Interessen der Arbeiterschaft und der Mit-
telschichten wie der Großindustrie berücksichtigte. Die fortschreitende Durch-
dringung der Gesetzgebung mit sozialen Grundsätzen führte nie zu einer
höheren Besteuerung der oberen Schichten, sondern mündete bei einer star-
ken Reduzierung der Steuerlast für untere und mittlere Einkommen in den
Spitzen wieder in die alten Ordnungen68. Die Haltung der Regierungskom-
mission, die über den Parteien stand und die verschiedenen Gesichtspunkte
64 S.D.N. J.O. XIII,4 S. 965; Latz a. a. O., S. 237.
65 S.D.N. J.O. X,1 (1929), S. 179 ff.; X,6 S. 957; X,7 S. 2441; X,ll S. 1477, 1710, 2496;
XII,11 (1931), S. 2890.
66 Volksstimme Nr. 116 v. 21. 5. 1931 „Bei Curtius“; Volksstimme Nr. 45 v. 23. 2. 1932
„Entschließung zur Anleihe- und Arbeitsmarktpolitik“; A.A. II Bes. Geb. Saargebiet,
Bildung eines Saarausschusses, Bd. 1; II SG 1276, Aufzeichnung über die Sitzung des
Saarausschusses vom 1. Juli 1929, in der die Saarvertreter auch das Anleiheprojekt
vertreten hatten.
67 A.A. a. a. O., II SG 1809; Abschrift einer Aufzeichnung Friedbergs vom 26. 8. 1930;
die Gründe Deutschlands gegen die Anleihe waren folgende: 1. Die Anleihe sei erst
nach der Abstimmung zurückzuzahlen, belaste also das Deutsche Reich; 2. das mit der
Anleihe vorgesehene Investitionsprogramm greife einer deutschen Politik nach 1935
vor; 3. von Arbeitslosigkeit könne im Saargebiet noch kaum gesprochen werden;
4. die Steuern im Saargebiet lägen erheblich unter den deutschen; 5. mit den Anleihe-
geldern erhielten französische Firmen Aufträge; die Anleihe unterstütze also nur die
Erfolge des Saarregimes und die französischen Hoffnungen auf die Saar.
68 Vgl. dazu die Darlegungen der Reg.-Kom. über die Einkommensteuer in der Reform
von 1929/30 S.D.N. J.O. XI,5 (1930), S. 475.
140
berücksichtigte und ausglich, ermöglichte den Parteien im Landesrat eine
Steuerpolitik, die weniger auf die Ausarbeitung ihrer unterschiedlichen Auf-
fassungen abgestellt war, denn auf jene Gesichtspunkte, die aus der beson-
deren Situation der Saar erwuchsen: Soziale Steuerpolitik mit Rücksicht auf
die Arbeiterschaft des Saargebietes, nationale Steuerpolitik durch Rechts-
angleichung an Deutschland und Ablehnung der französischen Einflüsse und
schließlich Verteidigung der demokratischen Freiheiten der Gemeinden.
Letztlich war die günstige Entwicklung auf steuerlichem Gebiet aber nur
möglich, weil die Zollregelungen dem Gebiet eine wirtschaftlich bevorzugte
Stellung verliehen, die Abkommen über die Pensionen und Sozialversiche-
rungen das Deutsche Reich zu erheblichen finanziellen Leistungen für die
Saar verpflichteten und das Saargebiet selbst keine Reparationslasten zu
tragen hatte.
Zollfragen
Die Eingliederung des Saargebiets in das französische Zollsystem nach einer
Übergangszeit von fünf Jahren war durch § 31 des Saarstatuts des Ver-
sailler Vertrages festgelegt. Die Festsetzung der Zölle fiel nach § 26 nicht
unter jene Abgaben, zu denen die Vertreter der Bevölkerung anzuhören
waren. In dem saarländischen Industriegebiet, das auf die Einfuhr von
Erzen, Lebensmitteln und anderen Gütern und die Ausfuhr seiner Produk-
tion angewiesen war, berührten Zollregelungen jedoch lebenswichtige Inter-
essen. Besonders für die Eisenindustrie des Saargebietes blieb der Export
nach Deutschland eine Existenzfrage1, da sich in den Jahren bis 1924 er-
wiesen hatte, daß Frankreich die saarländische Produktion neben der loth-
ringischen nicht aufnehmen konnte. Außerdem waren die Betriebe an der
Saar auf die Versorgung mit deutschen Maschinen und Ersatzteilen einge-
richtet, und die Bevölkerung erwartete weiterhin die Lieferung von deut-
schen Medikamenten, Textilien, Möbeln und anderen Verbrauchsgütern2.
Die für den 10. Januar 1923 vorgesehene vollständige Eingliederung in das
französische Zollsystem hatte Folgen für die gesamte Bevölkerung, und die
wirtschaftliche Abhängigkeit der Saar vom französischen Staate offenbarte
sich in aller Schärfe. Es zeigte sich, daß die Regierungskommission durch die
wirtschaftlichen Regelungen des Versailler Vertrages trotz ihrer Gesetz-
gebungsbefugnisse letztlich nicht Herr im eigenen Hause war.
1 Die französischen Industriellen konnten aus diesen Gründen 1919/20 nur unter Druck
der französischen Regierung für die Beteiligung an der Saareisenindustrie interessiert
werden (Staley, a. a. O., S. 599), und Vertreter einer französischen Wirtschafts-
expansion an der Saar kritisierten ausdrücklich, daß die Frage des Absatzes der saar-
ländischen Eisen- und Stahlproduktion von Frankreich nicht gelöst wurde (Revire,
Perdrons-nous la Sarre?, S. 67ff.). Vgl. zu diesem Problemkreis auch Borck, a. a. O.,
S. 25; W. Cartellieri, Die Eisenindustrie an der Saar, in Kloevekorn, a.a.O.,
S. 340; H. Chiny, Le Retour eventuel de la Sarre & l’Allemagne vu par les Alle-
mands (These, Droit), Paris 1932, S. 15 f.; Marvaud, a. a. O., S. 33; Metzger,
a. a. O., S. 99.
2 Dazu bes. die beiden Denkschriften der Parteien nach Genf: S.D.N. C. 413. M. 152.
I. v. 9. 8. 1924 und C. 116. M. 56. 1925. I. v. 16. 2. 1925; außerdem Röchling,
Wir halten die Saar, S. 104 ff.; Metzger, a. a. O., S. 99.
141
Die Vertreter von Handel und Industrie und die politischen Parteien an der
Saar waren auf Grund dieser Situation nicht gewillt, die endgültige Ein-
gliederung in das französische Zollsystem ohne ihre Stellungnahme und ohne
Darlegung ihrer Wünsche hinzunehmen. Bereits am 19. Mai 1924, als im
Landesrat der Verordnungsentwurf der Regierungskommission über die
Einführung der französischen Zollgesetze im Saargebiet vorlag, entwickelten
sie ihre Vorstellungen. Alle Parteien erklärten sich in der Schlußdebatte über
diese Verordnung gegen die vorgesehene Eingliederung in das französische
Zollsystem und betonten, die Regierungskommission dürfe sich nicht einfach
als Vollstreckerin des Versailler Vertrages begreifen, sondern ihre Verant-
wortung für Interessen und Wohl der Saarbevölkerung verpflichte sie, Mit-
tel und Wege zur Abwendung der vorgesehenen Lösung zu finden3. Die
Vorlage wurde abgelehnt, aber da man letztlich doch mit ihrer Einführung
rechnete, hatte man sich in den vorangegangenen Kommissionssitzungen ein-
gehend mit den Zollfragen beschäftigt und in enger Zusammenarbeit mit der
Regierungskommission Veränderungswünsche vorgetragen und begründet4.
In Erwartung der Schließung der Zollgrenzen gegen Deutschland begann die
Saarbevölkerung 1924 auf Vorrat deutsche Waren zu kaufen5. Als die fran-
zösische Zollverwaltung und die Regierungskommission eine solche Vorver-
sorgung über das Jahr 1924 hinaus nicht dulden wollten, protestierte die
Reichsregierung in den Monaten April und Mai 1924 unter Berufung auf
den Versailler Vertrag gegen Kontingentierungs- und Kontrollmaßnah-
men6. Die Regierungskommission wies zwar die Auffassung der Reichs-
regierung zurück, Rault sah sich aber doch genötigt, in einer ausführlichen
Stellungnahme an den Generalsekretär des Völkerbundes am 17. Juni 1924
die Schritte der Regierungskommission zu rechtfertigen7. Es handele sich um
den Schutz der heimischen Industrie, da sich seit 1923 an der Saar Unter-
nehmungen, vor allem für Textilien, niedergelassen hätten, die Stocks bis
zum Jahre 1935 anlegen wollten, um den Zoll nach 1925 zu sparen. Die
zugelassene Einfuhr z. B. für die deutschen Maschinen liege 50 Prozent über
der Einfuhr der Jahre 1920 bis 1922. Eine Vorversorgung über den 10. Ja-
nuar 1925 hinaus sei nicht im Sinn des Versailler Vertrages. Am 9. August
1924 wandten sich daraufhin die Zentrumspartei, die Deutsch-Saarländische
Volkspartei und die Sozialdemokratische Partei mit einer Denkschrift an
den Rat des Völkerbundes, in der sie u. a. forderten, daß der französische
Staat und die Regierungskommission veranlaßt würden, jede zeitliche und
mengenmäßige Beschränkung der zollfreien Einfuhr aus Deutschland sofort
aufzuheben8. Auch die deutsche Reichsregierung erhob am 16. August 1924
3 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1924, bes. S. 10 ff. u. S. 27.
4 Ebenda, S. 1—8.
5 Darüber besonders Notenwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt, der Regierungs-
kommission und dem Generalsekretariat des Völkerbundes: S.D.N. J.O. V,7 (1924),
S. 1022—1025.
6 Ebenda.
7 Ebenda.
8 S.D.N. C. 413. M. 152. 1924. I.
142
Einspruch beim Rat9. Rault erklärte daraufhin in einem Brief vom 1. Sep-
tember 1924, daß die Kontingentierung sehr großzügig gehandhabt und die
Interessen der Saarländer berücksichtigt werden sollten10. Trotzdem griff
der Rat die Frage in seiner Sitzung am 19. September 1924 auf. Der Bericht
Salandras nahm Kenntnis von der Erklärung der Regierungskommission,
daß sie in liberalem Geiste handeln wolle und sprach die Überzeugung aus
„. . . que la Commission donnera l’interprétation la plus large possible aux
dispositions qui se rapportent à l’entrée en franchise de douane des mar-
chandises allemandes dans la Sarre jusqu’au janvier 1925“. Dem Berichte
fügte Salandra noch hinzu, daß er als eine Empfehlung an die Regierungs-
kommission gedacht sei, die Regierungskommission könne zwar entscheiden,
aber der Rat gebe in diesem Fall eine Empfehlung, von der Salandra glaube,
daß sie von der Regierungskommission angenommen werde11. Lord Par-
moor betonte, daß durch eine freiheitliche Handhabung der Kontingentie-
rung zwar ein Teil der Schwierigkeiten gelöst werde, aber der Vertrag lasse
keine Beschränkung der deutschen Einfuhr zu und deshalb habe man in
England dieser Frage besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht12. Die
Haltung des Rates veranlaßte Rault und die Franzosen, die Maßnahmen
zur Einschränkung der Einfuhr aus dem Deutschen Reich so zu modifizieren
und anzuwenden, daß den Wünschen der Bevölkerung in der Praxis Rech-
nung getragen wurde13.
Durch diese Stellungnahme des Rates war für die weitere Entwicklung der
Zollfragen nach den Wünschen der Saarbevölkerung eine günstige Disposi-
tion geschaffen. Die Vertreter der Bevölkerung ruhten nicht, bis ihre we-
sentlichen Anliegen in der Zollfrage erfüllt waren. Der Rat, die Regierungs-
kommission und Frankreich dachten zwar nicht daran, den Versailler Ver-
trag durch eine Nichteingliederung in das französische Zollsystem zu revi-
dieren14, wie besonders die Zentrumspartei und die Deutsch-Saarländische
Volkspartei in dem offenen Brief an Edouard Herriot, von dem bereits in
anderem Zusammenhang die Rede war, gefordert hatten15. Dagegen ver-
fehlten die Darstellung der konkreten Verhältnisse und die Aufzählung von
Einzelwünschen in Schritten von Vertretern von Handel und Industrie und
der Parteien bei der Saarregierung, Frankreich, Deutschland und dem Rat
nicht ihren Eindruck. Die Handelskammer Saarbrücken veröffentlichte im
September 1924 eine Denkschrift, in der sie sich gegen die Aufhebung des
zollfreien Warenverkehrs mit Deutschland aussprach und organisatorische
Erleichterungen im Zollverfahren verlangte16. Der Verein zur Wahrung der
wirtschaftlichen Interessen wandte sich am 4. Dezember 1924 mit einer
9 Vgl. dazu S.D.N. J.O. V,10 (1924), S. 1312 f.
10 Ebenda.
11 Ebenda, S. 1313.
12 Ebenda.
13 Ebenda: J.O. VI, 3 (1925), S. 308.
14 Dazu besonders Raults Brief über die Zollprobleme v. 6. 12. 1924: S.D.N. C. 799.
M. 268. 1924. I. (Brief als Anhang zur Denkschrift des Vereins zur Wahrung der
wirtschaftlichen Interessen).
15 Vgl. dazu oben S. 86.
16 Keuth, a. a. O., S. 310f.
143
Denkschrift nach Genf17, um eine Beteiligung einer saarländischen Delega-
tion an deutsch-französischen Wirtschaftsverhandlungen zu erreichen. Am
7. Januar erhob der Sprecher der Deutsch-Saarländischen Volkspartei im
Landesrat dieselbe Forderung18. Die Regierungskommission vertrat ange-
sichts dieser Schritte der Saarländer wiederholt die Auffassung, daß ihre
Wünsche gegen die Versailler Vertragsbestimmungen seien, die Regelung
deutsch-französischer Wirtschafts- und Zollvereinbarungen nicht in ihren
Kompetenzbereich falle und daß sie nichts tun könne19. Der Druck der Wirt-
schaftsvertreter und der Parteien veranlaßte die Regierungskommission
dennoch, aktiv zu werden und den Wünschen der Bevölkerung einen ge-
wissen Einfluß zu verschaffen. So vermittelte Rault, daß eine Delegation
aus saarländischen Wirtschafts- und Arbeiterkreisen am 15. Januar 1925 in
Paris von dem französischen Handelsminister Raynaldy im Beisein Raults
und Stephens empfangen wurde20. Die Saardelegation wurde in ihren Be-
fürchtungen über die negativen Folgen der Eingliederung in das französische
Zollsystem beruhigt; man solle zunächst einmal abwarten, sollte die Lage
sich tatsächlich so schwierig gestalten, sei Frankreich zu Milderungen in den
Zollgesetzen bereit21. An demselben Tag schloß die Regierungskommission
ohne Beteiligung der Saarländer ein Abkommen mit der französischen Re-
gierung. Darin war die Einführung der französischen Verbrauchssteuern an
der Saar vorgesehen, da sonst Frankreich die Zollgrenze gegen Lothringen
nicht aufheben könne, aber für das Saargebiet sollten Zolleinfuhrverbote
des französischen Zollsystems wie für Tabak, Medikamente, Edelmetalle,
Spielkarten, Streichhölzer usf. wegfallen und die Kompetenz zur Zulassung
der Einfuhr dieser Produkte sollte der saarländischen Abteilung für Volks-
wohlfahrt zuerkannt werden22. Die Beratung dieses Abkommens im saar-
ländischen Landesrat und seinen Kommissionssitzungen zog sich über Wochen
hin, da die Saarländer die Auffassung vertraten, wenn sie zu den Verhand-
lungen hinzugezogen worden wären, hätten sie wesentlich mehr erreichen
können. Der Wunsch Frankreichs, daß die französischen indirekten Steuern
an der Saar eingeführt würden, sei eine günstige Voraussetzung zur Aus-
handlung der saarländischen Zollwünsche gewesen. Die Regierungskommis-
sion habe sie durch ihre französische Orientierung verscherzt23. Als trotz
langer Verhandlungen des Landesrats mit der Regierungskommission, ins-
besondere auch mit Morize, keine festen Zusicherungen für eine Erfüllung
weiterer saarländischer Wünsche erreicht werden konnten, lehnten alle Par-
teien die Vorlage in der Landesratssitzung vom 2. April 1925 ab24. Die
Sozialdemokraten und die Kommunisten hatten bereits in der Sitzung am
17 S.D.N. C. 799. M. 268. 1924. I.
18 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 7. 1. 1925, S. 30.
19 Vgl. oben Anm. 14 dieses Abschnitts.
20 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 7; Brief Raults v. 27. 2. 1925 unter
C. 116. M. 56. I. und 21. Ber. der Reg.-Kom. v. 16. 4. 1925: J.O. VI,5 (1925),
S. 763.
21 Landesrat, Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 7.
22 Ebenda: Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 10 u. S. 19, und besonders v. 13. 2. 1925, S. 27f.
23 Ebenda: Sten. Ber. v. 2. 4. 1925, S. 5ff.
24 Ebenda, S. 10.
144
5. Februar ihre Ablehnung ausgesprochen, während die Zentrumspartei und
die Deutsch-Saarländische Volkspartei sich nach einer Erklärung des Staats-
kommissars über die positiven zollpolitischen Seiten des Abkommens zu den
Verhandlungen bereitgefunden hatten25. Bei beiden Parteien überwog die
Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen zunächst gegenüber der prinzi-
piellen Ablehnung der indirekten Steuern. Die Parteien hatten während
dieser Auseinandersetzungen die Zollprobleme erneut vor den Rat gebracht.
Die Zentrumspartei und die Deutsch-Saarländische Volkspartei hatten die
Verhältnisse in einem Memorandum vom 16. Februar „Die unhaltbare zoll-
politische Lage des Saargebietes“26 dargestellt. Rault nahm zu dieser Denk-
schrift Stellung in einem Begleitbrief an den Rat: Die Regierungskommission
habe alles getan, um die Härten des Zollsystems zu mildern und habe den
Wünschen der Saarländer bei der französischen Regierung Gehör verschafft.
Tatsächlich hatte die Regierungskommission sich einige Wochen nach der
Besprechung vom 15. Januar erneut an die französische Regierung gewandt,
als die deutsch-französische Unterkommission über den Austausch der Waren
zwischen der Saar und Deutschland verhandelte. Als Folge dieses Schrittes
wurden zum zweitenmal Vertreter von Handel und Industrie und der Ge-
werkschaften unter Führung Koßmanns in Paris empfangen. Direktor Ser-
ruys, der Chef der französischen Delegation für die wirtschaftlichen Ver-
handlungen zwischen Deutschland und Frankreich, hörte die Darlegungen
der Saarländer an und begab sich mit je einem Beamten der Zollverwaltung
und des Handelsministeriums selbst an die Saar, um die Situation an Ort
und Stelle zu untersuchen27. Frankreich wurde durch die Saarländer bereits
damals für Vereinbarungen über eine zollfreie Ausfuhr der saarländischen
Produktion nach Deutschland und die Einfuhr von deutschen Maschinen und
Ersatzteilen gewonnen, nicht aber für eine Berücksichtigung der Verbrauchs-
wünsche der Bevölkerung, die mit traditionellen Gewohnheiten zusammen-
hingen 28.
Während diese Bemühungen bei der Regierungskommission, in Genf und
Paris liefen, starteten die Saarländer weitere Aktionen. Bedeutungsvoll für
die Entwicklung wurde besonders, daß Röchling wegen seiner Schwierig-
keiten im Herbst 1924 und auf Grund seiner Verbindung mit der deutschen
Industrie an den Bemühungen der deutschen Eisen- und Stahlindustrie zur
Organisation dieses Wirtschaftszweiges, vor allem auch für den Verkauf,
regen Anteil nahm. Im Dezember 1924 trat er für sein Völklinger Werk
dem neu gegründeten deutschen Stahlwerksverband bei und erhielt von die-
sem das Angebot, daß der Verband die Zölle für die Einfuhr der Stahl-
verbandslieferungen nach Deutschland zahle29. Dadurch konnte Röchling in
seinem Stahlexport mit der Ruhrindustrie konkurrenzfähig bleiben. Parallel
zu dieser Anbahnung einer organisatorischen Verbindung der Saar mit der
25 Ebenda, Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 19 u. S. 21; v. 13. 2. 1925, S. 41 ff.
26 S.D.N. C. 116. M. 56. 1925. I.
27 Ebenda; außerdem 21. Ber. der Reg.-Kom.: S.D.N. J.O. VI,5 (1925), S. 763.
28 Keuth, a. a. O., S. 313 u. 316.
29 Röchling, Wir halten die Saar, S. 110.
145
deutschen Eisen- und Schwerindustrie liefen die Bemühungen der Partei
Röchlings30 und der Handelskammer Saarbrücken bei der Reichsregierung in
Berlin wegen der Saarzollfragen31. Im Mai 1925 kam es bei Reichskanzler
Luther im Beisein von Reichswirtschaftsminister Neuhaus zu einer Bespre-
chung mit Vertretern der Deutsch-Saarländischen Volkspartei und der Han-
delskammer. Zollstundungen für den saarländischen Import nach Deutsch-
land wurden vereinbart, die allen saarländischen Unternehmungen, auch
denen mit französischer Kapitalmehrheit, gewährt wurden. Dadurch blieb
allen saarländischen Eisen- und Stahlwerken der deutsche Markt offen. Die
gestundeten Beträge, für die bestimmte Sicherungen mit deutschen Banken
vereinbart werden mußten, wuchsen rasch an und begannen besonders die
französischen Industriellen an der Saar zu beunruhigen32. Diese übten des-
halb bei der französischen Regierung einen starken Druck zum Abschluß
entsprechender deutsch-französischer Zollvereinbarungen über die Saar aus.
Da nach Errichtung der Zollgrenze gegenüber Deutschland am 10. Januar
1925 im Saargebiet tatsächlich eine Reihe Schwierigkeiten, auf die Parteien
und Vertreter von Handel und Industrie vorher hingewiesen hatten, ein-
traten, sprach auch die Regierungskommission in ihrem Bericht vom Januar
1926 von der Hoffnung auf deutsch-französische Vereinbarungen, durch die
solche Schwierigkeiten beseitigt werden könnten33. So wurde eine Berück-
sichtigung der saarländischen Forderungen möglich. Schrittweise wurde in
den Jahren 1926 bis 1928 die Situation durch eine Reihe von Abkommen
verbessert34. Dies geschah durch offizielle Staatsverträge wie durch die pri-
vatwirtschaftlichen Abmachungen zwischen der deutschen, französischen,
luxemburgischen und belgischen Schwerindustrie. Diese Entwicklungen be-
einflußten sich gegenseitig. Die Ratifizierung eines ersten deutsch-französi-
schen Saarzollabkommens scheiterte an den französischen Forderungen für
die lothringische Schwerindustrie, die praktisch eine Gleichstellung der loth-
ringischen und der saarländischen Produktion auf dem deutschen Markt
bedeutet hätten35. Wichtig war aber bereits bei diesem ersten Abkommen,
daß in seiner Präambel grundsätzlich die Notwendigkeit einer Sonderrege-
lung für die Saar anerkannt war36. In zwei befristeten Zollabkommen vom
August und November 1926 wurden besonders die Einfuhrwünsche der
saarländischen Industrie für ihren technischen Bedarf und die Absatzmög-
lichkeiten der saarländischen Industrie in Deutschland (Keramik, Glas, Ta-
bak usw.) berücksichtigt37. Der deutsche Absatzmarkt für die saarländische
Schwerindustrie wurde durch den Abschluß des internationalen Eisenpakts
30 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 17. 11. 1925 (Nachmittagssitzung), S. 5, u.
v. 11. 2. 1926, S. 31.
31 Röchling, a. a. O., S. 110ff., auch für die folgenden Ausführungen,
32 Ebenda, S. 112; Lambert, a. a. O., S. 156.
33 S.D.N. J.O. VII,3 (1926), S. 383, u. VII,5 S. 651; vgl. auch Metzger, a. a. O., S. 99f.
34 Übersicht über die Abkommen bei Keuth, a. a. O., S. 317; auch bei Rosting,
a. a. O., S. 59 f.
35 Keuth, a.a.O., S. 314; Cartellieri, a.a.O., S. 240f.
36 Keuth, a.a.O., S. 315.
32 S.D.N. J.O. VII,12 (1926), S. 1602, u. VIII,3 (1927), S. 300 f. j К e u t h, a. a. O., S. 315 f.
146
ebenfalls 1926 geregelt38. Die saarländischen schwerindustriellen Werke —
mit Ausnahme der Dillinger Hütte — traten den deutschen Verbänden für
den deutschen Markt und die außerfranzösische Ausfuhr bei39. Die Zoll-
stundungen wurden auf Grund der Zollabkommen und dieser privatwirt-
schaftlichen Vereinbarungen erlassen40. Ein endgültiges Zollabkommen zwi-
schen Deutschland und Frankreich vom 23. Februar 1928 berücksichtigte
neben den Interessen der Saarindustrie auch einen beachtlichen Teil der
Wünsche der Saarbevölkerung nach Versorgung mit deutschen Produkten41.
Auch die allgemeinen deutsch-französischen Handelsvereinbarungen mit
ihren Minimaltarifen für bestimmte Waren enthielten Festlegungen, durch
die saarländische Forderungen erfüllt werden konnten42. Der Regierungs-
kommission fiel ein Teil der Verwaltung in diesen Saarzollabkommen zu,
und sie bemühte sich in den folgenden Jahren immer wieder, möglichst viel
aus dem Abkommen herauszuholen und bei Neuregelungen im französischen
Zollwesen die Interessen der Saarländer und ihre Wünsche zu vertreten43.
Die Saarbevölkerung, insbesondere die wirtschaftlich interessierten Kreise,
hatten es also verstanden, in den Zollfragen, die nach den Friedensbestim-
mungen ihrer Einflußnahme vollständig entzogen waren, ihre Vorstellungen
in einem beachtlichen Maße durchzusetzen. Die Partei- und Interessenver-
treter hatten dazu nicht nur von ihren rechtlich zugestandenen Möglichkeiten
im Landesrat und in den Denkschriften nach Genf Gebrauch gemacht, son-
dern hatten erreicht, daß sie in Paris und Berlin gehört wurden. Diese Er-
folge fielen ihnen letztlich zu, da Regierungskommission, Völkerbund und
Frankreich ein Interesse an einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung an
der Saar hatten und die Erfüllung der saarländischen Forderungen dazu
Bedingung war. Die Sicherung des deutschen und französischen Absatz-
marktes führte zu einer Periode der Prosperität an der Saar und machte die
Saar zunächst auch weniger anfällig für die Weltwirtschaftskrise, da eine
Ausgleichmöglichkeit bestand. Die zeitweise und teilweise vollzogene Ab-
schneidung von der deutschen Produktion hatte außerdem im Saargebiet zur
Gründung neuer Unternehmungen und zu einer Differenzierung und Be-
reicherung der Produktion geführt. Dadurch wurde das wirtschaftliche Le-
ben an der Saar stabiler und vielseitiger44. Das Saargebiet und Frankreich
zogen Gewinn aus den Zollregelungen und der damit verbundenen wirt-
schaftlichen Entwicklung an der Saar45. Das Deutsche Reich dagegen hatte
von den Vereinbarungen und Zugeständnissen keine wirtschaftlichen Vor-
teile. Es hatte den Saarzollabkommen aus Rücksicht auf die Saarbevölke-
rung zugestimmt und die Absatzwünsche der Saarindustrie in Deutschland
38 S.D.N. J.O. VII,5 S. 651, u. VII,12 S, 1602; Cartellieri, a. a. O., S. 241.
39 Röchling, a. a. O., S. 112 f.; Lambert, a. a. O., S. 156f.
40 Ebenda und S.D.N. J.O. VII,12 S. 1602.
41 S.D.N. J.O. X,2 (1929), S. 330; Keuth, a. a. O., S. 316f.
42 Keuth, a. a. O., S. 317.
43 S.D.N. J.O. VIII,3 (1927), S. 302; X,2 (1929), S. 330; XIII,9 (1932), S. 1561 f.; XV,9
(1934), S. 1129.
44 Vgl. dazu die Darlegungen und Aufstellungen Keuths, a. a. O., S. 294—300.
45 So auch Lambert, a. a. O., S. 157.
147
bereiteten ihm wiederholt Sorgen46. Die Reichsregierung wurde also von
politischen Gründen geleitet. Ein entscheidender Erfolg für diese deutsche
Politik trat nach dem Abschluß der Saarzollabkommen und des Eisenpakts,
die beide der Eingliederung der Saareisen- und -Stahlindustrie in den deut-
schen Wirtschaftsraum dienten, rasch ein, da nun das Interesse der fran-
zösischen Industriellen an diesen Produktionszweigen im Saargebiet end-
gültig zurückging; die Werke mit einer sechzigprozentigen französischen
Beteiligung kamen im Laufe der folgenden Jahre wieder überwiegend in
deutsche bzw. saarländische Hände47. Die Saarparteien und die Saarwirt-
schaft hatten im Kampf um die Zollfragen ihre Interessen mit den natio-
nalen Belangen zu verknüpfen verstanden.
3. Ergebnisse der innersaarländischen Entwicklung
Die innersaarländische Entwicklung läßt sich fast auf allen Gebieten der
Gesetzgebung in drei nicht scharf voneinander abzugrenzende Phasen glie-
dern L
In den ersten Jahren von 1920 bis 1922/23 wurden die Verhältnisse vor-
wiegend von den Vorstellungen der Regierungskommission und besonders
Raults bestimmt. Kritik an den Maßnahmen der Regierungskommission und
der Wunsch zu einer grundsätzlichen Änderung der saarländischen Verhält-
nisse überwogen in den Äußerungen der Parteien.
In der Zeit von der Errichtung des Landesrates (1922) und der Ratsdebatte
im Juli 1923 bis zum Rücktritt Raults (1926) dominierten in der Begegnung
zwischen Regierungskommission und Parteien noch die großen und heftigen
Kontroversen im Landesrat, die sich an den nationalpolitischen Aspekten
einer Reihe von Gesetzen, z. B. der Einführung der französischen Zollgesetze
und der französischen indirekten Steuern entzündeten. Rault setzte gegen
den Willen der Parteien noch jene Regelungen durch, die er für die ver-
tragsgemäße Ausgestaltung des Systems, insbesondere die Sicherung der
französischen Rechte, für notwendig hielt. Die Tatsache aber, daß der Rat
des Völkerbundes sich mehrmals für ein möglichst demokratisches Regie-
rungssystem an der Saar ausgesprochen2 und einige Fragen der saarlän-
dischen Gesetzgebung erörtert hatte, erhöhte bereits in dieser zweiten Phase
der Entwicklung die Bedeutung der Landesratsäußerungen und der Stellung-
46 A.A. II Bes. Geb. Saargebiet: Rückgliederung Bd. 1: e. o. II SG 1025 Memorandum von
Legationsrat Voigt über die Saar v. 1. 6. 1929. Das zeigt auch AStA München MW
Nr. 2268, Beiakt: Verhältnisse der Saarbergleute.
47 Lambert, a. a. O., S. 159f-; Cartellieri, a. a. O., S. 241 f.; Borck, a. a. O.,
S. 26 f. Vgl. auch oben S. 141 Anm. 1.
1 Katsch, a. a. O., S. 96ff., und Kall, a. a. O., S. 497, gliedern ebenfalls in drei
Phasen, erarbeiten aber andere Zäsuren, nämlich 1926 mit dem Rücktritt Raults als
Ende der ersten Phase, 1928 mit dem Rücktritt Lamberts als Ende einer Übergangs-
phase, in der die Verhältnisse sich bereits besserten, und als Beginn der Tätigkeit einer
neutralen Kommission. Diese Einteilung ist aus der Sicht der damaligen Zeit gewon-
nen und würdigt die tatsächliche gesetzliche Entwicklung nicht genügend.
2 Vgl. dazu oben S. 67 f. u. S. 77.
148
nahmen der Parteien. Die Zusammenarbeit zwischen Regierungskommission
und Landesrat wurde sehr intensiv. Damit bahnte sich bereits vor dem
Rücktritt Raults eine neue Situation an. Die Wünsche der Bevölkerung wur-
den nicht nur in national neutralen Fragen, sondern auch bei strittigen Maß-
nahmen stärker berücksichtigt.
In einer dritten Phase der Entwicklung wurden seit 1926 eine Reihe der
Forderungen der Saarländer aufgegriffen und wuchs ihr Einfluß auf die
Gesetzgebung, wie sich in der Untersuchung der verschiedenen Gesetzes-
materien zeigte. Das Gesetzgebungsgefüge an der Saar wurde nun durch die
weitere Entwicklung nicht vollständig umgeformt, sondern es prägte sich
nur klarer in seiner dreifachen Schichtung aus.
Zunächst war die im Saargebiet Vorgefundene Gesetzesgrundlage die im
Versailler Vertrag garantierte deutsche Rechtsordnung vom 11. November
1918. Die Parteien hatten einmal erreicht, daß diese Rechtsordnung nicht zur
Erstarrung der Verhältnisse geführt hatte, zum anderen hatten sie es ver-
standen, für die Fortentwicklung den Gesichtspunkt der Rechtsangleichung
an die deutsche Gesetzgebung, wie sie sich nach 1918 entfaltet hatte, wirk-
sam zu vertreten. Besonders auf dem Gebiet des Schulwesens und der Sozial-
gesetzgebung vermochten sie nach 1926 eine fast vollständige Angleichung
an die deutsche Rechtslage der Weimarer Republik durchzusetzen. Im Saar-
gebiet faßte man die Paragraphen 23 bis 28 des Saarstatuts nicht als Siche-
rungen für eine vergangene Rechtsordnung, sondern als Garantie der Rechts-
einheit mit dem Deutschen Reich auf. Die Parteien hatten deshalb immer
wieder auf die Einführung deutscher Gesetze gedrängt und sie dann im
Landesrat allein schon unter diesem Gesichtspunkt angenommen. Die drei
entscheidenden Parteien erblickten in dem Ausbau der deutschen Struktur
der saarländischen Gesetzgebung eine ihrer Hauptaufgaben zur Vorberei-
tung einer reibungslosen Rückgliederung an das Deutsche Reich3.
Neben diesen deutschen Wesenszügen bestimmten aber auch die Entschei-
dungen, die zur Sicherung der französischen Rechte und der saarländischen
Autonomie während der beiden ersten Phasen von der Regierungskommis-
sion getroffen worden waren, die saarländische Rechtslage weiter. Die Re-
gierungskommission tastete auch nach 1928, als endgültig nicht mehr von
einer profranzösischen Mehrheit der Kommission die Rede sein konnte, viele
der einmal vollzogenen rechtlichen Regelungen wie z. B. über die französi-
schen Domanialschulen, die französische Währung und die französischen
Einflüsse im Steuersystem nicht an und blieb auch bei der Zurückweisung
der saarländischen Forderungen nach Einführung aller arbeitsrechtlichen
Gesetze der Weimarer Republik. Die Rechtsordnung in diesen Fragen war
aufs engste mit dem Saarsystem verflochten, wie es im Versailler Vertrag
grundgelegt und von der Regierungskommission in den ersten Jahren gemäß
ihrer Interpretation ausgestaltet worden war. Die wiederholten Forde-
rungen des Landesrats nach einer vollständigen Revision dieser Gesetze4 aus
3 So auch Kall, a. a. O., S. 524 f.
4 2. B.: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 3. 5. 1928, S. 4 u. S. 19; v. 28. 4. 1932,
S. 8 ff. u. S. 44 f.
149
der Frühzeit des Saargebiets wurden von der Regierungskommission nie
ernsthaft erörtert. Diese Regelungen konnten für die politischen Parteien
im Grunde auch nicht mehr beunruhigend sein, da sie an der nationalpoliti-
schen Situation im Saargebiet nichts geändert hatten und da die Verhältnisse
wirtschaftlich und sozial günstig waren. Die Parteien beharrten aber in ihrer
Ablehnung dieser Festlegungen, und diese bildeten den Grund für eine
kritische Haltung gegenüber der Regierungskommission, auch nach 1926.
Einen dritten Bestandteil der saarländischen Gesetzgebung bildeten jene
Verordnungen politisch neutralen Charakters, die dem Wohle der Bevölke-
rung dienen und das Sonderregime möglichst vorteilhaft gestalten sollten.
In diesen Fragen entfalteten die Parteien eine große Aktivität. Die Über-
schaubarkeit des Saarlandes und der Sonderstatus des Gebietes trugen dazu
bei, daß die Interessen aller Gruppen der Bevölkerung untersucht und gel-
tend gemacht werden konnten. Die Parteien wetteiferten in den großen
Debatten im Landesrat5 über die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse
an der Saar und in ihren Eingaben an die Regierungskommission stets erneut
in der Anmeldung von Forderungen und Reformvorschlägen, die den ver-
schiedenen Bevölkerungskreisen zugute kommen sollten. Sie vermochten
viele Vorteile zu erlangen, die sich für die wirtschaftliche und soziale Situa-
tion günstig auswirkten. Besonders in zoll- und steuerpolitischer Hinsicht
entstanden Verhältnisse, die Voraussetzung für die Wünsche der Saarländer
nach Sonderregelungen bei der Rückgliederung wurden.
Wenn der Einfluß der Saarparteien und mit und neben ihnen der übrigen
politischen und sozialen Organisationen der Saarbevölkerung auch ein sach-
lich durchaus beachtliches Ausmaß erreicht hatte, unterschied sich die Zu-
sammenarbeit des Landesrats mit der Regierungskommission doch von der
einer gesetzgebenden Körperschaft mit einer Regierung. Da der Landesrat
für die gesetzlichen Regelungen letztlich nicht die Verantwortung trug,
zeigte seine Stellungnahme immer wieder den Charakter einer nationalen
Demonstration oder einer Interessenvertretung, die möglichst viel fordert.
Auch die Tatsache, daß der Landesrat nicht das einzige Organ zur Einfluß-
nahme auf die Gesetzgebung blieb, sondern daß die Petitionen und Dele-
gationen nach Genf und dann auch noch die Verhandlungen mit dem Inter-
nationalen Arbeitsamt und der französischen und der deutschen Regierung
hinzutraten, führte die Saarvertreter immer wieder in die Rolle von An-
wälten saarländischer Interessen und fordernden Bittstellern.
Aber nicht nur die Aktionen im Landesrat, in Genf, in Paris und in Berlin
liefen parallel, wenn es galt, entscheidende Forderungen durchzusetzen, son-
dern die Wünsche wurden gleichzeitig vom Landesrat und von den Gewerk-
schaften, den Wirtschaftsverbänden oder den Beamtenorganisationen er-
hoben, je nachdem um welche Interessen es jeweils ging. Dadurch wurde
unterstrichen, daß die Stellungnahme der Parteien im Landesrat eine breite
Basis in der Bevölkerung besaß. Es zeigte sich zudem, daß es auch bei der
5 Z. B.: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 3. 3. 1928, S. 362ff.; v. 3. 5. 1928, S. 6f.;
v. 14. 4. 1931, S. 68 ff.; v. 13. 10. 1931, S. 206ff.
150
Mitwirkung in der Gesetzgebung nicht zu einer Aufspaltung der Saarländer
in gegensätzliche Gruppen oder gar in Anhänger oder Gegner der Regie-
rungskommission gekommen war. Die Kontroversen im Landesrat dienten
im allgemeinen nicht dem Austrag sachlicher Konflikte zwischen den Par-
teien über die Gesetzesmaterien, sondern der Einflußnahme auf die Wähler-
schaft und der Betonung grundsätzlicher Unterschiede in den Parteiprogram-
men. In fast allen Fragen von Bedeutung urteilten die Zentrumspartei, die
Deutsch-Saarländische Volkspartei und die Sozialdemokratische Partei nach
ähnlichen Gesichtspunkten6. Reibereien zwischen den Parteien und den
Gewerkschaften hatten, — abgesehen von wenigen Ausnahmen — ebenfalls
keine sachlichen Gründe, sondern entstanden letztlich aus Rivalitäten. Die
dominierende Rolle, die einige Landesratsmitglieder durch den Einfluß im
Landesrat, in den Genfer Delegationen und in den Verhandlungen mit Ber-
lin und dadurch auch in den Parteiführungen spielten, hatte besonders bei
den Gewerkschaftsführern das Streben nach einer ähnlichen Geltung ge-
weckt. Sie benutzten deshalb die Gelegenheiten, bei denen in der Gesetz-
gebung Forderungen der Arbeiterschaft durchgesetzt werden sollten, nicht
nur dazu, die Schritte des Landesrats zu unterstützen, sondern sich selbst
neben den Landesratsabgeordneten direkte Einflußmöglichkeiten zu erschlie-
ßen. Das beweisen besonders ihre Schritte beim Internationalen Arbeitsamt
in Genf und in Berlin anläßlich der Errichtung des Saarausschusses und das
Bemühen der Gewerkschaften, im Gremium A für die deutsch-französischen
Verhandlungen eigens vertreten zu sein7 und Sitze in den deutschen Parla-
menten zu erlangen8. Der Regierungskommission traten Parteien, Gewerk-
schaften und andere Organisationen aber immer in geschlossener Front
gegenüber.
Trotz der im Laufe der Jahre wachsenden Bereitschaft der Regierungskom-
mission, der saarländischen Bevölkerung einen starken Einfluß auf die
Gesetzgebung zuzugestehen, kam es nicht zu einer grundsätzlichen Auf-
lösung jener Schwierigkeiten, die sich aus dem System für die Begegnung
zwischen Regierungskommission und Bevölkerung ergaben. Weder die Bin-
dung der Regierungskommission an die Ideen des Völkerbundes und dessen
Kontrolle, noch der Einfluß und die Kontrolle, die die Saarländer in der
Gesetzgebung tatsächlich ausübten, vermochten die Kluft zwischen der inter-
nationalen Regierung und den Saarländern dauerhaft zu überbrücken. Die
ersten Jahre wirkten auch in den inneren Verhältnissen nach, und die Par-
teien wollten die Öffentlichkeit im Hinblick auf das Plebiszit politisch wach
halten; aber es zeigte sich ebenso, daß das politische System, in dem zwar die
individuellen und körperschaftlichen Freiheiten unbedingt gewahrt blieben,
verantwortliche Zuständigkeit in den demokratischen Institutionen wie im
Landesrat aber fehlte, stets von neuem zu der Haltung einer grundsätzlichen
Kritik und Opposition gegenüber der Regierungskommission führen konnte.
6 Im folgenden Kapitel wird noch behandelt, wie die einzelnen Parteien ihre Stellung-
nahme in Zusammenhang mit ihrem Parteiprogramm brachten.
7 Vgl. dazu unten S. 227.
8 Vgl. dazu unten S. 206, Anm. 16.
151
Drittes Kapitel
Politische Ideen, Strukturen und System der Parteien
des Saargebiets
1. Die Zentrumspartei des Saargebiets
Die Zentrumspartei war während des ganzen Zeitraums von 1919 bis 1933
die stärkste Partei des Saargebiets. Ihr fiel im politischen Leben an der Saar
eine beherrschende Stellung zu1. Sie erhielt 1922 im Landesrat 16 von
30 Sitzen und behauptete in allen späteren Wahlen 14 Sitze. Ihr Anteil an
den abgegebenen gültigen Stimmen schwankte zwischen 48 und 43 Prozent2.
Erste Voraussetzungen zu ihrer Stabilität und Größe lagen in der Tatsache,
daß die saarländische Bevölkerung zu 72 Prozent katholisch war und für
eine Industriebevölkerung eine ungewöhnlich starke heimatliche Verwurze-
lung besaß. Außerdem hatte die politische Entwicklung im neunzehnten
Jahrhundert der Zentrumspartei im Saargebiet in der Arbeiterschaft einen
Vorsprung gegeben. Die Partei galt durch den Kulturkampf und ihre Pro-
teste gegen die Wahlbeeinflussungen als Vorkämpferin für eine freiheitliche
Entwicklung gegenüber staatlicher und kapitalistischer Bevormundung. Die
Anfänge einer größeren Arbeiterbewegung lagen in den katholischen Ar-
beitervereinen und christlichen Gewerkvereinen, nicht bei den freien Ge-
werkschaften3.
Zunächst trat die saarländische Zentrumspartei nach dem Kriege in der
Wahlbewegung zur Weimarer Nationalversammlung noch ganz im Rahmen
der Verbindungen zum Rheinland auf. Die „Saarbrücker Volkszeitung“, wie
ihr Parteiorgan 1919 noch hieß, wurde in Trier von der Bischöflichen Pau-
linusdruckerei gedruckt und veröffentlichte vor allem die Aufrufe der rhei-
nischen Zentrumspartei und des Reichsausschusses der Deutschen Zentrums-
partei4. Im übrigen erschienen täglich Artikel gegen die Sozialisten und ihre
Versuche, an der Saar Boden zu gewinnen. Besonders wandte man sich gegen
die Bemühungen der saarländischen Sozialdemokraten, in ihrer Wahlpropa-
ganda darzutun, daß sie nicht religionsfeindlich seien5. Ein Hirtenbrief meh-
rerer westdeutscher Bischöfe gegen die Sozialdemokratie wurde in der Zei-
tung veröffentlicht6. Es wurde Tradition des saarländischen Zentrums, daß
1 Auf den Typ der „parti dominant“ und seine Wesensmerkmale weist M. Duverger,
Les Partis Politiques, Paris 1951, S. 340 ff. hin.
2 Vgl. dazu unten Anlage 1, S. 335.
3 Zu dieser Entwicklung bes. Beilot, a. a. O., S. 161—223; Gabel, a. a. O., S. 90ff.
u. S. 125—150; Kiefer, a. a. O., S. 19—40; Borck, a. a. O., S. 43 ff.; vgl. auch
oben S. 27.
4 S.V.Z., Januar 1919.
5 S.V.Z. Nr. 8 v. 11. 1. 1919 „Religion ist Privatsache“.
6 S.V.Z. Nr. 10 v. 14. 1. 1919.
152
man in allen Wahlkämpfen die Religionsfeindlichkeit und den Atheismus
der Sozialdemokraten und der Freien Gewerkschaften nachzuweisen suchte7.
Deshalb blieb die scharfe weltanschauliche Trennungslinie zwischen Zentrum
und Sozialismus ein Grundzug des Parteilebens an der Saar, der für die
Entwicklung in mancher Hinsicht bedeutsam wurde.
Die Saarverhältnisse führten das Zentrum im übrigen rasch dazu, eine aus-
gesprochen nationale Linie auszuarbeiten. Die Hoffnungen der Franzosen
auf die „Mußpreußen“8 an der Saar bezogen sich vor allem auf die katho-
lische Bevölkerung. Die Gegensätze der Katholiken zum preußisch orien-
tierten Nationalliberalismus und Unternehmertum wurden von den Fran-
zosen ausgeweitet zu der Anschauung, daß die eingeborene Bevölkerung
katholisch, der lothringischen verwandt9 und kulturell dem Rheinland und
westlich-französischen Erinnerungen und Einflüssen aufgeschlossen sei10. Zu-
dem hoffte man, die christlichen, gediegenen und fleißigen Saararbeiter
durch die Sozialmaßnahmen der französischen Grubenverwaltung und eine
liebenswürdige Behandlungsweise, die sich wohltuend von der ehemaligen
preußischen unterscheiden sollte, gewinnen zu können11. Daß die saarlän-
dischen Katholiken zu Preußen vielfach ein distanziertes Verhältnis besaßen
und sich geistig und kulturell stärker dem Rheinland verbunden fühlten,
zeigte sich 1919 in der durchaus positiven Stellungnahme zur Entstehung
eines selbständigen Rheinlandes innerhalb der deutschen Republik12. Die
Franzosen versuchten aus ihrer Sicht der Dinge bereits während der Be-
satzungszeit 1919 die Bevölkerung systematisch zu beeinflussen13. Büche-
reien und Lesestuben wurden eingerichtet, die Fronleichnamsprozession, die
vorher an bestimmten Orten eingeengt gewesen war, wurde erlaubt14; die
katholischen Geistlichen wies man auf die Gefahr eines bolschewistischen
Deutschlands hin15 und betonte, daß die katholische Kirche nun Freiheiten
7 Z. B.: S.L.Z. Nr. 12 v. 13. 1. 1924: „Sind die freien Gewerkschaften religionsfeind-
lich?“, S.L.Z. Nr. 83 v. 24. 3. 1928: „Die .christliche' Sozialdemokratie“; Volksstimme
Nr. 7 v. 9. 1. 1924: „Die katholische Geistlichkeit gegen den Bergarbeiterverband und
die übrigen freien Gewerkschaften“.
8 Diese Vorstellung kehrte bei manchen Franzosen bis 1934 wieder: z. B. J. Donna-
dieu, Un infructueux essai de collaboration franco-allemande en Sarre, in Revue
Politique et Parlementaire, Bd. CXLIV, S. 339—340; G. André-Fribourg, La
question de la Sarre, in Esprit International, Okt. 1934, S. 550.
9 Zwischen der lothringischen und der saarländischen Industriebevölkerung bestehen
große Unterschiede. Während die saarländische Bevölkerung bodenständig und homo-
gen ist, wanderten in die lothringischen Industriegebiete viele Ausländer (Italiener,
Polen, Serben, Tschechen, Ungarn u. a.) ein. Übersicht dazu in Kloevekorn,
a. a. O., S. 347.
10 Vgl. dazu oben S. 21, Anm. 3.
11 Re vire, Perdrons-nous la Sarre?, S. 20 ff.
12 S.V.Z. Nr. 27 v. 4. 2. 1919 „Das Rheinland und die Nationalversammlung“; Nr. 29
v. 6. 2. 1919 „Eine rheinisch-westfälische Republik“; Nr. 30 v. 7. 2. 1919 „Ein freies,
deutsches Rheinland“; Nr. 45 v. 25. 2. 1919 „Die Goldkammer Preußens“.
13 Re vire, a. a. O., S. 29, faßte in folgendem Satz die Erfolge der Besatzungszeit, die
er im einzelnen aufzählte, zusammen: „En neuf mois notre propagande fut portée à
son apogée.“
14 Saar-Zeitung v. 1. 3. 1935 „Der Katholizismus und die Saarfrage von 1919—1923“
v. Monsignore Dechant Dr. Schlich.
15 Deutsches Weißbuch, S. 29 f.
153
und Vorteile unter französischem Schutz genieße16. General Andlauer, dem
die Verwaltungskontrolle an der Saar oblag, schritt gegen Ungeschicklich-
keiten seiner Untergebenen ein17 und suchte ein gutes Verhältnis zu den
kirchlichen Stellen zu schaffen. Da zur Besatzungszeit die Verbindung mit
dem politischen Leben in Deutschland unterbrochen und politische Betäti-
gung und Pressefreiheit18 an der Saar beschränkt waren, kam es zu zwei
Schritten aus Zentrumskreisen, die den Franzosen gewisse Hoffnungen
machen konnten. Am 27. Juni 1919 richtete man eine Petition an Tardieu,
in der man Andlauers Verwaltungsstil positiv beurteilte und sich zu einer
loyalen Zusammenarbeit mit der zukünftigen Zivilregierung bereit erklärte,
„von welcher die Katholiken hoffen und erwarten, daß sie besser als das
alte preußische Regime die Rechte, Gewohnheiten und Gebräuche der Be-
völkerung achtet“ 19. Die Erklärung war auf Initiative Dr. Muths, eines
betagten Zentrumsführers, zustande gekommen, der sich in der Vorkriegs-
zeit besonders leidenschaftlich für die politische Freiheit an der Saar und für
die Stärkung des gewerkschaftlichen Einflusses innerhalb des saarländischen
Zentrums eingesetzt hatte und nun auf Grund von Äußerungen Andlauers
hoffte, zum saarländischen Mitglied der Regierungskommission berufen zu
werden20. Dazu brauchte er die Unterstützung führender saarländischer
Katholiken. So hatten neben ihm auch führende Zentrumspolitiker wie die
beiden Parteivorsitzenden der folgenden Jahre, Sanitätsrat Dr. Jordans und
Justizrat Steegmann, unterschrieben; Koßmann soll ebenfalls der Petition
zugestimmt haben; von der katholischen Geistlichkeit hatten die Dechanten
Echelmeyer und Subtil unterzeichnet. Dieser Schritt wurde dem Zentrum
später öfter als Zeichen seiner nationalen Unzuverlässigkeit im Jahr 1919
vorgehalten, aber in Wirklichkeit war man von Muth unzulänglich unter-
richtet worden (er hatte die Denkschrift französisch verfaßt)21. Weniger
bekannt wurde, daß sich 1919 auch ein kleiner Kreis des Zentrums mit dem
Gedanken trug, eine eigene katholische Partei, unabhängig von der reichs-
deutschen Zentrumspartei zu gründen. Der Gründungsentwurf22 stellte Ar-
gumente für eine rein katholische Partei zusammen, kritisierte die Zentrums-
politik der Vorkriegsjahre und berührte das nationale Problem an der Saar
nicht. Zur Gründung und Betätigung dieser neuen Partei kam es indes
16 Vgl. oben Anm. 14. Hier berichtete Dr. Schlich von einem Besuch Generals Mangin
von der Rheinarmee in Saarbrücken, bei dem der französische General den Geistlichen
gegenüber solche Ausführungen machte.
17 Deutsches Weißbuch, S. 38, Anm. 2.
18 Darüber vor allem Wagner, a. a. O., S. 49—76.
19 Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 4. 12. 1929, S. 339; Th. Balk, Ein Land wird
interviewt, Zürich — Saarbrücken 1934, S. 22f.; Hirsch, Die Saar von Genf, S. 41.
Die Angaben des wörtlichen Textes differieren, hier nach Landesrat.
20 Zu Muths Arbeit vor 1914 Bellot, a. a. O., S. 221 ff. Uber die Denkschrift und ihr
Zustandekommen unterrichtet ein Bericht aus dem Saargebiet v. 15. 8. 1921 über die
Zentrumspartei von 1919—1921. GStA München Saargebiet XV b—1 — Vereine,
Parteien.
21 So der genannte Bericht GStA München XV — b — 1; über die Angriffe der Kommu-
nisten und der Sozialisten 1934, Quellenangaben unter Anm. 19.
22 Bistumsarchiv Trier: Abt. 59, Nr. 64, fol. 28: Hier der Entwurf „Die Organisation
der Katholiken im neuen Saarstaat“.
154
nicht. Der Gedanke fand nur geringe Resonanz im Saargebiet, und Bischof
Dr. Korum von Trier riet dringend ab23. Eine Interpretation der Denk-
schrift an Tardieu oder des Gründungsversuchs einer saarländischen katho-
lischen Partei als Zeichen einer profranzösischen Orientierung des Zentrums
in der Besatzungszeit ist unmöglich und wurde selbst von den Franzosen
nicht unternommen; denn zur selben Zeit häuften sich die Zeugnisse für ein
prononciertes nationales Denken des Zentrums und eine Reihe jener Per-
sönlichkeiten, die die Petition unterzeichnet hatten, vertraten in den fol-
genden Jahren eine konsequent nationale Linie. Die Distanziertheit des
Zentrums Preußen gegenüber berührte das Zugehörigkeitsgefühl zum Deut-
schen Reich in keiner Weise24, in der „Saarbrücker Volkszeitung“ vom März
hieß es „Religiös und national sind schwesterliche Begriffe“, die „religiösen
Völker“ sind die „nationalsten“25.
Das nationale Denken des Zentrums entzündete und entfaltete sich in den
Jahren 1919 bis 1925 an zwei Problemen, an der Bistums- und Schulfrage,
und wurde in seiner Eigenart durch diese Kämpfe geprägt. Bereits während
der Besatzungszeit wurde die Lostrennung des Saargebiets von den Bis-
tümern Trier und Speyer ernsthaft erstrebt26. Pläne einer Angliederung an
das Bistum Metz, der Errichtung eines Saarbistums oder einer apostolischen
Vikarie für das Saargebiet tauchten bei den Franzosen bis 1923 immer wie-
der auf27. In dieser Situation wurde die Flaltung des Bischofs von Trier von
entscheidender Bedeutung. Bischof Korum, ein gebürtiger Elsässer, war um
die Saar sehr besorgt. In der Tatsache, daß der Versailler Vertrag die Zuge-
hörigkeit zu den Diözesen Trier und Speyer nicht berührt hatte, sah er eine
günstige Voraussetzung für die weitere Entwicklung des Gebietes. Sein Ge-
heimsekretär umriß seine Stellungnahme in folgender Weise:
„Vom ersten Tage der Besatzung an erklärte der Bischof immer wieder:
Wir müssen den armen Leuten an der Saar um jeden Preis die Treue bewahren.
Sie sollen wissen, daß ich nach wie vor ihr Bischof bin. Die kirchliche Einheit muß
unter allen Umständen erhalten bleiben. Das ist jetzt das feste Band, das die treue
Saarbevölkerung mit ihrer deutschen Heimat verbindet. Es darf nicht gelockert
werden. Wir ständen ja wie Verräter vor unseren braven Katholiken an der Saar,
wenn wir sie jetzt im Stiche ließen.“ 28
23 S.L.Z. Nr. 328 v. 8. 12. 1934 „Bischof Korum und das Saargebiet“ v. Prof. Dr.
Retter, Trier; Retter war 1919 Geheimsekretär des Bischofs.
24 Lambert, a. a. O., S. 106, schreibt in bezug auf Katholiken und Sozialdemokraten
„Besides, though they might not be Prussian, they were certainly German, a distinc-
tion whidi the French seemed unable to realize.“
25 S.V.Z. Nr. 64 v. 19. 3. 1919, „Die Liebe zur angestammten Nation“ v. A. Wagner.
26 Re vir e, a. a. O., S. 31.
27 Z. B. entwickelte der Abgeordnete Ferry noch in einer Rede am 22. 2. 1923 den
Plan einer apostolischen Vikarie für das Saargebiet. S.L.Z. Nr. 146 v. 7. 6. 1923.
28 S.L.Z. Nr. 328 v. 8. 12. 1934 „Bischof Korum und das Saargebiet“ von Prof. Dr.
Ketter, Trier. Das Zitat wird von dem Geheimsekretär des Bischofs angeführt,
stellt aber wohl nur eine Zusammenfassung der Meinung des Bischofs dar und keine
wörtliche Äußerung, da es vor 1934 nirgends so auftauchte, obwohl Artikel von
Geistlichen über diese Frage verfaßt worden waren. Mourin, a. a. O., S. 413, bringt
das Zitat auch.
155
Bischof Korum wurde im März 1919 von der Deutschen Reichsregierung als
Mitglied der Friedensdelegation vorgesehen29. Deshalb wurde ihm am
25. März 1919 eine Denkschrift aus Saarlouis an die deutsche Friedens-
delegation überreicht30, die Beschwerden über das Besatzungsregime enthielt
und den deutschen Charakter der Stadt Saarlouis und des umliegenden Ge-
bietes betonte. Sie war wohl von Zentrumskreisen ausgegangen, da der Re-
dakteur der Saarlouiser Zentrumszeitung (Saar-Zeitung) und der Vor-
sitzende der Zentrumspartei des Kreises Saarlouis als erste unterzeichnet
hatten, und neben Unterschriften anderer Vertreter des öffentlichen Lebens
und der Parteien noch diejenigen des späteren Fraktionsführers der Zen-
trumspartei im Landesrat, Levacher, des Kreisvorsitzenden des Katholischen
Lehrerverbandes und katholischer Geistlicher zu finden sind. Bischof Korum
unterrichtete zumindest Erzberger über diese Bitten der Saarbevölkerung,
als er nicht selbst Mitglied der Friedensdelegation wurde31. In denselben
Monaten liefen die Bemühungen der Franzosen um die Abtrennung des
Saargebiets von den deutschen Diözesen. General Andlauer stattete Bischof
Korum im Mai oder Anfang Juli 191932 einen Besuch in Trier ab und er-
örterte mit ihm diese Frage. In der Bedrängnis des Jahres 1919 dachte
Bischof Korum daran, durch die Einsetzung eines bischöflichen Delegaten in
Saarlouis den französischen Wünschen und Argumenten den Wind aus den
Segeln zu nehmen33. Eine solche Vikarie sollte einerseits eine Verhandlungs-
instanz und eine Zentrale für das Saargebiet darstellen und damit verwal-
tungstechnische Schwierigkeiten, die von den Franzosen geltend gemacht
werden konnten, ausräumen, zum anderen aber die Zugehörigkeit zu und
die Abhängigkeit von Trier betonen34. Der Plan wurde rasch wieder fallen
gelassen, da er von dem Bischof nur als Notlösung gedacht war. Man be-
schritt andere Wege. Bereits Anfang Juli 1919 kam es zu einstimmigen
Beschlüssen der Geistlichen aller Dekanate des Saargebiets für den Verbleib
bei den Mutterdiözesen oder zumindest für die Aufschiebung der Frage bis
nach dem Ablauf der fünfzehn Jahre Sonderverwaltung35. Die Franzosen
29 Saar-Zeitung v. 1. 3. 1935, „Der Katholizismus und die Saarfrage von 1919—1923“.
30 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 64, 21—23; Denkschrift hier mit Originalunter-
schriften.
31 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 58; hier ein Bericht von Dr. Schlich, in dem die
Verbindung Korums mit Erzberger und ihre Bedeutung für die Unterrichtung Erz-
bergers und Wilsons über die Saarfrage betont wird.
32 R e v i r e, a. a. O., S. 31, gibt Anfang Juli als Zeitpunkt an, während nach Schlich,
Zur Frage der kirchlichen Gestaltung des Saargebietes, S.L.Z. Nr. 312 v, 15. 11. 1925
der Besuch bereits im Mai stattgefunden haben soll.
33 So Schlich, a. a. O., und K e 11 e r, a. a. O.
34 Diese Darstellung folgt Schlich und Ketter, da beide — besonders Ketter als Geheim-
sekretär des Bischofs — besser orientiert waren, und ihre Darstellung auch dem
Gesamtverhalten Korums entspricht. Die Darstellung bei Re vir e, a. a. O., S. 31,
als ob das geplante Vikariat ein großer Erfolg der Franzosen gewesen sei, entspringt
der propagandistischen Tendenz des Werkes v. Revire, der darlegen will, wie aus-
sichtsreich die französische Sache im Anfang war, als man sich energisch und mit
Fioffnung an die Aufgabe an der Saar begab.
33 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 64, fol. 24—32; hier Erklärungen der Dekanate
Saarbrücken, St. Wendel, Ottweiier und Saarlouis in Urschrift mit den Unterschriften;
außerdem ebenda Abt. 59, Nr. 58, fol. 7 und 10; S.L.Z. Nr. 312 v. 15. 11. 1925;
Saar-Zeitung v. 1. 3. 1925.
156
waren in der Verfolgung der Angelegenheit gehemmt, da sie keine diplo-
matische Vertretung beim Hl. Stuhl besaßen36. Bischof Korum blieb weiter
aktiv. In einem Brief vom 6. August 1919 trug er Nuntius Pacelli in Mün-
chen seine Sorgen vor37. Nach dem Regierungsantritt der internationalen
Kommission wandte sich noch im Monat März 1920 die Geistlichkeit an die
Regierungskommission und legte die technischen Schwierigkeiten und seel-
sorgerischen Bedenken gegen eine Abtrennung von den bisherigen Diözesen
dar38. Bischof Korum aber reiste im Monat März 1920 wegen der Ange-
legenheit nach Rom und kehrte sehr befriedigt zurück39. Er hatte volles
Verständnis für seine Gründe gefunden und den Heiligen Vater über den
rein deutschen Charakter der Saarbevölkerung orientiert40. Zunächst hatte
der Bischof gesiegt. 1921 begann von seiten der Franzosen und der Regie-
rungskommission eine neue Aktivität in der Angelegenheit. Graf Moltke-
Huitfeldt als Leiter der Kultusabteilung begab sich nach Rom41; in der fran-
zösischen Presse häuften sich die Nachrichten über die Bistumsfrage; die
Saarländer gewannen den Eindruck, daß man nur den Tod des kranken
81jährigen Bischofs ab warten wolle42. Angesichts dieser Lage wuchs die
Erregung in den Kreisen des Zentrums43 und der Geistlichkeit des Saar-
gebiets. Dechant Echelmeyer und Pfarrer Dr. Schlich aus Saarbrücken be-
gannen im November mit der Ausarbeitung einer Denkschrift44, und eine
Unterschriftenaktion bei allen Geistlichen des Saargebiets für den Verbleib
bei den Mutterdiözesen lief an. Als Bischof Korum am 4. Dezember 1921
starb, reisten am folgenden Tag die beiden Geistlichen, die dem Führungs-
gremium der Zentrumspartei angehörten, die Pfarrer Schlich und Bungarten,
zu Nuntius Pacelli nach München. Am 6. Dezember 1921 hatten sie eine
längere Unterredung mit Pacelli45, in der sie die seelsorglichen Bedenken
gegen eine Abtrennung von den Mutterdiözesen überzeugend darlegten und
das Verständnis des Nuntius gewinnen konnten. Nach dieser Unterredung
wurde die Unterschriftenaktion fortgesetzt; alle Welt- und Ordensgeist-
lichen im Saargebiet Unterzeichneten mit Ausnahme des Direktors der
Kultusabteilung der Saarregierung, Dr. Notton. Die Denkschrift mit den
Unterschriften wurde am 20. Dezember 1921 von dem ältesten Dechanten
des Saargebiets, Subtil, an den Hl. Stuhl weitergereicht46. Dieser Schritt
scheint von entscheidender Bedeutung gewesen zu sein. Die Franzosen gaben
zwar bis einschließlich 1923 die Hoffnung nicht auf, der Hl. Stuhl entsandte
36 So auch Revire, a. a. O., S. 46, u. Mourin, a. a. O., S. 412.
37 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 64, fol. 42: Durchschlag des Schreibens.
38 Ebenda: Abt. 59, Nr. 58, fol. 12.
39 K e 11 e r, a. a. O.; Schlich, a. a. O., Hier wird noch berichtet, daß Prälat Kaas im
Frühjahr 1921 mit denselben Nachrichten von Rom zurückkehrte.
40 Ketter, a. a. O.
41 Saar-Zeitung v. 1. 3. 1935.
42 Ebenda.
43 S.L.Z. Nr. 314 v. 27. 11. 1921: „Die Zukunft des Saargebietes in kirchlicher Hinsicht“.
44 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 58, fol. 9; Saar-Zeitung v. 1. 3. 1935.
45 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 58, fol. 8; handschriftlicher Bericht Schlichs an den
Generalvikar über die Audienz bei Pacelli.
46 Ebenda: fol. 9 u. 10. Ebenda: Zeitungsartikel z. d. Frage.
157
aber im Jahre 1923 lediglich den Prälaten Testa als päpstlichen Visitator zur
Beobachtung der Verhältnisse an die Saar47.
Dieser Kampf um den Verbleib bei den deutschen Mutterdiözesen beein-
flußte in mehrfacher Hinsicht das nationale Denken des Zentrums. Die Be-
deutung der kulturellen Verbindung zum übrigen deutschen Raum war in
besonderer Weise aufgeleuchtet, und auf kirchlichem Gebiet waren die Kon-
takte durch den Klerus, der aus allen Teilen der Bistümer Trier und Speyer
stammte, uneingeschränkt erhalten geblieben. So war der Rückhalt des saar-
ländischen Zentrums an Kirche und Klerus verstärkt worden. Die Treue
zum Vaterland erfuhr in der Bindung an die Bischöfe von Trier und Speyer
eine konkrete und gleichzeitig religiöse Ausformung.
Eine solche Prägung des nationalen Denkens des Zentrums vollzog sich unter
Bischof Bornewasser, dem Nachfolger Bischof Korums, der sich eindeutig
für die nationalen Belange an der Saar exponierte48 und den Franzosen als
„ardent pangermaniste“49 galt. Im Juli 1922 besuchte Bornewasser z. B., als
er anläßlich einer Firmungsreise im Saargebiet weilte, den Grafen Moltke-
Huitfeldt als Leiter der Kultusabteilung und legte ihm dar, es sei eine schwie-
rige seelsorgliche Situation für die Priester an der Saar, wenn sie in Francs
bezahlt würden, und er bitte deshalb um nochmalige Überprüfung des ent-
sprechenden Beschlusses der Regierungskommission50. Eine Reihe Geistlicher
verweigerte bis zur allgemeinen gesetzlichen Einführung die Annahme der
Frankenbezüge51. Die Bedeutung der Bindung an die Bischöfe von Trier
und Speyer kam besonders klar auf dem saarländischen Katholikentag am
3. Juni 1923 in Saarbrücken zum Ausdruck. Dem Organisationskomitee ge-
hörten führende Männer der saarländischen Zentrumspartei an, von den
Geistlichen Pfarrer Dr. Schlich. 70000 Menschen nahmen an dem Katho-
likentag52 teil, und neben den großen Predigten und Vorträgen über reli-
giöse Probleme standen auch religiöse Kundgebungen, bei denen es zu Be-
kenntnissen der Treue zu den Mutterdiözesen und zu den anwesenden
Bischöfen von Trier und Speyer kam. Rechtsanwalt Steegmann von der
47 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 50, fol. 15—22.
48 Aufschlußreich für die Haltung Bischof Bornewassers ist auch eine Rede, die er in
Trier bei den Abschlußfeierlichkeiten zu seinem Amtsantritt hielt. S.Z. Nr. 131
v. 20. 5. 1922. Darin hieß es: „... deutsche Vaterland, das wir lieben mit allen Fasern
unseres Herzens. Ferne sei von uns jener unchristliche Nationalismus, diese Sünde
unserer Zeit, der meint, nur in seinem Volk sei alles gut und beim andern sei alles
schlecht. Jede Nation hat ihr Gutes und ihr Schlechtes und jedes Volk hat seine Licht-
und seine Schattenseiten. Aber seine Heimat, sein Vaterland, sein Volk zu lieben, mit
dem den Menschen Abstammung und Blut, Denken und Empfinden, gemeinsame
Sitten, Bildung und Erziehung und so viele tausend Fäden der Anhänglichkeit ver-
binden, das ist des Menschen Recht und des Menschen sittliche Pflicht. Und wenn wir
Heimat und Vaterland liebten in jenen Tagen, als sie die Höhenwege des Glückes
gingen, dann wollen wir in den Zeiten, wo Vaterland und Volk durch die Täler des
Leidens wandern müssen, ihnen mit doppelter Liebe angehören,...“.
49 Z. B.: Echo de Paris v. 14. 6. 1923 „La grève de la Sarre“.
50 S.D.N. Com. d. Gouv. Pr.-V., 11. 6. 1922, S. 262.
51 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 64, Teil IV.
52 Erster Saarländischer Katholikentag in Saarbrücken am 3. Juni 1923, herausgegeben
von Pfarrer Dr. Schlich, Saarbrücken, o. J. (1923).
158
Zentrumspartei betonte das in besonders eindrucksvoller Weise, und Bischof
Bornewasser schloß seine Rede mit den Worten:
„Treue um Treue! Euer Bischof von Trier hat den Schwur geleistet, Euch treu zu
bleiben, und der Treue der katholischen Saarländer zum Bischof von Trier ist er
gewiß!“53
Der Katholikentag wurde in der Saarbrücker Zeitung vor allem unter dem
Gesichtspunkt eines nationalen Treuebekenntnisses behandelt und rief in
der französischen Presse große Erregung hervor54. Auch im Vatikan ent-
stand durch die Pressereaktionen die Sorge, daß es sich stärker um eine
politische, denn eine religiöse Veranstaltung gehandelt habe55. Ausführliche
Berichte aus Saarbrücken und Trier56, die dartun konnten, daß in den zahl-
reichen Vorträgen des Katholikentages religiöse Fragen aus den verschieden-
sten Lebensbereichen behandelt worden waren, riefen die volle Zufrieden-
heit des Papstes hervor57. In den folgenden Jahren bis 1935 wurden immer
wieder Treuebekenntnisse zu Deutschland verbunden mit Treuebekennt-
nissen zu den Bischöfen von Trier und Speyer. In den Zentrumsversamm-
lungen und der Zentrumspresse kam man oft auf den Bistumskampf zu-
rück58, alle kirchlichen Tagungen erhielten auch einen nationalen Charakter.
Die Veranstaltungen der katholischen Vereine schlossen häufig mit Tele-
grammen an die Bischöfe von Trier und Speyer und an leitende Persönlich-
keiten des Deutschen Reiches59.
Auch in der Auseinandersetzung um die Schulfrage erhielt die nationale
Politik der Zentrumspartei Züge, die von ihren weltanschaulichen Auffas-
sungen geprägt wurden. Während die Parteien gemeinsam aus nationalen
Gründen gegen die Domanialschule kämpften, erblickten die Zentrumspartei
und die Geistlichkeit in den französischen Grubenschulen überdies die lai-
zistische Schule. Man beobachtete die Entwicklung des Schulwesens in Loth-
53 Ebenda und S.2. Nr. 128 v. 4. 6. 1923.
54 Journal d’Alsace-Lorraine v. 6. 6. 1923 „Les menees franco-phobes du clerge allemand
dans la Sarre“; S.L.Z. Nr. 99 v. 27. 4. 1924 „Die Treibereien des deutschen Klerus im
Rheinland und im Saargebiet“; Nr. 161 v. 22. 6. 1923 „Noch ein französischer Nach-
klang zum Katholikentag“; Nr. 158 v. 19. 6. 1923 „Deutsche Kundgebungen im Saar-
gebiet“. Alle Artikel befassen sich mit französischen Pressereaktionen.
55 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 64, fol. 11: Originalschreiben von Nuntius Pacelli
an Bischof Bornewasser, daß der Kardinalstaatssekretär „sichere und detaillierte In-
formation über die als mehr oder weniger politisch angegebenen bei dieser Gelegen-
heit stattgehabten Manifestationen“ wünscht.
56 Ebenda: Abt. 59, Nr. 64, fol. 4 u. 8.
57 Ebenda: fol. 17, vertrauliches Originalschreiben des Nuntius Pacelli an Bischof Borne-
wasser v. 4. 10. 1923, in dem dieser ausführte, der Kardinalstaatssekretär habe ihn
beauftragt, dem Bischof mitzuteilen, der Hl. Vater habe den Bericht über den Ka-
tholikentag gehört und sei erfreut über den Erfolg der religiös so bedeutungsvollen
Veranstaltung.
58 Neben den bereits zitierten Artikeln in der S.L.Z. auch: Saar-Zeitung Nr. 242 v.
29. 10. 1924 „Eine bedeutsame Zentrumsversammlung“; S.L.Z. Nr. 279 v. 28. 10. 1924
„Große Zentrumsversammlung in Alt-Saarbrücken“; S.L.Z. Nr. 319 v. 22. 11. 1925
„Zur Frage der kirchlichen Gestaltung des Saargebietes“ v. Pfarrer Bungarten.
59 Dankschreiben Hindenburgs v. 19. 11. 1931, 14. 10. 1932 u. 11. 5. 1933 an Frau Steeg-
mann für die Treuegelöbnisse der Arbeitsgemeinschaft kath. Frauen und Jungfrauen
des Saargebiets hat Frau Steegmann d. Verf. zur Verfügung gestellt, ebenso Dank-
schreiben des Bischofs v. Speyer v. 29. 10. 1927 u. 14. 12. 1933.
159
ringen und stellte heraus, daß die Franzosen dort trotz ihrer Zusicherungen
die konfessionelle Volksschule unterhohlt hätten60. Der Bischof von Trier
und die Geistlichkeit beanstandeten, daß in den französischen Domanial-
schulen Religionsunterricht, Konfessionalität und Trennung der Geschlechter
nicht wie in den saarländischen Volksschulen gesichert seien61. Auf dem
Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Domanialschule im Jahre 1923
wandte man sich deshalb an den Bischof von Trier und erbat seine Unter-
stützung62. Der Bischof veröffentlichte am 27. Februar 1923 einen Hirten-
brief, in dem es hieß:
. . Und doch erfüllen mich die Nachrichten mit großer Sorge, welche ich seit
einiger Zeit über die Volksschulverhältnisse in dem zum Saargebiet gehörenden
Teil meiner Diözese erhalte. Ein großer Teil der katholischen Kinder hat die be-
währte, nach dem Friedensschluß von der Regierungskommission des Saargebietes
übernommene und unter ihrer Leitung stehende katholische konfessionelle Volks-
schule verlassen und ist in andere Volksschulen eingetreten. Ich bedaure das von
Herzen.. .“63
Auch in den offiziellen Verlautbarungen der Zentrumspartei wurden die
französischen Schulen in derselben Weise bekämpft:
„Die Zentrumspartei betrachtet die französischen Volksschulen im Saargebiet, inso-
fern dieselben laut Verfügung der Regierungskommission vom 10. Juli 1920 auch
von deutschen Kindern besucht werden dürfen, vom religiösen, erzieherischen und
nationalen Standpunkt aus als ein großes Unglück und Unrecht gegen die christ-
liche und deutsche Saarbevölkerung und ihre Kinder ..." 64
Durch diese Kämpfe um die Bistums- und Schulfrage kam es dazu, daß im
Laufe der Zeit eine ausgesprochen theologische Begründung der Liebe zum
Vaterland entwickelt wurde. Vaterlandsliebe als sittliche Forderung und
moralische Pflicht des Christen wurde stets betont. In einem Artikel eines
katholischen Geistlichen steigerte sich diese Auffassung zu folgenden Dar-
legungen:
„. . . Das Volkstum ist nach unserer ethischen Auffassung die Mitgift des Schöpfers
an die Völker zur Lösung ihrer Weltaufgaben. . . . Der Schutz des Volkstums ist
daher ein sittlicher Faktor von hohem Wert und der Obhut der Kirche anvertraut
als Naturgesetz. . . . Das deutsche Volkstum würde innerhalb des französischen
Staatswesens oder nur seines beherrschenden Einflusses verkümmern oder gar seiner
Zerstörung anheimfallen, was dann für die Religiosität unserer Bevölkerung wegen
60 S.L.Z. Nr. 254 v. 23. 9. 1923 „Rückblick und Ausblick — Der katholische Klerus und
die Wacht an der Saar“; S.L.Z. Nr. 84 v. 9. 4. 1924 „Die »katholische' Politik Frank-
reichs im Saargebiet“. Re vire, Perdrons-nous la Sarre?, S. 46, schreibt: „Or, si le
protestantisme prussien apparaissait dangereux aux yeux des Sarrois, l’anticléricalisme
français ne l’apparaissait pas moins...“.
61 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 59: Hier ein Originalbrief des Generalvikars vom
10. 2. 1922 an Schlich; Dechant Echelmeyer möge zu einer Konferenz der Dechanten
des Saargebiets einladen, damit eine Eingabe an den Präsidenten der Regierungskom-
mission verfaßt werde. Die Dechanten sollten um Abstellung der Mißstände in den
französischen Schulen wie Koedukation, Interkonfessionalität und Anstellung glau-
bensloser Lehrer unter Berufung auf die dem Bischof gemachten Zusagen bitten.
62 Mitteilung von P. Zenner, der damals als Vorstandsmitglied des Katholischen
Lehrerverbandes und gleichzeitig Mitglied des Landesparteiausschusses der Zentrums-
partei mit einem anderen Vertreter zu Bischof Bornewasser nach Trier fuhr.
63 Denkschrift der III. Lehrerkammer für das Saargebiet, Saarbrücken o.J., S. 180 f.
64 S.L.Z. Nr. 63 v. 6. 3. 1922.
160
des innigen Zusammenhanges zwischen Volkstum und Religionsbetätigung von
katastrophaler Bedeutung sein würde. . . . Die Gefahr ist so ernst, daß selbst ein
oberhirtliches Schreiben des zuständigen Bischofs notwendig erschien, das die freien
französischen Grubenschulen für katholische Kinder verwarf. Sie sind ein erster
Schritt zur gottlosen Laienschule . . ,“65
Welche Bedeutung Haltung und Politik des Zentrums in Schul- und Bistums-
frage erlangt hatten, zeigte sich an zwei aufsehenerregenden Vorkommnis-
sen. Während des Streiks des Jahres 1923 hatte Rault in der Ratssitzung in
Genf vom April 1923 behauptet, durch die Existenz bayrischer nationalisti-
scher Gruppen zu seinem energischen Vorgehen veranlaßt worden zu sein66.
In dieser Lage hatte ein Agent der Franzosen, Kennel, durch Aufzeichnungen
in seinem Notizbuch solche nationalistische Treibereien vorgetäuscht. Von
den unliebsamen Persönlichkeiten an der Saar sollte Pfarrer Bungarten vor
allem kompromittiert werden. Kennel hatte ihn in seinen Notizen mit der
NSDAP in Verbindung gebracht67. Die Regierungskommission ließ eine
Haussuchung bei Pfarrer Bungarten vornehmen, was zu einem heftigen Pro-
test in Genf führte68. Die saarländischen Parteien kamen im Landesrat
immer wieder auf die Affäre Kennel zurück69. Ein gewisses Pathos im
nationalen Denken des Zentrums zeigte sich, als der Vorstand am 10. De-
zember 1924 Professor Dr. Notton wegen seiner Haltung in der Schul- und
Bistumsfrage aus der Partei ausschloß70. Das führte zwar eine Zeitlang zu
gewissen Spannungen innerhalb der Zentrumspartei, da Notton einen Teil
der Geistlichen im Saargebiet in persönlichen Aussprachen davon überzeugt
hatte, daß er keine frankophile Politik treibe71. Die Geistlichen innerhalb
des Führungsgremiums der Zentrumspartei blieben aber seine Gegner.
Die anderen Parteien mußten anerkennen, daß das Zentrum in der Bistums-
und Schulfrage eine zentrale Bedeutung in der Saarpolitik erlangt hatte. Die
Unterstützung der Geistlichkeit und des Bischofs und die weltanschaulichen
Komponenten im Schulkampf stellten für die Zentrumspartei außerordent-
lich wirksame Mittel zur Beeinflussung der Bevölkerung dar und konnten
dem gemeinsamen nationalen Kampf unschätzbare Dienste leisten. Aus die-
sen Gründen respektierten die Sozialdemokraten und die Deutsch-Saar-
ländische Volkspartei die Forderungen des Zentrums in der Frage der Kon-
fessionsschule. Die Sozialdemokratische Partei hatte zwar unmittelbar nach
65 S.L.Z. Nr. 254 V. 23. 9. 1923.
66 S.D.N. J.O. IV,6 (1923), S. 596 f.
67 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 57, hier Abschrift der Kennelnotiz über Bungarten.
68 S.D.N. Dokument C. 329. 1923. I. Denkschrift der katholischen Verbände der Pfarrei
St. Josef Saarbrücken-Malstatt v. 12. 4. 1923.
69 Z. B.: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5.2.1925, S. 13 u. S. 30 f.; v. 14. 2. 1925,
S. 15.
70 S.L.Z. Nr. 323 v. 12. 12. 1924 „Eine Entschließung des saarländischen Zentrums“;
der Artikel ist im A.A. Bes. Geb. II, Saargebiet: Pol. Parteien, Bd. 1, eingeheftet;
auf der Rückseite findet sich eine handschriftliche Notiz: „Nach Mitteilung von H.
Hillenbrand war der Beschluß nur sehr schwer herbeizuführen. Von den Geistlichen
stimmte keiner dafür, sie hatten entweder vorher das Zimmer verlassen oder ent-
hielten sich der Stimme. Entscheidend waren nur Laienstimmen.“
71 A.A., a. a. O., Bd. 2, Der preußische Innenminister überreichte dem Auswärtigen Amt
am 2. 2. 1926 einen Bericht über die Zentrumspartei des Saargebiets v. 11. 1. 1926,
in dem diese Schwierigkeiten dargestellt wurden.
161
dem Krieg für die konfessionslose Einheitsschule gekämpft, aber dann war
ihr die gemeinsame deutsche Front gegenüber der französischen Domanial-
schule wichtiger geworden72. Bei den Demokraten und Liberalen des Saar-
gebiets bildete sich eine feste Tradition, aus nationalpolitischen Gründen die
Konfessionsschule nicht anzutasten73. Die gemeinsame Linie in dieser Frage
wurde auch durch eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem katho-
lischen Lehrerverband und dem freien Lehrerverband festgelegt74. Da sich
in der Schulfrage Einfluß und Macht der Zentrumspartei des Saargebiets
besonders wirksam gezeigt hatten, war es verständlich, daß die Partei in der
Diskussion, die sich seit 1929 wieder um die Frage der Domanialschule ent-
spann, besonders aktiv zeigte75. Man sah wohl im Rückgriff auf diesen
Problemkreis immer wieder eine Chance, zentrale Erlebnisinhalte der saar-
ländischen Katholiken zu aktivieren und dadurch wirksame Propaganda für
die Zentrumspartei zu entfalten.
Einen gewissen Einfluß auf die geistige Begründung der nationalen Hal-
tung des Zentrums übten auch die Darlegungen Carl Schmitts anläßlich der
Rheinischen Jahrtausendfeier im Jahre 1925 aus. Rechtsanwalt Levacher,
der Fraktionsführer des Zentrums im Saarländischen Landesrat, Zentrums-
sprecher bei den Genfer Delegationen und Sprecher zu außenpolitischen Pro-
blemen im Landesrat, berief sich in der Sitzung des Landesrats vom 17. No-
vember 1925 im Verlauf seiner Rede über die Bedeutung von Locarno auf
Schmitt. Nach Worten voller Hoffnung über Locarno führte er im Hinblick
auf den Versailler Vertrag und die Saarordnung aus:
„Ich sagte, das Fundament ist unsittlich, der ganze Bau ist ebenso unsittlich. In
dieser Beziehung war das geradezu eine Offenbarung für mich, was unser Partei-
freund, der bekannte Rechtslehrer Schmitt, bei der Jahrtausendfeier des Zentrums
ausgeführt hat, . . . Jedes europäische Volk von einigem nationalen Bewußtsein
empört sich bei diesem Gedanken, von Fremdlingen regiert und beherrscht zu
werden.“ 76
Die Auffassungen Schmitts wurden für einzelne Zentrumsvertreter eine
theoretische Rechtfertigung des Kampfes gegen die Regierungskommission
und steigerten die Kampfhaltung gegenüber deren Maßnahmen zu einer
72 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 30. 10. 1923: Hier führte der Sprecher der
Sozialdemokratischen Partei z. B. aus: „Die Sozialdemokratie steht bekanntlich auf
dem Boden der freien, weltlichen Einheitsschule. Wenn wir auch aus naheliegenden
Gründen in der gegenwärtigen Zeit keine Veranlassung haben, den Kampf um die
Schule in der heftigsten Form entbrennen zu lassen, so besteht aber auch andererseits
keine Ursache, die Konfessionalität der Volksschule noch mehr zu vertiefen.“
73 In dem Parteiprogramm der Deutsch-Saarländischen Volkspartei, S.Z. Nr. 5 v. 6. 1.
1924, hieß es: „Im Interesse der Erhaltung der Einheitsfront der politischen Parteien
ist die Partei bereit, sich für die Erhaltung der bestehenden Schulverhältnisse bis zum
Jahre 1935 einzusetzen. Voraussetzung dabei ist, daß folgende Grundsätze berück-
sichtigt werden: Unbedingte Gewissensfreiheit der Eltern und Lehrer, keine Wieder-
einführung der geistlichen Schulaufsicht, auch nicht auf Umwegen.“ Daß diese Tradi-
tion nachwirkte, zeigte sich im saarländischen Abstimmungskampf von 1955, in dem
die Demokratische Partei des Saargebiets (heute FDP) ausdrücklich für das Saarland
die Beibehaltung der Konfessionsschule zusagte.
74 Mitteilung v. Peter Zenner.
75 Vgl. dazu oben S. 106 f.
76 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 17. 11. 1925, S. 3.
162
grundsätzlichen Ablehnung eines solchen Systems und verschärften damit
nationale Reserven gegenüber dem Völkerbund. Die Rede des Landesrats-
abgeordneten Martin in der letzten Sitzung des Landesrats vor der Rück-
gliederung bediente sich zur Zurückweisung einer Entscheidung für den
Status quo fast wörtlich (ohne Quellenangabe) der Ausführungen von Carl
Schmitt in seiner Schrift von 1925 „Die Rheinlande als Objekt internatio-
naler Politik“. Martin legte dar:
„Der Saarbewohner lehnt einen anonymen Souverain, wie es der Völkerbund ist,
ab. Der Völkerbund mag alles mögliche sein: Subjekt staatlicher Autorität, denk-
barer Träger einer Obrigkeit im christlichen Sinne des Wortes ist er jedenfalls nicht.
Er ist kein Adressat der Gefühle von Treue, Loyalität und innerem Respekt, wie
es der christliche Begriff der Obrigkeit verlangt. 54 Staaten verschiedenster Art,
durdr einen höchst unklaren und unbestimmten Vertrag in eine Beziehung gebradit,
deren rechtliche Eigenart höchst unklar bleibt, mit zwei ganz verschiedenartigen
Organen, Völkerbundsrat und Völkerbundsversammlung, deren Kompetenz eben-
falls unbestimmt gelassen ist, eine solche Konstruktion kann Hoheit und Autorität
weder haben noch ausüben, noch ihr Treuhänder sein. Es ist bezeichnend für die
Begriffsverwirrung und für die naive und gedankenlose Übertragung privat- und
handelsrechtlicher Vorstellungen auf moralische Fragen des öffentlichen, staatlichen
und nationalen Lebens, daß man überhaupt die Redensart vom Völkerbund als
einem Souverain aufstellen konnte.“77
Das nationale Denken überdeckte alle anderen Tendenzen in der Zentrums-
partei und durchdrang die Vorstellungswelt der verschiedenen Interessen-
gruppen.
Die Christlichen Gewerkschaften, deren Führungsschicht fast ausnahmslos
der Zentrumspartei angehörte, bekundeten sofort bei der militärischen Be-
setzung nach dem Kriege ihre Verbundenheit mit Deutschland. In einer
Denkschrift an General Andlauer vom 22. August 1919 hieß es:
„Mit Rücksicht darauf, daß das endgültige Schicksal des Saarlandes erst in 15 Jah-
ren entschieden wird, sowie aus rein wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen
Gründen, betrachten sich die Christlichen Gewerkschaften des Saarlandes auch
weiterhin als Teil der deutschen Zentralverbände.“78
Unter den Forderungen des Gewerkvereins der christlichen Bergarbeiter der
Saar an die Grubenverwaltung stand auch „Achtung der Liebe und Anhäng-
lichkeit der Bergleute zum angestammten Vaterland“79. Diese nationale
Ffaltung der Christlichen Gewerkschaften blieb während aller Phasen der
Entwicklung erhalten und führte z. B. dazu, daß der Gewerkverein christ-
licher Bergarbeiter sich aus nationalen Gründen und wegen der Solidarität
mit den übrigen Schichten gegen eine Frankenentlohnung im Bergbau aus-
sprach, obwohl diese wesentliche Vorteile für die Arbeiter brachte80. Von
77 Ebenda, Sten. Ber. v. 28. 12. 1924, S. 232. Die Vergleichsstelle bei Schmitt: C.
Schmitt, Die Rheinlande als Objekt internationaler Politik, Köln 1925, S. 26/27.
Die Zentrumspresse beschäftigte sich wenig mit Carl Schmitt; S.L.Z. Nr. 181 v. 7. 7.
1929: Positive Besprechung des obigen Werkes von Carl Schmitt; S.L.Z. Nr. 28 v.
29. 1. 1933, hier ist ein Brief des Zentrumsführers Kaas an Hindenburg vom 26. 1.
1933 gegen Carl Schmitt veröffentlicht.
78 Kiefer, a. a. O., S. 52.
79 Ebenda, S. 54.
80 Ebenda, S. 58.
163
der Tatsache, daß die sozial- und arbeitsrechtlichen Forderungen der Ar-
beiterschaft und der Gewerkschaften, nationale Aspekte erlangten, war
bereits in anderem Zusammenhang die Rede81. Neben den nationalen und
sozialen Vorstellungen der Saararbeiterschaft vertraten die Christlichen Ge-
werkschaften aber auch die übrigen politischen Wünsche der saarländischen
Bevölkerung. Sie wandten sich z. B. 1920 gegen die Ausweisungen und for-
derten ein „Parlament mit vollen Rechten“82. Die Christlichen Gewerk-
schaften wurden in fast allen politischen Fragen eine entscheidende Stütze
der Zentrumspartei, und in den Auseinandersetzungen im Saargebiet voll-
zog sich eine vollständige Politisierung dieser Gewerkschaften83. Die Zen-
trumspartei ihrerseits nahm die Forderungen der Christlichen Gewerkschaf-
ten auf und unterstützte sie energisch84; in die Wahlkämpfe ging sie mit der
Devise: „Christlich und deutsch, sozial und demokratisch“85.
Den wirksamsten Anwalt fand die saarländische Arbeiterschaft innerhalb
des Zentrums in der Person des Gewerkschaftssekretärs Peter Kiefer, der
Mitglied des Landesrats und der Delegation nach Genf war. Als volkstüm-
licher Redner von persönlich lauterer Gesinnung und sozialer Ffaltung fand
er in der Arbeiterschaft und in der übrigen Bevölkerung Anklang. Er ent-
wickelte eine Auffassung, die typisch für die Geisteshaltung vieler Saar-
länder wurde. Erstmals wurde sie klar sichtbar in der Rede Kiefers im
Landesrat am 30. Juni 1925, als er anläßlich seiner Ausführungen über die
Rheinische Jahrtausendfeier in Saarbrücken soziale und nationale Forde-
rungen miteinander verschmolz. Nach der Darlegung der außenpolitischen
Bedeutung des Ereignisses, das ein Treuebekenntnis zu Deutschland sei,
nichts mit Pangermanismus zu tun habe und das Frankreich vor einer
Irredenta bewahre und damit dem Frieden diene, fuhr er fort:
„Aber auch innerhalb des Volkes gilt es Schlußfolgerungen zu ziehen. Das erhe-
bende Zusammenfinden anläßlich der Bekenntnistage des Deutschen zum Deutschen,
wo das Band nationalen Fühlens und Einsseins alle umschlang, muß innerlich
erhalten bleiben und gefestigt werden. Zu einer untrennbaren Einheit müssen wir
zusammenwachsen, zu einem einheitlichen nationalen Wollen für immerdar. Das
ist gegeben für immer, wenn wir das Nationale durch das Soziale unterbauen und
fester fundamentieren. Herrenmenschentum, Klassen- und Kastengeist sind nicht
geeignet, das Nationale zu nähren, zu unterbauen und fester zu fundamentieren.
Im geringsten der Brüder muß immerdar der vollwertige Deutsche erblicht werden,
der mit allen übrigen, national gesehen, alles gemeinsam hat. Wir müssen daran
arbeiten, daß der Ärmste seine Familie menschenwürdig durchs Leben bringt, daß
die einen nicht in großer Wohlhabenheit und die anderen in Verzweiflung und
jämmerlicher Not dahinleben. Der geringste der deutschen Brüder muß sich in der
81 Vgl. oben S. 62 u. S. 121 ff. Zu der Haltung der Christlichen Gewerkschaften in diesen
Fragen bes. Kiefer, a. a. O., S. 57.
82 Ebenda, S. 57.
83 So auch Marvaud, a. a. O., S. 118. Bester Beleg für die Politisierung der Gewerk-
schaften ist die schon mehrfach zitierte Schrift von Peter Kiefer, aber auch in der
Zentrumspresse zeigte sich dieser Sachverhalt immer wieder. Z. B.: S.L.Z. Nr. 8
v. 10. 1. 1922; Nr. 69 v. 11. 3. 1930; Nr. 82 v. 24. 3. 1930; Nr. 112 v. 7. 8. 1930;
Nr. 115 v. 10. 8. 1930.
84 Vgl. dazu oben S. 126.
85 Z. B. Wahlaufrufe von 1928 und 1932 in S.L.Z. Nr. 76 v. 17. 3. 1928 u. Nr. 71
v. 12. 3. 1932.
164
nationalen Gemeinschaft wohl und geborgen fühlen, darf nicht das Gefühl des
Ausgestoßenseins bekommen, darf nicht mit Haß und Bitternis gegen die eigene
Volksgemeinschaft erfüllt werden. Das wird er nicht, wenn alle Volksglieder zu
wahrhaftigem sozialem Tun und Handeln bereit sind, wenn sie nicht bei ver-
schiedenen Gelegenheiten Lippenbekenntnisse machen, sondern durch soziales Tun
und Handeln beweisen, daß sie das Wort „national“ in seiner wahren Bedeutung
erfaßt haben. Dann wird jegliches Intrigenspiel unserer Gegner illusorisch werden,
dann wird das deutsche Volk, das wir so heiß lieben, sich schnell emporarbeiten
und der Welt weiter in friedlicher Kulturarbeit dienstbar sein. Das Gelöbnis, dem
Sozialen mehr als bisher zu dienen, muß jedes wahrhaften Deutschen Weihe-
geschenk ans deutsche Volk jetzt am Schlüsse einer 1000jährigen Geschichtsepoche
sein.“ 86
Die Vorstellungen von einem sozialen Nationalismus, die auf der saarlän-
dischen nationalen Einheitsfront und der Solidarität der Christlichen und
Freien Gewerkschaften, der Zentrumspartei und der Sozialdemokratischen
Partei in den sozialpolitischen Forderungen basieren, wurden bei Kiefer zur
tiefen politischen Überzeugung. In einer solchen Konzeption sah er die Mög-
lichkeit zu einer Überwindung jener Spannungen, die Deutschland zur Zeit
der Weimarer Republik innerlich zerrissen. Daher wurde es ihm und einigen
anderen Persönlichkeiten innerhalb des saarländischen Zentrums nach 1933
kaum möglich, eine selbständige geistige Position gegenüber den Ansprüchen
des Nationalsozialismus Hitlers und der Propaganda von der nationalen
Volksgemeinschaft zu finden, wenn auch die weltanschaulichen Reserven
gegenüber der NSDAP bestehen blieben.
Auch andere Gruppen innerhalb des saarländischen Zentrums ordneten in
ähnlicher Weise alle Interessen dem nationalen Gesichtspunkt unter. Gegen-
sätze zwischen rechts und links kamen in der gemeinsamen nationalen Linie
gar nicht zum Austrag, ja wurden nicht einmal bewußt.
Der Vertreter des Großbürgertums innerhalb der Zentrumspartei war der
Kaufmann Richard Becker aus Saarbrücken, dessen Wirken in Partei und
Landesrat ganz von nationaler Gesinnung durchdrungen war. Das geht z. B.
klar aus seinen Unterlagen über die Gründung der Handels- und Industrie-
beiräte der Zentrumspartei hervor87. Letztlich schuf Becker die Institution
des Handels- und Industriebeirates der Zentrumspartei im Saargebiet nur
deshalb, weil er darin eine Möglichkeit erblickte, bürgerliche Kreise für die
nationale Politik des Zentrums zu aktivieren. Im Landesrat wurde Becker
der wirtschaftliche und steuerrechtliche Fachmann der Zentrumspartei, der
86 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 30. 6. 1925, S. 8. Daß ähnliches Denken in weiten
Kreisen des Zentrums verbreitet war, zeigen z. B. auch die Ausführungen des Landes-
ratsabgeordneten Gärtner am 13. 2. 1925 (Sten. Ber. S. 5): „Heute weht wieder ein
unsozialer Geist. All überall tritt er uns entgegen. In feindliche Gruppen wird das
Volk wieder gespalten. Der Machtstandpunkt wird bis zur äußersten Konsequenz
durchgeführt. Der „nur“ wirtschaftliche Standpunkt allzuviel herausgekehrt und das
Menschliche dabei vernachlässigt. Wir erwarten, daß alle Deutschen im Saargebiet im
Interesse der nationalen Einheit das notwendige Verständnis für soziale Fragen und
Notwendigkeiten aufbringen.
Dann wird die beabsichtigte Entfremdung innerhalb des Saarvolkes nicht erreicht
und gerade dadurch, daß man den von uns erhobenen Forderungen soziales Verständ-
nis entgegenbringt, wird eine breite Plattform im deutschen Saarvolk geschaffen.“
87 Landesarchiv Saarbrücken, Becker-Schneider-Archiv, Privatpapiere R. Becher Nr. 87 (A).
165
ihr durch die Beschaffung von Unterlagen und die Ausarbeitung von Gut-
achten wertvolle Dienste leistete88. Die Zentrumspartei gewann auf diesen
Sachgebieten etwas vom Charakter einer Regierungspartei, der es vor allem
um eine sachliche und realistische Lösung der Probleme ging. Das war mög-
lich, da bei der Eigenart der Saarverhältnisse die nationale Obstruktion
nicht preisgegeben und keine Gesichtspunkte entwickelt werden mußten, die
den sozialen Interessen der Arbeiterschaft widersprochen hätten89.
In dem nationalen und sozialen Bestandteil ihrer politischen Vorstellungen
verarbeitete die Zentrumspartei zentrale Themen der europäischen und saar-
ländischen Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg. Es bleibt die Frage ihres
Verhältnisses zu Völkerbund, internationalen Friedensbemühungen und De-
mokratie zu untersuchen. Die Zentrumspartei berief sich mit den anderen
Parteien in den Eingaben nach Genf auf demokratische und völkerversöh-
nende Ideen90. Auch viele Landesratsreden und Artikel von Zentrumsabge-
ordneten und -journalisten bekannten sich zu Institutionen und Ideen des
Völkerbundes und betonten den Friedens- und Versöhnungswillen der Saar-
länder91. Diese Grundgedanken wie der Wunsch nach Bereinigung des
deutsch-französischen Verhältnisses finden sich durchgängig in allen politi-
schen Äußerungen, und man muß sie als Bestandteil der geistig-politischen
Überzeugung des Zentrums ansehen92. Daneben standen aber heftige An-
griffe auf die Regierungskommission als Verwaltungsinstanz des Völker-
bunds und die Anklage an die Weltöffentlichkeit, daß der Geist der Völker-
verständigung an der Saar nicht realisiert werde93. Die Bejahung des demo-
kratischen Ideengutes und des Völkerbunds stützte den Saarkampf des
88 Ebenda; das Becker-Schneider-Archiv enthält eine Fülle von Zeugnissen über dieses
Bemühen Beckers. Bes. Privatpapiere R. Becker Nr. 213. Vgl. außerdem die Gut-
achten Beckers im Landesrat zu diesen Fragen, z. B. Sten. Ber. v. 2. 4. 1925, S. 4 ff. ;
v. 2. 6. 1927, S. 80 ff.; v. 20. 12. 1929, S. 360 ff.; v. 3. 7. 1930, S. 178 ff.
89 Vgl. dazu oben bes. S. 140.
90 Z. B.: S.D.N. C. 10. M. 39. 1922. I. Denkschrift der politischen Parteien des Saar-
gebiets vom Dezember 1921, darin heißt es: „Wir sind davon durchdrungen, daß
gerade das Saargebiet als ein vom Völkerbund verwaltetes Land, dazu berufen ist,
die vom Völkerbund proklamierten, erhabenen Ziele zu verwirklichen.“ Die Denk-
schrift vom 6. April 1922 (S.D.N. C. 236. M. 132. 1922.) reklamierte „demokratische
Freiheit“.
Stellungnahme der Parteien des Landesrats gegen die Notverordnung v. 7. 3. 1923:
Dokument S.D.N. C. 226. M. 145. 1923. I. Hier: „Les habitants du Bassin de la
Sarre, seul territoire confié directement à la Société des Nations ont le plus grand
intérêt à ce que l’autorité de la Société des Nations reste intacte.“
91 Z. B.: In dem offenen Brief an Edouard Herriot vom 2. Dezember 1924 gab man
auch der Hoffnung auf friedliche Bereinigung des deutsch-französischen Verhältnisses
und die internationale Verständigung Ausdruck. Erklärung des Zentrums im Landes-
rat zu Locarno, Sten. Ber. v. 14. 11. 1925, S. 3 f. ; außerdem Erklärungen im Landesrat
v. 12. 4. 1926, Sten. Ber. S. 2 ff.; v. 22. 11. 1926, Sten. Ber. S. 1 f.
92 Das zeigt sich etwa bei einem Vergleich der Artikel in der S.Z. Nr. 67 v. 8. 3. 1932
und in der S.L.Z. Nr. 67 v. 8. 3. 1932 anläßlich des Todes von Aristide Briand. Die
S.Z. bleibt distanzierter und skeptisch gegenüber dem Paneuropaplan und gegenüber
Briand, während die S.L.Z. sehr positiv über Briand urteilt: „Ein großer Europäer
starb.“
93 Z. B. folgende Artikel: S.L.Z. Nr. 15 v. 16. 1. 1927 „Völkerbundspolitik an der
Saar“; S.L.Z. Nr. 134 v. 18. 5. 1929 „Geist der Wahrheit“; S.L.Z. Nr. 52 v. 26. 2. 1930
„Zehn Jahre Regierungskommission“.
166
Zentrums und wurde Hoffnung und wirksame Waffe gegen die französische
Saarpolitik von Versailles. Auch die weltanschaulichen Grundlagen des Zen-
trums öffneten den Zugang zu solchen politischen Vorstellungen. Diese be-
hielten jedoch einen vorwiegend theoretischen Charakter, ihre Propagierung
verblaßte gegenüber der Verteidigung der nationalen und sozialen Belange
und der Vorbereitung des Plebiszites. Das zeigte sich z. B. bei der großen
Kundgebung der Windthorstbünde des Saargebiets am 13. April 1930, als
Monsignore Ignaz Seipel aus Wien nach dem Vorschlag der Saarländer über
das Thema „Weltfrieden und Weltkirche“ sprach. In den Begrüßungsworten
legte der Vorsitzende der Windthorstbünde, Dr. Franz Singer, dar, daß die
Zentrumsjugend der Völkerverständigung dienen wolle. Die Ausführungen
Seipels nahmen gegen die Diktatfrieden Stellung, betonten aber, daß die
Pariser Vorortsverträge in der Völkerbundssatzung und in den Versuchen
zur Regelung des Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern
Abschnitte enthielten, die von großer Bedeutung für die Zukunft seien. Es
gelte, zur Ausgestaltung des Völkerbundes, der noch unvollkommen sei und
erst am Anfang stehe, beizutragen. Seipels Darlegungen wurden mit Begei-
sterung aufgenommen, und die ganze versöhnliche Rede erschien im Wort-
laut in der Zentrumspresse. Für die saarländischen Politiker war es jedoch
selbstverständlich, daß mit dieser Bekundung ihres Willens zur Völkerver-
ständigung das Bekenntnis der Treue zu Deutschland ausdrücklich verbunden
wurde und daß von dieser großen Kundgebung nationalpolitische Entschlie-
ßungen und Telegramme an Hindenburg und Brüning gesandt wurden94.
Dieser Vorgang, der übrigens von der französischen Rechtspresse als Zeichen
des Pangermanismus der saarländischen Parteiführer95 interpretiert wurde,
offenbarte besonders deutlich, daß die saarländische Zentrumspartei aktiv
und selbständig nationale und soziale Belange aufgriff, aber in allen Fragen,
die nicht unmittelbar das Saarproblem betrafen, nicht ihr eigentliches Auf-
gabenfeld erblickte und deshalb in ihnen nicht initiativ oder konstruktiv
wurde. Das überließ man der Deutschen Zentrumspartei, zu der enge Kon-
takte bestanden. Wie wenig man sich etwa selbständig mit dem demokra-
tischen Gedanken auseinandersetzte, zeigte sich, als Papen mit einer Rede
im Handels- und Industriebeirat der saarländischen Zentrumspartei im
Spätherbst 1931 in der Saarfrage aktiv zu werden begann. Er interpretierte
die Rolle Brünings als einen Übergang von rein formaler Demokratie zu
Selbstverantwortung, Autorität und Wiederkehr des früheren Obrigkeits-
staates als Ordnungsstaat. In der Zentrumspresse wurde über diese Rede
nicht kritisch, sondern durchaus positiv berichtet, und zwar von dem Führer
der Windthorstbünde, Dr. Singer96.
Die Eigenart ihrer Ideenwelt, wie sie sich in den politischen Kämpfen des
Saargebiets bis 1925 entwickelt hatte, war einer der wesentlichen Faktoren
zur Stabilität der Zentrumspartei in dem Zeitraum bis 1933. Das beruhte
94 S.L.Z. Nr. 103 V. 14. 4. 1930.
95 Journal des Debats v. 17. 4. 1930 „Mgr. Seipel en Sarre“.
96 S.L.Z. Nr. 300 v. 2. 11. 1931, „Der Handels- und Industriebeirat der Zentrumspartei
zu den politischen und Saarwirtschaftsfragen", Dr. F. S.
167
auf dem Sachverhalt, daß die weltanschaulichen, sozialen und nationalen
Auffassungen des saarländischen Zentrumsprogramms in enger Wechselwir-
kung zwischen Partei und Bevölkerung ausgebildet worden waren. Überdies
bedeutete die Kirche eine starke moralische Stütze für die allgemeine Gel-
tung, deren sich die Vorstellungen des Zentrums erfreuten. Ständigen Aus-
drude gewannen die Anschauungen der Partei in der Zentrumspresse des
Saargebiets, insbesondere in der „Saarbrücker Landeszeitung“. Diese Zei-
tungen waren stark heimatgebunden, auf die Erlebniswelt der einfachen
saarländischen Bevölkerung abgestellt und bewußt katholisch, so daß Inter-
essen und Ideen der Zentrumspartei in einer spezifisch saarländisch-heimat-
lichen Atmosphäre Verbreitung fanden.
Neben der allgemeinen Bejahung, deren sich die Anschauungen des Zentrums
in weiten Teilen der öffentlichen Meinung erfreuten, garantierte jedoch auch
das Organisationsgefüge der Partei ihren Erfolg. Die Partei stellte in ihrem
Aufbau den Typ der Massenpartei dar; sie besaß feste Mitglieder, die einen
Beitrag zahlten, und versuchte ständig, neue Anhänger zu werben. Ihre
vertikale Gliederung erstreckte sich über Ortsgruppen und Kreisverbände
auf die Landesebene. Auf allen drei Ebenen gab es Vorstände, auf der Lan-
desebene noch einen Parteiausschuß, in dem alle wichtigeren Angelegen-
heiten besprochen wurden. Das saarländische Zentrum folgte auch den für
diesen Parteityp normalen demokratischen Gepflogenheiten: Die Vorsitzen-
den und ein Teil der Vorstände wurden gewählt, höchste Parteiinstanz war
die Landesdelegiertenversammlung, die wenigstens einmal jährlich zusam-
mentrat. Wichtiger für eine innere demokratische Struktur war jedoch, daß
der Landesparteiausschuß mit etwa achtzig Mitgliedern97 verhältnismäßig
groß war und in ihm etwa je drei Delegierte und die Vorsitzenden aller
Kreisverbände vertreten waren. So ergab sich eine enge Zusammenarbeit
einer breiteren Führungsschicht wie die Garantie, daß die Parteiführung,
wenn auch die Linien der Politik von oben entwickelt wurden, lebendige
Kontakte zu den einzelnen Ortsgruppen behielt. Neben der vertikalen Glie-
derung war besonders die Zusammensetzung der Mitglieder für das Partei-
gefüge von besonderer Bedeutung. Auf allen Ebenen der vertikalen Gliede-
rung traten als aktive Parteimitglieder Personen in Erscheinung, die aus der
Führungsschicht der Christlichen Gewerkschaften, des Katholischen Lehrer-
verbandes, der katholischen Standesvereine und aus der Geistlichkeit kamen.
Daraus resultierte einerseits eine breite Interessenvertretung der Saarbevöl-
kerung innerhalb der Partei, die ihr den Charakter der Volkspartei verlieh,
zum anderen eine ständige Ausstrahlungsmöglichkeit in den sogenannten
vorpolitischen Raum. Neben Koßmann und Kiefer stammten auch Kuhnen,
der seit 1930 dem Deutschen Reichstag angehörte, und Hillenbrand, der
Abgeordneter des letzten Preußischen Landtages war, aus dem Kreis der
saarländischen Gewerkschaftsfunktionäre98. Neben den Gewerkschaftssekre-
tären spielte die Geistlichkeit in der eigentlichen Parteiführung ebenfalls
97 Vgl. dazu die Zahlenangaben über das Abstimmungsverhältnis der Sitzung des
Landesparteiausschusses v. 28. 9. 1933 unten S. 289.
98 Straus, a. a. O., S. 109.
168
eine große Rolle. Der katholische Geistliche Pfarrer Wilhelm war während
der Zeit von 1922 bis 1935 Mitglied des Landesrats; dem Parteivorstand
bzw. Landesparteiausschuß gehörten die Pfarrer Bungarten und Dr. Schlich
an. Die Verwurzelung in katholischen Vereinen zeigte sich z. B. in folgenden
Tatsachen: Frau Steegmann, die Gemahlin des Vorsitzenden der saarländi-
schen Zentrumspartei, war Vorsitzende des Katholischen Deutschen Frauen-
bundes der Saar, betätigte sich aktiv politisch und zog zu dieser Arbeit bei
den katholischen Frauen auch immer wieder Ffelene Weber heran". Ein
ständiges Mitglied des Landesrats war auch Stadtschulrat Martin, der Vor-
sitzende des Katholischen Lehrerverbandes im Saargebiet.
Diese Verzahnung der Führungsschicht in Gewerkschaften, Verbänden und
Partei erleichterte der Partei die Arbeit auf Orts- und Kreisebene. An den
regelmäßigen Versammlungen in den einzelnen Gemeinden oder Kreisen des
Saargebiets nahmen nicht nur Mitglieder der Partei, sondern auch ein Kreis
von Anhängern teil. Andererseits wurde in den vorpolitischen Organisa-
tionen ebenfalls das Ideengut der Partei, besonders in seiner Bedeutung für
das kulturelle und soziale Leben, verbreitet. So vollzog sich in Parteiver-
sammlungen, auch außerhalb der Zeit politischer Hochspannung durch Wah-
len oder besondere Saarprobleme, und in den verschiedenen Vereinigungen
eine weltanschaulich bestimmte Erziehungsarbeit, die den Kreis der Zen-
trumswähler zusammenhielt. Die Partei kannte nur zwei von ihr geschaf-
fene Unterorganisationen, die sie neben den vielen Vereinigungen für ihre
Arbeit für notwendig hielt, die Windthorstbünde und den Handels- und
Industriebeirat. Die Windthorstbünde waren im Saargebiet vor allem Aus-
druck dafür, daß der Zentrumspartei auch in der jüngeren Generation eine
feste Verwurzelung beschieden war, während der Handels- und Industrie-
beirat eine Lücke für die Zentrumspartei füllte, da die wirtschaftlichen und
handwerklichen Vereinigungen von der Deutsch-Saarländischen Volkspartei
beherrscht wurden.
Innerhalb der gesamten Führungsschicht des saarländischen Zentrums fiel
den Landesratsmitgliedern, insbesondere den Abgeordneten Levacher, Kie-
fer, Becker und Wilhelm, eine besondere Rolle zu. Ihre Gutachten im Lan-
desrat wie ihre Tätigkeit in Genf und in Berlin gab ihnen die Möglichkeit,
realen Einfluß auf die Entwicklung der Saarverhältnisse auszuüben. Ihre
unermüdliche Arbeit und Agitation für die Saar, ihr ganzes Wirken behielt
bei allen Berührungen mit berühmten Politikern in Genf und mit der inter-
nationalen Politik doch immer das Gepräge der begrenzten saarländischen
Verhältnisse.
Auch die Bindungen der saarländischen Zentrumspartei an die deutsche
Mutterpartei standen primär unter saarländischen Gesichtspunkten. Nach
den ersten Jahren, als die Regierungskommission die Versuche zur Verhinde-
rung der Bindung nach Deutschland aufgegeben hatte, unterhielt man enge
Beziehungen zum rheinischen Zentrum, führende deutsche Zentrumspolitiker 99
99 Mündliche Auskunft Frau Steegmanns an die Verf.
169
sprachen wiederholt im Saargebiet100, und Steegmann und Kuhnen gehörten
dem Vorstand der Preußischen Zentrumspartei an101. Steegmann wie die
beiden Abgeordneten Kuhnen und Hillenbrand erblickten ihre Aufgabe
aber vor allem darin, in den Kreisen der Deutschen Zentrumspartei und in
Landtag und Reichstag für die Saarinteressen einzutreten.
2. Die Deutsch-Saarländische Volkspartei
Die Deutsch-Saarländische Volkspartei war eine Sammlungspartei für das
liberale und demokratische Bürgertum und wurde in ihrer Entwicklung und
in ihrer Ideenwelt wesentlich von den spezifisch saarländischen Verhält-
nissen bestimmt. Im Kern ihrer Wählerschaft ist sie als Nachfolgepartei der
Nationalliberalen anzusehen.
Revolution und Übergang von Eisenindustrie und Bergwerken in die Hand
französischer Industrieller und des französischen Staates hatten die Situation
für den Nationalliberalismus an der Saar grundsätzlich geändert. War es
vor dem Ersten Weltkrieg durch das Zusammenspiel der Interessen der In-
dustriellen und der preußischen Bergbehörde im Kampf gegen Sozialismus
und Zentrum und durch die Abhängigkeit der Arbeiterschaft im patriar-
chalischen System gelungen, die Stimmen weiter Kreise der Arbeiterschaft
im Wahlkreis Saarbrücken zu gewinnen1, so blieb der Nationalliberalismus
nach 1918 auf die eigentlichen Anhänger seiner politischen Vorstellungen
angewiesen. Das waren an der Saar im wesentlichen nur das liberale Bürger-
tum Saarbrückens und die protestantischen Handwerker- und Kaufmanns-
kreise in den Städten Ottweiler und Homburg sowie in den größeren Orten
des Landkreises Saarbrücken. Die Stimmen der Arbeiterschaft fielen nun
vorwiegend den Sozialdemokraten, den Kommunisten und dem Zentrum
zu. Der Nationalliberalismus wurde in eine Rückzugsstellung gedrängt,
seine soziologisch schmale Basis in einem Industriegebiet mit stark länd-
lichem Einschlag, ohne große Städte mit bedeutender bürgerlicher und kauf-
männischer Tradition wurde offenbar.
In der parteipolitischen Neugruppierung während der Wahlbewegung zur
Weimarer Nationalversammlung bildete sich in Saarbrücken aus dem Be-
wußtsein der Schwäche der bürgerlich-liberalen Position eine liberal-demo-
kratische Arbeitsgemeinschaft2, die alle bürgerlichen Kräfte gewinnen wollte,
soweit sie nicht treue Anhänger des Zentrums waren. Ihre Bedeutung wurde
vor allem in der Bildung einer „festen Front“ „gegenüber der roten Flut"3
gesehen. Die Führung in dieser Arbeitsgemeinschaft besaßen aber nicht die
Nationalliberalen, sondern die Demokraten. Die „Saarbrücker Zeitung“
stand ebenfalls unter demokratischem Einfluß. Deshalb wurde die Bildung
100 Z. B.: S.L.Z. Nr. 312 v. 16. 11. 1929: „Riesenkundgebung des Saarzentrums im Jo-
hannishof“ (Rede von Prälat Dr. Kaas); S.L.Z. Nrn. 79 u. 82 v. 20. u. 23. 3. 1928.
101 S.L.Z. Nr. 145 v. 30. 5. 1927, Referat „Stand und Aufgabe der Zentrumspartei“;
S.L.Z. Nr. 129 v. 12. 5, 1930, „Parteitag der Preußischen Zentrumspartei“.
1 Vgl. oben S. 25 f. u. S. 28.
2 S.Z., Januar 1919, bes. Nr. 8 v. 8. 1. 1919: „Die Wahlbewegung für die National-
versammlung“.
3 Ebenda.
170
von Ortsgruppen der Deutschnationalen Volkspartei und der Deutschen
Volkspartei ungern gesehen, und man sprach von Zersplitterungsgefahr4.
Die Deutsche Volkspartei begann zwar mit einer Ortsgruppe in Saarbrücken
eine eigene Parteiorganisation aufzubauen und veröffentlichte den allge-
meinen Wahlaufruf ihrer Partei5, blieb aber für die Wahlen zur Weimarer
Nationalversammlung und zur Preußischen Landesversammlung bei dem
Wahlbündnis mit den Demokraten. Wahlaufrufe und Wahlversammlungen
der liberal-demokratischen Arbeitsgemeinschaft betonten die Bedeutung der
Sammlung gegen die sozialistische Revolution und die Gefahr einer stär-
keren Linksorientierung der Mehrheitssozialisten. Daneben dominierten
aber in der Presse die Ideen der Demokraten in ihrem Bekenntnis zu Demo-
kratie und Republik, zu sozialem Fortschritt und Ausgleich und zu den
Ideen und Institutionen des Friedens wie Völkerbund und internationales
Schiedsgericht6. Die saarländischen Kandidaten der Demokraten entsprachen
der Struktur einer Arbeiterbevölkerung, es waren der Gewerkschaftssekre-
tär Pick (Christlicher Metallarbeiterverband), ein Obertelegraphenassistent
Anschiitz und ein Eisenbahnschreiner Ommert7. Ihre Reden grenzten teil-
weise an Sozialvorstellungen der Sozialisten8. Die Wahl zur Weimarer
Nationalversammlung brachte der liberal-demokratischen Arbeitsgemein-
schaft in Saarbrücken 30 Prozent der abgegebenen Stimmen, im Landkreis
Saarbrücken aber nur 15 Prozent9. Einschließlich der Deutschnationalen
erhielt das bürgerliche Lager (ohne Zentrum) im Saargebiet bei den Wahlen
zur Nationalversammlung 16 Prozent der Stimmen10. Die Wahl zeigte zu-
dem, daß an der Saar für die Deutschnationalen keine Basis bestand; sie
erhielten in Saarbrücken-Stadt 840 und im Landkreis Saarbrücken 643
Stimmen10a.
Die Wahlbewegung zur Weimarer Nationalversammlung stand noch nicht
unter dem Zeichen der außenpolitischen Situation der Saar. Das Saargebiet
hatte auch nicht als eigenes Territorium gewählt, sondern innerhalb des
preußischen 21. und des bayrischen 27. Wahlkreises. Nachdem im Friedens-
vertrag die Entscheidung über die Saar gefallen war und die Regierungs-
kommission im April 1920 ihre Tätigkeit in Saarbrücken aufgenommen
4 Ebenda.
5 S.Z. Nr. 9 v. 9. 1. 1919 „Aufruf der Deutschen Volkspartei“ u. S.Z. Nr. 11 v. 11. 1. 1919
„Die Wahlbewegung zur Nationalversammlung“.
6 Bes. S.Z. Nr. 9 v. 9. 1. 1919 „Die Wahlbewegung zur Nationalversammlung, Aufruf
des Kandidaten Walter Dörr, Oberstein“; S.Z. Nr. 13 v. 13. 1. 1919 „Volksversamm-
lung des Bürgerausschlusses“; S.Z. Nr. 16 v. 16. 1. 1919 „Wahlaufruf der Deutsch-
Demokratischen Partei, Ortsgruppe Saarbrücken“.
7 S.V.Z. Nr. 8 v. 8. 1. 1919, „Der Aufmarsch der Liberalen in Saarbrücken zum Wahl-
kampf“.
8 Ebenda und S.V.Z. Nr. 7 v. 10. 1. 1919 „Randbemerkungen zur demokratischen
Wahlversammlung“.
9 Die Angaben stützen sich auf die Presseveröffentlichungen in der S.Z. Nr. 21 u.
Nr. 22 v. 21. u. 22. 1. 1919 und in der S.V.Z. Nr. 16 v. 21. 1. 1919.
10 S.D.N. J.O. 1,8 (1920), S. 68: 5. Period. Bericht der Reg.-Kom. Hier finden sich
Prozentzahlen über die Wahl zur Weimarer Nationalversammlung.
10a S. Anm. 9.
171
i
hatte, setzte Ende 1920 die erste Umgruppierung im bürgerlichen Lager auf
Grund dieser Verhältnisse ein. Das Wahlbündnis der liberal-demokratischen
Arbeitsgemeinschaft blieb zu den Stadtratswahlen im Juni 1920 in Saar-
brücken noch erhalten. Ungünstig für die Liberalen war, daß die Demo-
kraten die Führung behauptet hatten, obwohl die Deutsche Volkspartei den
stärkeren Anhang besaß11. Die „Saarbrücker Zeitung“ und die Deutsche
Volkspartei gerieten im Beamtenstreik durch die Schärfe ihrer Opposition
gegenüber der Regierungskommission in eine schwierige Lage. Die Regie-
rungskommission hatte bereits in ihrem dritten periodischen Bericht nach
Genf vor allem die „Saarbrücker Zeitung“ als Exponenten der gegnerischen
Presse genannt. Sie sprach außerdem von Verbindungen mit dem „Heimat-
schutz“ und dem,„Saarverein“ 12. Nach Beilegung des Beamtenstreiks und
Beruhigung der Verhältnisse sah sich die Deutsche Volkspartei deshalb ge-
nötigt, eine „Neuorientierung“ zu vollziehen. Die Partei nannte sich nun
„Liberale Volkspartei des Saargebietes“ und ließ den Untertitel „Deutsche
Volkspartei" fallen. In einer Eingabe an die Regierungskommission stellte
sie sich auf den Boden des Friedensvertrages, erklärte ihre Bereitschaft zur
Zusammenarbeit auf dieser Basis und versprach, ihre Tätigkeit auf das Saar-
gebiet zu beschränken und keine Beziehungen zu Organisationen außerhalb
des Saargebiets zu pflegen13. Dieser Schritt zeigte, daß die Liberalen fürch-
teten, durch die Regierungskommission in der Gestaltung der saarländischen
Verhältnisse ausgeschaltet zu werden, und daß sie auf Grund des Versailler
Vertrags doch Möglichkeiten zur Mitarbeit sahen.
Der große politische Start für die Liberale Volkspartei lag in der ersten
Delegation der Saarbevölkerung nach Genf im September 1921. Ihr gehörten
neben den Partei- und Gewerkschaftsvertretern vor allem Industrielle und
Vertreter von Wirtschaftsorganisationen an, die Mitglieder der Liberalen
Volkspartei waren oder ihr nahestanden: Kommerzienrat Dr. Hermann
Röchling, der Vorsitzende der Handelskammer Luitwin von Boch, der Vor-
sitzende der Liberalen Volkspartei und der Handwerkskammer Wilhelm
Schmelzer und Dr. Max von Vopelius als stellvertretender Vorsitzender des
Wirtschaftlichen Vereins14. Die Liberale Volkspartei trat dann im Wahl-
kampf für den ersten Landesrat 1922 unabhängig von der Deutsch-Demo-
kratischen Partei auf. Ihr Wahlaufruf war ganz auf die spezifisch saarlän-
dischen Verhältnisse ausgerichtet. Er nannte drei Ziele: 1. Den Kampf um
die Rechte und die Wohlfahrt der Saarbevölkerung durch die Genfer Dele-
gationen; 2. den Kampf der deutschen Bevölkerung gegen die französische
Annexionspolitik; 3. die Sorge für die wirtschaftliche Zukunft des Saar-
gebiets im Kampf gegen die verfehlte Politik der Regierungskommission.
11 S.L.Z. Nr. 106 v. 19. 10. 1920 „Neuorientierung in der Liberalen Volkspartei“.
12 S.D.N. J.O. 1,5 (1920), S. 285, 3. Period. Bericht d. Reg.-Kom.; Deutsches Weißbuch,
S. 166 f.
13 S.D.N. J.O. 1,8 (1920), S. 70, 5. Period. Bericht d. Reg.-Kom.; Deutsches Weißbuch,
S. 238; S.L.Z. Nr. 106 v. 19. 10. 1920 „Neuorientierung in der Liberalen Volkspartei“.
14 Röchling, Wir halten die Saar, S. 70; S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43 (9. Period.
Ber. der Reg.-Kom.); vgl. auch oben S. 64ff.
172
Die Liste der Liberalen wurde als Liste der Genfer Delegation bezeichnet15.
Das Wahlergebnis zeigte, daß die Demokraten nur geringen Anhang an der
Saar besaßen. Sie erhielten nur 3,9 Prozent der abgegebenen Stimmen und
einen Sitz im Landesrat, während die Liberale Volkspartei 12,8 Prozent und
vier Mandate erhielt16. Diese Erfahrungen führten vor den Landesratswah-
len 1924 zum Zusammenschluß der Liberalen und der Demokratischen Par-
tei 17 in der „Deutsch-Saarländischen Volkspartei" 18. Trotz dieses Zusam-
menschlusses verringerte sich der Stimmenanteil der Deutsch-Saarländischen
Volkspartei prozentual etwas gegenüber dem Anteil der beiden Parteien im
Jahre 1922. Eine Beeinträchtigung des Einflusses der Deutsch-Saarländischen
Volkspartei in der bürgerlichen Wählerschaft bedeutete während der Jahre
des internationalen Verwaltungssystems das Auftreten einer selbständigen
„Vereinigung von Hausbesitz und Landwirtschaft", seit 1928 „Deutsche
Wirtschaftspartei“. Sie erhielt 1922 8,3 Prozent der Stimmen und 2 Sitze
im Landesrat; bei allen folgenden Wahlen behauptete sie einen Sitz. Die
Deutsch-Saarländische Volkspartei und die bürgerlichen Gruppen zusam-
mengenommen, erlebten einen langsamen, aber stetigen Rückgang. 1924
behauptete die Deutsch-Saarländische Volkspartei die Mandatzahl der Libe-
ralen Volkspartei von 1922, wurde aber bereits in Stimmen und Mandaten
von den Kommunisten überflügelt. 1928 verlor sie ein Mandat an die
Deutschnationale Volkspartei19, und 1932 sank sie auf 6,6 Prozent der
Stimmen und zwei Sitze im Landesrat ab. Sie besaß damit 1932 die gleiche
Stärke wie die NSDAP, die zum erstenmal kandidiert hatte und ebenfalls
zwei Sitze und 6,7 Prozent der Stimmen erhalten hatte.
Der Einfluß der Deutsch-Saarländischen Volkspartei auf die Entwicklung
der Verhältnisse an der Saar läßt sich aber nicht aus ihren Stimmenzahlen
und Mandaten ablesen. Sie besaß tatsächlich ein starkes Gewicht in dem
Spiel der politischen Kräfte durch ihre bedeutendste Persönlichkeit, den
Kommerzienrat Dr. Hermann Röchling. Dieser hatte der Waffenstillstands-
kommission als Sachverständiger angehört20 und war den Franzosen ein
Stein des Anstoßes. Er war von einem französischen Kriegsgericht in Ab-
wesenheit zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden, weil die Röchling-
werke an der Durchführung der Demontage, die das Deutsche Reich wäh-
rend des Krieges in Nordfrankreich und Belgien veranlaßt hatte, beteiligt
15 S.Z. Nr. 154 v. 14. 6. 1922 „Wahlaufruf der Liberalen Volkspartei“.
16 Vgl. zu allen Angaben über Prozentanteil und Mandate im Landesrat die Anlage 1
u. 2, unten S. 335 f.
17 Eine Linksgruppe der Demokraten spaltete sich bereits 1925 wieder ab. Die Demo-
kraten kandidierten 1928 und 1932 nochmals zum Landesrat, konnten aber kein Man-
dat erringen. Dazu: S.L.Z. Nr. 111 v. 24. 4. 1925 „Spaltung der DSV“; Volksstimme
Nr. 96 v. 25. 4. 1925 „Es dämmert“; S.Z. Nr. 120 v. 3. 5. 1925 „Eine Erklärung der
DSV“.
18 S.Z. Nr. 5 v. 6. 1. 1924 „Einigung!“.
19 Vorsitzender der DNVP an der Saar war der evangelische Pfarrer Reichard; die Partei
erreichte 1928 im Saargebiet 3,8 °/o der gültigen Stimmen; über 10 °/o erreichte sie nur
in den Städten Saarbrücken und Ottweiler und 15 °/o in St. Wendel-Land mit seinen
evangelischen Dörfern, Daneben wählten kleinere Landdörfer in der Pfalz überwiegend
DNVP.
20 Röchling, a. a. O., S. 48; W am b a u g h, a. a. O., S. 44, Anm. 25.
173
gewesen und Maschinen erhalten hatten21. 1919 hatte er mit französischen
Industriellen Verhandlungen geführt wegen einer sechzigprozentigen Betei-
ligung an den Röchlingwerken gegen Freigabe seines Bruders, der ebenfalls
vor einem französischen Kriegsgericht stand. Da sich die Verhandlungen zer-
schlugen, konnte er den gesamten Besitz in seiner Hand behaupten und war
damit der einzige von Frankreich wirtschaftlich unabhängige Schwerindu-
strielle an der Saar22. Er war nicht nur die entscheidende Persönlichkeit in
der Deutsch-Saarländischen Volkspartei, sondern wurde in den Genfer Dele-
gationen für alle Parteien unentbehrlich. Seine Beziehungen hatten Zugang
zu den Ratsmitgliedern geöffnet23, und seiner Sprachkenntnisse wegen war
er der Wortführer der Delegationen24. Sein Einfluß spiegelt sich auch darin,
daß er durch seine Freundschaft mit dem englischen Journalisten Sir Robert
Donald in der Familie des englischen Premiers Macdonald auf Schloß Che-
quers empfangen wurde. So stellte er als Nationalliberaler die Verbindung
zu den englischen Sozialisten her, als durch die internationale Konstellation
das Klima in Genf und in Europa der Verständigung günstiger wurde. Bei
diesem Besuch in England lernte er den amerikanischen Staatssekretär Kel-
logg kennen25. Außerdem besaß Röchling den besten Kontakt zur Berliner
Ministerialbürokratie und wurde als Sachverständiger immer wieder heran-
gezogen26. Röchling war an der Saar allgemein angesehen, auch in Kreisen
der Arbeiterschaft. Wie sehr er als unentbehrlich betrachtet wurde, offen-
barte sich einmal in grotesker Weise bei einer Wahlversammlung, in der ein
kommunistischer Redner gegen die Deutsch-Saarländische Volkspartei auf-
trat, Röchling selbst aber schonte und sagte, es sei gut, wenn Röchling wieder
in den Landesrat komme27.
Die Bedeutung der Liberalen für die Saar wurde auch dadurch erhöht, daß
Dr. Vogel, der Leiter des Bundes der Saarvereine, ein aus dem Saargebiet
ausgewiesener Nationalliberaler war28. Vogel hielt mit den großen Saar-
kundgebungen im Deutschen Reich das Interesse an den Saarfragen wach
und pflegte die Verbindung mit allen Parteien der saarländischen Einheits-
front.
Außerdem besaß die Deutsch-Saarländische Volkspartei einen überragenden
Einfluß in den wirtschaftspolitischen Fragen des Saargebiets, den sie vor
allem in der Saarbrücker Handelskammer ausübte, deren Leitung schon tra-
21 Röchling, a. a. O., S. 47 f.
22 Ebenda, S. 47—52.
23 Ebenda, S. 14; vgl. auch oben S. 65.
24 Vertraulicher Bericht Colbans vom 8. 6. 1926 über den Besuch einer Saardelegation
vom selben Tag in S.D.N. Archives des Sections du Secrétariat, Sect. Pol., Sarre, Nr. 56
(Dossier General II).
25 Röchling, a. a. O., S. 101—103; S t a 1 ey, a. a. O., S. 586—589.
26 Röchling, a. a. O., S. 104—113 „WirtschaftsnÖte — Zollfragen“; Landesarchiv
Saarbrücken, Becker-Schneider-Archiv, Privatpapiere R. Becker Nr. 102 enthält
Durchschlage von Schreiben an und von Röchling, die das ebenfalls belegen.
27 Volksstimme Nr. 22 v. 26. 1. 1924 „Röchling in Dillingen“.
28 Saar-Freund, Mitteüungsblatt des Bundes der Saar-Vereine, Nr. 20, 11. Jg., „Theodor
Vogel, der 60jährige Kämpfer für das deutsche Saargebiet“.
174
ditionsgemäß in der Hand der Nationalliberalen lag29. Da es wegen der
Situation des Saargebietes meist um die Fragen der Gewinnung von Absatz-
möglichkeiten auf dem deutschen und französischen Markt, um Senkung der
Kohlepreise und Erleichterungen für den deutschen Import ging30, stellte
diese Tätigkeit nicht nur eine Interessenvertretung für Industrie und Handel
dar, sondern war für die Behauptung der gesamten saarländischen Wirt-
schaft und für die saarländische Arbeiterschaft in Hütten und Bergwerken
von Bedeutung. Die Anliegen mußten primär gegenüber der Regierungs-
kommission und dem französischen Staat verfolgt werden und gute Be-
ziehungen zu Berlin waren ebenfalls dienlich. Die Arbeit Röchlings und der
liberal-bürgerlichen Kreise besaß damit den Charakter einer nationalen und
wirtschaftlichen Interessenvertretung, unabhängig von parteipolitischer Bin-
dung.
In der Vorstellungswelt der Deutsch-Saarländischen Volkspartei dominierte
der Gedanke, Kräfte zu sammeln und zu aktivieren für die nationale Be-
hauptung des Saargebiets. Im Parteiprogramm der neu gegründeten Partei
vom Jahre 1924 hieß es:
„Die Deutsch-Saarländische Volkspartei (Vereinigte Liberale und Deutsch-Demo-
kratische Partei) will rückhaltslose, offene Vorkämpferin für die Erhaltung des
Deutschtums an der Saar sein. Hauptziel ihrer Politik ist, durch die Abstimmung
des Jahres 1935 das Saargebiet dem deutschen Vaterlande zu erhalten.“31
Aus diesem Grunde war die Partei während der ganzen Jahre konsequente
Vertreterin des Gedankens der Einheitsfront der politischen Parteien und
suchte ein gutes Verhältnis zu Zentrum und Sozialdemokraten32. So erhielt
die Partei einen pragmatischen Zug; weltanschauliche und sozialpolitische
29 Nach dem Tode Stumms spielte der Nationalliberale Dr. Alexander Tille, Syndikus
der Saarbrücker Handelskammer, an der Saar eine große Rolle. Er wollte das
patriarchalische System aufrechterhalten (über seine Ideen Straus, a. a. O., S. 68 ff.),
wurde aber wegen seiner reaktionären Haltung im Hüttenarbeiterstreik des Jahres
1906 aus der Nationalliberalen Partei ausgeschlossen (Beilot, a. a. O,, S. 220).
30 Dazu Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 11. 2. 1926, S. 303: Röchling, a. a. O.,
S. 104—113; Keuth, a. a. O., S. 313 ff.
31 S.Z. Nr. 5 v. 6. 1. 1924 „Einigung! Zusammenschluß der Liberalen und der Demo-
kratischen Partei des Saargebietes“.
32 Röchling, a. a. O., S. 79: „Von Anfang an war es klar, daß der Sinn des Wahl-
kampfes nicht die Bekämpfung der Parteien untereinander sein konnte, denn damit
hätte man nur die Einigung des Saarvolkes gehindert — eine Einigung, die durch
den gemeinsamen Besuch der Parteiführer auf der Weltkonferenz in Genua im April
1922 zum Ausdruck, kam. Der Vorsitzende der Zentrumspartei, Rechtsanwalt Steeg-
mann, der Vorsitzende des Sozialdemokratischen Partei, Valentin Schäfer, und ich
bemühten uns in Genua, den Staatsmännern das Verständnis über die Verhältnisse
im Saargebiet zu vermitteln. Wenn man bedenkt, daß Valentin Schäfer als typischer
Vertreter der Sozialdemokratie mit mir zusammen bei dem Vertreter der Sowjets,
Herrn Joffe, in Rapallo zum Ausdrude brachte, daß uns auch die Hilfe des kommu-
nistischen Rußlands recht und erwünscht sei, so erkennt man, daß es auch den Kom-
munisten im Saargebiet nicht leicht gemacht wurde, gegen uns in den Wahlkämpfen
aufzutreten.“
A.A. II Bes. Geb., Saargebiet: Pol. Parteien, Bd. 2: Hier Originalbrief des Chef-
redakteurs Nagel von der S.Z. v. 12. 12. 1925 an Staatssekretär Dr. Meissner mit der
Bitte, daß sich der Reidispräsident und der Reichsaußenminister in einer Neujahrs-
botschaft für den Zusammenschluß der saarländischen Parteien im interparteilichen
Ausschuß aussprechen sollen.
175
Gegensätze zu den anderen Parteien wurden zurückgestellt. Das Zusammen-
gehen mit dem Zentrum wurde durch die bereits gekennzeichnete Haltung
der Partei in der Frage der Konfessionsschule erleichtert33.
Aber die Partei berücksichtigte auch die Sozialstruktur der saarländischen
Bevölkerung. Durch die Vereinigung mit den Demokraten gewann die Par-
tei einen demokratischen und sozialen Zug und unterschied sich darin von
der Deutschen Volkspartei des Reiches. Das Parteiprogramm enthielt einen
breiten Katalog sozialer Forderungen, insbesondere waren auch zwei wich-
tige Wünsche der saarländischen Gewerkschaften mit aufgenommen, die
Einführung des deutschen Betriebsrätegesetzes und die gesetzliche Festlegung
des Achtstundentages34. Da die sozialpolitischen Forderungen der saarlän-
dischen Arbeiterschaft zum Teil an der Regierungskommission und der fran-
zösischen Bergwerksverwaltung scheiterten, geriet die Deutsch-Saarländische
Volkspartei selten in Gegensatz zur Zentrumspartei und konnte auch Kon-
troversen mit den Sozialisten oft vermeiden. Wie stark man hier zum Nach-
geben neigte und aus nationalpolitischen Gründen die Arbeiterstruktur der
Bevölkerung berücksichtigen mußte, wurde in den Landesratsdiskussionen
über die Errichtung einer saarländischen Arbeitskammer im Jahre 1925
offenbar. Die Forderung der Errichtung einer Arbeitskammer war seit Jah-
ren von Zentrum und Sozialdemokraten und allen Gewerkschaften erhoben
worden, während das Parteiprogramm der Deutsch-Saarländischen Volks-
partei von „Arbeiter- und Angestelltenkammern“35 sprach. Als die Regie-
rungskommission schließlich einen Verordnungsentwurf zur Errichtung einer
Arbeitskammer vorlegte, waren auch die Handelskammer und die Berg-
werksverwaltung zur Begutachtung aufgefordert worden. Die Saarländische
Handelskammer und Unternehmerorganisationen äußerten sich zu dem vor-
gelegten Entwurf negativ. Das rief sofort Angriffe auf die Unternehmer-
Abgeordneten der Deutsch-Saarländischen Volkspartei in einer Versamm-
lung der Christlichen Gewerkschaften hervor36. Der Zentrumsabgeordnete
und Gewerkschaftssekretär Peter Kiefer hielt in der Landesratssitzung am
16. März 1925 eine Rede, in der er den Unternehmerkreisen und der
Deutsch-Saarländischen Volkspartei das nationalpolitisch Gefährliche eines
solchen Vorgehens darlegte37. Der Sprecher der Partei, Dr. von Vopelius,
und die Abgeordneten der Deutsch-Saarländischen Volkspartei stimmten
daraufhin dem von den Parteien erarbeiteten Kommissionsentwurf bis auf
kleine Abänderungen zu, und Vopelius stellte es so dar, als ob die Handels-
kammer nur abgelehnt habe, weil der Entwurf ungenügend gewesen sei. Auf
den Einwand Kiefers, die Deutsch-Saarländische Volkspartei sei für eine
Arbeiterkammer und nicht für eine Arbeitskammer gewesen, betonte Vope-
lius, seine Partei trete grundsätzlich für ein Zusammengehen zwischen Ar-
beitgebern und Arbeitnehmern ein38.
33 Vgl. oben S. 162 und Anm. 73 ebenda.
34 S.Z. Nr, 5 v. 6. 1. 1924.
35 Ebenda.
36 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 16. 3. 1925, S. 22.
37 Ebenda, S. 3 f.
38 Ebenda, S. 22.
176
Während die Deutsch-Saarländische Volkspartei ihre Wahlkämpfe immer
unter dem Gesichtspunkt der nationalen Interessenvertretung der Saarbevöl-
kerung und der bürgerlichen Sammlung führte und scharfe Angriffe auf
Zentrum und Sozialdemokraten tunlichst mied, zeigte sie sich im Kampf
gegen die Regierungskommission und gegen deren Politik besonders leiden-
schaftlich und hart. Vor allem die „Saarbrücker Zeitung“ führte zeitweise
eine ausgesprochen radikale Sprache und kommentierte die Politik der Re-
gierungskommission und die Rolle des Völkerbundes in der Saarfrage scharf
und teilweise übelwollend39. Propaganda und vor allem programmatische
Äußerungen40 der Deutsch-Saarländischen Volkspartei waren jedoch im all-
gemeinen nicht vom Pathos der Deutschnationalen41 erfüllt. Die Forde-
rungen für die Saar wurden von der Deutsch-Saarländischen Volkspartei
ganz selbstverständlich aus den westlichen Ideen42 des Selbstbestimmungs-
rechtes der Völker, der Demokratie und des Völkerbundes begründet, und
die Bedeutung der sozialistischen Regierungen für die Aktivierung des Völ-
kerbundes und der internationalen Verständigung wurde anerkannt43. Im
Rückgriff auf die moralischen Positionen des Völkerbundes, in der Vertre-
tung der saarländischen Interessen in Genf und in der Politik Stresemanns
wurden die entscheidenden Stützen für eine günstige Entwicklung der Saar-
frage und der Saarverhältnisse erblickt44. Die ständige Kritik an der Politik
der Regierungskommission und der mangelnden Aktivität des Völkerbundes
39 1929 kam es deshalb zu einem gespannten Verhältnis zwischen Völkerbundssekreta-
riat und „Saarbrücker Zeitung“, und zwar auf Grund eines Berichts der S.Z. Nr. 63
v. 5. 3. 1929 über die Saardelegation und eines Artikels „Findelkinder des Völker-
bundes“ (S.Z. Nr. 128 v. 12. 5. 1929). Am 19. 3. 1929 schrieb Rosting an Präsident
Wilton über den ersten Bericht: „Le Secrétariat général a fait savoir à M. Gansser
(Genfer Berichterstatter der S.Z.) par l’intermédiaire de la Section d’information, que
si des faits pareils se reproduisent, il sera obligé d’envisager la nécessité de défendre
formellement aux membres du Secrétariat de recevoir des membres de Délégations
de partis politiques de la Sarre.“ Die in dem Artikel v. 12. 5. 1929 geschilderten
Begleitumstände des Vortrags von Rosting (vgl. dazu oben S. 39 Anm. 3) werden von
diesem als „pure invention“ bezeichnet. S.D.N. Archives du Secrétariat, Sect. Pol.,
Sarre Nr. 56, Dossier Général.
40 Vgl. z. B. Erklärung bei der Eröffnung des Saarländischen Landesrats, Anlage 5,
unten S. 341 f.; außerdem zum Parteiprogramm von 1924; S.Z. Nr. 5 vom 6. 1. 1924
und Nr. 7 v. 8. 1. 1924.
41 Landesarchiv Saarbrücken: Schneider-Becker-Archiv, Privatpapiere R. Becker Nr. 189;
hier Reden von Pfarrer Reichard, dem Vorsitzenden der DNVP im Saargebiet; vgl.
auch Rede Pfarrer Reichards anläßlich der Jahrtausendfeier 1925, abgedruckt in
Weber, a. a. O., S. 135f.; Webers Arbeit ist leidenschaftlich geschrieben und stellt
alle Vorwürfe, die der Saarregierung gemacht wurden, heraus, Ansätze zu einer
objektiven und distanzierten Betrachtungsweise fehlen vollständig.
42 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 3. 1924, S. 16; außerdem Anlage 5, unten
S. 341 f.
43 Röchling, a. a. O., S. 99: „Der schwedische Ministerpräsident Branting und Lord
Parmoor hatten auch parteimäßige Verbindung, da der eine der Führer der schwe-
dischen sozialdemokratischen Partei, der andere hervorragendes Mitglied der eng-
lischen Arbeiterpartei war. Dadurch wurde die Zusammenarbeit im Sinne einer
Stärkung des Völkerbundsgedankens durch Beseitigung der Versailler Gewaltpolitik
erleichtert.“
Volksstimme Nr. 22 v. 26. 1. 1924 „Röchling in Dillingen“, hier äußerte Röchling in
einer Wahlrede ähnliche Gedanken.
44 S.Z. Nr. 131 v. 20. 5. 1922, „Die Wahlen zum saarländischen Landesrat“, ferner die
unter Anm. 42 genannten Flinweise.
177
gaben allerdings auf die Dauer dem Verhältnis zu internationalen Institu-
tionen eine skeptische Färbung45. Die leidenschaftlich kommentierten Be-
richte über Äußerungen der französischen Rechtspresse und alle Ansätze
französischer Propaganda an der Saar hielten die Kritik an Frankreich und
dem Friedens vertrag wach46.
Trotz des nationalen Programmes als Kernpunkt ihrer Arbeit und der oft
leidenschaftlichen Sprache der „Saarbrücker Zeitung“ hielt die Deutsch-
Saarländische Volkspartei während der ganzen Jahre bewußt Distanz gegen-
über der Deutschnationalen Volkspartei der Saar und des Deutschen Reiches.
Der Antrag der Deutschnationalen im Preußischen Landtag zur Saarfrage
im Dezember 192847 und das Auftreten Hugenbergs an der Saar wurden bei
aller grundsätzlichen Bejahung der geforderten nationalpolitischen Ziele ab-
lehnend kommentiert. Es sei falsch, daß diese Herren die Saar gerettet hätten.
„Tatsächlich waren damals alle Parteien — die sozialdemokratische nicht minder
als die andern — deutschnational im wahren Sinne des Wortes. Dagegen hat man
von den Deutschnationalen im Parteisinne erst sehr viel später etwas gehört. Die
Zweckmäßigkeit dieser Parteigründung an der Saar ist doch wohl nur von den
Politikern bejaht worden, deren Interesse vornehmlich den innenpolitischen Aus-
einandersetzungen gilt.“ 48
Der Kampf gegen die Deutschnationalen wurde von diesen so stark emp-
funden, daß sie es bei Besprechungen über eine Sammlungsliste zur Landes-
ratswahl 1932 ablehnten, mit der Deutsch-Saarländischen Volkspartei ein
Wahlbündnis zu schließen, da diese sie immer aufs schärfste bekämpft habe49.
Von einer Rechtsentwicklung versprach sich die Deutsch-Saarländische Volks-
partei für die Saar keine Lösung und wandte sich auch gegen alle revolutio-
nären Experimente in Deutschland. Der Gedanke an die Monarchie spielte
in der Partei in all den Jahren keine Rolle. Im Parteiprogramm hatte man
bei der Vereinigung mit den Demokraten festgelegt: „. . . bekennt sich die
Deutsch-Saarländische Volkspartei zum einheitlichen Deutschen Reiche in
jeder Staatsform!“50 Sie sah in der Erhaltung der Weimarer Republik
gegenüber dem Druck von rechts und links und in der internationalen Zu-
sammenarbeit die beste Voraussetzung für ein Wiedererstarken Deutsch-
lands51. Im Wahlkampf von 1932 wandte die Partei sich immer wieder
gegen die Nationalsozialisten, aber von einem selbständigen Beitrag zur
innerdeutschen Auseinandersetzung kann man nicht sprechen.
45 S.Z. Nh 67 v. 8. 3. 1932 „Aristide Briand“; der Artikel zum Tode Briands ist sehr
zögernd in der Anerkennung von Briands Verdiensten und bezeichnet seinen Pan-
europaplan als utopisch; außerdem Röchling, a. a. O., S. 103, ähnlich über Kelloggs
Pläne; auch der Vorsitzende der DSVP Schmelzer über Briand und die sozialistischen
Völkerbundspolitiker am 31. 3. 1927 im Landesrat, Sten. Ber. S. 19 f.
46 Zu dieser Pressetätigkeit vgl. unten S. 218, Anm. 30.
47 S.Z. Nr. 341 v. 14. 12. 1928.
48 S.Z. Nr. 348 v. 21. 12. 1928, „Hugenberg in Saarbrücken“.
49 S.L.Z. Nr. 58 v. 28. 2. 1932, „Auch im Saargebiet“; S.Z. Nr. 59 v. 29. 2. 1932, „Die
Politik der Deutsch-Saarländischen Volkspartei“.
50 S.Z. Nr. 19 v. 20. 1. 1924, „Im Kampf für das deutsche Saarland“.
51 Ebenda, hier heißt es: „Sie verurteilt... jeden Versuch einer gewaltsamen Umwälzung
der jetzt in Deutschland bestehenden Staatsform,...“.
178
Die Deutsch-Saarländische Volkspartei stellte in Relation zur Zentrums-
partei eigentlich nur eine kleine Partei dar. Daß ihr die Saarverhältnisse
dennoch eine Einflußnahme ermöglichten, die über ihre Parteistärke hinaus-
ging, lag vor allem an zwei Gegebenheiten. Einmal war es in dem kleinen
Rahmen des Saargebiets noch möglich, daß Honoratioren wie Röchling auf
Grund ihres persönlichen Ansehens und ihrer wirtschaftlichen Position einen
beachtlichen Einfluß entfalten konnten; zum anderen fielen wesentliche
Entscheidungen über die Saarverhältnisse nicht auf parlamentarischer Ebene,
sondern in den Verhandlungen in Genf, Berlin und Paris. Die Hochzeit der
Partei lag deshalb in den Jahren von 1921 bis 1925, da ihr nationales Pro-
gramm am stärksten zündete und die Saarsituation vor allem durch die
Schritte bei den Ratsmitgliedern in Genf geklärt und fortentwickelt wurde.
Wenn auch in der Folgezeit die Wirtschafts- und Zollverhandlungen der
Partei bedeutungsvoll für alle Bevölkerungsschichten waren, so schälte sich
in diesen Vorgängen gleichzeitig auch stärker der Charakter der Partei als
wirtschaftliche Interessenvertretung des saarländischen Handels und der
Industrie heraus. Die besonderen Domänen der Arbeit der Partei wie die
Weise ihrer politischen Einflußnahme kennzeichneten sie noch als Parteityp
des 19. Jahrhunderts. Die Annäherung der Deutsch-Saarländischen Volks-
partei im organisatorischen Aufbau an den Typ der Massenpartei und ihr
Versuch, durch das nationale Programm bei gleichzeitiger Aufnahme von
demokratischen und sozialen Vorstellungen breitere Schichten der Saar-
bevölkerung zu erfassen, vermochten nicht, ihr den Charakter der Volks-
partei zu verleihen. Das nationale Programm allein genügte nicht, die Wäh-
lerschaft des Zentrums oder der Sozialdemokraten zu gewinnen. Welt-
anschauliche und soziale Gegebenheiten erwiesen trotz des nationalen Grenz-
landkampfes ihre Bedeutung für das Parteisystem der Saar.
3. Die Sozialdemokratische Partei des Saargebiets
Bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung errangen die Mehrheits-
sozialisten an der Saar 36 Prozent der Stimmen und überflügelten damit die
bürgerlich-nationalliberale und demokratische Gruppe um mehr als das
Doppelte1. Dieser Erfolg kündete einen vollständigen Umbruch in dem
Parteisystem des Saargebiets an. Bei der letzten Reichstagswahl vor dem
Kriege im Jahre 1912 hatten die sozialdemokratischen Kandidaten in den
drei preußischen Reichstagswahlkreisen des Saargebiets zusammen nur 6996
Stimmen erhalten, davon im Wahlkreis Saarbrücken im 1. Wahlgang 4157
(7,8 Prozent der abgegebenen Stimmen)2. Jetzt wurde im gesamten Raum
des Saargebiets nach der Zentrumspartei die sozialdemokratische die stärkste
Partei.
Die Ursachen für die Veränderung im saarländischen Parteisystem lagen vor
allem im Wandel der Verhältnisse an der Saar selbst. Bereits in den letzten
1 S.D.N. J.O. 1,8 (1920), S. 68 (5. Period. Ber. der Reg.-Kom.).
2 Beilot, a. a. O., S. 233 u. 236f., gestützt auf Staatsarchiv Koblenz 403/8459 u. 8466.
179
Jahren vor dem Kriege hatte das patriarchalische System erhebliche Einbuße
erlitten. Die Staatsanwaltschaft und der Leiter der Preußischen Bergwerks-
direktion in Saarbrücken, Geheimrat Hilger, hatten 1903 gegen den Zen-
trumsredakteur Lehnen wegen dessen Darstellung der Arbeiterbehandlung,
der Wahlbeeinflussung u. ä. Dinge und 1904 gegen den Sozialdemokraten
Krämer wegen zweier Flugblätter über die Lage der Arbeiter Prozesse ge-
führt3, in denen Anklage auf Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Belei-
digung und Verleumdung erhoben wurde. Da durch die Zeugenaussagen vor
Gericht die Methoden der Wahlbeeinflussung, die Bespitzelung und das
Denunziantentum auf den Saargruben ausführlich erörtert wurden, hatten
diese Prozesse zur Bloßstellung des patriarchalischen Systems beigetragen
und es in breiter Öffentlichkeit in Verruf gebracht. 1904 war es im Preu-
ßischen Landtag zu einer erregten Diskussion über die Saarverhältnisse ge-
kommen, und Hilger war kompromittiert, obwohl Lehnen und Krämer in
den Prozessen wegen des Umfangs ihrer Beschuldigungen und Angriffe ver-
urteilt worden waren. Außerdem hatte sich im Nationalliberalen Wahl-
verein eine Jungliberale Gruppe energisch gegen den Einfluß der Industriel-
len und für die Berücksichtigung der Arbeiterinteressen durchgesetzt. Man
hatte sogar den Versuch gemacht, einen Arbeiterkandidaten für die Natio-
nalliberalen aufzustellen. Den nationalliberalen Unternehmern war es aber
im wesentlichen gelungen, das Anwachsen der Sozialdemokratie zu ver-
hindern und die Arbeiterschaft im Wahlkreis Saarbrücken, die zudem in
ihren protestantischen Teilen gegen das Zentrum war, weiterhin für den
Nationalliberalismus zu gewinnen. Es gab unter der Wählerschaft der
Arbeiterbevölkerung in diesem Wahlkreis auch einen erheblichen Teil von
Katholiken, die nicht Zentrum wählten, als das System gelockert wurde4.
Die Wahl zur Weimarer Nationalversammlung zeigte, daß die Industrie-
bevölkerung in den größeren Orten des Landkreises Saarbrücken mit dem
Wegfall aller Hemmungen des patriarchalischen Systems zu einem erheb-
lichen Teil sozialistisch wählte, auch wenn sie katholisch war. In allen grö-
ßeren Industrieorten des Landkreises Saarbrücken erreichte der Stimmen-
anteil der Sozialdemokraten mindestens 40 Prozent5. Weit über 50 Prozent
erhielt die Partei in den großen Industrieorten, vor allem des Sulzbachtales,
deren Anteil an evangelischer Bevölkerung zwischen 30 und 60 Prozent lag6.
Der Einbruch war den Sozialdemokraten also vor allem im Wahlkreis Saar-
brücken, dem Zentrum des Industriegebietes, in die ehemalige Anhänger-
3 Ebenda, S. 215 ff., auch zu den folgenden Ausführungen.
4 Für diese Darlegungen ebenda, S. 204—240.
5 Der Stimmenanteil der Mehrheitssozialisten im Landkreis Saarbrücken lag bei 46,8
Prozent, errechnet nach S.V.Z. Nr. 16 v. 21. 1. 1919.
6 Z. B.: Dudweiler: 55,5 °/o Kath.,
Elversberg: 59,2 °/o Kath.,
B r e b a c h :
Bürgermeisterei: 43,3 % Kath.,
Ort:
Friedrichsthal:
Bürgermeisterei: 69,0% Kath.
Ort: 53,9 % MSPD
58,7% MSPD
53,7 % MSPD
54,8 % MSPD
180
schaft der Nationalliberalen gelungen. Dagegen gewannen sie in den weiter
abliegenden Bergmannsdörfern rein katholischer und starker ländlicher Prä-
gung nur etwa 20 Prozent der Stimmen7. Das Wahlergebnis zeigte klar, daß
bei der Arbeiterbevölkerung der großen Industrieorte durch den Krieg und
im revolutionären Umbruch im Deutschen Reich im November 1918 tradi-
tionelle Bindungen in erheblichem Ausmaß gelockert worden waren8. In den
ländlichen, rein katholischen Gebieten mit Bergmannsbevölkerung erwies
sich dagegen die religiöse Bindung als entscheidendes Hemmnis für ein Be-
kenntnis zur Sozialdemokratie9.
Das Ergebnis der Wahl zur Nationalversammlung von Weimar stellte für
die Sozialdemokratische Partei den Höhepunkt ihres Wahlerfolges während
der Zeit von 1919 bis 1935 dar. Die Landesratswahlen brachten ihr nie
mehr als 18 Prozent; 1932 sank ihr Stimmenanteil auf 9,6 Prozent10. Die
Sozialdemokratische Partei erwies sich damit im Saargebiet schwächer und
instabiler als in Gebieten des Deutschen Reiches, die zum Vergleich heran-
gezogen werden können. Allerdings erhielten Sozialdemokraten und Kom-
munisten zusammen in demselben Zeitraum jeweils etwa 34 Prozent der
gültigen Stimmen11. Der Stimmenverlust der Sozialdemokraten kam also
im wesentlichen den Kommunisten zugute12.
Erste Voraussetzungen für diese Entwicklung der Sozialdemokratischen Par-
tei im Saargebiet sind in den historischen Bedingungen zu sehen. Der Partei
mangelte, als ihr der Erfolg von 1919 zufiel, im Saargebiet eine ausgebaute
Parteiorganisation wie ein Stamm von marxistisch und parteipolitisch ge-
schulten Mitgliedern. Da sie in der Bismarckzeit und in der Wilhelminischen
Ära an der Saar praktisch nicht existiert hatte, fehlten im politischen Be-
wußtsein der Saarländer auch die heroischen Erlebnisinhalte der Sozial-
demokraten aus jener Epoche und die Bindung an führende Persönlichkeiten
wie etwa Bebel. So stand die Sozialdemokratische Partei im Saargebiet 1919
vor den Aufgaben, die Parteiorganisation aufbauen zu müssen, ihre Mit-
7 Beispiele:
Eppelborn (Krs. Ottweiler)
Bürgermeisterei: 88,6% Kath.
Ort: 21,0% MSPD
Alsweiler (Krs. St. Wendel)
Bürgermeisterei: 99,5 % Kath.
Ort: 21,5% MSPD
Marpingen (Bürgermeisterei Alsweiler)
Ort: 24,0% MSPD
8 So auch W. Hoffmann, a. a. O., S. 13 u. 32 u. Straus, a. a. O., S. 121.
9 So auch Hoffmann, a. a. O., S. 37.
10 Vgl. dazu Anlage 1 unten S. 335.
1922 1924 1928 1932
SPD 15,1 % 18,4 % 15,6 % 9,6 %
KPD 7,5 % 15,9 % 16,7 % 23,1 %
USP 1,4 % — — —
KPO — — — 1,5 %
zus. 24,0 % 34,3 % 32,3 % 34,2 %
(1922 ist das Bild anders, weil die Mehrheitssozialisten sich erst im letzten Augenblick
zur Teilnahme an der Wahl entschlossen).
12 So auch Straus, a. a. O., S. 140.
181
glieder wie ihre Wählerschaft politisch zu schulen und diese fester an sich zu
binden. Da man im Saargebiet von 1920 bis 1923 in erheblichem Maße vom
deutschen politischen Leben abgeschlossen war, mußte die saarländische Par-
tei das aus eigenen Kräften leisten, und die Aufgabe mußte notwendig vor-
wiegend in Auseinandersetzung mit den saarländischen Verhältnissen gelöst
werden.
Schärfster Konkurrent im Kampf um die Wählerschaft war für die Sozial-
demokratische Partei die Zentrumspartei, für welche in dieser Auseinander-
setzung die Kirche mit ihrem ganzen moralischen Einfluß arbeitete13. Des-
halb wurde in der saarländischen Sozialdemokratischen Partei unaufhörlich
dargelegt, sie sei nicht religionsfeindlich, Christentum und Sozialismus seien
miteinander vereinbar, und man zitierte in den Wahlkämpfen mit Vorliebe
führende christliche Männer, die sich positiv über den Sozialismus geäußert
hatten14. In den katholischen Gebieten an der Saar behielt trotzdem die
Zugehörigkeit zu der Sozialdemokratischen Partei und weitgehend auch zu
den Freien Gewerkschaften in der öffentlichen Meinung etwas Anstößiges.
Da auch Anhänger des Sozialismus im allgemeinen ihre Bindung an die
katholische Kirche aufrecht hielten, lag in dieser Situation ein erstes ent-
scheidendes Hemmnis für die Sozialdemokratische Partei, um über die
großen Industrieorte im Kern des Saargebiets hinaus eine feste Anhänger-
schaft zu gewinnen.
Ein weiteres Problem trat bereits in den ersten Jahren der Parteientwicklung
in aller Deutlichkeit hervor. Teile der Arbeiterschaft neigten zunächst vor
allem deshalb zu einer Stimmabgabe für die Sozialdemokratische Partei,
weil sie in ihr die Partei der Arbeiter erblickten, von der sie erwarteten, daß
sie wirksam für ihre materiellen Belange eintrete15. Aus dem gleichen Grunde
erlebten die Freien Gewerkschaften in den ersten Jahren nach dem Weltkrieg
einen starken Mitgliederzuwachs16. Daß die Arbeiterschaft sehr oft von
materiellen Interessen geleitet wurde, zeigte sich an der Tatsache, daß die
Arbeiter in den Freien Gewerkschaften oft Anhänger der USP und der KPD
als Vertrauensmänner wählten, weil diese für die Einführung des Franken-
lohns in den französischen Bergwerken und in der Hüttenindustrie eintraten.
So folgte man in den Freien Gewerkschaften nicht der politischen Linie der
sozialdemokratischen Parteiführer, die aus nationalen Gründen gegen die
Frankenwährung waren17. In ähnlicher Weise mußten die Freien Gewerk-
schaften erfahren, daß der Beitritt einer großen Anzahl von Arbeitern nur
im Hinblick auf unmittelbar zu erwartende finanzielle Vorteile erfolgt war.
Bereits im Jahre 1922 wurde auf der Jahreskonferenz des Verbandes der
13 Vgl. dazu oben S. 152 f. u. Anm. 7 ebenda.
14 Volksstimme Nr. 5 v. 7. 1. 1924 „Die Sozialdemokratie in der Beurteilung ihrer
Gegner“; Volksstimme Nr. 70 v. 22. 3. 1928 „Die Lüge von der Religionsfeindlichkeit
der Sozialdemokratie“ u. Nr. 71 v. 23. 3. 1928 Wahlaufruf.
15 So auch Hoffmann, a. a. O., S. 15.
16 Vgl. dazu oben S. 29.
17 Beteiligung der SPD an der Genfer Delegation vom Sept. 1921 u. an der Denkschrift
vom Dezember 1921, Dokument S.D.N. C. 10. M. 39. 1922. I.
182
Bergarbeiter Deutschlands, Bezirk Saarrevier, festgestellt: Als keine Lohn-
erhöhungen mehr zu erreichen waren, sondern ein Lohnabbau nicht mehr zu
verhindern war, wurde einfach erklärt: „Der Verband hat keinen Wert
mehr, wenn wir Beiträge zahlen, muß auch etwas herausspringen; wenn das
der Verband nicht fertig bringt, dann treten wir aus.“ 18 Die Freien Gewerk-
schaften gingen von 41 000 Mitgliedern im Jahre 1920 auf 29000 im Jahre
1927 zurück19. Dieses Verhalten zeigte besonders kraß, daß die saarlän-
dische Arbeiterschaft 1919/20 nicht klassenbewußt und solidarisch dachte
und noch nicht gemeinsam klar umrissene politische Ziele verfolgte. Das
marxistische Ideengut war in der Saararbeiterschaft kaum vorhanden; nur
sehr unbestimmt und schlagwortartig wurde mit sozialistischen Begriffen in
der Masse der Arbeiterschaft operiert, und man war im Grunde stärker mit
den eigenen familiären Verhältnissen beschäftigt20.
Das Programm, das die Sozialdemokratische Partei in den folgenden Jahren
entwickelte, kann vor allem als national charakterisiert werden. Besonders
der Parteichef Valentin Schäfer und der Fraktionsführer im saarländischen
Landesrat, Dr. Sender, vertraten immer wieder eine ausgeprägt nationale
Auffassung. Die Partei gliederte sich im interparteilichen Ausschuß in die
nationale Einheitsfront ein und unternahm alle Schritte gemeinsam mit dem
Zentrum und der Deutsch-Saarländischen Volkspartei. Im Grunde behielt
sie diese Politik bis 1933 bei, wenn sie auch Ende 1924 wegen der Kontro-
versen mit Röchling aus dem interparteilichen Ausschuß ausschied und sich
später Spannungen zwischen Braun und den Parteiführern der beiden an-
deren Parteien ergaben. Wie eindeutig man sich im gegebenen Augenblick
stets erneut zur nationalen Einheitsfront bekannte, zeigte sich daran, daß
alle außenpolitisch bedeutsamen Erklärungen zur Saarfrage im Landesrat
gemeinsam von den drei Parteien abgegeben wurden21, daß auch die Sozia-
listen mit dem Bunde der Saarvereine zusammenarbeiteten und daß derselbe
Max Braun, der später die Entscheidung der Sozialdemokraten gegen eine
Rückkehr zum nationalsozialistischen Deutschland propagierte, auf Kund-
gebungen der Saarvereine sprach22 und sich an dem Buch von Kloevekorn
„Das Saargebiet, seine Struktur und seine Probleme“ mit einem Beitrag be-
teiligte. In dieser nationalen Front ergab sich in den ersten Jahren im allge-
meinen ein menschlich gutes Verhältnis zu den führenden Landesratsmitglie-
dern des Zentrums und der Deutsch-Saarländischen Volkspartei. Besonders
trugen dazu die gemeinsamen Reisen nach Genf bei. Die Lockerung der Ein-
heitsfront der Parteien im Jahre 1924 fiel zudem in den Augenblick, da die
Revision der Politik Raults bereits voll im Gange war und die neue inter-
nationale Konstellation die Sozialdemokraten hoffen ließ, daß sie die
18 KZ. Nr. 56 v. 10. 3. 1922.
19 Straus, a. a. O., S. 86, gibt eine Übersicht über die Stärke der Gewerkschaften;
ebenso O b £, a. a. O., S. 47.
20 So auch Hoffmann, a. a. O., S. 41 u. 50.
21 Z. B.: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 22. 11. 1926, S. 1 f., Erklärung zu Locarno
und Thoiry; Sten. Ber. v. 3. 7. 1930, S. 134, Erklärung zur Rheinlandräumung.
22 Volksstimme Nr. 159 v. 13. 7. 1931: Referat Brauns „Die Lösung der Saarfrage“.
183
Wünsche der Saar bei ihren Parteifreunden in Genf auch allein wirksam
fördern könnten.
Diese nationale Linie der Sozialisten erhielt an der Saar auch eine Ausfor-
mungsmöglichkeit im Sinne der gesamt-sozialdemokratischen Konzeption.
Der Widerstand der Regierungskommission und der Franzosen gegen die
sozial- und arbeitsrechtliche Angleichung an die Weimarer Republik, der
Streik des Jahres 1923 und das autokratische Regierungssystem ließen die
Partei ihre demokratische und soziale Ideenwelt vor allem im Zusammen-
hang mit diesen saarländischen Konflikten entwickeln. So wurde die Sozial-
demokratische Partei diejenige, die gegen die Verordnung zur Errichtung
eines Landesrats am heftigsten Sturm lief. Sie proklamierte Wahlenthaltung,
um vor der gesamten Weltöffentlichkeit gegen das autokratische und abso-
lutistische System und den undemokratischen Geist der Verordnung zu pro-
testieren23. Erst im letzten Augenblick entschloß sie sich zur Beteiligung an
der Wahl, nachdem bei allen Parteien, einschließlich der Kommunisten, die-
selbe Entscheidung bereits gefallen war. Ihre Erklärung bei der Eröffnung
des saarländischen Landesrats24 zeigte besonders deutlich, daß die natio-
nalen Kampfpositionen gegen die Regierungskommission und die fran-
zösischen Bestrebungen an der Saar sozialistisch und demokratisch begrün-
det wurden. Jedes nationale Pathos fehlte, aber der Angriff auf das be-
stehende System war in der programmatischen Erklärung der Sozialdemo-
kraten am umfangreichsten. Die Regierungskommission beklagte sich in
ihren Berichten über die politische Agitation an der Saar besonders über die
Schärfe der Opposition in der sozialistischen „Volksstimme“ und versuchte
den Parteivorsitzenden Schäfer herabzusetzen25.
Der nationale Kampf der Sozialisten an der Saar wurde nicht nur mit sozia-
len und demokratischen Vorstellungen begründet, sondern verschmolz auch
mit ihrem Internationalismus. Völkerversöhnung und Bereinigung der Saar-
frage wurden gleichzeitig angestrebt. Der Einfluß der Sozialisten, vor allem
des schwedischen Ministerpräsidenten Branting, des Belgiers Vandervelde
und des englischen Premiers Macdonald wirkte sich im Völkerbundsrat posi-
tiv aus. Die internationale Annäherung entschärfte die Saarsituation. Au-
ßerdem fand die sozialistische Partei an der Saar wirksame Unterstützung
bei den Parteien anderer Länder, insbesondere bei den französischen Sozia-
listen. Vor den Landesratswahlen des Jahres 1924 telegraphierte der fran-
zösische Sozialist Léon Blum an Braun:
„Beste Wünsche für guten Wahlerfolg. Wir geben Ihnen die Versicherung, daß die
sozialistische Partei Frankreichs und mit ihr die überwiegende Mehrheit des fran-
zösischen Volkes fest entschlossen ist, das Selbstbestimmungsrecht der Saarbevölke-
rung zu repektieren und diesem Rechte Geltung zu verschaffen.“ 26
23 Volksstimme Nr. 89 v. 15. 4. 1922, Nr. 91 v. 19. 4. 1922 und Nr. 95 v. 24. 4. 1922;
vgl. auch oben S. 76 f.
24 Vgl. in Anlage 5 unten S. 339 ff.
25 S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43 f. (9. Period. Ber. d. Reg.-Kom.).
26 Volksstimme Nr. 22 v. 26. 1. 1924 „Leon Blum an M. Braun“; M. Braun, Unsere
Hoffnungen und unsere Ziele, in Kloevekorn, a. a. O., S. 550.
184
Die Sozialisten Uhry, Bracke und Grumbach traten in der französischen
Kammer wiederholt für eine baldige Rückgliederung der Saar ein27. Die
Sozialdemokratische Partei an der Saar konnte immer wieder darauf hin-
weisen, wie durch den internationalen Sieg des Sozialismus die Freiheit an
der Saar, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die internationale Befrie-
dung und der Völkerbund Fortschritte machten28. Nach dem Bruch mit
Zentrum und Deutsch-Saarländischer Volkspartei sandte die Sozialdemo-
kratische Partei im Februar 1925 eine eigene Denkschrift29 nach Genf, in
der die besondere Konzeption der Saar-Sozialdemokraten klar zum Aus-
druck kam. In der Einleitung der Eingabe waren die Begriffe „nationale
Demokratie“ und „internationaler Friede“, „Demokratie“ und „Völkerver-
söhnung“ miteinander verbunden.
„Nous autres social-démocrates de la Sarre, de même que les social-démocrates de
tous les pays, espérâmes que la Société des Nations deviendrait le ferme appui de
la démocratie nationale et de la paix internationale et que pour cette raison le seul
gouvernement installé par la Société des Nations devrait regarder comme tâche
principale de faire valoir dans tout son fonctionnement les principes de la démo-
cratie et de la réconciliation des peuples. Nous regrettons beaucoup d’être obligés
de constater que la Commission du Gouvernement, à l’exception de quelques cas
très rares, n’a fait ni l’un ni l’autre.“
Alle Beschwerden wurden eingereiht unter die beiden Gesichtspunkte: 1. Ver-
fehlungen der Regierungskommission gegen die wahre Demokratie und
2. gegen die wahre Völkerversöhnung. Im Schlußabschnitt wurde dann
erneut betont, daß das Interesse des Völkerbundes und das Wohl des Saar-
gebiets die gleichen Maßnahmen erfordern.
In dieser scharfen Akzentuierung finden wir die Identifizierung der Be-
schwerden mit den Ideen von Völkerbund, Völkerverständigung und Demo-
kratie bei den beiden anderen Parteien nicht. Vor allem ist der entscheidende
Unterschied darin zu erblicken, daß in Republik, Demokratie, Völkerbund
und Völkerversöhnung Ziele gesehen wurden, für deren Verbreitung und
geistige Begründung der Sozialdemokratischen Partei an der Saar eine posi-
tive Aufgabe zufalle. Aus dieser Haltung heraus wahrte die sozialistische
Partei, nachdem die Revision der Raultschen Politik eingesetzt hatte, bewußt
eine gemäßigte Haltung gegenüber allen nationalen Demonstrationen und
Kundgebungen. Nach der Rheinischen Jahrtausendfeier in Saarbrücken legte
Dr. Sender im Landesrat30 dar, daß diese Feier ein Erfolg gewesen sei und
Frankreich davor bewahre, an der Saar eine Irredenta zu schaffen. Dann
wandte er sich aber gegen das Ausmaß der Feiern und beanstandete, daß das
überzeugende Bekenntnis zur Republik gefehlt habe, besonders daß in der
Stadt Saarbrücken viel schwarz-weiß-rot geflaggt worden sei, während man
auf dem Land durch schwarz-rot-goldene Flaggen sich zur Republik bekannt
27 Braun, a. a. O., S. 551; Volksstimme Nr. 1 v. 2. 1. 1929 „Ordinaire-Bracke — Dieser
und der andere Franzose“, France: Journal Officiel, Chambre Débats, sess. extra-
ordinaire 1929, S. 4613 f.
28 Ebenda; außerdem Volksstimme Nr. 69 v. 23. 7. 1927 „Saar-Fanal“.
29 S.D.N. Dokument C. 173. M. 59. 1925. I.
30 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 30. 6. 1925, S. 20.
185
habe. Es sei gut, daß der interparteiliche Ausschuß nicht mehr bestehe, und
es sei falsch, sich nur in außenpolitischen Fragen zu betätigen. Im selben Jahr
1925 rief auch das erste Auftreten der NSDAP an der Saar sofort die hef-
tigste Besorgnis der Sozialisten hervor, und Dr. Sender wandte sich gegen
die Neigung des Zentrums und der Deutsch-Saarländischen Volkspartei,
diese Angelegenheit ohne Sorge zu betrachten und sich darauf zu verlassen,
daß die nationalsozialistische Bewegung bis jetzt keinen Boden an der Saar
gefunden habe31. Diese Linie in der Politik der Sozialdemokraten wurde
noch schärfer herausgearbeitet, als in Deutschland im Zuge der Weltwirt-
schaftskrise der nationale Radikalismus wuchs. Vor allem Braun, der als
Chefredakteur der Volksstimme 1924 und damit nach den ersten Jahren des
Kampfes nach Saarbrücken gekommen war, wirkte in diesem Sinne. Diese
Züge zeichneten sich z. B. klar in den Entschließungen des Parteitages der
Sozialdemokraten des Saargebietes vom Februar 1931 ab. Als „deutsch —
international — sozialistisch und kulturfortschrittlich“ kennzeichnete die
„Volksstimme“ die Entschließungen. In der ersten, die auf einen Antrag von
Braun zurückging, hieß es:
„Die deutsche Sozialdemokratie an der Saar steht nach wie vor mit ihrer deutschen
Mutterpartei und der sozialdemokratischen Arbeiter-Internationale auf dem Stand-
punkt, daß die alsbaldige Lösung der Saarfrage durch die restlose territoriale
Rückgliederung der Saar nach Deutschland unter gleichzeitiger Ausbalancierung
der wirtschaftlichen Belange und möglichst reibungsloser und die Prosperität er-
höhender Wiedereinordnung in den angestammten Staats- und Wirtschaftsverband
eine unerläßliche Bedingung der europäischen Einigung darstellt.
Sie sieht nach wie vor den einzig möglichen und wünschenswerten Weg zur Errei-
chung dieses Zieles in einer aufrichtigen deutsch-französischen Verständigungs-
politik, für die die Bereinigung der Saarfrage Auftakt zu einer engeren euro-
päischen Zusammenarbeit werden muß.“32
Interessant ist auch die 4. Entschließung dieses Parteitages, in der es hieß:
„Der Parteitag verlangt von jeder saarländischen Kultur- und Schulpolitik die
unbedingte Wahrung und weitgehendste Förderung der absolut eindeutigen deut-
schen Kulturgrundlagen der Saar. Sie wendet sich schärfstens gegen alle Maß-
nahmen, die irgendwelchen Zwang gegenüber der kulturellen Freiheit der Saar-
deutschen (französische Schulen, Filmverbote usw.) versuchen.
Aufbauend auf der deutschen Kulturgrundlage wünscht der Parteitag eine starke
Förderung des Völkerbunds-, des Friedens- und des Verständigungsgedankens durch
die offizielle Kultur- und Schulpolitik der Saar. Er wendet sich schärfstens gegen
die immer mehr um sich greifende rechtsradikale Verhetzung der Schüler und gegen
Lehr- und Lernmittel, die der nationalistischen Pietze ebenso Vorschub leisten, wie
die intolerante und nicht objektive pädagogische Haltung von Lehrkräften . . ,“33
Mit einer eindeutig nationalen Haltung in der Saarfrage verbanden sich
Abwehr alles Nationalismus, besonders des Nationalsozialismus und Be-
kenntnis zu internationaler Versöhnungs- und Vereinigungspolitik. Solches
Denken veranlaßte Braun bei der 11. Tagung der Saarvereine in Neustadt
a. d. H. am 12. Juli 1931 angesichts der deutschen Entwicklung auszuführen:
31 Ebenda, Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 18.
32 Volksstimme Nr. 45 v. 23. 2. 1931.
33 Ebenda.
186
„Haltet uns zur Rückkehr ein einiges, geschlossenes, seinen großen zukünftigen
Kulturaufgaben auch bewußtes republikanisches, demokratisches, soziales Deutsch-
land offen!“34
Seit dem Bruch der großen Koalition unter Hermann Müller am 27. März
1930 trat in allen Äußerungen der Sozialdemokratischen Partei, besonders
aber Brauns eine kritische Haltung gegenüber der Politik der deutschen
Reichsregierung zutage35. Die Partei stellte sich auf den innenpolitischen
Kampf gegen den Nationalsozialismus und gegen jede Rechtsentwicklung in
Deutschland ein. In der Saarfrage nahm man deshalb nach dem Scheitern
der deutsch-französischen Saarverhandlungen des Jahres 1929/30 eine ver-
söhnliche Haltung ein und vermied einen scharfen Kampf gegen die Regie-
rungskommission. So verließ die Partei aus ihrem demokratischen und inter-
nationalen Denken die traditionellen Geleise der Politik der saarländischen
Parteien. Dadurch wurde ihr Verhältnis zu den Politikern des Zentrums und
der Deutsch-Saarländischen Volkspartei zeitweise sehr gespannt. Das Zen-
trum und besonders die Deutsch-Saarländische Volkspartei verstanden dieses
Verhalten nicht, führten die politische Linie der Sozialdemokratischen Par-
tei auf Braun zurück und sahen in ihr eine Gefahr für die nationale Ein-
heitsfront36. In Besprechungen mit Vertretern des Auswärtigen Amtes des
Deutschen Reiches, die von allen drei Parteien mit der Angelegenheit befaßt
wurden, bedauerten die Politiker Levacher, Röchling und besonders auch
Braun die Entfremdung, die bei der Übereinstimmung in nationalpolitischer
Hinsicht nicht notwendig sei. Braun beklagte sich vor allem, daß man die
Sozialdemokraten nicht genügend unterrichte und an Entscheidungen nicht
beteilige37. In einem Gutachten des Auswärtigen Amtes über die Saarver-
hältnisse vom 2. Mai 1931, das den Reichsaußenminister über den Stand
aller Saarprobleme unterrichten sollte, wurde dargelegt, daß die Differenzen
der saarländischen Parteien nationalpolitisch nicht von Bedeutung seien und
daß der von den anderen Parteien abweichende Standpunkt Brauns „oft
durchaus erwägenswert“ sei38.
Das Programm der Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes, wie es
unter dem Völkerbundsregime entwickelt wurde, vermochte der Partei aber
nur in begrenztem Umfang einen festen Mitgliederstamm und eine sichere
Anhängerschaft zu gewinnen.
Ihre Tätigkeit in Arbeiterkreisen wurde dadurch erschwert, daß es kaum
möglich war, ein soziales Programm für die Saar zu propagieren, das sich
wesentlich von dem der Zentrumspartei abhob. Nur ganz vorübergehend
schien sich eine solche Entwicklung anzubahnen, als sich die Partei nach
ihrem Ausscheiden aus dem interparteilichen Ausschuß 1924 gemeinsam mit
den Kommunisten gegen das Vorgehen Röchlings wandte. Besonders heftig
reagierte man, weil Röchling zur Aufrechterhaltung seines Betriebes eine
34 Volksstimme Nr. 159 v. 13. 7. 1931.
33 A.A. II Bes. Geb. Saargebiet, Pol. Parteien Bd. 3: II SG 671.
36 Ebenda u. II SG 825.
37 Ebenda e. o. II SG 743 Vermerk von Legationsrat Voigt, dem Sachbearbeiter für
Saarfragen im A.A., über diese seine Unterredungen.
38 Ebenda, II SG 825.
187
Verlängerung der Arbeitszeit und eine 25prozentige Lohnkürzung vorge-
schlagen hatte. Seine Verhandlungen mit den Gewerkschaften waren ge-
scheitert, und das Werk wurde vorübergehend geschlossen. Zum erstenmal
erweckte ein profilierter deutscher Industrieller und zudem noch der Führer
der gemeinsamen Genfer Delegationen den Einduck, ein unsozialer und
rückständiger Sozialpartner zu sein39. So schien sich die enge Verbindung
von nationalen und sozialen Forderungen zu lockern und die Sozialdemo-
kratische Partei schien auch um ein sozialpolitisches Programm bemüht, das
sie stärker von den anderen Parteien distanzierte40. Aber bald war wieder
alles in den gewohnten Geleisen. Die Kampfposition gegenüber Röchling
ließ sich nicht länger halten, da dieser mit deutscher Finanzhilfe das Werk
bald wieder eröffnen konnte41. Zudem war er bei den folgenden Verhand-
lungen und Vereinbarungen in den Zollfragen unersetzbar42. Außerdem
erwies sich gerade in den sozialpolitischen Debatten des Jahres 1925, daß
die Zentrumspartei und ihre Abgeordneten auf Gefährdung sozialer Belange
der Arbeiterschaft oder die Störung des sozialen Friedens durch industrielle
oder wirtschaftliche Kreise ebenfalls heftig reagierten und ihre Haltung sich
kaum von der der Sozialisten unterschied43. Als man sich wegen der großen
sozialpolitischen Forderungen und Beschwerden an den Völkerbundsrat
wandte, standen die Freien und die Christlichen Gewerkschaften, deren Soli-
darität im Saargebiet stark ausgeprägt wurde, in gemeinsamer Aktion zu-
sammen und ihre Denkschrift vom September 1925 wurde von einer ent-
sprechenden der Zentrumspartei und der Deutsch-Saarländischen Volkspar-
tei begleitet44. Als im Februar 1926 die Sozialdemokraten erneut eine eigene
Denkschrift nach Genf sandten, beriefen sie sich sozialpolitisch auf die Ein-
gabe der Gewerkschaften, verlangten überdies eine Verbesserung der Löhne
der Arbeiter und Angestellten und eine sozialere Steuerpolitik45. Für die
saarländischen Arbeiter zählten die geringen Unterschiede in den Forde-
rungen des Zentrums nicht. Man sah nur die Bedeutung der gewerkschaft-
lichen Organisationen und ihres Zusammenstehens.
Die saarländische Sozialdemokratische Partei verfolgte eine auf die saar-
ländischen Verhältnisse abgestimmte gemäßigt sozialistische Linie, die auf
Gewerkschaftsarbeit und arbeitsrechtliche Gesetzgebung vertraute und sich
damit von dem Radikalismus der Kommunisten distanzierte und nicht ge-
eignet war, die Masse der Unzufriedenen in den Wahlen zu gewinnen46.
39 Röchling, Wir halten die Saar, S. 107f.
40 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 13. 2. 1925, S. 8; v. 14. 2. 1925, S. 26; v. 16. 3.
1925, S. 11 ff.
41 Röchling, a. a. O., S. 109 f.
42 Vgl. dazu oben S. 145 ff.
43 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 7. 1. 1925, S. 27: Erklärung des Zentrums zur
Notlage der breiten Volksschichten; Sten. Ber. v. 13. 2. 1925, S. 5; v. 16. 3. 1925,
S. 3f.; außerdem oben S. 164 f. u. S. 176.
44 Vgl. zu diesen Denkschriften oben S. 126 ff.
45 S.D.N. Dokument C. 124. M. 53. 1926. I.
46 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 16. 3. 1925, S. 16: Hier führte der sozialdem.
Gewerkschaftssekretär und Abgeordnete Hoffmann z. B. aus: „Ich habe dann des
weiteren festzustellen, daß wir auf dem Standpunkt der ,Arbeitskammer' stehen, wie
sie z. B. von allen Gewerkschaftsrichtungen vertreten worden ist. Die ,Arbeiter-
188
So zeigte sich, daß trotz mancher Unterschiede in der geistigen Begründung
ihrer Programme und einiger persönlicher Spannungen in fast allen kon-
kreten Fragen der Saarpolitik gemeinsame Ziele von den Sozialdemokraten,
der Zentrumspartei und der Deutsch-Saarländischen Volkspartei erstrebt
wurden. Die Sozialdemokratische Partei stand in ihrer Politik und in ihrem
Programm der Zentrumspartei näher als der Kommunistischen Partei. Ihr
nationales Programm, das sie in der Saarsituation eindeutig in diese Rich-
tung geführt hatte, war in der geistigen Begründung differenzierter und
schwieriger als das pragmatische Denken der Deutsch-Saarländischen Volks-
partei und die sittlich-religiös unterbaute Vaterlandsliebe des Zentrums.
Daher wirkte das Programm der Sozialisten in der Atmosphäre gesteigerten
Nationalbewußtseins im Saargebiet theoretisch und intellektualistisch. Hinzu
kam, daß die eigentliche Führungsgruppe in der Partei keine Arbeiter, son-
dern Intellektuelle waren: Die Rechtsanwälte Lehmann und Sender, die
Redakteure Schäfer und Braun und die Lehrer Schneider und Allenbach.
Eine dominierende Stellung nahm im Laufe der Zeit Braun ein, der gleich-
zeitig Parteivorsitzender, Chefredakteur der „Volksstimme“ und Landes-
ratsmitglied war. Daneben spielten die Gewerkschaftssekretäre Schwarz,
Petri und Hoffmann für die Parteiarbeit in den Kreisen der Arbeiterschaft
eine wesentliche Rolle, aber nicht in der Ausformung jener so spezifischen
Konzeption der Verbindung von nationalem und internationalem Denken.
Die Partei besaß deshalb kein solch volkstümlich saarländisches Gepräge wie
die Zentrumspartei.
Der eigentliche organisatorische Ausbau der Partei erfolgte in den Jahren
nach 1920 im industriellen Kern des Saargebiets47. Hier wurden feste Orts-
gruppen und ein regelmäßiges Parteileben aufgebaut. Sofern dieser Ausbau
über den Landkreis Saarbrücken hinausging, faßte die Partei nur in rein
evangelischen Orten fest Fuß48. In den übrigen Gebieten des Saargebiets
bemühte sich die Sozialdemokratische Partei durch die Mitglieder der Freien
Gewerkschaften Einfluß zu gewinnen. Da die Führungsschicht der Gewerk-
schaften der Partei angehörte, waren diese auch im Saargebiet praktisch
Richtungsgewerkschaften.
kammer1, die das Parteiprogramm der Kommunisten verlangt hat im Verein mit der
Handelskammer und den Arbeitgeberverbänden, lehnen wir ab. Sie war vielleicht
vor 10 oder 20 Jahren von den Gewerkschaften damals gefordert worden, weil da-
mals andere Verhältnisse gewesen sind. Heute ist die Macht des Arbeitnehmers durch
die Taktik der Gewerkschaften so gestärkt worden, daß man zusammen mit dem
Arbeitgeber über Lohnfragen und Fragen des Arbeitsvertrages verhandeln kann, das
war früher nicht. In der heutigen Zeitperiode muß man deswegen auch die Arbeits-
kammer vertreten, weil man auch darin den Arbeitgebern nach und nach dies oder
jenes abholen kann und den Widerstand beseitigen muß, den Ausbau des Arbeits-
rechtes zu sabotieren.“
47 So auch eine Auskunft, die der Verf. 1963 im Landesparteisekretariat der SPD in
Saarbrücken erteilt wurde. Dort schätzte man zu demselben Zeitpunkt, daß bis 1930
etwa 100 feste Stützpunkte im Zentrum des Saargebiets von der Sozialdemokratischen
Partei des Saargebiets errichtet worden seien und daß die Mitgliederzahl etwa 5000
betragen habe.
48 Z. B. in den Städten Homburg u. Ottweiler und in den evangelischen Dörfern
Dörrenbach u. Steinbach (Krs. St. Wendel), Wörschweiler u. Wolfersheim (Krs.
St. Ingbert), Limbach (Krs. Homburg).
189
In der Gesamtkonzeption der Sozialdemokratischen Partei der Saar waren
die großen politischen Probleme der Zeit, die durch die deutsche Revolution
von 1918 und die Versailler Saarordnung für das Gebiet eine besondere
Aktualität erreicht hatten, am weitsichtigsten aufgegriffen. National be-
gründetes Ringen um die Revision von Versailles fußte im Vertrauen auf
Völkerbund und internationale Verständigung, und dieses außenpolitische
Programm wurde ergänzt durch gleichzeitiges Bemühen, im Innern die
Festigung der Demokratie und den sozialen Fortsdiritt zu sichern.
4. Die Kommunistische Partei des Saargebiets
Der Kommunismus stand an der Saar vor dem Problem, wie er in einer
überwiegend katholischen und konservativ gesinnten Arbeiterbevölkerung,
der proletarisches und marxistisches Denken und Selbstbewußtsein fern-
lagen, Boden gewinnen könne. Bereits bei den Landesratswahlen des Jahres
1922, als die Kommunistische Partei zum erstenmal kandidierte, gelang es
ihr, zwei Mandate und 7,5 Prozent der abgegebenen Stimmen zu erhalten.
1924 und 1928 errang sie jeweils 5 Mandate und zunächst 15,9 und dann
16,7 Prozent der gültigen Stimmen; 1928 überflügelte sie in ihrem Stimmen-
anteil bereits die Sozialdemokraten, und 1932 erhielt sie schließlich 23,1
Prozent und eine kommunistische Oppositionsgruppe noch weitere 1,5 Pro-
zent1. Tradition und Sozialstruktur der saarländischen Arbeiterschaft lassen
diesen stetigen Aufstieg befremdlich erscheinen. In keinem anderen deut-
schen Wahlkreis erfolgte ein solch steiler Anstieg der kommunistischen Stim-
men, nur in drei deutschen Wahlkreisen (Berlin, Merseburg, Düsseldorf-Ost)
erreichte die KPD einen höheren Stimmenanteil2. Worin lagen die Voraus-
setzungen dieser Entwicklung?
Zunächst trat der Linksradikalismus auch an der Saar als Unabhängige So-
zialistische Partei in Erscheinung. Bei der Wahl zur Weimarer Nationalver-
sammlung kandidierte diese Partei Deutschlands aber nicht im preußischen
Teil des Saargebiets, der zum 21. Wahlkreis (Koblenz-Trier) gehörte, son-
dern nur im bayrischen 27. Wahlkreis (Pfalz). Die Partei errang im Saar-
gebiet nur 813, d. h. 0,5 Prozent der gültigen Stimmen3. Nach Abtrennung
des Saargebiets kandidierte die USP bei den Gemeinde- und Kreistags-
wahlen im Juli 1920 und erhielt insgesamt 17 Prozent4. Ihre Kandidaten-
liste für die Stadtratswahl Saarbrücken zeigte unter den fünf Spitzenkandi-
daten drei Gewerkschaftssekretäre5, und die Partei errang in Saarbrücken
10 von 60 Sitzen6. In Saarbrücken-Stadt, den Kreisen St. Ingbert, Ott-
weiler und Saarlouis erreichte sie etwa 15 Prozent und im Kreis Homburg
7 bis 8 Prozent. In den beiden Randkreisen stark agrarischer Struktur, Mer-
1 Vgl. dazu Übersichten im Anhang, Anlagen 1 u. 2, S. 335 f.
2 Vergleich nach der Übersicht in E. Matthias und R. Morsey, Das Ende der
Parteien, Düsseldorf 1960, S. 778.
3 Straus, a. a. O., S. 86.
4 S.D.N. J.O. 1,8 (1920), S. 68 (5. Period. Ber. d. Reg.-Kom.).
5 S.2. Nr. 176 v. 5. 7. 1920.
6 S.Z. Nr. 185 v. 14. 7. 1920 „Das endgültige Wahlergebnis in Saarbrücken“.
190
zig und St. Wendel, kandidierte sie nicht. Ihr Haupterfolg lag im Wahlkreis
Saarbrücken-Land mit seinen großen Industrieorten und seiner konfessionell
gemischten Bevölkerung bei etwa 22 Prozent7.
Die USP wurde im Saargebiet als eine Gruppe radikaler, linksstehender
Unzufriedener angesehen8. Sie war in Gewerkschaftskreisen verwurzelt, und
ihre Erfolge hingen damit zusammen, daß die Gewerkschaftssekretäre Emil
Becker und Karl Krämer sich im Alten Bergarbeiterverband für die Bezah-
lung der Bergleute in französischer Währung einsetzten9. Außerdem betonte
die Partei gegenüber der nationalen Einheitsfront der saarländischen Par-
teien ihren Internationalismus und behauptete, die anderen Parteien seien
vom deutschen „Heimatdienst“ finanziert10. Sie rückte damit in beachtliche
Nähe zu den entsprechenden Äußerungen in den Raultschen Berichten nach
Genf11.
Die weitere Entwicklung der USP im Saargebiet wurde 1920 aber vor allem
beherrscht durch die Durchsetzung der kommunistischen Moskauer Richtung
in Deutschland, ein Zeichen dafür, daß alle Parteigruppierungen an der
Saar selbstverständlich mit der deutschen Parteientwicklung verbunden
waren. Bereits ehe der Parteitag der USP in Halle Mitte Oktober 1920 seine
Entscheidungen fällte, setzte sich im Saargebiet auf der Bezirkskonferenz
der USP am 10. Oktober 1920 die radikale Richtung durch und forderte
den sofortigen Anschluß an die Dritte Internationale in Moskau und die
Annahme der 21 von Moskau gestellten Bedingungen, einschließlich der
Forderung der Aufgabe einer unabhängigen Parteileitung in den einzelnen
Ländern12. Nach der Entscheidung in Halle traten zahlreiche Mitglieder der
USP an der Saar zur Kommunistischen Partei über, die nun ihre eigene
Aktivität zu entfalten begann. Im Stadtrat Saarbrücken traten z. B. acht
von zehn Abgeordneten der USP zur KPD über13. Reste der USP hielten
sich an der Saar bis Oktober 1922 und vereinigten sich dann mit den Mehr-
heitssozialisten14.
Die Aktivität der Kommunisten wie der USP an der Saar im Jahre 1921 ist
nicht in eigenen Parteiorganen faßbar und schwierig voneinander zu son-
dern. Die Arbeit beider Parteien trug zunächst trotz der grundsätzlichen
Bindung der Kommunisten an die Deutsche Kommunistische Partei durchaus
lokale Züge. Die Haupttätigkeit der Kommunisten galt weiterhin dem
Kampf gegen die Christlichen Gewerkschaften und dem Versuch, die Freien
Gewerkschaften zu radikalisieren und die Loslösung der Arbeiterschaft von
7 Errechnung der Prozentzahlen auf Grund der Diagramme in Straus, a. a. O.,
S. 175 ff.
8 S.Z. Nr. 229 v. 3. 9. 1920 „Entweder — oder“.
9 Dazu bes. Kiefer, a. a. O., S. 57ff.; vgl. auch oben S. 163 u. S. 182.
10 S.Z. Nr. 182 v. 11. 7. 1920 „Ein verleumderisches Wahlmanöver der USP“.
U S.D.N. J.O. 1,3 (1920), S. 102; 1,5 S. 278 u. 284f. u. J.O. 1,8 S. 70 (1., 3. u. 5. Period.
Ber. d. Reg.-Kom.).
12 S.L.Z. Nr. 99 v. 12. 10. 1920 „Die USP des Saargebiets für den Anschluß an Moskau“.
13 Sbr. Stadtarchiv: Stadtratsbeschlüsse v. 14. 2. 1920 S. 199; außerdem S.Z. Nr. 331
v. 15. 12. 1920 u. S.L.Z. Nr. 164 v. 17. 12. 1920.
14 S.Z. Nr. 295 v. 3. 11. 1922.
191
den Vorstellungen der Mehrheitssozialisten zu erreichen15. KPD und USP
nutzten für ihre Arbeit besonders das Problem der Frankenlöhne und die
ungesunde und gespannte Atmosphäre aus, die sich aus der Tatsache ergab,
daß sich die Bergarbeiterschaft mit ihren hohen Frankenlöhnen in Spekula-
tionen und Masseneinkäufe stürzte, während die übrigen Arbeiter Not
litten16. Die Absetzung des Linksradikalismus von den großen saarländi-
schen Parteien und ihrer gemeinsamen Front erreichte ihren Höhepunkt
anläßlich der ersten saarländischen Delegation nach Genf im September
1921. Da sich besonders Wirtschafts- und Industriekreise an der Delegation
beteiligt hatten, konnte sie als kapitalistisch und nationalistisch angepran-
gert werden17. Ein Protesttelegramm18 von Gewerkschaftsführern folgte,
und in Saarbrücken wurden Protest Versammlungen organisiert. Nach den
darüber vorliegenden Zeitungsberichten19 verliefen sie tumultartig, und die
Resolutionen20 wurden nicht formgerecht angenommen. Ein restlos klares
Bild über Verlauf der Versammlungen und Stärke des Anhangs der Proteste
nach Genf läßt sich daraus nicht gewinnen. Eindeutig erhellt aber, daß Teile
der Arbeiterschaft in Sorge waren, daß die Schritte der anderen politischen
Parteien in Genf zu einer Zurückziehung der Frankenlöhne und damit zu
einer Verschlechterung der Finanzlage der Arbeiterschaft führen könnten.
Ende Dezember 1921 wurde dann eine Denkschrift der USP, der KPD und
einer Reihe von Gewerkschaftsführern nach Genf gesandt21. Diese Denk-
schrift betonte, daß die USP und die KPD von Anfang an auf dem Boden
des Versailler Vertrages gestanden hätten und daß sie eine grundsätzliche
Opposition aus nationalpolitischen Gründen ablehnten. Sie seien deshalb mit
den Maßnahmen der Errichtung der französischen Grubenverwaltung, des
Obersten Gerichtshofes, der Definition der Saareinwohnerschaft (trotz ge-
wisser Vorbehalte) einverstanden gewesen und seien aus wirtschaftlichen
Gründen für die Einführung des französischen Franc eingetreten. Dann
folgten Forderungen wie die Schaffung eines saarländischen Parlamentes,
die Einführung des Betriebsrätegesetzes, der obligatorischen Schiedsgerichts-
barkeit und des gesetzlichen Achtstundentages und der Ausbau der sozialen
Gesetzgebung. Außerdem verlangte man die Trennung von Kirche und
Staat und die simultane Einheitsschule, die vom Geist des Pazifismus ge-
prägt werden müsse. Bejaht wurden die Schulmaßnahmen der Regierungs-
kommission, die auch den Kindern der Armen ermöglichten, Französisch zu
15 S.L.Z, Nr. 98 v. 11. 10. 1920 „Gewerkschafts- und Sozialpolitik“, S.Z. Nr. 70 v.
22. 3. 1921 u. Nr. 72 v. 24. 3. 1921 „Der Terrorismus der Kommunisten in der
Arbeiterbewegung des Saargebiets“ und „Gewerkschaftsterrorismus“.
16 S t r a u s, a. a. O., S. 96 ff.; Hoffmann, a. a. O., S. 21 f.
17 S.D.N. Dokument C. 412. M. 290. 1921. L; vgl. auch oben S. 65.
18 S.D.N. Dokument C. 410. M. 288. 1921. I.
19 Volksstimme Nr. 248 v. 24. 10. 1921 „Der Protest-Rummel“; Nr. 235 v. 8. 10. 1921
„Mißlungene Rechtfertigung der Regierung“; Nr. 236 v. 10. 10. 1921 „Der aufgedeckte
Schwindel“; Nr. 237 v. 11. 10. 1921 „Ein kalter Schlag“ u. S.L.Z. Nr. 268 v. 11. 10.
1921 „Eine daneben gelungene Überrumpelung“.
20 S.D.N. Dokument C. 412. M. 290. 1921. I. „Resolution einiger Arbeiterorganisationen
des Saargebietes“.
21 S.D.N. Dokument C. 30. M. 50. 1922. I.; A.Z. Nr. 1 v. 2. 1. 1922.
192
lernen, was im Hinblick auf die Eingliederung in das französische Zoll-
system und auf den französischen Grubenbesitz an der Saar notwendig sei.
Die ganze Denkschrift war eine bewußte Distanzierung von den übrigen
Parteien, die als bürgerlich und nationalistisch charakterisiert wurden. Sie
war aus dem Bestreben der beiden Parteien entsprungen, bei den großen
Aktionen der saarländischen Parteien in Genf nicht ins Hintertreffen zu
gelangen. Die anderen Parteien hatten nach der Rückkehr der Genfer Dele-
gation im Oktober eine große Versammlungstätigkeit entfaltet, die in paral-
lel liegenden Massenkundgebungen der Parteien am 15. Oktober 1921 gip-
felte22. Sie führten zu einer gemeinsamen Denkschrift der Parteien, die den
Stadträten und Kreistagen zur Stellungnahme vorgelegt wurde und allge-
meine Zustimmung fand. Da nur die KPD- und USP-Abgeordneten sich
dagegen aussprachen oder sich der Stimme enthielten23, die Denkschrift aber
bedeutsame und allgemein anerkannte Forderungen anmeldete24, trat die
USP an einige Gewerkschaftssekretäre und an die KPD wegen eines eigenen
Memorandums heran25. Dieses trug in seinen demokratischen und arbeits-
rechtlichen Forderungen stärker den Stempel der USP und der ihr nahe-
stehenden Gewerkschaftler als der KPD. Aus der Denkschrift geht eindeutig
hervor, daß zwei Dinge in den Arbeitskreisen und von den radikalen
Gewerkschaftlern als wesentlich angesehen wurden: die vorbehaltlose Be-
rücksichtigung der materiellen Interessen der Arbeiterschaft und die Achtung
ihrer Freiheitsrechte zur Durchsetzung ihrer sozial- und arbeitsrechtlichen
Wünsche. Die Gewerkschaften hatten diese Forderungen bereits 1920 bei der
Regierungskommission erhoben26, und die USP hatte 1920 eine gemeinsame
Petition27 aller Parteien an die Regierungskommission zur Schaffung eines
saarländischen Parlamentes mitunterzeichnet. Abgesehen von diesen For-
derungen mußte die Denkschrift der Regierungskommission sehr angenehm
sein, da sie ihre Thesen von der nationalen Verhetzung der saarländischen
Bevölkerung durch die anderen Parteien unterstützte.
In diesem Zusammenhang ist es aufschlußreich, daß der Parteivorsitzende
der KPD, Max Waltz, 1922 wegen Bestechlichkeit aus der Partei ausge-
schlossen wurde. Der Beschluß der KPD-Zentrale lautete:
„Die Zentrale bestätigt den Ausschluß von Max Waltz, Saarbrücken, da auf Grund
des vorliegenden Materials und seines eigenen Geständnisses feststeht, daß er
größere Geldbeträge von der Saarregierung genommen hat, um den Versuch zu
machen, die Politik der Partei in dem von der Saarregierung gewünschten Sinne zu
beeinflussen." 28
Die beiden Gewerkschaftsführer Emil Becker und Karl Krämer, die eben-
falls an der Protestaktion und der Denkschrift wesentlich beteiligt waren,
22 S.D.N. J.O. III,1 (1922), S. 43 (9. Period. Ber. d. Reg.-Kom.); S.Z. Nr. 276 v. 16. 10.
1921; S.L.Z. Nr. 273 v. 16. 10. 1921; Volksstimme Nr. 242 v. 17. 10. 1921.
23 Sbr. Stadtarchiv, Stadtratssitzung v. 20. 12. 1921, Bl. 288; S.Z. Nr. 342 v. 21. 12. 1921
„Die Wünsche der Saarbevölkerung“.
24 Vgl. oben S. 62 ff.
25 A.Z. Nr. 6 v. 7. 1. 1922.
26 S.D.N. Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 5. Jan. 1921, S. 8 f.
27 Deutsches Weißbuch, S. 246 f.
28 A.Z. Nr. 114 v. 7. 6. 1922 „Der Ausschluß v. Max Waltz bestätigt“; S.Z. Nr. 148
v. 8. 6. 1922 „Ein politischer .Führer' im Solde der Saarregierung“.
193
hatten in den Jahren von 1920 bis 1923 die Politik der Regierungskommis-
sion und der Franzosen unterstützt29. Obwohl diese Einzelpersönlichkeiten
von der Regierungskommission oder den Franzosen gewonnen waren, steht
fest, daß zunächst innerhalb der Freien Gewerkschaft einige Führer stärker
der USP als den Mehrheitssozialisten zuneigten und daß die Arbeiterschaft
selbst, wenn ihre materiellen Belange getroffen waren, sich diesen anver-
traute30. Die Hoffnungen, die französische Kreise auf diese Tendenzen
innerhalb des Linksradikalismus setzten, erwiesen sich dennoch rasch als
illusorisch. Die USP erreichte bei den Wahlen zum saarländischen Landesrat
1922 nur mehr 1,4 Prozent der Stimmen31 und wurde selbst von der KPD
wegen ihrer Beziehungen zur Regierungskommission verdächtigt32.
Dagegen begannen sich die Erfolge der Kommunisten, die sie durch ihre
radikale Agitation in den Gewerkschaften bei der Arbeiterschaft gewonnen
hatten, 1922 eindeutig abzuzeichnen. Die KPD kandidierte zum saarlän-
dischen Landesrat und stellte auf ihrer Liste 30 Kandidaten33 auf. Sie gab
eine eigene Zeitung heraus, die „Arbeiter-Zeitung“, und verfügte bereits
über ein ausgebautes Organisationsnetz34. Ihre Arbeit und ihre Organisation
vollzogen sich in enger Verbindung mit der deutschen KP. Einige Artikel
beschäftigten sich täglich mit allgemeinen Problemen und Auseinander-
setzungen des russischen und deutschen Kommunismus wie des internatio-
nalen Sozialismus. Aufrufe der deutschen KPD-Leitung und des Internatio-
nalen Zentralkomitees wurden veröffentlicht. Der Untertitel der Arbeiter-
zeitung lautete zeitweise „Organ der KPD — Sektion Saargebiet, Mitglied
der 3. Internationale“. Die Partei war in beachtlicher Stärke auf dem Be-
zirkstag der KPD-Mittelrhein im März 1922 in Köln vertreten; die saar-
ländischen Delegierten wurden in Ausschüsse gewählt und konnten von
besonderen Erfolgen an der Saar berichten35.
Die Eigenart der Arbeit und der Erfolge der KPD an der Saar werden seit
1922 mit dem Erscheinen der Arbeiterzeitung und den Erklärungen und
Äußerungen der kommunistischen Landesratsabgeordneten im saarländi-
schen Landesrat erst klar faßbar. Das Gepräge der Zeitung durch die großen
Angelegenheiten des Kommunismus darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß
sich nach dem Ausscheiden von Waltz und in der Auseinandersetzung um
die Schaffung des saarländischen Landesrates eine Konzeption der KPD-
Saar mit ganz eigentümlich saarländischen Zügen herausbildete.
Die große Linie in der Saarpolitik wurde besonders deutlich in der pro-
grammatischen Erklärung der Partei bei der Eröffnung des saarländischen
29 Vgl. dazu oben S. 73 f. u. S. 191; außerdem Kiefer, a. a. O., S. 65; Schwarz, a. a. O.,
S. 83 ff.; Obe, a. a. O., S. 47f.
30 H o f f m a n n, a. a. O., S. 47.
31 S. Übersicht im Anhang Nr. 1, unten S. 335.
32 A.Z. Nr. 128 v. 23. 6. 1922 „In letzter Stunde“; A.Z. Nr. 134 v. 30. 6. 1922 „Die
Lehre der Wahl“.
33 A.Z. Nr. 127 v. 21. 6. 1922.
34 Z. B.: A.Z. Nr. 119 v. 13. 6. 1922 „Wo bestelle ich die Arbeiterzeitung?“.
35 A.Z. Nr. 54 v. 8. 3. 1922 „Der Parteitag des Bezirks Mittelrhein“ u. Nr. 55 v.
9. 3. 1922.
194
Landesrates36. Sie unterschied sich wesentlich von der bisherigen unklaren
und schillernden Haltung. Hier war nichts mehr zu spüren von der Kon-
zilianz gegenüber Völkerbund und Regierungskommission, wie sie in der
Eingabe der USP und der KPD vom Dezember 1921 zum Ausdruck ge-
kommen war. Während sich alle anderen Parteien auf den Boden des Ver-
sailler Vertrages stellten und sich zum Ideengut des Völkerbundes bekann-
ten, wurde in der Erklärung der Kommunisten der Vertrag als „Macht-
friede“ und als „ein Vertrag zwischen kapitalistischen Staaten“ bezeichnet,
und die Regierungskommission habe nur die Aufgabe, „den Interessen der
französischen Bourgeoisie zu dienen“. Die hier sich abzeichnende Auffas-
sung wurde im Laufe der Jahre noch schärfer ausgebildet, so daß die Kom-
munistische Partei an der Saar eine grundsätzlich oppositionelle Stellung
gegenüber Regierungskommission und Völkerbund einnahm37, die fast bei
allen größeren Reden im Landesrat zum Ausdruck kam. Die Partei beteiligte
sich auch nicht an den Genfer Delegationen. Die Schritte der anderen Par-
teien in Genf wurden als unrealistisch und erfolglos gekennzeichnet38. Eine
Änderung der Verhältnisse könne sich nur durch den solidarischen Kampf
der internationalen Arbeiterschaft gegen Versailles, durch die Diktatur der
Arbeiterschaft und die Schaffung eines Rätedeutschlands ergeben39. Diese
Stellungnahme konnte besonders herausgearbeitet werden, als der Russe
Tschitscherin die Angriffe auf das bolschewistische Vorgehen in Georgien
mit dem Hinweis auf das unfreiheitliche Vorgehen des Völkerbundes an der
Saar beantwortete40. Sie ordnete sich in die allgemeine Richtung der russi-
schen Politik ein. Die Haltung der Kommunistischen Partei des Saargebiets
entsprach gleichzeitig der Stimmung innerhalb der Arbeiterschaft, wie sie
sich im Jahre 1922 in steigendem Maße wegen der Politik der Regierungs-
kommission und der französischen Bergwerksverwaltung entwickelt hatte41.
Das kommunistische Programm widersprach der nationalen Prägung des
Kampfes der saarländischen Arbeiterschaft nicht, sondern erschien als radi-
kale Antwort auf die Saarverhältnisse.
36 Vgl. Anlage 5, S. 345 ff.
37 A.Z. Nr. 110 v. 1. 6. 1922 „Die Wahlen zum Landesrat“; Landesrat d. Saargeb., Sten.
Ber. v. 5.3.1924, S. 11 f.; v. 7.1.1925, S.31; v. 5.2.1925, S.20f.; v. 16.3.1925,
S. 18 f.; v. 5. 8. 1925, S. 26; v. 30. 6. 1925, S. 35; v. 17. 11. 1925, S. 27; v. 11. 2. 1926,
S. 20; v. 22. 11.1926, S. 4; v. 31. 3. 1927, S. 12ff.
38 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 3. 1924, S. 12; v. 5. 2. 1925, S. 21; A.Z. Nr. 91
v. 9. 5. 1922 „Die Saargebietsfrage wieder einmal vor dem Völkerbund“; A.Z. Nr. 62
v. 13. 3. 1928 „Eine erschütternde Anklage gegen die sozialdemokratische Völkerbunds-
politik“.
39 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 3. 1924, S. 15; v. 5. 2. 1925, S. 25; v. 4. 12. 1929,
S. 343 u. S. 346 f.
40 A.Z. Nr. 91 v. 9. 5. 1922 „Die Saargebietsdiktatur am Pranger — Tschitscherin klagt
in Genua an“.
41 Zu den arbeitsrechtlichen Kontroversen mit der Regierungskommission und der
französischen Bergverwaltung, der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage und
der Löhne im Jahre 1922 vgl. oben S. 62 u. 73. Zu den populären Angriffen der
Kommunisten auf die Politik der Regierungskommission gehörte auch die Hetze
gegen die Lohnsteuerregelung von 1922 (A.Z. Nr. 58 v. 13. 3. 1922 „Der erste
Schritt zur Steuerversklavung der Saarbergarbeiterschaft“; Nr. 68 v. 25. 3. 1922 „Die
Bergarbeiter von Ludweiler gegen die Lohnsteuer“).
195
Im Wahlkampf zum ersten saarländischen Landesrat zeichnete sich die
Eigenart der politischen Agitation der Kommunisten an der Saar klar ab.
Sie blieb in ihren wesentlichen Zügen während der ganzen Jahre dieselbe.
Grundsätzlich wurde zwar eine Besserung der Verhältnisse nur durch einen
revolutionären Aufbruch in einem Aufstand des Proletariats und durch die
Schaffung eines Rätedeutschlands erwartet. Parlamentarismus und Demo-
kratie wurden verurteilt, aber noch vor den Mehrheitssozialisten entschloß
man sich zur Beteiligung an den Wahlen zum Landesrat und zur Aufgabe
der Parole der Wahlenthaltung, die man zunächst proklamiert hatte. Man
betonte zwar, daß im Landesrat die „parlamentarische Tribüne“ für ein
„revolutionäres Sprachrohr“ erblickt werde und daß die KPD in den
Landesrat eintrete „nicht als eine Partei, die Arbeitsgemeinschaft mit den
Kapitalisten schließt, sondern als eine Partei, die den Landesrat benutzen
wird, um die ganze Hohlheit des Parlamentarismus und die Seelen Verwandt-
schaft der deutschen und der französischen Kapitalisten aufzuzeigen“42. Man
behielt sich vor, im geeigneten Augenblick zum Aufstand des Proletariats
aufzurufen43. Gleichzeitig meldete man aber eine Reihe von Forderungen
an die Regierungskommission44 an, und in der ersten Sitzung verlangte man
ebenfalls in der programmatischen Erklärung Verbesserung der Situation
durch eine Reihe gesetzlicher Maßnahmen45. Immer wieder stellte man auch
in Zukunft in gespannten sozialen Situationen Gesetzesanträge46, die nicht
rein utopisch waren, sondern nur in radikalerer Sprache Anliegen vertraten,
die von den Gewerkschaften oder Sozialdemokraten und Zentrumspartci
ebenfalls vorgetragen worden waren. Allen Gesetzes Vorlagen, die eine Ver-
besserung der Situation der Arbeiterschaft brachten, stimmte man zu47, man
bezeichnete sie höchstens als unzureichend. Ähnlich arbeitete man auch in
den Gewerkschaften. Man stimmte den allgemeinen Resolutionen zu und
stellte dann noch geschickte Zusatzanträge48.
In den Augen der saarländischen Arbeiterschaft leistete der Kommunismus
durch dieses Vorgehen im Landesrat und in den Gewerkschaften einen Bei-
42 A.Z. Nr. 114 v. 7. 6. 1922 „An das werktätige Volk an der Saar“.
43 A.Z. Nr. 110 v. 1. 6. 1922 „Die Wahlen zum Landesrat“.
44 S. Anm. 41.
45 Vgl. in Anlage 5 unten S. 345 ff.
46 Z. B.: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 7. 1. 1925: Reinhard setzte sich ein für die
Sozialversicherung der in Lothringen arbeitenden Saarländer; v. 31. 3. 1925, S. 8: Die
KP verlangte eine wesentliche Heraufsetzung der Spende für die Hinterbliebenen des
Grubenunglücks in Merlenbach; v. 30. 6. 1925, S. 31: Anträge über Sozialrenten.
47 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber.: Am 7. 1. 1925 wurde die Verordnungsvorlage über
die Versicherung des ausländischen Personals einstimmig abgelehnt; am 13. 2. 1925
(S. 22 f.) wurden die Verordnungen über die Angestelltenversicherung und über die
Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen im Saargebiet ein-
stimmig angenommen; am 12. 4. 1926 stimmten alle Parteien für die Einführung der
Reichssteuer und für die Besteuerung der Regierungskommission (S. 35); am 16. 6.
1926 wurde die Verordnung über das Inkrafttreten der Baden-Badener-Abrede ein-
stimmig angenommen (S. 13).
48 A.Z. Nr. 63 v. 25. 3. 1922 „Die Bergarbeiter von Ludweiler gegen die Lohnsteuer“;
A.Z. Nr. 66 v. 6. 4. 1922 „Die Massenversammlungen des ADGB im Saargebiet“;
A.Z. Nr. 65 v. 16. 3. 1928 „Die Kommunisten und die Sozialversicherung im Saar-
gebiet“.
196
trag zur Gestaltung sozial besserer Verhältnisse. Die rein utopischen oder
agitatorischen Anträge49 konnten bei der Zustimmung der Kommunisten zu
manchen Gesetzen um so leichter den Eindruck einer zwar radikalen, aber
doch sinnvollen Wahrnehmung der Arbeiterinteressen erwecken. Außerdem
brachte die „Arbeiter-Zeitung“ immer wieder kleine konkrete Angelegen-
heiten aus dem Saargebiet zur Sprache50, durch die sie als unbefangene und
unerschrockene Verteidigerin der Arbeiterinteressen erschien. Man berichtete
über zu große Dienstwohnungen von Lehrern und Bürgermeistern, erzählte
ausführlich, wenn eine Arbeiterfamilie von einem Knappschaftsarzt schlecht
behandelt worden war, bürgerliche Hausbesitzer und Geistliche zuviel
Wohnraum beanspruchten und ähnliche Dinge. Grubenunglücke schufen
immer eine Atmosphäre der Erregung unter der Bergarbeiterschaft, und so
wurde von den Kommunisten im saarländischen Landesrat das Unglück in
Merlenbach im lothringischen Grenzgebiet als kapitalistisches Verbrechen
bezeichnet und die Schuld der Grubenverwaltung zugeschoben51. Dadurch
wurde der saarländische Kommunismus ständiges Sprachrohr der Erbitterten
und Unzufriedenen und versuchte, die besitzenden Schichten moralisch bloß-
zustellen.
Diese geschickte Arbeit der Kommunisten an der Saar war vor allem deshalb
möglich, weil die Parteiführer aus der saarländischen Arbeiterschaft kamen.
Sie kannten jede Mißstimmung und Unzufriedenheit und verliehen ihnen
Ausdruck. Die Kandidatenliste der Kommunisten von 1922 enthielt z. B.
10 Bergleute, 3 Hüttenarbeiter, 2 Glasmacher, 2 Hausfrauen, dann einige
Facharbeiter und kleine Handwerker und nur einen Gewerkschaftssekre-
tär52. Es war eine ausgesprochene Arbeiterliste. Neben den sozialen Bedin-
gungen in den großen Industrieorten ging das starke Anwachsen des Kom-
munismus auch auf den Einfluß einzelner dieser Arbeitervertreter zurück.
Eine große Rolle spielte z. B. in der Kommunistischen Partei der Bergmann
und Gewerkschaftssekretär des lothringischen Bergarbeiterverbandes, Phi-
lipp Reinhard aus Ludweiler, der von 1922 bis 1932 Mitglied des Landes-
49 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 14. 2. 1925, S. 24 f.: Anläßlich der Aufwertungs-
vorlage der Reg.-Kom. verlangte die KPD Saar: „Wir stellen daher den Antrag, daß
allen Arbeitern, Angestellten und Beamten der Lohn aufgewertet wird, den sie zu
wenig erhielten, dafS den Kleinrentnern die Aufwertung ihrer Spargroschen zuge-
sprochen wird, daß allen Angestellten, Arbeitern und Beamten einschließlich der
Kleinbauern, der Verlust aufgewertet wird ... Die Mittel müssen aufgebracht werden,
indem der Industrie die Inflationsgewinne genommen werden...“. Sten. Ber. v.
16. 3. 1925, S. 20: Nachdem die Kommunisten die Errichtung einer Arbeiterkammer
statt einer Arbeitskammer gefordert hatten, verlangten sie in einem Verordnungs-
entwurf für eine Arbeiterkammer folgende Rechte für diese: Festsetzung der Maxi-
malarbeitszeit, Festsetzung der Minimallöhne der Arbeiter, Angestellten und Beam-
ten, Überwachung der Produktion, Einweisung von Arbeitslosen in Arbeitsstätten u.
Ähnliches mehr. In der Sitzung v. 4. 12. 1929 (Sten. Ber. S. 342) erhoben sie die
Forderungen der Verkürzung der Arbeitszeit auf 7 bzw. 6 Stunden, der Beseitigung
der Lohn- u. Gehaltssteuer usw.
50 Z, B.: A.Z. Nr. 62 v. 17. 3. 1928 „Das Wohnungselend im Saargebiet und die Wahlen
zum Landesrat“; A.Z. Nr. 58 v. 13. 3. 1922 „Christliche Nächstenliebe eines Studien-
direktors“; A.Z. Nr. 15 v. 18. 1. 1922 „Wie sieht es heute auf sozialem Gebiet auf
der Völklinger Hütte noch aus?“; Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 23.
51 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 31. 3. 1925, S. 6.
52 A.Z. Nr. 126 v. 21. 6. 1922.
197
rats und während mehrerer Jahre Chefredakteur der „Arbeiter-Zeitung“
war. In Gewerkschaftsversammlungen und im Landesrat wußte er die KPD-
Saar beredt zu vertreten. Sein Heimatort Ludweiler und der Warndt blieben
Hochburgen des saarländischen Kommunismus. Die Kommunisten aus Lud-
weiler konnten 1924 und 1928 sogar jeweils zwei Landesratssitze erhalten.
Für eine stärkere Verbreitung des Kommunismus im Warndt waren auch die
lothringischen Einflüsse von Bedeutung. Die Arbeiterschaft aus Ludweiler
und den umliegenden Dörfern arbeitete vorwiegend in den lothringischen
Gruben des Grenzgebiets und stand dadurch mit der radikaleren und teil-
weise entwurzelten Arbeiterschaft dieser Betriebe in Kontakt. Für die Ver-
breitung des Kommunismus im saarländischen Raum waren zwar die Be-
triebe und die propagandistische Arbeit der Kommunisten in diesen von
Bedeutung, aber eine Organisation fester Betriebszeilen wie örtlicher Komi-
tees als Basis der Parteiorganisation wurde von den Kommunisten im Saar-
gebiet erst gegen Ende der Entwicklung versucht, als die Auseinandersetzung
mit dem Nationalsozialismus und der Einfluß der deutschen Emigranten
den Übergang zur Illegalität anbahnten53. Auch die paramilitärische Orga-
nisation der Partei, der Rotfrontkämpferbund, begann erst nach 1928 im
Saargebiet langsam in Erscheinung zu treten. So fehlte der Kommunistischen
Partei des Saargebiets jenes feste innere Organisationsgefüge der totalitären
Parteien, das in Parteiapparat und Kaders die Instrumente für den Tag der
Machtübernahme bereithält53a. Die Organisationsanlage der saarländischen
KP erinnert eher an den Typ der Massenpartei, wenn die Partei auch nur
einen relativ kleinen Stamm fester Mitglieder besaß und erst in der Welt-
wirtschaftskrise eine große Zahl von Wählern gewinnen konnte.
Das Anwachsen des Kommunismus vollzog sich in ausgesprochenen Arbeiter-
orten. Ein Vergleich der Wahlergebnisse der einzelnen Jahre mit der Ar-
beiterstruktur (Hütten- und Bergarbeiter) und der Konfessionszugehörigkeit
kann nur zu einigen wenigen Aussagen gelangen. Ein steiler Anstieg der
kommunistischen Stimmen war in fast allen Arbeiterorten zu verzeichnen.
In den ländlichen Gebieten war aber die Ausgangsbasis so schmal, daß mit
wenigen Ausnahmen54 der prozentuale Anteil der kommunistischen Stim-
men unter dem saarländischen Durchschnitt blieb. In den großen Arbeiter-
orten im Industriezentrum stieg dagegen der Prozentsatz über 30, häufig
sogar über 40 Prozent der Stimmen an55. Dabei ist in den überwiegend
evangelischen Orten ein etwas geringerer Rückgang an sozialdemokratischen
53 Vgl. dazu unten S. 281 f.
53a Über die totalitären Parteien vgl. z. B. Schieder, Die Grundlagen und Epochen
des Parteiwesens, in: Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, München 1958,
S. 163. Uber die Versuche der saarländischen KP zum Ausbau zur totalitären Partei
vgl. einen Ber. im GStA München XV-b-1 vom 9. 11. 1931.
54 Z. B. in Außen (Krs. Saarlouis) stiegen die kommunistischen Stimmen 1932 auf
41,8 %, während sonst ländliche Orte mit einem ungewöhnlich hohen Anteil kom-
munistischer Stimmen bei etwa 24 °/o lagen (Urweiler, Lisdorf). Angaben dazu siehe
Straus, a. a. O., S. 123 ff.
55 Z. B.: Anteil der kommunistischen Stimmen 1932: Merchweiler: 36,4 °/o; Elvers-
berg: 30,7 %>; Dudweiler: 41,6 °/o (Prozentzahlen nach E. Straus, a. a. O., S. 123 f.).
198
Stimmen zugunsten des Kommunismus festzustellen56. In diesen Orten
hatten die Sozialdemokraten nach 1919 in der evangelischen Bevölkerung
einen festen Stamm von Wählern gewonnen, der ihnen treu blieb. In den
katholischen Orten war das wegen der Gegnerschaft der Kirche nicht in dem
Ausmaße möglich gewesen. Dort hatte die sozialdemokratische Wählerschaft
sich zu einem erheblichen Prozentsatz aus Jungwählern zusammengesetzt,
die mit Verheiratung und kirchlicher Trauung zum Teil wieder zur Kirche
zurückkehrten57. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise strömten in allen Orten
vor allem Jugendliche und Arbeitslose zum Kommunismus, so daß die ehe-
mals sozialdemokratischen Wählerstimmen in den katholischen Gebieten
fast ausschließlich den Kommunisten zufielen.
Der Kommunismus an der Saar war primär eine lokale Angelegenheit58. Er
konnte in wenigen Jahren auf Grund der Erbitterung der Arbeiterschaft
wegen der bestehenden Wirtschafts- und Sozialverhältnisse an Boden ge-
winnen. Die Schwierigkeiten der Saarwirtschaft in Kohle- und Stahlabsatz
bereits vor der Weltwirtschaftskrise und die ständige Erregung über die
mangelnde Angleichung an das deutsche Sozial- und Arbeitsrecht schufen
ein Klima, in dem Radikalismus gedieh59. Da die begrenzten Einflußmög-
lichkeiten des saarländischen Landesrats während der Weltwirtschaftskrise
in der Diskrepanz zwischen den umfänglichen Forderungen der Parteien zur
Behebung der Not und der nur geringen Erfüllung oder Erfüllungsmöglich-
keit durch die Regierungskommission erneut in eine besonders scharfe Be-
leuchtung gerieten, sah die Arbeiterschaft in der Hinwendung zu unparla-
mentarischen und undemokratischen Demonstrationen und Agitationen
einen Ausweg. Dem Kampf des Kommunismus gegen das parlamentarische
System in der Weimarer Republik konnte an der Saar durch die Erfahrun-
gen mit dem „Schattenparlament"60 nicht wirkungsvoll widersprochen
werden.
Das lokale Gepräge des Kommunismus an der Saar zeigte sich auch bei
Streitigkeiten und Spaltungen in der Partei. Es kam bei solchen Gelegen-
heiten zu Prügelszenen, gegenseitigen Beschuldigungen in Landesrat, Ge-
meindeparlamenten und öffentlichen Versammlungen61. Obwohl die Spal-
tungen mit den innerdeutschen Auseinandersetzungen im Kommunismus
zusammenhingen, entbehrten sie im Saargebiet jeder ideologischen Kompo-
nente. Anführer der Opposition war stets der Ludweiler Kommunist Rein-
hard, der sich der Moskauer Linie nicht beugte. Trotz dieser Scheidung in
56 Vgl. oben S. 180 ff.
57 So auch Lambert, a. a. O., S. 228.
58 So auch Lambert, a. a. O., S. 106 „What the Communism there was, was a local
product; the red tradition of the Ruhr did not exist in the Saar.“
59 Straus, a. a. O., S. 122f., macht auch die besonderen wirtschaftlichen Verhältnisse
für das Wachsen des Radikalismus verantwortlich.
60 Den Begriff des „Shadow-Parliament“ prägte Donald, a. a. O., S. 51; vgl. auch
Katsch, a. a. O., S. 48.
61 Vgl. dazu: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 7. 1. 1925, S. 2f.; Volksstimme Nr. 6
v. 8. 1. 1925 „Soziale Vorlagen vor dem Landesrat“ u. „Schwindeleien des Kommu-
nisten-Blättchens“; Neuer Saarkurier Nr. 2 v. 3. 1. 1925 „Kommunisten unter sich“;
Volksstimme Nr. 223 v. 24. 9. 1927 „Der Sumpf der Saar-KPD“; Volksstimme Nr, 3 v.
5. 1. 1925 „Der Klassenkampf im Saarkommunismus“.
199
Thälmann-Moskau-Anhänger und Opponenten trugen die Kämpfe den
Stempel persönlicher Reibereien und Rivalitäten der Parteiführer unter-
einander62; einzelne führende Mitglieder wechselten auch zwischen den
Gruppen. Nach der ersten Spaltung im Dezember 1924 erfolgte nochmals
eine Versöhnung, wohl durch Eingreifen der Berliner KPD-Leitung63. 1929
vollzog sich erneut eine Spaltung64, die auch die Landesratsfraktion der
Kommunisten von 1929 bis 1932 in zwei Fraktionen zerfallen ließ. Die
kommunistische Oppositionspartei kandidierte 1932 mit einer eigenen Liste
zum Landesrat, vermochte aber kein Mandat zu erringen.
Die Kommunisten besaßen auf Grund ihrer prinzipiellen oppositionellen
Haltung gegenüber Regierung und Völkerbund keinen Einfluß auf die
Gestaltung der saarländischen Gesetzgebung und leisteten keinen sachlichen
Beitrag zur Lösung der saarländischen Fragen. Nur in seltenen Fällen wur-
den selbst von den Sozialdemokraten ihre Ausführungen im Landesrat
beachtet oder gar unterstützt. Die Regierungskommission befaßte sich mit
der Partei nur, wenn sie ihr Anlaß gab, zur Aufrechterhaltung der Ordnung
gegen sie einzuschreiten. Mit der Weltwirtschaftskrise wurden auch die
Kommunisten an der Saar aggressiver. Bei einem von Freien und Christ-
lichen Gewerkschaften organisierten großen Demonstrationszug der Berg-
arbeiter am 8. August 1927 kam es zu Ausschreitungen der Kommunisten65.
Die Rädelsführer wurden verhaftet und fast alle mit mehreren Monaten
Gefängnis bestraft66. Die Gewerkschaften und die Parteien verurteilten das
Vorgehen der Kommunisten aufs schärfste67. Präsident Wilton warb in
einem Presseempfang68 um Verständnis gegenüber dem Verbot des kom-
munistischen Parteiorgans. Die Regierungskommission schritt in den fol-
genden Jahren wiederholt durch Verbote der „Arbeiter-Zeitung“ und der
Veranstaltungen des Rotfrontkämpferbundes sowie durch Ausweisungen
von Parteimitgliedern gegen die Partei ein. Bei den Ausweisungen handelte
es sich um Kommunisten, die zur Organisation der Parteiarbeit oder weil
sie strafrechtlich verfolgt wurden, aus dem Deutschen Reich ins Saargebiet
gekommen waren69. Die Berliner Zentrale versuchte durch diese Mitglieder
den saarländischen Kommunismus in ihre Gesamtlinie einzuordnen70. Die
62 Vgl, dazu Volksstimme Nr. 174 v. 28. 7. 1928 „Verpestet und verseucht“ u. Volks-
stimme Nr. 177 v. 2. 8. 1929 Kommunistische Saar-„Einheitsfront“; außerdem alle
Hinweise unter Anm. 61. Wenn die Volksstimme die Dinge auch propagandistisch
aufbauschte, so ist der Eindruck in den Äußerungen der Kommunisten und in den
anderen Zeitungen durchaus derselbe.
63 So Volksstimme Nr. 223 v. 24. 9. 1927.
64 Saar-Zeitung Nr. 136 v. 15. 6. 1929.
65 Volksstimme Nr. 183 v. 9. 8. 1927, Nr. 184 v. 10. 8. 1927, Nr. 185 v. 11. 8. 1927;
S.Z. Nr. 215 v. 11. 8. 1927 u. Nr. 217 v. 13. 8. 1927.
66 Volksstimme Nr. 223 v. 24. 9. 1927 „Der Kommunistenprozeß“. Verteidiger in die-
sem Prozeß war Rechtsanwalt Dr. Sender v. der SPD.
67 Siehe Anm. 65.
68 Voiksstimme Nr. 187 v. 13. 8. 1927.
69 S.L.Z. Nr. 216 v. 12. 8. 1927; Volksstimme Nr. 174 v. 28. 7. 1928.
73 Volksstimme Nr. 223 v. 24. 9. 1927; auch Präsident Wilton schrieb in einem Privat-
brief am 13. 2. 1930 an Rosting: „Our local communists are being stirrid up by the
Central at Berlin. This has been going on for the last weeks but the local Organi-
sation is (ein unleserliches Wort d. Verf.) of no great consequence — at present!“; in
S.D.N. Archives des Section du Secretariat — Sect. Pol. — Sarre Nr. 56/3 c.
200
Vertretung marxistisch-klassenkämpferischer und revolutionärer Ideen mu-
tet in den Reden der saarländischen Kommunisten mit ihren stereotypen
Wendungen phrasenhaft an. Die persönlichen materiellen Nöte, Unzufrie-
denheiten und Hoffnungen führten die saarländische Arbeiterschaft zum
Kommunismus71. Die Diskrepanz zwischen der von Moskau und Berlin pro-
pagierten Linie und den letztlich sehr kleinbürgerlichen und persönlichen
Sorgen ist wohl auch als Ursache für das politisch sterile Verhalten der saar-
ländischen Kommunisten in den Jahren 1933/34 oder für ihre Hinwendung
zum Nationalsozialismus anzusehen72.
Überblickt man die Gesamtlinie der KPD-Politik und ihre Ideen an der
Saar, so war die Haltung der Partei letztlich nur eine radikale Übersteige-
rung der saarländischen Positionen. Ihr Internationalismus und Antikapita-
lismus dienten als Basis des Kampfes gegen das bestehende Regierungssystem
und seine Politik; die allgemeine Kritik an dem System wurde damit im
Grunde nur übertrieben und marxistisch gefärbt. In manchen Forderungen
und in konkreten Augenblicken offenbarte sich auch, wie nah man tatsäch-
lich der nationalen Position der übrigen Parteien war. Man forderte wie sie
die Rückkehr nach Deutschland und bekämpfte die französische Annexions-
politik oder das Kolonialsystem73; man forderte die Angleichung an die
deutsche sozial- und arbeitsrechtliche Situation74 und nahm Stellung gegen
die Anwesenheit des französischen Militärs im Saargebiet75, gegen den fran-
zösischen Franc als alleiniges Zahlungsmittel76 und gegen die französische
Schule77. Man stand in geschlossener gewerkschaftlicher und parteipolitischer
Einheitsfront während des lOOtägigen Streiks an der Saar. Als man sich von
den 1000-Jahr-Feiern und dem Nationalismus der anderen Parteien distan-
zierte, stellte man gleichzeitig nationalpolitisch bedeutsame Anträge78, und
in der Begründung tauchten durchaus national geläufige Wendungen auf:
71 So auch Straus, a. a. O., S. 124.
72 Vgl. dazu unten S. 281.
73 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 27. 4. 1923, S. 31; v. 5. 2. 1925, S. 20 f.; v. 30. 6.
1925, S. 32; v. 4. 12. 1929, S. 342. Reinhard suchte 1925 Legationsrat Voigt im Aus-
wärtigen Amt in Berlin auf, um für die saarländischen Kommunisten Freifahrtkarten
nach Berlin zu erhalten. „Er glaubte das mit dem Hinweis darauf begründen zu sollen,
daß seine Partei, wenn sie auch nicht als staatserhaltend angesehen werden könne, doch
der imperialistischen französischen Politik im Saargebiet allerhand Unbequemlichkeiten
bereitet habe, und daß die Reichsregierung doch nicht einzelne Parteien bevorzugen
könne, sondern auch bei den Kommunisten auf möglichst enge Fühlungnahme mit dem
Reiche halten müsse.“ So Voigt in einem Brief an Levacher, Durchschlag in A.A.
II Bes. Geb., Saargeb., Saarparlament, Bd. 4 — II SG 806.
74 So besonders die kommunistische Opposition im Landesrat am 4. 12. 1929 (Sten.
Bericht S. 347). In der Oppositionspartei waren die nationalen Züge klarer ausgebildet.
75 S. in Anlage 5 unten S. 345; außerdem Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 30. 6. 1925,
S. 35.
76 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 27. 4. 1923, S. 31; v. 30. 6. 1925, S. 32.
77 Ebenda am 30. 6. 1925, S. 33: Hier heißt es: „Das war die Fortsetzung der alten
Völkerbundspolitik, die durch den Versailler Vertrag, durch die Übergabe der Saar-
gruben an den französischen Imperialismus, durch die Einführung der französischen
Schulen, diese Französisierungs- und Lostrennungsbestrebungen begonnen hatte, um
sie dann später durch die Einführung der französischen Währung, durch die Zoll-
abschnürung am 10. Januar, durch den Garantiepakt zu verstärken.“
78 Ebenda, S. 31—35.
201
„Das Saargebiet ist durch den Vertrag von Versailles ohne Befragen der
Einwohner zu Unrecht von der deutschen Nation und Spracheinheit abge-
rissen worden . . „Lostrennung vom Reiche“, „Losreißung vom Deut-
schen Reiche“, „Französisierungsbestrebungen“ traten als Termini auf und
bewegten sich in den im Saargebiet geläufigen Vorstellungen, wenn sie auch
in die internationale Konzeption eingeordnet waren. Der Kommunismus an
der Saar war deshalb primär Ausdruck der unzufriedenen Arbeiterschichten
und bedeutete zugleich eine Radikalisierung der sozialen Forderungen und
der nationalpolitischen Verteidigungsposition der saarländischen Arbeiter-
schaft.
5. Das System der politischen Parteien des Saargebiets
Das politische Leben des Saargebiets wurde während der Zeit der Völker-
bundsregierung von denselben Parteien wie im Deutschen Reich bestimmt1.
Der Versuch, zur Neugründung einer Partei zu gelangen, die den französi-
schen Saarinteressen diente, wurde zu den Landesratswahlen des Jahres 1924
unternommen, als der „Saarbund“ als „Saarländische Arbeitsgemeinschaft“
eine Liste aufstellte, aber nur 2,7 Prozent der gültigen Stimmen erhielt2.
Dieser Versuch wurde nicht wiederholt.
Die saarländischen Parteien wurzelten in ihrer grundlegenden Program-
matik in den deutschen Mutterparteien. Die Untersuchung ihrer Ideenwelt
ergab besonders für die Zentrumspartei und die Sozialdemokratische Partei
den Tatbestand, daß ihre prinzipiellen Konzeptionen, die vom Katholizis-
mus bzw. Sozialismus geprägt waren, zur Begründung der spezifisch saar-
ländischen Aufgaben herangezogen wurden und dadurch die Saarprogramme
der Parteien ideologisch unterbauten. Auch die organisatorische Verbindung
der saarländischen mit den deutschen Parteien blieb erhalten. Der Wider-
stand, den die Regierungskommission zunächst unter Raults Präsidentschaft
dagegen geleistet hatte, mußte aufgegeben werden, und nach einer gewissen
Lockerung im Anfangsstadium der Entwicklung wurden die Beziehungen
mit den deutschen Mutterparteien wieder intensiviert3. Bedeutende deutsche
Politiker kamen als Redner für die Landesratswahl im Jahre 1928 und
später an die Saar4; die Reichstagsfraktion und der Vorstand der Deutschen
Volkspartei tagten in Saarbrücken5, führende Mitglieder der saarländischen
Parteien wurden in den Deutschen Reichstag und den Preußischen Landtag
gewählt6; saarländische Politiker sprachen in den Wahlversammlungen der
1 So auch Katsch, a. a. O., S. 109. Die Arbeit von Katsch geht auf den Seiten 109
bis 114 auf die politischen Parteien ein und enthält gute Hinweise.
2 Ebenda, S. 112; außerdem Anlage 1, unten S. 335.
3 Ebenda, S. 109 f.; vgl. auch oben S. 172.
4 Vgl. oben S. 169 f. u. S. 178; außerdem S.Z. Nr. 83 v. 24. 3. 1928 „Reichskanzler Dr.
Luther in Saarbrücken“; Katsch, a. a. O., S. 110.
3 S.Z. Nr. 264 v. 25. 9. 1928 u. S.Z. Nr. 113 v. 17. 5. 1931.
6 1932 waren folgende saarländischen Politiker Mitglieder deutscher Vertretungskörper-
schaften: Kuhnen — Zentrumspartei, Mitglied des Deutschen Reichstags; Schwarz —
Sozialdemokratische Partei, Mitgl. d. Reichstags; Hillenbrand — Zentrum, Mitglied
des Preußischen Landtags. Alle drei waren Gewerkschaftsvertreter.
202
umliegenden Wahlkreise des Deutschen Reiches7. Neue Parteigründungen in
Deutschland und Umbenennungen von Parteien wurden aus der deutschen
Entwicklung übernommen, wie z. B. die Vitus-Heller-Bewegung in der
Gründung einer „Christlich-Sozialen Partei“, die nach deutschem Vorbild
dann den Namen „Arbeiter- und Bauern-Partei“ erhielt8. Nachdem die
grundsätzlichen Fragen an der Saar mit der Jahrtausendfeier und der Ein-
setzung einer neutralen Kommission geklärt waren, standen auch die Lan-
desratswahlen der Jahre 1928 und besonders 1932 stärker unter dem Ein-
druck der deutschen politischen Probleme, so daß ab 1928 sich in steigendem
Maße eine Einmündung in das gesamtdeutsche Parteileben abzeichnete9.
Trotz dieser ideellen und organisatorischen Verbindung der saarländischen
mit den deutschen Parteien bildeten sich an der Saar wesentliche Unter-
schiede gegenüber dem System der deutschen Parteien aus, und zwar unter
dem Einfluß der soziologischen Gegebenheiten des Saargebiets und der be-
sonderen politischen Aufgaben der Saarparteien in der Saarfrage.
Zunächst behauptete in dem Gebiet trotz seines überwiegend industriellen
Charakters die Zentrumspartei eine beherrschende Stellung. Mit 14 Sitzen
im Landesrat und noch 43 Prozent der Stimmen im Jahre 1932 und ihrer
Verwurzelung in dem traditionsgebundenen und religiösen Denken weiter
Kreise und Schichten der Saarbevölkerung gab sie dem politischen Leben an
der Saar ein von heimatlichen Verhältnissen bestimmtes katholisches Ge-
präge. Die Stellung des Zentrums war so unerschütterlich, daß sie als grund-
legendes Faktum von den anderen Parteien akzeptiert werden mußte. Zwar
behauptete die Zentrums- bzw. die Bayerische Volkspartei auch in einigen
deutschen Wahlkreisen eine ähnlich starke Position, aber diese Wahlkreise
waren bei fast ausschließlich katholischer Bevölkerung durch ihre Agrar-
struktur gekennzeichnet10.
Das Parteisystem des Saargebiets wurde des weiteren durch die außer-
gewöhnlich enge Zusammenarbeit der drei tragenden Parteien, der Zen-
trumspartei, der Sozialdemokratischen Partei und der Deutsch-Saarländi-
schen Volkspartei, charakterisiert. Die Einigkeit in nationaler Hinsicht bil-
dete eine feste Grundlage zur Stabilisierung des Verhältnisses der Parteien
zueinander und ihrer politischen Zielsetzungen. Auch nach dem Ausscheiden
der Sozialdemokraten aus dem interparteilichen Ausschuß verfolgten diese
Parteien eine gemeinsame außenpolitische Linie11. Unter nationalpolitischen
Gesichtspunkten setzte zudem eine fruchtbare gegenseitige Beeinflussung
ein, durch welche die Parteien lernten, die Sozialstruktur der saarländischen
Bevölkerung und die Gesamtheit der politischen Kräfte stärker zu berück-
7 Sbr. Landesardhiv: Schneider-Becker-Archiv, Privatpapiere R. Becker Nr. 35.
8 Ebenda, Nr. 34.
9 Das spiegelte sich besonders in den Wahlkämpfen der saarländischen Zeitungen in
den Jahren 1928 und 1932.
10 Z. B. die Wahlkreise Koblenz—Trier und Niederbayern. Für alle Angaben über die
Stärke der saarländischen Parteien vgl. Anlage 1, unten S. 335. Die Angaben über
die Stärke der Parteien in den deutschen Wahlkreisen stützen sich auf die Über-
sichten in Matthias-Morsey, a. a. O., S. 771—779.
11 Vgl. oben S. 183 u. unten S. 216 u. Anm. 22 ebenda.
203
sichtigen. So entstanden auch für die innenpolitischen Probleme gewisse
gemeinsame Grundsätze, zu deren Verwirklichung die Landesratsfraktionen
unter Hintansetzung wesentlich anderer Auffassungen der entsprechenden
deutschen Parteien zusammenwirkten. Solche gemeinsamen Ziele oder zu-
mindest gegenseitig respektierte Auffassungen über die Gestaltung der saar-
ländischen Gesetze waren z. B.: die Angleichung an die sozial- und arbeits-
rechtliche Situation der Weimarer Republik, Erhaltung der konfessionellen
Volksschule, Gegnerschaft gegen die Privatisierung der Saargruben, Maß-
nahmen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit und zur Erweiterung des saar-
ländischen Absatzmarktes. Die Tatsache, daß der Landesrat nicht gezwungen
war, Gesetze zu verabschieden, sondern die einzelnen Parteien und Partei-
gruppierungen Sondergutachten zu einer Gesamtvorlage oder zu einzelnen
Punkten der Vorlage abgeben konnten, förderte die Tendenz, letzte Gegen-
sätze nicht auszutragen. Die traditionelle Bereitschaft der drei entschei-
denden saarländischen Parteien zur Zusammenarbeit und der Kampf gegen
Hitler und den Nationalsozialismus, der aus allen drei Parteiauffassungen
erwuchs und anläßlich der Reichspräsidentenwahl und der Landesratswahl
des Jahres 1932 besonders zur Geltung kam, ließen das politische Leben des
Saargebiets in seinem Kern auch während der Weltwirtschaftskrise unange-
tastet. Die Nationalsozialisten kandidierten 1932 zum erstenmal zur Lan-
desratswahl und erhielten nur zwei Sitze, die Kommunisten allerdings acht.
Die drei bestimmenden Parteien besaßen indes zusammen noch 19 der 30
Sitze, und dem Zentrum fiel, wenn es sich mit der Deutsch-Saarländischen
Volkspartei oder mit der Sozialdemokratischen Partei zusammentat, noch
die absolute Mehrheit zu.
Ein weiteres Zeichen für eine gewisse Stabilität des Parteilebens an der Saar
zeigte sich darin, daß trotz der Ansätze zu starker parteipolitischer Zer-
splitterung die kleineren Gruppen sich bei den Landesratswahlen im allge-
meinen nicht durchsetzten, mit Ausnahme des Jahres 1928, als die Christ-
lich-Sozialen und die Deutsch-Nationalen jeweils einen Sitz erhielten12. Die
Tendenz zur Zersplitterung aus lokal bestimmten Gesichtspunkten zeigte
sich bei den Gemeinde- und Kreistagswahlen, trat aber bei den Landesrats-
wahlen jeweils zugunsten der großen politischen Parteien zurück. Eine
Splittergruppe hielt sich allerdings während der Jahre von 1922 bis 1933
12 Die Auffassung von Straus, a. a. O., S. 128ff., der die Labilität aller Parteien ein-
schließlich des Zentrums als wesentlichen Zug der politischen Entwicklung des Saar-
gebiets bezeichnete, berücksichtigte in ihrer Analyse zu einseitig die Ergebnisse der
Kreis- und Gemeinderatswahlen. Die Unhaltbarkeit dieser These ergibt sich auch,
wenn man die Diagramme bei Straus S. 175 ff. ohne Berücksichtigung der Kreis- und
Gemeinderatswahlen betrachtet. Die Dissertation v. Straus ist die einzige Saararbeit,
die in breiterer Weise auf die Parteien eingeht. Bei einer Reihe, vor allem in sozio-
logischer Hinsicht richtiger Erkenntnisse im einzelnen, bewältigt die Arbeit aber die
historisch-politischen Aspekte nicht. Z. B. bleibt der Versuch, die Ideenstruktur
der saarländischen Parteien zu umreißen (S. 110 ff.) in allgemeinen und teilweise
schiefen Ausführungen über Konservativismus, Klerikalismus, Liberalismus, Sozialis-
mus und Nationalismus stecken. Die Arbeit projeziert zuviel allgemeine Erkennt-
nisse in die Saarverhältnisse.
204
auch im Landesrat, die „Vereinigung für Hausbesitz und Landwirtschaft“,
seit 1932 „Wirtschaftspartei des Mittelstandes“13.
Der auffallendste Zug im Parteileben an der Saar, der letztlich auch die
Stabilität der Verhältnisse garantierte, war das Fehlen jedes Rechtsradika-
lismus, eine einzigartige Erscheinung gegenüber allen deutschen Wahlkreisen.
Selbst wenn man den Ausgleich der Prozentzahlen durch die größeren
Wahlkreise Deutschlands mit einrechnet, bleibt das uneingeschränkt ein
wesentlicher Unterschied zu allen deutschen Gebieten. Das Zentrum und die
sozialistischen Parteien erhielten an der Saar bei der Wahl zur Weimarer
Nationalversammlung 84 Prozent der Stimmen, bei den Landesratswahlen
ab 192414 wieder 77 Prozent, und ihr Stimmenanteil stieg bis 1932 auf über
80 Prozent. Zunächst beruhte diese Erscheinung darauf, daß in der saar-
ländischen Bevölkerungsstruktur für die konservative Deutschnationale
Volkspartei keine Voraussetzungen gegeben waren. Dann konnten aber
auch bei der Steigerung des Nationalismus in Deutschland für das Saar-
gebiet keine anderen konkreten Forderungen erhoben werden, als sie die
drei großen saarländischen Parteien seit Jahren vertreten hatten. Man be-
saß keine Agitationsbasis gegenüber der geschlossenen nationalen Front der
saarländischen Parteien und der saarländischen Bevölkerung. Außerdem
waren gegenüber dem Nationalsozialismus die religiösen Bedenken der
Katholiken von Bedeutung. Als 1932 die NSDAP 6,7 Prozent der Stimmen
erhielt, zeigte sich, daß sie die Wählerschaft der Deutsch-Nationalen fast
ganz absorbiert hatte und einen Teil der Wählerschaft der Deutsch-Saar-
ländischen Volkspartei, deren Stimmenanteil auf 6,6 Prozent sank. Der
Gesamtgewinn der Parteigruppierung von der Deutsch-Saarländischen Volks-
partei nach rechts bis zur NSDAP betrug aber nur 2 Prozent. Der Stimmen-
anteil der Deutsch-Saarländischen Volkspartei lag zudem noch wesentlich
höher als derjenige der Deutschen Volkspartei bei der Reichstagswahl vom
31. Juli 1932. Nur in drei deutschen Wahlkreisen erreichte die Deutsche
13 Das hing mit der Wohnungsnot und der Wohnungszwangswirtschaft im Saargebiet
zusammen. Am Anfang erhielt die Partei wohl zwei Mandate, weil sie eine Wahl-
möglichkeit außerhalb der straff organisierten nationalen Einheitsfront darstellte.
Diese Partei wandte sich wegen der Wohnungspolitik der Regierungskommission mit
zwei Eingaben an den Rat des Völkerbundes [Dokumente: C. 498. M. 211. 1923. I.
(24. 5. 1923) u. C. 798. (1). M. 267. 1924. I. (10. 11. 1924)]. Sie war keine eigentlich
fiolitische Partei, sondern stellte stärker eine Interessenvertretung dar. Deshalb
ehnten die anderen Parteien sie ab und verdächtigten besonders in den ersten Jahren
diese Partei als national unzuverlässig (Material dazu bes. in A.A. II Bes. Geb.,
Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 1). Ganz entzog sich aber auch diese Gruppe nicht der
allgemeinen Politisierungstendenz im Saargebiet. Sie war nicht an den Genfer Dele-
gationen und den gemeinsamen Erklärungen des Landesrats beteiligt, gab aber im
Landesrat bei politischen Anlässen auch nationale Erklärungen ab (vgl. z. B. die
Erklärung bei Eröffnung des saarl. Landesrats 1922, in Anlage 5 unten S. 342 f.) und
strebte danach, in den Genfer Delegationen und im Saarausschuß der Reichsregierung
vertreten zu werden. Der Vorsitzende der Partei, Architekt Schmoll gen. Eisenwerth,
versuchte deshalb 1928 in persönlichen Schreiben und in einer Besprechung im A.A.
in Berlin eine Beteiligung seiner Partei an den Genfer Delegationen und im Saar-
ausschuß zu erreichen (A.A. II Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 2).
14 Die Ergebnisse der Landesratswahl 1922 können in diese Betrachtung nicht mit ein-
bezogen werden, da die Sozialisten ihre Aufforderung zur Wahlenthaltung fast bis
zum letzten Augenblick; aufrechterhalten hatten.
205
Volkspartei noch 2 bis 3 Prozent der Stimmen. Der Stimmenanteil der
Deutschnationalen Volkspartei lag dagegen im Reichsdurchschnitt bei knapp
6 Prozent und sank nur in zwei Wahlkreisen (Niederbayern und Pfalz)
unter die 1,6 Prozent der Saar. Die Wählerschaft der Deutsch-Saarländi-
schen Volkspartei erwies sich als wesentlich stabiler als im Deutschen Reich.
Das hing mit dem demokratischen Denken eines Teiles ihrer Wählerschaft,
ihren unbestrittenen Verdiensten in der Saarpolitik und der festen jahr-
zehntelangen Verwurzelung des Liberalismus in einem Teil der saarländi-
schen Bevölkerung zusammen. Dieses Bild einer größeren Stabilität als in
Deutschland wird noch ergänzt, wenn man den prozentualen Anteil der
beiden radikalen Flügel — Kommunismus und Nationalsozialismus —
zusammennimmt. Der Anteil des Radikalismus im Saargebiet lag weit unter
dem Durchschnitt Gesamtdeutschlands, und mit Ausnahme des Wahlkreises
Niederbayern unter dem Durchschnitt aller deutschen Wahlkreise. Der
Prozentabstand gegenüber den Wahlkreisen, in denen der Radikalismus am
schwächsten war (Köln-Aachen, Koblenz-Trier und Oberbayern-Schwaben),
betrug etwa 5 Prozent. Aber in all diesen Wahlkreisen war das Verhältnis
zwischen NSDAP und KPD umgekehrt, die NSDAP war weitaus stärker
als die KPD. Damit unterschied sich tatsächlich bis 1933 das Saargebiet
durch das fast vollständige Fehlen des Nationalsozialismus und der Rechts-
gruppen von der innenpolitischen Situation in der Weimarer Republik.
Die tieferen Gründe für die Eigenart der parteipolitischen Lage im Saar-
gebiet sind wohl in zwei Entwicklungsprozessen jener Jahre zu sehen.
Einmal hatte die bedrohte Grenzsituation zu einer Aktivierung und Zu-
sammenfassung der politischen Kräfte und einer Stärkung des Gemein-
schaftsbewußtseins geführt, so daß Gegensätze zwischen den Parteien und
innerhalb der Bevölkerung gemildert und nicht verschärft wurden. Die
Parteien außer den Kommunisten hatten zu Beginn der Völkerbundsregie-
rung ihre Arbeit unter nationalen Gesichtspunkten und in engem gegen-
seitigen Kontakt aufgenommen, und diese ihre anfängliche Tätigkeit blieb
für die politische Ideenwelt der einzelnen Parteien wie für das Gesamt-
system der Saarparteien prägend. Über die Parteien hinaus waren aber auch
die Gewerkschaften, Berufsorganisationen, Wirtschaftsvertretungen und
Vereine in die nationale Einheitsfront einbezogen worden. Das gesamte
öffentliche Leben war politisiert worden15. Die Fiomogenität großer Teile
der Saarbevölkerung und die Tatsache, daß erst unmittelbar nach dem Ersten
Weltkrieg, also in denselben Jahren, die Arbeiterschichten sich in steigendem
Maße politisch oder gewerkschaftlich organisiert hatten, begünstigte diesen
Prozeß einer in erstaunlichem Maße einheitlichen politischen Bewußtseins-
bildung16.
15 Ein Zeichen dafür ist auch die Tatsache, daß die Hirsch-Dunkersehen Gewerkschaften
sich nur in kleinen bedeutungslosen Gruppen behaupten konnten, während die
Massen den politisierten Christlichen und Freien Gewerkschaften zuströmten. Dazu
auch Straus, a. a. O., S. 62.
16 Die Bedeutung des Ineinander von nationaler Parteipolitik und politisch-gewerk-
schaftlicher Organisation der Arbeiterschaft zeigte sich auch in der entscheidenden
Rolle, die saarländischen Gewerkschaftsführern zufiel. Levacher teilte am 11. Juni
206
Zum andern hatte die Arbeit für das Schicksal des Saargebiets die Parteien
und die saarländischen Parteiführer in die internationale Problematik und
in eine außenpolitische Tätigkeit geführt, in der sie erfuhren, daß letztlich
nur auf der Basis der internationalen Zusammenarbeit und Verständigung
etwas zu erreichen war. Ihre Hoffnung für die Saarpolitik beruhte in der
Durchsetzung westlich demokratischer und völkerversöhnender Ideen und
Institutionen. Die Parteien erhielten zudem wirksame Unterstützung durch
das Deutsche Reich, und so bewegte man sich in denselben außenpolitischen
Bahnen wie die Außenpolitiker der Weimarer Republik. Die nationalen
Verdächtigungen und Diffamierungen, die von den Rechtsparteien gegen
die „Erfüllungspolitiker“ und „Vaterlandsverräter“ der demokratischen
Parteien des Deutschen Reiches erhoben wurden, erschienen angesichts des
nationalen Kampfes jener Parteien im Saargebiet und ihrer Unterstützung
durch die Politiker der Weimarer Republik und die deutschen Mutter-
parteien absurd. Zu wiederholten Malen und zu verschiedenen Zeitpunkten
brachten deshalb die saarländischen Parteien und Politiker zum Ausdruck,
daß nur in der inneren Stabilität der Republik die Voraussetzungen zur
Überwindung der Nachkriegsnöte und in der Politik der Verständigung die
Basis zur Verbesserung der außenpolitischen Situation Deutschlands und zur
Lösung der Saarfrage zu sehen sei. Nach der Ermordung Rathenaus beschloß
der Saarbrücker Stadtrat z. B. zwei neue Straßen, die Krupp- und Borsig-
straße genannt werden sollten, statt dessen Rathenau- und Erzbergerstraße
zu nennen. In derselben Sitzung wurde auf Antrag des Sozialisten Valentin
Schäfer eine von ihm vorgelegte Entschließung gefaßt, die nach dem Be-
dauern über die Ermordung Rathenaus und Erzbergers fortfuhr:
„. . . Durch nichts wird die Deutscherhaltung des bedrohten Saargebietes mehr
gefährdet als durch solches verbrecherisches Treiben gegen die schwer um ihr Dasein
und ihre Erhaltung ringende Republik.
Die Stadtverordnetenversammlung . . . fordert von der Reichsregierung, daß sie
die der Republik von rechts drohende Gefahr in ihrem ganzen Umfange endlich
erkennt und ihr hart und entschlossen entgegentritt.“ 17
Die Entschließung wurde einstimmig angenommen, die Vertreter des Zen-
trums und der bürgerlichen Arbeitsgemeinschaft engagierten sich in ihren
Ausführungen für den Schutz der Republik. Als die deutsche Reichsregie-
rung am 26. September 1923 zum Abbruch des Ruhrkampfes gezwungen
1928 in einer Besprechung dem A.A. mit, daß die SPD für die Reichstagswahl Braun
oder Schäfer von der saarländischen Partei habe nominieren wollen, aber im Saar-
gebiet habe man auf einem Gewerkschaftssekretär bestanden. Deshalb sei kein Saar-
länder in den Reichstag gekommen. (Später wurde dann der Gewerkschaftssekretär
Schwarz Reichstagsabgeordneter der SPD.) Levacher führte weiter aus, der ständig
steigende Einfluß der Gewerkschaften sei auch in der Zentrumspartei gegeben. Dazu
A.A. e. o. II. SG 1395 in II Bes. Geb., Saargebiet, Pol. Parteien, Bd. 2. Obwohl die
Zentrumspartei gegen ein Reichstagsmandat für den Gewerkschaftsvertreter Kuhnen
war, setzte dieser sich durch. Dazu A.A. e. o. II SG 1018, ein Vermerk von Legations-
rat Voigt über eine entsprechende Mitteilung Levachers und Regierungsrat Water-
manns. II Bes. Geb., Saargebiet, Pol. Parteien, Bd. 3.
17 S.Z. Nr. 168 v. 28. 6. 1922 „Saarbrücken für die Republik".
207
war, gaben die saarländischen Parteien am 28. September 1923 folgende
Erklärung ab:
„Die politischen Parteien von den Sozialdemokraten bis zu den Deutschnatio-
nalen18 haben folgende Entschließung gefaßt:
Die politischen Parteien des Saargebietes wenden sich in dieser schwersten Stunde
ihres deutschen Vaterlandes aus größter Besorgnis um die Einheit des Reiches und
den Bestand seiner Grenzmarken an das gesamte deutsche Volk mit der dringenden
Aufforderung, die Reichsregierung und ihre Bestrebungen zur Aufrechterhaltung
von Ruhe und Ordnung schon um der außenpolitischen Sicherung willen mannhaft
zu stützen. Faszistische und kommunistische Umsturzversuche übernähmen vor der
leidensreichen Geschichte unseres Volkes die nie wieder gutzumachende Verant-
wortung für die außenpolitisch bedrohlichste Gefährdung aller deutschen Grenz-
gebiete.
Deutsch-Demokratische Partei, Deutschnationale Volkspartei, Liberale Volkspartei,
Sozialdemokratische Partei, Zentrumspartei.“ 19
In den Artikeln zum Verfassungstag des Jahres 1927 trat ein gewisser Un-
terschied der Parteien in ihrer Bindung an die Republik zutage. Die Sozial-
demokraten bekannten sich begeistert zur Republik als der Staatsform, die
eine internationale Verständigung fördere und dadurch auch der Saar und
ihren nationalen Belangen diene20. Das Organ der Zentrumspartei betonte
vor allem die Bedeutung der Festigung der Republik als Grundlage der
gesetzlichen Ordnung21. Die „Saarbrücker Zeitung“ nahm Rücksicht auf die
wohl noch mangelnde Verwurzelung der Republik in Kreisen der Wähler-
schaft der Deutsch-Saarländischen Volkspartei22, führte aber aus, daß in
Deutschland nichts gesicherter sei als die Republik, daß ein Streit um die
Staatsform überflüssig sei, da eine monarchistische Gefahr nicht bestehe,
wohl aber eine faschistische, der durch eine gute republikanische Verfassung
begegnet werden müsse23. Wenn auch der Zentrumspartei und noch ausge-
sprochener der Deutsch-Saarländischen Volkspartei das Pathos der Sozia-
listen im Bekenntnis zu Republik und Völkerversöhnung fehlte, so lag doch
in der Bejahung von Weimar und Genf das selbstverständliche Fundament
ihrer Politik.
Die sozial und kulturell konservative Struktur der saarländischen Bevölke-
rung und die positiven Elemente, die im Saarstatut in der Bindung an den
Völkerbund lagen, hatten dazu geführt, daß der oft leidenschaftliche natio-
nale Kampf der politischen Parteien letztlich auf einer realistischen und ver-
nünftigten europäischen Friedenspolitik basierte. Als sich in Deutschland
der Nationalsozialismus durchsetzte, entzog dieser Vorgang der Politik der
saarländischen Parteien wesentliche Fundamente und mußte zu einer Krise
des gemeinsam gewonnenen politischen Bewußtseins führen.
18 Besonders bemerkenswert ist, daß auch die Deutschnationalen an der Saar sich an
dieser Entschließung beteiligten, während ihre Mutterpartei noch eine Versackungs-
politik verlangte und die Rechtskonspirationen in Bayern fortschritten.
19 S.Z. Nr. 245 v. 29. 9. 1923 „Das Saargebiet an die Brüder im Reich“.
20 Volksstimme Nr. 185 v. 11. 8. 1927.
21 S.L.Z. Nr..215 v. 11. 8. 1927.
22 Darauf wiesen die Sozialdemokraten wiederholt hin: Z. B. Landesrat d. Saargeb.,
Sten. Ber. v. 30. 6. 1925, S. 20; Volksstimme Nr. 186 v. 12. 8. 1927 „Der Verfassungs-
tag in Saarbrücken“.
23 S.Z. Nr. 217 v. 11. 8. 1927.
208
DRITTER TEIL
Die Auseinandersetzung der Parteien
mit der Frage der Rückgliederung
Erstes Kapitel
Die Rolle der saarländischen Parteien in den
deutsch-französischen Saarverhandlungen des Jahres 1929/30
1. Die Ausarbeitung eines Rückgliederungsprogramms durch die
saarländischen Parteien
Im Zuge der europäischen Verständigungs- und Friedenspolitik Briands und
Stresemanns gelangte auch die Saarfrage in eine neue Entwicklungsphase,
die in den deutsch-französischen Saarverhandlungen des Jahres 1929/30
gipfelte. Wie die saarländischen Parteien in den Jahren nach 1920 in der
Berufung auf das Ideengut des Völkerbundes die entscheidende Möglichkeit
zur Besserung der Saarverhältnisse erblickt hatten, so waren sie nun auch die
ersten, die in den sich wandelnden europäischen Verhältnissen ihre Forde-
rungen anmeldeten und politisch in die veränderte Konstellation einzu-
ordnen suchten. Dadurch gewannen die Parteien erneut außenpolitische Be-
deutung. In ihrer Stellungnahme zur Locarno- und Völkerbundspolitik
Stresemanns begannen sie — mit Ausnahme der Kommunisten — sofort ein
konkretes Programm für die endgültige Lösung der Saarfrage zu entwickeln.
Lange bevor Stresemann 1929 Briand die Zusage zu Saarverhandlungen
abrang und die damit zusammenhängenden Fragen von Deutschland und
Frankreich im einzelnen geprüft wurden, gab es klare Vorstellungen und
Pläne der saarländischen Parteien, die von weittragendem Einfluß auf die
deutsche Politik und ihre Verhandlungsposition wurden.
Das Programm der saarländischen Parteien erwuchs selbstverständlich und
rasch aus dem gemeinsamen nationalen Kampf und fußte auf dem Selbst-
bestimmungsrecht der Saarländer, die, wie man argumentierte, bereits in den
Landesratswahlen der Jahre 1922 und 1924 und in den Jahrtausendfeiern
des Jahres 1925 ihre Abstimmung zugunsten Deutschlands vollzogen hätten.
Die Neuorientierung mit dem Ziel einer vorzeitigen Rückgliederung zeigte
sich schon in der großen Locarnodebatte im saarländischen Landesrat am
17. November 1925. Locarno wurde grundsätzlich bejaht, aber die gesamte
Situation wurde primär unter dem Aspekt der Saarfrage gewürdigt. Der
Fraktionsführer der Zentrumspartei Levacher führte aus:
„Wir von der Saar haben alles Interesse, daß der Vertrag von Locarno ange-
nommen wird, denn es gibt — abgesehen vom Rheinland — kein Land, das der-
artig unter Zersplitterung und Haß der Länder gelitten hat wie das Saargebiet. Es
ist Zeit, und höchste Zeit, daß die Luft von der Atmosphäre dieses Hasses gereinigt
wird. Wir erhoffen weiter das Recht auf nationale Freiheit. Wir begrüßen in die-
sem Sinne den Vertrag von Locarno . . . Nachdem der Tag gekommen ist, an dem
sich Deutschland entschlossen hat, in den Völkerbund einzutreten, begrüßen wir
ihn um so mehr, denn das eine ist klar, es geht durch das Saargebiet eine Sehnsucht
nach der deutschen Heimat, die jeden Tag stärker wird, und wir als Vertreter der
Bevölkerung haben dazu beizutragen, daß die Sehnsucht gestillt wird. Wir sehen
211
kein Heil darin, daß man alle möglichen Pflästerchen auf unsere Wunden klebt1.
Wir wollen eine absolute Heilung, wir wollen die Rückkehr zu Deutschland, zu
Preußen und Bayern, bedingungslos und möglichst bald . . .“ 2.
In seinen weiteren Ausführungen vertrat Levacher die Auffassung, daß eine
Einigung zwischen Deutschland und Frankreich über die Rückgliederung der
Saar entscheidend sei, dann werde der Völkerbund, der an sich für die Saar
zuständig sei, auch ohne Schwierigkeiten zustimmen. In der Rede Levachers
zeichneten sich auch schon konkretere Vorstellungen ab. Eine Einigung könne
nicht auf Kosten der Kohlenschätze erfolgen, die Gruben dürften nicht
Gegenstand internationaler Spekulation werden und in die Hände inter-
nationaler Syndikate übergehen3. Die Rede des Sozialdemokraten Hoff-
mann4 stand stärker unter dem Eindruck der internationalen Bedeutung von
Locarno. Er zitierte aus den Reden um Locarno das Wort Briands von „der
europäischen Solidarität“, zu der Deutschland und Frankreich entschlossen
seien, und die Charakterisierung von Locarno als „Wendepunkt der Ge-
schichte“. Er betonte die Notwendigkeit der Verständigung und forderte
eine europäische Wirtschaftseinigung und Zollunion. In Locarno sah er aber
auch die Bestätigung der Nachkriegspolitik der Sozialdemokraten und er-
hoffte sich von dieser europäischen Politik gute Auswirkungen auf Rhein
und Saar, besonders das Verschwinden Raults und des „Saarpoincarismus“.
So schlug auch die Sozialdemokratische Partei sofort den Bogen zur Saar-
situation, aber die Ausführungen über die Saar bezogen sich bei aller Schärfe
der Formulierungen noch stärker auf die inneren Saarverhältnisse, denn auf
ein neues außenpolitisches Programm. Auch der Sprecher der Deutsch-Saar-
ländischen Volkspartei, Schmelzer, äußerte sich positiv zu Locarno und
hoffte auf Konsequenzen für die Saar, wies aber in realistischerer Einschät-
zung der Situation in Frankreich darauf hin, daß solche Rückwirkungen für
die Saar von der französischen Presse bestritten würden5. Der KPD-Abge-
ordnete Reinhard griff den Locarno vertrag an; er diene den Interessen der
Bourgeoisie und dem Imperialismus und bereite den Kriegsmarsch gegen
Rußland vor. Er wies zur Unterstreichung seiner Auffassung auf die natio-
1 Diese Wendung stellt eine Apostrophierung der Rede Briands bei der Unterzeichnung
des Locarnovertrages dar. Briand sagte: „... Entre nos deux pays, il reste des surfaces
de friction, il y a des points douloureux, il faut que le pacte signe soit un bäume sur
ces plaies...“ G. S u a r e z, Briand, Bd. 6, Paris 1952, S. 129.
2 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 17. 11. 1925, S. 3.
3 Ebenda, S. 4; Der Gedanke der Errichtung eines „Kondominiums“ an der Saar in der
Form von gemeinsamen französischen und deutschen Anteilen an den Saargruben
scheint zuerst von Colban den Vertretern des Saargebiets vorgeschlagen worden zu
sein. So stellte es Levacher bei einem Empfang der saarländischen Parteivertreter bei
Reichsaußenminister Curtius am 30. 11. 1929 dar (A. A. II Bes. Geb., Saargebiet, Rück-
gliederung Bd. 6, Stück 28 II SG 2597). Die oben genannten Darlegungen Levachers
sind 1925 nur verständlich, wenn solche Tendenzen bereits damals den politischen
Parteien bekannt waren. Die Darstellung Levachers v. 30. 11. 1929 dürfte deshalb
richtig sein. Ein Schreiben des A.A. v. 14. 10. 1924 spricht davon, daß das Völkerbund-
sekretariat und die Franzosen (Herriot) bereits damals für eine Rückgliederung ohne
Abstimmung waren, wenn die Gruben ein internationales Syndikat würden und einige
Dörfer an Frankreich kämen (AStA München, MW Nr. 8261).
4 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 17. 11. 1925, S. 11 ff.; dort auch die folgenden
Zitate.
5 Ebenda, Nachmittagssitzung v. 17. 11. 1925, S. 3.
212
nalrevolutionären Bewegungen in China, Britisch-Indien, Syrien und Ma-
rokko hin, die sich gegen den Imperialismus der Weltmächte richteten6.
Die Hoffnungen der saarländischen Parteien, daß die deutsch-französische
Annäherung eine baldige Rückgliederung möglich mache, erfuhren in den
Verlautbarungen und Gerüchten über das Gespräch Briand-Stresemann in
Thoiry am 17. September 1926 eine Bestätigung. Am 22. November verlieh
daraufhin der saarländische Landesrat in einer gemeinsamen Erklärung der
Zentrumspartei, der Sozialdemokratischen Partei und der Deutsch-Saarlän-
dischen Volkspartei den Wünschen der Saarbevölkerung klaren Ausdruck.
Die Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich wurde begrüßt, da
sie mit der Hoffnung verbunden sei,
„. . . daß das Saargebiet in friedlicher Vereinbarung zwischen Deutschland und
Frankreich möglichst bald dem übrigen Deutschland zurückgegeben wird“ 7.
Diese Vorstellungen der Saarbevölkerung wurden auch durch die Entspan-
nung der Saarsituation genährt. Die Erfolge der Politik in Genf wurden mit
dem Rücktritt Raults, der Einsetzung einer Kommission aus neutralen Mit-
gliedern und der Verminderung des französischen Militärs sichtbar8; die
Entwicklung auf dem Gebiet des Zollwesens, der Sozial- und Steuergesetz-
gebung hatte eine Periode wirtschaftlicher Prosperität eingeleitet9.
In dieser Situation vollzog sich besonders seit dem Eintritt Deutschlands in
den Völkerbund fast unmerklich eine Verlagerung der außenpolitischen
Tätigkeit der saarländischen Parteien. Wegen der Wirtschaftsfragen hatte
die Deutsch-Saarländische Volkspartei bereits unmittelbar und intensiv mit
Berlin verhandelt10; jetzt vertraten die Saardelegationen in Genf ihre An-
liegen primär bei Stresemann und der deutschen Ratsdelegation11. Deutsch-
land wurde als der natürliche und wirksame Anwalt für die Wünsche der
Saarbevölkerung in Genf betrachtet. Vor jeder Ratstagung fanden Bespre-
chungen mit den Vertretern der politischen Parteien in Berlin und außerdem
in Genf statt12. Dadurch wurden die Kontakte der saarländischen Partei-
führer mit den Ratsmitgliedern der anderen Länder und mit dem Sekreta-
riat des Völkerbundes weniger wichtig und in der Folge auch weniger ge-
pflegt13. Die Besprechungen mit der deutschen Delegation wirkten in einem
6 Ebenda, S. 31.
7 Ebenda, Sten. Ber. v. 22. 11. 1926, S. 1.
8 Vgl. dazu oben S. 83 f.
9 Vgl. dazu oben die Abschnitte über diese Gesetzesmaterien.
10 Röchling, Wir halten die Saar, S. 110 f.; Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 17. 11.
1925 (Nachmittagssitzung), S. 5.
11 Z. B. reichten am 25. 6. 1927 und am 8. 11. 1927 die politischen Parteien je eine Denk-
schrift über die Forderung der Rückgliederung und über den Eisenbahnerstreik nicht
an den Rat des Völkerbundes ein, sondern die Saardelegation übergab sie in Genf der
deutschen Delegation. Groten, a. a.O., S. 75. Im AStA München MW 16290 findet
sich eine Vormerkung v. 18. 11. 1926 über den Besuch des saarländischen Zentrums-
politikers Scheuer, der darlegte, daß die deutsche Delegation in Genf die Saarländer
veranlassen wollte, nicht mehr nach Genf zu kommen. Die Saarländer hätten durch-
gesetzt, daß sie weiter nach Genf führen, wollten aber nur mehr unmittelbare Be-
sprechungen mit der deutschen Delegation führen.
12 A. A. II Bes. Geb., Saargebiet, Bildung eines Saarausschusses, Bd. 1, II SG 757.
13 Katsch, a. a. O., S. 150.
213
begrenzten Umfang mäßigend auf die Forderungen der saarländischen Par-
teiführer in Genf ein, da Stresemann die Verteidigung der saarländischen
Belange im Zusammenhang mit der Gesamtsituation sah und den Partei-
führern gegenüber immer wieder betonte, daß die Saarfrage im Zuge einer
Gesamtlösung der außenpolitischen Probleme Deutschlands zu suchen sei14.
Die saarländischen Parteien sollten in enger Fühlungnahme mit dem Aus-
wärtigen Amt und der deutschen Reichsregierung stehen, ihre Tätigkeit sollte
aber nicht nur unterstützt, sondern auch in Einklang mit der offiziellen
deutschen Außenpolitik gebracht werden. So trat die Situation ein, daß nach
dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund dieses von sich aus keine ein-
zige Beschwerde über die Saar vor den Rat brachte. Beschwerden und Peti-
tionen der Saarbevölkerung gingen bis 1933 nur noch in wenigen Fällen
nach Genf15.
Mit der Verlagerung des Schwerpunkts der politischen Tätigkeit auf Ver-
handlungen mit den deutschen Vertretern und mit Berlin traten die Pro-
bleme eines weiteren demokratischen Ausbaues des Saarsystems zurück, und
man stellte sich in steigendem Maße auf die Rückgliederung ein. Wenn alle
Parteien in dieser Zielsetzung auch übereinstimmten, so differierten ihr Ver-
hältnis zur deutschen Außenpolitik und ihre auf die Rückgliederung zielende
Politik doch voneinander.
Die Sozialdemokratische Partei der Saar betonte immer wieder in den fol-
genden Jahren die Notwendigkeit der deutsch-französischen Verständigung
und sah Hemmnisse in einem Fortschritt dieser Politik in erster Linie vom
Gesichtspunkt der deutschen und internationalen Parteikonstellation her16.
Zwischen den französischen und saarländischen Sozialisten wurde ein gutes
Verhältnis gepflegt; in der sozialdemokratischen Presse wurde immer wie-
der auf Verständnis und Unterstützung durch die französischen Sozialisten
hingewiesen17. Die sozialdemokratischen Vertreter wurden im Landesrat
Initiatoren von Sympathieadressen an internationale sozialistische Verstän-
digungspolitiker wie Branting und Vandervelde18. Die Bejahung der Politik
der Verständigung führte bei dieser engen Verbindung mit dem Parteistand-
punkt aber auch zu einem doktrinären Idealismus, der reale Schwierigkeiten
und Möglichkeiten weniger untersuchte, als rasch mit mangelndem Inter-
nationalismus und mangelnder europäischer Gesinnung erklärte.
14 Dazu Besprechung Stresemanns mit den saarländischen Parteivertretern am 5. April
1927, A. A. II Bes. Geb., Saargebiet, Pol. Parteien, Bd. 2 e. o. II SG 749 u. II SG 852
und S.L.Z. Nr. 250 v. 15. 9. 1927 „Das Saarproblem der Lösung näher“.
15 Siehe Übersicht über die Denkschriften unten als Anlage 6, S. 347 ff.
16 Z. B. Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 11. 10. 1927, S. 204 f.; v. 31. 3. 1927, S. 8, u.
v. 3. 5. 1928, S. 12 f.
17 Vgl. dazu oben S. 184 f.
18 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 7. 1. 1925: Auf Antrag Dr. Senders wurde dem
schwedischen Ministerpräsidenten Branting anläßlich seiner Erkrankung ein Telegramm
gesandt, in dem dieser „unentwegter Kämpfer für die Verständigung der Völker“
genannt wurde. A. a. O., Sten. Ber. v. 31. 3. 1927: Danktelegramm an den belgischen
Sozialistenführer Vandervelde „für sein mannhaftes Eintreten für die unterdrückte
Saarbevölkerung“. (Es handelte sich um die Ratsdebatte bei Schaffung des internatio-
nalen Bahnschutzes.)
214
Die Zentrumspartei in ihrer starken Verwurzelung in breiten Schichten der
saarländischen Bevölkerung war auch am engsten auf die saarländischen
Probleme konzentriert; ihr schritt die Politik der internationalen Verständi-
gung unter den saarländischen Aspekten viel zu langsam voran. Sie drängte
zur Lösung der Saarfrage, die Schwierigkeiten, auf die Stresemann in seiner
Politik stieß, und sein wohlüberlegtes Vorgehen wurden nur schweren Her-
zens akzeptiert19. In dieser Partei tauchte deshalb auch der Gedanke auf, ob
nicht über die alten Genfer Wege etwas zu erreichen sei. Man propagierte
die Vorstellung, der Völkerbund solle die Initiative ergreifen und einen
Druck zur Bereinigung der Saarfrage ausüben. Diese Auffassung vertrat
besonders der Genfer Korrespondent der „Saarbrücker Landeszeitung“, Jo-
sef M. Görgen20. Er zog als Ausgangspunkt einer solchen Lösung den Arti-
kel 19 der Völkerbundssatzung heran, der lautete:
„Die Bundesversammlung kann von Zeit zu Zeit die Bundesmitglieder zu einer
Nachprüfung der unanwendbar gewordenen Verträge und solcher internationalen
Verhältnisse auffordern, deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden
könnte.“
Indem er die Entstehungsgeschichte dieses Artikels zurückverfolgte, erklärte
er ihn als Voraussetzung zur Lösung der Saarfrage. Wilson habe in seinem
ersten Entwurf von dem „offenkundigen Interesse der betreffenden Völ-
ker“, die assoziierten Mächte von der Anpassung an die „neu entstehenden
Verhältnisse“ und das Juristenkomitee, das anläßlich des bolivianisch-perua-
nischen Streitfalles sich mit dem Artikel befaßt habe, von „radikalen Ver-
änderungen“ „in moralischer und materieller Hinsicht“ als Voraussetzung
zur Anwendung des Artikels 19 gesprochen. Die radikalen Veränderungen
als Voraussetzung der Anwendung von Artikel 19 sah Görgen 1. in der
Wiederherstellung der nordfranzösischen Gruben und dem Umfang ihrer
Kohlenförderung, der über den in den Vorkriegsjahren hinausgehe, 2. in der
unhaltbaren Lage, die für die Saarwirtschaft durch ihre Einbeziehung in das
französische Zollsystem entstanden sei und die Frankreich in den Verein-
barungen vom 5. August 1926 mit dem Deutschen Reich über den Waren-
austausch zwischen Deutschland und dem Saarbeckengebiet selbst einge-
standen habe, und 3. in der moralischen Unhaltbarkeit des in Versailles
geschaffenen Status für die Saar, der durch den ständigen Protest der Saar-
bevölkerung gegen die „de facto Annexion“ zum Ausdruck komme. Diese
bestehe in der Trennung der Bevölkerung von ihren Bodenschätzen, in der
Auslieferung nicht nur der Kohlen, sondern auch der Bergarbeiter an den
französischen Staat. Die moralische Unhaltbarkeit sei auch dadurch gegeben,
19 Das zeigte sich besonders bei der Frage des internationalen Bahnschutzes, als die
Zentrumspartei mit dem Nachgeben Stresemanns nicht einverstanden war. Dazu S.L.Z.
Nr. 75 v. 17. 3. und Nr. 76 v. 18. 3. 1927; außerdem Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber.
v. 31. 3. 1927 und S.L.Z. Nr. 95 v. 6. 4. 1927 „Die Genfer Saardelegation bei Strese-
mann“.
20 S.L.Z. Nr. 276 v. 11. 10. und Nr. 278 v. 13. 10. 1927 „Ein Völkerbundsproblem“;
außerdem J. M. Gör gen, Die Volksabstimmung im Saargebiet, München 1927; die
folgenden Ausführungen stützen sich auf Kap. 7 dieser Studie: „Artikel 19 des Völker-
bund-Paktes und Saarabstimmung“, S. 100—117; dort auch die folgenden Zitate. Die-
selben Auffassungen über Artikel 19 vertritt auch Weber, a. a. O., S. 171 ff.
215
daß die französische Regierung inzwischen eingesehen habe, daß die These
von den 150000 Saarfranzosen, die in den Versailler Saarverhandlungen
von Clemenceau vertreten worden war, unhaltbar sei. Die Schwierigkeiten,
die Frankreich oder die Staaten der Kleinen Entente gegen eine Anwendung
des Artikels 19 in der Bundesversammlung machen könnten, seien durch den
Hinweis aus dem Wege zu räumen, daß dadurch kein Präzedenzfall für
andere Minoritäten geschaffen werde, da das Selbstbestimmungsrecht der
Saarländer und die Volksabstimmung im Vertrag garantiert seien. Nur um
eine Vorverlegung des Plebiszites solle es sich handeln. Die Bundesversamm-
lung könne also Deutschland und Frankreich den Wunsch vortragen, eine
Revision der Saarbestimmungen vor Ablauf der fünfzehn Jahre einzuleiten.
Görgen hoffte auf dieses „Engagement der internationalen Politik für die
Regelung der Saarfrage“. Deutschlands Aufgabe in Genf bestehe in der
Arbeit für die Anwendung des Artikels 19 auf die Saarfrage. Dieser Ge-
danke war bereits früher in den Landesratsdiskussionen aufgetaucht21 und
verschmolz mit den saarländischen Vorstellungen zu der Auffassung, daß
der Völkerbund und Deutschland als Mitglied eine Rechtsgrundlage zur
Durchsetzung einer frühzeitigen Saarrückgliederung hätten.
Die stärkste Annäherung an die Politik Stresemanns war bei der Deutsch-
Saarländischen Volkspartei gegeben. Sie bewahrte die Geduld und konzen-
trierte sich auf die Wirtschaftsprobleme und ihre Lösung im Falle einer bal-
digen Rückgliederung.
Während der drei Jahre, die zwischen Thoiry und dem Beginn der Saarver-
handlungen im November 1929 lagen, wurde eine vorzeitige Rückgliede-
rung nicht nur immer wieder von den saarländischen Parteien im Zusam-
menhang mit ihren parteipolitischen Zielen und der deutschen Außenpolitik
gefordert und erörtert22, sondern die Vorstellungen über die endgültigen
Regelungen zwischen Deutschland und Frankreich bei einer Rückgliederung
wurden immer konkreter. Ausgangspunkt blieb die nationale Position der
Revision des in Versailles geschaffenen Sonderstatus’ für die Saar. Das be-
deutete Rückgliederung in das Deutsche Reich und seine Länder, Aufhebung
der französischen Zollhoheit und Wiedereingliederung in den deutschen
Wirtschaftsverband und Rückkauf der saarländischen Kohlengruben durch
Deutschland. Es waren jene Maßnahmen, die das Saarstatut für 1935 bei
einem positiven Ausgang des Plebiszits für Deutschland vorsah. Dieselben
Vorstellungen waren auch bei Stresemann vorhanden und waren Basis aller
deutschen Überlegungen.
Zu dieser Grundposition traten jene Überlegungen, die aus den sozial- und
wirtschaftspolitischen Erfahrungen erwuchsen, die man in der Zeit des
Sonderregimes an der Saar gewonnen hatte. Man hoffte auf die Erfüllung
21 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 28. 4. 1923, S. 3f.; damals verlangte man, daß die
Regierungskommission sich für die Anwendung des § 19 einsetze.
22 Vgl. neben den bereits genannten Äußerungen über Locarno und den Eintritt Deutsch-
lands in den Völkerbund die programmatischen Erklärungen der Parteien am 3. 3. 1928
im Landesrat (Sten. Ber. v. 3. 3. 1928); außerdem S.Z. Nr. 36 v. 6. 2. 1928 (Saar-
Forderungen der Sozialisten) u. S.Z. Nr. 77 v. 19. 3. 1929 (Erklärung der Zentrums-
partei zur Rückgliederung); vgl. auch Wambaugh, a. a. O., S. 107.
216
jener Forderungen, die man zuvor vergebens erhoben hatte. Die Arbeiter-
schaft erwartete vor allem nach der Rückgliederung einen sozialpolitischen
Fortschritt durch die restlose Angleichung an das deutsche Arbeitsrecht; die
Bergleute hofften auf eine Erhöhung der Löhne, da die Ruhrarbeiter besser
bezahlt wurden23; man glaubte, daß eine zukünftige deutsche Verwaltung
der Bergwerke höhere Löhne ebenso leisten könne wie den nach saarlän-
discher Auffassung von den Franzosen vernachlässigten rationellen und mit
modernen Sicherungsvorkehrungen versehenen Ausbau der Gruben24. Eine
Berücksichtigung dieser Wünsche war bei der Rückgliederung nur zu erwar-
ten, wenn das Deutsche Reich, der preußische und der bayerische Staat sich
ihrer systematisch annahmen25, und auf jene erhöhte Gewinnquote verzich-
teten, die nach Meinung der Saarländer der französische Staat aus den Gru-
ben gezogen hatte. Deshalb wurde vor allem für die beiden Parteien, die in
der Arbeiterschaft verwurzelt waren, Zentrum und Sozialdemokraten, die
Rückführung der Bergwerke in preußischen und bayrischen Staatsbesitz aus
sozialpolitischen Gesichtspunkten eine Notwendigkeit. Die Sozialisten ver-
traten außerdem den Staatsbesitz aus grundsätzlichen Erwägungen und
nahmen besonders scharf gegen eine Möglichkeit der Privatisierung der Saar-
gruben Stellung. Zur Verteidigung ihrer Auffassung wiesen sie selbst auf die
gute Sozialpolitik der preußischen Gruben Verwaltung im 19. Jahrhundert
hin26. Die Sorgen der Deutsch-Saarländischen Volkspartei, also der Ver-
tretung der Industriellen und der führenden deutschen Wirtschaftskreise an
der Saar, galten der Vermeidung von Rückschlägen bei der Wiedereinglie-
derung in das deutsche Wirtschaftssystem. Vor allem sollte die Verbindung
zwischen lothringischer Minette und Saarkohle bestehen bleiben; Absatz-
und Transportschwierigkeiten für die Saarkohle und die Produkte der saar-
ländischen Eisen- und Stahlindustrie sollten überwunden und die Vorteile,
die aus den deutsch-französischen Zollvereinbarungen entsprungen waren,
erhalten, wenn nicht gar erweitert werden; überdies wünschte man, daß das
saarländische Steuersystem vorläufig nicht verändert werde. Maßgebende
Vertreter der Deutsch-Saarländischen Volkspartei wie Kommerzienrat Röch-
ling und der Syndikus der Handelskammer, Lütke, wandten sich mit ent-
sprechenden Denkschriften an das Auswärtige Amt in Berlin27. Auch ver-
23 Herr-Jahns, „Die Kohlenlagerstätte und der Bergbau an der Saar“ in Kloeve-
korn, a. a. O., S. 109.
24 Ebenda, S. 201 u. 206 f.; außerdem Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 17. 11. 1925,
S. 9, u. v. 31. 3. 1925, S. 6.
25 Herr-Jahns, a. a. O., S. 213 ff.
26 Uber die Haltung der Sozialisten zu diesen Problemen orientiert zusammenfassend ein
Aufsatz, den M. Braun während der Saarverhandlungen veröffentlichte, „Die außen-
politische Lösung des Saarproblems vom Standpunkt der saarländischen Arbeiterschaft“
in: Der Weg zur Freiheit, Zeitschrift für Außenpolitik, 10. Jg., Nr. 10, Berlin 1930,
S. 51—54; Bemerkung über die preußische Sozialpolitik, S. 54.
27 A. A. II Bes. Geb., Saargebiet, Rückgliederung Bd. 1, e. o. II SG 1179 Denkschrift von
Lütke, Die wirtschaftlichen Probleme der Rückgliederung des Saargebietes, 2. Fas-
sung v. 17. 6. 1929; ebenda Bd. 2 II SG 1478, H. Röchling, Der Saarkohlenbergbau,
seine Lage und Aussichten, Juli 1929. Denkschrift Lütke auch AStA München MK
15 587 u. MInn 47 091.
217
schiedene Kommunen reichten ähnliche Eingaben ein28. So sollten nach der
Auffassung der saarländischen Wirtschaftskreise neben den Sozialforde-
rungen der Arbeiterschaft eine systematische deutsche Wirtschafts-, Ver-
kehrs-, Zoll- und Handelspolitik stehen, die der Saarwirtschaft Hilfe brin-
gen und ihr eine entscheidende Erweiterung ermöglichen sollte. In einer
solchen Regelung wäre Frankreich der Bezug von Saarkohlen und der
Absatz von Lebensmitteln aus Lothringen weiter möglich gewesen. Im Blick-
feld aller saarländischen Parteien standen aber nicht Möglichkeiten eines
wirtschaftlichen Entgegenkommens gegenüber Frankreich, sondern die na-
tionale Rückgliederung und die Erfüllung ihrer sozialen und wirtschaft-
lichen Wünsche.
Das Drängen der saarländischen Parteien auf eine baldige Rückgliederung
und ihr Bemühen um die Erfüllung ihrer Forderungen erhielt ein national
leidenschaftliches Gepräge, als am 18. Mai 1928 die Association Française
de la Sarre gegründet wurde29 und in der saarländischen Presse sich die
Berichte über ihre Tätigkeit und die Auseinandersetzungen mit ihren For-
derungen häuften30. Diese Gesellschaft wollte das Interesse der französischen
Öffentlichkeit und maßgebender politischer Kreise auf die Saar lenken und
forderte eine aktive französische Saarpolitik, die an der Saar durchaus eine
Chance zum Erfolg habe. Sie verbreitete jene Ideen, die der französischen
Politik bei Abschluß des Friedens und in den Jahren des französischen Ein-
flusses an der Saar die moralische Basis geliefert hatten31. Der Schriftführer
der Association Française, Robert Herly, war ihre eigentliche Seele. Er
berief sich in seiner reichen publizistischen Tätigkeit32 immer wieder auf die
historischen, gefühlsmäßigen und praktisch militärischen Gründe, die Frank-
reich habe, die Grenzen von Waterloo nicht anzuerkennen33. Er wies auch
darauf hin, daß Deutschland trotz seiner Verluste in Elsaß-Lothringen, in
28 Ebenda, auf diese Eingaben weist die Denkschrift von Lütke auf S. 21 hin; sie
wurden im Januar 1927 eingereicht.
29 Uber die Gründung berichtet z. B. S.Z. Nr. 136 v. 19. 5. 1928 „Zur Verteidigung der
Rechte Frankreichs — im Saargebiet“.
30 Aus der Fülle der Artikel über die Association Française sei hier nur auf einige in der
S.Z. verwiesen: S.Z. Nr. 168 v. 21. 6. 1928 „Ausgeburten der neuen Propaganda“;
Nr. 178 v. 1. 7. 1928 „Franzosen im Saargebiet“; Nr. 205 v. 28. 7. 1928 „Frankreichs
Interesse am Saarmarkt“; Nr. 338 v. 11. 12. 1928 „Raubvögel über dem Völkerbund“;
S.Z. Nr. 6 v. 7. 1. 1929 „Das ,historische Recht' Frankreichs auf das Saargebiet“;
Nr. 12 v. 13. 1. 1929 „Die französischen Kriegspensionen und die Saargruben“; Nr. 19
v. 20. 1. 1929 „Hier Aas — dort Ideal“; Nr. 49 v. 19. 2. 1929 „Eins und unteilbar“.
31 Besonders die Publikationen von Revire (Herly) enthalten die ursprünglichen fran-
zösischen Vorstellungen. Sie waren Basis fast aller Veranstaltungen und Publikationen
aus Kreisen der Association Française. Von einem für 1928 besonders krassen Fall
berichtete die S.Z. (Nr. 91 v. 4. 4. 1929). Sie bringt die Übersetzung eines Artikels im
„Victoire“ vom 2. 4. 1929, in dem von den „Eingeborenen“ die Rede ist, die „von
einer Schicht von Einwanderern überdeckt“ wurden, von einer „französischen Minder-
heit an der Saar“, der eine „preußisch-deutsche Minderheit“ gegenüberstehe. Dazwischen
stehe die Masse der Bevölkerung, die nicht wisse, „zu welcher Nation ihre Großeltern
gehörten“ und die „oberflächlich die deutsche Kultur angenommen“ habe.
32 Diese Tätigkeit wuchs zur Vorbereitung der deutsch-französischen Verhandlungen an
und setzte sich bis zur Abstimmung 1935 fort. Ab 1928 kam es zu einer Reihe neuer
französischer Veröffentlichungen über die Saarfrage.
33 J. Re vire, „Que sommes-nous allés faire en Sarre?“ in „L’Ami du Peuple“ v. 3. 11.
1929.
218
Oberschlesien und an der Saar wirtschaftlich seine Vorkriegsstärke wieder
erreicht habe34. Eine Rückgliederung der Saar verschiebe die schwerindu-
strielle Gewichtsverteilung zugunsten Deutschlands. Er kämpfte deshalb
gegen jede vorzeitige Lösung der Saarfrage35. Clemenceau und Poincaré
wurden in den Kreisen der Association Française verherrlicht, Briand wurde
als gefährlich bezeichnet und das französische Nachgeben seit 1924, die
französische Passivität an der Saar36 und der Standpunkt der französischen
Sozialisten in der Saarfrage37 wurden verurteilt. Die Chance für eine fran-
zösische Saarpolitik wurde in den guten wirtschaftlichen Verhältnissen an
der Saar gesehen, dann in der Tatsache, daß die Weltwirtschaftskrise sich
zunächst an der Saar nicht so stark auswirkte wie in Deutschland38. Man
hielt deshalb die Gewinnung eines Teiles der Saar für Frankreich39 für mög-
lich und stellte im übrigen die beachtlichen Vorteile Frankreichs im Falle
einer Abstimmung für die Aufrechterhaltung des internationalen Verwal-
tungszustandes heraus40. Durch die militärischen und schwerindustriellen
Aspekte brachte die Association Française die Saarfrage in engste Beziehung
zum Problem der französischen Sicherheit41, das stets erneut die Rechtskreise
beunruhigte.
Die stärkste politische Sekundierung erfuhr das Bestreben der Association
Française durch die Tätigkeit an der Saar interessierter französischer Wirt-
schaftskreise und bestimmter Politiker, als die Saarverhandlungen näher-
rückten. Die Association Française de la Sarre hatte die Aktivierung dieser
Kreise als ihre besondere Aufgabe angesehen42. Im Frühjahr und Sommer
des Jahres 1929 erschienen eine Reihe von Artikeln in der französischen
Presse, und Vorträge wurden gehalten, in denen sich das klar abzeichnete.
Am 6. März forderte der Senator Maurice Ordinaire im „Capital“ einen
Status nach dem Vorbild Danzigs als endgültige Lösung für die Saar43.
Drouard, der Leiter der französisch-saarländischen Handelskammer, hielt
am 24. Mai 1929 in der Handelshochschule in Paris einen Vortrag über das
Saarproblem, in dem er die Intensität der französisch-saarländischen Wirt-
schaftsbeziehungen darlegte44. Emile Fleury, der Leiter der Abteilung soziale
Fürsorge der französischen Grubenverwaltung im Saargebiet, sprach am
34 J. Re vire, „La petite Sarre important trait d’union international“ in „Matin“ v.
4. 2. 1929.
35 Ders., „La politique allemande et la Sarre“, in „Journal de l’Est“ v. 27. 6. 1929.
36 So bes. ders., Perdrons-nous la Sarre? S. 71 f., S. 87 f.; S. 90 f.; vgl. auch S.Z. Nr. 166
v. 20. 6. 1929.
37 Revire, Perdrons-nous la Sarre? S. 86f. u. S. 103f.
38 Ebenda, S. 108; außerdem F. Eccard, L’Aspect économique du problème sarrois, in
Revue Politique et Parlementaire Bd. CXLV (1930), S. 169—184; bes. S. 176 u. S. 180.
39 S.Z. Nr. 91 v. 4. 4. 1929.
40 Bes. Revire, „La petite Sarre important trait d’union international“, der Artikel
identifiziert Interesse Frankreichs und Völkerbundsgeist; außerdem F. de Witt-
Guizot, La question de la Sarre, in: Revue des Deux Mondes, Bd. CIII v. 15. 10.
1929, S. 792.
41 Witt-Guizot, a. a. O., S. 788.
42 Auf diese Möglichkeiten hatte besonders Bommelaer hingewiesen, vgl. dazu S.Z.
Nr. 91 v. 4. 4. 1929.
43 „Sarre et Société des Nations“ in „Le Capital“ v. 6. 3. 1929.
44 S.Z. Nr. 140 v. 25. 5. 1929.
219
13. Juni 1929 in der „Fédération des industriels et commerçants français“ in
Paris über die Notwendigkeit einer französischen Propaganda an der Saar
und umriß die Gefahren für die nationale Sicherheit aus der militärischen
und strategischen Lage des Saargebietes45. Die Forderungen der Wirtschafts-
kreise, die der Association Française am nächsten standen, wurden von
Chariot, der Deputierter der Côte d’Or und gleichzeitig Vizepräsident der
Grubenkommission der französischen Kammer war, in einem Artikel46 des
„Capital“ vom 20. Juni 1929 formuliert: Frankreich habe Ansprüche auf
die Saargruben auf Grund der bedeutenden Arbeit, die seine Ingenieure vor
1810 in den saarländischen Bergwerken geleistet hätten. Die Forderungen
der sozialistischen Abgeordneten und die Erwägungen von Thoiry seien
abzulehnen. Die wirtschaftlichen Vorteile des gegenwärtigen Zustandes seien
Frankreich auf jeden Fall bis 1935 sicher. Deutschlands Beitritt zum Völker-
bund garantiere nicht, daß es in dem Bund bleibe, die Stellungnahme der
Saarbevölkerung zugunsten Deutschlands sei nicht sicher. Eine kluge fran-
zösische Politik setze sich für eine Verbesserung der freiheitlichen Zustände
an der Saar ein und trage damit dem Geist von Locarno Rechnung. So seien
Völkerbundspolitik und französischer Grubenbesitz miteinander zu ver-
einen. Die Formel für die Politiker müsse lauten:
„La France doit tout faire pour garder la propriété des mines domaniales dans un
état, neutralisé politiquement, sous le contrôle de la Société des Nations“ 47.
Im Dezember 1929 überreichte Chariot ein ausführliches Gutachten an die
Kammerkommission für Gruben und Auswärtige Angelegenheiten. Die
Schlußfolgerungen dieses Gutachtens lauteten:
,,a) Ou bien conserver le «status quo» actuel, en améliorant les droits politiques
des Sarrois et en ne conservant avec la Société des Nations que le lien minimum
d’un haut commissaire agent de liaison. Du même coup, la question douanière et
la question charbonnière se trouvent réglées.
b) Très subsidiairement, — et sans se prononcer soit sur le retour politique de la
Sarre à l’Allemagne, soit sur le prix probable de rachat —, concession des mines
domaniales à une Société internationale, dont seraient exclus les capitaux privés
et admis seulement les capitaux d’État, dans la proportion des besoins en charbon
des intéressés, les status de cette Société internationale devront faire l’objet d’un
examen approfondi d’experts qualifiés“ 48.
Die Verteilung der Kapitalinvestition nach den Bedürfnissen der verschie-
denen Länder dachte er sich wie folgt: Frankreich 42 Prozent, Saar 36 Pro-
zent, Deutschland 8 Prozent, Schweiz 4 Prozent, Belgien-Luxemburg 3 Pro-
zent, Italien 5 Prozent und Österreich 1 Prozent.
Wenn die Association Française de la Sarre und ihre Tätigkeit und die Ver-
lautbarungen Chariots auch nicht mit der offiziellen französischen Außen-
politik identifiziert werden können und ihre Resonanz in Frankreich nicht
45 S.z. Nr. 160 V. 14. 6. 1929.
46 „Le Problème sarrois“, Le Capital v. 20. 6. 1929; außerdem S.L.Z. Nr. 174 v. 28. 6.
1929 „Französische Absage an die Saar-Rückgliederung“; ein weiterer Artikel Char-
iots „Gardons les mines de la Sarre“ in Le Capital v. 22. 8. 1929.
47 Le Capital v. 20. 6. 1929 „Le Problème sarrois“.
48 Le Capital v. 20. 12. 1929 „La Question Sarroise“; auch für die folgenden Ausfüh-
rungen.
220
überschätzt werden darf, so wurde ihre Tätigkeit für die Entwicklung des
politischen Klimas an der Saar vor und während der Saarverhandlungen
von Bedeutung. In solchen Bemühungen erkannte man an der Saar mit
Recht ein neues Programm französischer Rechtskreise, das die Saarverhand-
lungen verhindern oder erschweren, eine frühzeitige Lösung vereiteln und
den Kampf um die Saar durch die vorgeschlagene status-quo-Lösung erneut
entfachen sollte. Die politische Erregung im Saargebiet wuchs, und für die
bevorstehenden Saarverhandlungen wurde auch aus nationalpolitischen
Gründen leidenschaftlich jede Beteiligung französischen Kapitals an den
Saargruben oder eine Privatisierung der Gruben abgelehnt. Das Bekannt-
werden der Warndtpachtverträge49 ließ die Befürchtungen wachsen, die
Franzosen wollten auf dieser Basis und auf Grund der Abhängigkeit der
Warndtarbeiter, die auf lothringischen Gruben arbeiteten, sich wenigstens
dieses Gebiet sichern50. In dieser Situation kam es zu programmatischen Er-
klärungen der Parteien, vieler Verbände und Gemeinden zu den bevor-
stehenden Saarverhandlungen51. Vor allem setzte der Druck der saarlän-
dischen Parteiführer auf die deutschen Mutterparteien ein, die ebenfalls zu
grundsätzlichen Erklärungen über die Forderungen bei einer frühzeitigen
Saarrückgliederung schritten und damit der öffentlichen Meinung an der
Saar und in Deutschland eine große Geschlossenheit in ihrem Saarprogramm
vermittelten52.
Die saarländischen Parteien hatten in den Jahren von 1926 bis 1929 immer
wieder die Aufmerksamkeit des Deutschen Reiches, Frankreichs und der
anderen europäischen Mächte auf ihren Wunsch einer vorzeitigen Rückglie-
derung gelenkt. Sie wurden dadurch zu beredten Vertretern jener Vorstel-
lung, daß eine Politik der europäischen Verständigung und Befriedung be-
gleitet sein müsse von einer Revisionspolitik, insbesondere von der Beseiti-
49 Die Gruben Frankenholz (am 30. Okt. 1920), Carlsbrunn (am 10. Mai 1924) und
Großrosseln (am 1. Juli 1927) waren an die französische Industrie verpachtet worden.
Die Pachtverträge enthielten Vorbehalte für das Jahr 1935. Abschriften in A. A. II
Bes. Geb., Saargebiet, Rückgliederung, Bd. 7.
50 A. A. II Bes. Geb., Saargebiet, Rückgliederung, Bd. 2, Nr. 13; II SG 1514, Gutachten
des preußischen Ministers für Handel und Gewerbe v. 31. 7. 1929, S. 2. Landesrat d.
Saargeb., Sten. Ber. v. 11. 10. 1927, S. 193; vgl. außerdem Weber, a.a.O., S. 179ff.
51 А. А., а. а. O-, finden sich viele Resolutionen von saarländischen Parteien, Gemeinden
und Verbänden, die alle Rückgliederung und Grubenbesitz für Preußen und Bayern
forderten: Bd. 1,8; 1,12; 1,14; 1,32; Bd. 2,14; 2,16; Bd. 3,26; 3,36; Bd. 3,41/42; 3,49;
Bd. 4,8; 4,27; 4,39; 4,74. Anläßlich des zehnjährigen Bestehens des Versailler Vertrages
fanden am 28. Juni 1929 in Saarbrücken große Kundgebungen statt, bei denen die
Rückgliederung gefordert und die entsprechenden Bedingungen genannt wurden, dazu
Wambaugh, a. a. O., S. 107.
52 Dazu Journal de Genève v. 7. 7. 1929 „La question de la Sarre devant l’opinion alle-
mande“; in den großen deutschen Zeitungen, besonders der Frankfurter Zeitung, der
Kölnischen Zeitung, der Germania, der Vossische Zeitung und der Berliner Börsen-
zeitung erschienen regelmäßig Artikel, die denselben Standpunkt vertraten wie die
Saarparteien. Der Einfluß der Saarparteien auf die Mutterparteien zeigte sich vor und
während der Verhandlungen besonders stark bei der SPD. Braun entwickelte das
saarländische Programm auf dem Parteitag in Magdeburg im Juni 1929 (A. A. II
Bes. Geb., Saargebiet, Rückgliederung, Bd. 1, St. 8); Breitscheid sogar in Frankreich
(ebenda, Bd. 1, St. 32; Hilferding widersprach im August in Den Haag bereits dem
Franzosen Loucheur in der Grubenfrage unter Hinweis auf die saarländische Berg-
arbeiterschaft (ebenda, Bd. 3, St. 20).
221
gung des Saarunrechts von Versailles. Dadurch besaß die Politik Strese-
manns an der Saar eine feste und unersetzbare Basis. Darüber hinaus stellten
aber die saarländischen Parteien durch die Entwicklung eines konkreten
Programmes für die Erfüllung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Forde-
rungen, das ganz auf den saarländischen Verhältnissen fußte, das Deutsche
Reich und die deutschen Länder vor eine Reihe schwieriger Probleme und
Aufgaben in einem Augenblick, da eine baldige Rückgliederung in greifbare
Nähe rückte. Außerdem schufen die konkreten Festlegungen der saarlän-
dischen Parteien für das Deutsche Reich die Situation, daß es bei Verhand-
lungen mit Frankreich diese weitgehend berücksichtigen mußte, da es sich
einer wesentlichen Basis seiner Gesamtpolitik nicht berauben konnte.
Die Tatsache, daß Saarpläne und Saarprogramme auf französischer Seite in
diesen Jahren nicht durch die Regierung entwickelt, sondern primär von der
Association Française, wirtschaftlichen Interessenten und Rechtskreisen vor-
gelegt wurden, hatte die Fixierungen der Saarparteien bis in alle Einzel-
heiten vorangetrieben und allen ihren Forderungen den Stempel nationaler
Grundsätze aufgedrückt. Es gab dadurch auf saarländischer Seite kaum noch
einen offenen Spielraum für den Fall von Verhandlungen zwischen Deutsch-
land und Frankreich. Alle französischen Verhandlungsvorschläge mußten
zudem ständig in das Licht der anfänglichen französischen Saarpolitik und
der Pläne der Association Française rücken. Die Saarländer erwarteten von
Frankreich einen klaren Verzicht auf eine unhaltbare Position. Ihre Kampf-
mittel für dieses Ziel waren, da ihnen andere fehlten, die einer moralischen
und ideellen Begründung ihrer Forderungen und ihre unermüdliche Propa-
gierung. Das erfüllte die Atmosphäre an der Saar auch in jenen Jahren der
europäischen Verständigungspolitik stets von neuem mit politischer Erregung
und erweckte bei Außenstehenden den Eindruck einer breiten deutschen
Propaganda. Solche Deutungen des Phänomens, besonders auch von fran-
zösischer Seite, verkannten die Situation. Zwar sprachen saarländische und
deutsche Parteiführer immer wieder auf Kundgebungen und riefen Demon-
strationen hervor, besonders in Zusammenarbeit mit dem Bund der Saar-
vereine, aber all das war nur möglich, weil Bevölkerung, Parteien und
Organisationen an der Saar in propagandistischen Aktionen ihre große, un-
verkennbare Einflußmöglichkeit auf die europäische Politik zugunsten der
Saar erblickten.
2. Das Programm der deutschen Reidhsregierung für die Saarverhandlungen
In die Gesamtkonzeption der Stresemannschen Außenpolitik gehörte auch
die Lösung der Saarfrage durch eine vorzeitige Rückgliederung. Sie sollte im
Zusammenhang mit der Räumung des Rheinlandes und der Neuregelung der
Reparationen erreicht werden. Locarno, das Frankreich in der Frage der
Sicherheit entlastete, hatte nach seiner Auffassung den Weg zu einer Gesamt-
bereinigung des deutsch-französischen Verhältnisses freigelegt. In Thoiry
wurde deshalb von Stresemann ein finanzielles Entgegenkommen durch die
Mobilisierung der Eisenbahnobligationen von deutscher Seite für Rheinland-
222
räumung, Saarbefreiung und Rückkauf der Saargruben in Aussicht genom-
men53, Als sich die Hoffnungen, die sich an Thoiry knüpften, nicht erfüllten,
mußte Stresemann die saarländischen Parteien, mit deren Zielsetzung er
grundsätzlich übereinstimmte, immer wieder auf einen geeigneten Zeitpunkt
zur Lösung der Saarfrage vertrösten und bei ihnen Verständnis für die
Relation der Saarfrage zu den übrigen Problemen der deutschen Außen-
politik wecken54. Da die Fragen der Rheinlandräumung und der Reparatio-
nen eine internationale Angelegenheit waren, wurde ihre Lösung nicht durch
deutsch-französische Verhandlungen, sondern beim Völkerbund betrieben.
Deutschland erreichte im September 1928 die Zusage von Verhandlungen
über die vorzeitige Rheinlandräumung und die Gesamtregelung der Repa-
rationsfrage55. Während man diese Anliegen verfolgte, wurde die Saarfrage
nicht in deutsch-französischen Gesprächen weitererörtert, sondern die deutsche
Seite ließ sie ruhen, bis die Verhandlungen über die anderen Probleme lie-
fen. In dem Augenblick, da internationale Konferenzen über Rheinland-
räumung und Reparationen bevorstanden, war nach Stresemanns Konzep-
tion auch der Zeitpunkt gekommen, die Saarfrage zu lösen. In einem ge-
heimen Erlaß vom 23. Mai 192956 an die deutschen Botschafter in Paris und
London legte er dar, daß er sie mit den bevorstehenden internationalen Ver-
handlungen zu verknüpfen und zu lösen denke. Dieser Plan Stresemanns
stieß auf heftigen Widerstand Frankreichs. Bei der Tagung des Völkerbundes
im Juni 1929 in Madrid betonte Briand, daß es unmöglich sei, die Rhein-
landfrage mit dem Saarproblem in direkten Zusammenhang zu bringen.
Eine vorzeitige Lösung der Saarfrage sei eine rein deutsch-französische An-
gelegenheit57; sie in diesem Augenblick zu lösen, zeigte er sich wenig geneigt,
weil sie sehr schwierig sei und ein politisches Problem darstelle58. Auch in
den anschließenden Besprechungen mit dem deutschen Botschafter von
Hoesch in Paris betonte Briand die Schwierigkeiten, in der Saarfrage voran-
zukommen59. Der französische Ministerrat sprach sich im Juli 1929 einstim-
mig dahingehend aus, daß sie „ein allein zwischen Deutschland und Frank-
reich zu diskutierendes und zu lösendes Problem darstelle und daß sie des-
halb im Konferenzprogramm nicht figurieren könne"60. Auch die Versuche
Deutschlands, England für die Erörterung der Saarfrage auf der bevor-
stehenden Konferenz zu gewinnen, scheiterten an der englischen Ableh-
nung61. Von Hoesch konnte in Paris auch nicht die Zusage Briands zu un-
verbindlichen und geheimen Sachverständigenbesprechungen über das Saar-
problem erhalten, sondern konnte nur mitteilen, daß Briand bereit sei, mit
53 G. Stresemann, Vermächtnis, hrsg. von H. Bernhard, W. Goetz u. P. Wiegier,
Berlin 1933, 3. Bd., S. 15 ff.
54 Siehe dazu S. 213 ff. oben.
55 S u a r e z, a. a. O., Bd. 6, S. 295.
56 A. A. II Bes. Geb., Saargebiet, Rückgliederung, Bd. 1, II SG 958.
57 S.Z. Nr. 157 v. 11. 6. 1929 „Räumt Rheinland und Saargebiet“.
58 A. A. II Bes. Geb., Saargebiet, Rückgliederung, Bd. 1, II SG 1082.
59 Ebenda, Telegramme Hoeschs vom 1. 7. und 9. 7. 1929.
60 Ebenda, Telegramm v. 9. 7. 1929.
61 Ebenda, II SG 1170.
223
Stresemann über die Angelegenheit zu sprechen62. Trotz dieser Schwierig-
keiten hielten Stresemann und das Auswärtige Amt an der Konzeption fest,
daß die Frage jetzt gelöst werden müsse. Auch weite Kreise der öffent-
lichen Meinung Deutschlands waren bereits ganz in dem Sinne der Verbin-
dung von Youngplan, Rheinlandräumung und Saarlösung festgelegt63. Prä-
lat Kaas veranlaßte in Koblenz eine Resolution der Zentrumspartei, in der
die Zustimmung zum Youngplan von der gleichzeitigen Lösung der Saar-
frage abhängig gemacht wurde64. Auf Grund des deutschen Druckes fand in
Den Haag nicht nur ein Gespräch Briands mit Stresemann über das Saar-
problem statt65, sondern auch zwischen einzelnen deutschen und französi-
schen Delegationsmitgiiedern wurden schon mögliche Lösungen erörtert66.
Zwischen Briand und Stresemann kam eine Vereinbarung zustande, die in
Deutschland und vor allem an der Saar große Hoffnungen auf eine rasche,
endgültige Lösung der Saarfrage weckte. Der Text des gleichlautenden, zwi-
schen den Ministem ausgetauschten Briefes war folgender:
„Monsieur le Ministre et cher collègue,
Me référant à nos conversations sur un règlement rapide du problème de la Sarre,
j’ai l’honneur de confirmer à Votre Excellence par la présente que nous sommes
d’accord que les questions de détail se rattachant à ce problème, tous les droits
politiques de la population sarroise réservés, devront faire l’objet de négociations
franco-allemandes qui pourront commencer déjà à Paris et qui se poursuivront,
autant que possible, sans interruption.“ 67
Im Monat September rief daraufhin das Auswärtige Amt in Berlin noch-
mals eine Konferenz zusammen, an der Staatssekretär von Simson als vor-
gesehener Delegationschef für die Saarverhandlungen und Vertreter aller
mit Saarfragen befaßten Ressorts des Deutschen Reiches und der Länder
Preußen und Bayern teilnahmen. Diese Konferenz hatte ebenso wie die
Chefbesprechung der Reichsminister am 17. September nur mehr den Sinn,
die deutsche Verhandlungsposition definitiv abzugrenzen68. Die eingehende
Erörterung aller grundsätzlichen Fragen hatte auf Initiative des Auswär-
tigen Amtes bereits vor den Besprechungen in Den Haag stattgefunden.
Arbeitsgremien waren in den Reichsressorts und in den Preußischen Mini-
sterien gebildet und Gutachten ausgearbeitet worden69. Diese Gespräche und
62 Ebenda, Bd. 2, II SG 1475, Telegramm Hoeschs v. 31. 7. 1929.
63 2. B.: Volksstimme Nr. 142 v. 22. 6. 1929; A. A. a. a. O., Bd. 2, St. 10, hier Bericht
über die Tätigkeit des Bundes der Saarvereine, der auch die Verbindung von Young-
plan, Rheinlandräumung und Saarfrage verlangte; ebenda, Bd. 1, St. 14 u. 32.
64 Dazu A. A., a. a. O., Bd. 3, St. 20 u. 55; Bd. 5, II SG 2477.
65 Ebenda, Bd. 2, II SG 1573.
66 Ebenda, Bd. 2, II SG 1673; Bd. 3, II SG 1820 u. e.o. II SG 1858.
67 Ebenda, Bd. 2, II SG 1727: Das frz. Original wird wörtlich angeführt, da es sich von
dem bisher publizierten Text etwas unterscheidet. Vgl. dazu den Text bei Wam-
baugh, a. a. O., S. 107, Anm. 6.
68 A. A., a. a. O., Bd. 3, II SG 1809 (Niederschrift über die Sitzung im A. A. am 12. 9.
1929) u. II SG 1858 (Niederschrift über die Besprechung der Reichsminister).
69 Ebenda, Bd. 1, St. 25: Protokoll über die große Sitzung im A.A. am 26. 6. 1929 unter
dem Vorsitz von Legationsrat von Friedberg, an der Vertreter des Reichswirtschafts-
ministeriums, des Reidisfinanzministeriums, der Preußischen Ministerien für Handel
u. Gewerbe, für Finanzen, des Innern u. a. teilnahmen. Protokolle über weitere Be-
sprechungen in den Reichsministerien und Gutachten ebenda, Bd. 1, St. 39 u. 40;
Bd. 2, St. 12 u. 13.
224
Gutachten hatten sich in den Bahnen bewegt, die Stresemann bereits in
seinem Maierlaß vorgezeichnet hatte, und fanden ihren Niederschlag in dem
deutschen Saarmemorandum70, das man Briand am 8. August in Den Haag
überreichte. Man war bereit, Frankreich große Kohlelieferungen von der
Saar zu garantieren und durch zollpolitische Vereinbarungen ein wirtschaft-
liches Übergangsregime zu schaffen, das französischen Wünschen entgegen-
kam. Im 4. Absatz des deutschen Memorandums war der Weg zur Realisie-
rung des entscheidenden deutschen Verhandlungszieles genannt, ein gemein-
samer Antrag Deutschlands und Frankreichs an den Völkerbund zur Ab-
lösung des Saarsonderstatus’. In den Gesprächen in Berlin war auch erörtert
worden, wie man sich gegenüber französischen Wünschen zur Beteiligung an
den Saargruben verhalten solle. Während in einer Besprechung im Reichs-
wirtschaftsministerium am 29. Juni eine solche Möglichkeit nicht ganz zu-
rückgewiesen wurde71, lehnten die endgültigen Stellungnahmen, insbeson-
dere die Gutachten des Reichswirtschaftsministeriums vom 31. Juli und des
Preußischen Ministers für Handel und Gewerbe vom selben Tage — u. a.
unter Hinweis auf die Auffassung der Saarbevölkerung — solche Erwä-
gungen ab72. Das Auswärtige Amt sah als Entgegenkommen gegenüber fran-
zösischen Wünschen für den Notfall noch eine Verlängerung der Warndt-
pachtverträge über den Zeitpunkt der Rückgliederung hinaus vor73, obwohl
das oben genannte preußische Gutachten jede Verlängerung der Warndt-
pachtverträge, ebenfalls in Berufung auf die Saarbevölkerung, abgelehnt
hatte. Das Saarmemorandum vom 10. August 1929 deutete solche Vorstel-
lungen nicht an, sondern das Auswärtige Amt erblickte in ihnen nur eine
Möglichkeit zur Erweiterung des deutschen Angebotes während der Ver-
handlungen.
Die deutsche Planung der Verhandlungen ging von der Voraussetzung aus,
daß Frankreich grundsätzlich zum Verzicht auf die Saar bereit sei und daß
ein gewisses zollpolitisches Entgegenkommen diesen Verzicht annehmbarer
machen solle. Diese Einschätzung der Bereitschaft auf französischer Seite
wurde nicht revidiert, obwohl der deutsche Botschafter in Paris, von Hoesch,
bereits nach dem Erlaß Stresemanns am 28. Mai 1929 dargelegt hatte, daß
die französischen Vorstellungen eine wirtschaftliche Festsetzung an der Saar
erstrebten und von Deutschland so große Opfer erforderten, daß zu erwägen
sei, ob man nicht besser noch die fünf Jahre bis zur Abstimmung im Jahre
1935 warte74.
70 Ebenda, Bd. 2, II SG 1603.
71 Ebenda, Bd. 1, II SG 1331; Besprechung über die kohlenwirtschaftlichen Rückwirkun-
gen bei der Rückgliederung im Reichswirtschaftsministerium: Unter Berufung auf
die Wünsche einiger Vertreter der Saarindustrie wies Geheimrat Stutz, Reichskohlen-
kommissar, darauf hin, daß auf solche Weise der Kohlenabsatz nach Frankreich ge-
sichert werde und der deutsche Preis für den Rückkauf der Saargruben sich ermäßige.
72 Ebenda, Bd. 2, St. 12 u. 13.
73 Ebenda, Bd. 1, St. 2 (Anlage 1 zum Erlaß Stresemanns vom 23. Mai 1929), St. 6
(Gutachten von Legationsrat Voigt über die Saarrückgliederung v. 1. 6. 1929) u.
schließlich Besprechung im A. A. am 12. 9. 1929 (Bd. 3, St. 3, II SG 1809).
74 Ebenda, Bd. 1, St. 4.
225
Neben dem Wunsch nach einem nationalen Erfolg bildete das politische
Klima an der Saar einen entscheidenden Impuls des Auswärtigen Amtes,
auf Saarverhandlungen zu drängen. So hieß es in der Anlage 1 zum ge-
heimen Erlaß Stresemanns vom 23. Mai 1929, die Saarbevölkerung sei ner-
vös und reizbar. Wenn nach der Räumung des Rheinlandes der Sonderstatus
des Saargebiets erhalten bliebe, werde jeder Zwischenfall noch größer auf-
gebauscht werden.
„. . . Die Ansprüche der dortigen Bevölkerung an die Reichsregierung in wirtschaft-
licher und finanzieller Hinsicht, aber auch in bezug auf feierliche Einsprüche gegen
Mißgriffe der Regierungskommission würden auf das Maßloseste gesteigert wer-
den.“ 75
Ähnliche Überlegungen enthielt auch das Saarmemorandum des Saarsach-
bearbeiters im Auswärtigen Amt, Legationsrat Voigt, vom 1. Juni 1929;
neben der nationalen Bedeutung der Saarverhandlungen kennzeichnete er
die Lage im Saargebiet folgendermaßen:
„Aber auch auf die Mentalität der Bevölkerung ist das Sonderregime nicht ohne
Wirkung geblieben. Man berührt damit einen heiklen Punkt. Gewiß hat das
Sonderregime der Bevölkerung einen starken nationalen Impuls verliehen und auch
eine Reihe von Führern hervorgebracht, die den nationalen Gedanken als Leit-
motiv hochzuhalten wissen. Andererseits wirkt es aber doch etwas im Sinne der
Kleinstaaterei. Die meisten Fragen, die die Öffentlichkeit bewegen, treten mit
Beschränkung auf das kleine Saargebiet auf und werden in diesem engen Rahmen
erörtert, so daß es nicht überraschen kann, wenn die Bevölkerung zuweilen ihre
rein örtlichen Interessen nicht mehr in das richtige Größenordnungsverhältnis zu
den gesamtdeutschen Interessen zu bringen weiß. Dazu kommt der aufgezwungene
15jährige Abstimmungskampf, der die Saarfrage in das Feld der großen inter-
nationalen Politik rückt und allem Geschehen an der Saar eine Bedeutung ver-
schafft, die ihm an sich nicht zukommt. Die Bevölkerung sieht sich geradezu auf
ein höheres Podest gehoben, sie wird von der politischen Propaganda erfaßt, um-
worben und interessant gemacht. Notwendigerweise wirkt dies auf ihre Geistes-
verfassung zurück, macht sie nervös, reizbar und begehrlich. Gerade die Begehrlich-
keit, das Verlangen nach Sondervorteilen nimmt schon jetzt zuweilen ungesunde
Formen an. Im Hinblick auf die Abstimmung ist das Reich einfach in der Zwangs-
lage, die Bevölkerung besonders schonsam zu behandeln und ihr Wünsche zu er-
füllen, die der Bevölkerung einer anderen Gegend nicht erfüllt würden. Schon jetzt
gibt es kaum eine Klasse der Bevölkerung, der nicht auf dem Weg der Unter-
stützungen, Beihilfen, Kreditaktionen, Zinsverbilligungen usw. mittelbar oder
unmittelbar von Reich und Staat Vorteile zuflössen.“ 75 76
Nach einer Aufstellung der Reichskosten77 für die Saar betonte das Memo-
randum noch, wie durch diese Hilfen das Wirtschaftsleben an der Saar blühe
und die Vorteile daraus Frankreich zuflössen. Es sei eine Ironie, daß Deutsch-
75 Vgl. oben Anm. 56.
76 A.A., a. a. O., Bd. 1, St. 6.
77 10,9 Mill. Militärrente, 3—4 Mill. Altpensionen; 1—2 Mill. Zuschüsse zu Neu-
pensionen, 6—8 Mill. Saargängerunterstützung, 10 Mill. Sozialversicherung; neben
diesen regelmäßigen Ausgaben einmalige Aktionen wie Arbeiterbetreuung im Jahre
1927 für 6 Mill., außerdem Unterstützungen für Theater, Musik, Film, Sport,
Wanderbewegung, Kinderverschickung, geistl. u. weltl. caritative Organisationen usw.
Uber die Unterstützung Bayerns für die Saarpfalz unterrichten GStA München XV-b-3
u. XV-c-2 und AStA München MK 15 570/15 571/15 572. Zur Betreuungsarbeit Preu-
ßens s. unten S. 256, Anm. 46.
226
land auf Grund der Verhältnisse zum Erfolg des internationalen Regimes
und der französischen Wirtschaft beizutragen gezwungen sei. Aus den dar-
gelegten Gründen trachtete das Auswärtige Amt nach der Beendigung des
Sonderregimes an der Saar und erstrebte dadurch zugleich eine finanzielle
Entlastung des Deutschen Reiches.
In der Vorbereitung auf die Verhandlungen spielte in dieser Situation nicht
nur die Frage der Gewinnung einer Verhandlungsbasis gegenüber Frank-
reich eine Rolle, sondern auch die Forderungen der Saarparteien für den
Fall der Rückgliederung wurden erörtert. Man suchte nach Möglichkeiten,
die Wünsche der Saarbevölkerung zu berücksichtigen, um gegebenenfalls der
deutschen Regierung nach der Rückgliederung einen guten Start zu ermög-
lichen 78.
Wie weit die Auffassungen der Saarbevölkerung die deutschen Überlegun-
gen beeinflußten, zeigte sich überdies in dem Entschluß der Reichsregierung,
sich vor Beginn der Saarverhandlungen des Einverständnisses der saarlän-
dischen Vertreter für die deutsche Ausgangsbasis zu vergewissern. Vertreter
des Saarlandes hatten den Wunsch nach Beteiligung an den Verhandlungen
wiederholt angemeldet, am eindringlichsten die saarländischen Parteien in
einem Schreiben Brauns an Reichsminister Stresemann vom 16. September
192979, in dem er im Auftrag von Zentrumspartei, Sozialdemokratischer
Partei und Deutsch-Saarländischer Volkspartei sowie im Einverständnis mit
den Gewerkschaften, der Handels- und der Handwerkskammer eine Sitzung
des Saarausschusses und die Bildung eines Sachverständigengremiums von
sechs Mitgliedern für die Saarverhandlungen forderte. Am 23. September
1929 fand in Heidelberg auf Einladung des Auswärtigen Amtes eine Zu-
sammenkunft zwischen der deutschen Delegation für die Saarverhandlun-
gen, zu deren Leiter Staatssekretär von Simson berufen worden war, und
dem Saarausschuß statt80. Hier wurden zwei Gremien aus Saarländern für
die Verhandlungen gebildet. Das Gremium A setzte sich aus neun Personen
zusammen, und zw'ar aus je einem Vertreter der Zentrumspartei, der Sozial-
demokratischen Partei, der Deutsch-Saarländischen Volkspartei, der Deutsch-
nationalen Volkspartei und der Wirtschaftspartei und aus je einem Ver-
treter der Christlichen Gewerkschaften, der Freien Gewerkschaften, der
Landwirtschaft und von Handel und Industrie. Das Gremium sollte von
der „Delegation in Paris oder anderswo vor jeder wichtigen Entscheidung zu
Rate gezogen werden"81. Gremium B bestand aus Sachverständigen aus dem
Saargebiet, die bei Bedarf gehört werden sollten. Der zähe Anwalt einer
möglichst einflußreichen Beteiligung der saarländischen Vertreter an den
Verhandlungen war Max Braun. Er erhielt die Zusicherung, daß das Gre-
mium A amtlichen Charakter habe. In der anschließenden Besprechung über
die materielle Seite der Verhandlungen betonte Levacher nochmals, daß alle
78 A.A., a. a. 0,< Bd. 1, St. 25, St. 39 u. St. 40.
79 Ebenda, Bd. 3, St. 16; II SG 1851.
80 Ebenda, Bd. 4, St. 9; II SG 1999, Niederschrift Geheimrat Friedbergs über die Sitzung
und Bd. 3, St. 34, Telegramm Köpke an die deutsche Delegation in Genf mit Bericht
über die Sitzung.
81 Ebenda, Telegramm Köpke.
227
Parteien und Gruppen im Saargebiet die uneingeschränkte territoriale Rück-
gliederung des Gebietes und den Übergang der Gruben in preußischen und
bayerischen Staatsbesitz fordern. Von diesen Bedingungen dürfe nicht abge-
gangen werden, „selbst auf die Gefahr hin, daß die Lösung der Saarfrage
dann bis ins Jahr 1935 verschoben werden sollte"82. Die Übereinstimmung
der Reichsregierung mit den saarländischen Vertretern über diese Fragen
wurde betont, Staatssekretär von Simson behielt sich lediglich vor, auch
hierin als Delegationsleiter vorsichtig zu taktieren. Für die Verhandlungen
war durch die Hinzuziehung des Gremiums A eine ungewöhnliche Situation
geschaffen. Die Delegation war in ihren Schritten nicht nur an die Einholung
der Zustimmung der Reichsregierung gebunden, sondern mußte sich auch
des Einverständnisses der Vertretung der Saarbevölkerung immer wieder
vergewissern. Dadurch sah sich der Verhandlungsleiter genötigt,
. durch Vermittlung der Führer der Parteien, der Gewerkschaften und der
Wirtschaft den breiten Massen der Bevölkerung Verständnis für die Verhandlungs-
methode und Taktik beizubringen“83,
wie es in dem Bericht des Delegationschefs von Simson über die Saarver-
handlungen hieß.
3. Die Frage eines französischen Saarprogramms in den Jahren der
europäischen Verständigungspolitik Briands
Die offizielle französische Politik hatte in Versailles die Saar aus wirtschaft-
lichen und strategischen Gründen gefordert und ein historisches Anrecht auf
dieses Gebiet konstruiert. Im Rahmen der französischen Friedenskonzeption
stellte das Saarstatut ein Teilglied der wirtschaftlichen Reparationen wie der
Garantie der französischen Sicherheit dar. Man hatte gehofft, diese Position
für immer behaupten zu können. Die Reaktion der saarländischen Bevölke-
rung und das Scheitern der französischen Saarpolitik des Jahres 1923 er-
wiesen rasch die Aussichtslosigkeit solcher Vorstellungen. Alle französischen
Bemühungen stießen sich stets erneut an der entscheidenden Schwierigkeit,
daß eine eingeborene französische Bevölkerung im Saargebiet nicht existierte
und damit der französischen Politik Grundlage und positive Resonanz an
der Saar fehlten. Die französische Nation in ihrer Gesamtheit besaß kein
Verhältnis zur Saar und zur Saarpolitik und verlor, seit die nordfranzösi-
schen Gruben wieder hergestellt und Locarno sie in der Frage der Sicherheit
weitgehend beruhigt hatte, jedes Interesse84. Nur in den politischen Kon-
zeptionen der Sozialisten und der Rechtskreise tauchte das Saarproblem
regelmäßig auf. Die Sozialisten verlangten eine baldige Berücksichtigung des
Selbstbestimmungsrechts der Saarländer, also eine Revision von Versailles85,
die Rechtskreise dagegen forderten eine Politik der Aktivität und der Stärke
82 Ebenda, Niederschrift Friedberg.
83 Ebenda, Bd. 10, II SG 1439.
84 So auch Wambaugh, a. a. O., S. 104.
85 Näheres vgl. oben S. 184 f.
228
an der Saar, wie sie zum Teil in den ersten Jahren versucht worden war86.
Damit unterschied sich grundsätzlich die Ausgangsbasis einer französischen
und einer deutschen Saarpolitik. Letztlich blieb eine französische Saarpolitik
immer eine Politik der Regierung, an der nur relativ kleine Kreise Anteil
nahmen. Bei Briands Neuorientierung der französischen Politik wurde es
deshalb entscheidend, welche Bedeutung die französische Außenpolitik der
Saar nach 1925 noch beimaß und ob die Saarfrage eine Relation zu wesent-
lichen Problemen der Gesamtnation gewinnen würde.
Das Quellenmaterial des Völkerbundarchivs erhellt eindeutig, daß die Rats-
debatte vom Juli 1923, Locarno und der Eintritt Deutschlands in den Völ-
kerbund zunächst keine grundsätzliche Änderung der offiziellen französi-
schen Saarpolitik einleiteten. Briand führte Frankreich aus der Isolierung
des Jahres 1923 heraus, aber die entschärfte Situation wurde auch dazu
benutzt, die durch Versailles und die ersten Nachkriegsjahre an der Saar
gewonnene Position zäh zu verteidigen. So erklärte Rault Colban in Ge-
sprächen im Februar 1925 in Saarbrücken, daß die französische Regierung
gegen seinen Rüdetritt sei, weil es schwierig werde, dann erneut das Präsi-
dium in der Kommission für Frankreich zu erreichen. Er sprach sich deshalb
gegen einen Wechsel in der Präsidentschaft aus. „Fie seemed to think that
France was not yet prepared to give that up87“, heißt es in dem Bericht Col-
bans über diese Unterredung. Daß Briand hinter dieser Darstellung Raults
stand, zeigte sich für Colban in einem Gespräch mit Clauzel, einem Mit-
arbeiter des französischen Außenministeriums, am 14. November 1925 in
Paris88. Colban gewann den Eindruck, daß Briand die Präsidentschaft für
Frankreich behaupten wolle und für den Fall, daß das unmöglich sei,
wünsche, daß Lambert als Nachfolger Raults die Führung in der Regierungs-
kommission wenigstens für ein Jahr übernehme. Auch das Drängen des Völ-
kerbundsekretariats auf eine Regelung der Frage der französischen Truppen
und der lokalen Gendarmerie vor Eintritt Deutschlands in den Völkerbund,
damit nicht durch Debatten das deutsch-französische Verhältnis getrübt oder
Frankreich durch die Initiative Deutschlands in dieser Frage im Rat über-
stimmt werde, konnte Frankreich nicht zu einem raschen Abzug der fran-
zösischen Truppen bewegen89. Frankreich war 1927 nur bereit, einer Rege-
lung der Truppenfrage zuzustimmen, als durch die Errichtung eines inter-
nationalen Bahnschutzes doch ein kleines französisches Truppenkontingent
an der Saar verblieb. Briand verteidigte diese Lösung in Genf, wies Strese-
86 Vgl. über diese Vorstellungen die Ausführungen über die Association Française de la
Sarre und die Saarinteressen der Wirtschaft, oben S. 218 ff. Es gab Kreise der franzö-
sischen Stahlindustrie, die in der Saarproduktion eine Konkurrenz ausgeschaltet wissen
wollten und deshalb für die Rückgliederung waren (Wambaugh, a. a. O., S. 105).
87 S.D.N. Archives des Sections du Secrétariat, Sect. Pol., Sarre Nr. 57, Aktenstück 12,
Colban (personnel); in einem handschriftlichen Vermerk des Generalsekretärs Eric
Drummond auf diesem Bericht Colbans heißt es: „I am more than a little disap-
pointed about M. Rault’s wishes both as regards the precidency and the French
troops.“
88 Ebenda, Nr. 56, 2.
89 Ebenda, Nr. 57; Troupes françaises — Gendarmerie und der in Anm. 87 zitierte
Bericht.
229
manns Gegenvorstellungen zurück und nahm äußerst kritisch zu der Tätig-
keit der Saardelegationen Stellung90. Frankreich mußte zwar auf Grund des
Druckes des Sekretariats und der Ratsmächte, insbesondere Englands, schritt-
weise nachgeben, da Briands Gesamtpolitik der europäischen Solidarität
sonst gefährdet worden wäre; Briand tat aber sein Bestes „to obtain the
maximum satisfaction for France“91, wie der Spanier Quinones de Leon
seinen Eindruck über ein Gespräch mit Briand über die Frage der Präsident-
schaft in der Regierungskommission einmal zusammenfaßte.
Neben diesen Tatsachen, die keinen Ansatz zu einer grundsätzlichen Ände-
rung der französischen Saarpolitik erkennen lassen, gibt es im Genfer Ma-
terial einen Hinweis, der deutlich macht, daß Briand von der Aussichtslosig-
keit einer Abstimmung für Frankreich überzeugt war. Der Italiener Scialoja
legte Colban in einem Telefongespräch am 1. Februar 1926 in Rom dar,
„that Briand had said to him that France ought to get the whole Saarproblem
liquidated as soon as possible, without letting it corne to a plébiscité.“ Col-
ban berichtete weiter über dieses Gespräch: „ — I told M. Scialoja that
M. Rault had for several years been of this opinion, which was also my own
and I knew to be shared by prominent leaders of public opinion in the
Saar. I was glad to hear that M. Briand had now corne to the same con-
clusion.“92 Bei der Sachlichkeit und Genauigkeit, mit denen Colban für das
Völkerbundssekretariat über jede Verhandlung berichtete, ist diese Auf-
zeichnung ein ernst zu nehmendes Zeugnis für die Möglichkeit einer voll-
ständigen Neuorientierung der französischen Politik, die eine vorzeitige
Rückgliederung ohne Volksabstimmung bringen konnte. Daß zu einer sol-
chen Regelung eine Chance bestand, scheint trotz der unterschiedlichen Dar-
stellung des Gesprächs in Thoiry durch Stresemann und Professor Hesnard
noch hervorzugehen93. Die vorverlegte Rückgliederung war außerdem selbst-
verständliche Basis fast aller Vorgespräche94, die zu den Saarverhandlungen
zwischen Deutschen und Franzosen stattfanden, und wurde in den Kreisen
des Völkerbundes als Ziel der Saarverhandlungen vorausgesetzt95. Auch wäh-
rend der Saarverhandlungen gewannen die deutschen Delegationsmitglieder
den festen Eindruck, daß die Rückgliederung von französischer Seite zuge-
geben worden wäre, wenn man sich in den Wirtschaftsfragen geeinigt hätte96.
Die Hoffnungen der saarländischen Parteien und Stresemanns, daß man in
Frankreich wegen der Aussichtslosigkeit einer Abstimmung zu einer Liqui-
dation des Saarproblems neige, besaß also einige Voraussetzungen.
So standen in den Jahren 1925 bis 1927 traditionelle französische Saar-
politik und Ansätze zu einem grundsätzlichen Wandel nebeneinander. Die
50 S.D.N. J.O. Vm,4 (1923), S. 410; Röchling, Wir halten die Saar, S. 119ff.
91 S.D.N. Archives d. Sect. d. Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56,2.
92 Ebenda, Nr. 57, Aktenstück: Troupes Françaises — Gendarmerie.
93 Näheres dazu folgt unten S. 231 ff.
94 A.A., a. a. O., Bd. 2, St. 22 u. 25, Bd. 3, St. 5, 6 und 11.
95 Ebenda, Bd. 2, St. 25 und 34; Bd. 4, St. 66; II SG 2216, Telegramm Hoeschs v. 24. 10.
1929; so auch Wambaugh, a.a.O., S. 108.
96 A.A., a.a.O., Bd. 6, St. 36; Darlegungen Simsons vor dem Gremium A aus dem
Saargebiet am 5. 12. 1929 in Paris; Bd. 10: II SG 1439, Gesamtbericht Simsons über
die Verhandlungen.
230
Gewinnung eines neuen Standpunkts und Programms erwies sich für Frank-
reich als schwierig. Die saarländische und deutsche Forderung nach Realisie-
rung des neuen europäischen Geistes in einem prinzipiellen Verzicht auf die
Saar, um sowohl Frankreich die Niederlage des Plebiszits zu ersparen wie
das deutsch-französische Verhältnis in dieser Frage zu bereinigen, führte
Frankreich und Briand in eine heikle Lage. Diese wird nur einsichtig, wenn
die relativ wenigen Äußerungen aus offiziellen französischen Regierungs-
kreisen über die Saarfrage in der Zeit von 1926 bis 1929 im Zusammenhang
mit der Gesamtkonzeption der Briandschen Außenpolitik gesehen werden.
Ausgangspunkt und Grundlage zur Lösung aller Fragen blieb für Briand der
Versailler Vertrag und die Solidarität Frankreichs mit den großen euro-
päischen Mächten, insbesondere mit England. Aufbauend auf den Verträgen
von 1919 sollte in konstruktiver Weise unter Auswertung der negativen
Erfahrungen des Jahres 1923 und in Anpassung an die jeweils neuen Situa-
tionen der Friede durch Interessenbündnisse der europäischen Mächte unter-
einander garantiert werden. Diese Festigung der europäischen Solidarität
sollte gleichzeitig Frankreichs Sicherheit untermauern97. Eine solche durchaus
realpolitische Konzeption war eingebettet und geistig sowohl getragen wie
überhöht durch Friedenssehnsucht und -wille wie auch durch die Bindung an
das Ideengut des Völkerbundes, das zugleich einen integrierenden Bestand-
teil französischer Ehre und kultureller Mission darstellte98. Locarno bedeu-
tete in der Konzeption Briands den ersten großen Erfolg zur Festigung der
französischen Sicherheit wie einer realpolitisch fundierten Solidarität der
europäischen Mächte in einem weiterführenden Vertragssystem. Die so be-
gründete deutsch-französische Entspannung schuf das Klima, in dem das
Verhältnis zwischen den beiden Nationen durch eine Gesamtlösung der
schwebenden Fragen bereinigt und damit die Sicherheit Frankreichs und der
europäische Friede in konstruktiver Weise ausgebaut werden sollten. In
diese Situation fiel Thoiry, wo Briand und Stresemann sich in ihren Wün-
schen zu einer Gesamtbereinigung aller schwebenden Fragen fanden. Nach
Stresemanns Ausführungen soll Briand ihm dabei auch die Saarrückgliede-
rung gegen den Rückkauf der Saargruben für 300 Millionen Mark ange-
97 Dieser Zusammenhang der Sicherheit Frankreichs und der Solidarität mit den euro-
päischen Mächten kehrte bei Briand immer wieder. Er wurde besonders scharf heraus-
gearbeitet, als es galt, die französische Politik des Jahres 1923 zu liquidieren. Vgl.
dazu das Interview Briands für Kessel und Suarez vom 11. Mai 1924, abgedruckt in
Suarez, a. a. O., Bd. 6, bes. S. 22: „Internationalisation du problème de la sécurité
et des réparations. Ce que les nationalistes ne veulent pas comprendre, c’est que la
France est internationale. Son prestige, l’attraction qu’elle exerce au dehors lui im-
posent dans le domaine moral le rôle de conductrice. C’est vers elle que se tournent
tous les peuples.“ Außerdem Briands Verteidigung des Dawesplanes vor der frz.
Kammer, a. a. O., S. 32; sein Artikel v. 18. 9. 1924 „Le droit à la sécurité et la
mutualité internationale“, a. a. O., bes. S. 57; Briands Wendung gegen eine Revision
der Verträge, a. a. O., S. 60; Rede Briands vor der Kammer wegen der Ratifizierung
der Locarnoverträge am 25. 2. 1926, a. a. O., S. 165.
98 Vgl. Zitat unter Anm. 97; außerdem Suarez a. a. O., S. 166 aus der Kammerrede
am 25. 2. 1926.
231
boten haben". Das Protokoll Professor Hesnards99 100, der an der Unter-
redung teilnahm, enthält nichts über die Saarfrage und ist weniger konkret,
aber das Telegramm vom Quai d’Orsay (Berthelot) an die französische Bot-
schaft in Berlin vom 28. September 1926 bemerkte, Stresemann habe dar-
gelegt, daß die Saar von einer Gesamtlösung nicht ausgeschlossen bleiben
dürfe101. Hesnards Protokoll betonte stärker als Stresemann Umfang und
Ernst der Erörterung um die Sicherheitsfragen102 103 und ließ Briand am An-
fang von der Gesamtlösung („les solutions d’ensemble“ )sprechen, „qui sont
dans le cadre du traité et prévues par lui“10î. Trotz der unterschiedlichen
Darstellung in beiden Aufzeichnungen scheint bei Briand der Gedanke,
Deutschland für finanzielle Verpflichtungen entgegenzukommen, von gro-
ßer Bedeutung gewesen zu sein104. Zahlungen Deutschlands waren bei Frank-
reichs Lage 1926 von beachtlichem Wert und konnten einen positiven Inhalt
der französischen Politik darstellen. Trotzdem muß sie Briand — ob erst in
der Reaktion der französischen Öffentlichkeit auf Thoiry, muß noch unge-
klärt bleiben — in keiner Weise als ausreichend angesehen haben. Die Bedeu-
tung eines solchen Ansatzes war nur sehr vorübergehend gegeben, da Frank-
reich rasch die finanzielle und wirtschaftliche Sanierung gelang. Nach Strese-
mann teilte der französische Botschafter De Margerie in Berlin ihm am
1. November 1926 mit, „daß die in Thoiry vereinbarte Basis der fran-
zösischen Leistung auf der einen Seite und der finanziellen Leistung Deutsch-
lands auf der anderen zu eng sei“ und daß die meisten Fragen bei ihrer
Regelung der Zustimmung der Signatarmächte des Versailler Vertrages
bedürften.
„Nur die Frage der Saargruben sei zwischen Deutschland und Frankreich zu lösen.
Es habe sich gezeigt, daß die öffentliche Meinung in Frankreich noch nicht reif sei
für die Erkenntnis, daß diese Frage durch eine finanzielle Gegenleistung Deutsch-
lands gelöst werden könne. Man müsse die Schwierigkeiten dieser Lösung besei-
tigen, indem man die Gedanken erweitere. Man müsse sie mit Politik erfüllen.“ 105
Wie Hesnard seiner zweiten Fassung der Aufzeichnungen von Thoiry hinzu-
gefügt hatte „Stresemann se trouve jusqu’à la fin de l’entretien dans la
situation de demandeur106“, so erwartete Briand nach 1926 von deutscher
Seite für die Saar Vorschläge, die Frankreich etwas boten und einen Anreiz
zur Lösung des Saarproblems enthielten. Eine vorzeitige Rückgliederung der
Saar, die im Versailler Vertrag nicht vorgesehen war, erschien Frankreich als
besonderes Entgegenkommen, ja als Verzicht auf vertraglich zugesicherte
französische Positionen, aber andererseits konnte die Durchführung des
99 Stresemann, Vermächtnis, Bd. 3, S. 15 f.
100 S u a r e z, a. a. O., S. 218 ff.
101 Ebenda, S. 228 f.
102 Ebenda, S. 218 ff.; vgl. auch das Urteil Suarez’ darüber, S. 222.
103 Ebenda, S. 218; auch später, als sich die Hoffnungen von Thoiry nicht erfüllten,
unterstrich Briand wiederholt Versailles als französische Basis, besonders in der Rede
am 2. 2. 1928, als er sich mit der öffentlich bekundeten Unzufriedenheit Stresemanns
über die Entwicklung nach Locarno und Thoiry auseinandersetzte, ebenda, S. 238.
l°4 So auch Suarez, a. a. O., S. 214 f.
l°5 Stresemann, Vermächtnis Bd. 3, S. 48 f.
106 s u a r e z, a. a. O., S. 222.
232
Plebiszits zu einer schweren moralischen Niederlage Frankreichs führen. Aus
dieser Spannung ergaben sich die Schwierigkeiten zu einer Entwicklung eines
Saarprogrammes und die Situation, daß Briand „was anxious for the liqui-
dation of the Saar question“107. Während der folgenden Jahre, als Rhein-
landräumung und Reparationsfrage im Mittelpunkt des Interesses der deut-
schen Außenpolitik standen und die Saarfrage nicht als Einzelproblem wei-
ter verfolgt wurde, kam es zu einer immer stärkeren außenpolitischen Stabi-
lisierung Frankreichs. Sie zeigte sich darin, daß die französische Nation in
ihrer überwältigenden Mehrheit zu einer Bejahung der Außenpolitik Briands
gelangte und dieser selbst Außenminister in den Ministerien Poincaré
und Tardieu blieb. Dies wurde möglich wegen des großen Ansehens und der
Bedeutung Briands in Europa, aber auch wegen der Mischung idealistischer
und realistischer Elemente in seiner Politik. Er wurde sowohl dem Friedens-
und Verständigungswillen der Sozialisten wie dem Problem der nationalen
Sicherheit und Verteidigung gerecht. Briand sah sich jedoch immer wieder
gezwungen, in ständiger Auseinandersetzung mit den Rechtskreisen den
Realismus in seiner Politik herauszuarbeiten108. Wenn diese Verteidigung
auch nicht nur polemisch gemeint war, sondern eine wirkliche und bewußt
bezogene Grundlage besaß, trug sie dennoch zur Verstärkung dieser Kom-
ponenten in seiner Gesamtpolitik bei. Deshalb mußte ein französisches Saar-
programm eine Beziehung zu realen Interessen Frankreichs gewinnen. Da
sich in den Forderungen der saarländischen Parteien und in den Äußerungen
der deutschen Reichsregierung nichts zeigte, was Anreiz und Vorteile bot,
blieb die Möglichkeit einer Lösung der Saarfrage für Briand ohne konkrete
Vorstellungen und ein schwieriges Problem109. Auch die rechtliche Frage, ob
eine Anwendung des Artikels 19 der Völkerbundssatzung und eine Revision
des Versailler Vertrages notwendig seien, beunruhigte die französischen Po-
litiker 110. Die Eigenart der Briandschen Konzeption und ihr vorsichtig aus-
balanciertes Gleichgewicht vertrugen eingestandene Veränderungen des Ver-
sailler Vertrages kaum. Die Association Française de la Sarre und die Rechts-
kreise, die eine vorzeitige Rückgliederung der Saar unter die Aspekte des
Verzichtes auf aussichtsreiche französische Positionen und die französische
Sicherheit brachten, erschwerten diese Lage. So blieb die Entwicklung eines
neuen Saarprogramms für die französische Regierung auch in der Ära der
europäischen Verständigungspolitik ein ungelöstes Problem, an das man
ungern herantrat.
Als Stresemann 1929 zur Aufnahme von Saarverhandlungen drängte, fand
Briand schließlich die realistische Formel, unter der eine Integrierung der
Saarfrage in seine Gesamtpolitik möglich wurde. Frankreich besitze an der
Saar ein wertvolles „Pfand“, das es auszuhandeln gelte, solange es noch
107 Wambaugh, a. a. O., S. 105.
108 Z. B.: France, J.O. Chambres (des Députés), Débats Session extraordinaire 1929,
S. 3049—3059.
t09 Vgl. dazu die Äußerungen vor Beginn der Verhandlungen, oben S. 223 f.
110 A.A., a. a. O., Bd. 1, II SG 1337, Telegramm Hoesch v. 1. 7. 1929 über Gespräch mit
Briand; Bd. 4, St. 35 II SG 2102.
233
etwas wert sei111. Konkreter zeichnete sich die zukünftige Lösung ab, als in
den Gesprächen in Den Haag wiederholt davon gesprochen wurde, daß an
der Saar ein System deutsch-französischer „Cooperation“ errichtet werden
solle112. Der Preis des Pfandes sollte realen Wert besitzen und sich gleich-
zeitig in die Briandschen Vorstellungen von der Festigung der europäischen
Solidarität in Interessenbündnissen, die den Frieden und ein gutes Verhält-
nis der Völker untereinander garantieren sollten, einordnen113. Diese Grund-
konzeption wurde von Briand noch beibehalten, als der Tod Stresemanns
und die neue Regierung Tardieu eine veränderte europäische Situation an-
kündigten. Er blieb Außenminister unter Tardieu und legte sein Saarpro-
gramm nochmals in aller Klarheit am 8. November 1929 vor der Kammer
dar, als die Saarinterpellationen der Abgeordneten Franklin-Bouillon, Tait-
tinger und Georges Bureau sich gegen seine Politik gewandt hatten. Die
grundsätzliche Situation in den Verhandlungen zwischen Deutschland und
Frankreich umschrieb er folgendermaßen:
„C’est une question proprement, exclusivement franco-allemande. Si les Allemands
veulent nous faire des propositions en vue de son règlement anticipé, nos oreilles
sont ouvertes. Nous sommes défendeurs, nous les écouterons.“ 114
Es handele sich nicht darum, einfach bis 1935 abzuwarten, weil dann Frank-
reich bei einem ungünstigen Wahlausgang gezwungen sei, das Land zu ver-
lassen, sondern die gegenwärtige Situation stelle sich folgendermaßen dar:
„Nous avons entre les mains un gage précieux et nous n’allons pas essayer d’en
tirer des avantages? Si nous devons cesser dans cinq ans les contrats, n’est-ce donc
pas notre intérêt, étant donnée la solidarité des intérêts alsaciens et lorrains avec
la Sarre, des intérêts de la Sarre avec ceux de notre pays, de régler ces problèmes
après une étude approfondie et d’essayer de créer, au point de vue métallurgique,
au point de vue douanier, une organisation qui dépasse les délais prévus?“
Ebenso kam die Einordnung der Saarfrage in seine Gesamtpolitik, auch
ideell, in dieser Rede nochmals zum Ausdruck:
„Quand l’Allemagne nous en parlera, nous lui dirons: Vous vous réclamez de
l’esprit de Locarno. Vous avez raison. Voilà l’occasion de le faire jouer, et, dans un
111 Die Äußerungen zwischen 1926 und 1929, in denen Briand die Möglichkeit einer
Lösung der Saarfrage streifte, waren bereits verbunden mit dem Begriff des Pfandes;
so in der schon genannten Rede vom 2. 2. 1928, Suarez, a. a. O., S. 237. Uber sein
Gespräch mit Briand vom 9. Juli 1929 berichtete Hoesch, daß Briand nach der Ab-
lehnung der Verbindung der Saarfrage mit der bevorstehenden Konferenz gesagt habe
„Er selbst sei ja, wie wir wüßten, durchaus für eine Regelung Saarproblem einge-
nommen und einsehe auch Vorteil, der für Frankreich darin liege, ein Pfand auszu-
handeln, solange es noch Wert habe." (A. A., a. a. O., Bd. 1, Telegramm v. 9. 7. 1929,
S. 7). Vgl. dazu auch unten das Zitat aus Briands Kammerrede vom 8. 11. 1929.
112 A. A. a. a. O., Bd. 2, St. 22; Bd. 3, St. 6; außerdem Gespräch Rieths (Deutsche Bot-
schaft Paris) mit Europadirektor Laboulaye am 17. 9. 1929, ebenda, Bd. 3, St. 11.
113 Wie solche Vorstellungen dann akzentuiert wurden, zeigte sich in der Rede Tardieus
vor der französischen Kammer über die französische Außenpolitik am 7. November
1929: „Des gouvernements successifs, menés par des hommes aussi différents que M.
Clemenceau, M. Poincaré, M. Briand ou que moi-même ont pratiqué une politique
d’équilibre, d’organisation de l’Europe, qui nous permettra de jouer le rôle traditionnel
qui nous appartient et qui ne nous diminuera pas." France J.O. Chambre des Députés,
sess. extraordinaire 1929, S. 3085.
114 Ebenda, S. 3056 f., die folgenden Zitate aus der Rede Briands ebenda.
234
territoire dont les intérêts sont solidaires de ceux de territoires français, d’instituer,
pour une longue durée, un régime de collaboration économique . .
Diese Briandsche Konzeption verlagerte das Saarproblem aus der Sphäre
einer Revisionspolitik in die Sphäre einer Politik des positiven Inhalts für
Frankreich. Briand hatte dadurch Frankreich sehr geschickt eine günstige
diplomatische Ausgangsbasis geschaffen, auf der die Frage des unangeneh-
men Plebiszites ganz in den Hintergrund trat und Deutschland aufgefordert
war, reale Vorteile anzubieten. Aus diesem Ansatz wird auch der Satz ver-
ständlich „tous les droits politiques de la population sarroise réservés“. Die
Rückgliederung sollte dadurch nicht unmöglich gemacht werden, sondern
eine rein deutsch-französische Ausgangsbasis behauptet und die Diskussion
über die Rückgliederung in den Hintergrund des öffentlichen Interesses ge-
schoben werden, da sie aufs engste mit der Frage der Revision der Verträge
verbunden war und letztlich in die Zuständigkeit des Völkerbundes fiel115.
Dieser Problemkreis wurde aber in der vorbereitenden Kommission in Paris
wie von den französischen Vertretern in Genf erörtert und ins Auge ge-
faßt116. Eine Lösung der Saarfrage erschien im Felde der großen Politik für
Briand und Stresemann als eine Möglichkeit, die durch diplomatische Ver-
handlungen realisiert werden sollte. Äußerungen der deutschen Presse, die
den Standpunkt der Revision von Versailles betonten, oder der saarländi-
schen Presse, die unter Berufung auf die ideellen Komponenten der euro-
päischen Politik einen Verzicht auf unrechtmäßige französische Positionen
verlangten, wurden von Briand als störend empfunden. Sie mußten seine
Politik des positiven Inhalts in den Augen des französischen Volkes, insbe-
sondere der Rechtskreise, kompromittieren und gefährdeten gleichzeitig die
geschickte diplomatische Ausgangsstellung, die Briand gewonnen hatte. Des-
halb bat die französische Regierung wiederholt über die deutsche Botschaft
in Paris um einen mäßigenden Einfluß der Reichsregierung auf die deutschen
Parteien und die Presse117.
Die Vorbereitungen der Franzosen zu den Saarverhandlungen vollzogen sich
auf der von Briand umrissenen Grundlage. Informationen über die fran-
zösischen Interessenkreise an der Saar wurden zusammengetragen118. Da die
115 Rosting, der Nachfolger Colbans, hatte am 11. 9. 1929 ein Gespräch mit Legationsrat
Voigt in Genf über die Frage der bevorstehenden Saarverhandlungen, in dem er
sagte, Briand habe, auf dieses Problem angesprochen, gesagt, daß „droits politiques“
sich nicht notwendig auf das Plebiszit beziehe (S.D.N. Archives d. Sect. du Secrétariat,
Sect. Politique, Sarre, Nr. 56, Dossier Général II); A. A., a. a. O., Bd. 5, II SG 2365 u.
II SG 2370, Telegramme Hoeschs, die darlegen, daß die Kammerreden Briands und
Tardieus v. 7. u. 8. 11. 1929, die ebenfalls die politischen Rechte der Saarbevölkerung
ausnahmen, die Rückgliederung nicht ausschließen sollten. Hirsch, Die Saar von
Genf, S. 48 interpretiert die Kammeräußerungen zu einseitig bereits im Sinne einer
Festlegung gegen die sofortige Rückgliederung. Es muß allerdings festgestellt werden,
daß die Formel „tous les droits politiques de la population sarroise réservés“ von
vorneherein einen französischen Rückzug in der Frage der Rückgliederung offenhielt
und deshalb den Verhandlungen etwas von dem Charakter der Unklarheit und des
Zögerns, die auf französischer Seite herrschten, gab. Das wirkte sich besonders be-
unruhigend für die öffentliche Meinung an der Saar und in Deutschland aus.
116 Vgl. oben Anm. 94 und 95 in diesem Kapitel.
117 A. A. a. a. O., Bd. 3, St. 11, 45, 55.
118 Ebenda, Bd. 2, St. 25, siehe auch Anm. 120 u. 123.
235
Association Française de la Sarre seit 1928 besonders zur Bewußtmachung
dieser Interessen beigetragen hatte und sie nun auch befragt wurde, gewan-
nen ihre Tätigkeit und ihre Vorstellungen für die Saarverhandlungen selbst
für die offizielle französische Politik Bedeutung119. Wollte die französische
Regierung sich auf diese Weise Voraussetzungen schaffen, die ihre Verhand-
lungspositionen inhaltlich klären sollten, so wurde sie rasch im Zuge dieser
Voruntersuchungen mit Eingaben von Senatoren, Deputierten und wirt-
schaftlichen Organisationen überschüttet120. Der Beginn der Verhandlungen
wurde in dieser Lage trotz des ständigen deutschen Drängens immer wieder
hinausgeschoben121. In der Kommission, die diese Fragen bearbeitete, konnte
man sich nur schwer einigen122. Die französische Regierung geriet unver-
sehens in eine schwierige Lage,
„weil die Befürchtung, wirtschaftliche Vorteile im Saargebiet zu verlieren, in ganz
Frankreich, insbesondere bei Interessenten, große Erregung verursacht habe. Von
etwa 35 Vertretern Elsaß-Lothringens z. B., darunter alle Abgeordneten der
Grenzdepartements, habe sich nur ein einziger, nämlich der sozialistische Abgeord-
nete Grumbach, mit Vorgehen der Regierung und sofortiger Regelung Saarfrage
einverstanden erklärt“ 123.
Die Abgeordneten hätten für den Fall der Verhandlungen so hohe Forde-
rungen erhoben, daß die französische Regierung nicht sehe, wie sie zu er-
füllen seien. In demselben Gespräch, in dem Botschafter von Hoesch die
französischen Schwierigkeiten in dieser Weise dargestellt wurden, wies man
auch darauf hin, daß man sich über die Rückgliederung und das Zollproblem
werde einigen können, daß aber der wichtigste Punkt die Grubenfrage
werde. Es zeichnete sich vor Verhandlungsbeginn also ab, daß Frankreich
die „Cooperation“ nicht nur auf dem Zollgebiet, sondern auch in der Frage
der Gruben erstreben würde. Mußte die deutsche Reichsregierung in ihrem
Programm die Forderung berücksichtigen, daß die saarländischen Parteien
eher den Abbruch der Verhandlungen, denn ein Nachgeben in der Gruben-
frage wünschten, so war die französische Regierung zwar nicht in dieser
Weise gehalten, Rücksicht auf die Interessenten zu nehmen, aber das Heran-
nahen der Verhandlung hatte das Gewicht dieser Argumente verstärkt. In
den Saarinterpellationen nach der Bildung der Regierung Tardieu zeigte sich
zudem sofort, wenn Briand auch die volle Übereinstimmung mit Tardieu in
der Saarfrage betonte124, welche Bedeutung nun die Rechte für die Saar-
verhandlungen gewann. Der große Wert der Saargruben, in deren unge-
schmälerten Besitz man sich vertraglich noch bis 1935 befinde und die stra-
tegische Bedeutung der Saar für Frankreichs Sicherheit (Taittinger)125 und
die Vorteile der Erhaltung des status quo oder der Gewinnung des Warndts
119 Ebenda, auch die Association Française werde befragt, erfuhr man von Serruys in
Genf, wenn diese auch etwas ins „chauvinistische Fahrwasser“ geraten sei.
120 A.A., a. a. O., Bd. 4, St. 36, Bericht deutsche Botschaft II SG 2103.
121 Ebenda, Bd. 4 enthält eine Reihe Mitteilungen der deutschen Botschaft in Paris dar-
über.
122 Wie Anm. 120.
123 A.A., a. a. O., Bd. 4, Stück 66 Telegramm Hoeschs v. 24. 10. 1929.
124 France J.O. Chambre des Députés, Débats, Session extraordinaire, 1929, S. 3054.
125 Ebenda, S. 3043.
236
und Saarlouis’ (Bureau)126 wurden betont. Die französische Regierung
konnte auf Grund der Briandschen Konzeption und der in den Vorberei-
tungen entstandenen Situation die Verhandlungen nur zu einem guten Ende
führen, wenn sie für Frankreich greifbare und überzeugende Vorteile an
der Saar erzielte.
4. Der Gang der Verhandlungen
Die deutsch-französischen Saarverhandlungen wurden am 21. November
1929 in Paris eröffnet und endeten am 7. Juli 1930 ergebnislos. Sie wurden
zweimal mehrere Wochen unterbrochen, und zwar durch eine Weihnachts-
pause vom 20. Dezember 1929 bis 15. Januar 1930 und beim Sturz der
Regierung Tardieu erneut fast einen Monat von Ende Februar bis zum
19. Marz 1930. Die Verhandlungen fielen in einen Zeitraum, in dem
Deutschland und Frankreich von anderen schwerwiegenden Problemen in
Anspruch genommen waren. Die zweite Haager Konferenz, das Volks-
begehren gegen den Youngplan, die Verabschiedung des Youngplanes, der
Sturz der Regierung Fiermann Müller, der Beginn des Präsidialkabinetts
Brüning und die Verschärfung der Weltwirtschaftskrise fielen in diesen Zeit-
raum. Die öffentliche Meinung in beiden Ländern war so stark von diesen
Fragen betroffen, daß ihnen gegenüber die Saarfrage in der Presse, auch in
der deutschen, zeitweise sogar in der saarländischen, in den Hintergrund
trat. Umgekehrt spiegeln die deutschen Verhandlungsakten kaum etwas von
diesen größeren politischen Ereignissen, obwohl diese wie die Entwicklung
der öffentlichen Meinung an der Saar, in Deutschland und Frankreich für
die Verhandlungsführung und ihre Ergebnislosigkeit nicht ohne Bedeutung
waren. Nach deutscher Vermutung war bereits der Verhandlungsbeginn von
französischer Seite nicht nur aus sachlichen Gründen hinausgeschoben wor-
den, sondern auch aus Furcht, daß die Reichstagsdebatten um den Young-
plan eine Verbindung von Youngplan und Saarfrage fordern würden und
dadurch einen Druck auf den Gang der Saarverhandlungen ausüben könn-
ten127. Tardieu hatte zudem nach seinem Regierungsantritt noch vor Ver-
handlungsbeginn drei weitere Mitglieder in die französische Delegation be-
rufen und vor allem den Minister für öffentliche Arbeiten, Pernot, einen
Locarnoanhänger der Rechten und Angehörigen der Marin-Gruppe, zum
Delegationschef ernannt128. Ob durch Tardieu und Pernot die französische
Ausgangsbasis im Sinne einer Erweiterung der französischen Forderungen
noch verändert wurde, läßt sich ohne Einsicht in die französischen Akten
nicht feststellen.
Die ersten Verhandlungswochen dienten der Klärung der gegenseitigen Aus-
gangspositionen und einer ersten Fühlungnahme über die Chancen möglichen
126 Ebenda, S. 3045/6.
127 A.A., Bes. Geb. II, Saargebiet, Rückgliederung Bd. 4, St. 36.
128 Ebenda, Bd. 5, II SG 2415, Telegramm Hoeschs v. 14. 10. 1929. Die Aktenbestände des
AStA München MK 15 587, 27 021 u. MInn 47 087, 47 090, 47 091, 47 092, 47093 ent-
halten Abschriften der Protokolle über die deutschen Vorbereitungen der Saarverhand-
lungen u. Berichte der bayr. Delegationsmitglieder über den Gang der Verhandlungen.
237
Entgegenkommens auf beiden Seiten. In der Eröffnungssitzung129 betonte
Pernot zunächst den unpolitischen Charakter der Verhandlungen, während
der deutsche Delegationschef von Simson die Rückgliederung als Ziel nannte
und von den Franzosen Vorschläge erbat, zu welchen Bedingungen sie dazu
bereit seien. Pernot behielt dagegen die Briandsche These bei, daß Deutsch-
land der Fordernde sei und bestand auf einem schriftlichen deutschen Ange-
bot. Die Frage der Arbeitsmethode für die Verhandlungen wurde geklärt,
und drei Unterkommissionen wurden gebildet, und zwar für die Berg-
werks-, die Zoll- und Flandels- und die juristischen Fragen. Am 25. Novem-
ber wurde das deutsche Aide-Mémoire130 überreicht, das Verhandlungen
über den Rückkaufpreis der Saargruben und die Zahlungsmodalitäten vor-
schlug, Kohlenlieferungen für die französische Eisenindustrie im Sinne einer
fruchtbaren deutsch-französischen Zusammenarbeit und die Schaffung eines
wirtschaftlichen Ubergangsregimes anbot. Während einer gewissen Zeit
sollten zollfreie Einfuhr Frankreichs nach der Saar und zollfreie Ausfuhr
der Saarwirtschaft nach Frankreich möglich sein. Die übrigen noch anstehen-
den Fragen, die in die Kompetenz der dritten Kommission fielen, sollten
später geklärt werden. Bei der Überreichung des Schriftstückes131 kritisierte
Pernot bereits die deutschen Angebote als unzureichend und meldete die
französischen Forderungen in den Grundzügen an. Sie sahen französische
Bergwerkkonzessionen, die allein die Kohlenlieferungen für die französische
Eisenindustrie sichern könnten, die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen
Zollsystems bis 1935 und die Planung eines Systems, wie Deutschland es
vorschlage, für die Zeit nach 1935 vor. In der Grubenfrage wies Simson
bereits darauf hin, daß die Saararbeiterschaft gegen die französischen Pläne
sei; die Franzosen machten dagegen geltend, daß die Gruben Frankenholz
und Hostenbach bereits Privatbesitz darstellten. Die französische Verhand-
lungsbasis wurde in einem Aide-Mémoire der französischen Delegation vom
30. November 1929 Umrissen132. Die Grundthese des französischen Schrift-
stückes lautete: Die deutschen Vorschläge „ne comportent pas d’offre appré-
ciable de la part de l’Allemagne; bien au contraire, elles privent l’économie
française d’avantages substantiels que lui assure le régime actuel.“ Die fran-
zösischen Vorschläge dagegen seien inspiriert „. . . du désir même de la
délégation allemande d’assurer à la France des avantages adéquats . . 133
Die Kohlelieferungen seien bereits durch den Versailler Vertrag vorgesehen
und in ihm hinreichend gesichert. Deshalb sei die Schaffung eines Regimes
notwendig, das durch französisch-saarländische Grubenkonzessionen Frank-
reich Kohlenlieferungen sichern sollte. Eine solche Einrichtung entspreche
auch dem Interesse der Saarländer. Die deutschen Vorschläge über das zoll-
politische Übergangsregime stellten eine Notwendigkeit für die Anpassung
der Saarindustrie an die neue Situation dar und seien dadurch kein Ent-
129 Ebenda, Bd. 5, II SG 2487.
130 Ebenda, Bd. 6, Stück 9, II SG 2538.
131 Ebenda, Bd. 6, Stück 10, II SG 2539, Telegraphischer Bericht über die Sitzung vom
25. 11. 1929.
132 Ebenda, Bd. 6, Stück 19, II SG 2567.
133 Ebenda.
238
gegenkommen Deutschlands. Es müsse ein Ubergangsregime von genügend
langer Dauer geschaffen werden, das in seiner ersten Phase vollständig zoll-
freie Einfuhr für Frankreich an der Saar bieten müsse. Es solle aber erst nach
1935 eingerichtet werden, da der französische Handel nicht auf die Vorteile
verzichten könne, die ihm das gegenwärtige Zollsystem bis 1935 biete. In
den Kommissionssitzungen wurden der französische und der deutsche Stand-
punkt weiter geklärt, ohne daß „irgendwelche Annäherungsmöglichkei-
ten“ 134 erkennbar wurden. Von Simson bemühte sich daneben in intensiven
Gesprächen mit Minister Pernot und den Vorsitzenden der Zoll- und Gru-
benkommission, Elbel und Fontaine, Möglichkeiten einer Einigung auszu-
arbeiten. Die Franzosen bestanden besonders auf der Aufrechterhaltung des
französischen Zollsystems bis 1935, erklärten sich indes zu formellem Nach-
geben dahingehend bereit, daß die Zollverwaltung gemischt oder eine Völ-
kerbundsverwaltung, ja sogar eine deutsche sein könne135. Die deutsche
Delegation hielt zwar den französischen Vorschlag für zu weitgehend und
betonte auch die Schwierigkeiten seiner Realisierung, erklärte sich aber in
den Zollfragen zu „sacrifices“ bereit, so daß sich in dieser Frage auf die
Dauer eine Einigung ergeben konnte136. In der Grubenfrage dagegen wies
Simson immer wieder auf die Unannehmbarkeit des französischen Stand-
punktes hin; wenn Frankreich darauf beharre, seien die Verhandlungen
schnell zu Ende137. Die Ablehnung habe ihre Ursache in den internen deut-
schen Verhältnissen. „Die Reichsregierung, die preußische und bayerische
Staatsregierung, die gesamte deutsche Öffentlichkeit, insbesondere die des
Saargebietes“, sei „hierauf in einer Weise festgelegt, daß er dieses Hindernis
als ,insurmontable‘ bezeichnen müsse" 138.
Die Verhandlungen hatten rasch die gegensätzlichen und in der Grubenfrage
fast unüberbrückbaren Positionen gezeigt. Das saarländische Gremium A
wurde am 5. Dezember in Paris über den Stand der Verhandlungen unter-
richtet139. Dabei wurde besonders betont, daß das Ziel der Verhandlungen
die Rückgliederung sei und daß die Beunruhigung der deutschen Presse über
diese Frage den Tatsachen nicht entspreche. Die Parteivertreter betonten
nochmals ihren Standpunkt über Rückgliederung und Grubenfrage. Am
Vortage war es zu einer ausführlichen Erklärung des Landesrats des Saar-
gebiets140 gekommen, in der die Wünsche der Saarbevölkerung klar formu-
liert und die Haltung der preußischen und bayerischen Regierung und der
deutschen Reichsregierung, die den Forderungen der Saarbevölkerung Rech-
nung tragen wolle, begrüßt worden waren. Die Auffassung der saarländi-
schen Parteien war seit Beginn der Verhandlungen immer wieder bei der
134 Ebenda, Bd. 6, St. 21, II SG 2570, Bericht Hoesdis über die Sitzungen der Kommis-
sionen v. 30. 11. 1929.
135 Ebenda, Bd. 6, St. 36, II SG 2651.
336 Ebenda, Bd. 6, St. 38, II SG 2653.
337 Ebenda, wie Anm. 135.
338 Ebenda.
339 Ebenda, Bd. 6, St. 37, II SG 2652, Niederschrift Friedbergs über die Besprechung mit
Datum vom 5. 12. 1929.
140 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 4. 12. 1929, S. 337 f.
239
Reichsregierung und bei der preußischen Regierung geltend gemacht worden.
Der preußische Ministerpräsident Braun hatte sich wegen der Beunruhigung
der Saararbeiterschaft über die Grubenfrage am 21. November 1929 in
einem entsprechenden Schreiben an Reichskanzler Hermann Müller ge-
wandt141. Dieser hatte am 26. November geantwortet, die deutsche Dele-
gation besitze ganz genaue Anweisungen, die mit den Wünschen der Berg-
arbeiterschaft innerhalb und außerhalb des Saargebiets übereinstimmten. Im
Preußischen Landtag hatte eine gemeinsame große Anfrage der Sozialdemo-
kraten, des Zentrums und der Deutsch-Demokratischen Partei sich mit dem
zukünftigen Schicksal der Saargruben befaßt142. Bei einem Empfang der
saarländischen Parteivertreter bei Außenminister Curtius am 30. November
1929143 hatten sich diese nochmals scharf gegen eine französische Gruben-
beteiligung und gegen jede Privatisierung gewandt. Röchling nahm in die-
ser Besprechung ausdrücklich gegen die Bestrebungen gewisser an der Saar-
industrie beteiligter Industrieller wie Otto Wolff, die für eine Überführung
der Saargruben in die Hände des Privatkapitals eintraten, Stellung. Auf
entsprechende Fragen von Curtius erklärten alle Parteivertreter, daß sie
lieber bis 1935 warten wollten, als den französischen Grubenkonzessionen
zuzustimmen, und daß für sie kein Junktim mit dem Youngplan bestehe.
Die erste Phase spiegelte also nur die auf allen Seiten vor den Verhandlungen
gewonnenen Positionen und zeigte, daß die Deutsche Reichsregierung den
saarländischen Standpunkt übernommen und vertreten hatte und daß die
saarländischen Parteien der Überzeugung waren, daß durch Druck in Berlin
und öffentliche Kundgebungen dem Ziel ihrer Wünsche gedient werden
könne.
Eine neue Phase in den Saarverhandlungen setzte ein, als von deutscher Seite
Angebote über die Pachtverträge gemacht wurden, die in begrenztem Um-
fang französische Wünsche und Vorstellungen in der Grubenfrage berück-
sichtigen sollten. Als persönliche Idee eines deutschen Entgegenkommens
deutete Simson in dem Gespräch mit Pernot am 4. Dezember 1929 an144, daß
man Frankreich ein gewisses Quantum Kohlen in Form von Pachtverträgen
durch die Anerkennung der bestehenden Warndtpachtverträge, vielleicht
auch noch durch die Weiterverpachtung der Grube Frankenholz und notfalls
durch eine gewisse Erweiterung der Pachtfelder für Frankenholz zugestehen
könne; allerdings sei dafür ein französisches Entgegenkommen in Erzliefe-
rungen notwendig. Vielleicht bestehe auch noch die Möglichkeit eines solchen
Kohle-Erz-Abkommens an einer anderen Stelle als im Saargebiet. Die ver-
pachteten Kohlenfelder müßten jedoch deutsches Staatseigentum bleiben.
Pernot wandte sich in dieser Aussprache dagegen, daß Kohle- und Erzfrage
miteinander verbunden würden, weil sonst das deutsche „Opfer“ illusorisch
141 A. A., a. a. O., Bd. 6, St. 25, hier der Briefwechsel.
142 Ebenda, Bd. 6: Drucksache Preuß. Landtag 3. W. 1. T. Nr. 3223, Große Anfrage
Nr. 111.
H3 A.A., a. a. O., Bd. 6, St. 28, II SG 2597.
144 Ebenda, Bd. 6, St. 36.
240
werde. In einem weiteren Gespräch zwischen Simson und Fontaine145 am
6. Dezember schien eine Lösung der Saarfrage auf dieser Grundlage durch-
aus möglich. Gegenüber der französischen Forderung nach deutschen „sacri-
fices“, vertrat Simson den Standpunkt, in der Kohlenfrage sei „coopéra-
tion“ notwendig, in der Zollfrage sei man zum „sacrifice“ bereit. Fontaine
sprach sich persönlich für ein solches System der Zusammenarbeit auf der
Basis französische Kohlebeteiligung — deutsche Erzbeteiligung aus, forderte
nur, daß Quantitätsunterschiede zugunsten der Kohlelieferungen an Frank-
reich gegeben sein müßten. Außerdem gab er zu erkennen, daß er sich per-
sönlich darüber klar sei, „daß mit Rücksicht auf die Arbeitnehmer von einer
allgemeinen Privatisierung der Gruben gar nicht die Rede sein kann“. Er
bemerkte, daß seine Stimme in dieser Richtung schwer durchdringe, weil „er
allgemein bei den französischen Unternehmern als ein zu starker Anwalt
der Arbeitnehmer gelte“ 146. Der Druck auf die französische Regierung gehe
nicht von den lothringischen Industriellen aus, sondern von der Saarindu-
strie, „und nicht nur von den französischen Mitgliedern“ 147. In diesem Ge-
spräch versprach Fontaine die Ermittlung der Ziffer für den französischen
Kohlebedarf. In den folgenden Tagen weilte Simson in Berlin und ließ sich
für seine Vorschläge in Gesprächen mit Staatssekretär von Schubert148 am
7., mit Außenminister Curtius149 am 10. und am 12. Dezember mit dem
preußischen Ministerpräsidenten Braun in Anwesenheit des preußischen Han-
delsministers Schreiber und des Staatssekretärs Weismann Rückendeckung
geben150. Das Einverständnis bezog sich auf die Simsonschen Vorschläge über
die Pachtverträge und die Grube Frankenholz. Daraufhin erklärte Simson
am 14. Dezember Pernot151, daß er Gegenvorschläge auf das französische
Aide-Mémoire in der Grubenfrage machen werde, die mit dem deutschen
Eigentum vereinbar seien. Nach der Vorbereitung in Berlin werde er sie
nach der Weihnachtspause überreichen.
In diese Pause fiel die zweite Haager Konferenz über den Youngplan. In
einem Gespräch zwischen Briand und Curtius am 4. Januar wurde der Stand
der Saarverhandlungen erörtert152. Briand verlangte konkrete Vorschläge
von deutscher Seite, was nur bedeuten konnte, daß ihm die deutschen Ange-
bote nicht genug entgegenkamen. Einmal entsprach eine solche Aufforderung
seiner Ausgangsposition, zum andern wurde das auch in einer Unterredung
mit Staatssekretär von Schubert in Genf am 15. Januar 1930 sichtbar, als
145 Ebenda, Bd. 6, St. 38.
146 Ebenda.
147 Es gab tatsächlich Industriekreise an der Saar, die eine Privatisierung der Gruben und
französische Beteiligung wünschten. Sie erhofften eigene Beteiligung an den Saar-
gruben oder Beteiligung an lothringischen Minettefeldern. Neben der Firma Wolff
bemühte sich in diesem Sinne der Generaldirektor des Neunkircher Eisenwerkes,
Tgahrt. A. A., a. a. O., Bd. 3, St. 9; Bd. 6, II SG 2530.
l« Ebenda, Bd. 6, St. 42, II SG 2688.
W Ebenda, Bd. 6, St. 43, II SG 2689.
iso Ebenda, St. 45, II SG 2692.
151 Ebenda, Bd. 6, St. 39, II SG 2677.
152 Ebenda, Bd. 7, St. 13, II SG 41, Telegramm Pünder, Staatssekretär d. Reichskanzlei,
aus Den Haag, über dieses Gespräch; u. St. 33, II SG 200, Aufzeichnung Curtius über
dieses Gespräch.
241
Briand von einer Zusammenarbeit gleichberechtigter Partner an der Saar
sprach153. Wenn diese Bemerkungen darauf hindeuteten, daß Briand selbst
ein sehr beachtliches deutsches Entgegenkommen wünschte, so enthielt das
Gespräch in Den Haag doch auch hoffnungsvolle Ausblicke für die Saar-
frage. Curtius legte dar, die deutsche Delegation habe sich schon gefragt, ob
nicht der Abbruch der Verhandlungen notwendig sei, da die Aufrechterhal-
tung des Zollregimes bis 1935 und die Privatisierung der Saargruben von
den Franzosen verlangt worden seien. Eine Privatisierung der Saargruben
sei unmöglich, da diese auf allerschärfsten Widerstand Preußens und vor
allem der Sozialdemokratischen Partei stoße. Briand erwiderte, in der fran-
zösischen Delegation seien auch „etatistes“, die Meinung sei dort geteilt, die
anderen Auffassungen der Delegation seien „mehr astronomische Gedanken-
gänge“ 154. Diese Unterredung konnte zusammen mit der Äußerung Fon-
taines die Hoffnung auf deutscher Seite nähren, daß man bei Nachgeben in
der Zollfrage und in den Pachtverträgen im Sinne des Vorschlages Simsons
zum Ziele komme.
Am 8. Januar fand dann eine Besprechung Simsons mit dem Sachverstän-
digengremium A in Frankfurt am Main statt155. Simson erklärte seine Pläne
und wollte das Einverständnis der Saarländer. Die Vertreter der Bergarbei-
terschaft und einiger politischer Parteien (besonders der Sozialdemokrat
Braun) reagierten „mit bemerkenswerter Schärfe“ auf die deutschen Gegen-
vorschläge. Nur auf Grund der Ausführungen Röchlings konnte langsam
eine Annäherung der Standpunkte herbeigeführt werden.
„Doch waren die Saarvertreter auch am Schluß, obwohl ihre Ansichten in Einzel-
heiten auseinandergingen, darin einer Meinung, daß die deutschen Gegenvorschläge
in der vorliegenden Form zu weit gingen.“
Die Saarvertreter hatten wirtschaftliche und politische Bedenken gegenüber
den Vorschlägen von Simson. Sie fürchteten, daß durch die Pachtverträge
Absatzschwierigkeiten für die übrige Saarkohle entstehen könnten. Die
Freien Gewerkschaften und die Sozialdemokraten waren gegen die Verpach-
tung der Grube Frankenholz, während die Vertreter der Christlichen Ge-
werkschaften und einiger Parteien in den Pachtverträgen eine Gefahr für
den Warndt sahen. Die politischen Bedenken erstreckten sich überdies dar-
auf, daß eine dünne Schicht Franzosen sich dauernd im Saargebiet festsetzen
werde. Dagegen wandten sich alle Vertreter entschieden. Die Bevölkerung
könne nicht vergessen, „mit welch unfairen Methoden die Franzosen im
Jahre 1919 das Versailler Saarregime zustande gebracht und sich später in
der Wirtschaft des Gebietes, besonders in der Hüttenindustrie eingenistet
haben“. Nach wiederholten Ausführungen der Delegationsmitglieder kam
man schließlich nahezu einstimmig zu der Ansicht:
„Ein Scheitern der Verhandlungen ist zu vermeiden. Gewisse Konzessionen sind
möglich, allerdings nur in sehr beschränktem Umfange und nur in zeitlich begrenz-
153 A. A., a. a. O., Bd. 7, St. 34, II SG 202.
154 Vgl. Anm. 152.
155 A.A., a. a. O., Bd. 7, St. 19, II SG 100, Niederschrift über die Sitzung; die folgenden
Zitate sind aus dieser Niederschrift.
242
tem, abklingendem Sinne, nämlich bezüglich der Grube Frankenholz und der
Warndtfelder. Auch diese Konzessionen sollten aber zunächst höchstens vorsichtig
angedeutet werden, zuzusagen wäre einstweilen nur eine Prüfung der Pachtver-
träge, die vorgelegt werden müßten. Einige Vertreter, besonders die der Sozial-
demokratie, blieben bei ihrer Ansicht, daß die Grube Frankenholz überhaupt nicht
einbezogen werden sollte, während andere gerade hiergegen die geringsten Beden-
ken hatten.“
In der Zollfrage betonten die saarländischen Vertreter, daß der französische
Absatzmarkt der Saarindustrie noch eine Zeitlang erhalten bleiben müsse.
Durch diese Haltung der saarländischen Vertreter wurde die Möglichkeit
eines deutschen Entgegenkommens wesentlich eingeschränkt, vor allem konnte
jetzt eine Erweiterung der Pachtfelder nicht mehr in Betracht kommen.
Der Wiederbeginn der Verhandlungen stand von deutscher Seite ganz unter
dem Eindruck der Stellungnahme des Gremiums A. Am 15. Januar unter-
richtete Legationsrat Friedberg Pernot über die Auffassung der Saarbevöl-
kerung und sagte, der deutschen Delegation seien dadurch in ihrem Ent-
gegenkommen gewisse Grenzen gezogen, „denn eine deutsche Delegation,
die die Saarbevölkerung gegen sich habe, sei eine Unmöglichkeit“ 156. Ein-
wände Pernots gegen die Bedeutung des Sachverständigengremiums wurden
zurückgewiesen. Am 21. Januar wurde das zweite deutsche Aide-Memoire157
überreicht, das sich ebenfalls auf die Haltung der Saarbevölkerung in der
Grubenfrage berief und damit der französischen Darstellung, die von Frank-
reich vorgeschlagene Lösung der Grubenfrage liege im Interesse der Saar-
bevölkerung, widersprach. Des weiteren sprach das Schriftstück vorsichtig
von den Pachtverträgen, betonte aber im übrigen, daß die von Deutschland
vorgeschlagenen Vereinbarungen über die Kohlenlieferungen die günstigste
Lösung der Frage darstellten und daß diese Vereinbarungen doch mehr seien
als die im Versailler Vertrag vorgesehenen Kohlelieferungen. Auch in der
Zollfrage wies man auf die Schwierigkeiten, die französischen Wünsche zu
realisieren, hin und betonte besonders, daß die Aufrechterhaltung des ge-
genwärtigen Zollregimes keine Rückkehr unter die volle deutsche Souveräni-
tät bedeute. Deshalb seien die Probleme doch am leichtesten durch die Fest-
legung von Kontingenten zu lösen. Die Franzosen händigten in der Gruben-
kommission am 30. Januar die Pachtverträge zwar vertraulich aus, aber für
sie stellte sich nun die Frage, ob die Pachtfelder erweitert werden könnten158.
Sie ließen also den Gedanken fallen, den gesamten Grubenbesitz zu priva-
tisieren, wollten aber eine Erweiterung der Pachtfelder und statt Franken-
holz Klarenthal und Velsen. Als mögliche Minimalforderung von französi-
scher Seite zeichnete sich damit die Gewinnung eines beachtlichen Grenz-
streifens mit Kohlevorkommen durch langdauernde Pachtverträge ab. Per-
not tastete auf Grund der deutschen Vorschläge ab, ob nicht bei grundsätz-
lichem Verbleib in Staatseigentum die Gruben durch Aktiengesellschaften
Ebenda, Bd. 7, St. 22, II SG 121.
157 Ebenda, Bd. 7, St. 30, II SG 176.
158 Ebenda, Bd. 7, St. 41, II SG 249.
243
mit Beteiligung französischen Kapitals betrieben werden könnten159. Als die
deutsche Delegation erklärte, daß die Pachtfelder nicht erweitert werden
könnten160, und auch der Vorschlag der Betriebsaktiengesellschaften abge-
lehnt wurde161, antworteten die Franzosen, daß die Verhandlungen dann
überflüssig seien162. In der Zollfrage schlug die deutsche Delegation vor, daß
die Kommission zunächst die deutschen und die französischen Vorschläge für
die Zeit bis 1935 nebeneinander prüfe, da lasse sich sicher ein Einvernehmen
hersteilen163. In der Grubenfrage dagegen waren die Verhandlungen rasch
festgefahren. Pernot erklärte gegenüber dem deutschen Standpunkt, die
öffentliche Meinung in Frankreich vertrage eine Lösung der Saarfrage nicht
ohne weitergehende deutsche Zugeständnisse in der Frage der Bergwerke164.
Hoesch versuchte in einem Gespräch mit Briand am 17. Februar, diesen zu
veranlassen, daß er die französische Delegation zum Nachgeben in der Gru-
benfrage bewege165. Ein Gesamtüberblick Simsons vom 18. Februar betonte,
daß es den Franzosen ernst sei mit der Rückgliederung, daß es in der Zoll-
frage wohl notwendig sei, dem Wunsche der Franzosen nach Aufrechterhal-
tung des gegenwärtigen Zollsystems bis 1935 zu entsprechen, aber in dem
Grubenproblem könne man nicht weiter nachgeben166. In dieser Situation
erfolgte der Sturz des Kabinetts Tardieu, der zu einer erneuten Pause der
Verhandlungen führte.
Die saarländischen Partei- und Gewerkschaftsführer befanden sich seit der
Tagung des Gremiums A vom 8. Januar in großer Erregung. Sie fürchteten,
daß die deutsche Delegation zu nachgiebig sei und waren erbittert über die
französischen Forderungen bezüglich der Bergwerke. Die Gewerkschaften
und die Sozialdemokraten übten deshalb einen besonderen Drude auf die
deutsche Seite aus. Das schien ihnen angesichts der Regierung Braun in Preu-
ßen und Hermann Müller im Deutschen Reich wohl der wirksamste Weg.
Auch Kuhnen legte als Vertreter der Christlichen Gewerkschaften die Be-
denken der Saarbergarbeiterschaft nochmals in einem Schreiben an Staats-
sekretär Simson dar167 und besuchte am 28. Januar mit dem Gewerkschafts-
sekretär Schwarz von der Freien Gewerkschaft den preußischen Minister für
Handel und Gewerbe in Berlin168, um erneut für die uneingeschränkte Rück-
gabe der Gruben einzutreten und Bedenken gegen die Verpachtung von
Frankenholz und die Nachgiebigkeit der deutschen Delegation anzumelden.
In handelspolitischer Hinsicht sprach sich dagegen der Vertreter der Freien
Gewerkschaften für ein Eingehen auf die französischen Wünsche aus. Aus
159 Ebenda, Bd. 7, St. 47, II SG 274, Telegramm Friedbergs ü. Sitzung mit Pernot v.
5. 2. 1930.
160 wie Anm. 158.
161 Wie Anm. 159.
162 wie Anm. 158.
163 Ebenda.
164 Ebenda, Bd. 8, II SG 326, Besprechung v. 12. 2. 1930.
165 Ebenda, Bd. 8, II SG 369.
166 Ebenda, Bd. 8, II SG 390.
167 Ebenda, Bd. 7, St. 20.
168 Ebenda, Bd. 8, II SG 310.
244
der Erregung der Arbeiterschichten erklären sich auch eine Reihe von Ein-
gaben saarländischer Gemeinden, die ähnlich Stellung nahmen169. Außerdem
kam es im Reichstag zu einer sozialdemokratischen „Interpellation von
Dr. Breitscheid und Genossen“ wegen der Saarfrage, insbesondere der Saar-
gruben170. Die Deutsch-Saarländische Volkspartei, die Zentrumspartei und
die Deutschnationale Volkspartei versuchten dagegen nochmals einen gewis-
sen Druck über Genf auszuüben. Eine fünfköpfige Delegation, der Röchling,
Levacher und Kiefer angehörten, suchte am 16. Januar 1930 nicht nur den
Staatssekretär von Schubert171 in Genf auf, sondern auch Rosting vom
Völkerbundssekretariat, um ihm den Standpunkt der Parteien zu den Saar-
verhandlungen darzulegen. Sie Umrissen dieselben Bedingungen, die im
Landesrat am 4. Dezember 1929 genannt worden waren. Rosting bemerkte
in seinem Bericht über diese Unterredung:
„Ils m’ont prié de faire savoir au Secrétaire Général que bien que les partis poli-
tiques de la Sarre n’aimaient pas la S.D.N. ils préféraient mille fois rester sous le
régime actuel jusqu’en 1935 que d’accepter un compromis sur ces trois points.“ 172
In der Grubenfrage erklärten sie sogar, wenn die Franzosen nicht bereit
seien, den deutschen Standpunkt anzuerkennen, würden alle saarländischen
Parteien die deutsche Reichsregierung um Abbruch der Verhandlungen bitten.
In den Wirtschaftsfragen dagegen könne man verhandeln, und auch in den
Warndtpachtverträgen lasse sich ein Arrangement treffen, wenn die Pacht-
verträge auch keine 99 Jahre dauern dürften. Der Sinn dieser Vorsprache
erhellt erst aus zwei weiteren Äußerungen der Saarvertreter. Sie betonten,
daß sie in der Hoffnung auf eine endgültige Regelung des Saarproblems eine
ganze Serie von Fragen aufgeschoben hätten, die sie bei einem Scheitern der
Verhandlungen von neuem vor den Völkerbund bringen würden. Außerdem
versuchte Röchling, das gesamte Saarproblem wieder unter politische Aspekte
zu bringen:
„Surtout M. Röchling a beaucoup insisté sur l’aspect politique de toute la question
et il a déclaré que si les Français acceptaient qu’un plébiscite ait lieu en 1935, ils
courraient un grand risque pour l’Alsace et la Lorraine, étant donné que le plé-
biscite dans la Sarre ne manquerait pas d’avoir des répercussions dans ces provinces
et réveiller de nouveau les passions politiques pour l’autonomie.“ 173
Dieser Besuch hatte offensichtlich den Sinn, im Völkerbundsekretariat Stim-
mung für eine sofortige Saarregelung zu machen, da sonst eine für die Ver-
ständigungspolitik und für Frankreich unliebsame Entwicklung zu erwarten
sei. Man hoffte wohl zugleich auf einen gewissen Einfluß der französischen
Mitglieder des Sekretariats auf Frankreich. Die Parteien versuchten also in
der zweiten Phase der Verhandlungen durch öffentliche Bekundungen ihres
169 Ebenda, Bd. 7, St. 32, Bd. 8, II SG 373.
170 Reichstag IV. Wahlp. 1928, Nr. 1638 in A. A., a. a. O., Bd. 8.
171 A. A., a. a. O., Bd. 7, St. 38, II SG 238. .
172 S.D.N. Archives des Sect. d. Secrétariat, Sect. Pol. Sarre, Nr. 56, Dossier General II.
Die drei Punkte waren: 1. Rückgliederung des ganzen Gebiets an Deutschland,
2. Rückgabe der Gruben an den preußischen und bayerischen Staat, 3. Rückgabe der
drei Frankreich gehörigen Eisenbahnlinien an das Deutsche Reich. Es handelte sich
um die kleinen Strecken Waldwies—Merzig, Niedaltdorf—Dillingen und Hargarten
Völklingen, von denen die beiden letzten für die Erzversorgung von Dillingen und
Völklingen von großer Bedeutung sind.
173 Ebenda.
245
Willens, durch Druck in Berlin und Genf die Ernsthaftigkeit und Unbeug-
samkeit ihres Standpunktes zu erhärten.
In den beiden ersten Phasen der Saarverhandlungen waren die Saarparteien
trotz der immer wiederholten Wendung, daß sie lieber bis 1935 warten als
in der Grubenfrage nachgeben wollten, letztlich der Überzeugung, daß
Frankreich angesichts dieses eindeutigen Willens der Saarbevölkerung ein-
lenken werde. Diese Auffassung war bei ihnen durch die Eigenart ihrer
jahrelangen nationalen Selbstverteidigung wie durch den Versailler Vertrag,
in dem der Bevölkerung ausdrücklich das Selbstbestimmungsrecht zuge-
standen war, bedingt. Für die Parteien stand deshalb auch immer der po-
litische Gesichtspunkt des für Frankreich beschämenden Ausganges eines
Plebiszits im Mittelpunkt. Sie sahen darin ein entscheidendes Druckmittel
für die Verhandlungen. Als sich schließlich die Erkenntnis aufdrängte, daß
die Saarverhandlungen wahrscheinlich an der Grubenfrage scheitern wür-
den, war man besonders in Kreisen des Zentrums bestürzt. Eine Reihe der
führenden Zentrumspolitiker neigte zu einer Revision der schroffen Hal-
tung, die man am 8. Januar gegenüber möglichen deutschen Angeboten ein-
genommen hatte. Man begann sich zu fragen, ob die Erregung der Saar-
bevölkerung und die Haltung der Presse den Verhandlungen dienlich ge-
wesen sei. Nach einem Gespräch mit Levacher, Becker und Kiefer wandte
sich Koßmann an Legationsrat Friedberg174, um ihm von diesem Stimmungs-
wandel zu berichten, der aus der Angst geboren sei, daß die Verhandlungen
und die sofortige politische Rückkehr nach Deutschland scheitern könnten.
Es fand eine nochmalige Sitzung mit dem Gremium A statt175, in der die
Parteivertreter mit Ausnahme Brauns sich hinter die Vorschläge und die
Verhandlungsweise der Delegation stellten, während die Vertreter der
Freien und der Christlichen Gewerkschaften weiter zur Vorsicht mahnten.
Für den Fall, daß die sofortige Rückgliederung zu erreichen sei, erklärte sich
schließlich Braun mit allen von der deutschen Delegation geplanten Zuge-
ständnissen, ausgenommen die Weiterverpachtung der Grube Frankenholz,
einverstanden. Der Standpunkt der saarländischen Vertreter hatte sich also
gegenüber dem 8. Januar gemildert, aber letztlich blieb der Rahmen eines
möglichen Nachgebens gegenüber den französischen Grubenwünschen eng
begrenzt. In diesem Zentralproblem der Verhandlungen war zudem eine
eigenartige Situation entstanden. Die Partei Röchlings, die besonders in
Frankreich als Exponent des nationalen Kampfes galt, war zu weitestem
Entgegenkommen in der Grubenfrage bereit176, während die Sozialdemo-
kratische Partei als Vertreterin der Verständigungspolitik die schroffste
Haltung gegenüber den französischen Wünschen einnahm177. Die kritische
Haltung der Sozialdemokraten gegenüber einem Teil der geplanten deut-
174 А. A., a. a. O., Bd. 9, II SG 810, ln diesem Aktenstück alles über diesen Vorgang.
175 Ebenda, Bd. 9, II SG 836, Datum fehlt in der Aufzeichnung.
176 Davon zeugen noch weitere Aktenstücke, z. В. А. A., a. a. O., Bd. 3, St. 26, ein Vor-
trag Röchlings im Reichsverband der Deutschen Industrie in Leverkusen; prinzipiell
vertrat Röchling aber den Standpunkt, daß die Gruben in preußischen und bayeri-
schen Staatsbesitz zurückkehren müßten, dazu ebenda, Bd. 2, St. 8; ebenda, Bd. 8,
II SG 789.
177 So auch Lambert, a. a. O., S. 166.
246
sehen Konzessionen steigerte sich überdies nach dem Rücktritt der Regierung
Hermann Müller und dem Beginn des Kabinetts Brüning. Es kam zu Diffe-
renzen zwischen Zentrumspartei und Sozialdemokraten im Saargebiet178.
Da die preußischen Mitglieder der Pariser Delegation scharfe Anweisungen
vom preußischen Minister für Handel und Gewerbe erhielten, vermutete
man in der deutschen Delegation in Paris, daß das auf den Einfluß Max
Brauns in Berlin zurückzuführen sei, der den Saarverhandlungen in der
Konstellation Tardieu—Brüning keinen Erfolg wünsche179. Am 29. Mai 1930
wandten sich die Freien Gewerkschaften und die Sozialdemokratische Partei
in einer Eingabe an Reichskanzler Brüning, in der die beiden entscheidenden
Abschnitte lauteten:
„Die sozialdemokratische Partei und die Freien Gewerkschaften des Saargebiets
machen die Reichsregierung nochmals mit allem Nachdruck darauf aufmerksam,
daß sie einer Verlängerung des de Wendelschen Pachtvertrages (Großrosseln) und
des Pachtvertrages Frankenholz unter Zuteilung preußischer Pachtfelder als Be-
dingung für die Saarrückgliederung nicht zustimmen können und mit allen zu
Gebote stehenden Mitteln dagegen vorgehen werden . . .“
Sie seien der Meinung, „daß eher eine Vertagung oder Aufschiebung der Rück-
gliederungsverhandlungen in Kauf genommen werden muß, als einer Rückgliede-
rung unter Bedingungen zuzustimmen, die für die gedeihliche Zukunftsentwicklung
der Saar als unerträgliche Belastung angesehen werden müssen“ 18°.
Diese Eingabe traf erst ein, als die Ablehnung der französischen Vorschläge
bereits beschlossen war, zeigt aber mit aller Deutlichkeit, wie die Haltung
der Saarparteien, insbesondere der Sozialdemokraten, ein Eingehen auf
französische Wünsche kaum möglich machte. Hier nahmen die Sozialisten
sogar ihr ursprüngliches Einverständnis mit gewissen Zugeständnissen zurück.
Das spricht für die Vermutung der deutschen Delegation, daß ab März 1930
die Sozialdemokraten an einer sofortigen Lösung der Saarfrage kein Inter-
esse mehr hatten.
Die letzte Phase der Verhandlungen, die am 19. März begann, brachte keine
wesentlich neuen Gesichtspunkte in die Diskussion; die Verhandlungen wur-
den in den folgenden Monaten schleppend und mit mehreren Pausen ge-
führt. Man hatte auf deutscher Seite zwar den Eindruck, daß die Franzosen
zu einem Abschluß kommen wollten und vorübergehend traten die gegen-
sätzlichen Standpunkte auch etwas in den Hintergrund, als auf Wunsch der
deutschen Delegation in der Grubenkommission die Pachtverträge überprüft
wurden, also vom deutschen Ansatz ausgegangen wurde, während man in
der Zollkommission die französischen Vorstellungen als Gesprächsbasis
nahm. Trotzdem stieß man ständig wieder auf die gegensätzlichen Auffas-
sungen in der Grubenfrage. Die Franzosen machten schließlich neue Vor-
schläge, in denen sie neben den Warndtkonzessionen einen weiteren Grenz-
streifen mit Kohlenfeldern verlangten181. Sie verzichteten damit auf die
nicht grenznah gelegene Grube Frankenholz, für die in den Simsonschen
178 A.A., a. a. O., Bd. 9, II SG 1030, darüber berichteten die Zentrumspolitiker in einer
Besprechung mit Brüning am 10. 5. 1930; außerdem ebenda, e.o. II SG 1017.
179 Ebenda, Bd. 9, II SG 1113, Abschrift eines Briefes Friedbergs an Simson.
180 Ebenda, Bd. 10, II SG 1220.
181 Ebenda, Bd. 8, II SG 714, Telegramm Simsons v. 2. 4. 1930.
247
Vorstellungen auch eine Erweiterung der Pachtfelder vorgesehen war, woll-
ten aber dafür erhebliche Konzessionen in einem geschlossenen Gebiet an
der französischen Grenze. Ein solcher Vorschlag widersprach nicht nur der
allgemeinen Forderung der saarländischen Parteien, sondern mußte auch die
nationalen Bedenken, die gegen eine solche Regelung der Grubenfrage er-
hoben worden waren, hervorrufen. In Gesprächen Simsons mit Reichskanz-
ler Brüning und dem Reichsaußenminister am 26. und am 28. Mai entschloß
man sich zur Ablehnung der französischen Vorschläge182. Pernot teilte dar-
aufhin am 28. Juni 1930 mit183, daß Briand und Tardieu der Auffassung
seien, daß der Verzicht auf die Grubenfrage Frankreich nicht möglich sei.
Tardieu würde gestürzt, wenn er eine andere Haltung einnehme. Hoesch
legte in einem Telegramm vom 30. Juni184 ebenfalls dar, er glaube, daß es
der Regierung tatsächlich unmöglich sei, den Saarvertrag ohne die Gruben-
zugeständnisse in der französischen Kammer durchzubringen. Am 6. Juli
wurde ein gemeinsames Kommunique ausgearbeitet und am 7. Juli schlossen
die Verhandlungen185 und wurden nicht wieder auf genommenI86.
Der Abbruch der Saarverhandlungen wegen der Grubenfrage war nicht nur
mehr eine Angelegenheit der französischen Regierung, sondern auch eines
erheblichen Teiles des französischen Volkes. In Frankreich hatte die Saar-
frage im Zuge der Verhandlungen in steigendem Maße eine Relation zu
allgemeinen nationalen Fragen gewonnen. Hatte die Association Française
de la Sarre für die Rechtskreise bereits das Saarproblem zur französischen
Sicherheit in Beziehung gesetzt, so hatte die Briandsche Formel von der
„gage“ und „coopération“ in den Kreisen der verstandigungs- und verhand-
lungsbereiten Franzosen zur Entwicklung immer konkreterer Vorstellungen
von der Errichtung eines Systems deutsch-französischer Zusammenarbeit an
der Saar geführt. Alle diese Pläne sahen eine beachtliche französische Gru-
benbeteiligung vor. Ein Beispiel dafür ist der von den saarländischen Sozial-
demokraten immer als Kronzeuge für die internationale Verständigungs-
politik genannte sozialistische Abgeordnete Grumbach. Dieser war wieder-
holt für eine politische Rückgliederung der Saar und gegen eine Privatisie-
rung der Saargruben eingetreten, führte jedoch in seiner Kammerrede am
21. November 1929 über eine Regelung der Saarfrage aus:
„II ne faut pas oublier que le régime transitoire douanier doit durer, si possible, au
delà de 1935.
182 Ebenda, Bd. 10, II SG 1184 und 1185. 1*3 Ebenda, Bd. 10, II SG 1375.
184 Ebenda, Bd. 10, II SG 1380. 185 Ebenda, Bd. 10, II SG 1422.
186 Für die Darstellung in Hoffmann, Das Ziel war Europa, Der Weg der Saar
1945—1955, Mü. u. Wien 1963, S. 31, daß Brüning 1931/32 mit ital. Vermittlung Saar-
verhandlungen mit konkreten Ergebnissen geführt habe, konnte die Verf. weder in
den Akten des A.A. noch d. Reichskanzlei Unterlagen finden. Ein Gutachten v. Lega-
tionsrat Voigt v. 27.4.1932 über d. Saarfrage II SG 776 spricht ausdrücklich davon, daß
Verhandlungen nach 1930 nicht mehr stattgefunden haben (A.A. II Bes. Geb., Saargeb.,
Rückgl. Bd. 11 u. Pol. Angelegenh. Bd. 42 u. BA R 43V252). — Von dem Plan Brünings
zur Revision v. Versailles (mit sofortiger Rückgl. d. Saar) durch eine internat, Konferenz
unter d. Patronat König Alberts v. Belgien u. entsprechenden privaten Vereinbarungen
zwischen dem König u. Brüning berichtet Wheeler-Bennett, Wooden Titan,
London 1936, S. 379f. Vgl. Wambaugh, a. a. O., S. 109 Anm. 11.
248
II faut vouloir que la Sarre devienne un terrain de collaboration intime, écono-
mique entre la France et l’Allemagne, entre l’État français et l’État allemand.
Les mines, en vertu du traité de paix, ont été données en propriété absolue à la
France pour la dédommager des destructions effroyables commises dans le Nord.
Ces mines devront rester propriété, si possible, d’une société constituée par l’État
allemand et l’État français . . .“ 187
Da die Deutsche Reichsregierung auf Grund des von den saarländischen Par-
teien entwickelten Programms und ihrer Haltung während der Verhand-
lungen nur in zollpolitischer Hinsicht den Franzosen entscheidende Zuge-
ständnisse machen konnte188, entsprachen die deutschen Angebote nicht den
französischen Vorstellungen.
Letztlich waren die Verhandlungen an den gegensätzlichen Ausgangsposi-
tionen Deutschlands und Frankreichs gescheitert. Diese Ausgangspositionen
hatten sich aus der grundsätzlich verschiedenen Sicht des Versailler Vertrages
bei den beiden Völkern und ihren verschiedenen Konzeptionen einer erfolg-
reichen Außenpolitik entfaltet. Frankreich war nicht bereit, an der Saar eine
Revisionspolitik Deutschlands zu akzeptieren, selbst bei beachtenswerten
wirtschaftlichen Zugeständnissen. Deutschland konnte der Errichtung eines
deutsch-französischen Grubensystems an der Saar nicht zustimmen, da dieses
den Saarparteien auf Grund der französischen Politik von 1919 bis 1923
als nationale Gefährdung des Saargebiets und den Sozialisten und Gewerk-
schaften überdies als eine Preisgabe der sozialen Interessen der Arbeiter-
schaft erschien. Die Frage zu untersuchen, ob die Deutsche Reichsregierung
ohne den Druck der Saarparteien189 zu einem Ausmaß des Nachgebens in
der Grubenfrage bereit gewesen wäre, das Frankreich befriedigt hätte, oder
ob umgekehrt Frankreich ohne den Druck der öffentlichen Meinung nicht zu
einer Konzeption der Saarlösung mit Grubenkonzessionen gelangt und sich
mit zollpolitischen Zugeständnissen zufriedengegeben hätte, erscheint müßig.
Außenpolitische Probleme wurden von beiden Völkern in der Nachkriegs-
zeit stets erneut als nationale Existenzfragen angesehen, und im Jahre 1930
befanden sich Deutschland und Frankreich wieder in einem Stadium stär-
kerer nationaler Erregung.
Der Gang und das Scheitern der Verhandlungen hatten an der Saar eine
neue Phase der politischen Entwicklung eingeleitet. Nach der Beruhigung in
der Ära der europäischen Verständigungspolitik war die Saar seit 1929 von
einer starken politischen Erregung erfaßt worden. Man hatte geglaubt, den
nationalen Entscheidungskampf ausgetragen zu haben, und war nun von
den französischen Plänen in allen Varianten tiefgehend beunruhigt worden.
Die französischen Saarwünsche hatten sich den politischen Parteien vor
187 J.O. France, Chambre des Députés, Débats, Session extraordinaire, 1929, S. 3405.
188 Die Darstellung bei Wambaugh, a. a. O., S. 108, daß Deutschland zu keinerlei
wirtschaftlichen Zugeständnissen bereit gewesen sei, ist falsch. Außerdem erweckt ihre
Darstellung den falschen Eindruck, als ob Deutschland ein Interesse daran gehabt
habe, daß keine Abstimmung stattfinde.
189 Lambert, a. a. O., S. 167, ist der irrigen Auffassung, daß die politischen Führer der
Saarparteien auch nicht von der deutschen Seite über ihre Wünsche zu den Verhand-
lungen gehört wurden.
249
allem unter dem Gesichtspunkt einer Festsetzung französischen Kapitals in
den Saargruben des Warndts und damit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit
eines Teiles der Saarbergarbeiterschaft von Franzosen dargestellt. So war
die nationale Erbitterung gegenüber Frankreich wieder aufgelebt, und nach
Abbruch der Verhandlungen hatte man das Gefühl, energisch die Vorbe-
reitung der Abstimmung von 1935 beginnen zu müssen. Da die Associa-
tion Française de la Sarre das Scheitern der Verhandlungen gewünscht und
eine Abstimmung für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes
in französischem Interesse propagiert hatte und einige Verhandlungspartner
bereits während der Pariser Gespräche geäußert hatten, daß eine Abstim-
mung 1935 doch vielleicht für den status quo statt für Deutschland ausfallen
werde190, fühlte man sich durch Frankreich dauernd bedroht. Die weitere
Tätigkeit der Association Française und neu auftauchende französische Saar-
pläne, wenn sie auch nicht aus Regierungskreisen stammten, nährten diese
Gefühle. So entwickelte z. B. der Graf de Fels im Januar 1931 in der „Re-
vue de Paris“ den Plan, das Saargebiet solle Sitz des Völkerbundes werden,
nachdem Deutschland und Frankreich im Geiste der Völkerversöhnung auf
dieses Gebiet verzichtet hätten191. Auch der Plan einer Aufschiebung der
Abstimmung im Dienste Frankreichs tauchte auf. Als Brüning die Repara-
tionszahlungen kündigte, schlug man in Frankreich vor, die Saarabstimmung
solange zu verhindern, bis Deutschland die Reparationen gezahlt habe192.
Der Warndtbund, eine Vereinigung, die den französischen Interessen im
Warndt diente, und andere autonomistische Verbände warben an der Saar
selbst für französische Ziele193. Die Folge war eine wachsende politische
Aktivität aller Parteien an der Saar. Die Zusammenarbeit mit dem Bunde
der Saar vereine und die Versammlungs- und Rednertätigkeit wurden gestei-
gert. Man wollte eine Abstimmung mit 99 Prozent für Deutschland, um alle
Pläne Frankreichs auf den Warndt evident zu durchkreuzen. Da der Völker-
bund nach § 35 des Saarstatuts bestimmte, wie die Wahl auszuwerten sei,
hielt man eine solche Kundgebung des einheitlichen Willens für eine not-
wendige und wesentliche Demonstration. Da neben diesen Fragen die wach-
sende Arbeitslosigkeit, das Erstarken des Kommunismus und die erste Ent-
faltung des Nationalsozialismus an der Saar die Öffentlichkeit bewegten,
verschärfte sich das politische Klima. Die Saarverhandlungen hatten durch
ihr negatives Ergebnis zu einer erneuten Belastung des deutsch-französischen
Verhältnisses und des politischen Lebens im Saargebiet geführt.
190 A. A., a. a. O., Bd. 5, II SG 2415, so Tardieu am 14. 10. 1929 zu Hoesch; Bd. 3,
II SG 1845, Labouiaye am 19. 9. 1929 zu Hoesch.
191 Über die Pläne des Grafen de Fels Hirsch, Die Saar von Genf, S. 50; außerdem
Le Temps v. 22. 1. 1931 „La Sarre et la Paix“ u. v. 13. 6. 1932 „Sarre et Lausanne“;
S.L.2. Nr. 16 v. 17. 1. 1931.
192 Volksstimme Nr. 22 v. 27. 1. 1932, „Das Saar-Faustpfand“, Bericht v. M. Braun.
193 Gegen diese Tätigkeit wandte sich J. Hoffmann in verschiedenen Artikeln der S.L.Z.
Nr. 34 v. 4. 2. 1931 „Rosenbeck-Koch“ und Nr. 52 v. 22. 2. 1931 „Die ,Aufklärung'
des Forbacher Micum-Blattes“; außerdem S.Z. Nr. 171 v. 21. 1. 1931, „Saardelegation
bei Curtius“, S.L.Z. Nr. 299 v. 2. 11. 1932. Ein Bericht über die Tätigkeit des Warndt-
bundes auch in AStA München MInn 47 097.
250
Zweites Kapitel
Die Auseinandersetzung der Parteien mit der Frage
der Rückgliederung an das nationalsozialistische Deutschland
1. Die NSDAP des Saargebietes vor 1933
Die Geschichte der NSDAP im Saargebiet war vor 1933 für die allgemeine
Parteientwicklung bedeutungslos. Die ersten Versuche der nationalsozialisti-
schen Bewegung, an der Saar Fuß zu fassen, reichen in die Jahre 1923 und
1925 zurück. Rault berichtete während des Streiks von 1923 in Genf über
nationalistische, von Bayern beeinflußte Gruppen h Es scheint sich aber nur
um Einzelerscheinungen gehandelt zu haben, die von Rault aufgebauscht
wurden, damit er seine Notverordnung rechtfertigen und eine Handhabe
gegen unliebsame Personen konstruieren konnte1 2. Immerhin berichtet eine
nationalsozialistische Broschüre über die Anfänge der NSDAP in Überherrn,
einem Ort an der französischen Grenze im Kreis Saarlouis, daß die völkische
Freiheitsbewegung 1923 in den Kreisen der Kriegsbeschädigten und einem
Kriegerdenkmalausschuß Boden gewonnen habe3. Systematisch begannen
1925 einige Nationalsozialisten an der Saar zu arbeiten, als die Rheinische
Jahrtausendfeier zu einer enthusiastischen Steigerung des Nationalgefühls ge-
führt hatte. Sie versuchten über Kriegervereine und Tarnorganisationen Ein-
fluß zu gewinnen. So wurden in Überherrn 1925 ein Segelflug-Sportverein
und 1926 ein Volksbildungsverein gegründet, jeweils auf Initiative und
unter Leitung eines Mannes, der seit 1923 mit der Bewegung Adolf Hitlers
in Verbindung stand und Mitglied der NSDAP in Zweibrücken war4. Die
Tätigkeit der Nationalsozialisten kündigte sich auch dadurch an, daß in
Saarlouis und in Merzig Häuser mit nationalsozialistischen Parolen be-
schmiert wurden5. Die Gründung einer NSDAP im Saargebiet wurde seit
1926 betrieben. Ein Schreiben an die Hauptgeschäftsstelle der NSDAP in
München vom 7. August 1926 spricht von einer Saarbrücker Ortsgruppe mit
58 Mitgliedern6. Die Parteileitung in München erkannte den von Saar-
brücken gemeldeten Parteivorstand nicht an, da er aus Leuten bestehe, die
noch nicht Mitglieder der NSDAP seien7. Ebenso beschied die oberste Poli-
1 S.D.N. J.O. IV, 7 (1923) S. 741 (14. Period. Ber. d. Reg. Kom.) u. J.O. IV, 6 S. 595 f.
(Ausführungen Raults auf der Ratstagung im April 1923).
2 Vgl. dazu oben S. 161.
3E. Speicher u. H. P. Buchleitner, Uberherrn, die Wiege der NSDAP, im Kreise
Saarlouis, o. O. 1937, S. 24 f.
4 Ebenda, S. 26 ff.
5 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 5. 2. 1925, S. 18.
6 BA Koblenz, Sammlung Schumacher, 310: Schreiben J. Jung v. 7. 8. 1926 an die
NSDAP-Geschäftsstelle München.
7 Ebenda, Antwort der Geschäftsstelle München v. 19. 8. 1926.
251
zeiverwaltung des Saargebietes vom 6. August 1926 den Antrag auf Geneh-
migung der NSDAP abschlägig und verlangte die Auflösung der Partei8.
Am 4. Dezember 1926 dagegen wurde ein weiterer Antrag der National-
sozialisten des Saargebietes positiv von der Regierungskommission beant-
wortet9, und Adolf Hitler genehmigte die Bildung eines Gaues Saargebiet
der NSDAP vom 1. Januar 192710 ab. Saarbrücken wurde der Mittelpunkt
der Arbeit im Saargebiet; hier wurde eine Geschäftsstelle errichtet11, und
erster Gauleiter wurde der Saarländer Jakob Jung, der sich aber später
ganz von der Parteiarbeit zurückzog12. 1927 wurden noch einige weitere
Ortsgruppeni gegründet, z. B. in Überherrn, Merchweiler, Fraulautern und
Differten13. Der NSDAP gelang es aber in den folgenden Jahren nicht, über
bedeutungslose Anfänge hinauszukommen. Traten die Partei oder die SA
mit Veranstaltungen in Erscheinung, so mußten die Mitglieder aus dem
ganzen Saargebiet herbeigeholt werden14. Ein Propagandamarsch der SA
des gesamten Saargebietes im Dezember 1928 wurde mit 50 Mann durch-
geführt15. Die wachsende Tätigkeit nationalsozialistischer und paramilitäri-
scher Gruppen wie der Kommunisten veranlaßte die Regierungskommission
1928 zum Eingreifen. Sie legte dem Landesrat einen Verordnungsentwurf
zum Verbot militärischer Übungen vor. Alle Parteien, mit Ausnahme der
Kommunisten, nahmen in der Sitzung vom 1. August 1928 grundsätzlich
gegen diese Gruppen und Verbände Stellung, sie seien politisch nicht not-
wendig und nur geeignet, Unruhe zu stiften16. Der Sprecher der Sozial-
demokratischen Partei gab in diesem Zusammenhang einen Überblick über
die Größe der Rechtsverbände an der Saar; er sprach von 1000 Anhängern
des Stahlhelm in Saarbrücken und 2500 im gesamten Saargebiet, von 100
Werwolfmitgliedern und 100 Leuten der „Hitlerbande“17. Die SA war also
auch noch innerhalb dieser Gruppen relativ bedeutungslos. Alle Parteien
lehnten aber, obwohl sie den Standpunkt der Regierungskommission über
die militärischen Übungen teilten, den Verordnungsentwurf ab18; die Kom-
munisten aus Angst vor dem Verbot des Rotfrontkämpferbundes19, die
anderen Parteien, weil es gelte, die im Saargebiet erkämpfte Freiheit zu
wahren; die bestehenden Gesetze und die Polizei reichten aus, um der Aus-
schreitungen Herr zu werden20. Man wollte im Grunde keine Einmischung
der Regierungskommission in das politische Leben der Saar, und jedem Ver-
8 Ebenda, W. Jung an NSDAP-München am 29. 9. 1926.
9 Ebenda, W. Jung an NSDAP-München am 15. 12. 1926.
10 Ebenda, Aktennotiz auf Antrag Jung v. 4. 1. 1926.
11 Speicher — Buchleitner, a. a. O., SS. 30, 32, 36, 39.
12 A.A. II Bes. Geb., Saargebiet, Pol. Parteien, Bd. 4, e. o. II SG 1740; außerdem K.
Bartz, Weltgeschichte an d. Saar, Neustadt a. d. Hdt. 1935, S. 21.
11 Speicher — Buchleitner, a. a. O., SS. 30, 32, 36, 39.
14 Ebenda, S. 35ff.; Bartz, a. a. O., S. 21; Volksstimme Nr. 75 v. 28. 3. 1927 „Hitler-
buben in Saarbrücken“.
15 Speicher — Buchleitner, a. a. O., S. 36
16 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 1. 8. 1928, S. 214.
17 Ebenda, S. 229 f.
18 Ebenda, S. 236.
19 Ebenda, S. 215.
20 Ebenda, S. 228 u. 235.
252
such zu einer Erweiterung der Polizeigewalt der Regierungskommission
wurde mit Mißtrauen begegnet. Die Regierungskommission erließ die Ver-
ordnung gegen den Willen des Landesrates21. Die Nationalsozialisten ver-
stärkten 1929 ihre Aktivität, Dr, Robert Ley und Gottfried Feder sprachen
in Saarbrücken22; bei den Kommunalwahlen im November 1929 kandi-
dierte die Partei zum erstenmal in einigen Orten. Sie erhielt aber im Kreis
Saarlouis und im Kreis Ottweiler jeweils nur 2 Sitze und im Stadtrat von
Saarbrücken ein Mandat23. Ein Bericht des Gaues Saar der NSDAP vom
30. Februar 1930 enthält eine genaue Aufstellung der Mitglieder und ihrer
beruflichen Gliederung. Danach umfaßte die Gesamtmitgliederzahl im Saar-
gebiet 261; den größten Anteil stellten die gelernten Handwerker mit
33V3 Prozent; dann folgten die Angestellten mit 201/3 Prozent24.
Die wachsende Not und die Arbeitslosigkeit verstärkten seit 1930 etwas den
Zulauf zur NSDAP. Diese arbeitete zunächst propagandistisch besonders
mit Fragen der Sozialversicherungen25. Die Regierungskommission unter-
sagte 1931 das Tragen von Uniformen für NSDAP, Werwolf, Bund der
Frontsoldaten, Rotfrontkämpferbund und Reichsbanner26 und schritt gegen
das Waffentragen ein27. Der Schwerpunkt der nationalsozialistischen Tätig-
keit lag in den Jahren 1931 und 1932 neben Saarbrücken besonders im Kreis
Homburg. Die Bewegung schien weniger durch die Aktivität von Saarlän-
dern denn durch die Ausstrahlung aus der Pfalz zu wachsen. Redner aus
Zweibrücken traten in Versammlungen auf28, über Waldmohr wurden die
Uniformen geliefert29, und die SA und SS wurden von Neustadt a. d. Hardt
aus organisiert und aufgebaut30. Gauleiter an der Saar war inzwischen ein
Studienassessor Ehrecke aus Nürnberg geworden, der 1931 eine rege Redner-
21 Amtsblatt d. Reg. Korn., 1928, Nr. 501.
22 Speicher — Buchleitner, a. a. O., S. 38f.
22 S.D.N. T.O, XI,5 (1930), S. 486 (Annexe zum 41. Ber. d. Reg. Rom.).
24 BA, Koblenz, Sammlung Schumacher, Nr. 310, Rechenschaftsbericht des Gaues
der NSDAP v. 10. 2. 1930; die genaue Aufstellung lautet:
„Die Mitglieder setzen sich aus folgenden Berufen zusammen:
,Saar“
A. Handarbeiter
Tagelöhner
Gelernte Handwerker
Bergleute
Landwirte
Straßenkehrer
Frauen
zusammen:
= 30 = 11,1 %
= 84 = 33Vs°/o
= 29 = 11 %
= 11 = 4Va %
= 7 = 2V3 %
= 8 = 22/s <Vo
169 = 65 %
B. Kopfarbeiter
Angestellte, selbst.
Kaufleute
Beamte
Akt.
zusammen :
= 54 = 20Vs °/o
= 14 = 5Vs °/o
= 11 = 41/a %>
— 13 « 5 °/o
92 = 35 °/oa
25 Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 9. 11. 1927, S. 615 f.; Speicher — Buchleitner, a. a. O.,
S. 32 u. 37.
26 S.D.N. J.O. XII,6 (1931), S. 985 (45. Period. Ber. d. Reg. Korn.).
22 Ebenda, XIII,4 (1932), S. 965 (48. Period. Ber. d. Reg. Kom.).
28 Spitzelbericht an das A.A. aus Saarbrücken v. 20. 4. 1931: A.A. II Bes. Geb.: Saar-
gebiet, Pol. Parteien, Bd. 3, Abschrift zu III WS 377 I/II.
29 Speicher — Buchleitner, a. a. O., S. 31.
30 S.D.N. J.O. XIV,3 (1933), S. 408 (52. Period. Ber. d. Reg. Kom.). Die Regierungskom-
mission hatte am 3, November 1932 eine Haussuchung in den Büroräumen der NSDAP
in Saarbrücken angeordnet und entsprechendes Material über den Aufbau und die
Gliederung der SA und der SS gefunden.
253
tätigkeit entwickelte und wegen seiner Judenhetze Anstoß erregte31. Im Juni
1931 entzog ihm die Regierungskommission die Aufenthaltsgenehmigung32.
Groß war die NSDAP aber auch 1931 noch nicht. Die Mitgliederzahl wurde
für den Kreis Homburg in einem Bericht der Bezirksaußenstelle Waldmohr
für die bayrische Regierung auf 200 geschätzt33. In der Arbeiterschaft fand
die NSDAP auch 1932 wenig Anhänger, sie scheint etwas in ländlichen
Gegenden und in kaufmännischen Kreisen an Boden gewonnen zu haben34.
Die Propagandamethoden waren ähnlich wie in Deutschland: Es kam zu
Schlägereien zwischen Kommunisten und Nazis35, Partei- und Gewerk-
schaftsführer der alten Parteien wurden diffamiert36, die Partei spielte sich
als nationale Retterin der Saar auf37, die Judenhetze setzte ein38 und nächt-
liche Märsche und geheime Übungen der SA wurden abgehalten39. Die Par-
tei kandidierte zur Landesratswahl am 13. März 1932 und erhielt 6,7 Pro-
zent der Stimmen und zwei Sitze40. Eine Aufschlüsselung der Wahlergeb-
nisse nach Kreisen zeigt, daß Saarbrücken-Stadt mit seinen 10,5 Prozent und
der Kreis Homburg mit seinen 18,6 Prozent weit über dem Landesdurch-
schnitt lagen. Saarbrücken war Organisationszentrum der Bewegung. Der
Bezirk Homburg war der Werbung von der Pfalz aus besonders stark aus-
gesetzt und zeigte sich mit seiner überwiegend evangelischen Bevölkerung
anfälliger als der katholische, ebenfalls bayrische Kreis St. Ingbert. Der
Wahlerfolg der Nationalsozialisten war besonders groß in einigen kleinen,
rein landwirtschaftlichen und evangelischen Dörfern41. Die stärkste Resi-
stenz gegenüber dem Nationalsozialismus zeigten im Saargebiet die teilweise
noch ländlichen und in der Arbeiterschaft sehr konservativen, fast rein ka-
31 S.L.Z. Nr. 97 v. 9. 4. 1931; außerdem setzte sich die Volksstimme in den Monaten
Januar und Februar 1931 wiederholt mit der Rednertätigkeit Ehreckes auseinander.
32 A. A. II Bes. Geb. Saargebiet: Pol. Parteien, Bd. 3, Anlage z. Bericht des Bayerischen
Staatsministeriums des Äußern v. 31. 8. 1931.
33 Ebenda.
34 Ebenda: Bd. 4; e.o. II SG 1290, Abschrift eines Polizeiberichtes.
35 S.Z., Nr. 3/4 v. 6. 1. 1931; Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 24. 11. 1931, S. 278.
36 S.Z., Nr. 70 v. 11. 3. 1932; „Christlicher Metallarbeiterverband“.
37 S.Z., Nr. 71 v. 12. 3. 1932: „Die große nationale Kundgebung der DSV“.
38 Ebenda: Röchling nahm in dieser Kundgebung vor allem gegen die Judenhetze Stel-
lung, der jeder gerecht Denkende entschieden entgegentreten müsse. „Unzählige Juden
hätten stets ihre Pflicht fürs Vaterland getan.“
39 S.D.N. J.O. XIV,3 (1933), S. 408.
40 Vgl. dazu und zum Folgenden Anlagen 3 und 4, unten S. 337.
41 Z. B.: Ergebnisse der Landesratswah 1 am 13. März 1 932 in:
Gemeinde Webenheim (Krs. Homburg): 54,6% NSDAP
(Bürgermeisterei: 95% ev.) 23,6% DNVP
Gemeinde Mimbach (Krs. Homburg): 36,8% NSDAP
(Bürgermeisterei: 91 % ev.)
Gemeinde Limbach (Krs. Homburg): 36,8% NSDAP
(Bürgermeisterei: 83 % ev.)
Die Errechnung der konfessionellen Zusammensetzung nach: Die Bevölkerung des
Saargebietes nach den Ergebnissen der Volkszählung vom 19. Juli 1927, S. 390 ff. Die
Wahlergebnisse wurden errechnet nach S.Z. Nr. 73 u. S.L.Z. Nr. 73 v. 14. 3. 1932.
Die Beispiele bei Straus, a. a. O., S. 127, weisen auf denselben Sachverhalt hin:
Gemeinde Dörrenbach (Krs. St. Wendel): 37,9 % NSDAP
(98 % ev.)
Gemeinde Böckweiler (Krs. Homburg): 80 % NSDAP
(92% ev.)
254
tholischen Kreise Merzig, St, Ingbert und St. Wendel. In diesen Kreisen
blieb auch bei den Novemberwahlen 1932 der Erfolg der Nationalsozia-
listen noch unter fünf Prozent. Zwischen fünf und sechs Prozent bewegten
sich bei den Märzwahlen die Kreise Saarbrücken-Land, Ottweiler und Saar-
louis, die überwiegend industriell, konfessionell aber ganz verschiedenartig
zusammengesetzt sind. Während im Kreis Saarbrücken die Bevölkerung
durchgängig in allen Orten konfessionell stark gemischt ist, es im Kreis Ott-
weiler rein katholische und fast rein evangelische Orte und Gebiete gibt, ist
der Kreis Saarlouis katholisch. Im allgemeinen läßt sich zwar feststellen, daß
die ländliche und bürgerliche evangelische Bevölkerung geringere Vorbehalte
gegenüber dem Nationalsozialismus hatte42 und die radikale Arbeiterschaft,
gleich welcher Konfession, eher zum Kommunismus als zum Nationalsozia-
lismus neigte, aber es spielten auch örtliche Gegebenheiten eine Rolle und
veränderten das Bild in jeder Stadt und in jedem Dorf43. Die Anhänger-
schaft der Nationalsozialisten und ihre Stimmen verteilten sich auf das
ganze Land, ohne daß irgendwo entscheidende Positionen gewonnen wur-
den. Daß es den Nationalsozialisten an Leuten fehlte, die das Vertrauen der
Bevölkerung gewinnen konnten, zeigte sich besonders bei den Kommunal-
wahlen. Im Gegensatz zu Deutschland war bei den Novemberwahlen auf
der Kreisebene der Stimmenanteil der Nationalsozialisten noch um ein Pro-
zent gestiegen. Der Nationalsozialismus war an der Saar erst im Anwachsen
begriffen. Auf der Gemeindeebene war der Erfolg wesentlich geringer; hier
wirkte sich die Kenntnis der Persönlichkeiten für die Nationalsozialisten
nachteilig aus. Die Wahlerfolge der NSDAP gingen im allgemeinen auf
Kosten der Staatspartei, der Deutschnationalen und der Deutsch-Saarlän-
dischen Volkspartei44. Da gleichzeitig die absolute Stimmenzahl des Zen-
trums und die absolute und relative der Kommunisten noch anstiegen, muß
die nationalsozialistische Anhängerschaft sich vor allem auch aus Kreisen
der arbeitslosen Jungwähler zusammengesetzt haben. Die drei politisch
bestimmenden Saarparteien, das Zentrum, die Sozialisten und die Deutsch-
Saarländische Volkspartei bekämpften die Nationalsozialisten zwar in den
Jahren 1931 und 1932 leidenschaftlich wegen ihrer antisozialistischen und
antichristlichen Haltung und ihrer Judenhetze, aber der Nationalsozialismus
stellte für sie doch keine ernsthaft die Saar beunruhigende Erscheinung dar.
Erst nach dem 30. Januar 1933 wurde der Nationalsozialismus für die Saar-
länder und die politischen Parteien ein lebenswichtiges Problem, aber da
ging es schon nicht mehr nur um eine Partei oder um eine revolutionäre
Bewegung, sondern um das Verhältnis zu den Politikern, die Macht in einem
Lande besaßen, dem man sich zugehörig fühlte und zu dem man zurück-
kehren wollte.
42 Z. B. lag in der Bürgermeisterei Eppelborn in den Orten Dirmingen und Bersch-
weiler, die überwiegend evangelisch sind, der Stimmenanteil der NSDAP wesentlich
höher als in den katholischen Dörfern derselben Bürgermeisterei.
43 Z. B. Uberherrn, „Die Wiege des Nationalsozialismus im Kreis Saarlouis“, rein katho-
lisch: 13. 3. 1932: 29,6 % NSDAP.
44 Vgl. auch Straus, a. a. O., S. 143 ff.
255
2. Allgemeine Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtergreifung
auf das Saargebiet
Obwohl das Saargebiet eine von Deutschland unabhängige Verwaltungs-
einheit darstellte, übten seit dem 30. Januar 1933 die politischen Umbildun-
gen im Deutschen Reich auch auf dieses Gebiet und seine Verhältnisse einen
tiefgehenden Einfluß aus. Für die politischen Parteien der Saar bedeutete
die Regierung Hitler eine große Enttäuschung, die sich besonders in den
Kommentaren der Zentrumspresse und der sozialistischen Zeitungen aus-
drückte45. Für alle Parteien stellte aber die deutsche Entwicklung zunächst
nur eine innenpolitische Angelegenheit des Reiches dar; man nahm lebhaft
und leidenschaftlich Anteil und Stellung, da man sich Deutschland zugehörig
und deshalb betroffen fühlte. Die Probleme der Auseinandersetzung der
deutschen Mutterparteien mit der neuen Regierung und die Fragen, ob die
NSDAP sich in der Regierung behaupten, ob die politische Verantwortung
die Partei zu neuen Wegen führen und die Verhältnisse sich dadurch nor-
malisieren würden, standen auch für die saarländischen Parteien 1933 im
Vordergrund. Ihre traditionelle und selbstverständliche nationale Haltung
wurde von diesen Fragen grundsätzlich nid\t berührt. Man war sich bewußt,
im Saargebiet, wo Rechtssicherheit herrschte, eine größere Freiheit zu einer
Auseinandersetzung mit der neuen Regierung zu besitzen und wollte sie zur
Unterstützung der deutschen Parteien benützen. Bei den engen und viel-
fältigen Verbindungen des saarländischen politischen, sozialen, wirtschaft-
lichen und geistigen Lebens zu Deutschland zeigte sich aber rasch, daß Ein-
fluß und Macht der nationalsozialistischen Reichsregierung wie der NSDAP
auf verschiedenen Wegen und auf mancherlei Weise auch im Saargebiet
wirksam wurden und die Möglichkeit einer von Deutschland unabhängigen
Entwicklung einschränkten.
Hitlers wie seiner Mitarbeiter Einfluß in der Gesamtregierung und die
Übernahme von Ministerien und Staatsämtern durch führende National-
sozialisten wirkten sich auf die Dauer auch auf die Arbeit jener Staatsein-
richtungen aus, die amtlich mit der Saarfrage und der Betreuung der Saar-
bevölkerung befaßt waren, wie das Auswärtige Amt oder das Saarbüro des
Preußischen Innenministeriums unter Leitung von Regierungsrat Water-
mann in Köln46. Mit Legationsrat Voigt vom Auswärtigen Amt und mit
45 Vgl. dazu besonders unten S. 270 f. u. S. 282.
46 Uber die Organisation der Stelle Watermann BA Koblenz, Reichskanzlei R 43 1/252,
Rk 6331, Vermerk vom 16. 7. 1932: Die Betreuungsarbeit im Saargebiet wurde pari-
tätisch vom Reichsministerium des Innern, den Preußischen Ministerien des Innern,
für Handel und Gewerbe und für Wohlfahrt ausgeübt; eine zentrale Verwaltung der
Gelder für die Saar gab es in Berlin nicht. „Dagegen unterhält das Preußische Ministe-
rium des Innern ein Büro in Köln, das von Regierungsrat Watermann geleitet wird
und die Aufgabe hat, die von den vier genannten Ressorts bewilligten Gelder ihrem
Verwendungszweck im Saargebiet zuzuführen.“ Die Reg. Kom. erhielt erst durch die
Haussuchung bei der Deutsdien Front einen Einblick in die Arbeit der Stelle Water-
mann und interpretierte säe ganz im Sinne der nat.soz. Einflußnahme auf das Saar-
gebiet. In den Berichten der Reg. Kom. in den Jahren 1933 und 1934 wird nicht
unterschieden zwischen der traditionellen Zusammenarbeit der Parteien mit deut-
schen Stellen und direkter nat.soz. Einflußnahme. Dadurch vermitteln die Berichte in
256
Watermann arbeiteten die saarländischen Parteien und Vereinigungen seit
vielen Jahren in vertrauensvoller Weise zusammen. Diese deutschen Beam-
ten führten ihre Arbeit zur Vorbereitung der Rückgliederung der Saar wei-
ter; diese stellte eine von ihnen bejahte nationale Aufgabe dar, die von allen
politischen Richtungen bisher gefordert und gebilligt worden war, und sie
konnte durch die Bildung der Regierung Hitler nicht ohne weiteres als
unrechtmäßig oder gar als nationalsozialistische Arbeit bezeichnet werden.
Wenn diese Stellen auch in Zukunft keine direkt nationalsozialistische Poli-
tik trieben, so vermittelten sie dennoch eine Einflußnahme der National-
sozialisten auf die Saarverhältnisse. Der Kampf der neuen Regierung gegen
die Sozialdemokraten in Deutschland machte z. B. für diese Institutionen
eine weitere Zusammenarbeit mit den saarländischen Sozialisten und die
finanzielle Unterstützung linksgerichteter saarländischer Vereinigungen oder
Wohltätigkeitsorganisationen unmöglich. Die Stelle in Köln wurde nicht nur
für die Weiterführung der bisherigen Arbeit benutzt, sondern auf diesem
Wege wurden nun von der Reichsregierung und dem Preußischen Ministe-
rium des Innern den führenden Nationalsozialisten an der Saar für ihre
Arbeit große Summen zur Verfügung gestellt47. Wiederholt erfolgten auch
Anweisungen des Reichsministeriums für Propaganda nach Köln und wur-
den von dort Mittel zweckgebunden angewiesen48. Schließlich wurde für alle
Anträge auf Unterstützung aus dem Saargebiet das Reichsministerium des
Innern zuständig49.
Neben die alten Institutionen zur Betreuung der Saarländer traten Neu-
schöpfungen, die der Koordinierung von staatlicher und nationalsozialisti-
scher Parteiarbeit in der Saarfrage dienen sollten. Im Juli 1933 übernahm
der Saarländer Assessor Dr. Heinrich Schneider das Saarreferat des Preu-
ßischen Innenministeriums und gleichzeitig eine neu errichtete Saarstelle der
NSDAP in Berlin, die Dr. Ley unterstand50. Beide Institutionen führten
aber zum großen Teil die Saararbeit im bisherigen Stil weiter und pflegten
die Kontakte zu allen Saarreferenten und Saarstellen in Deutschland. Die
Bedeutung für die Entwicklung in der neuen Situation lag darin, daß auf
diese Weise in den Kreis der saarländischen Mitarbeiter vor allem National-
sozialisten aus und in dem Saargebiet einbezogen und dadurch auch die
alten saarländischen Parteiführer an die Zusammenarbeit mit National-
sozialisten gewöhnt wurden. Der Parteistelle kam vor allem propagan-
distische Bedeutung zu; sie unterhielt ein Bildarchiv unter Leitung des aus
dem Saargebiet ausgewiesenen Redakteurs Ollmert, versorgte die Presse mit
Informationen und Bildmaterial und organisierte den Eintritt von Saarlän-
dieser Hinsicht kein klares Bild von der Lage an der Saar. S.D.N. J.O. XV,12 (1934),
S. 1656f. Über den wadisenden nationalsozialistischen Einfluß auf amtliche Stellen
geben auch Aufschluß AStA München MInn 47 095 u. MW 14 086.
47 Z. B. am 19. 11. 1934 100 000 RM der Deutschen Front zur Verfügung von Herrn
Pirro. A. A. II Bes. Geb. Saargeb., Pol. Part., Bd. 14, II SG 7881; S.D.N. J.O. XV,12
(1934), S. 1658.
<8 Ebenda, Bd. 13 II SG 7256.
« BA Koblenz, Reichskanzlei R 43 I/255/Rk 9373. Vgl. auch AStA München MW 14 086.
50 A. A. II Bes. Geb. Saargebiet, Pol. Part., Bd. 4. Nach Auskunft von Herrn Dr. Schnei-
der an die Verf. wurde auch die Parteistelle vom Preuß. Innenministerium finanziert.
257
dern in den Reichsarbeitsdienst51. Eine politisch entscheidende Bedeutung im
Sinne der Zentralisierung und Planung der gesamten Saararbeit unter natio-
nalsozialistischem Einfluß erlangte diese Doppelinstitution nicht.
Entscheidender wurde das neu geschaffene Amt des Saarbevollmächtigten
des Reichskanzlers, das am 14. November 1933 Franz von Papen übertragen
wurde52 und das nach Papens Entsendung nach Wien Gauleiter Bürckel er-
hielt53. Wenn Arbeit und Stellung der beiden Politiker im nationalsozia-
listischen Deutschland auch ganz verschieden waren, so gelang es doch bei-
den, wiederholt und wirksam in die innersaarländischen Verhältnisse ein-
zugreifen und sie erheblich zu beeinflussen54. Die Voraussetzung dazu lag in
der nationalen Haltung der Saarländer und in dem Willen beider Männer,
Schwierigkeiten, die sich aus der nationalsozialistischen Politik für die Saar-
situation ergaben, auszuräumen, wenn auch dieses Vorgehen bei Bürckel rein
taktisch war55.
Auf der nationalen Basis lief die Zusammenarbeit mit den deutschen Ver-
bänden, besonders dem Bund der Saarvereine, ohne sichtbaren Bruch weiter.
Die nationalistische Tendenz dieses Bundes wurde 1933 dadurch verstärkt,
daß Gauleiter Simon von Koblenz als neuer Bundesführer an die Stelle des
bisherigen Leiters Dr. Vogel trat56. Simon begründete diese Umbildung in
einer Rede:
. . der Führerwechsel im Saarverein bedeute nicht, daß man den bisherigen Füh-
rern Mißtrauen entgegenbringe, sondern man wolle den Saarvereinen die propa-
gandistische Kraft der NSDAP zur Verfügung stellen.“
Die Saarkundgebungen des Bundes der Saarvereine wurden in Zukunft, be-
sonders die Kundgebungen am 27. August 1933 am Niederwalddenkmal in
Rüdesheim57 und am 26. August 193458 am Deutschen Eck in Koblenz,
große Massenveranstaltungen, die der NSDAP ermöglichten, ihre propagan-
distischen und massenpsychologischen Mittel zu entfalten. Hitler sprach auf
beiden Kundgebungen, die Festlichkeiten waren mit Musik und großen Auf-
märschen von SA und SS eine Demonstration der Macht und des Sieges-
willens der NSDAP, Die Wirkung dieser Veranstaltungen war um so ein-
facher zu erreichen, als sich Reden und Feiern an die zentralen Bewußtseins-
inhalte der saarländischen Bevölkerung anlehnen konnten und parteipoli-
tische Traditionen der Saarländer geschont wurden59. Die intensive propa-
51 Die Angaben über die Arbeit der Parteistelle verdankt die Verf. ebenfalls Auskünften
v. H. Dr. Schneider.
52 A.A. II Bes. Geb. Saargeb. Saarbevollmächtigter 1 Bd., F. v. Papen, Der Wahrheit
eine Gasse, München 1952, S. 338. Papen besitzt durch seine Frau in Wallerfangen
(Saar) Ländereien. Vgl. auch über den Saarbevollmächtigten AStA München MW 8265.
53 Bartz, a. a. O., S. 99ff.
54 Die näheren Angaben dazu folgen in den Darstellungen über die weitere Entwicklung
der Parteien.
55 Bartz, a. a. O., S. 126ff. und bes. Brief Bürckels an Hitler im Anhang als Anlage 19,
S. 400 f.
56 Köln. Zeitung v. 27. 8. 1933 „Das Saarländer-Treffen am Rhein“, dort auch das
folgende Zitat.
57 W a m b a u g h, a. a. O., S. 128; S.L.Z. Nr. 233 v. 28. 8. 1933.
58 S.Z. Nr. 226 v. 27. 8. 1934.
59 Bes. die Rede Hitlers am 26. 8. 1934 — S.Z. Nr. 226 v. 27. 8. 1934.
258
gandistische Beeinflussung der Saarländer durch Nationalsozialisten wurde
in Veranstaltungen um die Grenzen des Saargebietes weitergepflegt: Göring
sprach am 5. November 1933 in Trier60, Goebbels am 6. Mai 1934 in Zwei-
brücken61, in Köln wurde am 25. August 1934 eine Saarausstellung mit
großen Reden eröffnet62. Jedesmal wurden die Saarländer in großen Massen
zu diesen Kundgebungen herbeigerufen.
Die Opposition gegen diese nationalsozialistische Beeinflussung hatte einen
schweren Stand. Bereits im Februar 1933 hatte die Reichsregierung die saar-
ländische „Volksstimme“ im Deutschen Reich verboten und die sozialdemo-
kratische Opposition im Saargebiet gegen den Nationalsozialismus als lan-
desverräterisch erklärt63. Die nationalsozialistische Propaganda verwischte
von allem Anfang an bewußt parteipolitische und innenpolitische Problem-
stellungen im Saargebiet und arbeitete nur mit nationalpolitischen Gesichts-
punkten. So wurden alle Gegner als Landesverräter und Separatisten be-
zeichnet und gegen die Völkerbundskommission als landfremde Regierung
gehetzt. Diese Gedanken verbreiteten besonders die deutschen Sender regel-
mäßig und systematisch bis zur Abstimmung64.
Aber nicht nur von Deutschland aus gewann der Nationalsozialismus Ein-
fluß im Saargebiet, sondern durch die Machtergreifung hatte sich auch die
Stellung der NSDAP des Saargebietes entscheidend geändert. Unter dem
Eindruck der deutschen Entwicklung kam es, besonders da man mit der
Rückgliederung selbstverständlich rechnete, zu Neueintritten in die Partei;
in der Parteiorganisation selbst gelangten teilweise die neuen Mitglieder zu
Ämtern und Funktionen, da die bisherigen Mitglieder dazu nicht befähigt
gewesen waren65. Die Partei gewann durch diese Entwicklung im politischen
Kräftespiel auch innerhalb des Saargebiets an Bedeutung. Sie verstand es,
mit Hilfe der neu gewonnenen Anhänger sich in die Leitung der saarlän-
dischen Organisationen einzudrängen und Beschlüsse in ihrem Sinne herbei-
zuführen. So erreichten es z. B. Parteimitglieder, daß Vertreter des saarlän-
dischen Beamtenbundes am 7. April 1933 ein Telegramm an Hitler mit treu-
deutschen Grüßen, bedingungsloser Anerkennung der nationalen Regierung,
dem Wunsch nach baldiger restloser Rückgliederung und Dank an Hitler
„für die eindeutig klare Schutzerklärung des Beamtentums“ sandten66, ob-
wohl der Vorstand Widerstand geleistet hatte und versuchte, den Beamten-
bund im alten Sinne weiterzuführen67. Anknüpfend an die Gewohnheit der
60 S.2, Nr. 295 v. 6. 11. 1933, vgl. außerdem Anlage 14 unten S. 388 f.
61 S.D.N. J.O. XV,5 (1934), S. 458—461.
62 S.L.2. Nr. 255 v. 26. 8. 1934. Uber die nationalsozialistische Propaganda geben auch
Aufschluß AtSA München MK 15 574 u. MInn 47095.
63 S.D.N. J.O. XV,1 (1934), S. 54 f.; Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 27. 2. 1933,
S. 77 ff.
64 S.D.N. J.O. XV,5 (1934), S. 461; XV,9, S. 1140.
65 Uber diesen Vorgang und die Mißstimmung, die er teilweise in den Kreisen der alten
Parteigenossen erzeugte, berichten die Gestaponachrichten v. 24. 1. 1934, BA Koblenz,
Reichskanzlei R 43 I / 260.
66 Original des Telegramms BA Koblenz, R 43 I / 253, Rk 3922.
67 Com. d. Gouv. Pr.-V. v. 12. 4. 1933, S. 239f.; v. 21. 4. 1933, S. 245; v. 28. 4. 1933,
S. 251; außerdem Beschlüsse d. Reg. Kom., Bd. 141, Nr. 27, im Anhang Brief d. Reg.
Kom. v. 19. 5. 1933 an den Beamtenbund.
259
saarländischen Verbände, bei allen Veranstaltungen Treueadressen an die
Reichsregierung oder den Reichspräsidenten zu senden, gelang es dem natio-
nalsozialistischen Einfluß, daß in solchen Adressen neben dem Willen zur
Rückkehr Hitler Vertrauen, Anerkennung und Ergebenheit ausgesprochen
wurde68. Das Programm, das der Führer der NSDAP des Saargebietes, Lan-
desleiter Spaniol, am 15. Mai 1933 Hitler bei dem Empfang der saarländi-
schen Parteiführer darlegte, sah die Zusammenfassung der „Deutschtums-
arbeit im Saargebiet in vier Gruppen“ (kulturelle, wirtschaftliche, Sport-
und Wehrverbände) „möglichst unter nationalsozialistischer Leitung“ vor69.
Auf diese Weise leitete die NSDAP den politischen Gleichschaltungsprozeß
auch im Saargebiet ein. Der Erfolg dieser Tätigkeit zeigte sich bereits bei
einigen Gemeinderatswahlen (Nachwahlen) am 2. Juli 1933. So stieg in
Ludweiler (Warndt), einer der Hochburgen des saarländischen Kommunis-
mus, der Stimmenanteil der NSDAP gegenüber der Wahl vom 13. Novem-
ber 1932 von 50 auf 786 Stimmen, das sind 31 Prozent der gültigen Stim-
men70; in Nalbach, einem rein katholischen Ort des Kreises Saarlouis mit
ländlicher Arbeiterbevölkerung, der vorher politisch besonders zersplittert
gewesen war, erhielt die NSDAP statt vorher 83 nun 601 oder 46,4 Prozent
der gültigen Stimmen71.
Der Stil der Tätigkeit der NSDAP zeigte sich auch in Zukunft bei der
Organisierung des Winterhilfswerkes und der Kinderlandverschickung nach
Deutschland. Die NS-Organisationen beanspruchten innerhalb des Winter-
hilfswerks die Führung, beschnitten die Mitwirkung anderer Institutionen,
wie z. B. der Caritas, berücksichtigten vorwiegend eigene Anhänger und
arbeiteten bei ihrer Werbung für die Sammlung wie bei der Verteilung mit
Druckmethoden72. Sie sorgten dafür, daß durch die Kinderland Verschickung
die Kinder in Gebiete kamen, in denen eine konfessionelle Betreuung nicht
möglich war73.
Durch die Infiltration von Anhängern der NSDAP in alle Organisationen
und deren Führungsanspruch entstand ein Zustand im Saargebiet, der von
der Regierungskommission dahingehend gekennzeichnet wurde, daß die
NSDAP im Saargebiet neben der Regierungskommission eine „administra-
tion clandestine“74 errichtet habe. Tatsächlich gingen von der NSDAP an
Gemeinden, Verbände und verschiedene Bevölkerungsgruppen Rundschrei-
ben heraus, die zu bestimmtem Verhalten auf forderten75. So wurde z. B.
durch die nationalsozialistische Propaganda wie durch den von der Partei
ausgeübten Druck erreicht, daß der 1. Mai 1933 zu einer Art Demonstration
für das nationalsozialistische Deutschland wurde. Die NSDAP hatte durch-
68 S.D.N. J.O. XV,1 (1934), S. 35; Originale solcher Adressen sind in erheblicher Anzahl
erhalten im BA Koblenz, Reichskanzlei R 43 I / 253.
69 S. Protokoll dieser Sitzung unten als Anlage 10, S. 379 ff.
70 S.L.2. Nr. 177 v. 3. 7. 1933.
71 Straus, a. a. O., S. 141.
72 UNO-Archiv, Genf, S.D.N. Beschlüsse der Reg. Kom. 141/34, Nr. 66; vgl. auch
B alk, a. a. O., S. 46 f. und Anlage 12, unten S. 383 f.
73 Vgl. dazu unten Anlage 18, S. 395 ff.
74 S.D.N. J.O. XV,3 (1934), S. 303.
75 Ebenda.
260
gesetzt, daß die Anweisungen der Regierungskommission nicht befolgt wur-
den, und der Tag war — nach den Aussagen von Morize — statt einer „fete
de travail“ eine „fete d’intimidation“ geworden76.
Die NSDAP konnte diese erfolgreiche Tätigkeit an der Saar nicht nur ent-
falten, weil auch hier die „nationale Erhebung“ eine gewisse Faszination
ausübte, sondern weil die Partei auch in diesem Gebiet mit Einschüchterung
und Terror arbeitete77, die um so wirksamer waren, als entscheidende Kreise
des Saargebietes sich in unmittelbarer Abhängigkeit von der deutschen Re-
gierung befanden. Ein Drittel aller saarländischen Beamten war aus dem
deutschen Beamtendienst beurlaubt, und die beiden anderen Drittel — mit
Ausnahme der wenigen ausländischen Beamten — waren zu ihrer Existenz-
sicherung nach der Rückgliederung auf Übernahme durch die deutsche Re-
gierung angewiesen. Die deutsche Entwicklung, insbesondere das Ermächti-
gungsgesetz und das Gesetz vom 7. April 1933 zur Sicherung des Berufs-
beamtentums wie die darauffolgenden Entlassungen im Reich ließen die
saarländischen Beamten die Drohungen der NS-Presse, daß sie für ihr Ver-
halten nach 1935 zur Rechenschaft gezogen würden, ernst nehmen; ein klei-
nerer Teil trat zur persönlichen Sicherung bereits im März und April 1933
in die NSDAP ein78. Eigentlicher Terror setzte gegen die Kommunisten, die
Sozialdemokraten und die Juden ein79. Jüdische Geschäfte und die „Volks-
stimme“ wurden boykottiert, und Juden aus kulturellen Arbeitsgebieten
herausgedrängt80; Gastwirte wurden gezwungen, ihre Lokale nur Anhän-
gern der Rückgliederung zur Verfügung zu stellen81; französische und
jüdische Kinder wurden in den Schulen oder auf dem Schulweg belästigt82;
gegen französische Studenten, die zu einem Besuch in Saarlouis weilten,
wurde in feindlicher Weise demonstriert83; Saarländer wurden in Deutsch-
land verhaftet oder nach Propagandamaterial durchsucht84; zwei Beamte
des deutschen Sicherheitsdienstes kamen ins Saargebiet mit dem offiziellen
Auftrag, die Tätigkeit der Kommunisten zu beobachten und nach Drucke-
reien und Verbreitern kommunistischen Propagandamaterials zu suchen85;
andere Saarländer wurden — einmal sogar unter Mithilfe eines saarländi-
76 Com. d. Gouv. Pr.-V. v. 3. 5. 1933, S. 279.
77 Wambaugh, a. a. O., S. 249ff., u. G. Passe, Le Plebiscite de la Sarre, Paris, 1935,
S. 27 ff. stellen die Terrormaßnahmen, gestützt auf die Berichte der Reg. Kom. und
die Eingaben der antinationalsozialistischen Parteien und Gruppen, ausführlich dar.
Hier wird der Terror nur soweit skizziert, wie es für das Verständnis der partei-
politischen Entwicklung im Saargebiet notwendig ist.
78 Vgh dazu Ber. d. Reg. Kom. über die Beamtenfragen: Amtsblatt der Reg. Kom. 1933,
S. 215 ff.
79 Darüber berichtete besonders die „Volksstimme“ schon in den Monaten März und
April 1933.
80 Darüber bes. Denkschrift der Sozialdem. Partei v. 20. 9. 1933, S.D.N. J.O. XV,1
(1934), S. 53 f., u. v. 6. 1. 1934, XV,3, S. 325 ff.; außerdem Com. d. Gouv. v. 3. 5.
1933, S. 29.
81 Darüber bes. Denkschrift d. Sozialdem. Partei v. 6. 1. 1934, S.D.N. J.O. XV,3 (1934),
S. 330 f.
82 Ebenda, S. 331; außerdem Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 17. 5. 1933, S. 299.
83 S.D.N. J.O. XV,9 (1934), S. 1128.
84 S.D.N. J.O. XV,5 (1934), S. 461; XV,8, S. 983 f.; XV,9, S. 1140.
85 Ebenda, XIV,8 (1933), S. 1146 ff.
261
sehen Polizisten — über die Grenze nach Deutschland gebracht und dann
verhaftet86. Diese Aktivität der NSDAP steigerte sich besonders im Früh-
sommer 1934; das Büro der Saarländischen Wirtschaftsvereinigung, einer
frankophilen Organisation unter Leitung des ehemaligen Mitgliedes der
Regierungskommission, Dr. Hector, wurde ausgeraubt und demoliert, ohne
daß die Polizei zunächst eingriff; sämtliches Aktenmaterial über die fran-
zösischen Domanialschulen wurde in einer Nacht aus der Bergwerksdirek-
tion gestohlen; schließlich wurde ein Attentat gegen den von den National-
sozialisten heftig bekämpften Polizeikommissar Machts verübt, das zu einer
Schuß Verletzung am Bein führte87.
Die Regierungskommission sah sich auf Grund der gekennzeichneten Ent-
wicklung seit Februar 1933 zu einer sorgfältigen Beobachtung der Verhält-
nisse und zu einer Reihe energischer Verordnungen und Maßnahmen ge-
zwungen, die der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung dienen und die
Rechtssicherheit und persönliche Sicherheit aller Bewohner des Saargebietes
erhalten und ein freies Plebiszit garantieren sollten. Die Politisierung der
Schulen, der Beamtenschaft, der Gewerkschaften und der Sportverbände
sollte verhindert werden; die Zusammenstöße zwischen politischen Gegnern
durch die Einschränkung der Veranstaltungen auf geschlossene und melde-
pflichtige Versammlungen unmöglich gemacht und die Einwirkungen von
außen, insbesondere durch die nationalsozialistischen Reichsstellen und die
Gauleiter sollte durch das Verbot der organisatorischen Abhängigkeit aller
Parteien, Verbände und Institutionen von außersaarländischen Organisatio-
nen und der Leitung von saarländischen Organisationen durch Nicht-Saar-
einwohner verhindert werden. Bestimmte Vergehen, wie Beschimpfung der
Regierungskommission, Drohungen, Boykott, Terror, wurden unter schwere
Strafe gestellt. Diese Verordnungen lehnten sich zum größten Teil an ent-
sprechende Notverordnungen im Deutschen Reich, vor allem unter der
Kanzlerschaft Brünings, an88; sie wurden aber in der Mehrzahl vom saar-
ländischen Landesrat nicht gutgeheißen. Platte man bereits die Verordnung
über die Wehrverbände 1928 abgelehnt89, so sah man auch in den neuen
Verordnungen eine ungerechtfertigte Einmischung der landfremden Regie-
rungskommission in das politische Kräftespiel. Bei jeder Beschränkung der
politischen Bewegungsfreiheit lebten die Erinnerungen an die Kämpfe des
Jahres 1923 auf, und man berief sich auf die Freiheits- und Ordnungsliebe
der Saarländer und verwies auf die positiven Beurteilungen der Bevölkerung
z. B. durch Präsident Stephens90. Waren die Verordnungen auch primär
gegen das Vorgehen der Nationalsozialisten gedacht, so lehnten sie aber auch
86 Com. d. Gouv., Pr.-V. v. 5. 4. 1933, S. 229; Volksstimme Nr. 79 v. 3. 4. 1933; S.L.Z.
Nr. 19(5 v. 27. 7. 1933.
87 S.D.N. J.O. XV,9 (1934), S. 1128 f., S. 1140 und S. 1170 f.
88 Die Verordnungen sind alle im Amtsblatt d. Reg. Kom. v. 1933 und 1934 veröffent-
licht. Berichte über die Verordnungen, ihren Sinn und ihre Anwendung in den Ber.
d. Reg. Kom.: S.D.N. J.O. XIV,6 (1933), S. 719 ff.; XIV,10, S. 1126 f.; XV,4 (1934),
S. 394 f.; XV,5, S. 437; XVI,1 (1935), S. 22 f.
89 Vgl. oben S. 252.
90 Z. B. Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1933, S. 113; v. 30. 5. 1933, S. 129ff.
262
die anderen Parteien — mit Ausnahme der Sozialdemokraten — ab. Beson-
ders die Kommunisten erblickten in einem Teil der Verordnungen, die ihre
Versammlungstätigkeit und die Aktionen des Rotfrontkämpferbundes be-
schränkten, eine Veranlassung zu leidenschaftlichem Widerstand und zur
Hetze gegen die Regierungskommission91. Nach Erlaß der Verordnungen
wachten die einzelnen Parteien ständig über ihre Anwendung, und sowohl
die Deutsche Front wie die Kommunisten und Sozialdemokraten waren der
Auffassung, daß ihnen nicht genügend Bewegungsfreiheit gegeben war, und
warfen der Regierungskommission bevorzugte Behandlung der anderen
Gruppe vor92. So erwuchs der Regierungskommission gerade durch die Ver-
ordnungen, die letztlich dem Schutz der Saarländer dienen sollten, eine
breite Opposition, die auch in der kritischen Situation seit 1933 eine ver-
trauensvolle Zusammenarbeit zwischen Regierungskommission und Bevölke-
rung nicht aufkommen ließ.
Besonders beunruhigend für die Regierungskommission wurde die Entwick-
lung, als die unentbehrlichen Stützen für ihre Verwaltungsarbeit und für
die Aufrechterhaltung geordneter Zustände fragwürdig zu werden began-
nen. Bereits am 4. Mai 1933 hatte sie an den Rat des Völkerbundes über die
Gewissenskonflikte der Beamten in der Erfüllung ihrer Pflichten angesichts
der Drohungen der Nationalsozialisten berichtet93. Der Rat hatte daraufhin
am 27. Mai 1933 grundsätzlich die Rechte aller saarländischen Beamten auch
für die Zeit nach 1935 garantiert und sah die Einleitung entsprechender
Verhandlungen mit allen beteiligten Partnern vor94. Trotzdem fand sich die
Regierungskommission immer wieder in der Situation, daß sie energisch
Amtsverschwiegenheit verlangen und Druck zur Preisgabe von Dienst-
geheimnissen verhindern mußte95. Der NSDAP gelang es überdies, auf die
saarländische Gendarmerie und Polizei Einfluß zu gewinnen, so daß in
mehreren Fallen die Polizeigewalt versagte96. Als die Regierungskommission
auch Nicht-Saarländer in die Polizei aufnahm und dazu die Erlaubnis vom
Rat einholte97, kam es am 19. April 1934 zu einer demonstrativen Resolu-
tion von sechzig Polizeibeamten gegen die Aufnahme von Nicht-Saarlän-
dern in die saarländische Polizei97. Die Regierungskommission entzog ein-
zelnen Gemeinden die Polizeibefugnisse98 und erließ eine Verordnung, daß
Angehörige der Polizei bei einer vorsätzlichen und groben Verletzung ihrer
Amtspflichten fristlos und ohne Disziplinarverfahren entlassen werden dür-
91 Ebenda, Sten. Ber. v. 30. 5. 1933, S. 134 ff.
92 Z. B. Denkschrift der Deutschen Front v. 18. 12. 1933, S.D.N. J.O. XV,3 (1934),
S. 307ff.; v. 13. 1. 1934, S. 313 f. Beschwerde der Freiheitsaktion Saar (Kommunisten)
v. 15. 6. 1934, S.D.N. J.O. XV,9, S. 1169 f.
93 Der Brief wurde im Amtsblatt der Regierungskommission veröffentlicht, 1934, Nr. 24
v. 8. 6. 1933, S. 215 ff.
94 Amtsblatt der Reg. Kom., a. a. O., S. 218.
99 S.D.N. J.O. XV,10 (1934), S. 1188.
96 S.D.N. J.O. XV,9 (1934), S. 1128 u. S. 1140.
97 Ebenda, XV,5, S. 455 f., und XV,11 (1934), S. 1460.
98 Ebenda, XV,9, S. 1129; Amtsblatt der Reg. Kom. 1933, Nr. 261.
263
fen". Vom Rat erhielt sie am 4. Juni 1934 die Erlaubnis zur Anwerbung
von Ausländern für die saarländische Polizei 10°.
Für die persönliche Rechtssicherheit, besonders aller Gegner des National-
sozialismus und Anhänger einer status-quo-Lösung war es beängstigend, daß
einige Richter im Saargebiet — sei es aus innerer Sympathie mit der deut-
schen Bewegung, sei es aus Furcht — zu parteiischen Urteilen in politischen
Angelegenheiten gelangten. In diesen Prozessen äußerte sich z. B. ein Richter
abfällig über Juden; Kommunisten wurden wegen kleiner Vergehen hart
bestraft, Anhänger der Deutschen Front freigesprochen, so daß es wieder-
holt zu einer totalen Revision der Urteile erster Instanz durch den Obersten
Gerichtshof in Saarlouis kam99 100 101. Das französische Kommissionsmitglied
Morize forderte deshalb Sondergerichte für alle politischen Angelegenheiten,
die mit neutralen ausländischen Richtern besetzt werden sollten102. Die
übrigen ausländischen Mitglieder der Regierungskommission anerkannten
zwar, daß sich die deutschen Richter in einer schwierigen Situation befanden
und einige Richter schwer gegen die Unparteilichkeit verstoßen hätten, be-
tonten aber auch, daß die große Zahl der Richter in schwierigen Umständen
eine um so verdienstvollere Objektivität gewahrt habe103. Sie sahen die
Berufungsmöglichkeit an das Oberste Gericht in Saarlouis als hinreichende
Garantie der Rechtssicherheit bis zur Einsetzung der geforderten Abstim-
mungsgerichte an104. Koßmann wandte sich zwar in einer Sonderdarstellung
gegen die Auffassung, daß viele Bewohner des Saargebiets kein Vertrauen
mehr in die saarländische Gerichtsbarkeit hätten, fuhr aber doch fort:
„Je suis d’accord avec le point de vue soutenu par les autres membres de la
Commission du Gouvernement, à savoir que les juges allemands du Territoire de
la Sarre sont placés dans une situation très difficile dans laquelle ils sont exposés
à de désagréables conflits de conscience. Cependant, une très grosse partie des
fonctionnaires allemands du Territoire de la Sarre se trouvent plus ou moins dans
cette situation, en particulier lorsque leurs fonctions les obligent à prendre des
décisions de caractère politique . ..“ 105.
In dieser schwierigen Situation entstanden Gerüchte und Befürchtungen;
besonders tauchte bei den Mitgliedern der Regierungskommission und bei
den Sozialdemokraten oder der Saarländischen Wirtschaftsvereinigung immer
wieder der Gedanke eines nationalsozialistischen Putsches auf106. Deshalb
forderte die Regierungskommission, mit Ausnahme Koßmanns, eine mili-
tärische Besatzung für die Zeit der Abstimmung107. Auch gegen diesen Plan
99 Amtsblatt der Reg. Kom. 1933, Nr. 262.
100 S.D.N. J.O. XV,9 (1934), S. 1147.
101 Ausführlicher Bericht Morizes über diese Urteile in S.D.N. J.O. XV,5, S. 450 f.; vgl.
auch Landesrat des Saargeb., Sten. Ber. v. 31. 5. 1933, S. 222 ff.
102 S.D.N. J.O. XV,5, S. 453.
103 Ebenda, S. 454.
104 Ebenda.
105 Ebenda, S. 454 f.
106 S.D.N. J.O. XV,10 (1934), S. 1213 ff. (Petition der Saarländischen Wirtschaftsvereini-
gung); ebenda, S. 1222 f. In den Quellen läßt sich keinerlei Hinweis finden, daß eine
solche Gefahr jemals ernsthaft bestand.
107 S.D.N. J.O. XV,12 (1934), S. 1706 f.
264
der Regierungskommission wurde, ebenfalls im Rückgriff auf die alten
Kämpfe zum Abzug der französischen Truppen, von allen Parteien, die für
die Rückgliederung eintraten, heftig agitiert108.
In dieser veränderten, erregten und oft verwirrenden politischen Situation
sahen sich die Parteien und die Saarbevölkerung vor neue, schwierige Pro-
bleme gestellt. Ihre eindeutige, längst gefällte Entscheidung für die Rück-
gliederung an Deutschland wurde mit anderer Bedeutung und unvorher-
gesehenen Konsequenzen belastet. Wenn alle Parteien zunächst auch die neue
Entwicklung nicht unter der Perspektive des Saarplebiszits, sondern unter
der des innerdeutschen Kampfes sahen, so geriet man doch unausweichlich in
ein Dilemma zwischen Vaterlandsliebe und Gegnerschaft gegen den Natio-
nalsozialismus. Es entstand eine Situation für alle verantwortungsbewußt
Handelnden, gleichgültig, ob ihre Beurteilung der Lage begrenzt oder weit-
blickend war, die der Tragik nicht entbehrte. Sie offenbarte sich in den
zögernden Versuchen, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, in oft
unrealistischen Hoffnungen, durch unerwartete Ereignisse einer definitiven
Entscheidung enthoben zu werden, in leidenschaftlicher Stellungnahme, aber
auch in ängstlicher Passivität, wie in Bemühungen, das Unvereinbare neben-
einander anzustreben, die Rückkehr nach Deutschland und den Kampf gegen
den Nationalsozialismus. Sie offenbarte sich aber auch in der Divergenz
zwischen Tragweite der Entscheidung und der Begrenztheit der Fähigkeiten
und Mittel, in der menschlichen und politischen Überforderung, die die
Situation für das kleine Land und seine Bevölkerung in sich barg.
Zeitlich lassen sich in der Saarentwicklung von 1933 bis 1935 drei Phasen
unterscheiden. In den ersten Monaten stand man im Schatten der Ausein-
andersetzung der deutschen Mutterparteien mit dem Nationalsozialismus,
um sich erst in einer zweiten Phase der grundsätzlichen Problematik bewußt
zu werden und sich zwischen Gleichschaltung und Suchen nach einem Ausweg
zu bewegen, bis man sich endlich der Alternative einer Rückkehr zum natio-
nalsozialistischen Deutschland oder einer politischen Selbstbehauptung durch
die Ablehnung der Rückkehr nicht mehr entziehen konnte.
3. Die Reaktion der saarländischen Parteien auf die Machtergreifung und
ihre Versuche zur Selbstbehauptung
Das pragmatische Programm der Deutsch-Saarländischen Volkspartei
Da im Saargebiet die Deutsch-Saarländische Volkspartei gleichzeitig natio-
nale Sammlungspartei für den Abstimmungskampf und eine bürgerliche
Partei mit demokratischen und sozialen Vorstellungen war, bedeutete auch
für sie die wachsende Festigung der nationalsozialistischen Reichsregierung
eine große Enttäuschung. Innerlich dem linken Flügel der Deutschen Volks-
108 Bes. in der Denkschrift der Deutschen Front v. 13. 11. 1934: S.D.N. J.O. XVI,1
(1935), S. 44.
265
partei und der Außenpolitik Stresemanns verbunden109 und auf enge Zu-
sammenarbeit mit dem Zentrum, aber auch mit den Sozialdemokraten an
der Saar eingestellt, manifestierte für diese Partei die Regierung der Rechts-
parteien unter der Führung der nationalrevolutionären, antidemokratischen
und totalitären NSDAP geradezu das Scheitern einer nationalen Sammlung
auf demokratischer und parlamentarischer Basis, wie sie wesentliches Pro-
gramm der Deutsch-Saarländischen Volkspartei gewesen war. Deshalb mußte
sich auch die Entwicklung seit dem 30. Januar 1933 auf die Existenz der
Deutsch-Saarländischen Volkspartei bedrohlich auswirken, besonders da die
Zusammenfassung aller bürgerlich nationalen Kräfte außerhalb des Zen-
trums der Partei seit 1928 nicht mehr gelungen war. So setzten schon im
April 1933 Auflösungserscheinungen von unten ein110, die wohl auch da-
durch begünstigt wurden, daß die Anhänger der Partei sich zu einem erheb-
lichen Prozentsatz aus mittelständischen Schichten wie Handwerkern, Kauf-
leuten, Beamten und Angestellten zusammensetzten. Auch der ehemalige
Vorsitzende der Deutsch-Saarländischen Volkspartei, Schmelzer, stellte z. B.
bereits am 19. Mai 1933 im Landesrat die „großartigen Maßnahmen“ „zur
Gesundung des gewerblichen Mittelstandes“ und das große Arbeitsbeschaf-
fungsprogramm der Reichsregierung heraus111. Die pragmatische Einstellung
der Deutsch-Saarländischen Volkspartei mit der Dominanz des nationalen
Sammlungsgedankens112 konnte für diese Kreise keine geistige Zurüstung
für eine Resistenz gegenüber dem Nationalsozialismus bedeuten. Entstand
bereits dadurch eine schwierige Situation für die Parteiführung, so kompli-
zierte sich die Lage auch noch aus anderen Gründen. Seit dem Tode Strese-
manns und dem wachsenden inneren Zerfall der Deutschen Volkspartei
hatte sich die Deutsch-Saarländische Volkspartei mehrmals ausdrücklich von
der Deutschen Volkspartei distanziert113. Wenn diese Grenzziehung auch in
Berufung auf die demokratische Substanz der saarländischen Partei und ihre
Verbindung mit dem linken Flügel der Deutschen Volkspartei erfolgt war,
so führte sie doch in der Praxis und für die Masse ihrer Anhänger dazu, daß
der ideologische und politische Rückhalt an der geistigen Struktur und prak-
tischen Politik einer deutschen Mutterpartei fehlten und dadurch die Kon-
109 in einem Artikel anläßlich des Mißtrauensvotums der Deutschen Volkspartei gegen
Brüning v. 26. 2. 1932 (darüber: Matthias — Morsey, a. a. O., S. 530) nahm die
S.Z. in Nr. 57 v. 27. 2. 1932 scharf gegen die Haltung der DVP Stellung und führte
u. a. aus: „... Damit ist die Volkspartei nicht nur in eine Sackgasse, sondern vielleicht
wirklich schon in eine Krise geraten.
Wir haben es stets mit dieser Fraktionsminderheit — mit den Kahl, Kardorff, Schnei-
der, Curtius und den Arbeitnehmern — gehalten und müssen ihnen heute erst recht
unsere volle Sympathie aussprechen. Auch die Deutsch-Saarländische Volkspartei, die
ja viele alte Demokraten in ihren Reihen hat, ist selbstverständlich in keiner Weise
mit dem schwerindustriellen Flügel der volksparteilichen Reichstagsfraktion gleich-
zusetzen. Sie lebt weiter in der ebenso sozialen wie nationalen Stresemann-Tradition,
sie hat hier im Saargebiet ihre bes. Aufgaben, die sich nur bei Erfassung der breitesten
Volksschichten erfüllen lassen.“
110 S.Z. Nr. 117 vom 30. 4. 1933 meldet den Übertritt der ganzen Homburger Orts-
gruppe zur NSDAP.
111 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1933, S. 99.
112 Vgl, dazu oben S. 175 f.
113 Vgl. dazu Anm. 109 dieses Kapitels.
266
Zentrierung auf saarländische Verhältnisse verstärkt wurde. So hatte die
Partei in den Saarfragen selbstverständlich mit den Regierungen Brüning
und Papen zusammengearbeitet. Röchling und die Kreise der Industrie- und
Handelskammer sahen in allen politischen Umbildungen Deutschlands ihre
Mitarbeit an einer reibungslosen und wirtschaftlich tragbaren, nach Möglich-
keit vorteilhaften Eingliederung des Saargebietes in den deutschen Wirt-
schaftsraum als ihre besondere Aufgabe an. Röchling hatte es auch verstan-
den, auf Grund der Saarsituation seinem Werk beachtliche deutsche Unter-
stützung zu verschaffen114, und war besorgt um eine Reichspolitik, die der
Saarwirtschaft nach der Rückgliederung Hilfe leiste. Diese wirtschaftspoliti-
schen Ziele der Deutsch-Saarländischen Volkspartei wie ihre grundsätzliche
Zusammenarbeit mit den anderen saarländischen Parteien schienen durch die
Regierung Hitler und ihre Maßnahmen gegenüber den Kommunisten, den
Sozialdemokraten und dem Zentrum gefährdet.
In dieser Situation wurde in der Führungsschicht der Deutsch-Saarländischen
Volkspartei durch Röchling ein Programm entwickelt, das die weitere Hal-
tung der Partei gegenüber dem Nationalsozialismus und der Saarfrage be-
stimmte. Wenn das Programm, das sich in einem Brief Röchlings an Hitler
vom 23. März 1933 abzeichnete, vielleicht zunächst stärker taktisch gemeint
war, um die Existenz der eigenen Partei zu retten, so waren doch in ihm
bereits die entscheidenden Vorstellungen der Deutsch-Saarländischen Volks-
partei eingebaut, so daß in Zukunft an diesem Programm nichts Wesentliches
geändert wurde. Das Programm konzentierte sich in alter Tradition vor
allem auf das Problem der Rückgliederung und der Abstimmung; die ver-
änderte Situation in Deutschland vermochte diese Grundposition nicht in
Frage zu stellen. Die Partei sah es in Vorbereitung auf die restlose Rückglie-
derung an das deutsche Vaterland als ihre Aufgabe an, „Helferin und Mitt-
lerin zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten und Parteien“ zu
sein, wie es in der Entschließung über das Weiterbestehen der Partei vom
12. Mai 1933 hieß115. Röchling hatte diese Rolle in dem erwähnten Brief
wie in einer Besprechung mit Hitler Ende April 1933 dargelegt. Er war der
Auffassung, daß die Parteien an der Saar, insbesondere auch die Zentrums-
partei, weiterbestehen müßten, damit Abstimmung und Rückgliederung
garantiert würden. Scharf hatte er in seinem Brief an Hitler formuliert:
.. Vor dieser Unterredung aber möchte ich schon darauf hinweisen, daß es m. E.
im Interesse unserer politischen Lage im Saargebiet von unabweisbarer Notwen-
digkeit ist, daß eine Verständigung mit dem Zentrum im Reiche getroffen wird.
Bitte betrachten Sie das nicht als Einmischung in Dinge, die mich nichts angelten,
wenn ich dies mit aller Deutlichkeit ausspreche. Ich habe mit dem Zentrum nichts
zu tun, als hier meine Politik mit ihm zu machen. Aber wenn schon ein Kriegs-
zustand mit den Sozialdemokraten und den Kommunisten besteht, der hier auf
unsere Verhältnisse abfärben muß, so können wir uns hier unter keinen Umstän-
den einen Zustand, wie er jetzt mit dem Zentrum besteht, leisten ..."116.
114 Com. d. Gouv. Pr.-V. v. 20. 10. 1932, S. 573: Mitteüung Koßmanns an die Kom-
mission über diesen Sachverhalt.
115 S.Z. Nr. 128 v. 12. 5. 1933 (Abdruck als Anlage 8 unten S. 378); ähnlich ein voran-
gegangener Beschluß v. Ende April: S.Z. Nr. 116 v. 29. 4. 1933.
116 Vgl. Abdruck des ganzen Briefes als Anlage 7 unten S. 377.
267
Der Ton dieses Briefes war von dem Selbstbewußtsein und dem Stolz
getragen, die sich bei den saarländischen Parteiführern aus dem Bewußt-
sein, der nationalen Sache einen unschätzbaren Dienst erwiesen zu haben,
ausgebildet hatten. Röchling und eine Reihe der anderen maßgebenden
Persönlichkeiten wußten um ihre Bedeutung für den Abstimmungskampf
und beanspruchten selbstverständlich, als verantwortliche und zuständige
Repräsentanten der Saarbevölkerung gehört und in ihren Wünschen berück-
sichtigt zu werden. Die Deutsche Reichsregierung hatte in der Vergangen-
heit durch ihr Entgegenkommen diese Auffassung verstärkt. Röchling war
der Überzeugung, daß man seines Urteils und der Hilfe seiner Partei nicht
entraten könne. Neben der Notwendigkeit der Erhaltung der national
bewährten saarländischen Parteien legte er in einer Unterredung mit Hitler
als politisches Programm für den Abstimmungskampf den Zusammen-
schluß der saarländischen Parteien zu einer Einheitsfront dar, wie sie in den
Jahren nach 1920 bestanden hatte117. Die Begegnung zwischen Hitler und
Röchling scheint zwar kühl verlaufen zu sein118, aber Hitler erhob bei der
Besprechung der saarländischen Parteiführer am 15. Mai 1933 keine Ein-
wände gegen die Weiterexistenz der alten Parteien119. Er schonte die saar-
ländischen Gefühle und sagte, es sei gut, wenn mehrere Gruppen für das-
selbe Ziel einträten. Der Weg über die bisherigen Parteien schien ihm zu-
mindest in einer ersten Phase der Entwicklung auf Grund der Röchlingschen
Darstellung noch notwendig. Später gab er überdies wiederholt Zusiche-
rungen, daß im Saargebiet die ehemalige Zugehörigkeit zu einer politischen
Partei keinerlei Einfluß auf die Behandlung der Saarländer haben sollte,
der Einsatz für die Rückgliederung allein sei wesentlich120. Die Unter-
redung vom 15. Mai 1933 zeigte jedoch auch schon, daß das von Hitler
entwickelte Saarprogramm eine direkte Gewinnung der Arbeiterschaft
durch die nationalsozialistische Bewegung vorsah, daß der Deutsch-Saar-
ländischen Volkspartei die Rolle der „Helferin und Mittlerin“ auf die
Dauer nicht zugedacht war. Einige Tage vor dem Besuch der Parteiführer
bei Hitler, am 12. Mai 1933, hatte Röchling den Parteivorsitz selbst über-
nommen, wohl weil man ihn auf Grund seiner Beziehungen und seiner
wirtschaftlichen Position als den stärkeren Mann gegenüber Hitler und für
die Behauptung der Partei ansah121. Er bewahrte sich auch in Zukunft
eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber nationalsozialistischen Vorstellun-
gen. So erklärte er z. B. bei einem Vortrag in der Universität Frankfurt
(Main) am 21. September 1933, die Stresemannsche Außenpolitik sei seiner
Ansicht nach die einzig richtige gewesen122. Auch sein Buch „Wir halten die
Saar“ aus dem Jahre 1934 stellte die Ära der europäischen Verständigungs-
117 BA Koblenz Reichskanzlei R 43 1/253, Vermerk v. 28. 4. 1933, daß Röchling mit
Hitler von dieser Angelegenheit gesprochen habe.
US Dazu „Dernières Nouvelles“, Strasbourg, v. 14. 5. 1933: „Roechling et Hitler“.
119 Vgl, Abdruck des Protokolls als Anlage 10 unten S. 379 ff.
120 S.Z. Nr. 226 v. 27. 8. 1934; Bartz, a. a. O., S. 43.
121 S.Z. Nr. 128 v. 12. 5. 1933.
122 Beschwerdebrief des Gauleiters Sprenger von Hessen v. 23. 11. 1933 an Hitler in BA
Koblenz, Reichskanzlei R 43 I / 253, Rk 13458.
268
politik durchaus positiv dar und wurzelte ganz in den bisherigen Vorstel-
lungen der saarländischen Parteien.
Nach der Auflösung der Parteien im Deutschen Reich schien im Juli 1933
zunächst das Programm Röchlings und der Deutsch-Saarländischen Volks-
partei die weitere parteipolitische Entwicklung an der Saar zu bestimmen.
In Erneuerung des alten Einheitsfrontgedankens wurde am 14. Juli 1933
eine Arbeitsgemeinschaft zwischen der NSDAP, der DSVP, der DNVP,
der Bürgerlichen Mitte und der Zentrumspartei gebildet, die „Deutsche
Front“ (sog. „Erste Deutsche Front“), die der gemeinsamen Vorbereitung
der Abstimmung dienen und gleichzeitig das Weiterbestehen der alten Par-
teien ermöglichen sollte ш.
Zu demselben Zeitpunkt kam es zu politischen Aktionen, die von der
„Saarbrücker Zeitung“123 124 und der Industrie- und Handelskammer, also
Institutionen, die die Deutsch-Saarländische Volkspartei repräsentierten,
getragen wurden. Die vorher entworfene Rolle der Deutsch-Saarländischen
Volkspartei wurde sichtbar. Unter Führung zweier Redakteure der „Saar-
brücker Zeitung“ beschritt man die gewohnten Wege des Protestes nach
Genf. Der Rat wurde in der traditionellen Weise gegen Übergriffe der
Regierungskommission angerufen. In Petitionen vom 7. Juli, vom
11. August und vom 30. September 1933 wandte sich die Vereinigung der
saarländischen Presse (an der zweiten Petition waren auch die Vereinigun-
gen der Zeitungsverleger und der Redakteure beteiligt) beschwerdeführend
an den Rat125. Man stellte die Verordnungen der Regierungskommission,
die die Pressefreiheit beschränkten, als unfreiheitlich und unberechtigt dar.
Am 10. Juli nahm der Präsident der Industrie- und Handelskammer, Bodo
Karcher, in einer Sitzung der Kammer ebenfalls gegen die Verordnungen
der Regierungskommission Stellung und beanspruchte für die Industrie-
und Handelskammer das Recht, in völliger Freiheit die Fragen der Rück-
gliederung zu erörtern126. Es falle in den Aufgabenbereich der Kammer,
die wirtschaftlichen Folgen einer status-quo-Lösung darzustellen. Da
Deutschland nach einem Abstimmungsergebnis, das eine endgültige Ein-
gliederung in das französische Zollsystem mit sich bringe, kein Interesse
mehr an einer Unterstützung der saarländischen Wünsche habe, bedeute eine
solche Entscheidung eine zollpolitische Abschneidung von Deutschland mit
allen wirtschaftlichen Konsequenzen. Die Industrie- und Handelskammer
leistete auf diese Weise der Propaganda für die Rückgliederung wirksame
Dienste. Es zeigte sich, wie weitgehend die Lösung aller Probleme auf die
123 S.Z. Nr. 182 V. 15. 7. 1933; S.L.Z. Nr. 189 v. 15. 7. 1933.
124 Die S.Z. konnte sich dem Gleichschaltungsprozeß schwer entziehen, da 52 #/o der
Aktien in den Händen des Deutschen Reiches lagen. Der Chefredakteur der Zeitung,
Arnold Nagel, mußte bereits im März 1933 aus der Redaktion ausscheiden. Darüber
L. Bruch, Weg und Schicksal einer deutschen Zeitung in: Saarbrücker Zeitung
1761—1961, S. 177.
125 Petitionen veröffentlicht in S.D.N. J.O. XIV,10 (1933), S. 1139, u. XV,1 (1934),
S. 47—50 u. S. 50—52.
126 Uber diese Vorgänge 55. Per. Ber. d. Reg. Kom., der im Anhang auch die Rede bringt,
S.D.N. J.O. XV,1 (1934), S. 37 f. Der ganze Bericht wurde auch im Amtsblatt d. Reg.
Kom. 1933 veröffentlicht, S. 477 u. 487 f.
269
Rückgliederung hin disponiert und wie alle Institutionen bereits vor dem
Eindringen des Nationalsozialismus politisiert waren. Die Gesamthaltung
der Deutsch-Saarländischen Volkspartei trug auch wesentlich zur Ver-
schärfung der Frontstellung gegenüber den Sozialdemokraten und Max
Braun wie gegen die Regierungskommission bei127.
In der Erfüllung ihres Programms diente die Partei der nationalen Ent-
scheidung der Saar, leistete aber zugleich dem Gleichschaltungsprozeß erheb-
lichen Vorschub. In ihrer Politik offenbarte sich am eindeutigsten, wie
gering die Voraussetzungen zu einer Selbstbehauptung der saarländischen
Parteien waren, wenn die nationale Frage mitgestellt war.
Die Zentrumspartei zwischen Widerstand und nationaler Zusammenarbeit
Der Entwicklung der Zentrumspartei des Saargebietes kam wegen ihrer
Stärke die entscheidende Bedeutung in der Auseinandersetzung mit der
neuen Situation zu. Für sie standen die ersten Monate nach dem 30. Januar
unter dem Eindruck der Überlegungen und Entscheidungen der deutschen
Mutterpartei, da sich erst zeigen mußte, welche Rolle dieser in den weiteren
Ereignissen zufallen würde. Grundsätzlich waren die Vorbehalte gegen-
über den weltanschaulichen Vorstellungen des Nationalsozialismus wegen
des streng katholischen und konservativen Charakters der Bevölkerung und
wegen des Einflusses, dessen sich der Klerus in Partei und Bevölkerung
erfreute, im saarländischen Zentrum besonders ausgeprägt. Ähnlich wie in
manchen Gruppen im Deutschen Reich hatte sich in der Partei überdies eine
tiefe Verehrung für Brüning herausgebildet, die durch das Verständnis, das
dieser für die Saarfragen gezeigt und durch seine Außenpolitik, von der
man auch eine friedliche und vorzeitige Bereinigung der Saarfrage erwar-
tete, noch verstärkt worden war128. Nach Brünings Sturz hatte man an
der Saar den Kampf gegen Papen besonders erbittert geführt, da man ihn
von seinen Aufenthalten auf seinen saarländischen Gütern und seiner Mit-
arbeit in der saarländischen Zentrumspartei, in der er als Anhänger
Brünings aufgetreten war129, kannte und deshalb von seinem Verhalten
enttäuscht war. Nur mit Rücksicht auf die Saarinteressen hatte sich die
Delegation der Zentrumspartei entschlossen, mit Papen als Reichskanzler
in Genf die normalen Beziehungen aufzunehmen 13°.
Die Ablehnung der Regierung Hitler-Papen spiegelte sich deshalb nach dem
30. Januar mit aller Deutlichkeit in der saarländischen Zentrumspresse.
Man griff aber zunächst, ähnlich wie in Deutschland131, besonders Papen
und Hugenberg an und war empört, daß das Zentrum plötzlich von aller
politisch verantwortlichen Mitgestaltung ausgeschlossen sein sollte132. Un-
127 Z. B.: Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1933.
128 Vgl. z. B. Saar-Zeitung Nr. 44 v. 23. 2. 1931 „Zentrumsparteitag des Kreises Saar-
louis“.
129 Ebenda.
130 Landesarchiv Saarbrücken, Sdineider-Bedker-Archiv, Privatpapiere R. Becker Nr. 133 (A).
131 Vgl. dazu Matthias — Morsey, a. a. O., S. 346f.
132 Z.B.S.L.Z. Nr. 50 v. 20. 2. 1933; Nr. 52 v. 26. 2. 1933; Nr. 77 v. 19. 3. 1933.
270
gehemmt durch irgendwelche Presseeinschränkungen konnte man ausführ-
lich von den Terrorakten der SA und NSDAP und dem Stil des national-
sozialistischen Wahlkampfes und der „nationalen Revolution“ berichten133.
Die feindliche Haltung des Zentrums gegenüber der neuen Regierung fand
einen aufsehenerregenden Ausdruck, als die gesamte saarländische Zen-
trumspresse sich zusammen mit der sozialistischen Presse weigerte, an einem
Presseempfang teilzunehmen, den Vizekanzler Papen am 14. Februar 1933
in Saarbrücken gab, da er anläßlich der Bestattungsfeierlichkeiten für die
Opfer der Neunkircher Gaskesselkatastrophe als Vertreter der Reichsregie-
rung im Saargebiet weilte. Die Zentrumspresse bezeichnete ihre ablehnende
Haltung als berechtigte Abwehr gegenüber den Angriffen der deutschen
Regierungspartei und -Vertreter auf die nationale Zuverlässigkeit der
anderen Parteien. Die deutschen Regierungsparteien hätten bei den Wahlen
vom 13. November 1932 im Saargebiet nur insgesamt 12,4 Prozent der
Stimmen erlangt und ihre gegenwärtige Haltung zerreiße die deutsche
Volksgemeinschaft:
„Kann der weitaus überwiegende Teil des Saarvolkes, der seine Vertretung in
anderen Parteien hat, sich die fortgesetzte politische Diffamierung gefallen lassen?
Nein, wir haben es nicht nötig, weil wir in der Vergangenheit unsere nationale
Pflicht erfüllt haben und das auch heute und in aller Zukunft tun werden, ganz
unabhängig davon, wer in Deutschland regiert“134.
Der Parteivorstand billigte am 18. Februar einstimmig die Stellungnahme
der Presse, sprach ihr seinen Dank aus und legte dar:
„Die Saarbevölkerung hat 14 Jahre lang den schwersten Kampf um das Deutsch-
tum ihrer Heimat geführt. Nur vom Boden des Rechtes aus hat sie diesen Kampf
für die nationale Freiheit führen können. Heute weiß alle Welt, daß das Saar-
gebiet deutsch ist und zum deutschen Vaterlande zurückkehren will.
Dieser lange Kampf hat in der Saarbevölkerung das Gefühl für Recht und Frei-
heit gestärkt und verfeinert. Nichts bedauert sie darum mehr, als daß sie jetzt
sehen muß, wie im Reiche Verfassung und Recht gebrochen sind und die Gewalt
diktiert.
Die Saarbevölkerung hat gekämpft um deutsches Recht und deutsche Freiheit. Die
Liebe zu Volk und Vaterland drängt uns, die neuen Machthaber im Reiche zu
warnen, weiterhin einen Volksteil gegen den anderen aufzuhetzen und Gewalt
vor Recht zu stellen. Kein Volk kann bestehen, das Recht und Freiheit verletzt.
Die Gerechtigkeit ist die Grundlage des Staates ...“ 135.
Die einmütige Ablehnung der Zentrumspartei wandte sich vor allem gegen
die Diffamierungen und gegen die Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit.
Die Verletzung von Recht und Freiheit wurde auch in den nächsten Wochen
stärker in dem allgemeinen Verhalten der Nationalsozialisten und in den
Terrorakten gesehen als in der grundsätzlichen Bedeutung der Notverord-
nungen vom 28. Februar136. Im Wahlkampf für die Märzwahlen griff
133 S.L.Z. v. Februar und März 1933.
134 S.L.Z. Nr. 45 v. 15. 2. 1933; außerdem auch Nr. 44 v. 14. 2. 1933.
135 S.L.Z. Nr. 48 v. 18. 2. 1933.
136 Die Notverordnungen v. 28. 2. 1933 wurden in der S.L.Z. nur im Zusammenhang
mit dem Reichstagsbrand und den Kommunisten erwähnt, nicht in ihrer allgemeinen
Bedeutung für die Aufhebung der Grundrechte gewürdigt.
271
der saarländische Reichstagsabgeordnete Kuhnen im Wahlkreis Koblenz-
Trier in seinen Reden die Nationalsozialisten und die deutsche Reichs-
regierung offen an137. Die Zentrumspresse wandte sich aber gleichzeitig
gegen französische Forderungen zur Einmischung im Saargebiet138 und
betonte:
„Wie immer sich das deutsche Schicksal gestalten mag, an der unbedingten Zuver-
lässigkeit des Saarzentrums in nationaler Beziehung, an unserem unerschütter-
lichen Willen zur Heimkehr ins deutsche Vaterhaus vermag das nichts zu ändern.
Die Treue der saarländischen Katholiken gegenüber dem deutschen Vaterland ist
bedingungslos ..."139.
Die Annahme des Ermächtigungsgesetzes war dann Anlaß für die saar-
ländische Zentrumspartei, sich auf einer großen Delegiertenversammlung,
an der 1500 Vertreter teilnahmen, am 26. März 1933 140 über ihre Haltung
gegenüber der deutschen Entwicklung und ihr zukünftiges Programm klar-
zuwerden141. Erste unterschiedliche Beurteilungen der Situation innerhalb
des saarländischen Zentrums kündigten sich schon dadurch an, daß nicht die
berühmten Redner der Partei, Levacher und Kiefer, die nicht nur im Lan-
desrat und bei den Genfer Delegationen, sondern in allen entscheidenden
Parteisituationen hervorgetreten waren, sprachen, sondern der Parteivor-
zitzende Steegmann und der Chefredakteur der „Saarbrücker Landeszei-
tung", Johannes Hoffmann. Politisch besonders aufschlußreich war zu-
nächst, wie Hoffmann in seinem Hauptreferat die Haltung der Deutschen
Zentrumspartei in der Frage des Ermächtigungsgesetzes zu erklären suchte.
Nach einer Betonung der Leistungen der Weimarer Republik und einer
scharfen Ablehnung des Stiles des nationalsozialistischen Wahlkampfes und
der „nationalen Revolution“ mit ihrem Massenrausch und Terror legte
Hoffmann dar, die Zentrumspartei habe es nicht auf sich nehmen wollen,
daß an ihrem Widerstand der nationale Wiederaufbau gescheitert sei. Sie
hätte im Falle der Weigerung den Haß der Mehrheit des deutschen Volkes
und des gesamten Bürgertums auf sich gezogen. Eine Ablehnung des Er-
mächtigungsgesetzes habe zudem bei der zugespitzten Lage an der tatsäch-
lichen Entwicklung nichts mehr geändert, sondern nur zur Entlassung von
Zentrumsbeamten, einer stärkeren Einschränkung der Freiheit der Zen-
trumspresse und einer Zerstörung der Partei geführt. Außerdem entspreche
die Zustimmung der demokratischen Grundhaltung der Zentrumspartei, die
auf diese Weise das Ergebnis der Wahlen vom 5. März respektiert habe und
der neuen Regierung den Weg nicht verbauen wolle. Die Ausführungen zu
dieser Frage mündeten in dem, was als letzte Rechtfertigung der Haltung
137 S.Z. Nr. 54 V. 24. 2. 1933.
138 S.L.Z. Nr. 77 v. 19. 3. 1933: „Französische Nervosität mit Absicht“, Leitartikel v.
Joh. Hoffmann.
139 S.L.Z. Nr. 65 v. 7. 3. 1933, ebenfalls Joh. Hoffmann.
140 Bei Matthias — Morsey, a. a. O., S. 368, Anm. 4 ist irrtümlich als Datum der
28. angegeben, der Tag, an dem Berichte über die Tagung in der Presse erschienen.
Hl Für die folgende Darstellung und die Zitate über diese Tagung S.L.Z. Nr. 86 v.
28. 3. 1933; die Referate Steegmanns und Hoffmanns sind wörtlich angeführt, die
Diskussion ausführlich berichtet.
272
der Zentrumspartei angesehen wurde: Es gehe jetzt darum, zu nüchterner
Aufbauarbeit zu gelangen, aus der Revolution „zur Wiederherstellung
geordneter Staats- und Rechtsverhältnisse“. Deshalb habe die Zentrums-
partei die Hand zur Versöhnung gereicht und wolle nach ihren Kräften
und in ihrem Geiste am Aufbau Deutschlands mitarbeiten. Hoffmann
schloß sich in der zusammenfassenden Beurteilung der Lage den Ausfüh-
rungen der „Kölnischen Zeitung“ an: „Der Reichstag hat die Größe der
Stunde erkannt und durch seine Selbstüberwindung den Weg zum natio-
nalen Aufstieg geebnet.“ Ähnlich hatte bereits Steegmann vorher von dem
„Opfer“ um der positiven Aufbauarbeit willen gesprochen, und die Aus-
führungen des saarländischen Reichstagsabgeordneten Kuhnen stellten in
der Diskussion neben den Zusicherungen für die kulturellen Belange und
für die Zentrumsbeamten vor allem die Möglichkeit zu sachlicher Mitarbeit
heraus, da Kaas, Stegerwald und Hackelsberger einem Ausschuß angehör-
ten, der zur Bearbeitung von Fachfragen herangezogen würde. Gegenüber
diesen Darstellungen betonte der saarländische Abgeordnete im Preußischen
Landtag, Hillenbrand, daß man sich keinen Täuschungen über die Größe
der Umbildungen hingeben dürfe. „Der in Weimar geschaffene Staat
existiert nicht mehr.“ Man wisse noch nicht, „ob zum Segen oder zum
Fluche“. Trotzdem waren alle Ausführungen von dem Wunsche zu einer
positiven Mitarbeit durchdrungen und sahen dazu nach dem 23. März
gewisse Hoffnungen. Auch die Äußerungen in der S.L.Z. vor dem 23. März
wie am 24. und 25. hatten bei allen Vorbehalten gegenüber dem Ermäch-
tigungsgesetz stets erneut den Erwartungen einer Normalisierung der Ver-
hältnisse Ausdruck gegeben142. So legte die Rede Hoffmanns auch dar,
daß die Zentrumspartei immer eine nationale und eine soziale Politik ver-
treten habe, daß sie bei einer Reform des parlamentarischen Systems und
der öffentlichen Verwaltung und bei Bemühungen zur Befreiung des kultu-
rellen Lebens von „artfremdem Schmutz und Schund“ und zur Durchdrin-
gung der Kultur mit christlichem Ideengut selbstverständlich zur Mitarbeit
bereit sei. Als günstige Voraussetzungen zu einer Zusammenarbeit wurden
aus Hitlers Regierungserklärung die Betonung der Notwendigkeit einer
ruhigen und friedlichen Außenpolitik, die Ablehnung von Währungsexperi-
menten, die Formulierungen zum Schutz des konfessionellen Friedens und
der Wille zur innenpolitischen Versöhnung herausgestellt. Die Gefährdung
wurde für den Katholizismus stärker bei Hugenberg gesehen, und die
Wachsamkeit gegenüber der zukünftigen Entwicklung schien vor allem
geboten, weil es sich erweisen müsse, ob der wohl zur Versöhnung neigende
Hitler oder die robustere Richtung mit Göring sich durchsetzen werde.
„Unter der Voraussetzung, daß die Regierung Hitler uns keine Zumutun-
gen stellt, die gegen den Grundsatz verstoßen: „Man muß Gott mehr
gehorchen als den Menschen“, sei das Zentrum bereit, wie nach 1918 mit
dem Sozialismus jetzt mit den Rechtsparteien eine Strecke Weges gemein-
l« S.L.Z. Nr. 68 v. 10. 3. 1933; Nr. 79 v. 21. 3. 1933; Nr. 82 v. 24. 3. 1933 und Nr. 83
v. 25. 3. 1933.
273
sam zu gehen, ohne allerdings die weltanschaulichen Grenzen zu verwischen.
Hatte Steegmann vorher in seiner Rede die Unterschiede zwischen der
nationalsozialistischen Idee des totalen Staates und der Bedeutung des
freien, Eigenwert besitzenden, verantwortungsbewußten Staatsbürgers her-
ausgearbeitet, so vollzog Hoffmann die Abgrenzung gegenüber dem Natio-
nalsozialismus gleichzeitig mit einer solchen gegenüber dem Sozialismus:
„Trennt uns vom Sozialismus ein verstiegener Internationalismus, so trennt uns
vom Nationalsozialismus der überspitzte Nationalismus. Die öde Gleichmacherei
des Sozialismus lehnen wir ebenso ab wie die Schablone des nationalistischen
Rasseprogramms. Die übertriebene Humanitätsduselei des Sozialismus ist uns
ebenso wesensfremd wie die brutale Machtanbetung des Nationalsozialismus. Leh-
nen wir im Marxismus die Vergötzung der Materie ab, so im Nationalsozialismus
die Vergötzung des Staates. Ist die Irrlehre des Atheismus auf der einen Seite für
uns unannehmbar, so müssen wir auf der anderen Seite mit der gleichen Kon-
sequenz die Verzerrung eines Christentums der Rasse ablehnen.
Diese gewaltigen weltanschaulichen Unterschiede zwischen dem Programm des
Zentrums und dem des Nationalsozialismus auf der einen wie des Sozialismus auf
der anderen Seite sind für die politische Zusammenarbeit im Interesse des Volks-
ganzen kein Hindernis..
Die Ausführungen der Redner wie die Diskussionen des Parteitages spie-
gelten zwar im einzelnen ein sehr großes Unbehagen gegenüber der deut-
schen Entwicklung und der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz, sprachen
aber doch auch immer wieder von der Pflicht des Zentrums, sich über
Gefühlsgründe hinwegsetzen zu müssen. Beachtet man, daß im Saargebiet
die Möglichkeit einer offenen und freien Diskussion der Zentrumsentschei-
dung wie der deutschen Entwicklung noch bestand, so zeigte dieser Partei-
tag, vor allem auch die Ausführungen Hoffmanns über die Gründe der
Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz, daß man sich von dem Eindruck
der propagandistisch geschickt aufgemachten „nationalen Erhebung“ nicht
ganz befreien konnte, wenn man ihr auch mit einer gewissen Skepsis gegen-
überstand; daß man die Entscheidung der deutschen Mutterpartei nach den
kulturpolitischen Zusicherungen aus Rücksicht auf die Zentrumsanhänger-
schaft und die Parteiorganisation billigte und daß im saarländischen Zen-
trum in ganz besonderer Weise, trotz allen klaren Wissens um das bis-
herige Vorgehen der Nationalsozialisten, Hoffnungen auf eine Normali-
sierung der Verhältnisse genährt wurden. Daß keine Stimme sich gegen die
Entscheidung der deutschen Mutterpartei erhob, mag zwar in dem Ver-
langen, in den schwierigen Umständen der Partei die Treue zu wahren und
ihre Situation in Deutschland nicht zu erschweren, mitbegründet gewesen
sein, aber gerade der Vergleich Hoffmanns mit der ehemaligen Zusammen-
arbeit zwischen Zentrum und Sozialdemokraten deutet darauf hin, daß
auch im Saargebiet die Größe der Gefahr, die in der Preisgabe der demo-
kratischen Grundlagen des Staates lag, nicht erkannt wurde. Hoffmanns
gleichzeitige Distanzierung von Nationalsozialismus und Sozialismus in
weltanschaulicher Hinsicht zeugt ebenfalls von der Hoffnung, daß es wei-
terhin um eine weltanschauliche Auseinandersetzung gehe, aber in der poli-
tischen Praxis diese Gegensätze weniger relevant würden. Nur aus einer
274
solchen Einschätzung der Lage kann vielleicht verstanden werden, daß man
sich in einem Augenblick von den Sozialdemokraten distanzierte, da diese
für Demokratie und Republik eingetreten waren und im Deutschen Reich
bereits verfolgt wurden. Das Zentrum dachte auch im Saargebiet noch nicht
daran, zur Bekämpfung des Nationalsozialismus eine dauerhafte Bundes-
genossenschaft mit den Sozialdemokraten einzugehen. Eine solche Haltung
wurde durch die im Saargebiet schon traditionelle weltanschauliche Gegner-
schaft zwischen Sozialismus und Katholizismus erleichtert, entsprang aber
auch der zentralen Bedeutung des nationalen Programmes in der saarlän-
dischen Zentrumspolitik, wie es in der Resolution des Parteitages143 und in
der Zurückweisung französischer Einmischung im Saargebiet in Hoffmanns
Rede seinen Ausdruck fand. Das nationale Programm wurde selbstverständ-
lich und fraglos in diesen Monaten aufrechterhalten, ja gleichsam im Wett-
lauf mit dem nationalen Pathos der Nationalsozialisten in besonderer Weise
betont, um die nationale Leistung des Zentrums an der Saar herauszustrei-
chen und der Regierung Hitler zum Bewußtsein zu bringen, daß der stärkste
Garant für die Rückkehr der Saar die Zentrumspartei sei und sie deshalb in
Deutschland und an der Saar respektiert werden müsse.
Nach dem 26. März 1933 blieb die innere Einheit der Zentrumspartei im
Saargebiet zunächst auf der Linie des auf dem Parteitag dargelegten Pro-
grammes noch bestehen: Erhaltung der Zentrumspartei, der Christlichen
Gewerkschaften, der freien Zentrumspresse, Verwahrung gegen Angriffe
und Diffamierungen der Nationalsozialisten, Kampf gegen die Rechts-
brüche und die Weltanschauung des Nationalsozialismus bei gleichzeitiger
Betonung der nationalen Leistung und des Willens zur Rückkehr. Auf dieser
Basis wollte man weiter eng mit der deutschen Mutterpartei Zusammen-
arbeiten. Am 6. April 1933 nahm Hoffmann an einer Tagung der rheini-
schen Zentrumspartei in Köln teil, betonte die Treue der saarländischen
Zentrumspartei zum Vaterland und zur deutschen Parteiorganisation des
Zentrums und drückte Verständnis für die Haltung des deutschen Zentrums
und Hoffnung auf eine aktive und zuversichtliche Arbeit der Partei aus144.
Man führte dann die Neuorganisation der Arbeit durch, wie sie die
Deutsche Zentrumspartei nach der Wahl Brünings zum Parteivorsitzenden
beschlossen hatte145. Da aber in Zukunft die Impulse der deutschen Zen-
trumspartei zur Weiterarbeit ausblieben, sah man sich in steigendem Maße
für die Weiterentwicklung auf die saarländischen Voraussetzungen ange-
wiesen.
Die offizielle Parteiführung unter Steegmann konzentrierte sich sehr stark
auf die Abwehr von Diffamierungen und Angriffen. So hatte Steegmann
bereits im März 1933 eine gerichtliche Klage gegen den Landesführer der
NSDAP Spaniol erwogen146, und in einem Brief an Hitler vom 2. Juni
143 Abgedruckt als Anlage 9, unten S. 378 f.
144 S.L.Z. Nr. 97 v. 8. 4. 1933, „Treu zu Volk und Nation“.
145 S.L.Z. Nr. 140 v. 24. 5. 1933; über die Beschlüsse der deutschen Zentrumspartei zur
Neuorganisation vgl. Matthias — Morsey, a. a. O., S. 386f.
146 S.L.Z. Nr. 77 v. 19. 3. 1933.
275
1933 erhob er in aller Deutlichkeit Beschwerde gegen die religionsfeind-
lichen Erlasse des Gauleiters von der Pfalz und verlangte im nationalen
Interesse Abstellung dieses Kampfes der Nationalsozialisten, der die
deutschen Belange an der Saar schädige147. Der Vollzugsrat der Zentrums-
partei beschloß am 9. Juni 1933 einstimmig einen Aufruf, der sich auf die
große Tradition der Zentrumspartei berief, ihren Weiterbestand forderte
und vor allem die Jugend zum Neueintritt einlud148. Gleichzeitig führte
die Zentrumspresse, besonders die „Saarbrücker Landeszeitung“ eine klare
und offene Sprache und berichtete über alle Maßnahmen und Übergriffe
der Nationalsozialisten in Deutschland. Die Kundgebung der deutschen
Bischöfe vom 28. Marz 1933 und der Abschluß des Konkordates riefen
keine tiefgehenden Reaktionen in der politischen Haltung der Zentrums-
partei oder der Zentrumspresse hervor; in der Kundgebung der deutschen
Bischöfe wurden von allem die Vorbehalte herausgestellt149. Die beiden
Geistlichen, die Pfarrer Dr. Schlich und Bungarten, die Mitglied des Auf-
sichtsrates der „Saarbrücker Landeszeitung“ waren, unterstützten besonders
die Arbeit der freien katholischen Presse und betrachteten sie ebenfalls als
Hüter gegen die Übergriffe des Nationalsozialismus.
Neben dieser Kritik standen aber in diesen Monaten immer wieder selbst-
verständliche und klare Bekenntnisse zur Rückgliederung150. Beide Ziele,
Verteidigung der Belange des Zentrums und des Katholizismus wie Rück-
kehr nach Deutschland, schienen dem saarländischen Zentrum auch dort,
wo der Wille zum Widerstand besonders ausgeprägt war, noch nebenein-
ander erreichbar. Man wollte Selbständigkeit und Einheit wahren und da-
durch ein realer Machtfaktor bleiben; vielleicht würden sich die Verhältnisse
inzwischen ändern.
Grundsätzlich wichen von dieser Linie der saarländischen Zentrumspolitik
auch jene Persönlichkeiten nicht ab, die vor allem Verfechter der Notwen-
digkeit einer Einigung mit der Regierung Hitler über die Saarfragen
waren. Bei Levacher, dem Fraktionsführer der Zentrumspartei im Landes-
rat, der stets zu den außenpolitischen Fragen gesprochen hatte, wie bei
Peter Kiefer scheint diese Auffassung besonders ausgeprägt gewesen zu sein.
Jahrelange Traditionen, die enge Zusammenarbeit mit Röchling wie auch
die Versuche der Christlichen Gewerkschaften in Deutschland, ihre Existenz
zu retten151, kamen dieser Ansicht entgegen. Die Resolutionen der saar-
ländischen Christlichen Gewerkschaften vom 3. und 4. April und vom
5. Mai 1933 152 wurden unter Führung der Gewerkschaftssekretäre Kiefer
147 S. Anlage Nr. 11, unten S. 382.
i« S.L.Z. Nr. 158 v. 13. 6. 1933.
149 S.L.Z. Nr. 89 v. 31. 3. 1933: „Kirche und Nationalsozialismus“; zum Konkordat
Nrn. 183, 184, 185 der S.L.Z. v. 9., 10. und 11. 7. 1933.
1“ Z. B. S.L.Z. Nr. 173 v. 29. Juni 1933 „Unser Wollen“.
151 Vgl, darüber: R. Thieringer: Das Verhältnis der deutschen Gewerkschaften zu
Staat und politischen Parteien in der Weimarer Republik 1918 bis 1933, Diss. (Masdi.)
Tübingen 1954, S. 236 ff.
152 S.L.Z. Nrn. 92, 93 u. 121 v. 3. 4., 4. 4. u. 5. 5. 1933; außerdem Originale der Adressen
und Begleitbriefe in BA Koblenz, Reichskanzlei 43 1/253.
276
bzw. Pick (DSVP) zu nationalen Treuebekenntnissen, Unter Berufung auf
die nationale Leistung und Bedeutung der Christlichen Gewerkschaften gab
man der Hoffnung auf Weiterbestand und Mitarbeit im neuen Staat Aus-
druck. Die nach Berlin gesandten Adressen erweckten in der Reichskanzlei
den Eindruck, daß die Christlichen Gewerkschaften des Saargebietes sich
beeilten, den Anschluß an die neue Zeit nicht zu verpassen153.
In Verhandlungen Anfang Mai 1933 erreichten der Vorsitzende der Christ-
lichen Gewerkschaften Deutschlands, Otte, und der Landesgeschäftsführer
der Christlichen Gewerkschaften des Saargebietes, Hillenbrand, die zusam-
men Ley aufgesucht hatten, daß in der Frage der Christlichen Gewerkschaf-
ten die Saarsituation berücksichtigt wurde. Die deutschen Christlichen Ge-
werkschaften wurden zunächst geduldet, im Saargebiet sollte sich organisa-
torisch nichts ändern und die ganze Entwicklung sollte im freien Ermessen
der Saarländer stehen154. Zum Tag der Deutschen Arbeitsfront am 10. Mai
1933 wurden saarländische Gewerkschaftsvertreter als Ehrengäste einge-
laden. Durch diese Berücksichtigung der Wünsche der saarländischen Ge-
werkschaftsführer und die Bedeutung, die ihre Haltung für die Christlichen
Gewerkschaften in Deutschland gewonnen hatte, verstärkte sich die Über-
zeugung, daß man vom Saargebiet aus durch Verhandlungen mit zustän-
digen Berliner Stellen etwas erreichen könne.
So fand sich in jenen Wochen, da auch noch die Frage von Verhandlungen
zwischen Brüning und der neuen Regierung und die Mitarbeit des Zen-
trums im neuen Staat offenstanden155, auch die Zentrumspartei des Saar-
gebietes bereit, an einer Besprechung der saarländischen Parteiführer mit
Hitler teilzunehmen. Auf der Anmeldeliste des Auswärtigen Amtes an die
Reichskanzlei standen vom Zentrum die Gewerkschaftsekretäre Kiefer,
Hillenbrand und Kuhnen, der Fraktionsvorsitzende Levacher und Redak-
teur Hoffmann156.
Bei einer Vorbesprechung in der Reichskanzlei vor Beginn des Empfanges
wurde Hoffmann von Selzner, dem Stellvertreter des Gauleiters Bürckel,
eröffnet, Hitler lehne Hoffmanns Teilnahme ab, da dieser ihn in einer
Rede erst kürzlich beleidigt habe157. In der Unterredung vom 15. Mai
1933 158, an der neben den saarländischen Parteivertretern des Zentrums,
der Deutsch-Saarländischen Volkspartei, der Deutschnationalen Volkspar-
tei, der Bürgerlichen Mitte und der NSDAP auch Vizekanzler von Papen
153 BA Koblenz, Reichskanzlei 43 1/253.
154 S.L.Z. Nr. 125 v. 9. 5. 1933 „Die Lage der Christlichen Gewerkschaften an der Saar“.
Die Rücksicht auf die Saar in den Abmachungen mit den Christlichen Gewerkschaften
erwähnen außerdem: W. Müller, Das soziale Leben im neuen Deutschland unter
besonderer Berücksichtigung der Deutschen Arbeitsfront, Berlin 1938, S. 53; H. G.
Schumann, Nationalsozialismus und Gewerkschaftsbewegung, Hannover/Frankfurt
1958, S. 79 f.
155 Vgl. dazu Matthias — Morsey, a. a. O., S. 388.
156 BA Koblenz: Reichskanzlei R 43 1/253; Schreiben des A.A. vom 13. Mai 1933. Auf
diesem Schreiben sind alle Namen außer dem Hoffmanns abgehakt.
157 Mitteilung Herrn Hoffmanns in einem Brief an die Verf. v. 30. 11. 1964.
158 Vgl. 2U üen folgenden Ausführungen über die Besprechung v. 15. 5. 1933 das Proto-
koll, Anlage 10, unten S. 379 ff.
277
und Außenminister von Neurath teilnahmen, sprach zunächst Peter Kiefer
über die Saarsituation in außenpolitischer Sicht. Hitlers anschließende Dar-
legungen griffen die nationale Zuverlässigkeit der sozialistischen Parteien
in den Grenzgebieten an, stimmten im übrigen aber grundsätzlich der "Wei-
terarbeit der alten Parteien zu. Sein entscheidender Plan für die Zukunft
war die Gewinnung der saarländischen Arbeiterschaft um die Kristallisa-
tionspunkte NSDAP und Christliche Gewerkschaften. Auch die marxistische
Arbeiterschaft, insbesondere die Mitglieder der Freien Gewerkschaften,
müßten gewonnen werden. Deshalb sollte eine Zusammenkunft mit den
Führern der Freien Gewerkschaften stattfinden, damit diesen der Vorteil
eines raschen nationalen Bekenntnisses klar würde. Man habe nur wegen
der finanziellen Unterstützung, die die Freien Gewerkschaften den Sozial-
demokraten in Deutschland gaben, gegen diese Gewerkschaften einschreiten
müssen. An der Saar handele es sich um einen außenpolitischen Kampf;
kein Deutscher, auch wenn er Mitglied einer marxistischen Partei gewesen
sei, habe Nachteile zu erwarten. Das war ein äußerst geschicktes Taktieren
Hitlers. In diesem Gremium von Parteiführern, unter denen sich auch
Röchling befand, warb er um die Gewerkschaften und die Arbeiter. Waren
diese erst einmal für die nationale Linie gewonnen, dann war es auf die
Dauer auch für das Zentrum schwer, seine Selbständigkeit weiter zu be-
haupten. Hitler hatte die Einbruchsmöglichkeit für eine zukünftige Gleich-
schaltung der saarländischen Zentrumspartei erkannt.
Nach dieser Besprechung änderte sich grundsätzlich zunächst nichts im saar-
ländischen Zentrum. Levacher und Kiefer vertraten nach dieser Besprechung
im Mai im Landesrat die nationalen Gesichtspunkte und griffen die Regie-
rungskommission an159. Der Kampf gegen den Nationalsozialismus wurde
aber gleichzeitig von der Zentrumspresse weitergeführt. Als im Juni 1933
die Nationalsozialisten nach Leys Mißerfolg auf der internationalen Arbeits-
konferenz in Genf gegen die Christlichen Gewerkschaftsführer vorgingen160,
die Auflösung der deutschen Zentrumspartei bevorstand und Bürckel die
saarländische Zentrumspartei angriff, kam es zu einem Höhepunkt der Er-
regung und der Abwehr gegen den Nationalsozialismus innerhalb der saar-
ländischen Zentrumskreise161. Trotzdem fand sich das saarländische Zen-
trum um der Rückgliederung willen bereit, mit den anderen Parteien
— außer den Sozialisten — die Deutsche Front als Arbeitsgemeinschaft zur
Vorbereitung der Volksabstimmung zu bilden. Gleichzeitig wurde aber noch
ein einstimmiger Parteibeschluß gefaßt, in dem in klarer Weise die Treue
159 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1933, S. 112 f., u. v. 30. 5. 1933, S. 131.
160 Vgl. dazu Schumann, a. a. O., S. 80f.; Volksstimme Nr. 140 v. 20. 6. 1933.
161 S.L.Z. Nr. 148 v. 2. 6. 1933 „Wo stehen wir?“; Nr. 153 v. 8. 6. 1933 „Wir und der
Nationalsozialismus“; Nr. 168 v. 24. 6. 1933 „Die christlichen Gewerkschaftsführer
ausgestoßen!“; Nr. 169 v. 25. 6. 1933 „Christliche Gewerkschaftshäuser besetzt“;
Nr. 171 v. 27. 6. 1933 „Stürmische Bezirkskonferenz des Gewerkvereins Christlicher
Bergarbeiter Saar, Bezirk Saarbrücken“; unter Leitung von Kuhnen und durch seine
Rede kam die ganze Erregung über die deutsche Entwicklung in dieser Versammlung
zum Ausdruck; Nr. 173 v. 29. 6. 1933 „Unser Wollen“ und „Vor dem Schlag gegen
das Zentrum“.
278
zum Zentrum und zu seinen politischen und geistigen Traditionen, der
Schmerz über die Auflösung der Mutterpartei und der Wille, im Saargebiet
eine selbständige Zentrumspartei aufrechtzuerhalten, zum Ausdruck kamen162,
Das politische Verhalten der Zentrumspartei des Saargebiets in der Frage
der Rückkehr zu Deutschland war praktisch dasselbe wie das der Deutsch-
Saarländischen Volkspartei. Die weitere freie Existenz der saarländischen
Zentrumspartei, der Christlichen Gewerkschaften des Saargebiets und die
lebendige und ständige Kritik der Zentrumspresse und einzelner Persönlich-
keiten waren aber für das nationalsozialistische Deutschland unangenehme
Begleiterscheinungen. Sie waren um so lästiger, als das Saargebiet erneut in
das internationale Interesse rückte und die Methoden des nationalsozialisti-
schen Vorgehens durch die Berichte der Regierungskommission wie durch die
sozialistische Saarpresse verbreitet wurden. Der Einschluß der Zentrums-
partei in die Deutsche Front vom 14. Juli 1933 stellte damit für die
Nationalsozialisten kein befriedigendes Ergebnis dar. Noch hatte die
NSDAP die Macht an der Saar nicht gewonnen und bestanden Organisation
und innerer Zusammenhalt der Zentrumspartei weiter und konnten dem
neuen Deutschland Schwierigkeiten bereiten, besonders da man es schwer
auf einen Kampf mit dieser Partei ankommen lassen konnte.
Das revolutionäre Programm der Kommunisten
Betrachtet man die Erfolge der Kommunisten in den Landesratswahlen des
Jahres 1932, so mußte ihrer Anhängerschaft neben den Zentrumswählern
für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wie für das Er-
gebnis der Volksabstimmung die größte Bedeutung zufallen. Die Tätigkeit
der Kommunisten im Kampf mit dem Nationalsozialismus zerfiel in der
Zeit von 1933 bis 1935 in zwei Phasen, in denen, entsprechend der allge-
meinen Auffassung der KPD und der Kommunistischen Internationale, zwei
verschiedene Programme vertreten wurden. Bis Mitte 1934 arbeiteten die
saarländischen Kommunisten nicht unter der Perspektive der bevorstehen-
den Volksabstimmung, sondern unter dem Gesichtspunkt der revolutionären
Erhebung der Arbeiterschaft gegen den Nationalsozialismus. Sie traten für
ein rotes Saargebiet in einem Rätedeutschland ein und griffen weiterhin die
Regierungskommission, den Völkerbund und Frankreich als Handlanger
des Imperialismus an163. In der allgemeinen Linie der ultralinken Taktik164
lag es, daß die besonderen Möglichkeiten im Saargebiet zu einer heftigen
S.L.Z. Nr. 189 v. 15. 7. 1933 und zur Beurteilung der Deutschen Front nochmals
Nr. 190 v. 16. 7. 1933.
163 Z. B. Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1933, S. 115ff.; v. 30. 5. 1933,
S. 134ff.; außerdem vor allem die Denkschrift der Kommunisten des Saargebietes an
den Völkerbund v. 1. 6. 1934, Dokument: S.D.N. C. 323. 1934. VII, J.O. XV,9 (1934),
S. 1162 f.
164 In Matthias — Morsey, a.a.O., S. 697, ist auf den Beschluß des Parteitages der
KPdSU v. Jan./Febr. 1934 hingewiesen, in dem die kommunistischen Parteien noch
wegen ihrer mangelnden Ausnützung der Weltwirtschaftskrise zum Kampf gegen die
Sozialdemokraten gerügt wurden.
279
Bekämpfung der Sozialdemokratie ausgenützt wurden. Braun und die
Sozialdemokraten wurden als Förderer des Separatismus, Wegbereiter des
Chauvinismus und des französischen Annexionismus bezeichnet165 und die
Arbeiterschaft zur Bildung einer revolutionären Einheitsfront von unten
aufgerufen166.
Überdies wurde Saarbrücken eine Zentrale der illegalen Tätigkeit der Kom-
munistischen Partei Deutschlands. Wilhelm Pieck organisierte seine „Rote
Hilfe“ zur Unterstützung der verfolgten Kommunisten von Saarbrücken
aus167; das erweiterte Zentralkomitee der KPD tagte am 3. und 4. Februar
1934 in Saarbrücken168; die Führung innerhalb des Büros der Bezirksleitung
Saar der KPD ging fast ausschließlich in die Hände deutscher Emigranten
über169; eine sog. „Durchgangsstelle“ und ein sog. „Reichstechnikum“ hatten
als wichtige Organisationen der illegalen KPD ihren Sitz in Saarbrücken170;
im Saargebiet wurde das kommunistische Propagandamaterial gedruckt und
über die Grenze nach Deutschland gebracht171.
Diese Tätigkeit der Kommunisten war ganz auf die Konzeptionen der
internationalen Kommunistischen Partei eingestellt und entbehrte einer
realen Einschätzung der politischen Situation an der Saar wie auch des
Denkens der saarländischen kommunistischen Arbeiterschaft. Auf Grund
der Vergangenheit des Saargebietes war auch bei den Kommunisten letztlich
der nationale Gedanke fest verwurzelt und ihr kämpferischer Aktivismus
hatte sich an der Saar nur an sehr konkreten nationalen Erlebnisinhalten
entzündet. Wenn die Kommunisten nun auch weiter gegen die Grubenver-
waltung, den französischen Staat, die Regierungskommission und den Völ-
kerbund hetzten und an die Bedeutung der Kommunisten an Rhein und
Ruhr im Jahre 1923 erinnerten172, so mußte es zu einer Krise kommen,
sobald sie die selbstverständliche und unbestrittene Voraussetzung all dieser
Hetzreden, die Rückgliederung an Deutschland, fallen ließen. Wenn man
sich im Geheimen in den führenden Kommunistenkreisen bereits seit Früh-
jahr 1934 darüber klar war, daß man gegebenenfalls für die Aufrecht-
erhaltung des bestehenden Zustandes stimmen müsse173, so bedeutete doch
165 So bes. in der Denkschrift v. 1. 6. 1934: S.D.N. J.O. XV,9 (1934), S. 1162 f.; Landes-
rat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1933, S. 117.
166 Z. B.: A.Z. Nr. 44 v. 21. 2. 1934, Nr. 51 v. 1. 3. 1934 u. Nr. 82 v. 14. 4. 1934.
167 A. A. Bes. Geb. II, Saargebiet, Pol. Parteien, Bd. 8, II SG 1551: Ein Gestapobericht
aus Trier gibt den Inhalt eines Rundschreibens der Roten Hilfe v. 25. 1. 1933; vgl.
auch Matthias — Morsey, a. a. O., S. 666.
168A.A., a. a. O., Bd. 7, II SG 1282; Gestapobericht aus Berlin v. 1. 3. 1934 enthält
genaue Mitteilungen über diese Sitzung.
169 Ebenda, Bd. 7, II SG 880, Gestapobericht v. 9. 2. 1934.
170 Vgl. Quelle bei Matthias — Morsey, a. a. O., S. 738.
171 A. A., a. a. O., Bd. 7, II SG 1282: in diesem Gestapobericht wird der Beschluß des ZK
der KPD zur Schaffung eines illegalen Apparates im Saargebiet angeführt; außerdem
Gestapobericht v. 22. 1. 1934 ebenda, Bd. 6, II SG 517; vgl. auch oben S. 261.
172 So in der Denkschrift v. 1. 6. 1934, S.D.N. J.O. XV,9 (1934), S. 1162 f.
173 A. A. Bes. Geb. II, Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 7, II SG 1282. In diesem Gestapobericht
v. 1. 3. 1934 ist als Beschluß des ZK der KPD v. Februar 1934 angeführt: Das Saar-
gebiet muß nach Deutschland zurück, aber nicht nach einem Hitlerdeutschland. Da die
Frage noch offensteht, wer 1935 in Deutschland regiert, wird von der KPD für die
280
die Aufrechterhaltung des revolutionären Programms, in dem bis Mitte
1934 zur Abstimmung nicht Stellung genommen wurde, daß die kommu-
nistische Führung die Saararbeiterschaft in ihren dringendsten Anliegen
ohne Antwort ließ. Die gesamte Saarbevölkerung befand sich seit der Grün-
dung der Deutschen Front im Juli 1933 immer stärker vor das Problem der
Abstimmung und die nationale Entscheidung gestellt, besonders da die
Nationalsozialisten fast ausschließlich mit nationalen Gesichtspunkten
arbeiteten. Die kommunistische Arbeiterschaft befand sich in demselben
Dilemma wie die übrige Bevölkerung und die anderen Parteien.
War bereits in Deutschland der Übergang von der KPD zur NSDAP in
einem erheblichen Prozentsatz eingetreten, so war die Saarsituation dazu
angetan, einen solchen Prozeß auch hier einzuleiten. Die mangelnde klassen-
kämpferische und revolutionäre Gesinnung der saarländischen Kommuni-
sten174, ihr Nationalismus, die Spaltungen im kommunistischen Lager vor
1933 waren Voraussetzungen, die den Nationalsozialisten die Gewinnung
von Kommunisten erleichterten. Bereits im Sommer und Fierbst 1933 nah-
men Nationalsozialisten Beziehungen zu einzelnen Kommunisten auf. Be-
sonders gelang es, in Ludweiler mit den beiden Vertretern der Kommu-
nistischen Oppositionspartei Reinhard und Becker, aber auch mit dem bisher
überzeugungstreuen Stalinisten Ulrich Verbindung herzustellen175. Man
organisierte eine Reise nach Deutschland, bei der sich die Kommunisten von
den Erfolgen des Nationalsozialismus überzeugen sollten, und Zusicherun-
gen für 1935 wurden gewährt. Die Teilnehmer an der Deutschlandreise
wurden daraufhin aus den beiden Kommunistischen Parteien ausgeschlossen.
Trotzdem blieb das Verhalten eines Mannes wie Reinhard, Führer im Streik
von 1923 und langjähriges Landesratsmitglied, der zweimal wegen seiner
kommunistischen Tätigkeit inhaftiert gewesen war, nicht ohne Eindruck176.
Die Abbröckelung setzte ein, und es schien bereits im Winter 1933/34 frag-
lich, ob die Anhängerschaft der Kommunisten die Wendung gegen die Rück-
gliederung je mitmachen würde177.
Während sich diese Abwanderung anbahnte und zu erwarten stand, daß
bei der kommunistischen Wählerschaft der nationale Gesichtspunkt siegen
würde, bildete ein Kongreß der saarländischen Kommunisten im April
1934, an dem 600 Delegierte teilnahmen, Komitees einer „Freiheitsaktion“
gegen den Faschismus in Deutschland und in der Deutschen Front und gegen
Abstimmung die Losung ausgegeben: „Bei der Abstimmung nicht für ein Hitler-
deutschland, aber auch nicht für einen Anschluß an das Ausbeutungsgebiet des fran-
zösischen Imperialismus.“ Wenn für Deutschland nicht gestimmt werden könne, dann
sollten die Kommunisten für einen freien Saarstaat stimmen. Im übrigen lehne die
KPD jedes Zusammenarbeiten mit den Saarseparatisten ab.
174 Vgl. dazu oben S. 201 f.
175 Dazu und zum Folgenden eine Reihe Unterlagen in: A. A. II, Bes. Geb., Saargeb.,
Pol. Parteien, Bde. 4, 6 u. 7; außerdem Saar-Zeitung Nr. 266 v. 21. 11. 1933.
176 Zu Reinhard vgl. oben S. 197 f.
177 A. A., a. a. O., Bd. 5, II SG 2574; Le Petit Parisien v. 21. 12. 1933 „Les Communistes
Sarrois et la Question du Plebiscite“; Saarbrücker Abendblatt Nr. 261 v. 30. 2. 1933
„Der Siegeszug der Deutschen Front“.
281
die Sozialdemokraten und ihre Unterstützung des Völkerbundregimes178.
Man billigte überdies vollinhaltlich die Entschließungen des XIII. Plenums
des Exekutivkomitees der kommunistischen Internationale und des Zen-
tralkomitees der KPD, die vor allem die Gewinnung der nichtkommunisti-
schen Arbeiterschaft durch eine Verstärkung der kommunistischen Aktivität
in den Betrieben gefordert hatten und auf diese Weise den Kampf gegen
den Faschismus und für die Errichtung der Rätemacht fortführen wollten.
In welche Belastungen in dieser Lage Menschen geraten konnten, zeigte sich,
als der saarländische kommunistische Landesratsabgeordnete Paul Lorenz
im Sommer 1934 einen Selbstmordversuch unternahm179.
Die Opposition der Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes gegen das
nationalsozialistische Deutschland und die Schwierigkeiten zur Gewinnung
eines neuen Saarprogramms
Nach dem 30. Januar 1933 führte die Sozialdemokratische Partei des Saar-
gebietes sofort einen scharfen Kampf gegen die nationalsozialistische Reichs-
regierung und gegen die Nationalsozialisten an der Saar180. Täglich berich-
tete die „Volksstimme“ von den Terrorakten in Deutschland und an der
Saar, von Verhaftungen und Entlassungen im Reich, von der Behandlung in
nationalsozialistischen Gefängnissen, von den Vorgängen um den Reichs-
tagsbrand und die Märzwahlen181. Die Ablehnung war total und kom-
promißlos.
Daneben wurde die Frontstellung gegenüber den Kommunisten ebenfalls
aufrechterhalten. Im April 1933 stellte sich zwar die „Volksstimme“ hinter
den Beschluß der II. Sozialistischen Internationale, daß eine sozialistische
Einheitsfront gegen die Faschisten anzustreben sei, die nur auf dem Wege
von Verhandlungen zwischen den beiden Internationalen erreicht werden
könne; die Konzeption der Kommunisten von der Einheitsfront von unten
wurde aber als irreführendes Gerede abgelehnt182. In der Jahreskonferenz
der Freien Gewerkschaften des Saargebiets Mitte April 1933 wurden die
Kommunisten von den Rednern leidenschaftlich beschuldigt und vor allem
die Rote Gewerkschaftsorganisation (RGO) heftig angegriffen183. Da die
Kommunisten gleichzeitig die saarländischen Sozialisten „frankophil"
nannten184, vertiefte sich die Kluft zwischen den beiden sozialistischen Par-
teien gerade an der Saar erheblich.
178 A.Z. Nr. 82 v. 14. 4. 1934, auch zum Folgenden. Ähnlich auch die mehrfach genannte
Denkschrift v. 1. 6. 1934. Vgl. auch Matthias — Morsey, a.a.O., S. 710ff.: Zur
Taktik der KPD 1933/34.
179 A. A., a. a. O., Bd. 11, II SG 4379.
180 So bes. auf dem Parteitag der Sozialdem. Partei im Februar 1933 in Saarbrücken;
Volksstimme Nrn. 37 u. 38 v. 13. u. 14. 2. 1933. Braun und Sollmann hielten die
Hauptreferate.
181 Volksstimme der Monate Februar, März u. April; z. B. Nrn. 79, 80 u. 81 vom 3., 4.
u. 5. April 1933.
182 Volksstimme Nr. 84 v. 8. 4. 1933, vgl. z. d. Beschluß der SAI auch Matthias —
Morsey, a. a. O., S. 170 f.
183 Volksstimme Nr. 90 v. 18. 4. 1933.
i8* Z. B. Volksstimme Nr. 119 v. 23. 5. 1933, vgl. auch oben S. 279 f.
282
In den ersten Monaten des Jahres 1933 erblickten die Sozialdemokraten
des Saargebietes ihre Aufgabe vor allem in einer Unterstützung des
Kampfes der deutschen Sozialdemokraten. Irgendwelche Anzeichen dafür,
daß sie anders als die deutschen Sozialisten mit einer raschen und dauern-
den Festigung des nationalsozialistischen Regimes rechneten, lassen sich nicht
feststellen. Man bewegte sich weiter in den gewohnten Vorstellungen, be-
nutzte die Freiheit an der Saar zu Angriffen auf die Reichsregierung,
pflegte die Verbindung mit den deutschen Sozialdemokraten und mit der
Internationale. In der Saarfrage betonte man die bisherige sozialistische
Auffassung, daß Demokratie, Völkerversöhnung und Verständigung mit
Frankreich die Voraussetzungen zur Lösung der Saarfrage seien185, wandte
sich aber auch in aller Schärfe gegen Zweifel der Nationalsozialisten an der
nationalen Zuverlässigkeit der Saarsozialisten. So faßte der Vorstand der
Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes am 7. April 1933 einstimmig
folgenden Beschluß:
„Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes sieht sich ver-
anlaßt, angesichts verschiedener Angriffe erneut zu erklären, daß die Sozialdemo-
kratische Partei des Saargebietes wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft
für die restlose Rückgliederung des Saargebietes an Deutschland eintritt. Der
Vorstand der Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes weist jeden Zweifel
an der nationalen Zuverlässigkeit der Partei, ganz gleich von welcher Seite er
erhoben wird, aufs entschiedenste zurück. Diese Feststellung ist unabhängig von
dem innerpolitischen Freiheitskampf der Sozialdemokratie.
M. Braun, Vorsitzender“186.
In einer Entschließung der Jahreskonferenz der Freien Gewerkschaften des
Saargebiets vom 17. April 1933 hieß es:
„Die Haltung der Freien Gewerkschaften in der Saarrückgliederungsfrage ist
unabhängig von dem politischen Geschehen in Deutschland“ 187.
Am selben Tage wurde der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß es dem
Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund gelingen werde, „auch in der
nationalen Volksgemeinschaft freie Betätigung und Lebensraum zu erhal-
ten“. Man nahm also ähnlich Stellung wie die Freien Gewerkschaften im
Reich, ohne sich allerdings als unpolitische Organisation zu bezeichnen, wie
das die deutschen Gewerkschaften getan hatten188. In den Reden des Ge-
werkschaftstages wurde das nationale Bekenntnis noch schärfer formuliert:
„Denn Deutschland ist unser Vaterland und unser Schicksal, und dieser Staat bleibt
unser Vaterland trotz alledem.“
Auch als die Regierung Hitler im Mai die Häuser der Freien Gewerkschaf-
ten beschlagnahmte und die endgültige Beseitigung der Sozialdemokrati-
schen Partei einleitete, blieb der Kampf der saarländischen Sozialisten vor
185 Volksstimme Nr. 37 v. 13. 2. 1933, Entschließung Braun auf dem Parteitag der saarl.
Soz.; Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 27. 2. 1933, S. 79.
186 Volksstimme Nr. 84 v. 8. 4. 1933 „Wider die Verleumder“.
187 Volksstimme Nr. 90 v. 18. 4. 1933, auch zu den folgenden Ausführungen und Zitaten.
188 Vgl. dazu Matthias — Morsey, a. a. O., S. 177ff., Schumann, a. a. O., S. 57,
M. Liebe, Die internationale Gewerkschaftsbewegung in der Auseinandersetzung
mit dem Nationalsozialismus, Diss. Berlin 1937, S. 63 ff.
283
allem auf die Frage der Erschütterung des nationalsozialistischen Systems
in Deutschland ausgerichtet und wurde die Saarabstimmung noch nicht
zum zentralen Problem. Das Vorgehen der Regierung Hitler zwang aber
notwendig die saarländischen Sozialisten zu Reaktionen, die das Saar-
gebiet in der bestehenden Gestalt als Refugium und Stützpunkt für die
Sozialisten werden ließen. Zunächst erklärten sich die saarländischen Orga-
nisationen der Freien Gewerkschaften als unabhängige saarländische Ver-
bände, wandten sich gegen die deutsche Gleichschaltung, traten mit dem
Internationalen Gewerkschaftsbund in Verbindung und verlangten mit
Unterstützung der Regierungskommission ihre Vermögensanteile aus den
von der Reichsregierung beschlagnahmten Geldern189. Man war sich auch
bewußt, mit der Saarabstimmung noch einen gewissen Trumpf in der Hand
zu haben, und die Gewerkschaften versuchten ihn, wohl durch die Erfolge
der Christlichen Gewerkschaften in dieser Hinsicht ermutigt, auszuspielen.
In einem offenen Brief wandte man sich am 12. Mai 1933 an Hindenburg
und protestierte gegen das Vorgehen in Deutschland190, und in einer Ent-
schließung vom 14. Mai 1933 forderten die Freien Gewerkschaften die
Freilassung Husemanns und der anderen unschuldig Verhafteten und führten
aus: „Diese Maßnahme erscheint der Konferenz als eine im Saargebiets-
interesse liegende nationale Tat"191. Vielleicht haben diese Resolutionen
Hitler in der Besprechung vom 15. Mai veranlaßt, die Christlichen Gewerk-
schaften vor allem zur Gewinnung der Freien Gewerkschaften aufzufor-
dern192. Dafür, daß sich Versuche in dieser Richtung anschlossen oder den
Sozialisten bekannt wurde, daß man ihre Spaltung über die christlichen
Gewerkschaftssekretäre erstrebte, spricht die Tatsache, daß am 21. Mai 1933
folgende Resolution gefaßt wurde:
„Die heute tagende Konferenz der Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes
spricht ihrem Parteivorsitzenden und Führer, Genossen M. Braun, ihr vollstes
Vertrauen aus und gelobt, mit ihm zu kämpfen für die Freiheit der Saar und für
die endgültige Beseitigung des Hitlerfaschismus in Deutschland“ 193.
Irgendwelche Anzeichen zur Gleichschaltung innerhalb der Sozialdemo-
kratischen Partei fand man damals nicht, da die Vertreter der Freien Ge-
werkschaften das Bewußtsein hatten, in diesem Augenblick Braun die Treue
halten zu müssen. Wie die Resolution überdies zeigt, fiel Braun eine Art
„Führer“-Stellung bei den saarländischen Sozialdemokraten zu.
Die Bedeutung des Saargebietes wuchs in diesen Wochen auch dadurch, daß
führende deutsche Sozialdemokraten wie Wels, Breitscheid, Stampfer, Soll-
mann, Kirschmann wiederholt und teilweise sogar für längere Zeit im Saar-
gebiet weilten oder sich hier niederließen. Mit den saarländischen Sozialisten
zusammen wurde schon für den 20. Juni 1933 die Herausgabe eines neuen
189 Voiksstimme Nrn. 106, 107, 112, 113 v. 8., 9., 15. u. 16. 5. 1933 u. Nr. 255 v. 2. 11.
1933 „Die freie Gewerkschaftsfront“; außerdem S.D.N. J.O. XIV,10 (1933), S. 1126 f.
190 Volksstimme Nr. 110 v. 12. 5. 1933.
191 BA Koblenz, Reichskanzlei: R 43 1/253, Rk 6167 II; Volksstimme Nr. 112 v. 15. 5.
1933.
192 Vgl. dazu oben S. 278.
193 Volksstimme Nr. 118 v. 22. 5. 1933: „Sozialistische Saarkonferenz".
284
sozialdemokratischen Presseorgans, „Die Deutsche Freiheit“, beschlos-
sen194. Die Zeitung erschien in Saarbrücken und wurde vom Redaktions-
stab der Volksstimme unter Leitung Brauns herausgebracht. Sie nannte sich
„Einzige unabhängige Tageszeitung Deutschlands“, erschien zunächst in
100 000 Exemplaren und sollte vor allem der Aktivierung des Widerstan-
des gegen den Nationalsozialismus in den deutschen Grenzgebieten
dienen195. Die Zeitung enthielt Nachrichten aus allen Teilen Deutschlands,
vor allem über die inneren Schwierigkeiten des nationalsozialistischen Re-
gimes und den Widerstandswillen der Arbeiterschaft; sie berichtete auch
über die internationale Lage und die Entwicklung des Saarproblems. Die
deutschen Emigranten schritten während des Jahres 1933 auch noch zur
Gründung einer weiteren Zeitung, „Westland, Unabhängige deutsche
Wochenzeitung“, die aber nicht von Braun, sondern den emigrierten deut-
schen Sozialisten redigiert wurde. Sie hatte ein beachtliches Niveau und ver-
fügte über gute Informationsquellen196. Die „Volksstimme“ verbreitete
weiterhin Kritik an Hitlers Friedensreden, wies auf die arbeiterfeindliche
und kapitalistische Haltung der Nationalsozialisten hin und behandelte
alle außenpolitischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten der neuen Regie-
rung197. Erklärungen und Aufsätze führender Sozialisten wurden auf-
genommen, wie Otto Wels Erklärung über seinen vorübergehenden Aus-
tritt aus der Sozialistischen Arbeiterinternationale198, Friedrich Stampfers
Aufsatz über die Haltung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion am
17. Mai199 und Friedrich Adlers Aufsatz über „Die Aufgabe der Emigration
in der vergewaltigten Partei“ 20°. Diese Kontakte zwischen den emigrierten
Sozialisten und den Saarländern und die Beziehungen zum Prager Partei-
vorstand führten dazu, daß die allgemeine geistige Entwicklung der deut-
schen Sozialdemokraten und ihre Deutung der jüngsten Erlebnisse sich auch
in den Vorstellungen der saarländischen Sozialisten auswirkten. So führte
z. B. Braun in einer Rede im Juni 1933 aus, daß die SPD der bürgerlich-
demokratischen Arbeit vorbei sei und nun die SPD des sozialistischen
Kampfes leben müsse201.
Die eigentlich saarländische Weise der Verarbeitung der neuen Ereignisse
muß aber in anderen Äußerungen und Handlungen dieser Monate gesehen
werden. Bereits in einem Artikel vom 11. Mai 1933, der sich mit dem
Vorgehen gegen die Gewerkschaften auseinandersetzte, legte Braun dar,
daß der Kampf nun mit der II. Sozialistischen Internationale und mit
194 Volksstimme, Nrn. 134 u. 135 v. 12. u. 13. 6. 1933;Matthias — Morsey, a. a. O.,
S. 260.
595 Volksstimme Nrn. 134 u. 135 v. 12. u. 13. 6. 1933.
196 Vgl, z. ß. die Artikel „Der diplomatische Kampf um die Saar“, Westland Nr. 24 v.
16. 6. 1934 u. „Die Saar als Trumpf des Vatikans“, Westland Nr. 26 v. 30. 6. 1934.
197 2. B. Volksstimme Nrn. 115, 116, 124, 138, 139, 142, 143, 149 vom Mai und Juni 1933.
598 Volksstimme Nr. 134 v. 12. 6. 1933.
199 Volksstimme Nr. 121 v. 26. 5. 1933 „Verständnis und Gerechtigkeit“.
200 Volksstimme Nr. 134 v. 12. 6. 1933.
201 Volksstimme Nr. 138 v. 17. 6. 1933.
285
dem Internationalen Gewerkschaftsbund weitergeführt werde202. So wurde
der Beschluß der SAI und des IGB vom 19. Mai 1933 zum Kampf gegen
den Faschismus hoffnungsvoll aufgenommen203. Vom 19. bis 21. Juni 1933
fand in Saarbrücken eine Konferenz der Bergarbeiter-Internationale statt.
Das Exekutivkomitee der Bergarbeiter-Internationale befaßte sich mit der
Saarfrage und nahm eine Resolution an, die folgendes ausdrückte: schärf-
sten Protest gegen die Unterdrückung der Arbeiterorganisationen in
Deutschland, Befriedigung über die selbständige Weiterführung der saar-
ländischen Freien Gewerkschaften, Versicherungen über Unterstützung der
Saarländer durch die internationalen Gewerkschaftsorganisationen, um „zu
verhindern, daß die Bevölkerung des Saargebietes dem braunen Terror
ausgeliefert werde“ 204, Floffnung auf die Hilfe des Völkerbundes, da in
Artikel 13 seiner Satzung die Rechte der Arbeiterschaft garantiert seien.
Braun nahm neben dem Vorstand des Alten Bergarbeiterverbandes des
Saargebietes an einer abendlichen Zusammenkunft mit den ausländischen
Delegationen des Kongresses teil205.
Die Formulierungen der Gewerkschaftsresolution vom 20. Juni 1933 ließen
erwarten, daß nun von den saarländischen Sozialdemokraten in Zusammen-
arbeit mit den sozialistischen Organisationen auf internationaler Ebene ein
klares Programm für die Saarfrage entwickelt und vertreten werde. Das
war aber nicht der Fall. Braun hatte wohl bereits am 19. Mai 1933 im saar-
ländischen Landesrat in einer großen Rede auch ausgeführt, Hitler habe es
fertiggebracht, daß der Selbstbestimmungswille der Grenzbevölkerung ge-
lähmt werde206, und am 30. Mai 1933 wies er ebenfalls im Landesrat auf
die Gefährlichkeit einer Abstimmung bei terroristischen Maßnahmen der
Nationalsozialisten hin207. Am 25. Juli 1933 schloß er seine Rede im Lan-
desrat gegen den Terror mit folgenden Worten:
„Was hier gesagt werden muß, richtet sich nicht gegen Deutschland, nicht gegen
sein Volk, nicht gegen seine Nation, denn das wahre und echte und unverfälschte
Deutschtum, das Deutschland Goethes, Kants, Marx, Engels, das sind wir selbst.
Alles, was wir an Sammlung der Kräfte und an Kampfmaßnahmen in der anti-
faschistischen Front aufbieten, das kennt nur einen Feind: das braune Blutregime,
und alles hat nur eine große Liebe: Deutschland, wie es einmal sein wird nach
Bezwingung der Hitler-Katastrophe durch die Kraft, die wahre Einigkeit und
seine spezielle kulturelle Berufung im Leben der Völker“ 208.
Der Kampf der Sozialisten und Brauns gegen das nationalsozialistische
Deutschland war zwar so eindeutig, daß er in der Konsequenz auch zur
Ablehnung einer Rückkehr zu diesem Deutschland führen mußte209. Diese
202 Volksstimme Nr. 109 v. 11. 5. 1933.
203 Volksstimme Nr. 122 v. 27. 5. 1933.
204 Volksstimme Nr. 141 v. 21. 6. 1933.
205 Ebenda.
206 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 5. 1933, S. 120-^123.
207 Ebenda, Sten. Ber. v. 30. 5. 1933, S. 140.
208 Ebenda, Sten. Ber. v. 25. 7. 1933, S. 178.
209 Im „Neuen Vorwärts“ wurde diese Konsequenz seit August 1933 sichtbar; vgl. dazu
E. Matthias, Sozialdemokratie und Nation, Stuttgart 1952, S. 124f.
286
Konsequenz wurde aber noch nicht ausgesprochen, sei es, daß man sich
weiterhin der Illusion hingab, die auch noch von emigrierten Sozialisten
genährt wurde, das Regime habe nur Übergangscharakter210, sei es, daß
man Zeit gewinnen wollte, um sich internationale Hilfe zu verschaffen, sei
es, daß man auf Grund der eigenen Tradition und des Nationalbewußtseins
der Saarbevölkerung wie der Angriffe der Nationalsozialisten und Kom-
munisten selbst vielfach gehemmt war und nicht wagte, in der eigenen An-
hängerschaft ein neues Saarprogramm zu propagieren211.
Am 16. September 1933 sandte die Sozialdemokratische Partei des Saar-
gebiets eine Denkschrift an den Völkerbund212. Man berichtete ausführlich
von den Terror- und Boykottmaßnahmen gegen die Sozialdemokraten und
die sozialistische Presse und rief unter Hinweis auf Paragraph 34 des Saar-
statuts den Schutz des Völkerbundes für persönliche Freiheit, Rechtssicher-
heit und freien Wahlkampf an. In der Einleitung der Denkschrift betonte
man ausdrücklich, daß die ablehnende Haltung gegenüber dem national-
sozialistischen Vorgehen nicht nur von der „Freiheitsfront“ des Saargebie-
tes vertreten werde, sondern ebenso von dem angesehensten Teil der bürger-
lichen und anderer Parteien, die sich entschlossen und leidenschaftlich gegen
das Gewaltregime gewandt hätten. Noch hofften also die Sozialisten des
Saargebiets auf Unterstützung der anderen Parteien, vor allem wohl des
Zentrums. Ein weiterer Gedanke, der in Zukunft oft von Braun dargelegt
wurde und auch eine der Thesen der Exil-Sozialdemokraten darstellte213,
wurde in der Denkschrift auch ausgesprochen: Die Politik der Verständi-
gung habe einem Annexionismus Platz gemacht und Hitler bedeute Krieg.
Ein Saarprogramm enthielt die Denkschrift nicht.
Auch die Haltung der Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes offen-
barte 1933, daß man einerseits sich in starker Abhängigkeit von der deut-
schen Parteientwicklung befand und daß zum andern das nationale Funda-
ment aller saarländischen Parteien sich als besonders fest erwies. Acht
Monate nach der Bildung der Regierung Hitler und vier Monate nach der
Verlegung des deutschen Parteivorstandes nach Prag waren die Sozialdemo-
kraten im Saargebiet noch nicht zu einem klaren Programm für die Saar-
abstimmung gelangt, das man öffentlich zu propagieren wagte. Wie der
Nationalsozialismus die Deutsche Sozialdemokratische Partei weitgehend
unfähig zur Aktion getroffen hatte, so wirkte sich das Dilemma, in das sich
die Saarbevölkerung gestellt sah, trotz aller starken Worte zunächst eher
lähmend auf die Sozialdemokraten des Saargebiets aus denn als Impuls zu
einer konstruktiven Politik.
210 Vgl. dazu die Darlegungen Wels’ auf der Tagung der SAI im August 1933 in Paris,
Hinweis bei Matthias — Morsey, a. a. O., S. 165.
2H Die zögernde Haltung in dieser Frage zeigte sich z. B. noch in den Resolutionen der
Freien Gewerkschaften d. Saargeb. v. November 1933, als eine klare Stellungnahme
noch vermieden wurde. Besonders in Gewerkschaftskreisen schien man mit einer Fest-
legung in der Saarfrage zu zögern. Volksstimme Nr. 255 v. 2. 11. 1933,
212 S.D.N. Dokument C. 549. M. 264. 1933 I., J.O. XV,1 (1934), S. 53—56.
213 Darüber bes. Matthias, Sozialdemokratie und Nation^ S. 118f.
287
4. Zwischen Gleichschaltung, Widerstand und Hoffnung auf internationale
Hilfe
Die Auflösung der bürgerlichen Parteien und der Zentrumspartei
Mit dem Monat Oktober 1933 begann eine neue Phase der innersaarländi-
schen Entwicklung, da die bürgerlichen Parteien und das Zentrum sich auf-
lösten, Diese Veränderung ergab sich zum Teil als Konsequenz aus der
Formierung der gemeinsamen Deutschen Front und einer Abwanderung
von Mitgliedern zur NSDAP, aber auch durch Druck von nationalsoziali-
stischer Seite und aus der Tatsache, daß innerhalb der Führungsschicht der
Parteien einige Persönlichkeiten für den Gedanken einer restlosen Integrie-
rung der Parteien in die Deutsche Front gewonnen werden konnten.
Die Deutschnationale Volkspartei und die Wirtschaftspartei (Bürgerliche
Mitte) leisteten auf Grund ihres Programmes bzw. ihrer geringen Bedeu-
tung im saarländischen politischen Leben keinen Widerstand gegen eine
Auflösung. Der Vertreter der Bürgerlichen Mitte hatte schon in der Unter-
redung mit Hitler betont, daß seine Partei nur mehr im Hinblick auf die
Saarabstimmung Daseinsberechtigung habe214. Aber auch die Deutsch-Saar-
ländische Volkspartei, die versucht hatte, die selbständigen Parteien im
Saargebiet zu retten, konnte sich auf die Dauer gegenüber der Auffassung,
daß alle Parteien in einer gemeinsamen Front aufgehen und dadurch der
nationalen Zielsetzung besser dienen sollten, nicht behaupten. Als eine
weitere Unterredung der saarländischen Parteiführer bei Hitler abgelehnt
wurde, war es klar, daß auch Hitler die Aufrechterhaltung der saarländi-
schen Parteien — auch aus rein taktischen Gründen — nicht mehr bil-
ligte215 216. Der NSDAP gelang es, ihrem Wunsch nach Auflösung der Parteien
dadurch Nachdruck zu verleihen, daß sie im September eine Reihe von
Ortsgruppen der Deutsch-Saarländischen Volkspartei zum geschlossenen
Übertritt zur NSDAP gewann 256. In dieser Lage erfolgte am 20. September
1933 die Auflösung der Deutschnationalen Volkspartei217. Die Deutsch-
Saarländische Volkspartei gab ihren Auflösungsbeschluß vom 6. Oktober
1933 in einer gemeinsamen Erklärung mit der Bürgerlichen Mitte be-
kannt218. Der Schritt wurde mit vaterländischer Gesinnung und dem Gedan-
ken der nationalen Sammlung in der Deutschen Front begründet; die
Deutsch-Saarländische Volkspartei berief sich überdies in einem zusätzlichen
Aufruf auf ihren opferwilligen Standpunkt im nationalen Interesse und
zog als Parallele ihre Entscheidung von 1924 zur Vereinigung mit der
Demokratischen Partei heran; eine positive Äußerung zur NSDAP oder die
Aufforderung zum Übertritt in diese Partei enthielten die Erklärungen
nicht219. Zu politischem Widerstand kam es aus Kreisen dieser Parteien
214 Vgl, dazu die Ausführungen Schmolls unten S. 380 f.
215 BA Koblenz, R 43 1/253; auch Hoffmann berichtete Baik, daß Spaniol mit der Wei-
sung Hitlers zur Auflösung der Parteien gekommen sei. Balk, a. a. O., S. 150f.
216 Saar-Front Nr. 188 v. 30. 9. 1933.
217 B a r t z, a. a. O., S. 29.
21S S.2. Nr. 266 V. 7. 10. 1933.
229 Ebenda.
288
nicht mehr; auch Röchling trat im allgemeinen nur mehr in den gemein-
samen Aktionen der Deutschen Front in Erscheinung und kümmerte sich
hinfort vor allem um die Angelegenheiten seines Werkes220. Der national-
sozialistischen Regierung erwuchsen jedoch auch in der evangelischen Bevöl-
kerung des Saargebiets ernsthafte Schwierigkeiten, und es kam zu Pro-
testen, als die Aktivität der Deutschen Christen im Saargebiet begann221;
allerdings erwog man nie, daraus Konsequenzen für die Abstimmung zu
ziehen.
Der Auflösung der Zentrumspartei gingen schwere innere Kämpfe voraus.
Auch hier gelang es der NSDAP, im Laufe des Monats September eine
Zersetzung von unten einzuleiten222, aber diese Erscheinungen bedeuteten
bei der Stärke der Zentrumspartei noch nicht die Notwendigkeit der Auf-
lösung. Entscheidend wurde vielmehr, daß in der Zentrumsleitung Gewerk-
schaftsführer, insbesondere Peter Kiefer, die Aufrechterhaltung der Partei
nicht mehr billigten223. Die Idee der Deutschen Front und der Volksgemein-
schaft stellten zentrale Vorstellungen Kiefers aus den vergangenen Jahren
dar224, die ihn wohl bei aller Skepsis gegenüber der NS-Regierung letzt-
lich zur Eingliederung in die „nationale Gemeinschaft“ trieben. Dann hing
die Freigabe des Vermögens der saarländischen Christlichen Gewerkschaf-
ten von der Reichsregierung ab. Ein Antrag der Christlichen Gewerkschaf-
ten vom September 1933 um eine Besprechung bei Hitler wegen dieser
Frage, wurde vorläufig abgelehnt225. Die Verhandlungen über diesen
Gegenstand kamen nie zum Abschluß, die Gelder wurden aber den Ge-
werkschaften vom Auswärtigen Amt zur Verfügung gestellt226. Damit hing
die Tätigkeit der Christlichen Gewerkschaften im Saargebiet finanziell von
der Gunst der Deutschen Reichsregierung ab. Gleichzeitig scheint bei Kiefer
noch der Gedanke mitgespielt zu haben, daß die Betonung der unbedingten
nationalen Zuverlässigkeit die Reichsregierung zu einer Revision ihrer Poli-
tik gegenüber den Christlichen Gewerkschaften Deutschlands und den ver-
hafteten deutschen Gewerkschaftsvertretern veranlassen könne. Kiefer muß
sich in der Folgezeit wiederholt für die Verhafteten in Berlin eingesetzt
haben227. Die Auffassung Kiefers von der Notwendigkeit der Auflösung
der Zentrumspartei drang aber in der Sitzung des Landesparteiausschusses
vom 28. September 1933 nicht durch. Kiefer und seine Anhänger blieben
mit 33 Stimmen gegenüber 52 Stimmen für die Erhaltung der Partei in der
Minderheit228. Da Rechtsanwalt Steegmann den Partei Vorsitz niederlegte,
220 So die Regierungskommission auf Grund ihres Studiums des beschlagnahmten Akten-
materials d. Deutschen Front, S.D.N. J.O. XV,12 (1934), S. 1647.
221 Vgl. dazu die Anlagen 27 u. 28, unten S. 414 ff.
222 S.Z. Nr. 235 v. 6. 9. 1933; Saar-Front Nr. 169 v. 8. 9. 1933.
223 So übereinstimmend: Westland Nr. 4 v. 27. 1. 1934, S. 11; Floffmann in Balk,
a. a. O-, S. 150 f.; Bungarten in mündlicher Auskunft an die Verf.
224 Vgl. dazu den Auszug aus der Landesratsrede Kiefers im Jahre 1925, oben S. 164.
223 BA Koblenz, R 43 1/253, Rk 13022.
226 Ebenda, R 43 1/254, Rk 2451.
227 Mündliche Mitteilung der Tochter Kiefers, Frau Beck, an die Verf. Vgl. auch den
Brief Kiefers an Flitler, Anlage 17, unten S. 391 ff.
228 Westland Nr. 4 v. 27. 1. 1934, S. 11.
289
wurde auf Vorschlag Hoffmanns Pfarrer Bungarten zum Vorsitzenden
gewählt229. Der wachsende Druck zur Auflösung der Partei hatte besonders
bei den Geistlichen und bei Hoffmann den Willen zum Widerstand geweckt.
Die Geistlichkeit hatte sich unter Führung von Schlich und Bungarten am
25. September 1933 beschwerdeführend an Hitler gewandt230. Man hatte
in diesem Brief für die Zentrumsbeamten im Reich, gegen die Unfreiheit
der Presse in Deutschland, gegen die Behinderung der katholischen Standes-
vereine und gegen die Eingriffe der Nationalsozialisten in die Organisation
der Wohlfahrtspflege Stellung genommen. Mit Rücksicht auf die Saar-
abstimmung und unter Berufung auf die Erklärungen des Führers wurde
eine Änderung des Vorgehens verlangt.
Als Pfarrer Bungarten nach dem 28. September 1933 aber daran ging, die
Zentrumspartei weiterzuführen, stieß er auf große Schwierigkeiten. Die
Arbeit eines Teiles der Gewerkschaften und Peter Kiefers hatten der Partei
an manchen Orten und in der Arbeiterschaft den Boden entzogen231, so
daß Bungarten bei den Veranstaltungen in den einzelnen Teilen des Saar-
landes nicht die Resonanz fand, die zur Aufrechterhaltung der Partei unter
den erschwerten Umständen notwendig war232. So erklärte er sich schließlich
einverstanden, mit Spaniol als Vertreter der NSDAP und Landesleiter der
Deutschen Front über die Bedingungen zu verhandeln, unter denen das
Zentrum zur Auflösung bereit sei. Am 4. Oktober 1933 fand in der Woh-
nung von Richard Becker eine Besprechung zwischen Bungarten, Becker,
Scheuer und Generalsekretär Meijer als Vertreter des Zentrums und Staats-
rat Spaniol als Vertreter der NSDAP statt233. Während Spaniol darlegte,
die Auflösungserscheinungen der Zentrumspartei und der Zustrom ihrer
Mitglieder zur NSDAP mache eine Bereinigung der Frage notwendig, ob-
wohl er selbst nichts gegen die Weiterexistenz der Partei einzuwenden
gehabt hätte, betonte Bungarten, daß die Partei weiterhin lebensfähig sei.
Als Motiv zur Auflösung wurden der nationale Gedanke und Parallelver-
handlungen mit den Sozialisten zum Auf gehen in der Deutschen Front
genannt234. Der Kern der Besprechungen drehte sich aber vor allem, wie
auch die Vereinbarungen erweisen, um zwei Punkte: 1. Wollte die Zen-
trumspartei feste Zusicherungen für die Zukunft in diesem Rückzugsgefecht
gewinnen und 2. wollte sie die Deutsche Front des dominierenden Ein-
flusses der NSDAP entkleiden. So verlangte und erhielt Bungarten schrift-
229 S.L.Z. Nr. 265 v. 29. 9. 1933.
230 Vgl. diesen Brief: Anlage 12 unten S. 383 f.
231 Z. B. war als Reaktion auf die Vorstandssitzung v. 28. 9. 1933 die Auflösung der
Zentrumspartei im Kreise Merzig erfolgt, Saar-Zeitung Nr. 222 v. 30. 9. 1933.
232 Mündliche Mitteilung Pfarrer Bungartens an die Verf.
233 Bartz, a. a. O., S. 29, gibt den Inhalt der Unterredung nur sehr knapp; vgl. zu den
folgenden Ausführungen Protokoll der Sitzung und die Vereinbarungen, Anlage 13
unten S. 384 ff.
234 Beweise für solche Verhandlungen konnte die Verf. nicht finden. Allerdings können
Versuche bei den sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern unternommen worden
sein, da mehrmals in den Akten des A.A betont wird, daß diese nicht zu gewinnen
seien. Z. B. A. A. II, Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 9, II SG 2622.
290
liehe Zusicherungen, daß Zentrumspolitik und Zentrumspolitiker im Saar-
gebiet nicht diffamiert würden und daß Zentrumsmitglieder und Vertreter
der Zentrumspresse wegen ihrer politischen Haltung und ihrer Äußerungen
keine Nachteile erwachsen dürften; überdies trat er für die Freiheit der
katholischen Presse zur Darlegung und Verteidigung katholischer Grund-
sätze und zur Abwehr von Angriffen ein, und auch in diesem Punkte wur-
den die Zusagen in die schriftliche Vereinbarung aufgenommen. Außerdem
kam man überein, daß Meijer Generalsekretär der Deutschen Front werden,
von der Zentrumspartei ausgewählte Mitglieder in die Gremien der
Deutschen Front aufgenommen und auf lokaler Ebene nur die Tüchtigkeit
und das Ansehen unter der Bevölkerung für die Übernahme eines Amtes
in der Deutschen Front maßgebend sein sollten. Durch diese Zusagen er-
reichte Spaniol, was ihm entscheidend war, die Beseitigung einer selbstän-
digen Parteiorganisation und nominell auch die Beseitigung einer partei-
politischen Zentrumspresse. Am 13. Oktober 1933 wurde die Auflösung in
einem Aufruf veröffentlicht, in dem auf die Vereinbarungen hingewiesen
wurde und in dem es hieß: „In neuen Formen werden wir für das alte Ziel
kämpfen und streiten: Katholisch und deutsch“ 235.
Für die Nationalsozialisten war Wesentliches gewonnen. Die Zentrums-
partei war beseitigt, die katholischen Politiker ihrer Verbindung mit brei-
teren Bevölkerungsschichten beraubt und die Möglichkeit einer einheitlichen
Aktion und Überzeugungsbildung mit großer Resonanz ausgeschlossen. Am
30. Oktober wurden die Christlichen Gewerkschaften unter der Führung
von Peter Kiefer in der Deutschen Gewerkschaftsfront zusammengefaßt236.
Die Zusicherungen über den Aufbau der Deutschen Front führten dort,
wo sie eingehalten wurden, zu einer Verbesserung der Gesamtsituation für
die Abstimmung, da die Bevölkerung zu den angesehenen Persönlichkeiten
und den Nicht-Nationalsozialisten großes Vertrauen besaß und ihre Ent-
scheidung für die Rückkehr in dem bestehenden Dilemma leicht nachvoll-
zogen wurde. In drei großen Denkschriften der Deutschen Front vom
Dezember und Januar 1933/34 und in einer Delegation der Deutschen Front
nach Genf, die sich aus den alten Parteiführern im Landesrat zusammen-
setzte, konnte die Einheit des Saargebietes in nationaler Hinsicht erneut
demonstriert werden237.
Bei allen Vorbehalten gegenüber dem Nationalsozialismus war der Zen-
trumspartei auf Grund ihres Programms einer nationalen Zusammenarbeit
die Selbstbehauptung nicht gelungen. Das Protokoll über die Verhandlun-
gen zur Auflösung scheint in der Betonung des nationalen Gesichtspunktes
überdies darauf hinzuweisen, daß auch in den Kreisen, die zu weiterem
Widerstand gegen den Nationalsozialismus entschlossen waren, eine grund-
sätzliche Änderung des Saarprogramms noch nicht erwogen wurde.
235 S.L.Z. Nr. 279 v. 13. 10. 1933.
236 ßäftiZ 3., 3.* Oi S» 30*
237 Denkschriften v. 18. 12. 1933 (C. 46. M. 15. 1934. VII), v. 30. 12. 1933 (C. 62. M. 20.
1934. VII) u. v. 13. 1. 1934 (C. 78. M. 23. 1934. VII), S.D.N. J.O. XV,3 (1934),
S. 307—316 u. 321—325.
291
Die Gleichschaltung der Zentrumspresse
Der Augenblick der Auflösung der Zentrumspartei stellte nicht das Ende
der Auseinandersetzung der saarländischen Zentrumsanhänger und Katho-
liken mit dem Nationalsozialismus dar. Bereits am 13. November 1933
wandten sich zwanzig Dechanten und Pfarrer unter Führung von
Dr. Schlich und Bungarten erneut an Hitler und protestierten gegen die
Rede Görings am 5. November in Trier. Görings Ausführungen über das
katholische Volk, das Zentrum und die katholische Jugend wurden als eine
„unerhörte Beleidigung“ bezeichnet und eine Genugtuung in geeigneter
Form verlangt238. So war es verständlich, daß Papen, der am 14. November
Saarbevollmächtigter wurde, seine Aufgabe vor allem darin erblickte, die
Bedenken der katholischen Geistlichen zu zerstreuen. In einer Versammlung
katholischer Geistlicher konnte er aber diese nicht davon überzeugen, daß
das Konkordat von der Reichsregierung eingehalten werde; besonders Bun-
garten trat ihm entgegen239. Papen legte in den folgenden Wochen und
Monaten Bischof Dr. Bornewasser, aber auch den saarländischen Geistlichen,
immer wieder dar, daß es sich bei den Schwierigkeiten um Maßnahmen
untergeordneter Stellen handele, die abgestellt würden240. Die kritische
Haltung der saarländischen Geistlichkeit und deren Wille, von der Saar
aus energisch für die Wahrnehmung der katholischen Anliegen einzutreten
und alle Angriffe gegen die Kirche zurückzuweisen, wurde ein Gegenstand
ernsthafter Besorgnis der nationalsozialistischen Reichsstellen241, da die
Geistlichkeit Einflußmöglichkeiten auf die Bevölkerung besaß und ihr in
der „Saarbrücker Landeszeitung“ noch ein katholisches Presseorgan zur
Verfügung stand, das unter Hoffmanns Leitung zu einer offenen Sprache
bereit war.
Zu demselben Zeitpunkt wurde auch von französischer Seite in der Saar-
frage ein wichtiger Schritt unternommen. Den Franzosen lag angesichts des
Widerstandes der Sozialisten und der Katholiken an der Saar daran, unter
Berufung auf eine freie Abstimmung, den Einfluß der Bischöfe von Trier
und Speyer im Saargebiet auszuschalten242. In diplomatischen Schritten beim
Hl. Stuhl versuchte die französische Regierung zu erreichen, daß im Hin-
blick auf die Volksabstimmung das Saargebiet eine kirchliche Sonderver-
waltung erhalte. Dieses Ansinnen wies die Kurie zurück, entsandte aber
1933 Prälat Testa und 1934 Prälat Panico als päpstliche Visitatoren. Als
Bornewasser von Kaas über die Bemühungen der Franzosen unterrichtet
wurde, reiste er im November 1933 nach Rom243. Zusammen mit Kaas
238 S. Anlage 14, unten S. 388 f. Dieser Brief wurde auch an Papen und Hindenburg
gesandt; Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 61, fol. 35.
239 Diese Versammlung erregte großes Aufsehen: Sie ist erwähnt in S.D.N. J.O. XV,3
(1934), S. 318; in Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 23. 11. 1933, S. 266; in Bistums-
archiv Trier, Abt. 59, Nr. 50, fol. 19: Hier spricht Bornewasser von dieser Ver-
sammlung als Zeichen der Mißstimmung unter der Geistlichkeit.
240 Bistumsarchiv Tier, Abt. 59, Nr. 50, fol. 25.
241 B a r t z, a. a. O., S. 53 f.
242 M o u r i n, a. a. O., S. 412.
243 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 50, fol. 15 ff.
292
suchte Bornewasser Kardinalstaatssekretär Pacelli auf. Über die national-
sozialistische und deutsche Einmischung legte er in dieser Unterredung dar,
„daß die deutsche Einstellung der saarländischen Katholiken so eindeutig
sei, daß sie auch ohne jede Einwirkung deutsch abstimmen würden, obwohl
die Kenntnis so vieler schmerzlicher Dinge, die katholischen Beamten,
katholischen Geistlichen, Vereinen etc. in den vergangenen Monaten in
Deutschland begegnet seien, viel Erbitterung im Saarland hervorgerufen
habe“ 244. Während der Audienz Bornewassers bei Papst Pius XI. sprach
Prälat Kaas mit Testa, der sich gerade zum Aufbruch für seine Saarreise
vorbereitete245. Die Kurie zeigte sich sehr besorgt wegen der Zustände in
Deutschland246, nahm aber eine abwartende und neutrale Haltung ein.
Nicht nur Bornewasser hatte in Rom dargelegt, daß die Saarabstimmung
auf jeden Fall eine große Mehrheit für die Rückgliederung bringen werde,
sondern auch Koßmann hatte bei einem Besuch in Rom im Herbst 1933
dem Kardinalstaatssekretär gegenüber dieselbe Auffassung vertreten247.
In dem Briefwechsel der beiden deutschen Oberhirten von Trier und Speyer
in den Monaten November und Dezember 1933, der von der Mission
Testas und der Saarabstimmung handelte, spiegelte sich zwar Besorgnis über
die Entwicklung in Deutschland248, aber die Bischöfe, insbesondere Borne-
wasser, hielten grundsätzlich an der Notwendigkeit einer Entscheidung
unter nationalen Gesichtspunkten fest. In einem Brief vom 30. November
1933 drückte Bornewasser eine auch an der Saar verbreitete Meinung aus:
„Was geschieht, wenn 20 bis 30 Prozent für den Status quo stimmen, das
kann freilich kein Mensch wissen. Die Wertung der abgegebenen Stimmen
liegt ganz in der Hand des Völkerbundes“ 249. Mit dieser Haltung des
Bischofs von Trier stimmte die Überzeugung eines Großteils des saarlän-
dischen Klerus, vor allem aber des Pfarrers Dr. Schlich überein. Das kam
bei einer Dechantenkonferenz am 22. Januar 1934 in Saarbrücken klar zum
Ausdruck250. Man war zusammengekommen, um die Hetze der saarländi-
schen Nationalsozialisten gegen Schlich und ein Interview, das Spaniol dem
schwedischen Journalisten Vinde gegeben hatte, zu besprechen. Hoffmann
war zu der Konferenz zugezogen worden. Die Geistlichen waren empört,
Hoffmann wurde Dank und Vertrauen für seine Führung der „Saarbrücker
Landeszeitung“ ausgesprochen; das weitere Vorgehen wurde erörtert. Zur
Beurteilung der Lage, der die Mehrzahl der anwesenden Geistlichen zu-
stimmte, führte Schlich folgende Gedanken aus: Keiner könne die Ver-
244 Ebenda, fol. 19.
245 Ebenda, fol. 22.
246 Ebenda, fol. 19; außerdem Brief des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an den Bischof v.
Trier v. 3. 9. 1934, Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 43, fol. 1 ff.
247 BA Koblenz, Reichskanzlei, R 43 1/253, Rk 11117, Bericht der Deutschen Botschaft
beim Hl. Stuhl v. 8. 9. 1933.
248 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 50, fol. 32 ff.
249 Ebenda, fol. 23.
250 Ebenda, Abt. 59, Nr. 51, fol. 77 u. 89—93, enthält die Niederschrift Schlichs über
diese Sitzung. Das Protokoll stammt vom 23. 1. 1934 und wurde sofort nach Trier
weitergereicht. Die folgenden Zitate und Darlegungen aus diesem Protokoll. Vgl. auch
Anlage 15, unten S. 390.
293
antwortung für eine Entscheidung gegen Deutschland tragen. „Eine Frage,
die auf Jahrhunderte entscheidet, darf nicht von den augenblicklichen Ver-
hältnissen abhängig gemacht werden.“ Außerdem machte Schlich geltend,
daß die Äußerung auch nur eines Geistlichen gegen die Rückgliederung Lei-
den für die deutschen Brüder hervorrufen werde und daß eine kirchliche
Saarverwaltung, die bei einem autonomen Saargebiet notwendig werde, von
Ausländern abhängig sei. Dann folgte eine Wendung, die wohl die Hoff-
nung zeigt, die man in den antinazionalsozialistischen Kreisen in diesen
Monaten hegte: „Übrigens haben die Verhandlungen in Genf ergeben, daß
die Abstimmung und Rückgliederung mit Sicherheit noch zwei bis drei Jahre
dauern wird“. Bungarten gab sich mit diesen Ausführungen nicht zufrieden,
sondern verlangte die Schaffung einer Abwehrorganisation. In dieser Kon-
ferenz wurden nur die nächsten Schritte gegen Spaniol beschlossen. Nach
einer Rückfrage der Geistlichkeit bei dem Schweden Vinde sollte öffentlich
gegen Spaniols Äußerungen Stellung genommen werden. Am 30. Januar
1934 veröffentlichte Hoffmann deshalb nach ausdrücklicher Absprache mit
der Geistlichkeit Auszüge aus dem Schwedeninterview Spaniols in der
„Saarbrücker Landeszeitung“. Hitler wurde in den Ausführungen als ein
„neuer, größerer, gewaltiger Christus" bezeichnet, als deutscher „Papst in
Berlin“; Spaniol hatte auch von einem „nationalsozialistischen Katholizis-
mus“ gesprochen251. In Berlin brach daraufhin ein Sturm los. Dr. Schlich
wurde wiederholt von Papens Büro angerufen und nach Berlin gebeten,
aber er weigerte sich252; Spaniol wurde zur Rücksprache zu Schlich geschickt,
er veröffentlichte eine Richtigstellung, in der er vorgab, die Äußerungen
nicht als seine Meinung vertreten zu haben, sondern als die Meinung einiger
Nationalsozialisten, während er katholischer Nationalsozialist sei 253. Ein
Geheimrat aus Berlin wurde nach Saarbrücken entsandt, der die Entlassung
Hoffmanns betreiben sollte. Gegen den Willen Bungartens und Dr. Schlichs,
die dem Aufsichtsrat der Saarbrücker Landeszeitung angehörten, wurde
Hoffmann entlassen254. 40 Prozent der Aktien der „Saarbrücker Landes-
zeitung“ gehörten Papen, und diesem scheint der Anlaß willkommen ge-
wesen zu sein, Hoffmann in Erinnerung an seinen Affront im Februar 1933
auszubooten255 256. Persönliche Kritik an Hoffmann innerhalb des Redaktions-
stabes wurde in dieser Situation eine willkommene Hilfe zum Vorgehen
gegen diesen236. Die persönliche Abfindung Hoffmanns wurde großzügig,
aber doch so geregelt, daß ihm die weitere politische Tätigkeit und die
Herausgabe einer neuen Zeitung bis zur Abstimmung unmöglich gemacht
251 S.L.Z. Nr. 29 v. 30. 1. 1934 „Das Christentum des Nationalsozialismus in realistischer
Beleuchtung“.
252 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 59, fol. 86, Nr. 61, fol. 66; u. Anlage 16 unten
S. 390 f.
253 Ebenda, Abt. 59, Nr. 51, fol. 86, Nr. 61, fol. 67, S.L.Z. Nr. 36 v. 7. 2. 1934.
2:14 BistumsarchiV Trier, Abt. 59, Nr. 61, fol. 72: Brief Schlichts über diese Vorgänge an
Bornewasser v. 12. 2. 1934.
255 So Bischof Bornewasser in einem Brief an Kardinalstaatssekretär Pacelli v. 22. 8. 1934,
S. 3, Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 48.
256 Vgl. Anm. 254.
294
werden sollte257 258. In der Aufsichtsratssitzung der „Saarbrücker Landeszei-
tung“ wurde zwar festgehalten, daß die Freiheit der katholischen Presse
auch hinfort gewahrt bleiben müsse, und die „Saarbrücker Landeszeitung“
erhielt wiederum einen Katholiken als Redakteur und behauptete ihr katho-
lisches Gepräge, aber Papen wünschte ausdrücklich, daß in Zukunft solche
Auseinandersetzungen nicht in der Presse ausgetragen würden. Deshalb gab
er den Geistlichen die Zusicherung, daß ihre Beschwerdepunkte abgestellt
würden; er hoffe, daß Schwierigkeiten durch Verhandlungen mit ihm aus-
geräumt werden könnten259.
So waren von September 1933 bis Februar 1934 der Zentrumspartei des
Saargebiets Stück um Stück Organisation und Einflußmöglichkeit genom-
men worden. Dieser Prozeß war durch die notwendig unsichere Haltung,
die aus dem Widerstreit zwischen der weltanschaulichen Gegnerschaft gegen-
über dem Nationalsozialismus und dem Willen zur Rückkehr erwuchs, er-
leichtert worden. Diese Entwicklung und ihr Ergebnis, die Einmündung in
die Deutsche Front, wurden nicht einmal von der Mehrzahl der bewußten
Zentrumsanhänger abgelehnt, sondern galten angesichts wachsender fran-
zösischer Hoffnungen auf die Saar bei allen inneren Vorbehalten gegen-
über dem Nationalsozialismus als notwendige Konzentration auf den natio-
nalen Kampf.
Das Saarprogramm der Sozialdemokraten:
Aufschiebung der Volksabstimmung
Während die Zentrumspartei in den Herbst- und Wintermonaten 1933/34
ihre Eigenständigkeit vollends verlor, entwickelte die Sozialdemokratische
Partei des Saargebietes ein Programm, das einen Ausweg aus dem saarlän-
dischen Dilemma bringen sollte. Nach der Auflösung der bürgerlichen Par-
teien und des Zentrums hatte sich die Hoffnung der Sozialdemokraten auf
einen gemeinsamen Widerstand mit den anderen Parteien zerschlagen, und
die Partei mußte nun zu einem klaren Programm für die Abstimmung
gelangen. So nahm Max Braun auf einer Versammlung am 16. Oktober
1933 in Saarbrücken zu der bevorstehenden Entscheidung Stellung. Der
Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund gab der außenpolitischen
Grundthese der Sozialdemokraten, daß Hitler Krieg bedeute, nun ein ganz
anderes Gewicht, und Braun führte vor den Saarländern aus:
„Am 14. Oktober wurde die Saar zum 4. Male von Deutschland abgetrennt —
aber diesmal allein durch die Schuld der wahnwitzigen und verbrecherischen Aben-
teuerpolitik des Hitlerismus . . . Seit dem 14. Oktober sind wir restlos auf uns
selbst gestellt. Solange dieses Blut- und Henkerregime Deutschland vergewaltigt,
ist an eine Rückkehr des Saargebietes nicht zu denken“ 260.
257 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 61, fol. 162 ff., enthält eine Abschrift des Protokolls
über diese Aufsichtsratssitzung.
258 Ebenda, fol. 72.
259 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 61, fol. 68/69.
260 Volksstimme Nr. 242 v. 16. 10. 1933.
295
Braun verlangte die Aufschiebung der Abstimmung um fünf bis zehn Jahre,
da eine freie Wahl jetzt nicht möglich sei261.
Diese These der Sozialdemokraten wurde seit Oktober 1933 in den Ver-
sammlungen der Sozialdemokraten vertreten, und z. B. auch Dr. Sender,
der Fraktionsvorsitzende aus der Frühzeit der Kämpfe im Saargebiet, setzte
sich eifrig für sie ein262. Braun versuchte aber vor allem auf internationaler
Ebene für sein Programm Unterstützung zu finden. Am 18. Oktober ver-
handelte er mit dem französischen Außenminister Paul Boncour in Genf,
und er gab „Le Peuple" in Brüssel ein großes Interview263. Am 6. Januar
1934 reichte die Sozialdemokratische Partei des Saargebietes eine entspre-
chende Petition an den Rat des Völkerbundes ein264. Durch eine Fülle von
Material über den Terror im Saargebiet sollte die Grundthese erhärtet wer-
den, daß eine freie Abstimmung vorläufig nicht möglich sei. Braun reiste
mit einer Delegation nach Genf, gab verschiedene Interviews und wurde
von vielen Ratsdelegierten und Diplomaten empfangen265. In der Denk-
schrift hatte man auch dargelegt, wie verzweifelt das Zentrum sich gegen
die Gleichschaltung gewehrt habe und daß die Auflösung gegen den Willen
der Mehrheit der Mitglieder erfolgt sei. So sollte bewiesen werden, daß die
Aufschiebung der ''Vahl der Wunsch einer breiteren Bevölkerungsschicht sei.
Daß die Verschiebung der Abstimmung die Floffnung auch nicht sozial-
demokratischer Kreise war, erhellt aus den bereits dargelegten Äußerungen
auf der Dechantenkonferenz am 22. Januar 1934. Eine solche Lösung hätte
eine Befreiung aus dem Dilemma bedeutet und die Aufrechterhaltung der
beiden entscheidenden politischen Einstellungen, die 1933 und 1934 an der
Saar herrschten, ermöglicht.
Die Voraussetzungen, eine Verschiebung der Wahl zu erreichen, waren aber
von vorneherein ungünstig. Braun konnte durch seine Petition nicht bewei-
sen, daß die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihm stehe, besonders da
gleichzeitig die Deutsche Front ihre großen Petitionen mit den gegenteiligen
Behauptungen nach Genf sandte. Audi die Erfahrungen der Anfangsjahre
widersprachen grundsätzlich einer solchen Lösung des Problems. Der Rat
und das Sekretariat des Völkerbundes hatten sich immer wieder als Aus-
führungsorgane des Versailler Vertrages und die Saarfrage als Frage einer
guten Verwaltung betrachtet266. Der Vertrag hatte sich stets als klare
Grenze für saarländische Wünsche, die vormals von allen Parteien gemein-
sam vertreten worden waren, erwiesen. Nun konnte kaum erwartet werden,
daß der Rat einen solchen Weg beschritt, der im Vertragstext nicht vorge-
sehen war. Braun und die Anhänger seines Vorschlages scheinen sich aber ob
des wohlwollenden Empfanges, den man teilweise in internationalen Krei-
261 Ebenda, außerdem A.A. II, Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 5, e. o. II SG 2653.
262 Ebenda, in Bd. 6 u. Bd. 7 eine Reihe Berichte über die Versammlungstätigkeit.
263 Ebenda, Bd. 5: Kölnische Zeitung Nr. 569 v. 18. 10. 1933; Bd. 6: Le Peuple, Brüssel,
v. 24. 10. 1933; Le Temps, Paris, Nr. 353 v. 23. 10. 1933 und Gesandtschaftsbericht
der Deutschen Botschaft in Brüssel II SG 2724.
264 S.D.N. C. 70. M. 21. 1934. VII., J.O. XV,3 (1934), S. 325—334.
265 A. A., a. a. O., Bd. 6, II SG 728.
266 Vgl. dazu oben S. 87.
296
sen erhielt, dieser Täuschung hingegeben zu haben. Das Programm, das
sicher eine konstruktive Lösung des bestehenden Dilemmas gewesen wäre,
wurde vom Rat nicht als Ausgangspunkt einer neuen Politik aufgegriffen,
sondern die Petition wurde in die Erörterung der Garantie einer freien Ab-
stimmung einbezogen267 268. Da die Verhandlungen darüber sich hinzogen und
die Situation zunächst ungeklärt blieb, wurde mit den Hoffnungen auf die
Verschiebung des Plebiszits die endgültige Entscheidung nochmals hinaus-
geschoben.
In die Monate der Hoffnung auf dieses Programm und seine Propagierung
fielen gleichzeitig entscheidende innerparteiliche Vorgänge in der Sozial-
demokratischen Partei des Saargebietes. Da die Regierungskommission
durch Verordnung vom 31. Mai 1933268 die Abhängigkeit aller Parteien
und Organisationen von außersaarländischen Stellen verboten hatte, ver-
suchte Braun, die Sozialdemokratische Partei des Saargebietes vollständig
zu verselbständigen. Sie sollte als saarländische Partei der Zweiten Inter-
nationale angeschlossen werden269, was nach einem Gestapobericht durch
den Prager Partei Vorstand verhindert wurde270. Da Saarbrücken ein Zen-
trum der Weiterarbeit auch der deutschen Sozialdemokraten wurde, die
neben der „Neuen Freiheit“ und dem „Westland“ eine Nachrichtenagentur
in Saarbrücken zur internationalen Unterrichtung über die Saarverhältnisse
errichteten271, kam es auch zu Verstimmungen zwischen Braun und Mit-
gliedern des Prager Parteivorstandes. Braun beklagte sich vor allem über
mangelnde finanzielle Unterstützung und bemühte sich gleichzeitig, durch
internationale sozialistische Organisationen, vor allem durch den Inter-
nationalen Gewerkschaftsbund, die Mittel zur Finanzierung des Kampfes
an der Saar zu erlangen272. Die deutschen Parteiführer sahen in Brauns
internationaler Aktivität teilweise persönliches Geltungsstreben273. Audi
innerhalb des Mitarbeiterstabes der „Volksstimme“ traten Schwierigkeiten
auf, weil der Geschäftsführer Klopfer die Nationalsozialisten über
alle internen Vorgänge unterrichtete und über Brauns finanzielles Ge-
baren unzufrieden war. Durch Weitergabe von Fotokopien und Berichten
an deutsche Stellen wollte er erhärten, daß Braun erhebliche Mittel des
Internationalen Gewerkschaftsbundes unterschlagen habe 274. Die Ange-
legenheit wurde nie in der Öffentlichkeit geklärt; der Prager Partei Vorstand
wie der Internationale Gewerkschaftsbund deckten Braun, so daß es durch-
aus möglich ist, daß Braun die Gelder für Ausgaben der Sozialisten ver-
wandt hat, die man nicht öffentlich darlegen wollte. Diese Vorgänge scha-
267 Vgl, Ratssitzung vom 20. Jan. 1934, S.D.N. J.O. XV,7 (1934), S. 146 f.
268 Amtsblatt der Reg. Kom. d. Saargeb. 1933, Nr. 278; auch abgedruckt bei Wam-
b a u g h, a. a. O., S. 332 ff.
269 a. A., a. a. O., Bd. 5, II SG 3298, Gestapober. v. 12. 12. 1933.
270 Ebenda, Bd. 11/11 SG 4505.
271 Ebenda, Bd. 6, Gestapober. II SG 688 u. 689.
272 Ebenda, Bd. 6, Gestapober. II SG 2917 ü. d. SPD-Parteitag am 12. 11. 1933 in Saar-
brücken.
273 Westland Nr. 23 v. 9. 6. 1934, S. 10.
274 A. A. a. a. O., Bd. 6 u. Bd. 7; bes. in Bd. 7 II SG 975/34. Hier auch die von Klopfer
gelieferten Fotokopien.
297
deten aber dem Ansehen Brauns, da sie von den Nationalsozialisten pro-
pagandistisch aufgemacht wurden. Im Laufe des Winters 1933/34 kam es
zwar zu einzelnen Austritten saarländischer Sozialisten275, aber im allge-
meinen blieb die Solidarität der Führungsschicht der Partei bestehen.
5. Die beiden Fronten
Die Auflösung der NSDAP-Saar
Die Schwierigkeiten mit den katholischen Geistlichen und der „Saarbrücker
Landeszeitung“, die Aktivität der Sozialisten in Genf, das endgültige Schei-
tern der deutschen Versuche, die Saarfrage ohne Abstimmung zu regeln276,
und die Diskussionen des Völkerbundsrates vom 20. Januar 1934 über die
Saarfrage277 schufen für die nationalsozialistische Reichsregierung jene be-
unruhigende Situation, in der es Gauleiter Bürckel in den folgenden Wochen
und Monaten gelang, auf deutscher Seite zur entscheidenden Gestalt für den
weiteren Abstimmungskampf zu werden 278. Er vertrat die Auffassung, daß
zur Aufrechterhaitung eines Wahlkampfes unter außenpolitischen Gesichts-
punkten endgültig die Reibereien und Auseinandersetzungen zwischen der
NSDAP-Saar und den Vertretern der alten Parteien, insbesondere der Zen-
trumspartei, aufhören müßten. Deshalb müsse auch die NSDAP im Saar-
gebiet sich auflösen und in der Deutschen Front aufgehen. Da Spaniols
Reden und Ungeschicklichkeiten die Situation an der Saar erheblich ver-
schärft hatten, gelang es Bürckel, sich in Berlin und gleichzeitig bei den Füh-
rern der alten Parteien im Saargebiet durchzusetzen. Er verhandelte mit
jenen Mitgliedern des Führerrates der Deutschen Front, die nicht aus der
NSDAP kamen, und legte ihnen sein Programm dar. Er fand Zustimmung,
da sein Plan der Befriedung an der Saar dienen konnte und die alten Par-
teiführer an den Fähigkeiten Spaniols zweifelten. Bürckel scheint geschickt
für sich selbst in Berlin und im Saargebiet verhandelt zu haben, so daß er
sich jeweils auf den Wunsch der anderen Seite berief. Er erreichte auf diese
Weise, daß der Führerrat der Deutschen Front in Abwesenheit der National-
sozialisten den Vertrauensmann Bürckels, Pirro aus Flomburg, zum Landes-
leiter der Deutschen Front wählte; der Führerrat der Deutschen Front
wurde umgebildet; die beiden Pfarrer Wilhelm und Richter und Rechts-
anwalt Levacher wurden zu ständigen Mitgliedern des Führungsgremiums
275 Z. B. Valentin Schäfer, A.A., a.a.O., Bd. 10: II SG 2583.
276 Während des Winters 1933/34 wurde dieser Gedanke besonders von deutscher Seite
immer wieder erwogen, aber die Franzosen lehnten ab. Vgl. dazu S.L.Z. Nr. 30 v.
31. 1. 1934, hier Hitlers Reichstagserklärung zur Saarfrage v. 12. 11. 1933; außerdem
Westland Nr. 24 v. 16. 6. 1934, S. 11; Papen, a.a.O., S. 338 f. Für die Haltung
der Saarbevölkerung waren diese Versuche insofern von Bedeutung, als sie mit einer
Rückgliederung ohne Abstimmung rechnen mußten.
277 S.D.N. J.O. XV,2, S. Höf.
278 Zu den folgenden Ausführungen bes. Bartz, a.a.O., S. 34ff. Außerdem mündliche
Rücksprache der Verf. mit den Herren Senator Richard Becker und Dr. Heinrich
Schneider. Für die Darlegungen Papens, a. a. A., S. 338, daß die Entwicklung, die
zur Auflösung der NSDAP Saar führte, auf seinen Einfluß zurückgeht, fand die
Verfasserin keine Beweise.
298
gewählt. Spaniol und seine Anhänger, auch Schneider in Berlin, wurden von
dieser Entwicklung vollständig überrascht. Spaniol reiste nach Berlin, ver-
mochte sich aber nicht mehr durchzusetzen; Bürckel hatte in dieser Situation
auch geschickt die Regierungskommission ins Spiel gebracht und darauf
hingewiesen, daß diese Einmischungen von Berlin nicht dulden werde279.
Es kam zu Widerständen in der NSDAP-Saar, die in der sozialistischen
Presse ausführlich behandelt und kommentiert wurden280.
Der Schachzug Bürckels erwies sich aber im Wahlkampf als äußerst günstig
für die Nationalsozialisten. Ein Aufruf Pirros vom 1. März 1934 wandte
sich unter dem Motto „Unser Deutschland“ an alle Volksschichten und Par-
teirichtungen281. Am 2. März 1934 erließ Heß eine Bekanntmachung, die
auch die widerstrebenden Nationalsozialisten zur Unterordnung zwang, da
nicht die Zugehörigkeit zur nun aufgelösten NSDAP-Saar, sondern die Be-
folgung der Anweisungen des Landesleiters der Deutschen Front für die
Übernahme in die NSDAP nach 1935 maßgebend sein sollte282. Bürckel
versuchte — zwar mit innerem Widerstreben und unter ausdrücklicher
Rückendeckung in Berlin283 — in realer Einschätzung der Situation die
Hemmnisse für die Katholiken auszuräumen. Diesen Weg hatte er bereits
seit Sommer 1933 zu beschreiten begonnen, als er das Vorgehen gegen die
katholische Geistlichkeit in der Pfalz einstellen und den „Mythus des zwan-
zigsten Jahrhunderts“ in der Pfalz verbieten ließ284. 1934 wollte er vor
allem die Bischöfe von Trier und Speyer seinen Zielen dienstbar machen285.
Nachdem Papen als Saarbevollmächtigter ausgeschieden war, erhielt er auch
dieses Amt; Dr. Schneider verließ das Preußische Innenministerium, und nun
stand der Saarkampf eindeutig unter der Leitung eines Mannes, der alle
Fäden entschlossen in seiner Hand konzentrierte286.
Während an der Saar zwar Boykott- und Terrormaßnahmen und die Ver-
hetzung der Bevölkerung im bisherigen Stil noch weiterliefen287, trat aber
doch die Arbeit der Deutschen Front, wie sie von den Saarländern in ihrer
überwiegenden Mehrheit gebilligt wurde, in den Vordergrund. Man stellte
sich vor allem auf kulturelle Propaganda ein. Man sprach von Treue und
Vaterlandsliebe, und in Kulturabenden pflegte man Heimatverbundenheit
und nationale Kultur288. Diese Arbeit konnte als reine Fortsetzung jener
Tätigkeit erscheinen, die an der Saar schon in all den vergangenen Jahren
279 A.A. II, Bes. Geb., Saargebiet, Pol. Parteien, Bd. 7, II SG 1130, Abschrift des ent-
sprechenden Telegramms Bürckels an Hitler.
280 в a r t z, a. a. O., S. 46 ff.
281 Ebenda, S. 40 f.; S.L.Z. Nr. 59 v. 1. 3. 1934.
282 В a r t z, a. a. O., S. 43.
283 Vgl. dazu Anlage 19 unten S. 400 f.
284 A.A., a.a.O., Bd. 4: Saar-Front Nr. 109 v. 26. 6. 1933; vgl. auch Bartz, a. a. O.,
S. 54.
285 Bistumsarchiv Trier, Abt. 58, Nr. 48.
286 Vgl. dazu Bartz, a. a. O., S. 95 ff.
287 Vgl. dazu oben S. 261 f.
288 S.D.N. J.O. XV,12 (1934), S. 1654.
299
erfolgt war, und die alten Parteiführer, die Lehrerverbände und deutsche
kulturelle und wissenschaftliche Institutionen, wie z. B. das „Institut für
geschichtliche Landeskunde der Rheinlande“ in Bonn, beteiligten sich selbst-
verständlich und eifrig an dieser Arbeit289. Daß die Deutsche Front in den
Augen der Bevölkerung nun fast ausschließlich als Angelegenheit der Saar-
länder und auch ehemaliger Zentrumskreise erschien, zeigen einige Gestapo-
berichte, die von dieser Überzeugung in nationalsozialistischen wie in Zen-
trumskreisen sprachen290.
Die Fraktion Deutsche Front des Landesrates leistete überdies der neuen
Reichsregierung wirksame Hilfe in Genf. Am 11. Mai 1934 richtete sie eine
Denkschrift an den Rat des Völkerbundes, in der sie darlegte, daß etwa
93 Prozent der abstimmungsberechtigten Saarländer in der Deutschen Front
organisiert seien, die Deutsche Front von ihren Mitgliedern strengste Diszi-
plin fordere, die Saarbevölkerung ein Interesse daran habe, den Abstim-
mungskampf ruhig und ohne Zwischenfälle durchzuführen, daß eine Putsch-
gefahr nicht existiere und deshalb fremde Truppen und fremde Polizei nicht
notwendig seien291. In Denkschriften vom 5. und vom 15. Mai 1934 wandte
sich gleichzeitig die Industrie- und Handelskammer an den Rat und legte
die Notwendigkeit einer Festsetzung des Abstimmungstermins unter wirt-
schaftlichen Gesichtspunkten dar292. So wurden in steigendem Maße Ein-
heit der propagandistischen Arbeit im Saargebiet und Übereinstimmung der
Schritte des Deutschen Reiches und der Saarländer in Genf erreicht.
Die Festsetzung des Abstimmungstermins durch den Rat des Völkerbundes
und die Garantien für die Saarländer
Der Vorschlag der Sozialdemokraten, die Abstimmung um fünf oder gar
zehn Jahre zu verschieben, stellte die Hoffnung aller oppositionellen Kreise
an der Saar dar. Er wurde auch nach dem 20. Januar 1934 eifrig weiter er-
örtert und propagiert, obwohl der Rat zu diesem Zeitpunkt ein Dreier-
komitee beauftragt hatte, den Vertragstext über die Durchführung der
Wahl zu studieren und Vorschläge zur Erfüllung der sich aus dem Vertrags-
289 A.A. II, Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 9: Köln. Zeitung v. 5. 4. 1934 „Das
Vermächtnis der Väter“, Bericht über eine Veranstaltung des Instituts für Landes-
geschichte. 1934 erschienen zudem noch folgende Werke zur Saarfrage, die sich ganz
in den traditionellen Bahnen bewegten und die Saararbeit unter rein nationalem,
nicht nat.soz. Aspekt darstellten: Saar-Atlas, Gotha 1934, Bearbeiter und Heraus-
geber: H. Overbeck u. G. W. Sante in Verbindung mit H. Aubin, O. Maull u.
F. Steinbach; Herold — Niessen — Steinbach, Geschichte der französischen
Saarpolitik, Bonn 1934; Hellwig, Der Kampf um die Saar 1860—1870, Leipzig
1934; Röchling, Wir halten die Saar, Berlin 1934; auch in dem Buch „Die Grund-
lagen des Saarkampfes“, Berlin 1934, wurde vorwiegend in traditioneller Weise von
Historikern und Geographen für die Rückgliederung gearbeitet.
290 A.A., a. a. O., Gestapobericht: II SG 4521, Bd. 11 u. Bd. 12, II SG 5806.
291 S.D.N. J.O. XV,8 (1934), S. 979—981, Dokument: C 216. M. 84. 1934. VII.
292 Ebenda, XV,5 S. 456f. u. XV,8 S. 982f., Dokumente: C. 213. M. 81. 1934. VII u.
C. 219. M. 87. 1934. VII. Über die Tätigkeit der Deutschen Front in Genf auch
Bartz, a. a. O., S. 80.
300
text ergebenden Rats Verpflichtungen zu erarbeiten293. Rat und Sekretariat
dachten bei dieser Maßnahme nicht an die Gewinnung einer Rechtsbasis
zur Aufschiebung der Wahl, was vor allem aus der Tatsache erhellt, daß sie
keinen Auftrag an international führende Juristen oder an den internatio-
nalen Gerichtshof in Den Haag zur Überprüfung dieser Frage erteilten. Ein
solches Unterfangen wurde rechtlich für aussichtslos gehalten294. Abgesehen
von juristischen Bedenken und dem Widerstand der Deutschen Front gegen
eine solche Maßnahme, waren auch alle politisch beteiligten Partner gegen
eine Verschiebung der Wahl. Der Präsident der Regierungskommission,
Knox, so energisch er sich um die Aufrechterhaltung der Ordnung und
Rechtssicherheit an der Saar bemühte, hielt doch eine möglichst rasche und
reibungslose Beendigung des in Versailles geschaffenen Provisoriums für
wünschenswert295. Neben der politischen Erregung an der Saar verlangten
auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die durch die Devisengesetz-
gebung der nationalsozialistischen Reichsregierung und die Abwanderung
des französischen Kapitals an der Saar entstanden waren, nach einer end-
gültigen Regelung296.
Auch Frankreich nahm gegen eine Aufschiebung der Wahl Stellung297. Es
forderte die Durchführung einer unbeeinflußten und freien Wahl. Neben
seinen Bemühungen um die Ausschaltung des Einflusses des deutschen Epi-
skopates verlangte es im Rat des Völkerbundes entsprechende Zusicherungen
der deutschen Regierung298. Im übrigen weckten die Widerstände gegen den
Nationalsozialismus im Saargebiet wie die Notwendigkeit der saarländi-
schen Gegner der Nationalsozialisten, bei Frankreich Rückhalt zu suchen,
neue Hoffnungen. Besonders die Association Française de la Sarre erwartete
von der Abstimmung auf Grund der veränderten Situation ein günstiges
Ergebnis, und Rechtskreise begannen nun erneut die Entscheidung für ein
autonomes Saargebiet zu propagieren2981.
In England nahm die Presse von vorneherein aus politischen Gründen gegen
eine Aufschiebung der Wahl Stellung. Dort, wo die rechtliche Zulässigkeit
einer Verschiebung geprüft wurde, wie es Sir John Fisher Williams im
„Manchester Guardian“ vom 9. Februar 1934 tat, kam man zu dem Ergeb-
nis, daß sie nicht zu vertreten sei299.
293 S.D.N. J.O. XV,2 (1934), S. 146 f. Über alle Schritte des Rates der Regierungs-
kommission, der Abstimmungskommission berichtet unter sorgfältiger Benutzung
der Quellen und eigener Sachkenntnis als Mitglied der Abstimmungskommission
Wambaugh, a.a.O., S. 165 ff.
294 W a m b a u g h, a. a. O., S. 178.
295 A. A. II, Bes. Geb., Saargeb., Saarbevollmächtigter, II SG 164, Bericht Papens über
eine Besprechung mit Knox am 3. 1. 1934.
296 S.D.N. J.O. XV,10 (1934), S. 1200 f.
297 Westland Nr. 24 v. 16. 6. 1934, S. 10, weist auf eine ganze Reihe Artikel in führen-
den französischen Zeitungen hin. Ebenso bezeichnet das „Journal de la Sarre“, Bulle-
tin de l’Association Française de la Sarre, 3 a, Nr. 17 v. Februar 1934, S. 4, darauf
hin, daß eine Verschiebung der Wahl „une trop grosse entorse au Traité“ sei.
298 S.D.N. J.O. XV,6 (1934), S. 652.
298a Vgl. dazu bes. die Quellenangaben unten S. 314, Anm. 384.
299 Dazu Westland Nr. 24 v. 16. 6. 1934, außerdem „The Royal Institute of International
Affairs, Information Department Papers“, Nr. 11, The Saar Problem, London, Fe-
bruar 1934.
301
So verzögerte sich die endgültige Festsetzung des Abstimmungstermins nur
dadurch, daß Deutschland, unter Berufung auf seine uneingeschränkte Sou-
veränität im Saargebiet nach 1935, Schwierigkeiten machte, die verlangten
Garantien für die Rechtssicherheit der Saarländer nach 1935 zu geben. Als
nach erneuten Verhandlungen Baron Aloisis, des Vorsitzenden des Saar-
komitees des Völkerbundes, mit der Deutschen Regierung die verlangten
Zusicherungen am 2. Juni 1934 in einem Brief Reichsaußenministers von
Neurath gemacht wurden, bestimmte man in der Ratssitzung vom 4. Juni
1934 den 13. Januar 1935 als Abstimmungstermin. In derselben Sitzungs-
periode wurden noch die Ernennung einer Abstimmungskommission und die
Bildung eines Abstimmungsgerichtes geregelt300.
Damit hatte der Völkerbund die Hoffnungen aller der Saarländer, die mit
internationaler Hilfe der schwierigen Entscheidung enthoben sein wollten,
zerstört. Wenn sich auch erneut erwies, daß man sich in Genf an den Ver-
tragstext hielt und auch in kritischen Situationen keine politisch konstruk-
tive Initiative ergriff, die über den Vertragstext hinausging, so vermochten
die internationale Regierungskommission und der Rat des Völkerbundes
in den Jahren 1933 und 1934 doch auch für die Saarländer wichtige Pro-
bleme zu lösen. Die Berichte der Regierungskommission an den Rat, auch
die Sondergutachten des Franzosen Morize, und die Petitionen der Parteien
und Gruppen, die Gegner des Nationalsozialismus waren, führten dazu,
daß sich der Rat wiederholt mit der Frage der Rechtsstellung und Rechts-
sicherheit der Saarländer nach 1935 beschäftigte. In dem Ratsbeschluß vom
Juni 1933 waren bereits grundsätzliche Garantien für die Beamten gegeben
worden301; vor dem Ratsbeschluß vom 4. Juni 1934 waren erweiterte Ga-
rantien von Deutschland erzwungen worden302, und durch Verhandlungen
des Saarkomitees mit Deutschland und Frankreich wurden in den Monaten
Oktober bis Dezember 1934 Zusicherungen erreicht, die auch die national-
sozialistische Reichsregierung über das Jahr 1935 hinaus banden. Insbeson-
dere wurden für die Saarländer die Beamtenrechte, die Rechte aus den ver-
schiedenen Versicherungen, die Eigentumsrechte bei Emigration und die
Pensionsansprüche für freiwillig ausscheidende Beamte geregelt 303. Mit
diesen Garantien leistete der Rat des Völkerbundes den Saarländern einen
Dienst, der sich in begrenztem Umfang auch noch nach 1935 auf ihre Rechts-
stellung wie auf die finanziellen Verhältnisse emigrierter Beamter positiv
auswirkte.
Die Bildung der Einheitsfront aus Kommunisten und Sozialdemokraten
Besonders für die Sozialdemokraten und Kommunisten des Saargebietes
bedeutete die Festsetzung des Abstimmungstermins eine große Enttäuschung.
Bis zuletzt hatte man sich in beiden Parteien der Hoffnung hingegeben, daß
300 S.D.N. J.O. XV,6 (1934), S. 644ff.; außerdem Wambaugh, a. a. O., S. 180f.
301 Vgl, dazu oben S. 263.
302 S.D.N. J.O. XV,6 (1934), S. 651 f.; XVI,3 (1935), S. 484 ff.
303 Ebenda, XV,12, S. 1695 ff.
302
die Schwierigkeiten wegen der Garantien eine beachtliche Hinausschiebung
der Wahl notwendig machen werden304. Man stand vor einer neuen Situation,
und nun kam es nach den erbitterten Anfeindungen der letzten Jahre doch
verhältnismäßig rasch zu einer Einigung zwischen Sozialdemokraten und
Kommunisten. Die Notwendigkeit, sich klar für eine der Abstimmungsfra-
gen zu entscheiden, konnte nun nicht mehr übersehen werden und ließ die
verschiedenen Positionen, die bisher vertreten worden waren, plötzlich
unerheblich erscheinen.
Bei den Kommunisten hatte sich in den letzten Wochen vor dem 4. Juni
langsam die Entscheidung für den status quo vorbereitet. Wenn auch die
alten Ziele, „rotes Saargebiet in einem Rätedeutschland“ und revolutionärer
Kampf gegen den Nationalsozialismus, weiter propagiert worden waren, so
hatte sich doch zum erstenmal eine Delegation der Kommunisten nach Genf
zur Ratstagung begeben und eine Denkschrift überreicht. Bei einer teilweise
leidenschaftlichen Darlegung der bisherigen Positionen enthielt die Denk-
schrift schon die Wendung, daß man für den status quo stimmen werde,
wenn der Zwang zur Abstimmung bestehen bleibe305. Am 2. Juni 1934 er-
schien in der Arbeiterzeitung ein Aufruf, der diese Wahlparole ausgab306.
Am 6. Juni 1934 setzte sich ein Aufruf, der von achtzehn führenden Per-
sönlichkeiten der Sozialdemokratischen Partei des Saargebietes unterzeichnet
war, mit der neuen Lage auseinander.
„Wir wollen eine freie deutsche Saar, die der letzte Zufluchtsort der Freiheit und
freien deutschen Geistes auf deutschem Boden sein soll bis zu dem Tage, an dem
ein wieder frei gewordenes Deutschland in ehrlicher und dauernder Verständi-
gungsbereitschaft mit einem eben solchen Frankreich eine endgültige politische und
wirtschaftliche Einordnung der Saar zwischen beiden Völkern ermöglicht“ 307.
Die Formulierungen zeigten nochmals, wie schwer eine Entscheidung für den
status quo selbst der Partei wurde, die sich in einem unüberbrückbaren Ge-
gensatz zur Reichsregierung befand. „Status quo“ hieß zwar hinfort die
Losung für die beiden sozialistischen Parteien, aber die Aufrechterhaltung
des bestehenden Zustandes erschien beiden Parteien nur als eine Zwischen-
lösung. Man wollte nicht, daß die am 13. Januar stattfindende Abstimmung
einen endgültigen Rechtszustand schaffen sollte. Diese Auffassung wurde
auf der Tagung der II. Internationale in Brüssel am 3. und 4. August 1934
erörtert, und Vandervelde legte dar, daß Garantien für die Abstimmung
allein nicht ausreichten:
„A mon avis, pour que le vote des Sarrois soit libre, ceux-ci ne devraient pas se
trouver placés devant ce dilemme: ou se livrer à la tyrannie hitlérienne, ou se
séparer définitivement de l’Allemagne. Il serait utile qu’au cas où il y aurait une
décision pour le maintien du status quo, une nouvelle décision puisse intervenir au
bout d’un certain temps.“308
304 Z. B. Westland Nr. 24 v. 16. 6. 1934, S. 10.
305 Denkschrift: S.D.N. C. 323. 1934. VII, J.O. XV,9 (1934), S. 1162f.
306 Westland Nr. 23 v. 9. 6. 1934, S. 9.
307 Volksstimme v. 6. 6. 1934, außerdem A. A., Bes. Geb. II, Saargeb., Pol. Parteien,
Bd. 10, II SG 3412.
308 A. A., Bes. Geb. II, Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 11, II SG 4859, Gesandtschaftsbericht
v. 10. 8. 1934.
303
Vandervelde forderte außerdem eine Erweiterung der Rechte der Saarländer
bei einem Abstimmungsergebnis für die Aufrechterhaltung des gegenwär-
tigen Zustandes.
Gleichzeitig mit der Annäherung im Saarprogramm der Sozialdemokraten
und Kommunisten bildete sich nach dem 4. Juni, wenn auch mit einigen
Schwierigkeiten, rasch eine Aktionsgemeinschaft zwischen den beiden Par-
teien. Die beginnende Erweichung der ultralinken Taktik in Moskau, die
Bildung der Einheitsfront zwischen Kommunisten und Sozialisten in Frank-
reich309 und dann der Eintritt Rußlands in den Völkerbund waren der
Rahmen, in dem sich auch die Organisation einer saarländischen Einheits-
front zum Kampf gegen das faschistische Deutschland vollzog. Die an der
Saar geschaffene Aktionsgemeinschaft stellte innerhalb der beiden deutschen
Parteien den ersten Versuch dar, die neue Einheitsfront zu realisieren. Die
Notwendigkeit zu gemeinsamem Kampf war nach dem 4. Juni sofort er-
kannt worden und die Bereitschaft, den alten Hader zu begraben, war
schließlich auch gewachsen310. Die Kommunisten hielten in ihrer Zeitung
zwar noch weiter an ihrer grundsätzlich revolutionären Linie fest und pro-
pagierten sie vor allem in einem gemeinsamen Aufruf der Zentralkomitees
der Kommunistischen Partei Deutschlands und Frankreichs311, der am
16. Juni in der „Arbeiterzeitung“ erschien. Die Verhandlungen kamen trotz-
dem in der zweiten Junihälfte in Gang. Braun betonte daraufhin am
28. Juni im Landesrat die Bereitschaft zur Bildung einer Einheitsfront, die
aber nicht nur die Arbeiter umfassen sollte, sondern auch die Vertreter aller
bürgerlichen Schichten, denn es gehe um Deutschlands Existenz und Zukunft
oder um dessen Verfall312. Ihm lag wohl an einer Verbindungsmöglichkeit
mit der katholischen Opposition, die sich noch nicht recht entfaltet hatte313.
Am 3. Juli fanden die Abschlußbesprechungen zwischen Kommunisten und
Sozialdemokraten statt, und am 4. Juli wurde ein Aufruf der geeinten „Frei-
heitsfront“ mit der Unterschrift des Kommunisten Fritz Pfordt und der
Max Brauns veröffentlicht; gleichzeitig wurde zu einer gemeinsamen Kund-
gebung eingeladen314. Die Verbindung der beiden feindlichen Brüder voll-
zog sich in den einzelnen Gemeinden nicht reibungslos315, aber die Freiheits-
front gelangte doch in den folgenden Monaten zu einer beachtlichen Ver-
sammlungstätigkeit316. Die Ermordung des österreichischen Kanzlers Doll-
fuß, der 30. Juni und die Erbitterung der saarländischen Katholiken über
diese Ereignisse trugen zu einer hoffnungsvollen Stimmung innerhalb der
309 Vgl. dazu bes. Borkenau, Der europäische Kommunismus, Bern 1952, S. 101 ff.
310 Bereits vor dem 4. Juni 1934 war der Gedanke der Abstimmung für den Status quo
und der Gedanke der Einheitsfront vor allem von der kleinen Gruppe der Trotz-
kisten vertreten worden. Dazu Westland Nr. 23 v. 9. 6. 1934, S. 9.
311 A.Z. Nr. 132 v. 16. 6. 1934.
312 Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 28. 6. 1934, S. 139.
313 Vgl. dazu das folgende Kapitel,
314 A.Z. Nr. 146 v. 3. 7. 1934 u. Nr. 147 v. 4. 7. 1934.
315 Zu den Schwierigkeiten bei der Einigung, A. A., a. a. O., Bd. 11, II SG 4379.
316 Gestapoberichte sprachen vom Anwachsen der Mitgliederzahlen in der KPD Saar in
den Monaten April bis September 1934, A. A. II, Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien,
Bd. 12, II SG 5806; Bd. 13, II SG 7342; vgl. auch Bartz, a. a. O., S. 59.
304
sozialistischen Kreise bei. Als dann die Haussuchung bei der Deutschen Front
am 19. Juli 1934 der Regierungskommission Material in die Hand lie-
ferte317, das die Verbindung nach Deutschland und die Finanzierung der
Arbeit durch deutsche Stellen eindeutig offenlegte, wuchsen die Hoffnungen
der Sozialisten. Einen Höhepunkt erreichte ihre Tätigkeit, als eine Kund-
gebung der Freiheitsfront am 26. August 1934, dem Tage, da am Deutschen
Eck die große Kundgebung für Deutschland stattfand, zu einem solch großen
Erfolg wurde, daß sie im Ausland Aufsehen erregte318.
Die sozialistische Seite kämpfte in den folgenden Monaten um die Gewin-
nung der Saararbeiterschaft und erwartete das Anwachsen des Widerstands-
willens innerhalb der katholischen Bevölkerung wie Erklärungen des Völ-
kerbundes über die freiheitliche Ausgestaltung eines autonomen Saargebietes
und die Wiederholbarkeit der Abstimmung. Während die Entscheidungen in
Genf und in den katholischen Kreisen weitgehend dem Einfluß der Sozia-
listen entzogen und bis Dezember 1934 ungeklärt blieben, war es schwierig,
im Kampf innerhalb des Saargebietes in den folgenden Monaten Elan und
Hoffnung zu bewahren. Man sah sich auf kleine und alltägliche Probleme
verwiesen, während die Propaganda der Deutschen Front sich ungehemmt
entfalten konnte. Unter kommunistischem Einfluß wurden in der Arbeiter-
schaft vor allem die soziale und arbeitsrechtliche Unsicherheit unter Hitlers
Diktatur und die wirtschaftlichen Nachteile einer Angliederung an das
faschistische Deutschland erörtert319. Braun und andere Sozialdemokraten
bemühten sich weiterhin um internationale finanzielle und diplomatische
Unterstützung, ohne die Finanzierung der sozialdemokratischen Presse-
organe und Propaganda wie des Mitarbeiterstabes, der auch deutsche Emi-
granten einschloß, befriedigend lösen zu können 320. Die Freiheitsfront ver-
wandte überdies einen Teil ihrer Arbeit — hier traten die sozialdemokrati-
schen Rechtsanwälte Lehmann und Dr. Sender besonders hervor — auf die
Überprüfung der Abstimmungslisten und entsprechende Einsprüche321. All
das hatte wenig Begeisterndes, und seit Oktober sanken die Mitgliederzahlen
bei den Kommunisten; die bereits 1933 Abgewanderten konnten nicht ge-
wonnen werden, ebensowenig wie die Sozialdemokraten, die sich bisher
zurückgehalten oder gar distanziert hatten322. Es zeigte sich immer klarer,
daß von sozialistischer Seite allein der Plan, das Saargebiet zu einem deut-
schen Widerstandszentrum gegen den Nationalsozialismus zu machen, nie-
mals realisiert werden konnte.
Die Schwierigkeiten zur Entfaltung einer katholischen Opposition
Sofern bei manchen Katholiken und ehemaligen Zentrumsanhängern nicht
auch eine gewisse Faszination durch die nationalsozialistische Bewegung vor-
317 S.D.N. J.O. XV,12 (1934), S. 1646 ff.
318 Vgl. dazu bes. Bartz, a. a. O., S. 103 ff.; Wambaugh, a. a. O., S. 219f.
319 A. A. II, Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 10, II SG 3610.
320 Ebenda, Bd. 12, bes. II SG 6736.
321 S.D.N. J.O. XV,12 (1934), S. 1627—1631, A.A., a. a. O., Bd. 13, II SG 7400.
322 Vgl. dazu oben S. 281 u. 298 Anm. 275.
305
lag, kam es im Laufe des Jahres 1934 innerhalb der Führungsschicht des
ehemaligen Zentrums zu zwei verschiedenen Entscheidungen. Grundsätzlich
blieben bei der überwiegenden Mehrzahl aller politisch aktiven Katholiken
die beiden Grundeinstellungen der Ablehnung des Nationalsozialismus, vor-
wiegend aus weltanschaulichen Gründen, und des Willens zur Rückkehr nach
Deutschland nebeneinander bestehen; nur über die Stellungnahme zur Ab-
stimmung war man verschiedener Meinung.
Der Kampf um die Auflösung der saarländischen Zentrumspartei und die
Ausschaltung der freien Zentrumspresse, verbunden mit dem zweimaligen
schroffen Affront gegen seine Person323, hatten Hoffmann endgültig zum
Exponenten eines unbedingten Widerstandes gegen eine Rückgliederung im
Jahre 1935 werden lassen. Nach seiner Entlassung aus der „Saarbrücker
Landeszeitung“ bemühte er sich um die Herausgabe einer neuen katholischen
Zeitung und um die Gründung einer katholischen Widerstandspartei 324. Es
gelang nicht, die Mittel auf saarländischer Basis zusammenzubringen, ein
Beweis, wie schwer es auf Grund der Abhängigkeit der Saarländer von deut-
scher finanzieller Unterstützung war, zu einer politischen Opposition zu
gelangen. Hoffmann erhielt schließlich das Geld zur Gründung seiner Zei-
tung aus Frankreich325. Die erste Nummer der „Neuen Saarpost“ erschien
am 6. Mai 1934. Die Zeitung trat am 3. Juni 1934 mit einem Saarprogramm
hervor, das dem sozialistischen entsprach. Die Saar sei der „letzte Zipfel
freier deutscher Erde in der Westmark“, der Kampf gegen den braunen
Terror und das neue Heidentum müsse weitergeführt werden; in der neuen
Lage seien die Begriffe verwirrt worden, auch „Volk und Vaterland“ hätten
einen schiefen Sinn bekommen; damit die Saar auch in Zukunft christlich
und deutsch bleibe, müsse die Eingliederung des Saargebietes in das Dritte
Reich abgelehnt werden; Aufgabe sei es, „gemeinsam mit den Gesinnungs-
freunden den Weg zu suchen, der uns die Möglichkeit zur Rückkehr ins
Vaterhaus offenläßt, ohne dabei unsere christlichen und deutschen Grund-
sätze opfern zu müssen. Wir wollen zu Deutschland, wenn Deutschland
wieder frei ist“ 326. Hoffmann erstrebte also bei der Entscheidung für den
Status quo ebenso wie die Sozialisten eine spätere Revisionsmöglichkeit der
Abstimmung von 1935. Im übrigen berichtete die „Neue Saarpost“ in den
Monaten Juni bis August besonders über die Schwierigkeiten der Katholiken
im nationalsozialistischen Deutschland und brachte grundsätzliche Artikel
über katholische Probleme. In diesem Zusammenhang wurde für die Leser
die Alternative „Christuskreuz oder Hakenkreuz“ — beide waren auf dem
Kopfblatt der Zeitung immer wieder abgebildet 327 — herausgearbeitet,
oder Artikel standen unter dem Motto „Unter dem Christuskreuz“ 328. In
323 Vgl. dazu oben S. 277 u. S. 293 ff.
324 BA Koblenz, Reichskanzlei R 43 1/254, Rk 2539/34; F. Bungarten, Ich darf nicht
schweigen, Köln 1951, S. 65 f.
325 B u n g a r t e n, a. a. O., S. 66.
326 Neue Saarpost Nr. 26 v. 3. 6. 1934.
327 Z. B. Neue Saarpost Nrn. 67, 72, 75 v. 14., 19. und 22. 7. 1934.
328 Neue Saarpost Nr. 75 v. 22. 7. 1934; vgl. dazu auch Wambaugh, a. a. O.,
S. 207; M o u r i n, a. a. O., S. 416.
306
den Artikeln wurden die Widerstände des Bischofs von Trier in der Frage
der katholischen Jugendverbände329, die Schwierigkeiten in den Verhand-
lungen der deutschen Bischöfe über die Durchführung des Konkordates und
die Enttäuschung des Vatikans über die Haltung der deutschen Reichsregie-
rung ausführlich dargelegt. Der Eindruck entstand, als ob die Kirche hinter
der Zeitung stehe330, besonders wenn sie z. B. schrieb: „Die Saar wird den
deutschen Katholizismus retten"331. Auch durch Zitate aus älteren päpst-
lichen Enzykliken 332 wurde die Überzeugung vertieft, daß man aus reli-
giösen Gründen gegen die Rückgliederung sein müsse. Die allgemeine Er-
regung über den 30. Juni 1934, die Ermordung Dollfuß’ wie die bereits im
Juni vorangegangene Beunruhigung der Kreise der Christlichen Gewerk-
schaften333 schufen eine gespannte Lage innerhalb des saarländischen Katho-
lizismus. In dieser Situation griff Bischof Bornewasser ein, der bei aller
Kritik an der deutschen Entwicklung und seinen Schwierigkeiten mit Natio-
nalsozialisten die nationale Position in der Saarfrage bedingungslos aufrecht
erhielt und zudem fürchtete, daß die Propaganda der „Neuen Saarpost“
den Katholizismus in Deutschland in eine unhaltbare Lage bringe334. Er war
grundsätzlich Gegner des Vorgehens Hoffmanns und hatte diesem seine
Stellungnahme auch mitgeteilt335. Nun brachte er auf dem großen Bekenntnis-
tag der katholischen Jugend in Saarbrücken am 29. Juli 1934 in aller Schärfe
zum Ausdruck, daß die „Neue Saarpost“ das Einverständnis des Bischofs
nicht habe336. Dadurch war die Situation Hoffmanns und jeder katholischen
Opposition, die für den Status quo eintrat, sehr erschwert. Auch auf die
Geistlichen des Saargebietes wirkte der Bischof von Trier dahingehend ein,
sie sollten sich von der „Neuen Saarpost“ distanzieren 337. Der Bischof be-
dauerte in seinem Brief an den Kardinalstaatssekretär, daß sich die Geist-
lichen in der schwierigen Lage nicht jeder politischen Betätigung enthielten,
wenn er auch bei der allgemeinen Erregung seinen ursprünglichen Plan eines
strikten Verbotes jeder politischen Tätigkeit für Geistliche nicht mehr als
durchführbar ansah 338. Eine Zusammenkunft der katholischen Oppositions-
329 Neue Saarpost Nr. 50 v. 27. 6. 1934 „Katholische Proteste“.
330 Z. B. Neue Saarpost Nr. 52 v. 29. 6. 1934 „Vatikan und Saarproblem“.
331 Neue Saarpost Nr. 76 v. 23. 7. 1934.
332 Neue Saarpost Nr. 103 v. 19. 8. 1934; Nr. 110 v. 26. 8. 1934.
333 Näheres dazu vgl. unten S. 311 f.
334 Über die Motive Bornewassers in dieser Situation unterrichtet bes. sein Brief an
Kardinalstaatssekretär Pacelli v. 22. 8. 1934, Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 48;
Antwortschreiben des Kardinalstaatssekretärs v. 3. 9. 1934, s. Anlage 24, unten
S. 410 ff.
335 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 48 in dem genannten Brief des Bischofs nach Rom.
336 Bartz, a. a. O., S. 94, bringt die entsprechende Wendung aus der Bischofsrede; seine
gesamte Darstellung zeigt auch, wie geschickt die Nationalsozialisten diesen Passus zu
isolieren und zu benutzen verstanden. Vgl. auch Wambaugh, a. a. O., S. 208; sie
schreibt fälschlicherweise den Angriff auf die „Neue Saarpost“ dem Bischof von
Speyer zu.
337 Brief Bornewassers an den Kardinalstaatssekretär v. 22. 8. 1934, Bistumsarchiv Trier,
Abt. 59, Nr. 48.
338 Bischof Bornewasser hatte bereits vor dem Bekenntnistag der kath. Jugend erwogen,
allen Geistlichen eine politische Tätigkeit zu verbieten. Ein entsprechender Entwurf,
der sich auf das Interesse der kath. Kirche in Deutschland berief und politische
Erörterungen auf der Kanzel, in der Schule, in Vereinen und in Versammlungen ver-
307
gruppe, die unter Beteiligung einer beachtlichen Anzahl von Geistlichen339
am 16. Juli 1934 im Canisiusheim zu Saarbrücken stattgefunden hatte, war
nicht zu einer Parteigründung gelangt, sondern man hatte beschlossen, den
Bekenntnistag der katholischen Jugend und die Äußerung des Bischofs abzu-
warten340. Die klare Distanzierung Bischof Bornewassers von der „Neuen
Saarpost“ und das Telegramm der Bischöfe an Hindenburg341 mußte die
Hemmungen der Geistlichkeit, in der Öffentlichkeit für den status quo ein-
zutreten, verstärken. Die Denkschrift, die Hoffmann am 9. September 1934
im Namen von 200 katholischen Delegierten aus dem Saargebiet an den
Rat des Völkerbundes richtete, drückte nicht nur die Wünsche der oppositio-
nellen Kreise aus, sondern auch deren grundsätzliche Schwierigkeiten. Sie
enthielt das Programm jener Katholiken, die gegen eine Rückkehr zum
nationalsozialistischen Deutschland waren: Erweiterung der Garantien des
Völkerbundes auch für die Sozialrenten und für die Freiheiten der katho-
lischen Kirche, Ausbau der Rechte der Saarländer im Falle einer Abstim-
mung für den status quo, Beteiligung an den Saargruben und Möglichkeit
einer zweiten Abstimmung zu einem günstigeren Zeitpunkt. Zur Begrün-
dung hieß es:
„De nombreux milieux sarroîs ne pourront se prononcer en faveur du status quo
que s’ils ont la certitude de ne pas prendre, le 13 janvier, une décision définitive,
et s’ils savent que, tout au moins durant le délai raisonnable, ils pourront encore
une fois statuer définitivement sur leur sort. Cette partie de la population estime
que l’époque actuelle se prête aussi peu que possible à une décision définitive“ 342.
Damit war noch stärker als bei den Sozialisten die Haltung der Katholiken
von der Erfüllung jener Hoffnungen abhängig gemacht, die sich auf die
Politik Barthous und eine entsprechende Entscheidung des Rates des Völker-
bundes stützten. Die französische Regierung hatte am 31. August 1934 dem
Rat des Völkerbundes ein Aide-mémoire überreicht343, in dem u. a. die von
den Sozialisten und der katholischen Oppositionsgruppe vertretenen For-
derungen enthalten waren: nähere Abgrenzung der Bedeutung einer Ab-
stimmung für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes, beson-
ders im Hinblick auf eine demokratische Ausgestaltung des Systems und eine
saarländische Beteiligung am Grubenbesitz und Schaffung einer Möglichkeit
bot, wurde über Kaas in Rom vorgelegt, da er eine Formulierung über das Einver-
ständnis des Kardinalstaatssekretärs und den Hinweis auf die monitio canonica ent-
hielt. Kaas schrieb am 2. 8. 1934 zurück, daß eine Berufung auf Rom nicht zu er-
reichen, ein Hinweis auf die monitio canonica dringend abzuraten und dafür zu
sorgen sei, daß die neutrale Haltung des Hl. Stuhles unangetastet bliebe und kein
Anlaß zu Beschwerden in Rom bestehe. Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 39. Vgl.
auch den Brief des Kardinalstaatssekretärs vom 3. 9. 1934, der sich auf diesen Vorgang
bezieht: Anlage 24, S.410ff., Mourin, a.a.O., S.416 sagt, der Erlaß der Bischöfe von
Trier und Speyer sei auf Drängen Roms erfolgt, während der Gedanke ursprünglich
von Bornewasser ausging.
339 A.A. II, Bes. Geb., Saargebiet, Pol. Parteien, Bd. 11: Gestapobericht II SG 5533
spricht von 80 Geistlichen.
340 Ebenda.
341 Näheres dazu unten S. 312 f.
342 S.D.N. J.O. XV,12 (1934), S. 1621 f.: Dokument C. 451. M. 193. 1934. VII.
343 Ebenda: XV,10, S, 1185 ff., vgl. auch Wambaugh, a. a. O., S. 221 ff.
308
zu einer zweiten Abstimmung. So schien sich durch die Haltung der offi-
ziellen französischen Regierung mit Barthou als Außenminister eine reale
politische Chance zur Durchsetzung der Auffassung der antinationalsozia-
listischen Saarländer beim Rat des Völkerbundes abzuzeichnen. Barthou er-
läuterte seine Auffassungen in der Ratssitzung vom 27. September 1934,
das französische Aide-memoire wurde dem Dreier-Komitee als eine weitere
Arbeitsgrundlage zugeleitet344. Nach der Ermordung Barthous am 9. Okto-
ber 1934 und der Neubildung der französischen Regierung mit Laval als
Außenminister blieb eine entsprechende Einflußnahme Frankreichs im Rat
des Völkerbundes die entscheidende Hoffnung der saarländischen Oppo-
sitionsgruppen, die das Laval auch wissen ließen 345. Während die Sozialisten
und Kommunisten in ihren Versammlungen für den Status quo warben, blieb
die katholische Opposition auf eine Tätigkeit in kleinen Kreisen und Grup-
pen beschränkt. In dieser Situation reiste Hoffmann mit einem saarländi-
schen Geistlichen nach Rom und hatte am 7. November 1934 eine Unter-
redung mit Kardinalstaatssekretär Pacelli346. Diese Besprechung konnte für
Hoffmann keinen greifbaren politischen Erfolg bringen, da der Kardinal-
staatssekretär immer wieder in den Besprechungen über die Saarfrage die
Neutralität des Heiligen Stuhles betonte347. Hoffmann hoffte nach dieser
Unterredung wohl auf die Zurückhaltung der Bischöfe von Trier und Speyer
in der Saarfrage und auf die Tatsache, daß bei den saarländischen Geist-
lichen eine freie Gewissensentscheidung in seinem Sinne ausfallen werde.
Trotzdem war er sich bewußt, daß ein Erfolg von einer öffentlichen Unter-
stützung durch katholische Geistliche abhängig war und daß diese an die
Voraussetzung einer klaren Verlautbarung des Rates des Völkerbundes über
die Möglichkeit einer zweiten Abstimmung gebunden blieb 348. Immerhin
kam es am 30. November 1934 zu einer Art Gründungsversammlung für
eine neue katholische Partei, die sich „Volksbund für christliche und soziale
Kultur“ nannte349. An der Gründungsversammlung hatten Hoffmann, die
Gewerkschaftsvertreter Kuhnen und Pick und von den deutschen Emigran-
ten Vater und Sohn Imbusch und eine größere Anzahl Geistlicher teilgenom-
men. Damit schien die Möglichkeit einer Ausstrahlung in breitere Kreise
noch möglich: Hoffmann besaß die Zeitung, die Gewerkschaftssekretäre ver-
fügten noch über einen gewissen Einfluß in einzelnen Gruppen, der Geist-
lichkeit stand der Kontakt mit breiten Schichten der Bevölkerung offen.
Nun konnte aber die Tatsache, daß Hoffmann das Geld aus Frankreich er-
344 S.D.N. J.O. XV,11, S. 1162 f.; Bartz, a.a.O., S. 117ff., Wambaugh, a. a.O., S.209.
345 So Pfarrer Bungarten zur Verf.; außerdem spricht auch ein Bericht des Kulturwarts
der Dt. Front, Hard, an Gauleiter Bürckel über die Gründungsversammlung der kath.
Oppositionspartei davon, daß zur Vorbereitung Gespräche Kuhnens mit Laval statt-
gefunden hätten. A.A. II, Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 14, II SG 8711.
346 Vgl. in Anlage 22, unten S. 405ff.; außerdem Balk, a.a.O., S. 150f.; Mourin,
a. a. O., S. 416.
347 Vgl. dazu die Anlage 25 unten S. 412f. Die Darstellung bei Bartz, a. a. O., S. 161 f.
verschleiert die Neutralität des Hl. Stuhles.
348 Balk, a. a. O., S. 150f.; außerdem H. Pf. Bungarten zur Verf.
349 A. A. II, Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 13 und Bd. 14 enthalten eine Reihe
Berichte von deutschen Dienststellen und von der Gestapo über diese Versammlung.
309
halten hatte, was natürlich bekannt wurde, von den Nationalsozialisten
bei dem eingewurzelten Mißtrauen der Saarländer gegenüber Frankreich als
Korruption gedeutet werden 350, selbst wenn in der damaligen Situation
keine andere Möglichkeit bestand. Die Gewerkschaftssekretäre Kuhnen und
Pick besaßen nicht das Ansehen und die Popularität Kiefers, außerdem wur-
den ihren Entscheidungen persönliche Motive unterschoben351, und man ver-
suchte durch Verhandlungen immer wieder, besonders Pick auf die Seite der
Deutschen Front zu ziehen352. Die Geistlichen, die an der Gründungsver-
sammlung des Volksbundes teilgenommen hatten, wurden in einem Rund-
schreiben Bischof Bornewassers damit belastet, daß ihre Teilnahme der
Sache des Katholizismus in Deutschland schade und ihre Weiterarbeit in
ihren Gemeinden erschwere 353. Den Ausschlag für die Tatsache, daß diese
Oppositionsgruppe auch unmittelbar vor der Abstimmung nicht zu einer
größeren Tätigkeit gelangte, gab neben der Forderung der Ordinarien von
Trier und Speyer nach strikter politischer Zurückhaltung der Geistlichkeit354,
die Genfer Entscheidung vom 4. Dezember 19 3 4 355. Der offizielle Rats-
beschluß sagte über die Wiederholbarkeit der Abstimmung nichts aus. Die
deutsche Politik hatte das in Berufung auf den Versailler Vertrag zu hindern
gewußt356. Laval, Benesch und der russische Ratsvertreter Litvinoff sprachen
sich ausdrücklich für die Möglichkeit einer späteren Rückgliederung an
Deutschland aus, der Russe unter starker Einordnung des Saarproblems in
das Selbstbestimmungsrecht der Völker357. Mit diesem Sachverhalt waren
der Interpretation Tür und Tor geöffnet. Die Sozialisten und die „Neue
Saarpost“ vertraten die Ansicht, daß eine zweite Abstimmung gesichert sei,
während die Deutsche Front darauf hinwies, daß kein entsprechender Rats-
beschluß zustandegekommen war 358. Es war überdies ein leichtes, in der
Saarbevölkerung Mißtrauen gegenüber Versprechungen der Vertreter Frank-
350 Vgl, dazu Bartz, a. a. O., S. 176ff.; Mourin, a. a. O., S. 417.
351 Wambaugh, a. a. O., S. 248.
352 A.A. II, Bes. Geb., Saargeb., Pol. Parteien, Bd. 15, II SG 241; Noch am 24. 12. 1934
führte Dr. Obe, der Mitglied der NSDAP und Regierungsdirektor im Ministerium
Koßmann war, in der Wohnung Koßmann mit Kuhnen eine Besprechung. Auf die
persönliche Verärgerung Picks wiesen Koßmann und Dr. Obé in einer Unterredung
mit Legationsrat Voigt hin. Außerdem suchte Ernst Lemmer als ehemaliger General-
sekretär des Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereins im Juni 1934 Pich in Saarbrücken
auf, um ihn für die Deutsche Front zu gewinnen. Er nannte neben der Enttäuschung
über die Entwicklung der Gewerkschaften in Deutschland auch persönliche Rivalitäten
als Ursache für die Haltung Picks und hielt es noch für möglich, diesen zu gewinnen
(BA Koblenz, Reichskanzlei R 43 1/254).
353 Vgl. dazu unten Anlage 23, S. 409 f.
354 Vgl. dazu unten S. 312.
355 S.D.N. J.O. XV,12 (1934), S. 1694 ff.
356Baryz, a. a. O., S. 45ff. Bartz übertreibt in seiner Darstellung die Rolle Bürckels.
Sein Buch baut einen ausgesprochenen Führerkult um Bürckel auf.
357 S.D.N. J.O. XV,12 (1934), S. 1709: Erklärung Lavais, in der es heißt: «Si les popula-
tions sarroises exprimeront un jour le désir d’être réintégrées dans la communité
allemande, c’est au conseil de la S.D.N. qu’il appartiendrait alors de décider. Vous
me demandez: «Ce jour-là, quelle serait l’attitude de la France?» Ma réponse, je le
repète, sera nette : « La France ne s’y opposerait pas. » Erklärung Litvinoffs ebenda,
S. 1710. Vgl. auch Wambaugh, a. a. O., S. 270f.
358 Wambaugh, a. a. O., S. 271 f.
310
reichs und Rußlands zu wecken. Pfarrer Bungarten, der sich eine endgültige
Entscheidung bis nach der Ratssitzung vom Dezember 1934 Vorbehalten
hatte, sah die Erklärungen nicht als ausreichend an, um öffentlich die Katho-
liken zur Abstimmung für den Status quo auffordern zu können359. Damit
war die Gewinnung größerer Kreise der Katholiken für das Programm des
Status quo grundsätzlich gescheitert.
Wenn wir auf der Seite jener Katholiken, die eine Rückgliederung an das
nationalsozialistische Deutschland ablehnten, Zögern, Unsicherheit, Suchen
nach letzten religiösen Motiven und Bestätigungen für ihre persönliche Ent-
scheidung antrafen, die zu tragischen Konflikten wie zum Beispiel zwischen
Bischof Bornewasser und Hoffmann oder einem Teil der Geistlichkeit und
ihrem Bischof führten, so verbargen sich auf der Seite der Katholiken in der
Deutschen Front hinter der Sicherheit und Klarheit der Entscheidung eben-
falls schwere Besorgnisse für die Zukunft. Äußerlich war alles klar: Die
Zentrumsführer aus dem Landesrat, besonders aber Levacher und Kiefer,
betätigten sich in der Deutschen Front, redeten über Saarfragen in Deutsch-
land, fuhren nach Genf, verhandelten mit Bürckel, wußten sich im Anliegen
der Rückgliederung eins mit den Oberhirten von Trier und Speyer und
trugen ihre Gesichtspunkte auch bei Kardinalstaatssekretär Pacelli vor360.
Ihre nationale Entscheidung erfuhr auch Bestätigung aus den Kreisen der
deutschen Zentrumspartei: Helene Weber z. B. schrieb Frau Steegmann noch
kurz vor der Abstimmung über die Notwendigkeit einer „eindeutigen Ent-
scheidung“ für Deutschland: „Es gibt für die Saar jetzt und immerdar nur
ein Schicksal: Deutschland“361. Frau Steegmann benutzte die Zeilen Helene
Webers zur Abfassung eines letzten Wahlaufrufs an die katholischen Frauen
des Saargebietes.
Die deutsche Entwicklung im Jahre 1934 ließ Sorge und Zweifel in den
Kreisen dieser Katholiken wachsen. So wurde Pfarrer Schlich, der unentwegt
an der Notwendigkeit der Rückgliederung festhielt362 und noch am 3. Ja-
nuar 1935 mit einer Erklärung von zwölf Dechanten des Saargebietes für
die Rückgliederung eintrat363, im Laufe des Jahres 1934 wiederholt Initiator
zu eindeutigen Erklärungen und Beschwerden über das Vorgehen der Natio-
nalsozialisten364 und galt selbst den Franzosen als der Exponent der Oppo-
sition unter der Geistlichkeit365. Peter Kiefer, der Wegbereiter der Gleich-
schaltung innerhalb des saarländischen Zentrums, nahm am 27. Mai 1934
öffentlich in einer großen Versammlung der saarländischen Bergarbeiter
gegen den Führer der Deutschen Arbeitsfront, Ley, Stellung und forderte
Hitler auf, er „möge endlich gewissen Leuten sagen, bis hierher und nicht
weiter“ 366. Im Juli 1934 schrieb er einen Brief an Hitler, der wohl den
359 Mündliche Mitteilung Pfarrer Bungartens an die Verf.
360 S. Anlage 22, unten S. 405 ff.
361 Mitteilung Frau Steegmanns an dir Verf., der sie auch das Flugblatt mit dem Text
aus dem Brief Helene Webers zur Verfügung stellte.
362 Vgl. Anlage 15, unten S. 390.
363 Abdruck dieser öffentlichen Stellungnahme bei Wambaugh, a. a. O., S. 289.
364 Vgl. z. b. Anlage 21, unten S. 404 f.
365 Mourin, a. a. O., S. 417.
366 S.Z. Nr. 138 v. 18. 5. 1934.
311
besten Einblick in die inneren Zweifel dieses Mannes gibt367. Nachdem er
Verständnis für die revolutionäre Entwicklung in Deutschland bekundet und
die nationale Leistung der Christlichen Gewerkschaften betont hatte, for-
derte Kiefer für die Zukunft die Rückkehr zu klaren Rechtsverhältnissen,
die Sicherung der Rechte der Arbeiterschaft wie der Katholiken und nannte
die nationalsozialistischen Erklärungen zur Rechtfertigung des Vorgehens
gegen die Christlichen Gewerkschaften und ihre Führer Diffamierungen
und großes Unrecht, das beseitigt werden müsse.
Auch die Haltung der deutschen Oberhirten von Trier und Speyer, insbeson-
dere Bischof Bornewassers, darf nicht einseitig betrachtet werden. Die Bischöfe
leisteten der Entscheidung für die Rückgliederung ohne Zweifel unschätzbare
Dienste3671. Ihr Telegramm, das sie am 29. Juli 1934 vom Bekenntnistag
der katholischen Jugend zu Saarbrücken mit Grüßen und Treueversiche-
rungen an Hindenburg sandten, wurde von der Abstimmungskommission
als eine solch bedeutsame äußere Einmischung angesehen, daß diese in Genf
protestierte368. Als die beiden Bischöfe dann in Absprache mit dem päpst-
lichen Beobachter Monsignore Panico schließlich am 12. November 1934
doch noch die politische Tätigkeit für Geistliche verboten, enthielt der Erlaß
folgende Wendung:
„Unsere Anweisung berührt nicht die sittliche Pflicht der Liebe zum angestammten
Volkstum und die Treue zum Vaterland. Diese Liebe und Treue sind vielmehr nach
katholischer Lehre sittliche Tugenden“ 369.
367 S. Anlage 17, unten S. 391 ff.
367a G. Lewy, Die katholische Kirche und das Dritte Reich, München 1965, untersucht
in seinem 7. Kapitel: „Die Kirche und Hitlers Außenpolitik“ auch „Die Volksabstim-
mung des Saargebietes“ S. 203—222. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen,
wollte man sich mit allen Einzelheiten seiner Darstellung auseinandersetzen. Lewy
bringt eine Fülle von Belegen über die nationale Haltung der Bischöfe von Trier und
Speyer und anderer deutscher Bischöfe in der Saarfrage. In der Schlußfolgerung über
die Bedeutung solcher Stellungnahmen geht er m. E. entschieden zu weit, wenn er
meint, daß „eine antinationalsozialistische Haltung der Bischöfe“ hätte ausschlag-
gebend sein können oder daß die Abstimmung möglicherweise hätte anders ausfallen
können, wenn die Bischöfe von Trier und Speyer der Status-quo-Bewegung nicht
Einhalt geboten hätten (S. 221). (Vgl. dazu etwa die Beurteilung der Lage in Hoff-
manns Denkschrift nach Genf (in dieser Arbeit oben S. 260) oder Bungartens Auf-
fassungen (oben, S. 264). Auch bei Wambaugh finden sich nirgends Ansätze zu einer
solchen Beurteilung des Einflusses der Bischöfe. In Lewys Darstellung zeigt sich ins-
gesamt jene Einseitigkeit besonders stark, die sich aus der Isolierung eines Problems
auf eine Fragestellung oder These hin ergibt. Überdies sind auch bei vielen Einzel-
heiten seiner Darstellung Bedenken anzumelden, die aus mangelnder kritischer Hal-
tung, zu geringer Differenzierung im Urteil oder gewissen Voreingenommenheiten
resultieren. (Z. B.: S. 205 wird einfach Papens Aussage, Testa habe zweifellos Sym-
pathien für das nationalsozialistische Regime, in die Darstellung kritiklos eingeordnet.
S. 206, vor Anm. 31) wird Wambaughs Darstellung sehr vergröbernd und ungenau
wiedergegeben, außerdem findet sich das Zitat 31) nicht bei Wambaugh. S. 213 wer-
den negative Bemühungen Bürckels zur Gewinnung der Bischöfe für die Wahl-
propaganda z. B. mit folgenden Sätzen eingeleitet: „Weil die Nationalsozialisten
großen Wert darauf legten, eine überwältigende Mehrheit der Saarbevölkerung für
sich zu gewinnen, waren sie mit der Kirche in Deutschland während der letzten
Monate des Jahres 1934 etwas behutsamer verfahren. Jetzt konnten sie dafür von den
Bischöfen weitere Hilfe verlangen.“ Ähnliche Bedenken lassen sich noch für mehrere
Stellen erheben.)
368 S.D.N. J.O. XV,10 (1934), S. 1201 f.; Wambaugh, a. a. O., S. 208f.
369 Kirchlicher Amtsanzeiger der Diözese Trier, 1934, Nr. 284, S. 191.
312
Ein gemeinsamer Hirtenbrief der Bischöfe der Kölner Kirchenprovinz for-
derte am 26. Dezember 1934 zum Gebet für die Saarabstimmung auf370.
Aber gerade diese bedeutsamen Äußerungen dürfen nicht isoliert betrachtet
werden, wenn es um das Verhältnis der Katholiken zum Nationalsozialis-
mus geht. So war der Bekenntnistag der katholischen Jugend in Saarbrücken
vor allem eine Demonstration der Macht der Katholiken; nur kirchliche
Fahnen wurden mitgeführt, man gedachte der am 30. Juni durch die Natio-
nalsozialisten ermordeten Katholiken und der Treuegruß an Hindenburg
stellte eine bewußte Distanzierung gegenüber Hitler dar371. Daß Bischof
Bornewasser mit der Betonung der Pflicht zur Vaterlandsliebe keine An-
näherung an den Nationalsozialismus vollzog, zeigte sein erster Entwurf
über das Verbot der politischen Tätigkeit für Geistliche372, der folgenden
Absatz enthielt:
„Selbstverständlich darf und muß der gute Hirte unsere heiligen Glaubensgüter
hüten und schützen, gegen Angriffe, woher sie auch kommen mögen, verteidigen.
Auch widerspricht es nicht obigem Verbot, auf die Vaterlandsliebe als sittliche
Pflidit hinzuweisen“ 373.
Die saarländischen Geistlichen nahmen tatsächlich in solch erheblichem Um-
fang gegen die Lehren des „neuen Heidentums“ Stellung, und Bornewasser
beanspruchte dieses Recht immer wieder, so daß Bürckel darüber beunruhigt
war374. Gleichzeitig schritt im Jahren 1934 das Generalvikariat auch gegen
das öffentliche Auftreten von Geistlichen in der Deutschen Front ein375.
Bornewasser selbst wandte sich im August 1934 in einem ausführlichen Brief
an Hitler und trat für die Rechte der Kirche auf der Basis des Konkordates
und für die Rechte der saarländischen Beamten ein376. Gleichzeitig entzog er
sich Versuchen Bürckels, ihn für die Wahlpropaganda an der Saar einzu-
spannen377.
Alle Proteste können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß Zentrums-
anhänger, Geistlichkeit und Bischöfe in gewisser Weise einen hilflosen Ein-
druck machten. Die Auflösung der Deutschen Zentrumspartei, der Abschluß
des Konkordates und der Gleichschaltungsprozeß an der Saar hatten sie in
eine Situation gebracht, in der ihnen jeder Trumpf gegenüber der national-
sozialistischen Reichsregierung fehlte, wollten sie nicht auch für sich die
Entscheidung der Rückkehr zu Deutschland in Frage stellen. Der Inhalt der
Beschwerden und Forderungen konnte sich deshalb auch nicht auf grundsätz-
370 Wambaugh, a. a. O., S. 288, hier Abdruck des Hirtenbriefes.
371 Auch Wambaugh, a. a. O., S. 208, weist auf diesen Charakter des Bekenntnistages
hin. Sie berichtet auch, daß für Klausener (Führer der kath. Aktion in Berlin) und
Probst (Führer der kath. Jugend Deutschlands) überall im Saargebiet Requien gehalten
wurden, und daß selbst Führer der Deutschen Front an diesen Gottesdiensten für die
Ermordeten teilnahmen.
372 Vgl. dazu oben S. 307, Anm, 338.
373 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 39.
374 Ebenda, Abt. 59, Nr. 48.
375 Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 39.
376 Vgl. Anlage Nr. 18, unten S. 395 ff.
377 Darüber gibt besonders die Korrespondenz des Beauftragten Bürckels für die kultu-
rellen Fragen, Müller, mit Bischof Bornewasser Aufschluß, Bistumsarchiv Trier,
Abt. 59, Nr. 48.
313
liehe politische Probleme erstrecken, sondern man kämpfte nur um jene Zu-
sicherungen, die im Konkordat von 1933 und gegenüber einzelnen Saarlän-
dern gemacht worden waren. Deshalb mußte man sich mit vagen Beschwich-
tigungen und Versprechen in Antwortschreiben zufrieden geben 378 und
mußte hinnehmen, daß man bewußt getäuscht wurde, wie besonders von
Bürckel und den höchsten Reichsstellen in der Hinausziehung der Verhand-
lungen über die Anwendungsbestimmungen zum Konkordat 379. Im Bewußt-
sein, daß ihrer in dem Vaterlande, dem sie unter diesen Umständen die
Treue hielten, ein schweres Geschick harrte, erlebten manche Katholiken den
Gang zur Wahlurne als tragische Pflicht.
Die frankophilen Splittergruppen
Neben den großen Parteien des Saargebietes und ihren Entscheidungen spiel-
ten jene kleinen Gruppen, die an der Saar 1933 und 1934 in Erscheinung
traten, für die politische Stellungnahme der Saarbevölkerung nur eine sekun-
däre Rolle.
Die bedeutendste dieser Gruppen war die „Saarländische Wirtschaftsvereini-
gung“, die am 21. Oktober 1933 in Saarlouis gegründet380 und zunächst
durch Dr. Hector, das ehemalige Mitglied der Regierungskommission, ge-
leitet wurde. Diese Gruppe arbeitete in ihrer Abstimmungspropaganda vor
allem mit zwei Thesen. Die Rückgliederung an Deutschland bringt große
wirtschaftliche Nachteile und eine entscheidende Bedrohung des Katholizis-
mus381. Sie trat offiziell für den status quo ein, obwohl ihr jene kleine Zahl
der Saarländer angehörte, die einen Anschluß an Frankreich wünschten. Die
„Saarländische Wirtschaftsvereinigung“ entfaltete eine große Aktivität. Sie
reichte 1934 sieben Denkschriften382 an den Rat des Völkerbundes ein, in
denen sie die Terrormaßnahmen im Saargebiet schilderte und ausländische
Polizei und Truppen für die Abstimmungsperiode forderte. Sie erhielt
finanzielle Unterstützung von französischer Seite, stand mit französischen
Abgeordneten und vor allem mit der Association Française de la Sarre in
Verbindung 383. Eine Gruppe Saarländer aus ihren Kreisen reiste im Mai
1934 zur Generalversammlung der Association Française, legte am Grabe
Marschall Neys einen Kranz nieder, und Hector dankte in der Versamm-
lung für die französische Unterstützung im Saargebiet384. Sein Sohn Edgar
Hector legte in einem Artikel in dem Presseorgan der Association Française
de la Sarre „Journal de la Sarre“ im November 1934 dar, daß es eine fran-
378 Vgl. Antwort Fricks auf den Brief Bornewassers unten Anlage 20, S. 401 ff.
379 Vgl. dazu unten Anlage 22, S. 405 f.
380 A. A. II, Bes. Geb., Saargebiet, Pol. Parteien, Bd. 6, Gestapobericht v. 21. 1. 1934
II SG 627; die Bände 6—13 enthalten eine Fülle von Berichten über die Saarländische
Wirtschaftsvereinigung und ihre Tätigkeit.
381 Ebenda.
382 Vgl. dazu Verzeichnis der Denkschriften in Anlage 6, unten S. 347 ff.
383 Darüber Material in A. A. vgl. Anm. 380.
384 L’Echo de Paris v. 27. 5. 1934 „L’assemblée générale de l’Association Française de la
Sarre à la Sorbonne“; Le Temps v. 27. 5. 1934: „Association Française de la Sarre“.
314
zösische Minderheit an der Saar gebe und Frankreich nicht das Recht habe,
„de céder un seul pouce du territoire français“ 385. Die Propaganda der Deut-
schen Front gegen die „Saarländische Wirtschaftsvereinigung“ hatte leichtes
Spiel, da sie nur die alten Erlebnisse mit Dr. Hector aufzugreifen brauchte.
Zwei weitere Gruppen, die an der Saar neu in Erscheinung traten, waren
eine „Saarländische Sozialistische Partei“ und die „Liga für Menschen-
rechte“386. In beiden Vereinigungen arbeiteten zum Teil dieselben Männer,
wie z. B. der Kommunist Waltz, der 1922 wegen Bestechung aus der Kom-
munistischen Partei ausgeschlossen worden war387. Die „Saarländische Sozia-
listische Partei“ verband mit dem Eintreten für den status quo ein sozial-
revolutionäres Programm: Ausbau der Sozial- und Arbeitergesetzgebung,
Trennung von Kirche und Staat, Überführung der Saargruben und des saar-
ländischen Waldes in Volkseigentum, Abbau der Verwaltung und der Beam-
tengehälter u. ä., die „Liga für Menschenrechte“ hatte ein humanitär-kom-
munistisches Programm388. Die Tätigkeit beider Gruppen litt an der Un-
fähigkeit wie dem teilweise schlechten Leumund ihrer Mitglieder, inneren
Streitigkeiten und der Tatsache, daß sich in ihren Reihen immer wieder
Berichterstatter für die Gestapo fanden 389. Sie gewannen keinerlei Ansehen
oder Resonanz in der Bevölkerung.
Daneben versuchte auch Otto Strasser, im Saargebiet eine Organisation der
„Schwarzen Front“ aus ehemaligen Kommunisten und Nationalsozialisten
aufzubauen, die ebenfalls für den status quo eintreten sollte. Auch dieses
Unterfangen kam nicht über schwache Ansätze und Pläne hinaus390.
Überdies gelang es diesen Gruppen trotz der Einsicht in die politische Not-
wendigkeit einer Zusammenarbeit nicht, in der „Franko-Saarländischen
Front“ zu gemeinsamer Aktion zu gelangen, da Herkunft und Interessen die-
ser Gruppen zu verschieden waren. Die eigentliche Bedeutung dieser kleinen
Gruppen für die politische Entwicklung an der Saar ist darin zu sehen, daß
sie der deutschen Propaganda ermöglichten darzutun, daß nur national um-
strittene oder charakterlich fragwürdige Existenzen gegen eine Rückgliede-
rung einträten und daß eine ernsthafte Gefahr endgültiger Festsetzung fran-
zösischer Interessen an der Saar nach wie vor bestehe. Ein erhöhter Prozent-
satz von Voten für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes
könne nur zur Teilung des Saargebietes führen. Diese Gruppen erschwerten
den Sozialdemokraten, Kommunisten und der katholischen Oppositions-
gruppe unter Hoffmann auch die Darlegung ihrer Auffassung, daß ihr Ein-
treten für eine vorübergehende Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zu-
standes keine Preisgabe der deutschen Saar sei. Die nationalsozialistische
385 Journal de la Sarre, Bulletin de l’Association Française de la Sarre, 3 a, Nr. 26 bis v.
November 1934.
386 A. A. II, Bes. Geb., Saargebiet, Pol. Parteien, in den Bänden 4—13 viele Berichte; bes.
Bd. 4 II SG 1140, Bd. 5 II SG 2666 u. II SG 2669, Bd. 7 II SG 2735 u. II SG 925.
387 S.Z. Nr. 284 v. 25. 10. 1933 „Hinter den Kulissen der antideutschen Front“. Vgl.
auch oben S. 193.
388 A. A., a. a. O., bes. Bd. 5 II SG 2669.
389 Ebenda, z. B. Bd. 6: II SG 2900 u. II SG 100.
390 Ebenda, Bde. 6, 10 und 11 enthalten Gestapoberichte über diesen Versuch.
315
Propaganda rückte besonders in den letzten Tagen vor der Abstimmung alle
Verfechter des status quo in die Linie dieser Gruppen. Das tiefe traditionelle
Mißtrauen der Saarbevölkerung gegen Frankreich speiste sich im Abstim-
mungskampf aus der Existenz der Association Française de la Sarre und
jener kleinen, fragwürdigen Gebilde und ihrer Unterstützung von fran-
zösischer Seite.
6. Das Ergebnis der Volksabstimmung vom 13. Januar 1935
Als am 13. Januar 1935 die Saarabstimmung stattfand, stand die Saar
erneut im Blickfeld des internationalen Interesses. Es ging nicht einfach
mehr um den Vollzug einer der Bestimmungen des Versailler Vertrages und
die Liquidation eines Systems, dessen sicheres Ende sich seit Jahren klar ab-
zeichnete, sondern die Auseinandersetzung der Saarländer mit dem Problem
der Rückgliederung an das nationalsozialistische Deutschland hatte die Saar-
abstimmung in den Augen der internationalen Öffentlichkeit zu einer Pre-
stigefrage für das Dritte Reich werden lassen. Der Rat des Völkerbundes,
dem nach dem Versailler Vertrag die Durchführung eines freien und ge-
heimen Plebiszits oblag, hatte angesichts der saarländischen Verhältnisse der
Jahre 1933 und 1934 die Vorbereitungen besonders sorgfältig getroffen. Die
Aufstellung der Abstimmungslisten wurde von der Abstimmungskommis-
sion des Völkerbundes gewissenhaft verfolgt und überprüft; die Maß-
nahmen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung wurden für die
engere Abstimmungsperiode verschärft; die Kommission überwachte die
Zusammensetzung der Wahlkomitees und berief 950 Ausländer, vor allem
Niederländer, Schweizer und Luxemburger, zu Wahlvorsitzenden; inter-
nationales Militär besetzte das Gebiet zur Aufrechterhaltung der Ordnung.
So vollzog sich die Abstimmung in voller Freiheit, unter absoluter Wah-
rung des Geheimnisses und in großer Ruhe. Das Ergebnis brachte 90 Prozent
für die Rückkehr nach Deutschland und setzte sich im einzelnen wie folgt
zusammen:
Abstimmungsberechtigte 539 541
Abgegebene Stimmen 528 105
Für die Vereinigung mit Deutschland 477 119
Für den Status quo 46 613
Für die Vereinigung mit Frankreich 2 124
Ungültige Stimmen 905
Weiße Stimmzettel 1 292
Der prozentuale Anteil der Stimmen für den Status quo erreichte nicht ein-
mal die 9,6 Prozent des Stimmenanteils der Sozialdemokraten bei der Lan-
desratswahl des Jahres 1932. Zwischen 95 und 100 Prozent lag der Anteil
der Stimmen für Deutschland in den agrarischen katholischen Gebieten,
316
während er im Kern des Saargebietes teilweise bis zu 85 Prozent sank391. Das
Ergebnis war so eindeutig, daß der Rat des Völkerbundes in seiner Sitzung
vom 17. Januar 1935 als Datum der Rückgabe des Saargebietes an das
Deutsche Reich den 1. März 1935 bestätigte.
Dieses Ergebnis zeigt, daß für fast alle Saarländer der nationale Gesichts-
punkt gesiegt hatte und die Rückgliederung als Rückkehr zum Vaterlande
und Ende eines künstlich geschaffenen Zustandes bejaht wurde, gleichgültig,
wie man zum Nationalsozialismus stand. Für Hitler jedoch wurde die Saar-
abstimmung zum ersten großen außenpolitischen Erfolg, und eine Betrach-
tung des Prozesses der Festigung seiner Herrschaft kann die rein nationale
Entscheidung der Saarländer mit dem Signum einer moralischen Unter-
stützung des Hitlerregimes belasten392.
391 Vgl. dazu die Kartenbeilage über die Abstimmungsergebnisse.
392 So ähnlich urteilt Karl Jaspers, Hoffnung und Sorge, Schriften zur deutschen Po-
litik, München 1965, S. 231 ff., wenn er die Saarabstimmung von 1935 als erstes Bei-
spiel für „das Verhängnis des Vorrangs nationalpolitischen Denkens“ anführt. Er ist
der Auffassung, daß das Plebiszit von 1935 eine Chance zur Rehabilitierung der
Deutschen „vor sich selbst und vor der Welt und der Geschichte“ gewesen sei, nachdem
die Deutschen im Reich von der Diktatur Hitlers überspielt worden seien und die
Beseitigung des Regimes von innen durch die Gewinnung des Offizierskorps für die
Aufrüstung unmöglich geworden sei. Die Bedeutung, die er einem anderen Ergebnis
der Entscheidung vom 13. Januar 1935 zumißt, gipfelt in dem Satz: „Nicht auszu-
denken, was damals in Deutschland bei einer anderen Saarabstimmung geschehen
wäre.“ (S. 233).
Die Darstellung Jaspers erwedkt den Eindruck, als hätten fast alle Antinational-
sozialisten im Deutschen Reich etwa seit dem 30. Juni 1934 ähnlich geurteilt, da das
Hitlerregime „sein Wesen“ „auch dem Blindesten offenbart hatte“. Die vorliegende
Untersuchung konnte aber nur für die emigrierte Führungsschicht der deutschen Sozial-
demokraten und Kommunisten und darüber hinaus nur für den christlichen Gewerk-
schaftsführer Imbusch (s. oben S. 369) eine ablehnende Stellungnahme zur Rück-
gliederung der Saar erweisen, ohne daß allerdings von den Genannten Hoffnungen
auf einen Einfluß für die innere Entwicklung des Regimes in Deutschland aus-
gesprochen wurden. Obwohl die von Jaspers skizzierte Haltung gegenüber der Saar-
abstimmung quellenmäßig besonders schwer zu erfassen ist, spricht doch die Stellung-
nahme führender Reichsdeutscher (Bischöfe, Wissenschaftler, Politiker wie Helene
Weber und Ernst Lemmer vgl. dazu oben S. 299 f. bs. Anm. 289, S. 310, Anm. 352
u. S. 311 ff.), die keine Nationalsozialisten waren, gegen eine weitere Verbreitung der
Auffassungen Jaspers bereits im Jahre 1934/35.
Über die Saarländer urteilt Jaspers, daß sie, auch jene, die das Hitlerregime haßten,
„lieber dem deutschen, seit Bismarck bestehenden Staat angehören wollten, was auch
immer Deutschlands Regierung tun werde, ob nationalsozialistisch oder kommunistisch-
totalitär, bis in Schuld und Verbrechen“, statt zu bekunden, „daß sie der Freiheit
wegen lieber einem freien Frankreich als Staat angehören wollten (um im Bereich
dieser Freiheit ihre nationale Kultur zu pflegen), als teilzunehmen an dem Gang des
deutschen Verderbens“ (S. 232). Ein solches Urteil konnte Jaspers m. E. nur aus der
Distanz des Jahres 1960 gewinnen, indem er seine persönlichen Einsichten aus dem
Jahre 1934 verallgemeinerte und die Saarabstimmung gleichzeitig in seine aktuellen
politisch-pädagogischen Überlegungen und Zielsetzungen zum Thema „Freiheit und
Wiedervereinigung“ einordnete. So reduziert Jaspers die historische Situation der
Saarländer im Jahre 1935 auf die klare Alternative: Freiheit oder nationale Einheit
in einem verbrecherischen System. Seine Ausführungen können deshalb keinen Einblick
in die Vielschichtigkeit der inneren Situation der Saarländer geben; sie vereinfachen
und vereinseitigen die nationale Position der Saarländer, setzen eine Einsicht in das
Wesen des totalitären Staates voraus, wie sie 1934/35 noch nicht wirklich vorhanden
war, und sehen vor allem jene historisch bedingten Faktoren nicht, die bei den Saar-
ländern der Herausbildung einer solch klaren Alternative entgegenstanden.
317
Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Untersuchung der Rolle und Entwicklung der politischen Parteien des
Saargebiets von 1920 bis 1935 zeigte, daß die Saarländer durch die Saar-
bestimmungen des Versailler Vertrages nicht einfach vor das Problem einer
einmaligen nationalen Option gestellt wurden, sondern die lange Dauer des
Sonderregimes der Saar konfrontierte die Bewohner nacheinander mit
großen politischen Fragen der Zeit und führte in den einzelnen Phasen der
Entwicklung zu bedeutsamen Problemüberschneidungen.
Bereits im Saarstatut des Versailler Vertrages waren zwei verschiedene poli-
tische Konzeptionen zur Geltung gekommen. Frankreich hatte unter dem
Gesichtspunkt der Bedrohung seiner nationalen Sicherheit durch Deutsch-
land und der wirtschaftlichen Verluste des Krieges das Gebiet wegen seiner
wirtschaftlichen und strategischen Bedeutung erstrebt, und seine Wünsche
waren in der Übereignung der saarländischen Bergwerke und der fünfzehn-
jährigen Abtrennung des Gebiets vom Deutschen Reich berücksichtigt wor-
den. Präsident Wilsons Vorstellungen vom nationalen Selbstbestimmungs-
recht und Völkerbund als Grundlagen einer dauerhaften Friedensordnung
hatten zur Festsetzung eines freien Plebiszits und der Schaffung einer inter-
nationalen Saarverwaltung unter der Treuhänderschaft des Völkerbundes
geführt. Das politische Leben im Saargebiet hatte sich 1919/20 daher in
Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht als nationale Abwehr gegen
Frankreich formiert. Alle Parteien hatten rasch zu einer Einheitsfront gegen
den politischen und wirtschaftlichen Einfluß Frankreichs an der Saar zusam-
mengefunden, und das politische Denken und das System der saarländischen
Parteien wurden von diesem Ausgangspunkt grundsätzlich und entscheidend
geprägt. Der saarländische Nationalismus erfuhr eine besondere und weit-
gehend einheitliche Ausformung, da er mit bestimmten Faktoren zusammen-
traf. Die prinzipielle Anerkennung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes
wurde die entscheidende Floffnung der Saarländer, die gleichzeitige Ab-
lösung einer patriarchalischen Ordnungsform des sozialen und politischen
Lebens der saarländischen Arbeiterschaft und der Kampf gegen den auto-
kratischen Charakter des internationalen Verwaltungssystems führten dazu,
daß sich der nationale Kampf der Saarländer auf demokratische Vorstel-
lungen berief, und ihr Nationalbewußtsein eine nationaldemokratische Aus-
formung erfuhr1. Im Völkerbund und seinen Idealen, den freiheitlichen Tra-
ditionen Englands und Frankreichs und der internationalen Anerkennung
dieser Ideenwelt wurden die Voraussetzungen zur Verbesserung der Saar-
verhältnisse erblickt. Man forderte vom Völkerbund Schutz gegen die fran-
zösische Saarpolitik der ersten Jahre nach 1919 und einen demokratischen
1 Über den Einfluß der republikanisch-demokratischen Prinzipien für die national-
staatliche Politik nach dem Ersten Weltkrieg vgl. Schied er, Der Nationalstaat in
Europa als historisches Phänomen, S. 20.
318
Ausbau des Saarsystems. Überdies sahen die saarländische Arbeiterschaft,
die Zentrumspartei und vor allem die Sozialdemokratische Partei im Über-
gang zur Republik in Deutschland den großen politischen und sozialen Fort-
schritt, und das Deutschland von Weimar wurde zu einer Art sozialpoliti-
schem Idol. Daneben blieben die Komponenten des traditionellen deutschen
Nationalbewußtsein, nämlich die Verbundenheit mit der deutschen Nation
als völkischer, sprachlicher und kulturell-historischer Einheit, bestehen. Das
zeigte sich etwa in der Schärfe des Kampfes gegen die französischen Doma-
nialschulen und der Abwehr jedes kulturellen französischen Einflusses. Für
die Zentrumspartei des Saargebietes und die Katholiken allgemein wurde,
besonders unter dem Einfluß Bischof Bornewassers, eine theologische Be-
gründung des Nationalbewußtseins entwickelt. Treue zu Volk und Vater-
land erschien als sittlich-religiöse Pflicht. Die Argumente für die praktische
Politik aller saarländischen Parteien wurden jedoch zunächst und vor allem
aus der Begegnung mit den westlichen Vorstellungen gewonnen. Zum Unter-
schied gegenüber der deutschen Entwicklung prägte daher ein positives Ver-
hältnis zu Demokratie, Republik und Völkerbund das politische Leben des
Saargebietes. Diese Ideen wurden um so festerer Bestandteil der politischen
Theorie der saarländischen Parteien, als sich bereits seit 1922 in steigendem
Maße der Erfolg einer Politik auf ihrer Basis abzeichnete. Sekretariat und
Rat des Völkerbundes und die Weltöffentlichkeit schalteten sich besonders
1923 in die Kritik des Saarsystems ein, und der französische Einfluß im
Saargebiet und in der Regierungskommission wurde seither schrittweise
zurückgedrängt. Die saarländischen Parteien gewannen seit der Errichtung
einer Art saarländischen Parlamentes (Landesrat) mit beratender Funktion
im Jahre 1922 einen entscheidenden Anteil an der Mitgestaltung der inner-
saarländischen Verhältnisse. Da die Regierungskommission angesichts der
Kontrolle des Rates, der Kritik der Saarländer und der internationalen
Presse ihre Aufgabe, zum Wohle der Saarländer zu regieren, besonders ernst
nahm und die Saarländer ihre wirtschaftlichen und sozialen Wünsche über-
dies auch beim Völkerbund, der deutschen und französischen Regierung
geltend zu machen wußten, entwickelte sich das Saargebiet zu einem relativ
wohlhabenden Land. Die Funktion des Schutzes der Rechte, des Wohles und
der nationalen Selbstbestimmung der Saarländer, die Wilson dem System
zugedacht hatte, wurde erfüllt. Trotz der anfänglichen Verbiegungen des
Saarstatuts bewährte sich das System im wesentlichen auf der Grundlage
seiner Internationalität und der Ideale der Völkerbundskonzeption. So
waren im Saargebiet sehr früh positive Faktoren des Pariser Vertragswerkes
zum Tragen gekommen; politisch fand das vor allem seinen Ausdruck darin,
daß trotz des alles durchformenden Nationalismus der Saarländer sich
rechtsradikale Parteien im Saargebiet nicht entwickelten und selbst die
Deutschnationale Volkspartei bedeutungslos blieb und sich an der Saar der
demokratischen Ideenwelt stärker annäherte als im Deutschen Reich.
Da das System für die nationale Selbstbestimmung der Saarländer funktio-
nierte, kam es dazu, daß spätestens 1925 für die Weltöffentlichkeit und für
Frankreich klar wurde, daß für die Saarbevölkerung nur eine Option für
319
Deutschland in Frage kam. Damit war die vorgesehene fünfzehnjährige
Dauer des Sonderregimes, von dem Frankreich sich eine Gewinnung der
Saarbevölkerung versprochen hatte, letztlich politisch sinnlos geworden. Das
nationaldemokratische Denken der Saarländer führte zu der konsequenten
Forderung, daß das Saarsystem als politisch und, da die nordfranzösischen
Kohlengruben wiederhergestellt waren, auch als wirtschaftlich überholt zu
liquidieren sei. Die außenpolitische Konzeption der politischen Parteien der
Saar stand deshalb, besonders seit 1926, ganz unter dem Gedanken einer
möglichst baldigen und vorzeitigen Rückgliederung. Mit diesem Programm
stießen die politischen Parteien an entscheidende Grenzen ihres Einflusses
und des bestehenden Systems. Einmal zeigte sich, daß der Rahmen der poli-
tischen Aktivität des Rates und Sekretariats des Völkerbundes in der Saar-
frage nicht über die Vertragsbestimmungen von Versailles hinaus auszu-
weiten war. Im Vertrag war dem Völkerbund das Saargebiet als Verwal-
tungsaufgabe zugewiesen worden, und der Rat konnte nicht ohne Über-
schreitung des Vertrages eine Basis für internationale Verhandlungen über
eine vorzeitige Rückgliederung der Saar gewinnen. Für die Saarländer waren
die im System liegenden Möglichkeiten zu einer erfolgreichen Politik durch
Vorstellungen beim Völkerbund ausgeschöpft. Hinfort knüpften sich ihre
Hoffnungen an die deutsch-französische Verständigungspolitik Briands und
Stresemanns. So ging die politische Aktivität der Parteien bei den Ratsmit-
gliedern in Genf zurück zugunsten einer Zusammenarbeit mit der Deutschen
Reichsregierung. Während jedoch auf der internationalen Ebene des Völker-
bundes bei der Behandlung der Saarfrage ideelle Vorstellungen eine Rolle
gespielt hatten, änderte sich jetzt die Situation grundlegend. In den Bemü-
hungen um eine Bereinigung der Saarfrage durch bilaterale Verhandlungen
mußten die realen Interessen Frankreichs an der Saar wieder eine größere
Bedeutung gewinnen; die Gegensätze zwischen der außenpolitischen Kon-
zeption der Saarländer und der deutschen Revisionspolitik einerseits und
andererseits Briands Politik der Sicherheit und europäischen Solidarität, zu
deren wesentlichem Bestandteil auch der Versailler Vertrag gehörte, mußten
sich in aller Schärfe zeigen. Das Scheitern der Saarverhandlungen des Jah-
res 1929/30 war für die saarländischen Parteien eine große Enttäuschung,
da Frankreich nach ihrer Auffassung sich einer Liquidation eines Unrechts
entzogen hatte und damit eine Friedensordnung aus westlich-demokratischen
Vorstellungen in Frage stellte. So führten die Verhandlungen erneut zu einer
nationalen Erregung an der Saar gegenüber Frankreich und zu der Auffas-
sung, daß man sich in Zukunft vor der Politik französischer Rechtskreise,
die den Status quo zur Behauptung wirtschaftlicher Vorteile Frankreichs
erstrebten, vorsehen müsse. Der einzige Inhalt der saarländischen Politik
blieben hinfort vage Hoffnungen auf eine vorzeitige Rückgliederung, Wei-
terpropagierung einer nationalen Entscheidung im Plebiszit und die Ver-
tretung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Bevölkerung. Die
Zeit der Ausformung der Programme und der großen Erfolge in Genf war
vorbei, man verwuchs immer stärker mit den Konflikten der Spätphase der
Weimarer Republik, es war gegenüber den ersten Jahren des Kampfes und
320
den Jahren der Hoffnungen auf die europäische Verständigungspolitik eine
Zeit der Stagnation und Resignation. Die Weltwirtschaftskrise führte zu
einer weiteren Depression des politischen Lebens, zum Anwachsen des saar-
ländischen Kommunismus und zu einer ersten größeren Aktivität der
NSDAP im Saargebiet.
In diese Situation, die seit dem Scheitern der Saarverhandlungen im Som-
mer 1930 bereits zwei Jahre währte, fiel die Bildung der Regierung Hitler.
Die Bindung der entscheidenden saarländischen Parteien an die demokra-
tische Vorstellungswelt und die Außenpolitik Stresemanns und Brünings
hatte sie den Nationalsozialismus heftig bekämpfen lassen; die neue natio-
nalsozialistische Reichsregierung bedeutete für sie eine tiefe Enttäuschung
und ein Scheitern auch ihrer innenpolitischen Vorstellungen. Dennoch führte
die politische Entwicklung im Jahre 1933 im Saargebiet dazu, daß sich
bereits im Herbst 1933 alle Parteien außer den beiden sozialistischen auf-
lösten. Die Parteien erwiesen bei aller prinzipiellen und traditionellen Ab-
lehnung des Nationalsozialismus, die teilweise auch nach 1933 noch sehr
scharf zum Ausdruck kam, eine erstaunlich geringe Widerstandskraft. Neben
den Tatsachen, daß in den ersten Monaten nach dem 30. Januar 1933 ihre
Opposition durch die Abhängigkeit von den deutschen Mutterparteien und
deren Haltung und durch vielfältige Einflußmöglichkeiten der National-
sozialisten und der NS-Regierung auf das Saargebiet geschwächt wurde,
führt die Betrachtung dieses Prozesses tiefer in die politischen Vorstellungen
der einzelnen Parteien, insbesondere der Zentrumspartei, ein. Zunächst und
vor allem wurde klar, daß die demokratischen Ideen für die bürgerlichen
Parteien und die Zentrumspartei kein selbständiger Bestandteil ihrer Auf-
fassungen waren, sondern daß sie als nationaldemokratische Vorstellungen
auf ihren Kristallisationspunkt, das nationale Selbstbestimmungsrecht und
das Nationalbewußtsein, angewiesen waren. So wurde es allen Parteien,
auch den Sozialdemokraten und den Kommunisten, schwer, die Volks-
abstimmung für die Rückgliederung an Deutschland aus grundsätzlicher
Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus in Frage zu stellen. Das zeigte
sich nicht nur im Verhalten der Parteileitungen, sondern war für die gesamte
Bevölkerung in besonderem Ausmaß der Fall, da ihre politische Aktivität
und der Anteil breiterer Schichten am politischen Leben im Saargebiet in
dem Augenblick eingesetzt hatte, als es um die nationale Frage ging. Alle
Parteien, mit Ausnahme der sozialistischen, sahen zudem die Regierung
Hitler selbstverständlich als legitime Reichsregierung und als Verhandlungs-
partner an. In den zahlreichen Versuchen des Zentrums, eine kritische und
selbständige Stellung gegenüber dem Nationalsozialismus zu wahren, offen-
barte sich, daß die Vorbehalte fast ausnahmslos weltanschaulicher Art
waren. Überdies ließ sich das Zentrum, obwohl es die beherrschende Position
an der Saar besaß, in eigentümlicher Weise durch die nationalsozialistischen
Angriffe auf seine nationale Zuverlässigkeit herausfordern und wies immer
wieder auf seine nationale Vergangenheit wie seinen Willen zur Mitarbeit
hin. Das erweckt den Eindruck, als ob noch nationale und politische Infe-
rioritätsgefühle aus der Zeit der beherrschenden Stellung des Nationallibera-
321
lismus nachwirkten2. Von großer Bedeutung für die Haltung der Katholiken
und der Zentrumspartei war auch die Stellungnahme Bischof Bornewassers.
In dem Dilemma zwischen den weltanschaulichen Vorbehalten gegenüber
dem Nationalsozialismus und dem Willen zur Rückgliederung mußte seine
wiederholte Betonung der Vaterlandsliebe als sittliche Pflicht eine Lösung
des Konflikts zugunsten einer Entscheidung für die Rückgliederung erleich-
tern. Eigentümlich unrealistisch hielten die Vertreter des Zentrums und der
Geistlichkeit in ihrem inneren Zwiespalt die Fiktion aufrecht, daß es sich
um Übergriffe nachgeordneter Stellen handele und daß durch Beschwerden
bei Hitler etwas zu erreichen sei. Diese Fiktion ermöglichte ihnen auch, ihre
Beunruhigungen und ihre Klagen teilweise recht mutig Hitler vorzutragen.
Letztlich war aber entscheidend, daß bei der Problemüberschneidung von
nationaler Entscheidung und Ablehnung des Hitlerregimes die historische
Tradition und die Entwicklung des politischen Denkens der letzten dreizehn
Jahre zunächst und vor allem die nationale Entscheidung nahelegten und
man noch nicht allgemein zu einer Einsicht in das prinzipielle Wesen eines
totalitären Diktatursystems gelangt war.
Die sozialdemokratische Opposition dagegen zeigte seit Herbst 1933 eine
erstaunlich richtige Einschätzung der innenpolitischen und außenpolitischen
Konsequenzen der nationalsozialistischen Herrschaft. Ihrem Einfluß waren
jedoch sehr enge Grenzen gezogen, da sie sich schon vor 1933 auf Grund
ihrer mangelnden politischen Tradition an der Saar und der Gegnerschaft
des Katholizismus als instabil erwiesen hatte und ihre konkreten politischen
und sozialen Zielsetzungen in den Jahren des Sonderregimes der Saar auch
alle einen nationalen Kern besessen hatten. Ihr Versuch, mit Hilfe des Völ-
kerbundes eine Aufschiebung bzw. eine Wiederholung der Abstimmung zu
einem späteren Zeitpunkt zu erreichen, führte zu keinem offiziellen Rats-
beschluß und vermochte daher die Bedenken der Saarländer, daß mit einer
Abstimmung für den Status quo das Saargebiet national für Deutschland
verloren sei, nicht zu zerstreuen.
In dieser letzten Phase der saarländischen Entwicklung erwiesen sich erneut
die positiven Möglichkeiten wie die Grenzen des Saarsystems. Die Regie-
rungskommission und der Rat des Völkerbundes konnten Rechte und Frei-
heiten der Saarbevölkerung und ein freies Plebiszit, diesmal in Abwehr
nationalsozialistischer und damit deutscher Übergriffe, weitgehend schützen,
aber in der Festsetzung des Abstimmungstermins blieb der Rat an den Ver-
sailler Vertrag gebunden.
Das Saargebiet, im Versailler Vertrag auf Grund seiner wirtschaftlichen
Struktur erstmals zu einem Territorium zusammengefaßt, damit eine sehr
junge historische Schöpfung, war in der Zeit des Sonderregimes von 1920
2 Dafür spricht besonders ein Brief, den der Vorsitzende der Zentrumspartei, Rechts-
anwalt Steegmann, am 20. 12. 1930 an Prälat Lauscher als Vorsitzenden der preußi-
schen Landtagsfraktion des Zentrums sandte und in dem er dafür eintrat, daß ein
Katholik preußischer Handeisminister werde, damit die Katholiken im Saargebiet
nach der Rückgliederung nicht wie in der früheren Zeit durch die preußische Berg-
werksverwaltung hintangesetzt würden (Abschrift BA Koblenz, Reichskanzlei R 43/
1/255, vgl. den Brief unten als Anlage 29, S. 419 f.).
322
bis 1935 in beachtlichem Ausmaß zu einer inneren Einheit gelangt und zu
einem Gebiet eigenständiger Prägung geworden. Das Zusammentreffen des
Ausbaus einer Verwaltungseinheit Saargebiet mit dem Beginn der politischen
und standespolitischen Aktivität der saarländischen Arbeiterschaft nach dem
Ersten Weltkrieg und mit dem nationalen Kampf gegen Frankreich ließen
die Bewohner des Gebietes enger zusammenwachsen und ein Zusammen-
gehörigkeitsgefühl entstehen. Da das Sonderregime die Parteien, Standes-
und Wirtschaftsorganisationen in eine ungewöhnliche Betätigung, auch au-
ßenpolitischen Charakters führte, wurde der Prozeß der politischen Reifung
der Bevölkerung beschleunigt. Eine gewisse Divergenz zwischen der Kon-
zentration auf die Probleme eines kleinen, bisher relativ bedeutungslosen
Gebietes und einer heimatlichen Prägung seiner Politiker und jenem großen
politischen Rahmen, in dem die Saarprobleme erörtert wurden, blieb bei
diesem raschen Entwicklungsprozeß bestehen. Das Sonderregime begünstigte
auch eine Bereicherung und Differenzierung des kulturellen und wirtschaft-
lichen Lebens. Die Saarbevölkerung selbst wurde nun zum Träger der gei-
stigen und politischen Entwicklung des Gebietes. Besonders die katholische
Führungsschicht und die Zentrumspartei gewannen einen Einfluß, den sie
vorher nie besessen hatten. Da das Sonderregime nach den ersten Jahren die
Möglichkeit zur Verbindung mit Deutschland bestehen ließ, vollzog sich
dieser Prozeß in engem Kontakt mit dem deutschen Geistesleben und be-
wahrte das Gebiet vor unfruchtbarer kultureller Isolierung. Mit der Ent-
faltung eines eigenständigen saarländischen Lebens wuchs in der Zeit der
Völkerbundsverwaltung allerdings auch das Bewußtsein der Saarländer,
wegen ihrer besonderen Situation Anspruch auf eine sorgsame Berücksichti-
gung ihrer Wünsche zu besitzen. Man war durch die Stellung zwischen
Deutschland und Frankreich daran gewöhnt worden, besondere Förderung
zu erfahren. Der innersaarländische Entwicklungsprozeß unter dem Völ-
kerbundsregime spiegelt bestimmte Erscheinungen, die für eine internatio-
nale Sonderverwaltung an sich, bei allen vielfältigen Abwandlungen auf
Grund jeweilig verschiedener Voraussetzungen, allgemein charakteristisch
sein dürften.
323
Verzeichnis der benutzten Quellen und Literatur
A. Benutzte Archive:
I. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland, Bonn
Bestand: II Besetzte Gebiete: Saargebiet:
Bildung eines Saarausschusses, 2 Bde.
Französische Grubenverwaltung — Besteuerung der französischen Grubenverwaltung,
2 Bde.
Internationale Arbeitsorganisation, 1 Bd.
Politische Angelegenheiten, Bd. 39—42.
Politische Parteien, 15 Bde.
Rückgliederung des Saargebietes, 15 Bde.
Saarbevollmächtigter, 2 Bde.
Saarparlament, 6 Bde.
II. Bayerisches Hauptstaatsarchiv — München
Abt. I: Allgemeines Staatsarchiv
Bestände:
1. Ministerium des Inneren (MInn), Nrn. 47 085—47 097 u. 66 219
2. Kultusministerium (MK), Nrn. 15 570—15 575 u. 15 587
3. 'Wirtschaftsministerium (MW) Nrn. 2268, 8261—8268.
Abt. II: Geheimes Staatsarchiv
Bestand: Staatsministerium des Äußeren, Saargebiet,
Aktenreihen XV a, b u. c: Abwehr, Presse, Vereine, Propaganda.
III. Bistumsarchiv Trier
Bestand: Abteilung 59, Nrn. 39, 40, 41, 42, 43, 48, 49, 50, 51, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 64.
IV. Bundesarchiv Koblenz
Bestände:
1. Reichskanzlei:
R 431 / Nrn. 252, 253, 254, 255, 256, 260, 590, 1019, 1462.
R 43H / Nrn. 133, 174, 175, 293, 1192.
2. Persönliche Adjutantur des Führers: NS 10, Nr. 109.
3. Sammlung Schumacher: Nrn. 207b u. 310.
V. Landesarchiv Saarbrücken
Bestand: Becker-Schneider-Archiv, Privatpapiere R. Becker
Landesrat des Saargebietes, Stenographische Berichte
1922—1934 (hektographiert).
VI. Stadtarchiv Saarbrücken
Bestände: Landesrat des Saargebietes, Stenographische Berichte
1922—1933 (hektographiert)
Protokolle des Stadtrats Saarbrücken.
VII. Archiv der Vereinten Nationen, Genf
Bestand: Société des Nations
Archives des Sections du Secrétariat, Section Politiques, Sarre, Nrn. 54, 55, 56 u. 57.
Beschlüsse der Regierungskommission des Saargebietes.
Commission du Gouvernement de la Sarre, Procès-Verbaux 1920—1935 (hekto-
graphiert).
Dokumentensammlung M. C. enthält die Denkschriften aus dem Saargebiet und die
Begleitbriefe der Regierungskommission, sofern sie nicht im Journal Officiel ver-
öffentlicht sind (hektographiert).
Landesrat des Saargebietes, Sten. Berichte 1922—1934 (hektographiert).
324
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Das Saargebiet unter der Herrschaft des Waffenstillstandsabkommens und des
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Saarbrücken, 1. bis 13. Jg. 1922—1934.
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Die benutzten Aktenstücke des Völkerbundssekretariats (s. oben: VII, 1) Nrn. 54 u. 55
enthalten vor allem Presseausschnitte aus der gesamten Welt über Saarprobleme. Die Hin-
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331
ANHANG
(Statistiken und Quellen)
Anlage 1
Ergebnisse der Landesratswahlen im Saargebiet
in Prozent der gültigen Stimmen
Errechnet nach: Bericht des Statistischen Amtes des Saargebietes, 11. Heft, 1933,
S. 388 f.
1922 1924 1928 1932
Kommunistische Partei 7,5 15,9 16,7 23,1
Kommunistische Partei (Opposition) — — — 1,5
Unabhängige Sozialdemokratische Partei Christlich-Soziale Partei des Saarlandes 1932: 1,4
Arbeiter- und Bauernpartei Deutschlands — — 3,3 1,8
Linke Splitterparteien — — — 1,6
Sozialdemokratische Partei 15,0 18,4 15,6 9,6
Zentrumspartei Deutsch-Demokratische Partei 1932: 47,7 42,8 46,3 43,2
Deutsche Staatspartei Liberale Volkspartei ab 1924: 3,9 1,4 0,6
Deutsch-Saarländische Volkspartei Vereinigung von Hausbesitz u. Landwirtschaft 1928: Deutsche Wirtschaftspartei 1932: 12,8 14,8 9,06 6,6
Deutsche Wirtschaftspartei des Mittelstandes 8,3 4,05 3,2 3,2
Mietervereinigung, Kriegsopfer 2,1 — — —
Deutsch-Nationale Volkspartei — 1,2 3,8 1,6
National-Sozialistische Arbeiterpartei — — — 6,7
Saarländische Arbeitsgemeinschaft (Saarbund) 2,7 335
336
Anlage 2
Verteilung der Mandate im Landesrat des Saargebietes
Nach: Bericht des Statistischen Amtes des Saargebietes, 11. Heft, 1933, S. 388 f.
KP Christi. Soz. Partei des
Saarlandes
1932:
Arbeiter- und Bauern-Partei
Deutschlands
SPD ZP DDP Liberale Vereinigung von Haus-
Volkspartei und Landwirtschaft
ab 1924: 1928:
DSVP Deutsche Wirtschaftspartei
1932:
Deutsche Wirtschaftspartei
des Mittelstandes
DNVP
1922 2
1924 5
1928 5
1932 8
1
o
16
14
14
14
O
O
0
1
o
— = nicht kandidiert
O = nicht genügend Stimmen für ein Mandat
NSDAP
2
Anlage 3
Anteil der Stimmen der NSDAP bei den Wahlen des Jahres 1932
in Prozent der gültigen Stimmen
Errechnet nach: Bericht des Statistischen Amtes des Saargebietes, 11. Heft, 1933,
S. 388 ff.
Landesratswahl Kreistagswahl Gemeinderats-
Kreise wähl
am 13. 3.1932 am 13. 11.1932 am 13. 11.1932
Saarbrücken-Stadt 10,46 — 13,76
Saarbrücken-Land 5,27 7,4 6,3
Ottweiler 5,9 8,9 7,16
Saarlouis 5,3 7,0 4,66
Merzig 2,89 — 0,10
St. Wendel 3,36 4,89 1,95
St. Ingbert 4,6 3,9 1,66
Homburg 18,6 19,3 8,57
zusammen: 6,7 % 7,7 % 6,6 %
Anlage 4
Anteil der Sitze der NSDAP auf Grund der Kreistags- und Kommunal
wählen vom 13. November 1932
Nach: Bericht des Statistischen Amtes des Saargebietes, 11. Heft, 1933, S. 391:
Kreistage Gemeinderäte
Gesamtzahl Sitze der Gesamtzahl Sitze der
der Sitze NSDAP der Sitze NSDAP
Saarbrücken-Stadt — 60 8
Saarbrücken-Land 40 3 929 38
Ottweiler 35 3 687 20
Saarlouis 34 2 1107 29
Merzig 23 — 372 1
St. Wendel 23 1 334 2
St. Ingbert 26 1 407 2
Homburg 25 5 365 17
zusammen: 206 15 4261 117
337
Anlage 5
Programmatische Erklärungen der Landesratsfraktionen
in der ersten Sitzung des Landesrates des Saargebietes am 19. Juli 1922
Landesrat d. Saargeb., Sten. Ber. v. 19. 7. 1922, S. 30—49
Zentrumspartei (Levacher)
„Die Zentrumsfraktion ist nach den Grundsätzen und der Vergangenheit
ihrer Partei eine Fraktion der positiven Mitarbeit. Sie erklärt daher ihre
aufrichtige Bereitwilligkeit, mit der Regierungskommission zum Wohle der
Saarbevölkerung zusammenzuarbeiten, vorausgesetzt, daß die Regierungs-
kommission die ihr vom Völkerbund vorgezeichnete Aufgabe:
,weder eine andere Pflicht, noch ein anderes Interesse
als die Wohlfahrt des Saargebietes zu kennen/
in streng loyaler Weise erfüllt.
Die soeben verlesene Botschaft hat uns trotz ihrer verbindlichen Form ent-
täuscht. Das einzige Positive ist das nochmalige scharfe Hervorheben der
Tatsache, daß der Tätigkeit des Landesrates äußerst enge Grenzen gezogen
sind, die es ihm unmöglich machen, zum Wohle der Saarbevölkerung zu
arbeiten. Die Fraktion erwartet von der Regierung, daß sie sich für eine
baldige Abänderung der Verordnung über die Bildung des Landesrates vom
24. März ds. Js. beim Völkerbundsrat einsetzt, da diese Verordnung unsere
politischen Rechte stärker einschränkt, als es nach dem Vertrag von Ver-
sailles zulässig ist.
Wir verlangen vor allem das Recht der Interpellation, der Beschwerde, der
Initiativanträge und die Unverletzlichkeit der Abgeordneten. Wir verlangen
weiter, daß die Tagesordnung nur mit unserem Einverständnis festgelegt
wird.
Gegen die Ernennung des Präsidenten des Landesrates durch die Regierungs-
kommission protestieren wir entschieden. Wir erkennen darin einen Verstoß
gegen die elementarsten Rechte der Volksvertretung. Mag der Ernannte
unserer Partei auch angehören, so erblicken wir in ihm nur den von der
Regierungskommission ernannten Beamten und behalten uns ihm gegenüber
vollständig freie Hand vor. Den schärfsten Einspruch aber müssen wir
erheben gegen den Artikel 4 der Regierungsverordnung, weil er die nicht im
Saargebiet geborenen abstimmungsberechtigten Saardeutschen von der
Wählbarkeit ausschließt. Der Vertrag von Versailles macht mit einer ein-
zigen, das saarländische Mitglied der Regierungskommission betreffenden
Ausnahme, in rechtlicher Beziehung gar keinen Unterschied zwischen hier
geborenen und nicht hier geborenen Bewohnern des Saargebietes. Bei dieser
Gelegenheit erklären wir feierlich, daß wir vollständig auf dem Boden der
bisherigen Politik unserer Partei stehen, mögen ihre Führer dem hiesigen
Gebiet entstammen oder nicht.
Wir billigen insbesondere die von unserer Partei in Gemeinschaft mit den
anderen deutschen Parteien unternommenen Schritte beim Völkerbunds-
338
rate in Genf. Die von den politischen Parteien in Genf erhobenen Beschwer-
den werden von uns wiederholt und gestützt. Wir verlangen ausdrücklich
ihre Abstellung. Die wesentlichsten dieser Beschwerden fordern:
Die Entfernung des französischen Militärs, Aufhebung der Saareinwohner-
verordnung, die Beseitigung der französischen Schulen in ihrer gegenwärti-
gen Gestalt, Entfernung der fremdländischen Beamten aus der saarlän-
dischen Verwaltung, kurz das völlige Aufgeben der bisherigen Französie-
rungspoiitik-
Die Fraktion erwartet, daß dem christlichen Volksteil seine religiös-kultu-
rellen Güter unangetastet bleiben, und daß allen die Gewissensfreiheit in
jeder Hinsicht gewahrt bleibt.
Sodann verlangt die Fraktion eine ausreichende Unterstützung der Renten-
empfänger aller Art und der sonstigen notleidenden Bevölkerung, Über-
nahme der deutschen sozial- und arbeitsrechtlichen Gesetzgebung, die soziale
Ausgestaltung des Steuerwesens und die Beseitigung des Zentral-Wohnungs-
amtes. Im übrigen gelten für uns die Richtlinien der Zentrumspartei, die in
dem Programm am 11. Juni ds. Js. in der Zentrumspresse veröffentlicht
wurden.
Wenn auch die Fraktion auf dem Boden der durch den Vertrag von Ver-
sailles vorläufig geschaffenen Tatsache steht, so fühlt sie sich doch aufgrund
des nationalen Gemeinschaftsgefühles und der geschichtlichen Vergangenheit
des Saargebietes und Saarvolkes als Glied von Deutschland. Daher wird ihr
neben der Wahrung der kulturellen Güter die Pflege deutscher Sitte und
Kultur, sowie die Erhaltung der Verbindung mit dem Mutterlande beson-
ders angelegen sein.
Land und Leute an der Saar sind seit jeher deutsch. Auch der Versailler Ver-
trag erkennt dies an; sie sollen es ewig bleiben!“
Sozialdemokratische Partei (Dr. Sender)
„Im Namen der Sozialdemokratischen Partei, die alle körperlich und geistig
Schaffenden zur Kampfgemeinschaft für Demokratie und Sozialismus zu-
sammenzufassen strebt, und die für die Selbstbestimmung der Völker im
Rahmen eines gleichmäßig geltenden internationalen Rechtes eintritt, erhebt
die sozialdemokratische Fraktion in der Stunde des Zusammentritts des
Landesrates feierlichen Protest gegen die politische, wirtschaftliche und
kulturelle Vergewaltigung, die die Bevölkerung des Saargebietes unter der
gegenwärtig amtierenden Regierungskommission zu erdulden hat.
Wir sind bereit, auf dem Boden des Versailler Vertrages mitzuarbeiten, aber
wir wehren uns dagegen, daß das deutsche Saargebiet unter offenbarer Ver-
letzung der wenigen Rechte, die ihm das Versailler Diktat gelassen hat, zu
einem Objekt imperialistischer Machterweiterung des französischen Kapi-
talismus gemacht wird.
Wir protestieren dagegen, daß das uns im Versailler Vertrag garantierte
deutsche Recht willkürlich abgeändert wird und fordern insbesondere die
Einführung der deutschen sozialen Gesetzgebung und des Betriebsräte-
gesetzes.
339
Wir protestieren gegen die Verkümmerung des Selbstverwaltungsrechts der
Gemeinden und fordern die Einführung der deutschen kommunalen Gesetz-
gebung.
Wir protestieren gegen die Französierungsbestrebungen in der Schulpolitik
und dagegen, daß die maßgebenden Beamten und Richterstellen mit Aus-
ländern besetzt sind, die zum Teil nicht einmal die deutsche Sprache be-
herrschen.
Wir protestieren gegen die Abschnürung des Saargebietes vom deutschen
Wirtschaftskörper und fordern von der Regierungskommission, sich für eine
Änderung der Zollbestimmungen zu verwenden, weil diese zur Verelendung
des Saargebietes führen.
Wir protestieren gegen die unsoziale Steuergesetzgebung und fordern unter
Befreiung der wirtschaftlich Schwachen starke progressive steuerliche Er-
fassung der großen Vermögen und Einkommen sowie wirksame Maßnah-
men gegen die anwachsende Teuerung.
Wir protestieren gegen die unerhörten Mißstände im Wohnungswesen, die
durch militärische Beschlagnahmung, offene Bevorzugung der französischen
Bergverwaltung und der eingewanderten Ausländer geschaffen sind. Wir
fordern eine soziale Wohnungspolitik, wirksame Maßnahmen gegen die
Wohnungsnot und den um sich greifenden Wohnungswucher.
Wir protestieren gegen die Anwesenheit des französischen Militärs und for-
dern eine örtliche Gendarmerie wie der Versailler Vertrag sie vorsieht.
Wir protestieren gegen die rechtlich unbegründete Schaffung einer Saar-
einwohnerschaft, durch die politische Rechte zugezogenen Ausländern schon
nach Jahresfrist verliehen werden, während altangesessenen deutschen Be-
wohnern des Saargebietes schon nach vorübergehender Abwesenheit ihr
Heimatrecht genommen wird.
Wir protestieren gegen die willkürliche Beschneidung des Coalitions- und
Vereinsrechts und fordern, daß jeder deutsche Staatsbürger jederzeit und
ohne besondere Erlaubnis ins Saargebiet einreisen kann und keinen Aufent-
haltsbeschränkungen unterliegt.
Die sozialdemokratische Fraktion hält unerschütterlich fest an ihrem grund-
sätzlichen Protest gegen das von der Regierung durch ihre Verordnung vom
24. März 1922 in Gestalt des Landesrates geschaffene undemokratische
Scheinparlament, durch das die kulturell hochstehende Saarbevölkerung auf
das Niveau eines unzivilisierten Kolonialvolkes herabgedrückt wird.
Unsere grundsätzliche Forderung ist eine den modernen staatsrechtlichen
Einrichtungen der deutschen Republik entsprechende demokratische Volks-
vertretung, kein bloßes Begutachtungsorgan. Wir fordern parlamentarische
Gesetzgebung und volles Budgetrecht.
Für den Landesrat fordern wir als selbstverständliche Rechte:
Der Landesrat bestimmt selbst Beginn und Ende seiner Tagungen, wählt
selbst seinen Präsidenten und hat das Recht, Initiativanträge und Inter-
pellationen einzureichen und zu behandeln.
Wir protestieren weiter gegen den Ausschluß der hier nicht geborenen Deut-
schen von der Wählbarkeit und fordern die Beseitigung dieser Bestimmung,
340
die einen großen, seit Jahren und Jahrzehnten mit dem Schicksal des Saar-
gebietes verwachsenen Teil der Bevölkerung politisch entrechtet.
Die sozialdemokratische Partei ist in den Landesrat hineingegangen, um der
Stimme des arbeitenden Volkes gegenüber dem autokratischen System an
dieser offiziell dazu berufenen Stelle Gehör zu verschaffen.
Aus diesem System ist im offenen Gegensatz zum Volkswillen eine Anzahl
Verordnungen entstanden, in denen die Bevölkerung eine entwürdigende
Mißachtung ihrer Staatsbürgerrechte erblickt. Die Sozialdemokratie erwar-
tet deshalb von der Regierungskommission, daß sie alle bisher ergangenen
Verordnungen dem Landesrat zur Nachprüfung vorlegt.
Grundsätzlich protestieren wir gegen die Schaffung eines Studienausschusses
als einer undemokratischen Institution, deren Zweck es sein soll, den
Willensausdruck der gewählten Vertreter des Landesrates vor den Augen
der Welt abzuschwächen.
Die sozialdemokratische Fraktion verlangt, daß in einem Gebiet von über
90 % Lohnarbeiterschaft die Interessen der arbeitenden Bevölkerung gegen
die Ausbeutungstendenzen des deutschen sowie des französischen Kapitals
wirksam geschützt werden. Sie wartet zunächst die Handlungen der Re-
gierung ab und kündet ihr bei Mißachtung der erhobenen Forderungen und
einseitiger kapitalistischer Klassenregierung schärfsten Kampf an. Der Klas-
senkampf des Proletariats, der die kapitalistische Wirtschaft überall zu einer
geschichtlichen Notwendigkeit und sittlichen Forderung gemacht hat, ist
doppelt notwendig in einem Gebiet, in dem sich kapitalistische Ausbeutung
mit politischer Vergewaltigung durch Sachwalter eines fremden Kapitalis-
mus paaren.
Unbedingte Voraussetzung für die Mitarbeit der Sozialdemokratie ist fer-
ner, daß von der Regierungskommission jene Wege einer französischen
Annexionspolitik verlassen werden, die bewußt darauf abzielt, das deutsche
Saargebiet innerhalb 15 Jahren wirtschaftlich und kulturell für den An-
schluß an Frankreich reif zu machen. Diese Annexionspolitik bekämpfen wir
nach wie vor, in dem Bewußtsein, daß die kapitalistische Bedrückung eines
nur sein Recht und seine Freiheit verlangenden Volkes die Gefahren neuer
blutiger Konflikte heraufbeschwören muß, die zum völligen Zusammen-
bruch der europäischen Kultur führen würden. Die sozialistische Arbeiter-
schaft aller Länder bitten wir, uns in internationaler Solidarität in unserem
Kampf zu unterstützen. Soll die Völkerdemokratie endlich Wahrheit wer-
den, dann darf der unerträgliche Gewaltzustand im Saargebiet nicht länger
fortbestehen.“
Liberale Volkspartei (Schmelzer)
„Die Botschaft der Regierungskommission klingt aus in der Betonung der
Idee der Völkerversöhnung. Die liberale Volkspartei des Saargebietes unter-
streicht diese Idee der Völker Versöhnung, die dem Wohle einer Grenzbevöl-
kerung, wie wir es hier sind, dient. Diese Idee ist auch das Ideal des Völker-
bundes, des Treuhänders für das Saargebiet. Wir möchten aber nicht die
Gelegenheit Vorbeigehen lassen, auf das ernsteste darauf hinzuweisen, daß
341
dieser Idee im Saargebiet nur gedient werden kann mit der Achtung vor
unserem deutschen Volkstum.
Meine Partei tritt mit gutem Willen an die Aufgaben heran, die dem Wohle
der Bevölkerung dienen sollen, und weil wir der Meinung sind, daß eine
neue Zeit der Zusammenarbeit zwischen Regierung und Bevölkerung be-
ginnen soll, verzichten wir darauf, in eine eingehende Kritik der Verord-
nung über den Landesrat einzutreten. Wir können aber nicht darauf ver-
zichten, doch auf einige Punkte kritisch hinzuweisen, nicht der Kritik wegen,
sondern um den Boden für die künftige Zusammenarbeit vorzubereiten.
Die Verordnung macht einen Unterschied zwischen den Bewohnern des
Saargebietes, die hier geboren sind und denen, die zugewandert sind. Wir
sind der Meinung, daß man, wenn man eine Klassifizierung der Bevölkerung
hätte vornehmen wollen, dann hätte es nur in der Weise geschehen können,
daß man denen, die erst vor kurzer Zeit zugewandert sind, weder aktives
noch passives Wahlrecht gewährt, daß man aber denen, die hier seit langem
ihre Heimat haben, alle Rechte zugestanden hätte. Eine Bevorzugung der
hier Geborenen lehnen wir ab und wir hoffen, daß der Zustand, wie er
jetzt besteht, nur ein vorübergehender sein wird. Wir bemängeln an der
Verordnung auch die Bestimmungen, daß es dem Landesrat verwehrt ist,
seinen Präsidenten zu wählen, seine Tagesordnung festzusetzen, von sich aus
Anträge zu stellen, und daß ihm das Budgetrecht verweigert wird. Eine ge-
wisse Verschärfung dieser Bestimmungen ist noch dadurch geschaffen wor-
den, daß es die Regierungskommission für gut befunden hat, einen Beamten
der Regierung zum Präsidenten zu ernennen. Es liegt uns fern, in eine Kritik
der Person dieses Beamten einzutreten, es muß aber doch darauf hingewiesen
werden, daß ein Beamter der Regierung gegenüber nicht die Freiheit besitzt,
die der Präsident des Landesrates unbedingt haben muß. Wir hoffen, daß
alle diese Beschränkungen nur vorübergehende sein werden.
In ihrer Botschaft, die in höflichen Worten gehalten ist, weist uns die Re-
gierungskommission im wesentlichen auf die Beschränkungen hin, die dem
Landesrat auferlegt sind. Wir hätten diesen Hinweis gern vermißt, um so
mehr, als uns diese Tatsachen durch die Verordnung selbst bekannt sind,
und von der Bevölkerung im höchsten Maße unangenehm empfunden wer-
den. Es wäre uns lieber gewesen, wenn dem Landesrat mehr Positives für
die Zusammenarbeit gezeigt worden wäre. Aber immerhin hat der Herr
Präsident der Regierungskommission beim Empfang der Abgeordneten dar-
auf hingewiesen, daß die Regierungskommission die Verordnung in liberaler
Weise handhaben werde. Wir wissen bestimmt, daß er damit den Wünschen
des Völkerbundrates entgegenkommen wird. Wir nehmen die Worte der
Regierung gern zur Kenntnis und hoffen, daß diesen Worten auch Taten
folgen werden.“
Vereinigung für Hausbesitz und Landwirtschaft (Schmoll)
„Die Vereinigung für Hausbesitz und Landwirtschaft im Saargebiet ergreift
die erste Gelegenheit, in der Öffentlichkeit zu sagen, was sie ist. Das Bild,
342
das über die Vereinigung bisher in der Öffentlichkeit gegeben wurde, ist ein
vollständig falsches. Wir erklären feierlich, daß wir auf deutschem Stand-
punkt stehen und weisen auf das Entschiedenste den Vorwurf zurück, daß
wir der französischen Annexionspolitik Vorschub leisten würden. Wir
lehnen es ab, daß man uns die französische Propaganda an die Rockschöße
hängt, damit haben wir nichts zu tun und würden es uns verbitten, wenn
die französische Propaganda sich künftig in unsere Sache hineinmischen
würde, wie sie das in dem Wahllokal einmal getan hat. Wir haben uns in
der Vereinigung für Hausbesitz und Landwirtschaft zusammengeschlossen
und erfüllen eine vornehme deutsche Pflicht, wenn wir deutschen Grund
und Boden lebensfähig erhalten wollen. (Zwischenruf des Abg. Röchling:
Hört, hört!) Ja Herr Röchling, wenn Sie etwas anderes glauben, dann sind
Sie eben falsch informiert. Wir wollen verhindern, daß es dem Kleingrund-
besitz so geht wie der Großindustrie, die schon mit 60 °/o französischen Ka-
pitals durchsetzt ist oder die Werke mit einer französischen Optiva hat
belasten lassen.
Vorsitzender unterbrechend:
Ich nehme an, daß das Ihre Erklärung ist und Sie nicht nachher noch eine
schriftliche Erklärung verlesen.
Schmoll:
Ich habe keine schriftliche Erklärung bei mir. Das was ich sage, ist meine
Erklärung. Sie sollen vor allem wissen, mit wem Sie es hier zu tun haben.
Wir sind der Ansicht, daß der Grund und Boden des Saargebietes das Kost-
barste ist, was es zu verlieren hat und daß derselbe in deutschen Händen
lebensfähig erhalten werden muß. Der Bevölkerung, die ich zu vertreten
die Ehre habe (unterbrechen Sie mich doch nicht immer, melden Sie sich
nachher zum Wort und antworten Sie mir dann) die Ehre habe, ist deutsch
und will deutsch bleiben, und ich erkläre hiermit, daß wir jede Französie-
rungspolitik ablehnen. Wir stehen auf einwandfreiem deutschem Stand-
punkt, und geben uns nicht dazu her, französische Annexionspolitik zu
treiben. Wir machen es nicht wie andere, die deutschen Grund und Boden
hier an der Saar verkümmern lassen und damit der französischen Propa-
ganda in die Hände arbeiten.“
Deutsch-demokratische Partei (Dr. Scheuer)
„Namens der deutsch-demokratischen Partei gebe ich folgende Erklärung ab:
Mit Genugtuung habe ich aus der Botschaft der Regierungskommission ent-
nommen, daß sie entschlossen ist, mit dem Landesrat zum Wohle der Be-
völkerung zusammen zu arbeiten. Wahrhaftigkeit ist nach meinem Dafür-
halten auch in der Politik unbedingtes Erfordernis. Deshalb halte ich es in
diesem Augenblick, da der Landesrat eröffnet wird, für nötig, meiner Mei-
nung dahin Ausdruck zu geben, daß ein solches gedeihliches Zusammen-
343
arbeiten nur dann möglich sein wird, wenn die Regierungskommission ihre
bisherige Politik von Grund aus ändert, denn die bisherige Politik der Re-
gierungskommission, die im wesentlichen darauf hinausging, das deutsche
Saargebiet von seinem Mutterlande abzutrennen, hat die Bevölkerung des
Saargebietes bitter enttäuscht.
Auch die Verordnung betreffend Gründung des Landesrates hat die Be-
völkerung enttäuscht. Sie hatte erwartet, daß ihr eine Volksvertretung ge-
währt würde, der nicht das wichtigste Recht einer Volksvertretung, nämlich
das Mitbestimmungsrecht fehlt- Die deutsch-demokratische Partei wird nicht
aufhören, auf alle mögliche gesetzliche Weise für eine Volksvertretung 2u
kämpfen, die das Mitbestimmungsrecht, das Budgetbewilligungsrecht, das
Recht der Initiative haben wird, die sich ihren Präsidenten aus ihrer Mitte
wählen wird, die das Recht hat, auf eigenen Wunsch zusammenzutreten,
deren Mitglieder immun sind, und in welcher nicht nur im Saargebiet Ge-
borene, sondern alle Saareinwohner gewählt werden können. Besonders die
Bestimmung, daß nur im Saargebiet Geborene das passive Wahlrecht haben,
hat viel böses Blut gemacht. Diese Bestimmung war ganz sicher durch keine
Vorschrift des Vertrages von Versailles geboten. Auch im übrigen war eine
solche Volksvertretung mit Mitbestimmungsrecht nach Ansicht weiter Kreise
schon nach den jetzigen Bestimmungen des Vertrages von Versailles möglich,
denn nach diesem hat die Regierungskommission das Recht, alle Vertretun-
gen zu berufen, die sie für erforderlich hält. Eine solche Vertretung mit Mit-
bestimmungsrecht ist eben erforderlich. Eine solche Volksvertretung würde
keineswegs den Parlamentarismus bedeuten. Die Regierungskommission
würde nach wie vor dem Völkerbunde verantwortlich sein und nicht der
Volksvertretung gegenüber. Bei Differenzen zwischen der Regierungskom-
mission und der Volksvertretung müßte der Völkerbundsrat entscheiden.
Ist die Schaffung einer solchen Volksvertretung nach dem Vertrag von Ver-
sailles aber nicht möglich, so müßte dieser eben geändert werden. Und die
Regierungskommission müßte, wenn sie demokratischen Grundsätzen hul-
digt und ihr das Wohlergehen der Bevölkerung am Herzen liegt, selbst die
Initiative dazu ergreifen, weil eine solche Volksvertretung der allgemeine
Wunsch der Bevölkerung des Saargebietes ist.
Die deutsch-demokratische Partei hat, ebenso wie die übrigen Parteien,
immer ihre Bereitwilligkeit erklärt, mit der Regierungskommission zusam-
menzuarbeiten. Dieser Bereitwilligkeit gebe ich auch jetzt wieder Ausdruck,
glaube aber nochmals betonen zu müssen, daß eine gedeihliche Zusammen-
arbeit nur dann möglich sein wird, wenn die Regierungskommission ihren
bisherigen Kurs ändert und insbesondere die Gutachten des Landesrates
mehr berücksichtigt, als sie früher die Gutachten der Stadträte und Kreistage
berücksichtigt hat.
Vor allem sollte die Regierungskommission aus dem Ausfall der Wahlen
erkennen, daß die Bevölkerung des Saargebietes deutsch ist und bleiben will.
Dieses Bekenntnis der Bevölkerung zum Deutschtum ist, was ich besonders
betone, kein nationalistischer Chauvinismus, sondern es ist der Ausdruck der
Liebe zur deutschen Heimat und zum deutschen Volke, es ist das Gefühl der
344
Gemeinsamkeit des Gewordenseins und der Gemeinsamkeit der jetzt und
künftig zu bestehenden Not. Eine Regierung, die das Wohl der Bevölkerung
will, darf solche Gefühle, die keinen anderen als einen idealen Grund haben,
nicht mißachten.“
Kommunistische Partei (Helfgen)
„Ich habe namens meiner Fraktion folgende Erklärung zur Verlesung zu
bringen:
Die Regierungskommission ist aufgrund des Versailler Machtfriedens durch
den Völkerbund, einer Vertretung kapitalistischer Staaten, als Sachwalterin
über das Saargebiet eingesetzt worden.
Als solche hat sie die Aufgabe, die Interessen der französischen Bourgeoisie,
der das Saargebiet auf 15 Jahre zur Ausbeutung überlassen ist, wahrzu-
nehmen. In Erfüllung dieser Aufgabe, muß die Regierungskommission gegen
die Interessen der arbeitenden Klasse, die den größten Teil der Bevölkerung
des Saargebietes ausmacht, naturnotwendig verstoßen.
Im Laufe ihrer bisherigen Tätigkeit hat die Regierungskommission unter
Mißachtung ihres so oft gegebenen Versprechens, „loyal“ mit der Bevölke-
rung Zusammenarbeiten zu wollen, fortgesetzt gegen die Interessen der
arbeitenden Bevölkerung verstoßen.
Sie hat, entgegen dem Wortlaut des Versailler Friedensvertrages die Begut-
achtung der Gesetze und Verordnungen durch die von der Bevölkerung
gewählten Vertreter nicht beachtet, sie hat vielmehr in ihrem 11. periodi-
schen Bericht an den Völkerbund, den gewählten Vertretern die Befähigung
zur Begutachtung abgesprochen.
Die Forderungen der Gewerkschaften sind von ihr, trotzdem diese nur das
Minimum dessen sind, was die Arbeiterklasse zu ihrer Erhaltung vom Staate
zu fordern hat, vollständig unberücksichtigt geblieben.
Das Treiben unverantwortlicher Elemente, deren Bestreben auf die Zer-
störung der wirtschaftlichen Organisationen der Arbeiterschaft und auf eine
Stärkung der Annexionspropaganda zugunsten Frankreichs hinauslaufen,
findet die stillschweigende Duldung der Regierungskommission.
Die Anwesenheit des französischen Militärs im Saargebiet, die im Gegensatz
zum Wortlaut des Friedensvertrages steht, bedeutet eine ständige Bedrohung
der Arbeiterklasse.
Die Einführung des Lohnsteuersystems, die Kohlen- und Umsatzsteuer sind
eine unerträgliche Belastung der arbeitenden Bevölkerung.
Die bestehenden Steuergesetze gestatten dagegen der besitzenden Klasse, die
Steuern auf die Schultern der arbeitenden Bevölkerung abzuwälzen und sich
so ihrer Verpflichtung dem Staate gegenüber zu entziehen.
Die werktätige Bevölkerung leidet unter der herrschenden Bevölkerung und
unter dem sich im Saargebiet besonders breitmachenden Wucher doppelt
schwer.
Die Regierungskommission hat bisher nichts getan, um die Teuerung und
den Wucher zu bekämpfen.
345
Die beabsichtigten Massenentlassungen im Bergbau und bei der Eisenbahn
sind eine Bedrohung der gesamten werktätigen Bevölkerung des Saargebie-
tes. Die Regierungskommission, deren Schutz die gesamte Bevölkerung im
Saargebiet anvertraut ist, hat durch keinerlei Maßnahmen versucht, diese
Gefahr von der Arbeiterschaft abzuwenden.
Die Maßnahmen der Regierungskommission sind der Ausfluß ihres Klassen-
charakters. Die Schaffung des Landesrates bedeutet nichts weiter als einen
Versuch, die werktätige Bevölkerung des Saargebietes über den wahren
Charakter der Regierungskommission zu täuschen.
Die Schaffung des Begriffes „Saareinwohner“, die Bestimmung, daß nur im
Saargebiet geborene Personen zum Landesrat wählbar sind, sind Maßnah-
men, die sich ausschließlich gegen die Arbeiterklasse richten.
Die Nichtgewährung der Immunität der Abgeordneten, die Tatsache, daß
der Landesrat nur die von der Regierungskommission geschaffenen Gesetze
begutachten darf, sonst aber keinerlei Einfluß auf den Inhalt und auf die
Durchführung der Gesetze hat, sind weiter ein Beweis dafür, daß das Ver-
halten der Regierungskommission diktiert wird von dem Klasseninteresse
der französischen Bourgeoisie. Durch diese feststehenden Tatsachen wird der
Landesrat zu einer Parlamentskomödie und zu einem Betrug an der werk-
tätigen Bevölkerung des Saargebietes. Die politische Rechtlosigkeit der Be-
völkerung bleibt nach wie vor bestehen.
Aber nicht nur politisch, sondern auch auf wirtschaftlichem Gebiet ist die
werktätige Bevölkerung des Saargebietes vollständig entrechtet. Sie ist der
Willkür eines brutalen Unternehmertums ausgeliefert. Der Ausbeutung sind
keine Schranken gesetzt, die soziale Gesetzgebung versagt vollkommen. Die
soziale Fürsorge, so mangelhaft sie selbst in Deutschland ist, versagt durch
das Bestreben der Regierungskommission, dieselbe von der des deutschen
Reiches loszulösen, fast vollständig- Die soziale Not der Saarbevölkerung
äußert sich zu einem großen Teil in der Wohnungsnot, zu der die Anwesen-
heit des französischen Militärs besonders beiträgt.
Die kommunistischen Abgeordneten des Landesrates fordern von der Re-
gierungskommission zur Beseitigung dieser, die soziale Lage der werktätigen
Bevölkerung aufs äußerste gefährdenden Mißstände:
1. Aufhebung der Lohn-, Kohlen- und Umsatzsteuer, steuerliche Erfas-
sung des Besitzes.
2. Gesetzliche Maßnahmen gegen Teuerung, Wucher und Schleichhandel.
3. Nachprüfung durch den Landesrat aller Maßnahmen der Regierung, die
Massenentlassungen im Bergbau und im Eisenbahnbetrieb zur Folge
haben. Bis zur Entscheidung des Landesrates Aufhebung der bereits er-
folgten Kündigungen.
4. Die gesetzliche Festlegung des Achtstundentages, gesetzliche Einführung
der Betriebsräte mit mindestens denselben Rechten, wie die der Betriebs-
räte in Deutschland.
5. Gesetzliche Festlegung des Mitbestimmungsrechtes der Betriebsräte bei
Einstellung und Entlassung von Arbeitern und die Kontrolle der Pro-
duktion durch die Betriebsräte.
346
6. Ausbau der sozialen Gesetzgebung und der sozialen Fürsorge.
7. Zur Hebung der Wohnungsnot umfassende Maßnahmen.
8. Die Entfernung des französischen Militärs.
Die kommunistischen Abgeordneten des Landesrates sind sich bewußt, daß
die Regierungskommission der Durchführung dieser Forderungen den hef-
tigsten Widerstand entgegensetzen wird und daß die Forderungen, welche
die Mindestforderungen der werktätigen Bevölkerung sind, nur durch-
geführt werden, wenn die gesamte Arbeiterklasse des Saargebietes sich mit
allem Nachdruck hinter dieselben stellt.
Die kommunistischen Abgeordneten, als die von dem klassenbewußten Teil
der Arbeiterschaft in den Landesrat gesandten Vertreter sagen der Regie-
rungskommisison und der hinter ihr stehenden Bourgeoisie den schärfsten
Kampf an.
Die Bestimmung des Versailler Friedensvertrages, die Maßnahmen des Völ-
kerbundes und der Regierungskommission können die Vertreter der arbei-
tenden Bevölkerung in ihrer Haltung nicht beeinflussen. Der Versailler
Friedensvertrag bildet in seiner Gesamtheit einen Vertrag zwischen kapita-
listischen Staaten und ist zugleich ein Anschlag auf die gesamte Arbeiter-
klasse der Welt.
In gemeinsamer Front mit der internationalen Arbeiterschaft wird der
klassenbewußte Teil der Saararbeiter gegen den Versailler Machtfrieden zu
kämpfen wissen.“
Anlage 6
Petitionen und Denkschriften der politischen Parteien und Standes- bzw.
Wirtschaftsorganisationen an den Völkerbund
(Die Zusammenstellung berücksichtigt die Petitionen von Einzelpersönlichkeiten
und wegen persönlicher Angelegenheiten nur, wenn sie von politischer Bedeu-
tung waren. Eine Zusammenstellung sämtlicher Eingaben der Saarbevölkerung
von 1920 bis 1927 enthält C. Groten, Die Kontrolle des Völkerbundes über die
Tätigkeit der Regierungskommission, S. 65 ff. Die Denkschriften C. 10. M. 39.
1922. I. u. C. 413. M. 152. 1924. I. sind abgedruckt in Grabowsky-Sante, a.a. O.,
S. 379 ff.)
347
u>
00
Von politischen Parteien
Von parteiähnlichen Organisationen
bzw. von Parteien und anderen
Organisationen gemeinsam
Von Standes- bzw.
Wirtschaftsorganisationen
Jahr 1920
Juli 1920; D.C.O. 2.20/4/208
Vertreter der politischen Parteien
Eingabe: Protest gegen die Ernennung
ausländischer, insbesondere französi-
scher Beamten
(abgedruckt in: Deutsches Weißbuch,
S. 183 ff.)
Jahr 1921
Sept. 1921; C. 394. M. 278.1921.1
Delegation der Bewohner des Saar-
gebietes:
Vertreter der Wirtschaft, der politi-
schen Parteien, der Gewerkschaften
Denkschrift über das Saargebiet
6. April 1920; D.C.O. 1.20/4/115
Saarbrücker Anwaltsverein
Denkschrift: Die staatsrechtlichen
Grundlagen der im Saargebiet einzu-
führenden Verwaltungsordnung
3. Sept. 1920; D.C.O. 2. B. 20/4/260
Verschiedene Beamtenverbände
Eingabe betr. Beamtenstatut des
Saargebietes
September 1921; 910.33 D. 39
Vereinigung zum Schutze der gemein-
samen wirtschaftlichen Interessen im
Saargebiet und Handelskammer Saar-
brücken
Denkschrift über die wirtschaftliche
Not des Saargebietes
7. Okt. 1921; C. 410. M. 288.1921.1
Einige Arbeitergewerkschaften des
Saargebietes
Telegramm: Protest gegen die Saar-
delegation
8. Okt. 1921; C. 412. M. 290.1921.1
Einige Arbeiterorganisationen des
Saargebietes
Resolution: Forderungen der Arbeiter-
schaft
9. Nov. bzw. 15. Nov 1921;
C. 11. M. 40. 1922. I
Kreistag Saarbrücken-Land, Stadtrat
Saarbrücken, Kreistag Ottweiler
Resolution gegen die Verletzung des
freien Selbstbestimmungsrechtes der
Saarbevölkerung bzw. gegen die Miß-
achtung der Wünsche der Saarbevöl-
kerung durch die Regierungskommis-
sion und Bitte um deren Abberufung
Dezember 1921; C. 10. M. 39.1922.1 Dezember 1921; C. 30. M. 501922.1
Politische Parteien: DDP, DNVP, Politische Parteien: USP, KP;
LibVP, SP und ZP Gewerkschaften
Denkschrift über die politische Lage Denkschrift über die Verwaltung des
im Saargebiet Saargebietes
(abgedruckt in: Grabowsky-Sante,
a. a. O., S. 379 ff.)
350
Von politischen Parteien Von parteiähnlichen Organisationen Von Standes- bzw. bzw. von Parteien und anderen Wirtschaftsorganisationen Organisationen gemeinsam
18. März 1922;C.191.M. 105.1922.1 5. D.N. J.O. III, 5 (1922), S. 457f. Politische Parteien: DDP, DNVP, LibVP, SP, ZP Resolution wegen der Einrichtung einer Volksvertretung 6. April 1922;C. 236. M. 132.1922.1 Politische Parteien: DDP, DNVP, LibVP, SP, ZP Denkschrift: Beschwerden und Forde- rungen der Saarbevölkerung 18. Juli 1922; C. 491. M. 308.1922.1 Politische Parteien und ihre Fraktio- nen: ZP, SP, LibVP, DDP, DNVP Eingabe gegen Wiederernennung Dr. Hectors und Bitte, das saarländische Mitglied der Regierungskommission aus allgemeinen Wahlen hervorgehen zu lassen Jahr 1922
Sept. 1922;C. 642. M. 382.1922.1
Politische Parteien: DDP, DNVP,
LibVP, SP, ZP
Denkschrift betr. Dr. Hector, Mit-
glied der Regierungskommission des
Saargebietes
29. Dez. 1922; C. 21. M. 10.1923.1
Fraktionen des Landesrats: ZP,
LibVP, SP, KP, DDP
Denkschrift: Das französische Militär
im Saargebiet
u>
Cn
4. August 1922; C. 542. M. 327.1922.1
Landwirtschaftskammer des
Saargebietes
15. Aug. 1922; C. 607. M. 350.1922.1
24 Landwirte
30. Aug. 1922; C. 609. M. 351.1922.1
Freie Bauernschaft
3 Eingaben wegen der Wieder-
ernennung Dr. Hectors
29. Sept. 1922; C. 740. M. 450.1922.1
Verband der Saarpresse und Vereini-
gung Rhein. Zeitungsverleger,
Abt. Saarbrücken
Petition: Die Lage der Presse im Saar-
gebiet und das Aufenthaltsverbot
zweier Redakteure der „Volksstimme“
352
Von politischen Parteien Von parteiähnlichen Organisationen bzw. von Parteien und anderen Organisationen gemeinsam Von Standes- bzw. Wirtschaftsorganisationen
Jahr 1923 18. Januar 1923; C. 76. M. 31.1923.1 Politische Parteien und Landesrats- fraktionen: DDP, DNVP, LibVP, VSP, ZP Denkschrift gegen Berghauptmann Frantzen und die französischen Beamten in der Saarverwaltung 13.Märzl923;C. 231. M. 131.1923.1 Fraktionen des Landesrates: ZP, VSP, LibVP, DDP Denkschrift: Offizielle Anhörung des Landesrates seitens des Völkerbunds- rates 13.März 1923;C. 233. M. 133.1923.1 Fraktionen des Landesrates: DDP, LibVP, SP, ZP Denkschrift: Der Fall Hector und seine Konsequenzen 15. Januar 1923; C. 163. M. 87.1923.1 Freie Bauernschaft Eingabe: Die Not der Landwirte im Saargebiet
15. März 1923; C. 267. M. 146.1923.1
Fraktionen des Landesrates: ZP, VSP,
LibVP, DDP
Denkschrift: Forderung auf Entfer-
nung des französischen Militärs
24.März 1923; C. 266. M. 145.1923.1
Fraktionen des Landesrates: ZP,
LibVP, VSP, DDP
Denkschrift: Notverordnung vom
7. März 1923
u»
Ln
LO
29. März 1923; C. 266. M. 145.1923.1
Verband der Saarpresse
Eingabe wegen Notverordnung vom
7. März 1923
9. April 1923;C.331.M. 156.1923.1
Arbeiterorganisationen
Eingabe wegen der Verdrängung von
Arbeitern aus den Wohnungen der
franz. Grubenverwaltung
11. April 1923; C. 330. M. 155.1923.1
Verband der Saarpresse
Eingabe wegen Zeitungsverboten
12. April 1923; C. 329.1923.1
Vertrauensleute der kath. Vereine der
Pfarrei Saarbrücken-Malstatt
Resolution: Haussuchung bei Pfarrer
Bungarten und betr. der Notverord-
nung vom 7. März 1923
354
Von politischen Parteien Von parteiähnlichen Organisationen Von Standes- bzw. bzw. von Parteien und anderen Wirtschaftsorganisationen Organisationen gemeinsam
14.Mail923;C.434.M. 190.1923.1 Politische Parteien und Fraktionen des Landesrats: DDP, LibVP, SP, ZP Denkschrift: Protest gegen die Ver- ordnung der Regierungskommission des Saargebietes vom 2. Mai 1923 (Änderung des § 152 der Gewerbe- ordnung sog. Streikpostenverordnung) 24. Mai 1923;C. 498. M. 211.1923.1 Vereinigung der Haus- und Grund- besitzer Eingabe: Mietgesetzgebung im Saar- gebiet
2. Juni 1923;C. 395. M. 185.1923.1 Politische Parteien und Fraktionen des Landesrats: ZP, VSP, LibVP, DDP Denkschrift: Der Geist des Saarstatuts und die Praxis der Regierungskom- mission
355
8. Junil923;C. 421.1923.1
Fraktionen des Landesrats: ZP,
LibVP, SP, DDP
Denkschrift: Internierung des Landes-
ratsabgeordneten Dr. Röchling
6. Juli 1923; C. 476.1923.1
Fraktionen des Landesrats: ZP, SP,
LibVP, DDP
Telegramm wegen Aufhebung der
wirtschaftlichen Beziehungen zu
Deutschland 25
25. Aug. 1923; C. 597. M. 228.1923.1
Fraktionen des Landesrats: ZP,
LibVP, SP, DDP
Denkschrift: Notlage der Pensionäre,
Kriegsbeschädigten und Ruhestands-
beamten im Saargebiet
27. Juni 1923;C. 463. M. 194.1923.1
Verband der Saarpresse
Brief und Telegramm wegen der
Ersatz-Notverordnung vom
18. Juni 1923
356
Von politischen Parteien
Von parteiähnlichen Organisationen
bzw. von Parteien und anderen
Organisationen gemeinsam
Von Standes- bzw.
Wirtschaftsorganisationen
2. Nov. 1923; C. 715. M. 291.1923.1
Einheitsverband der Kriegsbeschädig-
ten des Saargebietes
Eingabe: Not der Kriegsbeschädigten
5. Nov. 1923 ;C. 754. M. 300.1923.1
Fraktionen des Landesrats: ZP,
LibVP, DDP
Denkschrift: Durchreise von Saarein-
wohnern durch das besetzte Gebiet
Deutschlands
24. Nov. 1923;C. 755. M. 301.1923.1
Fraktionen des Landesrats: ZP,
LibVP, DDP
Denkschrift: Die ausschlaggebende
französische Machtstellung in der Re-
gierungskommission des Saargebietes
30.Nov.l923;C.754.M.300.1923.1
Politische Parteien: DDP, LibVP, ZP
Gutachten (von den genannten Par-
teien bei englischen Rechtsgelehrten
und Professoren eingeholt) in Sachen
des freien Durchgangsrechtes für Saar-
einwohner und saarländische Waren
durch die besetzten Gebiete Deutsch-
lands
l.Dez. 1923;C. 803. M. 302.1923.1
Vereinigte Sozialdemokratische Partei
Denkschrift wegen der ausschlag-
gebenden franz. Machtstellung in der
Regierungskommission des Saargebie-
tes
15. Febr. 1924; C. 75. M. 25.1924.1
Politische Parteien: ZP, SP, DSVP
Denkschrift: Wahl des saarländischen
Mitgliedes der Regierungskommission
des Saargebietes und die Anhörung
der gewählten Vertreter der Bevölke-
rung vor dem Hohen Rat des Völker-
bundes
Jahr 1924
10. Febr. 1924; C. 75. M. 25.1924.1
Dechant Subtil im Namen der übrigen
Dechanten des Saargebietes
Schreiben mit der Bitte, der Völker-
bund möge als Mitglied der Regie-
rungskommission für Kultuswesen
einen Katholiken ernennen
358
Von politischen Parteien Von parteiähnlichen Organisationen Von Standes- bzw. bzw. von Parteien und anderen Wirtschaftsorganisationen Organisationen gemeinsam
29. Febr. 1924; C. 126. M. 36.1924.1 Fraktionen des Landesrats: ZP, SP, DSVP Denkschrift: Die Auswirkung der Frankenentwertung auf das Wirt- schaftsleben des Saargebietes 28. März 1924;C. 191. M. 58.1924.1 Stadtrat Saarbrücken Denkschrift wegen Nichtbestätigung der gewählten Beigeordneten und Mit- glieder der Schulkommission 11. Julil924;C.355.M. 122.1924.1 Saarbund (profranzösisch) Eingabe wegen der Disziplinarmaß- nahmen, die von der Zentralkommis- sion des preuß. Landtages gegen seine Mitglieder vorgeschlagen worden seien 6. Aug. 1924; C. 414. M. 153.1924.1 Fraktionen des Landesrates: ZP, SP, DSVP
Denkschrift: Zwecklosigkeit, Rechts-
widrigkeit und Übergriffe des franz.
Militärs im Saargebiet
9. Aug.l924;C. 413. M. 152.1924.1
Fraktionen des Landesrates: ZP, SP,
DSVP
Denkschrift: Die mißbräuchliche Aus-
beutung des Saargebietes durch Frank-
reich
(abgedruckt in: Grabowsky-Sante,
a. a. O., S. 384 ff.)
lO.Nov. 1924; C. 798 (1) M. 267.
1924.1
Vereinigung der Haus- und Grund-
besitzer
Eingabe wegen der Wohnungsgesetz-
gebung im Saarland
25.Aug.l924;C.474.M. 177.1924.1
Vorsitzende der Vereinigung der
evang. Frauenvereine des Saargebietes
Eingabe wegen der Unterrichts-
verhältnisse
August 1924; C. 417. M. 156.1924.1
Verband Deutscher Eisenbahner,
Abteilung Saargebiet
Eingabe wegen der Löhne und
Gehälter
360
Von politischen Parteien
Von parteiähnlichen Organisationen
bzw. von Parteien und anderen
Organisationen gemeinsam
Von Standes- bzw.
Wirtschaftsorganisationen
4.Dez. 1924; C. 799. M. 268.1924.1
Vereinigung zur Wahrung der wirt-
schaftlichen Interessen im Saargebiet
Petition: Zulassung einer saarländi-
schen Delegation zu den deutsch-frz.
Handelsvertragsverhandlungen
Jahr 1925
5. Jan. 1925;C. 79. M. 40.1925.1
Vereinigung der Opfer von Betriebs-
unfällen in Völklingen
Eingabe wegen des Unfallversiche-
rungssystems im Saargebiet
10. Jan. 1925; C. 50. M. 27.1925.1
Landesratsfraktionen: ZP, DSVP
Denkschrift: Mißbräuche und Miß-
stände in der Verwaltung des Saar-
gebietes
16. Febr. 1925; C. 116. M. 56.1925.1
Landesratsfraktionen: ZP, DSVP
Denkschrift: Die unhaltbare zoll-
politische Lage des Saargebietes
20. Febr. 1925; C. 128. M. 57.1925.1
Landesratsfraktionen: ZP, DSVP
Denkschrift: Die beabsichtigte Wäh-
rungsverschlechterung im Saargebiet
Febr. 1925; C. 173. (1). M. 59.1925.1
Sozialdemokratische Partei und
Landesratsfraktion SP
Denkschrift: Ernennung der Mitglie-
der und des Präsidenten der Regie-
rungskommission des Saargebietes
11.März 1925;C.236.M. 89.1925.1
Vorsitzender des Kreisausschusses
Ottweiler
Eingabe mit Resolution des Kreistages
Ottweiler: Die wirtschaftliche Lage
der Saarbevölkerung, die Gefährdung
von Ortschaften durch Grubenschäden
und die vorgesehene Währungsver-
änderung
u>
30. Juni 1925; C. 412. M. 148.1925.1
Verband der Saarpresse
Eingabe betr. die Pressefreiheit im
Saargebiet
362
Von politischen Parteien Von parteiähnlichen Organisationen Von Standes- bzw. bzw. von Parteien und anderen Wirtschaftsorganisationen Organisationen gemeinsam
5. Sept. 1925; C. 605. M. 193.1925.1 Landesratsfraktionen: ZP, DSVP Denkschrift: Die Sozialversicherung des Saargebietes 22.Aug.l925;C.534.M. 184.1925.1 Vereinigung der höheren Beamten des Saarlandes Denkschrift über die ungünstige finan- zielle Lage der von dem Deutschen Reich, Preußen und Bayern in die Dienste der Saarregierung beurlaub- ten Beamten 25. Aug. 1925; C. 534.M. 184.1925.1 Beamtenschaft des Saargebietes Denkschrift über die ungünstige Lage der vom Deutschen Reich, Preußen und Bayern in den Dienst der Saar- regierung beurlaubten Beamten 5.Sept. 1925;C. 605. M. 193.1925.1 Verschiedene Gewerkschaften Denkschrift wegen der Sozialversiche- rung und Arbeitsgesetzgebung im Saargebiet
363
Jahr 1926
Februar 1926;C. 124.M. 53.1926.1
Sozialdemokratische Partei und
Fraktion der SP
Denkschrift: Die Verwaltung des
Saargebietes
31. Mai 1926; C. 361. M. 128.1926.1
Fraktionen des Landesrats: ZP, DSVP
Denkschrift: Entfernung des franz.
Militärs aus dem Saargebiet
28. Juli 1926; C. 519. M. 199.1926.1
Handelskammer und Vereinigung zur
Wahrung der gemeinsamen wirtschaft-
lichen Interessen des Saargebietes
Resolution wegen der Währung im
Saargebiet
11. Aug. 1926; C. 520. M. 200.1926.1
Landesratsfraktionen: ZP, DSVP
Denkschrift: Die franz. Mehrheit der
Regierungskommission — ein Schaden
für das Saargebiet
Sept. 1926; C. 587. M. 224.1926.1
Vereinigung der Haus- und Grund-
besitzer
Eingabe wegen der Wohnungsgesetz-
gebung im Saargebiet
364
Von politischen Parteien
Von parteiähnlichen Organisationen
bzw. von Parteien und anderen
Organisationen gemeinsam
Von Standes- bzw.
Wirtschaftsorganisationen
3. März 1927; C. 183. M. 61.1927.1
Stadtrat Saarbrücken
Eingabe: Die Wohnungskrise, die Frei-
gabe der Kasernen und die Benutzung
des Saarbrücker Schießplatzes durch
franz. Militär
Jahr 1927
19. April 1927;C.286. M. 105.1927.1
Beamtenbund des Saargebietes
Eingabe wegen der Lage der Beamten
im Saargebiet
August 1927; C.469. M. 163.1927.1
Verschiedene Gewerkschaften
Telegramm wegen der Feierschichten
auf den Gruben des Saargebietes
Jahr 1929
Febr. 1929; C. 233. M. 82.1929.1
Sept. 1929; C. 515. M. 174.1929.1
Nov. 1929; C. 576. M. 221.1929.1
Verband der saarländischen Gruben-
beamten
3 Petitionen betr. Diffamierung durch
die saarländische Presse, Bitte um Hin-
zuziehung zu den deutsch-franz. Ver-
handlungen wegen der Rückgabe der
Kohlengruben
365
17. Nov. 1932; C. 839. M. 389.1932.1
Gemeinderat Dudweiler — ZP,
DSVP, DNVP, SP
Petition wegen der Steuerpolitik der
Regierungskommission, der Arbeits-
losenunterstützung und eines Arbeits-
beschaffungsprogrammes
Jahr 1930
5.Junil930;C.358.M. 150.1930.1
Vereinigung Sozialversicherter
Pensionäre
Revision und Ausbau der Sozialgesetz-
gebung der Regierungskommission
Jahr 1932
Jahr 1933
7. Juli 1933; C. 455. M. 232.1933.1
S.D.N. J.O. XIV, 10 (1933) S. 1139
Verband der Saarpresse
Petition wegen der Verordnung der
Regierungskommission vom 20. Mai
1933
366
Von politischen Parteien Von parteiähnlichen Organisationen Von Standes- bzw. bzw. von Parteien und anderen Wirtschaftsorganisationen Organisationen gemeinsam
16. Sept. 1933; C. 549. M. 264.1933.1 S.D.N. J.O. XV, 1, S. 53—56 Sozialdemokratische Partei des Saar- gebietes Petition wegen des Terrors der NSDAP ll.Aug.l933;C.485.M. 248.1933.1 S.D.N. J.O. XV, 1 (1934), S. 47—50 Verein der deutschen Zeitungsverleger, Bezirksverein Saar, Verein der Saar- presse e. V., Vereinigung der Redak- teure des Saargebietes Eingabe gegen die Zeitungsverbote der Regierungskommission
30. Sept. 1933; C. 623. M. 295. 1933.
VII
S.D.N. J.O. XV, 1, S. 50—52
Verein der Saarpresse e. V.
Petition gegen die Verordnung der Re-
gierungskommission vom 17. Juli 1933
18. Dez. 1933;C.46.M. 15.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 3 (1934), S. 307—313
Landesratsfraktion der Deutschen
Front
Petition gegen die Verordnungen und
Maßnahmen der Regierungskommis-
sion zur Aufrechterhaltung der öffent-
lichen Ordnung
30. Dez. 1933; C. 62. M. 20.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 3 (1934),
S. 321—325
Partei Deutsche Front,
Landesratsfraktion Deutsche Front,
Deutsche Gewerkschaftsfront
Petition wegen der Maßnahmen der
Regierungskommission
Jahr 1934
CO
m
15.Nov. 1933;C.44.M. 14.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 3, S. 297—302
Industrie- und Fiandelskammer
Saarbrücken
Petition wegen der Verordnung der
Regierungskommission vom 15. No-
vember 1933
5. Jan. 1934; C. 56. M. 18.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 3 (1934),
S. 317—320
Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung
saarländischer Interessen und
Saarländische Wirtschaftsvereinigung
Petition wegen der Tätigkeit der
Nationalsozialisten im Saargebiet
00
Von politischen Parteien
Von parteiähnlichen Organisationen
bzw. von Parteien und anderen
Organisationen gemeinsam
Von Standes- bzw.
Wirtschaftsorganisationen
6. Jan. 1934;C. 70. M. 21.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 3 (1934),
S. 326—334
Saarländische Freiheitsfront und
Sozialdemokratische Partei
(Landesratsfraktion)
Petition wegen der Terrorakte und
Bitte um Aufschiebung der Abstim-
mung
13. Jan. 1934; C. 78. M. 23.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 3 (1934),
S. 313—316
Deutsche Front (Landesratsfraktion)
Eingabe wegen der Maßnahmen der
Regierungskommission
19. Febr. 1934; C. 121. M. 44.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 4 (1934),
S. 406—408
Saarländische Wirtschaftsvereinigung
Petition wegen der Terrorakte der
Nationalsozialisten
ll.Mai 1934; C. 216. M. 84.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 8 (1934),
S. 979—981
Deutsche Front
Petition: Stellungnahme gegen fremde
Truppen für das Saargebiet
1. Juni 1934; C. 323.1934. VII
Delegation „Freiheitsaktion Saar“
(Kommunisten) in Genf
^ Erklärung: Protest gegen Saar-
0 Situation
5.Mai 1934;C. 213. M. 81.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 5 (1934), S. 456
Industrie- und Handelskammer
Petition wegen der Verordnung der
Regierungskommission gegen die
Handelskammer
15.Mai 1934; C. 219.M. 87.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 8 (1934), S. 982 f.
Verschiedene Industrie- und Handels-
organisationen
Petition gegen die Aufschiebung der
Abstimmung
24. Mai 1934; C. 281. M. 121.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 8 (1934), S. 985 f.
Trutzbund für wirtschaftliche
Gerechtigkeit
Petition wegen Hypothekenkündi-
gungen im Saargebiet
370
Von politischen Parteien Von parteiähnlichen Organisationen Von Standes- bzw. bzw. von Parteien und anderen Wirtschaftsorganisationen Organisationen gemeinsam
15. Juni 1934; C. 324.1934. VII S.D.N. J.O. XV, 9 (1934), S. 1169f. „Freiheitsaktion Saar“ Beschwerde wegen Versammlungs- verboten 12.Juni 1934; C. 311. M. 138.1934.VII S.D.N. J.O. XV, 8 (1934), S. 986 f. Zentralverband der Angestellten, Berufsverband der saarländischen Bergbauangestellten, Heilgehilfenverband der Saargruben Petition: Regelung der Angestellten- und Sozialversicherungen für die Zeit nach 1935
26. Juni 1934; C. 329. M. 150.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 9 (1934), S. 1170 f.
Saarländische Wirtschaftsvereinigung
Petition wegen Boykottmaßnahmen
der NSDAP
16.Aug.l934;C. 399. M. 180.1934.VII
S.D.N. J.O. XV, 10 (1934),
S. 1218—1221
Deutsche Front
Petition wegen des Amnestieerlasses
der Regierungskommission und gegen
^ eine fremde Schutztruppe für das Saar-
gebiet
18. Juli 1934; C. 344. M. 160.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 9 (1934), S. 1172
Zentralverband der Angestellten,
Berufsverband der saarländischen
Bergbauangestellten,
Heilgehilfenverband der Saargruben
Zusatzpetition: Angestellten- und
Sozialversicherung
30. Juli 1934;C.357.M. 167.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 9 (1934),
S. 1173—1175
Zentralverband der Angestellten,
Berufsverband der saarländischen
Bergbauangestellten,
Heilgehilfenverband der Saargruben
3. Petition: Angestellten- und
Sozialversicherung
372
Von politischen Parteien Von parteiähnlichen Organisationen Von Standes- bzw. bzw. von Parteien und anderen Wirtschaftsorganisationen Organisationen gemeinsam
5.Sept.l934;C.420.M. 188.1934. VII S.D.N. J.O. XV, 10 (1934), S. 1223—1226 Deutsche Front Petition: Stellungnahme gegen Putsch- gefahr, fremde Truppen und Maß- nahmen der Regierungskommission gegen die Deutsche Front 18.Aug. 1934; C. 400. M. 181.1934.VII S.D.N. J.O. XV, 10 (1934), S.1216f. Allgemeiner Deutscher Gewerkschafts- bund für das Saargebiet Petition wegen der Beschlagnahmung des Gewerkschaftsvermögens im Deutschen Reich 2Q.Aug.l934;C.396.M. 178.1934.VII S.D.N. J.O. XV, 10 (1934),S, 1214f. Saarländische Wirtschaftsvereinigung Petition: Forderungen über Maßnah- men zum Plebiszit und zur Ausgestal- tung des Status quo
373
9.Sept.l934;C.451.M. 193.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 12 (1934), S. 1621 f.
Joh. Hoffmann im Namen von 200
Delegierten der christl. Bevölkerung
des Saargebietes
Petition wegen Garantien für die
Zeit nach der Abstimmung und For-
derungen wegen einer Abstimmung
für den Status quo
10.Sept.1934; C. 447. M. 192.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 10 (1934), S. 1226 f.
Deutsche Front
Petition gegen fremde Polizei
ll.Sept.l934;C. 454.M. 195.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 12, S. 1624—1626
Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung
saarländischer Interessen und
Saarländische Wirtschaftsvereinigung
Petition wegen des nationalsozialisti-
schen Terrors, Bitte um Vorkehrungen
für eine unverfälschte Abstimmung
und für die Rechte der Bevölkerung
374
Von politischen Parteien Von parteiähnlichen Organisationen Von Standes- bzw. bzw. von Parteien und anderen Wirtschaftsorganisationen Organisationen gemeinsam
29. Okt. 1934; C. 508. M. 227. 1934. VII S.D.N. J.O. XV, 12, S. 1641—1644 Saarl. Sozialistische Partei Petition wegen der Abstimmungslisten 15.Sept.l934;C.452. M. 194.1934. VII S.D.N. J.O. XV, 12 (1934), S. 1623 f. Zentralverband der Angestellten, Berufsverband der saarländischen Bergbauangestellten, Heilgehilfenverband der Saargruben 4. Petition wegen Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Rechtslage in der Frage der Sozialversicherungen
l.Nov. 1934; C. 496. M. 220.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 12, S. 1634—1638
Wirtschaftsorganisationen des Saar-
gebietes (Handelskammer usw.)
Petition wegen der wirtschaftlichen
Schwierigkeiten im Saargebiet
13.Nov.l934;C.517.M. 233.1934.VII
S.D.N. J.O. XVI, 1 (1935), S. 42—47
Deutsche Front
Petition wegen der Haussuchung bei
der Deutschen Front, gegen die deut-
schen Emigranten, gegen fremde Trup-
pen, gegen franz. Propaganda
17.Nov.1934; C.520. M. 236.1934.VII
S.D.N. J.O. XVI, 1 (1935), S. 47—49
Sozialistische Einheitsfront
Petition wegen der Drohungen und
der Propaganda der Nationalsoziali-
sten und wegen der Abstimmungslisten
OJ
•O
Cn
9.Nov. 1934; C. 510. M. 229.1934. VII
S.D.N. J.O. XV, 12, S. 1638 ff.
Wirtschaftsorganisationen des Saar-
gebietes (Handelskammer usw.)
Zusatz zur Petition vom 1. Nov. 1934
29.Nov.1934; C.551.M. 253.1934.VII
S.D.N. J.O. XVI, 1 (1935), S. 50
Saarländische Wirtschaftsvereinigung
Petition wegen der Definition des
Status quo
376
Von politischen Parteien
Von parteiähnlichen Organisationen
bzw. von Parteien und anderen
Organisationen gemeinsam
Von Standes- bzw.
Wirtschaftsorganisationen
22. Dez. 1934;C. 29.M. 13.1935. VII
S.D.N. J.O. XVI, 1 (1935), S. 51—52
Saarländische Wirtschaftsvereinigung
Petition wegen der Veröffentlichung
und Klärung der Beschlüsse des Rates
des Völkerbundes vom Dezember 1934
5. Jan. 1935; C. 75. M. 31.1935. VII
S.D.N. J.O. XVI, 3 (1935),
S. 455—457
Allgem. Deutscher Gewerkschaftsbund
Petition wegen des im Deutschen Reich
beschlagnahmten Vermögens
12. Jan. 1935; C. 83. M. 37.1935. VII
S.D.N. J.O. XVI, 3, S. 457—459
Allgem. Deutscher Gewerkschaftsbund
Petition wegen des im Deutschen Reich
beschlagnahmten Vermögens
Jahr 1935
Anlage 7
Brief Hermann Röchlings an Hitler vom 23. März 1933
Original BA Koblenz, Reichskanzlei: R 43V253
Hermann Röchling*) Völklingen, den 23. März 1933
Sehr geehrter Herr Reichskanzler!
Die politische Lage hier im Saargebiet veranlaßt mich, Sie um eine Unter-
redung zu bitten. Es handelt sich um eine Reihe von Fragen, über die ich
mit Ihnen sprechen möchte.
Vor dieser Unterredung aber möchte ich schon darauf hinweisen, daß es
m. E. im Interesse unserer politischen Lage im Saargebiet von unabweis-
barer Notwendigkeit ist, daß eine Verständigung mit dem Zentrum im
Reiche getroffen wird. Bitte, betrachten Sie es nicht als eine Einmischung in
Dinge, die mich nichts angehen, wenn ich dieses mit aller Deutlichkeit aus-
spreche. Ich habe mit dem Zentrum nichts zu tun, als hier meine Politik mit
ihm zu machen. Aber wenn schon ein Kriegszustand mit den Sozialdemo-
kraten und mit den Kommunisten besteht, der hier auf unsere Verhältnisse
abfärben muß, so können wir uns hier unter gar keinen Umständen einen
Zustand, wie er jetzt mit dem Zentrum besteht, leisten-
Ich bin die nächste Woche bis Donnerstag frei; am Freitag muß ich in Hol-
land sein. Ich wäre dankbar, wenn Sie mir baldigst einen Termin angeben
könnten, wann ich zu Ihnen kommen darf.
Ich hatte mit Herrn Bürckel, dem Gauleiter von Neustadt, schon darüber
gesprochen, daß ich zu Ihnen kommen möchte, und es war zwischen uns in
Aussicht genommen, daß ich eventuell mit einem anderen Herrn aus unserer
Partei, der den Handwerkerstand vertritt, zu Ihnen kommen wollte. Bei
näherer Überlegung glaubte ich aber, daß es vorerst richtiger ist, daß ich
mit Ihnen allein spreche.
Ich habe die Ehre zu sein
Ihr sehr ergebener
H. Röchling
P.S. Ich lasse diesen Brief über unser Büro: Röchlingstahl, Berlin W, Tau-
benstraße 13, gehen, da es schon vorgekommen ist, daß gewisse Briefe von
mir überhaupt nicht oder mit Anzeichen einer unbefugten Öffnung ange-
kommen sind.
D.O.
Herrn
Reichskanzler Hitler
Berlin
a) Eingangsstempel d. Reichskanzlei v. 4. März 1933, Nr. d. Reichskanzlei RK 2809.
377
Anlage 8
Beschluß der Deutsch-Saarländischen Volkspartei vom Mai 1933
Auszug aus S.Z. Nr. 128 v. 12. 5. 1933
„Getreu ihrer in schwerster Zeit übernommenen Aufgabe, in Gemeinschaft
mit den anderen deutschen Parteien Träger des deutschen Gedankens zu
sein, wird die Deutsch-Saarländische Volkspartei weiterbestehen bleiben, um
der vordringlichen Aufgabe zu dienen, die sie sich schon bei ihrer Gründung
gestellt hatte, nämlich in Verbindung mit den anderen Parteien die restlose
Rückgliederung der Saar zum deutschen Vaterlande durchzuführen. Die
Deutsch-Saarländische Volkspartei ist dabei der Überzeugung, daß ihr dabei
als Helferin und Mittlerin zu den verschiedenen Bevölkerungsschichten und
Parteien noch eine wesentliche Aufgabe zufällt. Die Deutsch-Saarländische
Volkspartei ist sich bewußt, daß sie damit im Sinne der Reichsregierung
handelt, die schon bei vielen Gelegenheiten bewiesen hat, daß für sie in den
Grenzgebieten ganz andere Gesichtspunkte maßgebend sind, als im Innern
des Reiches.“
Anlage 9
Resolution der Delegiertenversammlung der Zentrumspartei des Saar-
gebietes vom 26. März 1933
S.L.Z. Nr. 86 v. 28. 3. 1933
In einer aus allen Gegenden des Saargebietes von über 1500 Vertrauens-
leuten besuchten Versammlung hat die Zentrumspartei des Saargebietes die
Reichstagswahl und ihre Folgen besprochen und faßt ihr einmütiges Urteil
wie folgt zusammen:
Das Saarzentrum dankt den Wählern und Wählerinnen der Deutschen Zen-
trumspartei für das Beispiel vorbildlicher Treue, die sie in schwerem Kampfe
der Fahne für Wahrheit, Freiheit und Recht gewahrt haben. Treue euch,
Treue dem Vaterland war das Losungswort des 14jährigen Kampfes um das
Deutschtum unserer Saarheimat, der das Zentrum stets in vorderster Linie
gesehen hat. Diese Treue halten wir unter allen Umständen. Weil wir unsere
baldige Rückkehr zum Vaterlande sehnlichst wünschen, stimmen wir den in
der Erklärung der Reichsregierung enthaltenen grundsätzlichen außenpoliti-
schen Gedankengängen zu, aus denen wir den Willen zur Fortsetzung der
Friedenspolitik Dr. Brünings erkennen, die uns die baldige Heimkehr brin-
gen soll.
All unser politisches Streben und Wirken werden wir im Saargebiet wie in
der Vergangenheit so auch in Zukunft dem einen großen Ziele: der Rettung
des Deutschtums, unterordnen. Aus dieser Einstellung billigen wir voll und
ganz die Haltung der Deutschen Zentrumspartei, die der Zusammenfassung
aller nationalen Kräfte dienen will.
Um so schmerzlicher betroffen ist das saarländische Zentrum von der gestern
erfolgten Beurlaubung des um die Rheinlandbefreiung wie um das Saar-
gebiet gleichermaßen hochverdienten Oberpräsidenten Dr. Fuchs.
378
An die gesamte Bevölkerung des Saargebietes richtet die Zentramspartei die
Aufforderung, allen Bruderzwist zu vermeiden, die Parteigegensätze sach-
lich auszutragen und alle Kraft auf das eine Ziel der alsbaldigen Rückkehr
zum deutschen Vaterlande einzustellen.
Anlage 10
Protokoll über die Besprechung der Vertreter der politischen Parteien des
Saargebietes mit Hitler — 15. Mai 1933
BA Koblenz: Reichskanzlei R 437253
Niederschrifta)
über den Empfang der parlamentarischen
Abordnung aus dem Saargebiet durch den
Herrn Reichskanzler
am 15. Mai 1933 in der Reichskanzlei
Anwesend die Herren:
Reichskanzler Adolf Hitler
Stellv, d. Reichskanzlers v. Papenb)
Reichsminister des Auswärtigen
Freiherr von Neurath
Präsident des Pr. Staatsrats Dr. Ley
Staatssekretär Dr. Lammers
Ferner: die Herren
NSDAP:
Spaniol, Kreisleiter, Saarlouis
Selzner, M. d.R., Neustadt a.d.H.
Dr. Vei, Volkswirt
Deutsch-Saarländische Volkspartei:
Kommerzienrat Röchling,
Völklingen
Malermeister Schmelzer
Zentrum:
Rechtsanwalt Levacher
Gewerkschaftssekretär Kiefer
Gewerkschaftsangestellter Kuhnen
Gewerkschaftssekretär Hillenbrand
Deutsch-Nationale Front:
Regierangsrat Spring
Direktor Deubert
Bürgerliche Mitte:c)
Architekt Schmoll
NSDAP
Ingenieur Stolze
Ingenieur Stegner
Oberregierungsrat Dr. Thomsen als Protokollführer.
a) Am Kopf des ersten Blattes finden sich verschiedene handschriftliche Aktenzeichen und
Abzeichnungen.
k) vor v. Papen ist Dr. getilgt.
c) handschriftlich nachgetragen.
379
Nach einem eingehenden Referat des Gewerkschaftssekretärs Kiefer (Zen-
trum) über die außen- und innenpolitische11) Lage des Saargebietes ergriff
der Reichskanzler zu längeren Ausführungen über die Taktik des Abstim-
mungskampfes das Wort. Er wies auf die Haltung der marxistischen Par-
teien hin, deren Führung nicht nur im Saargebiet, sondern auch in anderen
deutschen Grenzgebieten das nationale Bewußtsein fehle. Es werde auch im
Saargebiet dazu kommen, daß die Mitglieder der Gewerkschaften einsehen
werden, daß die Führer der Sozialdemokratischen Partei gegen die Inter-
essen der Arbeiterschaft gearbeitet haben. Zu einem Vorgehen gegen die
Gewerkschaften wäre kein Anlaß gewesen, wenn nicht die freien Gewerk-
schaften die Finanzquelle der Sozialdemokratischen Partei gewesen wären.
Angesichts des bevorstehenden Abstimmungskampfes müßten die beiden
wichtigsten politischen Faktoren im Saargebiet zu einer inneren Verständi-
gung gelangen; dies seien die NSDAP und die christlichen Gewerkschaf-
ten. Ein aus diesen beiden Faktoren zusammengeschmolzener Block habe
starke Werbekraft und schaffe einen Mittelpunkt, um den sich die anderen
Parteien und Verbände kristallisieren könnten. Man müsse sich stets vor
Augen halten, daß es sich im Saargebiet in den nächsten IV2 Jahren um
einen wesentlich außenpolitisch betonten Kampf handele. Deswegen sei es
nicht erstrebenswert, daß die übrigen Parteien wie dies zum Teil im Reich
geschehen sei, von sich aus ihre Tätigkeit einstellen. Es sei vielmehr durch-
aus wahrscheinlich, daß zum endgültigen Abstimmungskampf mehr Men-
schen mobilisiert werden könnten, wenn in mehreren Kolonnen marschiert
werden könnte. Kein Deutscher im Saargebiet, der bisher Mitglied einer
marxistischen Partei gewesen sei, habe daraus persönliche Nachteile oder gar
eine Bestrafung zu befürchten. Auch im Reich seien Marxisten einer Bestra-
fung nur dann zugeführt worden, wenn sie sie nach der bürgerlichen Rechts-
ordnung6) verdient hätten. Um aber auf die Stimmung im Saargebiet be-
ruhigend zu wirken, könne man erwägen, daß am Tage der Rückkehr des
Saargebiets ins Deutsche Reich eine Generalamnestie erlassen wird. Der
Deutsche bleibe nicht lange Anhänger einer verlorenen Sache. Das werde
sich auch bei den saarländischen Sozialdemokraten zeigen. Im Grunde habe
sich die Sozialdemokratische Partei aus einem hervorragend tüchtigen
Stamme1) von ehrlichen, fleißigen und soliden Arbeitern zusammengesetzt.
Diese fühlten sich jetzt von der Führung verlassen oder gar verraten. Es läge
auch keinesfalls in der Absicht der Führung der NSDAP, das Saargebiet
nach seiner Rückgliederung mit besonders im Geiste der NSDAP ausgebil-
deten Persönlichkeiten zu überfluten.
Als Vertreter der bürgerlichen Mitte gab Architekt Schmoll der Auffassung
Ausdruck, daß auch im Saargebiet die kleinen Parteien im Rahmen der
großen Geschehnisse keine Existenzberechtigung mehr hätten. Trotzdem
halte er es aber für richtig, daß die kleinen Parteien bis zur Abstimmung
d) zunächst stand hier nur außenpolitische, dann wie oben handschriftlich ergänzt.
£) Strafgesetzen in Rechtsordnung handschriftlich verbessert.
f) Stabe in Stamme handschriftlich verbessert.
380
bestehen bleiben, damit auf diese Weise möglichst viel Stimmen gewonnen
werden.
Der Reichskanzler stimmte dieser Auffassung durchaus zu. Im Saargebiet
gäbe es nur eine einzige politische Aufgabe, das sei die Rückgliederung an
Deutschland. Wenn sich für diese etc. Aufgabe mehrere Verbände und Par-
teien gleichmäßig einsetzten, so würde dadurch auf den Deutschen eine
starke psychologische Wirkung ausgeübt.
Zusammenfassend hielt es der Reichskanzler für erforderlich, daß die hier
anwesenden Delegationsmitglieder eine Zusammenkunft mit den Führern
der freien Gewerkschaften vereinbaren und ihnen bei dieser Gelegenheit aus-
einandersetzen, welche Vorteile sich für die freien Gewerkschaften ergeben
würden, wenn sie schon jetzt zur nationalen Einheitsfront zurückfänden.
Der Kreisleiter der NSDAP, Spaniol, bestätigte seinerseits, daß die Mit-
glieder der freien Gewerkschaften im Saargebiet einen durchaus nationalen
Charakter hätten. Es sei aber Kleinarbeit in den einzelnen Betrieben durch
die bisher nicht verbotene N.S.B.O. dringend erforderlich. Ferner sei es zu
erstreben, daß eine Zusammenfassung der Deutschtumsarbeit im Saargebiet
in vier Gruppen möglichst unter nationalsozialistischer Leitung erfolge.
Diese vier Gruppen setzten sich zusammen aus den kulturellen, wirtschaft-
lichen, Sport- und Wehrverbänden s). Auch sei eine Zusammenfassung der
Saarreferate der einzelnen Ministerien in Berlin unter der Leitung eines
möglichst saarländischen Referenten dringend wünschenswert.
Der Präsident des Preußischen Staatsrats stellte fest, daß der zunächst zu
bildende Aktionsausschuß aus drei Mitgliedern zu bestehen habe, und zwar
1 Mitglied der NSDAP, 1 Mitglied der christlichen Gewerkschaften und
1 Verbindungsmann zur Reichsregierung.
Es wurde beschlossen, über die Tatsache des Empfanges der Abordnung und
den Inhalt der Besprechung keinerlei Mitteilung an die Presse zu geben.
Für die Niederschrift:
Thomsenh)
g) Lehrverbände in Wehrverbände handschriftlich verbessert.
h) Der Niederschrift folgt eine handschriftlich ausgefüllte Teilnehmerliste.
381
Anlage 11
Brief des Vorsitzenden der Zentrumspartei des Saargebietes Steegmann an
Hitler, 2. Juni 1933
BA Koblenz, Reichskanzlei: R 431/253, Abschrift
Abschrift zu Rk. 7323
Saarbrücken, den 2. Juni 1933.
Herrn
Reichskanzler Adolf Hitler
Berlin.
Sehr geehrter Herr Reichskanzler!
Die ganzen Jahre der Abtrennung hindurch hat die Zentrumspartei des
Saargebietes all ihr Mühen und Streben dem einen großen Ziele unter-
geordnet, das Saargebiet unversehrt dem Vaterland wiederum zuzuführen.
Im nationalen Interesse war sie stets zur ehrlichen Zusammenarbeit mit
allen Parteien bereit, die das gleiche Ziel erstreben. Bei dem am 17. Mai ds.
Js. stattgefundenen Empfang einer Delegation saarländischer Parteien haben
Sie sich selbst dahin ausgesprochen, daß im Hinblick auf die vorwiegend
außenpolitisch orientierte Saarfrage und die bevorstehende Volksabstim-
mung die bisherigen Parteien und Kreise, die sich zum Deutschtum beken-
nen, aufrecht erhalten werden und zusammenstehen müßten.
Die nationale Zusammenarbeit der Parteien ist aber in den letzten Tagen in
der empfindlichsten Weise durch die nationalsozialistische Zeitung „Saar-
N.S.Z.-Front“ gestört worden. Die Zeitung bringt in ihrer Nummer 89 vom
30. v. Mts. einen Erlaß des nationalsozialistischen Gauleiters der Pfalz, der
auch für das Saargebiet zuständig ist. In diesem Erlaß werden der Zen-
trumspartei unabänderliche Verschlagenheit und Gerissenheit ihrer Taktik,
sowie das Fehlen innerer Ehrlichkeit vorgeworfen und es wird ein Ver-
sammlungsfeldzug gegen das Zentrum angeordnet. In der gleichen Nummer
verlangt ein Artikel des Herrn Claus Selzner die Auflösung der Zentrums-
partei.
Wir legen die genannte Nummer der Zeitung bei.
Die Haltung des nationalsozialistischen Gauleiters der Pfalz und der Saar-
N.S.Z.-Front kann nicht in Einklang gebracht werden mit der im nationalen
Interesse unabweisbaren Zusammenarbeit aller deutschen Parteien und mit
den von Ihnen selbst bei dem erwähnten Empfang aufgestellten Grund-
sätzen für die nationale Arbeit im Saargebiet. Wir bitten Sie daher, Anord-
nung zu treffen, daß dieser unsachliche und deutsche Belange an der Saar
schädigende Kampf unterbleibt.
Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Reichskanzler, den Ausdruck vorzüg-
lichster Hochachtung.
Die Zentrumspartei des Saargebietes,
gez. Steegmann.
I. Vorsitzender
382
Anlage 1 2
Brief der katholischen Geistlichkeit des Saargebietes an Hitler —
25. September 1933
Bistums-Archiv, Trier, Abt. 59, Nr. 61, Durchschlag aus den Papieren Dr. Schlich
Saarbrücken, den 25. September 1933 a)
Sehr geehrter Herr Reichskanzler!
Die katholischen Geistlichen des Saargebietes fühlen sich verpflichtet Ihnen
Folgendes vorzutragen:
Ew. Exzellenz haben wiederholt erklärt, daß die Revolution zu Ende sei
und daß frühere Parteizugehörigkeit kein Grund zur Entlassung sonstig
schuldloser Beamten sei. Diese Erklärungen sind von uns mit Freude und
Dank begrüßt worden. Zu unserem schmerzlichen Bedauern müssen wir
jedoch hören, daß immer wieder Versetzungen in den Ruhestand und Zu-
rücksetzungen von kath. Beamten im Reich Vorkommen, ohne daß diese
den Grund ihrer Maßregelung kennen oder sich einer Schuld bewußt sind,
oder ihnen aufgrund geheimer Anzeigen Gelegenheit zur Verteidigung
gegeben worden wäre. In einzelnen Fällen sind menschenunwürdige Behand-
lungen vorgekommen, z. B. Anl. die Essener Nationalzeitung Nr. 251 vom
12. 9. und 259 vom 20. 9. 33 betr. Hirtsiefer, über dessen Schuld oder Nicht-
schuld wir kein Urteil fällen. Nicht nur im Namen der Gerechtigkeit, die
doch allein die Grundlage der Staaten sein kann, müssen wir Ihre hohe Auf-
merksamkeit auf diese Dinge richten, da solche Taten Ihrer untergeordneten
Organe mit den feierlichen Erklärungen des Führers in Widerspruch stehen,
sondern auch in der heißen Sorge um die Rückgliederung des Saargebietes
fühlen wir uns verpflichtet, Ihnen offen mitzuteilen, daß diese Dinge eine
ungünstige Wirkung auf das Saargebiet ausüben, wo heute noch die vielen
Tausende, die links stehen, zurückgewonnen werden müssen, damit die Ab-
stimmung ein für Deutschland günstiges Ergebnis hat. Dasselbe gilt beson-
ders auch von der Unfreiheit der nicht nationalsozialistischen Presse in
Deutschland, die ja garnicht mehr den Mut hat die Wahrheit zu sagen,
sowie von der Behandlung kath. Standesvereine, die ihnen von manchen
untergeordneten Stellen zuteil wird.
Gemäß den so dankenswerten Erklärungen Ew. Exzellenz und dem Reichs-
konkordat soll die kirchliche Wohltätigkeit und Caritas Arbeit sich wie bis-
her frei entfalten können. Damit steht im Widerspruch, wenn die Wohl-
fahrtspflege der Rheinprovinz, herausgegeben vom Landeshauptmann in
Nr. 18 Seite 278, in einer offiziellen Bekanntmachung für die Arbeit der
N.S.V. schreibt:
„Die Zusammenarbeit mit den außer der N.S.V.W. noch anerkannten Wohl-
fahrtsverbänden — das werden künftig vorerst nur noch die beiden kon-
a) Handschriftlicher Zusatz von Dr. Schlich am Briefkopf: „Beschwerden u. Bitten aus
dem Saargebiet. Da ich alle an erster Stelle unterschrieben hatte, so bekam ich nach der
Rückgliederung dies in der Behandlung der Gestapo zu fühlen. Schlich“
383
fessionellen sein — ist unbedingt erforderlich. Dabei ist nur grundsätzlich zu
beachten, daß man die sogenannten kranken und aussichtslosen Fälle den
caritativen Verbänden überläßt, während die N.S.V.W. die Arbeit an den
an sich gesunden Menschen, die aber durch besondere Umstände in Not
geraten sind, angreift und dieselben wieder flott zu machen sich bemüht.“
Ew. Exzellenz wollen überzeugt sein, daß lediglich unser sittliches Gefühl
und unsere treu deutsche Gesinnung uns veranlaßt haben, Ihnen dieses mit-
zuteilen und daran die herzliche Bitte zu knüpfen, gütigst dafür Sorge tragen
zu wollen, daß die untergeordneten Stellen gewissenhaft die Anordnungen
des Führers beobachten und Wahrheit und Recht in allem zum Siege gelangt.
Wir benutzen diese Gelegenheit gerne Ihnen, hochverehrter Herr Reichs-
kanzler, unsere ehrfurchtsvolle Verehrung zum Ausdruck zu bringen.
gez. Unterschriften.b)
Anlage 1 3
Niederschrift über die Besprechung und Vereinbarungen zwischen Ver-
tretern der Zentrumspartei des Saargebietes und dem Leiter der NSDAP
des Saargebietes Spaniol wegen der Auflösung der Zentrumspartei
Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 61, handschriftlich gezeichnetes Protokoll, das
wohl mehrfach ausgefertigt wurde.
6. Oktober 1933.
Durch Vermittlung des Herrn Landesratsabgeordneten Becker kam eine
Besprechung zwischen Herrn Staatsrat Spaniol und den Beauftragten der
Zentrumspartei: Pfarrer Bungarten, Landesratsabgeordneten Becker, Lan-
desratsabgeordneten Scheuer, Generalsekretär Meijer am 4. Oktober ds.
Jhrs. zustande. Herr Becker hatte für diese Besprechung seine Privatwoh-
nung zur Verfügung gestellt. Die Besprechung dauerte mit kurzen Unter-
brechungen von morgens IOV4 Uhr bis gegen V2 4 Uhr nachmittags.
Die Verhandlungen gingen hin und her, erörterten Gegensätze der Ver-
gangenheit und Gegenwart, Pressefehden usw. Der Bericht wird in Kürze
nur das Wesentliche der Verhandlungen darstellen.
Von der Zentrumspartei wurden folgende Gedanken vorgetragen. Für den
vorige Woche gefaßten Beschluß der Aufrechterhaltung der Zentrumspartei
sei allein maßgebend gewesen die Rücksicht auf die Rückgliederung, der die
Zentrumspartei durch die Erhaltung besser dienen könne als durch die Auf-
lösung. Nichts anderes hätte dabei mitgesprochen. Trotz der Abbröckelungs-
erscheinungen wolle auch heute noch ein großer Teil der Zentrums-Anhän-
gerschaft der Partei die Treue bewahren und es wäre durchaus möglich, die
Partei zu erhalten. Für eine sehr aktive Mitarbeit in der Deutschen Front sei
die Zentrumspartei stets eingetreten. Bei den Verhandlungen des Partei-
ausschusses in der vorigen Woche sei aber die Tatsache nicht bekannt ge-
b) Handschriftlicher Zusatz von Dr. Schlich: „Dr. Schlich und etwa 100 Geistliche, die
bei einer Caritas-Tagung im Vereinshaus in Saarbrücken-Malstatt versammelt waren.“
384
wesen, daß Verhandlungen mit sozialdemokratischen Kreisen über ein Auf-
gehen in der Deutschen Front schwebten. Dadurch wäre eine neue Lage für
die Zentrumspartei geschaffen, die im nationalen Interesse zu jedem Opfer
bereit wäre, um zu erreichen, daß eine einheitliche, geschlossene Front der
Deutschen gebildet werde.
Flerr Staatsrat Spaniol sprach sich dahin aus, daß auch er den alten Zustand,
bei dem die Parteien als selbständige Gruppe die Deutsche Front bildeten,
hätte erhalten wollen. Es habe aber dann ein gewaltiges Drängen zur
NSDAP eingesetzt, dessen sie sich hätten kaum erwehren können. Dadurch
sei eine dauernde politische Beunruhigung in die Bevölkerung hineingetragen
worden und seine Kreisleiter, die mitten in den Dingen standen, hätten eine
Entscheidung gefordert. Im Interesse der Beruhigung müsse eine einheitliche
Front der Saardeutschen geschaffen werden. Die Entwicklung wäre auch
ohne diese Entscheidung in der gleichen Richtung gelaufen. Ein eigenes
Leben wäre den Parteien doch nicht mehr möglich gewesen, denn jede Partei
wäre ja verpflichtet gewesen, ihre Anhänger für das nationalsozialistische
Deutschland vorzubereiten. Bei allen Verhandlungen über die Rückgliede-
rung sei der allerwichtigste Faktor das Saarvolk und das müsse durch die
Deutsche Front den geschlossenen Willen zur Rückkehr kundtun. Frankreich
müsse jeder Vorwand, als ob ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung nicht
für die Rückkehr nach Deutschland wäre, aus der Hand genommen werden.
Von dem Vorsitzenden der Zentrumspartei wurde hervorgehoben, daß,
wenn das Saarzentrum in die Deutsche Front aufgehe, sich also auflöse,
dies unter Bedingungen geschehen müsse, die für das Saarzentrum mit seiner
Vergangenheit und seinen großen nationalen Verdiensten nach jeder Rich-
tung hin würdig und ehrenvoll seien. Gewaltanwendungen und Drohungen
müßten aufhören. Die Deutsche Front müsse ein Reich des Friedens, der
Einigkeit und Herzlichkeit darstellen. Die Zentrumspartei würde wertvolles
Material der Deutschen Front zuführen, das sei ein Gewinn für die Deutsche
Front. Die Bildung und Führung der Deutschen Front müsse in den wei-
testen Kreisen der Zentrumspartei und insbesondere bei denjenigen Zen-
trumsleute, die die Selbständigkeit der Partei fordern, Vertrauen erwecken.
Die Leute müßten innerlich zu der Deutschen Front stehen. Das sei zur Er-
reichung des nationalen Zieles notwendig.
Aus diesen Erwägungen müßten die Vereinbarungen getroffen werden, daß
jegliche Diffamierung der Zentrumspolitik und der Zentrumsangehörigen
innerhalb des Saargebietes3) unterbleibe, daß die katholische Presse ihre
Selbständigkeit und Freiheit in der Darlegung und Verteidigung katholischer
Grundsätze und Einrichtungen behalte, daß jeglicher Angriff auf letztere
unterbleibe, daß keine Agitation gegen die katholische Presse getrieben
werde, daß die Zentrumspartei, um Vertrauen für die Deutsche Front zu
wecken, das Recht erhalte, tüchtige Leute aus ihren Reihen für die Gremien
der Deutschen Front zu präsentieren, daß der Generalsekretär der Partei,
a) innerhalb des Saargebietes ist handschriftlicher Zusatz.
385
der eine Lebensstellung aufgebe, bis zur endgültigen vollendeten Rückgliede-
rung vertraglich sichergestellt werde.
Im Zusammenhang mit obigen Forderungen entspannen sich längere Aus-
einandersetzungen, die Einzelpersonen und die Haltung von Zeitungen be-
trafen.
In seinen Ausführungen ging es Herrn Staatsrat Spaniol vor allem darum,
daß in der Presse alles vermieden wird, was dem Ansehen des deutschen
Staates irgendwie schaden könnte. Das höchste Gesetz bei allem müsse das
Wohl des Deutschen Volkes sein. Auch er wolle nichts anderes als die Einig-
keit und den Frieden. Von Parteien soll in der Deutschen Front nicht mehr
die Rede sein. Unter die Vergangenheit soll ein dicker Strich gemacht wer-
den. Angriffe auf das Zentrum kämen nicht mehr in Frage. Der Presse-
frieden sei garantiert. Wenn Auseinandersetzungen in der Presse sich er-
gäben, müsse der Kampf anständig geführt werden. Die katholische Presse
bleibe selbständig und frei auf dem Gebiete katholischer Grundsätze und
Einrichtungen. Bei Angriffen gegen diese sei Kritik und Verteidigung zu-
lässig. Die Zeitungen könnten sich auch in ihrem Titel als katholische Zei-
tungen bezeichnen. Im übrigen kenne er nur deutsche Redakteure und er
wünsche, daß jede Zeitung den Titel: „Offizielles Organ der Deutschen
Front“ führe. Es sei selbstverständlich, daß jede direkte und indirekte Agi-
tation gegen die katholische Presse unterbleibe. Bei der Werbung der Presse
solle auf Anständigkeit sowohl im Kaufmännischen wie im übrigen größter
Wert gelegt werden. Ferner sei es klar, daß die Presse-Konferenzen der
Deutschen Front so zu führen wären, daß die katholischen Journalisten ver-
trauensvoll mitarbeiten könnten.
In der Aussprache gelangte man zu bestimmten Vereinbarungen, die am
Schluß des Berichtes angeführt werden.
Herr Staatsrat Spaniol machte im Laufe der Unterhaltung auch Ausführun-
gen darüber, wie er sich den Aufbau der Deutschen Front gedacht habe. Eine
Abschrift der von ihm entworfenen bildlichen Darstellung lag vor. Der
große Führerrat solle etwa 5mal so groß sein wie der kleine Führerrat und
aus den Führer-Räten der 5 einzelnen Bezirke bestehen.
Man stellte ferner Richtlinien über die Bildung der Deutschen Front in den
einzelnen Gemeinden auf. In jeder Gemeinde soll eine Deutsche Front gebil-
det werden. Um nicht wertvolle Kräfte zu verlieren, wird Wert darauf ge-
legt, daß das führende Gremium der örtlichen Deutschen Front Vorstands-
mitglieder und Vertrauensleute der Zentrumspartei enthalte. In jedem Ge-
meinderat und in jedem Kreistag soll eine Deutsche Front gebildet werden.
Für die Führung der Deutschen Front in den kommunalen Fraktionen
einige man sich auf den hierfür am meisten geeigneten Mann. Bei den Ge-
meinderatsverhandlungen sollen als Sprecher je nach dem Verhandlungs-
gegenstand die sachkundigen und am besten geeigneten Vertreter auftreten.
Die Einheit der Deutschen Front soll in allen parlamentarischen Körper-
schaften auch dadurch zum Ausdruck kommen, daß die gewählten Vertreter
386
nicht mehr nach den früheren Fraktionen geordnet zusammen sitzen, son-
dern daß sie eine Neuordnung der Sitze vornehmen, welche die Fraktions-
unterschiede aufhebt.
Überall und in allen Orten ist zu fordern, daß die Führer-Gremien der
Deutschen Front sich zusammensetzen aus Leuten, die tüchtig sind und in
großem Maße das Vertrauen der Bevölkerung besitzen.
Vereinbarungen b)
1. Die Zentrumspartei des Saargebietes geht in der Deutschen Front auf.
Die Deutsche Front ist die organisatorische Zusammenfassung der Saar-
deutschen zu dem alleinigen Zweck, die Rückgliederung des Saargebietes zu
fördern und zu sichern.
2. Es unterbleibt innerhalb des Saargebietes jegliche Diffamierung der von
der Zentrumspartei sowohl im Reiche wie im Saargebiet getriebenen Politik.
Aus ihrer bisherigen politischen Haltung darf den Mitgliedern der Zen-
trumspartei kein Vorwurf gemacht werden und kein Nachteil entstehen.
3. Die katholische Presse ist selbständig und frei in der Darlegung und Ver-
teidigung katholischer Grundsätze und Einrichtungen. Auf diese unterbleibt
jeglicher Angriff. Die katholische Presse hat die Freiheit der Kritik bei
berechtigter Abwehr von Angriffen, die katholische Grundsätze und Ein-
richtungen betreffen. Veröffentlichungen, die diesen widersprechen, lehnt
die katholische Presse ab.
Auch hat die bisherige Zentrumspresse das Recht, gegen Verunglimpfungen
der Zentrumspolitik sowie der Führer und Mitglieder der Zentrumspartei
Stellung zu nehmen, mit der Verpflichtung, zunächst von sich aus eine Klar-
stellung bzw. Berichtigung derartiger Fälle durch die NSDAP oder die
Deutsche Front herbeizuführen.
In der Verteidigung der katholischen Belange sowie der vorerwähnten For-
derungen ist die katholische Presse des Saargebietes solidarisch. Es darf
keinem katholischen Schriftleiter aus seiner bisherigen politischen Haltung
ein Vorwurf gemacht werden oder ein Nachteil entstehen.
Die katholische Presse betrachtet sich nicht mehr als Parteiorgan und ist
grundsätzlich nicht verpflichtet, Parteiverlautbarungen zu veröffentlichen.
Die katholische Presse stellt sich in den Dienst der Deutschen Front, deren
Veröffentlichungen sie bringen wird.
Es unterbleibt jede direkte und indirekte Agitation gegen die katholische
Presse. Für die Werbung wird der Grundsatz der Anständigkeit festgelegt.
4. Die Pressekonferenzen der Deutschen Front werden so geführt, daß den
katholischen Journalisten eine vertrauensvolle Mitarbeit möglich ist.
5. Zusammensetzung der Deutschen Front. Der Vorsitzende der Zentrums-
partei hat das Recht, für die verschiedenen Gremien der Deutschen Front
geeignete Mitglieder der Zentrumspartei zu präsentieren.
b) Handschriftlicher Zusatz (die von NSDAP nicht gehalten wurden).
387
6. Generalsekretär Meijer wird als Geschäftsführer der Deutschen Front an-
gestellt bis zur endgültigen Rückgliederung des Saargebietes.
Saarbrücken, den 11. Oktober 1933c>
Spaniol
Bungarten
Scheuer
Meijer
Anlage 14
Beschwerdebrief der katholischen Geistlichkeit des Saargebietes an Hitler
13. November 1933
BA Koblenz, Reichskanzlei R 43V253
Saarbrücken, den 13. November 1933 a)
An den Herrn
Kanzler des Deutschen Reiches,
Herrn Adolf Hitler, hochwohlgeboren
Berlin
Exzellenz!
Wiederholt haben Ew. Exzellenz wie auch Ihre Amtsvorgänger der innigen
Verbundenheit mit dem deutschen Saarvolk und der treuen Sorge um die
deutsche Zukunft des Saargebietes Ausdruck gegeben. Dafür dankt Ihnen
das gesamte deutsche Volk des Saargebietes, nicht zuletzt der katholische
Volksteil und die ehemalige Zentrumspartei, die seit 1918 im Kampf um
das Deutschtum an der Saar sich unentwegt zur deutschen Heimat bekannt
und gestanden hat. Insbesondere hat der Klerus des Saargebietes unter der
Führung hervorragender Bischöfe alle Bestrebungen, die eine Loslösung von
den angestammten Diözesen und damit vom Vaterland bezweckten, ener-
gisch abgewiesen und bekämpft. Vierzehn Jahre lang hat die Zentrums-
partei in Wort, Schrift und Tat nie einen Zweifel gelassen, daß sie alles
einsetzt für die restlose Heimkehr des Saargebietes nach Deutschland und sie
hat deshalb von vornherein, die in dieser Zielsetzung nicht den Standpunkt
der Gesamtpartei teilten, rücksichtslos und öffentlich aus ihren Reihen aus-
geschlossen. In ehrlichem Ringen um die deutsche Zukunft hat zuletzt die
Zentrumspartei sich selbst geopfert und am 12. Oktober aufgelöst, um ge-
schlossen in die Deutsche Front an der Saar hineinzugehen, in der weder
Parteigegensätze noch andere Hemmungen den Kampf um das letzte große
Ziel an der Saar, die deutsche Rückgliederung 1935, beeinträchtigen sollten. c)
c) Datum handschriftlich, wohl von Bungarten, eingesetzt.
a) Mehrere Aktenzeichen der Reichskanzlei, ferner
1. der Herr Reichskanzler hat Kenntnis (Stempel).
2. Abschr. d. Preuß. MinPräs. z. K. übersenden. L 29/11.
388
Exzellenz! Mit berechtigtem Stolz berufen wir uns heute auf diese geschicht-
lichen Tatsachen. Das katholische Volk und das Zentrum an der Saar er-
wartet dafür keinen Dank. Es hat nur seine Pflicht getan. Nur eines haben
wir nicht verdient: Man stellt das katholische Volk und das Zentrumsvolk
trotz seiner oft erprobten Treue zum Vaterland vor der Weltöffentlichkeit
an den Pranger als Landesverräter. Man droht diesen angeblichen Landes-
verrätern auf Schritt und Tritt mit Vergeltung nach der Rückkehr 1935.
Man nennt sogar unsere katholische Jugend, die den kirchlichen Bünden
treu bleibt, deshalb in der Presse Landesverräter. Und noch nachdem das
Zentrum sich selbst geopfert, hat der preußische Minister-Präsident, Herr
Göring, am 5. November in Trier vor einer fast restlos katholischen Zuhörer-
schaft unerhörte Beleidigungen dem katholischen Volk an der Saar ins
Angesicht geschleudert. Wir erlauben uns zum Beweis dessen in der Anlage
einen Auszug aus dem stenographischen Bericht über die Rede beizufügen.
Die Unterzeichneten würden sich einer schweren Pflichtverletzung schuldig
machen, wenn sie nicht gegenüber diesen fortgesetzten Beleidigungen, Ver-
dächtigungen und Verleumdungen schärfsten Einspruch erheben und auf
die geradezu verheerenden Wirkungen hinweisen würden, die solche traurige
Vorfälle in einem gefährdeten Abstimmungsgebiet zeitigen müssen. Wir
dürfen wohl erwarten, daß Ew. Exzellenz mit Rücksicht auf die Schwere
der Beleidigungen aus dem Munde des höchsten preußischen Beamten dem
katholischen Saarvolk eine Genugtuung in geeigneter Form geben wird und
sehen einer entsprechenden Mitteilung Ew. Exzellenz ergebenst entgegen.
Andererseits bitten wir Ew. Exzellenz aus unserer Mitverantwortung für
die deutsche Zukunft des Saargebietes heraus, dahin wirken zu wollen, daß
dem schwerbedrängten Saarvolk in Zukunft Gerechtigkeit widerfährt, daß
es nicht mehr an den Schandpfahl vaterlandsloser Gesinnung gestellt wird,
daß es uns ermöglicht wird, als freies Volk in freier Abstimmung und Hin-
gabe 1935 für unsere deutsche Heimat zu stimmen.
In diesem treudeutschen Wunsche verbleiben Ew. Exzellenz ergebenste:
Dr. Schlich, Dechant Saarbrücken
Bungarten, Pfr. Saarbrücken
Knauf, Dechant Uchtelfangen
M. Held, Dechant Itzbach
M. Roth, Dechant Quierschied
Dietrich, Dechant Hilbringen
Ludwig, Dechant Wadgassen
Haitz, Dechant Wallerfangen
Weber, Pfarrer Ballweiler
Kremer, Pfarrer Saarbrücken
Eberlein, Pfarrer Ommersheim
Thommes, Pfarrer Alsweiler
Schmitt, Pfarrer Saarbrücken
Altmeyer, Pfarrer Kutzhof
Schulz, Pfarrer Derlen
Lieblang Völklingen
Meffert Pfarrer, Nalbach
Dr. Traurich, Pfarrer, Saarbrücken
Schellenbach, Pfr. Saarbrücken
Spengler, Pfarrer in Lisdorf
2 Anlagen
389
Anlage 15
Auszug aus dem Protokoll der Dechantenkonferenz vom 22. Januar 1934
zu Saarbrücken
Bistumsarchiv Trier, Abt. 59/Nr. 51, Bl. 92, Darlegungen Dechant Dr. Schlich:
. . Wir dürfen nicht den Anschein erwecken, als nehmen wir die der Kirche
nicht günstigen Verhältnisse in Deutschland zum Anlaß gegen die Rück-
gliederung nach Deutschland zu stimmen oder bei andern Stimmung dafür
zu machen. Ein einziger solcher Fall, der bei einem Geistlichen festgestellt
würde, wäre für die zahlreichen kirchenfeindlichen Elemente im Reich An-
laß, unsere Brüder dafür leiden zu lassen. Wer könnte übrigens die geschicht-
liche Verantwortung dafür tragen, daß das Saargebiet, das doch nach Ge-
schichte und Volksgemeinschaft zu Deutschland gehört, nicht dahin zurück-
kehrt? Gewiß, sind die Verhältnisse im Reich ungünstig. Aber wir müssen
auf die Vorsehung vertrauen. Welch gewaltige Veränderungen vom Januar
1933 bis 34! Umgekehrt können im nächsten Jahre auch wieder Rückver-
änderungen eintreten. Eine Frage, die auf Jahrhunderte entscheidet, darf
nicht von den augenblicklichen Verhältnissen allein abhängig gemacht wer-
den. Wenn das Saargebiet autonom und damit zwangsläufig ein eigener
kirchlicher Verwaltungsbezirk würde, so wäre das doch ein isoliertes kläg-
liches Gebilde und wer wollte von Gnaden der Ausländer hier eine kirch-
liche Verwaltung mit Millionen Unkosten einrichten? Übrigens haben die
Verhandlungen in Genf ergeben, daß die Abstimmung und Rückgliederung
mit all ihren Verwicklungen noch zwei bis drei Jahre dauern wird. Da kann
sich noch vieles geändert haben. ..
Anlage 1 6
Aufzeichnung Dr. Schlichs (5. März 1934) über ein Telefongespräch mit
dem Geschäftszimmer des Vizekanzlers Papen am 3. Februar 1934
Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 61 fol. 65
Saarbrücken, den 5. 3. 1934
Telefongespräch vom 3. 2. Berlin. Geschäftszimmer des Herrn Vizekanzlers:
von Boosena), Ober-Regierungsrat.
Im Namen des Vizekanzlers habe ich Ihnen zu erklären, „daß Herr Staats-
rat Spaniol der Aufforderung des Herrn Vizekanzlers zufolge einer Rück-
sprache mit Ihnen, morgen haben möchte. Ich bemerke, daß Herr Staatsrat
Spaniol ebenso wie Herr Vizekanzler die Ausführungen in der Saar-Front
gegen Ihre Person entschieden verurteilen. Der Herr Vizekanzler wünscht,
daß die Aussprache wieder ein friedliches Verhältnis herstellt.“
Ich antwortete:b) „Herr Spaniol kann morgen kommen. Die Angriffe in der
Saar-Front berühren mich persönlich sehr wenig. Es geht bei der Sache nicht
a) Wohl gemeint Bose, Herbert von.
b) Ich antwortete handschriftlich eingefügt.
390
um mich, sondern um die Religion und die Kirche. Nur um diese zu ver-
teidigen, ist die Veröffentlichung in der Landes-Zeitung erfolgt und nur
wenn die Angriffe gegen die Kirche und Religion hier und im Reich auf-
hören, kann wieder Ruhe unter den Katholiken eintreten. Wenn das nicht
erfolgt, dann haben die hiesigen nationalsozialistischen Kreise und die
Reichsregierung, die dort und hier dieses Treiben duldet, allein die Verant-
wortung dafür, daß die Saar-Frage immer mehr gefährdet wird und wenn
es so weiter geht, dann tragen diese Kreise vor der Geschichte die Schuld,
daß die Saar Deutschland verloren geht. Ich bitte dies, als meine und des
gesamten Klerus Auffassung, dem Herrn Vizekanzler und dem Herrn
Reichskanzler zu melden.“
Dr. Schlich.
Anlage 17
Schreiben Peter Kiefers an Hitler vom 5. Juli 1934
Abschrifta), Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 61, Bl. 19 ff.
Sehr verehrter Herr Reichskanzler,
es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen auch schriftlich noch einmal Dank dafür zu
sagen, daß ich erneut die Möglichkeit hatte, Ihnen von den Sorgen zu spre-
chen, die mich als Führer der deutschen Saararbeiterschaft bewegen. Ich
möchte bei Aussprechung dieses Dankes zugleich noch einmal Gelegenheit
nehmen, die Gründe meiner tiefen Besorgtheit kurz niederzuschreiben. Die
deutsche Arbeiterschaft an der Saar fühlt sich unlösbar mit der Arbeiter-
schaft in Deutschland und damit mit dem deutschen Volke verbunden. Um so
empfindsamer ist sie aber auch für das Schicksal der deutschen Arbeiter-
schaft und ihrer Bewegung im Reich. Um so notwendiger ist es deshalb aber
auch, der gegen das Reich gerichteten Agitation jeden Anlaß zu zersetzender
Kritik zu entziehen.
Ich durfte Ihnen andeuten, daß die christliche Arbeiterschaft weitestgehend
Verständnis hat für die Notwendigkeiten revolutionärer Umwälzungen in
Zeiten größter vaterländischer Not. Auch für die Notwendigkeit von Um-
formungen in der Arbeiterbewegung fehlte und fehlt ihr das Verständnis nicht.
Ich glaube zu wissen, daß die deutsche Arbeiterbewegung in den Tagen der
Umwälzung den Beweis für dieses Verständnis zu erbringen versucht hat.
a) Da es sich nur um eine Abschrift handelt, die Dechant Dr. Schlich seinen Aufzeich-
nungen über die Haltung der saarländischen Katholiken vor der Abstimmung bei-
legte, kann nicht bewiesen werden, daß der Brief tatsächlich an Hitler gesandt wurde.
Die handschriftliche Unterschrift gez. Peter Kiefer stammt von Kiefer selbst, wie ein
Schriftvergleich mit der Fotokopie in Bartz, a. a. O., S. 33 eindeutig ergab. Für den
Sachverhalt, daß Kiefer den Mut hatte, auch Hitler Dinge offen zu schreiben, spricht
die Tatsache, daß er in einer großen Versammlungsrede am 27. Mai 1934 in Saar-
brücken Ley öffentlich heftig angriff und von der berechtigten Empörung in den
Kreisen der Christlichen Gewerkschaften sprach (S.Z. Nr. 138 v. 28. 3. 1934). Auch
in dem Interview, das er 1934 dem sozialistischen Journalisten Balk gab, übte er eine
gewisse Kritik an den deutschen Verhältnissen (Balk, a.a. O., S. 141).
391
Ihren Führern war sehr daran gelegen, mit Ihnen, Herr Reichskanzler, un-
mittelbar nach der Machtübernahme zu einer mündlichen Aussprache über
den Einbau der gesamten deutschen Arbeiterschaft in den neuen Staat zu
kommen. Leider ist es zu dieser Aussprache nicht gekommen. Dabei darf ich
sagen, daß die Arbeiterschaft auch für gewisse Härten und Ungerechtig-
keiten Verständnis hat, wie sie revolutionäre Umwälzungen mit sich brin-
gen. Sie ist aber ebenso der Auffassung, daß diese Härten und Ungerechtig-
keiten auf ein erträgliches Maß beschränkt werden müssen. Sie ist der Auf-
fassung, daß es untragbar ist, daß der Kampf gegen eine nationale Bewe-
gung, wie es die christliche Gewerkschaftsbewegung war und ist, von ein-
zelnen Persönlichkeiten und Organen des neuen Staates zu einem Dauer-
zustand gemacht wird. Sie hat um so weniger Verständnis dafür, als die
Führer der christlichen Gewerkschaften im Reich auch nach dem 1. Mai 1933
in loyaler Zusammenarbeit mit der Deutschen Arbeitsfront die Neuordnung
der deutschen Arbeiterbewegung zu vollziehen suchten. Sie ist sich bewußt,
daß die Ausstoßung der Führer der christlichen Gewerkschaften aus der
Deutschen Arbeitsfront nach der Internationalen Arbeitskonferenz in Genf,
im Juni 1933, ihre Ächtung als Staatsfeinde und ihre fortgesetzte Diffa-
mierung ein großes Unrecht war und ist. Die Arbeiterschaft an der Saar
weiß, daß der Ausgang in Genf nicht seinen Grund hatte in der vor der
deutschen Öffentlichkeit behaupteten Illoyalität der Vertreter der ehe-
maligen Gewerkschaften, sondern einmal in prinzipiellen Schwierigkeiten,
dann aber vor allem in den Ausführungen Dr. Ley’s vor der Presse. Es ist
ihr bekannt, daß die Vertreter der ehemaligen Gewerkschaften sich loyal
deutsch verhalten haben. Darum ist es unfaßbar für die christliche Arbeiter-
schaft an der Saar, daß nach Genf der Bruch mit den christlichen Gewerk-
schaften erfolgte. Und daß ihre Diffamierung in allen möglichen Formen
und haltlosen Begründungen bis heute fortgesetzt wird, wie es noch jüngst
in nicht mehr tragbarer Weise durch Dr. Ley geschehen ist. Aus der Ent-
rüstung der ganzen christlichen Arbeiterschaft an der Saar heraus und in
Wahrung auch ihrer Ehre sowie der deutschen Sache, mußte ich diese An-
griffe Dr. Ley’s vor aller Öffentlichkeit zurückweisen.
Die Arbeiterschaft an der Saar stand und steht in ihrer großen Mehrheit
in den christlichen Gewerkschaften. Sie hatte Vertrauen zu ihren Führern,
sie trägt die stolze Vergangenheit ihrer Bewegung unerschüttert in ihrem
Herzen. Sie hatte trotz allem, was inzwischen im Reich geschehen, das Ver-
trauen in Sie, Herr Reichskanzler, daß nach dem ersten verwirrenden Ge-
schehen der Revolution die Ehre ihrer Bewegung wiederhergestellt würde.
Statt dessen muß sie erfahren, daß auch heute noch diese ihre Bewegung
öffentlich beschimpft wird. Sie muß erfahren, daß die führenden Männer
der Stammbewegung im Reich nicht nur weiter diffamiert werden, sondern
daß man den meisten von ihnen auch ihre ihnen nach Gesetz und Recht
zustehenden Gehälter für die Zeit des Kündigungsschutzes, ja selbst die
eingezahlten Beiträge in die Pensionskassen vorenthält. Sie muß erfahren,
daß ihre Not in vielen Fällen dazu benutzt wird, ihnen die Unterschrift
für völlig ungenügende Abfindungssummen abzufordern. Sie muß erfahren,
392
daß man die Männer der christlichen Arbeiterbewegung zum Teil dem größ-
ten wirtschaftlichen Elend preisgegeben hat. Und das doch alles nur, weil
sie der Idee einer christlich-nationalen Arbeiterbewegung dienten.
Die Arbeiterschaft an der Saar, die heute in der Deutschen Gewerkschafts-
front-Saar zusammengeschlossen ist, ist entscheidend für die Rückkehr des
Saargebietes. Sie ist gewillt, den deutschen Weg in Treue zu gehen. Aber
es ist unerträglich für den Kampf dieser Arbeiterschaft, daß ihr von der
gegnerischen Presse immer wieder mit Hohn und Spott zum Bewußtsein
gebracht werden kann, daß sie den Kampf für die Rückkehr ins Reich führt,
während man ihre Bewegung und deren Führer beschimpft, ächtet und dem
Elend preisgibt. Sie muß sich immer wieder Vorhalten lassen, daß sie und
ihre Führer dem gleichen Schicksal entgegengingen. Es ist heute schon so
weit, daß meine Kameraden dem fortgesetzten Hohn der Andersdenkenden
an der Arbeitsstätte ausgesetzt sind, daß am Ende ihres tapferen deutschen
Kampfes nichts anderes stehe, als das Schicksal, das man der christlichen
Arbeiterschaft und ihren Führern im Reich bereitet hat. Die politische und
seelische Lage meiner Kameraden ist um so schwerer, als im Zuge der Revo-
lution nur die Führer der Arbeiterschaft der Diffamierung und der mate-
riellen Entrechtung verfielen. Die Angehörigen und Angestellten anderer
Stände und anderer aufgelöster Organisationen haben in weitgehender
Weise ihr Recht und darüber hinaus Unterstützung gefunden.
Große Schwierigkeiten unter der Arbeiterschaft im Saargebiet schafft auch
die Stellung der konfessionellen Standes- und Jugendvereine im Reich. Der
Großteil der Saararbeiter ist katholisch. Die Treue ihres deutschen Gedan-
kens ist weithin geformt und geschult in der Kirche, in den Standesvereinen
und in den christlichen Gewerkschaften. Die religiöse Überzeugung, die den
Arbeiter an der Saar in diese Organisationen führte, ist ihm ein Heiligtum.
Der fortgesetzte Kampf, der im Reich gegen diese Organisationen geführt
wird, die Herabsetzung die sie immer wieder neu im Bewußtsein des Volkes
erfahren, verletzt und verwirrt die tiefste religiöse Überzeugung der christ-
lichen Saararbeiter. Die gegnerische Presse droht immer mehr an Boden zu
gewinnen, wenn diese religiöse Überzeugung nicht geachtet wird.
Eine große Sorge für die Saararbeiterschaft bildet auch die soziale Stellung
des Arbeiters im Reich. Von der gegnerischen Presse wird immer wieder
darauf hingewiesen, daß die Arbeiterschaft durch die Vernichtung ihrer
Gewerkschaften der Möglichkeit beraubt sei, selbst Einfluß zu nehmen auf
die Gestaltung ihres sozialen Schicksals. Das Gesetz zur Ordnung der natio-
nalen Arbeit sei — wie die Gegner sagen — kein Schutz der Arbeiterschaft.
Der christlichen Arbeiterschaft an der Saar, die durch Generationen für die
wahrhafte Freiheit und Volkwerdung der deutschen Arbeiterschaft ge-
kämpft hat, wird höhnisch gesagt, daß man einer hochentwickelten deut-
schen Arbeiterschaft im Reiche heute Wohltätigkeit statt Gerechtigkeit biete,
daß man ihr Erholungsreisen und Vergnügungen biete, um sie über ihre
verlorenen Rechte hinwegzutäuschen. Es wird immer wieder in der gegneri-
schen Presse auf den Ausfall der Wahlen der Vertrauensräte im Reich hin-
gewiesen, der beweise, wie ernst die Unzufriedenheit in der deutschen Ar-
393
beiterschaft sei. Die christliche Arbeiterschaft ist von der tiefsten Sorge
erfüllt, daß man die aufrechte Arbeiterschaft dadurch dem Radikalismus in
die Arme treibt.
Ich weiß, daß die gesamte deutsche Arbeiterschaft, deren bester Kern in den
deutschen Gewerkschaften organisiert war, das Bewußtsein freier deutscher
Menschen in der Seele trägt. Sie will in freier Entscheidung in Not und Tod
zum Vaterlande stehen. Sie muß für ihren Willen zum deutschen Volk und
zu einem wahrhaft sozialen Staat einen freien würdigen Ausdruck finden
können. Gerade die Saararbeiterschaft, die in den Zeiten der Fremdherr-
schaft schwere Bedrückungen und Entrechtungen ertragen hat, trägt die
Sehnsucht einer aufrechten, freien, deutschen Arbeiterschaft in sich. Heute
muß sie sich in tiefster Besorgnis von allen Seiten auf kommende Unter-
drückungen hinweisen lassen.
Herr Reichskanzler, ich habe als Führer der Deutschen Gewerkschaftsfront
Saar vor Ihnen gestanden und habe Ihnen von dieser verwirrenden inneren
Not meiner Kameraden sprechen dürfen. Den Willen, die deutsche Saar-
arbeiterschaft zu Deutschland zurückzuführen, den Sieg des deutschen Ge-
dankens zu einem vollkommenen zu machen, trage ich als Heiligtum in
meinem Herzen. Der Mutterboden meines deutschen Willens ist die deutsche
christliche Gewerkschaftsbewegung. Sein Mutterboden ist die christliche
Überzeugungstreue, von der diese Bewegung getragen wurde. Der Wille, der
in mir lebt, lebt in jedem meiner Kameraden. Ich selbst empfinde die Ge-
wissensnot, die den deutschen Arbeiter an der Saar quält, wenn ihm die
Ächtung seiner Stammbewegung, die Herabsetzung der konfessionellen
Standesorganisationen im Reich immer wieder vorgehalten wird. Ich selbst
empfinde in eigenster Gewissenspein die Sorge um die Ungewißheit des
sozialen Schicksals meiner Arbeitsbrüder, mit denen ich untrennbar ver-
bunden und für deren Schicksal ich mitverantwortlich bin.
In Ihrer Macht liegt es, Herr Reichskanzler, dieser Gewissensnot ein Ende
zu machen und allen Gegnern den Boden der Agitation zu entziehen. In
Ihrer Macht Herr Reichskanzler liegt es, den Kampf der deutschen Saar-
arbeiterschaft zu einem klaren, siegreichen Kampf zu machen. Soll der
Kampf so werden, dann muß vor allem auch die Ehre der christlichen Ge-
werkschaften und ihrer Führer im Reich endlich vor aller Öffentlichkeit
wiederhergestellt werden. Der deutsche Saararbeiter muß wissen, daß man
seinen Wunsch und Willen achtet, mit einer unbescholtenen deutschen Ar-
beiterehre und mit der unbescholtenen deutschen Ehre seiner aufrecht natio-
nalen Bewegung ins Reich zurückzukehren.
Weiter muß den Führern der ehemaligen christlichen Gewerkschaften —
soweit es noch nicht geschehen — ihr materielles Recht werden, die rück-
ständigen Gehälter für die gesetzliche Kündigungsfrist müssen voll ausbe-
zahlt und ebenso müssen ihnen die Gelder der Pensionskassen zur Verfügung
gestellt werden. Diese Gelder können und dürfen nicht für andere Zwecke
verwendet werden. Sie bleiben persönliches Eigentum, erworben durch
eigene und pflichtgemäße Arbeitgeberbeiträge. Die Erfüllung schon dieser
394
Notwendigkeiten würde meinen und meiner Kameraden Kampf um die
Deutschheit der Saar um ein Wesentliches erleichtern.
Nach Ihren Worten, Herr Reichskanzler, muß der Führer den Mut zur
Klarheit und Wahrheit haben. Ich habe aus meiner tiefsten Verantwortung
heraus von dem innersten Kampf der deutschen Saararbeiterschaft gespro-
chen. Und ich bin der festen Überzeugung, daß Sie, Herr Reichskanzler,
diesen Kampf erleichtern und alles ausräumen werden, was ihn erschwert.
Im Vertrauen auf Ihre Gerechtigkeit bin ich
Ihr sehr ergebener
gez. Peter Kiefer
Saarbrücken, den 5. Juli 1934
Anlage 18
Briefe Bischof Bornewassers vom 3. Oktober und vom 27. August 1934
an Hitler
Original: BA Koblenz R 43V255; Doppel des Briefes vom 27. August 1934 auch
im BA Koblenz, Persönliche Adjutantur des Führers: NS 10/109
Der Bischof von Trier3) z. 2. Freiburg i/Brg. 3. Oktober 1934
St. Urban
Hochgeehrter Herr Führer und Reichskanzler!
Auf Grund einer eingehenden Besprechung mit dem Herrn Saarbevollmäch-
tigten Bürkel, der mich in Trier besuchte, habe ich beiliegenden Brief ge-
schrieben. Er war sehr dankbar für dieses Schreiben, bat es möglichst schnell
zu verfassen und versprach mir, es Ihnen persönlich zu überreichen.
Am 26. August sandte ich das Schreiben an Herrn Bürkel.
Am 22. September schrieb er mir, er habe noch keine Gelegenheit gehabt es
zu überreichen, wolle sie aber bald suchen.
Am 23. September bat ich ihn, mir das Schreiben umgehend zurückzusenden.
Bis heute, am 3. Oktober, ist dies noch nicht erfolgt. Deshalb habe ich eine
neue Abschrift machen lassen und gestatte mir, diese Ihnen, hochverehrter
Herr Führer und Reichskanzler, direkt zuzusenden.
Mit dem Ausdruck meiner ausgezeichneten
Hochachtung bin ich Ihr ergebenster
Dr. Bornewasser
Bischof von Trier
Bischof von Trier Trier, den 27. August 1934.b)
Sehr verehrter Herr Reichskanzler!
Auf Grund einer eingehenden Besprechung mit dem Herrn Gauleiter
Bürckel (Pfalz), dem zeitigen Saarbevollmächtigten, gestatte ich mir als
a) Mehrere handschriftliche Aktenhinweise aus der Reichskanzlei; Eingangsstempel
4. Okt. 1934.
b) Handschriftliches Aktenzeichen der Reichskanzlei unten auf der ersten Seite: Rk 880934.
395
Bischof des mir zum weitaus größten Teile geistlich unterstellten Saargebie-
tes in aller Ehrerbietung, aber auch mit aller vom Ernste der Sache gefor-
derten Offenheit einen Bericht über die bedrohliche Lage des Saargebietes
ergebenst zu unterbreiten.
Ich tue es im Interesse der kommenden Abstimmung, die viel mehr gefährdet
ist, als manche es im Reiche zu glauben scheinen und es in ihren Reden dar-
stellen. Es ist in Stunden der Gefahr am besten, der Wahrheit klar ins Auge
zu sehen. Ich halte es als deutscher Bischof für meine ernste Gewissenspflicht,
nachdem ich schon so oft andern mitverantwortlichen Persönlichkeiten
mündlich und schriftlich meine Besorgnisse über die Lage des Saargebietes
mitgeteilt habe, nunmehr auch Ihnen, Herr Reichskanzler, diese meine Be-
sorgnisse zu unterbreiten. Ich tue es, damit noch in letzter Stunde möglichst
alles weggeräumt wird, was den Saarländern ihre Heimkehr zum Vaterland
erschweren könnte.
Bei einer Besprechung mit Staatsrat Simon im Herbste 1933 fragte mich
derselbe, wie ich über die Abstimmung im Saargebiete dächte. Ich antwortete
ihm, man müsse wohl sicher mit 15 °/o Gegenstimmen (Kommunisten) rech-
nen. Herr Simon hielt das für zu optimistisch und glaubte mit 20—25 %
Gegenstimmen rechnen zu müssen. Heute ist auch diese Auffassung viel zu
optimistisch.
Ich bin zwar auch jetzt noch der festen Überzeugung, daß die Mehrheit der
Saarländer unbedingt für die Rückgliederung stimmt. Aber wenn in diesem
Augenblicke abgestimmt werden müßte, so könnte — fürchte ich — die
Minderheit so stark sein, daß eine Rückgliederung im Sinne Deutschlands
mindestens in Frage gestellt wäre.
Wo liegen die Gründe für die der Abstimmung gefährliche Lage im Saar-
gebiet?
I. Sie liegen zum Teil im Saargebiet selbst. In der intensiven Arbeit der
kommunistischen, französisch eingestellten und separatistischen Presse. Auch
in gewissen stillen französischen Einflüssen, die genugsam bekannt sind. Sie
liegen in den heute noch besseren wirtschaftlichen Verhältnissen. Sie liegen
in der überaus unglücklichen Führung der saarländischen N.S.D.A.P. und
der H.J. Die Partei hat das im Frühjahr selbst erkannt und die in Frage
kommenden Persönlichkeiten entfernt. Sie liegen in der zeitweiligen c) Un-
geschicklichkeit und Einseitigkeit, mit der die „Deutsche Front“ arbeitet.
Sie liegen in der drückenden Zukunftssorge der großen Schar treudeutscher
katholischer Beamten, Lehrer und Lehrerinnen, die früher dem Zentrum
angehörten und immer in erster Linie mit bewunderswertem Eifer und an-
erkennungswürdigem Mute für das Deutschtum und die baldige Heimkehr
zum Vaterlande kämpften. Sie liegen in der tiefen Erbitterung der Katho-
liken darüber, daß die N.S.V. die katholischen erholungsbedürftigen Kinder,
man kann sagen, grundsätzlich in evangelische Gegenden, weit vom Saar-
gebiet, versendet, obwohl von den betreffenden Stellen in Berlin (Herrn von
Papen und Herrn Hilgenfeldt) immer und immer wieder das Gegenteil ver-
c) zeitweiligen handschriftlich nachgetragen.
396
langt wurde und mehrere Tausend Stellen in katholischen Familien und
Gegenden zur Verfügung stehen. Es scheint jetzt besser zu gehen.
II. Die Gründe für die der Abstimmung gefährliche Lage liegen aber auch
im Reich. Alles, was man im Reich an Bitterkeiten dem Katholizismus zu-
gefügt, wurde von den ebenso treu deutsch wie treu katholischen Saarlän-
dern, die etwa 3A der gesamten Saarbevölkerung ausmachen, schmerzlich
empfunden und löste in ihnen die bange Sorge aus: Wird es uns und unserer
Jugend auch so gehen?
Dazu gehören
1. die beklagenswerte Inhaftierung sehr vieler Geistlicher und zwar unter
schimpflichster Mißhandlung im Bistum Speyer, von dem auch einige De-
kanate zum Saarland gehören. Diese Dinge gehören zwar der Vergangenheit
an, aber ihre Wirkung in der katholischen Bevölkerung ist noch nicht ver-
schwunden. Ich bin übrigens überzeugt, Herr Gauleiter Bürckel wird für
Gegenwart und Zukunft solche peinlichen Übergriffe zu verhüten wissen.
2. Die mir unverständliche, ich muß sagen schmerzliche Behandlung der
katholischen Jugend in der Rheinprovinz. Es gibt wohl in Preußen keine
Provinz, in der den durch das Konkordat in ihrer Existenz geschützten
katholischen Vereinen eine solche Behandlung zuteil wurde wie in
der Rheinprovinz. Ernste Eingaben des Herrn Kardinals von Köln im
Namen der niederrheinischen Kirchenprovinz beim Oberpräsidenten haben
nichts genutzt, da ich das zugestandene Auftreten der katholischen Jugend
mit ihren Christusbannern und kleinen Christusmonogrammen bei rein
religiösen Feiern als eine Selbstverständlichkeit und als ureigenstes Recht
der Kirche ansehe. Bei einer zweiwöchigen Werbung für die H.J. in den
Bezirken Koblenz-Trier, die zu meiner Diözese gehören, fand ein so furcht-
barer Druck auf das religiöse Gewissen der Beamten, Lehrer, Lehrerinnen,
Eitern und Kinder statt, daß ich mich hilfesuchend schriftlich und drahtlich
an die Herren Minister Goebbels und Frick wandte, die auch in dankens-
werter Weise in wichtigen Punkten halfen. Und alles das fand in der Zeit
statt, in der die Reichsregierung mit den Vertretern des deutschen Episco-
pates in Berlin nicht etwa über die Existenz der katholischen Vereine, son-
dern über die Form dieser Existenz verhandelte.
Diese mir bis heute unbegreifliche, der ganzen Öffentlichkeit bekannte Be-
handlung der katholischen Jugend durch staatliche und Parteiinstanzen
im Rheinland — es war nicht in den einzelnen Regierungsbezirken gleich —
hat an der Saar einen kaum mehr gutzumachenden Schaden verursacht.
3. Daß die immer wiederkehrenden, oft aus unsäglich kleinlichen Gründen
durch die Geheime Staatspolizei verfügten Verhaftungen von Geistlichen
die eigene Pfarrei derselben, da außer dem kleinen Häuflein der Denunzian-
ten fast immer 95—98 °/o der Pfarrkinder hinter ihnen stehen, in große
Erregung bringen, ist traurig genug. Aber bei der engen Verbindung des
Saargebietes mit seiner angestammten Trierer Diözese dauert es kaum einen
oder zwei Tage, bis sich die Erregung auch diesem Teile meiner Diözese
397
micgeteilt hat. Die verhafteten Geistlichen sind zwar immer nach einem
oder zwei mehreren Tagen entlassen worden, aber die schmerzlichen Wir-
kungen bleiben. Es ist betrübend, daß trotz aller noch so scharfen Bestim-
mungen von Berlin aus das Denunziantentum in hoher Blüte steht, was mir
Herr Staatsrat und Gauleiter Simon gelegentlich einer Besprechung in
meinem Hause am 17. August 1934 bestätigte.
Es ist ganz selbstverständlich, daß auch der Geistliche, wenn er sich in wirk-
lich ernster Weise gegen die Staatsautorität vergeht, die Strafe des Gesetzes
fühlen und auf sich nehmen muß. Aber es gelten doch auch für die Geheime
Staatspolizei, besonders bei so kleinlichen Denunziationen, neben den staat-
lichen Gesetzesvorschriften die Gesetze der staatsmännischen Klugheit und
die Lehren der Psychologie inbezug auf die Wirkung des politischen
Handelns.
4. Daß die durch die Zeitungen allgemein bekannt gewordenen Reden der
Herren Hille, Görhtzer, Lauterbacher usw. mit ihren starken Ausfällen
gegen die katholische Kirche, im Saargebiet niederschmetternd wirken und
wirken müssen, werden der Herr Reichskanzler verstehen. Es kommt mir
oft der Gedanke, daß für manche Redner aus dem Reiche das Saargebiet
eine quantité négligeable ist, auf die man keine Rücksicht zu nehmen braucht,
oder daß dieselben keine Ahnung davon haben, wie sie durch ihre Reden
den treudeutschen Saarländern ihren Willen, zum Vaterlande zurückzu-
kehren, äußerst belasten. Man kann nicht von jedem deutschen Redner ver-
langen, daß er wie ein kluger Staatsmann redet. Man muß aber von jedem
deutschen Redner verlangen, daß er auch den jetzt vom Vaterland abge-
trennten Brüdern im Saarlande so viel Liebe und Verständnis entgegen-
bringt, daß er sie nicht durch Reden gegen die katholische Kirche in ihren
heiligsten Gefühlen in einer Weise malträtiert, die eines kulturell hoch-
stehenden Landes unwürdig ist.
5. Eine tiefe Erregung erfüllt die katholischen Saarländer auch durch die
sich wiederholenden Verbote der Hirtenschreiben der deutschen Bischöfe.
Ich will hier nicht reden von einem meiner eigenen rein religiösen Hirten-
briefe, der unbeanstandet auf allen Kanzeln verlesen werden, aber in der
Zeitung nicht gedruckt werden durfte, obwohl das Reichskonkordat dies
mit den Worten „in den bisher üblichen Formen“ ausdrücklich gestattet.
Ich denke vielmehr an den großen Hirtenbrief des Gesamtepiscopates nach
der letzten Konferenz in Fulda, ein Hirtenbrief, der in sehr ruhiger, ernster
Form auf die Glaubensirrtümer der Zeit hinweist und in positiver, sach-
licher und volkstümlicher Weise die katholische Wahrheit dem Volke dar-
stellt. Der Herr Kardinal von Breslau hat als Vorsitzender der Bischofs-
konferenz von Fulda beim Herrn Reichsminister Dr. Frick gegen die Be-
schlagnahme dieses bedeutungsvollen, auch für die Autorität der Reichs-
regierung wertvollen Hirtenbriefes als einen Eingriff in die von Ew. Exzel-
lenz noch jüngst betonte Lehrfreiheit der Kirche ernste Verwahrung ein-
gelegt. Im Saargebiet war natürlich der Hirtenbrief bereits vor der mir bis
heute unverständlichen Beschlagnahme bekannt, und man fragt sich heute
398
dort: „Wie ist es möglich, daß man in unserm deutschen Vaterlande unserer
heiligen Kirche solche Schläge versetzt, durch die man die so sehr ersehnte
Volkseinheit und Volksgemeinschaft immer mehr gefährdet?"
6. Wenn schon im katholischen Volke Deutschlands die planmäßige Ver-
breitung der widerchristlichen Lehren Rosenbergs, Bergmanns und anderer
in der Partei, in Schulungskursen, in Lagern usw. aufs tiefste erbittert, so
ist das noch mehr der Fall bei den katholischen Saarländern, weil sie nicht
ohne Grund fürchten, nach der Angliederung auch dem teilweise hemmungs-
losen Ansturm auf die Grundlagen der christlichen Kultur unseres Volkes
ausgesetzt zu werden und dabei auch die Freiheit des Wortes in kirchlichen
und außerkirchlichen Versammlungen, die Freiheit der Presse und des Flug-
blattes zur Aufklärung, Belehrung und Verteidigung in all den religiösen
Gefahren der Zeit zu verlieren.
Sehr verehrter Herr Reichskanzler! Ich bin nun fast 13 Jahre Bischof des
rheinischen Teiles des Saargebietes. Es ist dies der weitaus größte Teil des-
selben. Ich bin jedes Jahr in einer Reihe von Städten und Landgemeinden
amtlich tätig gewesen. Immer wurde ich, wohin ich kam, öffentlich von den
Landräten und Bürgermeistern als der Hort des Deutschtums begrüßt, ohne
daß ich mich jemals in die Politik an sich eingemischt habe. Die französi-
schen Zeitungen haben diese Auffassung oft genug bestätigt und mich den
„Rocher de bronce“ für das Deutschtum genannt. Deshalb habe ich geglaubt,
mit Freimut und Offenheit auf die Tatsachen hinweisen zu dürfen, die auf
eine Deutschland günstige Abstimmung so ungünstig einwirken und — ich
muß es mit tiefem Schmerz sagen — auch die Erfolge meiner 12-jährigen,
oft bitteren und schweren Arbeit zum Teil zerschlagen haben.
Es gibt nur einen Mann in Deutschland, der noch in letzter Stunde in der
Saarländischen Gefahr Rettung bringen kann, das sind Sie, Herr Reichs-
kanzler!
Im Interesse der vollen Einigung des deutschen Volkes durch die Heimkehr
der Saarländer zum Vaterland würde ich und mit mir die c. 500000 katho-
lischen Saarländer es dankbarst begrüßen, wenn Sie, verehrter Herr Reichs-
kanzler, diejenigen Maßnahmen treffen würden, die geeignet sind, die ge-
fährlichen und schmerzlichen Wirkungen der in den Punkten II 1—6 von
mir geschilderten Geschehnisse für die, wie Herr Gauleiter Bürckel (Pfalz)
meint, allernächste Zukunft zu verhindern.
Zwei Dinge aber würden einen tiefen befreienden Eindruck auf die im
tiefsten Grunde ihres Herzens alle, mit Ausnahme eines kleinen Teiles, treu-
deutschen Saarländer machen:
1. Den Vorschlag, den Herr Staatsrat und Gauleiter Simon im Herbste 1933
schon machte, den er heute noch für notwendig hält und über den er und
ich auch mit Herrn von Papen gesprochen hatten, zu realisieren: Das wäre
ein Erlaß Ew. Exzellenz, daß alle Beamte, Lehrer und Lehrerinnen des
Saargebietes, die wollen, selbstverständlich nach der Angliederung auf ihren
Posten bleiben werden.
399
2. Ein starkes Wort Ew. Exzellenz, daß das bereits ratifizierte Reichs-
konkordat in allen seinen Teilen auch von den untersten Instanzen in einer
die Rechte des Staates ebenso wie die der Kirche wahrenden Weise loyal
durchgeführt werden müsse.
Mit dem Ausdruck meiner Ergebenheit
und ausgezeichneten Hochschätzung
bin ich
Ihr ergebenster
Dr. Bornewasser
Bischof von Trier
Anlage 1 9
Brief Gauleiter Bürckels an Hitler vom 29. September 1934
BA Koblenz, Bestand: Persönliche Adjutantur des Führers NS 10/109, Bl. 43/44
Der Saarbevollmächtigte Neustadt/Hdt., den 29. September 1934
des Reichskanzlers Mohrenstr. 65 (Thüringer-Haus)
Fernspr.-Sammel-Nr. A 2 Flora 65 71
Nachtruf A 2 Flora 18 65
Mein Führer!
Ich gestatte mir die augenblickliche Situation, wie ich sie sehe, kurz zu
schildern:
1. Die Note des Herrn Barthou hat im wesentlichen die Propaganda für
den Status quo unter Einschaltung rein wirtschaftlicher Argumente, zum
Teil auch unter Hinweis auf die späteren demokratischen Freiheiten, ver-
schärft. Es ist deutlich erkennbar, wie man sich darum bemüht, die Deutsche
Front auf das Gebiet der rein materiellen Betrachtungsweise zu drängen.
2. Die Methoden der Erpressungsabsichten seitens der katholischen Kirche
treten in einer seltenen Deutlichkeit in Erscheinung. Das Verhalten des
Herrn Bischofs von Trier ist der Beweis für die unverkennbaren Absichten
Roms mit der These zu arbeiten: „Gegen das Konkordat, die katholischen
Wählerstimmen.“ Der Bischof von Trier, der bisher etwas Aktivismus für
Deutschland an den Tag legte, hat sich ähnlich wie der Nuntius in einen
mehrwöchigen Urlaub begeben mit dem Bemerken: „Er will die Dinge ab-
warten und könne nichts mehr in der Sache gegenwärtig tun. Der Brief an
den Führer müsse ihm zuerst beantwortet werden.“ Sein Generalsekretär
wendet sich indes an jene katholischen Geistliche des Saargebietes, die für
Deutschland Propaganda machten, mit ernsten Mahnungen und fordert
auf sich nicht mehr politisch zu betätigen. Gleichzeitig sieht man es offenbar
nicht ungern, wenn von der Kanzel herab in der schamlosten Weise gegen
Deutschland im Namen Gottes Stimmung gemacht wird. Ein großer Teil
der Geistlichen verhält sich noch gegenwärtig desinteressiert und neutral.
Es besteht jedoch kein Zweifel, daß dieser Teil nur darauf wartet bis auch
er eingeschaltet wird zum Kampf gegen Deutschland, d. h. für die Erzwin-
gung konfessioneller Vorrechte in Deutschland. Diese Haltung bedingt unser
400
taktisches Vorgehen. Ob durch die Anwendung friedlicher und versöhnender
Mittel von unserer Seite die offizielle Kampfansage seitens der Kirche sich
verhindern läßt, ist bei der Gerissenheit und Verschlagenheit dieses Gegners
noch nicht abzusehen.
3. Die marxistischen Arbeiter beginnen sich zu spalten. Hier ist unsere Tätig-
keit wesentlich leichter. Herr Röchling mit seinen schlechten Löhnen ist ein
störender Faktor in dieser Entwicklung. Im allgemeinen arbeiten die
Marxisten sehr stark mit der Parole: „Wer für Deutschland ist, ist gegen
Hitler — wer gegen Hitler ist, ist für Status quo." Dieser Parole stellen wir,
wenn sie sich halten sollte, die einfache Frage gegenüber: Hitler oder
Barthou?
Mein Führer!
Ich wäre dankbar, wenn mir bald Gelegenheit zum mündlichen Vortrag
gegeben würde.
Ihr getreuer
Bürckel
Anlage 20
Antwortschreiben des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom
6. Dezember 1934 an Bischof Bornewasser
Original: Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 48; Abschrift im BA Koblenz: R 43 V256
Der Reichs- und Preußische Minister des Innern
Nr. VI D 2595 II.
Berlin NW 40, den 6. Dezember 1934.
Königsplatz 6
Auf das an den Führer und Reichskanzler gerichtete Schreiben vom
27. August d. J.
Eure Exzellenz!
Der Führer und Reichskanzler hat mich beauftragt, Ew. Exzellenz für das
nebenbezeichnete Schreiben zu danken und es zu beantworten.
Das Schreiben Ew. Exzellenz ist erneut ein Beweis dafür, mit welcher Sorge
und Anteilnahme Sie, Herr Bischof, die Geschicke der deutschen Bevölke-
rung an der Saar verfolgen. Wenn ich Ihnen dafür meinen Dank ausspreche,
so bin ich mir dabei bewußt, daß nicht zuletzt der Einfluß Ew. Exzellenz als
deutschen Bischofs auf die Geistlichkeit und die katholische Bevölkerung an
der Saar die Verbreitung mancher gegen das Deutschtum gerichteten Ein-
flüsse verhindert und unmöglich gemacht hat. Ihre Person und Ihre Tätig-
keit während Ihrer 12jährigen Amtszeit als Bischof von Trier bieten die
Gewähr dafür, daß Sie, Herr Bischof, keinen Zweifel daran aufkommen
lassen werden, daß Sie es nach wie vor für die selbstverständliche Pflicht
eines jeden deutschen Katholiken an der Saar halten, am 13. Januar für die
Wiedervereinigung mit dem Mutterlande zu stimmen.
Gewisse in Ihrem Schreiben erwähnte Vorkommnisse, die ich, soweit ihre
Richtigkeit erwiesen ist, selbst bedaure, mögen, wenn auch unberechtigter-
401
weise, Veranlassung gegeben haben, in katholischen Kreisen des Saargebietes
Befürchtungen für die Zeit nach der Rückgliederung aufkommen zu lassen.
Die hie und da zum Ausdruck kommenden Spannungen, die bei einem Um-
bruch von Volk und Staat von derart welthistorischem Ausmaß unausbleib-
lich sind, können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß das Dritte
Reich auf den Grundlagen des christlichen Sittengesetzes und der christlichen
Kultur aufgebaut ist, und daß die Reichsregierung seit der Übernahme der
Macht von dem ernsten Willen beseelt ist, die Freiheit und das Wirken der
beiden großen christlichen Bekenntnisse zum Segen unseres Volkes zu
schützen.
Leider werden auf kirchlicher Seite mancherlei Maßnahmen der Regierung
und der Partei als bewußte Vernachlässigung kirchlicher Interessen bearg-
wöhnt oder gar als Herausforderung angesehen, die bei objektiver Betrach-
tung hierzu keinen Anlaß bieten.
Auf solchem Argwohn scheint mir z. B. die Meinung zu beruhen, es würden
grundsätzlich „die katholischen erholungsbedürftigen Kinder in evangelische
Gegenden versandt". Weder besteht ein solcher „Grundsatz", noch würden
Maßnahmen, die durch ihn bestimmt wären, je die Billigung der Reichs-
regierung erfahren. Die Schwierigkeiten liegen darin, daß zum überwiegen-
den Teile die industriellen, sehr eng bevölkerten Gegenden der katholischen
Konfession angehören, während die für die Unterbringung der Kinder in
Frage kommenden landwirtschaftlichen Gegenden des Deutschen Reiches,
wie Hannover, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Brandenburg, Pommern
und Ostpreußen von Protestanten bewohnt sind. Im Westen macht aller-
dings das katholische Münsterland eine Ausnahme; aber hier gibt es kaum
Dörfer; die Höfe liegen zerstreut und die Beschickung dieser katholischen
Bauernfamilien mit erholungsbedürftigen Kinder ist sehr schwierig.
Auch bezüglich der Landjahrheime bestehen diese Schwierigkeiten, die auf
Seiten der katholischen Geistlichkeit nicht gewürdigt werden, ebensowenig
wie der Umstand, daß jede Neuerung Erfahrungen braucht, um Unvoll-
kommenheiten zu erkennen und abzustellen. Die weitere Handhabung der
für unsere Jugend so segensreichen Einrichtungen der Landverschickung wie
des „Landjahres“ wird erweisen, daß von einer absichtlichen Fernhaltung
katholischer Kinder von katholischer Umgebung nicht gesprochen werden
kann.
Was die Zukunftssorgen der katholischen Beamten, Lehrer und Lehrerinnen
angeht, die einer der in Deutschland aufgelösten Parteien angehört haben,
so sind Befürchtungen dieser Art völlig unbegründet. Der Führer und
Reichskanzler hat bereits bei der Kundgebung auf dem Ehrenbreitstein ein-
deutig erklärt, daß keinem Saardeutschen, der in Treue zu seinem Vaterland
gestanden hat und steht, wegen seiner Parteizugehörigkeit irgendwelche
Nachteile erwachsen werden. Die Reichsregierung wird darüber hinaus eine
ausdrückliche Erklärung abgeben, die dahin geht, daß eine solche Partei-
zugehörigkeit für die Beamten keinesfalls ein Hindernis für weiteren Ver-
bleib in ihren Ämtern bilden wird.
402
Daß es zu den erwähnten Inhaftierungen katholischer Geistlicher gekommen
ist, bedaure ich sehr. Es wird aber auch Ew. Exzellenz bekannt sein, daß die
betreffenden Geistlichen zum großen Teil aus ihrer alten Einstellung gegen
den Nationalsozialismus heraus es an der notwendigen Loyalität gegenüber
der staatlichen Autorität haben fehlen lassen. Ich hege die zuversichtliche
Hoffnung, daß insbesondere durch die verständnisvolle Mitarbeit Ew.
Exzellenz diese alte Kampfstimmung gegen den Nationalsozialismus, die
bei einzelnen Geistlichen des Saargebietes sich in nicht unbedeutendem Maße
bemerkbar macht, in Kürze überwunden sein wird. Leider muß ich in diesem
Zusammenhang feststellen, daß einzelne Geistliche nicht nur ihre Ver-
bindung zur „Neuen Saarpost“ nicht abgebrochen sondern sogar an der
kürzlich erfolgten Gründung einer separatistischen Partei tätigen Anteil
genommen haben. Ich bin sicher, daß Sie, Herr Bischof, dies selbst tief be-
dauern, nachdem Sie in aller Öffentlichkeit anläßlich des katholischen Ju-
gendtreffens in Saarbrücken von den Bestrebungen der genannten Zeitung
deutlich abgerückt sind.
Zu meiner Freude konnte ich andererseits feststellen, daß eine große Anzahl
katholischer Geistlicher im Saargebiet unerschrocken in Wort und Tat für
eine deutsche Abstimmung wirkt.
Die von Ihnen, Herr Bischof, erwähnten Reibungen bezüglich der Jugend-
verbände sind zum Teil zurückzuführen auf die immer noch nicht zum Ab-
schluß gelangten Verhandlungen bezüglich des Art. 31 des Konkordats.
Ich bedaure auf das lebhafteste diese von Seiten des Staates nicht verschul-
dete Hinauszögerung der im Interesse der beiden Partner wie des katholi-
schen Volksteiles so dringend erforderlichen endlichen Befriedung auf dem
Boden des Konkordats.
Wenn es dem deutschen Episkopat gelingt, wie es Ew. Exzellenz im Saar-
gebiet gelungen ist, so viele auch von ihrer deutschen Aufgabe durchdrun-
gene, wackere und mutige Geistliche zur Bejahung des Dritten Reiches und
zur Mitarbeit am Wiederaufbau zu gewinnen, dann werden bald auch die
letzten Reibungsmöglichkeiten beseitigt sein, die heute noch im gegenseitigen
Mißverstehen ihre Wurzeln haben.
Mit dem Ausdruck ausgezeichneter Wertschätzung
bin ich
Euer Exzellenz sehr ergebener
gez. Frick.
Beglaubigt
Koppe
Kanzleiangestelltera) Stempel
a) Die Abschrift trägt den Text:
Berlin, den 6. Dezember 1934
Abschrift übersende ich ergebenst unter Bezugnahme auf das Schreiben
vom 26. November d. J. — Rk. 10047 — zur gefälligen Kenntnis.
Auf der Abschrift der Eingangsstempel der Reichskanzlei vom 7. 12. 1934 und Ver-
merk 1) Herrn . . . Wienstein nach Rückkehr z. K. vorl. Paraphe W. 10. 12.
2) z. d. A. (Paraphe) 8. 12.
403
Anlage 21
Schreiben der kath. Geistlichkeit und der kath. Jugend des Saargebietes an
Ministerialdirektor Dr. Buttmann im Reichsministerium des Innern vom
27. September 1934
BA Koblenz R 431/255, Abschrift des Reichsministers des Innern an den Herrn
Staatssekretär in der Reichskanzlei a)
Abschrift III 5573/3172
Saarbrücken, den 27. September 1934
Herrn Ministerialdirektor Dr. Buttmann
Berlin
Sehr geehrter Herr Ministerialdirektor!
Durch die Presse ist uns bekannt geworden, daß die Verhandlungen über die
Ausführungsbestimmungen des Konkordates neu aufgenommen worden sind
und aller Voraussicht nach nun vor ihrem endgültigen Abschluß stehen. Wir
gestatten uns, ergebenst darauf hinzuweisen, daß man in weiten Kreisen der
katholischen Saarbevölkerung und besonders in den Reihen der katholischen
Jugend des Saargebietes mit großer Erwartung dem Ausgang dieser Ver-
handlungen entgegensieht. Eine nochmalige Enttäuschung durch weitere
Hinauszögerung oder ein unbefriedigendes Ergebnis wird für die deutsche
Sache im Saargebiet bestimmt von großem Schaden sein. Wir bitten, diese
Feststellung nicht etwa als eine indirekte, versteckte Drohung aufzufassen,
es soll nur der wahrheitsgemäße Hinweis auf tatsächliche Auswirkungen
sein, zumal durch die früheren zahlreichen Feindseligkeiten leider nicht
weniger Stellen gegen die Lebensrechte der katholischen Jugend schon genug
Schaden angerichtet worden ist. Wir wünschen nichts sehnlicher als die Be-
seitigung dieser bedauerlichen Spannungen und den endgültigen Beginn
eines einträchtigen Zusammenwirkens.
Ein positives Ergebnis, das eine befriedigende Lösung schafft und der katho-
lischen Jugend Lebensrecht und Lebensraum in ihrem deutschen Vaterlande
gibt, wird die an sich treudeutsche Stimmung und Haltung der Katholiken
im Saargebiet überaus günstig beeinflussen. Besonders dürfen wir wohl auch
auf die sehr begeisterte Aufnahme hinweisen, die die großherzige persön-
liche Initiative des Führers und Reichskanzlers anläßlich der VDA-Tagung
in Trier im Mai dieses Jahres gefunden hat, die im Gegensatz zu der von
uns bedauerten Entscheidung des Herrn Oberpräsidenten der Rheinprovinz
a) Eingangsstempel der Reichskanzlei vom 8. 10. 34; links unten auf der ersten Seite
folgender Verteiler:
An
Herrn Staatssekretär in der Reichskanzlei
Stellvertreter des Führers, Herrn Reichsminister Heß,
Herrn Gauleiter Bürdkel in Neustadt a. d. H.
Herrn Obergruppenführer von Pfeffer,
Beauftragter des Führers für Kirchenangelegenheiten in Berlin W 8
404
den katholischen Jugendverbänden des Saargebietes eine ehrenvolle Betei-
ligung am VDA Tag durch Mitführen ihrer Banner und Tragen ihrer
Gleichtracht ermöglicht hat.
Eine ähnlich günstige Wirkung wird ohne Zweifel auch jetzt zu erwarten
sein, wenn gerade auch in der Frage der äußeren Gleichberechtigung im Recht
des Uniformtragens eine großzügige Lösung geschaffen wird, da ja in den
breiten Schichten des Volkes gerade diese Dinge aus psychologisch begreif-
lichen Gründen eine sehr große Rolle spielen. Wir glauben, die bestimmte
Hoffnung hegen zu dürfen, daß Sie, sehr geehrter Herr Ministerialdirektor,
diesem Schreiben gütige Beachtung schenken werden.
Mit deutschem Gruß
Für die kath. Geistlichen Für die kath. Jugend
des Saargebietes des Saargebietes
gez. Dechant Dr. Schlich gez. Johann Müllerb)
Anlage 22
Besprechung zwischen Bischof Bornewasser und dem Referenten beim
Saarbevollmächtigten vom 17. November 1934
Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 48
Besprechung
zwischen Sr. Excellenz dem Hochwürdigsten Herrn Bischof Dr. Franz
Rudolf Bornewasser
und dem Referenten beim Saarbevollmächtigten des Reichskanzlers, Herrn
Müller — Neustadt
am 17. November 1934
Als Zeuge anwesend Domkapitular Prälat Fuchs.
A. Vorgeschichte.
Die Veranlassung zu der Besprechung ergibt sich aus dem Briefwechsel zwi-
schen den Bischöfen von Trier und Speyer und dem Saarbevollmächtigten
des Reichskanzlers. Sie geschieht auf ausdrücklichen Wunsch des Saarbevoll-
mächtigten.
In der schriftlichen Vorverhandlung hatte der Bischof von Trier ausdrück-
lich festgelegt, daß er nur dann den Besuch des Herrn Müller empfangen
könne, wenn er das, was er aus dem Vatikan zu berichten habe, lediglich
zur Kenntnis nehmen könne. Wenn er von seiner ursprünglichen Weigerung,
b) Begleittext für Übersendung der Abschrift:
Der Reichsminister des Innern Berlin, den 5. Oktober 1934
III 5573/3172
Abschrift übersende ich ergebenst zur gefälligen Kenntnis.
Im Auftrag
Dr. Buttmann
405
Herrn Müller überhaupt zu empfangen, um eine Mitteilung des Vatikans
in Empfang zu nehmen, abging, so lag das u. a. auch daran, weil mitgeteilt
war, Herr Müller habe außer den Mitteilungen aus dem Vatikan auch noch
im Auftrag des Saarbevollmächtigten eine Mitteilung des Führers und
Reichskanzlers zu übermitteln.
B. Gegenstand der Besprechung.
Die Besprechung hatte zum Gegenstand
1. eine Audienz der Herren Müller, Referent beim Saarbevollmächtigten des
Reichskanzlers, und Kiefer und Levacher aus dem Saargebiet bei Sr. Emi-
nenz dem Herrn Kardinalstaatssekretär Pacelli in Rom am 7. November
1934;
2. eine Anregung an die Hochwürdigsten Herren Bischöfe von Trier und
Speyer, die sich aus einer Unterredung des Saarbevollmächtigten, Gauleiters
Bürckel, mit dem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler am 13. November
1934 in Berlin ergab.
1.
Herr Müller berichtet an Hand seiner schriftlichen Aufzeichungen, die er
sich über die Audienz bei dem Kardinalstaatssekretär gemacht hatte. Als
die Herren Müller, Kiefer und Levacher zu Sr. Eminenz, dem Herrn
Kardinalstaatssekretär Pacelli kamen, glaubte er infolge einer Verwechslung
des Dieners, daß es sich um den Redakteur der „Neuen Saarpost“, Herrn
Hoffmann und dessen Begleitung handle. Die Verwechslung kam daher,
daß auch am selben Tage Herr Hoffmann eine Audienz haben sollte. Als
die drei Vertreter der Deutschen Front aus der Audienz herauskamen, trafen
sie im Vorzimmer Herrn Hoffmann und in seiner Begleitung Herrn Dechant
Held von Itzbach. Ein zweiter Geistlicher, der sich in Begleitung von Herrn
Hoffmann befand, war den anderen nicht bekannt. Es wird angenommen,
daß es ein Geistlicher war, der die Audienz vermittelt hatte. Die Audienz,
die der Deutschen Front gewährt wurde, war vermittelt durch die Deutsche
Botschaft. Das Zusammentreffen der beiden Gruppen im Vorzimmer des
Kardinalstaatssekretärs war dem Hoffmann-Kreis unangenehm.
Da es einige Zeit dauerte, bis die Verwechslung zwischen Hoffmann und
Kiefer aufgeklärt war, war anfangs die Stimmung etwas gespannt. Die
Unterredung wurde kurze Zeit unterbrochen durch eine Verhandlung des
Kardinalstaatssekretärs mit Kardinal Gasparri. Nach dieser Unterbrechung
ging die Unterredung in freundlichem Tone weiter. Sie dauerte im ganzen
eine Stunde.
Der Zweck der Audienz war, den katholischen Mitgliedern der Deutschen
Front Gelegenheit zu bieten, dem Vatikan die Stellungnahme der Katho-
liken an der Saar darzulegen und über die Stellungnahme des Vatikans
Aufklärung zu erbitten.
Die Vertreter der Deutschen Front legten dar, daß, gemessen an der Zahl
der eingeschriebenen Mitglieder der Deutschen Front, etwa 90 % und mehr
voraussichtlich für die Rückgliederung der Saar an Deutschland stimmen
406
würden, daß alle katholischen Zeitungen an der Saar, die im Augustinus-
verein vereinigt seien, für die Rückgliederung an Deutschland einträten, daß
nur die „Neue Saarpost“ für den Status quo sich einsetze, jedoch im ganzen
nur 9000 Exemplare drucke, wovon nur 4500 als bezahlte Exemplare von
Abonnenten zu bezeichnen seien.
Die Vertreter der Deutschen Front fragten, wie die „Neutralität der Kirche“
zu verstehen sei. Bevor der Kardinalstaatssekretär diese Frage beantwortete,
legte er — zum Teil in einer gewissen Erregung — die Schwierigkeiten dar,
die in Deutschland der Kirche bereitet würden, die insbesondere sich darin
zeigen, daß die Abmachungen des Konkordates seitens des Staates nicht
gehalten werden. Erst nach diesen Ausführungen erklärte er die Neutralität
der Kirche so, daß der Vatikan unbedingt neutral sich der Saarabstimmung
gegenüber verhalte, daß aber die deutschen Bischöfe und Priester vollste
Gewissensfreiheit hätten.
Diese Stellungnahme des Vatikans wie auch der Erlaß der beiden Bischöfe
von Trier und Speyer über das Verbot an die Geistlichen, in politischen
Versammlungen zu reden, wurden von Herrn Müller durchaus gebilligt.
Gelegentlich kam auch die Rede auf die falsche Art und Weise, wie die
„Neue Saarpost“ sich bemühe, den Anschein zu erwecken, als sei ihr Stand-
punkt auch der Standpunkt des Vatikans. In den letzten Tagen sei sie in
dieser ihrer Haltung etwas vorsichtiger geworden. Die Blätter der Deutschen
Front dagegen hätten es bisher vermieden und wollten es auch in Zukunft
vermeiden, den Vatikan in diese Erörterungen hineinzuziehen.
Auf die Schreiben, in denen die Bisch. Behörde in Trier den Geistlichen den
Wunsch ausgesprochen hatte, sie möchten keine politischen Reden mehr
halten, erklärte der Kardinalstaatssekretär, ohne die vorliegenden Akten
darauf nicht eingehen zu können.
Es wurde vereinbart, daß Tatsache und Inhalt der Audienz nicht für die
Öffentlichkeit bestimmt seien.
2.
Am Dienstag, den 13. November 1934 hatte der Saarbevollmächtigte, Gau-
leiter Bürckel, eine dreistündige Unterredung mit dem Führer. Aus dieser
Unterredung kristallisierte sich die Anregung heraus, die Bischöfe von Trier
und Speyer möchten bei einem persönlichen Besuch des Führers all die
Schwierigkeiten darlegen, die sich für die Katholiken der Saar aus dem z. Zt.
bestehenden Verhältnis zwischen Staat und Kirche ergäben. Ein Wunsch der
beiden Bischöfe nach einer solchen Unterredung wäre dem Führer sehr
angenehm.
Herr Müller legte bei dieser Gelegenheit im einzelnen dar, wie sehr es dem
Führer darauf ankomme, die Schwierigkeiten mit der Kirche zu überwinden,
daß der Führer in keiner Weise auf dem Boden von Rosenberg stände.
Wenn er Rosenberg wie auch Baldur von Schirach noch nicht aus ihrer
Stellung entfernt habe, so komme das von seiner stärksten Tugend, der
Treue gegen die alten Kämpfer, die vielleicht in einem solchen Falle eine
Schwäche werden könnte. Auch habe der Führer von einem zweimaligen
Anträge des Kardinals Faulhaber um eine Audienz nichts gewußt und sei
407
erst durch Gauleiter Bürckel darauf aufmerksam geworden, als dieser ihn
auf die Folgen einer solchen Nichtbeantwortung des Gesuches eines Kardi-
nals hinwies. Der Führer lege großen Wert darauf, das Verhältnis von
Kirche und Staat gut zu gestalten. Er sei aber auch besorgt darum, daß die
Saarabstimmung frei vor sich gehe und selbst, wenn vor der Saarabstim-
mung eine Einigung in den Konkordatsverhandlungen zustande komme,
dann werde er wohl Anweisung geben, daß diese Abmachungen sofort
seitens des Staates durchgeführt werden, daß sie aber der Öffentlichkeit
nicht vor dem 14. Januar 1935 bekannt würden.
Der Fiochwürdigste Herr Bischof erklärte, daß ihm diese Unterredung sehr
überraschend komme und daß es ihm deshalb im ersten Augenblick nicht
möglich sei, daraufhin eine endgültige Antwort zu geben. Als erste Erwä-
gungen, die in ihm lebendig wurden, bezeichnete er folgende:
I. Er habe in einem ausführlichen Memorandum dem Führer all das gesagt,
was Gegenstand der gewünschten Unterredung sein solle. Er glaube auch
annehmen zu dürfen, daß diese Denkschrift zum Gegenstand von Unter-
suchungen und Erörterungen gemadat worden sei; er habe aber z. Zt. nodi
keine Antwort darauf erhalten. Bevor eine solche da sei, scheine es ihm nicht
taktvoll, denselben Gegenstand in persönlicher Verhandlung mit dem Füh-
rer zu besprechen.
II. Es seien in den letzten Tagen erneut Verhandlungen zwischen den drei
Vertretern des Episkopates und der Reichsregierung gewesen. Die Berichte
darüber seien nach Rom gegangen. Es bestehe Aussicht auf eine friedliche
Lösung der Schwierigkeiten. Auch bei diesem Stand der Konkordatsver-
handlungen scheine ihm eine persönliche Unterredung mit dem Führer nicht
ratsam zu sein. Jedenfalls könne er sich zu einer solchen nicht entschließen,
wenn er nicht vorher mit einem der drei unterhandelnden Bischöfe sich in
Verbindung gesetzt habe.
III. Ein Besuch der beiden Bischöfe von Trier und Speyer bei dem Führer
könne der Öffentlichkeit gegenüber nicht geheim bleiben. Es sei infolge-
dessen die Gefahr, daß dieser Besuch von den Gegnern der Rückgliederung
ausgeschlachtet werde oder daß ein zu erhoffender günstiger Ausgang der
Konkordatsverhandlungen auf den Druck dieser beiden Saarbischöfe zurück-
geführt werde. Das alles aber liege nicht im Interesse des Führers.
Herr Müller erwiderte darauf, die Darlegungen des Bischofs hatten die Lage
vom Führer her gesehen; man könne aber ebenso die Lage von der Kirche
her sehen und unter diesem Gesichtspunkt glaube er, daß eine solche Unter-
redung der Kirche großen Nutzen bringen könne.
Abschließend wurde von beiden Seiten festgestellt, daß in diesem ersten
Augenblick der Bischof nicht in der Lage sei, eine endgültige Stellungnahme
zu dem gewünschten Besuche beim Reichskanzler zu finden. Diese Unter-
redung müsse wegen ihrer weittragenden Bedeutung Gegenstand ernster
Überlegung sein. Auch müsse eine vorherige Fühlungnahme mit dem Bischof
von Speyer erfolgen.
408
Die beiden genannten Punkte waren nach dem Bericht des Herrn Müller am
Donnerstag, dem 15. November 1934, dem Hochwürdigsten Herrn Bischof
von Speyer vorgetragen worden. Auch er hatte von Punkt 1 lediglich
Kenntnis genommen und zu Punkt 2 ähnliche Ausführungen gemacht wie
der Bischof von Trier, sich desgleichen seine endgültige Stellungnahme Vor-
behalten.
Der Bischof von Speyer hatte bei dieser Gelegenheit auch verlangt, daß eine
Falschmeldung über ihn durch eine Berichtigung seitens des Saarbevoll-
mächtigten richtiggestellt würde, was auch zugesagt wurde.
Anlage 23
Rundschreiben des Bischofs von Trier an die Dechanten des Saargebietes1)
Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 48
Der Bischof von Trier Trier, den 5. Dezember 1934.
An die Dechanten des Saargebietes8).
Lieber Herr Dechant!
Sie werden den vom hochwürdigsten Herrn Bischof von Speyer und mir
herausgegebenen Erlaß vom 3. 12. 1934 in Händen haben. Ich möchte dazu
noch etwas sagen, was ich in der Öffentlichkeit nicht sagen wollte.
1. Ich habe Verständnis für so manche sorgenvollen und schmerzlichen Ge-
danken, die heute das Herz der katholischen Priester wie das ihres Bischofs
bezüglich der Seelsorge erfüllen. Leider muß ich aber sagen, daß die Geist-
lichen, welche die Versammlung am 30. November besucht haben, die bisher
vielleicht latente Schwierigkeit in der Sorge für die Ihnen anvertrauten un-
sterblichen Seelen zu einer offenen machen. Gestern abend wurde mir mit-
geteilt, daß die Liste der betreffenden Geistlichen fertiggestellt sei. Sie wird
wohl bald bekannt werden. Wie wird dann für diese Priester jetzt und erst
recht nach dem 13. Januar eine gedeihliche Pastoration in den vielen Pfar-
reien möglich sein, in denen eine große Mehrheit der Pfarrkinder sicher für
die Rückgliederung stimmen wird? Das Besuchen dieser politischen Ver-
sammlung, die den ausgesprochenen Zweck hatte, für den sehr fragwürdigen
Status quo zu werben, wirkt sich bezüglich einer gedeihlichen Seelsorge für
alle Saarländer viel verderblicher aus, als wenn ein einzelner Geistlicher in
dieser oder jener Versammlung spricht. Wir haben uns in unserm neuen
Erlaß um das politische Ziel der neuen Partei nicht gekümmert, obwohl es
falsch ist und — falls es erreicht würde, woran ich stark zweifle — für die
Saarländer sich bald als verderblich erweisen würde.
2. Die Anwesenheit der Geistlichen auf dieser Versammlung ist ein schwerer
Schlag gegen die katholische Kirche Deutschlands in ihrer Gesamtheit. Ein
1) Dieses Rundschreiben ist schon bei Hans Müller, Katholische Kirche und National-
sozialismus, München 1963, S. 315 f. veröffentlicht.
a) Handschriftlicher Zusatz.
409
Schlag, dessen schwerwiegende unüberdenkbare Folgen sich nach dem 13. Ja-
nuar, wenn nicht schon eher, zeigen werden. Dieses Gehen von 70 (?) katho-
lischen Geistlichen zu einer solchen Versammlung erschwert unsäglich die
Arbeit des deutschen Episkopates für die Rechte und Freiheiten unserer
heiligen Kirche, eine Arbeit, die wahrhaftig schon schwer und bitter genug
ist.
3. Ich kann zur Entschuldigung der betr. Geistlichen nur annehmen, daß sie
sich der furchtbaren Tragweite ihrer Fiandlungsweise für den Gesamtkatho-
lizismus in Deutschland nicht bewußt waren. Darin liegt aber eine tiefe
Tragik für kirchentreue Priester.
Mit dem Bischof von Speyer muß ich sagen, daß der 30. November einer
der bittersten Tage unseres Episkopates war. Nicht nur wegen der Katho-
liken des Saargebietes, sondern auch wegen des Gesamtkatholizismus in
Deutschland.
Mir sind die Namen der Herren, die am 30. November in Saarbrücken
waren, nicht bekannt. Ich tue auch keinen Schritt, um sie kennen zu lernen.
Sollten in Ihrem Dekanate Herren sein, die in Saarbrücken waren, so wäre
ich Ihnen dankbar, wenn Sie denselben vom Inhalt dieses Briefes vertraulich
Mitteilung machten.
In der Liebe Christi grüßend
Bischof von Trier
Anlage 24
Brief des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an Bischof Bornewasser vom
3. September 1934
Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 43; Original
Segretaria di Stato
Di Sva Santità
Dal Vaticano, den 3. September 1934.
No. 2827/34
Da Citarsi Nella Risposta
Hochwürdigste Exzellenz!
Gehei m !a)
Mit vielem Dank beehre ich midi den Eingang des sehr gefl. Schreibens vom
27. v. M. und der ihm angefügten Beilagen zu bestätigen. Ich benutze die
Reise des neuernannten Päpstlichen Abgesandten Msgr. Panico, um Euer
Exzellenz auf zuverlässigem Wege diese Zeilen zukommen zu lassen.
Was die in Ihrem Schreiben erwähnten Tatsachen angeht, die sich auf die
Gründung der „Neuen Saarpost“ und Ihre bischöfliche Stellung zu dieser
Zeitung beziehen, so war dem Hl. Stuhl der wesentliche Teil dieser Infor-
mationen bereits seit längerer Zeit bekannt. Für die nunmehrige Ergänzung
derselben bin ich besonders dankbar. Der Hl. Stuhl ist sich über die Schwie-
a) Handschriftlicher Zusatz des Kardinalstaatssekretärs Pacelli.
410
rigkeit der Lage nur zu klar und weiß, wie außerordentlich leicht in der
herrschenden Atmosphäre des Mißtrauens und der politischen Leidenschaf-
ten und Interessen auch die besten und edelsten Absichten von dieser oder
jener Seite der Mißdeutung unterliegen. Diese Schwierigkeiten werden ver-
mehrt durch die den Rechten und Freiheiten der Kirche ganz offenkundig
zuwiderlaufenden Verhältnisse in Deutschland. Die unwürdige Knechtung,
in der hier vielfach die katholische Presse, auch in einwandfrei religiösen
Fragen, gehalten wird, die Einschränkungen, die sie selbst in der Darlegung
einwandfreier Tatsachen dulden muß, führen mit einer gewissen Zwangs-
läufigkeit dazu, daß die noch freie Presse des Saargebietes diese Mißbräuche
kennzeichnet, wobei zugegeben sein mag, daß sie hierbei nicht immer mit
der Sach- und Selbstkritik vorgeht, die zu wünschen wäre.
An sich aber läßt sich das Recht und die Pflicht der katholischen Presse,
tatsächliche Eingriffe in die Freiheitsrechte der Kirche gebührend und unter
Umständen auch scharf zu kennzeichnen, nicht leugnen. Was für die Presse
gilt, gilt mutatis mutandis auch für den Klerus, im gewissen Sinn für ihn
in noch zwingenderem Maße. Leider aber verstehen nicht alle Priester diese
ihre priesterliche Pflicht zur Wahrheit mit dem Takt und der Zurückhaltung
zu vereinen, die in politischen Dingen und in Zeiten so maßloser Partei-
leidenschaften mehr als je die unentbehrliche Mitgift einer wahrhaft auf das
Seelenheil gerichteten priesterlichen Tätigkeit sein müssen. Aus diesen Er-
wägungen heraus habe ich viel Verständnis dafür haben können, daß Euere
Exzellenz zunächst auf dem Wege des seinerzeit beabsichtigten Erlasses
glaubten, die von Ihnen befürchteten Störungswirkungen des politischen
Kampfes auf die Seelsorge ausschließen zu können. Wenn der Hl. Stuhl
seinerseits Zurückhaltung geübt und darauf verzichtet hat, Euere Exzellenz
in der Beschreitung dieses Weges zu ermutigen, so nicht zuletzt — von
grundsätzlichen Erwägungen kirchenrechtlicher Art abgesehen — darum,
weil der in Aussicht genommene Erlaß aller Voraussicht nach zu Beanstan-
dungen von anderer Seite geführt haben würde. Anträge auf Änderung der
kirchlichen Jurisdiktionsverhältnisse oder auf Verstärkung der Fakultäten
des Apostolischen Abgesandten sind früher gestellt und auch jetzt wiederum
in anderer Form wiederholt worden. Der Hl. Stuhl hat seit der Schaffung
des Saarstaates den von den hochwürdigsten Herrn Ordinarien von Trier
und Speyer geltend gemachten Vorstellungen, wie Euere Exzellenz selbst
am besten wissen, in weitestem Maße Rechnung getragen. Er wünscht dies
auch weiter tun zu können. Aus diesem Grunde ist es sein Wunsch und sein
Bestreben, alle wirklichen oder scheinbaren Anlässe vermieden zu sehen, die
der Gegenseite ihre Argumentation gegen die Unabhängigkeit der Amts-
führung der genannten Herren Bischöfe erleichtern und damit zu Folge-
rungen führen könnten, die der deutschen Seite nicht erwünscht sein dürften.
Ich bin gewiß, daß Euere Exzellenz diese Gesichtspunkte in ihrer ganzen
Bedeutung würdigen und den Hl. Stuhl in dieser seiner durch das kirchliche
Interesse gebotenen Stellungnahme unterstützen werden.
In dieser Richtung ist der mit wahrhaft bischöflichem Freimut geschriebene
Brief an den Herrn Reichskanzler für den Hl. Stuhl eine besondere Genug-
411
tuung gewesen. Niemand konnte diesen Brief mit größerem Rechte und mit
größerer Autorität schreiben als Euere Exzellenz. Bei niemand konnte
weniger die Mißdeutung entstehen, daß dieses in seiner Art erschütternde
Schreiben etwas anderes sei als der Notruf des um Kirche und Vaterland
gleich besorgten Hirten. Ich kann nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß
die zuständigen Stellen den Freimut dieser Sprache und die Unausweichbar-
keit dieser Vorstellungen richtig erfassen und aus einer ernsten Lage die
gegebenen Folgerungen ziehen. Ich sage das mit besonderem Nachdruck im
Hinblick auf die in Aussicht stehende Wiederaufnahme der Besprechungen
der bischöflichen Unterhändler mit der Reichsregierung, zu deren Einleitung
der Hl. Stuhl soeben eine Note an die Reichsregierung gerichtet hat. Von
dem Tage ab, wo im Deutschen Reich, den durchaus gemäßigten Forderun-
gen des Hl. Stuhles und des Episkopats entsprechend, das mit Deutschland
abgeschlossene Konkordat nach Inhalt und Geist ehrlich verwirklicht wird,
werden auch die Sorgen Euerer Exzellenz, deren ganze Schwere ich in
Bruderliebe mit Ihnen fühle, wie von selbst der Hoffnung und ruhiger
Zuversicht weichen.
Meine innigen Wünsche und Gebete begleiten die schwere Hirtenarbeit
Euerer Exzellenz. Mit dem Ausdruck besonderer Wertschätzung und herz-
licher Begrüßung
verbleibe ich
Sr. Exzellenz Euerer Exzellenz
Hochwürdigstem Herrn Dr. F. R, Bornewasser ergebenster
Bischof von Trier E. Card. Pacelli
Trier
Anlage 25
Brief des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an Bischof Bornewasser vom 4. Fe-
bruar 1935.
Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 48; Original
Segretaria di Stato Dal Vaticano, den 4. Februar 1935
Di Sva Santita
No. 473/35
Da Citarsi Nella Risposta
Euerer Exzellenz
beehre ich mich den Eingang des sehr gefälligen Schreibens vom 19. v. M.
mit verbindlichem Dank zu bestätigen. Ich habe mit Interesse Kenntnis
genommen von den Darlegungen über die Tätigkeit des Päpstlichen Beauf-
tragten Msgr. Panico, der in einer schwierigen, durch politische Leiden-
schaften nur allzusehr getrübten Lage die pflichtmäßige Neutralität des
Hl. Stuhles zu vertreten und gegen alle Anzweifelungen und Fehlinter-
pretationen zu verteidigen die Aufgabe hatte.
412
Aus einer nicht geringen Anzahl Ihrer Predigten ist dem Hl. Stuhl bekannt,
mit welcher Klarheit Euere Exzellenz die großen, ja leider wachsenden
Gefahren erkennen, die auf religiösem Gebiete den unsterblichen Seelen
drohen. Ich habe die Zuversicht, daß Euere Exzellenz — nachdem jetzt
manche von politischen Erwägungen herkommenden Bedenken mit der
Saarabstimmung in Wegfall gekommen sind — im Einklang mit den Mit-
gliedern des hochwürdigsten Episkopats alles daran setzen werden, um den
zu Deutschland zurückgekehrten Katholiken die herben Enttäuschungen zu
ersparen, die aus einer Beschränkung ihrer kirchlichen Rechte und Freiheiten
sich ergeben müßten.
Mit dem Ausdruck besonderer Wertschätzung und mit innigen Wünschen
für eine baldige Rückkehr des inneren Friedens in die durch die vergange-
nen Kämpfe erhitzten und teilweise verbitterten Gemüter, verbleibe ich
Seiner Exzellenz Euerer Exzellenz
Hochwürdigstem Herrn Dr. F. R. Bornewasser ergebenster
Bischof von Trier E. Card. Pacelli
Trier (Germania)
Anlage 26
Brief des Kardinalstaatssekretärs Pacelli an Bischof Sebastian
vom 22. April 1935
Abschrift Bistumsarchiv Trier, Abt. 59, Nr. 49
Segretaria di Stato Dal Vaticano, den 22. April 1935.
Di Sva Santità
Nr. 1330/35
Da Citarsi Nella Risposta
Euer Exzellenz
beehre ich mich den Eingang Ihrer geschätzten Schreiben vom 15. und
19. d. M. ganz ergebenst zu bestätigen. Die darin übermittelten Informa-
tionen stellen für den Hl. Stuhl eigentlich keine Überraschung dar, sondern
bestätigen nur die Befürchtungen, die er schon in einem Augenblicke hatte,
als die Hochwürdigsten Ordinarien des Saargebietes sich in ihren öffent-
lichen Verlautbarungen darauf beschränken, die Hoffnung und Erwartung
auf eine andere Haltung der maßgebenden Stellen zum Ausdruck zu
bringen. Der Hl. Stuhl hat es sich angelegen sein lassen, der Stellungnahme
der Hochwürdigsten Bischöfe so viel wie nur möglich Verständnis entgegen-
zubringen. Er hat in dem Bestreben, seine Neutralität gegenüber einer poli-
tischen Frage von jedem Schatten freizuhalten, davon abgesehen, über die
erteilten Weisungen und Ratschläge hinaus die Handlungsfreiheit und das
gewissenhafte eigene Ermessen der Hochwürdigsten Herren Ordinarien zu
413
behindern. Freilich ist er nicht ohne schwere Bedenken gegenüber gewissen
Einzelheiten der bischöflichen Verlautbarungen gewesen, insbesondere inso-
weit es sich um die Schaffung rechtzeitiger Sicherungen für die Zeit nach der
Abstimmung handelte. Seine weniger zuversichtliche Beurteilung der Lage
ist durch die Wirklichkeit bestätigt worden.
Gegenüber den Plänen und Vorschlägen des Herrn Gauleiters Bürckel in
Sachen der katholischen Jugend — Pläne, die in einem auffallend peinlichen
Gegensatz zu der von demselben Herrn Bürckel mir mündlich gegebenen
Zusicherung stehen — ist strenges Festhalten an der bisherigen Rechtslage
das Gebotene. Abgesehen davon, daß die Rücksicht auf die Sache der katho-
lischen Jugend im übrigen Reich eine andere Haltung verbietet, sind Be-
sprechungen mit dem Ziel, wie es Herr Gauleiter Bürckel durch seinen Ver-
treter den Hochwürdigsten Ordinarien des Saargebietes angedeutet hat,
zwecklos, zumal solange die Frage der Geltung des Reichskonkordates auch
für das Saargebiet nicht amtlich und vereinbarlich geklärt ist.
In ausgezeichneter Verehrung verbleibe ich, die lieben Ostergrüße Eurer
Exzellenz von ganzen Herzen erwidernd,
Euer Exzellenz
Seiner Exzellenz ergebenster
Hochwürdigstem Herrn Dr. Ludwig Sebastian E. Card. Pacelli
Bischof von Speyer
Germania Speyer am Rhein.
Anlage 27
Stellungnahme evangelischer Pfarrer zur Tätigkeit der Deutschen Christen
und der Haltung des Preußischen Kultusministeriums — 19. Juli 1934
BA Koblenz, Reichskanzlei R 431/255
Superintendentur Saarbrücken 5, den 19. Juli 1934
Saarbrücken
Abschrifta)
Stellungnahme des stellvertretenden Superintendenten zu dem Schreiben aus
dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, vom 15. Juni
1934.b)
Durch Mitteilung des Evangelischen Oberkirchenrates vom 29. Juni und des
Konsistoriums zu Koblenz vom 7. Juli 1934, ist dem Superintendenten am
16. Juli ein Schreiben des preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst
und Volksbildung zugegangen, dessen Form und Inhalt unser peinlichstes
Befremden hervorgerufen haben. In diesem Schreiben wird ein Antrag des
Evangelischen Oberkirchenrates auf Bewilligung von Mitteln für kulturelle
a) Handschriftlicher Zusatz in der Schrift der Unterschrift.
b) Handschriftliche Eintragung der Reichskanzlei-Nr. auf der 1. Seite des Schriftstücks
unten Rk 66 5 334.
414
Arbeit der evangelischen Kirche an der Saar mit der Begründung abgelehnt,
daß die im Saargebiet z. 2t. schwebenden kirchlichen Auseinandersetzungen
für die politische Einheit an der Saar schädlich seien;
daß die seitens des Ministeriums wiederholt versuchten Einigungsversuche
von den pfarramtlichen Kreisen abgelehnt worden seien;
daß, solange eine Beruhigung dieser Lage nicht eingetreten sei, eine kultu-
relle Arbeit von kirchlicher Seite kaum wirksam geleistet werden könne.
Diese Behauptungen gehen von völlig irrigen Voraussetzungen und von
falschen Informationen aus.
Ich stelle dagegen fest:
1. Zuerst: Die kirchlichen Kämpfe sind in das Saargebiet durch niemand
anderes als durch die Deutschen Christen hineingetragen worden und zwar
trotz wiederholter Warnungen, die von den hiesigen Superintendenten seit
Mai 1933 an maßgebende kirchliche und politische Stellen im Reich gerichtet
wurden. Für die offensichtlichen Folgewirkungen auf kirchlichem Gebiet
sind nicht wir, sondern die Urheber verantwortlich und daneben die ge-
nannten Stellen, die unsere Warnungen nicht beachtet haben. Die Deutschen
Christen haben die Gemeinden an der Saar zerrissen, der Nationalsozialis-
mus hatte es nicht getan und tut es nicht.
2. Von einer Schädigung der politischen Einheit an der Saar durch diese
kirchlichen Kämpfe kann nicht die Rede sein. Wer es anders sagt, kennt
nicht die wirkliche Lage an der Saar oder schildert sie falsch. Durch die
kirchlichen Kämpfe wird kein Evangelischer im Saargebiet vaterländisch
erschüttert; im Gegenteil: die eindeutig vaterländische Haltung der kirch-
lich bekämpften evangelischen Pfarrer wirkt um so stärker. Das ist den
politischen Führern an der Saar auch wohl bewußt.
Es könnte nur dann von einer Schädigung der politischen Einheit durch
diesen kirchlichen Kampf geredet werden, wenn die Gleichung zurecht be-
stünde: Nationalsozialismus — Deutsche Christen; das ist aber angesichts
der wirklichen Tatbestände eine Unmöglichkeit.
Diese politische Einheit wird nicht einmal durch den bereits erfolgten Ein-
bruch der „Deutschen Glaubensbewegung“ gestört, gegen die wir denselben
unaufgebbaren Kampf und zwar mit den von uns allein gebrauchten Waffen
des biblischen Wortes und des reformatorischen Bekenntnisses auf das
schärfste zu kämpfen gezwungen sind. Das stört unsere vaterländische
Einigkeit nicht.
Wenn früher gewisse Kreise jene kirchlichen Auseinandersetzungen glaubten
für ihr politisches Geschäft ausbeuten zu können, so trifft die Schuld dafür
wiederum einzig und allein die Deutschen Christen durch ihre unheilvolle
Verquickung und geradezu Ineinsetzung von Kirchlichem und Politischem.
Dasselbe gilt für die Auswirkungen zum Ausland hin.
3. Bezüglich der in dem Schreiben des Ministeriums erwähnten Versuche,
eine Einigung herbeizuführen, muß gesagt werden, daß es in den kirchlichen
Kämpfen nicht um eine Einigung durch taktische Kompromiß Verhandlungen
geht.
415
Es geht vielmehr in diesen kirchlichen Kämpfen um die biblisch-reformato-
rische Grundlage der Kirche selbst, unsere Pfarrer ringen im Bereich der
Kirche um eine wirkliche Überwindung des Liberalismus als geistiger Ge-
samthaltung, so wie der Nationalsozialismus im politisch-staatlichen Bereich;
unsere bekenntnistreuen Pfarrer bekämpfen diesen Liberalismus sowohl in
der Form liberal-bürgerlicher Kirchlichkeit, wie auch den tatsächlichen Li-
beralismus eines sogenannten „unangetasteten Bekenntnisses“; es geht um
einen totalen Neuaufbruch der Kirche vom Evangelium aus. Nur eine solche
Kirche ist fähig zu einem echten lebenswirksamen Dienst am Volk und Staat.
Es ist ein Rückfall in denselben Liberalismus und in die Reaktion, wenn
man versuchen wollte, diesen Kampf durch taktische Kompromiß Verhand-
lungen zu befrieden und diesen Neuaufbruch zu stören.
4. Wie unter solchen Umständen und überhaupt im Saargebiet von einer
Unwirksamkeit der kulturellen Arbeit unserer evangelischen Kirche geredet
werden kann, ist uns ganz unerfindlich. Ich weise diesen Vorwurf und diese
Kränkung unserer Pfarrer und ihrer treuen Arbeit ernst und entschieden
zurück, als einen völligen Irrtum, der auf Unkenntnis der Dinge und auf
falschen Informationen beruht.
Eine Störung dieser Arbeit ist allerdings in letzter Zeit hervorgetreten durch
den Versuch der Deutschen Christen, den Verband der Evangelischen Ar-
beitervereine an der Saar zu sprengen und seine kirchliche und vaterlän-
dische und kulturelle Arbeit zu stören. Wir treiben unsere Arbeit weiter.
Wie eindeutig unsere politische Flaltung und kulturelle Arbeit ist und
bleiben wird, erhellt daraus, daß das Versagen der finanziellen Mittel für
die kulturelle Arbeit der evangelischen Kirche an der Saar uns nicht an-
fechten wird.
Der Superintendent
der evgl. Kreisgemeinde Saarbrücken
i. V.
Ph. Bleek Pfr.
Synodalassessor
Die Pfarrkonferenz der evgl. Kreisgemeinde Saarbrücken am 19. 7. nahm
mit stärkstem Befremden von dem Schreiben aus dem preußischen Ministe-
rium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und den darin enthaltenen
schweren, unberechtigten Vorwürfen und Beschuldigungen Kenntnis und
billigte vollinhaltlich die Antwort des stellvertretenden Superintendenten.
Für die Richtigkeit:
Ph. Bleek Pfr.
416
Anlage 28
Die evangelische Geistlichkeit zur Frage der Deutschen Christen
(Dezember 1934)
BA Koblenz, Reichskanzlei R 43V256
Abschrift Berlin, den 3. Dez. 1934.
Der Reichsminister des Auswärtigen a)
VIA 5366
Sehr verehrter Herr Frick!
Vor einigen Tagen sprachen drei evangelische Geistliche aus dem Saargebiet
im Auswärtigen Amt vor, um ihrer lebhaften Besorgnis über die gefährliche
Rückwirkung einiger kirchlicher Vorgänge in Deutschland auf die Stimmung
ihrer Heimat Ausdruck zu verleihen. Sie haben die einzelnen in Frage kom-
menden Geschehnisse schriftlich kurz fixiert und dabei ganz besonders unter-
strichen, daß die in letzter Zeit immer häufiger ausgesprochene Drohung,
nach dem 13. Januar 1935 — also nach dem Abstimmungstage — werde
energisch gegen die Gegner der Deutschen Christen eingegriffen werden, eine
große Unruhe in die Kreise der Gläubigen hineintrage.
Ich übersende Ihnen beiliegend die mir überreichte Zusammenstellung der
zur Sprache gebrachten Einzelheiten und bitte Sie dringend, im Hinblick auf
die Saarabstimmung um die Abstellung derartiger Mißgriffe.
Mit deutschem Gruß und Heil Hitler
Ihr ergebener
gez. Freiherr von Neurath.b)
Herrn Reichsminister Frick, Reichs- und Preußisches
Ministerium des Innern.
Abschrift.
Betr. pol. Auswirkungen des DC!) Kirchenkampfes
im Saargebiet.
1. Der Gottesdienst des früheren Generalsuperintendenten der Rheinpro-
vinz D. Stoltenhof anläßlich eines Jubiläums der Frauenhilfe in Fechingen,
wird als „Gottesdienst eines Emigrantenpfarrers“ bezeichnet, vor dem Be-
a) Eingangsstempel der Reichskanzlei vom 5. Dez. 1934; verschiedene Aktenzeichen u.
Paraphen, ferner V. 1) Herrn . . Wienstein nach Rückkehr z. K. vorl. 2) 2. d. A.
(Paraphe). Paraphe von Wienstein mit Datum 10. 12.
b) Abschriftlich nebst einer Anlage
dem Staatssekretär in der Reichskanzlei
Herrn Dr. Lammers
zur gefälligen Kenntnisnahme ergebenst übersandt.
Neurath
!) Deutsche Christen.
417
such gewarnt. Politische Auswirkung: Frage der Gemeindeglieder: Wie ist
so etwas möglich?
2. Der stellvertretende Ortsgruppenleiter der Deutschen Front in Fechingen
verbreitet, daß nach dem 13. Januar sich die Partei geschlossen hinter die
DC stellen werde.
3. In der gleichen Weise wirkt im Saargebiet die in Schlesien und sonstwo
in DC-Versammlungen geäußerte Behauptung: Bis zum 13. Januar habe die
Kirche noch Schonzeit. Danach werde ganze Arbeit gemacht. Bekenntnis-
treue Pfarrer werden davon nicht berührt. Ruft aber Unruhe und Unsicher-
heit in der evangelischen Bevölkerung hervor.
4. Die große Bekenntnisversammlung in Düsseldorf am 14. Oktober d. J.,
unmittelbar nach dem Eingriff der RKR2) in Bayern und Württemberg, von
dreißigtausend Evangelischen, einschließlich des Saargebiets besucht, von
der G.St.Po. und örtlichen Behörden genehmigt, wird unmittelbar vor Be-
ginn von Berlin aus verboten. Erschütternde Wirkung insbesondere auf die
evangelischen Saarländer, die das zum ersten Mal erleben mußten. Sie
fragen: Wie kann der Staat seine treusten Glieder so vor den Kopf stoßen?
5. Anfang November erscheint im Saargebiet (Sulzbach) Kirchenrat Dürr-
feld aus Pyrmont mit einem Telegramm des Reichsbischofs, wonach er die
erledigte Pfarrstelle dortselbst pro forma versorgen, im übrigen aber als
Redner der Deutschen Front im Rückgliederungskampf sich betätigen solle.
Sofortige Vorstellung unsererseits bei der Landesleitung der Deutschen
Front. Der Saarbevollmächtigte Gauleiter Bürckel sagte sofortige Abberu-
fung zu. Die Folgen dieses unglaublichen politischen Vorgehens mit der Ent-
sendung des Kirchenrates Dürrfeld hätten sich ganz verheerend ausgewirkt:
a. auf die separatistische Presse, b. auf die Regierungskommission. Die ein-
heimischen Pfarrer als vaterländisch nicht geeignet hingestellt, als unsicher
für den Abstimmungskampf. Die Regierungskommission zum Eingreifen
gegen die evgl. Kirche geradezu herausgefordert, da Reichkirchenverfassung
im Saargebiet nicht anerkannt.
6. Der erste Jurist des „Bistums Köln-Aachen“ Siebert erläßt eine Verord-
nung, wonach alle Pfarrer, die auf dem Boden der Dahlemer Botschaft
stehen, für Privatpersonen erklärt, die Presbyter als unfähig, ein kirchliches
Amt zu bekleiden, Gemeinden als verlustig gehend der Verfügung über
kirchliche Gebäude und Vermögen bezeichnet werden. Diese Verordnung
gründet er auf dem Presseerlaß des Flerrn Reichsinnenministers vom 6. und
7. November. Diese Verordnung wird den Pfarrern durch die Post zuge-
stellt, den Presbytern, Gemeindeverordneten usw. z. T. auf demselben
Wege, z. T. persönlich durch den Gauleiter der DC Gustav Adolf Müller. In
dieser Verordnung wird hervorgehoben, daß der Staat das DC Kirchen-
regiment als die rechtmäßige Kirche anerkennt. Starke Wirkung auf die
Gemeindeglieder, nicht im Sinne der Einschüchterung der Bekenntnisfront,
2) Reidiskirchenregierung.
418
sondern nach der Richtung: Wie ist das vereinbar mit der Erklärung, daß
der Staat sich aus den kirchlichen Dingen zurückzieht?
7. Der vom Herrn Reichsbischof veröffentlichte Erlaß des Herrn Reichs-
innenministers wirkt in derselben Richtung. Desgleichen die Beschlagnah-
mung des Aufrufs des Vorläufigen Kirchenregiments Mahahrens3) vom
23. Nov. 34. Ebenso wirkt die durch die Presse bekannt gewordene „Suspen-
dierung des Professors D. Barth, zumal wenn in der Öffentlichkeit bis hin
nach Amerika hin bekannt ist, daß die in der Presse angegebene Begründung
nicht zutrifft.
Anlage 2 9
Brief des Zentrumsvorsitzenden des Saargebietes, Steegmann, an Prof.
Lauscher — 20. Oktober 1932
BA Koblenz, Reichskanzlei R 431/255
Abschrift (zu VWS 1513).a)
Zentrumspartei des Saargebiets Saarbrücken, den 20. 12. 1932
Der Vorsitzende
An den
Vorsitzenden der Zentrumsfraktion des
Preußischen Landtags
Sr. Hochwürden, Herrn Prof. Dr. Lauscher
Bonn
Gluckstr. 8.
Sehr geehrter, hoch würdiger Herr Professor!
Als Vorsitzender der Zentrumspartei des Saargebiets möchte ich mir gestat-
ten, Ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten, daß die kath. Bevölkerung des
Saargebiets den lebhaften Wunsch hegt, in Zukunft an der Spitze des preuß.
Handelsministeriums einen Zentrumsmann zu sehen. Die Gründe hierfür
darf ich kurz darlegen.
Das alte Saararabien, das von dem protestantischen Liberalismus beherrscht
wurde, in dem die Katholiken manche Hintansetzungen und vielfache Be-
drückungen besonders bei den Wahlen ertragen mußten, ist hier noch in
aller Erinnerung. Die damalige liberale Machtposition leitete sich zum
großen Teil aus der Tatsache her, daß die maßgebenden Stellen der Saar-
gruben mit Protestanten besetzt waren. Nichts könnte die Katholiken, und
sie bilden die Mehrheit der Saarbevölkerung, mehr erregen als die Furcht,
daß ähnliche Zustände wiederkehren könnten.
3) Evangelischer Bischof von Hannover, muß Marahrens heißen.
a) Handschriftlicher Eintrag der Nr. der Reichskanzlei auf der 1. Seite des Schriftstücks
links unten, Rk 641334.
419
Die Rückgliederung 1935 rückt immer näher. Die Saargruben sollen dann
wiederum in den Besitz des preuß. Staates zurückgeführt. Es wird sich die
Notwendigkeit ergeben, viele deutsche Grubenbeamten wiederum hier
anzustellen, da die Franzosen sämtl. höheren deutschen Beamten entlassen
und die leitenden Stellen mit ihren Landsleuten besetzt haben. Des weiteren
hat der preuß. Staat große Interessen in der saarländischen Elektrowirt-
schaft und Ferngasversorgung zu vertreten. Es werden sich also auf wirt-
schaftlichem und personellem Gebiet besonders enge Beziehungen zwischen
der Preuß. Regierung und dem Saargebiet entwickeln. Die hierfür entschei-
dende Stelle ist das preuß. Handelsministerium.
Die Vorherrschaft des liberalen Unternehmertums an der Saar ließ vor dem
Kriege kath. Bergfachleute nicht aufkommen. Daher kam es, daß wenig
Katholiken sich dem Bergbaufach widmeten. In den letzten 10 Jahren ist
es damit erheblich besser geworden. Zahlreiche Katholiken haben das höhere
Bergfach studiert. Diese sind aber heute zum größten Teil ohne Stellung. Sie
werden dann Arbeit finden, wenn bei der Rückgliederung des Saargebiets
ein Zentrumsmann preuß. Handelsminister ist, der den Katholiken Gerech-
tigkeit widerfahren läßt.
So wird es verständlich, daß die Katholiken an der Saar das größte Inter-
esse daran haben, daß das preuß. Handelsministerium in Zukunft von
einem Zentrumsmann geführt wird. Ich darf daher Ihnen, sehr geehrter
Herr Professor, die höfliche und dringende Bitte aussprechen, bei kommen-
den Verhandlungen über die Bildung der preußischen Regierung dafür ein-
treten zu wollen, daß das preußische Handelsministerium einem Zentrums-
mann anvertraut wird.
Indem ich Ihnen zum neuen Jahr aufrichtige Glückwünsche ausspreche, ver-
bleibe ich mit den besten Grüßen
Ew. Hochwürden sehr ergebener
Anlage 30
Die Mitglieder der internationalen Regierungskommission
des Saargebietes
1. Französische Mitglieder
1. Victor Rault, Präfekt des Rhônedepartements, Conseiller d’État,
Großoffizier der Ehrenlegion (1922),
1920—1926 Präsident der Regierungskommission.
Ressorts: Inneres (Verwaltungs- und politische Angelegenheiten),
Auswärtiges, Angelegenheiten von Industrie und Han-
del (einschließlich Oberbergamt und Zollwesen), Ar-
beitswesen.
420
2. Jean Morize, 1920—1926 Generalsekretär der Regierungskommission,
1926—1935 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: Finanzen, wirtschaftliche Angelegenheiten, Oberberg-
amt, Luftverkehrswesen.
11. Saarländische Mitglieder
1. Alfred von Boch, Industrieller und Gutsbesitzer aus Fremersdorf (Saar),
Landrat von Saarlouis,
1920 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: Landwirtschaft, Wohlfahrts- und Gesundheitswesen.
2. Dr. med. Jakob Hector, 1872—1954, Arzt, 1919 Bürgermeister von
Saarlouis,
1920—1923 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: Landwirtschaft, Wohlfahrts- und Gesundheitswesen.
1933/34 führendes Mitglied der „Saarländischen Wirt-
schaftsvereinigung“, vorübergehend ihr Vorsitzender,
1935—1946 emigriert nach Frankreich,
1946 Rückkehr nach Saarlouis, Vater des zeitweiligen
saarländischen Innenministers Edgar Hector.
3. Julius Land, Lotterieeinnehmer, Landrat von Saarlouis,
1923— 1924 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: Landwirtschaft, Wohlfahrts- und Gesundheitswesen.
4. Bartholomäus Kossmann, geb. 2. Oktober 1883 zu Eppelborn (Saar),
gest. 9. August 1952 zu Saarbrücken.
Zunächst Bergmann von Beruf, dann Besuch sozial-
politischer Kurse des „Katholischen Volksvereins“ in
Trier und Mönchen-Gladbach, danach Arbeitersekre-
tär des Verbandes katholischer Arbeitervereine, 1912
bis 1918 Mitglied des Deutschen Reichstags, 1919 Mit-
glied der Weimarer Nationalversammlung,
1920 Oberregierungsrat in der Völkerbundsregierung,
1922—1924 von der Regierungskommission ernannter
Präsident des Landesrats des Saargebietes,
1924— 1935 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: 1924—1926 wie die anderen saarländischen Mitglieder:
Landwirtschaft, Wohlfahrts- und Gesundheitswesen.
1926—1935 Arbeitswesen, Sozialversicherung, Versor-
gungswesen, Volkswohlfahrt, Gesundheitswesen, Land-
wirtschaft und Forsten.
421
1935—1944 im Versicherungsfach tätig, nachdem er
ein Angebot zur Berufung in das Internationale Ar-
beitsamt in Genf abgelehnt hatte, da er für die Rück-
gliederung eingetreten war und nicht emigrieren
wollte.
1944 im Zusammenhang mit dem 20. Juli verhaftet,
da er auf der Goerdeler-Liste stand; Koßmann war
von Goerdeler als politischer Berater des Oberkom-
mando-West in Wiesbaden zum Aufbau der Zivil-
verwaltung vorgesehen. Vom Volksgerichtshof in Ber-
lin wurde Koßmann wegen Mangels an Beweisen frei-
gesprochen; der Arbeitersekretär Groß aus Köln, der
mit Koßmann die entsprechenden Verhandlungen ge-
führt hatte, war bereits acht Tage vor der Verhand-
lung gegen Koßmann in Plötzensee erhängt worden;
Groß wäre als einziger Zeuge für die Verbindung
Koßmanns mit dem Goerdelerkreis in Frage gekom-
men.
Nach 1945 Mitglied und Ehrenvorsitzender der „Christ-
lichen Volkspartei“ des Saarlandes, 1947 Mitglied der
saarländischen Verfassungskommission, Mitglied und
Vizepräsident des saarländischen Landtags; Präsident
des saarländischen Genossenschaftsverbandes.
III. Kanadische bzw. britische Mitglieder
1. Richard Deans Waugh, Kanadier, Bürgermeister von Winnipeg,
1920—1923 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: Finanzen und Forsten, Versorgungsangelegenheiten.
2. George Washington Stephens, Kanadier, Präsident der Hafenkom-
mission von Montreal,
1923—1927 Mitglied bzw. Präsident der Regierungskommission.
Ressorts: 1923—1926: Finanzen und Forsten, Versorgungsange-
legenheiten,
1926—1927: Präsident der Regierungskommission,
Inneres und Auswärtige Angelegenheiten.
3. Sir Ernest Wilton, Brite, Generalkonsul,
1927—1932 Präsident der Regierungskommission.
Ressorts: Inneres und Auswärtige Angelegenheiten.
422
4. Sir Geoffrey George Knox, Brite, am 11. März 1884 in Sydney (Au-
stralien) geboren, in England aufgewachsen, Eintritt in
den diplomatischen Dienst, Vizekonsul in Kairo und
in Griechenland, nach zeitweiser Teilnahme am Krieg
weitere Verwendung zu diplomatischen Diensten in
der Türkei, Berlin, London und Spanien.
1932—1935 Präsident der Regierungskommission.
Ressorts: Inneres und Auswärtige Angelegenheiten.
Nach 1935 bis 1939 Generalkonsul in Budapest, da-
nach zwei Jahre britischer Botschafter in Brasilien.
IV. Mitglieder aus anderen Staaten
1. Jacques Lambert, Belgier, Major, Militärattache des belgischen Ge-
sandten in Paris,
1920—1928 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: öffentliche Arbeiten, Eisenbahn-, Post-, Telegrafen-
und Telefonwesen.
2. Graf von Moltke-Huitfeldt, Däne, in Paris lebend,
1920—1924 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: Justiz, Unterricht und Kultus.
3. Carlos Espinosa de los Monteros, Spanier, Offizier, Anwalt in
Madrid, gest. 1924,
1924 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: Justiz, Unterricht und Kultus.
4. Dr. Franz Vezensky, Tschechoslowake, Richter am Justizministerium
in Prag, 1920—1924 Richter am Obersten Gerichtshof
in Saarlouis,
1924—1932 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: Justiz, Unterricht und Kultus.
5. Leo R. von Ehrnrooth, Finne, finnischer Außen- und Handelsminister,
Bürgermeister von Helsinki,
1928—1935 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: öffentliche Arbeiten, Eisenbahn-, Post-, Telegrafen-
und Telefonwesen.
6. Dr. Milovan Zoricic, Jugoslawe,
1932—1935 Mitglied der Regierungskommission.
Ressorts: Justiz, Kultus und Schulwesen.
423
Personenregister
Adler, Friedrich, östr. Sozialistcnfüh-
rer, Sohn von Viktor A., 285.
Allenbach, saarländischer Lehrer, So-
zialdemokrat, 189.
Aloisi, Baron, Italiener, Vorsitzender
des Dreierkomitees des Völkerbunds-
rates zur Vorbereitung der Saar-
abstimmung, 302.
Altmeyer, Alfons, kath. Pfarrer,
Kutzhof, 389.
Andlauer, Joseph, frz. General, 154,
156, 163.
Anschütz, August, Kandidat der Dt.
Demokrat. Partei u. der Dt. Volks-
partei bei der Wahl zur Weimarer
Nationalversammlung, 171.
Badwin, Elbert I., 80.
Balfour, Sir Arthur James, Earl, engl.
Außenminister u. Vertreter im Völ-
kerbundsrat, 41, 56, 65.
Balk, Theodor, Schweizer, sozialisti-
scher Journalist, 288, 391.
Barth, Prof. Dr. Karl, 419.
Barthou, Louis, frz. Außenminister,
308, 309, 400, 401.
Bartz, Karl, Journalist im Dienste
Gauleiter Bürckels, 310.
Bebel, August, Sozialdemokratischer
Parteiführer, 26, 181.
Beck, Anna, Tochter von Peter Kiefer,
289.
Becker, Emil, saarl. Gewerkschafts-
vertreter, 73, 191, 193.
Becker, Richard, Kaufmann, M. d.
saarl. Landesrats (Zentrum), 17, 92,
165 f., 169, 246, 290, 298, 384.
Becker, saarl. Kommunist aus Lud-
weiler (Warndt), 281.
Benesch, Dr. Eduard, tschechoslowa-
kischer Außenminister u. Vertreter
im Rat des Völkerbundes, 310.
Bergmann, Ernst, NS-Schriftsteller
(„Die deutsche Nationalkirche“),
399.
Berthelot, Unterstaatssekretär im
frz. Außenministerium u. Bevoll-
mächtigter beim Völkerbund, 232.
Bleek, Philipp, evang. Pfarrer, Syn-
odalassessor, Saarbrücken-Malstatt,
416.
Blum, Léon, frz. Sozialist, 184.
Boch, Alfred v., saarl. Industrieller u.
Landwirt, Mitgl. d. Regierungskom-
mission des Saargebietes, 41, 43, 61,
62, 421.
Boch, Luitwin v., saarl. Industrieller,
Vorsitzender der Handelskammer,
172.
Böcking, Heinrich, Saarbrücker Kauf-
mann, 24.
Bommelaer, Mitglied der Association
Française de la Sarre, 219.
Boncour, Paul Joseph, frz. Außen-
minister, 296.
Bornewasser, Dr. Franz Rudolf, Bi-
schof von Trier, 102, 107, 111, 158,
159, 160, 292, 293, 294, 307, 308,
309 bis 314, 319, 322, 395, 400,
401, 405, 409 bis 413.
Borsig, August (1804—1854), deut-
scher Großindustrieller, 207.
Bose, Herbert v., Oberregierungsrat,
DNVP, 390.
Bourgeois, Léon, frz. Politiker, För-
derer des Völkerbundes, 52.
Bracke, frz. Sozialist, 185.
Branting, Hjalmar, Sozialist, schwed.
Ministerpräsident u. Vertreter im
Völkerbundsrat, 76, 77, 82, 83, 85,
103, 123, 177, 184, 214.
Braun, Max, Redakteur der Saar-
brücker „Volksstimme“, Vorsitzen-
der der Sozialdemokratischen Partei
des Saargebietes, Md saarl. Landes-
rats, 140, 183, 184, 186, 187, 189,
207, 217, 221, 227, 242, 246, 247,
250, 270, 280, 282—287, 295, 296,
297, 298, 304, 305.
Braun, Otto, MdL (Preußen), MdR
(SPD), preußischer Ministerpräsi-
dent, 240, 241, 244.
Breitscheid, Dr. Rudolf, MdR (SPD),
221, 245, 284.
425
Briand, Aristide, frz. Außenminister
bzw. Ministerpräsident, 178, 211,
212, 213, 219, 223, 224, 225, 228—
237, 241, 242, 244, 248, 320.
Brissaud-Desmaillet, frz. General,
61.
Brüning, Dr. Heinrich, deutscher
Reichskanzler (Zentrum), 130, 167,
237, 247, 248, 250, 262, 266, 267,
270, 275, 277, 321, 378.
Bungarten, Franz, kath. Pfarrer,
führendes Mitglied der Zentrums-
Partei, Saarbrücken, 157, 159, 161,
169, 276, 289, 290, 291, 292, 294,
309, 311, 312, 353, 384f., 388, 389.
Bürckel, Joseph, Gauleiter des Gaues
Pfalz der NSDAP, 258, 277, 278,
298, 299, 309, 310, 311, 312, 313,
314, 377, 382, 395, 397, 399, 400,
401, 404, 406, 407, 408, 418.
Bureau, Georges, frz. Abgeordneter
der Rechten, 234, 237.
Buttmann, Dr. Rudolf, MdL (Bayern,
NSDAP), 1933 Ministerialdirektor
im Reichsinnenministerium, 404,405.
Caclamanos, griech. Vertreter im Rat
des Völkerbundes, 41, 46, 47, 62.
Cecil, Lord Robert, brit. Minister u.
Vertreter im Rat des Völkerbundes,
39 f., 41, 56, 65, 67, 68, 78, 79, 80,
82, 83, 123.
Charlot, E., frz. Deputierter und
Vizepräsident der Grubenkommis-
sion der frz. Kammer, 220.
Clauzel, Bertrand, Comte, Leiter d.
Dienststelle Völkerbund im frz. Au-
ßenministerium, 229.
Clemenceau, Georges, frz. Minister-
präsident, 31, 41, 216, 219, 234.
Colban, Dr. Eric, Norweger, Direk-
tor der Minoritäten-Abteilung im
Sekretariat des Völkerbundes, 46,
52, 63, 64, 68, 69, 70, 71, 72, 73,
76, 79, 80, 81, 82, 85, 89, 94, 95,
99, 127, 174, 212, 229, 230, 235.
Curtius, Dr. Julius, Reichsaußenmini-
ster (DVP), 131, 140, 212, 240, 241,
242, 266.
Dariac, Präsident der Finanzkom-
mission des frz. Abgeordnetenhau-
ses, 71 f., 76, 86.
Dasbach, Georg Friedrich, kath. Geist-
licher, Zentrumsabgeordneter im
preuß. Landtag u. Reichstag, 27.
Deubert, Direktor, Deutsch-nationale
Front, 379.
Diedrich, Karl, Dechant, Hilbringen,
389.
Dollfuss, Dr. Engelbert, östr. Bun-
deskanzler, 304, 307.
Dörr, Walter, Demokratischer Kan-
didat bei der Wahl zur Weimarer
Nationalversammlung, 171.
Donald, Sir Robert, engl. Journalist,
174.
Drouard, Leiter der frz.-saarl. Han-
delskammer, 219.
Drummond, Sir Eric, erster General-
sekretär des Völkerbundes, 127, 229.
Du Paquier, Referent für den frz.
Unterricht in der Schulabteilung der
Regierungskommission des Saar-
gebietes, 115.
Dürrfeld, Kirchenrat, Anhänger der
Deutschen Christen, 418.
Eberlein, Georg Friedrich, kath. Pfar-
rer, Ommersheim, 389.
Ebert, Friedrich, Reichspräsident
(SPD), 68, 69, 75.
Echelmeyer, Alois, Dechant, Saar-
brücken, 154, 157, 160.
Ehrecke, Adolf, Studienassessor, Gau-
leiter des Gaues Saargebiet der
NSDAP, 153 f.
Ehrnrooth, Leo R., Finne, Mitglied
der Regierungskommission des Saar-
gebietes, 84, 423.
Elbel, frz. Vorsitzender der Gruben-
kommission bei den deutsch-frz.
Saarverhandlungen 1929/30, 239.
Engels, Friedrich, 286.
Erzberger, Matthias, Reichsfinanz-
minister (Zentrum), 33, 132, 133,
156, 207.
Espinosa de Los Monteros, Carlos,
Spanier, Mitglied der Regierungs-
kommission des Saargebietes, 84,
89, 103, 423.
426
Faulhaber, Michael v., Erzbischof
von München-Freising, Kardinal,
407.
Feder, Gottfried, Mitbegründer der
NSDAP, 253.
Fels, Comte de, 250.
Ferry, Desire, frz. Abgeordneter, 48,
108, 155.
Fisher, Fierbert, A. L., engl. Unter-
richtsminister und Vertreter im Rat
des Völkerbundes, 56, 69.
Fisher, Williams, Sir John, 301.
Fleury, Emile, Mitglied der frz. Gru-
benverwaltung im Saargebiet, 219.
Fontaine, Arthur, Vertreter Frank-
reichs beim Internationalen Arbeits-
amt, Mitglied der Grubenkommis-
sion bei den deutsch-frz. Saarver-
handlungen 1929/30, Präsident des
Internationalen Arbeitsamtes, 122,
239, 241, 242.
Franklin-Bouillon, frz. Abgeord-
neter der Rechten, 234.
Frantzen, Berghauptmann, 352.
Frick, Wilhelm, MdR (NSDAP), 1933
Reichsminister des Innern, 314, 397,
398, 403, 417.
Friedberg, Geheimrat v., Legations-
rat im Auswärtigen Amt, 139, 140,
224, 227, 228, 243, 244, 246, 247.
Fromageot, Henri, Rechtsberater im
frz. Außenministerium, 52.
Fuchs, Albert Maria, Prälat und
Domkapitular, Trier, 405.
Fuchs, Dr. Johannes, Oberpräsident
der Rheinprovinz, 378.
Gansser, Genfer Berichterstatter der
„Saarbrücker Zeitung“, 177.
Gärtner, Joseph, Md saarl. Landes-
rat (Zentrum), 128, 165.
Gasparri, Kardinal, 406.
Gilchrist, Huntington, Amerikaner,
Saarsachbearbeiter im Sekretariat
des Völkerbundes, 46, 52, 57, 63,
64, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 76, 79,
80, 81, 95, 99.
Gilles, Dr., Bürgermeister von Saar-
louis, 41.
Goebbels, Dr. Josef, Reichspropa-
gandaminister, 259, 397.
Goerdeler, Carl Friedrich, Oberbür-
germeister von Leipzig, 422.
Goethe, Johann Wolfgang v., 286.
Görgen, Josef Maria, Journalist, seit
1926 in Genf, Berichterstatter für
die saarl. Zentrumspresse, 215,216.
Göring, Hermann, preußischer Mini-
sterpräsident, 259, 273, 292, 389.
Görlitzer, Friedrich, stellvertreten-
der Gauleiter von Berlin, 398.
Görres, Joseph v., 24.
Grieser, Dr., Ministerialdirektor, 129.
Gross, Nikolaus, Arbeitersekretär und
Redakteur, 422.
Grumbach, frz. sozialistischer Abge-
ordneter, 185, 236, 248.
Hackelsberger, Albert, MdR (Zen-
trum), 273.
Haitz, Dechant, Saargebiet, 389.
Hanotaux, Gabriel, Historiker, frz.
Außenminister u. Vertreter im Völ-
kerbundsrat, 56, 78, 83.
Hard, Wilhelm, Rektor, Schriftleiter
der „Deutschen Schule an der Saar“,
Landeskulturwart der Deutschen
Front, 116, 309.
Hardenberg, Fürst Karl August v.,
preußischer Staatskanzler, 24.
Haskins, Charles Homer, amerikani-
scher Professor, Mitglied des Spe-
zialkomitees für die Ausarbeitung
des Saarstatuts des Versailler Ver-
trages, 40, 57.
Hector, Edgar, Sohn von Dr. Jakob
Hector, nach dem 2. Weltkrieg
saarl. Innenminister, 314 f., 421.
Hector, Dr. med. Jakob, Bürgermei-
ster von Saarlouis, Mitglied der Re-
gierungskommission des Saargebie-
tes, 41, 45, 54, 62, 70, 72, 73, 79,
81, 262, 314, 315, 350, 351, 352,
421.
Held, Michael, Dechant, Siersburg,
389, 406.
Helfgen, Md saarl. Landesrats (KP),
345 ff.
Heller, Vitus, Begründer der Christ-
lich-Sozialen Bewegung, 203.
427
Herly, Robert (Pseudonym: Jean
Revire), Schriftführer der Associa-
tion Française de la Sarre, 218.
Herriot, Edouard, frz. Ministerprä-
sident, 86, 143, 166, 212.
Hesnard, Prof., Pressechef der frz.
Botschaft in Berlin, Begleiter Briands
in Thoiry, 230, 232.
Hess, Dr. Rudolf, Stellvertreter Hit-
lers, 299, 404.
Hey, August, Md saarl. Landesrats
(KP), 97.
Hilferding, Rudolf, MdR (SPD),
Reichsfinanzminister, 221.
Hilgenfeldt, Erich, Leiter d. Haupt-
amts f. Volkswohlfahrt, ab 1933
MdR (NSDAP), 396.
Hilger, Geheimrat, Leiter der preuß.
Bergwerksdirektion in Saarbrücken,
180.
Hille, Alwin, Nationalsozialist, An-
hänger der Deutschen Christen, 398.
Hillenbrand, Karl, Gewerksdiafts-
sekretär, MdL (Preußen, Zentrum),
161, 168, 170, 202, 273, 277, 379.
Hindenburg, Paul v., Reichspräsident,
159, 163, 167, 284, 292, 308, 312,
313.
Hirtsiefer, Heinrich, MdL (Preußen,
Zentrum), preuß. Staatsminister,
383.
Hitler, Adolf, 251, 252, 256—260,
267, 268, 273, 274, 275, 277, 278,
283—290, 294, 295, 298, 299, 305,
311, 312, 313, 317, 321, 322, 377,
379, 380, 381, 382, 383, 388, 391,
395, 400, 401, 406.
Hitze, Franz (1851—1921), kath. So-
zialpolitiker, 27.
Hoesch, Leopold v., dt. Botschafter
in Paris, 223, 225, 230, 233, 234,
235, 236, 237, 239, 244, 248, 250.
Hoffmann, Johann, Gewerkschafts-
sekretär, Md saarl. Landesrats
(SPD), 188 f., 212.
Hoffmann, Johannes, Redakteur der
„Saarbrücker Landeszeitung“, Zen-
trumspolitiker, nach dem 2. Welt-
krieg saarl. Ministerpräsident, 248,
250, 272—275, 277, 288—294, 306,
307, 308, 309, 311, 312, 315, 373,
406.
Hugenberg, Alfred, Großindustriel-
ler u. Parteiführer der DNVP, 178,
270, 273.
Husemann, Friedrich Ernst, Gewerk-
schaftsführer, 284.
Hymans, Paul, belg. Außenminister,
56, 79.
Imbusch, Heinrich, MdR (Zentrum),
Vorsitzender des Deutschen Ge-
werkschaftsbundes, 309.
Imperiali di Francavilla, Marchese
Guglielmo, ital. Diplomat, 56, 69.
Jaspers, Karl, deutscher Philosoph,
317.
Joffe, Adolf, Abramowitsch, Vertre-
ter der Sowjets in Rapallo, 175.
Jordans, Dr. Josef, Sanitätsrat, Vor-
sitzender der saarl. Zentrumspartei,
154.
Jung, Jakob, erster Gauleiter des
Gaues Saargebiet der NSDAP, 251 f.
Jung, Walter, saarl. Nationalsozialist,
252.
Kaas, Dr. Ludwig, Prälat, Prof., Vor-
sitzender der dt. Zentrumspartei,
157, 163, 169, 224, 273, 292, 293,
398.
Kahl, Wilhelm, MdR (DVP), 266.
Kant, Immanuel, dt. Philosoph, 286.
Karcher, Bodo, Präsident der Saar-
brücker Handelskammer, 269.
Kardorff, Siegfried v., MdR (DVP),
266.
Kellogg, Frank, B., US-Staatssekre-
tär, 174, 178.
Kennel, frz. Spitzel, 161.
Kessel, Journalist, 231.
Ketter, Geheimsekretär Bischof Ko-
rums von Trier, 155, 156.
Kiefer, Peter, Gewerkschaftssekretär,
Md saarl. Landesrats, (Zentrum),
106, 164, 165, 168, 169, 176, 245,
246, 272, 276, 277, 278, 289, 290,
291, 310, 311, 312, 379, 380, 391,
395, 406.
Kirschmann, Emil, MdR (SPD), 284.
Klausener, Dr. Erich, Leiter d. kath.
Aktion in Berlin, 313.
428
Kloevekorn, Dr. Fritz, Studienpro-
fessor, Saarbrücken, 183.
Klopfer, Ernst, Geschäftsführer der
„Volksstimme“, Saarbrücken, 197.
Knauf, Johann, Dechant, Uchtelfan-
gen, 389.
Knox, Geoffrey George, Präsident der
Regierungskommission des Saar-
gebietes, 301, 423.
Корке, Dr. Gerhard, Ministerialdirek-
tor im Auswärtigen Amt, 227.
Koppe, Kanzleiangestellter im Reichs-
innenministerium, 403.
Korum, Dr. Michael, Bischof von
Trier, 155, 156, 157, 158.
Kossmann, Bartholomäus, Präsident
des saarl. Landesrates, Mitgl. der
Regierungskommission des Saar-
gebietes, 27, 84, 85, 89, 94, 96, 97,
98, 103, 104, 124 f., 127, 128, 129,
130, 136, 145, 154, 168, 246, 264,
267, 293, 310, 421 f.
Krämer, Karl, Bergmann, Sozialist,
Gewerkschaftsangest., 73 f., 180,191,
193.
Kremer, Philipp Anton, kath. Pfarrer,
Saarbrücken-St.Johann, 389.
Krupp, Alfred, Industrieller, 207.
Kuhnen, Fritz, Bezirksleiter der
Christlichen Gewerkschaft, MdR
(Zentrum), 135, 168, 170, 202, 207,
244, 272, 273, 277, 278, 309, 310,
379.
Laboulaye, Direktor der Europa-
Abteilung im frz. Außenministe-
rium, 234, 250.
Lambert, Jacques, Belgier, Mitglied
der Regierungskommission des Saar-
gebietes, 41, 43, 45, 46, 84, 148,
229, 423.
Lammers, Dr. Hans-Heinrich, Staats-
sekretär in der Reichskanzlei, 379,
417.
Land, Julius, Lotterieeinnehmer, Mit-
glied der Regierungskommission des
Saargebietes, 79, 80, 81, 84, 103,
421.
Lauckhard, Notar, Saarbrücken, Füh-
rer der Saarbrücker Delegation nach
Paris 1815, 24.
Lauscher, Albert, Prälat, MdL (Preu-
ßen), Fraktionsvorsitzender der Zen-
trumspartei, 322, 419.
Lauterbacher, Hartmann, Drogist,
Mitgl. d. HJ u. NSDAP, 1934
Stellvertr. d. Reichsjugendführers u.
Führer d. Stabes d. HJ, 398.
Laval, Pierre, frz. Außenminister,
309, 310.
Lehmann, Eduard, Rechtsanwalt,
Saarbrücken, SPD, 189, 305.
Lehnen, Ludwig, Redakteur der
„Neunkircher Zeitung“, Zentrum,
180.
Lemmer, Ernst, MdR (Staatspartei),
Generalsekretär des Hirsch-Duncker-
schen Gewerk Vereins, 310, 314.
Levacher, Franz, Rechtsanwalt. Md
saarl. Landesrats, Fraktionsvorsit-
zender der Zentrumspartei, 86, 156,
162, 169, 187, 201, 206 f., 211, 212,
245, 246, 272, 276, 277, 278, 298,
311, 338 f., 379, 406.
Lewy, Guenter, 312.
Ley, Dr. Robert, Leiter der dt. Ar-
beitsfront, 253, 257, 277, 278, 311,
379, 381, 391, 392.
Lichthardt, Dr. Karl, Ministerialrat
in der saarl. Schulabteilung, 112.
Lieblang, Josef, Dechant, Völklingen,
389.
Litvinoff, Maksim M., sowj. Außen-
minister u. Vertreter im Rat des
Völkerbundes, 310.
Lloyd George David, britischer Pre-
mierminister, 31.
Lorenz, Paul, Md saarl. Landesrats
(KP), 282.
Loucheur, Louis, frz. Minister, 221.
Ludwig XIV, frz. König, 23.
Ludwig, Hermann, Dechant, Wadgas-
sen, 389.
Luther, Dr. Hans, dt. Reichskanzler,
146, 202.
Lütke, Albert, Syndikus der Handels-
kammer Saarbrücken, 217 f.
Macdonald, James Ramsay, brit.
Premierminister, 174, 184.
429
Machts, dt. Emigrant, Polizeikom-
missar der Regierungskommission
des Saargebietes, 262.
Marahrens, August, evang. Bischof
v. Hannover, 419.
Mangin, General der frz. Rhein-
armee 1918, 154.
Margerie, Pierre de, frz. Botschafter
in Berlin, 232.
Marin, Louis, frz. Abgeordneter der
Rechten, 237.
Martin, Franz, Dezernent für das Be-
rufsschulwesen in der saarl. Schul-
abteilung, 107.
Martin, Wilhelm, Stadtschulrat, Md
saarl. Landesrats (Zentrum), Vor-
sitzender des kath. Lehrerverban-
des, 97, 106, 113, 163, 169.
Marx, Karl, 286.
Marx, Wilhelm, MdR (Zentrum), dt.
Reichskanzler, 130.
Meffert, Richard, kath. Pfarrer, Nal-
bach, 389.
Meijer, Ludwig, Generalsekretär der
Zentrumspartei des Saargebietes,
290 f., 384, 388.
Meissner, Dr. Otto, Staatssekretär in
der Präsidialkanzlei, 175.
Moltke-Huitfeldt, Graf von, Däne,
Mitgl. der Regierungskommission
des Saargebietes, 41, 43, 51, 52, 64,
69, 72, 73, 79, 81, 84, 103, 157,
158, 423.
Monnet, Jean, stellvertretender Ge-
neralsekretär des Völkerbundes,
späterer Präsident der Montan-
union, 69.
Morize, Jean, Franzose, Generalsekre-
tär der Regierungskommission
(1920—1926), Mitgl. der Regie-
rungskommission des Saargebietes,
49, 68, 72, 79, 84, 89, 95, 96, 144,
261, 264, 302, 421.
Müller, Gustav Adolf, Vertreter der
Deutschen Christen, 418.
Müller, Hermann, dt. Reichskanzler,
SPD, 187, 237, 240, 244, 247.
Müller, Johann, Vertreter der kath.
Jugend des Saargebietes, 405.
Müller, Referent Gauleiter Bürckels,
313, 405—409.
Muth, Dr. Johann Peter, saarl. Zen-
trumsführer vor 1914, 154.
Nagel, Arnold, Chefredakteur der
„Saarbrücker Zeitung“, 175, 269.
Nassau-Saarbrücken, Fürst Wilhelm
Heinrich von (1741—1768), 23.
Neuhaus, Dr. Albert, Reichswirt-
schaftsminister (DNVP), 146.
Neurath, Konstantin, Freiherr von,
Reichsaußenminister, 278, 302, 379,
417.
Ney, Michel, (1769—1815), frz. Mar-
schall, in Saarlouis geboren, 314.
Nippold, Dr. Otfried, Schweizer, Prä-
sident des Saarlouiser Obergerichts,
51, 52, 64.
Notton, Prof. Dr. Matthias, kath.
Geistlicher, Direktor in der saarl.
Schulabteilung, 110, 157, 161.
Obe, Dr. Max, Regierungsdirektor in
der saarl. Ministerialabteilung für
Volkswohl fahrt, Sozialversicherung,
Landwirtschaft u. Forsten, 310.
Ollmert, Carl, Redakteur, 257.
Ommert, Karl, Kandidat der Dt. De-
mokrat. Partei u. der Dt. Volks-
partei bei der Wahl zur Weimarer
Nationalversammlung, 171.
Ordinaire, Maurice, frz. Abgeordne-
ter und Senator, 185, 219.
Otte, Bernhard, MdL (Preußen, Zen-
trum), Vorsitzender des Gesamtver-
bandes der Christlichen Gewerk-
schaften, 277.
Pacelli, Eugenio, Nuntius, Kardinal-
staatssekretär (später Pius XII.)
157, 159, 293, 294, 307, 309, 311,
406, 410—414.
Panico, Monsignore Giovanni, päpst-
licher Visitator für die Saar, 292,
312, 410, 412.
Papen, Franz v., Vizekanzler, Saar-
bevollmächtigter Hitlers, 167, 258,
267, 270, 271, 277, 292, 294, 295,
298, 299, 301, 312, 379, 396, 399.
Parmoor, Lord, Vorsitzender des Ge-
heimen Rates, Vertreter Englands
im Völkerbundsrat, 83, 143, 177.
430
Pernot, Georges, frz. Minister für
öffentliche Arbeiten, Delegations-
chef bei den dt.-frz. Saarverhand-
lungen 1929/30, 237—244, 248.
Petri, Hermann, Gewerkschaftssekre-
tär, Md saarl. Landesrats (SPD),
29, 189.
Pfeffer, von, Obergruppenführer,
NSDAP, 404.
Pfordt, Fritz, saarl. Kommunist, 304.
Pick, Otto, Gewerkschaftssekretär,
DSVP, 171, 277, 309, 310.
Pieck, Wilhelm, MdL (Preußen), MdR
(KPD), 280.
Pirro, Jakob, Landesleiter der Deut-
schen Front, 257, 298, 299.
Pius XL, Papst, 293.
Poincare, Raymond, frz. Minister-
präsident, 86, 219, 233, 234.
Priou, Jean, 45, 48, 51, 55.
Probst, Adalbert, Führer d. kath.
Jugend Deutschlands, 313.
Pünder, Dr. Hermann, Staatssekretär
in der Reichskanzlei, 241.
Quinones de Leon, spanischer Ver-
treter im Völkerbundsrat, 79, 230.
Rathenau, Walter, Reichsaußenmini-
ster, 207.
Rault, Victor, Franzose, Präsident
der Regierungskommission des Saar-
gebietes, 41—65, 68—79, 84, 89,
90, 91, 92, 94, 95, 101, 102, 103,
104, 118, 121, 122, 123, 127, 128,
132, 142, 143, 144, 145, 148, 149,
161, 183, 185, 191, 202, 212, 213,
229, 230, 251, 420.
Raynaldy, frz. Handelsminister (1924
bis 1925), Justizminister (1933 bis
1934), 144.
Reichard, Wilhelm, evang. Pfarrer,
Saarbrücken-St. Johann, Vorsitzen-
der der saarl. DNVP, 173, 177.
Reinhard, Philipp, Md saarl. Landes-
rats (KP), 97, 197 f., 199, 201, 212,
281.
Revire, Jean, siehe Herly, Robert.
Richelieu, Kardinal, frz. Staatsmann,
13.
Richter, Carl Roderich, evang. Pfar-
rer, Mitglied des Führerrats der
Deutschen Front, 298.
Rieth, Mitglied der deutschen Bot-
schaft Paris, 234.
Röchling, Dr. Hermann, Großindu-
strieller, Md saarl. Landesrats
(DSVP), 41, 65, 124, 128, 145, 172,
173, 174 f., 177, 179, 183, 187 f.,
217, 240, 242, 245, 246, 254, 267,
268, 269, 276, 278, 289, 343, 355,
377, 379, 401.
Rosenberg, Alfred, MS-Ideologe, 399,
407.
Rosting, Helmer, Direktor der Mi-
noritätenabteilung im Völkerbunds-
sekretariat, 40, 41, 94, 177, 200,
235, 245.
Roth, Matthias, Dechant, Sulzbach,
389.
Salandra, ital. Vertreter im Völker-
bundsrat, 104, 143.
Schäfer, Valentin, Redakteur, Vor-
sitzender des Arbeiter- u. Soldaten-
rats in Saarbrücken (1918), Vorsit-
zender der Sozialdemokratischen
Partei, 28, 29, 175, 183, 184, 189,
207, 298.
Schellenbach, Nikolaus, kath. Pfar-
rer, Saarbrücken-St. Eligius, 389.
Scheuer, Dr. Oskar, Redakteur, Md
saarl. Landesrats (DDP), 343 ff.
Scheuer, Peter, Md saarl. Landesrats
(Zentrum), Präsident des Landesrats,
96, 97, 213, 290, 384, 388.
Schlich, Dr. Johann Ludger, Dechant,
Saarbrücken, (Zentrum), 156, 157,
158, 160, 169, 276, 290, 292, 293,
294, 311, 383, 384, 389, 390, 391,
405.
Schirach, Baldur von, NS-Reichsju-
gendführer, 407.
Schmelzer, Wilhelm, Malermeister,
Md saarl. Landesrats, Vorsitzender
der DSVP, 86, 172, 178, 212, 266,
341 f., 389.
Schmitt, Carl, Professor, 162, 163.
Schmitt, kath. Pfarrer, Saarbrücken,
389.
431
Schmoll gen, Eisenwerth, Gustav,
Architekt, Vorsitzender der Saar-
ländischen Wirtschaftspartei, Md
saarl. Landesrats, 205, 288, 342 f.,
379, 380.
Schneider, Bernhard, Lehrer, Md
saarl. Landesrats (SP), 97, 113, 189.
Schneider, Dr. Heinrich, Assessor,
1933/34 Leiter des Saarreferats des
preußischen Innenministeriums und
der Saarstelle der NSDAP in Ber-
lin, 257, 288, 298, 299.
Schneider, Dr. Rudolph, MdR (DVP),
266.
Schreiber, Walther, preuß. Handels-
minister, 241.
Schubert, Carl v., Staatssekretär im
Auswärtigen Amt, 241, 245.
Schulz, Johannes, kath. Pfarrer, Elm-
Derlen, 389.
Schwarz, Julius, Gewerkschaftssekre-
tär, MdR (SPD), 189, 202, 207,
244.
Scialoja, Vittorio, ital. Außenmini-
ster u. Vertreter im Rat des Völker-
bundes, 230.
Sebastian, Dr. Ludwig, Bischof von
Speyer, 111, 159, 309—312, 409,
413, 414.
Seipel, Dr. Ignatz, Monsignore, östr.
Bundeskanzler, 167.
Selzner, Claus, MdR (NSDAP), 277,
379, 382.
Sender, Dr. Walter, Rechtsanwalt,
Md saarl. Landesrats, (SP), 183,
185, 186, 189, 200, 214, 296, 305,
339 ff.
Serruys, Daniel, Direktor im frz.
Handelsministerium, Delegations-
chef bei den dt.-frz. Wirtschafts-
verhandlungen 1925, 145, 236.
Siebert, Anhänger der Deutschen
Christen, 418.
Simon, Gustav, Staatsrat, Gauleiter
der NSDAP im Gau Koblenz-Trier,
258, 396, 398, 399.
Simson, Ernst, B. E. v., Staatssekre-
tär, Leiter der deutschen Delegation
bei den dt.-frz. Saarverhandlungen
1929/30, 224, 227, 228, 230, 238,
239, 240, 241, 242, 244, 247, 248.
Singer, Dr. Franz, Vorsitzender der
Windthorstbünde im Saargebiet
(1947—1953 Minister im saarl. Ka-
binett in verschiedenen Ressorts),
167.
Sollmann, Wilhelm, MdR (SPD),
282, 284.
Spaniol, Alois, Kreisleiter der
NSDAP, Leiter der ersten Deut-
schen Front, 260, 275, 288, 289,
290, 291, 293, 294, 298, 299, 379,
381, 384, 385, 386, 388, 390,
Spengler, Josef, kath. Pfarrer, Lis-
dorf, 389.
Speyer, Bischof von —, siehe Seba-
stian, Dr. Ludwig.
Sprenger, Jakob, Gauleiter der
NSDAP in Hessen-Nassau, 268.
Spring, Regierungsrat, Deutsch-natio-
nale Front, 379.
Stampfer, Friedrich, MdR (SPD),
Chefredakteur des „Vorwärts“, 284,
285.
Steegmann, Franz, Justizrat, Vorsit-
zender der saarl. Zentrumspartei,
154, 158, 169, 170, 175, 272, 273,
274, 275, 289, 322, 382, 419.
Steegmann, Klara, Gemahlin von
Franz St., Vorsitzende des Kath.
Frauenbundes im Saargebiet, 159,
169, 311.
Stegerwald, Adam, MdR (Zentrum),
Vorsitzender des Deutschen Ge-
werkschaftsbundes, Reichsminister,
273.
Stegner, Ingenieur, NSDAP, 379.
Stephens, George Washington, Kana-
dier, Mitgl. bzw. Präsident der Re-
gierungskommission des Saargebie-
tes, 84, 85, 89, 136, 144, 262, 422.
Stoltenhof, D. Emil Ernst, General-
superintendent der Rheinprovinz,
417.
Stolze, Ingenieur, NSDAP, 379.
Strasser, Otto, ehemaliges Mitglied
der NSDAP, Gründer der „Schwar-
zen Front“, 315.
*
432
Straus, Dr. Emil, (1947—1951 saarl.
Kultusminister), 204.
Stresemann, Dr. Gustav, Reichs-
außenminister, 177, 211, 212, 213,
214, 215, 216, 222, 223, 224, 225,
226, 227, 229, 230, 231, 232, 233,
234, 235, 266, 268, 320, 321.
Stumm-Halberg, Carl Ferdinand,
Freiherr v., Großindustrieller, 22,
26, 27, 175.
Stutz, Geheimrat, Reichskohlenkom-
missar, 225.
Suarez, Georges, 231.
Subtil, Alexander, Dechant, Saarlouis,
154, 157.
Taittinger, Pierre, frz. Abgeordneter
der Rechten, 234, 236.
Talleyrand, Charles Maurice de, frz.
Staatsmann und Diplomat, 24.
Tardieu, André, Mitarbeiter am Saar-
statut des Versailler Vertrages, frz.
Ministerpräsident, 31, 154,155,233,
234, 235, 236, 237, 244, 247, 248,
250.
Testa, Gustavo, Monsignore, Päpst-
licher Visitator für das Saargebiet,
158, 292, 293, 312.
Tgahrt, Erich, Generaldirektor des
Neunkircher Eisenwerkes, 241.
Thomas, Albert, Direktor des Inter-
nationalen Arbeitsamtes, 55, 58,
123, 131.
Thommes, Karl, kath. Pfarrer, Als-
weiler, 389.
Thomsen, Dr., Oberregierungsrat in
der Reichskanzlei, 379, 381.
Tille, Dr. Alexander, Syndikus der
Handelskammer Saarbrücken, 175.
Traurich, Dr. Adolf, kath. Pfarrer,
Saarbrücken-St. Michael, 389.
Trier, Bischof von —, siehe Borne-
wasser, Dr. Franz Rudolf; Korum,
Dr. Michael.
Tschitscherin, Georgij Wasiljewitsch,
sowj. Außenminister, 195.
Uhry, frz. Sozialist, 185.
Ulrich, saarl. Kommunist, 281.
Vandervelde, Emile, Sozialist, belg.
Justiz- bzw. Außenminister, 184,
214, 303, 304.
Vei, Dr., Volkswirt, NSDAP, 379.
Vezensky, Dr. Franz, Tschechoslo-
wake, Richter am Obersten Gerichts-
hof in Saarlouis, Mitgl. der Regie-
rungskommission des Saargebietes,
84, 97, 423.
Vinde, schwed. Journalist, 293, 294.
Vogel, Dr. Theodor, Geschäftsführer
des Bundes der Saarvereine, 174,
258.
Voigt, Dr. Hermann, Legationsrat im
Auswärtigen Amt, 94, 148, 187,
201, 207, 225, 226, 235, 248, 256,
310.
Vopelius, Dr. Max v., Industrieller,
Md saarl. Landesrats (DSVP), 65,
172, 176.
Waltz, Max, saarl. Kommunist, 193,
194, 315.
Wambaugh, Sarah, Mitglied der Ab-
stimmungskommission für das Saar-
gebiet, 14, 41, 301, 312.
Watermann, Regierungsrat, Leiter
der Saarbetreuungsstelle des preuß.
Innenministeriums in Köln, 207,
256, 257.
Waugh, Richard Deans, Kanadier,
Mitglied der Regierungskommission
des Saargebietes, 41, 43, 45, 46, 54,
64, 65, 72, 73, 74, 75, 76, 78, 80,
82, 133, 422.
Weber, Hans-Siegfried, 177.
Weber, Helene, MdR (Zentrum), 169,
311, 317.
Weber, Franz, kath. Pfarrer, Ball-
weiler, 389.
Weismann, Dr. Robert, preuß. Staats-
sekretär, 241.
Wels, Otto, MdR (SPD), Vorsitzen-
der der SPD, 284, 285, 287.
Wienstein, Richard, Ministerialrat in
der Reichskanzlei, 403, 417.
Wilhelm, Peter, kath. Pfarrer, Md
saarl. Landesrats (Zentrum), Mit-
glied des Führerrats der Deutschen
Front, 169, 298.
433
Wilson, Woodrow, Präsident der
USA, 30, 31, 32, 33, 156, 215, 318,
319.
Wilton, Sir Ernest, Brite, Präsident
der Regierungskommission des Saar-
gebietes, 89, 98, 106, 136, 139, 177,
200, 422.
Wolff, Otto, Industrieller, 240, 241.
Wood, Eduard, brit. Minister und
Vertreter im Rat des Völkerbundes,
77.
Zenner, Peter, Rektor, Leiter der
saarl. Zweigstelle des Deutschen In-
stituts für wissenschaftliche Pädago-
gik, 116, 160, 162.
Zoricic, Dr. Müovan, Jugoslawe,
Mitglied der Regierungskommission
des Saargebietes, 423.
434
90-95%
8 5-90 %
DIE ZAHLEN GEBEN DEN PROZENTSATZ
DER FÜR DEUTSCHLAND ABGEGEBENEN
STIMMEN AN.
SAARABSTIMMUNG VOM 13.JANUAR 1935
Herausgegeben vom Saarwirtschaftsarchiv Saarbrücken, Hergestellt vom Reichsamt für Landesaufnahme.